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Full text of "Geschichte der griechischen litteratur bis auf die zeit Justinians"

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in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/geschichtedergOOchri 


HANDBUCH 

DER 

KLASSISCHEN 


ALTERTUMS-WISSENSCHAFT 

in  systematischer  Darstellung 

mit  besonderer  Rücksicht  auf  Geschichte  und  Methodik  der  einzelnen 

Disziplinen. 


In  Verbindung  mit  Gymn.-Rektor  Dr.  Autenrieth  (Nürnberg),  Prof.  Dr.  Ad. 
Bauer  (Graz),  Prof.  Dr.  Blass  (Kiel),  Prof.  Dr.  Brugmann  (Leipzig),  Prof. 
Dr.  Busolt  (Kiel),  Prof.  Dr.  v.  Christ  (München),  Prof.  Dr.  Flasch  (Erlangen), 
Prof.  Dr.  Gleditsch  (Berlin),  Prof.  Dr.  Günther  (München),  Prof.  Dr.  Heer- 
deg-en  (Erlangen),  Oberl.  Dr.  Hinrichs  f  (Berlin),  Prof.  Dr.  Hommel  (Mün- 
chen), Prof.  Dr.  Hübner  (Berlin),  Prof.  Dr.  Jul.  Jung"  (Prag),  Dr.  Knaaek 
(Stettin),  Priv.-Doz.  Dr.  Krumbacher  (München),  Dr.  Larfeld  (Remscheid),  Dr. 
Lolling"  (Athen),  Prof.  Dr.  Niese  (Marburg),  Geh.  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Nissen 
(Bonn),  Priv.-Doz.  Dr.  Öhmiehen  (München),  Prof.  Dr.  Pöhlmann  (Erlangen), 
Prof.  Dr.  0.  Richter  (Berlin),  Prof.  Dr.  Schanz  (Würzburg),  Geh.  Oberschulrat 
Prof.  Dr.  Schiller  (Giessen),  Gymn.-Dir.  Schmalz  (Tauberbischofsheim),  Ober- 
lehrer Dr.  F.  Stengel  (Berlin),  Professor  Dr.  Stolz  (Innsbruck),  Prof.  Dr. 
Unger  (Würzburg),  Geheimrat  Dr.  v.  Urlichs  f  (Würzburg),  Prof.  Dr.  Moritz 
Voig-t  (Leipzig),  Gymn.-Dir.  Dr.  Volkmann  (Jauer),  Dr.  Weil  (Berlin),  Prof. 
Dr.  Windelband  (Strassburg),  Prof.  Dr.  Wissowa  (Marburg) 

herausgegeben  von 

Dr.  Iwan  von  Müller, 

ord.  Prof.  der  klassischen  Philologie  in  Erlangen. 


Siebenter  Band. 
Geschichte  der  griechischen  Litteratur. 


Zweite  vermehrte  Auflage. 

°000<^^>oS<«—>^<><^^>OOOc 

MÜNCHEN. 
C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  (OSKAR  BECK). 

1890. 


GESCHICHTE 


DER 


GRIECHISCHEN  LITTERATÜR 


BIS  MF  »IE  im  immm. 


Von 


Wilhelm  Christ, 

ord.  Professor  au  der  Universität  München. 


Zivelte  vermehrte  Auflage. 


Mit  24  Abbildungen. 


^-i^^^pjo"«' 


MÜNCHEN. 

C.  H.  BECK'SCHE  VERLAGSBUCHHANDLUNG  (OSKAR  BECK). 

1890. 


THE  INSTITUTE  OT  I^FOIAFVAl  STÜOIES 
TORONTO  g,  Qß^HM^^ 

mn  3  0  '1932 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


C.  H.  Becli'sche  Buclulruckerei  iu  Nönlliugeii. 


Vorrede. 


Wenn  man  mit  Eeclit  von  dem  Verfasser  eines  Buclies  zu  liOren 
wünsclit,  was  ihn  bestimmt  liabe,  den  alten  Darstellungen  des  gleichen 
Gegenstandes  eine  neue  zur  Seite  zu  stellen,  so  kann  ich  mich  im 
vorliegenden  Fall  einfach  auf  das  grosse  Unternehmen,  von  dem  dieses 
Buch  nur  einen  Teil  bildet,  beziehen.  Denn  es  ist  ja  selbstverständ- 
lich, dass  in  einem  Handbuch  der  klassischen  Altertumswissenschaft 
die  klassische  Litteratur  und  diejenige,  welche  vor  allen  diesen  Ehren- 
namen verdient,  die  griechische,  nicht  fehlen  darf.  Ich  selbst  wäre 
aus  eigenem  Antrieb  schwerlich  je  dazu  gekommen,  eine  griechische 
Litteraturgeschichte  zu  schreiben;  es  bedurfte  der  ehrenvollen  Auf- 
forderung der  Leiter  jenes  Unternehmens  und  der  ermunternden  Zu- 
rede lieber  Freunde,  um  in  mir  den  Entsi/hluss  zu  reifen  und  die 
eigenen  Bedenken  zurückzudrängen.  Die  Bedenken  betrafen  nur  meine 
Person  und  das  Missverhältnis  der  Schwierigkeit  der  Aufgabe  zum 
Masse  meiner  Kräfte;  dass  an  und  für  sich  eine  zusammenfassende 
Darstellung  der  griechischen  Litteraturgeschichte,  die  den  heutigen 
Anforderungen  der  kritischen  Forschung  entspreche,  äusserst  wünschens- 
wert sei,  darüber  besteht  ja  nirgends  ein  Zweifel,  nachdem  die  ge- 
priesenen Werke  von  Bernhardy,  Müller,  Bergk  unvollendet  geblieben 
sind  und  auch  das  neueste  Buch  von  Sittl  nur  bis  Alexander  reicht. 
Auch  die  Beschränktheit  des  Eaumes,  der  durch  den  Plan  des  Gesamt- 
unternehmens gegeben  war,  schreckte  mich  nicht  ab.  Zwar  würde  ich 
ja  lieber  eine  Litteraturgeschichte  in  4  Bänden  geschrieben  haben, 
um  auf  die  Begründung  meiner  Ansichten  tiefer  eingehen  und  die 
litterarischen  Hilfsmittel  ausführlicher  vorführen  zu  können.  Aber 
ich  habe  frühe  gelernt,  meine  Neigungen  den  gegebenen  Verhältnissen 
unterzuordnen,  und  über  einen  umfangreichen  Gegenstand  ein  Buch 
von   kleinem   Umfang    zu    schreiben    ist    auch    eine   Kunst,    die   ihren 


VI  Vorrede. 

Mann  fordert.  So  bin  ich  also  naoli  einigem  Zögern  auf  das  freund- 
liclie  Anerbieten  eingegangen  und  habe  mich  nacli  Kräften  bemüht, 
dem  in  mich  gesetzten  Vertrauen  zu  entspreclien.  Freilich  erst  während 
der  Arbeit  lernte  ich  so  recht  die  Schwierigkeiten  der  Aufgabe  kennen, 
und  mehr  wie  einmal  drohten  die  Flügel  mir  zu  erlalimen;  aber  die 
Liebe  zur  Sache  und  die  Ermunterung  der  Freunde  hoben  mir  immer 
wieder  den  Mut,  so  dass  ich  schliesslich  doch  mit  Gottes  Hilfe  zur 
festgesetzten  Zeit  zum  Ziele  kam. 

AVas  die  Anlage  des  Buches  anbelangt,  so  war  mir  schon  durch 
den  Plan  des  gesamten  Handbuches  die  Auflage  gemacht,  mich  nicht 
nach  Art  Ottfr.  Müllers  auf  die  Darlegung  des  Entwicklungsganges 
der  griechischen  Litteratur  zu  beschränken,  sondern  auch  Nachweise 
über  die  gelehrten  Hilfsmittel  beizufügen.  Mir  selbst  ward  so  in 
erwünschter  Weise  die  Möglichkeit  gegeben,  den  Urhebern  derjenigen 
Auffassungen,  denen  ich  mich  in  ineiner  eigenen  Darstellung  anschloss, 
die  Ehre  der  Erfindung  zu  wahren,  wie  es  den  Benutzern  des  Buches 
erwünscht  sein  wird,  durch  jene  philologischen  Schlussbemerkungen 
über  die  Handschriften,  Ausgaben  und  den  jetzigen  Stand  der  For- 
schung in  Kürze  orientiert  zu  werden.  Ausser  am  Schlüsse  der 
einzelnen  Absätze  habe  ich  aber  auch  gleich  unter  dem  Text  zu  den 
einzelnen  Sätzen  die  litterarischen  Belege  und  die  Hauptzeugnisse 
aus  dem  Altertum  angemerkt,  die  letzteren  meist  im  vollen  Wortlaut. 
Trotzdem,  fürchte  ich,  Averden  viele  nicht  alles  finden,  was  sie  von 
gelehrter  Litteratur  suchen  und  wünsclien;  aber  zugleich  holfc  ich, 
dass  die  Knappheit  des  zugemessenen  liaumes  mich  entschuldigen  Avird, 
wenn  icli  den  Fortschritt  in  der  Textesbearbeitung  nicht  historiscli 
verfolgt  und  bezüglicli  der  ins  Unendliclie  anwachsenden  Programmen- 
und  Aufsätzelitteratur  auf  EuG-elmann  und  andere  Hilfsmittel  im  all- 
gemeinen  verwiesen  habe.  Bei  der  Ausarbeitung  im  einzelnen  kam 
es  mir  zunäclist  darauf  an,  einen  gedrängten  Lebensabriss  der  Autoren 
und  ein  Verzeichnis  ihrer  Werke  mit  kurzer  Bezeiclmung  des  Inhaltes 
und  des  ästhetisclien  Wertes  derselben  zu  liefern.  Aber  bei  Ent- 
werfung dieses  Grundgerüstes  bin  icli  doch  niclit  stehen  geblieben, 
ich  liabe  mich  auch  bemüht,  die  Stellung  der  Autoren  in  ilirer  Zeit 
zu  zeichnen,  eine  Charakteristik  der  einzelnen  Perioden  zu  geben  und 
die  äusseren  Bedingungen  des  litterarischen  Lebens,  die  musischen 
Agone,  die  Organisation  der  Bühne,  die  Gunstbezeugungen  der  Könige 
und  Musenfreunde  zu  scliildern.  Ich  gestehe,  dass  ich  diese  durch 
die  Sache  gebotene  Gelegenheit  gerne  ergrifi',  um  hie  und  da  aucli 
über   d(ui    engen    Kreis    der   gelelirten   Forschung   hinauszugehen    und 


Vorrede.  VII 

meine  Gedanken  über  die  Weltstellung  des  Hellenismus  und  das  Ge- 
heimnis seiner  Macht  anzudeuten.  Nahe  hätte  es  gelegen  im  Anschluss 
daran,  auch  öfters  Exkurse  in  die  vergleichende  Litteraturgeschichti^ 
zu  machen  und  das  Fortleben  der  griechischen  Litteratur  in  der 
modernen  anzudeuten.  Doch  einer  solchen  Aufgabe  fühlte  ich  mich 
nicht  gewachsen;  in  diesen  Fragen  gehe  ich  lieber  selbst  bei  meinen 
lieben  Freunden  Eernays  und  Carriere  in  die  Lehre. 

Auch  bezüglich  der  Ausdehnung  der  Litteraturgeschichte  möchte 
ich  mich  gern  in  dieser  Vorrede  über  einige  Punkte  mit  meinen 
Lesern  auseinandersetzen.  Vor  allem  handelte  es  sich  hier,  wie  weit 
soll  herabgegangen  werden?  An  und  für  sich  schien  mir  der  Vor- 
gang von  Fabricius,  Scholl,  Nicolai,  die  aucli  die  byzantinische  Zeit 
mit  hereingezogen  hatten,  äussert  nachahmenswert  zu  sein.  Aber  da 
ich  selbst  auf  diesem  schwierigen,  erst  allmälilich  sicli  aufhellenden 
Gebiete  viel  zu  wenig  bewandert  bin,  so  musste  auf  anderem  Wege 
Ersatz  gesucht  werden.  Der  fand  sich  in  erwünschtester  Weise  da- 
durch,  dass  mein  junger  Freund  Dr.  Krumbacher  sich  bereit  finden 
Hess,  einen  Abriss^  der  byzantinischen  Litteratur  als  Ergänzung  dieser 
Geschichte  der  altgriechischen  Litteratur  auszuarbeiten.  Derselbe  ist 
bereits  so  weit  gediehen,  dass  sein  Erscheinen  im  Laufe  des  nächsten 
Jahres  in  Aussicht  2:estellt  w^erden  kann.  Ich  führte  also  mein  Buch 
nur  bis  auf  Justinian  oder  bis  auf  die  Aufhebung  der  Philosophen- 
schule Athens  herab.  Innerhalb  dieses  Zeitraums  mussten  aber  alle 
litterarisclien  Grössen,  also  auch  die  Philosophen  herangezogen  werden. 
Zwar  ist  in  diesem  Handbuche  ein  eigener  Abschnitt  von  Professor 
Windelband  der  Geschichte  der  alten  Philosophie  gewidmet  worden, 
so  dass  einige  Wiederholungen  nicht  vermieden  werden  konnten. 
Aber  Piaton  und  Aristoteles  haben  nicht  bloss  für  die  Geschichte  der 
Philosophie  Bedeutung;  wollte  man  ohne  Piaton  eine  griechische  Lit- 
teraturgeschichte schreiben,  so  hiesse  dieses  die  Litteratur  eines  ihrer 
schönsten  Juwele  berauben;  auf  Aristoteles  Schultern  aber  ruht  so 
sehr  die  gelehrte  Thätigkeit  der  Alexandriner,  dass  ohne  jenen  diese 
nicht  begriffen  werden  kann.  Ich  persönlicli  habe  mit  Eifer  diese 
Seite  des  griechischen  Geisteslebens  aufgegriffen,  da  ich  mich  mit  ihr 
seit  meinen  Studentenjahren  mit  Vorliebe  beschäftigt  hatte.  Des  Gleichen 
kann  ich  mich  nicht  bezüglich  der  Fachwissenschaften  und  der  christ- 
lichen Schriftsteller  rühmen;  aber  beide  gehören,  wenigstens  in  der 
ihnen  von  mir  gegebenen  Begrenzung,  zur  griechischen  Litteratur,  so 
dass  ich  mich  entschliessen  musste,  in  einem  Anhang  auch  diese 
Partien  in  den  allgemeinsten  Umrissen  zu  behandeln. 

PA 
3057 


Vni  Vorrede. 

Einen  den  bisherigen  Handbücliern  fremden  Sclimuck  liat  dieses 
Encli  nocli  am  Sclihisse  durcli  die  Abbildung  von  21  (24)  Köpfen  oder 
Statuen  griecliisclier  Autoren  erlialten.  In  unserer  Zeit,  wo  sich  die 
litterarisolien  und  grapliisclien  Darstellungen  überall  die  Hand  reichen, 
lag  die  Beigabe  von  solchen  Abbildungen  gewissermassen  in  der  Luft, 
zumal  durch  den  Kunstsinn  der  Griechen  auch  nach  dieser  Seite  ihre 
Litteratur  vor  der  anderer  Yölker  in  entschiedenem  Vorteile  ist.  Ich  habe 
daher  von  vornherein  diese  artistische  Beilage  in  den  Plan  meines  Werkes 
2:ezo2:en  und  durfte  deshalb  im  Text  mir  die  Charakteristik  der  Ge- 
stalt  der  griechischen  Geistesheroen  erlassen.  Für  die  Auswahl  der 
Köpfe,  wobei  in  erster  Linie  auf  inschriftlich  bezeugte  Porträte  Wert 
gelegt  wurde,  und  für  die  sorgfältige  Aufnahme  der  Originale  oder 
Gypse  bin  ich  meinen  verehrten  Kollegen  Prof.  Heinr.  v.  Brunn  und 
Dr.  Julius  zu  besonderem  Danke  verpflichtet. 

So  möge  denn  das  mit  Liebe  gepflegte  Werk  hinausgehen  in  die 
Welt,  sich  und  seinem  Verfasser  Freunde  werben,  vor  allem  aber  dazu 
beitragen,  dass  die  Liebe  und  Begeisterung  für  die  Werke  des  klassi- 
schen Ilellenentums,  diese  unersetzbare  Grundlage  jeder  echten  Bildung, 
lebendig  erhalten  werden. 

München,  im  Oktober   1888. 


Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 


Schneller  als  mir  lieb  war  ist  die  Anforderung,  eine  neue  Auf- 
lage vorzubereiten,  an  mich  herangetreten.  Denn  ein  längerer  Ge- 
brauch des  Buches  hätte  voraussichtlicli  in  mehr  Fällen  mich  auf 
Mängel  und  Irrtümer  desselben  aufmerksam  gemacht.  Aber  auch  so 
habe  ich  mir  angelegen  sein  lassen,  nach  Kräften  das  Werk  zu  ver- 
vollkommenen, und  habe  dabei  die  Urteile  und  Winke  meiner  Ee- 
zensenten,  mochten  dieselben  in  freundlichem  Tone  gegeben  oder  mit 
Wermut  gemischt  sein,  gewissenhaft  berücksichtigt.  Zu  einer  tiefer- 
greifenden Änderung  der  ganzen  Anlage,  wie  sie  von  Herrn  Crusius 
und  Dräseke  gewünscht  wurde,  habe  ich  mich  nicht  entschliessen 
können.  Namentlich  musste  ich,  wollte  ich  nicht  meiner  ganzen  Auf- 
flissung  von  der  Stellung  des  Hellenismus  zu  den  neuen  Ideen  des 
Christentums  untreu  werden,   die  Vervveisuno^  der  christlichen  Schrift- 


Vorrede.  IX 

steller  in  den  Anhang  aufrecht  erhalten.  Doch  habe  ich  mich  be- 
müht, diesen  am  meisten  verbesserungsbedürftigen  Teil,  auf  dessen 
Boden  ich  mich  am  wenigsten  heimisch  fühle,  so  viel  als  möglich  zu 
verbessern  und  zu  erweitern.  Im  Ganzen  ist  auf  solche  Weise  der 
Umfang  der  neuen  Auflage  um  etwas  über  6  Bogen  gewachsen.  Den- 
jenigen Herrn,  welche  mich  auf  einzelne  Versehen  privatim  aufmerksam 
gemacht  haben,  fühle  ich  mich  zu  warmem  Danke  verpflichtet ;  nament- 
lich sei  meinen  jüngeren  Freunden  Krumbacher,  Eömer,  Wey- 
man,  Zoll  mann  für  die  vielen  wertvollen  Beiträge  auch  öffentlich 
hiemit  mein  Dank  ausgesprochen. 


München,    im  Juni   1890. 


Wilh.  Christ. 


Spezielles  Inhaltsverzeichnis 

von  Band  VII: 

Geschichte  der  griechischen  Litteratur. 


Einleitung.     Begriff  und  Gliederung  der  Litteraturgescliiclite 


Ers  te  Abteilung. 


Klassische  Periode  der  griechischen  Litteratur. 


Seite 
1 


I.  Poesie. 

A.  Das  Epos 10 

1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie 

10 

2.  Homers  Ilias  und  Odyssee      ..... 

23 

3.  Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze 

61 

4.  Der  epische  Kyklos 

66 

5.  Hesiodos          ......... 

74 

6.  Die  späteren  Epiker        ....... 

89 

B,  Die  Lyrik 

98 

1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung        .... 

98 

2.  Die  Elegie 

107 

3.  Die  iambische  Poesie  und  die  Fabel      .... 

116 

4.  Arten  der  Lyrik  im  engeren  Sinn 

123 

5.  Liederdichter  oder  Meliker     ..... 

127 

6.  Chorische  Lyriker            ...... 

133 

7.  Pindar     .         .         .         .         .         .         .         . 

141 

8.  Die  attischen  Lyriker      ...... 

156 

C.  Das  Drama 

160 

1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse  des  Dramas 

160 

2.  Die  Tragödie 

173 

a.  Die  Anfänge  der  Tragödie  bis  auf  Aischylos 

173 

b.  Aischylos 

177 

c.  Sophokles        ....... 

191 

d.  Euripides         ....... 

213 

e.  Die  übrigen  Tragiker      .... 

234 

3.  Die  Komödie            ....... 

239 

a.  Die  Anfänge  der  Komödie  in  Griechenland  i 

md  Sikilie 

ti 

239 

b.  Die  altattische  Komödie 

242 

c.  Aristophanes             ..... 

248 

d.  Mittlere  und  neue  Komödie 

264 

Spezielles  Inhaltsverzeichnis  von  Band  VII. 


II.  Prosa. 


1. 


Anfänge  der  Prosa 


2.  Die  Gescliiclitschreibimg 

a.  Die  Logographen 


b.  Herodotos        ....... 

c.  Tliukydides     ....... 

d.  Xenophon         .         .         .         .         . 

e.  Die  kleineren  und  verlorenen  Geschichtswerke 
Die  Beredsamkeit  ....... 

a.  Anfänge  der  Beredsamkeit      .... 

b.  Antiphon  und  Andokides         .... 
Lysias  und  Isaios  ..... 
Isokrates  und  die  sophistische  Beredsamkeit 
Demosthenes            ...... 


Die  Zeitgenossen  des  Demosthenes 


4.  Die  Philosophen      ........... 

a.  Anfänge  der  Pliilosophie  ....... 

b.  Die  attische  Periode  der  Philosophie      ..... 

c.  Piaton      ........... 

d.  Aristoteles       .......... 

Zweite   Abteilung. 

Nachklassische  Litteratur  des  Hellenismus 

A.  Alex.aii(lrinisclies  Zeitalter 

1.  Allgemeine  Charakteristik      .... 

2.  Die  Poesie 

a.  Die  Elegie  und  das  Epigramm 

b.  Die  bukolische-  Poesie     . 

c.  Das  Kunstepos  und  das  Lehrgedicht 

d.  Dramatische  und  parodische  Poesie 

3.  Die  Prosa        ....... 

a.  Die  Geschichtschreibung 


Grammatische  und  gelehrte  Litteratur 


b.  Die  Philosophie 
c 
B.  Römische  Periode  von  Aiij^ustiis  bis  Konstantin 

Allgemeine  Charakteristik 
Die  Poesie 
Die  Prosa 

Historische  Schriftsteller  aus  der  Zeit  vor  100  n 

Plutarch 


Die  Historiker  der  griechischen  Wieder 


ffeburt 


Chronographen  und  historische  Sammler 
Die  Geographen 
Die  Philosophie 
g.  Die  Sophistik 
h.  Lukianos  .... 

i.  Die  Rhetorik 
k.  Die  Grammatik 
C.  Kömische  Periode  von  Konstantin  bis  Jnstinian 
Allgemeine  Charakteristik 
Die  Poesie      ...... 

Die  Prosa        ...... 

a.  Gcschichtschrcibcr  und  Geographen 

b.  Die  jüngere  Sophistik 

c.  Der  Roman      .... 

d.  Die  Philosophie 

e.  Die  Grammatik 


Chr. 


XI 

Seite 

273 
276 
276 
280 
289 
296 
307 
313 
313 
316 
319 
325 
332 
350 
357 
357 
360 
366 
397 


425 
425 

433 
433 
445 
454 
462 
468 
468 
488 
499 
523 
523 
525 
533 
533 
546 
557 
564 
567 
577 
590 
613 
623 
630 
648 
648 
652 
663 
663 
669 
679 
688 
697 


XII  spezielles  Inhaltsverzeichnis  von  Band  VII. 

Seite 
Dritte   Abbteilung. 

Anhang". 

A,  Fachwisseiiscliaftliclie  Litteratur 710 

1.  Mediziner 711 

2.  Mathematiker  und  Astronomen       ..........  718 

B.  Christliche  Schriftsteller 726 

1 .  Die  Schriften  der  altchristlichen  Kirche          .         .         .         .         .         .         .         .  726 

2.  Die  Kirchenväter             733 

3.  Christliche  Theosophen 743 

4.  Kirchenhistoriker 751 

5.  Christliche  Dichtungen             ...........  754 


Register  757 

Verzeichnis  der  Abbildungen       ...........         770 


Einleitung. 


Begriff  und  Gliederung  der  Literaturgeschichte. 

1.  Mit  litterahira  übersetzten  die  Lateiner  wortgetreu  das  griechische 
YQccij.u(XTixrj  1)  und  verstanden  darunter  im  allgemeinen  Kenntnis  der  litterae 
oder  YQdfifxaTa.  Ward  dabei  litterae  in  dem  ursprünglichen  Sinne  ge- 
nommen, so  bezeichnete  litteratura  die  niedere  Stufe  der  Grammatik  oder 
die  Kenntnis  der  Buchstaben  beim  Lesen  und  Schreiben.  Mit  dieser  niederen 
Grammatik,  welche  im  Altertum  die  Aufgabe  des  yQafxfxaziaTrjg  (nicht 
yQaiiaaxinoq)  bildete,  haben  wir  es  hier  nicht  zu  thun.  Wir  gebrauchen 
Litteratur  in  dem  höheren  Sinn  von  Inbegriff  alles  dessen,  was  in  Schrift 
niedergeschrieben  ist,  im  Gegensatz  zu  dem,  was  in  Marmor  oder  Farbe 
seinen  Ausdruck  gefunden  oder  in  den  staatlichen  Einrichtungen  und  im 
Leben  des  Volkes  sich  verkörpert  hat.  Alle  Schriften  in  griechischer 
Sprache  gehören  daher  zur  griechischen  Litteratur;  eine  eingehendere  Be- 
trachtung aber  fordern  naturgemäss  nur  diejenigen,  welche  dem  Kreise 
der  allgemeinen  Bildung  angehören  und  bei  welchen  auf  die  Form  oder 
den  kunstvollen  Ausdruck  der  Gedanken  ein  besonderer  Nachdruck  gelegt 
ist.  Eine  Litteraturgeschichte  soll  aber  zugleich,  wie  der  zweite  Teil  des 
Namens  anzeigt,  einen  geschichtlichen  Charakter  haben;  sie  darf  sich  daher 
nicht  mit  einer  blossen  Aufzählung  der  litterarischen  Denkmale  eines  Volkes 
begnügen,  sie  muss  zugleich  die  Entwicklung  nachweisen,  welche  bei  einem 
Volk  die  geistigen  Ideen  und  speziell  die  Kunst,  geistige  Ideen  in  der 
Sprache  niederzulegen,  im  Laufe  der  Zeiten  genommen  haben. 

Damit  sind  die  Hauptlinien  der  Aufgabe,  die  uns  in  diesem  Buche 
gestellt  ist,  bezeichnet;  an  diese  reihen  sich  noch  mehrere  andere  Punkte 
an:  Kunst  ist  von  Künstler,  nohi^a  von  noirjrrjg  unzertrennbar,  und  so 
werden  wir  von  selbst  dazu  geführt,  neben  den  Schriften  auch  den  Ver- 
fassern derselben  und  ihrem  Leben  unsere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden. 
Die  erhaltenen  Schriftwerke  stehen  natürlich  im  Vordergrund  der  Betrach- 
tung, aber  da  uns  verhältnismässig  nur  weniges  erhalten  ist  und  die  er- 
haltenen Schriften  nur  einzelne  Glieder  in  der  grossen  Kette  der  Entwick- 


^)  Quint.  II,  1.  4:  grammatice,  quam  in  latinum  transferentes  Utteraiuram  vocaverunt. 

Handbucli  der  klass.  Altertumswissenschaft,  VII.    2.  Auf],  1 


Griechische  Litteraturgeschichte.     Einleitung. 


lung  bilden,  so  dürfen  auch  die  Fragmente  und  diejenigen  Autoren,  von 
denen  uns  nur  durch  andere  Kenntnis  zugekommen  ist,  nicht  ausser  acht 
gelassen  werden.  Die  einzelnen  Autoren  und  Werke  haben  selbst  wieder 
ihre  Geschichte  und  auch  diese  erheischt  Berücksichtigung.  Der  Leser 
will  erfahren,  welchen  Einfluss  die  grossen  Autoren  auf  die  nachfolgenden 
Generationen  geübt  haben  und  durch  welche  Kanäle  ihre  Schriften  auf 
uns  gekommen  sind.  Die  Scholien  und  Handschriften  verlangen  also  ihren 
Platz  in  einer  Litteraturgeschichte  des  Altertums,  und  wenn  ich  denselben 
in  beschränktem  Masse  auch  bibliographische  Angaben  über  Hauptausgaben 
und  wichtige  Erläuterungsschriften  beigefügt  habe,  so  fürchte  ich  damit 
vielen  des  Guten  eher  zu  wenig  als  zu  viel  gethan  zu  haben. 

2.  Die  Darstellung  der  Litteraturgeschichte  kann  sich  entweder  rein 
an  dem  Faden  der  zeitlichen  Folge  abspinnen  (synchronistische  Methode) 
oder  von  den  verschiedenen  Gattungen  der  Litteratur  (si'drj  twv  av/yga^i- 
liarmv)  ausgehen  und  nur  innerhalb  dieser  die  zeitliche  Folge  berücksich- 
tigen (eidologische  Methode).  0  Welche  von  diesen  beiden  Methoden  den 
Vorzug  verdiene,  lässt  sich  nicht  im  allgemeinen  festsetzen ;  das  richtet 
sich  vielmehr  nach  dem  jeweiligen  Charakter  der  darzustellenden  Litteratur. 
Ehe  wir  jedoch  diese  Frage  bezüglich  der  griechischen  Litteratur  zur  Ent- 
scheidung bringen,  wollen  wir  zuerst  die  Grundlinien  beider  Methoden  an 
und  für  sich  betrachten. 

3.  Die  Gattungen  der  Litteratur.  Die  obersten  Gattungen  der 
Litteratur  sind  Poesie  {7Toirj(^ig)  und  Prosa  (^oyog,  zd  xazaXoydSrjv  ysyqaix- 
lisva)^)  Äusserlich  sind  dieselben  so  unterschieden,  dass  die  Werke  der 
Poesie  durch  das  Versmass  gebunden  sind  [oratio  vlncta),  die  der  Prosa 
einer  solchen  Fessel  entbehren  [oratio  soluta),  somit  frei,  ohne  Rückkehr 
zum  gleichen  Gefüge  vorwärts  schreiten  [prosa  i.  e.  proversa  oratio).^)  Aber 
Versmass  und  Vortragsweise  sind  nur  äussere  Unterscheidungszeichen ;  der 
Unterschied  geht  tiefer  und  berührt  das  innere  Wesen  der  beiden  Litteratur- 
gattungen:  die  Poesie  wendet  sich  an  die  Phantasie  oder  die  sinnliche  Vor- 
stellungskraft, die  Prosa  an  den  Verstand  und  das  abstrakte  Denkvermögen.^) 
In  der  Poesie  spielen  daher  die  äusseren,  in  die  Sinne  fallenden  Elemente  der 
Darstellung,  die  Wortverbindung  und  der  Rhythmus,  eine  grössere  Rolle 
als  in  der  Prosa.  Da  nun  die  Litteraturgeschichte  nicht  den  Inhalt  an 
sich,  sondern  den  in  kunstvolle  Form  gegossenen  Inhalt  betrachtet,  so  steht 
ihr  die  Poesie  im  Vordergrund  des  Interesses   und   widmet  sie  denjenigen 


')  BöcKH,  Enzyklopädie  d.  Philol.  615  ff., 
wo  auch  eine  Gliederung  der  Litteratur  nach 
si'ff]  gegeben  ist. 

-)  In  der  römischen  Zeit  heisst  Prosa 
auch  neCo?  'Köyog  =  oratio  j^edestris,  worüber 
Strabon  p.  18  :  y.cu  tat 6  (fe  ro  nsCoy  lex^rj^ca 

TOV  UVSV  ZOV  fXtTQOV    '/Myov    SfXCfiULl^Ei    xov  (cnd 

vxpovg  Tivcg  ytcactßdvra  y.al  6/i]fuaTog  €ig 
roi!(h((fog.  Als  Gegensatz  mochte  den  Gram- 
matikern der  Wagen  des  I'armenides  im 
Eingang  seines  philosophischen  Gedichtes 
vorgeschwebt  haben.  Danach  sang  auch 
Pindar  I.  2,  1   ol  fxtv   näXai,  tu  Qqugv^ovXe, 


(fwxsg,  oV  ^Qvaa^nvxo)v  ig  ^icpQov  Moiaäv 
eßaivop  xXvT(c  cpoQ^iyyi  avvavr6fj.evaL. 

3)  Donat.  ad.  Terent.  Eun.  II,  3.  14: 
prorsum  est  iiorro  versiim  .  .  .  hinc  et  prorsa 
oratio,  quam  non  inflexit  cantilena. 

^)  Oft  angeführt  wird  dafür  die  Weise, 
womit  Homer  B  123  die  Grösse  des  Heeres 
bezeichnet.  Interessant  und  einer  näheren 
Untersuchung  wert  ist  die  Umgestaltung  der 
Sprache  infolge  des  stärkeren  Hervortretens 
der  Prosa,  namentlich  die  Vermehrung  der 
Abstrakta  auf  oig,  la,  avvi]. 


Begriff  und  Gliederung  der  Litteraturgeschichte.  (§  2—5.) 


Werken  in  Prosa,  die  ihre  Bedeutung  lediglich  im  Inhalt  haben,  wie  den  Schriften 
über  Mathematik,  Mechanik  etc.,  nur  eine  untergeordnete  Aufmerksamkeit. 

4.  Die  Poesie  pflegt  man  in  Epos,  Lyrik,  Drama  einzuteilen,  und 
diese  Einteilung  werden  auch  wir  unserer  Darstellung  zu  grund  legen, 
müssen  aber  gleich  hier  bemerken,  dass  die  Terminologie  nicht  ganz  auf 
die  Arten  der  griechischen  Poesie  passt  und  dass  die  griechischen  Gelehrten 
eine  teilweise  abweichende  Einteilung  aufgestellt  haben.  Dieselben  unter- 
schieden nämlich,  ausgehend  von  einer  Stelle  Platon's,^)  zunächst  zwischen 
dem  yivog  p^iiir^Tixör  oder  SQaixarixöv  und  dem  ytvog  SirjyijfxaTixo^'  oder 
ccTTayYs^Tixov,  und  fügten  denselben  dann  noch  ein  vermittelndes  ytvog 
xoivöv  oder  fiixTov  hinzu.-)  Zu  dem  letzteren  stellten  sie  Ilias  und  Odyssee, 
weil  in  diesen  bald  der  Dichter  erzählt,  bald  Agamemnon,  Achill  oder  ein 
anderer  in  direkter  Rede  spricht,  während  ihnen  die  Erga  des  Hesiod,  in 
denen  nie  eine  Person  redend  eingeführt  wird,  das  reine  ye'vog  dirjyrjinaTixov 
repräsentierten.  Aber  gerade  diese  Beispiele  stellen  die  Mangelhaftigkeit 
der  antiken  Theorie  in  grelles  Licht  und  empfehlen  die  heutzutag  übliche 
Gliederung.  In  ihr  hat  das  Epos  seinen  Namen  von  dem  Gegensatz  der 
gesprochenen  (sTirj)  und  gesungenen  Gedichte  [aai^iara)  und  von  dem  für  das 
Epos  bei  den  Griechen  typisch  gewordenen  Versmass,  dem  daktylischen 
Hexameter,  der  bei  den  Metrikern  den  Namen  enog  hatte. ^)  Der  Name 
Lyrik,  d.  i.  „das  von  der  Lyra  begleitete  Lied",  ist  insofern  nicht  ganz 
bezeichnend,  als  er  nur  auf  einen  Teil  der  lyrischen  Poesie,  die  eigentlichen 
^ishj,  passt,  während  wir  unter  derselben  auch  die  iambische  und  elegische 
Poesie  begreifen. 

Den  drei  Arten  der  Poesie  stehen  in  der  Prosa  gegenüber  Ge- 
schichtschreibung, Rhetorik,  Philosophie.  Von  diesen  entspricht  in  mehr- 
facher Beziehung  die  Geschichte  dem  Epos:  beiden  eignet  die  erzäh- 
lende Form  der  Darstellung,  und  beide  sind  von  den  loniern  in  Kleinasien 
ausgegangen.  Insbesondere  schliessen  sich  die  Städtegründungen  (xiiasig) 
der  Logographen  aufs  engste  an  das  genealogische  Epos  des  Eumelos  und 
Asios  an.  Auch  das  Drama  und  sein  Gegenstück,  die  Redekunst,  sind  in 
derselben  Stadt,  in  Athen,  zur  Blüte  gelangt,  und  die  Verteidigungs-  und 
Anklagereden  haben  in  dem  Wortstreit  und  den  langen  Gegenreden  {Qrjasig) 
des  Dramas  ihr  Analogon.  Weniger  fallen  die  Berührungspunkte  der  Lyrik 
und  Philosophie  ins  Auge.  Doch  kann  auch  hier  geltend  gemacht  werden, 
dass  beide  in  gleicher  Weise  bei  allen  Stämmen  Griechenlands  vertreten 
sind  und  beide  von  der  Aussenwelt  den  Blick  in  das  Innere  lenken. 

5.  Die  Perioden  der  griech.  Litteratur.  Die  chronologische 
Darstellung  muss   sich   von  selbst,    will  sie   übersichtlich  werden  und  sich 


^)  Plato  de  rep.  III  p,  3941):  rrjg  non]- 
a6(jSg  IE  xal  fxvd^o'koyiag  iq  fxei^  did  ^i^tjGEiog 
oh]  eoTiv  .  .  TQCicyitxfia  rt  x(d  xm/uio6U(,  rj 
ö's  ÖC  dnayysXiag  avrov  tov  noirjiov  '  evQOig 
^^('.v  avTiqv  y,cihaTCi  nov  sv  did^vQdfxßotg  '  i] 
cT'  av  cTfc'  dfxcpoTEQCoy  tv  is  rfi  tmp  iTHJHv  noirj- 
G€t  noTiXa^ov  cFc  xcd  dXXo&i. 

'^)  Procl,  ad  Hes.  p.  4  G. ;  Procl.  Chrest. 
p.  230  W.;  Proleg.  ad  Theoer.  VI  M.,  Sehol. 
ad  Hom.  A  IG,  Z  46,  Eur.  Phocn.  1225;  Sue- 


ton  de  poetis  3;  Probus  ad  Verg.  Bucol.  7, 
12  K.  Vgl.  Reiffeescheid,  Suetoni  rell.  p.  4. 
Sehr  mangelhaft  ist  die  Einteilung  in  Arist. 
Poet.  1. 

^)  Plat.  rep.  III  p.  386  c  und  Arist.  me: 
taph.  N  6.  Mitgewirkt  haben  bei  Feststel- 
lung der  Terminologie  die  homerischen  Wen- 
dungen 87isa  msQoei^TCi  TiQoajjvda,  ^sih/loiat 
sTieoai  u.  ä. 


Griechische  Litteraturgeschichte.     Einleitung. 


nicht  mit  einer  kunstlosen  Aneinanderreihung  begnügen,  nach  grossen  Wende- 
punkten umsehen.  Einen  solchen  Hauptwendepunkt  bezeichnet  der  Unter- 
gang der  Freiheit  und  Selbständigkeit  der  griechischen  Staaten  durch  Ale- 
xander d.  Gr.  Derselbe  hat  nicht  bloss  politische  Bedeutung,  er  scheidet 
auch  die  Zeit  des  fröhlichen,  produktiven  Schaffens  in  Kunst  und  Wissen- 
schaft von  der  Periode  mühsamen  Sammeins  und  trockner  Gelehrsamkeit. 
Innerhalb  der  ersten  Periode  bilden  wieder  die  Perserkriege  einen  Haupt- 
markstein, weniger  wegen  der  Besiegung  des  Nationalfeindes,  als  weil  in- 
folge des  hervorragenden  Anteils  der  Athener  an  dem  Siege  nunmehr  Athen 
in  den  Vordergrund  des  politischen  und  geistigen  Lebens  der  Nation  trat. 
Denn  während  zuvor  die  einzelnen  Stämme,  jeder  für  sich  und  in  seiner 
Sprache,  an  der  Entwicklung  der  Litteratur  sich  beteiligt  hatten,  reisst 
nun  Athen  die  geistige  Führung,  ja  das  Monopol  der  Bildung  an  sich. 
Das  bedeutete  aber  mehr  als  einen  blossen  Ortswechsel:  die  Litteratur 
gewinnt  eine  universellere  Richtung  ^)  und  nimmt  das  Gepräge  des  atheni- 
schen Volkes  an,  d.  i.  den  Charakter  geistiger  Aufklärung,  praktischer 
Verständigkeit,  schwungvollen  Freiheitssinnes.  In  der  zweiten  Hauptperiode 
bezeichnet  der  völlige  Untergang  der  aus  Alexanders  Weltmonarchie  hervor- 
gangen en  hellenistischen  Reiche  einen  wichtigen  Abschnitt;  er  fällt  zusammen 
mit  der  Schlacht  von  Aktium  (31  v.  Chr.)  und  dem  Untergang  des  Ptole- 
mäerreiches.  Denn  von  nun  an  bilden  die  Griechen  nur  dienende  Glieder 
der  grossen  römischen  Weltherrschaft.  Wir  lassen  diese  letzte  Periode 
bis  auf  den  Regierungsantritt  Kaisers  Justinian  (527)  oder  bis  zur  völligen 
Aufhebung  der  altgriechischen,  nunmehr  heidnisch  gescholtenen  Philosophen- 
schulen reichen.  Es  Hessen  sich  innerhalb  dieser  4  Perioden,  namentlich 
innerhalb  der  letzteren,  noch  leicht  mehrere  Unterabteilungen  gewinnen, 
aber  es  werden  uns  für  unsere  Darstellung  jene  grossen  Scheidungen  vor- 
erst genügen.  2) 

6.  Kehren  wir  nun  zur  Frage  zurück,  ob  die  Darstellung  nach  Lit- 
teraturgattungen,  oder  die  nach  der  zeitlichen  Zusammengehörigkeit  für  eine 
griechische  Litteraturgeschichte  die  angemessenere  sei,  so  springt  uns  so- 
fort ein  grosser  Unterschied  der  griechischen  Litteratur  von  der  modernen, 
und  innerhalb  der  griechischen  Litteratur  zwischen  der  Zeit  vor  und  nach 
Alexander  in  die  Augen.  Unser  Schiller  und  Göthe  haben  in  Prosa  und 
in  Versen  geschrieben,  haben  Lieder,  Epen  und  Dramen  gedichtet;  eine 
Darstellung  nach  Litteraturgattungen  würde  daher  dieselbe  Persönlichkeit 
nach  den  verschiedensten  Seiten  auseinanderreissen.     So   etwas  ist   in  der 


^)  Über  die  universelle  Natur  Athens, 
das  die  Kultur  loniens  und  Korinths  in  sich 
aufnahm,  gute  Gedanken  bei  Wilamowitz 
Hom.  Unters.  256  ff. ;  über  die  attische  Sprache 
s.  Isoer.  15,  295;  über  die  Stämme  der 
Griechen  und  ihre  Stellung  im  Geistesleben 
der  Nation  überhaupt  Beegk,  Kl.  Sehr.  II, 
365  ff. 

'^]  F.  A.  Wolf  und  nach  ihm  Bernhardy 
schicken  diesen  4  Perioden  eine  Periode  von 
den  politischen  Anfängen  der  griechischen 
Nation   bis    auf   Homer    voraus    und   lassen 


ihnen  eine  6.  Periode  „von  -Tustinian  bis  zur 
Einnahme  von  Konstantinopel "  nachfolgen. 
Die  letzte  Periode,  die  byzantinische,  wird 
in  diesem  Werke  selbständig  von  meinem 
jüngeren  Freunde  Krumbacher  behandelt; 
die  erste  erscheint  bei  uns  als  Vorhalle 
zum  ersten  Teil.  Eine  Zeit,  aus  der  uns 
nichts  erhalten  ist,  verdient  es  kaum  eine 
eigene  Periode  der  Litteratur  zu  bilden. 
Mehr  Unterperioden  stellt  Bekgk,  Gr.  Litt 
I,  302  ff.  auf. 


Begriff  und  Gliederung  der  Litteraturgeschichte.  (§  6.)  5 

griechischen  Litteratur  nicht  zu  besorgen,  am  wenigsten  in  der  klassi- 
schen Zeit  vor  Alexander.  Hier  zerteilte  sich  die  Kraft  eines  Mannes 
nicht  nach  verschiedenen  Seiten,  hier  machte  die  Beschränkung  den 
Meister.  Ferner  begegnen  wir  im  Eingang  unserer  deutschen  Litteratur 
einem  Werk  in  Prosa,  und  tritt  uns  in  der  römischen  Litteratur  als  erster 
Schriftsteller  Livius  Andronicus,  ein  Dichter  von  Tragödien  und  Komödien 
entgegen;  das  ist  eine  Verkehrung  der  natürlichen  Ordnung,  herbeigeführt 
durch  die  Einwirkung  fremder  Kultur.  Bei  den  Griechen  hat  sich  die 
Litteratur  fast  ohne  jeden  fremden  Einfluss,  lediglich  aus  sich  entwickelt; 
es  folgten  sich  daher  auch  die  Litteraturgattungen  in  naturgemässer  Reihe,  i) 
Zuerst  im  Jugendalter  der  Nation,  als  es  noch  keine  Schrift  und  keine 
Bücher  gab,  erblühte  die  heitere,  leichtgeschürzte  Poesie,  die  im  Kreise 
jugendfroher  Sinnlichkeit  erwuchs  und  von  der  lebendigen  Stimme  des 
Volkes  getragen,  keiner  schriftlichen  Aufzeichnung  bedurfte.  Erst  gegen 
die  Zeit  der  Perserkriege,  als  die  Nation  den  schönen  Traum  der  Jugend 
schon  hinter  sich  hatte  und  bereits  in  das  denkende  Mannesalter  einge- 
treten war,  entwickelten  sich  die  Anfänge  der  Prosa,  die,  losgelöst  von  dem 
sinnlichen  Reiz  des  Metrums  und  der  Bildersprache,  sich  von  vornherein 
an  den  Verstand  wendete  und  zu  ihrer  Fortpflanzung  die  Fixierung  durch 
die  Schrift  erheischte.  Und  von  der  Poesie  selbst  hinwiederum  entwickelte 
sich  zuerst  das  Epos,  wie  auch  der  Mensch  in  seiner  Kindheit  zuerst 
Märchen  und  Erzählungen  liebt.  Es  folgten  sodann  die  verschiedenen  Arten 
der  Lyrik,  die  von  der  reizvoll  entfalteten  Aussenwelt  in  die  Tiefe  der 
inneren  Empfindungen  und  Betrachtungen  hinabstieg  und  zum  Ausdruck 
mannigfacher  Gefühle  auch  einer  kunstvoller  verschlungenen  Form  bedurfte. 
Und  erst  als  das  Epos  und  die  Lyrik  ihren  Höhepunkt  bereits  überstiegen 
hatten,  folgte  das  Drama,  das  jene  beiden  Elemente  in  sich  aufnahm  und 
die  alten  Mythen  in  einer  neuen,  dem  attischen  Geiste  mehr  entspre- 
chenden Form  gleichsam  wiedergebar.  Innerhalb  der  Prosa  ist  die  Reihen- 
folge nicht  eine  gleich  regelmässige;  doch  bleibt  es  immerhin  bezeichnend, 
dass  die  ersten  Denkmäler  der  Prosa  der  dem  Epos  entsprechenden  Historie 
angehören,  und  dass  die  Rhetorik  später  als  die  Historie  und  Philosophie 
zur  Entfaltung  kam.  So  empfiehlt  sich  also  für  die  klassische  Periode 
der  griechischen  Litteratur  unbedingt  die  Darstellung  nach  Litteratur- 
gattungen, die  nach  dem  Gesagten  ungesucht  auch  die  richtige  zeitliche 
Ordnung  im  Gefolge  hat.  Minder  günstig  stellen  sich  die  Verhältnisse 
für  die  Zeit  nach  Alexander.  Hier  ist  von  jener  natürlichen  Folge  ohnehin 
keine  Rede  mehr,  da  ja  in  Alexandria  der  Kreislauf  der  Litteratur  nicht 
wieder  von  neuem  begann.  Aber  auch  die  Arten  scheiden  sich  nicht  mehr 
in  gleich  scharfen  Linien  von  einander.  Apollonios  und  Kallimachos  schreiben 
als  Gelehrte  in  Prosa,  verzichten  aber  dabei  nicht  auf  den  Ruhm  als 
Dichter  von  Elegien  und  Epen  zu  glänzen;  Plutarch  zeigt  zwar  keine  dich- 
terische Ader,  aber  in  der  Prosa  tritt  er  zugleich  als  Historiker,  Philosoph 
und  Rhetor  auf.     Hier  werden    wir  also  Modifikationen  anbringen  und  die 


^)  In  dieser  Beziehung   hat  die  griechi-   1    der  indischen,  deren  Analogie  Avir  noch  öfter 
sehe  Litteratur  die   grösste   Ähnlichkeit  mit       anziehen  werden. 


6 


Griechische  Litteraturgeschichte.    Einleitung. 


Gleichzeitigkeit  mehr  berücksichtigen  müssen.  Wie?  Das  wird  sich  später 
passender  erörtern  lassen.  Ohnehin  werden  wir  nicht  dem  System  zu  lieb 
uns  dem  Vorwurfe  praktischer  Unzweckmässigkeit  aussetzen.  Wir  werden 
also  z.  B.  den  Xenophon  an  nur  einer  Stelle  behandeln,  wiewohl  er 
historische  und  philosophische  Schriften  geschrieben  hat,  und  werden 
die  Dichter  der  neueren  Komödie  nicht  von  einander  trennen,  wiewohl 
die  Blüte  mehrerer  derselben,  ja  der  meisten  in  die  Zeit  nach  Alexanders 
Tod  fällt. 

7.    Die  litterarhistorischen  Studien  im  Altertum.   Die  Studien 
zur  griechischen  Litteraturgeschichte    reichen  bis  in   das    Altertum   selbst 
zurück.^)     Sie  waren  zunächst  biographischer  Natur,   indem   man  über  die 
Abkunft  (ye'vog)    und    das   Leben  (ßiog)   der  grossen    Dichter  und    Autoren 
Bestimmteres  zu  ermitteln  suchte.     Schon  aus  dem  5.  Jahrh.  v.  Chr.  wird 
uns    eine    Schrift   des  Stesimbrotos   über   das   yt'vog   ^OinfjQov   genannt   und 
hören  wir  von  den  litterarhistorischen  Versuchen  des  Glaukon  von  Rhegion 
tt^qI   tmv   ccQ'/^aicöv   TioirjTMv  xal  fiovcrixcov    und    des  Damastes  ttsqI  rronjTcov 
xal  ao(fiaT(ov.     Lebhafter   ward    das   Interesse    für    biographische    Unter- 
suchungen in  der  Zeit  nach  Alexander.     Auch  hier  gab,  wie  auf  so  vielen 
anderen  Gebieten  Aristoteles  die  Anregung  und  ihm  zur  Seite  der  geistes- 
verwandte Schüler   Piatons,   Herakleides   Pontikos.     Die   Peripatetiker  De- 
metrios   von   Phaleron,    Phanias,  Praxiphanes,    Chamaileon,    Satyros  traten 
in  die  Fusstapfen  ihres  grossen  Meisters.    Aus  den  Hallen  der  Philosophen- 
schulen verpflanzte  sich   dann  die  Neigung   für   derartige   Studien   auf  die 
grammatischen    Schulen    in    Alexandria     und    Pergamon:     Antigonos    der 
Karystier,    die   Kallimacheer   Hermippos   und  Istros   sind  hier   die   Haupt- 
vertreter der  biographischen  Forschung   geworden.      Was  von  diesen  Phi- 
losophen und  Gelehrten    über  das  Leben   der  hervorragenden   Dichter   und 
Philosophen  erforscht  oder  erfabelt  worden  war,  ging  mit  Neuem  vermehrt 
teils  in  die  den  Ausgaben  der  Autoren  vorausgeschickten  Abrisse  nsgl  tov 
ytrovg  xal  ßfov,  teils  in  die  grossen  zusammenfassenden  Werke  eines  Deme- 
trios    Magnes,   Hermippos    Berytios,     Herennios    Philon,    Alius    Dionysius, 
Hesychios  Milesios  über.     Auf  uns  gekommen   sind  ausser  den  zerstreuten 
biographischen  Notizen  der  Schollen  und   den  Spezialwerken   des  Diogenes 
und  Plutarch    über   die  Philosophen   und  Redner   das   grosse   Lexikon  des 
Suidas  (10.  Jahrh.)  2)  und  die  Chronika   des   Eusebius.^)     Wir  würden  uns 
den    Zugang    zu    unserer    eigentlichen    Aufgabe    übermässig   erschweren, 
wollten  wir  gleich   hier   auf   die   einzelnen   Namen   und    Schriften   so   ein- 
gehen, wie  es  eine  kritische   Beleuchtung  der   biographischen   Studien  des 
Altertums  verlangte.     Daher  genüge  hier  die  allgemeine  Bemerkung,   dass 
schon    von   den    Peripatetikern    und   Alexandrinern    die   wenigen    sicheren 
Notizen   über   das   Leben    grosser  Männer   mit   einer   Fülle   wunderreicher 
Fiktionen  und  Anekdoten   versetzt   wurden,   und    dass   die  chronologischen 


^)  KoEPKE,  Quid  et  qua  ratione  iam 
Graeci  ad  litterarum  historiam  condendam 
elaboraveHnt,  Berol.  1845. 

^)  Die  litterarhistorischen  Artikel  des 
Suidas  ausgezogen  und  bearbeitet  von  Flach, 
Hesychii    Milesii    Onomatologi   reih,    Lips. 


1882. 

^)  Eusebii  Chronica  ed.  Schöne,  Berol. 
1875.  Dazu  aus  älterer  Zeit  (Ol.  129)  Chro- 
nicon  Parium  (parische  Marmorchronik), 
neubearbeitet  von  Flach,  Tüb.  1884. 


Begriff  und  Gliederung  der  Litteraturgeschichte.  (§  7—8.)  7 

Angaben  aus  der  älteren  Zeit  meist  auf  fingierten  Stammtafeln  und  syn- 
chronistischen Kombinationen  beruhen,  so  dass  viele  der  auf  ein  bestimmtes 
Jahr  lautenden  Angaben  sich,  auf  ihre  Quelle  zurückgeführt,  in  eine  vage 
Allgemeinheit  verflüchtigen.^) 

Zu  den  biographischen  Forschungen  gesellten  sich  in  der  alexandri- 
nischen  Periode  repertorienmässige  Aufzeichnungen  {dvayQayjai)  der  Schriften 
der  Autoren.  Schon  bald  nach  Gründung  der  Bibliothek  in  Alexandrien 
verfasste  der  gelehrte  Bibliothekar  Kallimachos  Verzeichnisse  [TJivccxsg)  der 
Autoren  und  ihrer  Schriften  mit  genauen  Angaben  des  Titels  und  der 
Zeilenzahl  der  einzelnen  Bücher.  Später  wurden  ähnliche  Kataloge  auch 
von  der  Bibliothek  in  Pergamon  angelegt  und  veröffentlicht.  An  die  Pi- 
nakes  des  Kallimachos  schlössen  sich  dann  litterarhistorische  Erläuterungen 
des  Aristophanes  von  Byzanz  und  anderer  Gelehrten  an,  welche  zur  Auf- 
stellung von  Verzeichnissen  der  Schriften  in  den  einzelnen  Sparten  und 
im  weiteren  Verlauf  zur  Festsetzung  eines  Kanon  mustergiltiger  Autoren 
führten.  Die  daher  stammenden  Charakteristiken  der  hauptsächlichsten 
Autoren  sind  durch  Quintilian  Inst.  rhet.  X  auf  uns  gekommen.  Tiefer  ins 
einzelne  gingen  die  Inhaltsangaben  (vTto^sasiq)  einzelner  Werke,  nament- 
lich der  Tragiker  und  Komiker,  mit  deren  Abfassung  sich  vornehmlich 
Dikäarch  und  Aristophanes  von  Byzanz  beschäftigten.  2)  Sind  uns  dieselben 
auch  nur  teilweise  und  in  stark  verstümmelter  Form  erhalten,  so  bilden 
sie  doch  mit  ihren  gelehrten  Notizen  über  die  Abfassungszeit  und  die  be- 
nützten Mythen  eine  Hauptquelle  unserer  litterarhistorischen  Kenntnisse. 
Endlich  verdanken  wir  noch  mannigfache  Belehrung  über  Werke  der  grie- 
chischen Litteratur,  die  uns  nicht  vollständig  erhalten  sind,  den  Exzerpten, 
welche  gegen  Ende  des  Altertums  und  im  byzantinischen  Mittelalter  ge- 
lehrte Männer  veranstalteten.  Dahin  gehören  die  Chrestomathie  des  Pro- 
klos, die  Anthologie  des  Stobaios,  die  Bibliothek  des  Patriarchen  Photios 
und  die  historischen  Exzerpte  des  Kaisers  Konstantinos  Porphyrogennetos. 

8.  Die  neueren  Werke  über  griech.  Litteratur.  In  der  neuen 
Zeit  nach  dem  Wiederaufleben  des  klassischen  Altertums  hatte  man  an- 
fangs die  Hände  so  vollauf  zu  thun  mit  der  Herausgabe,  Verbesserung, 
Übersetzung  der  griechischen  Schriftsteller,  dass  man  zu  einer  systemati- 
schen Darstellung  der  griechischen  Litteraturgeschichte  wenig  Zeit  fand. 
Das  oft  aufgelegte  Büchlein  von  Gyraldus,  De  historia  poetarum  tarn 
yraecoruni  quam  laUnorum  dialogus  (1545)  ging  nicht  viel  über  eine  Zu- 
sammenstellung der  biographischen  Überlieferungen  des  Altertums  hinaus. 
Von  selbständigerer  Bedeutung  waren  die  Einzeluntersuchungen  von  G.  J. 
Voss,  De  Mstoricis  graecis  (1624)^)  und  von  Ruhnken,  Historia  critica  ora- 


^)  Die  richtige  Schätzung  der  alten  Nach- 
richten in  unserer  Zeit  besonders  klargestellt 
und  zur  Berichtigung  der  herkömmlichen 
Nachrichten  verwertet  von  Erw.  Rohde  in 
verschiedenen,  später  anzuführenden  Auf- 
sätzen des  Rhein.  Mus. ;  schon  zuvor  wurden 
die  Angaben  der  Alten  auf  ihren  richtigen 
Wert  zurückgeführt  von  Lehrs,  Wahrheit  und 


Dichtung  in  der  griechischen  Litteraturge- 
schichte, in  Pop.  Aufs.  2.  Aufl.  Leipz.  1875. 

'■^)  ScHNEiDEWiN,  De  hypotkesibus  trag, 
graec.  Aristophani  Byz.  vindicandis,  in  Ab- 
hdl.  d.  Gott.  Ges.  VI,  3—37;  vgl.  Wilamo- 
wiTZ,  Eur.  Herakl.  I,  145  f. 

^)  Neubearbeitet  von  Westermann,  Lips. 
1838,  wornach  wir  eitleren. 


8  Griechische  Litteratnrgeschichte.     Einleitung. 

iorum  graecorum  (1768).  i)  Den  Versuch,  das  weitschichtige  Material  zur 
griechischen  Litteratnrgeschichte  mit  Einschluss  der  Kirchenväter  und  By- 
zantiner zu  einem  grossen  Sammelwerk  zu  vereinigen,  machte  im  vorigen 
Jahrhundert  Fabricius  in  seiner  Bibliotheca  graeca,^)  Wertvolle  Beiträge 
lieferten  um  dieselbe  Zeit  die  Zweibrücker  Ausgaben  [BiponUnae),  indem 
in  denselben  den  Texten  der  Autoren  die  Nachrichten  {tesümonia)  über 
die  betreffenden  Werke  und  eingehende  Lebensbeschreibungen  (vitae)  voraus- 
geschickt wurden.  Die  methodische  Behandlung  der  Litteratnrgeschichte 
datiert  von  Fr.  A.  Wolf,  der  hier  wie  in  anderen  Disziplinen  der  Philo- 
logie die  bloss  stoffliche  Anhäufung  verschmähend,  auf  systematische  An- 
ordnung und  organische  Entwicklung  drang.  Seine  in  Halle  gehaltenen 
Vorlesungen  über  die  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  wurden  erst 
nach  seinem  Tod  von  Güetler  (1831)  herausgegeben.  Auf  seinen  Schultern 
steht  Bernhardy,  der  in  seinem  leider  unvollendet  gebliebenen  Grundriss 
der  griechischen  Litteratur  mit  reicher  Gelehrsamkeit  die  Fächer  ausfüllte, 
zu  denen  Wolf  die  Lineamente  gezogen  hatte.  Unvollendet  blieben  auch 
die  Werke  der  beiden  Männer,  welche  neben  Bernhardy  sich  das  meiste 
Verdienst  um  unsere  Wissenschaft  erworben  haben  und  jenen  an  lebens- 
voller Frische  der  Auffassung  weit  übertreffen,  Ottfr.  Müller  und  Th. 
Bergk.  Mehr  aber  noch  zur  Förderung  der  Sache  trugen  die  Untersuchungen 
über  einzelne  Zweige  der  griechischen  Litteratur  bei.  Allen  voran  leuchten 
in  dieser  Richtung  drei  Männer,  Fr.  Jakobs,  der  im  13.  Bande  seiner  Aus- 
gabe der  griechischen  Anthologie  und  in  den  Nachträgen  zu  Sulzers  Theorie 
der  schönen  Wissenschaften  den  Weg  gelehrter  und  geschmackvoller  Behand- 
lung litterarhistorischer  Fragen  wies,  Aug.  Meineke,  dessen  unvergleich- 
liche Sorgfalt  in  der  Sammlung  und  Ordnung  der  Fragmente,  namentlich  der 
Komiker,  die  Lücken  der  erhaltenen  Litteratur  glücklich  überbrückte,  und 
Gottl.  Welcker,  der  vornehmlich  durch  seine  Werke  über  den  epischen 
Cyclus  und  die  griechischen  Tragödien  neue  Bahnen  unserer  Wissen- 
schaft brach. 

Fabricii,  Bibliotheca  graeca  sive  notitia  veterum  scriptorum  graecorum  Hamburg 
1705-28,  14  Bde.  4.,  ed.  IV  von  Harless,  Hamb.  1790—1810,  12  Bde.  4.  —  Bernhardt, 
Grundriss  der  griech.  Litt.,  1.  Teil  Innere  Gesch.,  2.  Teil  in  2  Abteil.  Gesch.  der  griech. 
Litt,  (nur  die  Poesie  enthaltend),  Halle  I^  1876,  IP  1880.  —  0.  Müller,  Gesch.  d.  griech. 
Litt,  bis  auf  das  Zeitalter  Alexanders,  Breslau  1841,  2  Bände,  neubearbeitet  von  Heitz  mit 
Fortsetzung,  4.  Aufl.  1882—4;  in  England  wurde  das  Werk  fortgeführt  bis  auf  die  Ein- 
nahme Konstantinopels  durch  die  Türken  von  Donaldson,  Lond.  1858,  2  Bde.  —  Fb.  Scholl, 
Histoire  de  la  litterature  grecque,  Paris  1813,  deutsch  bearbeitet  von  Schwarze  und  Pinder, 
Berlin  1828 — 30,  3  Bde.  —  Bergk,  Griech.  Litteraturgesch.,  1.  Band  vom  Verf.  selbst  be- 
sorgt, Berlin  1872,  die  3  folgenden  Bände  aus  den  Papieren  Bergk's  herausgegeben  von 
Hinbichs  und  Peppmüller  1883—7,  umfasst  nur  Epos,  Lyrik,  Drama  bis  Euripides,  Anfänge 
der  Prosa.  —  Nicolai,  Geschichte  der  griechischen  Litteratur,  neue  Bearbeitung,  Magde- 
burg 1873,  3  Bände  mit  Einschluss  der  byzantinischen  Litt.,  Auszug  in  1  Bd.  1883.  — 
SiTTL,  Geschichte  der  griechischen  Litt,  bis  auf  Alexander  d.  Gr.,  München  1884  —  7,  3  Bde. 
-  Mure,  History  of  lang,  and  litt,  of  ancient  Greece,  London  1850  —  7,  2,  Aufl.  1854 — 60 
5  vol.  nur  bis  Alexander  ohne  Drama  und  Redner.  —  Mahaffy,  History  of  classical 
greek  literature,  London  1880,  2  vol.  —  E.  Burnouf,  Histoire  de  la  litt,  grecque,  II  ed. 
1885,  2  vol.  —  Croiset  Alfr.  et  Maur.,  Histoire  de  la  litt,  grecque,  Paris  im  Erscheinen. 

Kompendien:  Passow,  Grundzüge  d.  griech.  u.  röm.  Litteraturgesch.  u.  Kunstgesch., 


^)  Erschienen  als  Einleitung  zur  Ausgabe 
des  lateinischen  Rhetors  Rutilius  Lupus,  auf- 
genommen in  Ruhnkenii  Opusc.  I,  310—92. 


2)  Fabricii    Bihl.    graeca    seu    notitia 
scriptorum  graecorum,  Hamburg  1705 — 28. 


Begriff  und  Gliederung  der  Litteraturgeschichte.  (§8.)  9 

2.  Aufl.,  Breslau  1829,  —  Munk,  Gesch.  d.  griech.  Litt,  mit  vielen  Auszügen  in  Über- 
setzung, 3.  Aufl.  besorgt  von  Volkmann,  Berlin  1880,  2  Bde.  —  Bergk,  Griech.  Litt., 
Abriss  in  Ersch  u.  Gruber's  Enzykl.  1863.  —  Kopp,  Gesch.  der  gr.  Litt,  (für  Gymnasiasten), 
4.  Aufl.  besorgt  von  Hubert,  Berlin  1886.  —  Mähly,  Gesch.  der  antiken  Litteratur,  Leipz. 
1880,  2  Bde.,  für  weitere  Kreise  der  Gebildeten  bestimmt.  —  Bender,  Gesch.  d.  griech. 
Litt.  1886,  in  der  bei  Friedrich  in  Leipzig  erscheinenden  Gesch.  d.  Weltlitteratur,  ohne 
gelehrtes  Beiwerk. 

Hilfsmittel:  Westermann,  BiograpJii  graeci  seil  vitarum  scriptores  graec.  min., 
Brunsv.  1845.  —  Clinton,  Fasti  hellenici  cwiles  et  Utterarias  Graecorum  res  ah  ol.  45  ad 

01.  124  explicantes,  ex  altera  anglici  exemplaris  edit.  conversi  a  Kruegero,  Lips.  1830.  — 
Engelmann,  Bibliotheca  scriptorum  classicorum,  8.  Aufl.,  Leipzig  1880,  die  in  Deutschland 
seit  1700  erschienenen  Bücher  und  Abhandlungen  umfassend.  —  Hoffmann,  Lexicon  hihlio- 
grapliicum,  Lips.  1832,  3  vol.  umfasst  auch  die  ältere  und  die  ausserhalb  Deutschlands 
erschienene   Litteratur.  —  Hübner,    Bibliographie    der    Gesch.   u.    Enzykl.    d.    klass.    Phil., 

2,  Aufl.  Berl.  1889.  —  Bibliotheca  philol.  classica,  in  Jahrb  f.  Phil,  und  seit  1877  als 
Anhang  zu  Bursian-Müller,  Jahresber.  der  Fortschritte  der  klass.  Altertumswissenschaft; 
die  Jahresberichte  selbst  bilden  ein  Haupthilfsmittel  für  unsere  Aufgabe,  citiert  habe  ich 
nach  Jahrgängen.  —  Pauly,  Realenzykiopädie  der  klass,  Altertumswissensch.,  Stuttg. 
1839 — 52,  6  Bde.;  1.  Bd.  neubearbeitet  unter  der  Redaktion  von  Teufpel. 

Ein  Quellenbuch  zur  griech.  Litteraturgeschichte,  das  ausser  den  in  den  Scholien 
erhaltenen  ßtoL  iindv^od^saeig  die  litterarischen  Artikel  des  Suidas,  Eusebiusund  der  parischen 
Chronik,  ferner  die  Kanones  der  Alexandriner  und  die  litterarischen  Inschriften  enthalte, 
gehört  noch  zu  den  frommen  Wünschen  der  Philologen  und  Litteraturfreunde. 


Erste  Abteilung. 

Klassische  Periode  der  griechischen  Litteratur. 

I.  Poesie. 

A.   Epos. 
1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie. 

9.  Die  griechische  Sprache.  Jeder  Tempel  erhebt  sich  auf  der 
Grundlage  eines  Fundamentes.  Auch  der  Tempel  der  Litteratur  hat 
ein  solches,  Jahrhunderte  vor  seinem  Aufbau  gelegtes  Fundament,  das  ist 
die  Sprache.  Wir  müssen  daher  auch  in  der  griechischen  Litteraturgeschichte 
zuerst  der  griechischen  Sprache  oder  der  Form,  in  der  die  Dichter  und  Schrift- 
steller des  Hellenenvolkes  ihre  Ideen  niederlegten,  unsereBetrachtung  zuwenden. 

Altarische  Elemente.  Es  gilt  heutzutag  als  eine  allgemein  an- 
erkannte Wahrheit,  dass  die  Griechen  mit  Unrecht  sich  Kinder  ihres  Lan- 
des (avTÖx^ovsg)  nannten,  dass  sie  vielmehr  als  Zweig  des  arischen  Stam- 
mes in  grauer  Vorzeit  aus  Asien  durch  die  nördliche  Hämushalbinsel  in 
ihre  späteren  Sitze  eingewandert  waren  und  aus  ihrer  alten  Heimat  eine 
reich  ausgebildete  Sprache  und  eine  vielgegliederte,  aus  der  Vergöttlichung 
der  Naturkräfte  entwickelte  Religion  mitgebracht  hatten.  Und  da  nun  jede 
Poesie  in  der  Sprache  ihr  sinnliches  Organ  und  in  dem  religiösen  Volks- 
glauben ihre  kräftigste  Wurzel  hat,  so  werden  wir  auch  die  Anfänge  der 
griechischen  Poesie  auf  jenen  arischen  Stamm  zurückzuführen  berechtigt 
sein.  Das  ist  aber  nicht  so  zu  nehmen,  als  ob  die  Griechen  aus  Asien 
vollständige  Gesänge  oder  auch  nur  ganze  Verse  mitgebracht  hätten.  Wenig- 
stens fehlen  uns  zu  einer  solchen  Annahme  jedwede  Belege.  Wohl  aber  be- 
gegnen uns  in  der  ältesten  Poesie  der  Griechen  poetische  Worte  und  Wort- 
verbindungen, die  in  den  ältesten  Liedern  der  Inder,  den  Veden,  wieder- 
kehren und  die  wir  deshalb  als  ein  altes,  gemeinsames  Erbe  beider  Völker 
betrachten  dürfen.  Dahin  rechnen  wir  in  erster  Linie  eine  Reihe  von  Götter- 
namen, wie  Zfv  näxsQ  =:  skt.  djaus  pitar  =  lat.  Jupjriter,  Jicovtj  =  lat. 
Diana  aus  ursprünglichem  diväna  =  die  Leuchtende,  OvQavog  =  skt.  Va- 
runas,  der  Umfasser,  ^Hmg  =  skt.  ums  =■  lat.  Aurora,  die  Brennende  oder 
Leuchtende,  I^iqioc;  =  skt.  sürjas  (aus  svarjas),  der  glänzende  Stern,  KQÖrog 


A.  Epos.     1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie.  (§  9.) 


11 


=  skt.  hränas  --=  ital.  Cerus,  der  Vollbringer,  Xagirsg  =  skt.  harifas, 
die  strahlenden  Sonnenrosse,  ^)  nQOfjir]&€vg  ==  skt.  pramanthajus,  der  feuer- 
bereitende Reiber,  vielleicht  auch  ^sog,  =  skt.  devas  =  lat.  deus,  der 
Leuchtende.  In  den  gleichen  Bereich  religiöser  Anschauungen  gehören  die 
hochpoetischen  Wörter  ap^ßQociia  ==  skt.  amrtam,  Speise  der  Unsterblich- 
keit, nörvia  =  skt.  patni,  Herrin,  ayiog  =  skt.  jagjas,  der  zu  verehrende, 
sQsßog  =  skt.  ragas  =  got.  riquis,  Finsternis,  Stog  =  lat.  dius  =  skt. 
divjas,  himmlisch,  xvQiog  u.  xoiqavog  =  skt.  güras,  stark,  Held.  Dazu 
kommen  dann  Wörter,  welche  von  der  Anrufung  der  Götter  zur  Verkün- 
digung des  Ruhmes  der  Helden  hinüberführen.  In  diesem  Sinne  sind 
namentlich  mehrere  Bildungen  der  sonst  auf  griechischem  Boden  fast  ganz 
abgestorbenen  Wurzel  Jim  „hören"  zu  fassen,  wie  xXvd^i  =  skt.  grudhi, 
xXvTog  =  skt.  grutäs  =  lat.  inclutus^  xlepog  =  skt.  gravas,^)  xXtog  acfd^itov 
=  gravas  alcsitam.  Andere  den  Griechen  selbst  nicht  mehr  recht  ver- 
ständliche Wörter  Homers  erhalten  Licht  aus  Namen  und  Wortverbindungen 
der  verwandten  Sprachen:  zum  homerischen  SoTvJQsg  säwv  stellt  sich  das 
vedische  dataras  vasünäm  „Geber  von  Schätzen",  das  Beiwort  TQiroyeveia 
enthält  als  erstes  Element  den  Gott  Tritas  der  Inder  und  Thraetaonö  der 
alten  Baktrer,  Mxsavcg  ist  nach  Ad.  Kuhn's  geistvoller  Deutung  (K.  Z.  IX 
240)  ursprünglich  der  die  Erde  gleich  einer  Schlange  umgebende  Strom. 
Endlich  weisen  auch  einige  direkt  die  Poesie  berührende  Wörter  auf  alta- 
rischen Ursprung  hin:  nachdem  es  geglückt  ist,  für  das  lat.  Carmen  und 
Casmena  das  Urbild  im  vedischen  gasman  „Anruf,  Lob"  zu  finden,  wird  es 
auch  nicht  zu  gewagt  sein,  den  Sängernamen  'OQ(fsvg  mit  den  Ribhus,  den 
göttlichen  Künstlern  der  Veden,  zu  identifizieren,  vfjivog  zu  vedisch  suninam 
„freudevolle  Götteranrufung"  zu  stellen, 3),  und  fidvTig,  sowie  das  verwandte 
Molaa  (aus  montja)  mit  skt.  mantram  „Spruch"  in  Verbindung  zu  bringen.*) 
Aus  derFremde  hat  die  Sprache  der  Griechen  nur  ausserordentlich 
wenig  aufgenommen;  haben  sich  die  Hellenen  schon  in  der  Entwicklung 
ihrer  Kultur  rasch  von  den  Einflüssen  der  älteren  Kulturvölker  Asiens  und 
Ägyptens  emanzipiert,  so  haben  sie  noch  mehr  darauf  gesehen,  ihre  schöne 
Sprache  von  dem  Misslaut  fremder,  barbarischer  Wörter  rein  zu  erhalten,^) 


M  Diese  von  Max  Müller  herrührende 
Gleichstellung  kann  als  vollkommen  gesichert 
gelten,  nur  muss  man  dabei  beachten,  dass 
haritas  nicht  zunächst  Sonnenrosse,  sondern 
Glänzende  bezeichnet;  die  Bedeutung  „Dank" 
von  /agig  und  gratia  ist  natürlich  eine  ab- 
geleitete und  somit  spätere. 

^)  Zum  Heldengesang  führt  hinüber  der 
Ausdruck  ciei^e  &\<Qa  xXsa  dv^Qwv  [1  189), 
vgl.  ^  73  u.  Hes.  Theog.  99. 

^)  Von  den  einheimischen  Gelehrten 
wird  das  vedische  sumnam  (wahrscheinlich 
aus  sumanam)  als  Wort  für  Glück  erklärt; 
Benfey  im  Glossar  zum  Sama-Veda  gibt  ihm 
die  Bedeutung  Hymnus,  Roth  im  Peters- 
burger Wörterbuch  die  von  Andacht,  Gebet. 
FicK,  Wörterb.  der  indogerm,  Sprachen  I  ^ 
230  gibt  die  Zusammenstellung  von  skt. 
sumnam  u.  griech.  t\uvoq.  aber  mit  dem  Zu- 
satz „zweifelhaft". 


■*)  Vielleicht  hängt  auch  vedisch  Stomas 
(Loblied)  und  stötä  (Lobsänger)  mit  dem 
homerischen  arsvrca  zusammen,  so  dass  sich 
die  Proportion  ergibt:  griech.  axoficc  :  skt. 
Stomas  =  lat,  vox  :  gr,  enog  (Epos).  Wahr- 
scheinlich ist  auch  x6f]g  (altgr.  xoff]g)  und 
x9voax6og  mit  skt.  kai:is  (Seher,  weiser  Sänger) 
verwandt.  Zweifelhafter  ist  es,  ob  man  das 
griechische  oder  richtiger  gesagt,  äolische 
fj,vd^og  mit  skt.  mantlias,  in  Verbindung 
bringen  darf,  da  wohl  die  Form  stimmt, 
aber  das  vedische  manthas  noch  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  „Umrühren"  hat;  s. 
CuRTius,  Gr.  Et.  ^  335  flf. 

'')  Der  ßaQßaQiOfxög  oder  der  anstössige 
Laut  lallender  Barbaren,  im  Gegensatz  zu 
tXh]viofx6g,  galt  in  der  Sprachlehre  der  Grie- 
chen als  Fehler,  vor  dem  zu  allen  Zeiten  die 
Grammatiker  eindringend  warnten. 


12 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Was  sie  von  den  Karern  und  Lykiern  entlehnten,  lässt  sich  bei  der  mangel- 
haften Kenntnis,  die  wir  von  der  Sprache  jener  Völker  haben,  nicht  mehr 
festsetzen;  über  einige  Götternamen,  wie  Ayjiw^  Avfia^  ^AttoXXmv,  wird  die 
Entlehnung  kaum  viel  hinausgegangen  sein.  Mehr  entnahmen  sie  der  Sprache 
jenes  Volkes,  das  ihnen  vorzugsweise  die  Kultur  Innerasiens  vermittelte, 
der  der  seefahrenden  Phönikier.  Nicht  bloss  die  Eigennamen  MeXixe'Qrrjg, 
^dßog,  Maga^wv  stammen  aus  Phönikien,  auch  die  Appellativnamen  ag- 
Qaßo'}}',  ßvßAioi',  öi-Xroc,  xädog,  iiccxaiQa^  /LisyaQOV,  o^övr],  yiTMv^  ^^«Z/^^?  l^vä^ 
TTaXXaxLQ,  xivvqa  waren  zugleich  mit  der  Sache  durch  die  Phönikier  den 
Griechen  übermittelt  worden.^)  Aber  auch  diese  fremden  Sprachelemente 
mussten  es  sich  ebenso  wie  die  aus  der  Fremde  überkommenen  Kunstfor- 
men gefallen  lassen,  mit  griechischem  Stempel  versehen  und  nach  der 
Analogie  vaterländischer  Wörter  umgemodelt  zu  werden.  Bedeutsamer 
war  die  Entlehnung  der  Schrift  von  den  Phönikiern.  Die  Griechen  waren 
sich  des  fremden  Ursprungs  dieses  wichtigsten  litterarischen  Hilfsmittels 
wohl  bewusst,  indem  sie  die  Buchstaben  geradezu  ^oivixrjia  yQccfiißaTa 
nannten.  Aber  diese  Anleihe  aus  der  Fremde  geht  nicht  der  ersten  Regung 
des  poetischen  Geistes  der  Griechen  voraus;  die  Griechen  hatten  bereits 
herrliche  Denkmale  der  erzählenden  Dichtung,  ehe  sie  zur  Verbreitung  der- 
selben von  der  Schrift  Gebrauch  machten. 

10.  Dialekte  des  Griechischen.  Jener  Zw^eig  des  arischen  Volks- 
stammes, der  sich  später  den  gemeinsamen  Namen  Hellenen  gab,  2)  setzte 
sich,  in  verschiedene  Stämme  geteilt,  viele  Jahrhunderte  vor  dem  troischen 
Kriege  in  seinen  europäischen  Sitzen  fest.  Hauptstammesunterschiede,  die 
zwar  gewiss  infolge  der  lokalen  Trennung  im  Laufe  der  Zeit  stärker  her- 
vortraten, aber  doch  schon  bei  der  ersten  Niederlassung  in  Europa  vor- 
handen waren,  bildeten  die  Achäer,  Aoler,  Dorier,  lonier.  In  verschiedenen 
Verstössen  nach  Süden  und  Westen  verbreiteten  sich  dieselben  von  Thes- 
salien und  Mittelgriechenland  aus  über  ganz  Hellas,  von  der  älteren  Be- 
völkerung die  fremden  Bestandteile  aufsaugend,  die  verwandten  sich  an- 
gliedernd. So  gingen  die  älteren  Bewohner  des  Landes,  die  Pelasger,  Karer 
und  Leleger,^)  von  denen  sich  ausser  einer  neuerdings  aufgefundenen 
Inschrift  noch  Erinnerungen  in  alten  Berg-  und  Ortsnamen  erhielten, 
fast  spurlos  in   der  neuen   Bevölkerung  der   Hellenen   auf.*)     Von    diesen 


^)  A.  Müller,  Semitische  Lehnwörter 
des  Griech.,  in  Bezzenbergers  Beitr.  I,  273  ff. 
Über  die  aus  der  Fremde  kommenden  Tiere 
und  Pflanzen,  wie  xcmv,  ikecpag  Qodoy,  y.dp- 
vaßig  EQeßiPx^og,  oipog,  s.  ViCT.  Hehn,  Kultur- 
pflanzen u.  Hausthiere  in  ihrem  Übergang 
aus  Asien  nach  Griechenland  und  Italien, 
3.  Aufl.,  Berl.  1877. 

2)  JIuviX'krivEg  kommt  zuerst  im  SchifF- 
katalog  B  530  und  bei  Hesiod  Op.  528  vor. 
Über  die  spätere  Ausdehnung  des  Namens 
"^'FJ/Ätjyeg,  der  anfangs  nur  einem  kleinen 
Stamm  Thessaliens  zukam,  ist  die  Haupt- 
stelle Thuk.  I,  3,  wozu  Homerscholien  bei 
Lehrs,  Aristarch  p.  233  kommen.  Vgl.  Wila- 
MowiTz,,  Hellas  vor  der  Völkerwanderung, 
in  Euripides  Herakles  I,  258  fi". 


^)  Strab.  p.  661 :  ol  Kägeg  vno  Mipb) 
irdtrovTo,  rore  Aaksyeg  xaXovfxei'Oi,  xcd  rag 
vTjöovg  (oxovy  '  eix^  rjneiQMxai  yspojusvoi  noX- 
Xiji^  rrjg  naQaXiag  xal  rijg  jusdoyaiag  xarea/oi^, 
xovg  TTQOxars/opTag  dcpsXöfXSvoi'  xal  ovtoi 
6^iqaav  ol  nXsLovg  Asleyeg  xal  JleXccayoi, 
ndXiv  (fe  rovxovg  dcpslXoyxo  fXEQog  ol  'EXlrjveg, 
"Iiopsg  xs  xal  JojQieTg.  Vgl.  Strab.  p.  221  u. 
321  f. 

■*)  Das  in  unserer  Zeit  hinzugekommene 
inschriftliche  Denkmal  wurde  auf  der  ehe- 
dem von  Pelasgern  (s.  Strab.  p.  221)  be- 
wohnten Insel  Lemnos  gefunden  und  ge- 
hört, nach  dem  Schriftcharakter  zu  schlies- 
sen,  dem  7.  Jahrh.  an.  Die  Sprache  der 
Inschjift  ist  nicht  griechisch  und  zeigt  oö'en- 
bare  Verwandtschaft   mit   der   Sprache    der 


A.  Epos.    1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie.  (§  10.) 


13 


gelangte  der  Stamm  der  Dorier,  welcher  zuletzt  die  Wanderung  nach 
Süden  antrat,  in  den  dauernden  Besitz  des  grössten  Teils  der  Pelops- 
insel.  Die  früher  südwärts  vorgedrungenen  Stämme  der  Achäer  und 
lonier  mussten,  so  weit  sie  sich  nicht  den  neuen  Herren  unterwarfen, 
teils  neue  Wohnsitze  auf  den  Inseln  und  in  Kleinasien  aufsuchen,  teils 
sich  zu  den  alten  Sitzen  ihrer  Stammesgenossen  zurückziehen.  Denn 
die  lonier  und  Achäer  waren  nicht  insgesamt  nach  dem  Peloponnes  aus- 
gewandert, vielmehr  war  ein  grosser  Teil  derselben  in  den  früher  von 
ihnen  okkupierten  Ländern  Mittel-  und  Nordgriechenlands  zurückgeblieben,  i) 
Die  Sonderung  des  Volkes  der  Hellenen  in  verschiedene  Stämme  ist 
am  deutlichsten  in  den  Dialekten  ihrer  Sprache  ausgeprägt.  Die  alten 
Grammatiker  unterschieden,  indem  sie  wesentlich  nur  die  litterarischen 
Denkmale  in  Betracht  zogen,  4  Dialekte,  den  äolischen,  dorischen,  ionischen, 
attischen.  Die  neueren  Forscher  sind,  indem  sie  von  den  sprachlichen, 
am  deutlichsten  in  den  Inschriften  ausgeprägten  Unterschieden  ausgingen, 
zu  wesentlich  anderer  Einteilung  gekommen. 2)  Danach  sind  zunächst  zwei 
Gruppen  zu  unterscheiden,-^)  das  Ionische  und  das  Nichtionische. ^)  Von 
dem  Ionischen  zweigte  sich  infolge  lokaler  Trennung  das  Attische  als  eine 
besondere  Mundart  ab.^)  In  der  nichtionischen  Gruppe  reichen  die  Unter- 
schiede des  Dorischen  (in  Lakonien,  Argos,  Kreta)  und  Äolischen  (in  Nord- 
thessalien, Böotien,  Lesbos)  in  die  älteste  Zeit  hinauf  ß);  dieselben  haben  zugleich 
im  Laufe  der  Zeit  hohe  Bedeutung  für  das  litterarische  Leben  Griechen- 
lands gewonnen.    Ausserdem  aber  lassen  uns  die  Inschriften  innerhalb  der 


Etrurier,  welche  ja  gleichfalls  für  Pelasger 
galten;  s.  Pauli,  Eine  vorgriechische  In- 
schrift von  Lemnos,  1886;  Deecke,  Die  tyr- 
rhenischen  Inschriften  von  Lemnos,  Rh.  M. 
41,  460  ff.  Nach  Pauli  war  das  Pelasgische 
eine  nichtarische  Sprache,  ebenso  wie  die  ver- 
wandte Sprache  der  Karer  und  der  älteren 
Bewohner  Vorderkleinasiens  überhaupt ;  arisch 
oder  iranisch  hingegen  war  die  Sprache  der 
Phrygier,  schwankender  sind  die  Urteile  be= 
züglich  des  Lykischen. 

^)  In  Mittelgriechenland  war  Attika  seit 
alters  von  loniern,  die  mit  Pelasgern  zusam- 
mensassen,  bewohnt,  ebenso  ein  Teil  der 
Insel  Euböa.  Auch  die  Graoi  im  Asoposthal 
sind  als  lonier  durch  eine  Inschrift  aus  dem 
Amphiaraosheiligtum  von  Oropos  erwiesen 
(s.  Wilamowitz  Herm.  21,  98).  Für  das  Ge- 
biet um  lolkos  in  Thessalien  ist  eine  ältere, 
voräolische  Bevölkerung  bezeugt  durch  Pin- 
dar  N.  IV,  54  naUov  de  nuQ  noöl  Icagelay 
Icio'ky.ov  Tiol£y.la  /sql  ngoarganaji'  nrjXevg 
iaQ8(f(ox€y  Jlfioi^eooi.  Ob  das  aber  laoner 
waren,  wie  E.  Cuetius,  Die  lonier  vor  der 
ion.  Wanderung,  An.  33  annimmt,  oder  Pe- 
lasger, die  in  Thessalien  wie  in  Attika  den 
jugendkräftigeren  Stämmen  der  Hellenen 
weichen  mussten,  steht  dahin. 

'^)  Aheeks,  JDe  graecae  linguae  dialec- 
tis,  Gott.  1839  —  43;  vollständig  neubearbeitet 
von  Meister,  Die  griech.  Dialekte,  noch  un- 
vollendet;  Gu.   Meyer,   Griech.  Gramm. ^  p. 


XIX  ff. ;  CoLLiTZ,  Die  Verwandtschaft  der 
griech.  Dialekte,  Gott.  1885.  —  Dialektische 
Inschriftensammlungen  von  Cauer,  Dialectus 
inscriptionum  graecarum  propter  dialectum 
memorahüium,  ed.  II,  Lips.  1883;  Collitz, 
Sammlung  der  griech.  Dialektinschriften, 
Gott.,  noch  unvollendet. 

^)  Schon  im  Altertum  hat  Strabon  p.  333 
die  4  Dialekte  auf  2  reduziert,  indem  er  die 
Atthis  zur  las,  und  die  Doris  zur  Aiolis 
stellte. 

^)  Hauptunterschiede  sind,  dass  das  Io- 
nische massenhaft  altes  ü  in  t]  verwandelte, 
das  Digamma  frühzeitig,  sicher  schon  im  7. 
Jahrh.  aufgab,  zum  Ausdruck  des  dubitativen 
Verhältnisses  «V  statt  xs  verwandte. 

^)  Hauptzeugnis  für  die  Stammesver- 
wandtschaft ist  Thukyd.  II,  15:  t«  aQ/aio- 
z€()f(  JiovvGia  rfj  ö(od'exdrrj  noieLzai  ep  fxrjvl 
^Jvx^EöTr]Qiu}vi,  woneQ  xcd  ol  an'  'A&rjva'ioip 
'Iwrsg  eti  xmI  rvp  vofil^ovGiv. 

^)  Hauptunterschiede  sind,  dass  das  Äo- 
lische  durchweg  baryton  ist  und  den  weichen 
Hauch  [xpiXwGtg)  liebt,  den  alten  Laut  des  v 
[=  u)  wenigstens  teilweise,  namentlich  im 
Böotischen,  bewahrte  und  häufig  ein  o  in  f 
(ähnlich  wie  die  Lateiner)  verwandelte.  Dazu 
kamen  später  die  Unterschiede  der  Ersatz- 
dehnung und  Kontraktion,  vermöge  derer 
äol.  Moiaa,  dor.  Mwaa,  ion.  Movoa  aus  altem 
Movxiu,  äol.  Tfa'c,  dor.-ion.  rüg  aus  altem 
TCivg  sich  gegenübertraten. 


u 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


zweiten  Gruppe  noch  mehrere  lokale  Schattierungen  unterscheiden,  insbe- 
sondere das  Nordwestgriechische  (in  Südthessalien,  Lokris,  Phokis,  Akar- 
nanien,  Epirus),  das  Eleische,  das  Arkadisch-Kyprische,  das  Pamphylische.  ^) 

Die  Dialekte  spielten  in  der  griechischen  Litteratur  eine  grössere  Rolle 
wie  in  irgend  einer  andern  der  alten  oder  neuen  Zeit.  Die  scharfe  Son- 
derung der  hellenischen  Stämme  und  die  Eifersucht  der  einzelnen  Staaten 
auf  ihre  Selbständigkeit  brachten  es  mit  sich,  dass  bis  über  die  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges  hinaus  nicht  bloss  die  Privaten  und  Behörden 
sich  in  den  öffentlichen  Urkunden  und  Inschriften  des  einheimischen  Dia- 
lektes bedienten,  sondern  auch  die  Dichter  und  prosaischen  Schriftsteller 
die  Sprache  ihres  speziellen  Stammes  redeten.  So  sind  in  allen  Litteratur- 
gattungen  die  ältesten  Denkmale  nicht  in  der  gemeingriechischen  Sprache, 
sondern  in  irgend  einem  Dialekte  geschrieben.  Auch  als  die  Autoren 
von  der  Mundart  ihrer  Landsleute  abzuweichen  begannen,  gingen  sie  nicht 
gleich  zu  einer  gemeinsamen  Sprache  über,  sondern  hielten  sich  zunächst 
an  die  Sprache  und  den  Dialekt  ihres  Vorbildes.  So  entstand  in  Griechen- 
land eine  neue  Art  von  Dialekten,  die  man  die  litterarischen  im  Gegensatz 
zu  den  lokalen  oder  Stammesdialekten  zu  nennen  pflegt.  Schon  die  Sprache 
Homers  gibt  nicht  rein  die  Formen  und  Wörter  eines  einzelnen  epichori- 
schen  Dialektes  wieder,  verdient  vielmehr  bereits  den  Namen  eines  Kunst- 
dialektes, des  sogenannten  epischen  Dialektes.  Schwer  aber  ist  es  bei 
ihm  und  fast  noch  mehr  bei  den  späteren  Dichtern,  wie  Pindar,  zu  unter- 
scheiden, wie  viel  sie  aus  der  Mundart  ihrer  Stammesgenossen,  wie  viel 
aus  der  Sprache  ihres  Vorbildes  herübergenommen  haben.  Doch  auf  diese 
Punkte  werden  wir  erst  weiter  unten  bei  den  einzelnen  Autoren  näher 
einzugehen  Veranlassung  haben ;  hier  möge  nur  noch  eine  Bemerkung  all- 
gemeinerer Natur  am  Platze  sein. 

Die  Grundlage  der  griechischen  Litteratur,  die  griechische  Sprache,  hatte 
von  vornherein  aussergewöhnliche  Vorzüge :  der  Wohllaut  ihrer  Vokale  und 
die  Weichheit  ihrer  Konsonantenverbindungen  machten  sie  zu  einem  vorzüglichen 
Instrument  des  musikalischen  Vortrags ;  der  Reichtum  ihrer  Flexionsformen 
führte  von  selbst  zum  klaren,  die  verschiedenen  Beziehungen  scharf  schei- 
denden Gedankenausdruck;  die  Mannigfaltigkeit  ihrer  Mundarten  ermöglichte 
eine  den  Stilarten  sich  anschmiegende  Modifizierung  der  allgemeinen 
Sprachmittel. ^)  Kurzum  in  der  griechischen  Sprache  war  den  Dichtern 
und  Rednern  von  vornherein  ein  ausgezeichnetes  Gefäss  für  den  Ausdruck 
ihrer  Gedanken  und  zugleich  ein  fruchtbarer  Samen  zur  Entwicklung  my- 
thologischer Ideen  und  phantasievoller  Sagen  gegeben. 

11.  Vorhomerische  Poesie.  An  der  Schwelle  der  griechischen  Lit- 
teratur stehen  zwei  Dichtungen  unerreichter  Grösse  und  Vollendung,  die  Ilias 


^)  Dereleischeüialektiststammverwandt 
dem  von  Nordwestgriechenland,  aus  welcher 
Gegend  die  Atoler  und  Epeer  in  Elis  eingewan- 
dert waren.  Das  Arkadische  repräsentiert  die 
Sprache  der  alten  Bew^ohner  des  Peloponnes, 
der  Achäer;  seine  Verwandtschaft  mit  dem 
Kyprischen  beruht  auf  der  ältesten  Koloni- 
sation Kyperns  durch  peloponnesische  Achäer. 


Das  Pamphylische  erinnert  durch  den  Namen 
an  die  dorische  Tribus  der  Uuucpvloi.  deren 
Grundstock  wohl  die  alten  Bewohner  der  von 
den  Doriern  okkupierten  Länder  bildeten. 

''^)  Jacobs,  Über  einen  Vorzug  der  grie- 
chischen Sprache  in  dem  Gebrauche  ihrer 
Mundarten;  Vermischte  Schriften  III,  375  ff. 


A.  Epos.     1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie.  (§  11 — 12.) 


15 


und  Odyssee  des  Homer.  Der  Dichter,  der  so  grosses  und  vollendetes  schuf,  der 
mit  solcher  Leichtigkeit  und  Meisterschaft  die  Sprache  handhabte,  kann  nicht 
der  erste  gewesen  sein ;  er  muss,  auch  wenn  er  nicht  die  ganze  Ilias  und  Odys- 
see, sondern  nur  einzelne  Gesänge  derselben  gedichtet  hat,  eine  ganze  Reihe 
von  Vorgängern  gehabt  haben,  durch  die  erst  der  sprachliche  Stoff  geformt 
und  der  Boden  geebnet  wurde,  auf  dem  sich  der  stolze  Bau  der  grossen 
homerischen  Dichtungen  erheben  "konnte.  Zunächst  leuchtet  ein,  dass  die 
Litteratur  nicht  mit  grossartig  angelegten,  in  behaglicher  Breite  sich  er- 
gehenden Werken  begann,  dass  denselben  vielmehr  eine  Periode  kurzer 
Erzählungen  und  kleiner  Heldenlieder  vorausging.  Die  homerischen  Ge- 
dichte tragen  noch  die  deutlichsten  Spuren  jener  älteren  Sangesübung  an 
sich,  ja  sie  haben  zweifellos  viele  jener  älteren  kleinen  Lieder  in  ihren 
neuen  Rahmen  aufgenommen.  Sodann  sind  dem  altionischen  Grundton  des 
homerischen  Dialektes  viele  ältere  Formen,  wie  Genetive  auf  oio  und  aon', 
Instrumentale  auf  cpi,  Infinitive  auf  jusvai,  beigemischt,  die  nach  Aolien 
und  zum  Teil  über  das  äolische  Kleinasien  hinaus  weisen  und  in  die 
homerischen  Gedichte  nur  aus  älteren,  nichtionischen  Dichtungen  gekommen 
sein  können.  Ebenso  macht  es  die  Form  des  heroischen  Hexameters  wahr- 
scheinlich, dass  er  nicht  das  älteste  und  ursprüngliche  Versmass  der  Griechen 
war,  sondern  erst  aus  anderen  Formen  hervorgegangen  ist.  Die  Zusammen- 
fassung von  6  Füssen  zu  einem  Vers  ist  für  einfache  Zeiten  und  volks- 
tümliche Lieder  zu  gross,  und  die  bei  Homer  vorherrschende  Cäsur  nach 
dem  3.  Trochäus  in  Verbindung  mit  Resten  asynartetischer  Zusammenfügung 
der  beiden  Elemente,  wie  in 

aXX'  axeovaa  xd^r^ao,  |  sf^io)  S'stvittsi^so  fjiv^o)  (A  565), 
vm>  ays  vrja  fieXairav  \  psQvaao^xsv  slg  aXa  dlov  (A  141) 
lässt  uns  vermuten,  dass  der  Hexameter  erst  aus  der  Vereinigung  zweier 
kleineren,  ehedem  selbständigen  Tripodien  entstanden  ist,  dass  also  der 
epischen  Poesie  mit  ihren  langen  Zeilen  eine  andere  vorausging,  die  kür- 
zere Verse  liebte  und  sich  demnach  mehr  dem  Charakter  der  lyrischen 
Poesie  näherte.  Der  Annahme  von  dreifüssigen  Grundversen  ist  aber  nebst 
dem  deutschen  Nibelungenvers  insbesondere  die  Analogie  des  lateinischen 
Nationalverses  günstig,  da  auch  der  Saturnius  sich  in  2  Tripodien  zerlegt 
und,  vom  Umfang  der  Senkungen  abgesehen,  sich  nur  dadurch  vom  grie- 
chischen Hexameter  unterscheidet,  dass  in  ihm  die  Glieder  mit  und  ohne 
Auftakt  in  umgekehrter  Reihe  aufeinander  folgen: 


nialum  dahunt  MetelU  \  Naevio  podac 


v-/  JL 


Tov   d'itiq  ovv  h'ör^öev  \  ^AXt'^avSQoq   üeo8idi^g. 
12.    Zu  der  an  die  Form  der  ältesten  Poesie  anknüpfenden  Erwägung  ^) 
kommt  noch  eine  andere  aus  dem  Inhalt  geschöpfte  hinzu.     Die  homerische 
Poesie    entstand   in   Kleinasien,    in    den   vom   europäischen   Festland   aus- 


')  Bergk,  Über  das  älteste  Versmass  der 
Griechen,  Kl.  Sehr.  II,  392  ff.;  üsener,  Alt- 
griechischer Versbau,  Bonn  1887,  der  über- 
dies   den  Versuch    wagt    die    Tripodien   auf 


ursprüngliche  Tetrapodien  zurückzuführen; 
Allen,  Über  den  Ursprung  des  hom.  Vers- 
masses,  in  K.  Z.  XXIV,  550  ff. 


16 


Griechische  Litteraturgeschichie.     I.  Klassische  Periode. 


gegangenen  Kolonien.  0  Die  Verhältnisse  des  wohlhabenden,  mit  der  reichen 
Küstenentwicklung  in  den  Weltverkehr  hinausreichenden  Landes  und  die 
befruchtende  Nachbarschaft  der  älteren  Kulturvölker  Phrygiens  und  Lykiens 
mochten  hier  der  aufstrebenden  Entwicklung  besonders  günstig  gewesen  sein ;  2) 
aber  soll  das  Mutterland  den  Auswanderern  nur  den  kräftigen  Arm  und 
die  nautische  Geschicklichkeit,  nicht  auch  den  Samen  höherer  Kultur 
und  mit  den  religiösen  Ideen  und  Bräuchen  nicht  auch  einen  Schatz  heiliger 
Gesänge  und  volkstümlicher  Lieder  mitgegeben  haben?  Das  werden  wir 
von  vornherein  nicht  leicht  bezweifeln  wollen;  aber  wir  brauchen  uns  nicht 
mit  blossen  Wahrscheinlichkeiten  zu  begnügen;  wir  haben  bestimmte  Zeugen 
einer  aus  der  europäischen  Heimat  mitgenommenen  Poesie.  Die  Thaten 
der  Ilias  spielen  sich  wohl  auf  asiatischem  Boden  ab;  aber  daneben  klingt 
durch  Ilias  und  Odyssee  ein  reicher  Nachhall  von  thebanischen,  thessalischen, 
argivischen  Sagen,  und  diese  haben  alle  einen  solchen  Zauberklang,  dass 
man  auch  für  sie  nicht  die  trockene  Fortpflanzung  durch  Erzählungen  von 
Bauern,  sondern  die  Verklärung  durch  den  Zaubermund  der  Poesie  voraus- 
setzen darf.  Und  wo  thronen  die  Götter,  wo  singen  die  Musen  zur  Phor- 
minx  des  Apoll?  auf  dem  Olymp, ^)  dem  hochragenden  Berge  Thessaliens. 
Hier,  in  Thessalien,  an  den  Abhängen  des  Olympos,  im  romantischen  Thale 
des  silbersprudelnden  Peneios  werden  wir  auch  mit  Zuversicht  die  Wurzeln 
der  griechischen  Poesie  suchen  dürfen.  Wir  dürfen  also  nicht  mit  Homer 
die  griechische  Litteraturgeschichte  beginnen,  wir  müssen  weiter  hinauf- 
steigen zu  ihren  Anfängen  in  dem  europäischen  Festland. 

13.  Hieratische  Anfänge  der  Poesie.  Die  ersten  Anfänge  der 
griechischen  Poesie  erblühten  also  in  dem  Mutterland  der  Hellenen,  in 
Thessalien.  Dieselben  gingen  aus  dem  Dienste  der  Musen  hervor  und 
standen  mit  dem  Stamme  der  Thraker  in  Verbindung.  Die  Musen,  anfangs 
ohne  bestimmte  Zahl,  später  als  3  und  9  gedacht,^)  die  wie  alle  Götter 
der  alten  Zeit  in  quellreichen  Hainen  verehrt  wurden,^)  hatten  ihre  ältesten 
Sitze  am  Olymp  in  Thessalien  und  am  Helikon  in  Böotien.^)  Vom  Olymp, 
wo  sie  an  der  Quelle  Pimpleia  und  in  der  Grotte  von  Leibethron  wohnten, 
hatten  sie  den  Beinamen  Movaai  'Olvp^niäSsg^   und   dass   hier  ihr   ältester 


^)  Die  bekannte  Hypothese  von  E.  Cur- 
tius,  dass  Kleinasien  der  ursprüngliche  Sitz 
der  lonier  gewesen  und  später  durch  Kolo- 
nieen  nur  wieder  verstärkt  worden  sei,  lasse 
ich  als  unerweisbar  ausser  Betracht. 

-)  Olympos  der  halbmythische  Flöten- 
spieler, war  ein  Phrygier:  Haupttonarten  der 
Griechen  waren  die  phrygische  und  lydische; 
lykische  Baumeister  bauten  die  alten  Burgen 
der  Achäer. 

^)  Allerdings  heissen  erst  im  jungen 
Schiffkatalog  die  Musen  ^OXv^xmäöeg  Movoai 
(B  491),  aber  auf  dem  Olymp,  im  Hause 
des  Zeus,  singen  sie  schon  A  604  und  Movocci 
^OXvfxnia  diu^ucn^  s/ovaat  heissen  sie  schon 
A21S,SbOS,  JI  112.  Dass  aber  'oXvfxnog 
im  echten  Homer  nicht  die  verblasste  Be- 
deutung ^Himmel,  Götterwolmung",  sondern 
die  konkrete  eines  Berges  in  Thessalien  hatte, 


bemerkte  bereits  Aristarch;  die  Echtheit  der 
Verse  Od.  C  42 — 7,  in  denen  eine  verwa- 
schenere Bedeutung  hervortritt,  ist  zweifel- 
haft. 

*)  Über  die  Zahl  der  Musen  Hauptstelle 
Paus.  IX,  29.  2;  nach  ihr  hiessen  die  3  alten 
Musen  MeXsirj,  Myij^ut],  Uoid^,  was  auf  die 
Zeit  hinweist,  wo  Ijei  dem  Mangel  schrift- 
licher Aufzeichnung  die  Gedächtnisübungen 
eine  Hauptsache  waren;  die  Zahl  von  9  Mu- 
sen zuerst  Od.  (o  60. 

^)  Bekgk,  Gr.  Litt.  I,  320  will  geradezu 
die  Musen  mit  den  Nymphen  identifizieren 
und  ihren  Namen  auf  lydisch  /uaiv  •  ro  vdioQ 
(Hesych.)  zurückführen.  Eher  Hesse  ich  es 
mir  gefallen,  zu  dem  partizipialen  fxovaca  das 
Nomen  vvfxcpm  in  dem  Sinne  „sinnende 
Mädchen"   zu  ergänzen, 

'')  Paus.  IX,  29;  Strab.  p.  410  u.  471. 


A.  Epos.    1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie.  (§  13.) 


17 


Sitz  war,  zeigt  sich  auch  darin,  dass  Hesiod,  der  böotische  Sänger,  neben 
dem  neuen  Beinamen  ^EhxMviädsg  noch  den  alten  'Olvi^iTriäSsg  beibehielt,  i) 
Diener  der  Musen  waren  die  halbmythischen  Thraker,  2)  eine  unter  sich 
stammverwandte,  halbpriesterliche  Genossenschaft,  welche  den  Kult  der 
Musen  und  des  Dionysos  über  Thessalien,  Phokis,  Böotien,  Attika  ver- 
breitete.^) Mit  den  bekannten,  barbarischen  Thrakern  am  Hellespont  und 
Flusse  Axios  hat  man  sie  frühzeitig  identifiziert.^)  Vielleicht  hatten  sie 
mit  denselben  nur  den  Namen  gemein;  möglich  aber  auch,  dass  sie  wirklich 
aus  Thrakien  stammten  und  den  Kult  des  Gottes  Zagreus  oder  Dionysos 
von  den  Bergen  des  Hämus  nach  Thessalien  und  Mittelgriechenland  trugen.  5) 
Namen  solcher  heiligen  Sänger  der  Vorzeit  sind  uns  viele  über- 
liefert. Zählen  wir  sie  auf,  ohne  von  vornherein  durch  kritische  Zweifel 
uns  den  Weg  zu  verlegen!  Der  gefeierteste  derselben  war  Orpheus. 
Als  seine  Heimat  galt  Pieria  am  Olympos ;  ^)  dort  an  alten  Sitzen  orphischer 
Verehrung,  in  Pimpleia,  Leibethron,  Dion  zeigte  man  sein  Grab.'^)  Die 
Sagen,  dass  er,  ein  Sohn  der  Muse  Kalliope,  mit  seinem  Saitenspiel  die 
Bäume  und  Felsen  nach  sich  gezogen  habe,  dass  er  in  die  Unterwelt  hinab- 
gestiegen sei,  um  seine  Gemahlin  Eurydike  zurückzuholen,  dass  er  als 
Sänger  an  der  Argonautenfahrt  teilgenommen  habe  und  schliesslich  von 
ekstatischen  Frauen  zerrissen  worden  sei,  haben  seine  Person  so  in  mythi- 
sches Dunkel  gehüllt,  dass  Aristoteles  nach  Cicero  de  nat.  deor.  I,  38  seine 
Existenz  förmlich  leugnete,  ^)  und  dass  in  kritischen  Kreisen  frühzeitig  die 
Echtheit  der  unter  seinem  Namen  umlaufenden  Gedichte  bestritten  wurde.  ^) 
Wahrscheinlich  war  Orpheus  nur  Repräsentant  des  thrakischen  Dionysos- 
kultus und  rühren  die  ihm  beigelegten  Verse  von  jüngeren  Anhängern  jenes 


^)  Vgl.  Hes.  Op.  1 :  Movaai  JIiSQirj^ev 
aoidfjai  xleiovaai,  devxe  z/t'  evviners. 

'^)  Die  Zusammengehörigkeit  beider  er- 
kannt von  Strabon  a.  0. 

-')  Thraker  in  Phokis  bei  Thuc.  II,  29, 
im  böotischen  Anthedon  bei  Lycophron  754 
und  Steph.  Byz.,  in  Delphi  bei  Diodor  XVI, 
24;  im  übrigen  s.  0.  Müllee,  Orchomenos 
379  ff.;  BoDE,  Hell.  Dichtk.  I,  99  ff. 

*)  feo  schon  Herakleides  im  Schol.  ad 
Eur.  Ale.  968  und  Strabon  p.  471.  Umge- 
kehrt machte  auf  den  Unterschied  der  bei- 
den Thraker  aufmerksam  Thuc.  II,  29,  und 
stellte  Polygnot  den  Orpheus  in  helleni- 
schem Anzüge  dar  (Paus.  X,  30  6).  Die 
Späteren  folgten  der  älteren  Anschauung 
von  der  Identität  der  thrakischen  Sänger 
und  des  barbarischen  Volkes  der  Thraker; 
daher  die  Sage,  dass  seine  Leier  von  der 
thrakischen  Küste  nach  Antissa  auf  Lesbos, 
der  Vaterstadt  des  Terpander,  geschwommen 
sei;  s.  Stob.  Flor.  64,  14  und  Bode,  Hell. 
Dicht.  I,  143  ff.  Aus  11.  1  5  suchte  man, 
wie  Strabon  p.  28  lehrt,  abzunehmen,  dass 
Homer  Thrakien  vom  Hellespont  bis  nach 
Thessalien  reichen  liess. 

^)  Diese  Ansicht  neuerdings  begründet 
von  TöPFFER,  Attische  Genealogie.  Berl. 
1889   S.  34  ff.     Die   Wanderung   eines   ähn- 

Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.    2 


liehen  Kultes  ist  veranschaulicht  im  Hymnus 
auf  den  pythischen  Apoll  38  ff. 

"•)  Eur.  Bacch.  561  ff.;  Apoll.  Arg.  I, 
23  ff.;  Paus.  IX,  30.  3. 

^)  Paus.  IX,  30;  nach  Dion  liess  man 
die  Gebeine  des  Orpheus  gebracht  sein,  nach- 
dem dort  zur  Zeit  des  makedonischen  Kö- 
nigs Archelaos  musische  Agone  eingerichtet 
waren. 

^)  Vgl.  Suidas:  ^Ogcpsvg  'O^qvGrjg  ino- 
noiög  '  JiovvCLog  Se  xoviov  ov&e  yeyovevca 
Xeyst. 

^)  Piaton  als  ältester  Zeuge  führt  Prot. 
316  d  TfAer«?  y^cil  xQrjGfLKxxfiag,  Grat.  402  b 
(vgl  Legg.  IV  p.  715d  und  dazu  die  Sche- 
uen)  zwei  kosmogonische  Verse  von  Or- 
pheus an;  s.  Lobeck,  Aglaoph.  529  ft\  Die 
unter  Orpheus  Namen  auf  uns  gekommenen 
Gedichte  ^jQyoi'ccviixa,  Atx9(,y.d,  i\uvoi  sind 
Fälschungen  aus  der  Zeit  n.  Chr.  Über  die 
Unechtheit  der  übrigen  Orphika  und  über 
Orpheus  selbst  brachte  Licht  Lobeck,  Ag- 
laoph. (Regim.  1829)  lib.  II  p.  233  ff.  Der 
Name  'Ogcfsvq  stimmt,  wie  schon  Lassen» 
Ztschr.  für  Kunde  des  Morgenlandes  III  487 
bemerkt  hat,  lautlich  genau  zu  vedisch 
Ribhus,  welche  als  die  göttlichen  Künstler 
im  Veda  erscheinen. 

Aufl.  2 


18 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


im  6.  Jahrhundert  zum  Geheimdienst  umgestalteten  Kultes  her.  —  Als 
Schüler  des  Orpheus  galt  Musaios;^)  er  war  von  Pierien  am  Olymp  mit 
den  Thrakern  nach  Böotien  an  den  Helikon  gewandert  (Strab.  471)  und 
hatte  in  Athen  sein  Grab  gefunden  (Paus.  I,  25.  7);  sein  und  seines  Sohnes 
Eumolpos  Namen  blieben  mit  dem  eleusinischen  Geheimdienst  der  Demeter 
verknüpft.  Die  von  den  Musen  und  dem  Gesang  gebildeten  Namen  der 
beiden  Sänger  erwecken  wenig  Vertrauen  auf  die  persönliche  Existenz  ihrer 
Träger.  Pausanias  I,  22.  7  verwirft  alle  damals  umlaufenden  Gedichte  des 
Musaios  mit  Ausnahme  eines  einzigen  auf  die  Demeter  für  die  Lykamiden 
gedichteten  Hymnus.^')  —  Der  jüngste  der  thrakischen  Dichter  war  Tha- 
myris  (oder  Thamyras),  dessen  Blendung  durch  die  Musen,  die  er  zum 
Wettgesang  herausgefordert  hatte,  der  Dichter  des  Schiffkataloges  (IL  B. 
595)  erwähnt.^)  Er  wird  von  dem  Scholiasten  und  Suidas  ein  Sohn  des 
Philammon  genannt,  dem  die  Tradition  für  den  Tempeldienst  in  Delphi 
eine  ähnliche  Bedeutung  wie  dem  Musaios  für  den  in  Eleusis  beilegte.^) 
Am  ehesten  ist  noch  bei  ihm  an  eine  bestimmte  Dichterpersönlichkeit  zu 
denken,  mit  der  man  dann  jedenfalls  über  die  Zeit  des  Schiffkataloges  oder 
über  den  Schluss  des  8.  Jahrhunderts  hinaufgehen  muss. 

Nach  einer  anderen  Richtung  weist  uns  Ölen  aus  Lykien,  dem 
Pausanias  a.  0.  die  ältesten  Hymnen,  darunter  einen  an  die  Eileithyia  zu- 
schreibt, und  auf  den  Herodot  IV,  35  die  alten  in  Delos  gesungenen  Hymnen 
zurückführt.^)  Pausanias  X,  5.  7  macht  den  Ölen  zu  einem  Hyperboreer 
und  berichtet,  dass  nach  den  einen  dieser  Ölen,  nach  andern  die  Prophetin 
in  Delphi  den  Hexameter  erfunden  habe.^)  Sehen  wir  von  dem  Ursprung 
aus  dem  Lande  der  Hyperboreer  ab,  der  ohnehin  erst  nach  Aristeas  auf- 
gebracht sein  kann,  so  erscheint  uns  Ölen  als  Vertreter  des  aus  Lykien 
stammenden  Apollodienstes  und  auf  einer  Linie  stehend  mit  den  Baumeistern, 
w^elche  die  alten  Herrscher  von  Argos  zur  Erbauung  ihrer  Königsburgen 
aus  Lykien  kommen  Hessen.  Seine  Zeit  aber  kann  kaum  über  die  Ein- 
führung des  Apollokultes  in  Delos  oder  das  8.  Jahrh.  hinaufgerückt  werden.'^) 

Linos  war  nachweislich  keine  individuelle  Person,  sondern  nur  Re- 
präsentant einer  alten  Liedweise.    Denselben  machten  zwar  der  Historiker 


^)  Suidas:  Movacdog  fnxdrjirjg  'OQ^piayg, 
fjLä%Xov  de  TJQsaßvTSQog  '  rjxficiCs  y(<Q  xccrd 
xdv  dsvrsQov  KexQona. 

2)  Aristoteles  Polit.  VIII,  5  p.  1339'^  22 
führt  aus  Musaios  den  Halbvers  ßgozoTg  rjdta- 
Tov  deideiv  an.  Noch  im  3.  Jahrh.  n.  Chr. 
treffen  wir  auf  einer  eleusinischen  Inschrift 
CTG.  401  einen  Hiorophanten  og  reXerdg 
ät'scffji^s  y.cd  ooyici  ndpvv/a  ^voraig  Evfxok- 
nov  TTQo/EMv  IjueQÖsGGay  ona. 

3)  Die  Blendung  lässt  Homer  bei  dem 
Städtchen  Dorion  in  Elis  geschehen;  wahr- 
scheinlich aber  nannte  die  alte  Sage  Dotion 
in  Thessalien,  wohin  die  Verbindung  mit 
Oichalia  weist;  s.  Steph  Byz.  u.  Jwxiov,  und 
Kiese,  Der  hom.  Schiffskatalog  22.  Verse 
des  Thamyris  erwähnt  Piaton,  Ion  533  b  und 
Legg.  829  e. 

^)  Eusebius  setzt  den  Philammon  1292 
V.  Chr. ;  nach  Pausanias  X,  7.  2  folgte  Phi- 


lammon selbst  auf  Chrysothemis  aus  Kreta. 
Erwähnt  ist  Philammon  zuerst  in  einem  neu- 
aufgedeckten Vers  des  Hesiod:  ij  (seil,  ^i- 
Xioylg)  xsxEv  JvtoXvxop  rs  4>LAdfijuoyd  ts 
xAüToV  «ydV/V.     Vgl.  Schol.  ad  Od.  r  432. 

'")  Nach  Kallimachos  hymn.  IV,  304 
scheint  man  damals  noch  in  Delos  einen 
Nomos  des  Ölen  unter  Tanzbegleitung  ge- 
sungen zu  haben. 

t>)  Nach  andern  galt  Orpheus  als  Er- 
finder des  Hexameters;  s.  Lobeck,  Aglaoph. 
233. 

^)  Auch  von  Melanopus  in  Kyme,  den 
die  Logographen  in  das  Ahnenstemma  des 
Homer  und  Hesiod  aufnahmen,  hatte  man 
nach  Paus.  V,  7.  8  Hymnen.  Im  übrigen 
lese  man  die  Hauptstelle  für  diese  alten 
hieratischen  Dichter  aus  Heraklides  Pontikos 
bei  Plut.  de  mus.  3. 


A.  Epos.    1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie.  (§  14.) 


19 


Charax  bei  Suidas  und  der  Verfasser  des  Agon  zu  einem  Ahnen  des  Orpheus 
und  somit  auch  des  Homer  ;^)  aber  trotzdem  uns  auch  noch  Verse  unter 
dem  Namen  des  Linos  durch  Stobaios  aufbewahrt  sind  und  man  sein  Bild  in 
einer  Grotte  am  Helikon  zeigte, 2)  kann  es  doch  nicht  zweifelhaft  sein,  dass 
es  nie  einen  Dichter  Linos  gegeben  hat,  und  dass  ihn  nur  die  Mythen- 
bildner aus  dem  Verse  der  Ilias  .^570  ifjiSQosv  xid^ägi^s  Xivov  S^  vjid  xaXdv 
aeids  seil,  naig  herauslasen,  indem  sie  das  Wort  Xivov  in  dem  Sinne  eines 
Eigennamen  fassten.^)  Angeblicher  Schüler  dieses  Linos  war  Pamphos,  der 
nach  Paus.  IX,  27.  2  Hymnen  auf  den  Eros  für  die  Lykamiden  in  Eleusis 
dichtete. 

14-.  Bei  dem  heutigen  Stand  der  kritischen  Forschung  bedarf  es  nicht 
erst  langen  Nachweises,  dass  nicht  bloss  sämtliche  Verse,  die  unter  den 
Namen  jener  hieratischen  Dichter  auf  uns  gekommen  sind,  sondern  auch 
alle  diejenigen,  welche  die  Alten  kannten,  von  jüngeren  Fälschern  her- 
rühren. Das  Richtige  sah  bereits  der  Vater  der  Geschichte,  der  sonst  so 
leichtgläubige,  in  litterarischen  Fragen  aber  sehr  richtig  urteilende  Herodot, 
indem  er  II,  53  sagt:  01  ttqötsqov  rcoirjTal  Xsyo^svoi  tovtcov  t(üv  ccvSqmv 
{^OfxrjQov  xal  '^Haioöov)  y€V6(f^ai,  vcTtsqov  s^oiys  doxbsiv  iyevovroA)  Später 
hat  dann  ein  sonst  nicht  näher  bekannter  Gelehrter  Epigenes,  der  nach 
Harpokration  u.  'icov  vor  Kallimachos  gelebt  haben  muss,  in  einer  Schrift 
718qI  Tr^g  dg  ^ÖQCfta  ava(f8Q0i.itvrjg  TToirjaecog^)  den  Knäuel  entwirrt  und  den 
grösseren  Teil  jener  Gedichte  dem  Schwindler  Onomakritos  zugeschrieben, 
der  nach  Herodot  VII,  6  von  dem  Musiker  Lasos  aus  Hermione  über  der 
Fälschung  von  Orakelsprüchen  des  Musaios  ertappt  worden  war.  Es  drücken 
sich  daher  auch  die  guten  Autoren,  wo  sie  von  Gedichten  des  Orpheus 
und  jener  alten  Sänger  sprechen,  mit  zweifelnder  Vorsicht  aus,  wenn  sie 
nicht  geradezu  den  Namen  des  Orpheus  durch  den  des  Onomakritos  er- 
setzen. 0)     Aber   wenn   wir   uns   auch   bezüglich  der  apokryphen  Litteratur 


^ j  Die  Stammtafel  gibt  Sengebüsch,  Diss. 
Hom.  iirior  p.  159. 

2j  Paus.  IX,  29.  6;  nach  Paus.  II,  19.  8 
befand  sich  in  Argos  sein  Grab;  bei  Suidas 
heisst  er  Xa'kxLÖEvg.  Vgl.  Flach,  Gr.  Lyr. 
I,  5  ff. 

^)  Der  Vers  steht  in  der  jungen  Schild- 
beschreibung im  Abschnitt  von  der  Wein- 
lese. Linos  als  personifizierter  Klagegesang  er- 
scheint schon  bei  Hesiod  fr,  132;  s.  Carm. 
pop.  2.  Es  war  aber  die  Linosmelodie  orien- 
talischen Ursprungs  und  nach  Herodot  II, 
79  (vgl.  Paus.  IX,  29.  7)  über  Phönikien, 
Kypros,  Ägypten  verbreitet;  s.  Brugsch, 
Die  Adonisklage  und  das  Linoslied,  Berlin 
1852;  0.  Gruppe,  Die  griech.  Kulte  und 
Mythen  I,  543  ff. 

■*}  Ebenso  Joseph,  c,  Ap.  I,  2:  olojg 
Ticcgd  Toi'g  "^'EXXrjaiv  ov^ev  o^oXoyov^evov 
€VQLGxexciL  rfjg  O^rjqov  noiijaecog  nQsaßv- 
TEQOP,  Sext.  Emp.  adv.  gramm.  I,  20.  3: 
«pjjfKtoTKT?;  eailp  ri  'OfuTJQov  noifjoig  '  nolrjfxa 
yciQ  ovdey  TxqsoßvTEQov  rjxEV  sig  rjfxäg 
rrjg  iy.eivov  noujasMg,  Schol.  Dionys.  Thrac. 
p.  785  Bekk. :  ei  xal  Igtoqovgl  riveg  noitjrug 


TiQoysyePTJaS^at'OfirJQov  Movaalov  ZB  xaVöQcpea 
xal  Aivov,  «AA'  b'^w?  ov^ev  nQsaßvTSQoy  rrjg 
'ihdöog  xal  ^O^vGoeiag  GcüCsG&ai,  noirjfxa  .  dX'/J 
SQSt  xig,  Tnog ;  snEiyQafXfxaza  GujCoi^iai  ngeG- 
ßvTEQa;  xal  (fafiEP  ort  rd  ^ev  xovküi/  iipEv- 
Gfxeyovg  e/ovgl  rovg  ^Qovovg,  rd  ds  pecjteqcjp 
Tiviov  i/övTOjy  6fX(ovv^iag  xmp  nalaiiov  xdg 
E-niyqacpdg  ej(ovgi.  Das  war  eben  die  Mei- 
nung Aristarchs  und  der  alexandrinischen 
Kritiker. 

s)  Clem.  Alex,  ström.  I,  333  u.  V,  571; 
vgl    Lobeck,  Aglaophamos  p.  340  f. 

6)  Aristot.  de  an.  gen.  II,  1  p.  734,  19: 
iy  xoTg  xaXovfxspoig  'OgcpEcog  etteglv,  ebenso 
de  an.  I,  5  p.  410^  28,  und  dazu  Philopo- 
nos :  ETTELdij  fxrj  doxEi  "O^cpEcog  Eipai  xd  etit], 
tJc:  xal  avxog  ev  loTg  tieqI  cfi'koGocpiag  XeyEt  ' 
avxov  fXEP  ydq  elgi  xd  doy/xaxa,  xavra  ds 
cpf]GLj/  Ovo^dxQixop  EV  ETTEGL  xaxaxETvai.  Sext. 
Empir.  p.  126.  15  und  462,  2  B.  sagt  schlecht- 
weg Ovo^udxQiTog  EV  xoTg  'OQcpixoTg.  Weder 
Zweifel  noch  Zustimmung  enthält  der  Aus- 
druck Piatons  de  rep.  II  p.  364  e:  ßlßXcov 
ofiadov  TiaQt/ovxai  MovGalov  xal  ÜQcpEujg. 
Der    Sophist  Ilippias   scheint  nach   Clemens 

2* 


20  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

ganz  dem  ablehnenden  Urteil  der  alten  und  neuen  Kritiker  anschliessen, 
so  muss  doch  daran  festgehalten  werden,  dass  es  vor  Homer  eine  ältere 
Periode  hieratischer  Poesie  gegeben  hat,  deren  Andenken  in  Thessalien, 
Böotien  und  Attika  fortlebte  und  an  die  jene  Fälschungen  der  seit  dem 
6.  Jahrhundert  auftauchenden  Sekte  der  Orphiker  anknüpften.  Homer  und 
Hesiod  schweigen  allerdings,  wenn  wir  von  der  Stelle  des  jungen  Schiff- 
kataloges  B  595  und  den  zweifelhaften  Versen  des  Hesiod  fr.  132  absehen, 
von  jenen  älteren  Dichtern,  aber  das  darf  nicht  allzuhoch  angeschlagen 
werden;  die  neue  Richtung  des  epischen  Heldengesangs  stand  so  hoch  über 
jenen  hieratischen  Anfängen  und  war  von  ihnen  so  grundverschieden,  dass 
ihre  Vertreter  leicht  jene  älteren  Sänger  völlig  ignorieren  konnten.  Aber 
auf  der  anderen  Seite  gab  es,  wie  wir  oben  sahen,  vor  Homer  eine  mit 
dem  Musendienst  verbundene  Poesie  am  thessalischen  Olymp,  und  erheben 
es  allgemeine  Erwägungen  zu  einem  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit, 
dass  jene  ältere  Poesie  einen  hieratischen  Charakter  trug:  auch  in  Indien 
gingen  dem  Mahabharata  die  Veden  voraus;  auch  in  historischer  Zeit  noch 
war  Thessalien  Hauptsitz  der  religiösen  Zaubersprüche;  der  daktylische 
Hexameter  eignete  sich  wegen  seiner  gravitätischen  Länge  und  seines 
feierlichen  Rhythmus  vorzüglich  zum  heiligen  Lied  und  kitharodischen  Nomos,  ^) 
während  derselbe  für  die  erzählende  Poesie  des  Heldenepos  zwar  nicht  un- 
passend, aber  doch  keineswegs  ausschliesslich  geeignet  war;  vollends  die 
Begleitung  einfacher  Erzählungen  mit  dem  Saitenspiel  der  Phorminx  war 
eine  fast  unbequeme  und  deshalb  früh  aufgegebene  Erbschaft  aus  der 
älteren  Poesie,  in  der,  wie  in  den  Götterhymnen,  das  lyrische  Element  vor- 
herrschte. Wenn  sich  endlich  die  Götter  mit  ihren  Beinamen  so  ganz  un- 
gezwungen dem  daktylischen  Rhythmus  fügen,  wie  fPotßog  \47t6XX(ov,  Movaa 
Xiysia^  (fiXo^xueiÖLg  ^A(fQo6hrj,  yairjoxog  ^Evvoaiyaiog^  Zsv  t€  ndreg  xai  "Ad-r^ 
vaiTj  xal  UttöXXcov,  und  wenn  sich  gerade  unter  den  heiligen  Formeln  so 
viele  Spuren  älteren  Sprachtums,  wie  irÖTvia  ^'Hqtj,  vscpsXrjysQe'Ta  Zsvg,  STa 
^€cco)V,  6oTrJQ€g  sdwv,  '^EQjiisiag  dxdxrjTa,  SidxTOQog  'AQy8i(p6vT7jg,  xvSi(STrj 
TQiToytveia,  x^öva  ßcoTidvsiQav,  rjegocpoiTig  'Eqivvg  finden,  so  dient  auch 
dieses  zur  Bestätigung  dessen,  worauf  uns  die  alte  Überlieferung  mit 
Fingern  hinweist.  Es  bewahrte  aber  auch  in  der  Folgezeit  die  griechische 
Poesie  etwas  von  jenem  heiligen  Charakter  ihrer  Anfänge.  Auch  Homer 
und  Hesiod  betrachteten  sich  als  Priester  der  Musen  und  in  dem  religiösen 
Kult  wurzelte  wie  die  chorische  Lyrik  so  die  ganze  dramatische  Poesie. 
Insbesondere  verschmähten  zu  aller  Zeit  gerade  die  besten  der  griechischen 
Dichter  den  blossen  Sinnenkitzel,  sie  wollten  den  Lesern  und  Hörern  nicht 
bloss  einen  vorübergehenden  ästhetischen  Genuss  bereiten  (ipvxccyooysiv), 
sondern  auch  sittigend  und  belehrend  auf  ihr  Volk  einwirken. 

15.    Sagenpoesie. 2)     Über  jenen  beschränkten  Kreis  von    religiösen 
Anrufungen  und  Gesängen  traten  die  Dichter  hinaus,  als  sich  im  heroischen 

Alex     ström.  VI,  745    die    Echtheit  der  Ge-  ;   xL^agtaral. 

dichte  des  Orpheus   und   Musaios  nicht    be-  |            ^)  G.  W.  Nitzsch,  Sagenpoesie  der  Grie- 

zweifelt  zu  haben;  s.  Lobeck  a.  0.  :336  f.  i    chen,  Braunschweig  1852;  Müllenhoff,  Deut- 

')  Orpheus    ward    mit   der  Leier  darge-  sehe    Altertumskunde    I,    8 — 73,    wo    indes 

stellt;    ebenso    spielt  Thamyris    die  Kithara,  allzusehr  die  phönizische  Sage  als  Grundlage 

und   heisst  es  bei  Hesiod  fr.  132  «otcTot  xal  der  griechischen  betont  ist. 


A.  Epos.     1.  Vorstufe  der  griechischen  Poesie.  (§  15  —  16.) 


21 


Zeitalter  ein  lebhafter  Thatendrang  der  Nation  bemächtigte  und  die  Wan- 
derungen der  Stämme  zu  heftigen  Kämpfen  und  mutigen  Wagnissen  führten. 
Die  Kämpfe  jener  ritterlichen  Helden,  die  Ruhmesthaten  der  Einzelnen,  wie 
die  gemeinsamen  Unternehmungen  zu  Land  und  zu  See  boten  der  Sage 
reiche  Nahrung.  Schon  auf  dem  Festland  hatte  sich  auf  solche  Weise 
ein  Hort  von  Mythen  gebildet;  er  ward  wesentlich  bereichert,  als  im  11. 
und  10.  Jahrb.- vor  unserer  Zeitrechnung^)  infolge  des  Vordringens  thes- 
salischer  Völkerschaften  nach  Böotien  und  der  Wanderung  der  Dorier  nach 
dem  Peloponnes  die  alten  Bewohner  der  bedrängten  Länder  nach  Klein- 
asien auswanderten  und  dort  unter  mannigfachen  Kämpfen  neue  Reiche 
und  Niederlassungen  gründeten.  Solche  Sagen  gestalteten  sich  von  selbst 
bei  einem  begabten  Volke,  das  an  Saitenspiel  und  poetische  Sprache  ge- 
wöhnt war,  zum  Gesang,  und  der  Gesang  selbst  hinwiederum  verklärte  die 
Sage  und  gab  ihr  reichere  Gestalt  und  festere  Dauer.  Das  ganze  Volk 
zwar  dichtete  nicht,  immer  nur  ein  einzelner  gottbegnadeter  Sänger  schuf 
den  Heldengesang;  aber  indem  jener  einzelne  Dichter  nur  die  im  ganzen 
Volke  lebende  Sage  wiedergab  und  sich  in  seinem  Singen  und  Dichten  mit 
dem  Volke  selbst  eins  fühlte,  ward  sein  Gesang  zum  Volksgesang  und  trat 
seine  Person  ganz  hinter  dem  volkstümlichen  Inhalt  seiner  Dichtung  zurück. 
In  solchem  Sinne  reden  wir  von  einem  Volksepos  und  verzichten  auf  scharfe 
Scheidung  von  Heldensage  und  heroischem  Epos.  Bei  den  Griechen  aber 
kam  so  gut  wie  bei  den  Germanen,  Indern  und  Spaniern  jenes  Heldenepos 
in  der  Zeit  zur  Blüte,  wo  das  Volk  aus  ruhmloser  Vergangenheit  unter 
Kämpfen  und  Ruhmesthaten  in  das  Halbdunkel  seiner  ersten  Geschichte 
einzutreten  und  seiner  nationalen  Stellung  sich  bewusst  zu  werden  begann. 
16.  Das  heroische  Epos  ging  naturgemäss  von  der  Dichtung  kleinerer, 
balladenartiger  Lieder  aus,  von  denen  wir  Deutsche  in  unserem  Hilde- 
brandslied noch  ein  hübsches  Beispiel  haben.  Dichter  solcher  Lieder,  die  wie 
vordem  sich  als  Diener  der  Musen  ausgaben, 2)  gab  es  natürlich  viele  vor 
Homer;  ja  es  hat  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Aolier  und  Achäer 
schon  aus  ihrer  europäischen  Heimat  derartige  Heldenlieder  mit  nach 
Asien  brachten.  Die  Namen  jener  älteren  Dichter  sind  uns  unbekannt; 
selbst  der  Phemios  und  Demodokos  der  Odyssee  können,  wenn  sie  über- 
haupt historische  Namen  sind,^)  nach  den  Gesängen,  die  sie  vortrugen, 
nur  als  Repräsentanten   der  jüngeren  Entwicklung   des   epischen  Gesanges 


^)  Die  alten  Chronologen  Eratosthenes 
und  Apollodor  setzten  die  Eroberung  Troias 
1183,  die  dorische  Wanderung  1104,  die 
Auswanderung  der  lonier  aus  Attika  140 
post  Tr.  oder  1043  v.  Chr.,  was  wir  einfach 
annehmen,  wiewohl  der  Ansatz  zu  hoch  ge- 
griffen zu  sein  scheint.  Über  den  verschie- 
denen Ansatz  der  Troika  selbst  s.  Flach, 
Chron.  Par.  p.  X  f. 

2)  Daher  riefen  sie  die  Musen  im  Ein- 
gange an;  der  formelhafte  Vers  eansTs  vvv 
fxoi  Movatti  ^OXv^TTia  dcSficr'  e/ovaat  stammt, 
wie  das  vorionische  eonere  und  die  Erwäh- 
nung des  Olymp  zeigt,  aus  alter,  vorhome- 
rischer Zeit.     Ihr  Gesang  gilt  so  als  Einge- 


bung der  Gottheit;  vgl.  Od.  q  518,  x  347. 

^)  Demodokos,  derblinde,  gottbegeisterte 
Sänger  {^eiog  doiö'og  Od.  d-  44,  p  28)  der 
Phäaken  scheint  eine  historische  Persön- 
lichkeit gewesen  zu  sein,  da  der  Name 
nichts  fingiertes  an  sich  hat.  Misstrauen  hin- 
gegen erregt  der  Name  des  Sängers  inlthaka, 
Phemios  Terpiades,  d  er,  wie  eine  Abstraktion 
\on  cft]fj7]  „erfreuende  Sage"  aussieht.  Jeden- 
falls geht  es  nicht  an,  den  Phemios  zu  einem 
Ithakesier  und  zum  Verfasser  eines  'J/auof 
vocTog  zu  machen,  wie  z.  B.  Bode,  Hell. 
Dichtk.  I,  207  that.  In  der  Ilias  übt  den 
Gesang  auch  einer  der  Helden,  Achill  II.  I 
186  ff. 


9") 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


gelten.     Aber  die  Sagenkreise  kennen  wir  durch  die  Epen,  welche  aus  ihnen 
den    Stoff  nahmen,   und   durch   die  Andeutungen,    welche  Homer   über    sie 
uns  aufbewahrt  hat.     Sie  waren   geteilt   nach   den   Landschaften,   da   fast 
jede  Landschaft  ihre  Stammeshelden  und  ihre  sagenhafte  Geschichte  hatte, 
so  dass  man  von  einem  argi vischen,  elischen,  attischen,  ätolischen,  thebani- 
schen,    thessalischen,    kephallenischen,   kretischen   Sagenkreis   spricht.     Die 
Sagen   der  meisten  Landschaften   und  Städte    gingen   auf  einen  Stammes- 
gründer zurück,  wie  die  der  Athener  auf  Kekrops,  der  Thebaner  auf  Kadmos, 
der  Argiver  auf  Danaos,  der  Peloponnesier  auf  Pelops,  der  Kreter  auf  Minos. 
Diese  Stammesgründer   traten   aber  allmählich  zurück,    da   ihnen    meistens 
etwas  fremdes,    die  Herkunft  aus  Phönikien,  Ägypten,  Phrygien,   anklebte, 
und  an  ihrer  Stelle  traten  in  den  Vordergrund   des  allgemeinen  Interesses 
und  der  volkstümlichen  Erzählung  die  nationalen  Helden  und  die  mächtigen 
Stammeskönige    der  Vorzeit,    wie    Theseus    bei    den   loniern,  Herakles  bei 
den  Doriern,    die  Atriden   und   Peliden   bei   den   Achäern,    die   Labdakiden 
bei  den  Thebanern.^)     Gelegenheit,    die  Helden   und  Könige   verschiedener 
Stämme  zusammenzuführen,  boten  die  gemeinsamen  Unternehmungen.    Diese 
wurden  recht  eigentlich  der  Punkt,    an  welchem  das  griechische  Epos  an- 
setzte, das  griechische,  dem  von  vornherein  ein  starker  Zug  zur  nationalen 
Gesamtheit  eigen  war.     So  wurden  Lieblingsgegenstände  der  Sage  und  des 
Heldengesangs    die  Kämpfe    der  Sieben    gegen  Theben    und   die  Einnahme 
der  Stadt  durch   die  Epigonen, 2)   die   Fahrt   der   Argo   vom   Hafen   lolkos 
am  pagasäischen  Meerbusen  nach  dem  Hellespont  und  dem  fernen  Kolchis,^) 
der   zehnjährige  Kampf   um  Ilios,    die   Veste   des   Königs   Priamos.     Diese 
grossen  gemeinsamen  Sagenkreise   nahmen   die  einzelnen  Stammessagen  in 
ihren  Rahmen  auf  und  führten  von  selbst  über  den  Horizont  kleiner  Einzel- 
lieder hinaus   zu  grossen  Epen  oder  Liederzyklen.     Von   ihnen   erhielt   im 
Verlaufe  der  Zeit  der  jüngste,  erst  in  Asien   infolge  der  Kolonisation  aus- 
gebildete, der  troianische,  die  grösste  Beliebtheit.     Er  war  nicht  bloss  der 
neueste, "^j  er  hatte  zugleich  das  meiste  Interesse  für  die  Abkömmlinge  der 
Helden  vor  Troia,  da  er  die  Niederlassung  der  Griechen  in  Kleinasien  zum 
Ausgangspunkt  hatte  und  mit  den  neuen  Ruhmesthaten  die  Erinnerung  an 
die  alten  Geschlechter  der  europäischen  Heimat  verband;    er  trat  überdies 
früh  mit  seiner  Verbreitung  über  die  ionischen  Kolonien  aus  dem  Rahmen 
einer  äolischen  Lokalsage  heraus,   indem    er   auch    die  Helden    der  Achäer 
des  Peloponnes,  der  lonier  Attikas  und  zuletzt  selbst  den  dorischen  Herakles- 
sohn Tlepolemos  an  dem  Kampfe  gegen  Troia  sich  beteiligen  Hess. 


^)  Das  Fremde  und  Einheimische  ist 
dabei  cum  grano  salis  zu  verstehen,  da  auf 
der  einen  Seite  Minos  durch  die  Verwandt- 
schaft mit  skt.  Manus,  ahd.  manisco  sich 
als  altarisch  erweist  (er  gehörte  wohl  zu  den 
'Ez£6KQr]Teg  im  Gegensatz  zu  den  später  ein- 
gewanderten \4/atoL  und  JiüQiseg  Od.  r  175) 
und  auf  der  anderen  Herakles  viele  Züge  des 
phönikischen  Melkart  angenommen  hat. 

2)  Erwähnt  II.  J  378,  405  ff.;  E  801  ff.; 
Z  222  ff'. 

^)  Od.    fi   09    an    einer    jungen    Stelle: 


^jQyoj  ndoL  fis'Xovaa.  Die  Ausdehnung  der 
Fahrt  bis  nach  Kolchis  stammt  natürlich 
aus  späterer  Zeit.  Auf  die  Argonautensage 
geht  auch  die  Stelle  H  467 — 75  von  Euenos, 
dem  Sohne  des  Jason  und  der  Hypsipyle, 
ferner  x  187—9,  /u  61—72,  k  14—19,  welche 
Stellen  jedoch  zum  Teil  der  Interpolation 
verdächtig  sind. 

■*)  Was  die  Neuheit  des  Gesangs  aus- 
macht, deutet  Homer  Od.  «  351  an:  ujy 
yuQ  doi^rjv  fÄCcXXop  enix'keiovG^  dv&QiaTioi, 
rj  Zig  dxovövieaai  VEUixäxt]  ccf^<pi7i€^7]rat. 


A.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  17.) 


23 


2.  Homers  Ilias  und  Odyssee. 

17.  Ilias.  Aus  dem  troischen  Sagenkreis  sind  die  zwei  grossen,  welt- 
berühmten Dichtungen  Homers  hervorgegangen,  die  Ilias  und  Odyssee,  von 
denen  die  eine  kriegerische  Scenen  aus  den  Kämpfen  vor  Ilios,  die  andere 
friedliche  Bilder  der  Seefahrt  und  des  Lebens  an  den  Fürstenhöfen  im  An- 
schluss  an  die  Heimkehr  der  Helden  enthält.  Der  Name  Ilias  der  ersten 
Dichtung  ist  nicht  ganz  passend  und  stammt  gewiss  nicht  von  dem  Dichter 
selbst  her.  Die  kleine  Ilias  begann  mit' Ihov  asiSco  xal  JaQSavhjv  svncoXov, 
und  sie  wird  zuerst  von  jenem  Vers  den  Namen  Ilias  erhalten  haben.  Aber 
der  Ruhm  der  Helden  vor  Ilios  knüpfte  sich  an  das  ältere,  grössere  und 
berühmtere  Werk,  und  so  werden  die  Homeriden  das  kleine  Gedicht  'Ihdg 
ßixQa,  das  grosse  des  Homer  hingegen  'Ihäg  schlechthin  genannt  haben. 
In  der  That  erzählt  die  Ilias  nicht  den  ganzen  zehnjährigen  Krieg  um  die 
Veste  Ilios,  sondern  nur  einen  Teil  aus  dem  letzten  der  10  Jahre,  der  sich 
um  die  Entzweiung  des  Oberkönigs  Agamemnon  und  des  tapfersten  Recken 
der  Achäer,  des  Achill,  gruppiert.  Mit  fxfjviv  asiös  ^ed  Ilrj^rjiädeM  'AxiXrjog 
hebt  das  Proömium  der  Ilias  an,  und  Mrjvig  ^Ay^iXXrjog  oder  ^Axillriig  wäre 
wohl  auch  das  Gedicht  überschrieben  worden,  wenn  es  nicht  in  seinen 
Rahmen  Gesänge  aufgenommen  hätte,  welche  zwar  auch  den  Zorn  des 
Achill  zur  Voraussetzung  haben,  aber  ganz  dem  Preise  anderer  Helden 
gewidmet  sind.  Mit  glänzender  Meisterschaft  aber  hat  der  Dichter  nicht 
den  ganzen  Krieg  zu  besingen  sich  vorgenommen,  sondern  nur  eine  Hand- 
lung desselben  herausgegriffen, i)  die  sich  in  wenigen  Tagen  (51)^)  abspinnt 
und  dem  Ganzen  einen  einheitlichen  Mittelpunkt  gibt.  Diese  eine  Hand- 
lung ist  aber  dann  auch,  wie  es  Aristoteles  verlangt,  vollständig  besungen, 
so  dass  das  Ganze  Anfang,  Mitte  und  Ende  hat.  Ohne  langweilige  Orien- 
tierung über  den  Stand  des  Krieges  und  die  Kämpfe,  die  vorausgegangen, 
werden  wir  mitten  in  die  Sache, ^)  in  den  Ausbruch  des  Streites  zwischen 
Achill  und  Agamemnon,  hineingeführt.  Mit  der  Beilegung  des  Zwistes 
und  dem,  was  davon  untrennbar  war,  der  Rache,  die  Achill  an  Hektor, 
dem  Überwinder  seines  Freundes  Patroklos  nimmt,  schliesst  das  alte  Ge- 
dicht. Die  Mitte  umfasst  die  Leiden,  welche  der  verderbliche  Hader  den 
Achäern  gebracht  hat.  Da  aber  der  Nationalstolz  einem  griechischen  Sänger 
verbot,  auch  nur  in  einer  Phase  des  Krieges  die  Barbaren  stets  siegreich 
sein  zu  lassen,  so  werden  der  schweren  Niederlage  der  Achäer  und  dem 
Sturm  auf  das  Schiffslager  glänzende  Siegesthaten  des  Agamemnon,  Dio- 
medes,  Aias  gegenübergestellt,  und  um  die  Handlung  nicht  allzu  einfach 
verlaufen  zu  lassen  und  die  Aussöhnung  des  Achill  zugleich  aufzuhalten 
und  zu  motivieren,  kommt  zuerst  Patroklos  mit  den  Myrmidonen  des  Achill 
den  bedrängten  Achäern  zu  Hilfe  und   überwindet  in  der  Brust  des  edlen 


')  Arist.  Poet.  23:  Seaneaiog  «V  cpaveiri 
"0^f]Qog  Tiagd  roi>g  cikXovg  to3  jLirjds  xov  no- 
ksjLioy  xainsQ  e/oyra  dg/rju  y.al  reXog  ini- 
XEiQrjaab  noiEiy  oXoy  '  Xiay  yuQ  dv  fxeya  xal 
ovx  8vavvomov  e^ellsp  taeod^ai  rj  reo  fxeyi\)si 
y.erQiäl^ov  xaxansn'keyfXEvov  rfj  noixiXia  '  vvv 
^6  Bv  fxsQog  dnoXaßcoy  ineiao&loig  xe/Qt]rai 
lokXoig. 


^)  Zenodot  rechnete  1  Tag  weniger  als 
Aristarch,  worauf  mehrere  Schollen  gehen, 
worüber  Lachmakn,  Betrachtungen  über  Ho- 
mers Ilias  S.  90  ff.;  Bergk,  Kl.  Sehr.  II, 
409  ff. 

^)  Trefflich  erkannt  von  Horaz  a.  p.  148: 
in  medias  res  non  secus  ac  notas  auditoreni 
rapit. 


24 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode, 


Helden  der  Schmerz  über  den  Fall  des  Freundes  den  Groll  über  die  schmäh- 
liche Zurücksetzung.  Das  sind  die  Hauptzüge  der  Handlung,  die  dem 
Geiste  des  Dichters  von  Anfang  an  vorschwebten;  denn  gewiss  nicht  ohne 
Vorbedacht  lässt  derselbe  den  Achill  schon  im  ersten  Gesang  A  240  drohen: 

(yvfxnavTag  •  t6t£  6'  ov  ri  Svvrjasai  axvvjusvog  ttsq 
XQccKTfJisTv,  €vt'  av  noXXol   v(p'  ^'ExroQog  avSQO(f6voio 

^vfjaXOVTSg    TriTCTOXTl.^) 

Aber  jene  Hauptzüge  sind  nur  die  Angelpunkte  der  Handlung;  reichere 
Ausschmückung  und  Erweiterung  brachte  die  Ausführung  des  Planes.  Da 
sind  teils  Episoden  eingewoben,  wie  das  nächtliche  Kriegsbild  der  Doloneia, 
der  Tod  des  Lykierfürsten  Sarpedon,  der  Abschied  Hektors  von  Andro- 
mache,  die  Bethörung  des  Zeus,  der  Flusskampf,  teils  ist  für  einen  weicheren 
Ausklang  des  wilden  Kampfgetümmels  durch  die  Leichenspiele  des  Fatro- 
klos  und  die  Lösung  Hektors  gesorgt,  teils  endlich  ist  die  Haupthandlung 
selbst  durch  die  Einlage  einer  Gesandtschaft  an  den  hartherzigen  Achill 
komplizierter  gestaltet.^) 

Nach  der  heutigen,  von  den  alexandrinischen  Gelehrten  herrührenden 
Einteilung  zerfällt  das  Ganze  in  24  Bücher  oder  Rhapsodien.  Dieser  Ein- 
teilung liegt  ein  ganz  äusserliches,  von  der  Zahl  der  Buchstaben  herge- 
nommenes Motiv  zu  gründe,  wodurch  teils  ganz  Verschiedenartiges,  wie 
die  Volksversammlung  und  der  Scbiffkatalog,  in  einen  Gesang  zusammen- 
geworfen, teils  Zusammengehöriges,  wie  die  Bethörung  des  Zeus  {Jiog 
drcccTTj)  und  ihre  Folgen,  in  zwei  Gesänge  auseinander  gerissen  wurde.  Dem 
Plane  des  Homer  und  der  Vortragsweise  der  Rhapsoden  führen  uns  die 
alten  Namen  der  Ilias  näher,  von  denen  mehrere  Älian  V.  H.  13,  14  er- 
halten hat:  Tcc  '^OfiTjQOV  snrj  ttqotsqov  öirjQTi^bva  rjSov  ol  naXaioi  '  oior  sXe- 
yov  Tijv  inl  vaval  fJiccxrjv  (M)  xal  JoXMVsiav  riva  (Ä)  xal  ^Agiüxeiav  ^Aya- 
fisfxvovog  [A)  xal  Nsmv  xaxäXoyov  [B  484  ff.)  xal  JJarQOxXsiav  [11  P)  xal 
AvTQa  (i3)  xal  'Eni  IlaTQoxXoi  a&Xa  (^^  262 — 897)  xal  ^Oqxiodv  acfdviaiv 
(J  1—222). 3) 

18.  Odyssee.  Der  Name  der  Odyssee  (O^vaaeia)  kommt  von  Odys- 
seus,  dem  Träger  der  Handlung  her  und  ist  wahrscheinlich  durch  den 
ersten  Vers  des  Proömiums  'Avdga  fjioi  8vvstis  Movaa  ttoXvtqotiov  veran- 
lasst. Aber  eine  Odyssee  im  vollen  Sinne  ist  auch  dieses  Gedicht  nicht. 
Manches  ist  zwar  aus  dem  früheren  und  späteren  Leben  des  Helden  ver- 
mittelst der  Kunst  episodischer  Einlage  herangezogen,  wie  seine  Verwun- 
dung auf  der  Jagd  bei  seinem  Grossvater  Autolykos  {t  392 — 466),  die  List 
des  hölzernen  Pferdes  (^  491—520,  S  271  —  289),  der  Streit  um  die  Waffen 
des  Achill  (X  545 — 567),  die  Ausspionierung  Troias  (J  242 — 264),  der 
friedliche  Tod  des  Helden  in  hohem  Alter  (.1  119—137),  aber  die  Haupt- 
erzählung dreht  sich  doch  um  nur  eine  Handlung,  die  Heimkehr  des  Odys- 


^j  Die  merkwürdige  Bezeichnung  des 
Pafcroklos  durch  den  blossen  Gentilnaraen 
MsyoiTiadrjg  A  307  führe  ich  nicht  an,  da 
dieselbe  wahrscheinlich  erst  nachträglich 
durch  Interpolation  in  den  1.  Gesang  ge- 
kommen ist. 


-)  Die  Gesandtschaft  des  Buches  /  machte 
wiederum  die  Einlage  eines  dritten  unglück- 
lich verlaufenden  Schlachttages,  die  xo7o? 
j««/?y  des  Buches  0,  notwendig. 

^)  Näheres  im  1.  Kapitel  meiner  Prole- 
gomena  zur  Ilias. 


A.   Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  18.) 


25 


seus.^)  Indes  so  einfach  und  kurz  war  an  sich  diese  eine  Handlung  nicht, 
da  Odysseus  10  Jahre  umhergeirrt  war  und  bei  der  Heimkehr  an  den 
übermütigen  Freiern  der  Penelope  neue  Feinde  in  seinem  Hause  gefunden 
hatte.  Aber  der  Kunst  des  Dichters  gelang  es,  die  Handlung  trotzdem  auf 
die  kurze  Zeit  von  41  Tage  zusammenzudrängen,  indem  er  uns  gleich  im 
Eingang,  ähnlich  wie  in  der  Ilias,  in  das  letzte  Jahr  der  Irrfahrten  ver- 
setzt und  den  Odysseus  seine  früheren  Erlebnisse  in  dem  Hause  des  Alki- 
noos  nacherzählen  lässt.  Er  erlangte  damit  zugleich  den  Vorteil,  länger  bei 
der  Schilderung  des  Königshofes  im  Lande  der  Phäaken  verweilen  zu  können 
und  die  lieblichen  Scenen  von  der  Königstochter  Nausikaa,  den  Gärten  des 
Alkinoos,  dem  blinden  Sänger  Demodokos,  den  ritterlichen  Spielen  am  Hofe 
des  Alkinoos,  der  Erzählung  von  Odysseus  Abenteuern  in  sein  Gedicht  einzu- 
legen. Weniger  wahrte  er  die  Einheit  des  Ortes.  Denn  nicht  bloss  treffen  wir 
Odysseus  anfangs  bei  der  Kalypso,  dann  bei  den  Phäaken,  dann  bei  dem  Sau- 
hirten Eumaios  und  schliesslich  in  seinem  eigenen  Hause,  sondern  es  gehen 
auch  bis  zur  Hälfte  des  Epos  zwei  Fahrten  nebeneinander  her,  die  des  Haupt- 
helden und  die  seines  Sohnes  Telemachos,  indem  kurz  vor  der  Rückkehr 
des  Odysseus  Telemachos  auf  die  Spähe  nach  seinem  Vater  auszieht  und 
beide  auf  ihrer  Rückkehr  bei  dem  Sauhirten  Eumaios  zusammentreffen. 
Dies  hatte  das  Gute,  dass  so  der  Dichter  uns  gleich  in  den  ersten  Gesängen 
über  die  Zustände  im  Hause  des  Odysseus  orientieren  und  über  die  Ge- 
schicke auch  der  übrigen  Führer,  namentlich  des  Nestor,  Menelaos,  Aga- 
memnon, aufklären  konnte.  Aber  durch  alles  dies  wurde  die  Erzählung 
der  Odyssee  bunter  und  verflochtener,  was  nicht  ganz  ohne  Unzukömm- 
lichkeiten abging,  indem  Telemachos  zwischen  dem  4.  und  15.  Gesang  aus 
den  Augen  verloren  wird  und  weit  länger  als  er  wollte  und  sollte  (s.  c^  594 
bis  599)  bei  Menelaos  zu  verweilen  in  die  Lage  kommt. ^)  Aber  diese  Un- 
zukömmlichkeiten werden  durch  die  grössere  Spannung  der  Erzählung  und 
die  Überraschung  der  Erkennungsscenen  wieder  reichlich  aufgewogen,^)  zu- 
mal der  Dichter  gerade  diese  Scenen,  wie  die  von  der  Fusswaschung  des 
verkleideten  Odysseus  durch  die  alte  Amme  Eurykleia  {t  357  —  504),  mit 
unvergleichlicher  Zartheit  zu  behandeln  verstand >) 

Der  Held,  von  dem  das  ganze  Epos  den  Namen  hat,  Odysseus,  steht 
im  Gegensatz  zu  Achill,  dem  Helden  der  Ilias:  in  ihm  war  die  Klugheit 
und  verschlagene  List  verkörpert  wie  in  jenem  der  Heldenmut  und  die 
jugendliche  Kühnheit;  beide  zusammen  repräsentierten  den  Griechen  das 
Ideal  eines  hellenischen  Mannes.  Die  Klugheit  wiegt  auch  im  Kriege  etwas, 
und  schön  hat  uns  der  Dichter  der  Doloneia  an  Diomedes  und  Odysseus 
gezeigt,  wie  kühne  Beherztheit  und   schlaue  Klugheit  zum  Gelingen  einer 


')  Dabei  beachte,  dass  all  die  aufge- 
zählten Odysseusepisoden  jüngeren  Partien 
der  Odyssee  angehören  und  zum  Teil  sicher 
erst  nachträglich  eingelegt  sind. 

'^)  Störender  noch  ist  die  Wiederkehr 
der  Scene  des  Anfangs  der  Odyssee  im  Ein- 
gang des  5.  Gesangs,  aber  die  Partie  e  1 — 27 
ist  elendes  Flickwerk,  das  in  dieser  Gestalt 
nicht  von  dem  alten  Dichter  herrührt. 


^)  Treffend  urteilt  auch  über  diesen  Punkt 
Aristoteles,  Poet.  24:  ?y  fiey'lXiag  ccnXovv  xal 
TTccd^tjTixop.  ri  de  'Oövaosia  nsnXsy^eyoy  [dyti- 
yytüQLffEig  ydg  dp  oXov)  xcd  ijd^txrj. 

^)  Auch  die  Kunst  hat  sich  dieses  herr- 
lichen Motives  bemächtigt,  wie  wir  noch  aus 
einem  Relief  der  Sammlung  Campana  t.  71 
sehen. 


26 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


kriegerischen  Unternehmung  zusammenwirken  müssen.  Aber  mehr  kommt 
doch  dieselbe  in  den  Fahrten  zur  See,  in  dem  Kampf  mit  den  Gewalten 
der  Natur,  in  den  Schicksalen  des  privaten  Lebens  zur  Geltung.  Es 
war  daher  ein  guter  Griff  des  Dichters  der  Odyssee,  dass  er  den  Stoff 
zu  seinem  Epos  aus  dem  Sagenkreis  von  der  Heimkehr  der  ilischen  Helden 
nahm  und  in  denselben  die  wundervollen  Mären  von  den  Bewohnern  fer- 
ner Länder  und  den  Abenteuern  kühner  Seefahrer  verflocht.  Er  hat  so  zu 
dem  Heldengedicht  der  Ilias  eine  vortreffliche  Ergänzung  geschaffen,  die 
um  so  mehr  Anziehungskraft  üben  und  andächtig  lauschende  Zuhörer  finden 
musste,  als  inzwischen  auch  die  Bestrebungen  der  Nation  sich  mehr  der 
Schiffahrt  und  den  friedlichen  Beschäftigungen  zuzuwenden  begonnen  hatten. 

Die  Einteilung  der  Odyssee  in  24  Bücher,  die  man  jetzt  mit  den  Buch- 
staben des  kleinen  Alphabets  zu  bezeichnen  pflegt,  rührt  gleichfalls  aus 
der  alexandrinischen  Zeit  her.  Auch  hat  der  gleiche  Älian  V.  H.  13,  14 
mehrere  ältere  Namen  einzelner  Teile  uns  erhalten,  wie  Ta  iv  Ilvhn  (y), 
Td  SV  AaxsSa(}.iovi  (J),  KaXvipovg  avTQOv  [e  1  —  281),  Td  ttsqI  ttjv  axsSiav 
(s  282 — 493),  'äXkivov  dnöXoyog  (i-^),i)  KvxXomsia  (S-),  Nsxvicc  (^),  Td  Trjg 
KiQxj^g  (x),  NiTTTQa  (t),  Mvr^aTr^Qcov  (povog  (/),  Td  iv  dygo)  xal  rd  iv  AatQxov 
{m  205  —  548).  Aber  weit  mehr  als  die  kleinen  Gesänge  treten  in  der 
Odyssee  die  grösseren  Abschnitte  hervor,  wie  die  Irrfahrten  des  Odysseus 
{i — ii),  die  Reise  des  Telemachos  (a—ö),  die  Heimkehr  des  Odysseus  und 
der  Freiermord  (v—ip),  so  dass  innerhalb  dieser  Gruppen  die  einzelnen  Ge- 
sänge sich  nicht  mehr  gleich  gut  wie  in  der  Ilias  zum  Einzelvortrag  eig- 
neten und  die  selbständigen,  breit  ausgeführten  Episoden  fast  ganz  fehlen. 2) 

19.  Die  Person  des  Homer,  dem  die  beiden  Dichtungen  beigelegt 
werden,  verflüchtigt  sich  um  so  mehr,  je  näher  man  derselben  zu  treten 
sucht.  Wir  haben  9  teils  längere,  teils  kürzere  Lebensbeschreibungen 
Homers;  aber  diese  sind  nur  späte,  zum  Teil  geradezu  erlogene  Fabrikate 
von  Grammatikern,  welche  örtliche  Fabeleien  für  alte  Überlieferungen  aus- 
gaben oder  das,  was  ursprünglich  nur  Vermutung  und  Schlussfolge  war, 
als  feste  Thatsache  hinstellten. 2)    Wir  besitzen  mehrere  Büsten  des  Homer 


'  I  SP  'Ah/.iyov  anoXoyoj  kommt  ebenso 
wie  eV  roTg  NinxQOig  schon  bei  Aristoteles 
in  der  Poetik  c.  16  vor.  Wie  ich  in  den 
Proleg.  Uiadis  p.  4  nachwies,  ist  der  Aus- 
druck verkürzt  aus  unöXoyog  iv  ^JXxlpov  sc. 
(fö/uo)  „Erzählung  im  Hause  des  Alkinoos" 
im  Gegensatz  zur  „Erzählung  beim  Sauhirten". 

'^)  Kleinere  Episoden  innerhalb  eines  Ge- 
sanges finden  sich  öfter,  wie  das  Liebes- 
abenteuer des  Ares  und  der  Aphrodite  {x^-  266 
bis  366),  die  Handelslist  der  phönikischen 
Seefahrer  (0  403 — 484),  die  Verwundung  des 
Odysseus  auf  der  Jagd  (r  399  —  466). 

^)  Auf  uns  gekommen  sind  9  Vitae,  ab- 
gedruckt in  Westermann's  Biographi  gr. 
und  besprochen  von  Sengebusch  Diss.  hom.; 
die  Vit.  6  ist  jetzt  vollständiger  aus  Cod.  gr, 
6  der  Vittorio-Emanuelebibl.  mitgeteilt  von 
SiTTL,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1888.  II,  274  f.  Von 
diesen  reicht  keine  über  die  Zeit  des  Augustus 


hinauf.  Die  erste  ist  in  ionischem  Dialekt 
geschrieben  und  trägt  den  Namen  des  Hero- 
dot,  ist  aber  eine  plumpe  Fälschung,  aus 
der  Zeit  nach  Strabon,  wie  aus  dem  Ver- 
gleich von  c.  20  mit  Strabon  p.  596  hervor- 
geht; sie  setzt  nämlich  den  Homer  in  die 
nächsten  Jahre  nach  der  dorischen  Wanderung, 
während  ihn  der  echte  Herodot  II,  53  in  der 
Mitte  des  9.  Jahrhunderts  leben  lässt.  Die 
Schrift  nXovTaQ/ov  718qI  rov  ßlov  xal  jTJg 
noirjosiog  'O^yjqov  ist  aus  zwei  Schriften  zu- 
sammengesetzt und  rührt  nicht  von  Plutarch 
her,  da  die  von  Gellius  II,  8  u.  9;  IV,  11 
(vgl.  Schol.  II.  0  625)  aus  Plutarchs  echter 
Schrift  angeführten  Stellen  in  unserer  Schrift 
nicht  stehen;  sie  ward  von  R.  Schmidt  dem 
Porphyrios  zugeschrieben.  Am  wertvollsten 
sind  die  aus  Proklos  Chrestomathie  gezogene 
Vita  und  das  Certamen  Hesiodi  et  Homeri, 
beide  aus  Hadrians  Zeit. 


A.   Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  19.) 


27 


aus  dem  Altertum,  i)  aber  diese  sind  Idealschöpfungen,  hervorgegangen  aus 
der  Vorstellung  von  einem  blinden  Sänger,  Vielehe  Vorstellung  selbst  wieder 
auf  der  irrigen  Voraussetzung,  dass  der  Dichter  der  Ilias  und  Odyssee  mit 
dem  Verfasser  des  Hymnus  auf  den  delischen  Apoll  identisch  sei,  beruht.^) 
Wir  hören  von  einem  Vater  unseres  Dichters,  Maion  aus  Smyrna,  und 
einem  Geschlecht  der  Homeriden  in  Chios;  aber  der  Smyrnäer  Maion  muss 
sich  mit  dem  Flussgott  Meles  in  die  Ehre  der  Vaterschaft  teilen,^)  und 
der  sorgfältige  Artikel  des  Harpokration  über  die  Homeriden^)  belehrt  uns, 
dass  die  Zurückführung  jenes  Geschlechtes  auf  den  Dichter  Homer  als 
Ahnherrn  desselben  bestritten  und  zweifelhaft  war.  Wir  sehen  seit  Piaton 
und  Aristarch  den  Homer  als  Verfasser  der  Ilias  und  Odyssee  an,  aber  in 
der  Zeit  vor  Herodot  galt  Homer  vielen  als  Kollektivname  für  den  Dichter 
aller  alten  Heldengesänge. ^)  Wir  haben  bestimmte  Angaben  über  das 
Vaterland  und  die  Lebenszeit  des  Homer,  aber  ihr  Ansehen  wird  durch 
den  Widerspruch  der  Überlieferung  geschwächt  und  zum  grossen  Teil  auf 
die  Bedeutung  von  blossen  Kombinationen  herabgedrückt:  7  Städte,  Kyme, 
Smyrna,  Chios,  Kolophon,  Pylos,  Argos,  Athen,  und  noch  andere  mehr 
stritten  sich  um  die  Ehre,  Homers  Heimat  zu  sein ;  ^)  nicht  weniger 
gehen  die  Angaben  über  die  Zeit  des  Dichters  auseinander.  Hellanikos 
setzte  ihn  in  die  Zeit  des  troischen  Krieges  (1193 — 1183),  Krates  zwischen 
die  Einwanderung  der  Böotier  und  den  Auszug  der  Herakliden  (1130 — 1103), 
Aristarch  in  die  Zeit  des  ionischen  Auszugs  (1043),  Apollodor  100  Jahre 
nach   der  ionischen  Wanderung   (943),    Ephoros   und   Sosibios   in   die  Zeit 


^)  Siehe  die  beigegebene  Tafel.  Vergl. 
Baumeister,  Denk.  d.  kl.  Alt.  I,  698. 

'^)  Hymn.  Apoll.  Del.  172  sagt  vom  Dich- 
ter des  Hymnus  rvcpXog  dprJQ  oiy.sT  de  XUo 
EVI  TiainaXoioari.  Damit  kombinierte  man 
den  blinden  Sänger  Demodokos  in  Od.  ^  64 
und  den  geblendeten  Kitharisten  Thamyiis 
in  II.  B  599.  Dagegen  gut  Proklos  p.  232 
W. :  rvcf^-df  de  ogol  xovtov  anecprjvavro,  av- 
roi  fnoc  doxovGi  xrjp  diuvoiav  rerv(pX(oad^ai,, 
ähnlich  Vell.  I,  5.  wahrscheinlich  nach  einem 
Epigramm. 

^)  Als  MelrjOiyevr'ig  wird  Homer  gedacht 
von  dem  alten  samischen  Dichter  Samios  bei 
Ath.  125  d.  Daneben  ist  Phemios  als  Nähr- 
vater genannt  von  Ephoros  in  Ps.  Plutarch 
vita  Hom.  2. 

"*)  'OfirjQldai  •  yevog  ep  X/w,  ottsq  ^Jxovgl- 
Xaog  iv  y ,  'EXXdpiy.og  ep  rfj  'ArXciPzldi  and 
rov  noi7]rov  cfrjaip  wpofxccGO^ac,  2!eXevxog  de 
ep  ß'  neQi  ßlcop  d/naQTccpeiP  cfrjolp  KQchrjra 
pofxiCopTa  rovg  ^  sp  rcdg  hoonouaig  'Ofj.7]Qi- 
dctg  dnoyöpovg  eivai  rov  noirjxov  '  (OPOf^dax^t]- 
oap  ydg  dnö  liop  ofxrjQCDP,  enel  al  yvpcaxeg 
TTore  tiop  Xio)p  ep  Jtopvaioig  naQacpQOPTJoaaat 
eig  judj(7]p  rj'kd-op  roTg  dpdqdai  xal  döpreg 
aA}.7]Xoig  ofxtjQa  pvfxcpiovg  xal  pvfxcpag  enav- 
acipio,  ix)P  rovg  dnoyopovg  'OfxrjQidag  "keyovaip, 
Vgl.  Strab.  p.  645. 

^)  Proclus  p.  233  W, :  yeyqacpe  de  notrj- 
oeig  dt'o,  'iXtdda  xal  ^Odvaaeiccp,  rjp  Sepcop 
xccl  ^EXXdrixog   drfaiQovprai  avroi,  ol  fieprot, 


y  dQ)(a?oi  xccl  rop  xvxlop  dpcccpegovGip  eig 
avrop.  Vergl.  indes  über  die  Kontroverse 
unten  §  46. 

ß)  Anth.  Plan.  297,  wozu  Anth.  Plan.  295. 
296.  298.  299;  Gellius  III,  11;  Epiphan.  adv. 
haer.  I,  326;  Tzetzes,  Chil.  XIII,  621-646. 
Nach  ihnen  erhoben  auch  los,  Kypern,  Ithaka, 
selbst  Phrygien  und  Ägypten  Ansprüche,  so 
dass  Antipater  (Anth.  Plan.  296,  ähnlich 
GIG.  6092)  witzig  von  Uranos  und  der  Muse 
Kalliope  den  Homer  entsprossen  sein  liess. 
Für  Smyrna  erklärten  sich  die  meisten  der 
alten  Gewährsmänner,  Pindar,  Stesimbrotos, 
Ephoros,  Hellanikos,  Charax  (siehe  Rohde, 
Rh.  M.  36,  388),  für  Athen  Aristarch,  indem 
er  von  der  Kolonisation  Smyrnas  durch  At- 
tika  ausging  und  diese  durch  die  Attikismen 
Homers  bestätigt  fand  (s.  Aristides  I,  317 
Dind.).  Chios  wird  sich  auf  das  Geschlecht 
der  Homeriden  und  den  Hymn.  Ap.  Del.  172, 
später  auch  auf  den  ehrwürdigen  Steinsitz 
Homers  gestützt  haben  (s.  E.  Hoffmann, 
Homeros  und  die  Homeridensage  von  Chios 
1856).  Kolophon  berief  sich  auf  den  für 
homerisch  gehaltenen  Margites;  für  Kolophon 
war  der  Kolophonier  Nikander  in  dem  Buch 
über  die  Dichter  von  Kolophon  eingetreten. 
In  los  opferte  man  nach  Aristoteles  bei  Gel- 
lius HI,  11  am  angeblichen  Grab  des  Homer, 
was  jedenfalls  auf  eine  Sänger-  oder  Rhap- 
sodenschule in  los  hinweist. 


28 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


des  Lykurg  (866),  Theopomp  in  die  des  Einfalls  der  KimmerierJ)  Löst 
sich  so  schon  angesichts  der  Unsicherheit  der  Überlieferung  die  Gestalt 
des  Homer  in  Nebel  auf,  so  sind  neuere  Gelehrten  noch  weiter  gegangen, 
indem  sie  sogar  dem  Namen  Homers  die  Bedeutung  eines  Individualnamens 
absprachen,  da  mit  demselben  nicht  eine  bestimmte  historische  Person  be- 
nannt, sondern  nur  in  genereller  Weise  der  Zusammenordner  älterer  Ge- 
sänge oder  der  Genosse  einer  Sängerzunft  bezeichnet  worden  sei.  2)  Das 
letzte  ist  nun  zwar  eine  entschiedene  Verirrung  der  Zweifelsucht.  EvfjioX- 
Ttog  'der  schön  Singende'  und  Movaatoq  'der  Musensohn'  sind  fingierte 
poetische  Namen,  aber  wer  hätte  den  Mann,  der  eine  Ilias  und  Odyssee 
schuf  und  an  dessen  Vorbild  sich  eine  ganze  Generation  von  Dichtern  bil- 
dete, mit  einem  so  niederen  Namen  wie  Ordner  oder  Zunftsänger  zu  be- 
zeichnen wagen  dürfen?  Auch  sollte  sich  die  Kritik  nicht  erlauben,  dem 
göttlichen  Sänger  Homeros  deshalb,  weil  ihm  später  allerlei  Fabeln  anga- 
dichtet  worden,  nun  gewissermassen  zur  Sühne  auch  noch  das  Leben  ab- 
zusprechen. Aber  immerhin  ist  durch  die  wissenschaftliche  Kritik  der 
Glaube  an  den  historischen  Homer  stark  erschüttert,  und  wäre  namentlich 
der  nicht  so  leicht  zu  widerlegen,  der  den  Namen  Homer  nicht  von  dem 
Schöpfer  des  alten  Kerns  der  Ilias,  sondern  von  einem  jüngeren,  die  älteren 
Epen  zum  Abschluss  bringenden  Dichter  getragen  sein  Hesse. 

20.  Homerische  Frage. ^)  Die  Zweifel  sind  bei  der  Person  und 
dem  Namen  des  Homer  nicht  stehen  geblieben;  die  Kritik  ist  auf  die 
dem  Homer  beigelegten  Werke  selbst  übergegangen.  Diese  Kritik  begann 
bereits  im  Altertum  in  der  Zeit  des  Herodot ;  sie  sprach  zunächst  dem  Schöpfer 
der  Ilias  und  Odyssee  die  Gedichte  des  epischen  Kyklos  ab.  Wie  man 
dabei  verfuhr,  ersieht  man  aus  Herodot  II,  117,  wo  zum  Beweise  dafür,  dass 
die  Kyprien  nicht  von  Homer  herrühren,  auf  den  Widerspruch  zwischen 
den  Kyprien  und  der  Ilias  hingewiesen  wird,  indem  Paris  in  dem  ersteren 
Gedicht  in  3  Tagen  direkt  von  Sparta  nach  Ilios  heimfuhr,  nach  der  Ilias  22^1 
hingegen  lange  umherirrte  und  bis  nach  Sidon  verschlagen  wurde.  Weitergingen 
in  der  alexandrinischen  Zeit  die  sogenannten  Chorizonten,  Xenon  und 
Hellanikos,  welche  dem  Homer  auch  die  Odyssee  absprachen.  Sie  befolgten 
dabei  die  gleiche  Methode,  indem  auch  sie  von  den  Widersprüchen  zwischen 
Odyssee  und  Ilias  ausgingen.     So  betonten  sie,  dass  als  Frau  des  Hephai- 


^)  Die  Zeitangaben  verdanken  wir  ausser 
den  Vitae  zumeist  den  christlichen  Schrift- 
stellern Clemens  Alex,  ström.  I,  21  und  Ta- 
tian  ad  Graec.  31  (abgedruckt  bei  Senge- 
busch, Hom.  diss.  I,  14  ff.).  Unsere  nächste 
Aufgabe,  die  Gründe  der  verschiedenen  An- 
gaben zu  ermitteln,  behandelt  Rohde,  Studien 
zur  Chronologie  d.  gr.  Litt,  im  Rh.  M.  36, 
380  ff.  Vgl.  aus  älterer  Zeit  Bernh.  Thieksch, 
Zeitalter  und  Vaterland  des  Homer,  Halberst. 
1832 ;  Lauer,  Gesch.  d.  hom.  Poesie,  Berl. 
1851  S.  69. 

2)  Die  erste  Deutung  vorgeschlagen  und 
durch  die  Analogie  des  Vyäsa,  Sammler  des 
Mahabharata,  gestützt  von  Holtzmann,  die 
zweite  begründet   von    G.   Curtius,    De  no- 


mine Homeri,  Kiel  1855.  Die  ganze  Frage 
von  neuem  einer  umsichtigen  Kritik  unter- 
zogen von  DÜNTZER,  Die  homerischen  Fragen, 
Leipz.  1874  S.  13-33. 

^)  Zusammenfassende  Schriften  von  W. 
Müller,  Homerische  Vorschule,  Leipzig  1836, 
jetzt  veraltet;  Minckwitz,  Vorschule  Homers, 
Leipzig  1863;  Bonitz,  Über  den  Ursprung 
der  hom.  Gedichte,  ursprünglich  ein  Vortrag, 
5.  Aufl.  von  Neubauer  besorgt,  1881;  Niese, 
Die  Entwicklung  der  hom.  Poesie.  Berlin 
1882;  Christ,  Homer  oder  Homeriden,  2. 
Aufl.,  München  1885.  Vieles  einschlägige  in 
Düntzer,  Hom.  Abhandlungen,  Leipz.  1872; 
WiLAMOWiTZ.  Hom.  Untersuchungen  =  Philol. 
Unters.  11.  Heft. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  20—21.) 


29 


stos  in  der  Ilias  2  382  Charis,  in  der  Odyssee  ^  267  Aphrodite  genannt 
ist,  dass  Nestor  in  der  Ilias  yi  692  eilf  Brüder,  in  der  Odyssee  2  286  nur 
zwei  hat,  dass  die  Ilias  den  Aiolos  als  Herrscher  der  Winde  noch  nicht 
kennt  und  ebenso  wenig  davon  etwas  weiss,  dass  Hebe,  die  jungfräuliche 
Dienerin  der  Götter,  dem  dorischen  Nationalhelden  Herakles  angetraut  ist.  ^) 
Aber  die  Ansicht  der  Chorizonten  drang  nicht  durch:  Aristarch,  dem  die 
Übereinstimmungen  der  beiden  Gedichte  im  grossen  Ganzen,  namentlich 
gegenüber  dem  epischen  Kyklos  und  den  Neueren  {ol  vsmtsqoi),  mehr  be- 
deuteten als  die  paar  nebensächlichen,  obendrein  zum  Teil  leicht  zu  be- 
seitigenden Unebenheiten, 2)  hielt  an  der  Einheit  fest,  und  seine  Autorität 
behauptete  im  Altertum  die  Oberhand,  so  dass  man  an  Homer  als  Dichter 
der  Ilias  und  Odyssee  festhielt  und  sich  höchstens  dazu  verstand,  die  Ilias 
dem  jugendlichen,  die  Odyssee  dem  gealterten  Homer  zuzuschreiben.^) 

21.  Einen  stärkeren  Ansturm  unternahm  F.  A.  Wolf  mit  den  Pro- 
legomena  ad  Ilomerum  1795, 4)  worin  der  bahnbrechende  Gelehrte  aus  den 
Widersprüchen  und  den  Mängeln  der  Komposition  zu  erweisen  suchte,  dass 
auch  jedes  der  beiden  grossen  Epen  nicht  das  Werk  eines  einzigen  Dich- 
ters, sondern  mehrerer  Sänger  sei,  und  dass  die  Zusammenfügung  der  alten 
Gesänge  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  erst  viele  Jahrhunderte  später  von 
unbedeutenden  Geistern,  im  wesentlichen  von  den  Redaktoren  des  Peisistratos 
vollzogen  worden  sei.  Die  kühne  Hypothese  stützt  sich  auf  die  grossen 
Anstände,  zu  denen  die  Komposition  der  Ilias  und  Odyssee  als  Ganzes  An- 
lass  gibt,  und  die  um  so  auffälliger  erscheinen,  je  weniger  die  Vollendung 
der  beiden  Werke  im  Einzelnen  bestritten  werden  kann.^)  Aufgebaut  aber  ist 
dieselbe  weniger  auf  einer  sorgsamen  Analyse  der  beiden  Dichtungen,  als 
auf  dem  Boden  der  Zeugnisse  des  Altertums  von  der  V  ereinigung  der  zuvor 
zerstreuten  Gesänge  durch  Peisistratos  und  auf  dem  Grunde  zweier  äusserer 
Momente.  Denn  einmal  sei  zur  Zeit  Homers  die  Schrift  noch  nicht  bekannt 
gewesen,  sei  aber  ohne  Schrift  die  Dichtung  so  umfangreicher  Werke  nicht 
denkbar,  und  dann  habe  in  jener  Zeit  zur  Abfassung  so  grosser  Epen  kein 
Anlass  bestanden,  da  damals  die  Sänger  nur  kleine  Gesänge  vorzutragen 
pflegten.  Der  von  dem  grossen  Philologen  angeregte  Streit,  der  die  Geister 
nicht  bloss  der  zünftigen  Gelehrten,  sondern  aller  Gebildeten  und  nicht  zum 
wenigsten  unserer  grossen  Dichterfürsten  Goethe^)  und  Schiller  mächtig 
ergriff*,  hat  im  Laufe  der  Zeit  wesentlich  zur  Klärung  der  Sache  und  zum 
richtigeren  Verständnis  des  Volksepos  beigetragen,  hat  aber  noch  nicht 
seinen  Abschluss  in  einer  allseitigen  Verständigung  gefunden."^)     Einesteils 


')  Geppert,  Ursprung  der  hom.  Ge- 
dichte, Berlin  1840,  I,  1  —  62,  und  Cdbist, 
Homer  oder  Homeriden''^  8-15,  besprechen 
die  Divergenzen  im  einzelnen. 

^)  Ein  Hauptanstoss  A  603  gegenüber 
E905  ward  durch  Athetese  von  A  565- -627 
glücklich  gehoben. 

^)  Ps.  Longin.  de  sublim.  9.  Spöttelnd 
bemerkt  Seneca  de  hrev.  vitae  13:  Grae- 
corum  iste  morbus  futt  quuerere,  quem  nu- 
merum  TJlixes  remigum  habuisset,  prior 
scripta  esset  Ilias  an  Odyssea,  praeter ea 
an  eiusdem  esset  auctoris. 


■*)  Ed.  III  curavit  Peppmüller,  Halle 
1884  mit  dem  Briefwechsel  zwischen  Heyne 
und  Wolf. 

^)  So  erscheint  Pylaimenes,  nachdem  er 
E  576  gefallen  ist,  IS  656  wieder  unter  den 
Lebenden  und  wird  es  an  dem  3.  Schlacht- 
tag 2  Mal  [A  83  u.  J7  777)  Mittag;  anderes 
mehr  s.  §  23  u.  25. 

^)  Vgl.  M.  Beknays.  Goethe's  Briefe 
an  Fr,  A.  Wolf,  1868;  Christ,  Homer  und 
Homeriden  S.  84. 

'')  Volkmann,  Geschichte  und  Kritik  der 
Wolf  sehen  Prolegomena,   Leipzig  1874,  wo 


30 


Griechische  Litter aturgeschichte.     I.  Klassische  Periode, 


haben  die  Unitarier,  auf  deren  Seite  sich  gleich  anfangs  Schiller  und  Voss 
stellten  und  deren  Sache  in  gelehrter  Ausführung  besonders  Nitzsch^)  ver- 
focht, die  Hauptvoraussetzung  der  Wolf 'sehen  Hypothese,  den  Nichtgebrauch 
der  Schrift,  bestritten  und  den  ganzen  Gedanken  von  einem  Flickhomer 
als  barbarisch  verschrieen.  Anderseits  haben  sich  die  Wolfianer  nicht  dabei 
beruhigt,  nur  im  allgemeinen  die  Existenz  des  einen  Homer  zu  leugnen, 
sind  aber,  indem  sie  den  von  Wolf  aufgeworfenen  Gedanken  zu  Faden 
schlugen,  auf  verschiedene  Wege  gekommen,  welche  sie  teils  den  Unitariern 
näherten,  teils  zu  dem  Extrem  einer  unbestimmten  Menge  von  Homeriden 
führten.  Am  konsequentesten  hat  die  Liedertheorie  Wolfs  K.  Lachmann 
verfolgt.-)  Er  war  durch  Untersuchung  der  epischen  Poesie  unserer  Vor- 
fahren zur  Überzeugung  gekommen,  dass  bei  allen  Völkern  die  Zeit  des 
Volksepos  nur  einzelne  kleinere  Lieder  hervorgebracht  habe,  und  hat  dem- 
nach an  der  Hand  innerer  Kriterien  wie  aus  dem  Nibelungenlied  20,  so 
aus  der  Ilias  15  oder  16^)  Einzellieder  herausgeschält.^)  Er  wollte  damit 
nur  den  alten  volkstümlichen  Liederschatz  wieder  gewinnen,  aus  dem  erst 
mehrere  Jahrhunderte  nachher  die  grossen  Epen  entstanden  seien ;  die  Frage, 
wer  und  wie  viele  Sänger  jene  16  Lieder  gedichtet,  Hess  er  ganz  bei  Seite. 
Erst  spätere  Anhänger  der  Lachmann'schen  Liedertheorie,  wie  Benicken, 
haben  geradezu  für  jedes  der  16  Lieder  einen  besonderen  Dichter  in  An- 
spruch genommen.  Nur  eine  Konsequenz  dieser  Anschauung  war  es,  dass 
andere  in  Homeros  gar  nicht  mehr  den  Individualnamen  eines  gottbe- 
gnadeten Dichters,  sondern  nur  den  Repräsentanten  der  Flickarbeit  eines 
Zusammenordners  erblicken  wollten.  Einen  anderen  Weg  schlug  G.  Her- 
mann in  der  klassischen  Abhandlung  de  interpolationihus  Homeri  (1832)  ^) 
ein.  Er  ging  davon  aus,  dass  sich  die  Gegensätze  einer  unleugbaren  Ein- 
heit des  Gesamtplanes  und  der  Widersprüche  und  Abweichungen  im  Ein- 
zelnen nur  erklären  Hessen,  wenn  man  eine  Urilias  und  eine  Urodyssee 
von  massigem  Umfang  in  den  Anfang  setze  und  diese  erst  allgemach  durch 
Zu-  und  Eindichtungen  zu  den  grossen  Epen  des  Peisistratos  anwachsen 
lasse. ^)  Aber  jene  Urilias  und  Urodyssee  hat  Hermann  nicht  selbst  wieder 
herzustellen  versucht;  er  schien  sogar  zu  glauben,  dass  dieselben  später 
durch  jüngere  Überarbeitungen  und  Erweiterungen  vollständig  überwuchert 
und  verschüttet  worden  seien.    Darüber  sind  die  neueren  Forscher  hinaus- 


zugleich  über  die  Vorgeschiclite  der  Pro- 
legomena  gehandelt  ist,  d.  i.  über  die  Män- 
ner, welche  schon  vor  Wolf  ähnliche  Ge- 
danken ausgesprochen  haben,  wie  Vico 
(1686-1744)  und  Wood,  Über  das  Original- 
genie Homers  (1769). 

')  G.  W.  NiTzscH,  Meletemata  de  histo- 
ria  Homeri  1830,  Sagenpoesie  der  Griechen 
1852,  Beiträge  zur  Geschichte  der  epischen 
Poesie  1862.  Einen  ähnlichen  Standpunkt 
vertreten  Bäumlein,  Comment.  de  Homero 
in  Tauchn.  Ausg.  1854;  Nutzhorn,  Ent- 
stehungsweise der  hom.  Gedichte,  Leipz.  1869. 

^)  Lachmann,  Betrachtungen  über  Ho- 
mers Ilias  (1846)  2.  Aufl.  mit  Zusätzen  von 
Moritz  Haupt,  Berlin  1865. 

^)  Die  Diskrepanz  entsteht  dadurch,  dass 


Lachmann  wohl  einmal  S.  84  von  einem 
grossen  16.  Liede  spricht,  thatsächlich  aber 
nur  15  kleinere  Lieder  gewinnt  und  schon 
mit  dem  17.  Buch  seine  alte  Ilias  schliesst. 

"*)  Lachmanns  Lehre  brachte  mit  kleinen 
Modifikationen  zum  Ausdruck  imTextKöcHLY, 
Iliadis  carmina  XVI,  Lips.  1861,  wozu  die 
trefi'lichen  Dissertationes  de  Iliadis  carmi- 
nibus  und  de  Odysseae  carminibus  im  1. 
Band  von  Köchly's  Opusc.  kommen. 

•>)  Jetzt  in  Opusc.  V,  52—77. 

^)  p.  15:  Homeruvi  duo  non  magni  am- 
bitus  carmina  de  ira  Achillis  Ulixisque  re- 
ditu  comj)OSuisse,  quae  deinceps  a  multis 
cantata  paullativique  aucta  atque  eocpolita 
Homeri  nomen  ad  posteros  tit  poetae  vetus- 
tissimi  propagaverint. 


A.    Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  22.) 


31 


gegangen;  sie  hielten  die  Homeriden  für  zu  treue  Bewahrer  des  alten  Schatzes 
ihres  Stammeshauptes,  als  dass  sie  denselben  irgendwelche  Unterschlagung 
des  kostbaren  Vermächtnisses  zutrauten ;  ^)  sie  suchten  daher  nach  Mitteln 
und  Wegen,  um  die  verschiedenen  Schichten  der  homerischen  Poesie  von 
einander  zu  scheiden.  Auf  solche  Weise  ist  die  homerische  Frage  allmäh- 
lich der  Sphäre  allgemeiner  Erwägungen  entrückt  worden  und  hat,  wenn 
auch  bis  jetzt  noch  vieles  zweifelhaft  geblieben  ist  und  wohl  auch  in  Zu- 
kunft bleiben  wird,-)  doch  immerhin  eine  fassbarere  Gestalt  angenommen. 
22.  Die  Probleme  der  homerischen  Frage  können  natürlich  nicht 
hier  in  diesem  kurzen  Abriss  gelöst  oder  auch  nur  diskutiert  werden.  Gleich- 
wohl werden  einige  resultierende  Schlusssätze  am  Platze  sein.  Kein  ver- 
nünftiger Mensch  ist  heutzutage  noch  reiner  Unitarier  oder  reiner  Wolfianer. 
Die  Verfechter  des  einen  Homer  und  unter  ihnen  nicht  bloss  die  Königs- 
berger, 3)  sondern  selbst  Nitzsch  haben  nach  und  nach  zugegeben,  dass  unsere 
Ilias  und  Odyssee  viele  jüngere,  nicht  von  Homer  herrührende  Bestandteile 
enthalten,  und  zwar  nicht  bloss  kleine,  aus  wenigen  Versen  bestehende  Inter- 
polationen,'^) sondern  auch  grössere  Erweiterungen-^)  und  selbst  ganze  Ge- 
sänge, wie  den  Schluss  der  Odyssee  von  tp  297  an,  den  schon  der  Gram- 
matiker Aristophanes  als  unecht  verwarf,  die  Doloneia,  welche  nach  einem 
alten  Scholion  erst  Peisistratos  in  die  Ilias  einlegte,  den  läppischen  aus  Reminis- 
zenzen zusammengestoppelten  Zweikampf  des  Aeneas  und  Achill  (F  75— 352), 
den  Schiff katalog  (ß  484— 779)  und  die  Ergänzung  desselben  77  168  —  199. 
Ebensowenig  wird  es  heute  noch  jemand  Wolf  oder  Lachmann  nachreden, 
dass  Peisistratos  erst  die  Ilias  und  Odyssee  als  Ganzes  geschaffen  habe.  Um- 
gekehrt hat  der  grosse  Historiker  Englands,  Grote,  der  im  2.  Bande  seiner 
Geschichte  Griechenlands  der  homerischen  Poesie  einen  trefflichen  Abschnitt 
gewidmet  hat,^)  allgemeinen  Beifall  mit  der  Bemerkung  gefunden,  dass 
unmöglich  ein  Werk  mit  faktisch  bestehender  Einheit  aus  Atomen  von 
nicht  auf  einander  berechneten  Liedern  entstanden  sein  könne.  Noch  hand- 
greiflicher beweist  die  Sprache,  deren  Entwicklungsstadien  man  seit  Wolf 
viel  schärfer  zu  unterscheiden  gelernt  hat,  dass  alle  Gesänge  Homers  in 
derselben  Sprachperiode  entstanden  sind  und  nicht  um  zwei  Jahrhunderte 
auseinander  liegen  können.  Über  150  Jahre  vor  Peisistratos  war  Ilias  und 
Odyssee  fertig,  die  Redaktoren  Attikas  haben  zu  den  alten  Gedichten  nicht 


^)  Ich  will  damit  nicht  gesagt  haben, 
dass  die  alten  Lieder,  als  sie  durch  jüngere 
Dichtungen  erweitert  wurden,  nicht  kleinere 
Änderungen  am  Anfang  und  Schluss  erlitten 
haben.  Aber  wie  sorgsam  man  das  alte  Gut 
wahrte,  ersieht  man  namentlich  aus  *  227  ff., 
i2  723,  77  23 — 29,  wo  sich,  nachdem  eine  Er- 
weiterung aufgenommen  war,  eine  kleine  Um- 
wandelung  des  alten  Textes  empfohlen  hätte, 
aber  aus  heiliger  Scheu  vor  der  alten  Über- 
lieferung nicht  vorgenommen  wurde. 

'^)  Als  Motto  für  jede  Forschung  auf 
diesem  Gebiet  passt  der  schöne  Ausspruch  des 
geistvollen  Emperius,  Rh.  M.  T,  447:  Homeri 
carminum  quciUs  fuerit  antiquissima  forma, 
quaeritur  et  quaeretur  quousque  ])hilologia 


erit  inter  aequales. 

^)  Das  Verdienst,  die  Einheit  des  Planes 
energisch  vertreten  zu  haben,  gebührt  dem 
Haupte  der  Königsberger,  Lehrs;  aber  da- 
neben nahm  doch  auch  er  oft  den  Namen 
Interpolation  in  den  Mund;  weiter  gingen 
auf  dem  letzteren  Weg  Friedländer  und 
besonders  Kammer,  Einheit  der  Odyssee, 
Leipz.  1873. 

^)  Verschiedene  Arten  solcher  Interpo- 
lationen von  mir  nachgewiesen  in  Proleg 
§§  12-18. 

")  S.  meine  Proleg.  §  19  u.  20. 

6)  Vergl.  Friedländer,  Die  homerische 
Kritik  von  Wolf  bis  Grote,  Berlin  1853. 


32 


Oriechische  Litteraturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 


100  Verse  liinzugethan  oder  weggenommen.    So  oder  noch  ungünstiger  für  die 
Wolf 'sehe  Theorie  lautet  jetzt  das  allgemeine  Urteil  der  Sachverständigen,  i) 

Es  hat  ferner  der  Grundgedanke  Lachmanns,  dass  auch  bei  den 
Griechen  der  Zeit  grosser  Epen  eine  Periode  kleiner  balladenartiger  Hel- 
denlieder vorausgegangen  sei,  und  dass  sich  in  den  ältesten  Bestand- 
teilen der  Ilias  noch  viele  Anklänge,  selbst  Reste  jener  alten  Lieder  finden, 
bei  Freunden  und  Gegnern  Lachmanns  immer  mehr  Boden  gewonnen.  Jeder 
wird  es  Lachmann  und  seinen  Anhängern  Dank  wissen,  dass  sie  die  will- 
kürlichen Schranken  der  späteren  Einteilung  in  24  Bücher  niederrissen  und 
die  alten  Lieder,  wie  sie  Homer  und  die  Homeriden  in  dem  Männersaal 
und  der  Festversammlung  sangen,  wieder  zu  gewinnen  und  abzugrenzen 
suchten.  Das  Verständnis  der  kunstvollen  Komposition  der  alten  Gesänge 
hat  dadurch  wesentlich  gewonnen,  2)  und  es  ist  damit  zugleich  den  ver- 
ständigen unter  unsern  Schulmännern  ein  bedeutsamer  Fingerzeig  für  die 
richtige  Auswahl  bei  der  Homerlektüre  gegeben  worden.  Aber  an  allem, 
was  darüber  hinausgeht,  halten  heutzutage  nur  eingefleischte  Lachmannia- 
ner,  und  selbst  diese  nur  mit  gewissen  Einschränkungen  fest.  Wenn  Homer 
vom  Sänger  Demodokos  ^  499  sagt  (paTvs  S'ccoiSrjv,  svd^ev  ilcov  wg  ot  ^tv 
£vaa&Xfi(i)v  im  vrjwv  ßdvTsg  ccttsttXsiov,  so  hat  er  damit  selbst  ein  Zeugnis 
dafür  abgelegt,  dass  die  Praxis  des  Vortrags  einzelner  Lieder  nicht  die 
Dichtung  mehrerer,  zu  Gliedern  eines  grösseren  Ganzen  bestimmter  Gesänge 
ausschliesst.  Der  3.  Gesang  der  Ilias  vom  Zweikampf  des  Paris  und  Mene- 
laos  ist  zwar  sehr  hübsch  in  sich  abgerundet  und  eignet  sich  vortrefflich 
zum  Einzelvortrag,  aber  derselbe  kündigt  sich  doch  zugleich  als  Vorläufer 
einer  Reihe  grösserer  Kampfesszenen  an,  und  der  4.  Gesang  bildet  dazu 
den  natürlichen  Schluss  (die  oqxicov  avyyvaig  zu  den  oqMo)^  nicht  eine  für 
sich  bestehende  Dichtung.  Und  wollten  wir  auch  das  Proömium  der  Ilias 
als  nachträglichen  Zusatz  preisgeben,  so  ist  doch  der  ganze  erste  Gesang, 
und  selbst  schon  der  erste  Teil  des  ersten  Gesangs  [A  1  —305),  so  breit 
angelegt,  dass  man  ihn  nicht  als  Eingang  einer  kurzgefassten  Erzählung, 
sondern  als  Ankündigung  eines  grossen,  weit  ausgesponnenen  Epos  ansehen 
muss.  Wenn  daher  auch  noch  so  sehr  Einzellieder,  die  für  sich  singbar 
waren,  der  Ilias  zu  gründe  liegen,  so  muss  man  doch  daran  festhalten, 
dass  jene  Einzellieder  zu  einander  vom  Dichter  selbst  in  Beziehung  gesetzt 
und  auf  ein  grosses  gemeinsames  Ziel  gerichtet  waren.  Also  auch  über 
die  Bedeutung  des  Liedes  im  alten  Epos  lässt  sich  eine  Verständigung  finden. 

Auf    der    anderen    Seite    hat    die    Lehre    Hermanns    von    einem    ur- 


^)  Paley,  Homeri  quae  nunc  extant 
an  reliquis  cycli  car^ninibus  antiquiora  iure 
liahita  sint,  London,  lässt  freilich  noch  im 
J.  1878  die  Ilias  in  der  Zeit  des  Antimachos 
und  Piaton  entstanden  sein. 

'^)  So  begreift  man  bei  der  Annahme 
von  Einzelliedern  leicht  den  heitern  Abschluss 
des  Gesangs  vom  Zweikampf  des  Paris  und 
Menelaos  durch  die  ergötzliche  Gardinen- 
scene  zwischen  Paris  und  Helena;  so  ver- 
steht man  es  auch,  wie  der  Gesang  von  den 
Grossthaten  des  Agamemnon  [A  1  —  595)  im 


entscheidenden  Wendepunkt  der  Handlung 
mit  grossartiger  Perspektive  abbricht  und 
der  folgende  Gesang  (M)  mit  Übergehung 
der  wenig  anziehenden  Zwischenfälle  gleich 
mit  einem  neuen  Knotenpunkt  der  Handlung, 
dem  Kampf  um  die  Schiffe,  anhebt.  Die 
Zwischenverse  und  Zwischenscenen  sind  alle 
erst  später  eingelegt  und  ich  hätte  hier  in 
meiner  Ausgabe  weiter  gehen  und  z.  B. 
J  306—317  und  X  385-390  nicht  mit 
grosser  Schrift  drucken  sollen. 


A.  Epos.    Ö.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  23.)  33 

sprünglichen  kleineren  Kern,  der  sich  allmählich  durch  Einschaltungen  zu 
einem  grossen  Epos  entwickelt  habe,  im  Laufe  der  Diskussion  solche  Ge- 
stalt angenommen,  dass  sie  mit  der  Liedertheorie  leicht  in  Einklang  ge- 
bracht werden  kann.  Alle  nämlich,  welche  den  Gedanken  Hermanns  weiter 
verfolgt  und  aus  unserer  Ilias  den  ursprünglichen  Kern  wieder  herauszu- 
schälen versucht  haben,  kamen  auf  eine  ürilias  nicht  von  einigen  Hun- 
derten, sondern  von  vielen  Tausenden  von  Versen.  Ein  so  umfangreiches 
Gedicht  eignete  sich  aber  nicht  mehr  zum  Vortrage  auf  einmal,  sondern 
musste  notwendig  in  mehrere  Teile  oder  Lieder  zerfallen,  so  dass  wir  also 
auch  auf  diesem  Wege  in  den  Anfang  einen  Zyklus  von  mehreren  zusam- 
menhängenden Liedern  setzen  müssen,  wie  wenn  wir  den  Kern  der  Ilias, 
die  Achilleis,  aus  Mrjvig,  ^Agiatsia  'Ayaj.iefivovog,  IlaTQoxXsia,  ^'Extoqoq  avm- 
Qsaig,  und  die  erste  grosse  Einlage,  den  Kampf  um  Ilios,  aus  ^Ayogä,  ''Oq- 
xia,  MevsXäov  xccl  ^AXs'^dvdQOV  i^iovofÄaxicc,  TfixoaxoTiia,  '^Oqximv  avy%vaig^ 
^ETriTTMXrjaic,  JiofjLYjdovg  dgiazsia,  "ExxoQog  xal  'AvSQoaccxrjg  ofiiXia,  Ai'avTog 
xal  ^'ExTOQog  ^ovofjiaxioc  bestehen  lassen. 

23.  Auf  solche  Weise  kann  man  nicht  sagen,  dass  die  homerische 
Frage,  wie  so  manche  andere,  vollständig  im  Sand  verlaufen  sei;  vielmehr 
hat  man  sich  von  verschiedenen  Seiten  die  Hände  gereicht  und  ist  über 
mehrere  Hauptpunkte  zu  einer  gegenseitigen  Verständigung  gekommen. 
Aber  freilich  gehen  innerhalb  dieser  Grenzen,  wenn  es  zur  Entscheidung 
im  einzelnen  kommen  soll,  die  Meinungen  noch  stark  auseinander.  Es  sind 
hauptsächlich  3  Punkte,  in  denen  weniger  infolge  prinzipieller  Meinungs- 
verschiedenheit als  infolge  verschiedener  Beurteilung  des  einzelnen  Falles 
die  Stimmen  der  Forscher  sich  scheiden.  Es  handelt  sich  erstens  um  solche 
Partien,  von  denen  zugegeben  wird,  dass  sie  nicht  von  vornherein  in  dem 
ursprünglichen  Liederzyklus  standen.  Hier  fragt  es  sich,  wer  hat  dieselben 
zugedichtet,  derselbe  Dichter  oder  ein  anderer?  Nichts  nämlich  nötigt  uns 
zur  Annahme,  dass  Homer  die  Gesänge  der  Ilias  und  Odyssee  so  nachein- 
ander dichtete,  wie  sie  jetzt  hintereinander  stehen.  Jeder  moderne  Schrift- 
steller erlaubt  sich,  nachdem  er  den  Plan  seines  Werkes  im  Geiste  ent- 
worfen hat,  je  nach  Stimmung  und  äusserem  Anlass  bald  eine  vordere,  bald 
eine  spätere  Partie  herauszugreifen  und  zur  Ausarbeitung  vorzunehmen. 
Weit  mehr  noch  wird  dieses  der  Dichter  in  jener  Zeit  der  Volkspoesie 
gethan  haben,  wo  ein  grösseres  Epos  nie  als  Ganzes  zum  Vortrag  kam, 
wo  immer  nur  einzelne  Lieder  verlangt  und  gesungen  wurden.  Wenn  nun 
z.  B.  in  der  Patrokleia  JI  366  nur  von  einem  Graben  um  die  Schiffe  der 
Achäer,  nicht  auch  von  einer  Mauer  die  Rede  ist,  die  Gesänge  M  N  S  O 
aber  sich  um  die  Mauer  als  Mittelpunkt  des  ganzen  Kampfes  drehen,  so 
muss  man  daraus  allerdings  schliessen,  dass  die  letztgenannten  Gesänge, 
auch  wenn  sie  vor  der  Patrokleia  stehen,  doch  erst  nach  derselben  gedichtet 
wurden.^)     Aber  konnte   nicht   derselbe   Dichter   mit    der  Zeit   sein  Werk 

^)  Die  Chronologie  der  homerischen  Ge-    j  gelegt   und  an  den  Hauptsätzen   auch  heute 

sänge,    wie    ich   sie    für  die  Ilias  in  meinen    t  noch  unverbrüchlich  festhalte,  so  nehme  ich 

Proleg.  p.  55—78  und  731-  733  festgestellt   1  doch  im  einzelnen  manches  zurück.     So  ver- 

habe,    wird    den    Angelpunkt    der   weiteren    1  binde  ich  jetzt  J  306     611  mit  ß  1 — 52  und 

Untersuchungen   über  die  homerische  Frage  lasse  diese  Fortsetzung  von  J  1 — 305  nicht 

bilden  müssen.     Wenn   ich  dazu  den  Boden    \  unmittelbar    nach    dem     1.    Lied    gedichtet 
Handbuch  der  klass.  Altertumswis.senschaft   VII.    2.  Aufl.  3 


34  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

selbst  erweitern  und  nachträglich  auch  eine  Mauer  in  den  Plan  seiner 
Dichtung  aufnehmen?  Dieselbe  Frage  wiederholt  sich  bezüglich  der  Lykier 
Sarpedon  und  Glaukos,  bezüglich  der  Kämpfe  des  ersten  Schlachttages, 
bezüglich  der  Unterweltsscene  in  der  Odyssee,  bezüglich  der  Telemachie 
und  vieler  anderer  Partien.  Mit  allgemeinen  Prinzipien  ist  aber  da  nicht 
viel  anzufangen,  sondern  es  wird  die  Entscheidung  der  Frage,  ob  die  be- 
treffende Partie  vom  Originaldichter  selbst  oder  von  einem  fremden  Nach- 
dichter herrühre,  immer  von  einer  sorgfältigen  Untersuchung  des  einzelnen 
Falles  abhängen.  So  füllt  z.  B.  die  Episode  vom  Zusammentreffen  des 
Diomedes  und  Glaukos,  Z  119 — 236,  vortrefflich  die  Zeit  zwischen  dem 
Weggehen  des  Hektor  (Z  116)  und  seiner  Ankunft  am  skäischen  Thore 
(Z  237)  aus,  und  da  dieselbe  gar  nichts  enthält,  was  gegen  die  Sprache 
und  den  Mythus  der  alten  Partien  der  Ilias  Verstösse,  so  nehme  ich  trotz 
der  zweifelweckenden  Bemerkung  des  Scholiasten  A  iisTaxtihi-aaC  riveg  aX- 
Xa^öas  ramrjv  tyjV  avaraaiv,  unbedenklich  an,  dass  Homer  selbst  diese 
Episode  später  eingelegt  habe,  um  den  Lykierfürsten  Glaukos,  dem  er  im 
2.  Teil  seines  Epos  eine  so  grosse  Rolle  zuwies,  doch  auch  einmal  in  den 
Kämpfen  des  ersten  Schlachttages  auftreten  zu  lassen.  Die  gleiche  Ent- 
schuldigung kann  ich  aber  für  die  ähnliche  Episode  vom  Kampfe  des  Sar- 
pedon und  Tlepolemos,  £^628—698,  nicht  gelten  lassen,  und  zwar  aus  drei 
Gründen  nicht,  einmal  weil  der  Gang  der  Erzählung  keine  gleich  passende 
Zwischenzeit  lässt,  dann  weil  die  dorische  Sage  von  dem  Herakliden  Tle- 
polemos dem  ionischen  Sänger  fremd  war,  und  endlich  weil  von  der  in  dieser 
Episode  geschilderten  schweren  Verwundung  des  Sarpedon  im  folgenden 
{M  101  ff.)  gar  keine  Notiz  genommen  ist.  Auch  bin  ich  nicht  so  peinlich, 
von  kleinen  sprachlichen  Unebenheiten,  die  sich  durch  Erweiterung  der  alten 
Gesänge  ergaben,  allzu  viel  Aufhebens  zu  machen;  aber  schwerlich  würde 
der  Dichter  der  Presbeia,  wenn  er  selbst  den  beiden  Abgesandten  der 
Achäer,  Odysseus  und  Aias,  als  dritten  den  greisen  Phönix  beigegeben  hätte, 
es  unterlassen  haben,  die  Duale  ßccTrjv,  sixo^xtva^  sctöv  (/182.  183.  192.  198) 
der  alten  Erzählung  zu  tilgen.^) 

Ein  zweiter  Streitpunkt  dreht  sich  um  die  Widersprüche  innerhalb 
der  beiden  grossen  Dichtungen.  Viele  derselben,  welche  schon  die  alten 
Grammatiker  beschäftigten,  sind  unbestreitbar;  aber  wie  gross  ist  die  Trag- 
weite derselben?  muss  man  immer  zum  Aussersten,  zur  Annahme  ver- 
schiedener Verfasser  schreiten?  Ich  bin  nicht  so  leicht  geneigt,  zu  dem 
horazischen  quandoque  honus  dormitat  Homerus  meine  Zuflucht  zu  nehmen;'^) 
aber  doch  glaube  ich,  dass,  wenn  Diomedes  im  5.  Gesang  verwegen  auf 
die  Aphrodite  eindringt,  im  6.  dagegen  in  heiliger  Scheu  sagt  ovo'  av  syo) 
fxaxciQtaai   deolo^    iO^tloi^i   /näx^c^ca  [Z  141),    dieses    nicht   zur  Annahme 


sein.  Ferner  gebe  icli  die  Wahrscheinlich- 
keit zu,  dass  U  8 — 312  unmittelbar  nach 
Z5-  Hl  und  dass  M -0  vor  2-243-335, 
Tl  — 139.  357-424,  Y 375-* 227  gedichtet 
seien.  Auch  mag  Fick  Recht  haben,  wenn 
er,  woran  ich  ja  auch  selber  schon  dachte, 
Hektors  Tod  oder  den  Kern  von  *526 — X  394 
zum   Bestände  der  ältesten  Achilleis  rechnet, 


an  dem  dann  später  Homer  selbst  die  nötigen 
Umgestaltungen,  nicht  Flickereien,  vornahm. 

^)  Vergleiche  meine  Proleg.  p,  29  und 
Note  zu  J  168. 

2)  Gute  Gedanken  entwickelt  bezüglich 
der  Widersprüche  Frey,  Zur  Poetik  Homers, 
Bern.  Progr.  1881  S.  23  ff.;  doch  geht  er 
mir  in  der  Nachsicht  zu  weit. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  23.) 


35 


verschiedener  Dichter  nötigt,  sondern  an  der  Verschiedenheit  der  Situation 
und  dem  Vorkommen  in  verschiedenen,  nicht  notwendig  hintereinander  zu 
singenden  Gesängen  seine  ausreichende  Entschuldigung  hat.  Und  selbst 
wenn  in  dem  1.  Teile  des  1.  Gesangs  die  Athene  von  dem  Olymp  zum 
Lager  der  Achäer  herabsteigt  (A  195),  im  2.  Teile  hingegen  {Ä  424)  mit 
allen  Olympiern  tagszuvor  zu  den  Äthiopiern  abgereist  ist,  so  durfte,  denke 
ich,  sich  der  Dichter  auch  dieses  in  der  Voraussetzung  erlauben,  dass  seine 
andachtsvoll  lauschenden  Zuhörer  den  Widerspruch  nicht  merken,  und 
wenn  sie  ihn  merkten,  keinen  Anstoss  an  demselben  nehmen  würden.  Aber 
wenn  Pylaimenes,  nicht  ein  gemeiner  Soldat,  sondern  ein  König  der  Paph- 
lagonier  im  5.  Gesang  (E  576)  im  Kampfe  mit  Menelaos  fällt,  im  13.  hin- 
gegen {N  656)  die  Leiche  seines  Sohnes  begleitet,  so  erregt  dieses  schon 
schwerer  zu  beseitigende  Zweifel  an  der  Einheit  der  Verfasser.  Doch  ist 
auch  hier  noch  zuversichtliches  Absprechen  wenig  am  Platz,  da  auch  bei 
anderen  Dichtern  ähnliche  üngenauigkeiten  vorkommen  und  z.  B.  selbst 
der  sorgsame  Ariosto  im  Orlando  furioso  18,  45  den  Balustrio  fallen,  40,  73 
aber  und  41,  6  wieder  unter  den  Lebenden  weilen  lässt.  i)  Aber  wenn  selbst 
auch  in  diesem  Punkte  noch  das  operi  longo  fas  est  obrepere  somnuni  seine 
Geltung  hat,  so  darf  doch  unter  keinen  Umständen  der  Widerspruch  auf  die 
leichte  Achsel  genommen  werden,  wenn  er  auf  einem  Missverständnis  der 
Situation  oder  des  sprachlichen  Ausdrucks  beruht.  Ein  solcher  liegt  in  dem 
Gesang  von  der  Mdxrj  naganoxäiiiog  (cP)  vor,  wo  sich  der  ältere  Dichter 
den  Achill  von  der  rechten,  der  Fortsetzer  von  der  linken  Seite  des  Ska- 
mander  kommend  (cP  245)  dachte,  und  noch  offenkundiger  im  Eingang  des 
12.  Gesanges  der  Odyssee,  wo  wir  plötzlich  vom  westlichen  Meer  in  das 
östliche  versetzt  werden.  2) 

Einen  dritten  Streitpunkt  bildet  die  Frage  nach  dem  Umfang  der 
Thätigkeit  des  Zusammenordners  oder  Diaskeuasten.  Derselbe  spielt  nament- 
lich bei  Bergk,  aber  auch  bei  Kirchhoff,  Fick  und  Wilamowitz^)  eine  sehr 
grosse  Rolle,  indem  diese  Gelehrten  von  der  Voraussetzung  ausgehen,  dass 
die  alten  Bestandteile  der  Ilias  und  Odyssee  eine  ganz  selbständige  Stellung 
zu  einander  behaupteten  und  dass  erst  in  viel  jüngerer  Zeit  ein  Diaskeuast 
durch  Schneiden,  Zudichten,  Umdichten  die  uns  vorliegende  Einheit  zu  stände 
brachte.    Einen  entgegengesetzten  Standpunkt  vertritt  Bened.  Niese,  indem 


^)  Darauf  machte  mich  M.  Bernays 
aufmerksam.  Noch  ärger  steht  die  Sache, 
wie  mich  Max  Koch  lehrte,  bei  dem  Eng- 
länder Thakeray,  der  sich  in  dem  Roman 
New  comes  am  Schlüsse  selbst  entschul- 
digt, dass  er  die  Mutter  des  Bräutigams 
Mlled  at  one  x>age  and  braught  to  life  at 
an  other. 

'^)  Zu  den  Stellen,  in  denen  vom  Nach- 
dichter ein  sprachlicher  Ausdruck  seines 
Vorgängers  missverstanden  wurde,  gehört 
vor  allem  I  234  gegenüber  3/125;  ob  das 
gleiche  auch  bezüglich  0  196  gegenüber  ß  190 
Oll  ae  £0LX6  xay.dv  wg  tfeidioGEOr^at  anzuneh- 
men sei,  ist  eine  wichtige  aber  schwer  zu 
entscheidende  Frage.    Die  Wiederholung  for- 


melhafter Ausdrücke  führte  zu  Missverständ- 
nissen cc  424  cf»;  TOTE  xaxy.eiovTsg  sßai'  oixov^e 
exaarog  (sc.  ^vrjGjijQS?  und  ähnlich  a  428), 
da  die  Freier  aus  Dulichion,  Same,  Zakyn- 
thos  doch  nicht  zum  Schlafen  in  ihr  Haus 
gehen  konnten;  s.  Mähly,  Bay.  Gymn.  Bl. 
25  (1889),  266. 

^)  Bergk,  Griech.  Litt,  an  zahlreichen 
Stellen;  Kirchhoff  in  Ausg.  der  Odyssee,  und 
in  Abhängigkeit  von  diesem  P^'ick  in  Ausg. 
der  Odyssee  und  Ilias,  wo  die  ganze  Auf- 
fassung vom  Ursprung  der  homerischen  Dich- 
tungen in  jenem  Diaskeuasten  ihren  Angel- 
punkt hat;  WiLAMOWiTz,  Hom.  Unters.,  be- 
sonders S.  228. 


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Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


er  die  Erweiterer  und  Fortsetzer  immer  selbst  die  Verbindung  mit  den 
älteren  Gesängen  herstellen  lässt,  so  dass  für  den  Zusammenordner  weniges 
mehr  zu  thun  übrig  blieb.  Ich  neige  mich  entschieden  auf  die  letztere 
Seite,')  muss  aber  doch  zugeben,  dass  der  Gedanke  Kirchhoffs,  der  alte 
Nostos  sei  ursprünglich  in  der  3.  Person  geschrieben  gewesen  und  erst 
später  in  die  1.  umgesetzt  worden, 2)  etwas  bestechendes  hat,  und  dass  vor- 
erst noch  keine  Sicherheit  darüber  erzielt  worden  ist,  ob  in  der  Odyssee 
die  Gesänge  «  und  0  von  dem  Dichter  der  Telemachie  selbst  herrühren, 
oder  ob  a  88—444  und  0  1 — 300  erst  von  einem  Diaskeuasten,  der  die 
Telemachie  mit  der  alten  Odyssee  zu  einem  Ganzen  verband,  zum  behufe 
des  besseren  Zusammenschlusses  zugefügt  wurden. •'^) 

24.  Vorstehende  Grundanschauungen  haben  sich  als  Resultat  aus  der 
geschäftigen  Diskussion  der  homerischen  Frage  herausgestellt.  Viele  For- 
scher, wie  z.  B.  Cobet,  bleiben  bei  diesen  allgemeinen  Sätzen  stehen  und 
halten  die  Versuche,  die  ursprünglichen  Bestandteile  der  homerischen  Dich- 
tungen herauszufinden,  für  eine  Danaidenarbeit,  von  der  sich  ein  besonnener, 
der  Grenzen  seiner  Kunst  bewusster  Kritiker  fernhalten  solle. ^)  Andere 
hingegen  gehen  von  der  Überzeugung  aus,  dass  der  Prüfstein  für  die  Rich- 
tigkeit der  allgemeinen  Sätze  in  ihrer  Durchführbarkeit  im  einzelnen  zu 
suchen  sei,  und  wagen  daher  eine  Zerlegung  der  Gedichte  in  ihre  Elemente, 
eine  Rekonstruktion  der  alten  Ilias  und  Odyssee  und  eine  Scheidung  der 
verschiedenen,  der  älteren  und  jüngeren  Zusätze.  Ausgeführt  ist  dieses 
Wagnis  in  der  Art,  dass  auch  durch  den  Druck  die  verschiedenen  Bestand- 
teile bemerkbar  gemacht  sind,  von  Kirchhoff  in  seiner  Homerischen 
Odyssee   (2.  Aufl.  1879)^)    und    von   mir    in    der  Ausgabe  Ilonieri  Iliadis 


^)  Dabei  nehme  ich  aber  doch  auch  ein- 
zelne Zusätze  von  der  Hand  der  späteren  Re- 
daktoren an.  Auch  mögen  später  einzelne  Par- 
tien versetzt  worden  sein;  so  zweifle  ich 
nicht,  dass  die  Proömien  0  1—27  und  a  1 
bis  87  in  der  Hauptsache  altes  Gut  sind, 
aber  erst  von  den  jüngeren  Erweiterern  an 
ihre  heutige  Stelle  gesetzt  wurden. 

2)  Kirchhoff  im  2.  Exkurs,  hauptsäch- 
lich gestützt  auf  ^  374 — 390.  Ist  es  aber 
nicht  denkbar,  dass  der  Dichter  unwillkürlich 
in  den  ihm  geläufigen  Ton  des  Erzählens  in 
8.  Person  hineingeriet  und  damit  auch  Dinge 
den  Odysseus  erzählen  liess,  die  zu  wissen 
nur  dem  d-tanig  uoiö'og  zukam?  Mähly  in 
der  Rezension  der  ersten  Auflage  dieses 
Werkes  in  Bay.  Gymn.  Bl.  25  (1889),  267  f. 
weist  dieses  höhere  Wissen  des  Dichters 
durch  weitere  Beispiele  nach,  indem  er  zu- 
gleich die  jenes  unmittelbare  Wissen  be- 
schränkenden oder  dem  Nichtgläubigen  er- 
klärenden Verse  /n  389  f.  als  Interpolation 
verdächtigt. 

^)  Die  Entscheidung  wird  schliesslich 
von  sprachlichen,  metrischen  und  stilistischen 
Erwägungen  abhängen,  und  die  scheinen 
mir  vorerst  der  Ansicht  von  Kirchhoff,  dem 
Jiier  Hennings,  Über  die  Telemachie,  Jahrb. 


für  Phil.   Suppl.   III,    135  ff.   vorangegangen 
ist,  nicht  günstig  zu  sein. 

^)  CoBET,  Miscell.  crit.  p.  402:  quo  sae- 
pius  carmina  lonica,  quae  Hörnen  nomine 
feruntur,  relego  et  dilig enter  omnia  con- 
sidero,  eo  magis  magisque  mihi  conßrmatur 
senientia  eo7'ui7i,  qui  haec  non  unius  aoidov 
carmina  esse  arbitrantiir,  sed  a  compluribu.^ 
cantoribus  neque  aetatis  eiusdem  neque 
patriae  sk  rrjy  avrijy  imoii^eGLv  olim  com- 
posita  et  cantata  fuisse,  deinde  in  unum 
collecta  et  ordine  disposita,  ut  eig  eV  atofxä- 
Tiov  coalescerent  .  .  .  plura  non  addo,  quia 
talia  omnia  sentiri  possunt,  sed  demonstrari 
non  possimt,  et  nolo  videri  ultra  Lycurgi 
aetatem  indagando  j)rocedere  i''elle.  Ahnlich 
ist  der  Standpunkt,  den  Mähly,  Bay.  Gymn. 
25  (1889),  263  einnimmt. 

^)  Vielfach  weicht  von  Kirchhoff  die 
neuere  Rekonstruktion  von  Wilamowitz, 
Homer.  Unters,  ab,  namentlich  in  der  An- 
nahme, dass  von  den  3  Epen,  die  dem  Konta- 
minator  vorgelegen  haben  sollen,  das  dritte, 
vom  Sieg  des  Odysseus  über  die  Freier, 
jünger  als  die  Telemachie  gewesen  sei.  Den 
Boden  unter  den  Füssen  verliert  bei  dem 
Mangel  exakter  Beweisführung  Seeck,  Die 
Quellen  der  Odyssee,    Berl.  1887,  indem  er 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  24—25.) 


37 


carmina,  Lips.  1884.^)  Auf  das  ähnliche  Unternehmen  Ficks  werde  ich, 
da  er  von  einem  ganz  speziellen,  erst  später  zu  besprechenden  sprachlichen 
Gesichtspunkt  ausgeht,  weiter  unten  zurückkommen.  Ausserdem  ist  aber 
die  Stellung  einzelner  Gesänge  und  Gesangspartien  in  zahlreichen  Abhand- 
lungen diskutiert  worden;  die  Hauptgedanken  derselben  sind  durch  die 
sorgfältigen  Referate  in  dem  Anhang  von  Hentze's  Ausgabe  auch  dem 
Fernerstehenden  jetzt  leicht  zugänglich  gemacht. 2) 

25.  Suchen  wir  schliesslich  unsere  Gesamtauffassung  in  ihren  Kern- 
punkten darzulegen,  so  stellen  wir  folgende,  hoffentlich  mit  der  Zeit  zur 
allgemeinen  Geltung  kommende  Sätze  auf: 

1)  Ilias  und  Odyssee  beruhen  auf  nationalen,  bereits  von  älteren  äoli- 
schen  Sängern  poetisch  gestalteten  Sagen,  die  durch  die  Kämpfe  der  Hellenen 
in  Asien  mit  den  ehemaligen  Herren  des  Landes  und  durch  die  kühnen 
Wagnisse  der  Äolier  und  lonier  zur  See  ihre  Hauptnahrung  empfangen 
hatten.^)  Durch  die  Sage  und  die  älteren  Sänger  waren  dem  neuen  Dichter 
Homer  die  Gestalten  der  Haupthelden,  des  Agamemnon,  Achill,  Aias,  Nestor, 
Odysseus,  bereits  vorgezeichnet. 

2)  An  den  neuen  grossen  Schöpfungen  der  Ilias  und  Odyssee  haben 
sicher  mehrere  Dichter  gewoben,  aber  der  Gedanke,  den  Streit  zwischen 
Achill  und  Agamemnon  in  seinem  ganzen  Verlauf  zum  Mittelpunkt  der 
Dichtung  zu  machen,  ist  sicher  nur  in  dem  Kopfe  eines  einzigen  reich- 
begabten Sängers  entstanden,  ebenso  wie  der  Plan,  den  Odysseus  in  dem 
Phäakenland  seine  früheren  Irrfahrten  erzählen,  und  dann  nach  seiner  Heim- 
kehr die  übermütigen  Freier  seiner  treuen  Gattin  erschlagen  zu  lassen,  nur 
von  einem  Manne  ausgegangen  ist. 

3)  Die  Odyssee  ist  eine  jüngere  Schöpfung  als  die  Ilias,  erst  ent- 
standen, als  die  Ilias  weit  über  ihre  ersten  Lineamente  hinausgewachsen 
war.  Das  beweisen  zur  Gewissheit  die  Nachahmungen.^)  Zur  Annahme, 
dass  beide  Epen  denselben  Dichter  zum  Verfasser  haben,  reichen  die  Tra- 
dition und  die  allgemeine  Übereinstimmung  in  Sprache  und  Kunst  nicht 
aus;  ihnen  stehen  der  Unterschied  im  Charakter  und  der  Zeit  mit  aus- 
schlaggebendem Gewichte  entgegen. 

4)  Der  Dichter  der  Ilias  hat  seinen  ursprünglichen  Plan  im  Laufe  der 
Arbeit  selbst  erweitert;  namentlich  hat  er  nachträglich  neue  Völkerschaften, 
wie  insbesondere  die  südlichen   Lykier   mit   ihren   Führern    Sarpedon    und 


die  Quelienforschiing  der  Historiker  auch 
auf  die  Dichtung  der  Odyssee  zu  übertragen 
wagt. 

^)  Lineamente  zur  Scheidung  zog  schon 
zuvor  Naber,  Qiiaestiones  Homericae,  Amstel. 
1877;  ein  neuer  Versuch  ohne  strenge  Be- 
weisführung von  E.  H.  Meyer,  Indogerm. 
Mythen,  2.  Bd.  Achilleis,  Berlin  1887.  Be- 
achtenswerteres bietet  K,  Brandt,  Zur  Ge- 
schichte und  Komposition  der  Ilias,  Jahrb. 
f.  Phil.  1885/89. 

'^)  Statt  die  Litteratur  im  einzelnen  an- 
zugeben, begnüge  ich  mich  auf  Hentze  zu 
verweisen. 


^)  Mythologische  Niederschläge  in  der 
troischen  Sage  sucht  im  Übermass  Osk. 
Meyer,  Quaestiones  Homericae,  Bonn  1846, 
und  E.  H,  Meyer,  Indogerm.  Mythen  Bd!  II. 
Zu  weit  in  der  Annahme  ethischer  Ideen  in 
der  Achill-  und  Odysseussage  geht  Carriere, 
Die  Kunst  im  Zusammenhang  der  Kulturent- 
wicklung II,  49  ff.  Über  die  Odysseussage 
siehe  Müllenhoff,  Deutsche  Altertumskunde 
I,  30-58. 

'*)  SiTTL,  Die  Wiederholungen  in  der 
Odyssee,  München  1882;  Gemoll,  Hermes 
18,  34  —  96;  Christ,  Homer  oder  Homeriden 
57  ff. 


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Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Glaukos  hereingezogen  und  der  Erzählung  von  den  Niederlagen  der  Achäer 
{M — P)  in  der  Zufügung  eines  neuen  für  die  Achäer  siegreich  verlaufenden 
Schlachttages  {B — H)  ein  grossartiges  Gegengewicht  gegeben.  Dadurch 
ist  die  Einheit  und  Durchsichtigkeit  des  ursprünglichen  Planes  gestört 
worden,  indem  die  Zusage  des  Zeus,  den  Achill  zu  rächen,  6  Gesänge  hin- 
durch ganz  vergessen  zu  sein  scheint  und  auf  den  Nachmittag  des  dritten 
Schlachttages  (^  83 — JI  777)  zu  viele  Ereignisse  sich  zusammendrängen. 
Diese  Störungen  kümmerten  aber  wenig  den  Dichter,  da  ja  derselbe  doch 
immer  nur  einzelne  Gesänge  vorzutragen  in  die  Lage  kam.  Dadurch,  dass 
in  den  Gesängen  B — H  die  Fortdauer  des  Grolls  des  Achill  vorausgesetzt 
wird,  ist  der  Gedanke  an  ein  selbständiges  Epos  vom  ohog  Javacov  r^J' 
'iXiov  [d-  578)  ausgeschlossen.  Denn  wenn  dieser  Teil  der  Ilias  auch  einen 
noch  so  altertümlichen,  an  den  Einzelgesang  sich  anschmiegenden  Cha- 
rakter hat,  so  kann  es  doch  nicht  Zufall  sein,  dass  Achill  an  den  schweren 
und  vielen  Kämpfen  des  Tages  absolut  keinen  Anteil  nimmt. 

5)  Hinzugekommen  sind  zu  der  von  Homer  selbst  erweiterten  Ilias 
nicht  bloss  viele  kleinere,  teils  den  Übergang  vermittelnde,  teils  die  Sagen- 
varianten der  kyklischen  Epen  berücksichtigende  Interpolationen, ^  sondern 
auch  ganze  Gesänge,  wie  die  kurze  Schlacht  {xoXog  i^äx^  &),  die  Gesandt- 
schaft [nQsaßsia  /),  die  Doloneia  (Ä'),  die  Waffenschmiedung  {2  369  ff.),  die 
Leichenspiele  (^  257  ff.),  der  Schiffkatalog  {B  484  ff.).  Zur  Einlage  sol- 
cher neuen  Lieder  lud  der  episoden-  oder  zyklusartige  Charakter  des  ganzen 
Werkes  ein,  das  einem  aus  einzelnen  Perlen  zusammengesetzten  Halsbande 
glich,  welches  leicht  noch  einige  neue  Perlen  zwischen  den  alten  aufnahm. 
Die  Zudichtungen  rühren  nicht  von  einem  Nachdichter,  sondern  von  mehreren 
Genossen  der  homerischen  Sängerzunft  her.  Darauf  weist  die  grosse  Ver- 
schiedenheit des  Tones  derselben  hin;  denn  himmelweit  z.  B.  ist  die  trockene 
Aufzählung  des  Schiffkataloges  von  der  künstlerischen  Meisterschaft  der 
Schildbeschreibung  verschieden. 

6)  Die  Odyssee  war  von  vornherein  in  sich  geschlossener  angelegt 
und  erfuhr  daher  weniger  Ein-  und  Zudichtungen;  doch  fehlen  dieselben 
auch  hier  nicht.  Insbesondere  scheint  die  Telemachie  von  fremder  Hand 
herzurühren; 2)  denn  sie  ist  nicht  bloss  ärmer  an  poetischen  Schönheiten, 
sondern  ist  auch  zu  schlecht  in  das  alte  Gedicht  von  der  Heimkehr  des 
Odysseus  eingefügt.  Ausserdem  haben  spätere  Dichter  dem  alten  Nostos 
einen  jüngeren  angehängt,  alte  Motive,  wie  das  vom  Wurf  nach  Odysseus, 
in  neuen  Variationen  wiederholt,  der  älteren  Nekyia  eine  zweite  im  letzten 
Gesang  (o;  1 — 202)  nachgedichtet.  Dazu  kamen  endlich  Spätlinge,  welche 
alte  Schilderungen,  wie  die  der  Gärten  des  Alkinoos  (t;- 103 — 131),  erweiter- 
ten, in  die  Irrfahrten  des  Odysseus  Reminiszenzen  aus  der  Argonautensage 
(/i  3 — 4.  61 — 72)  und  in  den  Freiermord  Visionen  des  Sehers  Theoklymenos 
(o  256-86,  508—49,  q  151—67,  v  347—85)  einlegten. 

7)  In  Sprache  und  Versbau   stimmen   ebenso  wie   im   Mythus^)  Ilias 


')  Darüber  meine  Prolegomena  p.  16  ff. 

2)  Hennings,  Über  die  Telemachie,  in 
Jahrb.  f.  Ph.  Suppl.  III,  135-  232;  dagegen 
Kammee.  Die  Einheit  der  Odyssee  143  ff. 

^)  So   ist   Herakles    durchweg    gedacht 


^lä  ysysfj  tcop  Tqwlxujv  nQoyeveajSQog  (s.  0 
638,  (p  21)  und  findet  sich  nicht  bloss  von 
den  Söhnen  des  Priamos,  sondern  auch  von 
denen  des  Laomedon  und  Antenor  überall  die 
gleiche  Anschauung. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  26.)  39 

und  Odyssee  und  die  einzelnen  Teile  beider  Dichtungen  wesentlich  überein; 
namentlich  behauptet  in  beiden  Dichtungen  das  Digamma,  welches  früh- 
zeitig bei  den  loniern  zu  schwinden  begann,  noch  seine  Kraft,  und  stehen 
die  ehedem  durch  s  vj  getrennten  Vokale,  wie  in  8(o  JlrjX&og  reXsofisv,  unkon- 
trahiert  nebeneinander.^)  Doch  sind  daneben  kleine  Unterschiede  nicht  zu 
verkennen;  so  findet  sich  von  oivog  das  Digamma  in  der  Odyssee  und  in 
den  jüngeren  Gesängen  der  Ilias  öfters  vernachlässigt,  2)  und  hat  die  Cae- 
sura  hephthemimeres  ohne  einen  Einschnitt  im  3.  Fuss  geringere  Verbrei- 
tung in  der  Odyssee  als  in  der  Ilias.  ^) 

26.  Die  dichterische  Kunst  des  Homer*)  verlangt  ihre  Betrach- 
tung für  sich,  sie  hängt  aber  auch  mit  der  eben  behandelten  homerischen 
Frage  zusammen.  Genies  wie  Homer,  hat  man  gesagt,  sieht  die  Welt  alle 
tausend  Jahre  einmal,  und  das  kleine  lonien  soll  auf  einmal  ein  Dutzend 
solcher  Genies  hervorgebracht  haben?  Worin  besteht  denn  aber,  von  der 
Sprache  vorerst  abgesehen,  das  Genie  und  die  Kunst  Homers?  Vor  allem 
in  dem  genialen  Gedanken,  uns  mitten  in  die  Sache  zu  versetzen  und  um 
eine  Handlung  voll  spannender  Kraft  alle  Erzählungen  zu  gruppieren.  Die- 
ser grosse  Wurf  ist  nach  unserer  Darlegung  nur  einmal  mit  voller  Origi- 
nalität gemacht  worden;  schon  die  Komposition  der  Odyssee  verrät  in 
diesem  Punkt,  wie  oben  angedeutet,  eine  bewusste,  wenn  auch  in  selb- 
ständiger Weise  durchgeführte  Nachahmung  der  Ilias.  In  zweiter  Linie 
steht  unter  den  Schönheiten  Homers  die  jugendliche  Kraft  und  erfinderische 
Klugheit  der  Helden,  die  heitere,  menschlich  fassbare  Vorstellung  vom 
Walten  der  Götter,  der  Adel  und  die  Tiefe  der  Empfindungen  in  ihrer 
ganzen  Skala  vom  zarten  Liebestraum  der  Königstochter  bis  zum  rührenden 
Abschied  der  Gattin,  von  der  zornigen  Aufwallung  ob  erlittener  Schmach 
bis  zum  wehmutsvollen  Mitleid  mit  dem  greisen  Vater  des  erschlagenen 
Feindes.  Das  sind  die  Saiten,  die  an  jedes  fühlende  Herz  anschlagen,  das 
sind  die  Schwungfedern,  die  heute  noch  bei  der  Lektüre  Homers  unsere 
Seele  über  die  gemeine  Wirklichkeit  erheben.  Aber  diese  Vorzüge  sind 
nicht  speziell  dem  Homer  eigen;  sie  gehören  dem  hellenischen  Volke  in 
jener  Zeit  jugendfrischer  Entfaltung  an.  Homer  bewährt  sich  hierin  als 
echter  Volksdichter,  der  aus  dem  Herzen  und  in  dem  Sinne  seines  Volkes 
spricht  und  in  seinen  Dichtungen  gleichsam  seine  Zeit  und  die  Art  seines 
Volkes  widerspiegelt.  Das  thut  der  Bedeutung  und  dem  Zauber  seiner 
Poesie  keinen  Abbruch,  lässt  uns  aber  einen  Hauptvorzug  derselben  auf 
Rechnung  nicht  seiner  Person,  sondern  seines  Volkes  und  seiner  Zeit  setzen. 
Auch  der  melodische  Fluss  dei-  Verse  und  die  biegsame  Schönheit  der 
Sprache  darf  nicht  als  spezielles  Eigentum  eines  einzigen  Dichters  ange- 
sehen werden.    Diese  herrlichen  Mittel  der  Darstellung  waren  durch  lange 


^)  Das  Nähere  lehren  insbesondere  Knös, 
De  digammo  Homerico,  Ups.  1872,  und 
Menrad,  De  contractionis  et  symzeseos  usu 
Homer ico,  Monachii  1886.  So  gebraucht 
Homer  noch  nicht  das  später  und  schon  bei 
Hesiod  oft  vorkommende  loyog,  sagt  durch- 
weg ficiQTVQog,  nicht  wie  die  Späteren  /uctQ- 
rvQ,  wendet  Tiqocpvyelv  im  Sinne  von  vtiex- 


q)vy€iy  an. 

'^)  Belege  geben  die  Proleg.  meiner  Tlias- 
ausgabe  p.  163.  Über  das  allmähliche  Über- 
handnehmen der  Kontraktion  in  den  jüngeren 
Partien  der  Odyssee  siehe  mein  Buch,  Homer 
u.  Homeriden  S.  60. 

3)  Lehrs,  Aristarch.2  p.  394—419. 

^)  Bergk,  Gr.  Litt.  1,  780-873. 


40  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Übung  und  durch  das  Zusammenwirken  vieler  Dichter  gereift  worden;  sie 
anzuwenden  stand  allen  offen,  und  die  Kunst  leichter  Versifikation  wird 
damals  ebenso  verbreitet  gewesen  sein,  wie  heutzutage  das  Vermögen,  eine 
gute  Prosa  zu  schreiben. 

Es  bleiben  noch  als  Vorzüge,  welche  wir  speziell  dem  Dichtergenie 
Homers  zuschreiben,  die  ruhige  Objektivität  der  Erzählung,  die  des  Dich- 
ters Person  ganz  in  den  Hintergrund  drängt  und  nur  die  Sage  reden  lässt, 
die  klare  Anschaulichkeit  {svaQyeia)  der  Schilderung,  i)  durch  die  wir  alles 
mit  eigenen  Augen  zu  schauen  und  das  Erzählte  mitzuerleben  vermeinen, 
der  dem  beflügelten  Charakter  der  Sprache  entsprechende  Fluss  der  Er- 
zählung, der  alles  im  Werden  und  Fortschreiten  erfasst  und  auch  die  Bilder 
auf  dem  Schilde  des  Achill  vor  unseren  Augen  entstehen  lässt,  nicht  als 
bereits  fertig  beschreibt,  die  Fülle  und  Schönheit  der  Bilder  und  Vergleiche, 
die  einschmeichelnde  Wahrheit  der  erdichteten  Mären,  die  Kunst  der  dem 
Charakter  der  Sprechenden  angepassten  Rede,  die  Ebenmässigkeit  und  das 
schickliche  Mass  in  allem.  Das  sind  allerdings  individuelle  Vorzüge,  die 
aus  dem  allgemeinen  Wesen  der  Volkspoesie  nicht  abgeleitet  werden  kön- 
nen. Denn  die  Volksepen  anderer  Völker,  selbst  unsere  Nibelungen  und 
der  Mahabharata  der  Inder  halten  darin  keinen  Vergleich  mit  Homer  aus. 
Aber  nach  dieser  Seite  zeigt  sich  auch  ein  erheblicher  Unterschied  zwischen 
Ilias  und  Odyssee,  indem  die  Ilias  wohl  die  grössere  Zahl  ausgeführter 
Gleichnisse'^)  und  den  Glanz  heldenmässiger  Schlachtenbilder  voraus  hat, 
der  Dichter  der  Odyssee  aber  in  Erfindung  wundervoller  Mären  und  in 
gemütvoller  Erfassung  des  Menschen-  und  Tierlebens  überlegen  ist.  Wohl 
entlockt  auch  in  der  Ilias  uns  Thränen  der  Rührung  die  herrliche  Scene, 
wo  Hektor  beim  Abschied  von  Andromache  den  kleinen  Astyanax,  der  sich 
vor  dem  Helmbusch  und  der  ehernen  Rüstung  des  Vaters  fürchtet,  nach 
Herabnahme  des  Helmes  herzt  und  küsst,  {Z  466  —  496),  aber  noch  einen 
tieferen  Blick  in  das  Seelenleben  selbst  der  Tiere  lässt  uns  der  17.  Ge- 
sang der  Odyssee  an  jener  Stelle  (290—327)  thun,  wo  dem  Odysseus 
beim  Eintritt  in  das  Heimathaus  sein  Hund  Argos,  der  dem  Verenden  nahe 
auf  dem  Misthaufen  liegt,  allein,  vor  Frau  und  Dienern,  wiedererkennt  und 
sterbend  mit  dem  Schweife  wedelt,  sein  Herr  aber  sich  die  Thräne  der 
Rührung   abwischt.^)     Aber    auch    zwischen    dem    alten   Kern    der   beiden 


^)  Sehr  hübsch  hat  mehrere  dieser  Vor- 
züge Aristot.  Poet.  24  verzeichnet:  '^'O^rjQog 
cc'k'Aa  TS  TioXXd  ä'^Log  inaivelod^ai  xccl  d^  xal 
oTL  fyiopog  Tiov  noirjXMv  ovy.  äyposT  o  det 
TioieTv  civröp  •  avxöv  yaq  &et  rov  noirjjrjv 
iAä/LOTcc  XhyEiv  •  ov^  yi'nQ  ioxi  xard  xavra 
fxi/urjxijg  '  ol  ^ev  ovv  cllXot  avxol  fiey  Jt' 
öXov  dyixiVL^ovxca,  fiifzovpxat  de  oXiya  xal 
oXtydxig,  6  de  (V/dya  cfQoifXLaod^uepog  svx^t^g 
EiGÜysL  dpdga  rj  yvpcaxa  rj  ccXko  Xi  xca  ovdev^ 
drjdr]  .  .  .  dedlda/s  ds  ^u'kioxu  "^'OfxrjQog  xal 
tovg  dVkovg  xpsvdi]  Xiysiv  Mg  de?  .  .  .  inel 
xal  TU  ev  ^Odvaaela  äXoya  .  .  xoTg  dXXoLg 
dya(^o7g  6  nocrjxijg  dcpavi^ei  rjdvvmv  xo  dXoyov. 
In  diesem  Urteil  war  dem  Philosophen  der 
Dichter    Pindar   Nem     VII,    20   ff.   vorange- 


gangen. 

2)  Die  Ilias  hat  182,  die  Odyssee  39 
ausgeführte  Gleichnisse;  meist  begnügt  sich 
der  Dichter  der  Odyssee  mit  einem  ein- 
fachen Hinweis  auf  den  zur  Vergleichung 
herangezogenen  Gegenstand.  Indes  auch  die 
einzelnen  Gesänge  der  Ilias  und  selbst  die 
inhaltlich  auf  einer  Stufe  stehenden  weichen 
hierin  je  nach  der  Situation  stark  von  ein- 
ander ab;  an  jugendlichem  Bilderreichtum 
zeichnet  sich  vor  allen  die  Aristeia  Aga- 
memnonos  [A)  aus.  Vgl.  Arn.  Passow,  De 
comparationihus  Homericis,  Diss.  Berl.  1852. 

^)  Dargestellt  ist  diese  Scene  auf  einer 
Gemme  bei  Overbeck,  Gal.  her.  Bild.  7.  33, 10. 


A.  Epos.     3.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  27.) 


41 


Dichtungen  und  ihren  jüngeren  Erweiterungen  zeigen  sich  grosse  Unter- 
schiede in  der  Kunst  der  Darstellung.  Wohl  zeichnen  sich  mehrere  der 
Gesänge,  welche  wir  für  jüngere  Einlagen  halten,  wie  die  Gesandtschaft, 
die  Lösung  Hektors,  der  Schild  des  Achill,  durch  grosse  poetische  Schön- 
heiten aus,  und  wir  müssen  schon  zugehen,  dass  auch  noch  manchem  der 
Homeriden  ein  glücklicher  Wurf  gelang.^)  Aber  die  meisten  der  Zudich- 
tungen  erkennt  man  als  solche  eben  auch  aus  dem  geringeren  Vermögen  des 
Dichters  und  der  Ungeschicklichkeit  der  Nachahmung.  Die  Verse  von  Achill 
und  Aeneas,  die  vor  dem  Kampfe  lange  und  langweilige  Reden  halten  (Y 
75 _  380),  sind  nicht  carmina  Homeri  semper  ad  eventum  festinantis,  die 
unruhige  Hast  der  Kölog  ft«x^  (^)  verrät  nichts  vom  Dichter  der  alten 
Ilias,  der,  wenn  alles  Eile  hat,  ruhig  seiner  Wege  geht,  die  trockene  Auf- 
zählung der  Schiffe  der  Achäer  und  der  Namen  ihrer  Führer  hat  nichts 
von  dem  belebenden  Wechsel  in  Situation  und  Ausdruck,  der  in  den  an- 
deren Gesängen  uns  ununterbrochen  gefesselt  hält. 

Von  besonderer  Bedeutung  sind  in  dieser  Beziehung  die  Nachahmungen 
und  Wiederholungen.  Die  öftere,  oft  drei-  und  viermalige  Wiederkehr  der 
gleichen  Verse  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  homerischen  Poesie;  sie  ist 
nicht  an  sich  ein  Anzeichen  verschiedenen  Ursprungs,  sie  hängt  vielmehr 
mit  der  Objektivität  der  Erzählung  und  den  stehenden  Epitheton  zusammen. 
Wenn  die  Sonne  von  neuem  in  der  Natur  aufzugehen  beginnt,  so  singt  auch 
der  Dichter  von  neuem  ohne  Variation  rj/aog  d'rjQiyi-vsia  (pccvr]  Qodo6dxTvXog 
Tjwg,  wie  er  immer  von  neuem  das  Bild  des  Schiffes  durch  das  Epitheton 
ivaösX^iog  oder  f.isXaiva  uns  anschaulich  vor  die  Seele  führt.  Aber  das 
Epitheton  kann  nicht  bloss  unnötig,  es  kann  auch  unpassend  werden;  der 
Vers  oder  die  Verse  können  in  unpassendem  Zusammenhang  und  in  miss- 
verstandenem Sinne  wiederholt  sein;  eine  ganze  Stelle  kann  aus  zusammen- 
gestoppelten Versen  und  Halbversen  bestehen.  Solche  Centonen  kommen 
auch  schon  in  unserem  Homer  vor,  wie  in  der  Chryseisepisode  {A  430 — 492) 
und  in  dem  Füllstück  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Schlachttag  (H313 
bis  482),  rühren  aber  gewiss  nicht  von  dem  göttlichen  Homer,  sondern 
von  einem  Spätling  unter  den  Homeriden  her.  2) 

27.  Zeit  des  Homer.  Erst  jetzt  können  wir  auf  mehrere  Fragen 
zurückkommen,  die  wir  oben  nur  gestreift  haben,  so  zuerst  auf  die  Ent- 
stehungszeit der  homerischen  Dichtungen.  Da  offenbar  die  Alten  von  der 
Zeit,  in  der  Homer  lebte  und  Ilias  und  Odyssee  entstanden  sind,  keine 
bestimmte  Überlieferung  hatten,  so  sind  auch  wir  wesentlich  auf  Kombi- 
nationen angewiesen.  Diese  müssen  von  dem  zeitlichen  Verhältnis  der  alt- 
griechischen Epen   zu   einander    ausgehen.^)     Nun   gilt  es  jetzt  als  ausge- 


^)  Otfr.  Müller,  Gesch.  d.  gr.  Lit.  I, 
84  urteilt  von  der  Scene  der  Zusammenkunft 
des  Achilleus  undPriamos  im  letzten  Gesang 
der  Ilias,  dass  sie  mit  keiner  andern  in  der 
ganzen  alten  Poesie  verglichen  werden  könne, 
und  Schiller  sprach  einmal:  „wenn  man 
auch  nur  gelebt  hätte,  um  den  23.  Gesang 
der  Ilias  zu  lesen,  so  könnte  man  sich  über 
sein  Dasein  nicht  beschweren."  Von  den 
Dichtern  jener  Gesänge  galt  eben  auch  schon 


im  Altertum  der  Goethe'sche  Spruch  „denn 
Homeride  zu  sein,  auch  nur  als  letzter  ist 
schön". 

2)  Diesei  Punkt,  schon  von  Köchly  und 
Kirchhoff  beachtet,  ist  von  mir  besprochen 
in  dem  Aufsatz,  Die  Wiederholungen  glei- 
cher und  ähnlicher  Verse  in  der  Ilias,  in 
Sitzb    d.  b.  Ak.  1880,  S.  221—271. 

^)  Davon  aus  habe  ich  die  Frage  be- 
handelt in  dem  Aufsatz,  Zur  Chronologie  des 


42 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


machte,  durch  Anzeichen  der  Nachahmung  erwiesene  Thatsache,  dass  Hesiod 
jünger  als  Homer  war  und  nicht  bloss  die  Ilias,  sondern  auch  schon  die 
Odyssee,  wenigstens  in  ihren  älteren  Bestandteilen,  vor  Augen  hatte;  mit 
Hesiod  dürfen  wir  aber  nicht,  wenigstens  nicht  viel  unter  700  herabgehen. 
Ferner  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache  und  lässt  sich  aus  Sprache  und 
Mythus  erweisen,  dass  die  Gedichte  des  epischen  Kyklos  erst  zur  Zeit,  als 
die  zwei  grossen  homerischen  Epen  bereits  fertig  waren,  entstanden  sind.') 
Nun  wird  Arktinos,  der  Dichter  der  Aithiopis,  in  die  1.  Olympiade  gesetzt, 
und  wenn  dieser  Ansatz  auch  nicht  ganz  ausser  Zweifel  steht  und  ver- 
mutlich etwas  zu  hoch  gegriffen  ist,  so  dürfen  wir  doch  mit  Zuversicht 
den  Beginn  des  kyklischen  Epos  noch  in  das  8.  Jahrhundert   setzen. 

Auf  dem  amykläischen  Throne  waren  bereits  Scenen  der  Ilias  und 
Odyssee,  wie  der  singende  Demodokos,  Menelaos  in  Ägypten,  Proteus, 
dargestellt.  2)  Damals  waren  also  schon  die  jüngsten  Gesänge  der  Odyssee 
allgemein  bekannt;  schade  nur,  dass  sich  die  Zeit  jenes  Thrones  selbst 
nicht  genau  fixieren  lässt,  und  dass  die  Angabe,  der  Thron  sei  aus  dem 
Zehnten  des  messenischen  Krieges  gestiftet  worden,  nicht  als  zuverlässig 
gelten  kann.  3)  Zu  der  durch  Vergleichung  gewonnenen  Zeitgrenze  stellen  sich 
mehrere  äussere  Zeugnisse  und  bestimmte  Anzeichen  im  Homer  selbst.  Im 
Schiffkatalog,  der  die  Ilias  mit  Einschluss  der  Leichenspiele  zur  Voraus- 
setzung hat,  aber  der  Telemachie  und  den  jüngsten  Partien  der  Odyssee 
voranzugehen  scheint,')  wird  die  Blüte  Megaras,^)  die  mit  der  Befreiung 
der  Stadt  (Ol.  10)  begann,  völlig  ignoriert;  ja  selbst  der  Name  Megara  ist 
noch  unbekannt,  und  Nisa  erscheint  noch  als  Teil  Böotiens  (B  508),  ge- 
radeso   wie  Korinth  noch   als  Teil   von  Argos  {B  570).     Auf  der  anderen 


altgriechischen  Epos,  im  Sitzb.  d.  b.  Ak. 
1884  S.  1 — 60,  wo  auch  die  auf  ägyptischen 
Korabinationen  beruhende  Datierung  Glad- 
stone's  zurückgewiesen  ist.  Vgl.  Lüntzer, 
Die  homerischen  Fragen,   Leipzig  1874. 

^)  Im  einzelnen  erwiesen  von  Welcker, 
Der  epische  Cyklus;  vgl.  Niese,  Entwicklung 
d.  hom.  Poesie  27  ff.  und  225  ff.  Anspielungen 
auf  die  entwickelten  Mythen  des  Kyklos 
finden  sich  allerdings  auch  in  der  IJias, 
aber  nur  an  inteipolierten  Stellen  r326 — 337, 
Sl  28  30,  0  230-2,  B  699-709.  721-8. 
Die  in  der  Odyssee,  in  der  Telemachie  und 
Nekyia,  vorausgesetzten  Gesänge  vom  Falle 
Ilions  durch  das  hölzerne  Pferd,  vom  Streit 
um  die  Waffen  des  Achill,  von  der  Heran- 
ziehung des  Philoktetes,  Neoptolemos,  Eurya- 
los,  von  der  Heimkehr  der  Könige  und  der 
Rache  des  Orestes  berühren  sich  mit  den  Dich- 
tungen des  Arktinos,  Lesches,Hagias,  brauchen 
aber  nicht  notwendig  aus  denselben  geflossen 
zu  sein,  da  auch  deren  Epen  Einzellieder 
vorausgegangen  waren.  Dass  indes  Ark- 
tinos vor  dem  Dichter  der  jüngsten  Partien 
der  Odyssee  lebte,  scheint  mir  auch  heute 
noch  Avahrscheinlich  zu  sein. 

^)  Paus.  III,  18;  es  fanden  sich  auf 
demselben  auch  schon  Scenen  aus  den  Ky- 
prien  und  der  Aithiopis,  wie  das  Parisurteil 


und  der  Kampf  des  Achill  und  Memnon. 

^)  Brunn,  Gesch.  d.  griech.  Künstler  I, 
52  f.  macht  seine  Verfertigung  um  Ol.  60 
wahrscheinlich. 

^)  Es  passen  eben  die  Epitheta  xo'Llr]v 
Aaxsifaifxopa  y.rjTtöeoGav  gut  zum  Land  (ß581), 
schlecht  zur  Stadt  (cf  1).  Dass  der  Schiff- 
katalog, auch  der  alte  Kern  desselben,  nach 
Hesiod  gedichtet  sei,  möchte  man  annehmen, 
steht  aber  nicht  fest;  zu  beachten  ist,  dass 
in  demselben  unter  den  böotischen  Städten 
Askra,  die  Heimat  Hesiods,  nicht  vorkommt, 
was  sich  aber  auch  aus  der  Unbedeutendheit 
des  Ortes  erklärt.  Auch  der  11.  B  780—83 
(aber  nicht  im  Schiffkatalog)  angedeutete 
Typhoeusmythus,  der  aus  der  Beobachtung 
vulkanischer  Erscheinungen  und  feuerspeien- 
der Berge  entstanden  ist,  weist  auf  den 
Vulkan  Argaios  in  Kappadokien  hin,  wie 
Bartsch,  Geologie  und  Mythologie  in  Klein- 
asien fPhilol.  Abh.  zu  Ehren  von  Hertz 
S.  105-  122)  erwiesen  hat.  Im  allgemeinen 
bemerkt  sehr  gut  Strabon  p.  149  bezüglich 
des  historischen  Hintergrundes  homerischer 
Mythen :  Ofxr]Qog  dsl  rovg  fxv&ovg  dno  xiviov 
iGTOQiaiy  evdyuiv. 

^)  Schon  zu  Ol.  15  wird  ein  Sieger 
"Ogamnog  MsyccQSvg  angeführt. 


A.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  27.) 


43 


Seite  iimfasst  im  Schiff  katalog  die  Landschaft  Lakedämon  bereits  die  Städte 
Pharos,  Amyklai,  Helos  {B  582—4),  die  erst  durch  die  Könige  Teleklos 
und  Alkaraenes  im  8.  Jahrhundert  unterworfen  worden  waren,  i)  Wenn 
wir  demnach  den  Schiffkatalog  in  seiner  ursprünglichen,  noch  nicht  inter- 
polierten Gestalt'^)  in  die  nächste  Zeit  nach  dem  Beginn  der  Olympiaden, 
noch  vor  700  setzen  dürfen,  so  müssen  wir  zugleich  annehmen,  dass  da- 
mals bereits  die  ganze  Ilias  in  allen  ihren  wesentlichen  Teilen  fertig  war. 
Dazu  kommt,  dass  die  Ilias  und  insbesondere  der  Eingang  des  13.  Gesangs 
noch  gar  keine  Kenntnis  von  dem  schwarzen  Meere  und  der  an  seinen 
Gestaden  im  8.  Jahrhundert  von  den  Milesiern  gegründeten  Kolonien  ver- 
rät; ihre  Entstehung  muss  also  über  die  Zeit  der  Gründung  von  Trapezunt 
(gegründet  756)  und  Sinope  (gegründet  770)  hinaufgerückt  werden. 

Für  die  Abfassung  des  letzten  Gesangs  der  Odyssee,  also  eines  der 
allerjüngsten,  gibt  der  Vers  w  88  ^covvvrrai  ts  vsol  xal  snsvTvvovTai  asd^ka 
einen  Terminus  ante  quem  an  die  Hand.  Denn  da  in  der  15.  Olympiade 
die  Wettkämpfer,  wenigstens  die  Läufer  in  Olympia,  den  Gurt  ablegten 
und  die  Einführung  der  nackten  Ringkämpfe  so  ziemlich  gleichzeitig  in 
allen  Teilen  Griechenlands  erfolgt  sein  wird,  so  muss  jener  Vers  vor,  kann 
sicher  nicht  lange  nach  715  gedichtet  sein.  3)  In  ähnlicher  Weise  führt  die 
Erwähnung  der  sizilischen  Dienerin  in  den  jüngeren  Partien  der  Odyssee 
(v  383,  cö  210.  365.  383)  auf  die  Zeit  nach  dem  Beginn  der  Kolonisation 
Siziliens  (Ol.  9),  und  scheint  die  Erwähnung  der  Quelle  Artakie  Od.  x  108 
mit  der  Gründung  von  Kyzikus  in  der  7.  oder  24.  Olympiade  zusammen- 
zuhängen.^) Damit  bleiben  wir  also  in  der  Zeit  vor  Schluss  des  8.  Jahr- 
hunderts; nur  mit  den  kleinen  Interpolationen  der  Ilias  und  Odyssee  wer- 
den wir  noch  weiter  herabgehen  müssen.  Die  Verse  A  699  ff.  gehen  auf 
die  in  der  25.  Olympiade  in  Elis  eingeführten  Wettkämpfe  mit  Vierge- 
spannen;^) die  Stelle  in  der  Odyssee  (f  15 — 41  geht  von  der  Unterwer- 
fung Messeniens  unter  Lakedämon  aus,*^)  kann  also  erst  nach  dem  Aus- 
gang des  ersten  messenischen  Krieges  (715)  gedichtet  sein.  In  der  ganzen 
Frage  aber  müssen  wir  uns  gegenwärtig  halten,  dass  einzelne  Gesänge, 
wie  die  Doloneia,  der  Schiffkatalog,  die  zweite  Nekyia,   insbesondere   aber 


^)  Im  Gegensatz  zum  Schiffkatalog  setzt 
die  Ilias  1  149—156  noch  die  Selbständig- 
keit der  Seestädte,  wenigstens  der  messeni- 
schen voraus. 

^)  In  meiner  Ausg.  der  Ilias  sind  die 
alten  Teile  von  den  neuen  durch  den  Druck 
geschieden. 

^)  Kirchhoff,  Hom.  Od.  288  ff.;  Ein- 
wendungen von  Niese,  Entwicklung  der 
homerischen  Poesie  223  ff.  Über  die  Zeit 
(Ol.  15,  nicht  32)  handelt  Böckh,  Ges.  Sehr. 
IV,  137  ff.  Noch  weiter  geht  Kirchhoff 
S.  340,  indem  er  aus  co  417  schliesst,  dass 
Eugammon,  der  Dichter  dei  Telegonie  (um 
Ol.  53),  den  Schluss  der  Odyssee  noch  nicht 
gekannt  habe,  und  so  ähnlich  auch  Wila- 
MowiTz,  Hom.  Unt.  185.  Aber  einfacher  ist 
die  Lösung,  dass  entweder  Proklos  oder  der 
Exzerptor  bei  oi  fxytjaroQsg  vno  rcoy  nqoai]- 


x6vT(x)p  d^uTiTovrciL  dic  Freier  mit  den  am 
Schlüsse  (w  523)  gefallenen  Ithakesiern  ver- 
wechselt habe,  oder  dass  die  Worte  unseres 
Odysseetextes  dtovreg  ecpoitiov  (w  415)  bis 
TiS^evTEg  {(X)  419)  einer  jungen  Interpolation 
entstammen. 

^)  Ich  habe  mich  etwas  zurückhaltender 
gefasst  mit  Rücksicht  auf  die  Einwände  von 
Rothe  in  Jahrber.  d.  Alt.  XIII,  1.  182.  Noch 
weiter  zu  gehen  und  die  Hälfte  der  Odyssee 
mit  WiLAMOwiTZ  dem  7.  Jahrh.  zuzuweisen, 
verbietet  schon  die  Sprache,  namentlich  das 
Digamma. 

5)  Vgl.  AüG.  MoMMSEN,   Phil.  8,  721  ff. 

^)  Dafür    sprechen    die    Verse    13 — 15 

dioQa  Tci  Ob  ^eTvog  Aaxs&cdfxoyi  dojxs  rv/fjffccg 

'Icfixog  EvQvxl&rjg  iniSLxeXog  a&ctvdxoiaiv  '  tio 

d'  ev  MeaoTjvri  'ivfxßX-^axo  dXXtjXouv,  aber  mit 

15  beginnt  die  Interpolation. 


44 


Griechische  Literaturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


kleinere,  ausschmückende  Interpolationen,  wie  die  Erweiterungen  in  der 
Schildbeschreibung  (^  590  —  606),  den  Leichenspielen  {W  788—897),  der 
Beschreibung  der  Gärten  des  Alkinoos  [r]  103—113)  leicht  noch  von  Hörne- 
nden und  Rhapsoden  zugefügt  werden  konnten,  nachdem  die  Ilias  und 
Odyssee  in  ihrem  Grundgerüste  längst  fertig  waren,  dass  aber  die  Aus- 
führung des  Grundplanes  der  beiden  Dichtungen  sich  kaum  durch  mehr 
als  2  bis  3  Generationen  hingezogen  haben  wird,  i) 

Sollen  wir  zum  Schluss  bestimmte  Zahlen  geben,  so  scheint  uns  aus 
den  angedeuteten  Kombinationen  zu  folgen,  dass  die  Ilias  um  850—800, 
die  Odyssee  um  820  —  770  entstanden  ist,  dass  die  erstere  in  allen  ihren 
wesentlichen  Bestandteilen  um  750,  die  letztere  um  720  zum  Abschluss 
gelangte,  und  dass  nach  dieser  Zeit  nur  noch  kleine  Interpolationen,  keine 
ganzen  Gesänge  mehr  hinzukamen.  Im  allgemeinen  pflichten  wir  so  Hero- 
dot  bei,  wenn  er  den  Homer  400  Jahre  vor  seiner  Zeit,  also  um  840,  ge- 
lebt haben  lässt.^)  Nur  müssen  wir  dem  noch  hinzufügen,  dass  der  Ur- 
sprung der  Sagen,  welche  in  Homer  widerklingen,  und  teilweise  auch  die 
Anschauung,  welche  Homer  von  der  aussergriechischen  Welt  hatte,  in 
frühere  Vergangenheit  zurückreichen.  Merkwürdig  ist  in  letzterer  Beziehung 
namentlich,  dass  der  Dichter  noch  Sidon,  nicht  schon  Tyrus  die  Meere  be- 
herrschen, und  noch  nicht  Memphis,  sondern  das  ältere  Theben  Hauptstadt 
Ägyptens  sein  lässt.^) 

28.  Sprache  und  Heimat  des  Homer.  Die  Frage  über  die  Heimat 
des  Homer  und  seines  Geschlechtes  hängt  eng  mit  seiner  Sprache  zusammen. 
Die  Sprache,  in  der  uns  die  homerischen  Gedichte  durch  die  Alexandriner 
überliefert  sind,  hat  das  Gepräge  des  ionischen  Dialektes,  geradeso  wie 
sich  auch  in  dem  ganzen  Ton  der  Dichtung  loniens  heiteres  Leben  wider- 
spiegelt.^) Wenn  jenes  Gepräge  vielfach  von  dem  der  Sprache  des  Herodot 
abweicht,  so  fand  man  dieses  ehedem  durch  die  Grösse  des  zeitlichen  Ab- 
standes  sattsam  erklärt.  Aber  so  leicht  darf  man  sich  mit  jenem  Unter- 
schied nicht  mehr   abfinden,   nachdem  wir,    durch  Bentley  belehrt,   wissen, 


^)  Weiter  zu  gehen,  missrät  schon  der 
geringe  Unterschied  der  Sprache  namentlich 
im  Gebrauch  des  Digamma  und  in  der  Ab- 
neigung gegen  Kontiaktion.  Die  historischen 
Kimmerier,  welche  um  660  in  Lydien  und 
lonien  einbrachen,  beweisen  nichts  für  die 
Zeit  Homers,  da  es  umgekehrt  grössere 
Wahrscheinlichkeit  hat,  dass  diese  räuberi- 
schen, aus  dem  dunklen  Norden  kommenden 
Horden  von  den  Zeitgenossen  mit  den  home- 
rischen Kimmeriern  (Od.  A  14)  verglichen 
und  nach  ihnen  Ki/ufusQioi  benannt  wurden, 
ähnlich  wie  später  die  germanischen  Völker 
des  Nordens  den  Namen  Cimbri,  das  ist  eben 
KvfxixsQioi,  erhielten.  Übrigens  stammt  der 
Name  Ki^ufxt'Qioi  aus  Innerasien,  da  in  assy- 
rischen Keilinschriften  die  nordischen  Sky- 
then Gimirai  heissen,  so  dass  sowohl  die 
KLfj.fX6Qio(,  (A  14)  als  die  Kijrsioi  (X  520),  d,  i. 
Hethiter  der  Odyssee  ein  Beweis  sind,  wie 
die  Griechen  Kleinasiens  allmählich  mit  den 
grossen  Reichen   am    Orontes   und   Euphrat 


Fühlung  bekamen. 

'^)  Herod  H,  53:  'Hoioöov  ydq  xaVOfJ,r)Qov 
i^Xiy.irjv  rsTQaxoaloiac  exsai  doxsu)  fxev  tiqso- 
ßvTSQOvg  ysvioxhai  xal  ov  nXeloaiv. 

^)  II.  1381:  orcf'  Off'  ig  'Oq^o^ubvop  nori- 
ylaffEzai,  ovd^  6a a.  @7]ßag  Jtyvnrtag,  ox^inXeiffta 
dofioig  £V  xrrjfxara  xsTrat,  nl'  t9^'  exarofxrrvXol 
sioi,  difjxÖGioi  (f'  «V  exdarag  ciysQsg  e^oL^vsvat 
ovv  iTinoiaiy  xal  o/eacpiv.  Kral,  Diodor  u.  Ma- 
netho,  Stzb.  d.  östr.  Ak.  1880  (B.  96)  S.  381 
sieht  darin  eine  dunkle,  im  Lied  fortlebende 
Erinnerung  an  die  Zeit  der  Ramessiden,  wo 
griechische  Stämme  (eherKarier)  mit  Ägypten 
und  seiner  damaligen  Hauptstadt  Theben  in 
Konflikt  kamen.  Es  kann  aber  auch  in  spä- 
terer Zeit  noch  Theben,  ähnlich  wie  heut- 
zutage Moskau,  als  die  Hauptstadt  des  Reiches 
gegolten  haben. 

^)  Die  anderen  Züge  der  homerischen 
Poesie,  welche  auf  lonien  hinweisen,  hat 
gut  MüLLEK,  Gr.  Litt.  I"^,  72  ff.  besprochen, 
ohne  von  Neueren  widerlegt  worden  zu  sein. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  28.) 


45 


dass  der  Dichter  der  Ilias  und  Odyssee  noch  das  Digamma  gesprochen  und 
in  einigen  Wörtern,  wie  im  Pronomen  der  3.  Person  ov  ol  e  og  ferner  in 
ara'^,  8&vog,  srog  regelmässig  zur  Geltung  gebracht  hat.  ^  Denn  diesen 
Laut  hatten  im  7.  Jahrh.  die  ionischen  Landsleute  der  Elegiker  und  lambo- 
graphen  schon  vollständig  abgeworfen,  so  dass  sie  ihn  schwerlich  im  9. 
und  8.  Jahrh.  noch  in  dem  Umfange  gesprochen  haben  werden,  den  wir 
für  die  Landsleute  und  Zeitgenossen  des  Homer  voraussetzen  müssen. 
Auch  mit  der  Annahme,  dass  Homer  vieles  aus  der  Sprache  seiner  Vor- 
gänger könne  herübergenommen  haben, ^)  reichen  wir  zur  Erklärung  jenes 
sprachlichen  Unterschiedes  nicht  aus.  Denn  aus  älteren  Dichtungen  können 
wohl  einzelne  formelhafte  Ausdrücke,  wie  vsifsXriysQkza  Zsvg^  inTiÖTa  iVt- 
aTMQ,  noTVia  'Hq}],  tiqoö^sv  ^aXdfxoio  ^VQacov,  fxävTig  dfxvf^icov,  herüberge- 
nommen sein,  aber  in  dem  Gebrauch  eines  ganzen  Lautes,  wie  es  das  Di- 
gamma ist,  in  der  Diärese  oder  Synizese  der  Vokale,  3)  in  den  Formen  der 
Pronomina  "*)  und  der  Worte  des  Alltagslebens  richtet  sich  jeder  Volks- 
und Naturdichter^)  nicht  nach  der  Sprache  früherer  Jahrhunderte,  sondern 
nach  der  seiner  Zeit  und  seiner  Umgebung.  Die  Sprache  der  Ilias  und 
Odyssee  führt  uns  daher  mit  Notwendigkeit  dahin,  die  Landsleute  Homers 
nicht  in  dem  Lande  des  Archilochos  oder  Kallinos  zu  suchen,  sondern  ent- 
weder geradezu  in  Aolien  oder  doch  in  einem  anderen  Teile  loniens;  denn 
nicht  alle  Bewohner  loniens  redeten  die  gleiche  Sprache,  vielmehr  unter- 
scheidet Herodot  I,  142  ausdrücklich  vier  verschiedene  Dialekte  der  lonier.^) 
Die  erste  der  beiden  Annahmen  stellte  in  unserer  Zeit  Aug.  Fick  auf,  in- 
dem er  die  ganze  ältere  Ilias  und  Odyssee  ursprünglich  in  äolischer  Sprache 
gedichtet  und  erst  später  in  den  Mischdialekt  der  jüngsten  Zusätze  umge- 
setzt sein  lässt.'')  Aber  die  geniale  Hypothese  hat  einesteils  kein  Analogen 
in  der  griechischen  Litteratur,    da   umgekehrt  jüngere  Dichter,  auch  wenn 


^)  Auf  die  durchwegige  Geltung  des 
Digamma  gewisser  Wörter  ist  ein  Haupt- 
gewicht zu  legen,  da  damit  die  Erklärung 
des  Gebrauchs  jenes  Lautes  infolge  konven- 
tioneller Vererbung  wegfällt.  Zur  Sache 
Knös,  De  digammo  Homerico,  Ups.  1872, 
und  meine  Proleg.  Iliadis  carm.  p.  150  sqq. 

'^)  Diesen  Standpunkt  vertritt  Hinrichs, 
De  Homericae  elocutionis  vestigiis  Aeolicis, 
Jenae  1875. 

^)  Menrad,  De  contractionis  et  synize- 
seos  usu  Homerico,  Monachii  1886. 

'^}  In  unseren  Texten  stehen  von  den 
Pronomina  äolische  und  ionische  Formen; 
die  äolischen  überwiegen  und  lassen  sich 
mit  Sicherheit  noch  weitej-  ausdehnen;  aber 
auch  die  ionischen  lassen  sich  nicht  ohne 
Gewaltsamkeit  ganz  austreiben. 

^)  Ich  betone  „Naturdichter",  da  die 
nachahmenden  Dichter  der  späteren  Zeit  einer 
anderen  Übung  folgten. 

'')  F]s  hängt  diese  Verschiedenheit  der 
Sprache  mit  der  Verschiedenheit  der  Ein- 
wanderer zusammen;  so  hatten  sich  in  Priene 
Thebaner  unter  Philotas  (Strab.  633),  in 
Theos  Minyer  unter  Athamas  (Anakr.  fr.  114, 


Paus,  VII,  2  6,  Steph.  Byz.)  angesiedelt,  nach 
Kolophon  waren  ausser  Kretern  Manto  u.  Mop- 
sos (Paus.  VII,  3.  1  u.  Schol.  Apoll.  Rhod.  III, 
74)  gewandert,  in  Milet  waren  die  Theliden 
phönikischen  oder  kadmeischen  Ursprungs 
(Herod.  I,  170);  s.  0.  Immisch,  Klaros,  in 
Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XVII,  129  ff. 

^)  Fick,  Die  homerische  Odyssee  1883 
(Supplementband  von  Bezzenberger's  Bei- 
trägen zur  Kunde  der  indogerm.  Sprachen), 
Die  homerische  Ilias  1886;  vorausgegangen 
war  ihm  teilweise  schon,  aber  ohne  die  nö- 
tigen sprachlichen  Kenntnisse  und  ohne  Klar- 
heit des  Standpunktes  der  Engländer  Payne- 
Kmight  in  seiner  Ausg.  von  1820.  Schon  im 
Altertum  verlangten  einige  Grammatiker 
einen  äolischen  Homer,  worüber  Anecd.  Rom. 
von  Osann  p.  5:  T?yV  de  nolyjoir  upayivtoG- 
xsaß^ca  d^ioi  YMTivQog  6  Mdyprjc  JioXidi  dm- 
XexTio,  To  <f\ith()  JixcüciQ/og.  Nicht  entschei- 
dend für  die  Heimat  des  Dichters  ist  der 
äolische  Ursprung  der  troischen  Sage,  gegen 
den  indes  Sittl,  Die  Griechen  im  Troerland 
und  das  homerische  Epos,  Philol.  44,  201  ff. 
Zweifel  erhebt. 


46 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periodä« 


sie  einem  anderen  Stamme  angehörten,  den  Dialekt  des  älteren  Vorbildes 
beizubehalten  pflegten,  und  sie  lässt  sich  andrerseits  nur  mit  grossen  Willkür- 
lichkeiten und  gewaltsamen  Änderungen  durchführen,  i)  Ich  halte  daher 
nach  wie  vor  an  dem  anderen  Ausweg  fest,  dass  Homer  und  seine  Schule 
nicht  in  Südionien  blühte,  sondern  dort,  wohin  auch  die  besten  Zeugnisse 
des  Altertums  uns  führen,^)  auf  dem  Grenzgebiet  von  lonien  und  Aolis. 
Dabei  möchte  man  zunächst  an  Smyrna  denken,  was  ehedem  von  Aoliern 
besiedelt  worden  war,  später  aber  dem  ionischen  Städtebund  sich  anschloss. 
Aber  auf  einen  anderen  Punkt  führen  uns  2  Stellen  der  Ilias  <Z^  227  und 
Si  IS,  welche  die  Sonne  über  dem  Meere  aufgehen  lassen.^)  Der  Dichter 
dieser  Stellen  lebte  also  nicht  auf  dem  Festlande  Asiens,  sondern  auf  einer 
der  Inseln,  welche  im  Westen  der  kleinasiatischen  Küste  lagen.  Als  solche 
bietet  sich  im  nördlichen  lonien  einzig  Chios,"^)  auf  welcher  Insel  obendrein 
nach  dem  Geographen  Stephanos  von  Byzanz  ein  Städtchen  Bolissos  lag, 
welches  eine  äolische  Kolonie  war  und  wo  Ephoros  den  Homer  verweilen 
liess.^)  Wer  sein  Gefallen  an  Kombinationen  der  Phantasie  hat,  mag  es 
den  Alten  glauben,  dass  Homer  im  äolischen  Smyrna  geboren,^)  frühe  aber 
nach  Chios  ausgewandert  sei,  auf  welcher  Insel  sich  neben  einer  nord- 
ionischen Grundbevölkerung  auch  äolische  Siedelungen  befanden. 

29.  Orts-  und  Sagenkunde.  Dass  Homer  von  seiner  Heimat 
aus  als  wandernder  Sänger  viel  im  Lande  herumgekommen  sei,  ver- 
steht sich  bei  den  damaligen  Verhältnissen  der  Gesellschaft  und  Dicht- 
kunst von  selbst.  Die  Orte  lassen  sich  zum  Teil  noch  aus  den  Umhüllungen 
der  Dichtersage  herausfinden;  sie  sind  Phokäa,  wo  er  bei  Thestorides  Auf- 
nahme fand,^)  Neonteichos  bei  Kyme,  wo  er  um  des  lieben  Brotes  willen 
seine  Gedichte  vorlas,^)  Kolophon,  wo  er  den  Margites  dichtete,^)  Samos, 
wo  er  von  Kreophylos  gastlich  aufgenommen  wurde,  ^^)  los,   wo   man  sein 


^)  Meine  Einwände  habe  ich  entwickelt 
in  der  Besprechung  von  Fick's  Odyssee  in 
Phil.  Anz.  XIV,  90  ff.,  worauf  Fick  in  der 
Einleit.  seiner  Ilias  p.  III  sqq.  mit  nicht  be- 
weiskräftigen Analogien  antwortete.  Dass 
indes  im  Laufe  der  Zeit,  namentlich  durch 
den  Einfluss  der  alexandrinischen  Gramma- 
tiker manche  nichtionische  Form  getilgt 
w^orden  sei  und  von  uns  wieder  zurückge- 
führt werden  dürfe,  gebe  ich  gern  zu.  Zu 
den  sprachlichen  Einwänden  kommen  aber 
noch  die  aus  den  sachlichen  Verhältnissen 
genommenen  hinzu,  w^elche  im  nächsten 
Paragraphen  ihre  Besprechung  finden. 

'•^j  Diese  führen  eben  nach  Smyrna  zu- 
meist und  dann  nach  Chios;  vgl.  Düntzee, 
Hom.  Fragen  33  ff. 

•^)  ¥•227:  xQoxoTTsnXog  vns'iQ  cila  xiö'- 
vaxcii  Tyw'c,  ^  13:  ?fa»V  cpcavofxivr]  'Aij&EOxev 
vneiQ  (cXa  7Ji6yag  re.  Die  Verse  stehen  aller- 
dings nicht  in  den  allerältesten  Partien  der 
Ilias ;  das  thut  aber  ihrer  Bedeutung  wenig 
Eintrag,  da  die  alte  homerische  Schule 
schwerlich  an  einem  anderen  Orte  sich  be- 
fand als  Homer  selbst.  Die  Bedeutung  dieser 
Stellen  für  unsere  Frage  wurde  erkannt  von 


Bergk,  Gr.  Litt.  I,  451 ;  leichthin  wider- 
spricht DüNTZER,  Hom.  Frag.  81. 

^)  An  Lesbos,  das  keine  der  alten  Über- 
lieferungen für  die  Heimat  Homers  ausgab, 
wollte  Fick,  Ilias  S.  108  denken. 

^)  Steph.  B^^z.  :  BoXhaaog  '  nöXig  AloXixi) 
in  äxQov  Xlov  n'krjaiov  .  .  .  xal  (paaiv  ort 
'OfMf^Qog  SV  rovro)  rag  dtarQißccg  inoisiro,  a5f 
^E(poQog. 

^)  Vgl.  BöcKH  zu  Find.  fr.  ine.  86  und 
den  Rhetor  Alkidamas  bei  Arist.  rhet.  II, 
23  p.  1398^,  2. 

')  Fs.  Herod.  vit.  Hom.  15.  Usener,  De 
Iliadis  carmine  quodam  Phocaico,  Bonn  1875 
sucht  nachzuweisen,  dass  II.  XI  mit  der  Be- 
schreibung der  Waffen  des  Agamemnon  {A  15 
bis  42)  und  dem  Vergleich  des  den  Hirsch 
zerreissenden  Löwen  {A  474 — 82)  auf  die 
Stadt  Phokäa  hinweist,  welche  lebhafte  Ver- 
bindung mit  den  Phönikiern  unterhielt  und 
deren  Kolonie  Velia  als  Stadtwappen  auf  ihren 
Münzen  eben  jene  Bewältigung  eines  Hir- 
sches durch  einen  Löwen  zeigt. 

8)  Ps.  Herod.  vit.  Hom.  9. 

9)  Gert.  Hes.  et  Hom.  p.  313  G. 

10)  Strab.  p.  638  nach  Kallimachos.   Ein 


A.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  29.) 


47 


Grabmal  zeigte.  9  Ähnliches  lehren  uns  die  Ilias  und  Odyssee  selbst.  Ihr 
Dichter  feiert,  indem  er  die  Kämpfe  besingt,  welche  die  achäischen  An- 
siedler mit  den  alten  Heroen  des  Landes  zu  bestehen  hatten,  zugleich  die 
Stammesheroen  der  äolischen  Kolonien  Kleinasiens;  2)  er  schmeichelt  daneben 
mit  dem  Preise  des  Nestor  und  der  Lykierfürsten  Sarpedon  und  Glaukos 
den  ionischen  Königen,  welche  von  jenen  Heroen  ihr  Geschlecht  ableiteten, 3) 
und  flicht  mit  der  Verherrlichung  der  Heldenthaten  des  Idomeneus  die 
Sagen  der  kretischen  Ansiedler  Kleinasiens  in  den  Kranz  der  äolischen 
Stammessage. ^)  Seine  Gleichnisse  nimmt  er  mit  Vorliebe  von  den  Natur- 
und  Kulturverhältnissen  der  mittleren  Küstenlandschaft  Kleinasiens,  von  dem 
Geschnatter  der  Gänse  in  der  asischen  Wiese  am  Kaystros  {B  459),'^)  von 
dem  Wirbelsturm  der  aus  Thrakien  her  wehenden  Winde  Boreas  und  Ze- 
phyros  (/  4),  von  dem  Stier,  der  dem  Poseidon  im  Panionion  geopfert  wird 
(F404).  Er  zeigt  sich  wohl  bewandert  in  den  Küsten  des  adramytteni- 
schen  Meerbusens  und  kennt  die  hochragenden  Grabhügel,  die  man  beim 
Vorbeifahren  am  weiten  Gestade  des  Hellespont  gewahrte  (H  86).^)  Seine 
Schilderungen  von  dem  Berge  Ida,  der  Ebene  des  Skamander  (E  773),  der 
hohen  Warte  Samothrakiens  {N  10)  zeigen  so  viel  Naturwahrheit,  dass  man 
zuversichtlich  annehmen  darf,  er  habe  den  Schauplatz  der  Thaten  seiner  Helden, 
den  Schliemanns  Ausgrabungen  jetzt  wieder  der  gebildeten  Welt  erschlossen 
haben,  mit  eigenen  Augen  geschaut.'^)  Wenn  er  daneben,  entgegen  der 
Wirklichkeit,  die  Priamosveste  auf  einem  ringsumlaufbaren  Hügel  gelegen 
und  vor  ihren  Mauern  2  Quellen,  eine  warme  und  eine  kalte,  emporspru- 
deln lässt  (X  143),  so  sind  das  Freiheiten,  die  sich  Homer,  so  gut  wie 
jeder  andere  Dichter,  erlauben  durfte,  zumal  in  der  Schilderung  einer  Stadt, 
die  inzwischen  vom  Erdboden  verschwunden  war  und  deren  Lage  nur 
wenige  seiner  Zuhörer  aus  eigener  Anschauung  kannten. 


Nachkomme  des  Kreophylos  war  Hermo- 
damas,  den  nach  Diog.  8,  2  Pythagoras 
hörte, 

')  Aristoteles  bei  Gellius  III,  11. 

''')  In  Lesbos  herrschten  die  Nachkommen 
desPenthelos,  desEnkels  Agamemnons  (Arist. 
Pol.  V,  8.  13),  in  Tenedos  die  des  Peisan- 
dros  aus  Amyklä  (Pind.  N.  11,  34),  das 
Gros  der  äolischen  Bevölkerung  war  aus 
Böotien  eingewandert  und  hatte  die  Sage 
der  IVlyrmidonen  und  ihres  Königs  Achill 
mitgebracht. 

^)  Herod.  1,147.  Auf  den  Pylier  Nestor 
führten  ihr  Geschlecht  zurück  die  alten  Kö- 
nige von  Kolophon  (Mimnermos  fr.  9)  und 
Milet  (Strab.  G83);  vgl.  Töpffer,  Att.  Genea- 
logie 235  ff.  Die  dorischen  Sagen  hingegen 
sind  dem  Homer  fremd;  die  Episode  vom 
Zweikampf  des  Sarpedon  und  des  Herakliden 
Tlepolemos  (E  628— 98)  sieht  ganz  wie  ein 
auf  einen  fremden  Baum  gepfropftes  Reis 
aus  und  kann  glatt  ausgeschnitten  werden; 
die  übrigen  Stellen  an  denen  des  dorischen 
Nationalheros  Herakles  Erwähnung  geschieht, 
T 95- 136,  0  639-44,  0  363,  A  601 --27,  sind 
teils  interpoliert,  teils  gehören  sie  den  jüng- 
sten Partien    der   homerischen   Gesänge  an. 


*)  Die  Kreter  als  ältere  Bewohner  der 
Gegend  von  Milet  und  Kolophon  bezeugen 
Herodot  I,  173;  VII,  171  und  Pausanias  VII, 
2.  5;  VII,  3.  1. 

^)  Einen  Kaystrios  gibt  es  nicht,  sondern 
nur  einen  Kaystros,  weshalb  B  461  KavatQoo 
(nicht  KavGTQLOv)  aficpl  Qte&Qa  zu  lesen  ist. 

^)  Offenbar  weil  er  wohl  noch  Trümmer 
von  Troia,  aber  nichts  mehr  vom  achäischen 
Lager  am  Hellespont  sah,  erdichtete  er  die 
vollständige  Zerstörung  des  Lagers  durch 
Poseidon  11459     63  u.  Ml— 34. 

^)  Die  Kenntnis  aus  Autopsie  stellt  mit 
übertriebener  Skepsis  in  Abrede  Herchek, 
Über  die  homerische  Ebene  von  Troia,  AbhdJ. 
d.  Berl  Ak.  1876.  Für  die  ganze  Frage 
wurde  erst  ein  sicherer  Grund  geschaffen 
durch  die  weltberühmten  Ausgrabungen 
Schliemann's,  dargelegt  in  dessen  Werken: 
Ilios,  Stadt  und  Land  der  Troianer  1881; 
Troia  1884;  Mykenä  1878.  Schon  vor  Schlie- 
mann  hatte  das  Richtige  getroffen  G.  v. 
Eckekbrecher,  Die  Lage  des  hom.  Troia, 
Düsseldorf  1837.  Auf  die  Wahrheit  der 
Naturschilderungen  Homers  hatte  zuerst  auf- 
merksam gemacht  Wood,  On  tlie  original 
genius  of  Homer,  Lond.  1769 


48 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Nach  einer  anderen  Richtung  führen  uns  die  Irrfahrten  des  Odysseus 
und  die  Lokalitäten  der  Odyssee.  Die  Person  des  Königs  von  Ithaka  und 
die  Kunde  vom  alten  Reiche  der  Kephallenier  waren  dem  Dichter  wohl  aus 
der  alten  Sage  der  Pylier  und  Achäer  überkommen;  aber  Farben  und 
Leben  erhielt  das  Bild  erst  durch  die  Fährnisse,  welchen  die  ionischen 
Landsleute  des  Dichters  auf  ihren  Fahrten  nach  dem  fernen  Westen  be- 
gegneten. Er  selbst  indes  scheint  nicht  weit  nach  Westen  gekommen  zu 
sein:  er  hatte  von  Sikilien  und  dem  Westmeer,  wohin  er  die  Irrfahrten 
des  Odysseus  in  märchenhafter  Ausschmückung  verlegt,  nicht  aus  eigener 
Anschauung,  sondern  nur  aus  den  fabelhaften  Erzählungen  aufschneidender 
Landsleute  und  phönizischer  Seefahrer  Kenntnis.  ^  Selbst  Ithaka  hatte 
höchstens  den  Dichter  der  jungen  Telemachie,  nicht  auch  der  des  alten 
Nostos  mit  eigenen  Augen  gesehen. 2)  Daraus  erklärt  sich,  dass  das  Bild, 
welches  wir  uns  nach  den  Schilderungen  der  Odyssee  von  der  Heimat  ihres 
Helden  machen,  ungleich  weniger  als  das  der  troischen  Ebene  zur  Wirk- 
lichkeit stimmt.  Selbst  das  griechische  Festland  kannte  Homer  schwerlich  aus 
Autopsie;  dieses  hatte  auch  inzwischen  so  gewaltige  Umänderungen  er- 
fahren, dass  dem  Dichter  die  alte  Sage  bessere  Kunde  von  den  Königs- 
burgen in  Mykenä,  Tiryns,  Orchomenos  brachte,  als  ein  eigener  Besuch 
jener  Gegenden. 

So  treffen  wir  also  auch  die  Sage  in  den  homeriscben  Dichtungen  im 
allgemeinen  auf  der  Stufe,  die  sie  auf  ihrer  Wanderung  von  den  äolischen 
Kolonien  des  nördlichen  Kleinasiens  nach  Süden,  in  den  ionischen  Nieder- 
lassungen des  mittleren  Küstenlandes  eingenommen  hatte,  bevor  sie  noch 
weiter  nach  Süden  gedrungen  und  auch  von  dort  durch  Einmischung  dori- 
scher Elemente  bereichert  worden  war.  All  das  Gesagte  gilt  indes  nur 
bezüglich  des  eigentlichen  Kerns  der  homerischen  Dichtungen.  Die  Ein- 
dichtungen,  Zusätze  und  Überarbeitungen  sind  vermutlich  nicht  bloss  in 
späterer  Zeit,  sondern  auch  an  verschiedenen  Orten  entstanden;^)  aber  über 
das  ionische  Kleinasien  hinaus  zum  griechischen  Mutterland  führt  nur  der 


^)  Der  Streit  über  die  Lokalität  der  Irr- 
fahrten des  Odysseus  ward  schon  im  Alter- 
tum mit  Heftigkeit  geführt,  wie  man  beson- 
ders aus  dem  1,  Buch  des  Strabon  sieht. 
Die  einen  suchten  die  Irrfahrten  um  Sizilien 
u.  Italien  (Polybios),  andere  fanden  Plätze 
der  hom.  Schilderung  am  Pontus  und  selbst 
im  nördlichen  Ozean,  andere  hinwiederum, 
wie  Eratosthenes,  zogen  sich  auf  den  vor- 
sichtigen Standpunkt  der  poetischen  Fiktion 
zurück  und  warnten  nur  vor  einem  Hinaus- 
gehen über  das  Mittelmeer.  In  neuerer  Zeit 
verirrten  sich  wieder  E.  v.  Baer,  Die  hom. 
Lokalitäten  in  der  Odyssee  (1878)  nach  dem 
schwarzen  Meer,  Jaez  in  Ztschr,  für  wiss. 
Geogr.  II,  10  ff.  und  Fr.  Soltau,  Die  Mythen 
und  Sagenkreise  in  Homer,  Berl.  1887,  nach 
Tenariffa.  Den  vorsichtigen  Standpunkt  des 
Eratosthenes  nimmt  auf  Hergt,  Quam  vere 
de  Ulixis  errorihiis  Eratosthenes  iudicaverit, 
Landshut  1887.     Zu   beachten  ist,    dass   die 


Meeresströmung  vom  Hellespont  um  den 
Peloponnes  herum  nach  dem  westlichen 
Griechenland  (Ithaka,  Korfu)  und  von  da 
nach  Süditalien  und  Sizilien  führt. 

^)  Gegen  Autopsie  spricht  deutlich  die 
verkehrte  Ansicht  von  Ithakas  Lage  Od.  i 
25  f.  Der  von  früheren  Gelehrten  zur  de- 
taillierten Ausmalung  des  homerischen  Ithaka 
missbrauchte  Glaube  an  die  Autopsie  Homers 
wurde  mit  nüchternem  Urteil  zerstört  von 
Hercher,  Über  Ithaka  in  Herm.  I,  265  ff. 
Ob  die  Sage  von  der  Versteinerung  des 
heimkehrenden  Schiffes  der  Phäaken  (^  156  ff.) 
wirklich  durch  den  Felsriff  vor  dem  Hafen 
von  Korfu  veranlasst  sei,  lasse  ich  dahinge- 
stellt. 

^)  FicK  in  seiner  Ilias  und  in  Hesiods 
Gedichte  S.  124  f.  sucht  zu  erweisen,  dass 
speziell  in  Kreta  die  Telemachie  und  Tisis, 
und  von  der  Ilias  die  Gesänge  X  3  0  ent- 
standen seien. 


A.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  30.) 


49 


Schiffkatalog,  der  den  Charakter  der  böotischen  Dichterschule  an  sich  trägt 
und  wohl  auch  in  Böotien  entstanden  ist.^) 

30.  Mündliche  Fortpflanzung.  Wenn  Homer  die  Sänger  Demo- 
dokos  und  Phemios  ihre  Lieder  vom  Ruhm  der  Helden  zur  Phorminx  vor- 
tragen lässt,  so  dürfen  wir  uns  unter  diesen  den  göttlichen  Homer  selbst 
vorstellen.  Homer  also  hatte  seine  Lieder  im  Kopf  und  sang  sie  in  der 
Versammlung  des  Volks  oder  beim  Mahl  der  Fürsten,  ohne  beim  Vortrag 
eines  Blattes  oder  einer  schriftlichen  Aufzeichnung  zu  bedürfen.  Aber  wir 
müssen  weiter  gehen  und  dem  Homer  überhaupt  den  Gebrauch  der  Schrift 
absprechen.  Dieser  Ansicht  waren  bereits  die  alexandrinischen  Gelehrten;''^) 
in  neuerer  Zeit  ist,  wie  wir  oben  sahen,  F.  A.  Wolf  von  diesem  Satz  in 
seiner  ganzen  Anschauung  vom  Wesen  der  homerischen  Poesie  ausgegangen. 
Auch  hat  er  damit  bei  den  meisten  Homerforschern  Beifall  gefunden;^) 
doch  fehlte  es  auch  nicht  an  Widersachern.  Nicht  bloss  Nitzsch  in  seiner 
Historia  Homeri,  sondern  neuerdings  auch  Bergk^)  nahmen  an,  dass  wohl 
die  homerischen  Gedichte  für  den  mündlichen  Vortrag  bestimmt  waren, 
dass  sie  aber  gleichwohl  der  Dichter  selbst  niedergeschrieben  habe.  Die 
Frage  muss  zunächst  aus  Homer  selbst  beantwortet  werden.  Nun  kann 
an  der  Stelle  IL  H  175  ff.  allerdings  keine  Rede  davon  sein,  dass  die  Hel- 
den, welche  sich  zum  Zweikampfe  mit  Hektor  erboten,  ihren  Namen  mit 
Buchstaben  auf  das  Täf eichen  schrieben;  sonst  hätte  es  ja  des  Herum- 
reichens  des  herausgesprungenen  Loses  nicht  bedurft,  sondern  hätte  einfach 
Nestor  oder  der  Herold  den  Namen  verlesen  und  ausgerufen.  Aber  jene 
Stelle  beweist  nur,  dass  Homer  seinen  Helden,  den  Heroen,  die  Kenntnis 
der  Schrift  abgesprochen  wissen  wollte.^)  Dass  ihm  selbst  der  Gebrauch 
derselben  nicht  ganz  unbekannt  war,  bezeugen  in  der  Episode  vom  Zu- 
sammentreffen des  Diomedes  und  Glaukos  die  Worte  tvs^tcs  de  fuv  AvxirjvSe, 
TioQSv  6'oy€  arjfxara  XvyQCc,  yqüipag  sv  rtivaxi  tttvxto^i  ^viiocf&öqa  TtoXXd 
(Z  168  f.).  Denn  danach  musste  der  Dichter  schon  etwas  von  einem  brief- 
lichen Verkehr  mit  abwesenden  Personen  gehört  haben,  wenn  er  sich  auch 
unter  den  Zeichen  (arniaxa)  keine  Buchstaben,  sondern  symbolische  Zeichen, 
wie  Chimäre,  Amazone  etc.  gedacht  haben  mochte.  Auf  der  anderen  Seite 
ist  beachtenswert,  dass  Homer,  der  uns  doch  von  der  Kultur  seines  Zeit- 
alters das  anschaulichste  Bild  entwirft  und  uns  von  Schmieden,   Zimmer- 


^)  Der  Schiffkatalog  hatte  den  Titel 
BoLMiLCiy  weil  er  von  Böotien  ausgeht,  was 
mit  dem  Sammelplatz  der  Schiffe  in  Aulis, 
vielleicht  aber  auch  mit  der  Heimat  des 
Dichters  zusammenhängt. 

^)  Joseph  c.  Ap.  I,  2 :  xai  cpaaiv  ovds 
Ofj,7]Qou  iy  yQc'(fÄ^aOL  ttqp  avxov  nolrjGiv  x«- 
xcilmeiv,  «AA«  6iafj,vt]y.ovevofX£vr])/  ix  tmv 
ua^dxctiy  vaxsQov  avpxe^ijvm  xccl  &i(c  xovxo 
TioX^dg  iy  avxf,  g/sTp  xdg  dia(poQccg.  Ari- 
starch  setzte  eine  Diple  zu  H  175  ol  de 
xXrJQOP  ia^^^dvavxo  exaaxog  und  P  599  ygtixpEv 
ö's  ol  oaxeov  ocXQtg  (>cl/^u7]  JIovXv&ccfÄayxog, 
um  anzudeuten,  dass  an  der  zweiten  Stelle 
yQdq)siy  im  Sinne  von  „ritzen"  nicht  „schrei- 
ben"   zu    nehmen    sei,    und    an    der    ersten 


ea7]fj,tjpayxo  auf  eingeritzte  Zeichen,  nicht 
auf  Buchstaben  hinweise;  s.  Lehks,  De  Arist. 
stud.    Hom.^    p.   95;   vergleiche  An.  5. 

^)  WoLFProleg.  p.  73sqq. ;  Sengebüsch, 
Hom.  diss.  post.  27  ff.;  Düntzer,  Die  hom. 
Fragen  S.  175  ff.;  Friedländer,  Schicksale 
der  homerischen  Poesie  S.  9. 

'')  Bergk,  Gr.  Litt.  I,  526—31.  Auch 
WiLAMOwiTZ,  Hom.  Unt.  S.  293  nimmt  für 
die  Odyssee  den  Gebrauch  der  Schrift  in 
Anspruch, 

^)  Dass  in  diesem  Sinne  Aristarch  seine 
Zeichen  setzte,  beweist  namentlich  das  Scho- 
lion  zu  ^  163,  wie  Römer,  Bay.  Gymn.  Bl. 
XXI  (1885),  289  ff.  dargethan  hat. 


Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII,     2.  AuH, 


50 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


leuten,  Schilderern,  Goldarbeitern  u.  a.  zu  erzählen  weiss,  nirgends,  auch 
nicht  in  den  jüngsten  Büchern  der  Odyssee,  von  Schreibern  und  Büchern 
Erwähnung  thut.  Von  grösserer  Bedeutung  für  unsere  Frage  sind  die 
sprachlichen  Erscheinungen  der  Verkürzung  von  Vokalen,  der  Verdoppelung 
von  Konsonanten  {'AnolXco^'  und  'AnnöXlMvog^  ^AxiXXsvg  und  ^AxiXrjoq)  und 
des  völligen  Verschwindens  des  Digamma  aus  dem  Texte  der  homerischen 
Gedichte.  Denn  allerdings  bezeichnete  auch  die  ältere  Schrift  der  Griechen 
weder  die  Quantität  der  Vokale  noch  die  Verdoppelung  der  Liquida,  und 
konnte  zur  Not  das  Digamma,  auch  wenn  es  ursprünglich  im  Texte  stund, 
später  wieder  spurlos  verschwinden;  i)  aber  die  Flüssigkeit  der  homerischen 
Sprache  und  die  grosse  Umgestaltung  des  Textes  infolge  des  Verschwin- 
dens des  Digamma  erklärt  sich  doch  ungleich  leichter,  wenn  der  Text 
nicht  gleich  von  vornherein  durch  die  Schrift  fixiert  war.  Endlich  lässt 
die  ganze  Geschichte  des  griechischen  Schriftgebrauches  eine  so  frühe 
Niederschreibung  umfangreicher  Gedichte  als  durchaus  unwahrscheinlich 
erscheinen.  Mag  immerhin  schon  vor  der  Zeit  der  Siegestafel  des  Moabiter- 
königs  Mesas  (um  850)  die  Schrift  von  den  Phöniziern  nach  Griechenland 
gebracht  worden  sein,  2)  ein  ausgedehnter  Gebrauch  von  derselben  wurde  in 
Griechenland  erst  nach  dem  Beginn  der  Olympiaden  gemacht:  erst  im 
7.  Jahrhundert  begann  man  Gesetze  schriftlich  aufzuzeichnen,  und  doch,  er- 
heischten diese  viel  eher  als  Gedichte  eine  Fixierung  durch  die  Schrift. 
Der  griechische  Name  für  Buch,  ßißXog  und  ßißXiov,  hängt  mit  der  Papyrus- 
staude (ßi'ßXog)  zusammen  und  ist  daher  erst  aufgekommen,  als  unter 
Psammetich  das  Nilland  den  Griechen  erschlossen  worden  war.  Freilich 
existierte  nach  Herodot  V,  58  ein  älterer  Name  ^Kf^sga  (Haut)  für  Buch, 
aber  wenn  daraus  auch  folgt,  dass  schon  vor  Psammetich  die  lonier  Bücher 
kannten,  so  schliesst  doch  die  Unhandsamkeit  des  aus  Fellen  bereiteten 
Materials  die  Abfassung  grosser  und  zahlreicher  Bücher  aus;  auch  wäre 
schwerlich  ein  neuer  Name  aufgekommen,  wenn  der  Gebrauch  von  Büchern 
aus  Fell  bereits  eine  allgemeine,  oder  auch  nur  grosse  Verbreitung  gehabt 
hätte. -^j  Kurzum,  für  das  9.  und  8.  Jahrhundert  ist  eine  andere  als  bloss 
mündliche  Fortpflanzung  der  homerischen  Gedichte  durchaus  unwahrscheinlich. 
31.  Die  Rhapsoden.  Vermittler  der  homerischen  Gesänge  waren 
bis  zu  ihrer  schriftlichen  Abfassung  und  teilweise  noch  Jahrhunderte 
darüber  hinaus  die  Rhapsoden  [Qa^xoSoi).^)  Dieselben  trugen  mit  einem 
Stab  (gaßdog,  ai'aaxog)  in  der  Hand  und  geschmückt  mit  einem  Kranz  die 
Verse  Homers  in  Festversammlungen  {sv  ayiiöai)  vor.-'')    Homer  kennt  weder 


^)  Beegk,  Gr.  Litt.  I,  529  hat  besonders 
auf  Pindar  hingewiesen,  aus  dessen  Gedichten 
infolge  ihrer  Verbreitung  in  Attika  das  Di- 
gamma verschwand. 

2)  Was  HiNRicHS,  Handb.  d.  klass.  Alt. 
I,  369,  von  der  Rezeption  der  griech.  Schrift 
in  der  Zeit  vom  16. — 12.  Jahrh.  spricht^  läuft 
auf  ein  blosses  Meinen  hinaus;  wer  dafür 
^um  1000  V.  Chr."  setzen  würde,  könnte 
«ebensowenig  widerlegt  werden.  Beachtens- 
wert ist  die  Annahme  Meister's,  Griech. 
Pial.  II,  130,  dass  die  Achäer  ihre  syllabare 


Schrift  schon  nach  Kypern  (vielleicht  aus 
Kleinasien)  mitbrachten,  da  sie  in  Kypern 
selbst  von  den  Phöniziern  die  Buchstaben- 
schrift, nicht  die  syllabare,  angenommen 
hätten. 

^)  Dass  zu  Archilochos  Zeit  im  7.  Jahrh. 
die  Schrift  bekannt  war,  geht  aus  dessen 
Worten  fr.  89  igeo)  tlv^  v^lv  aivov.,  lo  Kj]qv- 
xld't],  u^vv^xiv^]  GxvTdkf]  hervor. 

4)  Welcker,  Ep.  Cycl.  I,  335  ff. 

^)  Über  die  Tracht  der  Rhapsoden  Haupt- 
stelle Plato,  Ion  in. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  31—32.) 


51 


das  Wort  noch  die  Sache;  diejenigen,  welche  bei  ihm  in  den  Hallen  der 
Königsbiirgen  beim  Mahle  von  den  Ruhmesthaten  der  Helden  singen,  heissen 
aoiSoi  und  führen  die  Phorminx,i)  nicht  den  Stab.  Es  war  also  inzwischen 
eine  Wandlung  in  der  Vortragsweise  eingetreten:  das  Saitenspiel,  das  nie 
eine  grosse  Rolle  bei  den  epischen  Sängern  gespielt  hatte,-)  war  gänzlich 
weggefallen,  und  an  die  Stelle  der  Laute  war  der  Stab  getreten,  der  den 
Vortragenden  nur  als  Sprecher  in  der  Versammlung  kennzeichnete.^)  Mit 
der  Zeit  knüpfte  sich  an  die  Namen  auch  noch  ein  tieferer  Unterschied: 
während  die  Aöden  Sänger  und  Dichter  zugleich  waren,  setzte  sich  der 
Stand  der  Rhapsoden  aus  solchen  zusammen,  welche,  ohne  selbst  die  gött- 
liche Gabe  der  Dichtkunst  zu  haben,  nur  als  gedächtnisstarke  Deklamatoren 
die  Gesänge  anderer  vortrugen.  Der  Name  Rhapsode  geht  indes  ziemlich 
weit,  bis  in  die  Zeit  des  Hesiod  hinauf.  Denn  dieser  erwähnt  ausdrücklich 
den  Stab  im  Eingang  der  Theogonie: 

wg  ecfaaav  xovQcci  ^eyccXov  Jiog  ccQTibTisiai 

xai  ßoi  (TxrjTTTQOV  sSov  6d(fvrjg  SQi^riXsog  ot,ov.'^) 

Den  Stab,  gäßSog,  darf  man  aber  nicht  in  dem  Namen  qaipo^Sög 
selber  finden  wollen,  vielmehr  enthält  nach  der  Analogie  von  iysqaiixaxog, 
^AyrjaiXaog,  oQaivsiprjg  u.  a.  der  erste  Teil  des  Kompositums  einen  verbalen 
Begriff,  so  dass  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  genau  wieder- 
gegeben wird  durch  Hesiod  fr.  227:  ixbXno^sv  iv  vsaqolg  v^voig  qäipavTsg 
doiSr'iV.^) 

32.  Da  die  Rhapsoden  verschiedener  Dichter  Werke  vortrugen^  so 
hiessen  diejenigen,  welche  speziell  den  Homer  zum  Vortrag  sich  erkoren, 
'OfJtrjQiSai,  so  bei  Pindar  Nem.  H,  1 :  od^sv  tvsq  xal  ^OfxriQiSai  gauTcov  stvscov 
TanöXX  doiSol  aQxovzai,  wobei  jedoch  die  Möglichkeit,  ja  Wahrscheinlich- 
keit offen  bleibt,  dass  der  Name  ursprünglich  nur  denen  zustand,  welche, 
von  Homer  abstammend,  sich  die  Aufgabe  stellten  die  Gedichte  des  Ahn- 
herrn ihres  Geschlechtes  fortzupflanzen.^)  Durch  diese  Homeriden  also 
wurden  die  Werke  Homers  fortgepflanzt  und  rasch  über  Hellas  verbreitet. 
In  den  vielgestaltigen  Überlieferungen  von  der  Heimat  des  Homer  hat  man 
mit  Recht  Anzeichen  von  den  Sitzen  solcher  Rhapsodenschulen  erkannt, 
obgleich  Sengebusch  zu  weit  ging,  wenn  er  in  den  betreffenden  Zeitangaben 


')  Die  zum  Eingang  [civaßolrj)  des  Vor- 
trags angeschlagene  Phorminx  des  Homer 
vergleicht  sich  der  Gusle,  zu  der  die  alten 
Serben  ihre  Volkslieder  vortrugen.  Den 
Vorhag  im  hohen  Saale  des  Königspalastes 
hat  auch  Uhland  vor  Augen  in  seiner  Bal- 
lade vom  blinden  Sänger. 

^)  Erst  später  komponierten  kunstvollere 
Melodien  zu  den  Versen  Homers  Terpander 
(Plut.  de  mus.  3)  und  Stesander  (Ath.  638a, 
620 cd).  Die  Späteren  vermengen  die  Zeiten 
und  Vortragsweisen,  wenn  sie,  wie  Hera- 
kleides Pontikos  (Ath.  632 d  und  Plut.  de 
mus.  3)  den  Homer  selbst  das  Melos  zu 
seinen  Gedichten  erfinden  lassen. 

•^)  Der  Sprechende  in  der  Versammlung 
erhält  bei   Homer   T  218,  '4>  568,  ß  37  den 


Stab  oder  das  oxtjtttqov.  Welcker,  Ep, 
Cycl.  I,  337  erinnert  an  den  Stab,  den  auch 
die  französischen  Nouvellistes  führten. 

■*)  Auf  Homer  selbst  ist  die  Sitte  der 
Rhapsoden  übertragen  von  Pindar  Isth  HI, 
bh'/'OfxrjQoq  y.azd  Qf'tßdoy  ecpQaoei^.  Ebenso 
gab  der  Künstler  Archelaos  in  der  Apotheose 
Homers  dem  Homer  einen  Zweig  in  die  Rechte. 

^)  Auffällig  ist  nur  die  Betonung,  die 
eher  auf  den  Begriff  QCinrd  (isii^iov  führen 
würde;  indes  kann  hier  die  vermeintliche 
Gleichheit  von  avho(^6q,  y.if^aQwö'og  etc.  zur 
Betonung  der  Schlusssilbe  geführt  haben. 

^)  Ein  verwandter  Name,  der  aber  keine 
Geschlechtszugehörigkeit  mehr  bezeichnete, 
war  nach  Aristoteles  bei  Ath.  620^'Of^'r]Qi<yTccL. 


4* 


52 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Zeugnisse  über  die  Zeit  der  Einführung  der  homerischen  Lieder  in  den 
einzelnen  Städten  finden  wollte.^)  So  wurden  die  Dichtungen  Homers  im 
Laufe  des  8.  und  7.  Jahrh.  über  ihre  Heimat  im  ionischen  Kleinasien  hinaus 
nach  den  Inseln  los,  Rhodos,  Kypern,  Kreta,  nach  Prokonnesos  in  der  Pro- 
pontis,  Kenchreä  in  der  Troas,  und  des  weitern  von  Kyme  nach  Böotien, 
von  Samos  nach  Sparta,  von  Smyrna  nach  Attika  getragen/-)  Denn  wenn 
die  späteren  Schriftsteller  die  Sache  so  darstellen,  als  ob  Lykurg,  sei  es 
von  Samos,  sei  es  von  Chios,  sei  es  von  Kreta  den  Homer  ^)  nach  Sparta 
gebracht  habe,  so  machen  es  schon  die  von  Maximus  Tyrius  XXHI,  5 
erwähnten  Rhapsodenwettkämpfe  Spartas  wahrscheinlich,  dass  man  dabei 
nicht  an  ein  geschriebenes  Homerexemplar  zu  denken  hat,  sondern  an  die 
öffentliche  Einrichtung  von  Homerrecitationen,  wozu  man  Rhapsoden  von 
den  alten  Sitzen  des  homerischen  Gesanges,  zunächst  von  dem  befreundeten 
Samos,  hatte  kommen  lassen.^)  Genaueres  erfahren  wir  über  die  Verpflan- 
zung des  homerischen  Gesanges  nach  Sizilien  durch  ein  altes  Scholion  zu 
Pindar  Nem.  H,  1,''')  wonach  der  Rhapsode  Kynaithos  aus  Chios,  dem 
man  auch  den  Hymnus  auf  Apoll  beilegte,  in  der  69.  Olympiade  oder  um 
500  v.  Chr.  den  homerischen  Gesang  nach  Syrakus  brachte.  Leider  aber 
ist  die  Zeitangabe  unsicher,  da  es  wenig  glaublich  ist,  dass  Homer  so  spät 
erst  bei  den  poesie-  und  kunstliebenden  Syrakusanern  sich  eingebürgert 
halben  soll.  Bestimmte  Nachrichten  über  rhapsodische  Vorträge  und  Wett- 
kämpfe haben  wir  überdies  von  Salamis  in  Kypern,^)  von  Sparta,  Sikyon,') 
Epidauros,^)  Brauron  in  Attika,^)  Athen. ^ö)  Am  berühmtesten  wurden  die 
Vorträge  in  letztgenannter  Stadt  an  dem  alle  4  Jahre  wiederkehrenden 
Feste  der  Panathenäen.  Dieselben  waren  nach  dem  Zeugnis  des  Redners 
Lykurg  durch  ein  Gesetz  angeordnet,  i^)  welches  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  auf  Selon  selber  zurückging.  Ungewiss  ist  es,  ob  die  weitere  Anord- 
nung,   dass  bei  dem  Vortrag  die   einzelnen  Gesänge   in   richtiger  Ordnung 


^)  Die  diesbezügliche  Tabelle  bei  Senge- 
busch, Hom,  diss.  post.  p.  85  f. 

2)  Aelian  V.  H.  XIII,  14. 

^)  Diese  Nachrichten  bei  Plut.  Lykurg 
4,  Ephoros  bei  Strab.  p.  482  und  Dio  Chrys. 
II,  45  betrachtet  Wilamowitz,  Hom.  Unt. 
271  als  erdichtete  Dubletten  der  Solon- 
legende. 

■*)  Flach,  Peisistratos  S.  17  nimmt  ein 
geschriebenes  Exemplar  an,  ohne  irgendwie 
zwingende  Beweise  zu  erbringen. 

5)  'OfxrjQL^ug  tXeyoy  tö  fj.6y  ciQ/cdov  rovg 
((710  rov  0^u7]Qov  ysvovg,  ot  xal  rrjv  nolrjaLP 
avzov  iy.  ^lu&o^rjg  rj^ov  •  fxeru  68  ravra  x(d 
OL  ()(4xp(oö'ol  ovy.sTL  To  ysvog  EigOfxrjQov  dvcl- 
yovTsg  '  inicpavsTg  6t  eysvovro  oi  ttsqI  Kv- 
vuiS^ov,  ovg  (p(«Ji  noXXd  t(op  stujUp  TTOirjacivrag 
ifxßaleJv  sig  Trjv  'Ofj.rjQnv  nolr]Oiv  •  tjy  de  6 
KvvdL&og  Xiog,  ög  y.cd  rdyp  ETiiygacfo^tvioy 
'Ofxr,Qov  Tioirj^tatxiv  toV  elg  ^inolloiva  ys- 
yQfcfx^ivov  vfxvop  ItysTui  nenoirixspca  '  ovtog 
ovv  6  Kvyfuf^og  nQMXog  eV  ^ivQuyovacug  eq- 
Qccxpo)67](T€  rä  OfxrjQov  int]  xatd  xfjv  i^tjxo- 
crrjy  epvuxrjV  O'/A'/uniddu,  ujg  InTioGTQarog 
ipriaiv.     Die  wahrscheinlich  verderbte  Oljm- 


piadenzahl  wollte  Welcker,  wenig  glaublich, 
in  eyxTiv  rj  rrju  svvdTrjp,  Düntzer  in  sixoGttjv 
svvdxr]v  ändern.  Vielleicht  aber  ist  die  Zahl 
richtig  und  bloss  das  n^iorog  übertrieben. 
Ausserdem  erwähnt  Suidas  einen  Parthe- 
nios,  Sohn  des  Thestor  und  Abkömmling 
des  Homer  aus  Chios. 

^)  Hom.  hymn.  VI,  19  u.  X,  4 

')  Herodot  V,  67:  KXeiax)^evt]g  'J^yeioig 
TioXs^t^aag  ^aipojdovg  enavaEv  sv  Ziyviofi 
dyixjp'i^sa&cii  tmp  ^Ofxr]Qiy.(ji}v  sneuip  sl'yexa. 

^)  An  den  Asklepien  nach  Plat.  Ion  in. 

^)  Hesychios  u.  BQavQMvloig  u.  Athen, 
p.  275  b. 

^'^)  Nachdem  musische  Agone  hinzuge- 
kommen waren,  behielten  doch  die  rhap- 
sodischen die  erste  Stelle,  was  die  Inschrif- 
ten von  Oropus  Eph.  arch.  III,  128.  5,  von  Or- 
chomenos  CIG.  1583  u.  1584  und  Ath.  538 
bezeugen. 

^')  Lykurg  in  Leoer.  102:  vofxov  eS^ev- 
to  (sc.  i\ucoy  ol  nateQEg)  xccS^^  ixdaz7]t^  nsv- 
xuexYiQiSa  xmv  Tlava&'i]valoiv  fxovov  (Ofiijgov) 
X(x}v  dX'kwv  7joi,7]xcoy  ()a}pio6siffi9cii  xd  sttij. 


A.  Epos.    3.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  33.) 


53 


aufeinander  folgen    sollten,   gleichfalls   schon  von  Selon    ausging  oder  erst 
unter  Peisistratos  durch  dessen  Sohn  Hipparch  getroffen  wurde.  ^) 

33.  Niederschrift  Homers.  Die  erste  schriftliche  Aufzeichnung  und 
Zusammenordnung  der  Ilias  und  Odyssee  soll  von  Peisistratos  (560—527) 
veranstaltet  worden  sein.  Die  Hauptnachricht  darüber  steht  bei  Cicero  de 
erat.  HI,  34.  137:  primus  Ilomeri  libros  confusos  antea  sie  disposuisse  dicitur, 
ut  nunc  hahemus^)  Damit  stimmen  im  wesentlichen  das  Epigramm  in  Anth. 
XI,  442  und  die  schon  oben  angeführte  Stelle  des  Aelian  V.  H.  13,  14 
überein.  In  neuerer  Zeit  haben  wir  auch  durch  ein  Scholion  des  Byzan- 
tiners Tzetzes^)  Kenntnis  von  den  4  Gelehrten  bekommen,  deren  Beihilfe 
sich  Peisistratos  bei  jenem  Unternehmen  bediente.  Drei  derselben  waren 
Onomakritos  aus  Athen,  den  wir  als  Fälscher  von  Gedichten  des  Musaios 
schon  früher  kennen  gelernt  haben,  Zopyros  aus  Heraklea  und  Orpheus 
aus  Kroton;  der  Name  des  vierten  ist  verderbt  und  scheint  überhaupt  auf 
einem  Missverständnis  zu  beruhen.^)  Das  ganze  Unternehmen  des  Peisistratos 
hängt  offenbar  mit  der  ersten  Anlage  einer  Bibliothek  durch  den  kunst- 
liebenden Fürsten,  wahrscheinlich  auch  mit  der  durch  seinen  Sohn  Hipparch 
getroffenen  Anordnung  des  vollständigen  und  geordneten  Vortrags  der  ho- 
merischen Gedichte  an  den  Panathenäen  zusammen.  Schwerlich  aber  wird 
Peisistratos  der  erste  gewesen  sein,  der  etwas  von  Homer  niederschrieb 
oder  niederschreiben  Hess.  Schon  100  Jahre  vor  dem  athenischen  Tyrannen 
gab  es  bei  den  loniern  Bücher,  und  es  wäre  sonderbar,  wenn  die  Ehre  der 
schriftlichen  Aufzeichnung  einem  lambographen  oder  Elegiker  früher  als 
dem  grossen  Nationaldichter  zu  Teil  geworden  wäre.  Auch  besagen  die 
Zeugnisse  nur,  dass  erst  unter  Peisistratos  eine  Gesamtilias  und  eine  Gesamt- 
odyssee hergestellt  wurde.  Damit  ist  es  aber  wohl  verträglich,  dass  schon 
zuvor  von  Rhapsoden  einzelne  Gesänge,  wie  insbesondere  der  Schiffkatalog '^j 


^)  Dem  Solen  wird  die  Anordnung  zu- 
geschrieben von  Diog.  I,  57  auf  Grund  der 
Angabe  des  Historikers  Dieuchidas,  der  in 
der  Zeit  Alexanders  lebte:  rd  rs  'Ofitjgov  i^ 
vnoßoXrjg  ysygacpE  ^axpiüöeio&ca,  olov  onov 
6  TTQujtog  £Xr]^EP,  ixel^i^sv  (<Q/S(Jx^ai  jov  i/o- 
fXEvoy,  dem  Hipparch,  welcher  überhaupt 
nach  Herodot  VII,  6  seinen  Vater  Peisistra- 
tos in  seinen  wissenschaftlichen  Unterneh- 
mungen wesentlich  unterstützte,  von  Ps. 
Plato  Hipp.  p.  228  B:  xd  'OjutJQot^  enr}  nquixog 
ixofiiaey  €ig  rrjv  y^t^  tavTfjpi,  xccl  i^yäyxaos 
xovg  ^axpM^ovg  TIciva&i]vaioig  f|  vnoXrjxpEiog 
(füspai,  dianeQ  vvp  oWs  noLovai.  Zwischen 
s'i  vTioßolrlg  „nach  Anleitung"  und  f|  vno- 
l^xpEMg  „nach  der  Reihe"  mag  ursprünglich 
ein  Unterschied  bestanden  haben,  hier  aber 
sind  die  beiden  Ausdrücke  offenbar  gleich- 
bedeutend gebraucht.  Die  Bedeutung  f|  vno- 
ßo^g  „nach  Vorschrift  oder  Anleitung"  steht 
fest  durch  eine  Inschrift  der  Insel  Teos  CIG. 
3088,  wo  der  Gegensatz  ist  e|  dpxanodoaEcog  • 
s.  NiTzscH,  Sagenpoesie  413  ff. 

^)  DüNTZEK,  Peisistratos  und  Homeros, 
in  Jahrb.  f.  Phil.  1865  S.  729  ff.  sucht  zu  er- 
weisen, dass  Dikäarch  der  Gewährsmann  des 


Cicero  gewesen  sei.  Dagegen  erhebt  Ein- 
wendungen Volkmann,  Wolfs  Proleg.  348  f. 
^)  Proleg.  in  Aristoph.  (s.  La  Roche,  Hom. 
Textkr.  p.  10):  eItiop  avpd^sipai  xdp^'OfxrjQOP  inl 
RELOioxQfhov  EßdofXTJxopxa  dvo  aocpovg,  wp  Eß- 
dofxrjxopxa  dvo  eIpm   xal  xop  Zrjpö^oxop   xal 

XOP   UQlGXaQ/OP,    XCCLXOL    XEaCTCCQCJP     OPXCÜP    ETll 

HEiOioxQaxov  avp^hEPXtop  xop  OfxrjQOP,  otxipsg 
EiGiP  ovxoi:  'EnixoyxvXog  (verderbt  aus  f.nixog 
xvx'kog),  'OpofxäxQixog  ^A&yjpaiog,  ZuinvQog 
'HQaxlEi6xt]g  xal  OqtfEvg  KqoxMPidxrjg.  Die 
72  Gelehrten  sind  natürlich  eine  konfuse 
Reminiszenz  an  die  Übersetzer  des  alten 
Testamentes.  Auch  die  4  Redaktoren  gibt 
für  eine  späte  Ausmalung  aus  Wilamowitz, 
Hom,  Unt.  254.  Flach,  Peisistr.  S.  12  führt 
sie  nach  einer  Beischrift  der  Pariser  Hdschr. 
auf  den  pergamenischen  Gelehrten  Atheno- 
doros  Kordylion  zurück. 

■^)  Bei  den  vielen  Eigennamen  des  Schiff- 
kataloges  wird  zuerst  das  Bedürfnis  einer 
Gedächtnisstütze  fühlbar  geworden  sein;  das 
Fehlen  von  Messenieu  scheint  auf  ein  erstes 
Aufschreiben  in  Sparta  hinzuweisen,  da  man 
dort  ein  Interesse  hatte,  die  politische  Un- 
selbständigkeit der  Landschaft,  aus  der  doch 


54 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


oder  die  Initien  der  einzelnen  Rhapsodien  und  Absätze  zur  UnterstiJtzung  des 
Gedächtnisses  waren  niedergeschrieben  worden.  Noch  weniger  natürlich  durfte 
aus  den  angeführten  Zeugnissen  geschlossen  werden,  dass  erst  Peisistratos 
die  Ilias  und  Odyssee  geschaffen  habe.  ^)  In  dieser  Annahme  sind  Wolf 
und  Lachmann  entschieden  zu  weit  gegangen;  darüber  sind  heutzutage  alle 
einig.  Aber  zu  skeptisch  sind  auch  nach  der  anderen  Seite  neuere  Gelehrte, 
wie  namentlich  Lehrs  gewesen,  wenn  sie  deshalb,  weil  Aristarch  von  Pei- 
sistratos schweigt,  nun  gleich  der  ganzen  Überlieferung  den  Glauben  ab- 
sprachen, 2)  Auch  ist  es  nur  natürlich,  wenn  bei  dieser  ersten  Herstellung 
einer  Gesamtausgabe  des  Homer  die  Redaktoren  teils  einigen  Episoden,  wie 
Z  119 — 236,  die  richtige,  das  ist  vom  Dichter  beabsichtigte  Stelle  wieder 
anwiesen,  teils  jüngere  Rhapsodien,  wie  die  Doloneia,  welche  nicht  alle 
Homeriden  als  echt  anerkannten,  in  die  Reihe  der  Gesänge  aufnahmen, 
teils  einzelne  Verse,  wie  A  265,  l  631,  B  558,  T  144,  M  372  zusetzten 
oder  zu  Gunsten  attischen  Ruhmes  umgestalteten.^) 

34.  Anfänge  der  homerischen  Studien.  Nachdem  einmal  unter 
Peisistratos  die  homerischen  Gedichte  durch  die  Schrift  fixiert  waren,  hat 
die  darauf  folgende  Zeit  bis  zu  den  Alexandrinern  weder  in  der  Gestaltung 
des  Textes  wesentliche  Änderungen,  noch  bedeutende  Leistungen  für  das 
Verständnis  und  die  Erklärung  des  Dichters  gebracht.  Das  Exemplar  des 
Peisistratos  selbst  ist  im  Laufe  der  Zeiten  untergegangen;  ob  es  mit  der 
übrigen  Bibliothek  durch  Xerxes  weggeführt  wurde,  darüber  lässt  sich  bei 
der  Fadenscheinigkeit  der  Überlieferung^)  nichts  sicheres  aufstellen.  Nicht 
unbedeutend  muss  hingegen  die  Thätigkeit  derjenigen  gewesen  sein,  welche 
nach  den  Perserkriegen  den  in  alter  Schrift  abgefassten  Text  in  die  neue 
umschrieben  (ot  iisTaxccQccTiTriQiaavzeg).  Manche  bis  auf  unsere  Zeit  fort- 
vererbte Fehler  des  Textes  sind  auf  den  Irrtum  und  die  Unsicherheit  jener 
Männer  zurückzuführen.^)  Den  Homer  zu  kommentieren  fand  man  in  dieser 
Zeit  noch  nicht  für  notwendig;  man  stand  noch  dem  Dichter  zu  nahe  und 
lebte  noch  zu  sehr  in  der  Periode  des  frohen  Schaffens,  als  dass  man  schon 
an  die  Peinlichkeit  der  Textesverbessernng  und  fortlaufenden  Kommen- 
tierung gedacht  hätte.  Doch  geschah  schon  etwas  nach  dieser  Richtung 
hin;  teils  suchte  man  Näheres  über  die  Person  des  Homer,  sein  Geschlecht 
und  das  Schicksal  seiner  Werke  zu  ermitteln,  teils  versuchte  man  seinen 
Witz  an  der  Beanstandung  eines  und  des  andern  Ausdrucks,    teils  endlich 


der  König  Diokles  (E  542,  y  488,  o  186) 
stammte,  durch  Homer    besiegeln  zu  lassen. 

')  Allerdings  heisst  es  schon  bei  Älian 
V.  H  XIII,  14:  lOisQov  cTe  TIeioioTQCiTog  ov- 
vayuyojv  aTiFCfrjvF.   ttji'  ^Ihäda  ymi  OSvGOBiav. 

^)  Lehrs,  Zur  homerischen  Interpolation, 
in  Arist.'^  430—54;  dagegen  Düntzbr  a.  0. 
und  WiLAMOwiTz,  Hom.  Unt.  235  ff.  Dagegen 
überbieten  Lehrs  noch  Flach  a.  0.  u.  Lud- 
wich, Arist.  hom.  Textkr.  II,  390  ff.,  welch 
letzterer  nur  mehr  von  einer  Peisistratos- 
legende  spricht. 

^)  Vgl.  meine  Proleg.  p.  17  f. 

^)  Gellius  VII.  17:  Libros  Athenis  dis- 
ciplinarum  liberalium  i)uhlice  ad  legendum 
praebendos  jorimus   posuisse   dicitur   Pisi- 


stratus  tyrannus.  Deinceps  studiosius  ac- 
curatiusque  ipsi  Athenienses  auxerunt;  sed 
omnem  illam  postea  librorum  copiam  Xerxes 
Athenarum  potitus,  urbe  ipsa  praeter  arcem 
incensa,  abstulit  asportavitque  in  Persas. 
Eos  porro  libros  universos  multis  p)OSt  tem- 
jjestatibus  Seleucus  rex,  qui  Nicanor  appel- 
latus  est,  referendos  Athenas  curavit. 

^)  So  r  201  TQÜcpT]  für  ToäcpBv,  H  434 
eygsro  für  rjyQSTo,  ^a/rjao^ca  neben  ^a^^o- 
00/uai,  TS&vr}(6g  neben  Tsd^ysicjg.  Siehe  meine 
Proleg.  p.  104 — 115.  Jene  Umschreibung 
wird  in  Abrede  gestellt  von  Wilamow^itz, 
Hom.  Unters.  286  ff.  und  Ludwich,  Arist. 
hom.  Textkr.  II,  420  ff. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  34 — 35.) 


55 


bekämpfte  man  dessen  Ansichten  über  die  Götter  oder  legte  den  diesbezüg- 
lichen Worten  einen  geheimnisvollen  Sinn  unter.  Dahin  gehörten  im  all- 
gemeinen die  Arbeiten  der  alten  Homeriker,  von  denen  Aristoteles  ^)  den 
bekannten  Ausspruch  that,  dass  sie  die  kleinen  Ähnlichkeiten  sehen,  die 
grossen  übersehen.  Namen  gibt  Piaton  im  Eingang  des  Ion; 2)  zu  den  dort 
genannten,  Metrodoros,  Stesimbrotos,  Glaukon,^)  kommt  noch  Theagenes 
von  Rhegion  aus  der  Zeit  des  Kambyses,  der  zuerst  über  Homer  geschrieben 
haben  soll  und  deshalb  auch  der  erste  Grammatiker  genannt  wird."^)  Etwas 
verschiedener  Art  waren  die  Bemerkungen  der  Philosophen  und  Sophisten, 
die  zieh  zwar  zum  Teil  auch  an  einzelne  Worte  hielten,  hauptsächlich  aber 
Widersprüche  und  Schwierigkeiten  im  Homer  aufstöberten  und  dieselben 
in  ihrer  Weise  zu  lösen  suchten  {^rjTrjfxara  xal  Xvasig).  Von  den  älteren, 
Demokritos,  Anaxagoras,  Hippias,^)  ist  uns  nichts  erhalten,  hingegen  liegen 
uns  noch  viele  derartige  Streitfragen  oder  Spielereien  bei  Aristoteles,  Poet. 
25  vor.  Grossen  Respekt  flösst  uns  die  Interpretationskunst  jener  Männer 
nicht  ein,  wie  wenn  der  Widerspruch  im  Eingang  der  Doloneia  zwischen 
TiccvTsc,  jii6V  qa  d^eoi  ts  xal  aveqeg  ircTVOxoQVcfTai  evöov  Tcavvvxioi  {K  1)  und 
ij  TOI  6t'  €g  TTsSiov  To  Tqcoixov  ad-QY^asisv,  avlo)}'  avQiyycov  S^'6p.a6ov  [K  11) 
mit  der  Annahme  gelöst  wird,  dass  rcävTsg  metaphorisch  für  rtoXXoC  stehe.  ^) 
Einige  gingen  dabei  bis  zur  Feindseligkeit  gegen  Homer,  wie  Xenophanes 
aus  Kolophon,  der  dem  Homer  und  Hesiod  vorwarf,  den  Göttern  alle  Gott- 
losigkeiten angedichtet  zu  haben,  und  der  Sophist  Zoilos,  der  von  seiner 
Polemik  den  Beinamen  ^OpbriQOfjiccaTi^  erhielt.') 

35.  Einfluss  der  homerischen  Studien.  In  derselben  Zeit  äus- 
serte Homer  den  entschiedensten  Einfluss  auf  das  ganze  hellenische  Geistes- 
leben. Seine  Anschauungen  von  den  Göttern  blieben  neben  denen  des 
Hesiod  massgebend  für  den  Volksglauben  der  Griechen,  so  dass  auf  sie 
Herodot  II,  53  die  ganze  griechische  Götterlehre  zurückführen  konnte.^) 
Aus  seinen  Mythen  sog  die  chorische  Lyrik,  insbesondere  aber  die  Tragödie 
ihre  beste  Nahrung,  wie  denn  Aischylos  seine  Dichtungen  Brosamen  von 
der  reichbesetzten  Tafel  des  Homer  nannte.     Die  von   ihm   in  Worten  ge- 


^)  Metaph.  iV  6  p,  1093a:  ofiotot  dt}  xal 
ovroi  ro?g  (XQ^^aloig  'OfxrjQixoTqy  oi  fÄixqdg 
ofxoiorrjzag  oQcoai,  fÄSyuXag  (fs  TiaqoQiooiv. 

2)  Vergl.  Sengebusch,  Hom.  diss.  prior 
133  f. 

^)  Für  Glaukon  ist  im  Schol.  zu  A  636 
Glaukos  verschrieben. 

'')^ Schol.  ad  II.  y  67  p.  533a  30:  olxo? 
fj-ey  ovv  TQÖnog  anoXoyiag  dg^cciog  wV  näw 
xal  «710  Gsayevovg  rov  'Vrjylvov,  6g  ngcoiog 
ByQufpB  nsQL  'OjUTJQov,  Tatian  adv.  Graecos 
c.  31:  nsQi  yccQ  zrjg  noirjosoig  rov  'OfxiJQov, 
ysvovg  re  avjov  xal  ^q6i  ov  xaS^^  6V  rjx^uaaev, 
TiQorjQEvvrjaav  ol  TiQsaßiharoL  &saysv7]g  re  6 
'Prjyiog  xazd  Kafxßvorjt/  ysyovojg,  ^zrjüi^ßQO- 
Tog  xs  6  0daiog  xal  ^Avtl^a^og  6  KoXoq^ojviog, 
'Hgo&oTog  xs  6  '^AlixagvaaoEvg  xal  Jiovvaiog 
6  'OXvv&Log,  fxex^  exeivovg  ^EcpoQog  6  Kv^aTog. 
Vgl.  Sengebusch  a.  0.  p.  210  ff.  In  weiterem 
Umfang  gehören  hieher  auch  noch  die  Lo- 
gographen Hellanikos,  Charax,  Damastes. 


^)  Unter  den  Werken  des  Demokritos 
erwähnt  Diogenes  IX,  48:  neql  "^O/urJQov  ij 
oQxhosneirjg  xal  ylioaaeayv.  Vgl.  Sengebusch 
a.  0.  p.  185.  Anaxagoras  war  der  Lehrer 
des  oben  genannten  Metrodoros  und  ver- 
trat schon  die  allegorische  Erklärung. 

6)  Arist.  Poet.  25  p.  146 P^  16.  Die 
Schwierigkeit  ist  in  unseren  Texten  gelöst 
durch  die  Lesart  «A/lot  fxev  Tiagd  vyjvoIv  dgi- 
axijsg  üapa/aicDy  '  s.  Römer,  Die  Homerzitate 
und  die  hom.  Fragen  des  Aristoteles,  Sitzb. 
d.  b    Ak.  1884  S.  264—314. 

^)  Über  diesen  Zoilos,  einen  Zeitgenossen 
des  Isokrates,  ein  Artikel  bei  Suidas,  wo  er 
QTjxioQ  xal  (fikoaocpog  heisst  und  von  ihm 
angeführt  wird  xaid  zrjg  OfXTJQov  noirjastog 
"köyoi  d- .  Bei  Heraklit  Alleg.  Hom.  c.  14 
heisst  er  von  seiner  Heimat  Amphipolis  0^«- 
xixop  dv^Qu-nodoy. 

^)  Vergl.  den  zu  §  59  zitierten  Ausspruch 
des  Simonides. 


56  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

zeichneten  Typen  der  Götter  und  Heroen  schwebten  den  Künstlern  bei 
ihren  Schöpfungen  als  Norm  vor,  wie  Pheidias,  um  die  Majestät  des  olym- 
pischen Zeus  auszudrücken,  sich  die  Verse  des  ersten  Gesangs  der  Ilias 
A  528  ff.  vorhielt: 

/]  xal  xvav&rjcfiv  stt'  6(fQV(fi  vsvas  Kqovicov 
ccfißqöciai  ö'aqa  xairat  in€QQW(Savro  ccvaxTog 
xQazog  «tt'  a^avciTOio,  (Jisyav  6'sXsh^sv  'OXv^inov. 
Dem   Schulunterricht   und  den  Übungen  im   Lesen,   Memorieren   und 
Erklären   wurden  homerische  Verse   zu  Grunde   gelegt,    so   dass    es    nicht 
wenige  gab,  welche  die  ganze  Ilias  auswendig  wussten.     Kurz  nach   allen 
Seiten  drang  Homer,    der  Dichter  xa^'  s'^oxrv,  in  das  Nationalbewusstsein 
der  Griechen  ein,  so  dass  selbst  Piaton,  der  sonst  den  Dichtern  wenig  hold 
war,  unumwunden  den  Homer  Griechenlands  Erzieher  nannte.^) 

36.  Homer  bei  den  Alexandrinern. 2)  Das  schulmässige  Studium 
Homers  beginnt  mit  dem  alexandrinischen  Zeitalter.  Auch  hier  hat  sich 
die  Bedeutung  Homers  darin  gezeigt,  dass  von  ihm  die  gelehrten  Studien 
Alexandriens  überhaupt  ausgingen  und  an  ihm  die  philologische  und  kri- 
tische Kunst  gewissermassen  sich  emporrankten.  Die  drei  hervorragendsten 
Grammatiker  Alexandriens,  Zenodot,  Aristophanes  und  Aristarch, 
haben  nach  einander  kritische  Ausgaben  (SioQ^oiasig)  Homers,  der  letzte 
sogar  zwei  besorgt.  Zu  dem  Zweck  der  Herausgabe  notierten  sich  die- 
selben als  Grundlage  ihrer  eigenen  kritischen  Thätigkeit  die  Lesarten  alter 
Exemplare  («xJocrag).  Wir  hören  von  zwei  Arten  von  Handschriften,  von 
solchen,  die  im  Besitze  von  Städten  gewesen  waren  {xcczd  noXstg),  und 
von  solchen,  die  einzelne  Männer  besessen  und  beim  Gebrauch  verbessert 
hatten  (xard  arSgag).  Zur  ersten  Klasse  gehörten  die  Ausgaben  von 
Massilia,  Chios,  Sinope,  Kypern,  Kreta,  Aiolis,  Argolis,  zur  zweiten  die  von 
Antimachos,  Euripides  (dem  Jüngeren  nach  Suidas),  Aristoteles.^)  Von 
hohem  Alter  und  besonderer  Güte  waren  jene  Handschriften  nicht. ^)  Das 
Beste  thaten  die  Grammatiker  selbst  durch  Festsetzung  der  Bedeutung  ver- 
schollener Wörter  und  Aussonderung  des  Unechten  (d^sTsTv).  Weit  über- 
ragte hierin  seine  Vorgänger  Aristarch,^')  der  mit  unerreichtem  Scharfblick 
und  feinstem  Verständnis  der  poetischen  Kunst  das  Wahre  vom  Falschen 
zu  scheiden  und  die  Eigentümlichkeiten  des  Homer  im  Gegensatz  zu  den 
späteren  Dichtern  herauszufinden  verstand.  Seine  Ausgabe  versah  er  am 
Rand  mit  kritischen  Zeichen  (crrj^jisTa),^)  unter  denen  besonders  der  Obelos 


*)  De  rep.  X  p.  606 :  rrjp  'EXXddix  nsnai- 
^evxep  ovrog  6  TioirjTrjg.  Protag.  p.  339: 
Tiai^eiag  fj.eyiGxov  fxtQog  tjsqI  iniop  äsivov 
slvca. 

^)  La  Roche,  Die  homerische  Textkritik 
m  Altertum,  Leipzig  1866. 

^)  Vielleicht  identisch  mit  der  berühmten 
von  Aristoteles  revidierten  'ihdg  rj  ix  rov 
vclQd^t]xog,  welche  Alexander  in  einer  kost- 
baren Kapsel  {vüqSi-j'^)  aufbewahrte;  s.  Plut. 
Alex.  8  und  Strab.  p.  594. 

^)  Römer,  Homerrezension  des  Zenodot, 
Abh.  d.  b.  Ak.  XVII,  662  (24)  ff.  Über 
Aristarchs  handschriftlichen  Apparat  handelt 


LuDVsricH,  Aristarchs   hom.   Textkr.,  Kap.  1. 

'")  Lehes,  De  Äristarchi  studiis  Jiome- 
ricis,  2.  Aufl.  1865,  3.  unveränderte  Aufl. 
1886;  Ludwich,  Aristarchs  hom.  Textkritik, 
Leipzig  1884,  2  Bde. 

^)  Die  Zeichen  stehen  noch  heutzutag 
im  cod.  Ven.  A,  wovon  zuerst  La  Roche, 
Text,  Zeichen  und  Scholien  des  berühmten 
Cod.  Venetus  der  Ilias,  Wiesbaden  1862,  Mit- 
teilungen machte.  Über  die  kritischen  Zei- 
chen überhaupt  siehe  Reifferscheid,  Suet. 
rell.  p.  137  ff.  und  Osann,  Anecdotum  JRo- 
maniwi  de  notis  veteriim  criticis,  wprimis 
Äristarchi  Homericis,  Gissae  1851. 


A.  Epos.     2.  Homers  Ilias  und  Odyssee.  (§  36-37.) 


57 


und  die  Diple  viel  genannt  sind.^)  Ausserdem  hinterliess  er  Kommentare 
{vTvo}.ivrjfiaTa)  zur  Ilias  und  Odyssee  in  48  B.  und  besondere  Abhandlungen 
über  einzelne  Punkte,  wie  über  das  Schiffslager  {neql  vav(rTaS^fxov).  Dass 
von  ihm  auch  die  Einteilung  der  Ilias  und  Odyssee  in  je  24  Gesänge  her- 
rühre, ist  eine  unbeweisbare  und  nicht  sehr  wahrscheinliche  Behauptung. 
Beweisen  lässt  sich  nur,  dass  er  dieselbe  kannte;  vermutlich  aber  war  sie 
schon  von  Zenodot  eingeführt  worden;  Aristoteles  scheint  sie  noch  nicht 
gekannt  zu  haben.  2)  Die  3  berühmten  Rezensionen  von  Zenodot,  Aristo- 
phanes  und  Aristarch  waren  nicht  die  einzigen;  es  gab  noch  welche  von 
Aratos  (nur  Odyssee),  Rhianos,  Philemon,  Sosigenes  und  von  Kallistratos 
dem  Aristophaneer.3) 

37.  Was  in  den  nächsten  Jahrhunderten  auf  dem  Gebiet  der  Homer- 
kritik geleistet  wurde,  geht  fast  alles  von  Aristarch  aus  und  bedeutet  keinen 
nennenswerten  Fortschritt.  Zunächst  gehen  direkt  auf  Aristarch  die  Schriften 
zweier  Grammatiker  aus  der  Zeit  des  Cicero  und  Augustus  zurück,  denen 
wir  zumeist  unsere  Kenntnis  der  aristarchischen  Kritik  verdanken,  nämlich 
des  Didymos  nsgl  Trjg  ^ÄQKrraoxsiov  SiOQd^wasatCj^)  und  des  Aristonikos 
Ttsgl  (frjfÄsiMv  Trjg  'iXtdöog  xal  'Oövaasiag.^)  In  dem  ersten  Buche  war  über  die 
bereits  damals  schon  vielfach  verdunkelten  Lesarten  des  Aristarch  auf 
Grund  seiner  zwei  Ausgaben  und  seiner  Kommentare  mit  wenig  Witz  und 
viel  Behagen  gehandelt,  in  dem  zweiten  waren  die  Gründe  der  von  Ari- 
starch gesetzten  kritischen  Zeichen  kurz  und  bündig  entwickelt.^)  Selbst- 
ständiger, aber  nicht  bedeutender  waren  die  Arbeiten  derjenigen,  welche 
zu  den  Lesarten  und  Erklärungen  Aristarchs  Stellung  nahmen,  teils  ab- 
wehrend, teils  verteidigend.  Hauptgegner  des  Aristarch  war  der  Perga- 
mener  K  rat  es,  der  in  9  Büchern  eine  SioQ&Mt^ig  ^iXiäöog  xal  ^Oövaasiag 
schrieb;  daneben  unterhielten  die  Polemik  Kallistratos,  der  sich  gegen  die 
Athetesen  Aristarchs  wandte,  und  Ptolemaios,  ein  Schüler  des  Hellanikos, 
der  von  seinen  Angriffen  auf  Aristarch  den  Beinamen  0  sni&tTrig  erhielt. 
Für  Aristarch,  das  gefeierte  Schulhaupt,  traten  besonders  ein  die  Aristar- 
cheer  Dionysios  Thrax,  Ammonios,  Parmeniskos,  Dionysios  Sidonios,  Chai- 
ris,  Seleukos  und  Apollodor.  Alle  diese  lebten  und  schrieben  vor  Didy- 
mos ;  nach  ihm  spannen  die  alten  Fragen  Tyrannion  der  Jüngere,  Herakleon 
der  Ägyptier,  Alexion,  Philoxenos,  Apion,  Epaphroditos  fort.  Mehr  eigene 
Wege  gingen  Nikanor  unter  Hadrian,  der  die  Fälle  strittiger  Interpunk- 
tion bei  Homer  besprach,')   und   der   berühmteste  Grammatiker   der  römi- 


^)  Mit  dem  Obelos  ( — )  wurde  ein  Vers 
als  unecht  bezeichnet  [oßsUt^Eip,  ccd^Eieip); 
mit  der  Diple  (»  wurde  angedeutet,  dass 
die  betreffende  Stelle  für  Lösung  einer  kri- 
tischen Frage  oder  zur  Erkenntnis  einer 
homerischen  Eigentümlichkeit  von  Bedeu- 
tung sei. 

'^)  Jedenfalls  datiert  die  Einteilung  in 
24  Gesänge  aus  der  Zeit  nach  Einführung 
des  ionischen  Alphabets,  da  die  24  Gesänge 
nach  den  24  Buchstaben  des  neuen  ionischen 
Alphabetes  benannt  sind;  von  der  älteren 
Einteilung  in  eine  kleinere  Zahl  von  Rhap- 
sodien ist  oben  §  17  u.  18  gesprochen. 


^)  Aus  unbestimmter  Zeit  sind  die  noXv- 
ori^og,  rj  y.vxXtX7]  und  ry  sx  Movasiov. 

'^)  LuDWiGH,  Aristarchs  hom.  Textkritik 
nach  den  Fragmenten  des  Didymos,  Leipzig 
1884,  2  Bde.,  dazu  die  Einwände  von  Maass, 
Herm.  19,  565  ff'. 

■^)  Aristonici  ttsql  ai]iLiSLo)u  'Ihccdog  rell. 
ed.  Friedländer,  Götting.  1853,  zur  Odyssee 
von  Carnuth,  Leipz.  1870. 

^)  Daher  hat  man  das  Eigentum  des 
Aristonikos  an  dem  Kennzeichen  oti  aus  der 
Masse  der  homerischen  Scholien  heraus- 
gefunden. 

^)  Nicanoris    nsQi  ^Ihaxrjg  orty^ui]g   rell. 


58 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


sehen  Periode,  Herodian,   der  im  Anschlüsse  an  Aristarch  über  die  Pro- 
sodie  (Accent,  Hauch,  Quantität)  bei  Homer  handelteJ) 

38.  LexikaHsche  und  erklärende  Arbeiten  zu  Homer.  Erklä- 
rungsbedürftige Wörter  des  Homer  bildeten  schon  bei  Zenodot  einen 
Gegenstand  der  Untersuchung.  Auf  uns  gekommen  ist  neben  unbedeuten- 
den Exzerpten  aus  Apion^)  und  Zenodoros^)  ein  homerisches  Speziallexikon 
von  dem  Aristarcheer  Apollonios  Sophistes  (um  100  n.  Chr.),  in  welchem 
die  Kommentare  des  Aristarch  und  die  Lexeis  des  Apion  benützt  sind.*) 
In  Gegensatz  zur  grammatischen  Erklärung  trat  schon  seit  alter  Zeit  die 
allegorische.  Sie  fand  auch  bei  Grammatikern  Eingang,  wie  insbesondere 
bei  Krates  von  Mallos,  galt  aber  immer  als  eine  spezielle  Domäne  der 
Philosophen.  Namentlich  hatten  die  Stoiker  sich  auf  dieses  Gebiet  gewor- 
fen, und  in  der  Zeit  des  Augustus  ward  die  allegorische  Deutung  in  ein 
förmliches  System  gebracht.^)  Daraus  ist  das  uns  erhaltene  Buch  'AlXriyo- 
qiai  ^Ofi7jQixai  von  Heraklei  tos  (nicht  Herakleides)  hervorgegangen, ß)  wo- 
rin vermittelst  der  Philosophie  Homer  gegen  den  Vorwurf  der  Gottlosigkeit 
in  Schutz  genommen  wird.  Manches  darin  ist  zutreffend,  wie  wenn  c.  14 
der  Vers:  ov^fjag  fx&v  jiqmtov  stkÖi^to  xal  xvvag  aQyovg  {A  50)  auf  den 
natürlichen  Verlauf  der  Seuchen  zurückgeführt  wird.  Das  Meiste  aber  ist 
verkehrt,  wie  dass  die  ßesiegung  der  Aphrodite  durch  Diomedes  in  der 
Inferiorität  der  aXoyia%ia  ßaqßäQwv  gegenüber  der  kriegerischen  Tüchtig- 
keit der  Griechen  ihren  Grund  haben  soll  (c.  30).  Daneben  wandte  man 
in  den  schreibseligen  Kreisen  der  Grammatiker  und  Philosophen  auch  der 
antiquarischen  Seite  der  homerischen  Gedichte  seine  Aufmerksamkeit  zu. 
Besonderes  Ansehen  erlangte  das  Buch  eines  gewissen  Dioskorides  „Über 
die  Sitten  bei  Homer",  welches  fleissig  von  Athenaios,  daneben  aber  auch 
von  Plutarch  und  dem  Rhetor  Dion  Chrysostomos  benützt  wurde. ^)  Noch 
später,  im  3.  Jahrh.  kehrte  die  Homererklärung  teilweise  wieder  zu  ihrem 
Ausgangspunkt  zurück.  Es  geschah  dieses  durch  die  Neuplatoniker,  bei 
denen  die  Philosophie  Homers  ein  stehendes  Thema  bildete,^)  und  aus  deren 


ed.  Friedländer,  Regiom.  1850;  nsQL  '06va- 
(jsicix^g  oxiyfxijg  ed.  Caenuth.  Berl.  1875. 

^j  Das  Buch  Herodians  hatte  den  Titel 
'O^TjQixr]  ngoGM^ia  und  war  geteilt  nach  IlJas 
und  Odyssee;  es  verfolgte  die  kontroversen 
Stellen  Buch  für  Buch.  Hauptausgabe  von 
Lektz,   Herodiuni  teclmici  relL,    Lips.  1867. 

''^)  Apions  T'Amooui  'Ofxt]QiyMi,  von  Sturz 
im  Anhang  des  Et.  Gud.  p.  601  publiziert, 
sind  ein  elendes  Exzerpt;  dass  dasselbe  aber 
doch  auf  Apion  zurückgeht,  beweist  Kopp, 
Herrn.  20,  161  tt".  Ein  Exzerpt  Ex  xov  ^Jttlü)- 
voq  im  Cod.  Vind.  169  veröffentlichte  Kopp, 
Rh.  Mus.  42,  118-  121. 

^)  Von  diesem  Zenodoros,  der  nach  Diony- 
sios  Halic.  den  er  zitiert,  lebte^  und  den  Por- 
phyrios  und  Eustathios  öfters  anführen,  gibt 
Miller,  Mel.  407 — 411,  eine  'Entiofxf]  roJv 
71  (Qi  avprj&siag  (in  10  B.),  worin  die  Abwei- 
chungen Homers  vom  gewöhnlichen  Sprach- 
gebrauch behandelt  sind. 

'^)  \47io'k'kb}viov  aocfioTov    },e'^ix6v   (erhal- 


ten in  einem  cod.  Sangermanensis)  rec. 
Imm.  Bekker,  Berol.  1833.  Dass  das  Lexi- 
kon in  verdünnter  Gestalt  auf  uns  gekommen 
ist,  weist  Leyde,  De  Ajjollonii  sophistae  lex. 
Homerico,  Leipz.  1855  nach;  vgl.  Kopp  a.  0. 

^)  Diels,  Dox.  gr.  p.  88  ff. 

^)  Heracliti  Allegoriae  Homericae  ed. 
Mehler,  LB.  1851;  es  sind  in  dieser  Ausg. 
vollständigere  Handschriften  als  in  den  frühe- 
ren benützt;  neue  kritische  Beiträge  gibt 
Ludwich,  Arist.  Textkr.  II,  642  ff. 

'')  R.  Th.  Weber,  De  Dioscuridis  ttsql 
xwv  TiKQ^  'Oy.rjQia  vof^wv,  Lips.  Disis.  1888. 
Ehedem  identifizierte  man,  durch  Suidas  irre- 
geführt, unseren  stoischen  Grammatiker  mit 
dem  Isokrateer  Dioskurides.  In  Wahrheit 
lebte  derselbe,  der  auch  dno[xv7]^ovevfxcaa 
und  über  den  lakonischen  Staat  schrieb,  nach 
Aristarch,  dein  er  folgte,  und  vor  Dion 
Chrysostomos,  der  ihn  exzerpierte;  Weber 
setzt  ihn  160-60  v.  Chr. 

^)  Schon     der    Epikureer    Phil  ödem 


A.  Epos.    2.  Homers  Ilias  und  Odyssee,  (§  38—39.) 


59 


Betrachtungen  uns  die  ^OiiriQixd  ^rjTrjiiiaTa  des  Porphyrios  erhalten  sind. i) 
Dort  werden  nach  alter  Weise  Fragen,  oft  recht  läppische,  aufgeworfen 
und  in  der  Art  klügelnder  Grammatiker  und  Sophisten  gelöst.  2) 

39.  Die  Arbeiten  der  alten  Grammatiker  sind  nicht  im  Original  auf 
uns  gekommen,  sondern  nur  in  Auszügen.  Der  hauptsächlichste  Auszug 
eines  anonymen  Grammatikers  aus  den  Viermännern  Aristonikos,  Didymos, 
Herodian,  Nikanor  ist  uns  bezeugt  durch  die  Unterschriften  des  Cod. 
Ven.  A:  na^dx^icai  td  'AqkStovikov  arjfjieta  xal  zd  Jidv^xov  ttsqI  Tjjg  ^Aqi- 
(TTCiQ)[€tov  dioQ&cöascog,  Tivd  6^  xal  ix  rrjg  ^Ihaxrjg  nQO(J(o6iag  '^Hqoo6i(xvoi> 
xal  ix  TMv  NixdvoQog  ttsqI  aTiyixi]g.^)  Dazu  waren  in  der  nachfolgenden 
Zeit  noch  Schollen  aus  anderen  Grammatikern,  besonders  aus  den  ZrjTyj- 
fnaza  des  Porphyrios  gekommen.  Auf  diese  Auszüge  gehen  die  Schollen 
unserer  Handschriften  zurück ;  dieselben  sind  uns  am  besten  in  dem  Venet. 
454  (A)  erhalten  und  zwar  in  doppelter  Fassung  als  ausführlichere  Rand- 
oder Hauptscholien,  und  als  kürzere  Zwischen-  oder  Textscholien.^)  Aus 
derselben  Quelle  stammen  die  Schollen  des  Townleianus,  mit  dem  der  jün- 
gere Victorianus  übereinstimmt,^)  und  die  des  Ven.  453  {B).^)  Mehr  die  Er- 
klärung berücksichtigten  die  fälschlich  dem  Didymus  zugeschriebenen,  schon 
von  Aldus  herausgegebenen  Scholia  minora."^)  Dürftiger  sind  die  Schollen, 
namentlich  die  kritischen,  zur  Odyssee,  vornehmlich  erhalten  durch  den 
Harleianus  5674  des  britischen  Museums  (H)  und  den  Ven.  613  {M).^) 
Ausser  den  Auszügen  der  Viermänner  und  den  Abschnitten  aus  Herakleitos 
und  Porphyrios  enthalten  diese  Schollen  manche  zum  Teil  sehr  beachtens- 
werte exegetische  Bemerkungen^)  und  viele  Notizen  aus  dem,  was  man 
Mstoria  fabularis  nennt.  1^) 


schrieb  über  das  Fürstenideal  bei  Homer 
(s.  BücHELEK,  Rh.  M.  42,  198-208),  Lon- 
ginos  Ei  (filöoocpog  "Ofxrjqog,  Porphyrios  tieql 
irjg  OfxtJQov  cpiXoaocflag. 

')  Porphyrii  Quaestionum  Homericarum 
ad  Ih'adem  pertinentium  rell.  ed.  Herm. 
ScHRADER,  Lips.  1882,  mit  Nachträgen  im 
Herrn.  20  (1885),  380  ff.;  Porphyrii  Quaest. 
Hom.  ad  Odysseam  pertinentium,  ed.  H. 
ScHRADER,  Lips.  1890.  Erhalten  ist  der  1. 
Teil  des  Buches  mit  dem  Widmungsbrief  im 
\^at.  305,  das  Ganze  exzerpiert  in  den  Homer- 
scholien,  Eustathios  und  Tzetzes. 

'^)  So  zu  J  298:  dt«  ri  6  A/ikXevg  xrjv 
fxkv  B(iLGf]'l(fa  (ffjal  dcoasty,  tmv  cT'  cHXniv  ovdep 
7TQo'i€(ji9ca  cft^alv  civev  noXifiov ;  Qrjzsov  ovv, 
oTc  071  cog  fxrj  dxQaxrjg  elvai  (foxfj.  Einen  spe- 
ziellen Versuch  allegorischer  Deutung  lie- 
ferte derselbe  Porphyrios  in  dem  Büchlein 
ne^l  Tov    ep  'O^vaaelu   xwv  Nvf^cpcoy  civtqov. 

^)  Beccard,  De  scholiis  in  Hom.  Iliadem 
Venetis,  Berlin  1850. 

^)  Römer,  Die  Werke  der  Aristarcheer 
im  Cod.  Ven.  A,  in  Stzb.  d.  b.  Ak.  1875, 
und  Ludwich,  Arist.  I,  83  ff. 

^)  Dass  der  Victorianus  in  München 
direkt  aus  dem  Townl.  abgeschrieben  sei, 
bezweifelt  Sittl,  N.  Phil.  Rundschau  1889 
S.  194;  vgl.  auch  Römer,  De  schol.  Victö- 
rianis,  Münch.  1874  S.  24  f. 


^)  Die  Schollen  zuerst  bekannt  gemacht 
durch  ViLLOisoN,  Ven.  1788  fol.  Neuere 
Ausgaben:  Scholia  in  Homeri  Iliadem  ex 
reo.  Bekkeri,  Berol.  1827,  2  tom.;  Scholia 
graeca  in  Homeri  Iliadem  ex  codicibus 
aucta  et  emendata  ed.  Gu.  Dindorf,  t.  I — IV 
Ox.  1875;  t.  V  —VI  die  Scholia  Townleyana 
enthaltend,  besorgt  von  Maass,  Ox.  1888. 
Die  Scholia  cod.  Lipsiensis,  welche  Bach- 
mann, Lips.  1835—8  herausgegeben  hat, 
haben  keinen  selbständigen  Wert,  da  sie, 
wie  Maass,  Herm,  19,  264  ff.  nachgewiesen 
hat,  aus  Ven.  B.  u.  Townl.  genommen  sind. 
Über  den  Cod.  Laur.  32,  3  s.  Schrader,  Herm. 
22,  282  ff. 

')  Ein  alter  Cod.  Mureti  in  der  Bibl. 
Vitt.  Eman.,  nachgewiesen  von  Maass,  Herm. 
19,  559. 

^)  Scholia  antiqiia  in  Homeri  Odysseam 
ed.  Ph.  Buttmann,  Berol.  1821.  Scholia 
graeca  in  Homeri  Odysseam  ex  codicibus 
aucta  et  emendata  ed.  Gu.  Dindorf,  2  vol. 
Ox.  1855.  Über  die  Ambrosianischen  Odyssee- 
scholien  Schrader,  Herm.  22,  337  ff. 

^)  Römer,  Die  exegetischen  Scholien 
der  Ilias,  München  1879.  Dieselben  stehen 
fast  alle  in  Cod.  B. 

^*^)  Ed.  ScHWARTz,  De  scholiis  Homericis 
ad  historiam  fahularem  pertinentihus,  in 
Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  Xn,  405-463. 


60 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


40.  Das  Mittelalter  hat  nichts  Neues  und  Standhaltendes  in  der  Kritik 
und  Exegese  Homers  geleistet;  die  Eustathios  und  Tzetzes  haben  wesent- 
lich nur  breitgetreten,  manchmal  auch  entstellt,  was  sie  aus  dem  Altertum 
überkommen  hatten.  Der  früher  überschätzte  Kommentar  des  Eustathios 
(12.  Jahrb.),  ^)  IlaQexßoXal  dg  Tr^v^OfJirjQov  'OSvcrasiav  xaVlhdda,^)  findet  jetzt, 
nachdem  uns  durch  Villoison  die  alten  Scholien  selbst  zugänglich  gemacht 
worden  sind,  wenig  Beachtung  mehr.  Sein  Wert  besteht  wesentlich  nur 
in  dem,  was  Eustathios  aus  alten  Quellen, 2)  einem  Auszug  des  Kommen- 
tars der  Viermänner,  den  Lexeis  des  Aristophanes,  den  rhetorischen  Wör- 
terbüchern des  Dionysios  und  Pausanias,  dem  enkyklopädischen  Lexikon 
des  Apion  und  Herodoros^)  aufgenommen  hat.  Noch  unbedeutender  ist  die 
von  Tzetzes  in  seiner  Jugend  (1143)  verfasste  Exegesis  Iliados.^)  Neben 
den  Kommentaren  spielten  in  den  Studien  der  Byzantiner  die  Paraphrasen 
eine  Rolle,  von  denen  uns  mehrere  in  Handschriften,  teilweise  auch  in 
Drucken  vorliegen.^) 

4:1.  Homer,  der  schon  von  Alexandria  aus  zu  fremden  Völkern  bis 
nach  Indien  gedrungen  war  und  in  Rom  gleich  beim  ersten  Erwachen  des 
litterarischen  Lebens  an  Livius  Andronicus  (Odyssee)  und  Matius  (Ilias) 
Übersetzer  gefunden  hatte,  im  Mittelalter  aber  den  Völkern  des  Abendlandes 
nur  durch  eine  metrische  Epitome  der  Ilias,  den  sogenannten  Homerus 
latinus,  bekannt  war,  erblühte  zu  neuem  Leben  in  der  Zeit  der  Wieder- 
geburt der  Wissenschaften.^)  Im  Jahre  1488  erschien  zu  Florenz  die  erste 
Ausgabe;  zuvor  schon  hatte  für  Boccaccio  der  Calabrese  Pilato  eine  latei- 
nische Übersetzung  der  Ilias  angefertigt.  Aber  wiewohl  auch  schon  1542 
der  weitläufige  Kommentar  des  Eustathios  gedruckt  wurde,  so  dauerte  es 
doch  noch  Jahrhunderte,  bis  Homer  volles  Verständnis  und  gerechte  Wür- 
digung fand.  Es  überwog  eben  infolge  des  romanischen  Einflusses  die  von 
Jul.  Cäs.  Scaliger  in  seiner  Poetik  vertretene  Anschauung,  dass  nur  dem 
Vergil  die  Palme  des  klassischen  Dichters  gebühre,  dem  gegenüber  die 
homerische  Poesie  die  Rolle  einer  pleheia  meptaque  mulier cula  spiele.  Die 
richtige  Auffassung  ging  von  England  aus,  wo  Pope  (1715)  seine  berühmte 
Homerübersetzung  dichtete  und  der  in  Griechenland  selbst  vielgewanderte 
Wood  mit  seinem  Buche,  On  the  orkjinal  genius  of  Homer  (1719),  das  Ver- 
ständnis der  Natur-  und  Volkspoesie  erschloss.  In  Deutschland  fanden 
die  Anschauungen   der   Engländer   bei    Gottsched,    Lessing,    Winckelmann, 


^)  Eustathios,  der  anfangs  Diakon  und 
Maistor  rhetoron  zu  Konstantinopel  und  seit 
1175  Erzbischof  von  Thessalonike  war,  hat 
den  Kommentar  zu  Homer  vor  seiner  Er- 
nennung zum  Erzbischof  veröffentlicht;  dass 
er  den  zur  Ilias  vor  dem  zur  Odyssee  be- 
arbeitete, wiewohl  er  sich  wechselweise  in 
dem  einen  auf  den  andern  bezieht,  macht 
wahrscheinlich  Fr.  Kuhn,  Quo  ordine  et 
quibus  temi)orHjus  Eustathius  commentarios 
siios  composuerit,  in  Comment.  in  hon.  Stu- 
demundi  p.  249  —  57. 

"')  Die  älteste  Ausgabe  zu  Rom  1542; 
die  neueste  Lips.  1825 — 30.  2  vol. 

2)  La  Roche,  Hom.  Textkritik  S.  151  ff.: 


CoHN,  De  Aristophane  Byzantio  et  Suetonio 
Tranquillo  Eustathi  auctoribus,  in  Jahrb.  f. 
Phil.  Suppl.  XII,  285  ff. 

■*)  Neben  Herodoros  kommt  auch  die 
Variante  Heliodoros  vor,  der  Naber  ad  Phot. 
lex.  I,  119  den  Vorzug  gibt. 

^)  Zu  A  1  —  102  gedruckt  in  Hermann's 
Ausg.  des  Drako. 

^)  Eine  Paraphrase  veröffentlichte  Bek- 
KEK,  Scliolia  in  Homeri  Iliadem  am  Schluss. 
Neue  Mitteilungen  über  Homerparaphrasen 
gibt  Ludwich,  Arist.  hom.  Textkr.  II,  486  ft'. 

^)  Feiedländer,  Schicksale  der  homeri- 
schen Poesie,  in  der  Deutschen  Rundschau, 
Februarheft  1886. 


A.  Epos.     3.  Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze.  (§  42.)  ß\ 

Heyne  lebhaften  Anklang.  Mit  der  Übersetzung  von  Voss  ^)  ist  dann  bei 
uns  Homer  in  den  weitesten  Schichten  des  Volkes  populär  geworden,  wie 
sonst  es  nur  Werke  nationaler  Dichter  zu  werden  pflegen,  und  mit  den 
Prolegomena  von  Fr.  A.  Wolf  (1795)  begann  für  die  Homerforschung  eine 

neue  Epoche  kritischer  Studien  und  tieferer  Erkenntnis. 

Codd.  und  Scholia  s.  §  39.  Zu  den  bereits  genannten  Handschriften  kommen  noch 
zu  einzelnen  Büchern:  ein  syrischer  Pahmpsest  (ed.  Cureton  1851),  mehrere  Papyri  (s. 
Landwehr,  Philol,  44),  ein  cod.  Mediol.  mit  Miniaturen  {Iliadis  antiqiiissima  fragm,  cum 
picturis  ed.  Ang.  Mai,  Medio].  1819,  Rom.  1835),  zur  Odyssee:  Laur.  54  u.  32,  24  s.  X. 
Kritischer  Apparat  zuerst  beschafft  von  La  Roche,  vervollständigt  von  Ludwich. 

Ausgaben:  ed  jwinc.  ex  reo.  Demetkii  Chalcondylae,  Flor.  1488;  mit  gelehrtem 
Kommentar  von  Clarke-Ernesti,  1779,  4  vol.;  Ilias  cum.  vers.  lat.  et  annot.  cur.  Heyne, 
Lips.  1802,  9  vol.;  berichtigter  Text  mit  epochemachenden  Proleg.  von  F.  A.  Wolf,  Hai. 
1795.  —  Tumultuarischer  Versuch  der  Herstellung  eines  Urhomer  von  Payne-Knight, 
Lond.  1820.  —  Ilias  rec.  Spitzner,  1835,  4  vol.  mit  kritischen  Noten  und  Exkursen.  — 
Kritische  Hauptausgabe  mit  Digamma  im  Text  und  dem  Anfang  eines  kritischen,  wesent- 
lich auf  den  Scholien  basierten  Kommentars  von  Imm.  Bekker,  Bonnae  1858;  dazu  dessen 
Homerische  Blätter,  Berl.  1863,  2  Bde.  —  Homeri  Odyssea  ad  fidem  librorum  optimorum 
ed.  La  Roche,  Lips.  1867,  Ilias  1873,  mit  einem  reichen,  aus  Scholien  und  Handschriften 
geschöpften  kritischen  Apparat  —  ed.  A.  Nauck.  Ber.  1877  mit  kritischem  Apparat  und 
einschneidender,  die  von  Bekker  eingeschlagenen  Wege  weiter  verfolgenden  Recensio  — 
ed.  RzACH  (IL)  u.  Cauer  (Od.)  in  Bibl.  Schenk.;  Ilias  rec.  Leeuwen  et  Mendes  da  Costa. 
LB.  1887.  —  Homeri  carmina  rec.  et  selecta  lectionis  varietate  instr.  Arth.  Ludwich,  Lips. 
im  Erscheinen.  —  Ausgaben,  welche  die  homerische  Frage  berücksichtigen:  Iliadis  carm. 
XVI  ed.  KöcHLY,  Lipsiae  1861;  Die  homerische  Odyssee  von  Kirchhofe,  2.  ed.  Berlin  1879; 
Iliadis  carmina  seiuncta  emendata  ed.  Christ,  Lipsiae  1884;  Die  homerische  Odyssee,  Die 
homerische  Ilias,  in  der  ursprünglichen  Sprachform  hergestellt  von  Fick,  Göttingen  1883 
u.  1886.  —  Schulausgaben  mit  erklärenden  Anmerk.  von  Ameis-Hentze  mit  gelehrtem,  unent- 
behrlichem Anhang;  von  Fäsi-Francke;  von  La-Roche;  von  Düntzer.  —  Einzelausgaben: 
Erklärende  Anmerkungen  zu  Homers  Odyssee,  von  Nitzsch,  Hann.  1826,  3  vol.;  Ilias  1.  XX 
et  XXI  ed.  Hoffmann,  Clausthal  1864;  Anmerkungen  zu  II.  ABT  von  Nägelsbach,  neu- 
bearbeitet von  Autenrieth,  Nürnberg  1864;  Benicken,  Der  12.  u.  13.  Gesang  vom  Zorn 
des  Achilleus,  Innsbruck  1884. 

Hilfsmittel  lexikalische  und  sachliche:  Index  Hom^ericus  studio  Seberi,  ed  IL  Oxon. 
1780  (verdiente  eine  Neubearbeitung).  —  Lexicon  Homericum  ed.  Ebeling,  Lips.  1885, 
3  vol.  —  Parallelhomer  von  C.  Ed.  Schmidt,  Gott.  1885.  —  Friedreich  (Mediziner),  Die 
Realien  in  der  Iliade  und  Odyssee,  Erl.  1851.  —  Buchholz,  Die  homerischen  Realien, 
Leipz  1871 — 85,  3  Bde.  —  Helbig,  Das  homerische  Epos  aus  den  Denkmälern  erläutert, 
2.  Aufl.,  Leipzig  1887.  —  Overbeck,  Gallerie  heroischer  Bildwerke  der  alten  Kunst,  Braun- 
schw.  1853.  —  Brunn,  Troische  Miszellen  in  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1868  u.  1880.  -  Wörmann, 
Die  antiken  Odysseelandschaften  vom  Esquilin,  München  1876.  —  R.  Engelmann,  Bilder- 
Atlas  zum  Homer,  Leipz.  1889.  —  Völker,  Hom.  Geographie,  Hann.  1830  (bedarf  einer 
Neubearbeitung);  Kophiniotes,  'Ofxrjqixrj  yeioyQcicpia,  Athen  1884.  —  Nägelsbach,  Home- 
rische Theologie,  3.  Aufl.  von  Autenrieth,  Nürnberg  1884.  —  Zur  Sprache  Homers: 
Buttmann,  Lexilogus,  4.  Aufl.,  Berlin  1865,  2  Bände.  —  Hoffmann,  Quaest.  Hom.,  Claus- 
thal 1842.  —  Knös,  De  digammo  ho7)ierico,  Ups.  1872.  —  Classen,  Beobachtungen  über 
hom.  Sprachgebrauch,  Frankf.  1867.  -  Hartel,  Hom.  Studien,  aus  Sitzb.  d.  Wien.  Ak. 
1871 — 4.  —  Menbad,  De  contractionis  et  synizeseos  usu  Homerico,  Münch.  1886.  —  Monro, 
Grammar  of  tlie  hom.  dialect,  Oxf.  1882.  —  Mehler,  Der  Dialekt  d.  hom.  Gedichte,  ^us 
dem  holländischen  Werke  von  Leeuwen  u.  Mendes  da  Costa.  -  Vogeinz,  Grammatik  des 
homerischen  Dialektes,  Paderborn  1889;  W.  Ribbeck,  Hom.  Formenlehre,  2.  Aufl.,  Berlin 
1880;  Hartel,  Abriss  der  Grammatik  des  homerischen  und  herodotischen  Dialekts,  Wien- 
Prag  1887. 

3.   Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze. 

42.  Unter  Homers  Namen  ist  ausser  Ilias  und  Odyssee  eine  Samm- 
lung von  Hymnen    und    scherzhaften  Kleinigkeiten  {Traiyvia)   auf   uns    ge- 


^)  Die  Odyssee  erschien  1781  in  erster 
Gestalt,  die  Ilias  folgte  1793.  Vgl.  M.  Ber- 
NAYs,  Einleitung  zu  Voss  Homers  Odyssee. 
Stuttg.  1881.   Die  erste  deutsche  Übersetzung 


der  Odyssee  lieferte  im  J.  1537  ein  Mün- 
chener Beamte  Schaidenreisser,  worüber 
ReinhardstÖttner,  Jahrb.  f.  Münch.  Gesch. 
I,  511  ff. 


62 


Grriecliisclie  Littteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


kommen.  Der  homerischen  Hymnen  sind  es  34,  darunter  5  grössere. 
Mit  ihrem  eigentlichen,  noch  von  Thukydides  III,  104  und  Pindar  Nem.II,  2 
gebrauchten  Namen  hiessen  sie  7TQooi\ma,  so  genannt,  weil  sie  bestimmt 
waren,  dem  Vortrage  homerischer  Heldengesänge  {olfioi  Od.  ^481,  x  347) 
voranzugehen.')  Es  schliesst  demnach  der  31.  Hymnus  auf  Helios  mit  ex 
aäo  d' aq'^cciievoc.  xXfjda)  fjfQoiioov  yt'vog  dvSQMv,  und  mehrere  andere  mit 
avTccQ  syco  xal  asTo  xal  aXXrjg  i^injaof^i'  doiSrjg.  Durchweg  aber  stehen  sie 
mit  Götterfesten  in  Verbindung  und  hängen  mit  der  nachhomerischen  Sitte 
zusammen,  die  Heldenlieder  nicht  mehr  in  den  Männersälen  der  Königsburgen 
vorzutragen,  sondern  in  den  öffentlichen  Versammlungen  bei  den  Festen 
der  Götter,  =^)  an  welchen  selbstverständlicher  Weise  der  Gottheit,  welcher 
das  Fest  galt,  auch  die  erste  Gesangesspende  dargebracht  wurde.  ^)  So 
waren  die  Hymnen  auf  Apollo  bestimmt  in  Dolos  und  Delphi,  der  auf 
Demeter  an  den  Panathenäen  in  Athen,  der  9.  bei  dem  Artemistempel  in 
Klares  bei  Kolophon,  der  6.  und  10.  beim  Aphroditefest  im  kyprischen 
Salamis  vorgetragen  zu  werden.  Wie  auf  solche  Weise  die  Hymnen  an 
sehr  verschiedenen  Orten,  wohin  nur  immer  Homeriden  den  homerischen 
Gesang  trugen,  gesungen  wurden,  so.  sind  sie  auch  in  sehr  verschiedenen 
Zeiten  entstanden.  Während  die  älteren  in  das  7.  Jahrh.  hinaufreichen, 
ist  der  19.  auf  Pan  erst  nach  der  Schlacht  von  Marathon  entstanden,^)  und 
weisen  andere,  wie  insbesondere  der  auf  Ares  (8),  in  den  Kreis  der  jüngeren 
Orphiker.  ^) 

Der  älteste  und  schönste  der  Hymnen  ist  der  auf  den  delischen  Apoll, 
der  ehedem,  in  den  Handschriften  und  Ausgaben,  mit  dem  auf  den  pythi- 
schen  Apoll  zu  einem  Hymnus  vereint  war.*^)  Aber  beide  Hymnen  sind 
für  verschiedene  Kultstätten  bestimmt  und  tragen  ganz  verschiedenen  Cha- 
rakter. Der  zweite  stammt  aus  der  hesiodischen  Schule,^)  der  Dichter  des 
ersten  bezeichnet  sich  selbst  (V.  172)  als  blinden  Sänger  von  Chios,  der 
Heimstätte  des  homerischen  Gesangs.  Den  alten  Homer  nahmen  ohne  Be- 
denken Thukydides  III,  104  und  Aristophanes,  Vögel  575,  als  Dichter  des 


^)  Dieses  gilt  jedoch  nur  von  den  klei- 
neren Hymnen ;  die  grossen  scheinen  selbst 
die  Stelle  von  Rhapsodien  eingenommen  zu 
haben ;  dann  müssen  jedoch  die  Schlussverse 
jener  grösseren  Hymnen  (H,  367 — 8;  HI, 
579-80;  IV,  292-3;  V,  495)  als  spätere 
Interpolationen  gestrichen  werden.  Auffällig 
ist,  dass  wir  in  unserer  Sammlung  nur  1 
Proömium  (23)  auf  Zeus  haben,  während  nach 
Pind.  N.  2,  1  die  Homeriden  in  der  Regel 
mit  Zeus  angehoben  haben  sollen. 

^)  Auf  dem  Markte  wird  schon  bei  Ho- 
mer die  junge  Eindichtung  von  der  Liebe 
des  Ares  und  der  Aphrodite,  -5-  266  -  366, 
vorgetragen  An  die  Gottheit  wendet  sich 
auch  beim  Anheben  des  Gesangs,  ähnlich  wie 
Homer  selbst  im  Anfang  der  Ilias  und  Odyssee, 
Demodokos  der  Sänger  in  Od.  i9-  499:  dig 
cpa(h\  G  J'  6QjU7]x^€lg   x)^£ov    rJQ/^To,  (pmve  cT' 

^)  Flut,  de  mus.  6:  r«  yuQ  nQog  rovg 
S^eovg  dcpoGiiüad^avoi  i^eßuipoy  svd^vg  im  rrjy 


'OfirjQov  y.al  rujy  dXXü)u  7ioh]GLv.  Vergleiche 
auch  Pind.  Ol.  3,  wo  von  der  kurzen  Erwäh- 
nung der  Tyndariden,  denen  das  Fest  galt, 
zum  Preise  des  Siegers  übergegangen  ist. 

^)  Der  Hymnus  ist  nämlich  für  Attika 
bestimmt,  dort  aber  wurde  nach  der  Erzäh- 
lung des  Herodot  VI,  105  erst  in  den  Perser- 
kriegen die  Einführimg  des  Pankultus  ver- 
anlasst. 

^)  Baumeister  in  der  Ausgabe  schreibt 
geradezu  den  Vers  15,  8,  der  nach  dem 
unechten  Vers  der  Od.  A  603  gedichtet  ist, 
dem  Onomakritos  zu;  aber  dazu  fehlen  be- 
stimmte Zeugnisse. 

^)  Die  Scheidung  wurde  vorgenommen 
von  RuHNKEN  in  ep.  crit.  ;Ath.  22''  ev  roig 
€ig  'A-nöXliava  vuvoig  hatte  noch  in  seinem 
Exemplar  2  Hymnen.  Vergl.  Lehrs,  Pop. 
Aufs.-^  423  ff. 

"')  Auch  das  Haften  des  Digamma  weist 
auf  nichtionischen  Ursprung. 


A.  Epos.     3.  Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze.  (§  42.) 


63 


Hymnus  an.  Dagegen  ward  nach  dem  Scholion  zu  Pindar  Nem.  II,  1  be- 
reits von  einigen  Alexandrinern  der  Homeride  Kynaithos,  welcher  die 
homerische  Poesie  in  Syrakus  eingeführt  hatte,  als  Verfasser  ausgegeben.  ^) 
Diese  Meinung  gründete  sich  offenbar  auf  die  Verse  14 — 18,  in  denen  der 
Artemis  in  Ortygia  gedacht  ist ;  aber  diese  sind  unecht,  wie  G.  Hermann 
erkannt  hat,  und  der  Rhapsode  Kynaithos  kann  daher  nur  als  Interpolator, 
nicht  als  Verfasser  des  Hymnus  gelten.^)  —  Umfangreich  und  alt  ist,  von 
dem  jüngeren  Schluss  507  —  580  abgesehen,  auch  der  Hymnus  auf  Hermes, 
in  dem  die  Geburt  und  die  ergötzlichen  Schelmereien  des  Gottes  hübsch  in 
der  Art  der  ionischen  Sänger  erzählt  sind,  jedoch  so,  dass  die  physikalische 
Natur  des  Hermes  als  Regengott  noch  durchleuchtet.^)  —  Der  Dichter  des 
Hymnus  auf  Aphrodite  hing  ganz  von  Homer  ab,  aus  dem  er  eine  Masse 
von  Versen,  Halbversen  und  Wendungen  genommen  hat,*)  verstand  es  aber 
im  übrigen  das  Liebesabenteuer  der  Göttin  mit  Anchises  recht  anmutig  zu 
erzählen.  —  Der  grosse  Hymnus  auf  Demeter  ward  erst  im  vorigen  Jahrh. 
aus  einer  Moskauer  Handschrift  ans  Licht  gezogen.  Derselbe  hat  offenbar 
auf  die  Einführung  der  eleusinischen  Mysterien  Bezug  und  ist,  wie  Voss 
in  seiner  trefflichen  Ausgabe  (1826)  aus  sprachlichen  Indicien  nachwies,  in 
Attika  um  Ol.  30  entstanden.^)  —  Wahrscheinlich  stammt  aus  Attika  auch 
der  7.  Hymnus  auf  Dionysos,^)  in  dem  das  bekanntlich  auch  am  cho- 
ragischen  Denkmal  des  Lysikrates  dargestellte  Abenteuer  des  von  tyrseni- 
schen  Seeräubern  gefangen  genommenen  Gottes  und  die  Verwandlung  der 
Seeräuber  in  Delphine  hübsch  und  anschaulich  erzählt  ist.'^)  Wann  und 
von  wem  die  Sammlung  unserer  Hymnen  veranstaltet  wurde,  wissen  wir 
nicht.  Der  Redaktor  ging  offenbar  von  den  grossen  Hymnen  aus  und  Hess 
denselben  die  kleineren  nachfolgen;  aber  auffällig  ist,  dass  Hymnen  auf 
dieselbe  Gottheit  auseinander  gerissen  sind,  ohne  dass  immer  der  später 
gestellte  kleiner  sei  oder  jüngeren  Ursprung  verrate,^)  etwas  was  zur  Ver- 


1)  Für  die  Stellung  des  Aristarch  zur  Frage 
ist  beachtenswert,  worauf  mich  mein  Freund 
Römer  aufmerksam  machte,  dass  in  den 
Scholien  kein  einziger  Vers  der  sogenannten 
homerischen  Hymnen  als  homerisch  an- 
geführt ist. 

2)  Über  Kynaithos  siehe  oben  §  32. 
FiCK,  Hom.  Odyssee  S.  280  widmet  dem 
Hymnus  eine  eingehende  Besprechung,  indem, 
er  die  fraglichen  Verse  aus  einem  doppelten 
Schluss  des  Hymnus  herleitet.  Sittl.  Phil. 
Anz.  1887  S.  346  will  aus  Strabon  p.  23,  wo 
für  die  Erwähnung  von  Ortygia  als  ältester 
Gewährsmann  Hesiod  angeführt  ist,  schliessen, 
dass  derselbe  unsere  Verse  14 — 18  noch 
nicht  kannte. 

^)  Auch  der  Hymnus  auf  Hermes  wird 
dem  Homer  von  einem  der  ältesten  Gram- 
matiker, von  Antigenes  Caryst.  Parad.  c.  7 
beigelegt.  In  der  That  aber  stammt  der 
Hymnus  aus  der  Zeit  nach  Terpander,  da 
in  V.  51  die  siebensaitige  Kithara  erwähnt  ist. 

^)  Dieses  Verhältnis  anschaulich  ge- 
macht in  der  x\usgabe  von  Stekrett,  Bosto- 
niae   1881.     Thiele,    Froleg.    ad   hymn.   in 


Vener em  Homericum,  Halle  1872. 

^)  Voss  pflichtet  bei  K.  Franke,  De 
hymni  in  Cererem  Homerici  compositione, 
Kiel  1881:  vt  posse  Carmen  compositum  esse 
post  Hesiodum,  ita  non  jiosse  post  Solonem. 

^)  Beziehungen  zu  Attika  und  zu  den 
religiösen  Bräuchen  und  Agonen  von  Brauron 
vermutete  schon  Welcker,  Ep.  Cycl.  I,  391. 
Gegen  Ludwich,  der  den  Hymnus  gar  in 
die  Zeit  der  Orphiker  herabrücken  wollte, 
wendet  sich  Crusius,  Philol.  N.  F.  H,  193  ff. 
Ein  Zeugnis  über  den  alten  Ursprung  des 
Hjaunus  enthält  nach  wahrscheinlicher  Er- 
gänzung Philodemos  7rf()t  svasßslug  4:8:  <Ji6- 
vvaop  d's  'O^rjQog  iv  zoTg  vfxpoi.g  v7t6>  XyjOKop 
{'<X<(opai>  yqücpsi,  xai  n<LP&a>Qog  tff  ^Uq^STcci 
716qI  Trjg  T.rjGTELag. 

"')  Eine  bildliche,  eng  an  unseren  Hym- 
nus sich  anschliessende  Darstellung  bei 
Philostr.  Imag.  I,  19.  Auf  eine  altattische 
Amphora  mit  Dionysos  und  Satyrgefolg  iu 
einem  Zweiruderer  macht  aufmerksam  Maass, 
Ind.  Gryph.  1889  p.  9. 

^)  Jünger  sind  wohl  2.  3.  10  gegenüber  1. 
6.  18,  kaum  aber  28  u.  29  gegenüber  24  u.  11. 


64 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


mutung   führt,   dass  unsere  Sammlung   erst  allmählich   durch  Vereinigung 

mehrerer  älterer  Sammlungen  entstanden  ist. 

ÜberUeferung:  Im  Certamen  Hesiodi  ist  vom  Hymnus  auf  den  deliscben  Apoll  er- 
zählt, dass  ihn  die  Delier  auf  einer  Tafel  im  Tempel  der  Artemis  aufbewahrten,  wie  die 
Rhodier  das  Siegeslied  Pindars  auf  Diagoras.  Unsere  Überlieferung  geht  auf  2  Quellen 
zurück,  von  denen  die  eine  durch  den  Mosquensis  s.  XIV  repräsentiert  wird  (ein  Facsimile 
in  Bücheler's  Ausgabe  des  Hymn.  Cer.,  Lips.  1869),  die  andere  auf  einen  von  Aurispa 
1423  in  Konstantinopel  gefundenen  Codex  zurückgeht,  von  dem  selbst  nur  Abschriften  von 
Abschriften  auf  uns  gekommen  sind.  —  Ausgaben:  Homeri  hymn.  et  epigr.  ed.  G.  Hermann, 
Lips.  1806;  Hymn.  Homer,  rec.  Baumeister,  mit  kritischem  und  erklärendem  Kommentar, 
Lips.  1860;  Die  homer.  Hymn.  herausgeg.  von  Gemoll,  Leipz.  1886;  Homeri  hymn.  epigr. 
Batrachom.  ed.  Abel  in  Bibl.  Schenk.  1886.  —  Eberhard  .  Die  Sprache  der  hom.  Hymnen 
verglichen  mit  derjenigen  der  Ilias  und  Odyssee,  Husum  Progr.  1873  und  1874.  —  Gutt- 
MANN,  De  hymn.  Homer,  historia  eritica,  Greifsw.  Diss.  1869. 

43.  In  der  fälschlich  den  Namen  des  Herodot  tragenden  Vita  des 
Homer  sind  uns  noch  ein  paar  poetische  Kleinigkeiten  überliefert,  die  hinter 
den  Hymnen  als  ^ETiiyQäjLif^iaTa  ^Ofxr^qov  den  älteren  Ausgaben  der  Odyssee 
angehängt  sind;  darunter  ein  Abschiedsgedicht  an  die  undankbare  Vater- 
stadt Smyrna,  eine  Bitte  an  die  Kymäer  um  freundliche  Aufnahme,  ein 
Gebet  an  Poseidon  um  günstige  Fahrt  von  Chios  zum  Fusse  des  Wald- 
gebirges Mimas,  eine  Anrede  an  die  reiche  Stadt  der  Erythräer,  ein  Epi- 
gramm für  die  eherne  Jungfrau  auf  dem  Grabe  des  phrygischen  Königs 
Midas  (gest.  Ol.  21),  ein  anmutiges  Bettlerlied  [elgsamwl)  i)  für  samische 
Singknaben,  welche  am  Feste  des  Apoll  von  Haus  zu  Haus  zogen  um 
Gaben  einzusammeln,  ein  scherzhaftes  Bittgedicht  für  das  Geraten  des 
Töpferbrandes,  das  bekannte  Rätsel  oaa'  sloinsv  XiTc6pi8ad^\  oaa  6'ovx  ^^^o^isv 
(fSQoiisad^a^  welches  heimkehrende  Fischer,  die  keine  Fische  gefangen,  aber  von 
Läusen  sich  bestmöglich  gereinigt  hatten,  dem  Homer  aufgaben.  Dass  von 
diesen  Spielereien,  die  zum  Teil  gute  volkstümliche  Poesie,  meistens  aber  elen- 
des Machwerk  sind,''^)  nichts  auf  Homer  zurückgeht,  ist  selbstverständlich.  Be- 
achtenswert ist,  dass  das  Epigramm  auf  Midas,  welches  die  Biographen  dem 
Homer  beilegen,  bei  Piaton  noch  anonym  geht.^) 

44.  Auch  Spottgedichte  wurden  dem  Homer  beigelegt.  Das  berühm- 
teste und  älteste  war  der  Margites,  so  benannt  nach  dem  Held  des  Stückes, 
einem  linkischen  Tölpel,  der  trefflich  durch  den  Vers  gezeichnet  wird  noXX' 
rini(i%aTo  8Qya,  xaxwg  SWjm'aTaTo  ttccvtcc.  Das  Gedicht  spielte  nach  dem  er- 
haltenen Eingang  in  Kolophon  und  gab  Anlass  den  Homer  selbst  zu  einem 
Kolophonier  zu  machen.  Denn  dem  Homer  schrieb  dasselbe  schon  Archi- 
lochos^)  zu,  und  an  dieser  Überlieferung  hielten  ohne  Bedenken  Piaton  und 
Aristoteles  fest.  Der  letztere  stellt  dasselbe  sogar  neben  Ilias  und  Odyssee, 
indem  er  von  ihm  die  Komödie,  wie  von  jenen  die  Tragödie  ableitet.^) 
Erst  später  kamen  Zweifel ;  man  half  sich  aber  mit  Ausflüchten,  indem  man 


^)  Benannt  von  dem  mit  Wolle  umwun- 
denen Ölzweig,  den  die  unter  den  Schutz 
des    Gottes   sich  stellenden  Knaben   trugen. 

''^)  Das  meiste  ist  von  dem  Fälscher,  der 
in  der  Vita  die  Maske  des  Herodot  annahm, 
selbst  gedichtet.  Sonderbarer  Weise  will 
Bergk,  Gr.  Litt.  I,  77  auch  in  diesen  Knittel- 
versen Reste  echter  Poesie  finden. 

^)  Plato  Phaedr.  p.  264  d:  EmyQufxfxaTog, 
o  Mlda  TüJ  ^Qvyi  cpuoi  riveg  €TityeyQ('iCp&ai. 
Diog.  I,  89  führt  Verse  des  Simonides  dafür 


an,  dass  das  Epigramm  nicht  von  Homer, 
sondern  von  Kleobulos  aus  Lindos  herrühre. 

'')  Nach  Eustratios  zu  Arist.  Eth.  Nie. 
VI,  7. 

^)  Arist.  Poet.  4:  6  yaQ  MaQyLT}]g  dvd- 
Xoyop  s/st  (xjansQ  'Ihdg  xca  ij  ^Odvaasici  TiQog 
rag  rgaycodlag,  ovro)  xccl  ovtog  ngog  rag  xcofuco- 
öiag.  Für  die  Komödie  passten  allerdings 
viele  Stellen  des  Gedichtes,  wie  wenn  Mar- 
gites heiraten  soll  und  nicht  weiss,  wie  er 
es  anfangen  soll. 


A..Epos.    S.  Die  homerischen  Hymnen  und  Scherze.  (§43—45.)  65 

den  Margites,  wie  die  Odyssee,  von  Homer  im  gereiften  Alter  gedichtet  sein 
Hess.  1)  Nur  der  Gewährsmann  des  Suidas  macht  den  Karer  Pigres  aus  Hali- 
karnass,  den  Bruder  der  Artemisia,  zum  Verfasser.  Das  ist  aber  wahr- 
scheinlich so  zu  deuten,  dass  Pigres  nur  die  iambischen  Epoden  einlegte, 
wie  er  sich  in  ähnlicher  Weise  den  Spass  machte,  den  Homer  durch  ein- 
gelegte Pentameter  zu  interpolieren. 2)  So  lautete  bei  ihm  der  Eingang 
der  Ilias: 

Mrjviv  asids   d^sd  Ui^lrjidSsco  'AxiXrjoq 

Movaa  •  av  yccQ  Trdaijg  nslqav  exsig  <TO(pCrjg' 
und  der  des  Margites: 

^Hkx^s  Tig  ig  Kokocpoova  yaQcov  xal  d^stog  doiSögy 
Movadcov  ^sqdTtcov  xal  ixrjßöXov  'dTTÖXXcovog, 
(fi^j]g  €/wr  €v  x^Qölv  svcp^oyyov  Xvqi]v. 
Ein  anderes  durch  die  Metopen  von  Selinunt  berühmt  gewordenes  Ge- 
dicht waren   die  KägxcoTisg,   worin   die  Schelmereien   der   bübischen  Brüder 
und  ihre  Bezwingung   durch   Herakles   im  Anschluss   an   das   dem   Homer 
zugeschriebene  Epos  Ol^aXiag  dXwaig  erzählt  waren.  ^) 

45.  Erhalten  hat  sich  das  scherzhafte  Gedicht  BazQaxofivofiaxicc, 
Froschmäuslerkrieg,  wie  wir  im  Deutschen  nach  der  Übersetzung  von  Stol- 
berg sagen.  Sie  ist  eine  Parodie,  angelehnt  an  die  Tierfabel,  mit  heiterem 
Scherz  ohne  bissige  Seitenhiebe,  wenn  auch  ohne  jenes  feine  Verständnis 
des  Tierlebens,  das  uns  in  unserem  Reineke  Fuchs  entzückt.  Die  Maus 
Psicharpax  wird  von  dem  Froschkönig  Physignathos,  dem  Sohne  des  Peleus, 
eingeladen,  sich  von  ihm  auf  dem  Rücken  zu  seinem  gastlichen  Hause  tra- 
gen zu  lassen.  Anfangs  geht  die  Fahrt  ganz  gut  von  statten ;  da  lässt 
sich  plötzlich  eine  Wasserschlange  blicken;  darob  grosser  Schrecken  bei 
den  beiden;  der  Frosch  taucht  unter,  die  Maus  ertrinkt.  Infolge  dessen 
grimmer  Krieg  zwischen  den  Mäusen  und  Fröschen,  dem  schliesslich  der 
Kronide  Zeus  ein  Ende  macht,  indem  er  mit  dem  Blitzstrahl  dreinfahrend 
die  Streitenden  von  einander  trennt,  und  als  auch  dieses  noch  nicht  fruchten 
will,  das  Heer  der  Krebse  mit  ihren  Scheren  über  die  Mäuse  schickt.  Er- 
götzlich sind  die  Namen  gebildet,  der  Lecker,  der  Brotnager,  der  Käse- 
fresser, der  Lochschlüpfer  unter  den  Mäusen,  der  Lautschreier,  der  Wasser- 
freund, der  Kotwater  unter  den  Fröschen.  In  witziger  Parodie  ist  auch 
die  Rüstung  der  beiden  Heere  geschildert,  und  wenn  gleich  die  Kämpfe 
nach  Art  der  K6?.og  ^d%r^  der  Ilias  rasch  und  ohne  viele  Episoden  verlau- 
fen, so  begreift  man  doch,  dass  das  Gedicht  viele  Leser  und  im  Altertum 
wie  im  Mittelalter  viele  Nachahmer  fand.  Vom  alten  Homer  rührt  aber 
diese  Parodie  sicher  nicht  her,  vielmehr  ist  sie  das  Werk  des  Pigres  aus 
Halikarnass,  eines  Bruders  der  karischen  Königin  Artemisia,  dem  sie  Sui- 
das und  Plutarch  de  Herodoü  malign.  43  zuschreiben,  und  auf  den,  wie  wir 


^)  Dio  Chrys.  or.  53  p.  275  R. 

2)  Welcher,  Kl.  Sehr.  IV,  27  ff.;  Hiller, 
Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887),  13  fF.  verwirft  den 
Zusatz  der  iambischen  Trimeter  durch  Pigres 
und  bezweifelt  überhaupt  die  Echtheit  des 
Proömiums.  Von  anderen  metrischen  Inter- 
polationen    des    Homer    durch    Idaios    und 

Haudbuch  der  klass.  Altertuuiswisseuscliaft.  VII,    2.  Aufl. 


Timolaos  berichtet  Suidas. 

2)  Vgl.  Lobeck,  Aglaoph.  1296  ff.  Ausser- 
dem nennen  Suidas  und  Proklos  noch  die 
Scherze  'EnzsTiaxiioi^  (fort.  'Emixtiop),  \4Qax- 
pof^a/ia,  TsQapofia/ia,  Kegafilg,  von  denen 
die  KsQccfiig  mit  dem  schon  erwähnten  Töpfer- 
lied identisch  zu  sein  scheint. 


66 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


oben  §  44  sahen,  auch  andere  Spielereien  der  Art  zurückgeführt  wurden. 
Auf  die  Zeit  der  Perserkriege  passt  auch  gut  die  Bezugnahme  auf  den 
Schriftgebrauch  (sv  ösXtoiq  Y.  3)  und  die  Erwähnung  des  Hahns  (V.  193), 
der  erst  zur  Zeit  des  Theognis  von  Persien  nach  Griechenland  kam.i) 

Beste  ÜberHeferung  in  Cod.  Laur.  32.  3,  s.  XL  —  Ausgabe  mit  den  Hymnen  von 
Ilgen,  Hai.  1796;  von  Abel  in  Bibl.  Schenk.  —  Kritische  Bearbeitung  von  Baumeister, 
Gott.  1852;  besser  von  Brandt,  Corpusculwn  poesis  epicae  gr.  ludihundae,  fasc.  I  Bib]. 
Teubn.  1888. 


4.   Der  epische  Kyklos. 

46.  Auch  die  Werke  des  epischen  Kyklos  wurden  in  alter  Zeit  dem 
Homer  zugeschrieben ;  2)  später,  seit  der  Zeit  der  Perserkriege,  setzte  sie 
eine  bessere  Einsicht  geradezu  in  Gegensatz  zu  den  Schöpfungen  Homers 
und  nannte  als  Verfasser  der  einzelnen  Gedichte  andere,  freilich  vielfach 
zweifelhafte  Namen.  Ilias  und  Odyssee  waren  eben  die  beiden  mächtigsten 
Aste  an  dem  kräftigen  Baum  der  epischen  Poesie,  der  daneben  noch  viele 
kleinere  Zweige  trieb,  die  alle  als  Schösslinge  desselben  Stammes  angesehen 
wurden.  Der  Name  inixog  xvxXog  für  die  ganze  Sammlung  lässt  sich  erst 
aus  der  Zeit  nach  Christi  Geburt  nachweisen,  2)  reicht  aber  wahrscheinlich 
in  viel  frühere  Zeit  zurück.  Kallimachos  gebrauchte  den  Ausdruck  xvxXi- 
xov  noCijfia,  aber  noch  nicht  in  einem  Sinne,  der  die  Vereinigung  der  epi- 
schen Gedichte  zu  einem  Corpus  notwendig  voraussetzte. '^)  Denn  wenn  der- 
selbe sich  unter  einem  xvxlixov  TTOirjßa  ein  triviales  Gedicht  vorstellte,  und 
wenn  danach  Horaz  a.  p.  136  „nee  sie  incijnes  ut  seriptor  eyelieus  olim'^  mit 
dem  Namen  eyelkus  seriptor  den  Nebenbegriff  des  Geringschätzigen  ver- 
bindet, so  ist  dabei  von  der  gewöhnlichen  Bedeutung  des  Wortes  iyxvxXiog 


^)  Hehn,  Kulturpflanzen  und  Haustiere 
S.  282  ff.  Herwerden,  Mnem.  X,  163  nimmt 
einen  Fälscher  aus  Alexanders  Zeit  als  Ver- 
fasser an. 

'-*)  Procl.  ehrest.  233  W.:  oi  fieptoc  y 
uQ/tiXoi  xal  Tov  y.vxlov  dvacpigovoiv  sig 
"O^rjQov,  ebenso  Philoponos  ad  Arist.  An.  post. 
I,  9  und  ähnlich  Suidas  u.  "O^urjQog  und  Ps. 
Herodot  vit,  Hom.  9.  Speziell  erzählte  Pin- 
dar  nach  Älian  V.  H.  IX,  15,  dass  Homer 
die  Kypria  seiner  Tochter  als  Mitgift  gegeben 
habe  (die  Stelle  Isth.  Hl,  55  braucht  nicht 
auf  die  Aithiopis  oder  kleine  Ilias  bezogen 
zu  werden).  Ausserdem  legte  Kallinos  nach 
Paus.  IX,  9.  5  dem  Homer  die  Thebais  bei, 
und  bezeugt  Herodot  II,  117  u.  IV,  32  (V. 
67  beweist  nichts),  dass  einige  für  die  Ky- 
pria und  Epigonoi  Homer  als  Verfasser  aus- 
gaben. Auch  Aischylos  muss  in  dem  be- 
kannten Ausspruch,  dass  seine  Dramen  ts- 
fjidxv  ^'^'t-TJyoiu  'OfxrjQov  seien,  den  Homer  als 
Dichter  des  ganzen  Kyklos  angesehen  haben. 
In  Ps.  Demosth.  epitaph.  29  wird  Homer  als 
Dichter  der  Kyprien  und  der  kleinen  Ilias 
gedacht,  und  von  Antigonos  Caryst.  Parad. 
25  wird  ein  Vers  des  Homer  zitiert,  der 
nicht  in  Ilias  und  Odyssee  steht.  Die  Be- 
weisstellen werden  von  R.  Volkmann,  Über 
Homer  als  Dichter  des  epischen  Kyklos  (Jauer 


1884)  und  Hiller,  Homer  als  KoHektivname 
(Rh.  M.  42,  321-361)  sorgfältig  geprüft 
und  gegen  die  Annahme,  dass  Homer  ehe- 
dem allgemein  als  Dichter  des  epischen  Ky- 
klos gegolten  habe,  gedeutet.  Im  übrigen  ist 
das  Verhältnis  ähnlich  wie  bei  den  orphi- 
sclien  Gedichten,  die  von  dem  Volk  alle  dem 
Orpheus  beigelegt,  von  den  Einsichtsvolleren 
auf  bestimmte  Persönlichkeiten  zurückgeführt 
wurden.  Auch  das  Corpus  der  Schriften  des 
Hippokrates  bietet  Analogien. 

^)  Philostr.  ep.  73:  0  tmv  stiotiokop  xv- 
xXog, und  Proklos  a.  0. 

')  Kallimachos  in  Anth.  XII,  43: 
i/x9alQ(o  t6  Tiolfjfxa  ro  xvxXixop  ov&s  xeXsvd^iü 

/a'iQO),  rj  no'klovg  iv&s  xal  (jüds  cpsQst. 
Vgl.  Merkel,  Apoll.  Argon,  prol.  1.  1  c,  2. 
Ähnlich  ist  von  der  Schule  des  Aristarch 
xvxhxüjg  „trivial"  in  den  Scholien  zu  II. 
Z325,  1222,  Od.  tf  248,  //  115  gebraucht. 
Direkt  an  den  Vers  des  Kallimachos  schliesst 
sich  an  Pollianos  (aus  Hadrians  Zeit)  in  Anth. 
XI,  130: 

rovg  xvxklovg  rovzovg  rovg  ccvtccq  eneircc 

Xsyovrag 

/uiacü  Xomodvrag  dXkoiQicjy  insioy. 
Ähnlich   sagt   Statins   Silv.    II,   7,  51:    trita 
,vatibus  orhita  sequantur. 


A.  Epos.    4.  Ber  epische  Kyklos.  {§  46.) 


67 


„dem  allgemeinen  Kreis  der  Bildung  angehörig"  ausgegangen. i)  Im  spe- 
ziellen Sinne  finden  wir  das  Wort  xixkog  zuerst  von  dem  Kreis  der 
in  den  alten  epischen  Gedichten  niedergelegten  Mythen  und  nachher 
erst  von  jenen  Gedichten  selbst  gebraucht.  Wenigstens  wurde  noch  ehe 
wir  den  Ausdruck  iuixog  xvxXog  in  dem  besagten  Sinne  nachweisen  können, 
der  Name  xvxXoygdcfog  von  denjenigen  Grammatikern  gebraucht,  welche 
solche  Mythensammlungen  zum  Zwecke  des  Unterrichtes  ^)  veranstalteten. 
Der  berühmteste  unter  diesen  war  der  Kyklograph  Dionysios,  welcher 
um  100  V.  Chr.  einen  xvxXog  i(ST0Qix6g  in  7.  B.  herstellte,  der  die  Mythen 
oder  alten  Geschichten  in  geordneter  Folge  umfasste  und  in  welchem  bei 
jedem  einzelnen  Mythus  auf  die  Stellen  und  Verse  der  alten  Dichter  und 
Mythologen  verwiesen  war.^)  In  diesem  Mythenkyklos  hatten  auch,  wie 
im  epischen  Kyklos  des  Proklos,  die  Erzählungen  des  Homer  ihre  Stelle, 
wie  denn  Athen,  p.  481  e  aus  dem  6.  Buch  desselben  das  Kyklopenaben- 
teuer  anführt.^)  Aber  auch  jüngere,  von  den  älteren  ionischen  Epikern 
nicht  behandelte  Mythen,  wie  von  den  Argonauten,  von  Herakles,  von 
Dionysos,  hatten  in  demselben  Aufnahme  gefunden.  Derartiger  Kykloi  gab 
es  gewiss  mehrere;  der  des  Dionysios  war  nur  der  gelehrteste  und  um- 
fangreichste. Ein  anderer  war  der  des  Lysimachos,  ein  dritter  der  des 
Theodoros,  welch'  letzterer  den  Bildiern  der  bei  Bovillae  aufgefundenen, 
nachher  ins  kapitolinische  Museum  verbrachten  Tabula  Iliaca  zu  gründe 
lag.^)  Vermutlich  aber  waren  doch  die  Kykloi  der  Mythen  aus  denen  der  Ge- 
dichte hervorgegangen,  und  bestand  schon  vor  dem  Kyklographen  Diony- 
sios eine  Sammlung  epischer  Gedichte  («Trr^),  die  ehedem  zum  Repertoir  der 
Homeriden  und  ionischen  Rhapsoden  gehörten.^) 


^)  Arist.  Eth.  Nie.  I,  3:  Ixapwg  yaQ  y.cd 
ev  xoig  iyxvxXtoig  eXQrjTui  tisqI  rovroop,  wo- 
mit Aristoteles  auf  die  populäre  Darstellung 
der  Sache  in  seinen  Dialogen  hinweist.  Arist. 
de  caelo  I,  9  p.  279  a  30:  xccx^cinsQ  ip  roTg 
iyxvxUoig  cpiloaocf^fiaai  ttsqI  td  ^£t«  ttoA- 
Xdxig  TiQocpcäpsrca,  wozu  Simplicius:  iyxvxXia 
cFf  xaXsi  cpiXoaocpijfXKTa  rd  xccrd  Trjr  rd^iv 
i^  uQ/yg  roTg  7To)J.oig  nQOTi^Ef^svci,  dnsQ  xal 
iiiüTEQixd  xciXety  s'iio^ey.  Hängt  wirklich 
rait  dieser  Bedeutung  von  iyxvxhcc  der  Name 
inixog  xvxkog  oder  xvxXog  laroQtxog  zusammen, 
so  wären  die  bekannten  Mythen  der  älteren 
Dichter  den  ausgesuchteren  der  alexandri- 
nischen  Elegiker  entgegengestellt.  Verkehrt 
ist  die  Deutung  in  den  Scholien  zu  Clem. 
Alex,  protr.  II,  30:  xvxhxol  de  xccXovyrai 
noirjrai  oi  rd  xvxXm  rrjg  ^Ihd^og  ij  rd  TJQWTa 
rj  xd  fxsrayspeGTSQcc  e|  avxwv  xtop  'Ofxrjqixiüv 
ovyygdxpavxsg. 

''j  Mit  dem  Schulzwecke  hängt  es  zu- 
sammen, dass  man  nun  auch,  wie  in  der 
Tabula  Iliaca,  Illustrationen  zu  den  Mythen 
gab,  wiewohl  diese  selbst  wegen  ihrer  Klein- 
heit sich  wenig  zur  Schultafel  eignete. 

^)  Diodor  III,  QQ:  Jioi'valco  xco  avi^xa- 
^afj,EVio  X(cg  naXcadg  fxv&OTioiLag'  ovxog  ydq 
xd  xe  tieqI  xov  Aiovvgov  xcd  xdg  'Afxci^ovag, 
tu    de    xovg    'jQyovuvxccg   xcd    xd    xctxd    xöv 


^Ihccxoy  noXsjuoy  ngccxS^e^xci  xcd  noXX^  exsQcc 
avvxExaxxai,  naQaxi^elg  xd  noi^fuccxcc  xwv 
ctQ^aLvov  X(Sy  xe  fxvS^oXöywy  xal  xcoy  tiolt]- 
xüjv.  Vgl.  Ed.  Schwaktz,  De  Dionysio  Scy- 
thohrachione,  Bonn  1880.  Suidas  schreibt 
den  KvxXog  laxogixcg  in  7  B.  dem  Dionysios 
aus  Milet  zu;  das  muss  ein  Irrtum  sein,  da 
dieser  unter  Darius  lebte,  dessen  Geschichte 
er  schrieb.  Ath.  477  d  u.  481  e  nennt  den 
Dionysios,  dessen  6.  Buch  über  den  Kyklos 
er  citiert,  Samier.  Welcker,  Ep.  Cycl.  I, 
76  entschied  sich  für  den  Mytileneer. 

^)  Ausdrücklich  ist  eine  kyklische  Aus- 
gabe des  Homer  erwähnt  in  Schol.  zu  Od. 
71  195  u.  ()  25.  Spuren  derselben  im  Schlüsse 
der  Ilias  wies  0.  Müller,  Gr.  Litt.  I*  106 
nach;  ebenso  sollte,  wie  Heitz  S.  113  An.  2 
gut  bemerkt,  das  aus  Aristoxenos  im  Anecd. 
rom.  erwähnte,  von  unserem  Text  abweichende 
Proömium  die  Ilias  mit  den  Kyprien  ver- 
knüpfen. 

'")  Die  Tafel  trägt  die  Inschrift  w  cplkE 
naT  0so&](6Qt]ot/  /ndi^e  xd^iv  O^rjQov  ocpqa 
daelg  ndffrjg  fxexQoy  E/fig  oocpiag.  Über  die 
SEodioQEiog  cuQEGig  s.  Strab.  625. 

^)  Ausgemacht  indes  ist  es  nicht,  dass 
schon  Zenodot,  der  Ordner  des  epischen 
Teiles  der  alexandrinischen  Bibliothek,  jene 
enr}  der  Homeriden  zusammengestellt  hat. 


68 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


47.  Die  Gedichte  des  epischen  Kyklos  sind  bis  auf  wenige  Bruch- 
stücke verloren  gegangen :  aber  über  ihren  Inhalt  sind  wir  noch  ziemlich 
genau  durch  die  erhaltenen  Exzerpte  aus  der  grammatischen  Chrestomathie 
des  Proklos  unterrichtet.')  Im  Eingang  dieser  durch  den  Patriarchen 
Photios,  Bibl.  cod.  239  uns  erhaltenen  Schrift  heisst  es :  .der  sogenannte  epische 
Kyklos  beginnt  mit  der  Heirat  des  Uranos  und  der  Ge,  aus  der  die  Dichter 
ihm  die  3  Hunderthänder  und  die  3  Kyklopen  geboren  sein  lassen;  als- 
dann geht  er  alles  durch,  was  sonst  Fabelhaftes  die  Hellenen  von  ihren 
Göttern  erzählen  und  was  in  alter  Zeit  sich  ereignet  hat,  bis  zur  Landung 
des  Odysseus  in  Ithaka."  Es  ging  also  in  dem  epischen  Kyklos  eine  Göt- 
tergeschichte voraus  und  folgten  dann  die  nach  alter  Tradition  dem  Homer 
zugeschriebenen  Epen  der  Heroensage,  vornehmlich  die  des  trojanischen  Sagen- 
kreises. Von  letzteren  sind  Inhaltsangaben  in  den  Iliasscholien  -)  auf  uns 
gekommen,  die  durch  bildliche  Darstellungen  insbesondere  auf  der  Tah. 
Iliaca  und  Borgina,  sowie  durch  die  entsprechenden  Mythen  der  LjTiker 
und  Tragiker  illustriert  und  bereichert  werden. 

Die  einzelnen  Gedichte  des  epischen  Kyklos  waren  folgende:  08oyo- 
ria,^)  TiTCiionayia,  Ol6in:o6eiu.  Orßäi'g.  'Erciyoroi,  Kvrroia,  lÄidg,  Ai^i- 
onic,  'I'/Aug  üixoä.  Imov  rre'oaig,  Xöarot.  'Odiaaeia,  Tr/.eydieia.  Wir  be- 
sprechen von  ihnen  zuerst  die  auf  den  troischen  Sagenkreis  bezüglichen, 
da  sich  diese  am  meisten  an  Ilias  und  Odyssee  anschliessen  und  auch  der 
Zeit  nach  jenen  Dichtungen  am  nächsten  stehen.  Auch  ihnen  war  so  gut 
wie  der  Ilias  die  Ausbildung  der  Sage  durch  Einzellieder  vorausgegangen, 
da  bereits  die  Blas  Achills  Fall  (X  359),  die  Fahrt  des  Paris  [Z  290),  die 
Versammlung  der  Schiffe  in  Aulis  [B  303)  u.  a.  an  Stellen  erwähnt,  welche 
den  Verdacht  nachträglicher  Interpolation  ausschliessen. 

48.  Die  Kvrroia  (sc  enr)  in  11  B,  umfassten  die  der  Ilias  voraus- 
gehenden Ereignisse.  Sie  begannen  unter  offenbarer  Anspielung  an  das 
Proömium  der  Ilias^j  mit  dem  Entschlüsse  des  Zeus,  die  übervölkerte  Erde 
durch  Erreo-unsr  des  ilischen  Krieofes  zu  erleichtern.  Sie  erzählten  dann 
das  Parisurteil,  den  Raub  der  Helena,  die  Versammlung  der  Heerführer 
in  Aulis,  den  ersten  irrtümlichen  Feldzug  nach  Teuthrania,  dem  Reiche 
des  Telephos,^)  die  Zerstreuung  der  absegelnden  Schiffe  durch  einen  Sturm. 
Hiemit  endete  der  erste,    6  Gesänge  umfassende  Teil    des  Gedichtes,*^)   der 


^)  Welcher,  Ep.  Cyd.  T.  3  ff.  unter- 
scheidet entgegen  der  Überlieferung  der 
Alten  diesen  Grammatiker  Proklos  von  dem 
Neuplatoniker  Proklos  und  Aveist  ihn  den: 
2.  Jahrb.  n.  Chr.  zu.  In  der  Tbat  weicht 
die  präzise  Sprache  unserer  Chrestomathie 
stark  von  der  breiten,  verwaschenen  Dik- 
tion des  Philosophen  ab. 

"-)  Im  Ven.  454  (A);  die  Inhaltsangabe 
der  Kyprien  fehlt  in  demselben  (s.  Wissowa. 
Herm.  19,  198  ff.)  und  ist  uns  in  einem 
Codex  des  Eskiirial  erhalten,  in  den  sie  zur 
Zeit,  als  das  fehlende  Blatt  in  A  noch  vor- 
handen war.  gekommen  ist.  Leider  ist  die 
Yerlässigkeit  der  Exzerpte  durch  Interpola- 
tionen aus  Homer  und  anderen  Dichtern  ge- 
stört,   wie   z.  B,   aus    Herodot  II,    117    fest- 


steht, dass  der  Satz  ysiuojva  .  .  .  nöhy, 
p.  235.  21 — 3  nicht  aus  den  Kj-prien  gezogen 
sein  kann. 

^)  Ath.  277  d  nennt  als  Verfasser  der 
kyklischen  Theogonie  den  Eumelos  oder 
Arktinos,  wahrscheinlich  den  einen  so  wenig 
mit  Recht  wie  den  andern. 

"')  Dabei  ward  von  dem  jüngeren  Dichter 
der  Halbvers  Ji6g  d'eTS/.SLsro  ßovhj  falsch 
verstanden  oder  doch  falsch  gewendet. 

'")  Auch  dieser  Erzählung  lag,  wie  bereits 
Aristarch  erkannte,  ein  Missverständnis  des 
Verses -J  59  yvvuuus  na).ip  rT)M)'/S-ti^Tcig  (statt 
rra/.iunX.)    6i(o   c'ixp    dnoi'oan'jastv  zu  gründe. 

^)  Die  einzelnen  Gesänge  lassen  sich, 
zum  Teil  nach  sprachlichen  Anzeichen,  noch 
sicher  abteilen. 


A.  Epos.     4.  Der  epische  Kyklos.  (§  47-49.)  60 

ehedem  ein  Ganzes  für  sich  gebildet  zu  haben  scheint.^)  Daran  schloss 
sich  eine  Fortsetzung  in  5  Gesängen,  welche  die  zweite  Unternehmung 
gegen  Ilios,  die  Zurücklassung  des  von  einer  Schlange  gebissenen  Philoktet 
in  Lemnos,2)  die  Landung  der  Achäer  und  die  ersten  Kämpfe  vor  Troja 
enthielt.  Mit  einem  Katalog  der  Bundesgenossen  der  Troer  schloss  das 
Gedicht.  Die  Kyprien  setzten  also  die  Bekanntschaft  mit  der  ganzen  Ilias, 
einschliesslich  des  Schiff  kataloges*^)  voraus.  Das  Werk  ward  nach  Herodot 
II,  117  von  einigen  dem  Homer  beigelegt,  aber  derselbe  Herodot  erkannte 
richtig  aus  sachlichen  Gründen  die  Verschiedenheit  der  Verfasser  der  Ilias 
und  der  Kypria.'^)  Andere  schrieben  das  Gedicht  teils  dem  Stasinos  aus 
Kypern,  teils  dem  Hegesias  oder  Hegesinos  aus  Salamis  oder  Halikar- 
nass  zu.  Soviel  scheint  schon  aus  dem  Namen  Kimqia  und  dem  erotischen 
Charakter  der  Mythen  hervorzugehen,  dass  das  Gedicht  auf  Kypern  entstan- 
den ist  und  dort  an  dem  Feste  der  kyprischen  Göttin  zum  Vortrag  kam. 
49.  Ai^  10  TV  ig  in  5  B.  von  Arktinos  aus  Milet,  wohl  das  älteste 
kyklische  Epos,  hat  von  dem  Äthiopier  Memnon  seinen  Namen.  Dasselbe 
begann  mit 

'S2g  oT  Y  ccfxcfisTtov  rdcpov  "ExtOQoq^  rjX^s  6'  'Jfxa^Mv, 
schloss  sich  also  ganz  eng  an  den  letzten  Gesang  der  Ilias  an.  Die  5  Bü- 
cher hatten  noch  durchweg  den  Charakter  geschlossener  Einzellieder,  die 
nach  der  Inhaltsangabe  des  Proklos  sich  noch  mit  Sicherheit  rekonstruieren 
lassen.  Der  1.  Gesang  enthielt  die  Ruhmesthaten  der  Amazone  Penthesi- 
leia  und  ihren  Fall  durch  Achill;  er  endete  mit  der  Bestattung  der  Toten 
und  erhielt  ein  Nachspiel  im  2.  Gesang,  worin  Achill,  von  Thersites  ob 
der  Liebe  zur  gefallenen  Heldin  beschimpft,  den  Lästerer  tötet  und  dann 
nach  Lesbos  segelt,  um  sich  von  der  Blutschuld  entsühnen  zu  lassen.  Im 
3.  Gesang  trat  Memnon,  der  Sohn  der  Eos,  als  Bundesgenosse  der  Troer 
auf  die  Bühne  und  tötete  bei  erneutem  Zusammenstoss  der  Heere  den  An- 
tilochos,  den  jugendlichen  Freund  des  Achill.  Der  4.  Gesang  Hess  dann 
den  Achill  in  ungestümem  Zorn  auf  die  Feinde  eindringen,  den  Memnon 
erschlagen  und  die  Troer  zu  Paaren  treiben;  er  endete  mit  dem  Tod  des 
Achill,  der,  als  er  schon  in  die  Stadt  eindrang,  vom  Pfeile  des  Paris  ge- 
troffen, nur  mit  Mühe  von  Aias  und  Odysseus  ins  Lager  zurückgebracht 
wurde.  Den  Schluss  des  Ganzen  bildete  die  Bestattung  des  Achill  mit  den 
der  Ilias  nachgebildeten  Leichenspielen  und  der  Streit  des  Aias  und  Odysseus 
um  die  Waffen  des  Helden.  Als  Verfasser  des  spannenden,  durch  ritter- 
liche Romantik  ausgezeichneten  Epos  galt  Arktinos,  Sohn  des  Teles,  aus 

)  Bei  selbständiger  Stellung  des  ersten    I    Fehlen  des  Asteropaios  in  jenem  Verzeichnis 

spricht;  s.  Müller,  Gr.  Litt.  P,  91,  Leider 
lassen  uns  über  diesen  Punkt  die  Schollen 
im  Stich. 

^)  Die  Kyprien  liessen  nämlich  den 
Paris  nicht  nach  Sidon  kommen,  sondern  in 
3  Tagen  nach  Troja  zurücksegeln;  bei  Pro- 
klos steht  allerdings  /sijUMpa  cTe  avroTg 
ifpirjaiv  Uga,  xal  TiQoasvs/xhslg  ^YcTwm  6  'Ali- 
^avSqoq    cciQsT  rrjv  nöXiv,    aber    diese   Stelle 


Teils  erklärt  sich  leichter  der  grosse  Zwi- 
schenraum zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Feldzug,  der  notwendig  ist,  um  den  Neop- 
tolemos  heranwachsen  zu  lassen  und  die  20 
Jahre  in  II.  i2  765  zu  gewinnen. 

'^)  Auffällig  ist  die  Angabe  des  Aristo- 
nikos  zu  II.  B  722:  oti  eV  Arifxvu)  sfxeye 
y.aTalelsi[Ä^8vog  6  4>(XoxTiJTf]g,  ol  (fe  rsiotSQOi 
(?)  ip  vrjai^ito  SQrjfuio. 

^)  Aus  den  Kyprien  ist  wahrscheinlich  ;  ist  zweifellos  interpoliert.  Bei  dem  Gramma- 
der Anhang  zum  Schiff katalog  der  Ilias  \  tiker  Glaukos  in  Schol,  I]ur.  Hec.  41  läuft 
B   816     876    ausgezogen,     wofür     auch    das    |   das  Gedicht  anonym. 


70 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Milet,  ^)  der  von  Eusebios,  wir  wissen  nicht  mit  welcher  Berechtigung,  in 
die  1.,  von  Suidas  in  die  9.  Olympiade  gesetzt  wird,  2)  und  sicher  noch 
im  8.  Jahrh.  gelebt  hat.  Der  hochpoetische  Stoff  hat  in  unserer  Zeit  Goethe 
angezogen,  um  als  letzter  der  Homeriden  das  leider  unvollendete  Epos 
Achilleis  zu  dichten. 

50.  ^iXiov  nsQdig  in  2  B.  von  dem  gleichen  Arktinos,  stand  im 
epischen  Kyklos  erst  hinter  der  kleinen  Ilias.  Im  1.  Gesang  behandelte 
das  Gedicht  die  Vorbereitungen  zur  Eroberung  Trojas,  die  List  des  höl- 
zernen Pferdes  mit  den  aus  Vergil  bekannten  Geschichten  von  Laokoon  und 
Sinon.  Der  2.  Gesang  enthielt  das  düstere  Gemälde  von  der  Einnahme  der 
Stadt  mit  all'  ihren  Greueln  und  schloss  effektvoll  mit  der  drohenden  Ge- 
stalt der  zürnenden  Göttin  Athene.^)  Wahrscheinlich  ging  den  von  Proklos 
exzerpierten  2  Büchern  noch  ein  anderes  Buch,  wenn  nicht  mehrere  Bücher, 
voraus,  worin  die  Zimmerung  des  hölzernen  Pferdes,  der  verstellte  Abzug 
der  Achäer,  die  Abholung  des  Neoptolemos  und  die  Entwendung  des  Pal- 
ladiums geschildert  war. 4)  Robert,  Phil.  Unt.  V  223,  nimmt  geradezu  an, 
dass  die  Iliupersis  mit  der  Aithiopis  ursprünglich  ein  einziges  zusammen- 
hängendes Epos  gebildet  habe.^) 

51.  7At«g  {.iixQa  in  4  B.  war  die  inhaltreichste  der  troischen  Dich- 
tungen. Nach  dem  Auszug  des  Proklos  begann  sie  mit  dem  Streit  um  die 
Waffen  des  Achill  und  endete  mit  der  Aufnahme  des  hölzernen  Pferdes 
in  die  Stadt.  In  der  That  aber  war  sie  umfangreicher  und  enthielt  nicht 
bloss  auch  die  Einnahme  der  Stadt,  welche  Proklos  lieber  nach  Arktinos 
erzählte,  sondern  holte  auch  im  Anfang  etwas  weiter  aus,  wie  uns  schon 
der  erhaltene  Eingang  lehrt: 

Ihov  deiÖM  xal  Jaqöavh^v  ivn(x)Xov^ 
Tjg  TTSQt  TtoXXa  nad^ov  Javaol  d-eQanovreq  ÄQTjog. 
Das  ganze  Werk  wird  also  mindestens  5  Bücher  umfasst  haben,  von  denen 
aber  Proklos  nur  4  zu  exzerpieren  seinen  Zwecken  angemessen  fand.^)     Die- 


^)  Dass  Arktinos  Verfasser  der  Aithiopis 
sei,  scheint  nie  bestritten  worden  zu  sein. 
Dem  Homer  ward  das  Gedicht  nur  von  denen 
zugeschrieben,  welche,  weil  einzelne  Gedichte 
des  epischen  Kyklos  auf  Homer  zurückgeführt 
wurden,  nun  den  ganzen  Kyklos  in  Bausch 
und  Bogen  dem  Homer  zuschrieben. 

2)  Die  2.  Angabe  des  Eusebios,  die  ihn 
in  die  4.  Ol.  setzt,  scheint  aus  der  Ver- 
wechselung von  ^  und  J  herzurühren.  Bei 
8uidas  'AQXxiPog  yeyoyujg  xaru  rt^y  ^'  oA. 
fisru  TSZQay.oaia  ert]  tajv  Tqwixvov  ist  ent- 
weder xaxd  rov  a  6X.  oder  fxetd  vy,'  srrj 
herzustellen.  Weiter  herab  würde  uns  der 
angebliche  Wettstreit  mit  Lesches  führen, 
wenn  demselben  Glauben  beizumessen  wäre. 
Von  Wichtigkeit  für  die  Chronologie  und 
das  hohe  Alter  des  Arktinos  ist  der  Umstand, 
dass  er  den  Achill  zwar  nach  der  Insel  Leuke 
im  schwarzen  Meer  entrückt  werden,  aber 
die  Amazonen  aus  Thrakien,  noch  nicht  aus 
dem  Kaukasus  kommen  lässt.  Die  Milesier 
hatten    also    damals    schon   ihre   Seefahrten 


nach  dem  Pontus  ausgedehnt,  waren  aber 
noch  nicht  bis  nach  Kolchis  gekommen.  Da 
auf  die  durch  Arktinos  verbreiteten  Sagen 
in  der  Odyssee  Rücksicht  genommen  ist,  so 
lebte  Arktinos  wahrscheinlich  vor  Abschluss 
der  Odyssee,  d.  i.  vor  dem  Dichter  der  Tele- 
machie  und  der  Nekyia;  siehe  indes  S.  42 
An.  2. 

^)  Wir  folgen  der  von  Lehrs  vorgeschla- 
genen Umstellung  der  Schlussätze  des  Ex- 
zerptes. 

■*)  Die  Entwendung  des  Palladiums  fand 
noch  in  dem  vollständigen  Exemplar  des 
Arktinos  der  Fhetor  Dionys.  Hai.  Ant.  I,  69. 

^)  Auf  beide  Gedichte  zusammen  geht 
die  Angabe  der  Tab.  Borg.,  dass  das  Gedicht 
des  Arktinos  9500  Verse  gehabt  habe ;  auch 
diese  Zahl  weist  auf  mehr  als  7  (5  -^-  2) 
Bücher. 

^)  Aristot.  Poet.  23  las  in  seiner  kleinen 
Tlias  noch  die  Zerstörung  der  Stadt,  woraus 
or  die  Erzählung  von  den  gefangenen  Tro- 
janerinnen   anführt.     Das   Gleiche   gilt  von 


A.  Epos.     4.  Der  epische  Kyklos.  (§  50—52.) 


71 


selben  enthielten  den  Streit  des  Aias  und  Odysseus  um  die  Waffen 
des  Achill,  die  Herbeiholung  neuer  Streitkräfte  von  selten  der  Achäer 
und  Troer,  den  Tod  des  Paris  durch  den  Pfeil  des  Philoktet  und  den 
Fall  des  Eurypylos  durch  Neoptoleinos,  den  Führer  im  neuen  Kriege. 
Das  Gedicht  setzte  die  Aithiopis,  wie  diese  die  Ilias,  voraus;  ob  das- 
selbe nach  den  Kyprien,  oder  umgekehrt  vor  denselben  gedichtet  sei, 
lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen.  Als  Verfasser  des  Epos  ward  so 
ziemlich  allgemein  Losch  es,  der  Sohn  des  Aischylinos  aus  Pyrrha  in  Lesbos 
angegeben,^)  den  zu  einem  blossen  Repräsentanten  der  Erzählung  in  der 
Halle  {le'axYj)  zu  verflüchtigen  der  mythenbildenden  Scheinkritik  unserer 
Zeit  vorbehalten  war. 2)  Nach  Eusebios  lebte  derselbe  in  der  30.  Olympiade; 
der  Peripatetiker  Phanias  bei  Clemens  Alex,  ström.  I  p.  144  setzt  ihn  in 
die  Zeit  des  Archilochos,  lässt  ihn  aber  zugleich  einen  Wettkampf  mit  dem 
Dichter  Arktinos  bestehen.  Die  letztere  Angabe  macht  Schwierigkeit  und  würde 
uns  nötigen,  entweder  den  Lesches  weiter  hinauf  oder  den  Arktinos  weiter 
herabzurücken.  Wahrscheinlich  aber  ist  jener  Wettkampf  nur  eine  Fiktion, 3) 
hervorgegangen  aus  der  richtigen  Beobachtung,  dass  der  jüngere  Lesches  mit 
dem  älteren  Arktinos  in  der  Behandlung  des  gleichen  Stoff'es  rivalisieren  wollte.^) 
52.  N6a%oi  in  5  B.,  von  Hagias  aus  Trözen,^)  schlössen  sich  an 
den  Ausgang  der  Iliupersis  des  Arktinos  oder  an  den  durch  den  Frevel 
der  Sieger  hervorgerufenen  Zorn  der  Göttin  Athene  an.^)  Sie  enthielten  die 
Geschicke  des  heimkehrenden  Heeres  der  Achäer:  des  Kalchas,  Leonteus 
und  Polypoites,  welche  über  Kolophon  längs  der  kleinasiatischen  Küste 
zogen,  der  Hauptmacht  der  Achäer,  welche  den  Seeweg  einschlug,  aber 
an  den  kaphereischen  Felsen  Euböas  Schiffbruch  litt,  des  Neoptolemos,  der 
zu  Land  quer  durch  Thrakien  und  Makedonien  in  das  Gebiet  der  Molosser 
gelangte.  Um  die  Teile  des  Gedichtes  nicht  ganz  auseinanderfallen  zu 
lassen,   kehrte  der  Verfasser  im   letzten  Buch  wieder  zu  Agamemnon  und 


Pausanias,  wenn  er  (X,  25)  den  Polygnot 
in  seinem  Gemälde  vom  Untergang  Trojas 
dem  Lesches  folgen  lässt.  Selbst  die  Ex- 
zerpte des  Proklos  führen  eher  auf  5  Ge- 
sänge. 

^)  Ps.  Herodot  vit.  Hom.  tischt  uns  die 
Märe  auf,  Homer  habe  die  kleine  Ilias  in 
Phokäa  gedichtet  und  dem  Schulmeister 
Thestorides,  der  ihm  gastliche  Aufnahme 
gewährte,  zum  Abschreiben  überlassen.  Das 
Scholion  zu  Eur.  Troad.  821  nennt  neben 
diesem  Thestorides  den  Lakedämonier  Kinai- 
thon  oder  den  Erythräer  Diodoros  als  mut- 
massliche Verfasser,  und  stützt  sich,  was 
beachtenswert,  für  Kinaithon  auf  das  Zeugnis 
des  Hellanikos;  s.  Robekt,  Phil.  Unt.  V, 
326  f.,  der  die  These  aufstellt,  dass  der 
Kyklograph  Lysimachos  den  Lesches  als 
Verfasser  nicht  anerkannt  habe. 

^)  Die  Deutung  aufgestellt  von  Welcker, 
Ep.  Cycl.  I,  254,  und  von  andern  nach- 
gebetet. Bei  Plut.  Conv.  sept.  sap.  10  wird 
auch  das  Certamen  Hesiodi  et  Homeri  dem 
Lesches  zugeschrieben;  aber  dieses  ist  ein 
offenbarer  Irrtum,   wahrscheinlich   aus  einer 


interpolierenden  Randbemerkung  hervorge- 
gangen (s.  Rh.  M.  25,  535  f.),  da  ein  Ho- 
meride sicher  nicht  den  Homer  von  Hesiod 
hätte  besiegt  werden  lassen. 

^)  Zu  derselben  mögen  die  Dichterwett- 
kämpfe in  Mytilene  Anlass  gegeben  haben, 
die  noch  Pompeius  dort  sah,  wie  zu  lesen 
bei  Plut.  Pomp.  42:  roy  dyiopa  tov  ndxQiov 
iO^sdffato  Tiop  Tioirjraiu. 

^)  So  Hess  nach  Paus.  X,  27  Arktinos 
den  Priamos  von  Neoptolemos  auf  dem  Altar 
des  Zeus  ermordet  werden,  während  Lesches 
einen  solchen  Frevel  von  dem  griechischen 
Helden  fern  hielt. 

^)  Eustathios  zu  Od.  71  118  nennt  den- 
selben einen  Kolophonier,  was  vielleicht  da- 
von herkommt,  dass  in  dem  Gedichte  Kolo- 
phon und  sein  Orakel  eine  grosse  Rolle 
spielte.  In  den  Schol.  Pind.  Ol.  XIH,  13 
ist  ein  Nöorog  tmv  'ElXrjvoiv  des  Eumolpos 
(corrige:  Eumelos)  erwähnt. 

•"'j  Unklar  ist  das  Verhältnis  des  letzten 
Buches  zu  dem  von  Ath.  281b  und  395  d 
erwähnten  Epos  Jr^sidiuy  x«i9^o(foc.  worüber 
WiLAMOwiTz,  Hom.  Unt.  157. 


72  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Menelaos  zurück  und  erzählte  die  Rache,  welche  Orestes  an  den  Mördern 
seines  Vaters  nahm,  und  die  gleichzeitige  Rückkehr  des  Menelaos.  Das 
Gedicht  sollte  somit  den  Raum  zwischen  Iliupersis  und  Odyssee  ausfüllen; 
sein  Verfasser  hat  ausdrücklich  auf  die  Odyssee  und  den  Aufenthalt  des 
Odysseus  bei  dem  Priester  Maron  im  Lande  der  Kikonen  (Od.  t  197)  Be- 
zug genommen,  aber  gewiss  nicht  eine  Ilias  post  Homerum  geschrieben 
und  nicht  die  Heimkehr  des  Odysseus  von  neuem  erzählt,  i) 

53.  TrjXsyovia  in  2  B.,  von  Eugammon  aus  Kyrene  (nach  Eusebius 
in  Ol.  53),  war  das  jüngste  und  schlechteste  der  kyklischen  Gedichte,  das 
in  loser  Gestalt  gewissermassen  zur  Ergänzung  der  Odyssee  die  letzten 
Geschicke  des  Odysseus  und  seines  Hauses  erzählte;  den  Namen  hatte  das- 
selbe von  dem  zweiten  Teil,  welcher  den  tragischen  Zusammenstoss  des 
Odysseus  mit  seinem  Sohne  Telegonos  enthielt  und  in  romanhafter  Weise 
mit  der  Heirat  des  Telegonos  und  der  Penelope  einerseits  und  des  Tele- 
machos  und  der  Kirke  andrerseits  schloss.  Im  ersten  Teil  benützte  der 
Erzähler  vornehmlich  die  heimischen  Sagen  des  Thesproterlandes,  die  er 
nach  Clemens  Alex,  ström.  VI,  266  aus  der  Thesprotis  eines  sonst  nicht 
näher  bekannten  Dichters  Musaios  schöpfte. 

54.  Ausserdem  gehörten  zum  epischen  Kyklos  noch  folgende,  dem 
thebanischen  Sagenkreis  angehörende  Dichtungen: 

Orjßatg  in  7000  Versen, 2)  auch  kyklische  Thebais  im  Gegensatz  zu 
der  Thebais  des  Antimachos  genannt,^)  mit  der  sich  ein  anderes  Epos,  die 
sl^sXaaig  UfiqjiaQaov,  im  Inhalt  berührte.^)  Von  Pausanias  IX,  9.  5  wird 
dieselbe  hoch  geschätzt  und  neben  Ilias  und  Odyssee  gestellt.  Nach  dem- 
selben Gewährsmann  hat  der  Elegiker  Kallinos  das  Gedicht  als  homerisch 
anerkannt.  Suidas  und  Ps.  Herodot  im  Leben  Homers  lassen  dasselbe  von 
Homer  nach  seiner  Vertreibung  aus  Smyrna  in  Neonteichos  bei  Kyme  ge- 
dichtet sein;  aber  schon  gleich  der  erste  Vers 

^ÄQyog  asids,  ^sd,  noXvSiipiov,  sv&sv  avaxrsg 
weist    mit    der   Vernachlässigung    des    Digamma    von    ava^    auf    spätere 
Zeit  hin. 5) 

'ETifyovoL,  gleichfalls  in  7000  Versen;  ihr  Inhalt  bestimmt  sich  aus 
dem  Titel.  Dass  Homer  dieselben  gedichtet  habe,  bezweifelt  bereits  Herodot 
IV,  32;  der  Scholiast  zu  Aristoph.  Pac.  1269  schreibt  das  Gedicht  einem 
gewissen  Antimachos  zu. 


^)  Das  umgekehrte  behauptet  Kirchhoff 
im  Exkurs  seines  Buches  über  die  Odyssee ; 

ihm   tritt  Wilamowitz,    Hom.  Unt.     176   f.   |    Ol.  VI,  17,  Schol.  Sopk  O^d.  Co].  1375 
bei,  indem   er   zugleich    die    Nostoi    für  ein 
Konglomerat  von  Versen  der  verschiedensten 
Dichter  und  Zeiten  ansieht. 

2)  Gert.  Hes.:  0  de  'OfxrjQog  unoTv/ajp 
Trjg  vly.tjg  neQieg^ofjievog  eXsys  rct  noi^fxarct, 
TTQvitov  juey  rtjp  9r]ßaTda,  Int],  ,C  •  •  •  f'^a 
Eniyöyovg,  tTirj  ,C.  Nach  der  Tab.  Borg,  ist 
die  Zahl  7000  abgerundet  für  6600.  Auch 
Properz  I,  7.  o  schreibt  das  Gedicht  dem 
Homer  zu;  hingegen  stimmt  die  Darstellung 
in    der  Odysse   o  244  ff.   nicht   mit    der   der 


Thebais  überein. 

•')  Ath.  465  e,  Asklepiades  in  Schol.  Find. 

n        '  '  '  '    '    ' 

"*)  Immisch,  Jahrb.  für  Phil.  Suppl.  XVII, 
171  f.,  sucht  nachzuweisen,  dass  die  i^sXaatg 
'A^cpiaQtlov  ein  eigenes  Gedicht  neben  der 
Thebais,  nicht  bloss  ein  Gesang  derselben, 
wie  Welcker  annahm,  gewesen  ist. 

5)  Bergk,  Gr.  Litt.  II  40  setzt  die  The- 
bais vor  den  Anfang  der  Olympiaden,  da 
dieselbe  in  der  6.  Ol.  von  dem  Teier  Anti- 
machos fortgesetzt  worden  sei;  aber  diese 
letzte  Kombination  ist  ganz  unsicher. 


A.  Epos.     4.  Der  epische  Kyklos.  (§  53-56.)  73 

OlSiTioSeia  in  6000  Versen;  sie  wird  auf  der  borgiaschen  Tafel  dem 
Lakedäraonier  Kinaithon  zugeschrieben,  den  Eusebios,  man  weiss  nicht 
mit  welchem  Recht,  in  Ol.  5  setzt. 

55.  Andere  aus  der  alten  Zeit  des  Heldenepos  stammende,  aber  nicht 
mit  Sicherheit  dem  epischen  Kyklos  zuzuweisende  Epen  waren: 

Olxaliaq  alwaig.  Das  Gedicht  behandelte  die  Einnahme  von  Oicha- 
lia  durch  Herakles  und  stand  mit  dem  troischen  Sagenkreis  insofern  in 
Verbindung,  als  Odysseus  seinen  Bogen  von  Iphitos,  dem  Sohne  des  Königs 
Eurytos  von  Oichalia,  erhalten  hatte  (Od.  (f  37).  Nach  einem  Epigramm 
des  Kallimachos ')  war  dasselbe  ein  Werk  des  Homeriden  Kreophylos. 
Da  eine  andere  Überlieferung  dasselbe  dem  Homer  zuschrieb,  so  haben 
ausgleichende  Litterarhistoriker  beide  Angaben  in  der  Art  vereinigt,  dass 
sie  den  Homer  das  Gedicht  dem  Kreophylos  als  Lohn  für  die  gastliche 
Aufnahme  schenken  Hessen. 

(t)(joxatg  hatte  nach  Pseudo-Herodot  im  Leben  Homers  den  Namen 
davon,  dass  Homer  das  Epos  in  Phokäa  gedichtet  hatte.  Nach  Welckers 
feiner  Kombination  (Ep.  Cycl.  I,  237)  war  dasselbe  identisch  mit  der 
Mivvccg^  welche  nach  Pausanias  IV,  33.  7  den  Phokäer  Prodikos  zum  Ver- 
fasser hatte.  Diese  Minyas  behandelte  den  Fall  des  minyschen  Orchomenos 
durch  Herakles;  in  ihr  kam  auch  eine  Unterweltsscene  vor,  aus  der 
Polygnot  die  Figur  des  Fährmanns  Charon  entnahm  (Paus.  X,  28.  2). 

Javcctg,  in  5500  Versen  nach  der  borgiaschen  Tafel,  handelte  von 
den  Geschicken  des  Danaos  und  seiner  Töchter.  Da  der  Dichter  der  Nostoi 
Hagias  aus  Trözen  stammte,  so  werden  wir  auch  den  Verfasser  dieses 
argivischen  Epos  in  Argos  suchen  dürfen. 

56.  Über  den  inneren  Wert  und  den  Kunstcharakter  der  kyklischen 
Epen  lässt  sich  bei  der  Spärlichkeit  der  Fragmente  nicht  sicher  urteilen. 
Einige  von  ihnen  scheinen  an  Anschaulichkeit  der  Schilderung  und  Helden- 
haftigkeit  der  Charakterzeichnung  den  homerischen  Gedichten  nicht  viel 
nachgestanden  zu  sein;  doch  überwog  im  allgemeinen  in  ihnen  das  stoff- 
liche Interesse,  dem  gegenüber  die  künstlerische  Anordnung  und  die  aus 
der  Konzentration  der  Handlung  entspringende  Spannung  zurücktraten.  In 
der  Vorliebe  für  erotische  Motive  und  schwärmerische  Romantik  erkennt 
man  das  nahende  Wehen  der  lyrischen  Dichtung  und  das  Absterben  der 
naturwüchsigen  Kraft  des  alten  Heldengesangs.  Auch  in  den  religiösen 
Vorstellungen  macht  sich  der  wachsende  Einfluss  des  Orakelwesens  und  der 
Priesterlehren  geltend.  Von  den  Namen  und  den  Persönlichkeiten  der  Verfasser 
der  einzelnen  Epen  hatte  man  offenbar  schon  zur  Zeit  der  Perserkriege  keine 
genaue  Kenntnis  mehr,  woraus  es  sich  erklärt,  dass  in  Volkskreisen  der 
ganze  Kyklos  dem  Repräsentanten  der  alten  epischen  Poesie,  dem  Homer, 
zugeschrieben  wurde.  Doch  kann  man  immerhin  aus  den  spärlichen  Frag- 
menten und  den  dürftigen  Nachrichten  über  die  Dichter  des  Kyklos  ent- 
nehmen, dass  zur  Zeit  der  Kykliker  im  8.  und  7.  Jahrhundert  der  epische 
Gesang  sich   über  die  Gegend  von   Smyrna   und  Chios   hinaus   nicht   bloss 

')  Strabon   XIV,  G38,    Suidas    u.  Kqsm-   \   der  gemeinsamen   Quelle  des  Hesychios  Mi- 
(fvXog,    Schol.    Fiat,    de    rep.  p.  GOOb    nach   |   lesios. 


74 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


nach  den  übrigen  Städten  des  ionischen  und  äolischen  Kleinasiens,  wie 
Kolophon,  Milet,  Lesbos,  sondern  auch  weiter  bis  nach  Kypern,  Argos, 
Lakedämon,  Kyrene  verbreitete.  Aber  das  Interesse  für  epische  Dich- 
tung nahm  im  7.  Jahrhundert  bei  dem  raschen  Aufblühen  der  iambi- 
schen  und  lyrischen  Poesie  immer  mehr  ab,  so  dass  kein  Gedicht  des 
Kyklos  gleich  der  Ilias  und  Odyssee  eine  nationale  Bedeutung  erlangte. 
Gleichwohl  wurden  von  den  Künstlern  und  den  späteren  Dichtern  die  kyk- 
lischen  Gedichte  wegen  des  Reichtums  ihres  Inhaltes  viel  mehr  als  selbst 
die  Ilias  und  Odyssee  benützt,  in  welchem  Sinne  schon  Aristoteles  Poet.  23 
bemerkt,  dass  die  Ilias  nur  zu  1  oder  2,  die  kleine  Ilias  aber  allein  zu 
8  Tragödien  den  Stoff  hergegeben  habe. 

C.  W.  Müller,  De  cyclo  Graecorum  epico,  Lips.  1829.  —  Welcker,  Der  epische 
Cyclus,  Bonn  1835  (1864),  2  Bde.  —  0.  Jahn,  Griechische  Bilderchroniken,  nach  des 
Verf.  Tod  herausgegeben  von  Michaelis,  Bonn  1878.  —  Kinkel,  Epicorum  graecorum 
fragm.,  Lips.  1877.  —  Wilamowitz,  Der  epische  Cyclus,  in  Hom.  Unt.  328—380.  —  Robert, 
Bild  u.  Lied,  in  Phil.  Unt.  Heft  5.  -  Luckenbach,  Das  Verhältnis  der  griech.  Vaseubilder 
zu  den  Gedichten  des  epischen  Kyklos,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI,  491  —  637,  wo  nament- 
lich das  freie  Schalten  der  Künstler  mit  den  Überlieferungen  der  Dichter  hervorgehoben 
wird.  —  Seit  Welcker  und  Jahn  sind  neu  hinzugekommen  die  Reliefdarstellungen  des 
Heroons  von  Gjölbaschi  in  Lykien  (jetzt  in  Wien)  aus  dem  5.  Jhrh.  v.  Chr.,  welche  einen 
ganzen  Cyklus  von  Darstellungen  des  thebanischen  und  troischen  Krieges  und  überdies 
von  Perseus-  und  Theseusthaten  enthielten;  s.  Benndorf-Niemann,  Das  Heroon  von  Gjöl- 
baschi-Trysa,  Wien  1889. 


5.  Hesiodos. 

57.  Die  Person  Hesiods.  Der  epische  Gesang,  dessen  Samen  der- 
einst die  Ansiedler  aus  Europa  nach  Asien  mitgenommen  hatten,  wurde 
noch  ehe  er  in  der  neuen  Heimat  verblühte,  von  dort  infolge  des  lebhaften 
Verkehrs  mit  dem  Mutterland  wieder  nach  dem  Festland  und  speziell  nach 
Böotien  zurückgebracht,  um  hier  in  neuer  Eigentümlichkeit  sich  zu  ent- 
wickeln. Die  neue  Richtung  lehrhafter  Poesie  ward  von  Hesiod  inauguriert, 
an  den  sich  dann  ähnlich  wie  an  Homer  eine  ganze  Schule  von  Dichtern 
gleicher  Richtung  anschloss.  Auch  vom  Leben  des  Hesiod  haben  wir  keine 
ausführlichen  Nachrichten,  aber  seine  Person  ist  doch  weit  davon  entfernt 
in  Nebel  zu  zerfliessen.  Dafür  hat  er  selbst  gesorgt,  indem  er,  durch  den 
Charakter  des  didaktischen  Epos  veranlasst,  öfters  seiner  Lebensverhältnisse 
gedenkt.  Das  was  er  selbst  sagt  und  die  erhaltenen  Werke  uns  lehren, 
ist  aber  auch  so  ziemlich  das  einzige,  was  wir  von  ihm  wissen.^)  Denn 
nicht  bloss  ist  das  uns  erhaltene  Leben  Hesiods  (Hoiödov  ytvog)  von  Tzetzes 
eine  geringwertige  Kompilation  des  Mittelalters, 2)  sondern  auch  Proklos 
und  Plutarch  und  selbst  die  alexandrinischen  Gelehrten^)  ermangelten  bes- 
seren  Wissens.     Die   wertvollste   Überlieferung   enthält,    von   den   eigenen 


•)  Die  Nachrichten  zu  einer  Vita  zu- 
sammengestellt von  Robinson  und  von  Gött- 
ling-Flach  in  ihren  Ausgaben. 

'-)  Das  Ttvog,  ehedem  fälschlich  dem 
Proklos  zugeschrieben,  trägt  in  mehreren 
Handschriften  den  Namen  des  Tzetzes;  siehe 
Flach,  p.  LVIIL 

^)  Proklos  berührt  manches  aus  dem 
Leben  des  Dichters   in   dem  uns  erhaltenen 


Kommentar;  Plutarch  hatte  einen  uns  ver- 
loren gegangenen  Kommentar  in  4  B.  zu 
den  Werken  seines  Landsmannes  geschrieben, 
den  Proklos  und  überdies  Gellius  XX,  8 
bezeugen.  Von  älteren  Grammatikern  hatten 
über  Hesiod  geschrieben  Herakleides  Pont. 
(Diog.  V,  92),  Kleomenes  (Clem.  Alex,  ström, 
p.  300),  Autodoros  aus  Kyme  (Cramer,  An. 
Ox.  IV,  310). 


A.  Epos.    5.  Hesiodos.  (§57-58.) 


75 


Dichtungen  des  Hesiod  abgesehen,  der  'Aycov  'HaioSov  xal  '^OfxrjQov,  der  zwar 
erst  aus  der  Zeit  des  Hadrian  stammt,  aber  in  seinen  Elementen  auf  den 
Rhetor  Alkidamas,  einen  Schüler  des  Gorgias,  zurückgeht.^) 

58.  Die  Familie  des  Hesiod  stammte  aus  dem  äolischen  K3^me,  wo 
Strabon  p.  622  denselben  auch  geboren  sein  lässt.^)  Der  Vater  des  Dich- 
ters ^)  hatte  aus  Not  die  Heimat  verlassen  und  sich  am  Fusse  des  Helikon 
in  dem  elenden  Dorfe  Askra,  nahe  bei  dem  musenfreundlichen  Städtchen 
Thespiä  niedergelassen.^)  Dort  ward  Hesiod  geboren  und  weidete  als  Knabe 
auf  den  waldigen  Triften  des  Helikon  die  Herde.  ^)  Nebst  dem  Vater  und 
Heimatort  ist  es  der  Bruder  des  Dichters,  Ferses,  der  durch  seine  Gedichte 
bekannt  geworden  ist.  Derselbe  hatte  nach  dem  Tode  des  Vaters  in  einem 
Rechtsstreit  über  das  hinterlassene  Vermögen  den  Hesiod  durch  Bestechung 
der  Richter  um  sein  Erbteil  gebracht,^)  war  aber  dann  selbst  durch  Arbeits- 
scheu in  Not  gekommen,  so  dass  er  hintendrein  wieder  seinen  Bruder  um 
Hilfe  angehen  musste.  Hatte  Hesiod  durch  die  Ungerechtigkeit  der  Richter 
Haus  und  Hof  verloren,  so  hatten  ihm  die  Musen  dafür  eine  andere  Gabe, 
den  herzgewinnenden  Gesang,  verliehen.  Seine  glänz-  und  farblose  Poesie 
war  zwar  weniger  geeignet,  ihn  zum  gesuchten  Sänger  an  den  Fürsten- 
höfen zu  machen;  aber  nicht  bloss  haben  seine  hausbackenen  Wirtschafts- 
regeln bei  den  Bauern  und  Schiffern  offenes  Ohr  gefunden,^)  auch  für  die 
Kreise  religiöser  Festgenossen  eigneten  sich  trefflich  seine  Hymnen  und 
mythologischen  Dichtungen,^)  die  jetzt  seinen  grösseren  Werken  so  ein- 
verleibt sind,  dass  man  ihre  ehemalige  selbständige  Stellung  noch  unschwer 
erkennen  kann.  Dass  diese  Gedichte  nicht  alle  für  das  armselige  Dorf 
Askra  bestimmt  waren,  versteht  sich  von  selbst;  vielmehr  wird  Hesiod 
ähnlich  w^ie  Homer  als  fahrender  Sänger  in  dem  Lande  umhergezogen  sein. 
Und  nicht  bloss  in  den  Städten  Böotiens,   wie  Thespiä  und  Orchomenos,^) 


^)  Das  Certamen  neu  bearbeitet  von 
Fr.  Nietzsche,  Acta  Lips.  T,  1  —  23;  derselbe 
Gelehrte  handelt  Rh.  M.  25,  528  ff.  von  den 
Quellen  des  Certamen. 

^)  Vgl.  Ephoros  in  Ps.  Plut.,  vit  Hom.  2, 
und  Steph.  Byz.  u.  Kvfirj.  Auf  Lokalsagen 
von  Kyme  geht  es  auch  zurück,  wenn  Me- 
lanopos  aus  Kyme  (Paus.  V,  7.  8)  bei  Suidas 
u.  Ps.  Plutarch  zum  Ahnen  des  Hesiod  und 
Homer  gemacht  wird. 

")  Der  Name  des  Vaters  war  nach  der 
Überlieferung  Dios,  aber  dieser  ist  wahrschein- 
lich nur  erschlossen  aus  Op.  299  EQyd^sv 
TliQOf]  6iov  ys'yog,  wo  Ruhnken  geradezu 
Jlov  yeyog  nach  Analogie  von  Laevinum 
Valeri  genus  bei  Hör.  Sat.  I,  6.  12  her- 
stellte; aber  das  ^Tov  yepog  des  Hesiod 
scheint  aus  Homer  II.  I  538  herübergenommen 
zu  sein.  Noch  weniger  Verlass  ist  auf  den 
Namen  der  Mutter  des  Dichters,  Pykimede, 
da  derselbe  sich  auf  keine  Stelle  des  Hesiod 
stützt  und  ganz  wie  eine  etymologische 
Fiktion  aussieht.  Auch  den  Namen  Hesiod 
haben  Neuere,  wie  Welcker,  Hes.  Theog.  5 
im  generellen  Sinn  =  leig  M^r]v  „Sänger"  ge- 
deutet; aber  dagegen  erhebt  die  Grammatik 


Einsprache,  da  zu  Hesiods  Zeit  der  Gesang 
aot&7],  nicht  o)d}j  hiess,  also  ein  "Hatdotd'og 
zu  erwarten  gewesen  wäre. 

^)  Hes.  Op.  633  ff.  Den  Namen  ^'AaxQrj 
statt  des  überlieferten  ^Aqvr]  hatte  Zenodot 
in  den  homerischen  Text  B  507  bringen 
wollen. 

5)  Hes.  Theog.  22  f. 

6)  Hes.  Op.  27-39;  213ff.;  248 ff.;  274  ff. 
')  So     eignete    sich     für    Schiffer    Op. 

618-94,  für  Bauern  Op.  383—617,  für 
Richter  Op.  213 — 69,  als  guter  Rat  beim 
Heiraten  Op.  695-705. 

^)  So  die  Erzählung  vom  Titanenkampf 
Th.  617  -  819,  die  Prometheussage  Th.  535- 
610,  der  Pandoramythus  Op.  42—^89,  die  5 
Weltalter  Op.  109—201,  die  Hymnen  auf  die 
Musen  und  Hekate  Th.  36—104  u.  413—49. 

^)  In  Orchomenos  zeigte  man  das  Grab 
des  Hesiod  auf  dem  Marktplatz  der  Stadt; 
s.  Gert.  Hes.,  Paus.  IX,  38,  Vit.  Hes.  Die 
Nachricht  geht  auf  Aristoteles  eV  rri  Oq/o- 
IxevLMu  TTohxeici  zurück  (s.  Vit.  Hes.  und 
Proklos  zu  Op.  631);  vgl.  Rose,  Arist.  pseudep. 
p.  505  ff. 


76 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


fand  er  Anklang,  auch  über  die  Grenzen  seiner  engeren  Heimat  hinaus 
drang  der  Ruhm  seiner  Muse.  In  den  Werken  650  ff.  lesen  wir,  dass  der 
Dichter  einst  von  Aulis  nach  Chalkis  in  Euböa  zu  den  Leichenspielen  des 
Amphidamas  gefahren  sei,^)  bei  diesen  im  Hymnus  gesiegt  und  den  Drei- 
fuss,  den  er  als  Siegespreis  errungen,  den  Musen  des  Helikon  geweiht  habe. 
Doch  auf  diese  Nachricht  ist  nicht  viel  Verlass,  da  die  ganze  Stelle  (Op. 
646 — 662)  mit  Recht  schon  von  den  alexandrinischen  Grammatikern  bean- 
standet wurde,")  so  dass  sie  eher  die  Erinnerung  aus  dem  Leben  eines 
Rhapsoden  der  hesiodischen  Schule,  als  aus  dem  Leben  des  Meisters  selbst 
enthalten  wird.  Bestimmter  weisen  die  Nachrichten  von  dem  Tode  des 
Dichters^)  darauf  hin,  dass  er  von  seiner  böotischen  Heimat  nach  Westen 
über  Delphi  hinaus  nach  Naupaktos  ins  Land  der  ozolischen  Lokrer  ge- 
kommen war.  Vom  Orakel  in  Delphi,  so  erzählten  die  Alten,  gewarnt  den 
Hain  des  nemeischen  Zeus  zu  betreten,  da  dort  ihm  zu  sterben  bestimmt 
sei,  hatte  er  sich  nach  Oineon  in  Lokris  gewandt,  ohne  eine  Ahnung  zu 
haben,  dass  auch  dort  ein  dem  nemeischen  Zeus  geheiligter  Ort  war.^)  In 
Oineon  also  kehrte  er  bei  den  Söhnen  des  Phegeus,  Amphiphanes  und  Ga- 
nyktor,^)  ein,  geriet  aber  in  den  Verdacht,  die  Schwester  seiner  Gastfreunde, 
Klymene,  verführt  zu  haben.  Die  Brüder,  darüber  ergrimmt,  erschlugen 
ihn  und  warfen  seinen  Leichnam  in  das  Meer.  Delphine  brachten  den  Toten 
ans  Land,  wo  er  in  einem  Felsengrab  bestattet  wurde.  Die  Sage  ist  natür- 
lich poetisch  ausgeschmückt;  aber  ein  historischer  Kern  wird  ihr  zu  gründe 
liegen,  wenn  auch  nur  der,  dass  Hesiod  im  Lande  der  Lokrer  gestorben  ist. 
Denn  dort  in  Naupaktos  erbte  sich  auch  die  hesiodische  Sangesart  fort, 
wie  schon  der  Name  NavnäxTia  f'tttj  bezeugt.  Auf  der  anderen  Seite 
zeigte  aber  auch  Orchomenos  auf  dem  Markt  das  Grab  des  Hesiod,  was 
früh  so  gedeutet  wurde,  dass  die  Orchomenier,  einem  Orakelspruch  zu- 
folge, die  Gebeine  des  Dichters  aus  dem  Lande  der  Lokrer  nach  ihrer  Stadt 
übergeführt  hätten. <^)    Später   errichteten    auch    die  Thespier   dem    Hesiod 


^)  Von  jenem  Amphidamas  lesen  wir  bei 
Plutarch  Conv.  sept.  sap.  c.  10,  wahrschein- 
lich nach  Aristoteles:  iji'  de  ^Jfxcpi^äfxag  dj/tJQ 
noliTiy.og  y.ul  noXXd  nQayficna  nagaa/Mt^ 
'EQsrQievGiv  ev  raig  ttsqI  ArjXdyiov  ^d^aig 
871SOEV,  woran  Bekgk,  Gr.  Litt.  I,  930  die 
von  RoHDE,  Rh.  M.  36,  421  ff.  bekämpfte 
Vermutung  knüpfte,  dass  derselbe  nicht  vor 
Ol.  29,  1  gestorben  sei.  Nach  Rohde's  Be- 
rechnungen hätten  die  Alten  vielmehr  den 
Amphidamas  160  nach  den  Troika  leben 
lassen. 

2)  Proklos  fand  zu  V.  649  ein  kritisches 
Zeichen:  arj^siovrai  6  ari/og  ovxog  '  stnoyp 
yuQ  elvai  dnerQog  vavTiliag  ndjg  vnoTid^srcii 
avirjy;  der  Athetese  war  nach  Proklos  z.  St. 
auch  Plutarch  beigetreten,  ebenso  der  Ge- 
währsmann des  Pausanias  IX,  31.  3.  Vgl. 
Procl.  ehrest,  p.  232,  20  W.:  dnioi  de  ol 
ro  cdyiyfj.cc  (corr.  iniyQafjfxa)  Tjldaavrsg  rovro 
'HoLOcfog  MovGcag  'Eliy.oiriai  xovd^  dve^iqyev, 
vfxi'M  pixijaag  eV  XccXxiifi  diop  OfxrjQov. 
dXXd  ydQ  inXc(vriS^t]aciv  ix  raiv  "^HaioösLcoj' 
rjfXEQior  '  ersQov  yd.Q  ti  (coir.  Jira)  ctj/ualpsi. 


Neuerdings  schreibt  Kirchhoff  in  seiner  Ausg. 
S.  72  ff.  die  Stelle  wieder  dem  alten  Hesiod  zu. 

^)  Friedel,  Die  Sage  von  Hesiods  Tod, 
Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  X,  235  ff. 

*)  Thucyd.  111,  96 :  if  tm  rov  Jiög  rov 
NsfÄsacov  lsQ(o  'Hacodog  6  noi^jTrjg  Xsysrcct 
V7i6  Tiop  rcithrj  dnod^apsTy,  /QijaS^ep  avrif  sv 
Nsfxiu  rovro  naS^eiy.  Damit  stimmen  überein 
Gert.  Hes.,  Plut.  Conv.  sept.  sap.  19,  Paus. 
IX,  31.  5  u.  38.  3,  Vit.  Hes.,  Anth.  VII,  55. 

^)  So  nannte  sie  Alkidamas;  Antiphos 
und  Ktimenos  hingegen  hiessen  sie  bei  Era- 
tosthenes  (und  Suidas)  nach  dem  Zeugnis 
des  Certamen. 

^)  Die    Deutung    wäre    sehr    alt,    wenn 
auf  die  Angabe  Verlass   wäre,    dass   Pindar 
mit    Bezug   auf  jenes    Doppelbegräbnis    das 
Epigramm  gedichtet  habe: 
XaiQ€  dlg  Tjßrjoag  xal  &ig  rd(pov  dprtßoXtjaag, 

Halod\  dvS^QOjnoig  fxsxQov  e/w/^  oocpirjg. 
Das  darauf  bezügliche  Sprichwort  Haiodeioy 
y~'Qag   erwähnte   nach    den    Parömiographen 
I,    456    schon     Aristoteles     ev    'OQxofxeyuoy 
nohrelu. 


A.  Epos.    5.  Hesiodos.  (§  59.) 


77 


auf  dem  Markt  ein  ehernes  Standbild,^)  und  zeigte  man  auf  dem  Helikon 
einen  sitzenden  Hesiod  mit  der  Kithara  auf  den  Knieen,  welche  Darstellung 
schon  Tansanias  tadelte,  da  dem  Hesiod  nach  seinen  eigenen  Worten  im 
Eingang  der  Theogonie  der  Lorbeerstab,  nicht  die  Kithara  zukomme.  2) 

59.  Lebenszeit  des  Hesiod.  Verwickelt  ist  die  Frage  nach  der 
Lebenszeit  des  Hesiod,  in  der  schon  die  Alten  zwiespältiger  Meinung  waren. 
Es  handelt  sich  hiebei  zunächst  um  das  Verhältnis  des  Hesiod  zu  Homer. 
Herodot  H,  53  nahm  beide  als  gleichzeitig  an  und  Hess  sie  400  Jahre  vor 
seiner  Zeit  gelebt  haben.  Ephoros  nach  Ps.  Plutarch  vit.  Hom.  2,  hielt 
den  Hesiod  für  etwas  älter,  indem  er  dessen  Vater  zum  Grossonkel  Homers 
machte,  3)  welches  Verhältnis  das  Marmor  Parium  derart  in  Zahlen  umsetzte, 
dass  es  den  Hesiod  30  Jahre  älter  als  Homer  sein  liess.^)  Dem  entgegen 
schlössen  die  alexandrinischen  Kritiker,  Eratosthenes  und  Aristarch,  aus 
der  Erweiterung  der  geographischen  Kenntnisse^)  und  Mythen  bei  Hesiod,^) 
dass  derselbe  nach  Homer  gelebt  haben  müsse.'')  Die  Beweiskraft  der  in 
diesem  Sinne  verwerteten  Stellen  steht  zwar  nicht  ganz  ausser  Zweifel, 
da  dabei  nicht  allein  das  älteste  und  zweifellos  echte  Werk  des  Hesiod, 
die  Erga,  sondern  auch  jüngere  Gedichte  und  Verse  von  zweifelhafter  Echt- 
heit in  Betracht  gezogen  wurden.  So  kann  z.  B.  die  Fortbildung  des  My- 
thus nicht  leicht  besser  illustriert  werden,  als  durch  Vergleichung  der 
Stelle  der  Odyssee  y  464,  wo  die  jüngste  Tochter  des  Nestor,  die  schöne 
Polykaste,  dem  Gaste  Telemachos  die  Füsse  wäscht,  mit  den  Versen  des 
Hesiod  bei  Eustathios  zu  Od.  n  118,  welche  aus  jenem  harmlosen  Brauch 
der  alten  Gastfreundschaft  eine  geschlechtliche  Verbindung  des  Telemachos 
und  der  Polykaste  ableiten,  deren  Frucht  der  Heros  Persepolis  gewesen 
sei.^)  Aber  die  Verse  stehen  nicht  in  dem  echten  Hesiod,  sondern  gehörten 
den  aus  der  Schule  des  Hesiod  stammenden  Eöen  an.  Ebenso  finden  sich 
die  meisten  der  geographischen  Namen  an  Stellen,  deren  Echtheit  von  der 
modernen  Kritik  in  Zweifel  gezogen  wurde.  Indes  wenn  auf  solche  Weise 
auch  viele  Belegstellen  wegfallen,  so  bleiben  doch  noch  genug  zum  Beweise, 


1)  Paus.  IX,  27.  4. 

2)  Paus.  IX,  30.  2. 

^)  Vgl.  Sengebusch,  Hom.  diss.  I,  160; 
dass  vor  Ephoros  schon  Simonides  Ceus  die 
gleiche  Meinung  geäussert,  erweist  Stern- 
bach, Comm.  Ribbeck.  358  aus  dem  Gno- 
mologium  Vaticanum:  iLfxdDv'L^rjg  rov  'Raio- 
ö'oy  y.i]novQÖv  eXeys,  toV  deOfxrjQOp  aTecpavrj- 
TTXoxoy,  TÖv  fxey  Mg  (pviEvanvia  rag  tteqI 
iheaiv  xal  rjQ(6(au  juvx^oXoyiag,  top  de  (^g  e| 
ca'Kxiv  Gvfj.Ti'ke^avicc  löv  iXiddog  -/.cd  Odva- 
aeiag  oxEXfavov. 

'^)  Ähnlich  Tzetzes  in  Vit,  Hes.,  wenn 
er  den  Hesiod  in  den  Anfang  und  den  Homer 
an  das  Ende  des  35  Jahre  dauernden  Archon- 
tats  des  Archippos  setzt.  Dem  Ephoros 
folgten  Accius  bei  Gellius  III,  11  und  Philo- 
stratos  Heroic.  p.  162,  5.  Nach  Vit.  Hom.  6 
hielt  schon  Herakleides  den  Homer  für  älter 
als  Hesiod. 

•''')  Strab.  p.  23  u.  29,  wo  richtig  hervor- 
gehoben   ist,    dass   Hesiod    bereits    den    Nil 


(Th.  388),  den  Ätna  (Th.  860),  die  Thyrsener 
(Th.  1016)  und  Ortygia  kenne,  die  bei  Homer 
noch  nicht  vorkommen.  Man  kann  diesen 
Namen  noch  hinzufügen  den  Latinos,  den 
Sohn  der  Kirke  {Th.  1013),  den  Eridanos 
und  Istros  (Th.  338  f.),  die  Insel  Erytheia 
mit  den  Hesperiden  (Th.  290  u.  518). 

^)  Aristarch  setzte  in  diesem  Sinn  seine 
Zeichen  K  431  ngog  rd  nsQt  tjhxlag  'Hoio&ov, 
I  246  Oll  Ttju  oXrjp  UskonöwriGov  ovx  oldsy 
6  TioLf]i:t]g,  'Holoöog  de,  A  750  ort  evxev^bv 
Haiodog  'JxroQog  x«t'  enixXrjaiv  xal  Moliovog 
avxovg  yEyspsaXoyt^xev,  ferner  zu  M  22,  H  119, 
¥'  683,  i2  527. 

"')  An  Aristarch  schloss  sich  sein  Schüler 
Apollodoros  an  bei  Strabon  p.  299  und  370. 
Übertrieben  drückt  sich  Cicero  de  senect.  XV, 
54  aus:  Homerus  qui  multis  iit  mihi  videtiir 
ante  Hesiodum  saeculis  fuit.  Schon  vor 
den  Alexandrinern  hatte  Xenophanes  nach 
Gellius  III,  11  die  gleiche  Meinung  vertreten. 

^)  KiKCHHOFF,  Die  hom.  Odyssee  315  ff. 


78 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Penode. 


dass   zur  Zeit  Hesiods  die  geographische  Kenntnis  des  Westens  infolge  der 
fortgeschrittenen  Seefahrt  weit   ausgebreiteter  war,   und  dass  Hesiod  nicht 
bloss   die  Färbung   des   Dialektes   aus   Homer   entlehnt,    sondern    auch    in 
zahlreichen  Versen    Stellen    des    Homer    nachgeahmt    hat.^)     Den  Werken 
des  Hesiod    also    ging   die  Dichtung   der    ganzen  Ilias   mit  Einschluss  des 
letzten  Gesangs  und  ebenso  der  Odyssee,  wenigstens  der  älteren  Teile  der- 
selben voraus.     Auf  der  anderen  Seite  steht  ebenso  fest,   dass  Hesiod  den 
lambographen  Simonides  und  Archilochos  bereits   bekannt  war.     Denn  ge- 
wiss waltet  nicht  blinder  Zufall  im  Zusammentreffen  von  Hes.  Op.  702 
ov  ijih'  yccQ  TL  yvvaixog  dvrjQ  Xrji'^ST'  ccfxeivov 
Trjg  dya^rjg,  zrg  6'avTS  xaxrjg  ov  Qiyiov  akXo 
und  Simonides  fr.  6 

yvvaixdg  ovStv  XQVf^'  ccvrjQ  Xr'ii'^srai 
€(^^Xrjg  dfjisivov  ovd^  Qiyiov  xccxrjg.^) 
Demnach  lässt  sich  für  die  Zeit  des  Hesiod  sowohl  ein  terminus  post  quem  als  einer 
ante  quem  mit  Sicherheit  feststellen.  Die  Versuche  darüber  hinaus  zu  einer  en- 
geren Abgrenzung  zu  kommen,  schlugen  mehr  oder  minder  fehl.  Die  astrono- 
mischen Berechnungen  aus  den  Sterndeklinationen  sind  in  Seifenblasen  aufge- 
gangen;^) die  Angabe,  dass  Stesichoros  ein  Sohn  des  Hesiod  und  der  Klymene 
gewesen  sei,^)  sieht  ganz  wie  eine  leere,  aus  der  Mythen  Verwandtschaft  ab- 
geleitete Fiktion  aus;  der  Ansatz  des  Zeitalters  des  Amphidamas  auf  1020 
bis  980  V.  Chr.  5)  stützt  sich  auf  die  schlechten  Hilfsmittel  der  alten  Chro- 
nologen, bei  denen  man  auf  einen  Irrtum  von  ein  paar  hundert  Jahren 
gefasst  sein  muss.  Die  Erwähnung  eines  nackten  Ringkampfes,  der  uns 
in  die  Zeit  nach  Ol.  15  führen  würde,  findet  sich  nicht  in  den  erhaltenen 
echten  Werken,  sondern  stand  in  irgend  einem  der  untergeschobenen  Epen.^) 
Es  bleibt   nur   das   eine    äussere  Anzeichen,    das    in    der  Schilderung  vom 


^)  Eine  Ausgabe  mit  genauem  Nachweis 
der  parallelen  Stellen  Homers  haben  wir 
noch  nicht;  gute  Vorarbeiten  dazu  lieferte 
Ed.  Kausch,  Quatenus  Hesiodi  elocutio  ah 
exemplo  Homeri  pendeat,  Regiom.  1876  und 
Elbing  1878,  Maktin,  De  Odyssea  et  Theo- 
gonia,  Speier  Progr.  1889,  Die  Nachahmung 
selbst  steht  ausser  Zweifel,  und  es  fragt  sich 
nur,  inwieweit  auch  Stellen  der  jüngsten 
Partien  homerischer  Gesänge  nachgeahmt 
sind.  In  dieser  Beziehung  ist  von  Wichtig- 
keit die  Vergleichung  von  Op.  403  ineoyv 
vou6g  und  Y  249;  Op.  721  und  Y250;  Op. 
299  STov  ytvog  und  I  538 ;  Op.  648  ixexQa 
xicduaarjg  und  fxeiQa  xskev&ov  (f  389,  x  539, 
ferner  von  Op.  318  und  i2  45;  Th.  128—9 
(mit  kontrahiertem  vv^cfdiv)  und  i2  615 — 6; 
Th.  341-2  und  iy  20—1.  In  die  Telemachie 
«  56  kam  cdfAvUoioi  Xoyoiai  aus  Theog.  890, 
wahrscheinlich  auch  in  w  12  ^ij/uot^  ovs'iqmv 
aus  Theog.  212  (pvlop  opsIqwv.  Auch  die 
häufigere  Vernachlässigung  des  Digamma 
bei  Hesiod  beweist  die  spätere  Zeit  der  Ab- 
fassung, zumal  bei  ihm  ausser  Zweifel  steht, 
dass  seine  Landsleute  noch  das  Digamma 
sprachen. 


2)  Ähnlich  Archil.  fr,  88  nach  Op.  202  ff, 
und  213;  Alcaeus  fr.  39  nach  Op.  584  ff,; 
Alkman  fr.  106  nach  Th.  961.  Vgl.  Steitz 
in  seiner  Ausgabe   der  Erga  S.  3. 

^j  Wichtig  scheint  besonders  zu  sein 
Op.  566  f.  u.  610  über  den  Aufgang  des 
Arkturus;  s.  Roboson,  vit.  Hes.  p.  LIX  ff.; 
Idelek,  Handb.  d.  Chronologie  I  246;  Gal- 
lenmüller, Progr.  d.  alt.  Gymn.  in  Regens- 
burg 1885. 

'^)  Schol.  ad.  Op.  271:  Iotsov  de  on  vlog 
'^Haiodov  Mvaoiag  iari,  4>iX6/oQog  de  Irtjai- 
XOQoy  (ff]ai  rov  und  Kkv/ueprjg,  ciXXog  de  \4q- 
/iinrjg.     Ebenso  Vit.  Hes. 

°)  Nach  der  Ansicht  von  Rohde,  Rh.  M. 
36,  421  ff.;  siehe  indes  S.  76  Anm.  1. 

6)  Schol.  ad  II.  ¥•  683  =  Hes.  fr.  127. 
Bereits  die  alten  Kritiker  knüpften  an  diese 
Erzählung  von  dem  nackten  Ringkampf  des 
Hippomenes  mit  Atalante  die  Bemerkung 
rewrsQog  ovv  'Haiodog  yvfxvovg  iadyoyv  dyw- 
viOTug,  s.  oben  §  27.  Unter  den  Neueren 
hat  darauf  Voss,  Mythol,  Briefe  2  seine 
Ansicht  von  dem  jungen  Alter  des  Hesiod 
gestützt. 


A.  Epos.     5.  Hesiodos.  (§  60.) 


79 


Ausbruch  des  Ätna  (Th.  820 — 80)  liegt  i)  und  das  uns  in  die  Zeit  nach 
Gründung  der  Kolonien  Sikiliens  durch  Chalkis,  die  Mutterstadt  von  Naxos, 
Leontinoi  und  Katane,  führt.  Davon  ausgehend  hat  denn  auch  ein  neuerer 
Forscher, 2)  indem  er  auch  noch  die  Fabel,  dass  Stesichoros  ein  Sohn  des 
Hesiod  und  der  Klymene  gewesen  sei,  zur  Zeitbestimmung  heranzog,  die 
Blüte  unseres  Dichters  auf  675  angesetzt.  Aber  einmal  nötigt  uns  jene 
Schilderung  des  feuerspeienden  Berges  nicht,  mit  der  Lebenszeit  des  Dich- 
ters derselben  so  weit,  unter  700  v.  Chr.,  herabzugehen,  und  dann  ist  die 
Stelle  selbst  von  den  berufensten  Kritikern  als  eine  jüngere  Interpolation 
verdächtigt  worden,  so  dass  wir  aus  derselben  kein  zuverlässiges  Kenn- 
zeichen der  Lebenszeit  des  Hesiod  selbst  entnehmen  können.-^)  Bedenken  wir 
nämlich,  dass  der  korinthische  Epiker  Eumelos,  der  von  den  Alten  in  Ol. 
5 — 9  gesetzt  wird,-^)  doch  jedenfalls  erst  nach  Hesiod  lebte,  und  dass  auch 
der  homerische  Schiffkatalog,  die  Boio)ticc,  bereits  die  Anfänge  einer  böoti- 
schen,  in  der  Weise  des  Hesiod  sich  bewegenden  Dichterschule  voraussetzt, 
so  werden  wir  uns  scheuen,  mit  der  Blüte  Hesiods  viel  unter  den  Beginn 
der  Olympiadenrechnung  herabzugehen.  Will  man  Zahlen,  so  setze  man 
die  Dichtungen  des  Hesiod  in  die  Zeit  von  750  bis  700  v.  Chr. 

60.  Charakter  der  liesiodischen  Poesie.  Hesiod  galt  als  Vater 
und  Haupt  Vertreter  des  didaktischen  Epos,  wie  Homer  des  heroischen. 
Diese  neue  Richtung  der  Poesie  hing  zunächst  mit  der  individuellen  An- 
lage unseres  Dichters  zusammen :  Hesiod  war  eine  hausbackene,  verständig 
beobachtende,  des  kühnen  Fluges  der  Phantasie  wie  der  tieferen  Erregtheit 
des  Gemüts  entbehrende  Natur.  Es  hatte  aber  auch  die  neue  Richtung 
ihre  Wurzeln  in  dem  Naturell  seiner  Landsleute  und  dem  Zustand  seines 
Heimatlandes :  dort  in  Asien  eine  frisch  aufblühende  Entwicklung  auf  dem 
Boden  älterer,  vorgeschrittener  Kultur,  ein  leicht  bewegliches,  durch  die 
See  in  die  Ferne  gewiesenes  Volk,  Hörer  voll  Lust  und  Freude  an  Mären 
und  Abenteuern;  hier  in  Böotien  ärmliche,  im  Rückgang  befindliche  Ver- 
hältnisse, eine  wesentlich  auf  Ackerbau  und  Viehzucht  angewiesene  Bevöl- 
kerung, wenn  auch  nicht  gerade  stumpfsinnig,  so  doch  ohne  Schwung  und 
geistige  Beweglichkeit.  Dem  Inhalt  nach  enthält  also  die  hesiodische  Poesie 
verständige  Belehrung  über  Hauswesen  und  Ackerbau,  zusammenfassende 
Unterweisung  über  alte  Sagentraditionen,  fromme  Einführung  in  den  Götter- 
glauben, doch  alles  dieses  so,  dass  die  eigentliche  Grundlage  des  Epos, 
der  Mythus,  nie  ganz  verleugnet  wird,  vielmehr  öfters  in  ausgesponnenen, 
lebhafteren  Pulsschlag  verratenden  Episoden  die  lehrhafte  Darstellung  durch- 


^)  Th.  860  ovQSog  iv  ßi]oGriaip  ^Jlrvrjq 
TicunaXotaatjg,  wo  Schömann  mit  glücklichem 
Scharfblick  'AiTvrjq  für  das  überlieferte  cadyrjg 
herstellte.  Homer  selbst  (nicht  der  Verfasser 
des  Schiff kataloges,  wie  gewöhnlich  an- 
genommen wird)  hatte  bereits  in  dem  2  Ge- 
sang der  Ilias  ß  783  den  Typhoeiis,  den 
Repräsentanten  feuerspeiender  Berge,  im  Land 
der  Arimer  erwähnt.  Er  hatte  aber  dabei 
nicht  an  den  Ätna,  sondern  an  den  Vulkan 
Argaios  in  Kappadokien  gedacht,  wie  Paktsch, 
Geologie  u.  Mythologie  in  Kleinasien,  Philol. 


Abh.  zu  Ehren  von  Hertz  S.  105  122  nach- 
gewiesen hat» 

■')  FicK,  Hesiods  Ged.  S.  4. 

^)  Hat  indes  auch  die  Stelle  das  ver- 
dächtige Merkmal,  dass  sie  glatt  ausge- 
schnitten werden  kann,  so  bleibt  doch  die 
Möglichkeit,  dass  sie  Hesiod  selbst  später, 
als  die  Nachricht  vom  Ausbruch  des  Ätna 
nach  Chalkis  und  Böotien  kam,  zur  alten 
Theogonie  zugedichtet  hat. 

■*)  Siehe  unten  §  G7. 


80 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


bricht.  Der  Form  nach  knüpfte  die  Poesie  des  Hesiod  teils  an  das  home- 
rische Epos  an,  dem  sie  in  Versmass,^)  Dialekt,  2)  und  sprachlichem  Aus- 
druck folgte,  teils  trat  sie  in  Gegensatz  zu  ihm  durch  den  Charakter  ein- 
facher Aufzählung  und  lockerer  Aneinanderreihung,  verbunden  mit  der 
Neigung  zur  strophischen  Gliederung.^)  Von  den  alten  Kunstkritikern 
wurde  diese  Stilform  HaioSsiog  xaqaxTrjQ  genannt  und  daher  z.  B.  das 
trockene  Verzeichnis  des  Nereidenchors  in  der  Ilias  2  39 — 49  verworfen 
wg  ^HaiöSaiov  s^ov  xaQaxTTjQaA)  Damit  verband  sich  die  gleichfalls  von 
den  Alten  schon  erkannte  Neigung  zur  gnomischen  und  allegorischen  Dar- 
stellung, •'^)  welche  den  Gegensatz  zur  heiteren  Phantasie  und  plastischen 
Naturwahrheit  Homers  bildete.  Wird  man  in  allem  dem  einen  starken 
Abfall  von  der  Herrlichkeit  homerischer  Poesie  finden  müssen,  so  darf  man 
doch  nicht  den  grossen  und  wohlthätigen  Einfluss  verkennen,  den  der  sitt- 
liche Gehalt  der  hesiodischen  Poesie  und  die  Mahnung  zu  rühriger  Thätig- 
keit  auf  die  Entwicklung  des  griechischen  Volkes  übte.  Der  geistige  Ge- 
nuss  an  Meisterwerken  der  Schönheit  übt  zwar  auch  an  und  für  sich  einen 
veredelnden  Einfluss  auf  Sitten  und  Anschauungen  eines  Volkes  aus;  aber 
zur  Erziehung  der  Jugend  und  Durchsittigung  der  Massen  bedarf  es  di- 
rekter ethischer  Nahrung,  und  glücklich  ein  Volk,  dem  dieselbe  gleich  in 
seinen  Anfängen  durch  den  Honigmund  eines  Dichters  gereicht  wird. 

61.  Mit  den  Werken  des  Hesiod  ist  es  ähnlich  gegangen  wie  mit 
denen  Homers;  auch  dem  Hesiod  ist  vieles  zugeschrieben  worden,  was  von 
seiner  Schule  ausging,  und  auch  seine  echten  Werke  haben  viele  Inter- 
polationen erfahren,  die  um  so  eher  Eingang  finden  konnten,  je  lockerer 
das  umschlingende  Band  war. 


')  Vom  daktylischen  Hexameter  haben 
auch  die  Gedichte  des  Hesiod  den  Namen 
tnrj  erhalten. 

2)  Dem  homerischen  Grundton  der  Spra- 
che, wie  sie  uns  überliefert  ist,  sind  nur  einige 
lokale  Eigentümlichkeiten,  wie  die  Acc.  plur. 
auf  äg  (delphisch  und  thessalisch),  die  3. 
Pers.  plur.  auf  ov  [eSi^op  Op.  139,  söov 
Th.  30),  ^Txcc  statt  Itfiyya  (böotisch)  bei- 
gemischt; s.  FöRSTEMANN,  De  diolecto  He- 
sioclea,  Hai.  1863;  Rzach,  Der  Dialekt  des 
Hesiod  in  Jhrb.  f.  Ph.  Suppl.  8.  Dem  Über- 
gang des  homerischen  Dialektes  in  die  he- 
siodische  Poesie  steht  der  Gebrauch  des 
gleichen  Dialektes  in  den  delphischen  Orakel- 
sprüchen zur  Seite.  Fick  nimmt  auch  für 
Hesiod  spätere  Umdichtung  an  und  gibt  in 
seiner  Odyssee  S.  397  ff.  eine  Probe  seines 
ursprünglichen  Hesiod  in  altthessalischem, 
in  Bezzenbekger's  Beitr.  XH  (1886),  1-37 
eine  solche  in  delphischem  Dialekt.  Diese 
seine  Anschauungen  hat  jetzt  der  ingeniöse 
Gelehrte  in  dem  Buche,  Hesiods  Gedichte 
(1887),  dahin  ausgeführt  und  modifiziert,  dass 
er  die  Theogonie  im  delphischen,  die  Erga 
im  altäoiischen,  die  Zusätze  beider  Dichtun- 
gen zum  grösseren  Teil  im  ionischen  Misch- 
dialekt verfasst  sein  lässt.  Von  der  Zu- 
stimmung  hält   mich   nicht   bloss   die  über- 


lieferte Form  des  Textes,  sondern  auch  die 
geringe  Wahrscheinlichkeit  einer  späteren 
Umschrift  ab.  Vgl.  Menrad,  Philol.  Anz. 
1887  n.  8. 

^)  Solche  Gruppen  von  meistens  3,  mit- 
unter auch  5  Versen  sind  unverkennbar  in 
den  aufzählenden  Partien,  namentlich  der 
Theogonie,  wenn  man  auch  eine  strenge 
Durchführung  des  strophischen  Prinzips  ver- 
misst.  Aufgesucht  sind  sie  von  Gruppe, 
Über  die  Theog.  des  Hes.  1841  und  G.  Her- 
mann, De  Theog.  forma  antiquissima  1844 
(Op.  VIII,  47  ff.),  im  Texte  angezeigt  von 
KöcHLY  in  seiner  Ausgabe  (vgl.  dessen  Akad. 
Vortr.  I,  387  ff.);  neuerdings  stellte  Fick 
sechszeilige  Strophen  her.  Leichter  erklär- 
lich sind  die  gleichen  strophenartigen  Ab- 
sätze in  der  lyrischen  Totenklage  an  der 
Bahre  des  Hektor  IL  i2  725-75,  worüber 
zuletzt  Seibel.  Die  Klage  um  Hektor,  Progr. 
München  1881  gehandelt  hat. 

4)  Schol.  A  zu  J  39,  i2  614. 

■>)  Scholien  zu  II.  0  21  p.  410,  12  B. 
u.  Od.  0  74.  Mit  dem  Mangel  an  plastischer 
Darstellung  hängt  es  auch  zusammen,  dass 
Hesiod  der  Kunst,  namentlich  der  älteren 
Vasenmalerei,  sehr  wenig  Anregung  bot, 
worüber  Brunn,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889,  II,  73. 


« 


A.  Epos.     5.  Hesiodos.  (§61.) 


81 


Die  "Egycc  waren  nach  der  Tradition  der  Böotier  am  Helikon  das  ein- 
zige echte  Werk  des  Hesiod ;  ^)  jedenfalls  sind  sie  dasjenige,  in  welchem 
eine  bestimmt  ausgeprägte  Dichterpersönlichkeit  uns  entgegentritt.  Das 
ganze  Gedicht  in  828  Versen  hat  den  Doppeltitel  ^ Eqya  xai  rinsqai,  weil 
es  eine  Anweisung  zur  Verrichtung  der  Arbeiten  und  im  Anhang  dazu 
einen  Arbeitskalender  nach  den  Tagen  des  Monats  enthält.  Eine  geschlos- 
sene Einheit  bilden  die  828  Verse  in  keinem  Fall;  es  fragt  sich  nur,  hier 
ähnlich  wie  bei  Homer,  ob  der  Dichter  selbst  gar  nicht  ein  Ganzes  beab- 
sichtigt habe,  so  dass  die  Verbindung  der  verschiedenen  Teile  von  einem 
späten  Ordner  herrühre,  oder  ob  die  gestörte  Ordnung  erst  durch  Einlage 
von  fremden  Zusätzen  in  ein  ursprünglich  einheitliches  Werk  entstanden 
sei.  Die  auflösende  Kritik  hat  auch  hier  in  unserer  Zeit  ihre  geschäftige 
Thätigkeit  entfaltet; 2)  aber  so  anregend  und  fruchtbar  auch  die  Nachweise 
mangelnden  Zusammenhanges  einzelner  Teile  gewesen  sind,  so  überwiegen 
doch  auch  hier  die  Anzeichen  der  Zusammengehörigkeit  der  Hauptteile. 
Die  Anrede  an  Perses  rührt  unzweifelhaft  nicht  von  einem  späten  Dias- 
keuasten,  sondern  von  Hesiod  selbst  her,  diese  aber  findet  sich  in  den  ver- 
schiedensten Teilen  des  Werks  und  beweist,  dass  dieselben  von  vornherein 
zu  einander  in  Beziehung  gesetzt  waren.  Nur  diejenigen  Teile,  in  denen 
der  Name  Perses  gar  nicht  vorkommt,  sind  der  nachträglichen  Eindichtung 
verdächtig;  als  solche  erweisen  sich  das  Anhängsel  der  Tage  (765 — 828), 
die  beiden  Sentenzensammlungen  317 — 382  und  695 — 764,  die  Schilderung 
der  5  W^eltalter  (109 — 201),  der  Pandoramythus  (49—104).  Von  diesen 
Partien  sind  die  Tage  fremden  Ursprungs;  die  anderen  scheinen  ehedem 
für  sich  bestanden  und  erst  später  den  Erga  einverleibt  worden  zu  sein.  3) 


^)  Paus.  IX,  31.  4:  Boioutmp  oi  ttsqI  top 
'Ehxctjycc  oixovvxsg  ■nuQei'krjy.^iva  do^rj  Xtyov- 
aiv  log  cDiXo  Halodog  nou^aia  cvdev  rj  xd'^qya. 
Ob  aber  diese  Leute  am  Helikon  nicht  die 
Meinungen  der  gelehrten  Chorizonten  wieder- 
gaben, wie  Pausanias  VI,  22.  6  auch  den 
Eleern  Dinge  in  den  Mund  legt,  welche  die 
Gelehrten  ermittelt  hatten?  Der  Vers  Op.  11 
ovx  (iQci  (ehedem  vielleicht  ov  roi)  fxovrov 
8f]v  ^EQLÖ'iJüy  yivoq  scheint  auf  Theog.  225 
zurückzuweisen,  die  Theogonie  also  als  das 
ältere  Gedicht  erscheinen  zu  lassen;  aber 
das  'f^^a  gehört  wahrscheinlich  dem  Inter- 
polator,  w^elcher  das  Proömium  (1 — 9)  zu- 
setzte. Noch  bestimmter  weist  der  Vers 
659  auf  die  Theogonie  als  das  ältere  Gedicht 
zurück;  aber  die  Echtheit  dieses  Verses  ist 
bestritten.  Nach  Lucian,  de  salt.  24  stand 
in  den  Handschriften  des  Hesiod  die  Theo- 
gonie voran.  Den  alten  Grammatikern  fol- 
gend setzen  auch  Kirchhotf  und  Fick  die 
Theogonie  als  das  ältere  Epos  vor  die  Erga. 

^)  TwESTEN,  Comment.  crit.  de  Hesiodi 
carmine  qiiod  inscribitur  Opera,  Kiel  1815; 
Lehrs,  Quaest.  ep.  179—252,  wo  die  Anord- 
nung der  Sprüche  nach  dem  Alphabet  er- 
wiesen wird;  Thieesch,  De  gnomicis  carmi- 
nibus  Graecorvm,  Ada  pJäl  Man.  III,  402  ff. 
Dagegen  Rakke,  De  Hesiodi  oiierilius  et 
Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.   YII. 


diehus,  Gott.  1838;  Vollbehr,  Hesiodi  Opera 
et  dies,  Kiel  1844.  Vermittelnd  Steitz,  De 
Operum  et  dierum  compositione,  forma  pri- 
stina  et  interpolationibus,  Gott.  1856;  Hetzel, 
De  carminis  quod  0.  et  D.  inscribitur  com- 
positione  et  interpolationibus,  Weilburg  1860. 
Vgl.  SusEMiHL,  Zur  Litteratur  des  Hesiod,  in 
Jahrb.  f.  Ph.  89,  1  ff.  Eine  Zerlegung  in 
die  einzelnen  Teile  stellt  Fick  in  seiner  Aus- 
gabe auf.  Kirchhoff  in  seiner  Ausg.  macht 
den  Versuch,  den  alten,  dem  Hesiod  zuzu- 
schreibenden Grundbestandteil  von  den  spä- 
teren Zusätzen  durch  verschiedene  Schrift 
zu  scheiden  und  das  alte  Gedicht  in  einzelne 
(8),  sehr  ungleiche  Lieder  zu  zerlegen. 

^)  Am  meisten  noch  hängt  der  Pandora- 
mythus mit  dem  Grundstock  des  Gedichtes 
zusammen  und  ist  im  engen  Anschluss  an 
dessen  Grundgedanken  gedichtet,  da  ja  die 
Sendung  der  Pandora,  wie  die  Sünde  der  Eva 
im  alten  Testament,  die  Nötigung  zur  Arbeit 
gebracht  hat.  Auch  die  Kernsprüche  und 
die  Dichtung  von  den  Weltaltern,  deren  An- 
klänge an  altindische  Poesie  Roth,  Der  My- 
thus von  den  5  Menschenaltern  bei  Hesiod 
und  die  indische  Lehre  von  den  4  Welt- 
altern, Tüb.  1880,  nachgewiesen  hat,  machen 
den  Eindruck  echter  hesiodischer  Poesie. 
Spätere  werden  sie  den  Erga  eingelegt  haben, 

Aufl.  0 


82 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Von  dem  Proömium  an  die  Musen  (1 — 10)  ist  ohnehin  die  spätere  Zudich- 
tung  durch  Pausanias  IX,  31. 4  bezeugt.^)  Was  übrig  bleibt,  besteht  aus 
zwei  gleichmässig  an  Perses  gerichteten  Teilen,  einem  Rügegedicht  (11 — 48, 
203 — 316),  worin  Hesiod  seinem  Bruder  und  den  bestochenen  Richterköni- 
gen ihr  Unrecht  vorhält,  und  einem  Lehrgedicht,  das  in  leidenschaftslosem 
Tone  Anleitung  zum  Ackerbau  und  zur  Schiffahrt  gibt  (383 — 616  u.  618 
bis  694).  Die  beiden  Teile  sind  nicht  zur  gleichen  Zeit  entstanden,'^)  aber 
sie  sind  doch  zu  einem  Ganzen  bestimmt:  es  findet  sich  nur  ein  abrun- 
dender Schluss  (V.  694  xaiQog  S'stiI  näaiv  ccQiaTog),  und  die  Aneiferung 
zur  Arbeit  zieht  sich  als  roter  Faden  durch  beide  Teile  hindurch;  denn 
auf  sie  zielt  gleich  das  Proömium  von  der  doppelten  Eris  ab,  deren  eine, 
die  gute,  auch  den  Indolenten  zur  Thätigkeit  aneifert  (V.  20),  und  sie 
schlägt  die  Brücke  vom  ersten  zum  zweiten  Teil,  indem  Perses  ermahnt 
wird,  statt  durch  ungerechte  Rechtshändel,  durch  redliche  Arbeit  sein  Aus- 
kommen zu  suchen  (286 — 302,  315  f.). 

62.  Die  Oeoyovia  in  1022  Versen  ist  ein  ehrwürdiger  Versuch,  die 
bunten  Gestalten  der  hellenischen  Götterwelt  in  ein  System  zu  bringen, 
wobei  die  alten  und  heimischen  Götter  mit  neuen  und  fremdländischen  zu- 
sammengebracht^) und  die  in  religiösen  Kulten  und  alten  Hymnen  über- 
lieferten Mythen  mit  Sätzen  theosophischer  und  kosmogonischer  Spekulation 
zu  einem  halb  poetischen,  halb  philosophischen  Lehrgedicht  vereinigt  sind.^) 
Mit  gutem  Griff  hat  der  Dichter  seinen  Plan  so  durchgeführt,  dass  er  treu 
dem  Wesen  epischer  Poesie  die  Dinge  im  Werden  erfasste  und  so  eine 
Geschichte  der  Weltschöpfung  und  der  Göttergenerationen  dichtete.  Unter- 
stützt ward  er  in  der  Ausführung  dieses  Planes  durch  den  Charakter  des 
griechischen  Mythus,  der  überall  von  Vater  und  Sohn  oder  Tochter  sprach 
und  auch  schon  bei  dem  ionischen  Sänger  zur  Einkleidung  kosmischer  Vor- 
gänge in  poetische  Umhüllung  geführt  hatte.'*)    Auch  mochten  die  Legenden 


damit  sie  nicht  in  ihrer  Vereinzelung  zu 
gründe  gingen. 

')  Vereinzelte  Interpolationen  enthält 
der  Rest  noch  viele,  wie  die  Verse  646 — 662 
von  den  Leiehenspielen  des  Amphidamas, 
504- -536  von  den  Leiden  des  Winters,  in 
denen  der  ionische  Monatsname  Ai]v(ii(6r 
(504)  und  der  Name  Jlai'e/ihji'sg  auf  späten, 
nichtböotischen  Ursprung  hinweisen,  die  Pa- 
rallelrezension 60  —  68,  und  zahlreiche,  lose  an- 
gefügte Spruchverse.  Sehr  weit  geht  in  der 
Annahme  von  Zusätzen  Fick  S.  43  fF.,  so 
dass  ihm  für  die  echten  Werke  nur  144  Verse 
übrig  bleiben. 

■')  Vgl.  V.  35  ff.  mit  396. 

^)  Manche  Gottheiten  bei  Hesiod,  die  Ho- 
mer noch  nicht  kennt,  erweisen  sich  durch  die 
vergleichende  Mythologie  als  uralt,  wie  'Eßtia 
=  Tat.  Vesta,  'üQx^^Qog  =  skt.  VrtraS;  'PeTa 
■=  skt.  urvi  (breite  Erde),  K&'QßtQog  =  skt. 
rarvaras,  woraus  rahalas,  der  scheckige 
Hund  Yamas,  nach  Benfey,  Vedica  149  ff'. 
Auf  Kleinasien  weist  die  XljucciQa  und  der  Tv- 
(fio£vg.  auf  Ägypten  die  ^cfly'^.  auf  die   Se- 


miten 'lunerog  und  fid^^og.  Diese  fremden 
Bestandteile  der  Theogonie  dürfen  uns  an- 
gesichts des  ägyptischen  Namens  9i]ßai  und 
der  ägyptischen  Ornamentmuster  in  der  Schatz- 
kammer von  Orchomenos  nicht  auffallen. 
Aber  von  orientalischen  Namen  finden  sich 
einige  auch  schon  bei  Homer,  wie  Tvcpcosvg. 
Ki/LtfxsQioi,  ^J^EQOiv,  andere,  wie  KdßsiQoi. 
^AÖMvig.  MsXixeQTijg,  yQvneg,  auch  bei  He- 
siod noch  nicht. 

'^)  Hesiod  heisst  ^eolöyog  und  6  ttqmtov 
S^eoXoy^actg  bei  Aristoteles  Met.  p.  983'^  29 
u.  1000'^  9.  Dass  es  vor  Hesiod  schon  Theo- 
gonien  gegeben  habe,  ist  sehr  unwahrschein- 
lich, wenn  auch  einzelne  Stellen  des  Homer, 
namentlich  die  Jiog  arKh)],  zeigen,  dass 
schon  vor  Homer  theogonische  Anschauungen 
und  Hymnen  in  Umlauf  waren;  s.  Schümann, 
Coviparatio  tlieogoniae  Hesiodeae  cum  Ho- 
merica,  Opiisc.  II,  25 — 29. 

^)  So  sind  zu  fassen  die  Fesselung  des 
Zeus  in  der  Luft  und  seine  Befreiung  durch 
die  Wassergottheiten  Thetis  und  Briareos 
in  ./  397  ff.,  die  350  schwarzen  Rinder  (Nächte) 


A.  Epos.    5.  Hesiodos.  (§  62.) 


83 


der  Tempelpriester  dem  Dichter  noch  manche  andere  allegorische  und  phi- 
losophische Idee  an  die  Hand  gegeben  haben,  wie  insbesondere  die  hohe 
Stellung,  die  Hesiod  in  seiner  Theogonie  dem  Eros  anweist  (V.  120  ff.), 
mit  dem  Kultus  dieses  Gottes  in  Thespiä  zusammenzuhängen  scheint,  i) 
Durchgeführt  ist  der  Plan  in  folgender  Weise:  in  der  Einleitung  (1 — 115), 
welche  aus  der  Verschmelzung  von  2  Rhapsodenproömien,  einem  an  die 
helikonischen  und  einem  an  die  olympischen  Musen,  entstanden  ist, 2)  wird 
die  Anrufung  der  Musen  mit  der  Dichterweihe  des  Sängers  sinnig  in  der 
Art  verbunden,  dass  die  nachfolgenden  Verse  nur  als  Nachklänge  des 
Musengesangs  erscheinen.  Mit  Vers  116  beginnt  das  alte  Gedicht,  die 
Kosmogonie,  welche  anfangs  lediglich  mit  gestaltlosen  Abstraktionen  von 
Naturkräften  operiert,  aber  im  weiteren  Verlauf  auch  altertümliche  Ge- 
stalten der  Mythenwelt,  wie  Rheia,  Kronos,  Briareos,  und  Personifikationen 
ethischer  Begriffe,  wie  Themis,  Momos,  Ate,  hereinzieht  (116 — 153,  211 — 276, 
337 — 370,  371—410).  Der  trockne  Ton  dieser  Partien,  der  durch  die 
parallele  Anordnung  der  Sätze  mehr  an  Durchsichtigkeit  als  eigentlicher 
Schönheit  gewinnt,  wird  angenehm  unterbrochen  durch  die  breiter  ausge- 
führten Erzählungen  von  der  Entmannung  des  Uranos  und  von  den  Helden- 
thaten  des  Perseus,  Herakles,  Bellerophon.  ^)  Von  Vers  453  an  treten  wir 
in  den  Olymp  der  lichten  Gottheiten  ein:  wir  hören  zuerst  von  der  Geburt 
des  Allvaters  Zeus  (453—500),  im  Anschluss  daran  von  der  gegenseitigen 
Befehdung  des  mächtigen  Kroniden  und  des  listigen  Prometheus  (501  —  612), 
von  den  gewaltigen  Kämpfen  des  Zeus  mit  den  Titanen  und  deren  Ver- 
stossung  in  den  Tartarus  (617 — 819),  von  den  Frauen  und  Kindern  des 
Zeus  und  der  übrigen  Kroniden  (886—962).  In  diesem  Teile  des  Gedichtes 
erhebt  der  reiche  Stoff  den  Dichter  von  selbst  über  die  sterile  Form  lang- 
weiliger Aufzählung  und  Belehrung.  Namentlich  in  dem  Titanenkampf 
wetteifert  er  nicht  ohne  Glück  mit  Homer,  freilich  mehr  in  grossartigen 
Entwürfen  und  gigantischen  Ausdrücken  als  in  anschaulicher,  farbenreicher 
Schilderung.  Den  Schluss  des  Gedichtes  bildet  ein  locker  angereihter  An- 
hang von  den  Töchtern  des  Zeus,  welche  mit  sterblichen  Männern  Heroen 


und    die    350    weissen    Schafe     (Tage)    des 


Sonnengottes    ,u  128  ff. 


Diese    kosmogoni- 


schen  Ideen  des  Mytlius  gehen  in  die  arische 
Vorzeit  zurück:  der  in  den  Veden  geschil- 
derte K'arapf  des  Vrtras  und  die  Erbeutung 
der  Rinder  beziehen  sich  auf  die  Gewitterwolke 
und  die  von  ihr  verdeckten  Sonnenstrahlen; 
die  Giganten  und  Titanenkämpfe  der  Grie- 
chen berühren  sich  mit  dem  Kampf  des 
Tndras  und  der  Rakshasas  bei  den  Indern 
und  des  Donar  mit  den  Riesen  bei  unsern 
Altvordern. 

^)  Die  theosophische  Allegorie  ist  älter 
als  Hesiod.  Die  XaQireg  oder  Huldgottheiten 
sind  aus  den  sinnlichen  Gestalten  der  falben 
Sonnenpferde  (liaritas)  entstanden  (s.  G,  Cur- 
Tius,  Etym.^  p.  121),  und  der  menschenfreund- 
liche Feuergott  Prometheus  hat  sich  aus  der 
Anschauung  eines  Werkzeugs  der  Feuerbe- 
reitung entwickelt  (s.  Kuhn,  Herabkunft  des 
Feuers).   Nach  Müller's  Vermutung  bedeutete 


auch  der  thespische  Eros  ursprünglich  den 
Sonnenstrahl,  skt.  arusha. 

''^)  Dass  das  1.  Proömium  in  seiner  ur- 
sprünglichen Gestalt  (1-4.  9-12.  22-24. 
2(3 — 34)  nachhesiodisch  sei,  wage  ich  nicht 
mit  der  Zuversicht  der  neueren  Kritiker  zu 
behaupten;  bekannt  war  dasselbe  schon  dem 
Interpolator  der  Erga  V.  659.  Nach  Plutarch, 
Quaest.  conv.  9,  14  wurde  ein  Teil  des  Pro- 
ömiums,  V.  36—67,  als  besonderer  Hymnus 
gesungen.  Drei  Proömien  und  drei  Theo- 
gonien  will  0.  Gruppe,  Die  griech.  Kulte  I, 
597  ff.  herausfinden,  deren  Zusammenstellung 
in  Korintli  unter  dem  Tyrannen  Periander 
erfolgt  sein  soll. 

■^)  Wenn  bei  der  Sphinx  V.  326  Oedi- 
pus  nicht  genannt  wird,  so  muss  man  wohl 
schliessen,  dass  die  ausgebildete  Mythe  von 
Oedipus  dem  Hesiod  noch  nicht  bekannt 
war,  wozu  auch  Op.  163  stimmt. 


84 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


und  Heroinnen  geboren  haben  (963  —  1022);    derselbe   sollte  den  Übergang 
der  Theogonie  zu  dem  Katalog  der  Frauen  anbahnen. 

Ein  einheitlicher  Faden  zieht  sich  auf  solche  Weise  wohl  durch  das 
ganze  Gedicht,  aber  deshalb  ist  dasselbe  doch  noch  weit  entfernt  von  einem 
kunstvollen  Ganzen  mit  einheitlichem  Ton.  Die  Vereinigung  von  trockenen  J 
Aufzählungen  und  breitausgeführten  Kampfesscenen  ist  störend,')  und  von  " 
den  1022  Versen  ist  ein  guter  Teil  auf  späte  Interpolation  zurückzuführen. 2) 
Von  später  Hand  rührt  vor  allem  der  Anhang  (963 — 1022)  her,  der  sich 
schon  durch  die  Namen  der  Tyrrhener  (1016)  und  des  Latinus  (1013)  und 
die  Anspielung  auf  die  Aithiopis  (984)  und  die  Kypria  (1008 — 1010)  als 
eine  jüngere  Dichtung  kund  gibt.-^)  Sodann  unterbricht  die  Typhonsage 
(820—880)  in  störender  Weise  den  Zusammenhang  und  war  daher,  wenn 
sie  auch  von  Hesiod  herrührt  und  durch  einen  Ausbruch  des  Ätna  zur  Zeit 
des  Dichters  veranlasst  war,  nicht  für  diese  Stelle  und  schwerlich  für  die 
Theogonie  überhaupt  bestimmt.  Des  weiteren  ist  entschieden  jüngeren 
Ursprungs  die  zu  weit  ausgedehnte  Stelle  über  Hekate  (411 — 452),  die 
wahrscheinlich  aus  einem  nichthesiodischen  Hymnus  auf  diese  Göttin  her- 
stammt. Zweifelsohne  ist  endlich,  um  kleinere  Interpolationen  nicht  weiter 
zu  berühren,  das  Proömium  durch  Einschiebung  von  Hymnenresten  auf  die 
olympischen  Musen  erweitert.*)  Was  den  Verfasser  der  Theogonie  anbe- 
langt, so  hat  dieselbe  das  ganze  Altertum,  mit  Ausnahme  der  Gewährsleute 
des  Tansanias  IX,  31.  4  5),  für  ein  Werk  des  Hesiod  angesehen,  insbeson- 
dere der  Geschichtschreiber  Herodot,  wenn  er  II,  53  sagt:  ^HaioSog  xal 
'Ol^ir^Qoc,  Hdiv  Ol  noit'jCTavTeg  ^soyovirjv  '^'EXXr,(Si  xal  toiCi  deoioi  rag  6n(x)VV{.iiag 
öövteg  xal  xif^iag  T€  xal  Tt^vag  Siskovreg  xal  d'osa  avzcov  (TrjfirjvavTsg.^)  In 
unserer  Zeit  hat  Schömann  die  Zweifel  des  Pausanias  wieder  aufgenommen 
und  die  Theogonie  für  eine  Komposition  aus  dem  pisistratischen  Zeitalter 
erklärt."^)  Von  einer  so  späten  Zeit  kann  nun  gar  keine  Rede  sein;  da- 
gegen spricht  schon  ein  untrügliches  Zeugnis,  die  Sprache  und  das  Digamma. 
Aber  überhaupt  die  Theogonie  dem  Hesiod  abzusprechen,  ist  übertriebener 


^)  Ein  Mangel  ist  es  auch,  dass  V.  935 
(s.  V.  121)  plötzlich  Menschen  auf  der  Bild- 
fiäche  erscheinen,  ohne  dass  zuvor  von  ihrer 
Erschaffung  die  Rede  gewesen,  und  dass  man 
nicht  begreift,  wie  die  Sterblichen  sich  fort- 
pflanzten, ehe  Zeus  die  Frau  zum  Unheil  der 
Menschen  schuf. 

'^)  A.  Meyer,  De  comioositione  Theo- 
goniae,  Berl.  1887, 

^)  Der  fehlerhafte  Vers  1014  Ti]kiyovöv 
TB  tiiyas  did  ^QVGti]y  'A(fQo^iTt]P  fehlt  in 
dem  massgebenden  Cod.  Mecliceus,  kann  also 
nicht  verwendet  werden,  um  den  Anhang 
unter  die  Tclegonie  herabzudrücken.  Natür- 
lich ist  mit  Anfügung  des  Anhanges  zugleich 
der  alte  Schluss  der  Theogonie  nach  902 
oder,  wie  andere  annehmen,  nach  955  weg- 
gefallen. 

^)  Die  alte  Theogonie  lässt  auf  einen 
oder  vielmehr  zwei  kleine  strophisch  kom- 
ponierte Teile  zusammenschrumpfen  Köchly, 
JJe  diversis  Hesiodeae  Tlieogoniae  jjcirtibus 


(1860),  in  Opusc.  p.  244-288.  Fick  nimmt 
3  ältere  Gesänge  der  Theogonie  von  je  144 
Versen  an. 

5)  An  einer  anderen  Stelle  VlII,  18.  1 
unterdrückt   Pausanias    selbst    den    Zweifel. 

^)  Das  älteste  Zeugnis  für  den  gleichen 
Verfasser  der  Werke  und  der  Theogonie 
liegt  in  dem  Vers  Op.  659  fV^«  ,wf  ro  ngto- 
Tov  hyvQfjg  eneßrjoav  uoiö'rjg,  der  offenbar 
auf  den  Eingang  der  Theogonie  hinweist, 
und,  wenn  auch  unecht,  doch  jedenfalls  aus 
alter  Zeit  stammt.  Einen  verschiedenen 
Verfasser  hat  für  die  Theogonie  unter  den 
Neueren  Welcker,  Hes.  Theog.  57  ange- 
nommen. 

^)  Schömann,  De  compositione  Tlieogo- 
niae, in  Opusc.  II,  475  ff.,  und  in  seiner 
Ausgabe  der  Theogonie  S.  20  ff.  Redaktion 
althesiodischer  und  sonstiger  in  die  Theogo- 
nie einschlägiger  Bruchstücke  durch  Onoma- 
kritos  nimmt  an  Gerhard,  Über  die  hesiodi- 
sche  Theogonie,  in  Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1850. 


A.  Epos.     5.  Hesiodos.  (§  63.) 


85 


Skeptizismus.  Für  die  Gleichheit  des  Dichters  der  Theogonie  und  der  Werke 
sprechen  die  wesentlich  gleiche  Sprache  und  der  Hinweis  auf  die  gleiche 
Heimat  am  Helikon  (Th.  2,  Op.  639)  in  der  Nähe  von  Thespiä  (Th.  120  ff.). 
Die  Abweichung  des  Mythus  von  der  Erschaffung  des  Weibes,  indem  in 
der  Theogonie  570 — 612  das  Weib  im  allgemeinen,  in  den  Werken  47 — 104 
das  bestimmte  Weib  Pandora  geschaffen  wird,  ist  an  und  für  sich  nicht 
relevant  und  kann  überdies  deshalb  keinen  Ausschlag  geben,  weil  die  be- 
treffende Partie  der  Werke  der  Interpolation  verdächtig  ist.  ^) 

63.  rvvaixoov  xaTccXoyog  hiess  das  dritte  der  dem  Hesiod  beige- 
legten Werke;  es  bestand  aus  5  Büchern,  von  denen  die  beiden  letzten 
den  Spezialtitel  'Holm  hatten,  und  war  gewissermassen  eine  versifizierte 
Heroengeschichte  in  kleinen,  locker  aneinandergereihten  Absätzen.  Der 
Titel  'Hoim,-)  der  sicher  dem  4.  Buch  des  Werkes,  wahrscheinlich  den 
beiden  letzten  zukam, ^)  hatte  seinen  Grund  darin,  dass  die  einzelnen  Ab- 
sätze mit  rj  ol'rj  anfingen,  wie 

rj  otrjv  "Yqiti  BoKaTirj  sTQscps  xovgrjv. 
Da  die  Angaben  des  Katalogs  und  der  Eöen  nach  dem  Zeugnis  der  gut- 
unterrichteten Scholiasten  zu  Apollonios  II,  181  und  IV,  57  öfter  sich 
widersprachen,^)  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  es  ursprünglich  2  verschie- 
dene Werke  gab,  rvvaixoov  xaräXoyog  und  'Hotai,  und  dass  dieselben  erst 
später,  wahrscheinlich  erst  in  Alexandria,  des  verwandten  Inhaltes  wegen 
zu  einem  Gesamtwerk  mit  dem  Titel  KaräXoyog  oder  'Holm  ^syälai  ver- 
einigt wurden.-'^)  Der  Plan  der  beiden  Werke,  an  dem  Faden  berühmter 
Frauen  eine  Heroengeschichte  zusammenzuweben,  hängt  mit  der  besonderen 
Verehrung  der  Frauen  bei  den  Lokrern  zusammen,  da  bei  diesen  die  Ge- 
rechtsamen des  Adels  von  der  mütterlichen,  nicht  der  väterlichen  Abstam- 
mung abhingen;  ^)  im  Lande  der  Lokrer  aber  starb  Hesiod,  wie  wir  oben 
sahen,  und  dort  hat  sich  auch  seine  Schule  am  kräftigsten  entwickelt.  Der 
Mythenschatz  der  beiden  Dichtungen,  der  für  die  Lyriker  und  Tragiker  der 
nachfolgenden  Zeiten  eine  unerschöpfliche  Fundgrube  bildete,  reichte  weit 
über  den  Horizont  der  äolischen  und  ionischen  Epiker  Kleinasiens  hinaus, 
er  umfasste  die  Sagen  aller  Stämme,  der  lonier  nicht  minder  als  der  Achäer 
und  Äolier.  An  der  Echtheit  des  Katalogs  haben  selbst  die  besten  Kritiker 
Alexandriens  nicht  gezweifelt.    Philochoros  (Strab.  p.  328)  und  Apollodoros 


^)  Die  Unechtheit  von  V.  69 — 82  ist  nach- 
gewiesen von  R.  Scholl,  Satura  crit.  Sauppio 
ohlata  p.  133 --47. 

2)  MeyiiXca  'Hoiai  bei  Paus.  11,  2.  3  u. 
IX,  31.  7  und  Schol.  Apoll.  11,  181  und  IV, 
57  war  nach  Kalkraanns  Vermutung  (Rh.  M. 
39,  563)  Titel  des  Gesamtwerkes;  anders 
Bergk,  Gr.  Litt.  I,  1003  u.  1011. 

^)  Arg.  Scuti  III:  rijg  'Aonidog  rj  c(Q/t] 
iv  TW  tf'  yMiaXoyo)  cpSQtKa,  der  Anfang  des 
Schildes  beginnt  aber  mit  »y  olt].  Daher 
verdiente  sicher  das  4.  Buch  des  Katalogs 
den  Spezialtitel  'EoTm.  Da  ferner  das  3.  Buch 
des  Katalogs  den  Eöen  vom  Scholiasten  zu 
Apoll.  IT,  181  entgegengesetzt  wird,  so  nahm 
Marckscheffel,  Hes.  Eum.  fragm.  c.  II  an. 


dass  ursprünglich  der  Tvv.  xat.  die  3  ersten, 
die  'HoTat  die  2  letzten  Bücher  des  später 
vereinigten    Gesamtwerkes    gebildet    haben. 

^)  Marckscheffel  p.  106  ff. 

■'')  Hesychios  'HoTat  "  6  yatüloyog  tlaio- 
(fov,  und  Et.  Gud.  HoTcci  •  ean  xcaccXoyog 
'Hatödov. 

^)  Polyb.  XII,  5  nach  Aristoteles:  ort 
Tjdvia  Tcl  diu  TiQoyovoiv  evdo^a  tiuq^  avToTg 
(hio  rtop  yvviaxMi^,  ovx  dno  tmp  di'^QMr 
loToQovv,  oiov  svd^eiog  evyevelg  nagd  ag)iaL 
rofAiCeOx^ca.  toj;?  dno  tmv  txaxov  oi'y.Koi^  Xe- 
yofihvovg  xrX.  Vgl.  Find.  Ol.  IX  und  Lübbekt, 
De  Findaro  Locrorum  Opuntioruiu  amico 
et  patrono,  Bonn,  Ind.  schol.  1883. 


das  Werk  unter  dem  Titel  yvvcaxMv  dgeral 
als  echt  an. 

^)   Von    interpolierten    Versen     spricht 


Nichterwähnung  der  Arimaspen,  Greifen  und 
Hyperboreer  auf  die  Zeit  vor  Aristeas  aus 
Prokonnesos. 


Plut.  Thes.  20  und  Paus.  II,  26.  6.  ^)  Dabei  ist  aber  zu  beachten,  dass  das 


'')  Fr.  80,  6,  wo  die  gleiche  Vernach- 
lässigung begegnet,  ist  korrupt;  hingegen  ist 
in   der  Eöe  der  Alkmene   das  Digamma  be- 


Digamma  in  der  Heimat  der  hesiodischen 
Schule  noch  weit  länger  als  in  lonien  ge- 
sprochen wurde,    was   sich  auch   in   dem  2. 


wahrt  (s.  Scut.  11.  15.  20.  22.  34.  38.  40.  45).       Hymnus  auf  Apoll  geltend  macht. 

^)  Kirchhoff,  Odyssee  315  ff.  u.  Niese,    |  ^)  Vielleicht  ist  der  Anhang  der  Theo- 

gonie  V.  963-1022  vom  Verfasser  des  Ka- 
talogs  selber   gedichtet.      Darauf   führt   die 


Entw.  d.  hom.  Poesie  223  setzen  den  Kata 
log  zwischen  Ol.  40  u    50. 

^)  In   beachtenswerter   Weise    stimmen 
bezüglich  der  Zwölfzahl   der  Kinder  des  Ne- 

leus  die  junge  Homerstelle  A  692  und  Hes.       Mutter,  ^ilvQiöijg,  in  Th.  1002 
fr.    45   überein.     Die   Erwähnung   der   Pyg 


gß  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

(Strab.  p.  39U)  führen  unbedenklich  Stellen  daraus  als  hesiodisch  an;i) 
demnach  scheint  auch  Aristarch,  der  Lehrer  des  Apollodor,  keinen  Zweifel 
an  der  Echtheit  gehegt  zu  haben. 2)  Nur  Pausanias  IX,  31.  4  spricht  den- 
selben auf  Grund  der  Aussagen  seiner  Führer  am  Helikon  dem  Hesiod  ab. 
Gegen  die  Echtheit  der  Eöen  haben  eher  die  Grammatiker  Bedenken  er- 
hoben, wie  man  aus  der  zweifelnden  Wendung  des  alten  Scholiasten  zu 
Find.  P.  III,  14  er  xoTq  eig  ^Haiodov  aiacpsQOf^u'voig  srcsaiv  ersieht.  Jeden- 
falls aber  macht  die  Vertrauensseligkeit  des  Philochoros  und  Apollodor 
ihrem  kritischen  Scharfblick  wenig  Ehre,  da  viele  der  erhaltenen  Fragmente 
nicht  von  Hesiod  herrühren  können  und  einer  jüngeren  Periode  angehören 
müssen.  Uns  selbst  ist  ein  festes  Urteil  erschwert,  da  wir  nur  Bruchstücke 
haben  und  weder  wissen,  in  welchem  Verhältnis  die  5  Bücher  zu  einander 
stunden,  noch  inwieweit  ihr  ursprünglicher  Bestand  durch  Interpolationen 
alteriert  war.  Denn  dass  Interpolatoren  auch  hier  ihr  Unwesen  trieben, 
lässt  sich  bei  der  Anlage  des  Werkes  von  vornherein  vermuten  ^)  und  wird 
durch  sprachliche  Unterschiede  zur  Gewissheit  erhoben.  Während  z.  B.  in 
anderen  Fragmenten  das  Digamma  des  Pronomens  der  3.  Person  noch  fest 
haftet,  ist  dasselbe  Fr.  82,  2  ganz  vernachlässigt.'*)  Stand  Fr.  81,  welches 
sich  auf  die  Gründungsgeschichte  von  Kyrene  in  Afrika  bezieht  und  mit 
dem  schon  Markscheffel  das  Scholion  zu  Apollonios  IV,  109  zusammenge- 
stellt hat,  im  alten  Katalog,  so  muss  man  mit  der  Abfassungszeit  desselben 
bis  unter  das  Gründungsjahr  von  Kyrene  Ol.  37,  2  herabgehen. 5)  Übrigens 
führt  auch  ein  anderes  Anzeichen,  das  Fehlen  des  Gürtels  im  Ringkampf 
der  Atalante,  den  die  Schollen  zu  Hom.  ^^  683  bezeugen,  auf  die  Zeit  nach 
Ol.  15.  Und  da  auch  die  geographischen  Notizen  und  die  Weiterbildung 
der  Mythen  ^^)  auf  verhältnismässig  späte  Zeit  hinweisen,  so  werden  wir 
trotz  des  altertümlichen  Charakters  der  Sprache ')  nicht  an  eine  Abfassung 
vor  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  denken  dürfen.  Von  den  beiden  Ge- 
dichten pflegt  man  die  Eöen  für  jünger  als  den  eigentlichen  Katalog  zu 
halten;  wir  können  nur  so  viel  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  zunächst  nur 
der  letztere  bestimmt  war,  an  die  erweiterte  Theogonie  angeschlossen 
zu   werden.^)     Auch   verdient    es  Beachtung,    dass  die  Stelle,    welche    auf 

^)  S.  Makckscheffel  p.  132  f.  Asklepia-  ]  mäen,  Makrokephaloi  und  anderer  Wunder- 

des  in  Anth,  IX,  64  schreibt  dem  Hesiod  zu  |  menschen    führt  mit  Recht    Makckscheffel 

fxaxiXQMv    yevog  (Theog.),    egya  (Erga)    und  I  p,   137  auf  die  von  Herodot  IV,  152  erwähn- 

yevog  aQ/aLMt/  rjQMMu  (Katalogos).  ten  Fahrten    des   Samiers   Korobios  (OJ.  30) 

'^)  Auch  Lukian  7T()6g  Hoio^op  1  erkennt  \  zurück.     Auf   der    anderen  Seite    weist    die 


erweiterte  Kenntnis  von  Italien  (Th.  1014--6) 
imd    die  Benennung   des  Cheiron   nach    der 


A.  Das  Epos.     5.  Hesiodos.  (§  64—65.) 


87 


das  jüngste    Datiini,   die   Gründung   von    Kyrene,    hinweist,    in    den    Eöen 
stund.  ^) 

64.  'AfTTiig  'HQaxXtovg  in  480  Versen  trägt  den  Namen  des  Hesiod, 
wiewohl  schon  der  Grammatiker  Aristophanes  die  Unechtheit  erkannte.^) 
Das  Proömium  (1 — 56)  ist,  wie  uns  die  alte  Hypothesis  lehrt,  aus  dem 
4.  Buch  des  Frauenkatalogs  herübergenommen.  An  dasselbe  schliesst  sich 
in  ganz  äusserlicher  Weise  die  Erzählung  vom  Kampfe  des  Herakles  mit 
dem  Unhold  Kyknos  im  pagasäischen  Hain  des  Apoll  an,  bei  welchem 
Kyknos  unterliegt  und  Ares  selbst,  während  er  seinen  Sohn  beschützt,  ver- 
wundet wird.  Den  grössten  Teil  des  Gedichtes  aber  nimmt  die  Beschrei- 
bung des  Schildes  des  Herakles  ein,  wovon  dasselbe  auch  seinen  Namen 
hat.  Dass  damit  der  Autor  ein  Seitenstück  zum  Schild  des  Achill  liefern 
wollte,  liegt  auf  der  Hand,  aber  ebenso  auch,  dass  er  damit  weit  hinter 
Homer  zurückgeblieben  ist.  Ein  Hauptfehler  besteht,  wie  Lessing  im  Lao- 
koon  uns  gelehrt  hat,  darin,  dass,  während  Homer  den  Schild  vor  unseren 
Augen  entstehen  lässt,  hier  die  fertigen  Bilder  des  Schildes  in  ermüdender 
Beschreibung  uns  vorgeführt  werden.  Ein  Fortschritt  der  Kunst  liegt  in 
der  Art  der  Schildverzierung:  bei  Homer  sind  es  Bilder  des  Lebens,  genre- 
mässige  Scenen  des  Krieges,  der  Weinlese,  der  Hochzeit,  bei  Hesiod  mytho- 
logische Gestalten,  Herakles  im  Kampf  mit  den  Schlangen,  Streit  der  La- 
pithen  und  Kentauren,  Apoll  inmitten  der  Musen,  der  beflügelte  Perseus 
verfolgt  von  den  Gorgonen  u.  a.  Dieselbe  Stufe  der  Kunst  treffen  wir  auf  dem 
Kypseloskasten  (Paus.  V,  17 — 19)  aus  der  zweiten  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts, 
so  dass  eine  Wechselbeziehung  beider  unbestreitbar  ist.^)  Auf  der  anderen 
Seite  lebte  der  Dichter  des  Schildes  vor  Stesichoros  und  Pisander,  von  denen 
der  erste  nach  der  Hypothesis  irgendwo  des  hesiodischen  Schildes  gedacht 
hat,*)  der  zweite  den  Herakles  nicht  mehr  wie  unser  Dichter  mit  Schild 
und  Speer,  sondern  wie  die  ganze  Folgezeit  mit  Keule  und  Löwenfell  dar- 
stellte. Wir  setzen  daher  das  Gedicht  um  630  und  nehmen  des  weiteren 
an,  dass  erst  ein  späterer  Herausgeber  demselben  das  Proömium  aus  den 
Eöen  vorgesetzt  hat. 

65.  Ausserdem  wurden  dem  Hesiod  noch  mehrere  andere,  aus  seiner 
Schule  hervorgegangene  Werke  zugeschrieben,  von  denen  uns  nur  spärliche 
Reste  erhalten  sind,  nämlich: 

Ki'ivxog  yäfiog,  Hochzeit  des  Herrschers  von  Trachys,  welcher  auch 
Herakles  beiwohnte.-^)  Die  Echtheit  wurde  schon  von  Athen.  49b  und  Plut. 
Symp.  VIII,  8  angezweifelt. 


^)  Aus  der  alexandrinischen  Zeit  werden 
von  Ath.  590  b  erwähnt  'HoTot  von  Sosikrates 
und  ein  Tvvaixiov  xarüXoyog  von  Nikainetos. 

^)  Argum.  III:  vTTconrsvys  de  'Jqlgto- 
(pdprjg  6  yQafXfxarixog  log  ovx  ovaav  canrjv 
'Haiödov,  «PlA'  £TeQoi>  xivog  Trjy  Vfx)j(}ixiji/ 
uanlö'tx  fxifxtjaccaS^cct  TTQocuQovfusi'ov.  Die 
Echtheit  verfocht  dagegen  mit  13erufung  auf 
den  Katalog  der  Grammatiker  Apollonios. 
Zweifel  an  der  Echtheit  hegen  auch  Ps. 
LoNGTN  de  suhl.  9,  5,  der  anonyme  Gram- 
matiker in  Bekker  An.  gr.  1105  u.  Crami-;k 
An.  Ox.  IV,  315. 


^)  Brunn,  Die  Kunst  bei  Homer  und 
ihr  Verhältnis  zu  den  Anfängen  der  griech. 
Kunstgeschichte,  Abh.  d.  b.  Ak.  XI,  17  ff.; 
LöscHKE,  Arch.  Zeit  1882,  S.  46  ff.;  Sittl 
ebenda  1887,  S.  182  ff. 

^)  Argum.  III:  toaccvrcog  dt  xcd  Itviai- 
/oQog  cptjGir  'Haiodov  sipca  ro  nohj/ja.  Der 
Name  Stesichoros  ist  allerdings  in  dem  Satz 
nicht  ohne  Anstoss  und  vielleicht  aus  dem 
Namen  eines  Grammatikers  verderbt;  s.  in- 
des Marckscheffel  p.  149  f. 

•0  Vgl.  Scut.  355  f. 


88 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


^EniOaXdfiioi'  sie  ITrjXsa  xal   Gäziv. 

Grjcfk'Mg  slg  "AiSov  xaraßacfig,  erwähnt  unter  den  unechten  Werken  von 
Pausanias  IX,  31.  5. 

Alyiiiuog,  von  anderen  dem  Milesier  Kerkops  beigelegt,^)  der  in  der 
Zeit  des  Onomakritos  lebte  und  dem  Fick  auch  die  jetzige  Fassung  der 
Theogonie  und  der  Erga  zuschreibt.  Das  Gedicht  behandelte  den  Kampf 
des  Aigimios  mit  den  Lapithen. 

MeXaiinodia  in  mehreren  Büchern,  benannt  von  dem  pylischen  Seher 
Melampus,  dessen  Geschlecht  wie  in  die  Telemachie  und  Thebais  so  auch 
in  die  Gründungssage  von  Kolophon  verflochten  war.  Unter  anderem  war 
in  dem  Epos  ähnlich  wie  in  dem  'Ayoov  ^Haiödov  xal  ^OfirjQov  ein  Wettstreit 
der  Seher  Kalchas  und  Mopsos  vorgeführt.  2) 

XsiQcovog  vTco&rjxai^  ein  griechischer  Ritterspiegel,  der  im  Unterricht 
der  Knaben  eine  grosse  Rolle  spielte,  so  dass  ihn  Isokrates  ad  Nicocl.  43 
mit  Theognis  und  Phokylides  zusammenstellt.  Auch  Pindar  P.  6,  21  fif. 
spielt  auf  ihn  an,  indem  er  aus  ihm  den  an  die  Zehngebote  erinnernden 
Spruch  anführt:  „Nebst  dem  Herrscher  Zeus  ehre  zumeist  die  Eltern." 
Nach  Quintil.  I,  1.  15  hat  Aristophanes  Byz.  das  Gedicht  dem  Hesiod  ab- 
gesprochen. 

'OQvi^onavTfia,  dem  Schluss  der  Erga  nach  dem  Zeugnis  der  Schollen 
angefügt,  von  Apollonios  Rhodios  aber  verworfen.  3) 

MeyäXa  eqya^  ^A(ftQOVO^atx(x,  JdxivXoi  'löatoi,  rrjg  ttsqioSoc,  lauter 
apokryphe  Schriften. 

60.  Die  Gedichte  des  Hesiod  wurden  gewiss  ebenso  wie  die  des  Homer 
anfangs  mündlich  fortgepflanzt;  nur  so  ist  die  Überwucherung  des  Ur- 
sprünglichen durch  fremdartige  Zusätze  erklärlich.  Früh  verbreitete  sich 
die  Kenntnis  derselben  auch  über  das  griechische  Festland  hinaus  nach  dem 
ionischen  Kleinasien,  wie  die  Einreihung  des  Milesiers  Kerkops  unter  den 
Kreis  der  hesiodischen  Dichterschule  und  der  Einfluss  der  Erga  auf  die 
Entwicklung  der  iambischen  Poesie  entnehmen  lassen.  Dass  die  schrift- 
liche Redaktion  von  Peisistratos  ausging  und  dabei  auch  Onomakritos  be- 
teiligt war,  ist  eine  blosse  Vermutung,  die  sich  hauptsächlich  auf  die 
Nachricht  des  Plutarch  Thes.  20  von  der  Tilgung  eines  Verses  durch  Pei- 
sistratos stützt  und  an  der  Konformität  des  homerischen  und  hesiodischen 
Textes  einen  Anhalt  hat.  Gewiss  aber  werden  schon  zuvor  von  Hesiod, 
noch  mehr  als  von  Homer,  Aufzeichnungen  einzelner  Partien  bestanden  haben. 
Die  Leute  am  Helikon  zeigten  dem  Pausanias  IX,  31.  4  eine  Bleitafel,  auf 
welcher  die  Erga  ohne  das  Proömium  geschrieben  waren.  In  der  Zeit  nach 
Peisistratos  wurden  die  Werke  des  Hesiod,  die  echten  wie  unechten,  als 
eine  Fundgrube  für  Fabelgeschichten  und  als  ein  Schatz  von  Lebensweis- 
heit^) in  Schule  und  Haus  fleissigst  gelesen  und  auswendig  gelernt.  Von 
einer  kritischen  oder  kommentierenden  Behandlung  des  Dichters  aus  jener 
Zeit   hören  wir    nichts;    nur  dass   der   Philosoph   Xenophanes   ihn  als  den 


1)  Ath.  p.  503d;  Diog.  II,  46  fiHirt  aus 
Aristoteles  an :  KeQxwxp  Ilaiodo)  CojfiL,  rslev- 
TTjaarri  (^s  Bsvocpilpr^g  iq:iXoi'eiy.6t. 

'')  Vgl.  Strab.  p.  642. 


■')  So  Proklos  zu  Hes.  Erga  824. 
■*)  Der    Elegiker    Hermesianax    V.    22 
nennt  den  Hesiod  nüatjg  iJQuvov  laroQiijg. 


A.  Epos.     5.  Hesiodos.  (§  G6.)  —  6.  Die  späteren  Epiker.  (§  67.) 


89 


Begründer  der  falschen  Vorstellungen  von  den  Göttern  heftig  befehdete,  ^ 
und  der  Logograph  Akusilaos  ihn  in  Prosa  umsetzte  und  berichtigte.  2)  In 
der  alexandrinischen  Zeit  ward  neben  Homer  auch  der  Text  des  Hesiod 
von  den  hervorragendsten  Kritikern,  Zenodot,  Apollonios  Ehodios,  Ari- 
stophanes,  Aristarch,  Krates,  Seleukos,  bearbeitet.  Aristophanes  und  Aristarch 
setzten  auch  bei  ihm  ihre  kritischen  Zeichen,  die  dann  in  ähnlicher  Weise 
wie  bei  Homer  den  Ausgangspunkt  für  die  Kommentare  des  Didymos  und 
Aristonikos  bildeten.^)  Natürlich  bot  sodann  die  Götterlehre  des  Hesiod 
den  Stoikern  und  Neuplatonikern  willkommene  Gelegenheit  zu  allegorischen 
Erklärungsversuchen.  Plutarch,  der  Landsmann  und  Verehrer  Hesiods, 
schrieb  4  Bücher  Kommentare  zu  den  Werken,  welche  die  Grundlage  der 
erhaltenen  Schollen  des  Neuplatonikers  Proklos  (5.  Jahrh.)  bildeten.  Im 
byzantinischen  Mittelalter  fehlte  es  nicht  an  Erklärern  der  Erga  und  der 
Theogonie,  aber  die  Kommentare  des  Tzetzes,  Moschopulos,  Triklinios  und 
die  ^A'klrffoqiai  de,  zrjv  tov  ^HaiöSov  Qeoyoviav  des  lo.  Diakonos  Galenos 
(11.  Jahrh.)  verarbeiteten  nur  den  überkommenen  Stock  alter  Schollen,  so 
dass  es  die  Aufgabe  der  modernen  Philologie  war,  wieder  den  Kern  alter 
Gelehrsamkeit  aus  der  Umhüllung  byzantinischer  Geschwätzigkeit  heraus- 
zuschälen. 

Codd.:  Der  älteste  und  beste  Codex  ist  ein  Mediceus  31,  39  s.  XII  (enthält  Hesiodi 
Op.  u.  Oppiani  Halieut.);  ihm  stehen  zunächst  ein  zweiter  Mediceus  32,  16  s.  XIII  (enthält 
Theog.  Scut.  Op.,  Nonnos  etc.),  Ambros.  C  222  s.  XIII  (Op.  und  Scut.)  und  Messanius 
s.  XIV  (Op,);  für  Theog.  u.  Scut.  2  Pariser  Codd.  vom  Athos,  N.  6C3  u.  679,  besprochen  von 
SiTTL,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889,  S.  351  ff.  Kritischer  Apparat  in  den  Ausgaben  von  Köchly- 
KiNKEL,  Lips.  1870,  RzACH  in  Bibl.  Schenk.  1884,  Sittl,  Athen  1890. 

Scholien,  über  deren  Bestandteile  bereits  §  Qß  gehandelt  ist,  herausgegeben  in  Gais- 
ford's  Poetae  graec.  min.  vol.  II  des  Leipziger  Druckes  1823.  —  Glossen  und  Scholien 
zur  hesiodischen  Theogonie  von  Flach,  Leipz.  1876. 

Ausgaben:  ed  princ.  Mediolani  1493;  cuni.  notis  variorum  cur.  Lösner,  Lips,  1778, 
enthält  auch  die  Vita  von  Robinson;  rec.  et  commentariis  instruxit  Göttling,  ed.  III  cur. 
Flach,  Lips.  1878;  ed.  Sittl,  Athen  1890;  Textausg.  mit  Comment.  er  it.  von  Schömann, 
Berol.  1869.  —  Zerlegung  der  Gedichte  in  ihre  Teile  und  Zurückführung  auf  ihre  ursprüng- 
liche Form  versucht  von  Fick,  Hesiods  Gedichte,  Gott.  1887;  die  Erga  zerlegt  von  Kikch- 
hoff,  Hesiodos'  Mahnlieder  an  Perses,  Berl.  1889.  —  Separatausgaben;  'EQya  comment.  instr. 
VAN  Lennep,  Amstel.  1843;  Die  Werke  u.  Tage  des  Hesiod  von  Steitz,  Leipzig  1869;  von 
Kirchhoff,  Berl.  1889.  —  Die  hesiodische  Theogonie  von  Welcker,  Elberfeld  1865;  Schö- 
mann, Berl.  1868  —  Hesiodi  quod  fertur  Scutum  ed.  Ranke,  Quedlinb.  1840;  Deiters,  De 
Hes.  scuti  descriptione,  Bonn  1858;  dazu  Lehrs,  Pop.  Aufs.-  427  ff.  —  Hesiodi  EumeVi 
Cinaethonis  Asii  et  carminis  Naupactii  fragm.  coli.  Marckscheffel,  Lips.  1840.  —  Er- 
läuterungsschriften: Schömann's  Abhandlungen  zu  Hesiod,  im  2.  Bde.  seiner  Opusc.  acad., 
Berl.  1857;  Muetzell,  De  emendatione  Theogoniae  Hesiodeae,  Lips.  1833;  Welcker,  Die 
hesiodische  Theogonie,  Elberfeld  1865;  A.  Meyer,  De  compositione  Theog.  Hes.,  Berl.  1887; 
0.  Gruppe,  Die  griech.  Kulte  u.  Mythen  I,  567—612. 


6.":Die  späteren  Epiker. 

67.    Genealogisches  Epos.    Mit  dem  Hingang  Homers  und  Hesiods 
ging  die  Blüte  des  griechischen  Epos  zur  Neige;  im  7.  und  6.  Jahrhundert 

1)  Sext.  Emp.  I,  289  u.  IX,  19.3;  Athen, 
462  f. ;  Diog.  TT,  46 :  Ke^xonp  Haio&co  i^Mvii 
(sc.  i(piXoveixEi),  xslsvz^öavii  ^k  6  ttqoeiqt]- 
fiEvog   'Eevocpdv7]g, 

''^)  Clem.  Alex,  ström.  VI,  p.  629:  t« 
Hacodov  ^sx^Xhc^sv  eig  nsCoy  löyov.  Joseph, 
c.  Ap.  I,  3:  Off«  6h  diioQ&ovio  töu  'Halodoy 
'AxovGihiog. 


•^)  Suidas  erwähnt  von  Aristonikos  eine 
Schrift  -negl  rcov  at]fxel(tiv  tmu  ev  r^  &soyoina 
'llai66ov.  Die  Fragmente  zusammengestellt 
von  Flach,  Glossen  und  Scholien  zur  hesiod. 
Theog.  S.  100  ff.  Didymos  benützte  beson- 
ders noch  die  ausführlichen  Kommentare  des 
Seleukos,  worüber  ebenda  S.  112  ff. 


90  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

drängte  die  frisch  aufblühende  Gattung  der  elegischen  und  lyrischen  Poesie 
das  Epos  in  den  Hintergrund.  Doch  fehlte  es  auch  in  dieser  Zeit  nicht 
ganz  an  Versuchen  im  epischen  Versmass, ')  insbesondere  war  es  das 
genealogische  Epos,  das  sich  auch  noch  im  7.  Jahrhundert  mannigfacher 
Pflege  erfreute.  Zugleich  ersehen  wir  aus  den  Namen  der  Dichter  und  den 
trümmerhaften  Resten  ihrer  Poesien,  dass  in  jener  Zeit  das  Epos  die  Grenzen 
seiner  alten  Heimat  zu  überschreiten  und  auch  im  Peloponnes  Wurzel  zu 
schlagen  begann.  Insbesondere  war  es  Korinth,  das  damals  wie  in  der 
politischen  Stellung,  so  auch  auf  geistigem  Gebiete  den  Wettkampf  mit  den 
übrigen  Staaten  Griechenlands  aufnahm.  Es  war  eben  die  Zeit,  in  der  die  Stadt 
des  Isthmus  unter  der  kräftigen  Führung  des  adeligen  Geschlechtes  der  Bak- 
chiaden  und  der  volkstümlichen  Tyrannen  Kypselos  (657—627)  und  Periander 
(627 — 587)  zu  ungewöhnlicher  Macht  emporstieg.  Die  Blüte  der  epischen 
Poesie  ging  dort  Hand  in  Hand  mit  dem  Aufschwung  der  Toreutik 
und  Vasenmalerei;  kann  man  doch  geradezu  die  berühmten,  mit  me- 
trischen Beischriften  versehenen  Darstellungen  der  Kypseloslade '^)  die  äl- 
teste Bilderchronik  der  Griechen  nennen.  Der  berühmteste  der  korinthischen 
Epiker  war 

Eumelos,^)  Sohn  des  Amphilytos  aus  dem  Geschlechte  der  Bakchia- 
den.  Die  Blüte  desselben  wird  von  den  Alten  in  die  Zeit  des  Archias,  des 
Gründers  von  Syrakus,  also  um  740  gesetzt,'^)  wird  aber  kaum  vor  Mitte  des 
7.  Jahrhunderts  gefallen  sein,  da  doch  nach  dem  ganzen  Gang  der  Dinge  die 
korinthische  Dichterschule  erst  nach  der  hesiodischen  oder  böotischen  zur  Ent- 
wicklung gekommen  sein  kann.  Sein  Hauptwerk  waren  die  KoQiv&iaxd,  worin 
die  sagenhafte  Vorgeschichte  Korinths  behandelt  war,  darunter  auch  die  Ver- 
stossung  der  Medea  und  die  Heirat  des  lason  mit  der  Kreusa,  der  Tochter 
des  Königs  Kreon  von  Korinth.-^)  Dies  Gedicht  wurde  später  in  einen  pro- 
saischen, von  Pausanias  II,  1.  1  erwähnten  Auszug  gebracht.  Ausserdem 
dichtete  Eumelos  eine  EvQcoTria,  in  der  die  Fabel  von  der  Europe,  der 
Tochter  des  phönikischen  Königs  Agenor,  vorkam,  und  ein  ländliches  Ge- 
dicht Bovyovia.  Auch  ein  Prosodion,  also  ein  lyrisches  Gedicht,  in  Hexa- 
metern, das  er  für  die  Messenier  auf  den  Gott  in  Delos  dichtete,  erwähnt 
Paus.  IV,  4.  1  u.  33.  3.    Aber  die  Vermutung  des  Periegeten  V,  19.  10,  dass 


^)  Marckscheffel,  Hesiodi  Eumeli  Ci-  |  nis    zu     den    homerischen    Dichtungen    ist 

naethonis  Äsii  fragni ,  Lips.  1840;  Duentzer.  |  wichtig,  dass  er  schon  die  milesischenPontos- 

Die    Fragmente     der    epischen    Poesie    der  !  fahrten  bis  an  den  Borysthenes  (fr.  17)  kennt 

Griechen,  Cöln  1840,  2  Teile;  Kinkel,  Epi-  und  das  Diganima  geradeso  wie  der  i)ichter 

corum  graec.  fragmenta,  in  Bibl.  Teubn.  1877.  ^  der  Verse  desKypseloskastens  vernachlässigt. 

'^)  Wir    kennen    dieselben    bekanntlich  •")  Die  Medeasage   war   Avohl   von  Nau- 


aus  der  Beschreibung  des  Pausanias  V,  17 — 19. 
^)  WiLiscH,  Die  Fragmente  des  Epikers 
Eumolos,  Zittauer  Progr.  1875,  Spuren  alt- 
korinthischer Dichtung  ausser  Eumelos,  Jahrb. 
f.  Phil.  123,  161  ff. 


paktus,  von  welcher  Stadt  die  NavndxTUi 
eni]  benannt  sind,  nach  Korinth  gebracht 
worden.  Zur  Verknüpfung  derselben  mit  der 
heimischen  Sage  von  Korinth  scheint  die 
Überlieferung  von  einer  korinthischen  Heroin 


^)  So    Clemens  Alex,    ström.  I,  p.  144;  i  Medeia    (s.    Schol.    Eur.    Med.  10)    und    die 

Eusebios    setzt   ihn    Ol,    5  u.  9.     Zu    diesen  i  Totenfeier  an  zwei  Kindergräbern  im  Haine 

Angaben    stimmt   im   allgemeinen  die  Über-  j  der   'Uqa    dy.Qcdc.    zu    Korinth    (s.  Eur.  iSIed. 

lieferung  (Paus.  IV,  4.   1),   dass    er   für  den  1379   und    Paus.  11,  3.  (i)    Anstoss   gegeben 

König  von  Messenien  Phintas  ein  Prosodion  |  zu  haben, 

gedichtet  habe.     Für  sein  zeitliches  Verhält-  j 


A.  Epos.     6.  Die  späteren  Epiker,  (§  68.)  91 

er  auch  die  Verse  auf  dem  Kypseloskasten  verfasst  habe,  ist  mit  den  son- 
stigen Angaben  über  die  Zeit  unseres  Dichters  nicht  wohl  vereinbar. 

68.  Dem  argivischen  Sagenkreis  gehörte  die  Alkmaionis  an,  deren 
Verfasser  nicht  vor  dem  Schluss  des  7.  Jahrhunderts  lebte,  da  derselbe  als 
Schwester  der  Penelope  den  Leukadios  anführt  (Strabon  p.  452),  der  von 
der  unter  Kypselos  oder  Periander  gegründeten  korinthischen  Kolonie  Leukas 
seinen  Namen  hat.  ^)  Das  Epos  ist  auf  dem  Boden  Korinths  entstanden 
und  behandelte  im  Anschluss  an  den  Zug  der  Epigonen  gegen  Theben  die 
Schicksale  des  heimkehrenden  Alkmaion  und  die  Gründung  des  amphilochi- 
schen  Argos.  Da  in  diese  Gründungssage  auch  die  Geschicke  des  Tydeus 
und  Diomedes  verflochten  waren,  so  diente  die  Alkmaionis  zugleich  dazu, 
den  thebanischen  Sagenkreis  an  den  troischen  anzuschliessen.^)  Die  Mythen 
des  Epos  boten  später  den  Tragikern  reichen  Stoff  für  ihre  Dramen. 

Die  NavTtäxTia  sirrj  waren  ein  genealogisches  Epos  auf  berühmte 
Frauen  nach  Art  der  Eöen;  als  Verfasser  derselben  ward  nach  Paus.  X, 
38.  11  von  den  einen  ein  Milesier  (Kerkops?),  nach  anderen  Karkinos 
aus  Naupaktos  genannt.  Es  war  in  dem  Gedicht  namentlich  auch,  im  An- 
schluss an  Medea,  die  Argonautensage  behandelt,  weshalb  dasselbe  öfters 
in  den  Scholien  zu  Apollonios  Rhodios  angeführt  wird. 

Kinaithon  aus  Lakedämon,  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  chiischen 
Rhapsoden  Ky naithos  ,.3)  wird  von  Pausanias  II,  3.  7  als  genealogischer 
Dichter  bezeichnet.  Auf  ein  genealogisches  Gedicht  weisen  auch  die  dem 
Kinaithon  zugeschriebenen  Nachrichten  über  Medea,  Helena,  Orestes, 
Talos.  Ausserdem  wird  derselbe  von  den  Alten  vermutungsweise  für  den 
Verfasser  der  OldiTtööeia,  der  ^Ihccg  jj^ixgcc  und  einer  ^HQccxlsia  ausgegeben. 
Seine  Zeit  steht  nicht  fest;  denn  der  Ansatz  des  Eusebios  auf  Ol.  5  ist 
zweifelsohne  zu  hoch  gegriffen;  die  Nachrichten  desselben  über  Medea  bei 
Paus.  II,  3.  9  rücken  ihn  unter  Eumelos  herab. 

Chersias  aus  Orchomenos  lebte  um  Ol.  40  zur  Zeit  des  Periander. ^) 
Seine  stiti  konnte  schon  Pausanias  (s.  IX,  38.  9)  nicht  mehr  auftreiben.  In  dev 
Vita  des  Hesiod  wird  ihm  auch  das  Epigramm  auf  dem  Grabdenkmal  des 
Hesiod  in  Orchomenos  zugeschrieben. 

Asios,  der  Sohn  des  Amphiptolemos  aus  Samos,  hatte  gleichfalls 
Genealogien  gedichtet,  die  noch  Pausanias  häufig  benützte.  Dem  Athenaios 
p.  525  e  verdanken  wir  die  Erhaltung  mehrerer  Verse  auf  den  Luxus  der 
Samier,  wie  sie  in  langen,  bis  auf  die  Erde  herabwallenden  Röcken  und 
mit  goldenen  Zikaden  im  Haar-^)  zum  Tempel  der  Hera  zogen.  Dieselben 
gehören  aber  schwerlich  dem  genealogischen  Epos  des  Asios  an,  sondern 
einem  anderen  Gedichte  von  satirischem  Charakter.  Auch  Verse  einer 
Spottelegie  auf  die  Hochzeit  des  vom  Flusschlamm  aufsteigenden  Gottes 
Meles  werden  von  Ath.  p.  125  b  angeführt.     Schon  diese  dienen   zum   Be- 


^)  Obekhummer,  Akarnanien  S.  74.  {  ■')  Einen  ähnlichen  Haarschmuck  trugen 


^)  Siehe  hierüber  Immisch,  Klaros,  Jahrb 
f.  Phil.  Suppl.  XVII,  182-193. 

^)  Verwechselt  von  Welcker,  Ep.  Cycl. 
I,  227.  Die  Etymologie  der  beiden  Namen 
ist  dunkel. 

*)  Nach  Plut.  Conv.  sept.  sap.  p.  156  e. 


41 


die  alten  Athener  nach  Thuc.  I,  6,  Aristoph. 
Equ.  1328,  Schol.  Arist.  Nub.  980.  Ein 
Terrakottenköpfchen  mit  solchen  Haarver- 
zierungen aus  Kleinasien  besitzt  das  Anti- 
quarium  in  München  n.  35. 


92 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


weis,  dass  man  den  Ausdruck  "A(tiov  rdv  naXmov  sxeTvov  bei  Ath.  125b 
nicht  streng  nehmen  darf  und  lassen  uns  Urlichs  (Rh.  M.  10,  3)  beistimmen, 
wenn  er  unsern  Dichter  auf  Ol.  35 — 40  herabrückt. 

Speziellen  Sagenkreisen  galten  folgende  Epen: 

'ÄT&i'g  des  Hegesinos,  aus  welcher  4  Verse  Paus.  IX,  29.  1  anführt, 
ohne  das  Buch  selbst  mehr  zur  Hand  zu  haben. 

WoQonig  von  einem  unbekannten  Verfasser;  das  Epos  benützten  als 
Quelle  die  Logographen  Hellanikos  und  Akusilaos. 

OsffTTQcoTig,  angeführt  von  Paus.  VIII,  12.  5  und  wohl  identisch  mit 
des  Musaios  sTirj  tvsqI  QsaTVQonm",  vgl.  §  54. 

^HQccxXeiai,^)  von  denen  eine  bald  dem  Kinaithon,^)  bald  einem  gewissen 
Konon  zugeschrieben  wird. 

0/yö'r//c  von  Diphilos  aus  unbekannter  Zeit.^) 

Die  ^ÄQii^iaansia  sttyj  des  Aristeas  aus  Prokonnesos  in  3.  B.  berei- 
cherten die  Mythen  weit  der  Griechen  mit  neuen  Fabeln.  4)  Über  den  Ver- 
fasser und  den  Inhalt  dieser  k'rrrj  ist  Hauptquelle  Herodot  IV,  13 — 16. 
Danach  stammte  Aristeas  aus  einer  angesehenen  Familie  von  Prokonnesos, 
einer  Kolonie  der  Milesier  an  der  Propontis,  und  stand  in  dem  Rufe  eines 
Wundermannes  {(poißoXa/inrog).  Von  seiner  Heimat  aus  machte  er  aus- 
gedehnte Reisen  nach  dem  Norden  bis  zu  den  Issedonen  und  erzählte  in 
seinen  em]  fabelhafte  Dinge  von  den  Völkern  jener  fernen  Länder,  von  den 
einäugigen  Arimaspen,  den  goldhütenden  Greifen,  den  Hyperboreern,  Kim- 
meriern,  Skythen  u.  a.^)  Seine  Blüte  setzt  Suidas  Ol.  50  (58?)  in  die 
Regierung  des  Kyros  und  Kroisos;^)  Herodot  IV,  15  lässt  ihn  240  Jahre 
vor  seiner  Zeit,  also  schier  100  Jahre  früher  leben. '^) 

69.  Das  Kunstepos.  Das  eigentliche  Epos,  das  Heldengedicht,  war 
mit  den  letzten  Homeriden  so  gut  wie  verklungen.  Homer  und  seine  Nach- 
folger hatten  aus  dem  Jungbrunnen  der  epischen  Poesie,  der  volkstümlichen 
Sage,  geschöpft ;  sie  waren  dadurch  Volksdichter  im  edelsten  Sinne  des 
Wortes  geworden  und  stunden  mit  ihren  Dichtungen  mitten  in  ihrem  Volke 
und  ihrem  Stamme.  Das  hatte  jetzt  aufgehört :  es  gab  zwar  noch  Dichter, 
welche  immer  von  neuem  sich  an  der  poetischen  Gestaltung  der  alten  Sagen 
versuchten,  aber  das  thaten  sie  für  sich  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Volk. 


^)  Arist.  Poet.  8:  (fid  Tfävxsg  solxaaiy 
o.fxaQXÜvEiv  oooi  xdüv  7J0L7]iMv  JlQaxXtflö'a 
'/.cd  QrjGrji^cc  xal  zd  roiccvTCi  noirjfxcaa  nsnoit]- 
YMGLv  '  oXovrai  yctq  inel  sig  iqp  6  '^HgaxXijg^ 
epcc  -/.cd  xov  fiv&op  elvca  TXQoayjy.eiv. 

2)  Kivai&og  lieisst  der  Verfasser  in  Schol. 
zu  Apoll.  I,  1357,  XoVwr  zu  I,  1165.  Wila- 
MowiTZj  Eur.  Herakles  I,  311  hat  die  Kühn- 
heit, auch  einen  dorischen,  vor  Hesiod  leben- 
den Dichter  der  zwölf  Thaten  des  Herakles 
anzunehmen. 

^)  Einer  späteren  Zeit  gehörte  Zoj^yros 
an,  der  nach  Stob.  Flor.  64,  38  im  3.  Buch 
seiner  in  Prosa  geschriebenen  Theseis  den 
Medeamythus  erzählte.  Die  der  Theseis  des 
Diphilos  vom  Scholiasten  zu  Pind.  Ol.  X,  83 
zugewiesenen  choliambischen  Trimeter  ge- 
hören vielleicht  dem  Theseus  des  Komikers 
Diphilos  an. 


^)  Suidas  führt  von  ihm  auch  eine 
Theogonie  und  Schriften  in  Prosa  an;  die 
Echtheit  aller  Schriften  bezweifelt  Dionys 
de  Thuc.  23;  s.  Touknier,  De  Aristea  Pro- 
connesio  et  Arimaspeo  jjoetnate,   Par.   1863. 

^)  Aristeas  beschrieb  Land  und  Leute 
vom  schwarzen  Meer  bis  zur  Ostsee;  dass 
in  der  That  griechische  Handelswege  so 
weit  hinaufreichten,  bezeugen  die  Funde  von 
39  altgriechischen  Autonommünzen  an  der 
Netze  und  von  grossen  Goldgeräten  bei 
Vettersfelde,  worüber  Furtwängler  in  dem 
43.  Winckelmannsprogr.,  Berl.  1883  handelt. 

^)  Suidas:  yeyops  de  xaxd  Kqoioov  y.cd 
KvQov  SXvfjTiic'i^i  v  {pT]  em.  Flach  nach 
Rohde). 

')  Dort  liest  jetzt  Stein  nach  den  besten 
Handschriften  xsoGeodxovxa  xcd  dii]xoaioiGi 
statt  des  früheren  TQirjxooloiaiv. 


A.  £pos.    6.  Die  späteren  Epiker  (§  69—71.) 


93 


Dass  immerhin  auch  so  noch  Gutes  geleistet  wurde,  zeigt  die  Aufnahme 
dreier  dieser  Epiker  in  den  Kanon  der  alexandrinischen  Kunstrichter.  ^) 
Unter  diesen  ist  der  älteste 

Peisandros,  Sohn  des  Peison  und  der  Aristaichme  aus  Kameiros 
in  Rhodos,'^)  Verfasser  einer  Herakleia  in  2  (wahrscheinlich  12)  B.  Die 
Zwölfzahl  der  Arbeiten,  das  Löwenfell  und  die  Keule  des  Heros  gingen  von 
Peisander  in  die  Fabelgeschichte  über.  3)  Die  Kraft  der  Darstellung  und  die 
Konzentrierung  der  Erzählung  auf  eine  Person  verschafften  dem  Gedicht  sein 
hohes  Ansehen;"^)  erhalten  sind  uns  nur  einige  wenige  Verse.  Die  Zeit  des 
Dichters  wird  von  Suidas  Ol.  33  (um  645)  gesetzt;  nach  den  Resten  seines 
Gedichtes  kann  er  nicht  älter  als  das  6.  Jahrh.  gewesen  sein."'^)  Wohl  zu 
unterscheiden  von  ihm  ist  ein  jüngerer  Peisander,  der  unter  Alexander 
Severus  eine  ^loTOQia  jioixiAtj  6i'  inöov  schrieb. 

70.  Panyassis  aus  Halikarnass,*^)  Oheim  oder  Vetter  des  Historikers 
Herodot,  der  in  den  Freiheitskämpfen  seiner  Vaterstadt  durch  den  Tyrannen 
Lygdamis  den  Tod  fand,")  erweckte  die  epische  Poesie  wieder  zu  neuem 
Leben.  Seine  Berühmtheit  verdankte  er  der  Herakleia  in  14  B.,  in  welche 
er  des  Kreophylos  Ol^aXiag  aXcocrig  verflocht.'^)  Ausserdem  dichtete  er  in 
elegischem  Versmass  %)vixä,  in  denen  er  die  Gründungsgeschichte  der  ioni- 
schen Kolonien  Kleinasiens  erzählte.  Einen  fröhlichen  Sinn  voll  Weines- 
lust atmen  die  schönen  Fragmente,  die  sich  uns  erhalten  haben. 

71.  Chol ri los  aus  Samos,^)  jüngerer  Zeitgenosse  und  Verehrer  des 
Herodot,  dem  wir  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  zuerst  als 
Begleiter  des  Feldherrn  Lysander^)  und  dann  neben  dem  Tragiker  Agathen, 
dem  Komiker  Piaton  u.  a.  an  dem  Hofe  des  Königs  Archelaos  von  Make- 
donien begegnen,  10)  wählte  nach  dem  Vorbild  des  Aischylos  zu  seinem  Epos 
Jl8Q(Trjig  {nsQcnxä  bei  Herodian)  den  Stoff  aus  der  Zeitgeschichte.  Schön 
begründet  er  in  dem  erhaltenen  Proömium  diesen  seinen  Plan  damit,  dass  dem 
Diener  der  Musen,  nachdem  alles  verteilt  sei,  nichts  übrig  bleibe,  als  einen 
neuen  Weg  zu  suchen.  Die  Perseis  hatte  ihren  Mittelpunkt  in  dem  Sieg 
der  Athener  über  den  Perserkönig  Xerxes ;  durch  Volksbeschluss  der  Athe- 
ner erhielt  sie  die  Ehre  mit  den  Gedichten  des  Homer  öffentlich,  vermut- 
lich an  den  Panathenäen,  vorgelesen  zu  werden  (Suidas).  Ein  zweites  Ge- 
dicht des  Choirilos  JSaj.uaxä  ist  frühzeitig  verschollen.  Verschieden  von 
dem  Verfasser  der  Perseis  ist  der  Epiker  Choirilos  aus  lasos  in  Karlen, 
der  Herold  der  Ruhmesthaten  Alexanders,  welcher  durch  Horaz  Ep.  II,  1. 
232  u.  3.  357  f.  eine  traurige  Berühmtheit  erlangt  hat. 


^)  Procl.  ehrest,  p.  230  W. :  ysyovaai 
&8  rov  enovg  novrjral  XQc'ntaroi  ^usy  'Of^ijQog, 
'^Haiocfog,    lleiTap^Qoc.    Uuvvtcaig,   ^Jvxi^u^og, 

'^)  Das  unter  seiner  Statue  stehende,  dem 
Theokrit  zugeschriebene  Gedicht  steht  in 
Anth.  Pal.  9,  598. 

3)  0.  MüLLEE,  Dorier  II,  475  fF. 

■*)  Quint.  X,  1.  56:  Quid?  Herculis  acta 
non  hene  Fisandros? 

^)  WiLAMowiTz,  Euripides  Herakles  I, 
309. 

^)  Der  Historiker  Duris  bei  Suidas  nennt 


ihn  Sohn  des  Diokles  (andere  des  Polyarchos) 
und  macht  ihn  aus  Lokalpatriotismus  zu 
einem  Samier,  weil  er,  wie  Herodot,  zur 
Zeit  seiner  Verbannung  in  Samos  lebte.  Auf 
Inschriften  wird  der  Name  TIavvaxig  ge- 
schrieben. 

')  Clem.  Alex,  ström.  VI,  p.  266. 

^)  Choerili  Samii  quae  supersunt  coli. 
Naeke,  Lips.  1817. 

«)  Plut.  Lysand.  18. 

^")  Marcellinus  vit.  Thuc.  29. 


94  Grieciiisciio  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

72.  Antimachos  aus  Kolophon,i)  der  Dichter  der  Thebais,  lebte  zur 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  bis  in  die  liegierungszeit  des  Artaxerxes 
hinein.-)  Bekannt  ist  die  Anekdote  von  der  Anerkennung,  die  Piaton 
seinen  Dichtungen  schenkte,  womit  sich  derselbe  über  seine  sonstigen 
Misserfolge  tröstete:  Flato  mihi  unus  instar  est  milium.^)  Sein  Hauptwerk 
war  das  weit  ausgesponnene  Epos  Oijßätg.  Aber  mehr  Ansehen  bei  den 
Späteren  verschaffte  ihm  das  grosse,  mindestens  2  B.  umfassende  elegische 
Gedicht  yivSr^,  in  welchem  er  sich  über  den  Tod  seiner  Geliebten  Lyde 
durch  Erzählung  unglücklicher  Liebesverhältnisse  der  mythischen  Vorzeit 
wegzudichten  suchte.'*)  Die  Grammatiker,  die  ihn  als  Hauptvertreter  des 
kraftvollen,  rauhen  Stils  {ccvazrjQd  aQßovia)  betrachteten, •'')  gaben  ihm  die 
nächste  Stelle  nach  Homer,  wozu  Quintilian  X,  1.  53  die  feine  Bemerkung 
macht:  ut  plane  manifesto  apxKoreat,  quanto  sit  aliud  proximum  esse.,  aliud 
secundum. 

73.  Die  religiösen  sirtj.  Den  epischen  Hexameter  und  den  home- 
rischen Dialekt  eigneten  sich  die  Orakel  und  Priester  um  so  eher  an,  als 
sich  schon  die  hieratische  Poesie  vor  Homer  des  Hexameters  bedient  hatte. 
Das  Orakelwesen  und  der  Geheimkult  der  Sühnungen  kam  erst  nach  dem 
8.  Jahrhundert  auf  ;'^)  in  der  Ilias  wird  nur  einmal  und  zwar  in  dem  jungen 
Gesang  der  Presbeia  /  404  der  Schätze  gedacht,  welche  die  eherne  Schwelle 
des  pfeilentsendenden  Gottes  einschliesse,  und  erst  in  der  Erweiterung  des 
Nostos,  Od.  ü-  79  f.,  hören  wir  von  einem  Orakel,  das  Apoll  in  der  heiligen 
Pytho  den  Achäern  gab.  Hesiod  selbst  spricht  in  seinen  echten  Werken 
wohl  von  jener  heiligen  Stätte,  ^)  aber  erst  die  späteren  Fälscher  legten  ihm 
auch  eTTij  i^iaviixa  bei.  In  den  nachfolgenden  Zeiten  entwickelte  sich  unter 
dem  Einfluss  der  Priesterschaft  von  Delphi  und  des  im  6.  Jahrh.  um  sich 
greifenden  Geheimkultus  der  Orphiker  eine  erhebliche  Litteratur  von  mysti- 
schen Gedichten  in  epischem  Versmass. 

Dahin  gehören  vor  allem  die  Orakelsprüche  (/^^yc/io/)  von  Delphi, 
die  seit  dem  6.  Jahrh.  mit  dem  steigenden  politischen  Einfluss  der  delphi- 
schen Priesterschaft  zahlreicher  und  kunstvoller  wurden ;  erhalten  sind 
uns  solche  nur  durch  gelegentliche  Anführungen  bei  Historikern  und  Gram- 
matikern.^) 

Von  dem  Hyperboreer  Abaris,  der  nach  Herodot  IV,  36  mit  einem 


^)  Clarius    lieisst  er   bei  Ovid.  Trist.  I,    |  "*)  Asklepiades    in    Antli.    IX,  G3    preist 

0.  1  nach  dem  benachbarten  Klares.  —  Übej-       überschwenglich  das  Gedicht:  xd  iivpdv  Mov- 


einen  angeblich  älteren  Epiker  Antimachos 
aus  Teos  s.  Immlsch,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
XVII,  129  f. 

'^)  Unter  Artaxerxes  setzt  seine  Blüte 
Diodor  XIII,  108  nach  dem  Chronographen 
Apollodor. 

')  Cic.  Brut.  51;  Plut.  Lys.  18.  Dass 
dagegen  andere  chronologische  Bedenken 
erhoben,  ersieht  man  aus  der  Bemerkung 
des  Suidas:  ytyoi/e  (^e  ttqo  IlXäioji^og.  Hera- 
kleides Pont,  in  Schol.  Plat.  Tim.  I  p.  28e 
erzählt  von  einer  Sammlung  der  Gedichte 
des  Antimachos,  die  sein  Bewunderer  Piaton 


•')  Dionys.  Halic.  cens.  vett.  Script.  II,  '1 
und  de  comp.  verb.  22. 

c)  Lobeck.  Aglaoph.  304-317. 

")  nvi^oL  fV  ijyai^trj  Theog.  499  an  der- 
selben Versstelle,  wie  Od.  f^  80,  was  auf 
gegenseitige  Abhängigkeit  der  beiden  Stellen 
hinweist. 

^)  Hendess,  Oracula  qraeca  in  Diss. 
Hai.  IV  (1877).  Viele  der  angeführten  Orakel 
sind  erst  später  erdichtet  oder  interpoliert 
worden;  namentlich  gilt  dieses  von  den 
Orakeln    in    iambischen    Trimetern    und    ini 


veranlasst  habe.  \   nichtepischen  Dialekt, 


A.  JEpos.    6.  Die  späteren  Epiker.  (§  72—74.) 


95 


von  Apoll  ihm  geschenkten  Pfeil  umherzog,  9  erwähnt  Suidas  skythische 
Orakelsprüche,  ein  Gedicht  von  der  Reise  des  Apoll  zu  den  Hyperboreern, 
Reinigungen  und  eine  Theogonie  in  Prosa.  Offenbar  lebte  der  Schwindler 
nach  Aristeas;  Suidas  setzt  ihn  Ol.  53. 

Von  Epimenides  dem  Kreter,  einem  halbmythischen  Hellseher,  welcher 
nach  Diogenes  und  Suidas  in  der  46.  Olympiade  Athen  vom  kylonischen  Frevel 
reinigte,^)  nach  Piaton  aber  erst  10  Jahre  vor  den  Perserkriegen  in  ähn- 
licher Eigenschaft  nach  Athen  kam,^)  zirkulierten  eine  Orakelsammlung,*) 
eine  Theogonie,  ein  Epos  vom  Argonautenzuge,  überdies  Schriften  über 
Opfer  und  Reinigungen  in  Prosa ;^)  auch  eine  Geschichte  der  fabelhaften 
Teichinen  wurde  von  einigen  unserem  Epimenides  zugeschrieben/') 

Onomakritos,')  der  von  Hipparch  aus  Athen  verjagt  wurde,  weil 
er  von  Lasos  aus  Hermione  der  Fälschung  von  Orakeln  überführt  worden 
war,  der  uns  aber  später  wieder  bei  dem  Perserkönig  als  Freund  des  Peisi- 
stratos  begegnet,^)  Hess  sich  nicht  bloss  von  dem  kunstsinnigen  Tyrannen 
Athens  zu  seinen  litterarischen  Unternehmungen  benützen,  sondern  dichtete 
auch  selbst  ^'/r/y,  welche  nach  den  Citaten  des  Pausanias  VHI,  31  u.  37  und 
IX,  35  in  das  Gebiet  der  Theogonie  einschlugen.  Am  meisten  aber  scheint 
er  sein  versifikatorisches  Geschick  dazu  verwendet  zu  haben,  um  Gedichte 
des  Musaios  und  Orpheus  in  die  Litteratur  einzuschwärzen.^)  Aber  zu  weit 
ging  man  ehedem,  wenn  man  auch  die  uns  erhaltenen  orphischen  Hymnen 
dem  Onomakritos  beilegen  wollte. 

Neben  Onomakritos  werden  noch  Zopyros  aus  Heraklea,  Nikias 
von  Elea  und  die  Pythagoreer  Brontinos  und  Kerkops  als  Verfasser 
solch  mystischer  Dichtungen  genannt,  -  auf  die  wir  unten  bei  den  Orphika 
nochmals  zurückkommen  werden.  Wohl  zahlreicher  noch  als  die  auf  einen 
bestimmten  Namen  zurückgeführten  hieratischen  Gedichte  waren  die  ano- 
nymen, an  den  verschiedenen  Mysterien-  und  Orakelplätzen  (Eleusis.  An- 
dania,  Samothrake,  Delphi,  Dodona)  bei  den  Weihen,  Sühnungen  und  son- 
stigen religiösen  Übungen  gesungenen  Verse. 

74.  Die  philosophischen  Lehrgedichte  {cpiXocroc/a  emj)  waren 
Ausläufer  des  didaktischen  Epos.     Die  Theogonie  des  Hesiod  galt  und  gilt 


^)  Nach  Ps.  Plat.,  Axioch.  p.  371  haben 
die  mystischen  Lehren  von  der  Unterwelt 
Opis  u.  Hekaergos  aus  dem  Hyberboreerland 
auf  eherner  Tafel  nach  Delos  gebracht. 

'')  Diog.  I,  110;  bei  Suidas  ist  6X.  fx&' 
überliefert.  Xenophanes  gab  ihm  nach  Dio- 
genes ein  Leben  von  154,  die  Kreter  gar 
von  299  Jahren,  was  mit  dem  weiten  Ab- 
stand der  ihm  zugeschriebenen  Wiederaufer- 
stehungen zusammenhängt. 

^)  Plat.  legg.  I   p.    G42d;    danach    fiele 
seine    Blüte    500    v.    Chr.;    siehe 
TöPFFER,  Att.  Geneal.  140  ff. 

'')  Arist.  Rhet.  III,  17  p.  1418a  24; 
Plut.  de  orac.  def.  1, 

■"')  Suidas:  tyQucps  cTf  noXld  enLxdÜg  xal 
y.c(T(doyd(^i]t/.  Diog.  1,111:  snoitjae  (fe  Kov- 
QriTOiv  xcd  KoQvßt'ivTMv  y^vsaiv  xmI  ^soXoyiav 
t7T7j  71  evrcixia/iha,  ^Jqyovg  rav7ir]yiciv  le  xal 
Jüaofog    €i^g  KoX/ovg   unönXovv   tn^j    tiuxia- 


dagegen 


/Ihcc  nsvxccxöoia  '  avi'syQaipe  Je  xcd  xcaaloyd- 
JVy^  tisqI  x^vguov  xcdi  Tfjg  kv  Kg/jirj  nohrslag 
xcd  7TS(jI  M'ivoi  xcdi  'Vci(^cifA.dv\^vog  sig  sni]  ts- 
XQaxiGxihcc.  Über  die  geringe  Verlässigkoit 
der  Angaben  vgl.  Hiller,  Rh.  M.  37,  525  f. 
Die  Reste  der  Theogonien  besprochen  von 
Kern,  De  Orpliei,  Epimenidis,  Phcreci/clis 
tlieogoniis,  Berol.  1888. 

^)  Ath.  282  e:  6  jiqy  TeX/tyiccxyi/  laro- 
Qiav  avy^eig,  €it€  'Enifxevi^ijg  eotIv  6  KQt]g 
ij  T)]'kexXEL&t]g  ftr'  ciXlog  zig. 

^)  RiTSCHL,  Onomakritos  von  Athen, 
Opusc.  I,  238  ff. 

«)  Herod.  VII,  6. 

'-•)  Clemens  Alex,  ström,  I,  p.  143:  ov 
rd  eig  \)QCfEa  dvacpSQo^eva  noi7]^ciTci  'Atye- 
rni  Eivai  .  .  .  xal  rovg  fusy  c<ycccpsQo/ut'i'ovg 
slg  Movacdov  /Q7]afxovg  ^OvofxaxQLXov  €h^c<t 
Xiyovaiv. 


96 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


auch  jetzt  noch  als  die  Vorhalle  der  philosophischen  Spekulation.  Was 
war  da  natürlicher,  als  dass  auch  die  ersten  Philosophen  zur  Zeit,  als  es 
noch  keine  Prosa  gab  und  die  Philosophie  noch  nicht  in  der  Dürre  ab- 
strakter Darstellung  ihr  Ideal  suchte,  sich  der  poetischen  Form  und  des 
epischen  Hexameters  bedienten?  Die  ersten  Philosophen  indes,  die  Phy- 
siker im  ionischen  Kleinasien,  und  der  Begründer  der  ethisch-mathematischen 
Richtung  der  Philosophie,  Pythagoras  in  Unteritalien,  schrieben  überhaupt 
nichts,  sondern  beschränkten  sich  auf  mündliche  Unterweisung  ihrer  Schüler 
und  Anhänger,  weshalb  die  spätere  Veröffentlichung  der  Lehre  durch  Schriften 
als  ein  Hinausgeben  {sxdovvai,  edere)  bezeichnet  wurde.  Der  Brauch,  die 
Lehre  zu  veröffentlichen  und  in  der  einschmeichelnden  Form  poetischer 
Einkleidung  hinauszugeben,  kam  durch  die  Eleaten  im  6.  Jahrli.  auf.  Voll- 
ständig ist  uns  von  solchen  philosophischen  Gedichten  nichts  erhalten,  wohl 
aber  sind  zahlreiche  Fragmente  auf  uns  gekommen,  die  sich  durch  poetische 
Schönheit  fast  mehr  noch  als  durch  gedankenreichen  Inhalt  empfehlen,  i) 

Xenophanes  aus  Kolophon,  Gründer  der  eleatischen  Schule,  blühte 
in  der  2.  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  2)  und  brachte  aus  seiner  Heimat,  die  seit 
alters  Sitz  einer  Homeridenschule  war,  die  Übung  des  rhapsodischen  Vor- 
trags mit.-^)  Er  dichtete  selbst  in  der  Manier  der  Genealogen  die  Epen 
KoXo(fMvog  xTidig  und  'AjToixKf^aog  slq  'Eltav  Trjg  ^ItaXiag.  Aber  grössere 
Berühmtheit  brachten  ihm  das  philosophische  Lehrgedicht  ttsqI  (fvas^g  und 
die  gegen  Philosophen  und  Dichter  gerichteten  Spottverse  (Silloi).^)  Als 
Vertreter  des  Monotheismus'*)  eiferte  er  leidenschaftlich  gegen  Homer  und 
Hesiod,  welche  bei  den  Menschen  die  unwürdigen  Vorstellungen  von  den 
Göttern  verbreitet  hätten;  berühmt  sind  die  Verse: 

TCccvTct  O^soTg  dväx^^rjxav  ^'OfxrjQog  ^'  '^Haioöög  ts^ 

odüa  naq    drO^QcoTTOKnv  ovsiöea  xal  ifioyog  iaziv  .  .   . 

o;g  nXeiax'   icfd^ey'^avro  d^scov  d&siiiaTia  eqya, 

xXsTTTSiv  i^ioiyi8V8iv  TS  xal  dXXijXovg  ccTtaTSvinv.^) 
Hohen  Ansehens  erfreuten  sich  auch  seine,  zum  Teil   uns  noch  erhaltenen 
Elegien,  in  denen  er  in  edler  Sprache  den  Vorzug  der  Lehren  der  Weisheit 
vor  den  thörichten  Anschauungen  des  grossen  Haufens  pries. 

Parmenides,    der    angesehenste   unter  den   eleatischen  Philosophen,    I 
der  ausser  seinem  Lehrer  Xenophanes  auch  die  Pythagoreer  Ameinias  und 
Diochaites  hörte,    blühte  nach  Diog.  IX,  23  in  der  69.  (wahrscheinlich  79.) 
Olympiade.')    Sokrates  hat  als  ganz  junger  Mann  (Plat.  Parm.  127a)  den- 


')  Die  Reste  gedruckt  in  den  Samm- 
lungen der  Fragmente  der  griechischen  Philo- 
sophen von  Ritter-Preller,  Karsten,  Mullach. 

'^)  Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen 
I^,  486;  die  Angaben  der  Alten  gehen  weit 
auseinander:  Diog.  IX,  20  setzt  seine  Blüte 
Ol.  GO,  ApoUodor  bei  Clem.  Alex,  ström.  I, 
301  lässt  ihn  von  Ol.  40  bis  zu  den  Zeiten 
des  Kyrus  und  Darius  leben  (s,  Unger  im 
Philol.  43,  209  fif.);  Timaios  macht  ihn  zum 
Zeitgenossen  des  älteren  Hieron  und  Epi- 
charmos  (s.  Plut.  apophth.  reg.  p.  175  c). 
Das  P]ntscheidende  ist,  dass  er  den  Pytha- 
goras und  ihn  Heraklit  erwähnt. 


^)  Diog.  IX,  18  e:    avjog    iQQccipiodsi  tu 

iciVTOV. 

^)  Dass  er  solche  Sillen  geschrieben, 
wenn  der  Titel  otlloi  auch  erst  später  der 
Dichtung  gegeben  sein  sollte,  erweist  neuer- 
dings Wachsmuth,  Sillogr.  gr.  55  ff. 

5)  Vgl.  unten  §  274. 

^)  Darauf  geht  die  Anekdote  bei  Plut. 
apophth.  reg.  p.  175c:  tiqo?  (fe  Sevocpdvr,i^ 
ZOP    KuXocfüjyiop    eiTiöyrci    fxohg    oixsiag   &vo 

nXELOvag  rj  fivQiovg  TQBCpSi  tsd^vrjxojg. 

^)  6ßö'oiuf]xoaT7]i'  statt  thjy.oGTrju  (460  statt 
492)  vermutete  schon  Scaliger,  wahrscheinlich 


A.  Epos.     6.  Die  späteren  Epiker.  (§  74.) 


97 


selben  gehört,  als  er  beiläufig  65  Jahre  alt  von  Italien  nach  Athen  ge- 
kommen war.  Nach  dem  Vorbild  des  Xenophanes  philosophierte  auch  er 
in  Versen.  Im  Eingang  seines  Werkes  ttsqI  (fvaswg  schilderte  er  mit 
grossartiger  Phantasie,  wie  er,  von  den  Sonnentöchtern  geführt,  zu  dem 
Heiligtum  der  Weisheit  aufgefahren  sei  und  dort  aus  dem  Munde  der 
Göttin  die  Lehren  der  ewigen  Wahrheit  und  die  trügerischen  Meinungen 
der  Sterblichen  erfahren  habe.  0 

Empedokles  (geb.  um  492)  leistete  im  philosophischen  Lehrgedichte 
das  Höchste  unter  den  Griechen,  so  dass  Lucrez  voll  Bewunderung  zu  ihm 
aufschaute  und  hauptsächlich  an  ihm  sich  bildete.-)  Geboren  war  er  in 
Agrigent  aus  vornehmem  Hause  und  wirkte  für  das  Wohl  seiner  Vater- 
stadt in  einflussreicher  Stellung.  Zugleich  ragte  er  durch  reiches  Wissen 
in  der  Heilkunde,  Rhetorik^)  und  Philosophie  hervor,  endigte  aber  infolge 
der  Missgunst  seiner  politischen  Gegner  fern  von  seiner  Vaterstadt  im 
Peloponnes.'^)  Schon  im  Leben  nicht  frei  von  pathetischer  Überhebung •^) 
und  geheimnisvoller  Wichtigthuerei,^)  ward  er  vollends  nach  seinem  Tod 
zu  einem  Wundermann  gestempelt.  Nachdem  er  einst,  so  erzählten  die 
einen,  ^)  eine  tote  Frau  zum  Leben  wieder  erweckt  hatte,  veranstaltete  er 
ein  grosses  Opfermahl,  und  wurde  dann  in  der  Nacht,  während  die  an- 
deren schliefen,  von  einer  geheimnisvollen  Stimme  ins  Jenseits  abgerufen. 
Die  anderen  fabelten,  er  sei  auf  den  Ätna  gestiegen  und  habe  sich  selbst 
in  den  Krater  gestürzt,  um  seine  Gottähnlichkeit  zu  besiegeln. 8)  Seine 
Blüte  wird  Ol.  84,  d.  i.  gleichzeitig  mit  der  Gründung  der  athenischen 
Kolonie  Thurii  (444)  gesetzt.  Hinterlassen  hat  er  2  philosophische  Ge- 
dichte, ein  theoretisches  tisqI  ^vascog,  an  seinen  Freund  Pausanias  ge- 
richtet, worin  er  seine  im  Äther  der  Poesie  geborene  Lehre  vom  Streit 
{NsTxog)  und  der  Liebe  {(I^dovr^g)  entwickelte,  und  ein  ethisches,  Kad^aquoC 
betitelt,  worin  er,  ausgehend  von  der  Lehre  der  Seelenwanderung,  seine 
Mitbürger  zur  sittlichen  Reinigung  aufforderte.  Von  beiden  haben  wir 
leider  nur  Fragmente,  aber  ziemlich  zahlreiche  und  solche  von  grösserem 
Umfang.  Poetisch  schön  ist  besonders  die  Schilderung  von  dem  goldenen 
Zeitalter,  wo  statt  dem  Kriegsgott  der  mildherrschenden  Kypris  Unblutige 
Opfer  dargebracht  werden  (fr.  142). 


richtig,  so  dass  damit  das  Jahr  bezeichnet 
wäre;  an  dem  Parmenides  nach  Athen  kam. 
Sokrates,  geb.  Ol.  77,  4,  war  damals  aller- 
dings erst  8  Jahre  alt,  aber  Parmenides 
wird  doch  einige  Jahre  in  Athen  geblieben 
sein,  so  dass  Piaton  schon  eine  Zusammen- 
kunft des  ganz  jungen  {Gcpo^Qcc  viog)  Sokra- 
tes mit  dem  bereits  grau  gewordenen  Par- 
menides annehmen  konnte. 

')  H.  Stein,  Die  Fragmente  des  Par- 
menides neQi  (fvO80}g,  in  Symb.  philol.  Bonn, 
p.  755  ff. 

^)  Lucr.  I,  716:  Quae  {Sicilia)  cum 
magna  modis  multis  miranda  videtur,  Nil 
tarnen  hoc  hdbuisse  viro  praeclarius  in  se, 
Nee  sanctum  mayis  et  mirum  carumque 
indetur ;  Carmina  quin  etinm  divini  pectoris 
eins    Vociferantur    et    exponunt   praeclara 

Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VU.    i 


reperta,  Ut  vix  humana  videatur  stirpe 
creatus.  Vgl.  das  Urteil  des  Aristoteles  bei 
Diog.  VIII,  57. 

^)  Satyros  nach  Diog.  VIII,  58  macht 
den  Gorgias  zu  seinem  Schüler. 

'^}  Diog.  VIII,  67  nach  den  Angaben  des 
Timaios. 

^)  Diog.  VIII,  66  führt  zum  Belege  die 
Worte  an:  XciiQ€i\  eyoj  cT'  vfxfxiv  &€dg  ciu- 
ßQOTog,  ovxeiL  d^vijxdg  TnoXevjuai. 

«)  Ebenda  59. 

')  Diog  VIII,  67  f.  nach  Herakleides 
Pontikos. 

8)  piog.  VIII,  69,  Horaz  a.  p.  464.  Schon 
Timon  in  seinen  Sillen  hatte  die  Grossthuerei 
des  Empedokles  zur  Zielscheibe  seines  Spottes 
gemacht. 

Aull.  7 


98 


Griechische  Litleraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


B.  Lyrik.^) 

1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung. 

75.  Die  verschiedenen  Arten  der  lyrischen  Poesie  wurden  von  den 
Alten  noch  nicht  als  Ganzes  mit  einem  gemeinsamen  Namen  der  epischen 
und  dramatischen  Poesie  gegenübergestellt.  2)  Daran  war  hauptsächlich  der 
Umstand  schuld,  dass  das  unterscheidende  Merkmal  der  Lyrik,  der  singende 
Vortrag,  einerseits  auch  dem  Epos  in  ältester  Zeit  eigen  war,  andererseits 
frühzeitig  von  einigen  Arten  der  lyrischen  Poesie,  wie  dem  Spottgedicht 
und  der  Elegie,  aufgegeben  wurde.  Gleichwohl  war  bei  den  Griechen  die 
Ausbildung  der  Lyrik  in  noch  höherem  Grade  als  bei  uns  mit  der  Geschichte 
der  Musik  verknüpft.  Ausserlich  hat  diese  Verbindung  ihren  Ausdruck 
darin  gefunden,  dass  nicht  bloss  die  Thätigkeit  des  Musikers  und  Dichters 
mit  demselben  Worte  noieiv  bezeichnet,^)  sondern  auch  dem  Texte  des 
Liedes  und  der  Melodie  die  gleiche  Gliederung  [ix^log)  zu  gründe  gelegt 
wurde.  Die  Entwicklung  der  lyrischen  Poesie  hing  daher  mit  der  Ausbil- 
dung einer  kunstvolleren  Gliederung  zusammen,  die  sich  erst  ergab,  als 
man  von  der  einförmigen  Wiederholung  des  gleichen  Verses  zum  Wechsel 
erst  von  verschiedenen  Formen  des  daktylischen  Rhythmus  (Tetrapodien 
Tripodien,  Dipodien,  mit  und  ohne  Katalexe)  und  dann  von  verschiedenen 
Rhythmusgeschlechtern  (Daktylus,  Anapäst,  lambus,  Trochäus,  Päon)  über- 
ging. Bis  zum  8.  Jahrhundert  aber  herrschte  in  der  griechischen  Poesie  einzig 
der  daktylische  Hexameter,  erst  vom  7.  Jahrhundert  an  begegnen  uns  neue 
und  wechselnde  Formen  des  Metrums. 

Aber  schon  Homer  und  vor  Homer  die  thrakischen  Sänger  Orpheus 
und  Thamyris  spielten  die  Phorminx,  und  so  reichen  auch  die  Anfänge 
der  Lyrik  über  den  Beginn  der  Olympiadenrechnung  hinauf.  Nicht  bloss 
gab  es  schon  zu  Homers  Zeiten  Hymnen,  welche  von  den  Sängern  oder 
Kitharisten  an  den  Götterfesten  vorgetragen  wurden,'^)  Homer  kennt  auch 
schon  die  Vereinigung  von  Tanz  und  Musik,  oder  Tanz,  Musik  und  Gesang 
und  erwähnt  neben  dem  geistlichen  Päan  auch  schon  das  weltliche  Lied 
bei  der  Hochzeit  und  der  Weinlese:^)  ein  Knabe  in  der  Mitte  des  Zuges 
der  Winzer  spielt  die  hellklingende  Phorminx  und  singt  dazu  mit  zarter 
Stimme  den  Linosgesang,  die  anderen  folgen  unter  Scherz  und  Jauchzen 
die  Erde  stampfend ;  bei  der  Hochzeit  ertönen  zum  Hymenaios  Flöten  und 


^)  Welcker,  Kleine  Schriften,  Bonn  1844, 
3  Bände,  von  denen  die  2  ersten  wesentlich 
den  Lyrikern  gewidmet  sind.  —  Flach,  Ge- 
schichte der  griech,  Lyrik,  Tüb.  1884,  2  Bde. 
ohne  Pindar.  —  Nageotte,  hist.  de  la  poesie 
hjrique  grecque,  Par.  18S9,  2  Bde.  bis  Pindar 
incl.  —  Poetae  lijrici  ffraeci,  rec.  Bergk,  4. 
Aufl.,  Leipz.  1878,  3  Teile.  -  Anthologie  aus 
den  Lyrikern  der  Griechen,  erklärt  von  E. 
Buchholz,  4.  Aufl.,  Leipz.  1887. 

^)  Arist.  Poet.  1 :  rj  inonoua  xcd  tj  xqa- 
yoi^Lug  noirjGig  xcd  tj  ^L&vQcc^ußixii]  xal  rj 
civXf]Tixt]  xcd  xid^uQiGTixt].  Procl.  ehrest,  p. 
230,  W. :  To  ^i/r]y7]^cmx6v  ixcpbQExca  cTt'  enovg, 
ictfußov    TS    xcd    iXeyeiov  xcd  fxiXovg.     Die  3 


Arten  Xafxßog,  eXsy8Lov,  fzeXog  zusammen  bil- 
den dasjenige,  was  wir  mit  dem  Gattungs- 
begriff Lyrik  bezeichnen. 

2)  Attilius  Fort.  1,  9.  25:  Graeci  erant 
non  tantum  poetae  'perfectissimi  sed  etiam 
musici.  Dasselbe  Wort  fxih]  bezeichnet 
Liedertexte  und  Melodien;  aber  daneben  sind 
auch  beide  unterschieden  von  Alkman  fr.  17: 
tnf]  xc'i^e  xcd  ^ueXog  ^JXxfxcly  F.vQey. 

■*)  11.  J  472  f.  Aristarch  bemerkte  da- 
zu, dass  fieXna)  bei  Homer  nicht  auf  den 
blossen  Gesang  beschränkt  sei;  vgl.  zu  Od. 
C  101.  Mit  jener  Stelle  des  Homer  verbinde 
man  Hymn.  Apoll.  II,  10  u.  336. 

^)  11.  2-  493  u.  569,  Od.  t^  261—5. 


B.  Lyrik.    1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung.  (§  75  -  77.) 


99 


Zithern  zugleich,  während  Jünglinge  im  Tanze  sich  drehen  und  Yortänzer 
ein  mimisches  Spiel  aufführen.^)  Freilich  stehen  die  betreffenden  Stellen 
in  jungen  Gesängen  Homers,  zum  Teil  sogar  in  Interpolationen  junger  Ge- 
sänge, aber  immerhin  bezeugen  sie  für  eine  den  ältesten  Lyrikern  voraus- 
gehende Zeit  die  Übung  des  Gesanges  und  Tanzes  bei  den  Götterfesten, 
der  Hochzeit  und  der  Weinlese. 

76.  Text  und  Melodie  gehen  in  der  griechischen  Poesie  bis  zur  Zeit 
des  peloponnesischen  Krieges  Hand  in  Hand,  so  dass  in  der  Regel  derselbe, 
der  den  Text  dichtete,  auch  die  Melodie  dazu  erfand.  Aber  in  dem  ge- 
schichtlichen Verlauf  ging  die  Ausbildung  der  Musik  der  der  Poesie  voraus 
und  fanden  Melodien  für  Zither  und  namentlich  für  Flöte  in  dem  Volke 
Verbreitung,  ehe  zu  denselben  poetische  Texte  gedichtet  wurden.  Ja  auch 
noch  in  späterer  Zeit  gab  es  zwar  keine  Liedertexte,  zu  denen  nicht  auch 
Melodien  existierten,  wohl  aber  Musikstücke  genug,  welche  lediglich  zum 
Spielen  mit  Instrumenten  bestimmt  waren.  So  stehen  im  Eingang  der 
griechischen  Lyrik  die  Nomoi,  bei  denen  die  Melodien  die  Hauptsache 
ausmachten,  so  dass  zu  denselben  teils  gar  keine  Texte  existierten,  teils 
nur  solche  von  untergeordneter  Bedeutung.  Der  Ausdruck  Nomos,  der  in 
diesem  Sinn  bei  Homer  noch  nicht  vorkommt,  2)  weist  auf  die  gleichmässige 
Taktordnung  hin  ^)  und  hat  dem  Gott,  unter  dessen  Schutz  die  Musik  stund, 
den  Namen  ^AjiöXXmv  vofxiog  eingetragen.  Unterschieden  wurden  Weisen 
für  Zither  (xi^ccga)  und  Flöte  {avXoi),  und  bei  beiden  für  einfaches  Instru- 
mentalspiel [ipih]  fxovaixrj)^  voi^ioi  xidagiaiixüi  und  avlrjTixot,  und  für  Spiel 
mit  Gesang,  vöi^oi  xid^aQO)6ixoi  und  avXo^öixoi.  Die  aulodischen  Nomen 
setzen  natürlich  zwei  Personen,  einen  Flötenspieler  und  einen  Sänger  vor- 
aus; bei  den  kitharodischen,  welche  bei  ihrer  grösseren  Einfachheit  in  ein 
höheres  Alter  hinaufreichen,  war  Sänger  und  Spieler  in  einer  Person  ver- 
einigt.^) Ehe  wir  uns  aber  zu  den  Nomendichtern  selbst  wenden,  müssen 
wir  zuvor  noch  einiges  von  den  Instrumenten  und  dem  Einfluss  der  Fremde 
auf  die  Entwicklung  der  griechischen  Musik  vorausschicken. 

77.  Das  alte  Saiteninstrument  der  homerischen  Zeit  heisst  (p6Qf.uy'^. 
Daneben  kommt  schon  bei  Homer  der  Name  xid^dqa  oder  xid^aqig  vor;^) 
im  Hymnus  auf  Hermes  tritt  dazu  das  später  meistverbreitete  Wort  Xvqa^ 
aber  ohne  dass  mit  den  drei  verschiedenen  Namen  auch  ein  nachweisbarer 


1)  II.  Z  494  ff.  u.  604  ff.,  Od.  (f  18-20. 
Als  Vortänzer  treten  im  Hymnus  des  pythi- 
schen    Apoll  V.  22   Ares    und   Hermes   auf. 

-)  pofxog  bedeutet  bei  Homer  in  der 
Regel  Weideplatz ;  die  Bedeutung  Gesetz  findet 
sich  nur  in  dem  Kompositum  svvo^h]  Od. 
Q  487;  bei  Hesiod  Op.  276  u.  Th.  417  kommt 
auch  das  einfache  v6fj,og  in  dieser  Bedeutung 
vor.  In  übertragener  Bedeutung  findet  sich 
die  Verbindung  ineiou  yojuog  in  einem  jungen 
Vers  der  Ilias  Y  249  und  in  Hes.  Op.  403. 
Von  dem  Gesang  ist  das  Wort  gebraucht  im 
Hymn.  Apoll.  Del.  20:  ndyit]  ydg  xoi,  ^oiße, 
vofxög  ߀ß}.7JaT'  doi&ijg. 

^)  Plut.  de  mus,  6 :  yofj.oi,  ngoarjyogev- 
O^riGap,  eneidrj  ovx  e^fjv  naQaßrjvca  xad-'  txaa- 
xov  vevo^LG^ivov  sidog  xijg  zdasiog. 


■*)  Dass  die  Nomoi  von  einem  Einzelnen, 
nicht  einem  Chor  vorgetragen  wurden,  be- 
zeugt Arist.  Probl.  19,  15.  In  den  hesiodi- 
schen  Versen  Theog.  94  f.:  ix  ydq  MovadiDv 
xal  ixf]ß6Xov  'AnoXliDvog  dv^Qsg  doitfol  eaaiv 
inl  x^opa  xal  xtd^agiarccl  hat  man  in  doidog 
und  xid^aQLOTijg  nur  zwei  Bezeichnungen 
derselben  Person  zu  suchen,  wie  der  Ver- 
fasser des  Schifl:kataloges  B  600  von  dem- 
selben Thamyris  sagt:  ccvrdQ  doi^rju  &eG- 
neoi7]v   dcpeXovxo   xcd    ixXeXad^ou  xix^ciQiGrvy. 

^)  Arist.  Polit.  VIII.  6  p.  1341 '^  17  ff. 
handelt  von  dem  Unterschied  des  einfachen, 
für  die  Übung  der  Freien  allein  geeigneten 
Saiteninstrumentes  auf  der  einen,  und  den 
kunstreicheren  Instrumenten  der  Virtuosen 
auf  der  anderen  Seite. 

7* 


100 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Unterschied  der  Gestalt  des  Instrumentes  verbunden  gewesen  wäre.^)  Als 
Resonanzboden  diente  in  der  Regel  die  Schale  einer  Schildkröte,  wovon 
auch  das  ganze  Instrument  den  Namen  x^^^^  (testudo)  erhielt.  Bespannt 
war  dasselbe  mit  Darmsaiten,  anfangs  mit  4,  seit  Terpander  mit  7,  wovon 
die  Namen  rsTQaxoQ^og  und  inrdxoQSog  seil.  Xvqa  herkommen.  Die  Erfin- 
dung des  Instrumentes  schrieb  die  Sage  dem  Gotte  Hermes  zu,^)  und  da 
sich  auch  das  Wort  (foQf^uy^  aus  der  heimischen  Sprache  {a  fremendo)  er- 
klären lässt,  so  haben  wir  keinen  Grund  den  Gebrauch  desselben  aus  der 
Fremde  herzuleiten.  Wohl  aber  kamen  später  infolge  der  grossen  Ver- 
breitung ausländischer  Harfenspielerinnen  mehrere  fremde  Saitenintrumente 
hinzu,  so  die  Pektis^)  und  Magadis  ^)  aus  Lydien,  die  dreisaitige  Harfe 
(TQiycovog) -')  aus  Syrien,  die  Nebel  ^)  und  Kinyra'')  aus  Phönikien,  endlich 
die  asische  Zither,^)  die  Sambyke^)  und  das  Barbiton.i^^)  —  Die  Flöten,  die 
wir  richtiger  unseren  Klarinetten  vergleichen,  kommen  bei  den  Griechen 
gewöhnlich  nur  im  Plural  vor,  weil  in  der  Regel  ihrer  zwei  zugleich  ge- 
blasen wurden.  Der  Name  stammt  von  griechischer  Wurzel, ^^  aber  das 
Instrument  kam  nicht  bloss  später  als  die  Phorminx  in  Brauch,  sondern 
scheint  auch  aus  der  Fremde,  und  zwar  aus  Phrygien,  nach  Griechenland 
gekommen  zu  sein.  Denn  während  die  homerischen  Sänger  und  Helden 
zur  Phorminx  singen,  hören  wir  den  Lärm  der  Flöten  und  Pfeifen  nur  im 
Lager  der  Troer  (II.  K  13).^^)  Auch  die  Sage  von  Marsyas  und  die  Über- 
lieferungen von  Olympos  führen  nach  Phrygien  als  ursprünglichen  Sitz  des 
Flötenspiels,  für  das  die  Gegend  von  Kelainai  ein  treffliches  Rohr  und  das 
berekynthische  Gebirg  das  treffliche  Holz  des  Buchsbaums  lieferte.  ^^)  Ausser- 
dem kommen  von  ausländischen  Blasinstrumenten  bei  den  Griechen  vor: 
die  ßöfißvHsg,  welche  bei  dem  Kulte  der  thrakischen  Göttin  Kotyto  gespielt 
wurden,  1*)  der  ägyptische  Monaulos,'"*)  die  karischen,  bei  den  Adonisfesten 
gebrauchten  yiyyqoi  avloiA^)  —  Verraten  so  schon  die  meisten  Instrumente 


^)  Im  Hymnus  auf  Hermes  werden  Ivqt] 
und  xix^((Qig  ganz  synonym  gebraucht. 

•')  Hymn.  Merc.  30  ff. 

^)  Phot,  nrjy.jig  '  naydovQtoy  rjzoL  Avdiov 
oQyavov  /(OQig  nhjxTQov  xpaXlöfj.evov.  Herod. 
I,  17  von  dem  Lyderkönig  Alyattes:  eazQci- 
Tsvouxo  vno  GVQLyywp  ts  xal  m]XTidcof  xal 
avXov. 

*)  Magadis,  eine  Harfe  mit  20  Saiten 
bei  Anacr.  fr.  18,  schon  erwähnt  bei  Alk- 
man  fr.  91. 

5)  Erwähnt  bei  Sophocl.  fr.  219.  375 
u.  a. ;  die  syrische  Herkunft  bezeugt  durch 
Ath.  175  d. 

^)  Nebel,  Hauptinstrument  der  .luden, 
kommt  zuerst  bei  Sophocl,  fr.  764  vor. 

^)  Dem  hebräischen  Kinnor  entspricht 
das  griech.  xlvvqu;  davon  scheint  das  seit 
Aischylos  in  Griechenland  verbreitete  Verbum 
xivvQO(xca  herzukommen. 

»)  Bekkle,  An.  gr.  451  u.  Et.  M.  153,  32. 

^)  Sambyke,  vielleicht  aramäisch,  ward 
von  Ibykos  nach  Ath.  175  e  erwähnt. 

^'^)  Das  ßÜQßiTov  soll  nach  Ath.  a.  0. 
Anakreon   erfunden,    d.    i.   in  Gebrauch   ge- 


bracht haben. 

^^)  Die  ursprüngliche  Bedeutung  warge» 
höhlte  Röhre,  in  welchem  Sinn  das  Wort 
noch  bei  Homer  vorkommt. 

'''^)  Dieses  bemerkte  bereits  Aristarch  zu 
X  13  u.  ^  495;  dazu  stimmt  Aristot.  Polit. 
VIII,  7  p.  1342 1>  5;  vgl  An.  3. 

^^)  Über  das  für  die  Flötenzungen  {ykola- 
Gca)  geeignete  Rohr  von  Kelainai  s.  Strab. 
p.  578;  dorthin  verlegte  auch  die  Sage  den 
Streit  des  Marsyas  und  Apoll.  Über  den 
Buchsbaum  vgl.  Hehn,  Kulturpflanzen  202  ff., 
und  Ath.  176  f.:  xovg  yccQ  iXv/novg  av/iovg, 
(i)v  ^v7]^ovevei  ^locpoxXrjg  eu  Nioßrj  rs  xcn' 
TvfxnciviaTaTg,  ovx  aXkovg  iivdg  Bivai  ctxov-  I 
ofxei^  rj  Tot'?  4>Qvyiovg. 

^*)  Erwähnt  von  Aischylos  nach  Strabon 
p.  470. 

'^)  Ath.  175  f.,  Pollux  IV,  75;  nach  der 
ersten  Stelle  kam  er  schon  bei  Sophokles 
vor.  Damit  in  Zusammenhang  steht,  dass 
man  das  Flötenspiel  auch  für  eine  Erfindung 
der  Libyer  ausgab;  s.  Ath.  618c  und  Nonnos 
Dion.  23,  622;  40,  227. 

''')  Äth.  174e  u.  618c,  Pollux  IV,  102. 


B.  Lyrik.     1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung.  (§  78.) 


101 


orientalischen  Ursprung,  so  weisen  noch  viele  andere  Momente  darauf  hin, 
dass  auf  keinem  Gebiete  mehr  als  auf  dem  der  Musik  die  Griechen  An- 
regung von  aussen  empfangen  haben.  Von  den  hauptsächlichsten  Tonarten 
der  Griechen  SMQiaTi\  (fQvyiaTi,  XvSi(fTi,  aloXicTTi,  iaari  haben  zwei  von 
fremden  Ländern,  Phrygien  und  Lydien,  ihren  Namen ;  das  älteste  Lied, 
dessen  Namen  uns  überliefert  ist,  das  Linoslied,  stammt  aus  dem  Orient;^) 
die  Totenklage,  welche  von  jeher  mit  Musik,  Gesang  und  ekstatischen  Ge- 
stikulationen verbunden  war,  trägt  orientalisches  Gepräge; 2)  die  orgiasti- 
schen,  mit  Pauken  und  Flöten  gefeierten  Kulte  der  berekyntischen  Kybele 
und  thrakischen  Bendis  kamen  von  den  Barbaren  zu  den  Griechen. 

Der  Gegensatz  zwischen  Flöte  und  Lyra  spielte  nicht  bloss  in 
den  Götterkulten  und  Landschaften,  sondern  auch  in  dem  ganzen  Verlauf 
der  griechischen  Musik  eine  grosse  Rolle;  er  fand  seinen  symbolischen 
Ausdruck  in  dem  Mythus  vom  Streit  des  Marsyas  und  Apoll. ^)  In  der 
Vorzeit  der  thrakischen  Sänger,  aus  der  keine  Melodie  sich  in  die  historische 
Zeit  rettete,  herrschte  einzig  die  Phorminx.  Der  erste  Aufschwung  der 
Musik  ward  der  Flöte  und  dem  Meister  des  Flötenspiels,  dem  phrygischen 
Olympos,  verdankt.*)  Bald  folgte  ihr  die  Vervollkommnung  des  alten 
Saiteninstrumentes  und  die  Dichtung  neuer  Weisen  für  die  Lyra  durch 
Terpander.  Alsdann  hielten  sich  beide  Musikarten  die  Wage,  so  aber,  dass 
stets  der  saitenlose  Klagegesang  (idXsfxog  aXvqog)  im  Gegensatz  blieb  zu  den 
hehren,  geistbefreienden  Zitherweisen  des  Lichtgottes  Apoll. •'»)  Im  allge- 
meinen aber  gehörte  die  Pflege  und  Kenntnis  der  Musik  bei  den  Hellenen 
zu  dem  Wesen  des  freien  Mannes,  so  dass  auch  in  dem  Unterricht  der 
Knaben  die  Musik  einen  Hauptgegenstand  bildete,  ohne  den  man  sich  eine 
liberalis  educatio  nicht  denken  konnte;^)  durch  die  Musik  erhielten  dann 
auch  die  verschwisterten  Künste  des  Tanzes  und  des  Gesangs  ihre  Weihe 
und  ihre  Ausbildung. 

78.  Olympos,  im  Gegensatz  zu  dem  fabelhaften  älteren  Olympos  der 
jüngere  Olympos  genannt,  lebte  gegen  Ende  des  8.  Jahrhunderts  unter  dem 
phrygischen  König  Midas  II.  (734—695)').  Er  heisst  der  Begründer  der 
hellenischen  Musik  und  galt  als  Dichter  einer  Anzahl  von  auletischen 
Nomen.  ^)     Von  Worten,  die  er  zu  seinen  Melodien  gedichtet,  erfährt  man 


^)  Vgl.  §  13;  dazu  stelle  die  f.isXr]  ToQQ7]ßia 
von  der  lydischen  Stadt  Torrebos  bei 
Steph.  Byz. 

^)  Maqiavövvdg  x^QrjvrjxriQ  bei  Aesch. 
Pers.  992;  vgl.  Kaqixfi  fxovarj  bei  Fiat.  legg. 
VIT  p.  800  e  und  Kccqixov  ^iXog  bei  dem 
Komiker  Piaton  in  den  Adxiovsg  1,  12. 

^)  Vgl.  Baumeister,  Denkmäler  S.  886 
u.  1002. 

^)  Marsyas  und  Hyagnis,  die  angeb- 
lichen Eltern  des  Olympos,  sind  die  mythi- 
schen Erfinder  des  Flötenspiels.  Olympos 
ward  als  jugendlicher  Knabe  neben  Marsyas 
dargestellt  von  Polygnot;  s.  Paus.  X,  30.  9. 

^)  Im  4.  Jahrhundert  thaten  sich  be- 
sonders die  Thebaner  im  Flötenspiel  hervor: 
aus  Theben  stammton  die  berühmten  Flöten- 
virtuosen   Pronomos,   Diodoros,  Antigenidas, 


Timotheos,  Theon,  Dorotheos. 

^)  Darüber  belehrt  insbesondere  Aristo- 
teles im  letzten  Buch  der  Politik.  Bildlich 
ist  dieser  edle  Zweig  der  Jugendbildung  dar- 
gestellt auf  der  Schale  des  Malers  Duris  (um 
450);  s.  Michaelis,  Attischer  Schulunterricht 
auf  einer  Schale  des  Duris,  Arch.  Zeit.  N.  F. 
6  (1873)., 

^)  Über  beide  je  ein  Artikel  des  Suidas, 
wo  es  von  unserem  Olympos,  dem  histori- 
schen, heisst:  'OXvf.inog  4>qv^  vsoiTSQog  ccvXt]- 
Tfjg  yeyoviog  enl  Miöov  xov  FoQ^iov.  Den 
älteren  mythischen  Olympos  setzt  Suidas 
7Tq6  Tiov  jQoyixaiv;  s.  RiTSCHL,  Olvmpus  der 
Aulete,  Opusc.  I,  258—270. 

^)  Plut.  de  mus.  11  (u.  29)  nennt  ihn 
('<QX^])'oi'  frjg  tlhii'ixijg    xui    xcckijg   ^ovoixijg. 


102 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


nichts.  1)  Natürlich  hat  er  seine  Melodien  nicht  niedergeschrieben,  sondern 
durch  Vorspielen  auf  seine  Schüler  verpflanzt.  Um  so  leichter  konnte  sich 
ein  Streit  über  die  Autorschaft  der  ihm  zugeschriebenen  Nomen  erheben. 
Zugeschrieben  aber  wurden  ihm  mit  mehr  oder  minder  Recht  der  vof^wg 
7ioXvxe'(pakog  auf  Apoll,  wohl  von  den  vielen  Absätzen  {xscpaXai)  des  Nomos  so 
benannt, 2)  der  vojjiog  aQ^aareiog,  dem  Namen  nach  für  den  ritterlichen  Wagen- 
wettstreit bestimmt,^)  ferner  Nomoi  auf  Athene,  Ares  und  die  grosse  Götter- 
mutter.^)  Er  galt  ferner  als  Erfinder  des  enharmonischen  Musikgeschlechtes, ^) 
und  mehrerer  neuen  Rhythmen,  wie  des  TTQoaoSiaxog  (-  -v^_v^_  _), 
XOQsTog  (_w_w_^^_.  .)^  ßaxxsiog  (  -  ^^  _  _  v^  _  ).6)  Schüler  des  Olym- 
pos  war  Hierax  aus  Argos,  von  dessen  Erfindungen  Pollux  IV,  79  und 
Plutarch  de  mus.  26  berichten. 

79.  Terpandros  aus  Antissa  in  Lesbos,  dessen  Zeit  sich  dadurch 
bestimmt,  dass  er  Ol.  26  =  676/2  v.  Chr.  an  den  Karneen  in  Sparta  siegte,') 
hat  das  Verdienst  die  kitharodische  Musik  vervollkommnet  zu  haben,  in- 
dem er  zu  den  4  alten  Saiten  3  neue  hinzufügte  und  neben  dem  daktyli- 
schen Rhythmus  auch  mehrere  neue  Rhythmen  gebrauchte.  Er  knüpfte 
also  an  die  Weise  der  thrakischen  und  delphischen  Sänger  und  Kitharisten 
an,  weshalb  die  Sage  das  Haupt  und  die  Leier  des  erschlagenen  Orpheus 
durch  das  Meer  nach  dem  lesbischen  Antissa  schwimmen  liess,^)  und  der 
Grammatiker  Proklos  den  Kreter  Chrysothemis  zum  Vorgänger  unsers  Ter- 
pander  in  der  Nomenpoesie  macht.  ^)  Epochemachend  für  die  Entwicklung 
der  griechischen  Musik  war  die  Berufung  des  Terpander  nach  Sparta,  das 
im  7.  Jahrhundert  nach  der  Bezwingung  Messeniens  eine  Hauptpflegestätte 


^)  Nichts  beweist  das  Scholion  zu  Ari- 
stoph.  Equ.  10:  ^'Olvfxnog  eyQaxps  avh]Xixovg 
xcu  d^QrivrjTi,y.ovg  vo^ovg. 

2)  Die  Erfindung  des  Polykephalos  wird 
der  Athene  selbst  zugeschrieben  von  Pindar 
P.  XII,  nach  andern  dem  Krates,  einem 
Schüler  des  Olympos,  von  Plut.  de  mus  7. 
Pindar  leitet  den  Namen  von  den  vielen 
Schlangenköpfen  des  Gorgonenhauptes  her, 
deren  Klageton  der  Nomos  nachgeahmt  habe. 

^)  Plut.  de  mus.  7;  auffälliger  Weise 
wird  derselbe  Nomos  als  Klageweise  bezeich- 
net von  Eur.  Or.  13P5. 

^)  Plut.  de  mus.  29;  vgl.  Aristoph.  Equ.  9. 

^)  Plut.  de  mus.  11;  danach  bestand 
das  Wesen  der  enharmonischen  Musik  darin, 
dass  bestimmte  Töne  der  diatonischen  Skala 
für  die  Melodie  unbenutzt  blieben;  s.  West- 
PHAL,  Metrik  der  Griechen  im  Verein  mit 
den  übrigen  musischen  Künsten  I'^  265  u. 
413. 

^)  Über  diese  Rhythmen  siehe  meine 
Metrik  ^  253  u.  478.  Ritschl,  Opusc.  1. 260  hat 
aus  der  Notiz  des  Alexander  Polyhistor  bei  Plut. 
de  mus.  5,  XQOVfiara  "OXvfinoy  txqiotov  sig  Tovg 
'^'EXkfjyccg  xo/uiaai,  geschlossen,  dass  Olympos 
ausser  auletischen  auch  kitharistische  Melo- 
dien gedichtet  habe.^  Aber  dagegen  spricht 
die  ganze  übrige  Überlieferung;  vielmehr 
scheint  das  Wort  xQovfAcaa  hier  in  dem  all- 
gemeinen Sinn  von  Tonweisen,  nicht  in  dem 


speziellen  von  Zithermelodien  gebraucht  zu 
sein,  wie  Suidas  sagt:  "Olvfxnog  rjysfxdyp  rrjg 
xQovfxarixrjg  fxovGixrjg  rrjg  did  tdüv  xqov- 
fxdxoyy. 

^)  Ath.  635  e:  rd  Kkqpslcc  nqiaxog  ndv- 
T(x)v  TegnavÖQog  PLxa,  ujg  '^Elldrixog  laxoQsl 
ev  xe  xoTg  EfXfxixQoig  xctQveovixcag  xdv  xoTg 
xaxaXoyddt]^  '  eyevsxo  de  ri  ^iaig  rwv  Kctq- 
veloiv  xaxd  xrjv  exxr^v  xal  slxoaxrjv  ^OXvfi- 
nidda.  Danach  war  Terpander  um  etwas 
geringes  älter  als  Archilochos,  wie  auch 
Glaukos  bei  Plut.  de  mus.  4  bezeugt  und 
Westphal,  Vhdl.  d.  17.  Vers.  d.  Phil.  S. 
51 — QQ  aus  der  Geschichte  der  Musik  nach- 
weist. Umgekehrt  setzen  den  Terpander 
später  als  Archilochos  an  der  Peripatetiker 
Phanias  bei  Clemens  Alex,  ström.  I,  308  u. 
333,  das  Marm.  Parium  zu  Ol.  33,  4  =  645 
V.  Chr.,   und  Eusebios  zu   Ol.  36,  2  =  635. 

«}  Phanokles  bei  Stob.  Flor.  64,  14; 
Antig.  bist.  mir.  5;  Ovid.  met.  XI,  50;  Lucian 
adv.  ind.  11. 

9)  Procl.  ehrest,  p.  245,  2  W.:  Xqvgo- 
x^Sfj.ig  6  Kqrjg  nqcoxog  axoXfj  /Qr]adfxsvog  ix- 
TTQETiSi  xal  xiyhdQCiv  dvaXaßoji'  sig  fulfirjaiy 
xov  'AnoXlMvog  ^ovog  rjas  .  .  .  doxel  de  Teg- 
navdQog  fxev  TiQioxog  xsXsimgki,  xov  vojxov 
oJQüJM  fus'xQo)  xQrjadfxeuog.  Bis  auf  den  my- 
thischen Amphion  geht  zurück  Herakleides 
bei  Plut.  de  mus.  3. 


B.  Lyrik.    1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung.  (§  79—80.) 


103 


der  Musik  und  der  Götterfeste  war.  Spätere  sagenhafte  Ausschmückung  hat 
dieser  Berufung  die  politische  Absicht  einer  Beschwichtigung  der  Parteien 
untergelegt.^)  Sicher  ist,  dass  der  äolische  Musiker  in  Sparta  mit  grosser 
Auszeichnung  aufgenommen  wurde,  woher  der  sprichwörtliche  Ausdruck 
entstand:  fisTa  Aeaßiov  (o^or,  d.  i.  zuerst  der  lesbische  Sänger  und  dann 
die  andern. 2)  Die  Namen  der  kitharodischen  Nomen  Terpanders  waren: 
Boio)Ttog,  Alohog,  xQoxcctog^  o§vg,  Ktjtticov,  TeQTCccv^Qiog,  Tsr^aoiSiog;  ausser- 
dem hatte  er  kitharodische  Prooimia,  d.  i.  Melodien  zu  Hymnen  gedichtet.^) 
Allen  diesen  Kompositionen  lagen  Texte  zu  grund;  i)  als  Text  benützte 
er  teils  Dichtungen  Homers,  vermutlich  auch  homerische  Hymnen,  teils 
dichtete  er  selbst  eigene  Verse  in  langgedehnten  Rhythmen,  wovon  uns 
ein  paar  dürftige  Reste  erhalten  sind,  wie: 

Zsv  ndvTMV  ciQ'/^d^ 

udvTMV  dyrjTO)Q, 

Zsv  Zsv,  aol  (f/TsvSa) 

Tamav  v{-Ivmv  dq%dvJ') 
Die  grösseren  Nomen  waren  selbst  wieder,  ähnlich  wie  unsere  Symphonien 
und  Kantaten,  in  mehrere  Sätze  gegliedert.  Nach  Pollux  IV,  'oQ  hatten 
die  terpandrischen  Nomen  7  Teile:  «(>/«,  i.isTccQ%d,  xaTaTQond,  iisraxara- 
TQOTidj  ofKfakog  (transp.  Westph.:  oficpaXögj  iLiSTaxarargoTta),  c^cfQayig^  ini- 
Xoyog.^)  Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  Terpander  von  Plut.  de  mus. 
28  auch  als  Dichter  von  Trinkliedern  {anoXid)  gepriesen  wird. 

80.  Klonas,  Polymnastos,  Sakadas,  Echembrotos  waren  die 
Hauptvertreter  der  erst  nach  Terpander  aufgekommenen  aulodischen  Nomen. 
Von  diesen  hat  Klonas,  den  die  einen  zu  einem  Tegeaten,  die  anderen  zu 
einem  Thebaner  machten,'^)  die  aulodische  Nomenpoesie  begründet  und  zu 
seinen  Melodien  Elegien  und  Hexameter  gedichtet.^)  Wenn  demselben  auch 
Prosodien  beigelegt  werden,  so  sieht  man  daraus,  dass  schon  damals  aulo- 
dische Kompositionen  vorzugsweise  zum  Vortrag  bei  Prozessionen  bestimmt 
waren.  ^)  Sakadas  aus  Argos,  der  Verfasser  von  /ii'Aiy  und  iXsysla  ij^s/xe- 
lononqixsva,^^)  war  der  Dichter  des  berühmten  auletischen  vöaog  JIvdiKog, 
der  den  Kampf  des  Gottes  Apoll  mit  dem  Drachen  Python  darstellte.!^) 
Seine  Zeit  wird  dadurch  genau  bestimmt,  dass  er  nach  Paus.  X,  7.  4  in 
den   Jahren   586,   582   und   578   bei   den  pythischen  Wettkämpfen   siegte. 


1)  Plut.  de  mus.  42;  Aelian  V.  H.  XII, 
50;  Zenob.  5,  9. 

^)  Alistot.  fr.  497,  wo  von  Rose  die 
ganze  Litteratur  zusammengetragen  ist.  Die 
4  Siege  des  Terpander  in  Delphoi  scheinen 
spätere  Erfindungen  zu  sein,  da  wir  aus  so 
früher  Zeit  nichts  von  Wettkämpfen  in  Delphi 
wissen. 

2)  Plut.  de  mus,  4;  Schol.  Arist.  Nub.  595. 
'^)  Die  \pih]  xixhaQiacg   wurde  nach  Ath. 

637  f.  erst  durch  den  Argiver  Aristonikos, 
Zeitgenossen  des  Archilochos,  eingeführt. 

^)  Das  Fragment  wird  nur  vermutungs- 
v/eise  dem  Terpander  zugeschrieben. 

6)  Nach  Poil.  IV,  84  und  Strab.  p.  421 
hatte  der  berühmte  ilvx^iy.dg  vöfxog  des  Sa- 
kadas 5  Teile,   worüber  Lübbert,    De   Fiii- 


clari  carminum  comj^ositione.  Plut.  de  mus. 
33  erwähnt  auch  Kompositionen  von  3  Teilen 
{ccQ/tj,  jue'aoy,  axßaaig).  Auf  die  Bedeutung 
dieser  Teile  für  die  spätere  Poesie  werden 
wir  bei  Pindar  zurückkommen. 

^)  Plut.  de  mus.  35. 

®)  Plut.  de  mus.  3. 

'•^)  Da  Polymnastos  auch  von  Alkman 
fr.  114  erwähnt  ward,  so  wird  er  in  der 
2.  Hälfte,  Klonas  in  der  Mitte  des  7.  Jahrh. 
geblüht  haben. 

'")  Plut.  de  mus.  8. 

^ ')  GuHRAUEK,  Der  pythische  Nomos,  eine 
Studie  zur  griech.  Musikgeschichte,  Jahrb. 
f.  Phil.  Suppl.  8.  Ath.  GlOc  führt  von  Sa- 
kadas auch  eine  U^iov  nsQaig  an. 


104 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Von  ihm  oder  Polymnastos  rührte  auch  der  voiiog  TQipsQrjg  (oder  TQifiieXr^g) 
her,  von  dessen  3  Strophen  jede  in  einer  anderen  Tonart  (Swqktti,  (fqvyiaxi, 
Ivöiati)  gesetzt  war.  Gleichzeitig  mit  Sakadas  war  der  Arkadier  Echem- 
brotos,  der  bei  den  ersten  pythischen  Spielen  (586  oder  591)  mit  einem 
aulodischen  Nomos  siegte,  aber  durch  den  traurigen  Charakter  seiner  Dich- 
tung Anlass  gab,  dass  die  Gattung  der  aulodischen  Nomen  wieder  aus  der 
Liste  der  zulässigen  Dichtungen  gestrichen  wurde.') 

81.  Kreta  war  neben  Pierien,  Phrygien,  Lydien,  Lesbos  ein  Haupt- 
ausgangspunkt der  griechischen  Musik,  speziell  der  Orchestik.  Schon  Homer 
schildert  den  Tanzplatz  {xoQog)  der  Ariadne  im  kretischen  Knossos  (.^590  ff.) 
unb  nennt  den  Kreter  Meriones  einen  Tänzer  {oQxrjarrig  TL  6 17).  2)  Wie 
die  übrigen  Künste,  so  war  auch  der  Tanz  in  Kreta  in  den  Dienst  der 
Gottheit  gestellt;  so  galten  die  Päane  den  Festen  des  Heilgottes  Apoll  und 
die  Waffentänze  denen  des  Kriegsgottes  Ares.  3)  Schwerlich  indes  waren 
dies  alte  nationale  Tänze;  vielmehr  scheinen  dieselben  unter  orientalischen 
Einflüssen  entstanden  zu  sein.  Dahin  weist  die  Verwandtschaft  der  kreti- 
schen Kureten  mit  den  phrygischen  Korybanten  und  die  Verbindung  der 
idäischen  Daktylen  und  Kureten  mit  dem  Kultus  der  grossen  Göttermutter.*) 
Wir  werden  daher  wie  die  Götterkulte  so  auch  die  Ausbildung  des  Tanzes 
und  der  Musik  bei  den  Kretern  auf  phrygischen  Einfluss  zurückführen  und 
diesen  mit  der  phrygischen  Thalassokratie  •^)  in  Verbindung  bringen  dürfen. 
Von  Kreta  verbreitete  sich  dann  der  religiöse  Tanz  und  Gesang  nach  Delphi 
und  Sparta;  nach  Delphi  brachte  ihn  in  alter  Zeit  der  kretische  Sänger 
Chrysothemis,^)  nach  Sparta  Thaletas  aus  Gortyn.  Der  letztere  ward 
zur  Zeit  einer  Pest  von  den  Lakedämoniern  berufen,  um  durch  religiöse 
Zeremonien  (sTicodai)  den  Zorn  der  Götter  zu  beschwichtigen.')  Bei  dieser 
Gelegenheit,  wahrscheinlich  im  Jahre  665,  in  welches  Jahr  Eusebios  die 
Einführung  der  Gymnopaideia  in  Sparta  setzt,  führte  er  die  in  feierlichem 
Tanze  aufgeführten  Heillieder  an  Apoll,  die  Päane  und  die  in  raschem 
Takte  sich  bewegenden  kriegerischen  Tänze  der  Pyrrhiche  (vTroQxrjl^aTa)  in 
Sparta  ein.^)     Deshalb  wird  er  von  Plut.  de  mus.  9  zusammen  mit  Xeno- 


1)  Paus.  X,  7.  86  hat  die  Aufschrift  des 
ehernen  Dreifusses  erhalten,  den  Echem- 
brotos  ob  eines  Sieges  nach  Theben  stiftete : 
'E/B/LißQOTog  ^jQxdg  eS^rjxsu  tm  'Hqax'ksL  vixrjüccq 
roc)"  äyciXfxic,  Jfiq)ixTv6p(t)v  ev  ded^Xoig,'EX'kr]aiv 
liei&ioy  fxsXsa  xciXsyovg. 

2)  Auch  Sappho  fr.  54  besingt  den  Tanz 
der  Kreterinnen  um  den  reizenden  Altar. 
Über  die  Tänze  der  Kreter  im  allgemeinen 
Aristoxenos  bei  Ath.  630  b  und  Sosibios  in 
Schol.  Find.  F.  II,  127.  Von  Kreta  benannt 
ist  der  Qv&fxSg  KQtjiiKog    -i   w   _    z  w   _ 

^)  Das  waren  die  evonhog  oQX7]aig  bei 
Strabon  p.  480  und  die  evönhu  Tndyvia  des 
Piaton  Legg.  VII,  p.  796  b. 

4)  Diodor  XVII,  7;  Strabon  p.  473.  An 
die  Waffentänze  der  Kreter  erinnern  die 
Tänze  und  Lieder  der  römischen  Salier;  ob 
aber  dabei  an  griechischen  Einfluss  zu  denken 
sei,  ist  problematisch. 

^)  Euseb.  zu  904  a.  Chr.:  4>^vysg7ie^nToi 


E^alctaGoxQttrrjGca'  EXt]  xe  (904 — 879).  Spe- 
ziell an  Olympos  knüpfte  Thaletas  an  nach 
Plut.  de  mus.  10. 

*^)  Mythisch  ist  die  Verbindung  von 
Kreta  und  Delphi  dargestellt  im  Hymnus 
auf  den  pythischen  Apoll  218  ff.  u.  336  ff. 
Das  Verhältnis  kehrt  um  Wilamowitz,  Eur. 
Herakl.  I,  265:  wenn  der  homerische  Hym- 
nus an  Apollon,  der  in  diesen  Teilen  dem 
Ende  des  7.  Jahrh.  angehört,  die  del- 
phischen Priester  aus  Kreta  holt,  so  zeigt 
sich  darin  die  später  so  häufige  Vorstellung, 
dass  Kreta  der  Sitz  der  reinen  Derer  ist, 
in  naiver  Umkehrung  des  Verhältnisses,  in 
Wahrheit  waren  die  Derer  vom  Parnass  nach 
Kreta  gezogen. 

^)  So  sagte  Pratinas  in  irgend  einem 
Lied  nach  Plut.  de  mus.  42. 

^)  Plut.  de  mus,  9  und  Schol.  Pind. 
P.  II,  127. 


B.  Lyrik.     1.  Anfänge  der  Lyrik,  Nomendichtung.  (81—82.) 


105 


damos  von  Kytliera  und  Xenokritos  aus  dem  unteritalischen  Lokris  9  Be- 
gründer der  zweiten  Musikperiode  in  Sparta  {dsvrsqac  xarccaiccaeMg  tmv 
tcsqI  tyjv  fjiov(Tixrjv  iv  rrj  ^nagTi])  genannt.  Der  Einführung  der  Karneen 
und  Gymnopädien  in  Sparta  folgten  bald  ähnliche  mit  Musik  und  Tanz  be- 
gangene Feste  bei  den  übrigen  Griechen,  die  Apodeixeis  (inidsC^sig  em. 
Hiller)  in  Arkadien,  die  Apodymatia  in  Argos,^)  die  Festspiele  des  Apoll 
in  Delphi  (seit  591  oder  586)  und  Delos,^)  die  Pythien  in  Sikyon,^)  die 
Panathenäen  in  Athen, 5)  die  Hyakinthien  in  Samos,^)  die  Museia  und  Ero- 
tidia  in  Thespiä.^) 

82.  Blicken  wir  zum  Schluss  nochmals  zurück  auf  jene  älteste,  text- 
arme Periode  der  griechischen  Lyrik  und  Musik,  so  sehen  wir,  dass  sich  im 
Laufe  des  7.  Jahrhunderts  all  jene  Elemente  entwickelt  haben,  die  wir  später 
in  der  Glanzperiode  der  griechischen  Lyrik  vereinigt  sehen.  In  typischen 
Gegensätzen  bildeten  sich  die  Hauptarten  der  Musik  aus,  gebunden  an  den 
Unterschied  des  scharfen  Flötentones  und  des  weichen  Saitenklanges,  der 
ernsten  Totenklage  und  des  apollinischen  Bittgesanges.  Zu  dem  eintöni- 
gen, feierlich  ernsten  Rhythmus  des  daktylischen  Taktgeschlechtes  gesellten 
sich  der  rasche  Gang  des  spitzigen  Jambus  und  rollenden  Trochäus  sowie 
der  energische  Schritt  des  anapästischen  Marschgesangs  {nQoaoSiaxog),  Neben 
dem  Dreitakter  (Tripodie)  und  dem  aus  dessen  Wiederholung  entstandenen 
Hexameter  kamen  die  ebenmässigeren,  in  geraden  Zahlenverhältnissen  sich 
aufbauenden  Sätze,  die  Tetrapodien,  Dimeter  und  Tetrameter,  wieder  zur  Gel- 
tung;^) ja  es  begannen  sich  bereits  die  verschiedenen  Rhythmen  und  Takt- 
grössen  zu  mischen,  wie  in  der  Weihinschrift  des  Arkadiers  Echembrotos'^) 

'Ex^fJ^ßQOTog  'AQxdg  k'd^r^xsv  ~ 

TO)  '^HqaxXei 

vixrjcTag  rod'  ayccX^xa^ 

'A{.i(pixTi6v(jov  iv  aeMoig  ^  j^^,^  _  ^^^ 

'EkXrjcXiv  dsiScov  —  j.  <.^  - 

fXsXsa  xdXeyovg.  ^  v^  _  ^^  _ 


0  Auf  die  Bedeutung  dieses  Xenokritos 
in  der  Musik  weist  der  Umstand  hin,  dass 
die  Griechen  auch  eine  lokrische  Harmonie 
aufstellten. 

2)  Plut.  de  mus.  9;  Ath.  626  b:  Polyb. 
IV,  20.  8. 

^)  Hymn.  Ap.  I,  150;  Paus.  X,  7.  4. 

^)  Allmählich  erweitert  aus  gymnischen 
Wettkämpfen  zu  rhapsodischen  dann  lyri- 
schen, s.  Bergk,  Gr.  Litt.  IT,  149. 

^)  Sicher  seit  Perikles  nach  Plut.  Per.  13. 

«)  Ath.  139  e. 

^)  Paus.  IX,  31.  3;  von  diesen  freilich 
und  den  Hyakinthien  ist  die  Zeit  der  Ein- 
führung nicht  bestimmbar.  Vgl.  Reisch,  De 
musicis  Graecorum  certaniinibus,  Vind.  1885. 

^)  Ich  sagte  „wieder  zur  Geltung",  da 
die  Zusammenfügung  von  2  Füssen  zu  einer 
Dipodie  und  von  2  Dipodien  zu  einem  Di- 
meter von  Natur  einfacher  ist  und  sich 
auch  durch  ihr  Vorkommen  bei  anderen  Völ- 
kern    als     verbreiteter    und    älter    erweist. 


Diesem  Grundgedanken  von  Usener's  Buch 
über  den  altgriechischen  Versbau  stimme 
ich  vollständig  bei;  aber  den  Versuch,  die 
Hälften  des  Hexameters  nun  auch  zu  solchen 
Viertaktern  zu  machen,  halte  ich  für  eitle 
Liebesmühe:  im  Anfang  steht  eben  die 
Messung  nach  der  Zahl  der  Ikten,  nicht  nach 
der  der  Sylben;  die  beiden  Teile  des  Hexa- 
meters aber  haben  nur  je  3  Ikten,  und  die 
wiederholte  Erhöhung  der  3  Ikten  auf  4  durch 
die  an  und  für  sich  nicht  unmögliche  rhyth- 
mische Messung  -^  <^<^  -^  ^-^  -  -i 
würde  eine  unsägliche  Langweile  in  diese 
herrlichste  Schöpfung  der  griechischen  Poesie 
bringen. 

^)  Die  Aufschrift  ist  uns  erhalten  durch 
Paus.  X,  7.  Si);  einen  Versuch,  den  Schluss- 
teil in  Distichen  zu  zwängen,  gebe  ich  auf, 
da  er  auf  einfache  Weise  nicht  gelingt  und 
da  auch  andere  Weihinschriften,  wie  die  zu 
Dodona  gefundenen,  in  Prosodiacis  und  Ado- 
niis  abgefasst  sind. 


106  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Die  Ausbildung  der  Rhythmengeschlechter  hatte  zwar  auch  auf  die  Musik 
Bezug  und  wirkte  bereichernd  und  belebend  auf  sie  zurück,  sie  hing  aber 
doch  hauptsächlich  mit  der  Entwicklung  des  dritten  Hauptfaktors  der  griechi- 
schen Lyrik,  des  Tanzes,  zusammen.  Denn  beide,  Rhythmus  und  Tanz,  gingen 
derart  Hand  in  Hand  bei  den  Griechen,  dass  dieselben  zur  Bezeichnung  der 
rhythmischen  Begriffe  Takt,  Doppeltakt,  Auftakt  lauter  von  dem  Tanz  und  dem 
Schreiten  hergeholte  Ausdrücke  {ttovq,  ßdaig,  uQocrodiaxdg,  jisQiodog,  (TTQ0(f7], 
ccvTiaTQO(frj)  gebrauchten.  Die  Liebe  zu  dem  Tanz,  nicht  dem  einförmigen  Rasen 
unserer  Walzer,  sondern  den  eurythmischen  Bewegungen  religiöser  Fest- 
feier, war  den  Griechen  schon  zu  Homers  Zeiten  in  Fleisch  und  Blut  über- 
gegangen; nicht  bloss  tanzen  bei  ihm  die  Jünglinge  bei  der  Hochzeit  und 
Weinlese,^)  auch  zur  Versöhnung  des  Apoll  führen  die  Söhne  der  Achäer 
Reigen  auf,  zum  Tanze  den  Päan  singend  {A  472).  2)  Glänzendere  Entfal- 
tung fand  dann  aber  in  unserer  Periode  die  Orchestik  auf  der  Lisel  Kreta; 
von  dort  verbreitete  sie  sich  über  die  verwandten  Staaten  der  Dorier  auf 
dem  Festland,  später  auch  über  das  übrige  Griechenland,  so  dass  bald 
kein  Götterfest,  keine  militärische  Parade  ohne  Tanz  und  rhythmischen 
Aufzug  begangen  wurde. 

Zu  dem  Aufschwung  der  drei  verschwisterten  Künste  Musik,  Rhyth- 
mik, Orchestik,  hatten  verschiedene  Stämme  Griechenlands  mitgewirkt,  zu- 
meist die  Aeolier  Kleinasiens  und  die  Dorier  in  Kreta,  Delphi,  Sparta; 
neben  den  Griechen  hatten  aber  auch  die  Barbaren  Phrygiens  und  Lydiens 
ihren  guten  Anteil  an  der  neuen  Kunstblüte,  indem  teils  Musiker  jener 
Nachbarländer  mit  ihren  heimatlichen  Instrumenten  und  Sangweisen  nach 
den  griechischen  Kolonien  Kleinasiens  kamen,  teils  leichtfassende  Griechen 
den  Fremden  ihre  Melodien  ablauschten  und  zu  ihnen  griechische  Text- 
worte dichteten.  Das  Zusammenwirken  dieser  verschiedenen  Kräfte  drückt 
sich  in  den  Namen  der  hauptsächlichsten  griechischen  Tonarten  aus,  der 
dorischen,  äolischen,  phrygischen,  lydischen.^)  Diese  Tonarten  oder  Har- 
monien sind  ihrer  technischen  Bedeutung  nach  nur  verschiedene  Oktaven- 
gattungen und  Transpositionsskalen,  ^)  aber  mit  der  verschiedenen  Skala 
und  dem  verschiedenen  Schlusston  hatte  sich  auch  ein  verschiedenes  Ethos 
verbunden,  so  dass  die  dorischen  Melodien  würdevolle  Ruhe,  die  phrygi- 
schen orgiastische  Begeisterung,  die  lydischen  zarte  Weich  eit,  die  äolischen 
ritterlichen  Stolz   atmeten. ^^)     Diese  Unterschiede   des  Ethos   erklären   sich 


^)  Siehe  oben  §  75. 

2)  In  Attika  existierte  ein  Geschlecht 
Evi^sTöca,  das  Hesychios  als  yevog  6Q)[7]ai(dv 
y.al  xi^ccQiarioy  bezeichnet,  und  das  bei  Staats- 
festen {ieQovQyUa)  den  Dienst  von  Tänzern, 
Kitharaspielern  und  Sängern  versah. 

■^)  Ptolemaios  Harm.  2,  G  und  Bakcheios  c. 
12  unterscheiden  nur  -3  Haupttonarten :  JcoQioy, 
'pQvyiov^  Av^iov.  Weniger  Beachtung  ver- 
dient Herakleides  Pontikos  bei  Ath.  624  c, 
(vgl .  Pollux  IV,  65),  der  unter  einseitiger 
Betonung  des  Reinhellenischen  3,  den  3  Volks- 
stämmen der  Dorier,  Aolier,  lonier  entspre- 
chende Tonarten  annimmt.  Zu  den  3  Grund- 
tonarten des  Ptolemaios  kamen  das  Ilypodo- 


rische  oder  Äolische,  das  Hypophrygische 
oder  Ionische,  das  Mixolydische.  Das  Ioni- 
sche, dem  Herakleides  a.  0.  etwas  Herbes 
und  Stolzes,  Plato  de  rep.  398  richtiger  (vgl. 
Aesch.  Suppl.  69),  etwas  Weiches  und  Trun- 
kenes beimass,  kam  erst  durch  Pythermos 
auf,  der  nach  Ath.  625  c  vor  Ananios  und 
Hipponax  gelebt  haben  soll;  das  Mixolydische 
hat  nach  Plut.  de  mus.  28  zuerst  Sappho 
und  dann  die  Tragödie  gebraucht. 

^)  Das  Nähere  lehrt  mit  Sachkenntnis 
und  genialer  Kombinationsgabe  Westphal 
in  dem  der  Rhythmik  und  Harmonik  ge- 
widmeten Bande  seiner  Metrik  der  Griechen. 

"')  Über    das  Ethos    der    Tonarten,    das 


B.  Lyrik.     2.  Die  Elegie.  (§  83.) 


107 


kaum  zur  Genüge  aus  der  Natur  der  Skalen ;  sie  hatten  wohl  ihren  Haupt- 
grund darin,  dass  von  vornherein  die  in  den  betreffenden  Tonarten  gesetzten 
Lieder  einen  bestimmten  Charakter  in  Stimmung  und  Rhythmus^)  hatten, 
und  dass  dieser  auch  in  der  Folgezeit  in  den  neuen  Melodien  und  Ge- 
sängen beibehalten  wurde. 

Auf  solche  Weise  hatte  die  griechische  Lyrik  aus  der  älteren  Zeit 
einen  reichen  Fond  von  Melodien,  Rhythmen  und  Tanzbewegungen  ererbt; 
die  Dichter  der  nachfolgenden  Periode,  zu  der  wir  uns  jetzt  wenden,  haben 
dafür  gesorgt,  dass  es  nun  auch  nicht  an  Versen  und  Texten  für  diesen 
musikalischen  Formenreichtum  fehlte.  Es  fiel  aber  die  Blüte  der  neuen 
Gattung  der  lyrischen  Poesie  in  eine  Zeit,  in  der  die  alte  Ordnung  des 
patriarchalischen  Königtums  in  die  Brüche  ging  und  unter  Kämpfen  und 
Parteiungen  eine  neue  Zeit  republikanischer  Staatsverfassung  und  freierer 
Bewegung  allwärts  in  Griechenland  heranbrach.  Zum  Ausdruck  der  sub- 
jektiven Gefühle  und  Empfindungen,  die  durch  den  Umschwung  der  politi- 
schen Verhältnisse  geweckt  und  genährt  wurden,  eignete  sich  aber  die 
lyrische  Poesie  ungleich  besser  als  die  epische.  Kein  Wunder  also,  dass  im 
7.  und  6.  Jahrhundert  die  lyrischen  Dichtungen  sich  des  grösseren  Anklangs 
erfreuten  und  die  litterarische  Produktion  beherrschten. 


2.  Die  Elegie.') 

83.  Am  wenigsten  entfernte  sich  von  der  alten  Sangweise  der  epischen 
Poesie  die  Elegie.  Im  elegischen  Distichon  wurden  nur  2  Verse  zur  Einheit 
einer  Periode  verbunden,  und  der  2.  Vers  gehörte  der  gleichen  Gattung  des 
daktylischen  Rhythmengeschlechtes  wie  der  erste  an.  Diesem  2.  Vers,  der 
aus  2  katalektischen  Tripodien  bestand,  gebührte  speziell  der  Name  slsyog. 
Denn  sXsyog  bedeutete  ursprünglich  ein  Klagelied,^)  zur  Klage  aber  eignete 
sich  vortrefflich  jener  Vers,  mochte  man  nun  durch  Pausen  die  Unter- 
brechungen des  geraden  Ganges  ausfüllen  oder  die  Schlusslängen  zu  lang- 
angehaltenen Klagetönen*)  anschwellen  lassen: 


>^.-^^   _  '^^^^ 


—    ^-.A_/    _    \..,A_y   I I  oder  —  ""-^-^  — 


7\         _       ^.-v>'       —       V>^^       —  7^ 


Von  dem  einfachen  elsyog  ist  das  abgeleitete  sXsysiov  sc.  sTtog^)  oder 
ilsysia   sc.  oiöri  abgeleitet,   um  die   aus   den   2  Versen,   dem   daktylischen 


auch  für  die  Erziehung  der  Jugend  von  Be- 
deutung war,  handeln  Piaton  de  rep.  p.  398, 
Aristoteles  Polit.  VIII  5-7  u.  Probl.  19,48, 
Herakleides  Pontikos  bei  Ath.  624  ff. 

^)  So  passten  die  schweren  Daktylo-Epi- 
triten  zur  dorischen  Tonart,  die  Choriamben 
und  Päone  zur  äolischen,  die  Bacchiaci  und 
Prosodiaci  zur  phrygischen,  die  Logaöden  zur 
lydischen  und  mixolydischen,  die  lambo- 
Trochäen  und  loniker  zur  ionischen. 

^)  Haetung,  Die  griech.  Elegiker,  griech. 
mit  metr.  übersetz.,  Leipz.  1859,  2  Bde.  — 
Francke,  Callinus  sive  quaestiones  de  ori- 
gine  carminis  elegiaci,  Altena  1816.  —  Cae- 
sar, De  carminis  Graecorum  elegiaci  ori- 
gine  et  notione,  Lips.  1837. 

^)  Eur.  Troad.    119:    roi^g    ((e(    (yuxQvujy 


eXeyovg.  Iph.  Taur.  1091 :  eXeyop  otxxQov. 
Hei.  85  und  Iph.  Taur.  146:  cHvqov  eleyop. 
Schol.  Arist.  Av.  217:  eXeyoi  ol  ngcg  ccvXo^' 
^^ofxevoi  &Qr}voL.  Procl.  242,  15  W. :  ro 
yag  d^Qrjvog  sXsyou  sxdXovp  ol  naXaioi. 
Et.  M.  326,  49:  sXsyog  '  d^Qrjpog  6  xoTg  ts- 
yi^vEMöLu  eniXsyo^svog.  Zuerst  kommt  das 
Wort  in  der  Inschrift  des  Echembrotos  (§  80 
An.)  vor. 

^)  Die  Elegoi  an  den  angeführten  Stellen 
sind  im  anapästischen  Versmass,  nicht  in 
daktylischen  Pentametern  geschrieben,  teilen 
aber  mit  diesen  die  häufigen  Katalexen, 
welche  ihnen  den  Namen  Klaganapäste  ein- 
trugen. 

■')  iXsysToy  zuerst  bei  Thuc.  I,  132  und 
Critias  fr.  3. 


108 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Hexameter  und  dem  elegischen  Pentameter  gebildete  Periode  zu  bezeichnen.  0 
Der  Ursprung  des  Namens  Elegos  ist  dunkel;  an  die  von  den  Alten  ver- 
suchte Herleitung  von  ev  Xeysiv,  die  der  Bedeutung  des  lateinischen  elogium 
zu  gründe  liegt, 2)  ist  nicht  zu  denken.  Nicht  viel  besser  ist  die  von  Suidas 
und  Et.  M.  326,  57  vertretene  Ableitung  aus  dem  fingierten  Schlussvers  s  Xsyf 
€  keys  €,  auf  den  der  Refrain  mXivov  al'hvov  eine  bei  Aischylos  Agam.  121 
geführt  zu  haben  scheint.  Wahrscheinlich  stammt  das  Wort  aus  der  Fremde 
und  kam  aus  Armenien  über  Phrygien  zu  den  loniern  Kleinasiens.  ^) 

Der  Dichtung  von  Texten  im  elegischen  Versmass  ging  die  Anwen- 
dung und  Ausbildung  des  elegischen  Rhythmus  in  der  Musik  voraus,  und 
da  das  spezifische  Instrument  der  Klage  die  Flöte  war,  so  dürfen  wir  in 
der  Überlieferung  des  Suidas,  dass  schon  Olympos  Elegien  dichtete,  einen 
Kern  von  Wahrheit  finden.^)  Die  Melodie  gefiel,  und  bald  dichtete  man 
zu  ihr  auch  Texte,  die  nicht  direkt  zur  Totenklage  bestimmt  waren  ;^)  all- 
gemach gewöhnte  man  sich  auch  daran,  Dichtungen  im  elegischen  Vers- 
mass nicht  mehr  nach  jener  Melodie  zu  singen,  sondern  frei  in  der  Weise 
epischer  Gedichte  zu  deklamieren.  Die  Vortragsweise  mit  und  ohne  Gesang 
mochte  sich  lange  nebeneinander  erhalten  haben :  von  den  Elegien  des  Selon 
gebraucht  Piaton,  Tim.  21c  bald  den  Ausdruck  aSeiv,  bald  den  QocipfoSetv; 
die  Elegien  des  Phokylides  wurden  nach  Chamaileon  bei  Athen.  620c  ge- 
sungen, nach  einem  anonymen  Metriker  bei  Ath.[632d  aber  gehörte  Pho- 
kylides mit  Xenophanes,  Selon,  Theognis,  Periander  zu  denjenigen,  die  zu 
ihren  Gedichten  keine  Melodie  mehr  fügten.^) 

Die  Elegie  als  Dichtung  fand  ihre  erste  Ausbildung  im  asiatischen 
lonien,  mag  man  nun,  worüber  die  Alten  stritten,')  Archilochos  oder  Kal- 
linos  oder  Mimnermos  für  Erfinder  dieser  Dichtgattung  halten.  Sie  ent- 
stand also  in  demselben  Land,  in  welchem  das  Epos  seine  Blüte  erreicht 
hatte;  daraus  erklärt  es  sich,  dass  die  Elegiker  im  grossen  Ganzen  der 
Sprache  Homers  folgten,  und  dass  auch  der  Dorier  Theognis  in  seinen 
Elegien  die  ionische  Sprache  redete.^)     Ihren  Platz  hatte  die  Elegie   an- 


^)  Der  Gebrauch  des  Femininums  kam 
in  der  Zeit  des  Dionysios  Hai.  auf  und  er- 
zeugte das  lateinische  elegia.  Die  Versuche, 
einen  tieferen  Unterschied  zwischen  eXsyog 
und  iXsyerov  zu  statuieren,  werden  zurück- 
gewiesen  von  Welckgr,    Kl.   Sehr.  T,  65  ff. 

2)  Procl.  242,  17;  Et.  M.  326,  52;  Orion 
p.  58,  7  ff.  Die  verschiedenen  Etymologien 
gehen  auf  Didymos  nsQl  -noirjnav  zurück;  s. 
])idymos  bei  Orion.  Eine  neue  Herleitung 
bei  UsENER,  Altgr.  Versbau  S.  113. 

^)  BöTTiCHER,  Arica  S.  34  geht  auf  arm. 
eUgn  =  Rohr,  und  arm.  eiern  =  Unglück 
zurück,  hat  aber  als  de  Lagarde,  Armen. 
Stud.  p.  8,  worauf  mich  mein  Freund  E. 
Kuhn  aufmerksam  machte,  jene  Ableitung 
selbst  wieder  zurückgenommen.  Auf  Karien 
weist  die  Glosse  des  Photios  KccQLxrj  ^ovari  • 
jji  ^o7]VM(hi.  Phönizischen  Ursprung  sucht 
zu  erweisen  Tmmisch,  Verh.  d.  40  Vers.  d. 
Phil,  in  Görlitz. 

"*)  Einer    der    aulodischen    Nomen    des 


Klonas  hiess  tXsyoi  nach  Plut.  de  mus.  4. 
Das  Singen  dazu  heisst  cI^elv  vn'  avXrjirjQog 
bei  Archil.  fr.  122  u.  Theognis  533.  Von 
iXsysTa  nQOGa^ofAEva  xoTg  avAor?  spricht  Paus. 
X,  7.  5. 

^)  Richtig   im   übrigen  Horaz  a.   p.  75 : 
versibus   impariter   iunctis   querimonia  pn-  t 
imim,  post  etiam  inclusa   est  voti  sententia 
compos. 

^)  Rohde,  Griech.  Roman  140  f.  ver- 
wirft die  Glaubwürdigkeit  des  letzten  Zeug- 
nisses. 

')  Horaz  a.  p.  77:  quis  tarnen  exiguos 
elegos  emiserit  anctor,  Grammatici  certant 
et  adhuc  suh  iudice  lis  est.  Vgl.  Didymos 
p.  387  Schm. 

^)  Kleine  Abweichungen  von  Homer  im 
Anschluss  an  den  Dialekt  seiner  Heimat, 
wie  xiog  statt  niug,  erlaubte  sich  schon  Kal- 
linos;  ausserdem  gestatteten  sich  die  Ele- 
giker nicht  mehr  die  altertümlichen  oder  äoli- 
schen  Formen  Homers,  wie  die  Instrumentale 


II 


B.  Lyrik.     2.  Die  Elegie.  (§  84—85.) 


109 


fänglich,  ebenso  wie  die  Flöte,  bei  den  Klagen  der  Totenfeier  und  bei  den  Ge- 
sängen der  Festgelage.  Aus  der  threnodischen  Elegie  hat  sich  im  weiteren 
Verlauf  das  Grab  epigram  m  entwickelt  ;i)  die  sympotische  Elegie  nahm  frühe 
einen  teils  erotischen,  teils  paränetischen  oder  politischen  Ton  an.  Durch 
Antimachos,  den  Verfasser  der  Lyde,  erhielt  die  Elegie  den  bei  den  Ale- 
xandrinern weiter  entwickelten  Charakter  romantischer  Erotik  und  senti- 
mentaler Gefühlsschwärmerei.  Wir  folgen  ohne  Unterabteilung  der  zeit- 
lichen Ordnung,  indem  wir  nur  noch  im  allgemeinen  bemerken,  dass,  wer 
von  dem  lyrischen  Dichter  edle,  hohe  Gedanken  und  erhebende  Lebens- 
weisheit in  schöner,  gewählter  Form  sucht,  dieses  Ideal  in  keiner  Dich- 
tungsart besser  als  in  der  Elegie  der  Griechen  verkörpert  finden  kann. 

84.  Kallin  OS  aus  Ephesos,  älterer  Zeitgenosse  des  Archilochos,^) 
lebte  in  der  1.  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts^  als  die  Kimmerier  von  Norden 
her  in  das  Land  der  Phrygier,  Lydier  und  der  griechischen  Kolonien  ein- 
brachen. Auf  diesen  Einfall  und  den  Krieg  seiner  Vaterstadt  mit  Magnesia 
am  Mäander  beziehen  sich  die  wenigen  Fragmente  unseres  Dichters,  in 
denen  er  seine  Mitbürger  zum  ruhmvollen  Kampf  für  das  Vaterland  anfeuert. 

85.  Tyrtaios,  Sohn  des  Echembrotos,  trat  ganz  in  die  Fusstapfen 
des  Kallinos.  Er  blühte  zur  Zeit  des  2.  messenischen  Krieges,  mit  dessen 
Geschichte  seine  eigenen  Geschicke  eng  verbunden  waren.  Nach  der  Er- 
zählung der  Athener  hatten  die  Lakedämonier,  als  sie  durch  den  lang  sich 
hinziehenden  Krieg  in  Bedrängnis  gekommen  waren,  sich  Hilfe  von  den 
Athenern  erbeten,  und  hatten  diese  ihnen  einen  lahmen  Schulmeister,  unsern 
Tyrtaios,  geschickt,  der  sie  mit  seinen  Kriegsliedern  so  begeisterte,  dass 
sie  über  ihre  Feinde  Herr  wurden.  3)  Aber  das  war  wahrscheinlich  nur 
eine  der  Eitelkeit  der  Athener  zulieb  erfundene  Fabel,  zu  der  vielleicht  die 
Überlieferung,  dass  Tyrtaios  aus  Aphidna,  dem  lakonischen  nämlich,  nicht 
attischen,   stamme,   die   Handhabe  geboten   hatte.^)     Denn   wenn  Tyrtaios 


fr.  2  singt 


aviog  ydg  Kqoviwv,  xaXXi(TTa'(favog  noüig  ^'Hqt^q, 
Zevg  '^HQaxXeiSjjg  TijvSs  S&Sojxs  rcöXiv^ 

oiaiv   afiia  nQoXiTiövTsg  ^EQirtor   rjrsfioavTa 
evQeiav   HtXonog  vrj(^ov   a(fix6fi€0^a, 


auf  cpi  und  die  Infinitive  auf  /uspca;  vergl. 
Renner,  Quaestiones  de  dialecto  antiquioris 
Graecorum  poesis  elegiacae  et  iamhicae,  in 
Curtius  Stud.  1,  134  ff. 

^)  Hesych. ;  eleyeut  •  tu  ennäcpia  noirj- 

fXdCTCi. 

^)  Nach  Strabon  p.  647  sah  Kallinos  Mag- 
nesia noch  in  Blüte  und  sprach  Archilochos 
schon  von  dessen  Fall;  ähnlich  Clem.  Alex, 
ström.  I,  333.  Die  Eroberung  von  Sardes 
durch  die  Kimmerier  geschah  unter  Ardys, 
dem  Nachfolger  des  Gyges  (687—652),  wie 
Herodot  I,  15  angibt;  über  den  Anfang  des 
Einfalls  unter  Gyges  unterrichten  uns  die 
Keilinschriften,  worüber  Geigek,  De  Callini 
aetate,  Erlangen  1877,  der  die  Blüte  des 
Kallinos  auf  652  setzt;  vgl.  Caesae,  De  Ccd- 
lini  aetate,  Marburg  1837,  mit  einem  Nach- 
trag 1876. 


2)  Die  ältesten  Gewährsmänner  sind 
Lykurg  in  Leoer.  28  und  Piaton  Legg.  I 
p.  269"^.  Wiederholt  ist  die  Fabel  von  Dio- 
dor  XV,  67;  Paus.  IV,  15;  lustin.  III,  6; 
Themist.  or.  XV  p.  197;  Schol.Plat.  a.  0.  Die 
Opposition  des  Strabon  p.  362  scheint  auf  den 
lakonischen  Lokalforscher  Sosibios  zurückzu- 
gehen. Die  Unrichtigkeit  der  Überlieferung 
erwiesen  von  Fe.  Thieesch,  De  gnomicis 
carmimbus  Graecorum,  in  Acta  phil.  Mon. 
III,  587  fl.  Eine  ähnliche  Anekdote  bei  Valer. 
Max.  I,  5  p.  20  Halm.:  Samii  Frienensihus 
auxilium  adversiis  Cares  'petentibus  in  de- 
risum  sibyllatn  miserunt,  hanc  pro  exercitu 
ac  classe  afferentes;  qua  duce  usi  Prienenses 
bellum  consummaverunt.  Widerspruch  von 
Beegk,  Gr.  Litt.  II,  244. 

^)  Beide  Aphidna  unterschieden  von 
Steph.  Byz.  in  'Acpidya. 


110 


Griechische  Litteraturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 


so  bekennt  er  sich  damit  deutlich  als  einen  der  Lakedämonier,  und  wenn 
er  gar  in  einer  anderen  Elegie  nach  Strabon  p.  362  von  sich  als  Führer 
im  Kriege  sprach,  so  passte  dieses  doch  nicht  auf  einen  fremden  lahmen 
Schulmeister.  Dunkel  ist  die  weitere  Angabe  des  Suidas  TvQTatog'  yidxwv 
r]  Mih-jöiog ;  vielleicht  hatte  Tyrtaeus  in  seiner  Jugend  Milet  besucht 
und  dort  die  Art  der  ionischen  Elegie  kennen  gelernt.  Die  Gedichte 
desselben  brachten  die  Alexandriner  in  5  Bücher;  am  gefeiertsten  war 
unter  ihnen  die  Evrofiia,  mit  welcher  er  die  Zwietracht  der  Lakedämonier 
beschwichtigte;    berühmt  ist  aus  ihr  der  Vers 

d  (filoxQrjficcTir:  2ndQTav  oket,  aXko  St  ovSiv.'^) 

Aus  einem  anderen  Teil,  viro^^xai,  überschrieben,  sind  uns  3  voll- 
ständige Elegien  erhalten,  welche  ganz  im  Geiste  des  Kallinos  zur  Tapfer- 
keit mahnen  und  vor  der  Schande  der  Feigheit  warnen.  2)  Von  den 
Elegien  unterschieden  waren  die  'EinßaTt]Qia,  Marschlieder  im  anapä- 
stischen Rhythmus,  voll  kriegerischen  Feuers,  von  denen  uns  einige  Verse 
erhalten  sind.^)  Auch  nach  des  Dichters  Tod  blieben  seine  Werke  bei 
den  kriegerischen  Doriern  in  hoher  Ehre :  sie  wurden  nicht  bloss  nach 
Kreta  gebracht,*)  sondern  auch  von  den  Lakedämoniern  regelmässig  im 
Lager  nach  dem  Tischgebet  oder  Päan  gesungen,  wobei  der  Polemarch 
nach  alter  Sitte  dem,  der  am  besten  gesungen,  ein  Stück  Fleisch  als 
Preis  gab.ö) 

86.  Mimnermos  aus  Kolophon^)  blühte  gegen  Ende  des  7.  Jahrb., ^) 
als  die  ionischen  Städte  Kleinasiens,  insbesondere  auch  Smyrna  und  Kolo- 
phon,  den  Angriffen  der  Lyderkönige  unterlegen  waren  und  infolgedessen 
in  weichlichen  Luxus  verfielen.  In  einer  Elegie,  fr.  14,  knüpfte  er  noch 
an  den  Charakter  der  älteren  Elegie  an,  indem  er  den  Heldenmut  der 
Smyrnäer  in  der  Schlacht  gegen  den  König  Gyges  besang,  vermutlich  in 
der  Absicht,  dieselben  zu  gleich  mutiger  Ausdauer  gegen  den  erneuerten 
Ansturm  des  Königs  Sadyattes  anzufeuern.  Aber  in  seinen  anderen  Elegien 
schlägt  er  einen  ganz  verschiedenen  Ton  an,  indem  er  in  schwärmerischer 
Sentimentalität  seine  Liebe  zur  schönen  Nanno  besingt  und  in  wehmütigen 
Weisen  das  rasche  Hinwelken  der  Jugend  und  des  Liebesglücks  beklagt. 
Dieser  erotische  Charakter  seiner  Elegien  machte  ihn  zum  Liebling  der 
alexandrinischen  und  römischen  Elegiker.^)  Übrigens  war  Mimnermos  nicht 
bloss  Dichter,  sondern  auch  Flötenspieler  und  Erfinder  auletischer  Nomen, 
unter  denen  der  KQudiag  vofxog  einen  besonderen  Klang  hatte. ^) 


^)  Lykurg  in  Leoer.  28;  Arist.  Polit.  Y, 
6.  2. 

^)  Daher  Horaz  a.  p.  402:  Tyrtaeusque 
mares  animos  in  Martia  hella  versibus  exa- 
cuit.  Es  wird  sogar  vermutet,  dass  bei  Stob. 
Flor.  51,  19  in  der  Lücke  der  Name  Tvq- 
Tcuog  ausgefallen  sei  und  so  auch  die  ein- 
zige längere  Elegie  des  Kallinos  dem  Tyr- 
taios  angehöre. 

^)  Cic.Tusc.disp.il,  16;  Ammian.  Marc. 
XXIV,  6. 

4)  Plat.  Legg.  I  p.  629  b. 

^)  Philochoros  bei  Ath.  630  f.;  vergl. 
Lykurg  c.  Leoer.  107. 


^)  Suidas:  MlfxysQfxog  AiyvQXia^ov,  Ko- 
Xocpojyiog  rj  IfxvQvcdog  ij  'AarvTjaXaiEvg.  unter 
dem  Namen  Aiyvaojiüör]  redet  ihn  Solon 
fr.  20  an.  Er  selbst  besingt  fr.  9  die  Ein- 
nahme von   Smyrna   durch  die  Kolophonier. 

^)  Suidas  setzt  ihn  Ol.  37,  was  Rohde, 
Rh.  M.  33,  201  aufklärt. 

^)  Propertius  I,  9.  11:  plus  m  amore 
valet  Mimnermi  versus  Homero.  Charakte- 
ristisch für  ihn  ist  der  Vers  rig  de  ßiog,  rl 
de  TEQTivov  (ivEv  /Qvaetjg  'Jq:Qodiji]g; 

°)  Plut.  de  mus  8:  x«t  liXlog  d'eoTii' 
cfQ^aTog  pojLiog  yaXovfuerog  K^adiag,  oV  q:i]Oiv 
'Innwva^  MifxyeQfxoi^  ccvXrjacci  '  ev  f^QXU  T^^^Q 


B,  Lyrik.     2.  Die  Elegie.  (86-87.) 


111 


87.  Solon  (um  639 — 559), i)  der  weise  Gesetzgeber  und  grosse  Patriot 
Athens,  ist  zugleich  der  erste  Athener,  der  seine  Vaterstadt  auf  die  Bahn 
poetischen  und  litterarischen  Ruhmes  wies.  Von  dem  7.  Jahrhundert  an  zog 
sich  überhaupt  das  geistige  Leben  Griechenlands  von  Kleinasien,  wo  es 
unter  günstigen  Anregungen  zuerst  erblüht  war,  dann  aber  dem  Vordringen 
barbarischer  Despotien  erlag,  allgemach  wieder  nach  dem  griechischen 
Festland  zurück.  Athen  insbesondere  begann  damals  sich  als  See-  und 
Handelsmacht  zu  heben  und  hatte  das  Glück  aus  der  Krisis  innerer  Par- 
teiungen  mit  gesteigerter  Kraft  hervorzugehen.  Solon,  der  selbst  von  dem 
Geschlechte  der  Kodriden  abstammte,  aber  einen  besseren  Adelsbrief  sich 
durch  edle  Gesinnung  und  reiche,  auf  Reisen  in  Ägypten  und  Asien ''^)  ver- 
mehrte Erfahrungen  erworben  hatte,  war  berufen  in  jenem  politischen 
Gährungsprozess  seiner  Vaterstadt  eine  hervorragende  Rolle  zu  spielen. 
In  dem  Streit  der  Megarer  und  Athener  um  den  Besitz  von  Salamis  rief  er 
seine  Mitbürger  zu  einer  letzten  Kraftanstrengung  und  zur  Wiedereroberung 
der  schönen  Insel  auf  (604).  Als  Archon  im  Jahre  594/3  beruhigte  er 
den  Groll  der  verschuldeten  Kleinbürger  durch  die  von  den  Reichen  leichter 
ertragene  Massregel  der  Herabsetzung  des  Münzfusses  ^)  und  unternahm 
das  grosse  Gesetzgebungswerk,  das  in  der  Sanktionierung  und  Aufstellung 
der  hölzernen  Gesetzestafeln  (xvQßsig  oder  a^ovsg)  auf  der  Akropolis  seinen 
Abschluss  fand.  Eine  dauernde  Beilegung  des  Parteihaders  gelang  ihm 
freilich  nicht;  er  musste  es  noch  erleben,  dass  Peisistratos,  gestützt  auf 
die  demokratische  Gebirgsbevölkerung,  die  Macht  der  Optimaten  brach  und 
sich  der  Tyrannis  bemächtigte  (561);  den  Beginn  der  Tyrannis  überlebte 
er  nur  2  Jahre;  80  Jahre  alt  starb  er  in  Kypern.'*)  Zur  Weisheit  und 
Thatkraft  eines  Staatsmannes  war  dem  Solon  auch  die  schöne  Gabe  der 
Poesie  von  der  Mutter  Natur  verliehen.  In  jungen  Jahren  sang  er  wohl 
auch  von  sorgenloser  Lebensfreude  und  ausgelassener  Liebeslust  (fr.  23 
bis  26)  ;5)  in  reiferen  Jahren  aber  stellte  er  die  Poesie  in  den  Dienst  der 
Politik,  indem  er  durch  Verse,  wie  Spätere  durch  Reden, ^)  auf  das  Volk 
einzuwirken  suchte  und  dasselbe  in  seinen  Elegien  bald  zu  mutigen  Unter- 


iXsysTa  ^sfj.slonoirjfxeva  oi  cwXiodol  fiauv. 
Vgl.  Strabon  p.  643.  Das  Wort  bedeutet 
Feigenastweise,  worüber  Müller,  Gr.  Litt. 
l\  175. 

')  Plutarch,  Leben  Solons;  seine  Haupt- 
quelle war  Hermippos,  der  aber  schon  von 
dem  Leben  des  weisen  Mannes,  von  dem  er 
wenig  zuverlässiges  wusste,  eine  lialbroman- 
hafte  Darstellung  gegeben  hatte. 

■'^)  Die  Reisen  des  Solon  sind  besonders 
in  Fabeln  gehüllt  worden.  Die  Angaben 
über  die  Veranlassung  derselben  durch  die 
Tyrannis  des  Peisistratos  und  über  die  Grün- 
dung von  Soloi  in  Kilikien  (bei  Hesych.) 
sind  ganz  unhaltbar;  aber  selbst  die  Unter- 
redung mit  Kroisos,  von  der  schon  Herodot 
I,  29  berichtet,  erregt  Bedenken,  da  zur  Zeit, 
wo  Solon  in  Asien  war,  Kroisos  noch  nicht 
zur  Herrschaft  gelangt  sein  konnte.  Die 
Bedenken  sucht  zu  zerstreuen  Ungek,  Jahrb. 
f.  Phil.  1883  S.  383  ff.     Gut  bezeugt  ist  die 


Reise  nach  Ägypten  durch  Herodot  I,  29, 
Piaton  Krit.  108 d,  Plut.  Sol.  2  und  Solon  selbst 
fr.  28,  ebenso  durch  Solon  fr.  19  die  Reise 
nach  Kypern.  Nach  Herodot  machte  er  die 
Reisen  nach  seiner  Gesetzgebung,  die  Neu- 
eren denken  eher  an  Handelsreisen  des 
jungen  Solon. 

^)  HuLTSCH,  Griech.  u.  röm.  Metrologie, 
2.  Aufl.  S.  200  ff. 

')  Diog.  I,  62;  ebenso  Schol.  Plat.  de 
rep.  X  p.  599,  wo  der  Artikel  des  Hesychios 
Mil.  etwas  vollständiger  wie  von  Suidas 
wiedergegeben  ist.  Das  Todesjahr  icp'  'Hye- 
GTQc'aov  ciQxovjog  gibt  Phanias  bei  Plut.  Sol. 
32.  Nach  Herakleides  bei  Plut.  Sol.  31  blieb 
Solon  in  Athen  und  lebte  noch  längere  Zeit 
in  gutem  Einvernehmen  mit  Peisistratos. 

5)  Plut.  Sol.  3. 

^)  Diog.  I,  61  schreibt  ihm  geradezu 
Demegorien  zu. 


112 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


nehmungen,  bald  zur  Eintracht  und  Gesetzlichkeit  aulforderte.  Nach  Diog. 
1,61  hatte  man  von  ihm  in  5000  Versen  Elegien,  lamben  und  Epoden.  Die 
einzelnen  Abteilungen  hatten  besondere  Titel,  wie  ^aXafxig,  vrrod^rjxai  slg 
'A^rjvaiovg,  VTTO&fjxai  slg  iavrov,  nqog  KgiTiar,  Jiqog  (J>iX6xvTiqov.  Erhalten 
haben  sich  von  ihm  ausser  kleineren  Bruchstücken  von  lamben,  trochäischen 
Tetrametern  und  Skolien  mehrere  Elegien,  welche  die  schönsten  Seiten  der 
attischen  Denkweise,  heitere  Lebensfreude,  Mass  im  Genuss,  besonnenes 
Handeln,  thatkräftiges  Eintreten  für  den  Staat  und  das  Gemeinwohl,  in 
einschmeichelnden  Versen^)  zum  Ausdruck  bringen.  Nach  Verdienst  haben 
daher  die  Athener  die  Gedichte  des  Solon,  wie  die  Spartaner  die  des  Tyr- 
taios,  in  dankbarem  Andenken  behalten.  Am  Feste  der  Apaturien  sangen 
die  Kinder  dieselben  im  Wettgesang,  indem  die  Eltern  dazu  Preise  gaben, 2) 
und  nicht  bloss  preist  Piaton  den  durch  Kritias  ihm  verwandten  Dichter 
in  überschwenglichen  Worten,^)  sondern  auch  Demosthenes  fand  aufmerk- 
sames Ohr  bei  den  Richtern,  als  er  ihnen  in  der  Rede  über  die  falsche 
Gesandtschaft   §  255   eine  ganze  Elegie  des  grossen  Volksfreundes  vorlas. 

88.  Solon  galt  zugleich  als  einer  der  Sieben  Weisen;  daher  mögen 
auch  über  diese  einige  Worte  hier  eingeflochten  werden,  wenn  dieselben 
auch  mehr  Männer  der  praktischen  Lebensweisheit  als  der  Theorie  und 
Litter atur  waren.  Die  Namen  derselben  sind  bei  dem  ältesten  Gewährs- 
mann, Piaton  Protag.  p.  343a,  Thaies  aus  Milet,  Pittakos  aus  Mytilene, 
Blas  aus  Prione,  Solon  aus  Athen,  Kleobulos  aus  Lindos,^)  Myson  aus 
Chen,  Chile n  aus  Lakedämon.  Spätere  setzten  an  die  Stelle  des  Myson 
den  Periander  aus  Korinth.^)  Seit  alters  kursierten  von  diesen  kurze 
Kernsprüche,  wie  yrco^i  (XsavTov,  ixrjSh'  ayav,  {xstqov  aQWTOv,  syyva  TiaQu 
dUrcc.^)  Vermutlich  rührt  sogar  die  Zusammenstellung  der  7  Weisen  von 
einem  alten  Weisheitsspiegel  her,  in  dem  zu  ünterrichtszwecken  derartige 
Sprüche  unter  Beifügung  des  Autornamens  zusammengestellt  waren.  Später 
wurden  denselben  nicht  nur  immer  mehr  Sprüche  und  Sentenzen,  sondern 
einigen  von  ihnen,  wie  dem  Chilon,  Pittakos,  Periander,  auch  Elegien, 
Rätsel  {yQi(foi)  und  Skolien  untergeschoben;  gegen  die  Echtheit  der  letzteren 
spricht  schon  das  Versmass,  das  uns  in  die  Zeit  nach  Euripides  weist.  ^) 
Auch  von  der  Kleobulina,  der  Tochter  des  Kleobulos,  sind  uns  einige 
Rätsel  erhalten. 

89.  Phokylides   aus  Milet  und  Demodokos   von   der   Insel   Leros 


'}  Strophische  Gliederung  weist  nach 
Weil,  Rh.  M.  17,  1  ff. 

2)  Plat.  Tim.  p.  21b. 

^)  Ibid.:  r«  re  üXka  aoipcüTaroy  yeyo- 
vivai  IoXmpcc  xcd  xard  rijy  noirjaip  av  twp 
7ioLr}T(üv  nuvTiDr  e'kev&SQUoxcaov  '  xara  yifxiqv 
do^ay  0VZ6  Haloö'og  ovre  Ofxt]Qog  ovie  ccXkog 
ovdsig    noirjTrjq    svdoxif^ujTSQog     iyiysro    liv 

TTOr'    UVTOV. 

^)  Diesem  Kleobulos  wurde  auch  das 
Epigramm  auf  der  Grabsäule  des  Midas  zu- 
geschrieben, wie  Simonides  bei  Diog.  Laert. 
1,  89  bezeugt. 

^)  Eine  Herme  des  Periander  findet  sich 
in  der  Villa  Borghese. 


^)  Diese  Sprüche  {dnocpyi^EyfxaTa)  wuiden 
gesammelt  von  Demetrios  aus  Phaleron,  wo- 
raus Stobäus  Floril.  3,  79  und  spätere  grie- 
chische und  lateinische  Spruchsammlungen 
schöpften.  Eine  griechische  in  lamben  pub- 
lizierte WöLFFLiN  in  Sitzb.  d.  b,  Ak.  188G 
S.  287  ff.,  zwei  lateinische  Brunco,  Bayreuther 
Progr.  1885.  Über  die  Unechtheit  der  den 
7  Weisen  zugeschriebenen,  durch  Diogenes 
zum  Teil  noch  erhaltenen  Skolien  vergl. 
Müller,  Gr.  Litt.  I,  343. 

')  Freigebig  in  Erdichtung  von  Werken 
war  besonders  der  Grammatiker  Lobon;  s. 
Hiller,  Die  lit.  Thätigkeit  der  7  Weisen, 
Rh.  M.  33,  518  ff. 


B.  Lyrik.     2.  Die  Elegie.  (§  88  -90.) 


113 


waren  gleichzeitige  gnomische  Dichter,  die  in  ihren  Versen  sich  gegenseitig 
neckten.  Die  Blüte  des  berühmteren  von  ihnen,  des  Phokylides,  wird  von 
Suidas  auf  537  v.  Chr.  gesetzt;  er  hatte  Sittenregeln  in  Hexametern  und 
Distichen  geschrieben,  die  durch  den  einförmig  wiederholten  Anfang  xal 
TÖde  (DwxvXiöüü)  in  Absätze  von  wenigen  Versen  zerfielen.^)  Von  ihnen  sind 
nur  wenige,  gelegentlich  zitierte  Verse  auf  uns  gekommen.  Dagegen  sind 
vollständig  erhalten  die  sogenannten  Phokylidea,  ein  ehemals  vielgelese- 
nes, den  zehn  Geboten  gleichgestelltes  Lehrgedicht  in  230  Hexametern,^) 
das  schon  gleich  im  Anfang  durch  den  Vers  rcgcoTa  d^sdv  TifÄU,  iisr^itEiTa 
dt  aeio  yovrag  an  die  Gesetze  der  Juden  erinnert.  Zweifel  an  der  Echtheit  des 
Gedichtes  dämmerten  zuerst  dem  Heidelberger  Gelehrten  Sylburg  auf;  Jos. 
Scaliger  wies  dann  bestimmter  auf  die  Übereinstimmung  einzelner  Sätze, 
wie  von  der  Auferstehung  des  Fleisches  (V.  103)  und  der  Aushebung  der 
Vogelnester  (V.  84  f.  =  Deut.  22,6),  mit  der  Lehre  der  Bibel  hin  und  Hess 
die  Wahl  zwischen  einem  jüdischen  oder  christlichen  Fälscher.  Zum  Ab- 
schluss  brachte  die  Frage  Jak.  Bernays  in  der  klassischen  Abhandlung, 
Über  das  phokylideische  Gedicht  (Ges.  Abb.  I,  192 — 266),  indem  er  nach- 
wies, dass  der  Fälscher  zu  den  alexandrinischen  Juden  gehörte,  und  in 
der  Zeit  zwischen  dem  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  und  dem  Kaiser  Nero  gelebt 
haben  muss.^) 

90.  Theognis  ist  der  einzige  Spruchdichter,  dessen  Elegien  in  einiger 
Vollständigkeit  auf  uns  gekommen  sind.  Seine  Abkunft  und  seine  Lebens- 
zeit war  bestritten:  der  älteste  Zeuge,  Piaton  in  den  Gesetzen  I  p.  630a 
nennt  ihn  einen  Bürger  des  hybläischen  Megara  in  Sikilien.^)  Das  muss 
aber  ein  Irrtum  sein;  Theognis  war  wohl  nach  Sikilien  gekommen  und 
hatte  in  einem  Gedicht  der  rühmlichen  Thaten  der  hybläischen  Megarenser 
gedacht;^)  aber  er  bezeugt  selbst  V.  782  ff.,  dass  seine  Wiege  nicht  in 
Sikilien,  sondern  in  dem  nisäischen  Megara,  der  Stadt  des  Alkathoos,  stund. 
Nicht  minder  waren  bezüglich  seiner  Lebenszeit  schon  im  Altertum  falsche 
Meinungen  verbreitet.  Eusebios  und  Suidas  setzen  ihn  Ol.  58,  3 ;  nun  spricht 
aber  Theognis  selbst  an  2  Stellen  V.  764  und  775  von  der  Gefahr,  die 
seiner  Heimatstadt  von  den  Medern  drohe.  Das  kann  man  mit  jener  Über- 
lieferung nur  vereinigen,  wenn  man  den  Mederkrieg  auf  die  Unterneh- 
mungen des  persischen  Heerführers  Harpagos  gegen  die  ionischen  Staaten 
Kleinasiens  deutet.  ^)  Aber  die  Gefahr  für  Megara  lag  damals  noch  in  sehr 
weiter  Ferne ;  die  ward  erst  greifbar  mit  dem  Zug  des  Mardonios  gegen  das 


')  Dio  Chrys.  or.  36,  12. 
''^)  Von  Suidas  genannt  naQcupsaeic,  ypM- 
fxai,  x£(puXai(i,  in  der  ed.  princ.  7ioi?]fut<  vov- 

'')  Nur  der  eine  Vers  129  Ttjg  Je  x^eo- 
nvEVGXov  oocpb]g  Xoyog  iarly  aQioxog  scheint 
die  christliche  Logoslehre  vorauszusetzen; 
Bernays  hat  denselben  als  Interpolation  ge- 
strichen. 

"*)  Nach  Piaton  auch  Suidas;  dem  ent- 
gegen trat  Didymos  in  den  Schollen  zu  Pia- 
ton 1.  1.  für  das  nisäische  Megara  ein,  ebenso 
Harpokration  u,  Geoyvig.  Beloch,  Jhrb.  f. 
Phil.  137  (1888)  S.  729  nimmt  seine  Zuflucht 
Handbuch  der  klass.  AlterUimswissenschaft.  VII.    2, 


zur  zweifelhaften  Annahme,  dass  Theognis 
in  dem  sikilischen  Megara  geboren  und  von 
dort  um  490  vertrieben,  in  dem  nisäischen 
Megara  Aufnahme  gefunden  habe. 

'"")  Vermutlich  in  der  von  Suidas  ange- 
führten E^eysici  eig  rovg  GM^heviag  xwp  Iv- 
Qaxovoioiu  iy  zfj  rfoXioQxUt.  Piaton  wird  den 
Gelehrten  von  Syrakus,  die  sich  auf  diese 
Elegie  stützten,  gefolgt  sein.  Sitzler  in  der 
Ausg.  p.  52  und  Flach,  Griech.  Lyr.  p.  412 
wollen  jene  Elegie  unserem  Theognis  ab- 
sprechen. 

«)  So  RoHDE,  Rh.  M.  33,  170,  der  jene 
Verse  um  540  gedichtet  sein  lässt. 

Autl.  8 


114 


Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 


griechische  Mutterland  (492).  Auf  diesen  also  deuten  wir  jene  Verse,  und 
dieses  um  so  unbedenklicher,  als  auch  eine  andere  Stelle,  V.  891 — 4  von 
der  Verheerung  der  lelantischen  Ebene  durch  die  Kypseliden,  d.  i.  die 
Athener  unter  dem  Kypseliden  Miltiades,  uns  bis  auf  506  herabführt.  Da- 
nach blühte  Theognis  in  der  2.  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  und  erlebte  noch 
die  Gefahr  eines  nahenden  Kriegszugs  der  Perser.  Sein  Leben  war  ein 
ausserordentlich  bewegtes  und  fiel  in  die  Zeit  heftigster,  innerer  Parteikämpfe. 
Es  befehdeten  sich  nämlich  im  6.  Jahrhundert  in  Megara  wie  in  anderen 
Staaten  Griechenlands  aufs  grimmigste  der  alte  Adel  und  der  mit  Hilfe  von 
Tyrannen  oder  demagogischen  Parteichefs  zur  Macht  anstrebende  Demos. 
Theognis  selbst  war  ein  entschiedener  Anhänger  der  Adelspartei  und  schaute 
mit  dem  ganzen  Hochmut  eines  eingefleischten  Junkers  auf  die  Gemeinen 
(xaxoi)  herab. ^)  Aber  er  hatte,  als  die  Volkspartei  zur  Herrschaft  gelangt 
war,  seinen  Hochmut  schwer  büssen  müssen.  Seiner  Güter  beraubt,  musste 
er  lange  das  Brot  der  Verbannung  essen  und  kam  bei  dieser  Gelegenheit 
nach  Sikilien,  Böotien,  Euböa,  Sparta.^)  Später  kehrte  er  wieder  in  seine 
Vaterstadt  zurück  und  schickte  sich  in  die  veränderte  Staatsordnung,'') 
doch  ohne  den  Verlust  seiner  Güter  zu  verschmerzen  und  ohne  seiner 
aristokratischen  Gesinnung  untreu  zu  werden. 

Geschrieben  hat  Theognis  ausser  der  Elegie  auf  die  gefallenen  Syra- 
kusaner  ein  Spruchgedicht  an  seinen  geliebten  Kyrnos  und  mehrere  Unter- 
weisungen an  andere  Genossen. 4)  Auf  uns  gekommen  ist  eine  Sentenzen- 
sammlung von  694  Distichen  in  2  Büchern,  von  denen  das  erste  (1  —  1230) 
politisch-moralische  Sprüche,  das  zweite,  das  nur  in  dem  Cod.  Mutinensis 
und  in  diesem  nicht  vollständig  erhalten  ist,  erotische  Verse  auf  die  Liebe 
zu  schönen  Knaben  (jicuSiTtä)  enthält. •"•)  Den  Grundstock  der  Sammlung<^) 
bildet  das  Gedicht  an  Kyrnos,  den  Sohn  des  Polypais,  einen  edlen  Jüng- 
ling, den  der  Dichter  mit  väterlicher,  aber  doch  der  Sinnlichkeit  nicht 
ganz  entbehrender  Zuneigung^)  in  die  Lebensweisheit  und  die  Grundsätze 
des  aristokratischen  Regimentes  einführen  will.  Eingelegt  sind  Stücke  aus 
den  übrigen  vnoO^ijxai  des  Theognis,  namentlich  aus  den  Elegien  an  seine 
Freunde  und  Zechgenossen  Simonides,  Klearistos,  Onomakritos,  Demokies, 
die  alle,   ebenso   wie  Kyrnos,    wiederholt    in    den  Elegien    angeredet    sind. 


')  Siehe  besonders  V.  846  ff. 

2)  V.  783  ff.,  879,  891,  1209.  Die  Nach- 
richten über  Kyme,  Kolophon,  Magnesia 
(1103  f.  u.  1024)  entnahm  er  wohl  dem  Kal- 
linos. 

3)  V.  945  ff.  u.  331  f.^ 

^1  Suidas:  tyQaxpev  iXsysiay  sig  rovg 
Güid^Evxac  Tiüv  ZvQay,oai(jDV  ev  rfj  nokioQxUc, 
yyo)fiag  cTt'  iXsyeiag  eig  67T7]  ,ßc6,  [xcd]  nQog 
KvQvov  xöv  civrov  eqm^svov  yvMfj.o'koyiuv  dt 
iXeye'iiov  xal  sreQag  vnodijy.ag  naQaLysrixcig, 
rd  näfXK  inixojg.  Dass  er  ausser  Elegien 
auch  Gedichte  in  anderen  Versmassen  dich- 
tete, schliesst  Bergk,  Gr.  Litt.  II,  309  aus 
Plat.  Men.  95  d.  Wahrscheinlich  hatte  die 
ganze  Sammlung  die  2800  Verse,  welche 
Suidas  erwähnt. 

°)  Die  Echtheit  des  2.  Buches  bestreiten 


Hiller,  Jahrb.  f.  Phil.  1881,  p.  471  f., 
CouAT,  Le  second  livre  d'elegies  attrihue  a 
Theognis,  Bordeaux  1883,  Akth.  Coesekn, 
Quaestiones  TJieognideae,  Geestemünde, 
Progr.  1887. 

*^)  Das  1.  wie  das  2.  Buch,  da  in  beiden 
sich  Kyrnos  angeredet  findet;  die  anzüglichen, 
auf  Knabenliebe  bezüglichen  Verse  wollte 
offenbar  der  Anordner  aus  dem  ersten,  für 
die  Jugendunterweisung  bestimmten  Buche 
weglassen. 

^)  V.  1049:  (Jol  (f'  iyuj  otä  ts  Ticdöl 
■narrjQ  vnoSi^Go^uM  ccviog  Das  sinnliche  Ver- 
hältnis erkennbar  aus  V.  253  f.  Gegen  den 
Vorwurf  der  Knabenliebe  den  Theognis  ver- 
teidigen, hiesse  einen  Mohren  weiss  waschen. 
Über  die  Knabenliebe  der  Megarenser  vgl. 
Theokrit.  XII,  27  ff. 


I 


B.  Lyrik.     3.  Die  iambische  Poesie.  (§  91.)  115 


o 


Aber  es  finden  sich  auch  Verse  von  anderen  Dichtern  (von  Solon  227 — 232. 
1231  f.,  Mimnermos  795  f.,  Tyrtaios  935 — 8,  Buenos  472)  eingemischt, 
zunächst  wohl  als  Parallelen  zu  Sprüchen  des  Theognis.  Aber  auch  damit 
nicht  genug,  begegnen  uns  an  verschiedenen  Stellen  zwei  Fassungen  der- 
selben Sentenz,  eine  getreuere,  ursprüngliche,  und  eine  gekürzte,  der 
gangbaren  Sprache  näher  gerückte,  wofür  das  einleuchtendste  Beispiel  die 
Vergleichung  von  V.  213 — 8  und  1071 — 4  bietet,  sei  es  nun,  dass  gleich 
der  Anordner  der  Sammlung  echtes  mit  interpoliertem  und  fremdem 
mischte,  sei  es,  dass  erst  Spätere  die  alte  reinere  Sammlung  interpolierten. 
Wir  haben  also  offenbar  eine  Blütenlese  vor  uns;  von  wem  und  wann 
dieselbe  veranstaltet  wurde,  wissen  wir  nicht.  Isokrates  an  Nikokles  c.  43 
kannte  noch  keine  derartige.')  Offenbar  aber  hat  der  Anordner,  wenn  er 
sich  auch  im  allgemeinen  an  die  Ordnung  des  Originalwerkes  hielt,  manches 
aus  dem  einen  Buch  in  das  andere  versetzt  und  vieles  andere  verkürzt 
und  des  individuellen  Charakters  entkleidet.  Doch  tritt  auch  so  noch  die 
Persönlichkeit  des  Dichters  und  der  Ton  seiner  Poesie  deutlich  uns  entgegen. 
Theognis  war  ein  verbissener  und  verbitterter  Aristokrat,  aber  dabei  eine 
originelle  Dichternatur,  voll  Lust  an  Wein  und  Gesang,  dazu  von  leiden- 
schaftlicher Liebe  zu  seinem  Liebling.  Seine  Elegien  sollten  nur  indirekt 
zur  sittlichen  und  politischen  Unterweisung  dienen ;  zunächst  waren  sie  zum 
Gesang  bei  den  Gastgelagen  bestimmt, 2)  wie  besonders  aus  V.  241  hervorgeht: 
xai  (fe  avr  avXiaxoiai  hyvcpS^öyyoig  vtoi  avSqsg 
evxöüiiMg  eqaTol  xaXd  zs  xal  Xiyt'u  adovrai. 
Erst  später  wurden  sie  ohne  Flötenbegleitung  vorgetragen  3)  und  unter 
dem  Einfluss  der  Sokratiker,  des  Piaton,  Xenophon  und  Isokrates  in  die 
attischen  Schulen  als  Tugendspiegel  eingeführt.  Ihrer  bis  gegen  Ende  des 
Altertums  andauernden  Beliebtheit  verdanken  wir  die  Erhaltung  unserer 
Sammlung,  durch  die  indes  frühzeitig  die  ursprünglichen  Ausgaben  ver- 
drängt wurden. 

Haupthandschrift:  Cod.  Miitinensis  s.  X  (A)  jetzt  in  Paris;  ihr  zunächst  Vatic,  915 
s,  XIII  (neue  Mitteilungen  von  Jordan,  Quaest.  Theognideae,  Regiom.  1885).  —  Ausgaben 
mit  krit.  Apparat  von  I.  Bekker,  ßerol.  1815  u.  1827.  —  Ziegler  ed.  II,  Tub.  1880.  — 
Sitzler,  Heidelb.  1880.  ~  Daneben  die  einschneidende  Bearbeitung  von  Bergk  in  FLG. 
Der  Eiklärung  und  Anordnung  gewidmet  ist  die  Ausgabe  von  Welcker,  Francof.  1826,  — 
Guter  Jahresbericht  von  Leutsch,  Phil.  29,  636—90. 

91.  Elegien  haben  ausserdem  in  der  älteren  Periode  die  von  uns  an 
anderer  Stelle  behandelten  Dichter  Archilochos,  Asios,  Xenophanes,  Parme- 
nides  gedichtet,  denen  ich  ehrenhalber  die  epigrammatischen  Spruch verse  des 
Hipparch  auf  den  von  ihm  an  den  Landstrassen  gesetzten  Hermen  an- 
füge (Plat.  Hipp.  228  c).  In  der  attischen  Periode  nach  den  Perserkriegen 
fand  das  Epigramm    und  die  Elegie,    namentlich    die    sympotische,    eifrige 


^j  Nach  NiETSCHE,  Zur  Geschichte  der 
Theogn.  Spruchsammlung,  Rh.  M.  22,  181  iF. 
ist  die  Sammlung  zwischen  Piaton  und  Ptole- 
maios  Philadelphos  entstanden,  aber  später  er- 
weitert worden.  Vermittelst  subtiler  metri- 
scher und  prosodischer  Beobachtungen  sucht 
die  späteren  Bestandteile  aus  der  attischen 
und  alexandrinischen  Zeit  von  den  alten  des 


Theognis    zu    sondern   Sitzler    im    Tauber-   ;    Zeit  entnommen. 


bischofsheimer  Progr.  1885. 

'')  Der  Anfang  eines  Distichons  V.  1365 
CO  naidcüi/  xdlXioxe,  auf  einer  Trinkschale 
von  Tanagra  in  Mit.  d.  arch.  Inst,  zu  Athen 
IX,  1  ff. 

^)  Die  Angabe  des  Ath.  632  d,  wonach 
Theognis  keine  Melodien  für  seine  Elegien 
gedichtet  habe,    ist  der  Übung  der  späteren 


115  Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 

Pflege,  so  dass  fast  alle  grossen  Dichter,  wie  Simonides,  Aischylos,  Ion, 
Antimachos,  überdies  Piaton  und  Aristoteles  nebenbei  auch  Elegien  dich- 
teten. Speziell  als  Elegiker  machten  sich  einen  Namen  Dionysios,  der 
von  dem  Vorschlag,  kupferne  Münzen  zu  schlagen,  den  Beinamen  Chalkus 
erhalten  hatte  und  in  einigen  seiner  Elegien  die  Abgeschmacktheit  beging  den 
Pentameter  dem  Hexameter  vorauszuschicken,  die  beiden  Euenoi  aus  Paros, 
von  denen  der  jüngere,  Zeitgenosse  des  Sokrates,  wegen  seiner  weisen  Sinn- 
sprüche bei  den  Philosophen  in  besonderer  Ehre  stund,  Kritias,  einer  der 
dreissig  Tyrannen,  der  ausser  sophistischen  Reden  und  Tragödien  auch 
Elegien  unter  mannigfachen  Titeln  schrieb.^)  Einer  jüngeren  Periode  ge- 
hören die  weisen  Scherze  (Tiaiyvia)  des  Philosophen  Krates  aus  Theben  an, 
der  ein  Schüler  des  Kynikers  Diogenes  war  und  in  geistreichen  Versen  und 
Reden  die  Moral  der  Einfachheit  {svtsXho)  verkündete. 

3.   Die  iambische  Poesie  und  die  Fabel. 

92.  Die  iambische  Poesie  (//  tmv  iap.ßonoio)v  noir^aig)  hat  ihren  Namen 
von  dem  iambischen  Rhythmus.  Dieser  Rhythmus,  den  wir  bereits  in  den 
Melodien  des  Terpander  vertreten  fanden,  hat  etwas  erregtes,  unruhiges, 
das  schon  in  der  rascheren  Aufeinanderfolge  der  Hebungen  des  ^k  Taktes 
(y£voQ  dinXciaiov)  gelegen  war,  noch  mehr  aber  durch  den  Auftakt  iam- 
bischer  Reihen  zum  Ausdruck  kam.  Dadurch  entfernte  sich  die  iambische 
Poesie  von  der  Feierlichkeit  daktylischer  Hymnen  und  näherte  sich  dem 
raschen  Ton  der  Umgangssprache.  Wie  aber  überall  in  der  griechischen 
Litteratur,  so  hatte  auch  hier  die  Eigenartigkeit  der  metrischen  Form 
einen  ähnlichen  Inhalt  zum  Begleiter:  aus  den  iambischen  Versen  tönte 
der  Streit  des  Lebens  und  der  Lärm  des  Marktes.  Wohl  kam  dieser 
Rhythmus  auch  bei  gottesdienstlichen  Festen  vor,  aber  nicht  in  den 
ernsten  Weisen  der  Priester  des  Zeus  und  Apoll,  sondern  in  der  aus- 
gelassenen Festfeier  der  neuen  Gottheiten,  des  lakchos  und  der  Demeter. ^j 
Der  Kult  dieser  Götter  war  bei  den  loniern  in  Naxos,  Paros  und  Attika 
zu  Haus;  dem  ionischen  Stamme  gehörte  auch  recht  eigentlich  die  iam- 
bische Poesie  an.  Dem  ionischen  Kleinasien  entstammten  ihre  Erfinder, 
und  in  dem  stammverwandten  Attika  hat  sich  aus  ihr  die  schönste  Blüte 
der  Poesie,  die  Komödie  und  Tragödie,  entwickelt.  Ihre  Anfänge  fallen 
fast  gleichzeitig  mit  dem  ersten  Auftauchen  der  Elegie;  ihre  Blüte  hat 
aber  weniger  lang  angehalten,  da  ihre  Formen,  der  iambische  Trimeter 
und  trochäische  Tetrameter,  zu  einfach  waren,  als  dass  die  stete  Wieder- 
holung derselben  lange  der  rasch  vorwärts  drängenden  Entwicklung  der 
griechischen  Musik  und  Rhythmik  hätte  genügen  können.  Nachdem  sie  ' 
ihren  Hauptdienst  geleistet  und  ein  frischeres  Blut  in  die  Adern  der  grie- 
chischen Litteratur  gebracht  hatte,    machte   sie   melodischeren  Formen  der 

')  In  einer  der  erhaltenen  Elegien  zählt  '  tias  über  Staatsverfassungen,  s.  Müllek,  FHG. 

er   die    Erfindungen    der    einzelnen    Völker-  |  II,  G8 — 71. 

schaffen  und  Städte  auf;  in  einem  hexaraet-  !            -)  Vgl.   Aristoph.    Ran.   384 — 444,     Die 

rischen  Gedicht  (fr.  7)  preist  er  den  Anakreon;  j  Fabel    machte  die  Dienerin  lambe,    die    mit 

ob  er  auch  über  Homer  und  Archilochos  in  ihren  Spässen  die  um  ihre  Tochter  trauernde 

Versen  oder   sophistischen    löyoi    gehandelt,  Demeter  zum  Lachen  brachte,  zur  Erfinderin 

bleibt  ungewiss.    Auch  in  Prosa  schrieb  Kri-  j  des  lambus;  s.  Procl.  ehrest,  p.  242,  28  W. 


1 


i 


B.  Lyrik.     3.  Die  iambische  Poesie.  (§  92-9S.) 


117 


Lyrik  Platz  oder  ward  als  belebendes  Salz  in  andere  Litteraturgattungen 
aufgenommen.  In  den  Kanon  der  Alexandriner  erhielten  nur  3  lambographen 
Aufnahme:  Archilochos,  Simonides,  Hipponax. 

93.  Archilochos  aus  Faros,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Kallinos.O 
blute  um  650, ''^)  jedenfalls  nicht  vor  dem  Lyderkönig  Gyges  (687—652), 
dessen  Reichtums  er  in  dem  Verse  (fr.  25)  ov  ixoi  td  Fvyeo)  rov  nolvxqvaov 
lislsi  gedenkt.  Sein  Vater  Telesikles  hatte  von  Faros  eine  Kolonie  nach 
der  Insel  Thasos  geführt;  seinen  Ahnherrn  Tellis  brachte  der  Maler  Fo- 
lygnot,  der  selbst  aus  Faros  stammte,  in  der  Unterweltscene  neben  der 
Kleoboia,  der  Stifterin  des  Demeterkultus  von  Thasos,  an  (Faus.  X,  28.  3). 
Dem  Archilochos  selbst  war  ein  wechselvolles,  an  Kämpfen  und  Drangsalen 
reiches  Leben  beschieden.  In  einem  Distichon  (fr.  1)  drückt  er  schön 
seine  doppelte  Stellung  als  Bürgersoldat  und  Dichter  aus: 
sip}  6'  €y(o  ^fQccTVoov  fJisv  ^Evvakioio  avaxTog 
xal  MovasMv  sqaTov  Swqov  smaTccpisvog. 
Aus  Not  verliess  er  seine  Heimat  Faros  und  brachte  seine  Jugendjahre 
auf  der  rauhen  und  unwirtlichen  Insel  Thasos  ^u,^)  auf  der  aller  Jammer 
Griechenlands  zusammengeflossen  war  (fr.  54).  In  den  Kämpfen  gegen 
die  thrakischen  Saier  verlor  er  seinen  Schild,  über  welchen  Verlust  er  sich 
leichten  Sinnes  hinwegsetzte,  da  er  das  Leben  gerettet  habe  und  einen  an- 
deren Schild  leicht  erwerben  könne.  0  Zu  Hause  in  Thasos  und  Faros 
erlebte  er  manche  Kränkung  und  Zurücksetzung:  ein  parischer  Bürger 
Lykambes  hatte  ihm  seine  Tochter  Neobule  verlobt,  dann  aber  ihre  Hand 
einem  anderen  gegeben,  wofür  sich  der  Dichter  in  beissenden  lamben  an  sei- 
nem erhofften  Schwiegervater  und  dessen  ganzer  Sippe  rächte.'^)  Dann  führte 
er  als  Kriegsknecht  ein  abenteuerliches  Leben, ^)  nahm  an  den  Kämpfen  in 
Euböa  teil  und  fand  schliesslich  in  einem  Krieg  mit  Naxos  den  Tod.') 

Als  Dichter  wiesen  die  Alten  dem  Archilochos  die  nächste  Stelle  nach 
Homer  an:  wie  jener  das  Epos  geschaffen  und  zur  Vollendung  gebracht, 
so  er  die  Foesie  der  subjektiven  Empfindung  und  des  beissenden  Spottes.^) 


1)  S.  §  84. 

2)  Die  Stelle  bei  Herodot  I,  12  rvysM 
xcd  jQ/iXo/og  6  JIccQiog  y.axd  xov  avxov  /Qo- 
vov  ysvöixsvog  iv  id^ßia  TQCfusTQU)  eiisfxvrj- 
oSrj  ist  interpoliert.  Oppolzer,  Sitzb.  der 
Wien.  Ak.  1882  S.  1  hat  die  von  Archilo- 
chos fr.  76  geschilderte  Sonnenfinsternis  auf 
648  V.  Chr.  berechnet.  Dazu  stimmen  im 
wesentlichen  Eusebios,  der  ihn  Ol.  28,  4 
ansetzt,  das  Marm.  Parium,  nach  dem  er 
Ol.  24,  4  die  Kolonie  nach  Faros  führte, 
und  Cornelius  Nepos,  der  ihn  nach  dem 
Chronographen  Apollodor  (Gellius  XVIl,  21. 
8)  unter  Tullus  Hostilius  (670-  638)  leben 
lässt.  Vgl.  Gelzek,  Zeitalter  des  Gyges, 
Rh.  M.  35,  230  ff.,  RoHDE,  Rh.  M.  36,  557  f., 
und  oben  S.  108  An.  7.  Bei  Suidas  ist  der 
aus  Hesychius  Milesius  zu  entnehmende  Ar- 
tikel Archilochos  ausgefallen. 

^)  Allan  V.  H.  X,  13  referiert  aus  dem 
Elegiker  Kritias,  dass  Arch.  selbst  bezeuge. 
ori,  xarahnoju  TlciQor  fl/r?  nevlav  y.cd  uno- 
Qiav  riXd^Bv  ig  9c'(aoi\ 


7.   10. 


Fr.  6;  nachgeahmt  von  Horaz  Od.  II, 


5)  Fr.  27  u.  34,  worauf  Horaz  Ep.  I,  19. 
25  anspielt. 

^)  Fr.  23:  xcd  &r]  ^nixovQog  üore  Kdo 
xsxXrjffofxM.  Des  Kampfes  in  Euböa  gedenkt 
er  fr.  4. 

')  Heracl.  Pont,  in  Müller's  FHG.  II, 
210.  Den  Naxier  Kallondas  wies  die  del- 
phische Pythia  mit  den  Worten  ab:  Movadoyv 
xhegduopia  xaxixxavsg  '  6iix%  pr]ov :  s.  Suidas 
u.  ^4q/(X.  nach  Aelian;  vgl.  Arist.  rhet.  II,  23, 
vielleicht  nach  dem  Museion  des  Alkidamas. 

^)  VelleiusI,  5:  neqite  quemquam  alium, 
(rmus  operis  primus  fuerit  auctor.  in  eo 
perfectissimiim  praeter  Homeram  et  Arclii- 
lochum  reperiemus.  Schon  Herakleides  Pont, 
hatte  nach  Diog.  V,  87  tisql  'Aq/iIö/ov  x(d 
'Ofx^Qov  geschrieben.  Beide  sind  zusammen- 
gestellt von  Antipater  Anth.  XI,  20  u.  Dio 
Chrys.  33,  11;  vereint  stellte  sie  die  Kunst 
dar,  wie  diu  Doppelherme  des  Vatikan;  dor 
gestrenge,   bärtige  Kopf  mit  einem   bitterci 


118 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Als  ein  Hauptverdienst  rechneten  sie  ihm  die  Erfindung  neuer  metrischer 
Formen  an :  ^)  ausser  Elegien  dichtete  er  lamben  und  trochäische  Tetra- 
meter; aber  auch  die  Verbindung  verschiedener  Rhythmen,  des  gleichen 
und  ungleichen  Geschlechtes,  zu  einer  Periode  brachte  er  in  seinen  Epoden 
auf  und  wurde  so  Begründer  der  eigentlichen  Lyrik. ''^)  Auch  eine  neue 
Vortragsweise,  die  Parakataloge,  erfand  er,  die  zwischen  dem  vollen  Gesang 
und  der  einfachen  Rezitation  die  Mitte  hielt,  indem  der  Vortragende 
(o  Qaij.io)Sdg  ö  xaTalaycov)  nur  an  den  Hauptstellen  durch  ein  begleitendes 
Instrument,  die  lambyke,  unterstützt  wurde. ^)  Aber  der  Reichtum  und 
die  Vollendung  der  metrischen  Form  war  es  nicht  allein,  welche  dem  Archi- 
lochos  eine  so  hervorragende  Stelle  in  der  griechischen  Litteratur  verschaffte; 
er  war  auch  ein  gottbegnadeter  Dichter,  voll  Glut  der  Leidenschaft  und 
Klarheit  des  Blickes,  der  mit  den  Spottiamben  sich  energisch  gegen  die 
Unbill  und  Gemeinheit  seiner  Feinde  zur  Wehr  setzte,*)  daneben  aber 
auch  in  lieblichen  Bildern  sein  Liebchen  besang  (fr.  7.  13).  Mit  Geschick 
flocht  er  das  populäre  Element  der  Fabel  {aivog)  in  seine  Lieder,^)  erfand 
die  schöne  Kunst  mit  reizender  Aufschrift  den  Wert  des  Weihgeschenks 
zu  erhöhen  (fr.  17),  und  stellte  die  leichtbeschwingten  Weisen  seiner  Poesie 
auch  in  den  Dienst  der  Siegesfeier^)  und  des  volkstümlichen  Kultus  des 
Dionysos.  Schade,  dass  von  einem  im  Altertum  so  hochgefeierten  Dichter, 
welcher  der  alten  Komödie ')  und  später  in  Rom  dem  venusinischen  Dichter 
zum  Vorbild  diente,  nur  spärliche  Bruchstücke  auf  uns  gekommen  sind. 
94.  Simonides  (Semonides),^)  der  Amorginer  genannt  im  Gegensatz 
zu  dem  Lyriker  Simonides  aus  Keos,  hat  diesen  Zunamen  von  der  kleinen 
Insel  Amorgos,  nach  der  er  selbst  von  Samos  aus  eine  Kolonie  führte. 
Seine  Blüte  fiel  um  625.^)  Nach  Suidas  hatten  die  Alten  von  ihm  Elegien, 
von  denen  eine  die  Geschichte  von  Samos  (aq^iaioXoyia  tmv  ^a^iwv)  be- 
handelte,^^) und  2  Bücher  lamben.  Erhalten  ist  uns  ausser  losgerissenen 
Kleinigkeiten  durch  Stobaios  ein  pessimistisches  Gedicht  auf  das  schlimme 


Zug  in  den  Mundwinkeln  bei  Visconti  Icon. 
gr.  pl.  2,  6  und  Baumeistek,  Denkm.  d.  klass. 
Alt.  p.  116. 

^)  Marius  Vict.  III.  2. 

2)  Theocrit  epigr.  19. 

^J  Plut.  de  mus.  28 ;  über  den  Vortrag 
der  Verse  des  Archilochos  durch  Rhapsoden 
s.  Fiat.  Ion.  p.  531a  und  620  b. 

^)  Quintil.  X,  1.  60  rühmt  an  Archi- 
lochos :  vdlidae,  tum  hreves  vibrantesque 
sententiae,  plurimum  sanguinis  atque  ner- 
vorum,  adeo  ut  videatur  quibusdam  quod 
quoquam  minor  est,  materiae  esse,  non  in- 
genii  vitium. 

5)  Fr.  86  und  88 ;  vgl.  Julien  or.  VII,  p.  207. 

^)  Noch  in  Pindars  Zeit  wurde  den 
Siegern  zu  Ehren  in  Olympia  ein  Siegeslied 
des  Archilochos  auf  Herakles  gesungen;  s. 
Find.  Ol.  IX,  1  und  Sybel,  Herrn.  V,  192  ff. 

')  Kratinos  schrieb  ^jQ/iXo/oi,  Alexis 
einen  ^jQ/i^oxog,  Aristophanes  entlehnte  ihm 
die  schönsten  Versmasse;  nur  Pindar  F.  II, 
55  spricht  tadelnd  von  dem  ipoyeQog  Aq/'i- 
'Ao/og,  und  in  Sparta,  wo  man  keinen  Spass 


verstund,  waren  seine  Gedichte  verpönt;  s. 
Plut.  Inst.  Lac.  34;    Val.    Max.  VI,   3    extr. 

^)  Marm.  Parium  und  Suidas  setzen  ihn 
gleichzeitig  mit  Archilochos.  das  erstere 
Ol.  28,  4,  der  zweite  490  post  Troika. 
Wenn  die  Gründung  von  Thasos  Ol.  15 
oder  18,  die  von  Amorgos  Ol.  22  angesetzt 
wurde,  so  spiegelt  sich  darin  der  Zeitunter- 
schied zwischen  Archilochos  und  Simoni- 
des wieder.  Proklos  ehrest,  p.  243.  21  W. 
setzt  den  Archilochos  unter  Gyges,  den  Si- 
monides unter  die  Regierung  des  makedoni- 
schen Königs  'JvavLov,  was  aus  'jQyaiov 
korrumpiert  scheint  und  auf  640—610  führt. 

^)  Der  Unterscheidung  halber,  aber  ohne 
genügende  Berechtigung  ward  schon  von  alten 
Grammatikern  der  lambograph  Semonides 
mit  e,  im  Gegensatz  zu  Simonides  dem  Lyri- 
ker, geschrieben. 

^'^)  Unserem  lambographenSimonides  ge- 
hört wohl  auch  die  unter  den  Fragmenten 
des  Simonides  Ceus  fr.  88  stehende  Elegie, 
deren  pessimistische  Anschaung  ganz  zu 
unserem  Dichter  passt. 


B.Lyrik.    3,  Die  iambische  Poesie.  (§  94— 95.)  119 

Los  der  Menschen  und  ein  grosses  Spottgedicht  auf  die  Weiber.     Im  letz- 
teren führt  er  den  auf  Hesiod  Op.  700  zurückgehenden  Gedanken 

yvvaixdg  ovS^v  XQ^jf^^    ccvrJQ  Xriit^sTai 

€(y&Xfjg  a/Lisirov  ovd^  giyiov  xaxrjg 
näher  aus,  indem  er  das  Weib  der  Reihe  nach  mit  dem  Schwein,  dem 
Fuchs,  dem  Hund,  der  Erde,  dem  Meere,  dem  Esel,  Wiesel,  Pferd,  Affen 
vergleicht  und  nur  die  einen,  welche  von  der  Biene  abstammen,  in  Ehren 
bestehen  lässt.  ^)  Im  ganzen  sind  seine  lamben  weit  zahmer  als  die  des 
Archilochos,  indem  sie  die  allgemeine  Reflexion  an  die  Stelle  des  persön- 
lichen Spottes  setzen.-)  Doch  hatten  die  Alten  auch  giftigere  Verse  von 
ihm,  in  denen  er  einen  gewissen  Orodoikides  verfolgte.^) 

95.  Hipponax  von  Ephesos  lebte  zur  Zeit  des  Vordringens  der 
Perser  nach  der  griechischen  Küste  und  musste  um  542  dem  unter  persi- 
schem Schutz  in  seiner  Vaterstadt  eingesetzten  Tyrannen  Athenagoras 
weichen.^)  Er  wandte  sich  nach  Klazomenä,  wo  er  sein  übriges  Leben 
in  Dürftigkeit  als  halber  Bettler  (fr.  16 — 19)  verbrachte.  In  seinen  Dich- 
tungen verfiel  er  wieder  ganz  in  den  Lästerton  des  Archilochos,  nur  dass  er 
diesen  durch  das  Pöbelhafte  seiner  von  der  Gasse  geholten  Sprache  noch 
übertrumpfte.  Mit  grimmem  Spott  verfolgte  er  namentlich  die  Bildhauer 
Bupalos  und  Athenis,  welche  die  hagere  und  hässliche  Gestalt  des  Dichters 
karikiert  hatten.  Er  wird  Erfinder  der  Parodie  und  der  Choliamben  genannt.^) 
In  hinkenden  lamben  ist  kein  ganzes  Gedicht  auf  uns  gekommen,  wohl  aber 
haben  wir  einzelne  hinkende  Trimeter  und  Tetrameter,  wie  die  famosen 

6v'  TjjxsQcci  yvraixog  siaiv  rj6i(TTai, 

oxav  yccp^fj  Tig  xdxcp&Qij  Tsd^vrjxvtav. 
Man  fühlt  die  Geschicklichkeit  des  Griffes,   mit   der  Brechung   des  Rhyth- 
mus das  Lahme  und  Hässliche  nachzuahmen. 

Grosse  Vertreter  des  Spottgedichtes  hat  es  ausser  diesen  dreien  nicht 
gegeben.  Kleine  Spielereien  gab  es  von  Ananios,  der  mit  Hipponax 
gleichalterig  war,  Hermippos,  einem  Zeitgenossen  des  Perikles,  der  Ko- 
mödien und  lamben  schrieb,  Her o das,  der  auch  Mimiamben  dichtete,  Ker- 
kidas  aus  Megaiopolis,  der  zur  Zeit  des  Philipp  lyrische  Spottgedichte 
(Meliamboi)  erfand,  Aischrion  aus  Mytilene,  einem  Freund  des  Aristoteles, 
von  dem  uns  durch  Ath.  335b  eine  witzige  Ehrenrettung  der  Hetäre  Phi- 
lainis  erhalten  ist,^)  Hermeias  aus  Kurion  in  Kypern,  von  dem  Hephästion 
p.  67,  11  auch  einen  kretischen  Vers  aufgezeichnet  hat,  Phoinix  aus  Ko- 
lophon,  der  um  Ol.  118  Choliamben  und  ein  Gedicht  auf  die  Einnahme  seiner 
Vaterstadt  dichtete. 


)  Man  erwartet  in  dem  grossen  Gedicht  '^)  Ich  beziehe    darauf   den   Ansatz   des 


von  118  Versen  Gleichheit  der  einzelnen 
Abschnitte;  diese  suchten  durch  kühne  Kon- 
jekturen herzustellen  Kiessling  u.  Ribbeck, 
Rh.  M.  19,  136  ff.  u.  20,  74  ff. 

'^)  Dahin  gehört  wahrscheinlich  auch 
0  Ztfxioyldov  fxaxQog  '/.oyog  (Arist.  Met.  p. 
1091  a  7),  der  nach  Alexander  Aphrod.  z. 
St.  die  Entschuldigungsreden  von  Sklaven 
enthielt. 

•')  Luc.  Pseudol.  2. 


Hipponax  in  Marm.  Par.  auf  Ol.  59,  3:  Pli- 
nius  N.  H.  36,  5  setzt  ihn  Ol.  60.* 

■')  Die  hinkenden  lamben  haben  nach 
ihm  den  Namen  Hipponactei  versus  erhalten ; 
Erfinder  der  Parodie  nennt  ihn  Polemon  bei 
Athen.  698b,  indem  er  zugleich  4  parodische 
Hexameter  von  ihm  anführt. 

^)  Aischrion  schrieb  auch  ein  episches 
Gedicht  'EcprjfAs^iösg ;  s.  Suidas  nnd  Tzetzes, 
Chil.  VIII,  405. 


120 


Griochische  Litteratiirgescliichte.     I.  Klassische  Periode, 


96.  Die  Fabe]  {alrog,  ixv&og,  ^oyog,  «/roAoyog)  i)  ist  ihrem  ältesten 
Namen  {a?vog)  nach  eine  Erzählung  von  lehrhaftem  Charakter;  speziell 
verstanden  schon  Hesiod  und  Archilochos  darunter  eine  Erzählung  aus 
der  Tierwelt.^)  Als  Erzählung  fällt  sie  in  die  Sphäre  der  epischen  Poesie; 
sie  aber  hier  zu  behandeln,  mahnt  ihre  häufige  Anwendung  bei  den 
iambischen  Dichtern  und  ihre  Einkleidung  in  iambisches  Versmass  bei 
den  erhaltenen  Fabeldichtern  Phädrus  und  Babrios.  Märchen  und  Tier- 
fabeln pflegen  wie  keine  andere  Gattung  der  Litteratur  von  Volk  zu  Volk 
zu  wandern,  und  so  haben  nicht  bloss  die  griechischen  Fabeln  zu  den 
Lateinern,  Deutschen,  Indern  ihren  Weg  gefunden,  sondern  sind  umgekehrt 
auch  nach  Griechenland  aus  fremden  Ländern  viele  sinnige  Beobachtungen 
vom  Leben  der  Tiere  gekommen.^)  Ist  es  auch  sehr  fragwürdig,  ob  schon 
die  Indogermanen,  wie  Jak.  Grimm  in  der  Einleitung  zum  Reinhart  Fuchs 
annahm,  einen  Schatz  von  Tierfabeln  in  ihre  späteren  Wohnsitze  mitbrachten, 
so  stammen  doch  unzweifelhaft  viele  Fabeln  der  Griechen  aus  der  Fremde, 
aus  Ägypten,  Indien,  Phrygien,  Karlen.  Es  waren  wohl  zumeist  die  fremd- 
ländischen Sklaven,  die  solche  Erzählungen  aus  ihrer  Heimat  mitbrachten 
und  damit  bei  den  Griechen,  die  selber  schon  von  Hause  aus  an  scharfe 
Naturbeobachtung  gewöhnt  waren,  Beifall  fanden.  Mit  der  Zeit  wurden  auch 
Sammlungen  von  Freunden  dieser  volkstümlichen  Poesie  veranstaltet.  Neben 
den  äsopischen  Fabeln  kennt  schon  Aischylos  Fr.  135  und  Aristoteles  Rhet. 
II,  20  die  libyschen  Erzählungen;^)  dazu  kamen  später  die  sybaritischen 
Witzfabeln  aus  dem  Kreise  der  menschlichen  Gesellschaft,'')  und  die  Auf- 
zeichnungen von  phrygischen,  karischen,  kilikischen,  ägyptischen,  kyprischen 
Tier-  und  Pflanzenfabeln.  ^)  Leicht  erklärlich  ist  es  ausserdem  bei  dem 
dehn-  und  wendbaren  Stoff  der  Fabel,  dass  teils  die  Tiernamen  je  nach 
dem  Orte  wechselten,^)  teils  dieselbe  Fabel  anfangs  im  politischen,  später 
im  ethischen  Sinne   gedeutet   wurde. *^)     Den    Grundstock    der  griechischen 


1)  ctlpog  =  Erzählung  in  Od,  14,  508, 
=  Tierfabel  in  Hes.  Op.  202,  Archil.  fr.  86; 
juvS^og,  wovon  fahula  die  lat.  Übersetzung 
ist,  findet  sich  zuerst  bei  Aeschyl.  fr.  135  u. 
Plato  Phaedr.  61b,  Rep.  350  e;  Xoyog  bei 
Herod.  I,  141  u.  II,  134;  apologus  in  der 
Bedeutung  einer  Erzählung  aus  der  Tierwelt 
steht  bei  Quintil.  VI,  3.  44  und  Gellius  II, 
29.  1 ;  enifxv&ia  und  entloyoL  hiessen  die 
Nutzanwendungen  am  Schluss,  die  erst  in 
den  Schulen  der  Grammatiker  und  Pädagogen 
hinzukamen. 

2)  Hes.  Op.  198-208;  Arch.  fr.  86. 

■^)  Näheres  darüber  in  der  inhaltreichen 
Abhandlung  von  0.  Keller,  Geschichte  der 
griechischen  Fabel,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
IV,  309  —  418,  worauf  ich  bezüglich  der  vielen 
hiebei  in  Frage  kommenden  Kontroversen 
verweise.  Die  Wanderung  der  Fabeln  lehrt 
im  einzelnen  Benfey  in  der  berühmten  Be- 
arbeitung des  indischen  Fabelbuches  Pantscha- 
tantram,  Leipz.  1859,  2  Bde.  Vgl.  Lessing, 
Über  die  äsopischen  Fabeln,  Gesamtausg. 
von  Lachmann  V,  395  ff. ;  Prantl,  Über  das 
Tierepos    bei     den    Schriftstellern    des    spä- 


teren Altertums,  in  Philol.  VII  (1852)  61-76. 

^)  Babrios  im  2.  Proömium  V.  5  nennt  als 
Verfasser  der  libyschen  Fabeln  den  Kibysses. 

^)  Arist.  Vesp.  1259:  AlaaSnEiov  yi'koiov 
7]  ^vßccQirixöy.  Schol.  Arist.  Av.  471 :  tmi^ 
de  fxv^Mv  ol  fjLev  dlöycov  ^iO(x)u  eialv  Jiaoinov, 
ol  de  nsQt  dv^qo'moyv  IvßaQiiixoi.  Gegen 
diese  Sonderung  polemisiert  Theon  in  Rhet. 
gr.  III,  73.  9  Sp. 

^)  Theon  Progymn.  c.  3:  ol  Xoyoi  xa- 
'Aovviai  JiaojTisioL  xcd  Aißvarixol  rj  Ivßa- 
qiTixoi  XE  xal  4>Qvyiov  xal  KiHxioi  xal  Kuqi- 
xol  xal  AlyvmioL  xal  KvriQiof  weiter  unten 
werden  als  Verfasser  von  Fabeln  genannt 
JXaoinog,  Kovvig  6  K'lXl'^,  QovQog  6  2!vßaQlT}]g. 
Kvßiaadg  ix  Aißvrjg.  Eine  Pflanzenfabel  ist 
die  vom  Streit  des  Ölbaums  und  Lorbeers 
bei  Callim.  fr.  93. 

^)  Den  Schakal  als  Berater  des  Löwen 
bei  den  Indern  ersetzte  bei  den  Griechen 
der  Fuchs;  s.  Keller,  a.  0.  337  f.,  Tiere 
des  klass.  Altertums  S.  193,  Wahrscheinlich 
kommt  auch  der  Name  ahonifq  von  löpa^a. 
was  im  Sanskrit  Schakal  .bedeutet. 

^}  So  erzählte  Stesichoros  die  Fabel  vom 


B.  Lyrik.     3.  Die  iambische  Poesie.  (§  96-97.) 


121 


Fabeln  bildeten  die  äsopischen,  und  von  dem  Vater  derselben  soll  hier  noch 
in  Kürze  gehandelt  werden. 

97.  Aesop  [AirfoQTiug)  war  nach  der  einzigen  glaubwürdigen  Nach- 
richt des  Herodot  II,  134  Sklave  des  ladmon  in  Samos  zur  Zeit  des 
Königs  Amasis,  also  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts.  Herodot  erzählt 
auch,  offenbar  nach  Erkundigungen,  die  er  während  seines  Aufenthaltes 
in  Samos  eingezogen,  dass  der  Enkel  jenes  ladmon  von  den  Delphiern 
ein  Sühngeld  für  den  erschlagenen  Aesop  empfangen  hatte.  Allgemein 
muss  also  damals  bereits  die  Kunde  von  dem  gewaltsamen  Tode  des 
Fabeldichters  in  Delphi  verbreitet  gewesen  sein.  Die  Veranlassung  des 
Todes  gibt  Herodot  nicht  an;  die  Späteren  wissen  bald  von  der  bösen 
Zunge  des  Aesop  zu  erzählen,  bald  von  der  Unterschlagung  der  Geschenke 
des  Königs  Krösus,  bald  von  dem  Diebstahl  einer  silbernen  Schale. i) 
Zeigt  sich  hier  schon  die  Neigung  der  Alten,  mit  freier  Phantasie  die 
Lücken  der  Überlieferung  zu  ergänzen,  so  noch  mehr  in  all  dem  andern 
Detail,  was  das  spätere  Altertum  von  der  Herkunft,  dem  Leben  und  der 
Gestalt  des  Vaters  der  Fabeldichtung  den  jungen  und  alten  Kindern  auf- 
tischte.''^) Herakleides  Pontikos  machte  ihn  zum  Thraker,^)  vermutlich  weil 
seine  Mitsklavin,  die  berüchtigte  Hetäre  Rhodopis,  nach  Herodots  Zeugnis 
eine  Thrakerin  war;  andere  Hessen  ihn  aus  Phrygien  stammen,  vielleicht 
weil  der  Kern  seiner  Fabeln  phrj^gischen  Ursprung^)  verriet.  Neuere  dachten 
an  äthiopische  Herkunft,  indem  sie  den  Namen  Aisopos  für  eine  Verstüm- 
melung aus  Al&foif)  erklärten.'*)  Zusammenkommen  Hess  man  ihn  mit  dem 
reichen  König  Krösus  und  mit  den  7  Weisen  Griechenlands.^)  In  Athen, 
dem  Centrum  des  Witzes  und  der  Gescheutheit,  musste  der  witzige  Dichter 
natürlich  auch  gewesen  sein.'^)  Selbst  von  dem  Reiche  der  Schatten  Hess 
ihn  die  attische  Komödie  wieder  auferstehen.^)  Von  Gestalt  dachte  man 
ihn  sich  höckerig  und  verwachsen ;  ^)  denn  den  von  Natur  Vernachlässigten 
pflegt  ja  bekanntlich  zumeist  der  Stachel  beissenden  Mutterwitzes  gegeben  zu 


Pferd,  das,  um  sich  an  dem  Hirsch  zu  rächen, 
den  Zaum  von  dem  Menschen  annahm,  den 
Himeräern,  damit  sie  sich  vor  dem  Tyrannen 
Phalaris  hüteten;  siehe  Arist.  Rhet.  II,  20. 
Ebenso  warnte  Aesop  selbst  die  Samier  vor 
den  Demagogen,  indem  er  ihnen  die  Fabel 
vom  Fuchs,  Blutegel  und  Igel  erzählte,  Ver- 
gleiche die  Erzählung  von  Menenius  Agrippa. 
Vgl,  L,  Spengel  im  Kommentar  zu  Aristot. 
Rhet.  II,  20.  8,  Wie  beliebt  auch  später  noch 
bei  den  Athenern  die  Tierfabel  war,  zeigen 
die  Fragmente  des  Redners  Demades, 

^)  Arist.  Vesp.  1446  bringt  die  Beschul- 
digung des  Diebstahls  mit  einer  Fabel  des 
Aesop  vom  Käfer  und  Adler  in  Verbin- 
dung; der  Ausdruck  Jiaionstoy  alfia  wurde 
sprichwörtlich,  s.  Zenob,  I,  47,  Ps.  Diogen. 
I,  47,  Himer,  or.  XIII,  5,  Aristoteles  ge- 
dachte der  Sage  in  der  Politie  der  Samier, 
fr.  445  Rose. 

''')  Einen  vollständigen  Roman  über  das 
Leben  des  Aesop  haben  wir  aus  dem 
Mittelalter,    der    fälschlich  die     Hdschr, 

gehen    bis    ins    10.    Jahrh.    zurück    -     unter 


dem  Namen  des  Planudes  geht.  Mit  dem 
alten  Köhlerglauben  hat  gründlich  aufge- 
räumt Bentley,  De  fabulis  Aesopi,  im  An- 
hang zu  den  Epist.  Phalerideae.  Vgl.  Grau- 
ERT,  De  Aesojio  et  fabulis  Aesopeis,  Bonn 
1825 

'■')  Fr,  3;  danach  Schol,  Arist.  Av.  471. 
Suidas^u,  Maounog  '   EvysizMP  ds  ßl8af]/ußQi- 

avov   £lTlEy. 

')  Dio  Chrys.  or.  32  p.  684,  Gellius  II, 
29,  Aelian  V,  H,  X,  5,  Himer.  XUI,  5, 

■')  Welcker,  Kl,  Sehr.  II,  254  f.;  Zün- 
DEL,  Rh.  M.  5,  447  ff, ;  dagegen  Keller  a. 
0.  375, 

ö)  Plut,  Sol.  28;  Conv,  sept.  sap.  c,  4, 

^)  Phaedr.  I,  2  u,  II  epil.  Alexis  dich- 
tete eine  Komödie  Aiaconog,  worin  ein  Zwie- 
gespräch des  Aesop  und  Solon  vorkam, 

**)  Piaton  der  Komiker  bei  Schol,  Arist. 
Av,  471, 

'*)  Lysipp  nach  Agathias  35,  Aristode- 
mos,  ein  Schüler  Lysipps,  nach  Tatian  adv, 
Graec.  55,  hatte  ihn  neben  den  7  Weisen 
in  Athen  gebildet. 


122  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

sein.  Eine  ganze  Serie  von  Abenteuern  wurde  ihm  angedichtet,  bis  er  schliess- 
lich selbst  für  eine  blosse  Fiktion  ausgegeben  wurde.  ^)  Seine  Fabeln  er- 
zählte Aesop  in  schlichter  Prosa,  was  auch  in  den  Namen  löyoi  und  "koyo- 
Tioiog  ausgedrückt  ist.  2)  Dass  er  sie  niedergeschrieben  habe,  hat  mit  Recht 
Bentley  bezweifelt,  da  der  Alte  in  Aristophanes  Wespen  V.  566  die  lustigen 
Geschichtchen  {yeXoTa)  Aesops  nicht  aus  einem  Buch,  sondern  aus  den  Unter- 
haltungen bei  den  Gelagen  lernt.  Zuerst  hat  Sokrates  im  Gefängnis  die 
zuvor  nur  mündlich  kursierenden  Fabeln  in  Verse,  und  zwar  in  elegische 
Distichen  gebracht.  Später  veranstaltete  Demetrios  von  Phaleron  eine 
Sammlung  äsopischer  Fabeln  in  Prosa  [löywv  AlaoonsiMv  avvaycoyai),  welcher 
die  Sammlungen  libyscher  Fabeln  von  Kybissos,  kilikischer  von  Konnis, 
sybaritischer  von  Thuros  folgten.  Die  Sammlung  des  Demetrios  ist  so 
wenig  wie  eine  der  andern  auf  uns  gekommen;  erhalten  sind  uns  aus  dem 
Altertum  nur  die  poetischen  Bearbeitungen  des  Babrios,  Phädrus,  Avianus. 
Aus  dem  Mittelalter  stammen  prosaische  Metaphrasen  äsopischer  Fabeln,^) 
die  Fabeln  des  Syntipas,  und  eine  in  choliambischen  Tetrametern  verfasste 
Sammlung  des  Ignatius  Dioskorides  aus  dem  9.  Jahrh.^) 

4.  Arten  der  Lyrik  im  engeren  Sinn.^) 

98.  Unter  lyrischen  Gedichten  {{xtlrD  im  engeren  Sinn  verstanden 
die  Griechen  solche,  die  gesungen  wurden  und  zum  Singen  von  vornherein 
durch  ihre  Form  angelegt  waren.  Charakteristisch  für  dieselben  ist  daher 
die  strophische  Komposition  (noiri^a  xaxd  nsqioSov).  Denn  für  die  Alten, 
welche  die  musikalische  Komposition  eng  der  Form  des  Textes  anpassten, 
war  die  Vereinigung  mehrerer  Glieder  [xmXo)  zu  einem  grösseren  Satz 
{TttQ(odog)  die  naturgemässe  Voraussetzung  der  Singbarkeit.  Mit  dem  Ge- 
sang hängt  dann  eine  zweite  Eigentümlichkeit  der  Form,  die  Verbindung 
von  daktylischen  und  trochäischen  Füssen  oder  der  Gebrauch  von  logaödi- 
schen  Reihen  zusammen.  In  solchen  Versen  nämlich  traten  zum  Unter- 
schied von  langen  und  kurzen  Silben  oder  ganzen  und  halben  Noten,  mit 
denen  sich  kaum  eine  einigermassen  klangvolle  Melodie  herstellen  Hess, 
noch  die  Werte  von  P/2,  '^;\,  3  Zeiten  hinzu.  Solche  logaödische  Verse 
aber,  wie 

Ssdvxs  ßtv  d  asXäva  ^   \     ^    ^^    \    ^   \     I.    I  "f 

^  0     \  0    0  0  0  0     \  0'  0  ' 

haben  einen  so  melodischen  Tonfall,  dass  jeder  unwillkürlich  zum  Singen 
sich  eingeladen  fühlt.  Vorgebildet  war  bei  den  Griechen  die  Liederdichtung 
durch  die  Entwicklung  der  Musik,  wie  wir  sie  in  dem  einleitenden  Kapitel 
dargestellt  haben.     Die  Elegie  mit  ihrer  einfachsten  Strophenform  und  die 


" Gesamtausgabe :  Mvit^Mv  AlauiTTsioiv avvccytayi] 
von  KoRAEs,  Par.  1810;  Fahulae  Aesopicae 
ed.  Halm  in  Bibl.  Teubn. 

^)  Herausgegeben   von    C.    Fe.    Müller 
in  Kieler  Progr.   1886. 

hinzu    ex    hihl.    Falatina    studio   Neveleti,    |  ^)  Härtung,    Griech.    Lyriker,    Leipzig 

(Francof.  1610),  aus  Florentiner  Handschriften    i    1856.     Der  Name  fj-skonoiol   ist  ebenso  wie 


')  Welckee,  Aesop  eine  Fabe],  in  Kl. 
Sehr.  H,  228  ff. 

■-)  Theon,  Progymn.  p.  73,  27  Sp. 

•'')  Zu  den  zuerst  gedruckten  144  Fabeln 
des  Mönches  Maximus  Planudes  kamen  neue 


von  de  Füria  (Flor.  1809),  aus  dem  cod. 
Augustamis  von  I.  G.  Schneider  (1812),  aus 
dem    cod.   Bodleianus    von    Knöll    (1877). 


^8li'}^ia  (schon  bei  Piaton)  falsche  Analogie- 
bildung nach   icc^ußonoioi 


B.  Lyrik.     4.  Arten  der  Lyrik.  (§  98-99.)  123 

Ausbildung  des  iambischen  Rhythmus  neben  dem  daktylischen  waren 
gleichsam  die  Vorstufen,  auf  denen  sich  der  anmutige  Bau  der  lyrischen 
Poesie  erhob.  Mit  dem  Epodos  des  Archilochos  war  im  Grund  genommen 
die  lyrische  Strophe  schon  fertig.  An  Archilochos  schloss  sich  denn  auch 
unmittelbar  die  Entfaltung  der  lyrischen  Poesie  an,  die  noch  mit  dem  7. 
Jahrhundert  begann  und  der  Litteratur  des  6.  Jahrhunderts  die  eigentliche 
Signatur  gab.  In  dieser  Zeit  hatte  das  ionische  Kleinasien  aufgehört,  Aus- 
gangs- und  Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens  zu  sein ;  Lieder  wurden  daher 
nicht  bloss  in  lonien,  sondern  allerorts  in  Griechenland,  auf  dem  Festland  und 
auf  den  Inseln,  in  den  griechischen  Mutterstädten  und  in  den  blühenden  Kolonien 
von  Sikilien  und  Unteritalien,  im  äolischen  wie  im  ionischen  und  dorischen 
Hellas  gedichtet.  Eine  allgemein  gültige  (xotvrj)  Sprache  gab  es  aber  damals  noch 
nicht,  und  da  auf  der  anderen  Seite  Lieder,  welche  für  das  Volk  bestimmt 
waren,  auch  in  der  Sprache  des  Volkes  gedichtet  sein  wollten,  so  schied 
sich  die  Lyrik,  im  Unterschied  vom  Epos,  nach  den  Dialekten.  Und  nicht 
bloss  entstunden  Lieder  im  äolischen,  ionischen,  dorischen,  attischen  Dia- 
lekt; es  nahmen  dieselben  auch  die  Eigentümlichkeiten  der  Stämme  an,  so 
dass  mit  der  Sprache  auch  die  glühende  Leidenschaftlichkeit  der  Aolier, 
die  lebensfrohe  Genussucht  der  lonier,  der  feierliche  Ernst  der  Dorier,  die 
heitere  Besonnenheit  der  Attiker  zum  Ausdruck  kam.  Schade,  dass  die 
Ungunst  der  Zeiten  von  diesem  vielästigen  Baum  der  Litteratur  nur  wenige 
Blüten  unversehrt  zu  uns  getragen  hat  und  dass  mit  dem  Verklingen  der 
alten  Melodien  auch  die  Texte  der  Lyriker  aus  den  Bibliotheken  zu  ver- 
schwinden begannen. ')  Die  Grammatiker  haben  aus  der  grossen  Zahl  der 
lyrischen  Dichter  und  Dichterinnen  9  als  mustergültig  ausgewählt:^)  Alk- 
man,  Alkaios,  Sappho,  Stesichoros,  Ibykos,  Anakreon,  Simonides,  Pindar, 
Bakchylides. 

99.  Die  Lyrik  selbst  zerfällt  wieder  in  viele  Arten,  von  denen  das 
Lied  (ja^Aog)  und  der  Chorgesang  {(p^rj)  die  umfassendsten  sind.  Das  Lied, 
zum  Einzelgesang  bestimmt,  dient  vornehmlich  zum  Ausdruck  subjektiver 
Empfindungen,  singt  von  Liebesschmerz  und  Weineslust,  von  jauchzender 
Freude  und  niederschlagender  Trauer,  von  allem,  was  des  Menschen  Herz 
bewegt.  Es  ist  diejenige  Gattung  der  Lyrik,  welche  unserer  sentimentalen 
Stimmung  am  meisten  zusagt  und  deren  liebliches  Spiel,  weil  es  allgemeine 
Saiten  der  menschlichen  Seele  anschlägt,  den  Moment  und  den  Anlass,  der 
es  geboren,  am  längsten  überdauert.  Sie  wurde  bei  den  Griechen  vorzüg- 
lich von  den  Aoliern  und  loniern  gepflegt,  die  sich  schwärmerischen  Ge- 
fühlen und  freier  Lebenslust  ungezwungener  überliessen,^)  und  führte  zum 
erstenmal  auch  die  Frau  in  die  Hallen  der  Litteratur  ein.  Der  Chorgesang, 
der  sich  im  Anschluss  an  die  Feier  von  Götterfesten  und  Siegen  entwickelte, 
war  von  vornherein   mehr  auf  das  Erhabene  und  Grossartige   als   auf  das 


')  Im  4.  Jahrh.  las  der  Sophist  Himerios 
noch  fleissig  seine  Lyriker,  so  dass  uns  in 
seinen  Reden  viele  prosaische  Paraphrasen 
alter  Lieder  vorliegen. 

2)  Anth.    IX,    184;    Quintil.    X,    1.    61: 
novem  vero  lyricormn  lonpe  Pmdarus  prin-    \    ^^  ^^^i  ^^jy  (flfKiiuy  ursaic 
ccps.    Ein  unbedeutender  'L'raktat  tis()i  Xvqi 


x(oy   veröffentlicht   von    Boissonade,    Anecd. 
IV,  458,   M.  Schmidt,  Dichjmi  fragm.  395  f. 

^)  Ath.  624e:  Jiuyleüiv  ij^og  .  .  i'^rjQfXt- 
vov  xcd  Te9aQQt]x6g  •  dio  xcd  otxeToi'  iarlr 
«vToTg  i]  cfikoTioaia  xui  t((  tQionxd  xai   näau 


124 


Griechische  Litteratiirgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Gemütvolle  und  Zarte  gerichtet.  Ihr  kalter  Objektivismus  vertrug  sich 
gut  mit  dem  epischen  Element  der  Götter-  und  Heroenmythen,  deren  Preis 
nach  altem  Herkommen  mit  den  öffentlichen  Festen  unzertrennbar  ver- 
bunden war.  Das  alles  stimmte  zu  dem  ernsten  Wesen  und  der  inner- 
lichen Tiefe  des  dorischen  Charakters,  und  so  vervv^uchs  der  Chorgesang 
derart  mit  dem  dorischen  Stamm,  dass  der  dorische  Dialekt  für  die  chorische 
Poesie  die  typische  Form  w^urde.  Die  Gegensätze  Lied  und  Chorgesang 
Avaren  indes  keine  absoluten,  so  dass  auch  manche  Lieder  der  äolischen 
Meliker,  wie  die  Epithalamien  der  Sappho,  nicht  von  einem  einzelnen,  son- 
dern einem  ganzen  Schwärm  [xMf^iog)  gesungen  werden  konnten.^) 

100.  Ausserdem  wurden  von  den  Alten  noch  mehrere  Unterarten 
lyrischer  Dichtungen  je  nach  Anlass  und  Inhalt  unterschieden: 2) 

Skolien  {axoha  ^ibXrj  oder  rcagoivia)  ^)  waren  Trinklieder,  die  beim 
Wein  von  den  Tischgenossen  gesungen  wurden,  indem  ein  Myrten-  oder 
Lorbeerzweig  in  die  Runde  ging;-^)  sie  bildeten  den  Gegensatz  zu 
dem  Päan,  den  vor  Beginn  des  Mahles  alle  gemeinsam  zur  Flöte  an- 
stimmten. 

Epithalamion  hiess  speziell  das  Ständchen,  welches  den  Neuver- 
mählten vor  dem  Brautgemach  {d^dXaixoc)  dargebracht  wurde.  Im  weiteren 
Sinne  verstand  man  darunter  ein  Hochzeitslied  überhaupt,  auch  dasjenige, 
unter  dessen  Gesang  die  Braut  aus  dem  Elternhaus  zu  der  neuen  Woh- 
nung geleitet  wurde.  Von  der  ersteren  Art  gibt  das  18.  Idyll  des  Theo- 
krit  ^EXb'vijg  snid^aXccpnog  einen  Begriff,  von  der  zweiten  die  der  Sappho 
nachgebildeten  Hymenäen  des  Catull. 

Hymnen  waren  Gedichte  auf  die  Götter  im  allgemeinen.  Speziell 
wurden  so  die  einfachen  Preislieder  genannt,  welche  seit  alter  Zeit  an  den 
Götterfesten  in  daktylischen  Hexametern  vorgetragen  wurden  und  als  Haupt- 
sache einen  Mythus  der  betreffenden  Gottheit  enthielten.  Später  bemäch- 
tigten sich  die  Lyriker,  wie  Alkaios,  Anakreon,  Pindar  auch  dieser  Gattung 
der  Poesie  und  wandten  statt  des  stereotypen  Hexameters  kunstvollere 
Versarten  an.  Aber  das  behielten  auch  sie  von  der  alten  Einfachheit  bei, 
dass  sie  die  Hymnen  stets  stehend  (nicht  tanzend)  zur  Kithara  (nicht  zur 
Flöte)  vortrugen.  •'•) 

Die    Prosodien   (ftqoaödm   sc.    i-islrl)   hatten   ihren   Namen    arto    rov 


^)  Demetr.  de  eloc.  167  lässt  für  die 
Epithalamien  die  Annahme  des  Vortrags 
durch  die  Dichterin  oder  einzelne,  gegen 
einander  sprechende  Choreiiten  [x^Q^^?  dV«- 
XEXTiy.ög)  frei;  Einwendungen  von  Flach, 
Gr.  Lyr.  509  f.  Auf  Chorgesang  weist  auch 
Sappho  fr.  54  und  bezüglich  des  Anakreon 
Kritias  bei  Ath.  600  d. 

2)  Pindar  fr,  139  Bg.  deutet  folgende 
Arten  an:  aoidul  Tjaiavl&eg ,  ^id^vQccfxßoi , 
{^QfjpoL,  livoi,vfi.{i^caoi,  ici'Asfioi.  Procl.  Chrest. 
p.  '243  unterscheidet:  rd  sig  t9sovg,  rd  eig 
dvO^Qwnovg.  rd  sig  O^sovg  xal  dvf^QMTiovg.  rd 
8rg  rdg  TiQoaTimTovaag  nsQiardasig.  das  Et. 
M.  ()90,  41  TTQoaodici,  vTroQ/^jf^cna.  ardatfAu. 
Vgl.  Bopp,  Leipziger  Stud.  8,  134  ff.;   Wal- 


ther, De  graeeae  ijoesis  melicae  generihiif^, 
Halle  1866. 

3)  Ilgen,  Scolia,  Jenae  1798;  Engel- 
brecht, De  scoUorum  poesi,  Vind.  1882. 

'*)  Auf  dieses  Umgehen  des  Zweiges  in 
die  Kreuz  und  Quere  wurde  der  Name  axoXiöi' 
gedeutet  (s,  Schol.  Plat.  Gorg.  451  e,  Arist. 
Nub.  1357);  ich  habe  an  anderer  Stelle  den 
Namen  mit  do/fiiog  ()Vr^fj6g  in  Verbindung 
gebracht  und  auf  den  verschlungenen  Gang 
des  Rhythmus  dieser  Trinklieder  bezogen ; 
vgl.  Engelbrecht  p.  40,  der  auf  Maximus 
Tyr.  XXIII,  5  verweist. 

•')  Procl,  chrest.  244,  12:  o  xvQÜog  vf^rog 


B.  Lyrik.    4.  Arten  der  Lyrik.  (§  lOO.) 


125 


aSsa^ai  €v  Tf/}  TtQoaii-vai  totg  ßcoimotg  i]  rcang. ')  Sie  wurden  zur  Flöte  vor- 
getragen, weil  diese  mehr  geeignet  war  einen  schreitenden  und  singenden 
Chor  im  Takt  zu  halten.  Ihre  Ausbildung  erhielten  sie  in  der  chorischen 
Lyrik,  doch  hat  schon  der  alte  Epiker  Eumelos  in  Hexametern  ein  Prosodion 
für  den  delischen  Apoll  gedichtet.  2)  Für  die  Feierlichkeit  des  religiösen 
Aufzugs  schien  auch  den  Späteren  noch  der  daktylische  Rhythmus  am  ge- 
eignetsten zu  sein,  doch  schickten  sie,  um  mehr  Leben  in  die  Bewegung  zu 
bringen,  den  daktylischen  Reihen  einen  Auftakt  voraus  (qv&ixog  TTQoaoSiaxog), 

Der  Dithyrambos^)  war  von  Hause  aus  ein  Lied  auf  den  Weingott 
Dionysos,  weshalb  er  zumeist  an  den  Orten,  wo  der  Weinbau  und  der 
Kultus  des  Dionysos  zu  Hause  war,  in  Naxos,  Thasos,  Böotien,  Attika 
gepflegt  wurde.  Seine  eigentliche  Heimat  scheint  Phrygien  gewesen  zu 
sein,  da  er  nach  Aristoteles,  Polit.  VHI,  7  den  Charakter  der  phrygischen 
Tonart  hatte.  Schon  Archilochos  (Fr.  79)  rühmte  sich  der  Kunst,  dem 
Herrscher  Dionysos  einen  Dithyrambos  anzustimmen.  Wie  man  aus  dem 
dort  gebrauchten  Ausdruck  s'^ä^^ai  f.ii'Xog  schliessen  muss,  war  bereits  da- 
mals beim  Dithyrambos  ein  Chor  beteiligt,  wohl  ein  Chor  schwärmender 
Zecher,  der  mit  jauchzendem  Zuruf  in  die  Worte  des  Vorsängers  einfiel. 
Seine  kunstvolle  Ausbildung  erhielt  er  durch  Arion  in  Korinth,*)  der  um 
600  zuerst  einen  dithyrambischen  Chor  im  Kreisrund  (xvxAiog  x^Q^^)  auf- 
stellte.'') Seine  hauptsächlichste  Pflege  fand  sodann  der  Dithyrambos  in 
Athen,  wo  er  nicht  bloss  aus  sich  die  Tragödie  erzeugte,  sondern  auch 
fortwährend  neben  dem  Drama  das  Hauptfestspiel  abgab.  Anfangs  war 
auch  dieser  entwickelte  Dithyrambos  noch  strophisch  gegliedert,  immer 
mehr  aber  entledigte  er  sich  der  beengenden  Fessel  wiederkehrender 
Strophenbildung,  so  dass  er  schliesslich  der  Hauptrepräsentant  der  freien 
Komposition  {ccTToXeXvixevov  ßtlog)  wurde.*'')  Schon  zuvor  war  er  aus  dem 
engen  Kreis  dionysischer  Festlieder  herausgetreten  und  hatte  auch  den 
Preis  anderer  Götter  und  die  Darstellung  anderer  Mythen  in  sein  Gebiet 
gezogen.'') 

Der  Päan  hatte  seinen  Namen  von  dem  Ausruf  //;  ncfiä\\  mit  dem 
der  Chor  in  den  Gesang  und  das  Zitherspiel  des  Vorsängers  einfiel.^)  Li  Kreta 
zuerst  ausgebildet,  verbreitete  er  sich  von  da  nach  Delphi,  Sparta  und  das 
übrige  Festland.    Als  einer  der  ältesten  Dichter  von  Päanen  wird  Tynnichos 


')  Procl.  ibid.,  Et.  M.  G90,  43;  vergl. 
Xenoph.  Anab.  VI,  1,  11:  ep  rccrg  ngog  rovg 
i^for?  nQOGodoig,  Arist.  Nub.  307.   Pac,  396. 

^)  Den  lyrischen  Prosodien  nachgebildet 
sind  die  Einzugslieder  {nuQo&oi)  der  Tragö- 
dien, die  gleichfalls  mit  Vorliebe  in  Ana- 
pästen komponiert  waren. 

")  M.  Schmidt,  Diatribe  in  dithyrani- 
hum,  Berl.  1845.  Der  Name  scheint  mit 
x^Qiai^ßog  und  dÖQvßog  zusammenzuhängen 
und  erinnert  an  den  Ausruf  io  triumpe. 

')  Schol.  Pind.  Ol.  XIII,  25. 

^)  Procl.  ehrest.  244,  26:  xdv  dl  ccq^cc- 
^evov  Tfjg  (pdrjg  ^jQiaioTshjg  ' Agiova  cprjoiu 
eifCKi,  og  nguitog  lov  xvxXnp  rjyays  X^Q^^- 
Vgl.  Schol.    Pind.   Ol.   XIII,  25.     Über   die 


Stellung  des  Koryphaios  s.  Ath.  152b.  Ein 
Bild  von  einem  solchen  im  Kreis  um  den 
Altar  tanzenden  Chor  gibt  uns  Callim.  hymn. 
IV,  312  ff. 

6)  Procl.  245,  14;  Hör.  Od.  IV,  2.  10: 
seil  per  audaces  nova  dithyrambos  verba 
devolvit  numerisque  fertur  lege  solutis. 
Die  herrschende  Tonart  der  Dithyramben 
blieb  die  phrygische  und  hypophrygische. 

"')  Neben  Dithyramben  werden  ioßax/oi 
genannt;  der  Unterschied  beider  ist  dunkel. 

*")  Schon  erwähnt  in  dem  interpolierten 
Vers  des  Homer  A  473,  beschrieben  im  Hym- 
nus auf  Apoll.  Pyth.  336  ff.  Vgl.  Suidas  u. 
e'^uQ/ovxeg.  und  Ath.  096 f  über  das  tjuiuvi- 
Xüp  enicpd^sy^a. 


126 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


aus  Chalkis  genannt,  von  dem  Piaton  Ion  p.  534 d  einen  in  aller  Mund 
lebenden  Päan,  ein  wahres  evqrnxä  xi  Moiaäv,  erwähnt.^)  Ursprünglich  gab 
es  nach  Proklos  nur  Päane  an  Apoll  und  Artemis,  gesungen  zur  Ver- 
söhnung des  Götterzorns  bei  Seuchen  und  Krankheiten;  später  kamen  auch 
solche  an  andere  Götter  auf,  die  mit  jenen  nur  den  choralartigen  Gesang 
und  den  Vortrag  durch  einen  in  feierlichem  Takte  {ififXi'Xsia)  sich  bewegen- 
den Chor  teilten.  2)  Übrigens  gebraucht  schon  Homer  J^  391  das  Wort 
auch  von  dem  Siegesgesang,  welchen  die  Söhne  der  Achäer  bei  dem  Falle 
Hektors  anstimmten.  Es  scheint  sich  derselbe  aus  Dankliedern  an  Apoll 
nach  glücklicher  Beendigung  der  Not,  wie  uns  ein  solches  bei  Aristoph. 
Vesp.  869 — 874  erhalten  ist,  entwickelt  zu  haben.  Ein  Hauptversmass  der 
Päane  war  der  Päon    -  ^  ^^,  der  davon  den  Namen  hat. 

Das  Hyporchem  war  ein  Tanzlied  auf  Apoll,  vorgetragen  in  leb- 
haft bewegten  Rhythmen.-^)  Auch  es  stammte  aus  Kreta  ^)  und  unterschied 
sich  von  dem  Päan  wesentlich  nur  durch  den  rascheren  Rhythmus  und  die 
flinkere  Bewegung  der  Beine.  •'^)  Wie  andere  lyrische  Gesänge,  so  hat  auch 
das  Hyporchem  seine  Fortbildung  im  Drama,  und  zwar  zunächst  in  den 
kretischen  Gesängen  der  Komödie  gefunden.  Aber  auch  das  in  lebhaftesten 
Rhythmen  gedichtete  Chorlied  an  Apoll  in  Soph.  Trach.  205  —  224  dürfen 
wir  für  die  Nachbildung  eines  solchen  kretischen  Tanzliedes  halten. 

Parthenien  waren,  wie  der  Name  besagt,  Lieder  für  Mädchenchöre, 
die  entweder  selbst  tanzend  sangen  oder  zum  Gesang  und  Spiel  eines  An- 
deren ihre  Tanzbewegungen  ausführten.  Sie  waren  vornehmlich  in  Sparta 
zu  Haus,  wo  die  freiere  Stellung  des  Weibes  ihre  Entwicklung  begünstigte. 
Unter  den  Lyrikern  haben  ausser  Alkman,  dem  berühmtesten  Parthenien- 
dichter,  Pindar,  Simonides  und  Bakchylides  Parthenien  gedichtet.  In  ihrem 
Geiste  scheinen  die  Tanzlieder  in  der  Exodos  der  Lysistrate  gehalten  zu 
sein.  Eine  Unterabteilung  der  naQ&evsia  waren  die  SacpvrjcpoQixd,  bei  deren 
Vortrag  ein  edelgeborener  Jüngling  (rratg  dfKpid^aXr^g)  voranzog  und  ein 
mit  Lorbeerzweigen  geschmückter  Jungfrauenchor  nachfolgte.^') 

Ausserdem  kommen  als  Namen  spezieller  Gesangsformen  noch  vor: 
^QTjVoi  und  sTTixrjdsia  Totenlieder,  ^)  ijiinxoi  (sc.  viivoi)  Siegeslieder,  iyxw- 
luu  Preisgesänge  auf  Könige  und  Fürsten,  gesungen  beim  festlichen  Mahl 
[iv  xM^fo),^)   iäXeiioi    Trauerlieder    bei    Seuchen    und    Krankheiten,^)  ^Aöm- 


^)  Vgl.  Porphyrius  de  abstin.  II,  18: 
To^  yovv  Jia^vXov  cpaol,  twv  JsAcfojy  c'i'Hovv- 
ru)u  sig  ToV  S^eov  yquipca  naiava,  slneTp  ort 
ßsXriara  Tvpyti/tp  7Jsnob]Tca '  nagaßciXlo^evou 
cTe  tov  uvTov  TTQog  TOV  ixeivov  xaviov  rrslasff- 
dca  xoTg  uydXfxaOiv  JoTg  xuiyoig  nQog  xd  aQj^cda. 

2)  Ath.  628  a  stellt  deshalb  den  gemes- 
senen Päan  dem  Dithyrambus  entgegen. 

=^)  Procl.  246,^7.^  Ath.  631c:  r)  vnoQxv- 
fiarixrj  eariy  iv  fi  adojv  6  x^Q^?  oQ/shia. 
Menander  de  encom.  p.  331,  21  Sp.:  rovg 
juey  yiiQ  sig  ' Ano'AXojva  naiävag  xal  vnoqx'*]' 
fxata  6vofj,dt,o}xev,  xovg  de  ttg  Jiopvaov  di- 
i^vQctfAßovg  xcd  ioßäxxovg.  Näheres  über  diese 
Tänze  gibt  Plut.  Quaest.  conv.  IX,  15. 

"*)  Ath.  181b:  xQ7]Ttx((  xccXovai,  rcc  vnoQ- 
X^f^aTCi.      KQrJTu    ^uey    xccXtovai    XQÖnov,    xo 


d^oQyavov  Molooaov.  Simonides  fr.  31 :  ona 
&s  yctQvacti,  avy  r'  [vvv  codd.)  iXacpQoy  oQxVf^« 
oida  TToduiy  fj.iyvvfXEv. 

^)  Plut.  de  mus.  9  erkennt  an  der  Me- 
lodie, ob  das  Gedicht  ein  Päan  oder  ein 
Hyporchem  ist. 

6)  Unterscheidung  derselben  bei  Procl, 
247,  16  u.  Ath.  174c. 

')  Die  x^Q^voi  sind  dadurch  entstanden, 
dass  die  gymnischen  Leichenspiele  der  ho- 
merischen Zeit  zu  musischen  wurden. 

^j  Pind.  N.  VIII,  50:    smxojfxiog   vjuyog. 

9)  Schol.  Eur.  Rhes.  892:  cfaal  d'  ic'de- 
fxov  7iciQ(x)yofxda&ai  inl  xijurj  'lalefxov  xov 
^AnoX'kiovog  xcd  KaXXionrjg,  wg  cpy^ai  Tllydagog' 
(i  d'  (sc.  uoidd  vfjysi)  Idke^uoy  lo/uoßoho 
vovoM  neda&evxcc  ad^ii'og,  vlöv  OidyQov. 


B.  Lyrik.     5.  Liederdichter  oder  Meliker.  (§  101.) 


127 


vfSia    Adonislieder,    ßavxaXrj(.iaTa   Wiegenlieder,^)   TQi7To6rj(fOQixa,   waxoifo- 
Qixd'^)  u.  a. 

5.  Liederdichter  oder  Meliker. 

101.  Alkaios^)  bildet  mit  Sappho  das  ruhmgekrönte  lesbische  Dichter- 
paar, das  am  Schlüsse  des  7.  und  in  der  ersten  Hälfte  des  6.  Jahrhdts. 
blühte.^)  Das  Geschlecht  des  Alkaios  gehörte  zu  den  altadeligen  Familien 
von  Mytilene;  er  selbst  nahm  mit  seinen  Brüdern  lebhaften  Anteil  an  den 
Kämpfen  des  Adels  gegen  den  von  der  Demokratie  auf  den  Schild  gehobenen 
Tyrannen  Melanchros^)  und  dessen  noch  verhassteren  Nachfolger  Myrsilos. 
Über   den  Tod   des   letzteren   jubelte   er  in  wildem  Parteihass  auf  Fr.  20. 

vvv  XQTi  ix€&va&riv  xai  tiva  ngog  ßi'av 

Auch  in  dem  Krieg,  den  seine  Vaterstadt  um  die  Kolonie  Sigeion  im 
Troerland  gegen  Athen  führte,  kämpfte  er  mit,  wobei  er  seinen  Schild 
verlor,  den  dann  die  Athener  im  Pallastempel  aufhingen.')  Als  die  Myti- 
leneer,  des  ewigen  Haders  müde,  zur  Schlichtung  der  inneren  Zerwürfnisse 
den  weisen  Pittakos  zum  Aisymneten  aufstellten,  verliess  Alkaios  mit 
seinen  Brüdern  die  Heimat^)  und  trat  in  fremde  Kriegsdienste,  die  ihn  bis 
nach  Ägypten  führten. 9)  Den  Abend  des  Lebens  brachte  er  wieder  am 
heimatlichen  Herde  zu,  indem  ihm  Pittakos  die  Rückkehr  gestattete  mit 
dem  berühmten  Ausspruch  avyyrwiiri  rfiio^qiag  xQ€ia(Tcov.^'^)  Diesem  Leben 
entsprechend  durchweht  ein  kriegerischer  Geist  die  Lieder  des  Alkaios,  dem 
sich  die  äolische  Neigung  zu  rauschenden  Weingelagen  und  leidenschaft- 
licher Liebe  verband,  i')  Auch  die  veilchenlockige,  süsslächelnde  Sappho 
sang  er  in  seinen  Liedern  an,  ohne  bei  der  schönen  Dichterin  geneigtes 
Ohr  zu  finden.^-)  Seine  Gedichte,  die  mindestens  10  B.  füllten,  waren  nach 
dem  Inhalt  geordnet;  sie  umfassten  Hymnen  auf  die  Götter, i^)  Streitlieder 
(araaiorcixä)  voll  kriegerischen  Feuers,  darunter  die  glänzende  Beschrei- 
bung eines  Waffensaales  (Fr.  15),  Trinklieder,  von  denen  mehrere  der  glück- 
liche Nachahmer  unseres  Dichters,  Horatius,  nachgebildet  hat  (Od.  I,  9. 
18.  37),  endlich  Liebeslieder  (sQMTixä),  von  denen  uns  die  Nachahmung  des 


')  Solche  Einschläferungslieder  sind  ein- 
gelegt in  Soph.  Phil.  827  ff.  und  Eur.  Or. 
174  ff. 

2)  Procl.  248  f.  ^ 

^j  Der  Artikel  "J'kxmog  ist  bei  Suidas 
ausgefallen;  Dikäarch  hatte  ein  Buch  nEgl 
'AXxaiov  geschrieben,  das  öfters  Atheuaios 
citiert;  s.  Welcker,  Alkäos,  in  Kl.  Sehr.  I, 
126  ft-. 

'*)  Euseb.  setzt  ihre  Blüte  Ol.  46,  1  nach 
der  armen.  Übers.,  Ol.  45,  2  nach  Hieronymus. 
Suidas  setzt  die  Sappho,  die  wir  uns  als  etwas 
jünger  zu  denken  haben,  Ol.  42.  Nach  Herod. 
JI,  135,  muss  Sappho  noch  bis  in  die  Re- 
gierungszeit des  Amasis  (570—526)  hinein 
gelebt  haben. 

^)  Derselbe  fiel  im  J.  612. 

^)  Nachgeahmt  von  Hör.  Od.  1,37;  vgl. 
Strabon  p.  617. 


')  Herod.  V,  95. 

»)  Arist.  Polit.  III,  9. 

9)  Strabon  p.  37. 

i*»)  Diog.  I,  76. 

")  Hör.  Od.  I,  32  u.  H,  13.  Ath.  429a 
sagt,  Alkaios  und  Aristophanes  hätten  trunken 
(fiex^voj/Tsg)  ihre  Gedichte  geschrieben. 

^-)  Arist.  Rhet.  I,  9;  Hermesianax  V.  47. 
Daraufhin  sind  beide  vereinigt  auf  einer 
Vase  der  Münchener  Sammlung;  vgl.  Jahn, 
Darstellungen  griechischer  Dichter  auf  Vasen- 
bildern S.  706  ff.  Der  Kopf  des  Alkaios  auf 
einer  Münze  des  Pariser  Kabinets,  worüber 
Baumeister,  Denkm,  u.  Alcaeus. 

^^)  Der  auf  Apoll  enthielt  den  Zug  des 
Gottes  in  das  Land  der  Hyperboreer  auf 
einem  von  Schwänen  gezogenen  Wagen;  ihn 
gibt  Himerios  or.  XIV  in  Prosa  wieder;  den 
auf  Hermes  übersetzte  Hör.  Od.  I,  10. 


128 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Horaz  Od.  III,  12  einen  Begriff  gibt.  Dem  feurigen,  aus  der  Frische  des 
Lebens  genommenen  Inhalt  entsprach  eine  wundervolle  Vollendung  der 
Form.  Die  Gedichte  des  Alkaios  und  der  Sappho  sind  die  melodischsten 
Schöpfungen  der  Griechen;  das  lesbische  Dichterpaar  hat  die  einschmeicheln- 
den Logaöden  wenn  nicht  erfunden,  so  doch  in  der  griechischen  Lyrik 
eingebürgert,  daneben  aber  auch  choriambische  und  ionische  Verse  gedichtet. 
In  ihren  Liedern  wiederholt  sich  in  gefälliger  Weise  dieselbe  Periode  oder 
Strophe  {laovoaTQocfa  in&'hj),  so  dass  dieselben  leicht  nach  einfacher  Melodie 
gesungen  werden  konnten.  Die  meisten  ihrer  Strophen  bestunden  aus  4 
Gliedern  (TSTQccxoolog  (XTQocfjrj):  speziell  ist  nach  Alkaios  die  kräftige  alkäische 
Strophe  benannt;  doch  wandte  er  auch  mit  gleicher  Virtuosität  die  weiche 
sapphische  Strophe  an. 

102.  Sappho  ')  aus  Eresos  (nach  andern  aus  Mytilene)  in  Lesbos  war 
die  jüngere  Zeitgenossin  des  Alkaios.  Von  ihren  Lebensverhältnissen  weiss 
man  nur  wenig  sicheres,  da  dieselben  früh  durch  die  Sage  und  die  Komödie 
entstellt  wurden.  Ihr  Vater  war  Skamandronymos,  verheiratet  war  sie  mit 
Kerkylas  aus  Andros;^)  von  ihren  3  Brüdern  lebte  der  eine,  Charaxos, 
längere  Zeit  in  Naukratis  mit  der  verführerischen  Hetäre  Rhodopis  zu- 
sammen.^) Infolge  der  politischen  Wirren  verliess  auch  sie  ihre  Heimat 
und  floh  mit  anderen  Gesinnungsgenossen  nach  Sikilien.'^)  Das  Glück  der 
Liebe  hatte  ihr  eine  Tochter  Kleis  geschenkt,  die  sie  mit  zärtlichster  Liebe 
als  das  Kleinod  preist,  welches  sie  um  ganz  Lydien  nicht  hergeben  würde.'') 
Romantisch  ausgeschmückt  wurde  in  alter  und  neuer  Zeit  das  Verhältnis 
der  Dichterin  zu  dem  schönen  Jüngling  Phaon,  der  ihr  untreu  wurde  und 
dem  in  heisser  Liebe  in  der  Richtung  nach  Sikilien  nacheilend,  sie  sich 
vom  leukadischen  Felsen  in  das  Meer  hinabstürzte.  Wahrscheinlich  diente 
der  romantischen  Erzählung  die  politische  Flucht  der  Sappho  nach  Sikilien 
zur  Folie  und  bot  die  Erwähnung  des  leukadischen  Felsens  in  einem  ihrer 
Lieder  ^)  Anlass  zur  speziellen  Ausschmückung  der  Sage.  Verzerrt  und  ins 
Gemeine  herabgezogen  ward  die  Beziehung  der  enthusiastischen  Dichterin 
zu  dem  Kreise  ihrer  Freundinnen.     In  Lesbos  hatte  das  Weib  eine  freiere 


^)  Suidas  nimmt  aus  Missverständnis 
zwei  Sappho  an.  Manches  über  die  Dichterin 
hei  Ovid.  Heroid.  15.  Ein  Buch  des  Cha- 
maileon  über  Sappho  erwähnt  Atli.  599  c. 
Vergl.  Welcker,  Sappho  von  einem  herrschen- 
den Vorurteil  befreit,  in  Kl.  Sehr.  11,  80  144; 
Lehbs,  Pop.  Aufs.-  399  f.;  A.  Schöne,  Unter- 
suchungen über  das  Leben  der  Sappho,  in 
Symb.  phil.  Bonn.  731—62;  Ausgabe  der 
Fragmente  von  Neue,  Berol.  1827.  Ihr  Bild, 
natürlich  Idealbild,  findet  sich  auf  Münzen 
von  Mytilene;  eine  Erzstalue  hatte  Silanion 
gefertigt  (Cic.  Verr.  IV,  57.  126);  Kopien 
desselben  hat  man  in  Marmor  und  Thon 
wiedergefunden;  s.  Gamukrini,  Testa  di 
Haffo,  Ann.  delV  Inst.  LI  (1879)  S.  246  ff. 

-)  Suidas  u.  luTUfw ;  auch  hierin,  spe- 
ziell in  dem  Namen  Andres  (Männerstadt}, 
hat  man  einen  Witz  der  Komödie  gefunden. 

'■')  Herod.  II,  135;  eines  zweiten  Bruders 


Larichos,  der  Mundschenk  in  Mytilene  war, 
gedenkt  Sappho  bei  Ath.  424  f. 

■*)  Mann.  Par.  zwischen  Ol.  43,  4  und 
47,  3  (wahrscheinlich  Ol.  47,  1  oder  47,  2 
nach  Schöne):  Icmtfio  sy  Mixvh']rt]g  sig  2/- 
xEllciv  anlsvae  cpvyovaa.  Ihre  Rückkunft 
und  ihren  Tod  in  der  Heimat  setzen  die 
Grabschriften  Anth.  VII,  14  und  17  voraus. 

^)  Fr.  85;  möglich  freilich  ist,  dass  eine 
andere  Frau  in  1.  Person  spricht. 

^)  In  Leukas,  der  vom  Festland  los- 
getrennten Insel  Akarnaniens,  bestand  ein 
alter  religiöser  Brauch,  einen  Menschen  zur 
Sühne  der  Gottheit  vom  Felsen  ins  Meer 
hinabzustürzen;  ihn  erwähnten  Stesichoros 
fr.  43  und  Anakreon  fr.  19;  Sappho  und 
Phaon  brachte  damit  in  Verbindung  Menan- 
der  bei  Strabon  p.  452;  s.  Müller,  Dorier  I. 
233    und   Oberhummer,   Akarnanien   S.  226. 


B.  Lyrik.     5.  Liederdichter  oder  Meliker  (§  102.) 


129 


Stellung,  die  den  engeren  Zusammenschluss  gleichgesinnter  Mädchen  und 
Frauen  zu  musischen  und  geselligen  Vereinen  (haiQiai)  ermöglichte.  Auch 
Sappho  versammelte  in  ihrem  Hause,  das  sie  selbst  i^ioiaonolov  oixiar 
nannte,^)  schöne  junge  Freundinnen,  mit  denen  sie  dichtete  und  sang  und 
an  denen  sie  mit  der  überschwenglichen  Liebe  einer  heissblütigen  Süd- 
länderin hing.  Es  war  ein  ähnliches  Verhältnis  wie  das  des  Sokrates  zu 
seinen  Schülern.^)  Hier  wie  dort  spielte  neben  der  geistigen  Begabung 
die  Schönheit  der  Gestalt  eine  Rolle;  aber  erst  die  Ausgelassenheit  der 
Komiker  und  die  schmutzige  Phantasie  der  Römer  haben  aus  den  schwär- 
merischen Versen,  mit  denen  Sappho  ihre  Freundinnen,  die  Atthis,  Tele- 
sippa,  Megara  feierte,  ein  gemeinsinnliches  Verhältnis  herausgelesen,  von 
welchem  Vorwurf  die  liebenswürdige  Dichterin  in  unserer  Zeit  Welcker, 
Kl.  Sehr.  H,  80  ff.,  gründlich  gereinigt  hat.^)  Die  Gedichte  der  Sappho 
waren  in  9  ß,  nach  der  Zahl  der  Musen  eingeteilt;  massgebend  war  bei 
der  Anordnung  das  Versmass,  so  dass  z.  B.  das  1.  Buch  Gedichte  in 
sapphischen  Strophen,  das  2.  solche  in  äolischen  Daktylen  enthielt.  Wir  sind 
so  glücklich  ausser  zahlreichen  Fragmenten  noch  2  vollständige  Gedichte  zu 
haben,  eine  Anrufung  an  die  buntthronende  Aphrodite  um  Beistand  in 
Liebesnot  und  ein  Bekenntnis  eifersüchtiger  Liebe  zur  süssprechenden, 
wonniglachenden  Freundin. 4)  Der  Grundton,  der  alle  ihre  Gedichte,  die 
Liebeslieder,  Epithalamien,  Epigramme  durchweht,  ist  der  verzehrender 
Liebesglut,  die  sie  mit  einer  bei  einer  Frau  uns  doppelt  auffallenden  Offen- 
heit ausspricht,  wie  wenn  sie  singt: 

dsdvxe  fxkv  d  askdva  \  xal  IlXrfidSec,  ixedai  de 
vvxTsg^  naqd  6'  Iqx^^'  wqcc,  |  syio  d^  fnöva  xaisvSco. 
Der  sinnliche  Reiz  gehört  zur  Erotik,  namentlich  bei  den  Alten,  aber 
es  ist  nicht  die  schöne  Gestalt  allein,  die  Sappho  begeistert,  sie  verschmäht 
den  Reichtum  ohne  Tugend  (fr.  81)  und  verweist  in  das  Dunkel  des  Hades 
das  Mädchen,  das  nicht  teilhat  an  den  pierischen  Rosen  (fr.  68).  Alle 
ihre  Gedanken  aber  kleidet  sie  in  die  anmutigste  Sprache,  die  harte  Laut- 
verbindungen sorgfältig  meidet'')  und  liebliche  Bilder,  wie  vom  einsamen 
Apfel  am  hohen  Aste  (fr.  93)  uns  vorzaubert.  An  Reichtum  und  Zartheit 
des  Rhythmus  übertrifft  sie  selbst  ihren  Rivalen  Alkaios;  nach  ihr  benannt 
ist  die  sapphische  Strophe,  die  mit  ihren  weichen  Ausklängen  ganz  dem 
Wesen  des  liebevollen  Weibes  entspricht.^)  Ausserdem  dichtete  sie  ein- 
fache Systeme  aus  gleichen  Gliedern  {avarißaTa  f.'^  oiwimv),  mehrgliederige, 
zu  je  2  verbundene  Logaöden,  daktylische  Reihen  mit  einleitender  Basis 
(Aiohxd  j^ibTQa);  auch  die  Erfindung  einer  neuen  Tonart,  der  mixolydischen, 


0  Fr.  136.  Herod.  II,  135  nennt  dem- 
gemäss  die  Sappho  selbst  fÄOvaonoiog. 

'^)  So  fasste  das  Verhältnis  schon  Ma- 
ximus Tyrius  XXIV,  8  auf. 

^)  Ob  bei  Horaz  Ep.  I,  19.  28  temper at 
Ärchilochi  musam  pede  mascula  SappJio 
wirklich  pede  mit  mascula  zu  verbinden  sei, 
bleibt  doch  zweifelhaft.  Pedantische  Gram- 
matiker wie  Didymos  untersuchten  schon  im 
Altertum  allen  Ernstes,  an  Sappho  pnhlica 
fuerit,  s.  Seneca  ep.  88,  37. 

Handbuoh  der  klass.  Altoitimiswisseiischal't,  VII.    2.  Autl 


•*)  Übersetzt  von  Catull  51,  der  uns 
auch  in  dem  PJpithalamion  62  einen  Begriff 
von  den  Liedern  der  Sappho  gibt. 

^)  Dionys.  de  comp.  verb.  23,  wo  sie 
als  Muster  der  yXacpvQo,  xal  avd^ijQa  avPx^eaig 
gepriesen  wird;  Demetr.  de  eloc.  166  f ,  wo 
auch  das  Anpassen  der  Worte  an  die  ver- 
schiedenen Personen  in  den  Epithalamien 
hervorgehoben  wird. 

^)  Hephaest.  p.  64  W. 


130  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

wird  ihr  beigelegt,  i)  Kein  Wunder  also,  dass  Sappho  auch  früh  hohe 
Anerkennung  fand  und  als  zehnte  Muse  von  den  Epigrammatikern  und 
Römern  überschwenglich  gepriesen  wurde.  2)  Ihr  Bildnis  erscheint  auf  myti- 
lenischen  Münzen,  und  ihre  Statue  von  Silanion  wird  von  Cicero  in  Verr.  IV, 
126  als  unübertroffenes  Meisterwerk  gerühmt.  Mit  der  Nachahmung  ihrer 
Lieder  haben  Catull  und  Horaz  die  römische  Lyrik  über  die  seelenlose 
Künstelei  der  Alexandriner  erhoben.^) 

103.  Anakreon  ^)  von  der  ionischen  Insel  Teos  {Teiuspoeta)  schloss  sich 
im  erotischen  Ton  seiner  Dichtungen  ganz  an  die  lesbische  Melik  an,  nur  dass 
er  dem  weichlichen  Lebensgenuss  noch  mehr  huldigte  und  im  ionischen  Dia- 
lekte seiner  Heimat  schrieb.  Vorangegangen  war  ihm  in  letzterer  Beziehung 
unter  seinen  Landsleuten  Pythermos,  der  Skolien  gedichtet  und  nach 
Athen,  p.  625  c  die  ionische  Tonart  eingeführt  hatte.  Infolge  des  An- 
griffs des  persischen  Satrapen  Harpagos  auf  lonien  (545)  wanderte  Ana- 
kreon  nach  Abdera,  einer  teischen  Kolonie  in  Thrakien,  aus.^)  In  diese 
Zeit  wohl  fallen  seine  wenig  rühmlichen  Kriegsthaten,  deren  er  selbst 
scherzend  gedenkt  (fr.  28.  29).  Später  treffen  w^r  ihn  neben  Ibykos  am 
Hofe  des  Polykrates,  des  mächtigen  und  kunstsinnigen  Tyrannen  von  Samos 
(533  —  522),  bei  dem  er  als  Herold  der  Liebe  und  des  Lebensgenusses  in 
besonderer  Gunst  stund. ^)  Nach  dessen  Fall  zog  ihn  Hipparch  nach  Athen,  ^) 
und  nachdem  auch  dieser  gefallen  war  (514),  scheint  er  einer  Einladung 
des  Echekrates,  eines  thessalischen  Dynasten  aus  dem  Hause  der  Aleuaden, 
gefolgt  zu  sein.^)  Er  erreichte  das  hohe  Alter  von  85  Jahren,^)  und  als 
lebenslustigen  Greis,  der  trotz  der  gebleichten  Haare  nicht  von  Wein  und 
Liebe  Hess,  pflegte  man  ihn  mit  Vorliebe  sich  vorzustellen,  i^)  Die  Alexandriner 
hatten  von  ihm  Elegien,  Epigramme,  lamben  undMele,  zusammen  in  5  B.;  auf 
uns  sind  von  denselben  nur  ärmliche  Trümmer  gekommen.  Die  lamben, 
namentlich  das  durch  Athenaios  erhaltene  Gedicht  auf  Artemon  (fr.  21), 
beweisen,  dass  Anakreon  auch  den  bitteren  Stachel  des  Spottgedichtes  zu 
führen  wuisste;  aber  die  Mehrzahl  seiner  Lieder  zeigt  den  heiteren  Gesell- 
schafter und  feinen  Hof  mann,  dem  das  Saitenspiel  beim  Weingelage  über 
alles  geht,  der  nur  durch  das  Beil  des  Eros  verwundbar  ist  (fr.  48),  und 
auch  beim  Herannahen  des  grauen  Alters  mit  Wein  und  Lied  sich  den 
Gedanken  an  den  dunklen  Abgrund  des  Hades  verscheucht.  Auch  seine 
Hymnen  an  die  Götter,  wie  an  Artemis  und  Dionysos,  scheinen  nur  zur 
Einkleidung  des  Gesangs  von  Liebeslust  und  Liebessehnsucht  gedient  zu 
haben.     Dem  spielenden  und  weichlichen  Inhalt  entspricht  auch  die  Form 

^)  Pliit.  de  mus.  IG.  |            ^)  C4eschlossen  aus  Fr.  184. 

^)  Vgl.  Strabon  p,  (J17,  der  sie  x9avjuci-  j            ^}  Luc.  Macrob.  26;    sein    Grab   befand 

aioy  TL  XQ^.ucc  nennt.  sich  in  Teos   nach  dem  Epigramm  in  Anth. 

3)  Philostr.    Vit.    Apoll.    I,   30    erwähnt  '    VII,  25;  siehe  indes  Bergk,  Gr.  Litt.  II,  31^9. 

eine    Pamphylierin  Damophyle,    welche    da-  ^^)  So    ist    er    aufgefasst    auf  teischen 

mals  die  Sappho  in  der  Lebensweise  und  in  |    Münzen  und  in  einer  Marmorstatue  der  Villa 

der  Dichtung  nachahmte.  Borghese;    s.  Baumeister,    Denkm.    79;    als 

^)  Eine  dürftige  Vita  bei  Suidas;WELCKER,  '    Sänger  in  halbtrunkenem  Zustand  dargestellt 

Kl.  Sehr.  I,  251  ff.  ;   sah  ihn  Pausanias  I,  25.  1  auf  der  Akropolis 

^)  Strab.  p.  644;  Suidas  spricht  irrtüm-  in  Athen.  —  Eine  Liebschaft  mit  Sappho  las 

lieh  von  Histiaios.  man  irrtümlich  aus  dem  Lied  auf  die  schöne 

6)  Herod.  III,  121,  Strab.  p.  638.  Lesbierin  (fr.  15)  heraus. 

')  Plato  Hipp.  228c,  Charm.  157 e.  | 


B.  Lyrik.     5.  Liederdichter  oder  Meliker.  (§  103—104.) 


131 


seiner  Lieder;   als  Strophe  verwandte  er  zumeist  die  gefällige,   aber  über- 
einfache Form  glykoneischer  Systeme,  wie  in 

Q  not  naqS^sviov  ßXsriMV^ 

6i^rjfAai  (Tf,  (TV  6'   ov  xXvsig^ 

ovx  aldixlg  oti  rrjg  sfii^g 
ipv%rjg  YjVioxsvsig^ 
daneben  mit  besonderer  Virtuosität  die  zum  Ausdruck  artigen  Liebesspiels 
vorzüglich  geeigneten  loniker.  ^)  Wie  Anakreon  im  Leben  als  höfischer 
Dichter  und  heiterer  Gesellschafter  überall  beliebt  war,  so  hörte  man  auch 
nach  seinem  Tode  noch  gern,  besonders  in  dem  lebensfrohen  Attika^)  beim 
Gelage  und  bei  nächtlicher  Festfeier  seine  liebestrunkenen  Lieder.  Auch 
in  Alexandrien  beschäftigten  sich  mit  ihm  hervorragende  Grammatiker: 
Chamaileon  schrieb  sein  Leben,  Aristarch  besorgte  eine  kritische  Ausgabe. 
Aber  in  der  römischen  Zeit  traten  allmählich  seine  echten  Gedichte  hinter 
den  tändelnden  Spielen  seiner  Nachahmer  zurück.^) 

104:.  Die  Anacreontea  sind  eine  Sammlung  von  etlichen  GO  Ge- 
dichtchen in  der  Art  des  Anakreon  {'AvaxQsovTOg  tov  Trjl'ov  av^noaiaxd 
r]iiiai^ißa)^  welche  der  Anthologie  des  Konstantinos  Kephalas  angehängt 
sind.  Dieselben  galten  früher  allgemein  als  echt  und  fanden  noch  im  vorigen 
Jahrhundert  bei  unseren  Anakreontikern  Ramler,  Uz  u.  a.  überschweng- 
liche Bewunderung.  Von  diesem  Taumel  ist  man  jetzt  allgemein  ernüchtert, 
nachdem  man  diese  Lieder  mit  den  echten  Fragmenten  des  Anakreon  acht- 
samer verglichen  und  ihre  grosse  Verschiedenheit  in  Versbau,  Dialekt  und 
Ton  erkannt  hat.  Dass  die  Sammlung  Nachahmungen  enthalte,  ist  indes 
früh  bemerkt  worden;  trägt  doch  das  2.  die  Überschrift  tov  avrov  BaaiXiov, 
und  spricht  das  59.  geradezu  von  Nachahmung  des  Anakreon.  Aber 
Bentley,  Mehlhorn,  Stark,  Welcker*)  begnügten  sich  mit  der  Annahme 
einer  Vermischung  von  Echtem  mit  Unechtem,  während  heutzutag  allge- 
mein die  ganze  Sammlung  als  spielende  Nachahmung  aus  verschiedenen 
Zeiten  angesehen  wird.  Der  erste  Teil,  welcher  die  20  ersten  Gedichte 
umfasst  und  mit  einem  Lied  in  Pherekrateen  abschliesst,^)  scheint  schon 
dem  Gellius  XIX,  9  vorgelegen  zu  haben,  der  daraus  das  B.  unter  dem 
Namen  des  Anakreon  anführt.  Der  zweite  Teil  (21 — 34)  ist  eine  Auswahl 
von  7  Gedichten  in  Hemiiamben  und  7  in  gebrochenen  ionischen  Dimetern, 
darunter  das  artige,  von  Göthe  nachgebildete  Gedichtchen  auf  die  Zikade 
(33).     Der  Rest  umfasst  Gedichte  jüngeren   Datums,   zum  Teil   schon   mit 


^)  Auffälliger  Weise  hatte  Anakreon 
nach  Ath.  635  c  nur  die  lydische,  phrygische 
und  dorische  Tonart,  nicht  auch  die  ionische 
in  seinen  Melodien  angewandt.  Die  ge- 
brochene Form  des  lonicus,  welche  sich 
Anakreon  neben  der  regelrechten  erlaubte, 
sahen  Spätere  als  Nachlässigkeit  an,  welche 
Anschauung  sich  in  Horaz  Ep.  14,  12  non 
elahoratum  ad  pedem  ausspricht. 

'^)  In  Athen  stellte  man  sein  Erzbild 
auf  (Paus.  I,  35);  vom  Kultus  des  Ana- 
kreon in  Athen  meldet  uns  das  schöne  Epi- 
gramm des  geistreichen  Oligarchen  Kritias 
fr.  7. 


^)  Horaz  hat  noch  Anklänge  an  den  echten 
Anakreon;  so  Od.  I,  23  u.  III,  11.  9  an  Fr. 
51  und  75;  vgl.  Od.  I,  27  u.  Fr.  63. 

^*)  Welcker,  Die  Anakreonteen,Kl.  Sehr. 
II,  356  ff. 

^)  Hansen,  Über  die  Gliederung  der 
Anakreonteen  in  Vhdl.  der  36.  Vers.  d.  Phil, 
in  Karlsruhe,  und  Anacreonteorum  syUoge 
PaJatina,  Lips.  1884.  In  den  Gedichten 
21-31  weist  Crusius,  Dhilol.  N.  F.  I,  238  ff. 
Anklänge  an  Wendungen  der  Sophisten  der 
Kaiserzeit  nach.  No.  5  trägt  in  Anth.  Pla- 
nudea  388  die  Aufschrift  'lovhuvov  und 
imc(Q/iüi/  AlyvTiicv. 

9* 


132  Griechische  Litteraturgeschlchte.    I.  Klassische  Periode. 

starken  metrischen  und  prosodischen  Fehlern,  wie  52,  8  und  58,  2.  Diesem 
aus  dem  Altertum  stammenden  Corpus  von  Anakreonteen  lässt  Bergk  in 
der  Ausgabe  der  PLG.  noch  aus  der  Publikation  von  Matranga  eine 
Appendix  von  ähnlichen  Nachbildungen  aus  dem  beginnenden  Mittelalter 
folgen,  die  mit  den  christlichen  Anakreonteen  des  Sophronios  verwandt  sind. 

105.  Neben  den  grossen  Meistern  Alkaios,  Sappho,  Anakreon  hat 
Griechenland  noch  eine  Reihe  von  Liederdichtern  und  namtlich  Lieder- 
dichterinnen 0  in  äolischen  und  dorischen  Landschaften  hervorgebracht,  von 
denen  ich  in  Kürze  anführe:  Myrtis  aus  Anthedon  in  Böotien,  die  als 
Lehrerin  Pindars  genannt  wird  und  in  der  Weise  des  Stesichoros  die  Liebe 
der  Ochma  zu  Eunostos  besang.  Kor  in  na  aus  Tanagra,  Schülerin  der 
Myrtis,  die  mit  Pindar  um  den  Kranz  gestritten  haben  soll,  Telesilla  aus 
Argos,  berühmt  durch  ihren  Heldenmut,  indem  sie,  als  Kleomenes  die 
Argiver  besiegt  und  die  waffenfähigen  Männer  getötet  hatte,  die  Frauen 
zur  Verteidigung  der  Stadt  aufrief  (im  J.  510), 2)  Praxilla  aus  Sikyon, 
die  besonders  durch  ihre  Trinklieder  sich  Ruhm  erwarb,^)  Erinna,  angeb- 
liche Freundin  der  Sappho,*)  von  der  die  Spindel  (/yAax«r?y),  ein  hexamet- 
risches Gedicht,  gerühmt  wird. 

106.  Volkslieder^)  im  weiteren  Sinn  waren  fast  alle  Dichtungen 
der  klassischen  Lyrik  der  Griechen,  insofern  sie  alle  für  die  weiten  Schichten 
des  Volkes  bestimmt  waren  und  vom  Volke,  von  einzelnen  oder  im  Chor, 
gesungen  wurden.  Speziell  aber  verstehen  wir  unter  Volksliedern  solche, 
deren  Verfasser  unbekannt  war  und  die  man  deshalb  vom  Volke,  das  sie 
sang,  auch  hervorgebracht  wähnte.  Gegenüber  der  enormen  Zahl,  die 
unser  deutsches  Volk  an  solchen  Dichtungen  besitzt,  sind  uns  aus  dem 
alten  Griechenland  nur  wenige  Volkslieder  erhalten.  Die  einfachste  Form 
des  rhythmischen  Volkswitzes  ist  das  Sprichwort  {Tragoifuia),  das  bei  den 
Griechen  meistens  die  Form  des  davon  benannten  Versus  paroemiacus  hatte, 
wie  (filst  6t  roTog  fisra  TTa^vr^Vy  oder  cikXoi  xa/^iov  aXXoi  ovavTO.^)  In  ihre 
Klasse  gehören  auch  die  später  den  7  Weisen  zugeteilten  Kernsprüche, 
wie  yvMd-i  asuvTor,  fu'TQoi'  agiarov,  und  die  in  landläufige  Verse  gekleideten 
volkstümlichen  Rätsel  (yQi(foi).  Kunstvoller  sind  die  aus  mehreren,  meist 
lyrischen  Versen  bestehenden  Volkslieder,  wie  das  Mahllied  {oi^tj  imjuvhog) 
der  Lesbier,  das  Spinnerlied,  das  Kelterlied,  das  Lied  auf  den  Gott  Dio- 
nysos, das  die  Frauen  in  Elis  sangen,  das  Schwalbenlied  der  Rhodier ')  u.  a. 


\)  Antipater  Anth.  IX,  26  zählt  9  Dich- 
terinnen, so  viel  wie  Musen,  auf. 

0  Paus.  II,  20.  8;  Plut.  de  virt.  mul.  8; 
Polyän  VIII,  23.  Auffällig  ist,  dass  Herodot 
VI,  76  ff.  nichts  davon  meldet;  Bedenken 
auch  erregt,  dass  Eusebios  die  Telesilla  viel 
später,  Ol.  82,  2  ansetzt. 

^)  Nach  Eusebios  lebte  sie  445;  sie  war 
auch  Dichterin  von  Dithyramben. 

'^)  So  Suidas,  der  sie  'haigap  lancpovg 
y.cd  ofioxQovoy  nennt,  womit  aber  Eusebios 
nicht  stimmt,  der  sie  auf  352/1  v.  Chr.  setzt. 
Auf  die  Zeit  nach  Pindar  weist  entschieden 
auch  die  Sprache. 

•'^  Bergk,   PLG.   unter   (U.n'miiia  poj^n-   j    sow,  Neugr.  Volkslieder  No.  305—8. 


laria-,  Ritschl,  Opusc.  I,  249  ff.;  Benoist, 
Des  chants  populaires  dans  la  Grece  cmti- 
que,  Nancy  1857. 

ß)  Zusammenstellungen  von  Meinecke  zu 
Theokrit  524  ff.;  Haupt,  Opusc.  III,  520; 
UsENER,  Altgriech.  Versbau  43  ff.  In  letzt- 
genannter Schrift  ist  zugleich  der  Nachweis 
geliefert,  dass  viele  hexametrische  Sentenzen 
der  Kunstdichter  aus  solchen  volkstümlichen 
Sprichwörtern  erweitert  sind. 

^)  UsENER  a.  0.  80  ff.  Über  den  Brauch 
der  mit  einer  Schwalbe  oder  Krähe  in  der 
Hand    herumziehenden  Bettelknaben  s.  Ath. 


359.     Anklänge  im  Neugriechischen  bei  Pas- 


B.Lyrik.  5.  Liederdichter  oder  Meliker.(§  105     106.)  -6.  Chorische  Lyriker.  (§107.)  133 


Das  Schönste  aber,  was  die  Griechen  in  dieser  Gattung  leisteten,  ist  in 
den  vielen,  meist  attischen  Trinkliedern  enthalten,  in  denen  kerniger  Frei- 
heitssinn mit  frohem  Lebensmut  gepaart  ist.  Einen  hübschen  Kranz  von 
solchen    Skolien  verdanken  wir  der  Aufzeichnung   durch  Athenaios  p.  694. 

6.  Chorische  Lyriker. 

107.  Über  den  Chorgesang  im  Gegensatz  zur  Melik  habe  ich  bereits 
oben  §  99  gehandelt.  Seine  Blüte  erreichte  derselbe  unter  dem  Dreigestirn 
Simonides,  Pindar  und  Bakchylides,  also  zur  Zeit,  als  bereits  die  Glanz- 
periode des  Melos  vorüber  war;  aber  die  Anfänge  desselben  reichen  über 
Alkaios  hinauf  und  knüpfen  unmittelbar  an  die  musischen  und  orchestischen 
Neuerungen  des  Terpander  und  Thaletas  an.i)  Seine  Entwicklung  hängt 
mit  dem  Glänze  der  musischen  Wettspiele  {dycoveg)  zusammen,  welche  seit 
dem  7.  Jahrhundert  die  Dorier  und  später  die  Athener  im  Anschluss  an  dio 
alten  Götterfeste  entfalteten.-)  Voran  gingen  Delphi,  der  altehrwürdige 
Kultsitz  des  Apoll,  und  Sparta,  wo,  wie  Terpander  sang,  der  Lanzenwurf 
der  Jünglinge  und  der  helle  Sang  der  Musen  blühte.  Ihnen  folgten  bald 
andere  Städte  im  griechischen  Festland  und  in  den  Kolonien  mit  ähnlichen 
Festen  nach.  Zu  den  Götterfesten  gesellte  sich  im  weiteren  Verlauf  die 
Feier  der  Siege  in  den  Nationalspielen,  indem  die  Städte  die  Erfolge  ihrer 
Bürger  sich  zur  allgemeinen  Ehre  anrechneten  und  dieselben  mit  festlichen 
Aufzügen  lohnten.  Bei  keinem  derartigen  Feste  fehlte  der  Gesang;  der 
Inhalt  desselben  hatte  selbstverständlich  einen  objektiven  Charakter  und 
bezog  sich  in  erster  Linie  auf  den  Anlass  des  Festes,  den  Mythus  des 
Gottes  und  die  Ruhmesthat  des  Siegers.  Doch  mischte  frühzeitig  der  Dichter 
auch  seine  eigenen  Gefühle  in  die  erzählende  Darstellung,  zunächst  so,  dass 
der  singende  Chor  sich  zum  Träger  der  gleichen  Empfindungen  machte. 
Es  waren  vorzüglich  die  Parthenien,  die  in  dieser  Beziehung  die  Brücke 
zwischen  Gefühl  und  Erzählung,  Melik  und  Chorgesang  schlugen.  Die  Form 
des  Chorgesangs  war  von  vornherein  ernster  und  feierlicher,  so  dass  statt 
der  spielenden  Logaöden  die  gravitätischen  Daktylo-Epitriten  vorherrschten. 
Die  begleitenden  Tanzbewegungen  riefen  die  Gliederung  in  Strophe,  Anti- 
strophe  und  Epode  hervor;  ebendaher  stammte  der  grössere  Umfang  der 
Strophen  und  die  kunstvollere  Gestaltung  der  Perioden,  deren  Verständnis 
indes  ohne  Hilfe  des  Gesangs  schon  den  Alten  verschlossen  war.  2)  Die 
Grundlage  der  Sprache  bildete  der  heimische  Dialekt  der  ältesten  dorischen 
Lyriker,  der  auch  beibehalten  wurde,  nachdem  die  chorische  Poesie  zu  an- 
deren, nichtdorischen  Stämmen  getragen  war.  Daneben  schlichen  sich  einzelne 
Formen  aus  dem  alten  epischen  Dialekt  und  infolge  des  Einflusses  der  äoli- 
schen  Melik  auch  zahlreiche  Aeolismen  ein.^) 


\)  Ein  zeitliches  Anzeichen  liegt  darin, 
dass  zu  Delphi  der  Einzelgesang  zur  Kithara 
im  J.  554  V.  Chr.,  zur  Flöte  schon  582  auf- 
gehoben wurde. 

^)  Reisch,  De  musieis  Graecorum  certa- 
mimbun,  Wien  1886.     Vgl.  oben  §  82. 

^)  Cic.  Or.  183:  a  moclis  quibusdam 
cantu  renioto  soluta  esse  videatur  oratio 
maximeque    id    in    optimo    quoque    eorum 


poetarum  gut  'ävqixoI  a  Graecis  nominantur. 
^)  Ahrens,  Über  die  Mischung  der  Dia- 
lekte in  der  griechischen  Lyrik,  Vhdl.  d. 
Philol.  in  Göttingen  1852.  Auf  die  lokalen 
Dialekte,  will  die  Sprache  der  einzelnen  Ly- 
riker zurückführen  Führek,  Die  Sprache  und 
p]ntwicklung  der  griechischen  Lyrik,  Progr. 
von  Münster,  und  l*hilol.  44,  49  ff. 


134  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

108.  AI  km  an  blühte  in  der  2.  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts  nach  Archi- 
lochos  und  Thaletas  und  kurz  vor  Alkaios.^  Seine  Heimat  war,  wie 
er  selber  Fr.  25  bekennt,  das  lydische  Sardes.^)  Von  dort  brachte  er 
die  Kenntnis  der  lydischen  Musik  und  der  äolischen  Gesangsweisen  mit. 
Seine  Thätigkeit  entfaltete  er  in  Sparta,  wo  bereits  Terpander  und  Thaletas 
den  Grund  zur  Pflege  musischer  Künste  gelegt  hatten.^)  Er  scheint  dort- 
hin als  Kriegsgefangener  aus  den  Raubzügen  der  Kimmerier  gekommen  zu 
sein,  muss  aber  dann  in  irgendwelcher  Weise  das  lakonische  Bürger-  oder 
Heimatsrecht  erlangt  haben, ^)  da  er  bei  Suidas  Aäxwv  arto  Msaaoag  ge- 
nannt wird  •'')  und  in  seinen  Gedichten  ganz  wie  ein  vollberechtigter  Bürger 
Lakedämons  auftritt.  Auch  den  Namen  Alkman  oder  Alkmaion  soll  er 
nach  Alexander  Aetolus,  Anth.  VH,  709  erst  in  Lakedämon  erhalten  haben. 
Den  Tod  fand  er  hochbejahrt,  da  er  Fr.  26  über  das  Alter  klagt,  das  ihm 
die  Kniee  lähme,  und  sich  das  Los  des  Eisvogels  wünscht,  den  im  Alter 
die  Weibchen  über  das  Meer  hintragen.  Sein  Grab  zeigte  man  in  Sparta 
bei  dem  Dorfe  Sebrion.<^)  Seine  Gedichte  in  6  B.  waren  in  altlakonischer, 
mit  epischen  und  äolischen  Elementen  versetzter  Mundart  geschrieben."^) 
Den  Hauptruhm  verdankte  er  seinen  Parthenien,  welche  mindestens  2  B. 
füllten^)  und  von  welchen  Mariette  1855  ein  grosses  Bruchstück  aus 
ägyptischer  Grabesnacht  an  das  Tageslicht  gezogen  hat.  Es  standen  die- 
selben in  der  Mitte  zwischen  dem  geistlichen  und  weltlichen  Lied,  indem 
dem  Lobpreis  der  Gottheit  die  Verherrlichung  des  Liebreizes  der  Chor- 
führerinnen beigemischt  war.  Dabei  ist  das  Lied  bald  für  den  Chorgesang 
der  Mädchen  bestimmt,  bald  redet  der  Chor  oder  die  Chorführerin  den 
Dichter  an,  bald  spricht  der  Dichter  zu  dem  Chor  der  Mädchen  oder  sprechen 
Einzelne  aus  dem  Chor  zu  einander,  so  dass  man  sich  einen  sehr  lebhaften 
und  wechselreichen  Vortrag  vorstellen  muss.^)  Damit  stimmt  es,  dass  die 
Chorgesänge  des  Alkman  eine  sehr  subjektive  Färbung  hatten  und  dass 
Athen,  p.  600  f.  unseren  Dichter  geradezu  zum  Begründer  der  erotischen 
Lyrik  macht.  Ausser  Parthenien  dichtete  derselbe  auch  Hymnen  und  Päane. 
In  den  Rhythmen  schloss  er  sich  teilweise  noch  der  daktylischen  Art  der 
terpandrischen  Nomen  an,  dichtete  daneben  aber  auch  Kretiker,  lamben  und 
leichtfüssige  Logaöden  nach  der  Art  des  lesbischen  Dichterpaares.  Über  seine 
Kunst  in  der  Strophenbildung  lässt  sich  schwer  urteilen,  da  die  Fragmente  zu 
dürftig  sind  und  keine  seiner  Strophen  Nachahmer  gefunden  hat  oder  populär 
geworden  ist.    In  dem  erhaltenen  Parthenien  hat  Blass'  und  Ahrens'  Scharf- 


^)  Suidas  setzt  ihn  Ol.  26,  Eusebios  Ol.    [  ■*)  Heracl.  Pont.  fr.  2:   \4Axfxdv   oixixi]<; 

30,  4  und  42,  2;    entscheidend    ist,    dass  er       r/v  'Jyr]al&a,   ev(pvijg   de  wV  rj'ksv&EQOi&r}  xccl 


nach  Suidas  unter  dem  lydischen  König  Ardys 
(652 — 615)  lebte,  was  wohl  aus  einer  Stelle 
seiner  Gedichte  hervorgegangen  sein  wird. 
Im  Kanon  stand  er  vor  Alkaios. 

'^)  Alexander  Aetolus,  Anth.  VII,  709 
bezeichnet  Sardes  nur  als  Heimat  der  Väter 
des  Dichters. 

^)  Über  das  liederreiche  Sparta  der  äl- 
teren Zeit  Flut.  Lyc,  21  und  Ath.  632  d; 
Namen  älterer  Dichter  Spartas  waren  Gitiades 
(Paus.  III,  17.  2),  Spendon  (Plut.  Lyc.  28), 
Dionysodotos  (Ath.  678  c). 


noifjzrjg  dneßf]. 

^)  Indem  Suidas  dieses  Meaaoa  mit 
Messene  verwechselte,  nahm  er  einen  zweiten 
Alkman  an, 

6)  Paus.  III,  16.  9;   vgl.  Anth.  VII,  19. 

')  Spiess  in  Gurt.  Stud.  X,  331  ff.; 
Schubert,  Sitzb.  d.  Wien.  Ak.  1878  S.  517  ff.; 
Meister,  Griech.  Dial.  I,  20, 

^)  Steph.  Byz.  u.  'Egvoi/}]. 

^)  Vergleiche  was  Dem etri OS  de  eloc.  167 
von  den  Epithalamien  der  Sappho  überliefert. 


B.  Lyrik.     6.  Chorische  Lyriker.  (§  108-  110.) 


135 


sinn  Strophen  von  14  kurzen  Versen  nachgewiesen,  die  sich  in  2  gleiche,  epo- 
disch  gebaute  Vordersätze  (V.  1—4=  5 — 8)  und  in  einen  grösseren,  gleichfalls 
aus  trochäischen  und  logaödischen  Elementen  gebildeten  Zugesang  gliedern. 

109.  Arion^)  aus  dem  lesbischen  Methymna  lebte  und  wirkte  an 
dem  Hofe  des  Periander,  des  kunstsinnigen  Tyrannen  von  Korinth  (625 — 
585).'^)  Allbekannt  ist  die  schöne  Legende  von  der  Seefahrt  des  Meisters 
der  Töne  von  Tarent  nach  Korinth,  und  von  seiner  Rettung  durch  Delphine, 
die  ihn  unversehrt  an  das  Land  nach  Tainaron  trugen.  Aelian,  der  H.  A. 
XII,  45  ausführlich  die  Fabel  erzählt,  teilt  uns  zugleich  den  angeblich  von 
Arion  selbst  auf  das  Votivdenkmal  in  Tainaron  gesetzten  Hymnus  auf 
Poseidon  mit.  Dass  derselbe  nicht  von  Arion  herrührt,  hat  Böckh  erkannt ; 
Metrum  und  Sprache  weisen  uns  nach  Attika  und  auf  die  Zeit  des  Euri- 
pides  hin.^)  Die  Bedeutung  des  Arion  besteht  wesentlich  in  dem  Anstoss, 
den  er  mit  seinen  Dithyramben  für  die  Entwicklung  der  Tragödie  gab, 
worauf  wir  weiter  unten  zurückkommen  werden.  Seine  Gedichte  waren 
schon  im  Altertum  frühzeitig  verschollen. 

110.  Stesichoros*)  (um  640 — 555)^)  stammte  aus  dem  lokrischen 
Matauros,  wo  damals  die  Pflege  der  Musik  in  hoher  Blüte  stund,  galt  aber 
als  Himeräer,^)  da  er  in  Himera  den  grösseren  Teil  seines  Lebens  zubrachte. 
Diese  seine  neuen  Mitbürger  warnte  er  auch  vor  den  ehrgeizigen  Plänen 
des  Phalaris,  indem  er  ihnen  die  Fabel  von  dem  Pferde  erzählte,  welches, 
um  sich  an  dem  Hirsch  zu  rächen,  von  dem  Menschen  den  Zaum  annahm."^) 
Aber  vergeblich  waren  seine  Warnungen;  er  selbst  musste  fliehen  und 
starb  in  Katane,  wo  man  vor  dem  Thore  sein  Grabdenkmal  zeigte.^)  In 
der  Entwicklung  der  griechischen  Poesie  nimmt  Stesichoros  eine  hervor- 
ragende Stellung  ein;  er  war  nicht  bloss  ein  ungewöhnlich  fruchtbarer 
Dichter  —  seine  Werke  umfassten  26  Bücher  oder  Gedichte  ^)  —  er  hat  auch 


^)  Ein  Artikel  bei  Suidas;  der  dort  an- 
gegebene Name  seines  Vaters  KvxXsvg  (von 
xvxhog  /o^oc)  ist  offenbar  fingiert. 

2)  Find.  Ol.  XIII,  18  von  Korinth:  ral 
JiMviaov  nod^Ev  e^cpavep  ovi^  ßofßcho)  /d- 
Qiieg  did^vQccfißo)  ; 

^)  Bergk,  PLG.  unter  Arion;  Lehrs 
Popul.  Aufs,  2  385  ff.  Von  Einfluss  war  der 
Münztypus  des  auf  einem  Delphin  reitenden 
Meergottes  Palämon ;  mit  demselben  stimmt 
hübsch  die  Zeichnung  Albr.  Dürer 's  überein, 
welche  den  von  einem  Delphin  getragenen 
Arion  darstellt:  s.  Jahn,  Popul.  Aufs.  S.  351. 

^)  Artikel  bei  Suidas;  Welcker,  Stesi- 
choros in  Kl.  Sehr.  I,  148  ff. 

^)  Berechnet  danach,  dass  er  nach  Luc. 
Macrob.  85  Jahre  alt  wurde  und  nach  Suidas 
und  Eusebios  Ol.  56,  2  starb.  Irrige  An- 
gaben enthält  Marm.  Par.  c.  50  u.  73,  wo 
überdies  ein  älterer  und  jüngerer  Stesichoros 
unterschieden  wird;  s.  Rohde  Rh.  M.  33, 
198  ff. 

^)  Suidas:  ix  nöXsiog  ^l^utQccg  xijg  lixs'kiag, 
xa'keiTca  yovv  'IfxsQcdog^  ol  Ss  cino  McnavQucg 
Ti]g  iy  'IruXUi,  ol  de  dno  TlaXconior^  rijg  ' Aq- 
xuöiag.  Vgl.  Steph.  Byz.  u.  MdxavQog.  Lo- 
kroi wird   als   Geburtsstadt  des  Stesichoros 


auch  vom  Rhetor  Himerios  bezeichnet  or. 
XXIX  * Alxcdog  Ataßoy  xcd  AcxQovg  [Xoyovg 
cod.,  em.  Wilamowitz)  xoa^ust  Izrjai/oQog. 
Nach  der  von  Alkidamas  verbreiteten  Sage 
war  er  Sohn  des  Hesiod  und  der  Klymene, 
worüber  oben  §  59  und  Nietzsche,  Rh.  M. 
28,  223  ff. 

')  Arist.  Rhet.  II,  20.  In  Himera  sah 
Cicero  in  Verr.  II,  35.  87  (vgl.  Pollux  IX, 
100)  seine  Statue;  sein  Bild  als  Greis  mit 
einer  Rolle  auf  einer  Münze  von  Himera  bei 
Visconti  Icon.  gr.  lll,  7  und  Baumeister 
Denkm.  S.  1710. 

«)  Suidas  in  der  Vita;  Anth.  VII,  75; 
das  Grabdenkmal  hatte  8  Ecken  u.  8  Säulen, 
war  also  ähnlich  dem  sogenannten  Grabmal 
der  Horatier  in  der  Campagna.  Entgegen 
der  Wirklichkeit  gingen  die  Fälscher  des 
uns  erhaltenen  Briefwechsels  zwischen  Ste- 
sichoros und  Phalaris  von  einem  freundschaft- 
lichen Verhältnis  der  beiden  Männer  aus. 

^)  Suidas  erwähnt  26  ßtßXla:  war  bei 
dieser  Angabe,  was  wahrscheinlich,  ßißUu 
identisch  mit  noitjfxcnci,  so  müssen  die  Bücher 
von  sehr  verschiedenem  und  kleinem  Umfang 
gewesen  sein. 


136 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


das  besondere  Verdienst  neue  Formen  erfunden  und  die  Pflege  der  Poesie 
von  dem  Osten  über  die  Brücke  der  ozolischen  und  epizephyrischen  Lokrer 
nach  Italien  und  Sikilien  getragen  zu  haben  J)    Den  Charakter  seiner  haupt- 
sächlichsten Dichtungen  bezeichnet  sehr  hübsch  Quintilian  X,  1.  62  mit  den 
Worten:    ejncl   carminis   oiiera   lyra   susthmit.'^)     Der   Mythus    mit   seinem 
reichen   und   stets  von   neuem   bereicherten   Inhalt  bildete  wie   bei  Homer 
und  Hesiod  das  Hauptelement  seiner  Muse.     Da   aber  zu   seiner   Zeit   das 
Ansehen  der  epischen  Dichtung  und  die  Einfachheit  der  daktylischen  Hymnen 
im  Erlöschen  waren  und  insbesondere   bei  den  Doriern  an  den  Festen  der 
Götter  und  Heroen^)  Reigentänze  und  Gesänge   zur   Zither  sich   grösserer 
Beliebtheit  erfreuten,   so  erzählte  er  die  Mythen  in  lyrischen  Versmassen 
und  Hess  sie  von  Chören  an  den  religiösen  Volksfesten  vortragen.    Er  hatte 
dabei  den  grossen  Vorteil  in  Sikilien  mit  seinen  Mythen  Neues  zu  erzählen, 
da  hier  die  Werke  des  Homer  und  Hesiod  noch  keine  allgemeine  Verbrei- 
tung  gefunden   hatten.     Aber   auch  vieles   an   sich   neues   enthielten  seine 
Gedichte,   so  dass  dieselben   auch   in  Attika  vielverbreitet  und   namentlich 
von  den  Tragikern  vielbenützt  wurden.-*)    Den  Inhalt  seiner  episch-lyrischen 
Gedichte,  von  denen  uns  nur  spärliche  Reste  erhalten  sind,  bezeichnen  die 
Titel   d^Xa    inl  JJeh'a,^)   rr^^vonjig,  KeqßeQog^    Kvxvoc,    EvQomsia,  'EqKfvXa, 
^xvXXa,  ^vod^rjQai,  ^iXfov  rcsgaiq^  Noaroi^  ^OqsaTsia.     Bekannt  durch  Piaton 
Phaedr.  243a  ist  seine  Palinodie  auf  Helena;  man  erzählte,  vermutlich  nach 
einer  poetischen  Andeutung  in  seinen  Gedichten,    er  sei,   weil  er  in  einem 
Gedicht  der  Oresteia  oder  Iliupersis  die  Helena  geschmäht  habe,  blind  ge- 
w^orden,   und   habe  dann  sein  Augenlicht  wieder  erhalten,    nachdem   er   in 
einer  Palinodie  die  Schmähung  widerrufen   habe.     Epochemachend  für  die 
italische  Sagenentwicklung  war  seine  Iliupersis,  weil  darin  die  Mythe  von 
Aeneas  Wanderung  nach  Italien  vorkam,^)  erfolgreich  für  die  Entwicklung 
der  tragischen   Poesie   seine  Erzählung  von   den   Geschicken   des   Mutter- 
mörders Orestes.     Neben  den  heroischen  Mythen  des  griechischen  Mutter- 
landes  berücksichtigte   er   aber   auch  die  sentimentalen  Volksmärchen  der 
Heimat.'')     So  führte  er  zuerst  die  später  vielgefeierte  Gestalt   des   Hirten 
Daphnis  in  die  Poesie  ein,  den  eine  Nymphe  liebte,  dann  aber,    als  er  die 
Treue  in  den  Armen  einer   Königstochter   brach,    elend   zu   gründe   gehen 


^^  Angeblicher  Vorgänger  war  der  Me- 
liker  Xanthos,  dem  er  unter  andern  die 
Orestie  nachgedichtet  haben  soll;  s.  Ath. 
513  a.  Dagegen  verweist  den  Xanthos  zu 
den  Fiktionen  Robert,    Bild  u.  Lied    173  ff. 

'^)^  Ahnlich  von  ihm  Antipater  Anth.  VII, 
75:  ov  xcnd  nvf^ayoQov  (pvoixdp  q)driv  d 
■hqIp  'OfZfJQov  ipv/d  iiA  azEQvoig  ^evteqov 
(oxlaaTo-  ebenso  Anth,  IX,  184. 

^)  Die  Heroenkulte  waren  besonders  in 
den  Kolonien  verbreitet  und  beruhten  auf 
den  Sagen  von  deren  Gründung;  gefeiert 
wurden  die  Atriden  in  Tarent,  Philoktet  in 
Sybaiis,  Diomedes  in  Thurii,  Odysseus  in 
Kyrae.  Der  Demeter  galten  die  Anthes- 
phoria,  Theogamia,  Anakalypteria,  Koreia, 
Thesmophoria,  dem  Apoll  die  Karneia,  den 
Dioskuren  die  Theoxenia. 


^)  Seeliger,  Die  Überlieferung  der  grie- 
chischen Heldensage  bei  Stesichoros,  Meissen 
1886;  Robert,  Bild  u.  Lied  149  ff. 

^)  Dieselben  sind  nach  der  Dichtung 
des  Stesichoros  dargestellt  auf  einer  Vase 
von  Cäre,  publiziert  in  Monum.  Inst.  X,  4; 
dieselben  fanden  sich  nach  Paus.  V,  17 
auch  auf  dem  Kypseloskasten. 

^)  Auf  der  Tabula  Iliaca,  welcher  des 
Stesichoros,  nicht  des  Arktinos  Iliupersis 
zu  gründe  gelegt  war,  steht  geschrieben 
Aiveiag  dnccLQWi^  sig'EoneQlav ;  merkwürdiger- 
weise aber  weiss  Dionysios,  Ant.  I,  45  da- 
von nichts.  Vgl.  Chadzi  Konstas,  Die  Iliu- 
persis nach  Stesichoros,  Leipz.  1876. 

^)  Ath.  601a:  iTrjal^^oQog  (f'  ov  fxsTQiwg 
iQioxixög  yevofxsvog  awiarrjae  xcu  tovtov  töv 
xQÖnov  riop  dafidriop. 


B.  Lyrik.    6.  Chorische  Lyriker.  (§111.)  137 

liess.  In  einem  andern  Idyll  besang  er  das  traurige  Ende  des  von  dem 
schönen  Euathlos  verschmähten  und  so  in  den  Tod  getriebenen  Mädchens 
Kalyke,  in  einem  dritten  das  blutige  Geschick  der  treuen  Rhadina,  die  dem 
Tyrannen  von  Korinth  angetraut,  von  der  alten  Neigung  zu  ihrem  geliebten 
Vetter  nicht  lassen  wollte.  In  der  Form  wurde  Stesichoros  der  eigentliche 
Begründer  der  chorischen  Lyrik;  er  stellte  zuerst  in  Sikilien  Chöre  auf, 
wovon  er  nach  Suidas  den  Namen  ^Trjffi'xoQog  statt  des  ursprünglichen 
Tiaiaq  erhielt.  Dass  er  auch  die  Dreiteilung  in  Strophe,  Antistrophe  und 
Epode  erfunden  habe,  hat  man  früher  auf  Grund  des  sprichwörtlichen  Aus- 
drucks ovSh  TQia  TMv  ^rr^aixoQov  yivMaxsig  angenommen;  dass  aber  diese 
Deutung  falsch  sei  und  dass  die  Worte  einfach  nur  bedeuten  „du  kennst 
nicht  einmal  drei  Verse  des  Stesichoros",  hat  neuestens  0.  Crusius  nach- 
gewiesen.') Die  beliebteste  Form  seiner  Gesänge  war  die  daktylo-epitri- 
tische,  die  an  alte  volkstümliche  Kola  anknüpfte  und  trefflich  zur  gemes- 
senen Gravität  der  dorischen  Tonart  stimmte.  2)  In  der  Sprache  mischte 
er  dem  dorischen  Grundton  viele  ionische  Elemente  bei,  welche  in  der 
Hauptsache  auf  das  alte  Epos,  teilweise  aber  auch  auf  die  ionischen  Gründer 
von  Himera  und  Rhegion  zurückzuführen  sind.^) 

111.  Ibykos^)  aus  Rhegion,  älterer  Zeitgenosse  des  Anakreon,  führte 
wie  jener  das  unstete  Leben  eines  Wandersängers.  Er  durchzog  die  Städte 
Unteritaliens  und  Sikiliens,^)  lebte  eine  Zeitlang  an  dem  Hofe  der  Tyrannen 
von  Samos^)  und  kam  schliesslich  auf  einer  Reise  nahe  bei  Korinth  ums 
Leben.  Sein  Tod  ward  später,  ähnlich  wie  der  des  Arion  und  Hesiod, 
durch  die  schöne,  von  unserem  Schiller  verherrlichte  Sage  von  den  Kra- 
nichen {j'ßvxsq),  welche  den  versammelten  Festgenossen  die  Mörder  ver- 
rieten, poetisch  verklärt.')  Seine  Gedichte  umfassten  7  B.  und  zeigten 
zwar  in  Dialekt  und  Versbau  den  Einfluss  der  dorischen  Chorlyrik,  näherten 
sich  aber  in  Ton  und  Inhalt  mehr  der  äolisch-ionischen  Melik.  Denn  die 
Liebe  zu  schönen  Knaben  und  Mädchen  bildete  das  Hauptthema  seiner 
Gedichte.  Es  sind  die  naidstoi  ixsXiyctQvsg  vjuvoi,  auf  die  Pindar  Isth.  II,  3 
anspielt,^)  und   welche   vielleicht,   nach  Welckers  geistreicher  Vermutung, 

^)  0.  Crusius,  Stesichoros  und  die  epo-  |  71;  (iQ/ccioTSQog^Ißvxov  •  ovrog  yuQ  xvQCivvelv 

dische  Komposition  in  der  griechischen  Lyrik,  i  dvpä/ueyog  ane&rjfirjaev. 

in  Comment.  JRibheckianae  p.  .3 — 22,  wo  mit  !            ^)  Himer.    XXII,  5 ;    in  Samos    war    er 

Recht  die  epodische  Komposition  auf  Alkman  j  wahrscheinlich  vor  Anakreon,  da  ihn  Suidas 

zurückgeführt    wird ;    in  Sparta    führte    zur  \  Ol.  54  setzt  und  zur  Zeit,  als  der  Vater  des 

Dreigliederung  die  T(K^/o^(«  oder  der  Gebrauch  j  Polykrates  herrschte,    nach  Samos    kommen 

von  3  verschiedenen  Chören,   worüber  Plut.  j  lässt. 

Lyc.  21  und  Pollux  IV,  107.  {            "')  Die   Sage   zuerst   bei    dem    Epigram- 

^)  Übrigens  gebrauchte  Stesichoros  auch  i  matiker    Antipater,    Anth.    VII,    745,    dann 

die    phrygische    Tonart    (fr.    34)    und    den  bei  Plutarch    de   garr,  14   und  Suidas;    vgl. 

uQ^axEiog     vofxog     des    Olympos     (Plut.    de  Welckek,  Kl.  Sehr.  I,  100  ff.  Dieselbe  spricht 

mus.  7).  eine  ewige,  der  Kindesphantasie  aller  Völker 

^)  Den    einheimischen   lonismus    betont  |  eingeprägte  Wahrheit  aus,   ist  aber  speziell 

RoB.  HoLSTEN,    De  Stesichori   et  Ibijci  dia-  i  durch    eine    etymologische  Spielerei    hervor- 

lecto   et  copia   verhorum,    Greifswald    1884:  j  gerufen.     Das    Grab    des   Dichters    in    der 

dazu  die  Einwände   von  Hiller,  Jahrber.  d.  Heimat  setzt  das  Epigramm   der  Anth.  VII, 

Alt.  XIV,  1,  68  ff.  !  7.  14  voraus. 

*)  Ein  Artikel  des  Suidas;  Schneidewin,  {           *")  Schol.  Arist.  Thesm.  1(31  stellt  Alkaios, 

Ibyci    rell.,    Gott.    1833    mit   umständlichen  j  Ibykos  und  Anakreon  als  Dichter  von  neu- 

Proleg.;  Welcker,  Kl.  Sehr.  I,  220  ff.  (foxci  nebeneinander. 

^}  Davon  das  Sprichwort  bei  Diogen.  II,  | 


138 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


bei  den  griechischen  Schönheitsvvettkämpfen,  wie  sie  in  Lesbos  üblich  waren, 
von  Knabenchören  gesungen  wurden.  Es  stellen  sich  dann  die  Knaben- 
lieder des  Ibykos  den  Parthenien  des  Alkman  zur  Seite,  in  denen  ja  auch 
durch  die  Reigentänze  der  schönen  Mädchen  wonnige  Gedanken  der  Liebe 
in  der  Seele  des  Dichters  geweckt  wurden. 

11 '2.  Simonides  (55G— 468),i)  Sohn  des  Leoprepes,  war  auf  der 
ionischen  Insel  Keos,  die  auch  des  Sophisten  Prodikos  Heimat  war,  ge- 
boren. Schon  auf  der  Heimatinsel,  in  dem  Städtchen  Karthaia  war  er  als 
junger  Mann  mit  der  Dichtung  und  Einübung  von  Chorgesängen  zu  Ehren 
Apollos  beschäftigt.'^)  Aber  sein  hochfliegender  Geist  strebte  früh  über  die 
engen  Schranken  seiner  kleinen  Heimat  hinaus.  Es  war  ohnehin  seit  dem 
Anfang  des  6.  Jahrhunderts  Sitte  geworden,  dass  die  Dichter  und  Schön- 
geister ein  Wanderleben  führten:  mit  den  grossen  Zielen  der  Perserkriege 
waren  vollends  die  kleinlichen  Stammeseigentümlichkeiten  einer  grösseren 
Auffassung  der  Dinge  gewichen.  Simonides  aber  war  in  Leben  und  Dich- 
tung so  recht  ein  Repräsentant  jenes  aufgeklärten,  universellen  Zeitgeistes. 
Von  Keos  kam  er  zunächst  nach  Athen  an  den  Hof  des  kunstverständigen 
Hipparch.  Nach  dessen  Ermordung  (514)  ging  er  nach  Krannon  und  La- 
rissa  in  Thessalien,  wohin  ihn  die  Machthaber  jener  Städte  riefen.  Auf 
Skopas  dichtete  er  ein  berühmtes,  von  Piaton  im  Protagoras  zergliedertes 
Loblied;  dem  Andenken  des  Antiochos  von  Larissa  weihte  er  einen  ge- 
priesenen Trauergesang ;"')  allbekannt  ist  seine  später  poetisch  ausgeschmückte 
wundervolle  Rettung  bei  dem  Einsturz  des  Saales,  durch  den  Skopas  und 
alle  übrigen  Tischgenossen  verschüttet  wurden,  i)  Nach  der  Schlacht  von 
Marathon  treffen  wir  ihn  wieder  in  Athen,  wo  er  in  einer  Elegie  auf  die 
gefallenen  Vaterlandsverteidiger  den  Sieg  über  Aischylos  davontrug.  In 
Athen  gewann  er  auch  im  März  476  mit  einem  Dithyrambus  den  ersten 
Preis,  wie  er  uns  selbst  in  einer  poetischen  Didaskalie  meldet.^)  Bald  da- 
nach ging  er  nach  Sikilien,  wo  er  die  Aussöhnung  des  Gelon  und  Hieron 
vermittelte  (476/5)  ^)  und  sich  an  den  Höfen  der  glanzliebenden  Fürsten  der 
gesegneten  Insel  besonderer  Gunst  erfreute.'^)  In  Sikilien  fand  er  auch 
seinen  Tod  (468);  vor  den  Thoren  von  Syrakus  befand  sich  sein  Grabdenk- 
mal, das  später  ein  roher  Soldatenhauptmann  zerstörte.^)  Ob  er  die  ganze! 
Zeit  über  (476—468)  in  Sikilien  verweilte,  ist  nicht  ausgemacht;^)  sicher 
hatte  er  dort  um  472  die  hochfahrenden  Anfeindungen  seines  grossen  Rivalenj 


')  Ein  Artikel  des  Suidas;  Charaaileon 
hatte  ein  Buch  über  Simonides  geschrieben. 
ScHNEiDBWiN,  SimonicUs  Cei  rell.,  Brunsv. 
1835.  Das  Geburtsjahr  ist  vom  Dichter  selbst 
angedeutet  fr.  147 ;  das  Todesjahr  steht  Marm. 
Par.  57.  Die  Lebensdauer  gibt  Suidas  auf 
89  Jahre  au. 

'^)  Ath.  45G  f.  Auch  Pindar  dichtete  nach 
Is.  1,  8  eine  Ode  für  Keos. 

2)  Auf  die  Verherrlichung  des  Antiochos 
und  der  Skopaden  durch  unseren  Keier  weist 
Theokrit  16,  34  hin. 

4)  Cic.  de  or.  11,  86;  Phaedrus  IV,  25; 
Valer.  Maximus  I,  8.  7;  Aelian  fr.  63  u.  78; 
Quint.  XI,  2.  11;  s.  Lehrs,  Popul.  Aufs.'^ 
S.  393  f. 


•'•)  Der  Schluss  des  Epigramms  Fr.  147 1 
lautet:  afAtpl  d)d'«(Tx«Xir}  de  2iifxiovi6ri  saTiero 
xvdog  ^OydioKOfraerei  nai&l  AeMTTQinsog. 

«)  Schol.  Pind.  Ol.  II,  29. 

')  Xenophon  lässt  ihn  in  dem  Dialog 
leQ(joy  mit  dem  Tyrannen  ein  Gespräch  über 
das  Los  des  Herrschers  führen. 

^)  Callim.  fr.  71;  Aelian  fr.  63. 

■')  Dass  er  noch  nach  468  Athen  zu  Ehren 
ein  Epigramm  auf  die  Sieger  am  Eurymedon 
verfasste,  ist  man  nicht  berechtigt  anzu- 
nehmen, da  das  betreffende  Epigramm  unter- 
geschoben und  sicher  nach  423  geschrieben 
ist,  wie  Br.  Keil,  Herm.  20,  341  ff.  nach- 
gewiesen hat. 


I 


B.  Lyrik.    6.  Chorische  Lyriker.  (§  112.) 


139 


Pindar  zu  bestehen,  den  gleichfalls  Hieron  an  seinen  Hof  berufen  hatte. 
Im  übrigen  Hess  er  sich  durch  die  vielen  Aufträge,  welche  ihm  für  Sieges- 
lieder, Choraufführungen  und  Aufschriften  zu  teil  wurden,  bald  hierhin, 
bald  dorthin  ziehen.  Sein  poetisches  Talent  und  seinen  feinen  Witz  stellte 
er  eben  in  den  Dienst  aller,  die  ihn  verlangten  und  bezahlen  konnten. 
Denn  für  seine  Gedichte  sich  honorieren  zu  lassen,  betrachtete  er  als  eine 
selbstverständliche  Sache,  i)  Dadurch  freilich,  sowie  durch  die  Wahl  der 
Themata  verweltlichte  er  die  Poesie,  indem  er  unter  den  Dichtern  eine 
ähnliche  Stellung  wie  die  Sophisten  unter  den  Philosophen  einnahm. 2)  Zur 
Frau  des  Hieron  sagte  er  einst  mit  witziger  Unverfrorenheit:  Reichtum 
geht  vor  Weisheit;  denn  die  Weisen  kommen  zu  den  Thüren  der  Reichen.'^) 
In  unseren  Augen  hat  so  Simonides  die  Poesie  von  ihrer  erhabenen  Höhe 
herabgezogen.  Und  in  der  That  finden  wir  auch  in  seinen  zahlreichen 
Fragmenten  nicht  dasjenige,  was  wir  von  einem  Lied  in  erster  Linie  ver- 
langen, Wärme  der  Empfindung  und  schwungvolle  Idealität.  Aber  gleich- 
wohl verdient  sein  formales  Talent,  das  namentlich  in  den  geistreichen 
Epigrammen  seinen  rechten  Boden  fand  und  ihm  zahlreiche  Siege,  den  56. 
im  80.  Lebensjahre  eintrug,^)  alles  Lob;  besonders  gerühmt  wird  von  den  Alten 
seine  Kunst  in  der  ergreifenden  Schilderung  und  in  Erregung  des  Mitleides.^) 
Die  Dichtungen  des  Simonides  waren  sehr  mannigfaltig  und  zahlreich; 
den  grösseren  Raum  nahmen  die  chorischen  Gesänge  ein,  religiöse  und 
weltliche.  In  diesen  behielt  er  den  für  diese  Gattung  typisch  gewordenen 
dorischen  Dialekt  bei,  wiewohl  er  von  Geburt  ein  lonier  war  und  der  Geist 
seiner  Dichtung  mehr  die  weltmännische  Feinheit  eines  Attikers  als  die 
Gemütstiefe  eines  Doriers  verriet.  Wir  haben  Fragmente  von  Hymnen, 
Päanen,  Skolien,  Epinikien,^')  Enkomien,  Dithyramben,  Threnen.^)  Die 
letzteren  erfreuten  sich  im  Altertum  eines  besonderen  Rufes:  in  ihnen  ent- 
faltete er  in  glänzender,  der  Tragödie  vorgreifender  Weise  die  Kunst,  das 
Mitleid  der  Hörer  und  Leser  zu  erregen.  Der  Rhetor  Dionysios  de  comp, 
verb.  26  hat  uns  ein  herrliches  Fragment  eines  solchen  Threnos  erhalten, 
in  welchem  Danae,  die  in  einer  Kiste  mit  ihrem  Kindlein  Perseus  in  die 
wogende  See  geworfen  war,  die  Gefahren,  welche  sie  und  ihr  Kind  be- 
drohten,   in    ergreifender  Weise    besingt.      Vereinzelt   in    der    griechischen 


')  Suidas:  ovTog  ttqmtoc ^oxeT y.txQoXoy'iav 
c  tasvsyxsTv  sig  rö  dafiaxal  yQccipaL  aCfxcc  fniax^ov. 

^)  Bezeichnend  für  das  sophistische 
Wesen  des  Dichters  ist  der  Vers  fr.  76:  ro 
()ox6LP  xcd  xc<v  aldxheiixp  ßiäzai. 

3)  Arist.  Rhet.  11,  16;  vgl.  Plat.  Prot. 
:>46b.  Die  andere  Anekdote  von  den  2 
Kästchen  bei  Stob.  Flor.  10,  39  (vgl.  Callim. 
IV.  77)  lässt  sich  nur  griechisch  erzählen: 
^i^o)vl^fjg  naQCixaXovvxog  rivog  iyxoifxtov 
noirjaai  xal  /ccQiy  s^siv JkeyovTog,  uQyvQior 
d'k  fxrj  6iö6vrog,  ö'vo,  slnev,  £/(o  xißMxovg, 
Tfjy  fxev  /aqUiiDV,  xrjv  ö'e  dqyvQiov,  xal  TiQog 
tag  /Qsiag  rrju  ^ev  twv  /aQiKoy  xsyijy  ev- 
QLGX(ü  öxav  dvoi^oi^  rrjy  de  XQ7](TifXi]i^  f^6vi]v. 

^)  Fr.  145  und  147. 

•'')  Quint.  X,  1.  64:  praecipua  eins  in 
commovenda  miseratione  virtus,   ut  quidam 


in  hac  eum  parte  omnibus  eins  operis  auc- 
torihus  praefercmt.  Dionys.  Cens.  vet.  Script. 
6:  lijuwpL^ov  naQavfJQei,  trju  ixloy^v  riou 
ovofxcaMv,  tfjg  awri^taeeog  ttjv  dxQißeiai/. 
TiQog  rovroig  xafh''  o  ßEXrUou  svQiaxsrai  xal 
üiudagov  ro  oixill^eodai,  /urj  fxsyaXonQEniög, 
lug  exsTpog,  dlXd  TTa&ijnxiog. 

^)  Geordnet  waren  dieselben  nach  Kam- 
pfesarten. 

')  Nach  Suidas  schrieb  er  auch  eine  Tra- 
gödie, worunter  Böckh  den  Memnon,  welchen 
Strabon  p.  728  einen  Dithyrambus  nennt, 
verstehen  wollte;  vgl.  Lübbert,  Ind.  Bonn. 
1885  p.  16.  Dagegen  nahm  G.  Hermank, 
Opusc.  VII,  214  eine  wirkliche  Tragödie  an. 
Flach  hat  jenes  xal  rQayiodiai  mit  Recht  als 
Interpolation  eingeklammert:  s.  Immisch,  Rh, 
M.  44,  556. 


140  Griechische  Litteraturgeschichte,     I.  Klassische  Periode. 

Lyrik  steht  sein  melisches  Gedicht  auf  die  Seeschlacht  bei  Aitemision. 
Ausserdem  glänzte  er  als  Dichter  von  Elegien,  wie  auf  die  Siege  von 
Marathon,  Salamis,  Platää,  besonders  aber  als  Epigrammatiker,  i)  In  der 
grossen  Zeit  des  nationalen  Aufschwungs  wetteiferten  Gemeinden  und  Private 
in  der  Errichtung  von  Siegestropäen  und  in  der  Ehrung  des  Andenkens 
tapferer  Vaterlandsverteidiger.  Auf  den  Statuen,  Grabsteinen,  Dreifüssen, 
Tempeln  wollte  man  aber  auch  in  Worten  die  Erinnerung  an  die  grossen 
Ruhmesthaten  festgehalten  wissen,  und  dieses  nicht  in  nackter  Prosa,  sondern 
in  schönen  Versen.  Zur  Dichtung  solcher  poetischer  Aufschriften  war  aber 
keiner  geeigneter  als  der  geistreiche  Simonides,  der  in  wenigen  Zeilen  die 
Hauptpunkte  zusammenzufassen  und  der  Erwähnung  des  Thatbestandes 
irgend  eine  feine  Fassung  zu  geben  verstand.  Überall  wurde  daher  seine  Kunst 
in  Anspruch  genommen,  und  auch  bei  den  Nachkommen  so  hoch  in  Ehren 
gehalten,  dass  die  Grammatiker  einen  besonderen  Eifer  auf  die  Sammlung 
dieser  Aufschriften  (sTriygccinpceTa)  verwandten.  Auf  solche  Weise  sind  uns 
viele  seiner  Epigramme  erhalten,  wahre  Perlen  der  alten  Poesie,  wie  das 
auf  die  Gefallenen  von  Thermopylä 

Si  '§sTv\   a^yelXeiv  Aaxsöaipovioig^    ort    rrjSs 
xsifxsd^a  Totg  xsivcdv  grji^iacn  nsid^öfxsvoi. 

Auch  sonst  knüpfte  sich  an  den  Namen  unseres  Simonides  der  Ruhm 
erfinderischen  Geistes:  er,  der  bis  in  sein  90.  Lebensjahr  sich  ein  wunder- 
voll frisches  Gedächtnis  erhielt,  galt  zugleich  als  Erfinder  der  Mnemonik; 
in  den  Ausgaben  seiner  Werke  verbreitete  er  die  für  die  Deutlichkeit  des 
Gedankenausdrucks  wichtige,  zuerst  von  den  loniern  aufgebrachte  Unter- 
scheidung der  langen  und  kurzen  Vokale  e  und  o;  über  die  verschiedensten 
Dinge  zirkulierten  von  ihm  geistreiche  Aussprüche  (aTiocf^eyfjiaTa),  wie 
z.  ß.  der  von  Plutarch  de  glor.  Athen,  uns  überlieferte  ttfi'  fxlv  ^(f)y()a(fiay 
eivai  noir^aiv  aiwTiMaav,  t]]v  dt  TTOirjaiv  t,(OYQcc(fiav  XaXovcav. 

113.  Bakchylides  mit  Simonides  durch  die  Heimat  und  das  Ge- 
schlecht verwandt,  verweilte  seit  476  längere  Zeit  mit  seinem  mütterlichen 
Oheim  in  Sikilien,  wo  sie  beide  die  Eifersucht  Pindars  wachriefen. 2)  Später 
hielt  er  sich,  von  der  Heimat  verbannt,  im  Peloponnes  auf.^)  Seine  Poesie 
bildete  nur  den  Nachhall  der  grossartigen  Genialität  des  Simonides;  es  fehlte 
ihm  die  urwüchsige  Kraft  origineller  Erfindung.  Auch  im  Stil  brachte  er  es 
nicht  über  saubere  Glätte.  Wir  haben  von  ihm  ein  längeres  Fragment  auf 
den  Frieden  (fr.  13),  das  sich  aber  mit  Piccolomini's  Friedenshymnus 
weder  an  Weichheit  der  Empfindung  noch  an  Reichtum  der  Schilderung 
messen  kann.  Dass  die  frostige  Ode  des  Horaz  I,  15,  worin  der  Meer- 
dämon Nereus  dem  Paris  die  Zukunft  weissagt,  eine  Nachahmung  des 
Bakchylides  (fr.  29)  ist,  erfahren  wir  aus  den  Scholien.  Immerhin  aber 
wurde  Bakchylides  in  den  Kanon  der  9  Lyriker  aufgenommen  und  fand 
auch  in  später  Zeit  noch  eifrige  Leser,  die  sich,  wie  Kaiser  Julian,  durch 
den  tugendhaften  Adel  seiner  Poesie  angezogen  fühlten.^) 


^)  Vgl.  Preger,  De  epigrammatis  graecis, 
Monachii  1889  p.  3  sqq.  Frühe  wurden  auf 
den  Namen  des  grossen  Epigrammatikers 
auch  falsche  Epigramme  übertragen,  |  *)  Ammian.  Marcell.  XXV,  4. 

2)  Pind.  Ol.  II,  96:  xoQaxsg  (og  uxqavxa    \ 


yuQvETov  Jiog  TTQog  oQvvxtt  &£?oi^;  vgl.  P.  II, 
97,  N.  III,  143,  Is.  II,  6. 
■')  Plut.  de  exil.  14. 


B.  Lyrik.    6.  Chorische  Lyriker.  (§  113     114.)  ~  7.  Pindar  (622-448).  (§  115.)  141 

114.  Timokreon  aus  lalysos  in  Rhodos  ist  durch  seine  Beziehungen 
zu  Simonides  bekannt  geworden.  Der  letztere  war  mit  Themistokles,  dem 
grossen  Feldherrn  und  Staatsmann  Athens,  gutbefreundet;  der  erstere  er- 
ging sich  in  bitteren  Schmähungen  über  denselben,  weil  er  ihn,  der  wegen 
des  Verdachtes  modischer  Gesinnung  aus  seinem  Vaterland  verjagt  worden 
war,  nicht  wieder  in  seine  Heimat  zurückgeführt  hatte.  0  Dafür  strafte 
ihn  Simonides  mit  dem  sarkastischen  Epigramm :  -) 

IloXXd  niMv  xal  noXXd  cfccyoh'   xal    noXXd  xccx    siTToh' 

dv&Qomovg  xsT^ai    TipoxQtcov  ^Podiog. 

Die  Stärke  des  Timokreon  war  das  Trinklied,   das   er  ganz  entgegen   dem 

Charakter   der    dorischen    Lyrik    zum   Spottgedicht    umwandelte;     Suidas 

nennt  ihn  geradezu  einen  Dichter  der  alten  Komödie. 


7.   Pindar  (522—448). 

115.  Von  dem  grössten  und  gefeiertesten  Lyriker  der  Griechen  sind 
wir  so  glücklich  noch  eine  grosse  Anzahl  von  Oden,  an  50,  zu  besitzen, 
so  dass  wir  uns  aus  seinen  Werken  selbst  ein  Bild  von  seiner  Kunst  und 
seinem  Schaffen  bilden  können.  Auch  an  direkten  Nachrichten  über  seine 
Abstammung  und  sein  Leben  fehlt  es  uns  nicht.  Aber  wie  es  bei  einem 
grossen  Mann  und  der  phantasiereichen  Natur  der  Griechen  begreiflich  ist, 
ward  frühzeitig  die  nackte  Wirklichkeit  seines  Lebens  mit  poetischen  Sagen 
umrankt.  So  erzählte  man,  dass  eine  Biene  dem  gottbeschirmten  Knaben, 
als  er  vor  Müdigkeit  auf  dem  Helikon  eingeschlafen  war,  Honig  auf  die  Lippen 
geträufelt  habe,*)  dass  dem  göttlichen  Sänger  auf  den  Triften  der  Wald- 
flur der  gehörnte  Pan  und  die  Mutter  Demeter  erschienen  seien,  um  ihn 
zum  Verkünder  ihres  Preises  zu  weihen.^)  Solche  Sagen,  vermischt  mit 
bestimmten  Angaben  über  seine  Abkunft  und  sein  Leben,  erzählten  bereits 
die  ältesten  Biographen  des  Dichters,  Chamaileon  und  Istros.^)  Aber  deren 
Biographien  sind  ebenso,  wie  die  seines  Landsmannes  Plutarch^j  verloren 
gegangen;  auf  uns  gekommen  sind  nur  ausser  einem  Artikel  des  Suidas 
eine  alte,  in  ihrem  Grundstock  w^ahrscheinlich  auf  den  Grammatiker  Di- 
dymos  zurückgehende  Vita'^)  und  eine  zweite  Biographie  aus  dem  Kom- 
mentar des  Eustathios,  in  welche  ein  älteres,  aus  dem  5.  Jahrh.  n.  Chr. 
stammendes  Gedicht^)  von  Pindars  Geschlecht  eingelegt  ist.  Aus  den  dürf- 
tigen Nachrichten  der  Alten  und  den  Werken  des  Dichters  selbst  haben  in 
neuerer  Zeit  mehrere  Gelehrte  eine  zusammenhängende  Darstellung  vom 
Leben  Pindars  zu  geben  versucht,  am  ausführlichsten  Leop.  Schmidt,  Pindars 


1)  Plut.  Them.  21. 

'')  Anth.  VII,  348;  Ath.  416  a.  Auch 
Simon,  fr.  57  ist  gegen  Timokreon  gerichtet. 

•')  Eine  ähnliche  Vorstellung  bei  Piaton 
Ion.  p.  534a,  Theokrit  7,  82,  Horaz  Od.  3,  4. 

^)  Etwas  ähnliches  erzählt  Pausanias  IX, 
23,  3  von  der  Persephone.  Man  denke  auch 
an  Hesiod  Theog.  22  ff. 

^)  Leutsch,  Die  Quellen  für  die  Bio- 
graphien des  Pindar,  im  Philol.  XI,  1  ff. 

^)  Bezeugt  von  Eustathios  im  Leben  des 
Dichters  und  von  Photios  p.   104  b,  3  Bekk. 


')  Gewöhnlich  Vita  Vratislaviensis  ge- 
nannt nach  dem  Codex,  aus  dem  sie  zuerst 
ans  Licht  gezogen  wurde. 

^)  Der  Kommentar  selbst  ist  bis  auf  die 
Vita  verloren  gegangen ;  das  eingelegte  l'evog 
Uivf^ÜQov  in  31  Hexametern  zeigt  den  Vers- 
bau des  Nonnos  und  seiner  Schule;  s.  Lud- 
wich, Rh.  M.  34,  357  ff.  —  Eine  Vita  des 
Thomas  Magister  aus  dem  byzantinischen 
Mittelalter  enthält  gleichfalls  einige  uns  sonst 
nicht  überkommene  Nachrichten. 


142  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Leben  und  Dichtung,  Bonn  1862.^)  In  diesem  Buche  sucht  der  feinsinnige 
Verfasser,  indem  er  der  zeitlichen  Folge  der  erhaltenen  Gedichte  nachgeht, 
uns  ein  Bild  der  geistigen  Entwicklung  des  Dichters  zu  entwerfen.  Sehr 
farbenreich  ist  dasselbe  nicht  ausgefallen;  von  einem  Vergleich  mit  ähn- 
lichen Darstellungen  des  Geistesganges  der  grossen  Dichter  unserer  Nation 
kann  ohnehin  nicht  die  Rede  sein;  dafür  war  einem  antiken  Dichter  der 
Typus  seiner  Kunst  zu  fest  von  vornherein  vorgezeichnet  und  der  Freiheit 
individueller  Empfindung  ein  zu  kleiner  Spielraum  gestattet.  2) 

116.  Pindar  hatte  das  siebenthorige  Theben  zur  Vaterstadt,  wie  er 
selbst  in  einem  Liede  (fr.  180:  01;  toi  ixs  '^a'vov  ov6'  döarj^iova  Moiaäv 
inaiSsvaav  xlvral  Orjßai)  bezeugte.  Seine  eigentliche  Heimat  aber  war 
das  Dorf  Kynoskephalai  bei  Theben,  in  dem  sein  Geschlecht  seit  Alters 
begütert  war.  Aus  der  Stelle  P.  V,  76  AlysiSai  s^iol  naTtQsg  schliesst 
man,  dass  seine  Familie  zu  dem  Geschlecht  der  Aigiden  gehörte,  von 
dem  ein  Teil  zur  Zeit  der  dorischen  Wanderung  nach  Sparta  und  später 
nach  Thera  und  Kyrene  ausgewandert  war.  3)  Von  dem  Musenquell  Dirke 
in  der  Nähe  Thebens,  den  er  wiederholt  in  seinen  Liedern  feierte,"^)  erhielt 
er  den  Namen  eines  dirkeischen  Schwanes.  Sein  Vater  hiess  nach  den 
einen  Daiphantos  (v.  1.  Daiphantes),  nach  den  andern  Pagondas,^)  seine 
Mutter  Kleodike.  Ein  Bruder  des  Dichters  war  Erotimos  (Erotion  bei 
Suidas),  der  als  guter  Jäger  und  Faustkämpfer  bekannt  war.  Der  Geburts- 
tag Pindars  fiel  auf  das  Fest  des  Gottes  in  Delphi,^)  woraus  wir  entnehmen, 
dass  er  im  3.  Jahr  einer  Olympiade  geboren  war.  Nach  Suidas  war  dieses 
die  65.  Ol.;  das  ist  aber  nicht  wahrscheinlich,  wenn  anders  er  schon  Ol. 
69,  3  als  Dichter  des  10.  pythischen  Siegesgesanges  auftrat."^)  Deshalb 
lassen  ihn  die  Neueren  schon  Ol.  64,  3  =  522  geboren  sein,  also  nahezu  in 
derselben  Zeit,  in  welcher  sein  grosser  Geistesverwandter,  der  Tragiker 
Aischylos,  das  Licht  der  Welt  erblickte. 

Das  Wort  i)oe^ö^  nascitur  gilt  nur  zum  Teil  von  einem  Lyriker  der 
Griechen;  der  chorische  Lyriker  dichtete  zugleich  die  Melodie  und  übte 
den  tanzenden  Chor  ein;  Musik  und  Tanz  aber  wollen  gelernt  sein.  So 
hatte  auch  Pindar  seine  Lehrmeister  in  den  verschiedenen  Zweigen   seiner 

^)  Ausserdem     behandelten    neuerdings  j  ^oavvag  avEXSiXav   ttuq'   evTsi^saip    Kdd^uov 

das   Leben    unseres   Dichters   T.    Mommsen,  j  -nvlaiq. 

Pindaros,  Kiel   1845;  Luebbert,  Pindars  Le-  j  ^)  Daiphantos   hiess    der  Sohn  Pindars, 

ben,  1878  u.  1882;  dazu  Cheist,  Zur  Chrono-  woraus  vielleicht  Daiphantos   als  Grossvater 


logie  pindarischer  Siegesgesänge.  Stzb.  d.  b. 
Ak.  1889  S.  1-64. 

^)  Siehe  Fr.  Mezger,  Disput.  Pindaricae, 
Augsb.  Progr.   1873. 

^)  In  Anaphe,  einem  Annex  von  Thera, 
findet  sich  öfters  inschriftlich  der  Name 
Pindaros;  siehe  Lübbert,  in  Findari  lociim    j    ivUrjas    ^s   irju   sixoar^]^    ^evr^Quy  Ilv^iäö'a 


bloss  vermutet  ist. 

^)  Vit.  Vratisl.  zitiert  die  Stelle  eines 
Päan:  nsvTccsrrjQig  eoQxä  ßovTJo/Lmog,  fV  ü 
TTQioTOi'  £vyuar9)jp  dycmatög  xmd  anaqyävoii;. 

"')  Übrigens  daif  ich  nicht  verschweigen, 
dass  die  Angabe    des  Scholiasten  zu  P.  XU 


de  Aegidis  et  sacris  Carneis,  Bonn  1888. 
Dagegen  Einwände  von  Boenemann,  Piniol. 
43,  79  ff.;  das  Jiyeiö'af,  sfxol  ncafQEg  kann 
allerdings  auch  auf  die  Thebaner  überhaupt 
gedeutet  werden.  Verkehrter  Weise  deutet 
Studniczka,  Kyrene  S.  73  ff.  das  ifxol  na- 
ttoeg  auf  die  Vorfahren  der  Kyreneer. 

^)  Isth.  V,  74:    nlaiti  G(fe  JiQxag  ayvou 


v&iüo.  Tf  ßaS^rCojyot  xoqui  xqvaontnXov  Mva-       fallenden  Sieg. 


Bedenken  unterliegt,  da  einerseits  in  jener 
Pythiade  der  gefeierte  Knabe  auch  im  Sta- 
dion siegte,  dessen  Pindar  in  jener  Ode 
nicht  gedenkt,  und  anderseits  die  nächsten 
Siegesoden  Pindars  P.  VI  u.  XII  erst  8  Jahre 
nach  Ol.  69,  3  =  502  v.  Chr.  fallen.  Mög- 
licher Weise  also  feiert  Pindar  P.  X.  einen 
jüngeren,   um  4  oder   mehrere  Jahre  später 


B.  Lyrik.     7.  Pindar  (522-448.)  (§  116.)  143 

Kunst.     Das  Flötenspiel  lehrte  ihn  in  früher  Jugend  sein  Oheim  Skopelinos; 
tiefer  führten  ihn  in  die  Kunst  der  Aufstellung  kyklischer  Chöre  die  Athener 
Agathokles  und  Apollodoros  ein.     Auch  Lasos  von  Hermione  wird  als  sein 
Lehrer  genannt,^)  aber  wahrscheinlich  nur  weil  die  Grammatiker  es  liebten, 
bedeutende  Zeitgenossen  zu  einander  in  Beziehung   zu  setzen.     Zur  Dicht- 
kunst leitete  ihn  die  ältere  Dichterin   seiner  böotischen  Heimat  Myrtis  an. 
Zu  Korinna  stund  er  mehr  auf  dem  gespannten  Fuss   eines  Rivalen;  Pau- 
sanias  IX,  22.  3  sah  im  Gymnasium   von  Tanagra   ein   Bild    der    mit   der 
Siegesbinde  geschmückten  Dichterin  und  deutete  dieses  auf  einen  Sieg,  den 
dieselbe  im  Wettkampf  über  Pindar  davongetragen  habe.  2)     Und  als  Pindar 
einst  einen  Hymnus  auf  Theben  mit  den  Versen  begann 
'[(yfxrjvov  7j   '/^QvaaXäaaTov  MsXiav, 
r]  Kdöfiov,  r]  anaqTÖov  isqov  ya'vog  ccvSqcov, 
Tj  Tccv  xvavccf^iTtvxa  G^ßav, 
r]  t6  TtccvToXfjiov  adtvog  '^HqaxXtog^ 
Tj  rdv  JiMvv(fov  TtoXvycc^a'a  tipdr, 
rj  ydjiiov  XevxwXsvov  '^ÄQiioviag  i^iuvrjc^ofisv;^) 
soll    ihn  Korinna   witzig   mit    der   Bemerkung    zurechtgewiesen    haben    r/J 
X^iQi^  cnsiQSiv  fji7j6'  oXco  tm  d^vXaxiA) 

Schon  früh  ist  Pindar  sich  seiner  hohen  Sendung  bewusst  geworden 
und  als  Dichter  selbst  aufgetreten.  Wir  können  das  zunächst  nur  an 
seinen  Siegesliedern  nachweisen.  Das  älteste  derselben,  P.  X  auf  einen 
siegreichen  Knaben  aus  dem  Geschlechte  der  Aleuaden  fällt  nach  der  An- 
gabe der  Scholien  in  Ol.  69,  3  oder  in  das  20.  Lebensalter  des  Dichters.^) 
Schon  in  frühem  Lebensalter  ist  er  auch,  wie  dieses  die  5.  nemeische  und 
6.  isthmische  Ode  bezeugen,  mit  der  Insel  Aigina,  zu  der  ihn  die  Stammes- 
Verwandtschaft^)  und  die  Gleichheit  des  aristokratischen  Regimentes  hin- 
zog, in  Verbindung  getreten.^)  Sein  Mannesalter  fiel  in  die  grossartige  Zeit, 
in  der  Hellas  unter  schweren  und  harten  Kämpfen  die  nationale  Läuterungs- 
probe bestand  und  die  Überlegenheit  des  freien  Geistes  über  barbarische 
Despotie  für  immer  begründete.  Auf  Pindars  Geist  wirkten  die  helden- 
mütigen Kämpfe  der  Perserkriege  nicht  so  gewaltig  wie  auf  Aischylos  und 
Simonides  ein.  Das  hängt  mit  der  Politik  seiner  Vaterstadt  zusammen,  die 
mit  kurzsichtiger  Engherzigkeit  in  einem  Kampf,  in  dem  es  sich  um  die 
Ehre  und  den  Bestand  der  Nation  handelte,   neutral  bleiben    wollte,    dafür 


^)  Nur  von  Eustathios,  aber  weder  in 
dem  metrischen  rivog  noch  in  der  Vit.  Vrat. 

-)  Die  Deutung  wird  dadurch  zweifel- 
haft, dass  Korinna  fr.  21  die  Myrtis  tadelt, 
weil    sie,    ein  Weib,    mit   Pindar   in    einen 


'")  An  der  Richtigkeit  der  Angabe  kann 
man  indes  zweifeln;  s,  S.  142  An.  7. 

^)  Das  ist  Ts.  VIII,  IG  dadurch  aus- 
gedrückt, dass  Theba  und  Aigina  als  die 
zeusgeliebten  Töchter  des  Asopos  bezeichnet 


Wettkampf  sich  eingelassen  habe.  Auch  der  \  werden.  Auch  in  dem  Preis  des  Waffen- 
Grund,  dass  die  Preisrichter  sich  durch  den  '  bündnisses  zwischen  Telamon  aus  Agina 
heimischen  Dialekt   der  Lieder  der  Korinna       und  Herakles  aus  Theben  (N.  IV,  25,  Is.  VI, 


bestimmen  Hessen,  schmeckt  nach  Gramma- 
tikerwitz. Gleich  fünfmal  lässt  Pindar  von 
Korinna  besiegt  werden  Aelian  V.  H.  XIII, 
25  und  Suidas  w..  KoQivva. 

^)  Dieselbe  Überschwenglichkeit  findet 
sich  Isth.  VIT  in. 

^)  Plut.    de   glor.    Athen,  c.  4  p.  347  f. 


31)  gibt  sich  das  gleiche  Bestreben  kund. 
"')  Tax  den  ältesten  Epinikien  Pindars 
gehören  ausserdem  P.  VI  auf  Xenokrates 
aus  Agrigent,  P.  XII  auf  Midas  aus  Agrigent, 
N.  II  auf  Timodemos  aus  Athen,  0.  X  auf 
Agesidamos  aus  Lokris. 


144 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


aber  auch  nach  der  Schlacht  von  Platää  schwer  die  Sünden  treulosen 
Vaterlandsverrats  büssen  mussteJ)  Polybios  (IV.  31),  der  unparteiische 
Historiker,  der  sonst  so  schlecht  auf  die  Anmassungen  athenischer  Hege- 
monie zu  sprechen  ist,  macht  es  doch  dem  Pindar  zum  bitteren  Vorwurf, 
dass  er  jener  Politik  der  Neutralität  und  Ruhe  das  Wort  geredet  habe 
mit  den  Versen: 

tÖ  xoivov  Tig  dc^Tvov  iv  svSia  nd^sig 
sQsvvaadTü)  ixsyccXccvoQog  '^Hav^iag  to  (faiÖQov  (pdog. 
In  der  Stunde  der  Gefahr  vermochte   eben  Pindar   ebensowenig   wie   seine 
Landsleute  die  kleinlichen  Rücksichten  des  Partikularismus  zu  überwinden. 
Später  nach  dem   glänzenden  Doppelsieg    der  Athener  am  Eurymedon  er- 
kannte auch  er,  ausgesöhnt  mit   der  Vergangenheit,    die    glänzenden  Ver- 
dienste Athens  um  die  Freiheit  von  Hellas  voll  an, 2)  so  dass  er  in  einem 
Dithyrambus  der  Stadt  den  niewelkenden  Ruhmeskranz  flocht: 
0)  Tai  kiTiagal  xai  loarscfavoi  xal  doiöifxoi^ 
'^EXXäöog  €Q€i(^fxa,  xXsival  'Ad^ävai. 
Die  Athener  ehrten  ihn  dafür  mit  der  Proxenie   und  einer  Ehrengabe  von 
10000  Drachmen,^)  welche  Spätere    als    eine  Entschädigung   für   eine    an- 
geblich von  Theben  über  ihn  verhängte  Strafe  ansahen.*) 

in.  Inzwischen  war  auch  der  Ruhm  des  Dichters  weit  über  die 
Grenzen  der  Heimat  und  der  benachbarten  Gebiete  gedrungen,  so  dass  er 
in  gleicher  Weise  wie  Simonides  das  Ansehen  eines  hellenischen  National- 
dichters erlangte.  Viel  trugen  dazu  die  Verbindungen  bei,  welche  ihm  die 
grossen  Nationalspiele  der  Hellenen  verschafften.  Durch  sie  trat  er  in  Be- 
ziehung zu  den  vornehmen  Geschlechtern  von  Rhodos,  Tenedos,  Korinth, 
zu  Arkesilas  von  Kyrene,')  zu  König  Alexander  von  Makedonien,^)  und 
vor  allem  zu  den  fürstlichen  Höfen  des  Theron  von  Akragas  und  Hieron 
von  Syrakus.  Pindar  liebte  infolgedessen  regelmässig  den  Spielen  in 
Olympia,  Delphi  und  anderen  Orten  beizuwohnen,  und  ging  öfters  auch  mit 
den  heimkehrenden  Siegern,  wie  mit  Diagoras  aus  Rhodos,  in  ihre  Heimat, 
um  selbst  die  Aufführung  des  Festzuges  zu  leiten.^)  Sikilien  und  die  Könige 
Theron   und   Hieron  besuchte   er   472,^)   um    dieselbe  Zeit  wie    Aischylos, 


')  Find.  Is.  VIII,  11. 

^)  Ausser  in  dem  gleich  zu  erwähnenden 
Dithyrambus,  worüber  Plut.  de  glor.  Ath.  7 
handelt,  besonders  noch  in  P.  I,  75  u.  N. 
IV,  19;  über  die  Abfassungszeit  des  Dithy- 
rambus s.  Christ,  Zur  Chronol.  Pindars  47  ff. 
Auch  in  P.  VIII,  in  welcher  Ode  der  Dichter 
die  Agineten  zur  Ruhe  nach  der  Einnahme 
Aegina's  durch  Athen  ermahnt,  zeigt  sich 
die  gleiche  athenfreundliche  Gesinnung. 

^)  Isoer.  de  antid.  166:  IJli'&aQoy  jU€y 
Toy  7ioit]T7]y  Ol  TiQo  Ti)fxiüv  ysyovoxeg  vnsQ 
iyog  fxovov  ^^fxcaog,  oii  rrjp  nöXiv  sgeiG^ci 
irjg  'EXXäöog  (opofxaasy,  ovTcog  etifA7]oav, 
waxs  xcd  TiQo^Evop  noitjaaa&ai  y.al  dcoQeccy 
fXVQiag  ciVTO)   dovyrti  ÖQa/juäg. 

^)  Vit.  Vrat.,  Vit.  Eust.,  Aeschines  ep.  4. 
Nach  Paus.  I,  8.  4  haben  ihn  die  Athener 
auch  mit  einem  ehernen  Standbild  geehrt; 
vergl.  BöCKH  zu  fr.  46. 


^)  Des  Arkesilas  Sieg  im  J.  466  feiert 
P.  IV  u.  V. 

^)  Fr.  97  stammt  aus  einem  Enkomion 
auf  Alexander. 

'')  Dass  Pindar  selbst  mit  Diagoras  nach 
Rhodos  ging,  lässt  das  Wort  xccrsßay  0. 
VII,  13  vermuten;  dagegen  scheint  freilich 
V.  8  nsfXTUüv  yXvxvp  xagnov  cpQEvög  zu 
sprechen,  doch  scheint  das  nur.  Auch 
nach  Kyrene  war  er  zur  zweiten  Siegesfeier 
des  Arkesilas  gekommen,  wenn  anders  die 
Lesart  V.  80  aeßi^ofxsp  Kvqdvccg  dyaxTifxei'ui' 
nokiy  sicher  steht. 

^)  Die  1.  olymp.  Ode  auf  den  Sieg  des 
Hieron  mit  einem  Rennpferd  {xElrjn),  er- 
rungen Ol.  77  (nach  Bergk,  Ol.  76),  trug 
er  selbst  in  Syrakus  vor,  wie  man  aus  V.  17 
u.  106  sieht.  Wahrscheinlich  leitete  er  auch 
die  Aufführung  von  F.  I  auf  den  Sieg  von 
474  in  dem  sikilischen  Ätna. 


B.  Lyrik.    7.  Pindar  (5^3    448).  (§  117.)  145 

mit  dem  er  in  der  Beschreibung  des  Ausbruchs  des  Ätna  wetteiferte.^) 
Während  aber  andere,  wie  Simonides  und  Bakchylides,  auf  längere  Zeit  ihren 
Sitz  an  den  Fürstenhöfen  aufschlugen,  kehrte  Pindar  bald  wieder  nach 
Hellas  und  Theben  zurück;  er  wollte  eben,  wie  er  zu  sagen  liebte,  lieber 
sich  als  andern  leben. 2) 

In  andere  Beziehungen  brachte  Pindar  seine  Stellung  als  Dichter 
religiöser  Festgesänge.  In  jener  Zeit  des  allgemeinen  Aufschwungs  wurden 
auch  die  Feste  der  Götter  allwärts  mit  erhöhtem  Glänze  gefeiert,  und 
Pindar  war  der  verehrte  Dichter,  den  die  Priesterschaften  von  nah  und 
fern  um  eine  poetische  Spende  für  die  Gottheit  angingen.  So  dichtete  er 
nicht  bloss  für  Chöre  der  Götterfeste  Thebens  und  der  nächsten  Umgegend 
heilige  Lieder,  sondern  sandte  selbst  den  Priestern  des  Zeus  Ammon  einen 
Hymnus,  den  auch  noch  die  späteren  Generationen  so  in  Ehren  hielten, 
dass  ihn  Ptolemäus  Lagi  auf  eine  dreieckige  Säule  neben  dem  Altar  des 
Gottes  eingraben  liess.^)  Besonders  nahe  aber  stand  er  den  Priestern  in 
Delphi,  deren  Weisheit  er  in  den  Kernsprüchen  seiner  Gedichte  verkündigte 
und  von  Seiten  deren  er  sich  mannigfacher  Aufmerksamkeiten  erfreute. 
Noch  in  später  Zeit  war  es  Brauch,  dass  bei  den  Theoxenien  in  Delphi 
der  Herold  in  dankbarer  Erinnerung  an  die  ehemalige  Beteiligung  des 
Dichters  an  dem  Feste  ausrief:  IlivdaQog  inl  t6  SsTtcvov  toi  ^8(7} ^) 

Den  Tod  fand  Pindar  in  hohem  Alter,  wahrscheinlich  im  Jahre  448.^) 
Sein  letztes  datierbares  Gedicht  ist  P.  VIII,  gedichtet  Ol.  82,  3  ==■  450,^) 
aus  dem  wohl  eine  schwermütige  Stimmung  herausklingt,  ^)  das  aber  nichts 
von  geistigem  Siechtum  verrät.  Er  verschied  fern  von  der  Heimat  in 
Argos,  wie  die  Sage  erzählt  im  Theater,  in  dem  Schosse  seines  Lieblings 
Theoxenos.  In  Theben,  wohin  seine  Töchter  Protomache  und  Eumetis  die 
Aschenurne  brachten,  stand  noch  zur  Zeit  des  Pausanias  (IX,  23.  2)  sein 
Grabdenkmal.  Der  Perieget  (IX,  25.  3)  sah  auch  noch  jenseits  der  Quelle 
Dirke  die  Trümmer  seines  Hauses  und  daneben  ein  Heiligtum  der  Götter- 
mutter Dindymene,  in  das  der  fromme  Dichter  ein  Götterbild  gestiftet 
hatte. ^)  Von  dem  Hause  erzählte  man  sich  bekanntlich,  dass  es  Alexander 
allein  von  der   Stadt  Theben  verschont   habe,   indem   er   darauf  schreiben 


^)  Zur  Zeit  des  Ausbruchs  (479  oder  475) 
des  Ätna  war  er  noch  nicht  in  Sikilien,  wie 


mit   goldenen   Buchstaben    in    dem   Tempel 
der  lindischen  Athene  aufgeschrieben. 


die    Worte   P.  I,  27   (gedichtet   474/3    nach  ^)  Vergl.  den  Heroldsruf  ^etk  Aeaßiou 


Böckh,  470  nach  Bergk)  ft^av^a  de  x«t  Tiag' 
Wovioiv  {ncKQiovzMP  vel  TiaqeövxMP  codd.,  em. 
Cobet)  bezeugen.  Der  Ausbruch  ist  besungen 
von  Pindar  P.  I,  21  ff.  u.  Aischylos  im  Prom. 
379  ff.  Die  Palme  trägt  dabei  entschieden 
Pindar  davon,  wiewohl  in  1  Punkte,  in  dem 
Bilde  von  den  Feuerströmen  {noTaf^iol  nvQog) 
Aischylos  glücklicher  als  Pindar  war.  Ge- 
naueres darüber  habe  ich  ermittelt  in  dem 
Aufsatz,  Der  Ätna  in  der  griechischen  Poesie, 
Stzb.   d.   b.   Ak.  1888  S.  359  ff.;    vgl.  §  59. 

'-)  Eust.  vit.  Pind. :  HipdaQog  eQwrtj&eig, 
dt«  TL  2!ifA,(oyidr]g  fusy  TiQog  roi'g  Tvqüppovg 
u7i€&7J/nt]G€P  sig  lixE^iaVy  ccvrog  de  ovx  exUXei, 
E(pt],  dioTL  ßovXo^ca  sjuavTa     ^rjv,  ovx    iIXIok 

^)  Paus.  IX,  IG.  1.  Ähnlich  ward  nach 
den  Schollen    die   7.    ol.  Ode    auf   Diagoras 


lodöp  zu  Ehren   des  Terpander  §  80. 

^)  Nach  dem  Fepog  starb  er  80  Jahre 
alt,  was  wahrscheinlich  eine  abgerundete 
Zahl  ist;  Suidas  gibt  ihm  75  {vi,  verderbt 
aus  ni)  Jahre,  was,  wenn  man  von  dem 
Geburtsjahr  des  Dichters  ausgeht,  auf  448/7, 
wenn  man  den  Ansatz,  dass  Pindar  zur  Zeit 
des  Xerxes  40  Jahre  alt  gewesen  sei,  zu 
gründe  legt,  auf  445  führt. 

^)  So  nach  der  Überlieferung,  die  ich 
gegen  die  Zweifel  neuerer  Gelehrten  gestützt 
habe  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  S.  1  ff. 

^)  P.  VIII,  95:  ETidfxsQoi  •  TL  de  Tig,  t'l 
(f'  ov  Tig;  axwg  opctq  ävyhQionog. 

8)  Schol.  zu  P.  III,  137  erzählt,  dass 
Pindar  ein  ayalfia  firjTQog  t^etop  xccl  IJupog 
neben  seinem  Hause  gegründet  hatte. 


Handbuch  dor  klass.  Altcrtiimswissonschaft.  VII.     2.  Aufl.  10 


146  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Hess:  UirSaQov  xov  f^iovaoTioiov  rrjv  aTtyrjv  jüt]  xaiersA)  Er  hinterliess  neben 
den  zwei  genannnten  Töchtern  einen  Sohn  Daiphantos,  den  er  selbst  noch 
als  Reigenführer  eines  apollinischen  Mädchenchors  in  die  musische  Kunst 
eingeführt  hatte. 

118.  Die  Werke  Pindars  lagen  den  Grammatikern  und  Biographen 
in  einer  Gesamtausgabe  von  17  Büchern  vor.  Die  Ausgabe  war  wahrscheinlich 
von  Aristophanes  von  Byzanz  angefertigt  worden,  auf  den  wenigstens 
Dionysios  de  comp.  p.  185  die  herkömmliche  Verseinteilung  zurückführt. 2) 
Nach  der  Vita  waren  in  derselben  enthalten:  vßvoo,  TTaiävsQ,  6id^vQCif.ißoi 
in  2  B.,  TTQoaödia  in  2  B.,  naQS^tvia  in  3  B.,  vnoQxrjiiaTa  in  2  B.,  syxM^iia^ 
xhQYiVoi,  sninxoi  in  4  B.  Das  3.  Buch  der  Parthenien  hatte  den  speziellen 
Titel  T«  xsxMQiafitva  twv  TiaQ^sviurv,  woraus  man  zu  schliessen  berechtigt 
ist,  dass  die  Parthenien  ursprünglich  den  Schluss  der  Sammlung  bildeten 
und  dass  in  das  letzte  Buch  allerlei  Gedichte,  welche  unter  den  andern 
Titeln  nicht  wohl  untergebracht  werden  konnten,  zusammengefasst  waren. 3) 
Suidas  fügt  zu  den  erwähnten  Gedichtalten  noch  hinzu:  ^)  h'S^Qoviainof, 
ßaxyjxä,  6a(fvr^(fOQixd,  axoXid,  Sgccp^uTa  TQayixd^^)  smyQcciinaicc^  naQaivsasiQ, 
Aber  diese  Titel  stammen  wahrscheinlich  nicht  aus  einer  anderen  älteren 
Ausgabe,  wie  Böckh  und  Bergk  vermutet  hatten  —  dagegen  spricht  schon 
die  gleiche  Zahl  von  17  Büchern  bei  beiden  Gewährsmännern  —  sondern 
aus  der  Aufzeichnung  {dvciyQaqjij)  der  Werke  Pindars  von  Seite  eines  Lit- 
terarhistorikers  des  4.  oder  5.  Jahrh.  n.  Chr.,  der  neben  die  alten  Namen 
der  einzelnen  Dichtungsarten  auch  die  neuen,  in  seiner  Zeit  gebräuchlichen, 
wie  SQaßara  Tgayixd  neben  di^VQccfißoi,  €v^Qoviai.ioi  neben  ngoaddia  setzte, 
und  in  seiner  Vorlage  bereits  Unechtes  (wie  iniyQccpi^aTa  und  prosaische 
naQairiasiq  oder  smifÜ^tynaTo)  dem  Echten  beigemischt  fand.'^)  Jedenfalls 
hat  sich  Pindars  Muse  ausschliesslich  in  der  Gattung  der  chorischen  Lyrik 
bewegt,  innerhalb  derselben  aber  die  verschiedensten  Arten  kultiviert: 
Pindar  weihte  seinen  Sang  dem  Preise  der  Götter  (Hymnen,  Päane,  Dithy- 


^)  Von  Alexander  erzählen  dieses  Pli-  j  metrische  Angabe  hinzu:  y.axu  ryv  ffii/o- 
nius  H  N.  VII,  29  und  Arrian,  Anab.  I,  9  und  [  juetqUcp  ojgsI  TeTQccxiffxlhu  •  vgl.  Bergk 
daraus    Suidas,    von    Pausanias,    dem   König   |    FLG.'^  367  An.  4 


der  Lakedämonier,  die  Vita  Viat.  u.  Eust., 
von  beiden  die  Vita  des  Thomas  Magister. 
Näheres  bei  Sittl,    Gr.  Litt.  III,  100  An.  9. 

^)  Thomas  Mag.  in  der  Vit.  Find.: 
7TQOT6Tc<xrc(i  vTio  ^Aqigt ocfävovg  rov  avvrd- 
^uvTog  XU  lIii'ö'aQiy.d,  welcher  Angabe  doch 
irgend  eine  Überlieferung  aus  dem  Altertum 
zu  gründe  liegen  muss.  Timaios  scheint 
unsere  Ausgabe  noch  nicht  gekannt  zu  haben, 
da  er  sonst  schwerlich  ein  nemeisches  Sieges- 
lied mit  einem  olymischen  verwechselt  hätte, 
wie  dieses  von  den  Schollen  zu  Nem.  I  in. 
bezeugt  ist. 

^)  So  stehen  auch  in  unseren  Hand- 
schriften am  Schlüsse  der  Nemeonikai  Oden 
auf  ganz  verschiedenartige  Sieger,  wozu  der 
Scholiast  p.  491  B.  gleichfalls  bemerkt:  cT/o 
xe/coQtafÄs'ycc  cfiQoyria. 


^)  Die  ö'QafxaToc  TQayixd,  welche  so  viel 
Staub  aufgewirbelt  haben,  sind  wahrscheinlich 
nur  ein  anderer  Name  für  diS^vQcifxßoi,  wie 
besonders  Himerios  or.  XI,  4  TJy  Jiovvai« 
X(d  To  ^ECKTQoy  sl^s  jM£T«  Trjg  XvQCig  IIiydaQog 
nahe  legt.  Nichts  zu  geben  ist  auf  die  sub- 
tile Unterscheidung  Lübbert's,  De  Pindari 
carminihus  dramaticis  tragicisque,  Bonn  1885. 
Über  die  Dichtungsarten  {sX^t])  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Tonarten  hatte  der 
Grammatiker  Apollonios  gehandelt,  der  davon 
den  Beinamen  sidoyQcapog  hatte;  s.  Et.  M. 
295,  51  u,  Schol.  zu  F.  II  in.  Ausser  den 
in  den  aufgeführten  Titeln  vorkommenden 
Arten  werden  noch  erwähnt  nagoLvia  (d.  i, 
axoXid)  von  Didymos  zu  N.  I  in.,  und  ^vaia- 
rrjQia  von  Timaios  zu  P.  II  in. 

^)  Ich  folge  dabei  Hiller,  Die  Verzeich- 


■^)  Eustathios    folgt  in    der    Aufzählung       nisse  der  pindarischen  Gedichte,    Herrn.  21, 
der  Vit.   Vrat..    fügt    aber    noch    die    sticho-       .'i57  ff,;  dazu  Immisch,  Rh.  M.  44,  553  ff. 


B.  Lyrik.     7.  Pindar  (522-448).  (§  118-119.) 


147 


ramben,  Prosodien,  Parthenieii)  wie  dem  Lobe  der  Heroen  und  Menschen 
(Epinikien,  Enkomien,  Threnen);  er  bestimmte  seine  Lieder  zum  weihevollen 
Vortrag  beim  Einzug  in  die  Tempelhallen  (Prosodien,  Enthronismen)  wie 
zum  jubelnden  Chorgesang  bei  gottbegeistertem  Tanze  (Hyporchemen) ;  er 
gab  der  Freude  Ausdruck  bei  dem  Siegeseinzug  (Epinikien)  und  dem  Fest- 
mahl (Skolien)  wie  der  wehmütigen  Trauer  bei  der  Totenfeier  (Threnoi).^) 
Erhalten  sind  uns  von  seinen  Werken,  mit  Ausnahme  der  Siegeslieder, 
leider  nur  Bruchstücke,  darunter  aber  doch  einige  grössere,  so  namentlich 
von  einem  schwärmerischen,  für  Athen  gedichteten  Dithyrambus,  von  einem 
Tanzlied  {vrroQxrjfÄa)  auf  die  Sonnenfinsternis  des  J.  463,  von  zwei  lieb- 
reizenden Trinkliedern  (axöha)  auf  die  Hierodulen  von  Korinth  und  den 
schönen  Theoxenos,  endlich  von  einigen  tiefernsten  Klageliedern  (^Qijvoi), 
in  denen  die  pythagorische  und  orphische  Lehre  von  der  Unsterblichkeit 
und  Seelenwanderung  in  erhabenster  Sprache  vorgetragen  ist.  Die  Bruch- 
stücke verdienen  um  so  mehr  Beachtung,  als  sie  zum  grössten  Teil  weit 
mehr  als  die  durch  äussere  Umstände  veranlassten  Siegesgesänge  aus  wahrer 
Begeisterung  und  warmer  Empfindung  heraus  gedichtet  sind. 

119.  Vollständig  auf  uns  gekommen  sind  nur  die  4  Bücher  Sieges- 
lieder, und  selbst  von  diesen  ist  das  letzte  am  Schluss  verstümmelt.  2)  Ge- 
ordnet sind  die  4  Bücher  nach  dem  Rang,  den  die  verschiedenen  National- 
spiele bei  den  Hellenen  einnahmen :  voran  stehen  die  Epinikien  auf  Siege 
in  den  olympischen  Spielen,  es  folgen  die  pythischen,  nemeischen,  isthmi- 
schen. ^)  Auch  innerhalb  der  einzelnen  Bücher  war  bei  der  Anordnung 
ähnlich  wie  bei  Simonides  das  Ansehen  der  Wettkämpfe  massgebend;  es 
folgen  sich  also  die  Lieder  auf  Sieger  mit  dem  Viergespann  {aQixaTi)^  dem 
Gespann  von  Maultieren  {aTrrjvT]),  dem  Renner  [xsXtjti),  im  Pankration,  im 
Lauf,  im  Flötenspiel.  Doch  ist  diese  Ordnung  nicht  genau  eingehalten,  und 
steht  z.  B.  die  Ode  auf  den  Sieg  des  Hieron  mit  dem  Renner  Pherenikos 
der  ganzen  Sammlung  voran,  weil  in  derselben  der  Ursprung  der  olym- 
pischen Spiele  besungen  ist.  Weniger  zu  entschuldigen  sind  'andere  Ver- 
stösse, wie  dass  unter  den  Pythioniken  an  2.  Stelle  ein  Lied  steht,  das 
sich  gar  nicht  auf  einen  Sieg  an  den  Pythien  bezieht,'^)  und  dass  den  Schluss 
der  Nemeonikai  ein  Lied  bildet,  welches  nicht  zu  Ehren  eines  Sieges,  son- 
dern zur  Installation  eines  Ratsherrn  in  Tenedos  gedichtet  war.  Diese 
tumultuarische  Redaktion  zeigt  zur  Genüge,  dass  dieselbe  nicht  auf  den 
Dichter  selbst,  sondern  auf  einen  späteren,  sei  es  attischen,  sei  es  alexan- 
drinischen  Herausgeber  zurückzuführen  ist. 


')  Horaz  Od,  IV,  2  in  der  berühmten 
Ode  auf  Pindar  greift  nur  die  bekanntesten 
Arten,  Dithyramben,  Enkomien,  Epinikien, 
Threnen  heraus. 

^)  Auf  Grund  sehr  unzuverlässiger  junger 
Zeugnisse  nimmt  Bergk  PLG.^  p.  21  f.  an,  dass 
auch  in  dem  Anfang  der  Isthmien  1  Ode 
und  ebenso  1  unter  denNemeen  ausgefallen  sei. 

•'')  Da  den  nemeischen  Oden  am  Schlüsse 
mehrere  fremdartige  Oden  auf  nichtnemeische 
Siege  angehängt  sind,  so  vermutete  0.  Mül- 
ler, Gr.  Litt.  I,  398,    dass    ehedem    in    der 


attischen  Ausgabe  die  Nemeen  zuletzt  stun- 
den. Auch  Piaton.  Lysis  p.  205c  setzt  Ne/Lie'o. 
nach  'la^fxoT.  Vgl.  Bergk,  PLG.'  20.  Die 
Familie  des  Psaumis  in  Sikilien  hatte  den 
Ordnern  neben  dem  echten  Siegeslied,  Ol.  IV, 
auch  eines  von  einem  Lokaldichter,  Ol.  V, 
übergeben. 

'^)  Dieser  Fehler  scheint  auf  Apollonios 
den  Eidographen  zurückzugehen,  da  dieser 
nach  den  Scholien  die  Ode  zu  den  pythischen 
stellte,  während  sie  Kallimachos  den  ne- 
meischen zugesellte. 

10* 


148 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  t*eriode. 


Bestimmt  waren  die  Epinikien  zum  Vortrag  von  Chören,  welche  aus 
Altersgenossen  und  Freunden  des  Siegers  zusammengesetzt  i)  und  durch 
den  Dichter  selbst  oder  einen  eigenen  Chormeister  eingeübt  waren.  2)  Dabei 
ist  aber  auffallend,  dass  die  Gedanken  ganz  aus  der  Person  des  Dichters 
gesprochen  sind  und  zwar  zuweilen  so,  dass  sie  persönliche  Beziehungen 
berühren,  die  sich  im  Munde  anderer  schlecht  ausnehmen,  wie  wenn  der 
Dichter  Is.  VII,  41  des  eigenen  Alters  gedenkt,  mit  dem  doch  das  der 
Choreuten  nicht  übereinzustimmen  brauchte,  oder  Ol.  I,  17  sein  ganz  per- 
sönliches Verhältnis  zum  König  Hieron  berührt.^)  Daraus  sieht  man,  dass 
der  Chor  in  der  Lyrik  früher  als  in  dem  Drama  seine  ursprüngliche  Be- 
deutung verloren  hatte  und  schon  zur  Zeit  Pindars  ähnlich  wie  bei  uns 
zur  Rolle  eines  den  Dichter  vertretenden  Sängers  herabgesunken  war.'^) 
Damit  stimmt  es  auch,  dass  Strophe  und  Antistrophe  sich  bei  Pindar 
durch  den  Sinn  weit  weniger  von  einander  abheben  als  bei  den  attischen 
Dramatikern,  dass  also  auch  hier  die  Teilung  des  Chors  in  Halbchöre  ihre 
tiefere  Bedeutung  eingebüsst  hatte.  Das  Siegeslied  wurde  natürlich  bestellt, 
von  dem  Sieger  oder  dessen  Freunden.  Der  Dichter  erhielt  dafür  ein  Honorar 
und  erlaubte  sich  ohne  Ziererei  bezüglich  der  Höhe  desselben  an  die  Frei- 
gebigkeit des  Bestellers  zu  appellieren. 5)  Man  scheint  darin  nichts  gefunden 
zu  haben,  was  gegen  die  Dichterwürde  Verstösse:  Pindar  vergleicht  sein 
Preislied  der  Ehrenstatue  (N.  V,  1;  IV,  81)  und  findet  es  daher  selbstverständ- 
lich, dass  er  auch  in  der  Entlohnung  seiner  Kunst  hinter  dem  Bildhauer  nicht 
zurückstehe.*^)  Wir,  die  wir,  Gott  sei  Dank,  noch  durch  unsers  Dichters  Woi'te 
„das  Lied,  das  aus  der  Kehle  dringt,  ist  Lohn,  der  reichlich  lohnet"  verwöhnt 
sind,  nehmen  an  jenen  Äusserungen   der  Gewinnsucht   mit  Recht  Anstoss. 

Gelegenheit  zum  Festgesang  bot  zunächst  der  Jubel,  mit  dem  auf  dem 
Festplatz  selbst  die  Freunde  den  Sieg  ihres  Genossen  aufnahmen.  Aber 
so  rasch  war  das  Lied  nicht  zur  Hand;  daher  beschränkte  man  sich  bei 
der  ersten  Begrüssung  in  der  Regel  auf  den  alten  archilochischen  Zuruf 
T/ji'sXXa  xaXXivixs,'^)  unter  dem  man  den  Sieger  im  festlichen  Zuge  (xw/ioc) 
zum  Altar  des  Gottes  geleitete.^)  Das  eigentliche,  speziell  für  den  be- 
treffenden Sieg  gedichtete  Preislied  ward   erst  bei  dem   feierlichen  Einzug 


^)  In  Nem.  III,  4  werden  sie  mit  rsx- 
roysg  xcofucoy  vEui'Ua.  Nem.  11,  24  mit  Tjokirca 
angeredet 

''^)  Als  Chormeister  ist  Ol.  VI,  88  ein 
gewisser  Aineias  genannt. 

")  Vgl.  Nem.  I,  19  u.  VI,  64;  auch  die 
vertrauten  Anreden  und  besonders  die  mah- 
nenden Zurechtweisungen  gegenüber  Königen 
mussten  im  Munde  von  Choreuten  sich  schlecht 
ausnehmen.  Von  Pindars  Poesien  überhaupt 
gilt  daher,  was  Piaton,  Rep.  III  p.  394  c 
speziell  vom  Dithyrambus  aussagt:  »;  de 
(sc.  7iob]aig)  di'  dnayye/iiag  ccvrov  lov  noirjtov, 
EVQOig  d"'  (ci'nrjy  judhord  nov  eV  öi&VQd^ußoig. 

^)  Aus  dem  Schluss  von  N.  II  ddvfÄeAel 
cf'  i^dg/eiE  cpoivu  könnte  man  vermuten,  dass 
das  vorausgegangene  Lied  nur  die  Einleitung 
{nQooif^Lov)  bildete,  dem  das  eigentliche,  vom 
Chor    gesungene    Festlied    erst    nachfolgte. 


Aber  gegen  diese  Annahme  sprechen  die 
zahlreichen  Stellen  anderer  Epinikien,  die 
nur  vom  Hauptlied  gelten  können.  Eher  ist 
mir  glaublich,  dass  einzelne,  besonders  per- 
sönlich gehaltene  Strophen,  wie  P,  I,  81—100 
und  Is.  II,  43 — 48,  nur  dem  Sieger  vom 
Dichter  überreicht,  nicht  auch  vom  Chor  ge- 
sungen wurden. 

5)  P.  I,  90;  Is.  II,  6  ff. 

^)  Von  einem  Honorar  von  3000  Drach- 
men erzählt  der  Scholiast  zu  N.  V,  1. 

')  Vgl.  Ol.  IX,  1  und  oben  S.  117  An.  11. 

^)  Eine  Ausnahme  macht  Ol.  VIII,  wel- 
ches Lied  für  jenen  Aufzug  in  Olympia  be- 
stimmet war,  da  damals  die  kriegerischen  Zu- 
stände von  Agina  einen  festlichen  Einzug  in 
der  Heimat  nicht  gestatteten.  Vielleicht  gilt 
das  Gleiche  auch  für  P.  VI;  für  Ol.  IV  ha 
es  mit  Unrecht  Böckh  angenommen. 


I 


B.  Lyrik.     7.  Pindar  (522-448).  (§  120.) 


149 


in  die  Heimatstadt  gesungen.  Denn  der  Sieg  eines  Mitbürgers,  namentlich 
bei  den  grossen,  sogenannten  heiligen  Spielen  ^)  galt  als  eine  Ehre  für  die 
ganze  Stadt,  an  deren  Feier  sich  daher  auch  die  ganze  Bürgerschaft  be- 
teiligte 2)  und  bei  der  es  auch  der  Sieger  nicht  an  gastlicher  Bewirtung  und 
freigebigen  Spenden  fehlen  liess.^)  Man  holte  teils  den  Sieger  im  festlichen 
Zuge  ab  und  geleitete  ihn  wie  im  Triumphe^)  zur  heiligen  Stätte,  wo  er 
den  Siegeskranz  am  Altare  der  Gottheit  niederlegte,  teils  zog  man  am 
Abend  zum  Hause  des  Siegers  und  brachte  ihm  ein  musikalisches  Ständ- 
chen,^) teils  endlich  feierte  man  denselben  beim  Festmahle  im  königlichen 
Palaste.  Bei  einer  dieser  Gelegenheiten  also  ward  das  Siegeslied  gesungen, 
und  zwar  von  einem  Chor  unter  Begleitung  musikalischer  Instrumente,  bald 
der  Lyra  oder  Flöte  allein,  bald  der  Lyra  und  Flöte  zusammen. <^)  Natür- 
lich fehlte  in  den  meisten  Fällen  auch  nicht  der  dritte  im  Bund,  der  Tanz 
oder  Schritt.  Den  letzteren  nennt  Pindar  P.  I,  2  den  Anfang  der  Festfeier  {ßaaig 
ayXdiag  aQ^cc),  weil  der  Chor  in  der  Regel  zuerst  schweigend  in  gemessenem 
Schritt  in  die  Halle  einzog  und  erst  angesichts  des  gefeierten  Siegers  zu 
den  Klängen  der  Phorminx  den  Gesang  anhob.  Der  Tanz  und  Schritt  fiel 
selbstverständlich  weg,  wenn  kein  Aufzug  stattfand  und  der  Chor  nur  ein 
einfaches  Ständchen  darbrachte.') 

120.  Für  jedes  Lied  dichtete  Pindar,  offenbar  nach  stehendem  Brauch 
eine  neue  Melodie  und  somit  auch  neue  metrische  Formen.  Davon  gibt 
es  nur  eine  Ausnahme,  indem  die  3.  und  4.  isthmische  Ode  das  gleiche 
Versmass  gemein  haben;  aber  das  hat  seinen  Grund  in  den  besonderen  Ver- 
hältnissen jener  beiden  Gedichte,  indem  Pindar  das  zweite,  wenn  es  über- 
haupt von  ihm  herrührt,  als  Ergänzung  nachträglich  hinzufügte,  nachdem 
der  Gefeierte  inzwischen  zu  dem  isthmischen  Sieg  auch  noch  einen  nemei- 
schen  errungen  hatte.    Im  übrigen  sind  die  Unterschiede  in  Versmass  und 


^)  Heilige  Spiele  waren:  1)  in  Olympia 
zu  Ehren  des  Zeus,  seit  Ol.  1  alle  4  Jahre 
im  August  (11—16  Metageitnion)  im  1.  Olym- 
piadenjahr, 2)  in  Delphi  zu  Ehren  des  Apoll 
im  August  alle  4  Jahre  seit  Ol.  48,  3  (nach 
Bergk  seit  Ol.  49,  3)  im  3.  Olympiadenjahr, 
3)  in  Nemea  zu  Ehren  des  nemeischen  Zeus 
seit  Ol.  51,  2  alle  2  Jahre  im  Juli  des  2. 
und  4.  Olympiadenjahres  (s.  Ungek,  Phil.  34, 
50  ff.  und  37,  524  ff.;  dagegen  Droysen, 
Herm.  14,  1  ff.),  4)  auf  dem  Isthmus  zu  Ehren 
des  Poseidon  alle  2  Jahre  im  April  des  2. 
und  4.  Olympiadenjahres  (s.  Unger,  Phil. 
37,  1  ff.  und  Christ,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889, 
S.  24  ff.).  Ausserdem  gab  es  eine  Masse 
von  Lokalspielen,  an  denen  sich  aber  auch 
Nichteingeborene  beteiligen  durften,  wie  die 
Panathenäen  (N.  X,  35)  und  Olympien  (N. 
II,  23)  in  Athen,  die  Herakleia  und  loleia 
in  Theben  (Ol.  IX,  98;  P.  IX,  89;  Is.  L  55), 
die  Aiakeia  in  Agina  etc. 

^)  Dies  bezeugt  schon  Xenophanes,  der 
in  der  Elegie  bei  Ath.  413  ., gegen  diese 
Auszeichnung  der  körperlichen  Überlegenheit 
eifert. 

•')  Der  gastlichen  Bewirtung  der  Sänger 
mit  Speise   und   Trank   ist  gedacht   in   den 


Siegesliedern  zu  Ehren  des  syrakusanischen 
Feldherrn  Chromios  N.  I,  22  u.  IX,  51. 

^)  Nicht  bloss  klingt  das  lateinische 
trium2)hus  =  ^Qiafißog  an  den  dreifachen 
Kallinikos  in  Olympia  an,  sondern  gleicht 
auch  die  Weise,  wie  z.  B.  Chromios  aus 
Syrakus  zu  Wagen  seinen  Einzug  hält  (N. 
IX,  4),  ganz    einem   römischen  Triumphzug. 

^)  Is.  VIII,  3:  Te?ieG('(QXOv  nccQcc  ttqu- 
d^vQou   iwv  dvsysiQtTM  y.tüfXOU. 

6)  Lyra  allein  P.  I,  1,  Flöte  allein  Ol. 
V,  19,  Lyra  und  Flöte  Ol.  III,  8;  XI,  93; 
N.  III,  12  u.  79;  IX,  8;  vergl.  Böckh,  Pin- 
dar I,  2.  258. 

"')  Das  Stehen  ist  ausdrücklich  hervor- 
gehoben P.  IV,  1 :  adfxsQor  ^ev  XQV  ^^  7r«()' 
dv^Qt  9p/Atü  atäfxevy  das  Gehen  Ol.  XIV,  17: 
x(ofÄoy  in^  evfisysc  Tv/a  ßißcoyra.  Merk- 
zeichen, um  ein  Stehlied  von  einem  Marsch- 
lied zu  unterscheiden,  hat  man  bis  jetzt  noch 
nicht  aufgefunden.  Müller,  Gr.  Litt.  I,  400 
wollte  in  dieser  Beziehung  einen  Wert  darauf 
legen,  ob  eine  Ode  bloss  aus  Strophen,  oder 
aus  Strophen,  Antistrophen  und  Epoden  be- 
stehe; aber  damit  lässt  sich  nicht  durch- 
dringen ;  versjleiche  darüber  Christ,  Stzb.  d. 
b.  Ak.  1889  S.  56  ff. 


150 


GriechiBche  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Ton  zwischen  den  einzelnen  Epinikien  sehr  gross.  Das  hängt  zumeist  mit 
der  Verschiedenheit  der  Tonart  zusammen,  in  welcher  die  Melodien  der 
einzelnen  Oden  gesetzt  waren.  Leider  können  wir  über  diese  musikalische 
Seite  der  pindarischen  Muse,  die  zu  ihrer  Beliebtheit  am  meisten  beitrug,  0 
nicht  mehr  klar  urteilen,  da  uns  mit  den  blossen  Andeutungen  des  dorischen 
Fusses  (Ol.  III,  5),  der  äolischen  Saiten  (Ol.  I,  102,  P.  IL  69),  der  lydischen 
Weise  (Ol.  V,  19,  XIV,  17,  N.  IV,  45,  \^III,  15)  nicht  viel  geholfen  ist, 
und  die  Avenigen  Melodienreste  zu  P.  I,  welche  im  17.  Jahrh.  der  Jesuit 
Kircher  aus  einem  angeblichen  Codex  der  St.  Salvatorbibliothek  Messina's 
publiziert  hat,  unecht  sind.  2) 

Was  die  Anlage  der  Siegeslieder  anbelangt,")  so  hat  in  unserer  Zeit 
Westphal,  Proleg.  zu  Aeschylos  S.  69  die  These  aufgestellt,  dass  Pindar 
genau  der  Gliederung  des  terpandrischen  Nomos  gefolgt  sei,  und  hat  mit 
diesem  Gedanken  bei  vielen  Erklärern  Anklang  gefunden.^)  Die  Teile  des 
terpandrischen  Nomos  aber  waren  «(>x^?  fxeraQx^,  xaTaTQond,  fXfTaxaia- 
TQOTTa,  6f-i(fccX6g,  acpQayigj  erciloyog.  Diese  lassen  sich  bei  Pindar  in  der  be- 
zeichneten Reihenfolge  sicher  nicht  wiederfinden,  man  muss  zum  mindesten 
jueTaxaTaTQOTTÜ  nach  6fX(paX6g  umstellen.  Aber  auch  für  die  Scheidung  des 
enikoyog  von  der  (Tcfgayig  findet  sich  kaum  ein  sicheres  Beispiel,  und  nur 
in  wenigen  Fällen,  wie  Ol.  XIII,  P.  VIII,  N.  IV;  ist  der  Eingang  in  2  Teile 
(«^X«  oder  ttqoxmiiiov  und  ixsTaQ^cc)  deutlich  gegliedert.  Endlich,  und  das 
ist  von  ausschlaggebender  Bedeutung,  fallen  die  versuchten  Siebenteilungen 
nicht,  wie  man  doch  erwarten  sollte,  mit  dem  Schluss  der  Strophen  zu- 
sammen.^) Demnach  kann  von  einer  strikten  Befolgung  der  Ordnung  des 
terpandrischen  Nomos  durch  Pindar  nicht  die  Rede  sein;  man  kann  höch- 
stens sagen,  dass  sich  derselbe  von  der  Gliederung  der  älteren  Nomenpoesie 
beeinflussen  Hess  und  dass  er  es  liebte  einer  bestimmten,  ihm  schon  von 
seinen  Vorgängern  vorgezeichneten  Satzung  zu  folgen. ^0  Diese  aber  bestand 
wesentlich  darin,  dass  den  Nabel  des  Siegesliedes  ein  Mythus  einnahm, 
dass  das  Lied  durch  den  Hinweis  auf  den  Anlass,  den  gewonnenen  Sieg, 
eingeleitet  wurde,  und  dass  dasselbe  in  seinem  Schluss  wieder  auf  die  er- 
rungenen Ehren  des  Siegers  und  seines  Geschlechtes  zurückkam.    Von  selbst 


^)  Sehr  günstig  urteilt  über  Pindars  Me- 
lodien Aiistoxenos  beiPlut.  de  mus.  31  u.  20. 

'-)  Über  die  Frage  der  Echtheit  näheres 
bei  Westphal,  Metr.  d.  Gr.  II 2,  622  ff. 
Wenn  ich  mich  entschieden  gegen  die  Echt- 
heit ausspreche,  so  stütze  ich  mich  dabei 
auf  die  Wahrnehmung  meines  ehemaligen 
Schülers  Röckl,  dass  die  Melodienschlüsse 
mit  der  falschen  Versteilung  der  Überliefe- 
rung, nicht  mit  den  echten,  von  Böckh  wieder 
hergestellten  Versen  in  Einklang  stehen. 

^)  Cboiset,  La  poesie  de  Pindare  et 
les  lois  du  lyrisme  grec,  Paris  1881,  ed. 
nouv.  1886. 

■*)  M.  Schmidt,  Pindars  olymp.  Sieges- 
gesänge, Jena  1869;  Mezger,  Pindars  Sieges- 
lieder, Leipzig  1880;  Lübbert,  De  priscae 
cuiusdam  epiniciorum  forw.ae  apud  Pin- 
darum  vestigiis  (1885),  De  Pindari  studiis 
Terpandreis   (1886),    De  poesis  Pindaricae 


in  arclia  et  sphragide  componendis  arte 
(1886).  Dagegen  sprachen  sich  aus  Bulle 
in  der  gehaltvollen  Rezension  von  Mezger's 
Buch  in  Phil.  Rundschau  1881  n.  1,  Hiller 
im  Heim.  21,  357  ff.  Weitere  Litteratur  in 
Jahrber.  d.  Alt.  XIII,  1.  59  ff.,  Crusiüs,  Über 
die  Nomosfrage,  Vhdl.  d.  39.  Vers.  d.  Phil. 
258—276. 

'"")  Eine  einzige  Ausnahme  macht  viel- 
leicht Ol.  XIII,  wo  «(»/«  3,  fxetaQ/ä  3, 
xataxQond  und  o^cpaloq  6,  fxsray.aTcaQonä 
und  eniXoyog  3  Strophen   umfassen  können. 

^)  Von  einem  TEd^fxög  spricht  Pindar  N. 
IV,  33;  Is.  VI,  19  sagt  er  spezieller  vfxfxe 
t\  (o  /Qvaö.Qfiatov  Aiaxidcci,  red^fxtov  /uoi 
(pcc/Äl  aacpearciTOP  e^fxev  rdyd'  iniGTsl/oi^T« 
väaov  ()cuy£/Lisy  svXoylatg.  Als  Vorgänger 
erwähnt  unser  Dichter,  von  Archilochos  (0. 
IX,  1)  abgesehen,  die  Agineten  Timokritos 
(N.  IV,  13)  und  Euphanes  (N.  IV,  89). 


B.  Lyrik.     7.  Pindar  (523-448).  (§  120.) 


151 


ergab  sich  dann  die  weitere  Notwendigkeit,  durch  irgend  einen  Übergang 
in  den  Mythus  einzulenken  [xaiatQOTid)  und  am  Schlüsse  desselben  wieder 
auf  den  Sieger  zurückzuleiten  (fisiaxaTaigoTrä).  Das  ist  die  regelrechte 
Anlage  eines  Siegesgesangs,  die  Pindar  in  den  älteren,  und  auch  noch  in 
einzelnen  späteren  Gedichten,  wie  Ol.  VJII,  befolgte,  an  die  er  sich  aber 
als  echter  Dichter  nicht  sklavisch  gebunden  hielt,  über  die  er  sich  viel- 
mehr gerade  in  den  grossartigsten  Siegesgesängen,  wie  Ol.  II,  P.  I  und  II, 
mit  genialer  Freiheit  wegsetzte.')  Eine  Hauptsache  beim  Siegeslied  also 
war  der  Mythus,  der  den  Omphalos  desselben  zu  bilden  bestimmt  war.'^) 
Denselben  entnahm  der  Dichter  in  den  meisten  Fällen  der  Heroengeschichte 
des  Landes,  so  dass  von  den  zahlreichen  Oden  auf  äginetische  Sieger  keine 
des  Preises  der  Aeakiden  entbehrt.  Er  schmeichelte  damit  dem  Lokal- 
patriotismus der  Griechen  und  ihrem  Stolz  auf  die  Ruhmesthaten  der  Ver- 
gangenheit, der  um  so  grösser  war,  je  unerfreulicher  und  ruhmloser  sich 
die  Gegenwart  gestaltet  hatte.  In  anderen  Liedern  ging  der  Dichter  aut 
den  Ursprung  der  Spiele,  oder  die  Art  des  Wettkampfes  zurück,  wie  er  in 
Ol.  I,  III,  X  die  Gründung  der  olympischen  Spiele  durch  Herakles  und  ihr 
Vorspiel  unter  Pelops  besingt,  und  in  P.  XII  die  Erfindung  des  Flöten- 
spieles durch  Athene  verherrlicht.  Wieder  in  anderen  Oden  wird  der  Mythus 
den  persönlichen  Beziehungen  des  Siegers  entnommen,  oder  ersetzt  durch 
den  Preis  geschichtlicher  Ruhmesthaten.  Das  letzte  ist  besonders  da  der 
Fall,  wo,  wie  bei  Hieron,  Theron,  Chromios,  das  Land  oder  das  Geschlecht 
des  Siegers  des  mythologischen  Hintergrundes  entbehrte  und  die  Persön- 
lichkeit des  Siegers  selbst  Stoff  genug  zu  würdiger  Siegesfeier  bot.  Dabei 
zeigte  Pindar  überall  eine  ausserordentliche  Vertrautheit  mit  den  alten 
Überlieferungen  des  Landes,-")  zugleich  aber  auch  einen  wunderbar  feinen 
Takt  in  der  Verknüpfung  des  Mythus  mit  der  Person  des  Siegers,  den 
wieder  herauszufinden  die  Erklärer  mit  Recht  als  eine  ihrer  Hauptaufgaben 
betrachten.  Der  Mythus  und  der  erzählende  Teil  bilden  in  der  Regel  auch 
den  Glanzpunkt  der  pindarischen  Siegeslieder;  doch  gelingt  es  dem  Dichter 
nur  da  den  Leser  durch  anziehende  Schilderung  zu  fesseln,  wo  er  sich  in 
der  breiten  Vorführung  eines  Mythus  ruhig  gehen  lässt,  wie  einzig  treff- 
lich in  der  liebeswarmen  Erzählung  von  dem  schweren  Geschick  der  schönen 
Koronis  (P.  III)  und  von  der  Liebe  Apollos  zur  kühnen  Jägerin  Kyrene 
(P.  IX).  Vielfach  aber  bleibt  derselbe  bei  einem  Mythus  nicht  stehen, 
sondern  geht,  um  den  ganzen  Glanz  der  mythischen  Vergangenheit  einer 
Stadt  zu  entfalten,  von  einem  Mythus  auf  den  andern  über,  ohne  uns  irgendwo 
warm  werden  zu  lassen.    In  Liedern  der  Art,  wie  z.  B.  in  dem  Siegeslied 


^)  An  dem  für  Theron  gedichteten  Trost- 
gesang Ol.  11  kann  man  zumeist  erkennen, 
wie  Pindar,  auch  wenn  er  sich  von  dem 
gewöhnlichen  Schema  entfernte,  die  höhere 
Aufgabe  der  Komposition  zu  Avahren  ver- 
stund. ^Denn  die  verschiedenen  Mythen  der 
Ode  werden  zusammengehalten  durch  den 
einen  Grundgedanken,  dass  den  Guten  bei 
allem  Schicksalswandel  doch  schliesslich  ihr 
Lohn  wird,  sei  es  hienieden,  sei  es  jenseits 
im  Elysium. 


-)  Beachtenswert  ist,  dass  das  unechte 
Siegeslied  auf  Psaumis,  Ol.  V,  eines  Mythus 
entbehrt;  derselbe  fehlt  aber  auch  in  den 
kleinen  Siegesliedern  Ol.  XI,  XII  u.  a. 

^)  Aristides    or.   Aegypt.    p.    360    Jebb: 

rioi/  7joit]iMv  ttsqI  rc(g  laroQucg.  Die  Kenntnis 
der  Mythen  schöpfte  er  hauptsächlich  aus 
Hesiod  und  den  Kyklikern,  wozu  die  Nach- 
weise bei  LüBBERT,  De  Pindari  studiis  Jle- 
siodeis  et  Ilomericis,  Bonn  1882. 


152 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


auf  den  Korinther  Xenophon  Ol.  XIII,  hat  er  offenbar  der  Eitelkeit  der 
betreffenden  Stadt  zu  lieb  den  Forderungen  der  dichterischen  Kunst  etwas 
vergeben,  noch  mehr  aber  in  denjenigen  Partien  einzelner  Oden,  in  denen 
er  alle  Siege  des  Gefeierten  und  oft  nicht  bloss  diese  allein,  sondern  auch 
die  seines  Turnlehrers  und  seiner  Geschlechtsgenossen  aufzählt.  Der  Dichter 
hat  damit  offenbar  nur  den  Zudringlichkeiten  seiner  Auftraggeber  nachge- 
geben, uns  aber,  denen  derartige  persönliche  Beziehungen  ferne  liegen, 
lassen  die  langen  Aufzählungen  der  18  Siege  des  Rhodiers  Diagoras  (Ol. 
7,  80—90)  und  die  Siegesehren  dreier  Generationen  des  äginetischen  Siegers 
Alkimidas  (N.  6,  9—28.  65—75)  äusserst  kalt. 

121.  Mehr  als  durch  die  Kunst  der  Anordnung  und  die  Wahl  des 
Stoffes  verdient  Pindar  unsere  Bewunderung  durch  die  Tiefe  der  Gedanken, 
die  Hoheit  der  Sprache  und  die  Majestät  der  Rhythmen.  Alles  ist  bei  ihm 
gross  und  erhaben;  selbst  w^o  er,  wie  in  Ol.  XIV,  die  Huld  der  Chariten 
preist,  verschmäht  er  kleine,  tändelnde  Weisen.  Von  stolzem  Selbstgefühl 
auf  sein  angeborenes  Genie  durchdrungen,  vergleicht  er  sich  dem  hoch- 
fliegenden Aar,  der  geringschätzig  von  seiner  Höhe  auf  die  mühsam  er- 
lernte Kunst  kreischender  Raben  herabschaut.  ^)  Den  Garten  der  Musen 
pflegte  er  nicht  bloss  mit  ausnehmender  Kunst,  er  weiss  auch  ihre  Gaben, 
die  allein  der  Tugend  Unsterblichkeit  verleihen,  in  allen  Tonarten  zu 
preisen. 2)  Geradeaus  in  seinen  Anschauungen  wagt  er  auch  den  Hohen 
der  Erde  gegenüber  ein  freies,  mahnendes  Wort, 3)  und  weit  entfernt  von 
kraftloser  Gutmütigkeit  tritt  er  mit  energischem  Zorn  seinen  Feinden  ent- 
gegen.^) Ein  heiliger  Sänger  voll  tiefer  Religiosität  hat  er  herrlich  wie 
kein  zweiter  die  Hoheit  des  Zeus  und  die  Macht  der  lichten  Gottheiten 
gegenüber  den  Dämonen  der  Finsternis  besungen.'')  Mit  frommem  Sinn 
hielt  er  fest  an  dem  Glauben  der  Väter,  erlaubte  sich  aber  doch  auch 
Mythen,  die  gegen  seine  Anschauung  von  dem  hehren  Wesen  der  Götter 
verstiessen,  in  seiner  Weise  umzudeuten  und  umzugestalten.  Wenn  z.  B. 
die  Überlieferung  bei  Hesiod  erzählte,  ein  Rabe  habe  dem  Apoll  Kunde 
von  der  Untreue  seiner  geliebten  Koronis  gebracht,  so  sträubte  sich  gegen 
die  Niedrigkeit  dieses  Zwischenträgers  sein  reineres  Gottesbewusstsein  und 
Hess  er  deshalb  den  Apoll  selbst  mit  seinem  allessehenden  Geiste  die  treu- 
lose That  erspähen.^)  Freilich  litt  unter  diesen  Umgestaltungen  die  klare 
Sinnlichkeit  der  althellenischen  Götterwelt,  was  auch  darin  hervortritt,  dass 
Pindar  zu  den  alten,  lebensvollen  Göttern  schon  abstrakte  Gestalten,  wie 
Theia,   Chronos,  Hesychia,  Alatheia,   in  den  Olymp   einfühlt.     Darin   zeigt 


1)  N.  III,  80;  vgl.  Ol.  II,  96,  N.  V,  21. 
und  besonders  den  Schluss  von  Ol.  I:  e%y]  fxe 
roaau^e  riy.aqiOQoig  ofiils^v  ngocpciPTov  aocpltt 
xad^^  "^'E'AXayccg  iovxa  navTa.  Die  Scholiasten 
deuteten  die  Raben  auf  Simonides  und  Bak- 
chylides,  die  Hauptrivalen  Pindars,  Mit  Be- 
scheidenheit rühmt  sich  dagegen  Bakchylides 
fr.  14  nur  der  von  andern  gelernten  Kunst. 

2)  Ol.  IX,  27:  i^cciQEtop  Xagiriov  rsfxo- 
fiai  xccnoy.  P.  III,  114:  «  cT'  ccQsrci  xXeiycdg 
äoLdaig  ;^()oWa  jeXs&ei.  Vgl.  Ol.  X,  95,  N. 
IV,  6,  Is.  III,  58.  ^ 

•'')  Einen    svS^iykioaffog    uvrjQ    nennt   er 


sich  selbst  P.  11,  86 ;  sein  Freimut  zeigt  sich 
besonders  gegen  Hieron  in  P.  II  und  gegen 
Arkesilaos  in  P.  IV,  263  ff. 

■*)  P.  11,  84:  noTL  cT'  i/^gdi^  «V  i/r^Qog 
iiov  Ivxoio  dixai^  vno^svaofÄca.  Vgl.  Is. 
III,  66. 

'")  Einzig  schön  im  Eingang  von  P.  I 
und  in  P.  II,  49  ff.  u.  89  ff. 

^)  P.  III,  27;  ähnlich  ist  der  Tantalos- 
mythus  umgestaltet  Ol.  I,  31  ff.  Orphischer 
Einfluss  ist  leicht  in  der  Umgestaltung  des 
Tasonmythus  P.  IV,  169  zu  erkennen. 


B.  Lyrik.     7.  Pindar  (532-448).  (§  122.) 


153 


sich  eben  der  Einfluss.  welchen  die  Lehren  der  Weisen,  namentlich  der 
Pythagoreer  und  Orphiker  auf  die  Anschauungen  unseres  Dichters  geübt 
hatten.  1)  Pindar  war  durch  und  durch  ein  ethischer,  religiöser  Dichter, 
der  vor  allem  den  sittlichen  Gehalt  des  alten  Mythus  betonte  und  denselben 
mit  der  jüngeren  Lehre  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele  und  der  Beloh- 
nung der  Guten  nach  dem  Tode  vermählte.  2)  Die  eigentlichen  Perlen  seiner 
Dichtkunst  sind  daher  auch  seine  sittlichen  und  politischen  Kernsprüche, 
wie  die  berühmten  v6f.iog  6  txccvtmv  ßaaiXevg^  ßdd^qov  ttoXiwv  aa(faXi-c  Sixcc^ 
ccQKfTog  €V(fQO(Svva  Tiovcov  xsxQLfxsvcov  lazQog,  t6  TTaQcc  dixav  yXvxv  mxQOTata 
jxsvsi  TsXsvrä^  (tvv  S'  avccyxa  Ttäv  xaXöv. 

122,  Mit  dem  Ernst  und  der  Tiefe  der  Gedanken  harmoniert  bei 
Pindar  der  sprachliche  Ausdruck.  Im  Reichtum  und  in  der  Grossartigkeit 
der  Bilder  sucht  er  seinesgleichen,  aber  er  deutet  den  Vergleich  nur  an, 
verweilt  nicht  wie  der  ionische  Epiker  behaglich  in  der  Ausmalung  des 
Bildes.  Nicht  gewohnt  ausgetretene  Wege  zu  gehen,  bereichert  er  die 
Sprache  mit  neuen,  kühnen  Metaphern  und  Bildern.  Die  Vergleiche  der 
Schöpfungen  der  Poesie  mit  den  Werken  der  bildenden  Kunst  hat  er  in  die 
Litteratur  eingeführt,^)  und  wahrlich  grossartig  ist  die  Zusammenstellung 
des  Proömiums  mit  dem  Säulenportal  des  Saales  (Ol.  VI,  1)  oder  die  Ent- 
gegensetzung der  auf  derselben  Basis  beharrenden  Statue  und  des  gleich 
einem  Schiff  in  die  weite  Welt  hinausdringenden  Liedes  (N.  V,  1).  Wie 
in  dem  Strome  Welle  auf  Welle  sich  drängt,  so  erzeugte  in  seinem  reichen 
Geiste  ein  Gedanke  den  andern,^)  ohne  dass  er  sich  immer  die  Mühe  nahm, 
den  einen  sorgfältig  zum  anderen  hinüberzuleiten.  ^)  Dadurch  entstanden 
die  unvermittelten  Übergänge,  bekannt  unter  dem  Namen  der  lyrischen 
Sprünge,^)  und  die  rauhen  Fugen,  welche  das  Verständnis  des  oft  rätsel- 
haften Ausdrucks  erschweren  '^)  und  dem  späteren,  an  Glätte  und  Weichheit 
gewöhnten    Publikum    die    Lektüre   des    Dichters   verleideten.^)     Auch    im 


')  Jedoch  nicht  bloss  der  Dichter  erhob 
solche  abstrakte  Begriffe  zu  Gottheiten;  auch 
die  Gemeinde  der  Ägineten  hatte,  wie  man 
aus  P.  VIII  sieht,  derHesychia  einen  Tempel, 
oder  doch  einen  Altar  errichtet. 

2)  Ol.  II,  62  ff.  und  die  Fragmente  aus 
den  Threnoi;  merkwürdig  ist  der  Satz  fr.  108: 
^(t)6v  cT'fTfc  XsLTisrcit  aiioyog  sid'wXop. 

^)  Über  die  Beziehungen  Pindars  zu  den 
Kunstwerken  seiner  Zeit  handelt  Jebb,  Jour- 
nal of  hellenic  studies  III  (1882)  174  ff. 

'^)  Daher  der  schöne  Vergleich  mit  dem 
Strome  bei  Horaz  Od.  IV,  2:  monte  decur- 
rens  velut  amnis,  imhres  quem  super  nntas 
aluer e  ripas,  fervet  immensusque  ruit  ^;ro- 
fundo  Pindarus  ore.  Vortrefflich  sind  auch 
die  wenigen  Striche  bei  Quintilian  X,  1.  61: 
Pindarus  princeps  spiritus  magnißcentia, 
sententiis,  figuris,  heatissima  rerum  ver- 
bortimque  copia  et  velut  quodam  eloquentiae 
flumine. 

^)  An  welch  schwachem  Faden  oft  der 
Dichter  einen  Gedanken  zum  andern  hinüber- 
leitet, dafür  liefert  ein  belehrendes  Beispiel 
die  Stelle  P.  IV,  262,  wo  der  Preis  der  Klug- 


heit der  Battiaden  og&oßovXou  fiktiv  icpsv- 
Qofxivojy  genügt,  um  denselben  ein  Rätsel  auf- 
zugeben :    yuiad^i    pvv   tdv    Oi&tnö&a  aocpiccv. 

^)  Mancher  dieser  Sprünge  verdient  frei- 
lich kein  Lob,  indem  eine  Sentenz  oder  eine 
mythologische  Bemerkung  halb  mit  den 
Haaren  herangezogen  ist  P.  IV,  45;  N.  I,  53; 
III,  75;  X,  78;  Is.  I,  63. 

^)  Pindar  selbst  deutet  diese  dunkle 
Weisheit  an  P.  IV,  263:  yvuid^t  vvv  rdu 
Oi^vno^a  üocpiaVy  Ol.  II,  93:  ßs^it]  sv&oi^ 
svTi  (pciQergag  (poyrcisvza  avveroiatp,  ig  cfe 
ro  71  dp  eQfXfjvEon^  /cctlCsi. 

^)  Ath.  p.  3a:  rcc  Utv&ciQov  6  tko^ioÖlo- 
71  Ol 6g  EvTioXlg  cprjGLv  fj&t]  xataasGiyafxevic 
vno  TTjg  rwv  7ioXlwp  dcptloxaliag.  Dionys. 
de  comp.  22  p.  308  Seh.  von  einem  pindari- 
schen  Dithyrambus:  TCiv&^  ort  ,«eV  iarii' 
lO^vQd  xcd  otißaQd  xcd  d^icüf^arixd  xcd  tioXv 
t6  avorriQot'  h^€v  TQU/vi^et  rs  dXv7T(og,  xcd 
TiixQalvsi  rdg  dxodg  fxexQiixyg,  dyaßsßXijTcd 
rs  roTg  ^gövoig  xcd  ^iaßißijxsv  ml  ro  7io?.v 
rciig  ciQ^ovlaig  xcd  ovre  &EcirQLx6p  di]  rovro 
xcd  ylacpvQou  Eni^eixpvxcn  xdXlog,  «AA«  ro 
dg^cdxoy    £XE?i^o    xcd    ro    c(var7]o6y,    aTicivreg 


154 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Metrum  strebte  Pindar  das  Erhabene  und  Grossartige  an;  das  tritt  beson- 
ders in  dem  wuchtigen  Bau  seiner  gravitätisch  sich  auftürmenden  Daktylo- 
Epitriten  hervor, ')  ist  aber  erst  in  unserer  Zeit,  nachdem  Böckh  die  langen 
Verse  wieder  hergestellt  hat,  in  vollem  Umfange  erkannt  worden.  Die 
Eleganz  und  das  Ebenmass  der  einzelnen  Verse  und  Kola  ist  freilich  dabei 
zu  kurz  gekommen,  ist  wenigstens  aus  unseren  heutigen  Texten  nicht  mehr 
erkenntlich.^)  In  der  Erhabenheit  der  Gedanken  und  der  Grandezza  des 
Ausdrucks  repräsentiert  Pindar  zusammen  mit  Aischylos  die  ältere  Gene- 
ration der  gestrengen  Anhänger  der  alten  Sitte  und  die  altertümliche  Rich- 
tung des  getragenen,  an  das  Herbe  anstreifenden  Stils.  Von  einem  intimeren 
Verkehr  der  beiden  geistesverwandten  Dichter  ist  uns  nichts  überliefert; 
aber  aus  ihren  Dichtungen  lassen  sich  noch  manche  wechselseitige  Bezieh- 
ungen herauslesen.  Nicht  bloss  wetteiferten  sie  miteinander,  wie  bereits 
oben  S.  145  angedeutet,  in  der  Schilderung  des  Ausbruchs  des  Ätna,  es 
klingen  auch  in  P.  IV,  290  und  P.  XI,  22  die  Eindrücke  nach,  welche 
Pindar  von  der  Aufführung  des  äschylischen  Prometheus  und  Agamemnon 
aus  Athen  mitgebracht  hatte.  ^) 

Auch  der  Dialekt  Pindars  steht  mit  dem  grossartigen  Charakter  seiner 
Poesie  in  Einklang.  Im  Gegensatz  zu  seiner  Landsmännin  Korinna  hat  er 
es  verschmäht,  die  lokale  Mundart  Böotiens  zu  reden;  als  universeller  Dichter 
Griechenlands  wählte  er,  zumal  er  zumeist  im  Auftrage  dorischer  Sieger 
und  Priester  dichtete,  den  Kunstdialekt  der  chorischen  Lyrik.  Die  dem 
dorischen  und  äolischen  Dialekt  gemeinsamen  Formen,  namentlich  das 
lange  «  gegenüber  ionisch-attischem  ?;,  und  die  Pronominalformen  xv,  vfi/u. 
vfAf,ur,  aiii^iiv  führte  er  strenge  durch ;  bei  Diskrepanzen  beider  Dialekte 
gab  er  dem  äolischen  den  Vorzug,  wie  namentlich  bei  den  durch  Ersatz- 
dehnung entstandenen  Formen  MoTacc,  (fsvyoiaa  xaXtoiai,  scheute  sich  abei' 
auch  nicht,  jenem  äolisch-dorischen  Grundton  epische  und  selbst  attische 
Formen,  wie  Genetive  auf  oio,  Dative  auf  cciai,  oiao  und  acc.  pl.  auf 
ovg,    beizumischen.'*)      In     den    Texten    unserer     Handschriften    wechseln 


t 


i'h  old'  oTi  ftciQTVQtjOEiuv.  Indcssen  hat  der 
Zeitgenosse  des  Dionysios,  der  Dichter  Ho- 
ratius,  noch  fleissig  seinen  Pindar  gelesen 
und  sich  an  denselben  insbesondere  in  der 
Anlage  des  Preisliedes  auf  Augustus  I,  12  = 
Ol.  II  und  in  dem  Vergleich  der  politischen 
Gegner  des  Kaisers  mit  den  unholden  Ti- 
tanen III,  4  =  P.  VIII  angelehnt. 

')  Daktylü-Epitriten  wandte  Pindarhaupt- 
sächlich  in  Gedichten  mit  vorwiegend  epi- 
schem Charakter  und  in  Siegesliedern  auf 
Wagenkämpfe  an ;  hingegen  bevorzugte  er 
in  Epinikien  auf  Knabensiege  die  leichteren 
Weisen  der  äolischen  Logaöden. 

-)  Versuche  eine  grössere  Harmonie  und 
Symmetrie  in  unseren  Strophenschemen  her- 
zustellen, machten  besonders  H.  Schmidt,  Die 
Eurhythmie  in  den  Chorgesängen  der  Grie- 
chen, Bd.  I,  M.  Schmidt  in  seiner  Ausgabe  der 
olympischen  Siegesgesänge  (1869),  und  Über 
den  Bau  der  pindarischen  Strophen,  Leipz. 
1882.     Das  Rechte  ist  noch  nicht  gefunden. 

'■')  Dieses  habe  ich,  zum  Teil  nach  dem 


Vorgange  T.    Mommsen's,   nachgewiesen    in 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  S.  20-4  u.  G2. 

^)  So  müssen  wir  wenigstens  nach  der 
handschriftlichen  Überlieferung  urteilen,  wo- 
bei aber  nicht  zu  übersehen  ist,  dass  Pindar. 
der  noch  nicht  das  ionisch-neuattische  Al- 
phabet gebrauchte,  im  acc,  pl.  sec.  decl.  Ol 
schrieb,  was  ebensogut  in  ovq  wie  w?  auf- 
gelöst werden  konnte;  übrigens  endet  der 
acc.  pl.  auf  OD?  auch  in  den  Versen  des 
Böotiers  in  Aristot.  Ach.  874.  875.  876.  880, 
Die  Annahme,  dass  Pindar  auch  acc.  pl.  auf 
oig  nach  böotischer  Art  gebrauchte  (Is.  I,  24 ; 
III.  17;  N.  VII,  51),  lässt  sich  nicht  aufrecht 
erhalten,  wohl  aber  scheint  er  dem  Vers 
zulieb  solche  auf  og  (Ol.  II,  78,  N.  III,  29, 
X,  62)  sich  gestattet  zu  haben.  Im  all- 
gemeinen urteilten  richtig  die  alten  Gram- 
matiker, deren  Meinung  Eustathios  in  der 
Vita  Pind.  wiedergibt:  aioXi^ei  tTf  tu  lol- 
kci,  si  xal  ^UYJ  axQißrj  ^leLaiv  Aio'ki^a.  xcd 
xcaci  JoiQislg  «fs  cf()dt,£i,  ei  y.cd  ti^g  axh}- 
QOTbQccg    JiOQLÖog    anexerat.     Vgl.    Meister, 


B.  Lyrik.    7.  Pindar  (52S  -448).  §  122.) 


155 


dorische  und  äolische  Formen,  und  man  hat  daher  die  Vermutung  aufge- 
stellt, dass  Pindar  selbst  je  nach  Tonart  und  Heimat  des  Bestellers  kleine 
Variationen  im  Dialekt  angebracht  habe.  ^)  Aber  wahrscheinlich  rührt  dieser 
Wechsel  nur  von  der  Unbeständigkeit  der  attischen  Herausgeber,  nicht 
vom  Dichter  selbst  her,  da  sich  z.  B.  in  demselben  Gedicht  aqSovxi  und 
vaioiai  (Is.  VI,  64  und  (S'o)^'^)  {nstd  und  nsSd  (P.  V,  47  und  94),  sn^asq  und 
ffiTTiteg  (P.  VHI,  21  und  81)  nebeneinander  finden.  Überall  aber  klingt 
voll  und  tief  wie  feierlicher  Choralgesang  der  Laut  der  pindarischen 
Rede. 

Textesüberlieferung  und  Scholien:  Der  in  alter  Schrift  geschriebene  Text  Pindars 
wurde  von  Attika  aus  im  neuen  ionischen  Alphabet  verbreitet  (s.  Christ,  Phil.  25.  607  ff.). 
In  Alexandria  veranstaltete,  im  Anschluss  an  den  Eidographen  Apollonios,  Aristophanes 
eine  Gesamtausgabe  in  17.  13.  (s.  oben  §  118),  in  der  die  Verse  oder  Kola,  nicht  ohne  grobe 
Fehler,  abgeteilt  waren  (Christ,  Die  metrische  Überlieferung  Pindars,  Abhdl.  d.  b.  Ak.  VI, 
129  if.).  Aristarch  konstituierte  den  Text,  nicht  immer  mit  Verständnis  und  Geschick, 
und  versah  ihn  mit  kritischen  Zeichen  (Feine,  De  Aristareho  Pindari  interjjvete,  Jena  188o 
und  HoRN,  De  Äristarchi  stud.  Find.,  Greifsw.  1883);  ausserdem  haben  die  Grammatiker 
Kallistratos,  Aristodemos,  Asklepiades,  Aristonikos  und  der  Stoiker  Chry- 
sippos  sich  mit  dem  Dichter  beschäftigt  (s.  Böckh.  Pindar  II,  1  praef.  IX  sqq.).  Unsere 
alten  Scholien,  die  eine  fortlaufende  Paraphrase,  durchzogen  von  dazugehörigen  Erklärungen, 
enthalten  (Lehrs,  Die  Pindarscholien,  Leipzig  1873),  gehen  auf  Didymos  zurück,  der 
öfters  namentlich  angeführt  ist  (vgl.  Ammonios  de  difT.  p.  70  u.  M.  Schmidt,  Didymi  fr. 
p.  214  ff.);  ihre  Redaktion  setzt  Wilamowitz,  Eur.  Herakl.  I,  185  in  das  2.  Jahrh.  n. 
Chr.,  indem  er  den  zu  0.  3,  52  erwähnten  Amyntianos  mit  dem  zur  Zeit  des  Antoninus 
Pius  lebenden  Historiker  Amyntianus  identifiziert  und  unter  6  'AXixaQvaoGevg  sc.  JiovvaioQ 
zu  N.  8,  2  nicht  den  Rhetor;  sondern  den  Verfasser  der  Musikgeschichte  versteht;  vielleicht 
ist  der  Redaktor  jener  Grammatiker  Palamedes,  der  unter  den  Tischgenossen  des  Athenaios 
vorkommt  und  von  dem  Suidas  ein  V7i6fxv7]fxc(  etg  Hiv^agov  röv  noirjirjv  anführt.  —  Über  die 
Metra  hatte  Drakon  von  Stratonikea  gehandelt;  unsere  metrischen  Scholien,  die  in  Prosa 
und  die  in  Versen  (von  Tzetzes  in  Gramer  An.  Par.  t.  I),  sind  von  geringem  Wert  und 
beruhen  auf  falscher  Versteilung.  —  Aus  dem  Mittelalter  stammen  die  Scholien  von  Thomas 
Magister,  Moschopulos  (bloss  zu  den  Olympien)  und  Triklinios;  zur  letzten  Klasse 
gehören  auch  die  jüngst  publizierten  I/^^^^^  Jlcnjuiaxü  (ed.  Semitelos,  Athen.  1875).  Der 
Kommentar  des  Eustathios  ist  bis  auf  die  Vita  verloren  gegangen.  Die  Scholien  sind  den 
grösseren  Ausgaben,  wie  der  von  Böckh,  beigefügt.  Neue  Ausgabe  von  Abel,  wovon  vol.  II 
zu  Nem.  u.  Isthm.  erschienen,  Berol.  1884. 

Handschriften:  Pindar  ist  durch  eine  einzige  Handschrift  auf  uns  gekommen,  da 
alle  erhaltenen  in  gleicher  Weise  am  Schluss  verstümmelt  sind  und  mehrere  Fehler  mit- 
einander gemeinsam  haben  (s.  Proleg.  meiner  Ausg.).  Die  erhaltenen  Codd.  zerfallen  in 
alte  und  interpolierte;  von  den  alten  sind  die  besten:  A  =  Ambros.  s.  XII  (davon  ist  der 
Vratislav.  eine  Abschrift),  der  nur  die  Olympien  enthält,  mit  alten  Scholien;  B  =  Vatic. 
sive  Über  Ursini  s.  XII,  alle  Epinikien  mit  Scholien  enthaltend.  Das  Verhältnis  der  Codd. 
ist  klargelegt  von  T.  Mommsen  in  der  grossen  kritischen  Ausg.,  Berol.  1864;  Nachträge 
von  Abel,  Zur  Handschriftenkunde  Pindars,  Wiener  Stud.  IV,  224—62. 

Ausgaben  und  Hilfsmittel:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1513  — ^  ed.  Er.  Schmid,  Wittenberg 
1616,  mit  vielen  guten  Emendationen  —  ed.  Heyne  mit  lat.  Übersetzung  und  Kommentar. 
Gott.  1773,  neu  bearbeitet  von  G.  Hermann  1797.  —  Hauptausg.  von  Böckh,  Berol.  1811 
bis  21,  3  tomi  in   4^   mit  Scholien,   metrischer   Erläuterung   und   erklärendem    Kommentar 


Griech.  Dial.  I,  22  und  Peter,  De  dialecto 
Pindari,  Halle  Diss.  1866.  —  Führer,  Der 
böotische  Dialekt  Pindars,  Philol.  44,  49  ff. 
sucht  in  der  Weise  seines  Lehrers  Fick  nach- 
zuweisen, dass  Pindar  den  epichorischen  Dia- 
lekt seiner  Heimat  sprach  und  dass  die  an- 
geblichen Dorismen  Pindars  vielmehr  Eigen- 
tümlichkeiten des  Böotischen  seien. 

')  G.  Hermann,  De  dialecto  Pind,, 
Opusc.  I,  245  ff.  —  In  der  Syntax,  besonders 
im  Gebrauch  der  Modi  folgt  Pindar  öfter  noch 


den  Epikern  im  Gegensatz  zu  den  Attikern ; 
s.  Breyer,  Analecta  Pindarica,  Bresl.  Diss. 
1880;  GiLDERSLEEVE,  Studies  on  Pindaric 
Sijntax,  in  American  Journal  of  philol.  t. 
III  und  IV. 

^)  Wahrscheinlich  gebrauchte  Pindar  in 
der  3.  pers.  pl.  nur  vor  Vokalen  die  Endung 
-oiGiv  der  lesbischen  Dichter,  sonst  immer 
-ovTi  nach  der  Sprachweise  der  Dorier,  Lokrcr 
und  Böotier,  welch  letztere  nur  -ovn  zu  orf^i 
verkehrten. 


156 


Griechische  Litter aturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


(letzterer  teilweise  von  Dissen).  —  Kleinere  Ausg.  mit  lat.  Kommentar  von  Dissen  und 
Sghneidewin,  Goth.  (1830)  1847,  2  Bde.  —  Die  Konjekturalkritik  glänzend  gefördert,  nicht  ohne 
übertriebene  Kühnheit  von  Bergk  im  PLG.  namentlich  ed.  IV.  —  Textausg.  von  Christ 
in  Bibl.  Teubn.  —  Pindars  Siegeslieder  erklärt  von  Mezger,  Leipz.  1880.  —  Pindars  olymp. 
Siegesgesänge,  griech.  u.  deutsch  von  M.  Schmidt,  Jena  1869.  —  Kumpel,  Lcxicon  Pin-da- 
ricum,  Lips.  1883.  —  Übersetzung  mit  guten  Einleitungen  von  Fr.  Thiersch,  Leipz.  1820,  2  Bde. 


8.  Die  attischen  Lyriker. 

128.  Die  Richtung  verständiger  Reflexion,  politischer  Einsicht  und 
prosaischer  Redegewandtheit  vertrug  sich  zu  allen  Zeiten  schlecht  mit  der 
lyrischen  Poesie,  die  am  besten  gedeiht  in  der  Springflut  der  Leidenschaft 
und  im  gährenden  Drange  widerstrebender  Elemente.  Von  Attika  und  der 
Zeit  nach  Perikles  waren  daher  von  vornherein  keine  Blüten  der  Poesie 
des  Herzens  zu  erwarten.  Es  nimmt  sogar  Wunder,  dass  zur  Zeit  der 
Perserkriege  noch  solche  Talente  wie  Simonides  und  Pindar  sich  entfalten 
konnten.  Nun  aber  war  man  vollständig  übersättigt,  und  die  Klänge  der 
Lyrik  hätten  wohl  vollständig  in  Athen  dem  dramatischen  Spiel  im  Theater 
Platz  gemacht,  wenn  nicht  die  Liebe  zur  Musik  sich  erhalten  und  in  ihrem 
Gefolge  auch  der  Dichtung  von  Texten  zu  den  Choraufführungen  Raum 
gegeben  hätte,  i)  Zu  dieser  dienenden  Stellung  verstand  sich  aber  am 
ehesten  der  Dithyrambos  und  Nomos.  Denn  in  dem  letzteren  hatte  von 
jeher  die  Melodie  und  Musik  die  hervorragende,  der  Text  die  untergeordnete 
Stelle  eingenommen,  und  in  dem  Dithyrambus  bildete  die  den  Attikern 
besonders  zusagende  Mimik  ein  Hauptelement.  ^)  Aber  beide  Dichtungs- 
arten haben  auch  auf  attischem  Boden  unter  den  bezeichneten  Umständen 
mannigfache  Umgestaltungen  erfahren.  Die  Flöte  beherrschte  in  Athen 
wie  schon  vordem  in  Korinth  die  Aufführung  von  Dithyramben;  im  Gegen- 
satz dazu  wurde  jetzt  die  Kithara  immer  mehr  das  Hauptinstrument  der 
Nomen  und  hören  wir  aus  unserer  Zeit  fast  nur  von  kitharodischen 
Nomendichtern.  3)  Ein  Chor  und  zwar  ein  grosser  Chor  von  50  Mann  ge- 
hörte seit  alters  zu  der  Dithyrambenaufführung;  ^)  auf  seine  Ausstattung 
ward  jetzt  ein  besonderes  Gewicht  gelegt,  aber  den  Gesängen  des  Gesamt- 


')  Gewaltig  eifert  gegen  diese  Verkeh- 
rung der  natürlichen  Verhältnisse  Pratinas 
in  dem  durch  Ath.  617  b  erhaltenen  Hypor- 
chem:  t«V  aotdup'  xaTearaas  JIisQlg  ßccai- 
Xeiav.  Damit  verbinde  die  Angabe  des  Plut. 
de  mus.  -30,  dass  bis  auf  Melanippides  die 
Flötenspieler  vom  Dichter  den  Lohn  em- 
pfingen, nachher  umgekehrt,  weshalb  auch 
in  didaskalischen  Urkunden  der  Flötist  vor  dem 
Chorodidaskalos  genannt  ist.  Musikalische 
Aufführungen  und  Agone  von  Dithyramben- 
dichtern fanden  zu  Athen  nicht  bloss  an  den 
Dionysien,  sondern  auch  an  den  Panathenäen, 
Thargelien,  vielleicht  auch  an  den  Promethien 
und  Hephaistien  statt;  s.  Dittenb.  Syll.  n.  420. 

^)  Piaton  und  Aristoteles,  die  natürlich 
zumeist  in  der  Poesie  ihrer  Zeit  lebten, 
kamen  auf  diese  Weise  dazu,  das  Wesen 
aller  Poesie  in  die  fxifxriGig  zu  verlegen, 
über  das  Spiel  der  Nachahmung  im  Dithy- 
rambus s.  Arist.  Poet.  20,    p.  1461''  33  und 


besonders  Ps.  Arist.  probl.  19,  15  p.  918^  18: 
cTto  xcd  Ob  did^vQcc/ußoi,  insi^rj  fxijurjrixol  sye- 
vovxo,  ovxEXi  e/ovaiy  dvriarqocpovg,  ttqotsqoi' 
(^6  £i/oy.  Demnach  ist  wohl  von  dem  älteren 
Dithyrambos,  wie  etwa  des  Pindar,  die  Stelle 
des  Piaton  de  rep.  III  p.  394^  zu  verstehen 
ij  ^ev  did  fxifi.7]a(x)g  oh]  eariv  .  .  TQayM&la  re 
xal  x(oiLiMdi«,  ri  6h  SC  ccnayyeXlag  avxov  rov 
TJoiTjTov  (evQotg  d'  uv  ccvjrjv  fxäXiGTc'c  nov 
£v  öix^vQa/Lißoig),  i]  S'av  cJt'  dficpotiQdov  8v  rs 
rwp  E7i(dy   noiijaei,   ttoVm/ov  de   xcd  d'klo&i. 

^)  Die  aulodischen  Nomen  traten  also 
zurück;  die  reinen  Flötenkonzerte  hingegen 
erhielten  sich  fort.  In  dem  Agon  der  Pana- 
thenäen CIA.  II,  2,  965  sind  für  die  Kitha- 
roden  5,  die  Auloden  2,  die  Kitharisten  3,  die 
Flötisten  2  (wenn  nichts  weggefallen)  Preise 
ausgeworfen;  vergl.  Bergk,  Gr.  Litt.  II,  500 f. 

^)  Ein  Chor  von  50  Mann  ist  zum  ersten- 
mal bezeugt  für  Ol.  75,  4  (476)  durch  Si- 
monides fr.  147. 


B.  Lyrik.    8.  Die  attischen  Lyriker.  (§  123—124.)  157 

chors  mischte  Philoxenos  auch  Sologesänge  (fu'lrj)  bei,  zunächst  wohl 
für  den  Chorführer,  i)  Umgekehrt  waren  die  kitharodischen  Nomen  im 
Anfang  ausschliesslich  für  den  Einzelvortrag  bestimmt  und  zwar  in  der 
einfachen  Art,  dass  der  Sänger  sich  selbst  mit  dem  Saitenspiel  begleitete; 
nunmehr  brachte  Timotheos  die  Neuerung  auf,  dass  auch  bei  den  Nomen 
ein  Chor  mitwirkte,'  und  dass  durch  mimetisches  Spiel  grösseres  Leben  in 
die  musikalische  Aufführung  gebracht  wurde. ^)  Den  Nomen  war  von  Hause 
aus  die  strophische  Komposition  fremd;  bei  den  Attikern  wurden  allmählich 
auch  die  Dithyramben  durchkomponiert,  was  Aristoteles,  Probl.  XIX,  15  gut 
mit  dem  nachahmenden  Charakter  des  jüngeren  Dithyrambus  in  Verbindung 
bringt.^)  Kurzum  der  Unterschied  zwischen  Dithyrambos  und  Nomos  wurde 
in  Attika  fast  ganz  verwischt.^) 

124:.  Die  ganze  Dithyramben-  und  Nomenpoesie  ^)  hat  nach  dem  Ge- 
sagten für  die  Litteratur  wenig  Bedeutung;  ihr  Schwergewicht  liegt  in  dem 
musikalischen  Teil,  zu  dessen  Verständnis  uns  nach  dem  Verluste  der 
Melodien  die  paar  allgemeinen  Notizen,  die  uns  erhalten  sind,  ebensowenig 
wie  die  inschriftlichen  Zeugnisse  verhelfen.  Wir  dürfen  uns  deshalb  mit 
einer  summarischen  Aufzählung  der  Dichter  begnügen: 

La  SOS  von  Hermione  in  Achaia  lebte  am  Hofe  des  Hipparch  (Herod. 
Vn,  6)  und  ward,  wenn  auch  irrtümlich,  als  Lehrer  Pindars  ausgegeben. 
Nach  Suidas  hat  er  zuerst  ein  theoretisches  Buch  über  Musik  geschrieben 
und  den  Dithyrambus  in  die  athenischen  Wettkämpfe  eingeführt.  Die 
parische  Chronik  setzt  die  erste  Aufführung  eines  Männerchors  Ol.  68,  1  (508), 
wobei  aber  nicht  Lasos,  sondern  Hypodikos  aus  Chalkis  siegte.^)  Auf  einen 
Wettstreit  des  Lasos  mit  Simonides  und  die  Niederlage  des  ersteren  spielt 
Aristophanes  Vesp.  1410  an.  In  der  Musik  begründete  er  die  neue  dithy- 
rambische Weise,  indem  er  in  Rhythmus  und  Melodie  die  altertümliche  Ein- 
fachheit und  Strenge  der  terpandrischen  Hymnenpoesie  verliess  und  im 
Einklang  mit  dem  grösseren  Tönenreichtum  der  Flöte  mannigfaltigere  und 
in  weiter  auseinanderliegenden  Tönen  sich  bewegende  Perioden  einführte.'^) 
Von  einigen  ward  er  nach  Schol.  Arist.  Av.  1403  geradezu  Erfinder  des 
Dithyrambus  genannt.  Von  seiner  dichterischen  Begabung  gibt  uns  sein 
gekünstelter  Versuch,   ein  Lied   ohne  c  zu   dichten,   keinen   hohen  Begriff. 


')  Plut.  de  mus.  30:  4>iX6^€yog  eig  rovg 
xvx^Lovg  /oQovg   fxsh]    slarjviyyMXo. 

^)  Clem.    Alex,    ström.    I,    308:    vofxovg 

TTQUJtOg   ^OEP    SV   XOQCO    XCil    Xt&((QU    Tijuo^sog. 

Über  die  mimetischen  Bewegungen  des  Flöten- 
spielers belehren  Theophrast  bei  Ath.  22  c, 
Paus.  IX,  12.  5,  Lucian.  Harm.  1,  Dion.  or.  78. 

^)  Auf  diese  neue  Richtung  geht  der 
Spott  des  Aristophanes  Nub.  333:  xvxUiov 
^k  xoQcop  ilafÄdtoxci^nrag  iip^qag  ^bxemqo- 
(ftvay.ag. 

^)  Der  Unterschied  scheint  schliesslich 
nur  ein  metrischer  gewesen  zu  sein;  leider 
bieten  die  Inschriften  immer  imr  das  gleiche 
Miöaaxs. 

^)  M.  Schmidt,  Diatrihe  in  dithyrambutu, 
Berlin  1845;  E.  Scheibe,  De  dithyramhorum    \    (fort.  vnuQ/ovaay)  ijyaye  fxovaixYji'. 
graec.  avgamentis,  Lips.  18G2.  i 


^)  Von  Dithyrambenwettkämpfen  und 
dabei  gewonnenen  Siegen  geben  mehrere, 
zum  grossen  Teil  erst  neu  entdeckte  In- 
schriften Kenntnis;  s.  CIG.  221.  223,  CIA.  I 
n.  336.  337,  II  n.  1234-1299,  Dittenberger, 
Syll.  411 — 424;  vgl.  Reisch  demusicis  Grae- 
corum  certaminibus  p.  32  ff.  Über  den  Preis 
berichtet  Schol.  Plat.  rep.  p.  394  c:  tcop'  cTt 
7ioir]Tiop  T(o  fxev  tiqujtm  ßovg  ena&Xov  tjv,  Tip 
de  fhvTSQio  dfj.(poQevg,  zw  tff  tq'lim  TQuyog, 
ov  TQvyl  x€/Qia/ueyov  änrjyoy. 

')  Plut  de  mus.  29:  eig  rrju  did^vQafi- 
ßixrjv  ayioyTjv  fiZSTaaitjaag  rovg  Qvd^fj,ovg  xcd 
rfi  i(x)v  ccvXojv  noXvcfiovia  xcuccxoXovd^tjaag 
nXsioai  re  q)xh6yyotg  xal  disQQifJfievoig  XQV' 
ac'cfxsvog   eig   fietä&saiu   ir]p   TiQovTKtg/ovaay 


158  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Es  scheint  eben  gleich  dem  ersten  attischen  Dithyrambendichter  die  Frostig- 
keit, welche  die  attische  Lyrik  kennzeichnet,  eigen  gewesen  zu  sein. 

Pratinas  aus  Phlius  erwarb  sich  hauptsächlich  durch  seine  Satyrspiele 
einen  Namen;  er  trat  aber  auch  als  Dithyrambendichter  in  Athen  und 
Sparta  auf.  Von  seinen  Hyporchemen  ist  ein  grösseres  Bruchstück,  worin 
er  gegen  das  Überhandnehmen  des  Flötenspiels  in  kampflustigen  Rhythmen 
eifert,  auf  uns  gekommen.  ^ 

Diagoras^)  aus  Melos,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Pindar  und  Bakchy- 
lides,  ist  in  weiteren  Kreisen  durch  den  Volksbeschluss  der  Athener,  der 
ihn  als  Gottesleugner  aus  der  Stadt  verjagte,  bekannt  geworden.  Der  von 
Philodemos  ttsqI  dctsßeiag  uns  erhaltene  Vers  iS^^cg  O^sog  ttqo  navrog  eqyov 
ßooxeiov  vMfxa  (pQsY  vTrsgrarav  will  zu  dieser  Anklage  nicht  stimmen. 

Melanippides  gab  es  nach  Suidas  zwei;'^)  der  ältere  aus  Melos 
hat  die  neue  Richtung  des  Dithyrambus  mit  den  langen  Introduktionen 
[dvaßolai)  und  fremdartigen  Stoffen  inauguriert.  Der  jüngere,  ein  Tochter- 
sohn des  älteren,  galt  nach  Xenophon  Mem.  I,  4.  3  als  der  berühmteste 
Meister  seines  Fachs.  Er  ward  an  den  Hof  des  Königs  Perdikkas  IL  berufen, 
wo  er  um  412  starb.  Von  nur  wenigen  seiner  Dithyramben,  wie  Maqavag, 
JavaiSsg,  JJsQa€(p6vrj  haben  sich  Titel  und  Bruchstücke  erhalten. 

Antigenes  ist  uns  als  Dithyrambendichter  bekannt  durch  das  Epi- 
gramm Anth.  XIII,  28,  das  er  zum  Andenken  eines  von  ihm  errungenen 
Sieges  auf  den  der  Gottheit  geweihten  Dreifuss  setzte. 4) 

Kinesias  gehörte  schon  ganz  der  neuen  Richtung  der  Musik  an; 
er  war  die  Zielscheibe  des  Spottes  der  Komiker  wegen  seiner  dürren  Ge- 
stalt und  seiner  neumodischen  Kadenzen.-) 

Philoxenos  aus  Kythera  (435—380  nach  Marm.  Par.)  kam  nach 
Einnahme  seiner  Heimatinsel  als  Kriegsgefangener  nach  Athen,  wo  er  durch 
sein  Talent  die  Aufmerksamkeit  des  Melanippides  auf  sich  lenkte.  Dann 
lebte  er  längere  Zeit  an  dem  Hofe  des  älteren  Dionysios  in  Syrakus,  den  er 
durch  sein  freimütiges  Urtheil  über  dessen  schlechte  Gedichte  reizte  (Diodor 
XV,  6).  Von  seinen  24  Dithyramben  war  am  berühmtesten  der  KvxImiJ', 
in  welchem  der  Kyklope  ein  schmachtendes  Liebeslied  auf  die  schöne  Galatea 
sang  und  der  Dichter  selbst  als  Führer  des  zweiten  Chors  den  Odysseus 
vorstellte.  Grössere  Fragmente  haben  wir  von  einem  zweiten,  von  einigen 
nach  Ath.  146  f.  dem  Philoxenos  aus  Leukas  zugeschriebenen  Gedicht  JeiTTvor, 
das  für  die  Erkenntnis  der  rhythmischen  Formen  des  jüngeren  Dithyrambus^) 
und  der  raffinierten  Genusssucht  jener  Zeit  gleich  interessant  ist.  Die  Dithy-  i 
ramben  des  Philoxenos  standen  in  hohen  Ehren  ^)  und  wurden  noch  zur  Zeit 


^)  Der  Name  des  Flötenspielers  erscheint 
in  dem  4.  Jahrh.  neben  dem  des  Dichters 
auf  den  Siegesinschriften,  schon  ein  Beispiel 
aus  dem  5.  Jahrh.  bietet  Anth.  XIII,  28;  s. 
Reisch,  de  miis.  cert.  28  f. 

^)  Suidas  u.  Jiuyogag;  Ps.  Lysias  c. 
Andoc.  7;  Arist.  Ran.  320. 

2)  Einen  Irrtum  des  Suidas  nimmt  Rohde. 
Rh.  M.  33  213  an. 


hartes  Urteil  fällt  über  ihn  Piaton,  Gorg. 
p.  501e. 

^)  Das  Metrum  ist  daktylo-epitritiscli, 
welches  überhaupt  in  dem  attischen  Dithy- 
rambus herrschend  war. 

^)  Antiphanes  bei  Ath.  463d.  Aber  ver- 
spottet wird  Philoxenos  von  dem  Feind  der 
neuen  Musik,  von  Aristoph.  Flut.  290;  über 
die   Freiheit   des    Rhythmenwechsels    vergl. 


■*)  Vgl.  WiLAMOwiTz  Herrn.  20,  02  ff.        '    Dionysius  rle  cnmj').  rerh.  p.  264  Seh. 
^)  Aristoph.   Av.   1372,   Pac.    832.     Ein 


B    Lyrik.    8.  Die  attischen  Lyriker  (§  124)  159 

des  Polybios  (IV,  20)  alljährlich  von  den  Arkadern  im  Theater  auf- 
geführt. 

Timotheos  aus  Milet,^)  der  bewundertste  Musiker  und  Nomendichter 
seiner  Zeit,  war  in  der  Musik  ein  Schüler  des  Phrynis,'^)  worauf  sich 
Aristoteles  Metaph.  993  b  15  bezieht,  wenn  er  von  dem  berühmteren  Schüler 
des  berühmten  Meisters  sagt:  el  fxtv  ydq  Tinöih^oq  in]  syi-vsxo,  rroXh^i'  av 
litXortoüav  ovx  sT^oilisv'  h  öt  yaj  WQvrig,  Tiiiöd^sog  ovx  av  iyevsTo.  Der 
Schauplatz  seiner  Thätigkeit  war  vor  allem  Athen,  aber  auch  am  Hofe  des 
Archelaos,  in  Ephesos  und  Sparta  trat  er  mit  seinen  Produktionen  auf. 
In  letzter  Stadt  wollte  man  von  seinen  Neuerungen  wenig  wissen,  so 
dass  ihm  die  Ephoren  die  4  neuen  Saiten  seiner  12saitigen  Zither  ab- 
schnitten.'^) Hochbetagt  starb  er  im  J.  357.  Ein  Urteil  über  den  gefeierten 
Musiker  ist  uns  heute  nicht  mehr  möglich;  denn  sein  Schwerpunkt  lag  in 
den  Melodien,  die  mit  all  den  antiken  Denkmalen  dieser  reizendsten  und 
flüchtigsten  aller  Künste  zu  gründe  gegangen  sind.^)  Das  Altertum  hatte 
von  ihm  SC  stimv  roßoi  fiovaixoi  TTQOoffiia^  syxMfua,  Sid^vQaiißoi^  viivoi, 
naiävsg  u.  a.;  auf  uns  sind  nur  ganz  dürftige  Reste  gekommen,  die  uns 
aber  einen  grossen  Reichtum  rhythmischer  Formen  erkennen  lassen.  Ge- 
priesen war  sein  Dithyrambencyklus  Odysseia  in  mindestens  4  B.,  zu  dem 
auch  die  von  Aristoteles,  Poet.  26,  erwähnte  Skylla  gehörte,  in  der  in  halb 
burlesker  Weise  die  Choreuten  den  Koryphaios  zupften,  um  das  Weg- 
schnappen  der  Gefährten  durch  die  Skylla  zu  veranschaulichen.''*) 

Von  sonstigen  Dithyrambikern  des  4.  Jahrhunderts  werden  noch  ge- 
nannt Telestes  aus  Selinunt,  der  sich  nach  Dionysios,  de  comp.  verb.  19 
im  Wechsel  der  Rhythmen  und  Tonarten  gefiel,  was  die  erhaltenen  Fragmente 
bestätigen,  Ariphron  aus  Sikyon,  der  in  einer  didaskalischen  Urkunde  des 
4.  Jahrhunderts  CIA.  II  n.  1280  erwähnt  ist^)  und  von  dem  uns  Athenaios 
p.  702  einen  berühmten  Päan  auf  die  Hygieia  erhalten  hat,  Polyeidos  der 
Sophist,  ein  Mann  von  vielseitigem  Talent,  der  sich  auch  in  der  Tragödie 
und  Malerei  versuchte,  Likymnios  aus  Chios,  der  nach  Aristot.  Rhet.  III, 
12  Dithyramben  zum  Lesen  dichtete,')  Lykophronides,  von  dem  uns 
ein  paar  Fragmente  erhalten  sind,  Kleomenes  aus  Rhegion,  Nikokles 
aus  Tarent,*^)  Argas,-^)  Eukles,  Philophron,  Lysiades  aus  Athen, 
Hellanikos  aus  Argos,   Charilaos  aus  Lokris,  Eraton  aus  Arkadien. i^) 


^)  Suidas  u.   Ti/nod^sog.  j    yojQ,   NavnXtog,  4>iy€tö'c(i. 

Plnt.  de  mus.  6;  iiacli  Scliol.  zu  Aiist.    '  ^)  In  der  Urkunde  indes  lieisst  es  bloss 

^AgicpQioi^  ohne  den  Zusatz  Iixvioviog.  Auch 
der  Päan  ist  uns  auch  inschriftlich  auf  einem 
jetzt  in  Kassel   befindlichen   Stein    erhalten. 


Nub.  967  siegte  er  an  den  Panathenäen  unter 
dem  Archon  Kallias.  Ihn  und  seinen  Schüler 
Timotheos  nahm  zur  Zielscheibe  des  Spottes 


Pherekrates  im  Cheiron.  |  ')  Ein  Fragment  von  ihm  n.  4  enthält 

■^)  Paus,  in,    12.    10;    Boetius    de   mus.  j  Verse  aus  dem  Päan  des  Ariphron. 

p.  182  Friedl.  '  ^)  p]in   Verzeichnis   seiner  Siege   gegen 

*)  Über  die  Neuerungen  des  Timotheos  |  das  Ende  des  4.  Jahrhunderts  erläutert  von 


s.  S.  157  Anm.  1, 

'')  Ein  ^QTjvog  rov  'O^vaaecDg  (vgl.  Arist. 


Köhler,  Rh.  M.  39,  298. 

^)  Argas    wird    als    schlechter    Nomen- 


]toet.  15)   des  Timotheos   wird   angeführt  in  I  dichter   verspottet   bei   Ath.   131''    u.    ()38*"; 

dem     ästhetischen    Papyrus    des   Erzherzog  I  sein   Name   steckt    wahrscheinlich    auch    in 

luainer,  publiziert  und  erläutert  von  GoMPERZ.  j  Aristot.  Poet.  2,  p.  1448'*  15. 

?slitteilungen   aus   Papyrus   Rainer   I,  84—8.  j  '")  Die  letzten  Namen  und  andere  dazu 

Andere  Titel  waren   l&ut'Xrj,  AcaQxr]q,  'Elnfj-  \  sind  inschriftlich    bezeugt;    s.  S.  157  An.  5, 


160  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

C.   Drama. ^) 

I.  Anfang  und  äussere  Verhältnisse  des  Dramas. 

125.  Das  Drama  ist  eine  originelle  Schöpfung  des  griechischen  Geistes: 
kein  Volk  des  Altertums  hat  etwas  ähnliches  hervorgebracht,  und  was  in 
späterer  Zeit  in  Rom  und  von  modernen  Völkern  auf  dem  Gebiete  der 
dramatischen  Kunst  geleistet  wurde,  geht  auf  die  Anregung  der  Griechen 
zurück.  2)  Bei  ihnen  selbst  hat  sich  das  Drama  aus  den  beiden  älteren 
Gattungen  der  Poesie  naturgemäss  entwickelt;  es  ist  dasselbe  auch  erst 
zur  Ausbildung  gekommen,  nachdem  die  erzählende  Dichtung  fast  ganz 
verklungen  war  und  die  Gedankenpoesie  der  subjektiven  Empfindung  ihren 
Zenith  bereits  überschritten  hatte.  Die  beiden  Elemente,  aus  denen  das  Drama 
entsprungen  ist,  haben  auch  äusserlich  bei  den  Griechen  in  dem  Gegensatz 
der  dialogischen  und  gesungenen  Partien  ihren  Ausdruck  gefunden.  Die 
Chorgesänge  und  Monodien  bezeugen  ihren  Zusammenhang  mit  der  Lyrik, 
speziell  der  chorischen  Lyrik,  nicht  bloss  im  Inhalt  und  gesangmässigen 
Vortrag,  sondern  auch  in  dem  Versbau  und  der  Sprache.  Fast  alle  Metra 
der  Cantica  lassen  sich  bei  den  älteren  Lyrikern  nachweisen,  die  melodi- 
schen Logaöden  und  Choriamben  sowohl,  wie  die  gravitätischen  Daktylo- 
Epitriten  und  anapästischen  Systeme;  nur  die  Dochmien  scheinen  eine 
spezielle  Schöpfung  des  Bocksgesangs  zu  sein.  Auch  die  Sprache  der  Chor- 
gesänge weist  deutlich  auf  die  dorische  Chorlyrik  zurück  und  hat  aus  ihr 
die  Formen  des  dorischen  Dialektes,  namentlich  das  volltönende  ä  herüber 
genommen.  Weniger  tritt  im  Dialog  der  Zusammenhang  mit  dem  Epos 
hervor,  da  für  diesen  die  Dichter  ein  anderes  Metrum  wählten,  nicht  den 
gravitätischen  Hexameter,  sondern  den  beweglichen,  der  Umgangssprache 
sich  nähernden  iambischen  Trimeter.^)  Aber  wenn  auch  die  Form  geändert 
wurde,  so  blieb  doch  die  Übereinstimmung  des  Inhaltes:  der  Dialog  ist  der 
Träger  der  Handlung  und  des  Mythus,  Fundgrube  des  Mythus  aber  waren 
die  epischen  Gedichte,  was  Aischylos  schön  ausgedrückt  hat,  indem  er  seine 
Dramen  Brosamen  vom  Tische  Homers  nannte.  Der  grosse  Fortschritt 
bestand  nur  darin,  dass  jetzt  nicht  mehr  die  Handlung  in  ihrem  Fortgang 
erzählt,  sondern  in  täuschender  Nachbildung  den  Augen  und  Ohren  der 
Zuschauer  vorgeführt  wurde,  so  dass  dieselbe  das  Geschehene  gleichsam  selbst 


^)  Quellen  aus  dem  Altertum:  Aristo- 
teles neQi  7ioi7]Tix7Jg,  wozu  die  Reste  seiner 
Ji^uGxcilUa  bei  Rose,  Aristot.  pseud.  LVI  u. 
552  ff.;  Horatius  ars  poet.  nach  dem  grie- 
chischen Werk  des  Neoptolemos  Parianos; 
Tzetzes  (12.  Jahrh.)  tieql  TQuyiy.fjg  noitjaetüg 
(bei  Westphal,  Proleg.  zu  Aeschyl.  p.  VIII 
sqq.)  und  ttsqI  xaj/ucodUcg  (ed.  Ckamer,  An. 
Ox.  I,  19  ff).  Spurlos  verschwunden  sind 
des  Grammatikers  Telephos  (unter  Hadrian) 
Bioi  TQayiy.wy  xid  xw^wJwr.  —  Neuere 
Werke:  W.  v.  Schlegel,  Vorlesungen  über 
dramatische  Kunst  und  Litteratur,  Heidelb. 
1809,  3  Bde.  =  Sämmtl.  Werke  Bd.  5  u.  6; 


des  griech.  Schauspiels,  Tüb.  1862.  —  Sam- 
melausg. :  Poetae  scenici  Graecorum  rec. 
Bothe,  Lips.  1825—58,  10  Bde.;  Poetae  scen. 
gr.,  ed.  Gu.  Dindorf  ed.  IV,  Lips.  1869. 

-)  Nicht  der  Rede  wert  sind  die  drama- 
tischen Ansätze  der  Chinesen.  Für  die  Inder 
weist  die  Anregung  der  Griechen  nach 
Windisch,  Der  griechische  Einfluss  im  in- 
dischen Drama,  Berlin  1882.  Bezeichnend 
ist,  dass  auch  in  dem  indischen  Drama 
2  Dialekte,  Sanskrit  und  Prakrit,  angewen- 
det sind. 

3)  Arist.  Rhet.  III,  8  sagt  vom  Hexa- 
meter:   nefxvog   xcd    lexrixrjg    uQfxoplag    &s6-- 


Klein,  Gesch.  des  Dramas,  Leipzig  1865  (hier      fxsvog,  Poet.  4  vomlambus:  {uähara  Xsxnxöi^ 
einschlägig  die  2  ersten  Bde.);  Rapp,  Gesch.    !    rcoy  fxezQioy  rd  lafxßeUv  ianv. 


I 


C.  Drama.     1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  126.)  IGl 

mitzuerleben  vermochten.  Deutlicher  aber  zeigt  sich  der  Zusammenhang  des 
Dialogs  mit  dem  Epos  in  der  Sprache:  das  Attische,  das  die  Personen  der 
Bühne  sprachen,  war  ein  Zweig  des  Ionischen,  ionisch  aber  war  der  Dia- 
lekt des  erzählenden  Epos,  wie  des  iambischen  Spottgedichtes.  Insbesondere 
bewahrte  in  der  Tragödie  der  Dialog  viele  lonismen  des  Homer  und  des 
Herodot,  sei  es  nun,  dass  dieselbe  in  ihrer  gehobenen  Weise  sich  mehr 
von  dem  Vulgärdialekt  des  attischen  Volkes  zu  entfernen  wagte,  sei  es, 
dass  sie  als  die  ältere  Gattung  des  dramatischen  Spieles  auch  die  ältere, 
dem  Ionischen  noch  näher  stehende  Gestalt  des  attischen  Dialektes  be- 
wahrte.*) 

126.  Hat  so  das  Epos  so  gut  wie  die  Lyrik  Grundsteine  für  den 
neuen  Bau  der  dramatischen  Poesie  geliefert,  so  ist  dieselbe  doch  speziell 
aus  der  Lyrik  und  der  religiösen  Festfeier  des  Dionysos  hervorgegangen. 
Darauf  weist  schon  der  Name.  J^ä^j^a,  d.  i.  Handlung,  hiess  das  neue  Fest- 
spiel,^) ÖQwf^isva  hiessen  aber  auch  die  Zeremonien,  mit  denen  man  an  den 
Götterfesten,  namentlich  bei  den  Mysterien  den  Mythus  des  Gottes,  seine 
Geburt,  seine  Wanderungen  und  Leiden  den  andachtsvollen  Gläubigen  vor 
Augen  führte.^)  Zu  solchen  mimischen  Darstellungen  boten  wohl  auch  die 
Mythen  anderer  Götter  Stoff,  wie  die  von  dem  Kampfe  Apollos  mit  dem 
Drachen  Python^)  und  von  der  Bewachung  des  jungen  Zeus  durch  die 
Daktylen  und  Korybanten;  aber  zur  Zeit,  als  die  Geburt  des  Dramas  nahte, 
war  in  den  Mysterien  der  Kult  der  alten  Götter  hinter  dem  des  lakchos 
und  der  Demeter  zurückgetreten.  Namentlich  aber  war  es  der  erstere, 
der  mit  Mummenschanz  und  heiterem  Spiel  verbunden  war  und  durch  den 
Charakter  enthusiastischer  Begeisterung  die  Gemüter  der  Festgenossen  für 
die  neue  Art  von  Poesie  empfänglich  machte.  Die  ausgelassene  Weinlaune 
und  der  Schwärm  der  bocksfüssigen  Satyren  musste  von  selbst  die  Griechen, 
die  mit  ihren  Göttern  auf  vertraulichem  Fuss  zu  stehen  liebten,  zu  nach- 
ahmendem Spiele  reizen.  Dazu  löste  der  Gott,  der  von  der  Freiheit  die 
Zunamen  'EXsvdegsvg  und  AvaTog  führte,  den  Menschen  an  seinem  Feste 
die  Zungen,  so  dass  die  Festgenossen  teils  vom  Wagen  herab  die  Vorüber- 
gehenden neckten,  teils  selbst  mit  ihren  drolligen  Aufzügen  unter  Voran- 
tragung  eines  grossen  Phallos  das  Lachen  und  den  Scherz  der  Zuschauer 
wachriefen.''^)  Aber  auch  wer  zum  Ernst  und  zur  Reflexion  angelegt  war, 
fand  an  den  Dionysosfesten  Gelegenheit  zur  erbaulichen  Vorstellung.    Dafür 


^)  Die  letztere  Meinung  vertritt  Rüther- 
ford, Zur  Geschichte  des  Atticismus,  über- 
setzt von  Funck  in  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIII, 
355—399.  Zum  thatsächlichen  Verhältnis 
bemerke  ich,  dass  in  dem  Dialog  der  Tra- 
giker, selten  der  Komiker,  sich  finden  Dative 
^1.  auf  otfffc,  aiGi,  EGGi,  die  ablativen  Genetive 
ejueS^sy,  os&sv,  die  lonismen  yovraiog,  (fovQi, 
^eiyog,  8i(QV(f&ep  (Eur.  Hipp.  1247),  eGxav 
(Eur.  Phoen.  1246),  die  nichtattischen  Wörter 
nc'iTQtt  statt  naiQLg,  laiQui  statt  (uqw^  doiMg, 
(crQ8X7jc,  (iQ&fxtog,  dficplnoXog,  ccXvco,  svcpQOPt], 
i^Q^io.  x^sÖTTQonog,  xc(Giypr]Tog,  xixXiJgxüj,  xol- 
(i«i'og,  oQ-yeiör,  GTvyeoj,   (fÜQog. 

^)  Nach  Arist.  Poet.  3    suchte  man  aus 


diesem  Namen  den  dorischen  Ursprung  des 
Dramas  zu  beweisen,  weil  die  Dorier  dgay, 
die  Athener  ngaTreiv  sagten. 

^)  Daher  der  Gegensatz  bei  Paus.  II, 
37.  2  (vgl.  III,  22.  2):  t«  leyo^eya  inl  xoJg 
(yQioftei'oig.     Vgl.  Bergk,  Gr.  Litt.  III,  4. 

'*)  Dass  derselbe  auch  wirklich  mit  nach- 
ahmender Kunst  dargestellt  wurde,  darüber 
siehe  oben  S.  103  An.  4. 

■'')  Noch  in  später  Zeit  bestand  die  Ge- 
wohnheit an  gewissen  Götterfesten  dem 
Spott  freien  Lauf  zu  lassen,  wie  im  2.  Jhrh. 
n.  Chr.  zu  Smyrna  an  dem  Fest  des  Dio- 
nysos; s.  Aristides  tjsqI  rov  ^n)  t^eh'  xio- 
(xm^eTv  p.  509. 


llandbucli  der  klass.  Allcrtiiiuswisscnschaft.  VII.     2.  Aufl.  11 


162  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

hatten  die  Mysterienpriester  gesorgt,  die  den  Gott  des  Weines  zum  Re- 
präsentanten der  zeugenden  Naturkraft  erhoben,  das  Einschlafen  der  Natur 
im  Herbste  und  ihr  frohes  Wiedererwachen  im  beginnenden  Lenze  mit  dem 
Wandel  seines  Wesens  in  Verbindung  brachten  und  demselben  frühzeitig 
auch  allerlei  ernste,  mit  der  Verbreitung  seines  Kultes  zusammenhängende 
Mythen  andichteten.  Diese  Vorstellungen  und  Mythen  hatten  dem  feier- 
lichen Dithyrambus  Nahrung  gegeben,  und  aus  diesem  ist  die  zweite  Art 
des  dramatischen  Spiels  herausgewachsen.  Der  Ursprung  aber  beider  Arten 
des  Dramas  aus  dem  Mummenschanz  der  alten  Dionysosfeste  zeigte  sich 
auch  später  noch  darin,  dass  die  Schauspieler  wie  die  Choreuten  verkleidet 
auftraten  und  das  Gesicht  entweder  mit  Hefe  verschmierten  oder  mit  einer 
Maske  {rrQdacoTTov,  persona)  bedeckten. 

127.  Arten  des  Dramas.^)  Aus  den  Elementen  des  Dionysoskultes 
haben  sich  3  Arten  des  Dramas  entwickelt,  die  Tragödie,  die  Komödie  und 
das  Satyrspiel.  Die  Tragödie  {rgayfodia),  die  speziell  aus  dem  Dithy- 
rambus hervorgegangen  ist,-)  muss  als  rgäyan'  o^Sr]  gedeutet  werden,  hat 
also  den  Namen  nicht  von  dem  Bock,  der  als  Preis  dem  Sieger  zugefallen 
sein  soll,  3)  sondern  von  den  Böcken,  in  welche  die  Sänger,  eben  weil  sie 
das  Gefolge  des  Gottes  darstellten,  ursprünglich  verkleidet  waren.  Von  vorn- 
herein ernsteren  Charakters  hat  sie  sich  allmählich  zu  jener  ergreifenden  und 
reinigenden  Darstellung  einer  ernsten  Handlung  entwickelt,  welche  Aristoteles 
Poet.  6  mit  den  berühmten  Worten  definiert:  saTiv  TQayo^Sia  iiu\ar]aig  nqd- 
'^€(jog  (TTTOvdafac  xal  rskeiag  ^.itysO^og  i^^ovar^g  t]Svai^ikV(o  ^öyo)  xwQig  ixaazo) 
Tcov  siScov  SV  ToTg  ßoqtoig  Sqmvtwv  xal  ot  di'  duayysXiag,  6i'  iXtov  xal  (fößov 
TTSQaivovaa  Trji'  rwr  toiovtcov  irad^ijindTcov  xä&aqaiv^^)  d.  i.  die  Tragödie  ist 
die  Nachahmung  einer  ernsten  und  abgeschlossenen  Handlung  von  einiger 
Länge,  welche  in  schöner  Sprache,  deren  verschiedene  Arten  in  den 
Teilen  derselben  getrennt  vorkommen,  durch  Handelnde  und  nicht  durch 
Erzählung  vorgeführt  wird  und  durch  Mitleid  und  Furcht  die  Reini- 
gung derartiger  Affekte  bewirkt.  —  Die  Komödie  {xw/^upöia)  ist  aus 
den  Gesängen  der  Phallosprozessionen  hervorgegangen,^')  welche  sich  auch 
später  noch   neben    den  Dithyramben   und   der   ausgebildeten  Komödie  er- 


')  Diomed.  p.  487  -  492  K.  |   eines  Bockes. 

^)  Arist.  Poet,  4:   '^  f^si^  Tgaytodla  and   |  ^)  Unter  den   zahlreichen  ErJäuterungs- 

Tioy  E^aQ/oPTioy  ToV  ö)x)^vQ(c^ußoi'  y.urd  fxixQov    j    Schriften    verdienen     besondere    Beachtung 


^)  Hör.  a.  p.  220:  carmine  qui  tragieo 
vilem  certavit  oh  hircum ;  ein  rgäyog  als 
Preis  angeführt  Marni.  Par.  43,  ebenso  von 
Eusebios  zu  Ol.  48,  1.  Es  liegt  hier  wahr- 
scheinlich eine  Anlehnung  an  den  Dithy- 
rambus vor,  für  den  der  Preis  in  einem  Ochs 
bestund ;  s,  S.  157  An,  4,  Die  richtige  Ety- 
mologie im  Et,  M,  764,  6:  iQayoyö'Lct,  ori  rd 
71  oXkd  ol  %oQol  ex  2^ccivQ(0P  ovviajctvro,  ovg 
ixuXovy  TQayovg.  Zu  ihrer  Bestätigung  dient 
der  Vers  in  des  Aischylos'  llQofutjtf^svg  nvg- 
xaevg  fr.  219  Herrn.,  wo  Prometheus  den 
Satyrchor  anredet:  TQuyog  ysveiov  uqcc  nsv- 
^hjastg  av  ys :  Müller,  Gr.  Litt.  I,  487  denkt 
an    den   Gesang    um    das    brennende    Opfer 


ausser  Lessing's  Dramaturgie,  J.  Bernays, 
Grundzüge  der  verlorenen  Abhandlung  des 
Aristoteles  über  Wirkung  der  Tragödie  1857, 
Zwei  Abhdl.  über  die  aristot.  Theorie  des 
Dramas,  Berlin  1880,  L,  Spekgel,  Über  die 
xdS^aQaig  xmv  ■na&rjfj.dxMv,  Abhdl,  d.  b,  Ak. 
IX  Bd,  (1859),  Meiser,  Beitrag  zur  Lösung 
der  Katharsisfrage,  Blatt,  f.  bayer.  Gymn. 
1887  S.  211  ff.  Eine  andere,  dem  Theophrast 
zugeschriebene  Definition  steht  bei  Diomedes 
487,  12  K.:  iQayMdLa  iaxlv  rjQioixrjg  Ti'/i]g 
nEQLOTctaig. 

•")  Arist,  Poet.  4:  ^  (ff  xiofiMÖia  and 
XMV  rd  cpallixd  e^aQ/opnoy,  d  stl  xal  yvv 
iy  7?o/lA«rc  Tioy  n6?,sioy  ^tauevsi  yofut^oueya. 


C.  Drama.     1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  127 — 128.)  16.3 

halten  haben.  Nach  Aristoteles  Poet.  3  haben  einige,  wohl  durch  die  länd- 
lichen Dionysien  verführt,  das  Wort  von  xoi/i/;,  Dorf,  abgeleitet,  womit  die 
Dorier  dasselbe  wie  die  Attiker  mit  dr^fxog  bezeichnet  haben  sollen.  Aber 
die  Komödie  hat  mit  dem  Dorfspiel  nichts  zu  thun;  das  erste  Element  des 
Wortes  ist  vielmehr  xo\aog,  lustiger  Schwärm,  wovon  auch  xcofxa^siv  und 
das  lat.  comissari  gebildet  ist.^)  Daneben  kommt  bei  Aristophanes  das 
scherzhaft  gebildete  TQvyo)öia  vor,  das  entweder  von  Tovyrj  „Weinlese"  oder 
TQv'^  „Hefe"  herkommt. 2)  Mit  den  Phallosliedern  war  der  Komödie  von 
vornherein  Scherz  und  Lustbarkeit  als  Angebinde  mitgegeben,  aber  erst 
mit  der  Zeit  erhob  sie  sich  zur  erheiternden  und  verspottenden  Darstellung 
einer  lächerlichen  Handlung. 3)  —  Das  Satyrs piel  (ol  aüzvooi)  hat  seinen 
Namen  davon,  dass  in  ihm  der  Chor  aus  verkleideten  Satyrn  gebildet  wurde. 
Der  Zusammensetzung  und  dem  Charakter  des  Chors  entsprechend,  wählte 
es  aus  den  Heroenmythen  diejenigen  aus,  welche  einen  lustigen  Anstrich 
hatten.  Das  Satyrdrama  hat  auf  solche  Weise  am  getreuesten  den  ursprüng- 
lichen Charakter  des  Dionysosspieles  festgehalten  und  kann,  da  auch  bei 
der  Tragödie  ehedem  der  Chor  aus  Böcken  bestund,  als  Vorstufe  der  letz- 
teren bezeichnet  werden.  Als  die  Tragödie  ernste  und  fernabliegende  Mythen 
in  ihren  Kreis  zu  ziehen  und  die  Komödie  das  Leben  der  Gegenwart  statt 
die  Überlieferungen  der  Vergangenheit  zur  Zielscheibe  ihres  Witzes  und 
Spottes  zu  nehmen  begonnen  hatte,  wurde  das  Satyrspiel  zwar  nicht  ganz 
zur  Seite  geschoben,  aber  an  letzter  Stelle  nach  den  Tragödien  zur  Auf- 
fühiung  gebracht.^)  —  Die  Unterschiede  der  drei  Arten  von  Dramen  waren 
auch  äusserlich  in  der  Kostümierung  des  Chors  und  der  Schauspieler  aus- 
geprägt; insbesondere  war  für  die  Tragödie  bezeichnend  die  stelzenartige 
Fussbekleidung  {xo^ogvog)  und  der  hohe  Haaraufsatz  (oyxog),  welche  die 
Heroen  über  das  Mass  der  gewöhnlichen  Menschen  erhöhten.  Umgekehrt 
trugen  die  Personen  der  Komödie  einen  niederen  Schuh  {socciis)  und  banden 
sich  als  Diener  des  befruchtenden  Gottes  der  Zeugung  einen  grossen  Phallos 
um.  Die  Choreuten  des  Satyrdramas  trugen  einen  Schurz  aus  Ziegenfell, 
vorn  mit  Phallos,  hinten  mit  dem  Satyrschwänzchen. 

128.  Athens  Bedeutung  für  das  Drama.  Nach  Aristoteles  Poet.  3, 
erhoben  die  Dorier  den  Anspruch,  das  Drama  erfunden  zu  haben,  die  Megarer 
die  Komödie,  andere  Peloponnesier  die  Tragödie.'')  Das  war  gewiss  nicht  ganz 

^j  Dioniedes    p.    488,    5    K. :    comoedia  i  äxlv^vvog  neoio/rj. 

d'icta  MIO  Tojy  xoi^wv  .  .  ,  vel  clno  lov  xojjuoV;  ^)  Casaubonüs,  De  satyrica  Graecorum 

id  est  comessatione.  \  poesi    et   Romanoriim  satura,    der  Ausgabe 

-)  Schol.  Arist.  Ach.  498;  Ath.  40'^;  Et.  j  des  Persius  angehängt  (1605).  Dort  ist  zuerst 

M.  7G4,   12;  Anon.  de  com.  III;    davon  Ho-  I  der  Unterschied    des   griechischen  Satyrdra- 

raz  a.  p.  277  :  qui  canerent  agerentque  per-  \  mas  und   der   römischen  Satire    (alt  Satura) 

uncti  faecibus  ora.  \  festgestellt.  Aber  wenn  auch  die  litterarische 

^)  Arist.  Poet.  5:  ?/  xw^awcT/«  ioil  f^lf^it]-  |  Satire  der  Römer  von  dem  ^Qäf/cc  aarvQLxoi^ 
aig  cfccvXoxtQcoy  fxc'y,  ov  fxspioi  y.aru  rräauy  der  Griechen  verschieden  war,  so  scheint  sie 
y.a-Auv,  d'Ald  rov  «la/Qov  iarl  t6  yt'koLov  doch  gleicher  Wurzel  entsprossen  zu  sein; 
^oQiov.  Die  Definition  im  Traktat  nsQL  i  s.  Ribbeck,  Gesch.  d.  röm.  Dichtung  I,  9.  — 
xüjfxoidUcg  des  Cod.  Coislin.  120  ist  eine  un-  j  Wieselee,  Das  Satyrspiel,  Gott  1848.  Ein- 
geschickte Nachbildung  der  aristotelischen  !  ziger  Repräsentant  ist  für  uns  der  Kyklops 
Definition  der  Tragödie.  Durch  den  Charakter  des  Euripides. 


der  neuen  Komödie    ist   beeinfiusst   die  De- 
finition des  Theophrast  bei  Diomedes  p.  488,       wenn  Arion  bei  Suidas  heisst  tQayixoii  tqq 
4  K. :    xojuojöi«    ioili^  idiomxoiv  Tioo.yuö.xiov       nov  evQsnjg 


'")  Damit    in    Zusammenhang    steht    es, 

11 


1(34  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

unbegründet,  da  thatsächlich  durch  Pratinas  das  Satyrspiel  von  Plilius  nacli 
Athen  verpflanzt  wurde  und  die  in  dorischem  Dialekt  geschriebenen  und  zur 
Aufführung  in  einer  dorischen  Stadt  bestimmten  Stücke  des  Komikers  Epi- 
charmos  sicher  nicht  von  Athen  aus  ihre  Anregung  empfangen  haben.  Aber 
zur  Entwicklung  und  glänzenden  Entfaltung  kam  das  dramatische  Spiel  erst 
in  Attika,  wo  es  von  den  volkstümlichen  Dionysosfesten  des  rebenreichen 
Ortes  Ikaria  ausging  und  seit  536  ^)  in  die  Reihe  der  städtischen  Festagone 
aufgenommen  wurde.  Athen  begann  damals  zum  Gipfel  seiner  Macht  und 
Grösse  emporzusteigen  und  in  den  Kranz  seines  Ruhmes  auch  das  edle 
Reis  dichterischen  Glanzes  zu  flechten.  In  der  Blütezeit  des  Epos  hatte 
Attika  keine  Rolle  in  der  Litteratur  gespielt;  aber  während  die  stamm- 
verwandten lonier  der  fruchtbaren  kleinasiatischen  Küste  früh  in  Üppigkeit 
und  Sklaverei  versanken,  erhielt  sich  auf  dem  sterilen  Boden  Attikas  un- 
geschwächt die  Vollkraft  des  tüchtigen,  im  Kampf  mit  dem  Leben  gestählten 
Volksstammes.  Allmählich  erst  wuchsen  und  entfalteten  sich  hier  am  Baume 
der  Bildung  die  Zweige  und  Fruchtknoten,  die  dort  rasch  und  üppig  empor- 
geschossen waren.  Erst  im  6.  Jahrhundert  brachte  Athen  den  weisen  Selon 
hervor  und  zogen  die  Peisistratiden  Dichter  und  Gelehrte  an  ihren  Hof.  Der 
grosse  Aufschwung,  den  die  Volksherrschaft  nach  Vertreibung  der  Tyrannen 
und  der  Reichtum  der  Stadt  nach  den  Siegen  der  Perserkriege  nahm,  kam 
der  Entwicklung  der  dramatischen  Poesie  wesentlich  zu  statten.  Die  Pracht 
der  Feste  stellte  an  die  Freigebigkeit  und  das  Vermögen  der  Choregen 
ungewöhnlich  hohe  Anforderungen,  und  die  Freiheit  der  Rede  im  Theater 
hatte  die  Freiheit  des  Wortes  im  öffentlichen  Leben  zur  Voraussetzung.  Wie 
das  Epos  im  ruhigen  Sonnenglanze  der  kleinasiatischen  Fürstenhöfe  erblüht 
war,  die  Lyrik  im  Drange  der  Kämpfe,  welche  dem  Sturze  der  patriarchali- 
schen Könige  folgten,  geboren  wurde,  so  war  das  Drama  ein  Kind  der 
Volksherrschaft  und  desjenigen  Staates,  der  als  das  Bollwerk  der  Demo- 
kratie in  ganz  Hellas  angesehen  wurde.  ^')  Auch  der  Charakter  des  atheni- 
schen Volkes  war  der  Entwicklung  des  Dramas  günstig:  seiner  Beweg- 
lichkeit sagte  das  farbenreiche  Spiel  auf  den  Brettern  zu,  seine  Neigung 
zur  dialektischen  Diskussion  fand  in  dem  Wortstreit  des  dramatischen 
Dialoges  willkommene  Nahrung,  sein  heftiges  und  tiefgehender  Erregung 
zugängliches  Naturell  Hess  sich  gern  durch  mimisches  Spiel  in  Leidenschaft 
versetzen. 

129.  Ehe  wir  uns  zu  den  Dichtern  und  zur  geschichtlichen  Entwick- 
lung der  dramatischen  Poesie  wenden,  müssen  wir  uns  zuvor  über  die 
Hauptpunkte  der  szenischen  Altertümer,^)  das  Theater,  die  Spieltage,  die 
Aufführungen,  sowie  über  die  Ökonomie  des  Dramas  orientieren. 

Das  Theater.  QtatQov  bedeutet  der  Etymologie  nach  Ort  zum  Schauen; 


^)  Dieses  Datum  ist  bezeugt  für  den  i  Worten  aus :  '^weImv  Xaya)  jiqp  nohy  ri^g 
ersten  Erfolg  des  Thespis  in  Athen  durch  die  |  EXXäö'og  ncd^evaip  dvai.  Über  die  Vorzüge 
parische    Marmorchronik   und  durch  Suidas;       des  attischen   Dialektes,   seine   xoivörijg  xal 


das  Jahr  ist  auch  wahrscheinlich  an  der 
verderbten  Stelle  des  Eusebios  herzustellen. 
'')  Wie  die  Macht  Athens  wesentlich  auf 


jusT^iözfjg  spricht  hübsch  Isokrates    15,  295.J 
")  A.    Müller,     Lehrbuch    der    griech.l 
Bühnenaltertümer,  Freiburg  1886.    In  diesem 


dem     geistigen     Vorrang     lieruhto,    drückte       Handbuch    gibt    von    den   scenische-n   Alter- 
I'erikles  (Thuc.  II,  41j   mit   den   berühmten    i   tümern  eine  spezielle  Darstellung  Oehmichkn. 


C.  Drama.     1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  129.) 


165 


gibt  es  aber  etwas  zum  Schauen,  so  stellen  sich  die  Zuschauer  im  Kreis  (corona) 
um  den  Künstler;  kreisrund  war  auch  in  der  älteren  Zeit  der  Markt  {dyoQo),^) 
der  das  natürliche  Lokal  für  solche  Produktionen  abgab,  und  im  Kreise  stellte 
sich  seit  Arion  der  dithyrambische  Chor  {xixhog  /o^oc)  auf,  der  inmitten  der 
Corona,  ursprünglich  um  einen  Altar  (^v/iiehj)  seine  Reigen  und  Gesänge  auf- 
führte. Nachdem  aber  die  Corona  gewachsen  war,  musste  man  dafür  sorgen, 
dass  auch  die  Hinteren,  die  nicht  immer  die  Grösseren  waren,  etwas  zu  sehen 
bekamen ;  das  führte  naturgemäss  zum  Aufschlagen  von  Gerüsten  (ixQia), 
so  dass  sich  die  Zuschauerbänke  terrassenförmig,  die  einen  über  den  andern 
erhoben.  Bei  grossem  Zudrang  aber  konnte  leicht  ein  solches  Gerüste  zu- 
sammenbrechen, wie  uns  von  einem  derartigen  Unfall  in  der  70.  Olympiade 
(500/497)  Suidas  unter  Pratinas  berichtet. 2)  Man  schaute  sich  also  nach 
einem  festeren  Gebäude  um.  Dafür  gleich  ein  freistehendes  Theater  aus 
Stein  zu  errichten,  wäre  zu  kostspielig  gewesen;  man  verfiel  daher  auf  den 
Gedanken,  zum  Zuschauerplatz  die  natürliche  Abböschung  eines  Hügels  zu 
benützen,  und  dazu  bot  in  Athen  der  Südostabhang  der  Akropolis  die 
willkommenste  Lokalität.  In  der  Einbuchtung  (xotXov)  des  Hügels  Hessen 
sich  leicht  Sitze  in  den  Stein  hauen  und  durch  geringe  Nachhilfe  bis  über 
den  Umfang  eines  Halbkreises  hinausführen.  So  entstand  das  Theater  des 
Dionysos  in  Athen,  das  allen  anderen  Theatern  des  Altertums  zum  Vorbild 
diente  und  das  in  unserer  Zeit  durch  die  gemeinsamen  Bemühungen  deut- 
scher und  griechischer  Archäologen  wieder  blossgelegt  wurde.  Ein  so 
grosser  Bau  mit  den  Räumlichkeiten  für  die  Bühne  und  die  Bühnenrequisite 
ist  nicht  auf  einmal  entstanden  und  nicht  unverändert  im  Laufe  der  Zeiten 
geblieben.  Nach  Suidas  hat  man  gleich  nach  dem  Unfall  der  70.  Olympiade 
mit  dem  Bau  eines  festen  Theaters  begonnen;  eingeweiht  wurde  dasselbe 
im  Jahre  472. 3)  Zum  Abschluss  und  zur  Ausschmückung  mit  den  Statuen 
der  grossen  Meister  Aischylos,  Sophokles  und  Euripides  gelangte  der  Bau 
erst  unter  der  Finanz  Verwaltung  des  Lykurg  (330). '^)  Die  heutigen  Reste 
zeigen  die  Umbauten,  welche  das  Theater  unter  gänzlich  veränderten  Bühnen- 
verhältnissen in  der  Zeit  Hadrians  erlitten  hat. 

Das  antike  Theater  hatte  demnach  in  seiner  ersten  Anlage  nur  zwei 
Teile,  den  Zuschauerplatz  {ihsaxqov  oder  xoiXoi',  cavea),  der  durch  Umgänge 
{6ici^c6fxaTa)  und  radienförmig  angelegte  Treppen  in  mehrere  Abteilungen 
(xsQxiSfg)  gegliedert  war,'')  und  den  kreisrunden,  je  nach  Bedarf  mit  Bret- 
tern belegten  Raum  in  der  Mitte,  wo  der  Chor  seine  Tänze,  ursprünglich 
um  einen  Altar  aufführte  und  der  davon  bqxrjaTQa  oder  Ovfiehj  hiess.^)    In 


^)  IL  2"  304,  wo  die  Richter  auf  Steinen 
sitzen  Isqu)  svl  xvy.X(o.  Rund  war  auch  der 
durch  Schliemann  blossgelegte  Markt  von 
Mykenä. 

^)  Da  Pratinas  nur  einmal,  Aischylos 
erst  485  den  ersten  Sieg  erlangte,  so  ist  bei 
Suidas  vielleicht  die  Zahl  0  (70)  aus  os  (75) 
verderbt. 

■^)  Dieses  Datum  ist  aus  der  neugefun- 
denen Urkunde  über  die  Theatersiege,  CIA.  II, 
971,  durch  scharfsinnige  Kombinationen  er- 
wiesen von  Oemichen,  Anfänge  der  drama- 
tischen  Wettkämpfo    in    Athen,    Stzb.    d.    b. 


Ak.  1889,  II,   142  ff. 

'^)  WiLAMowiTz,  Die  Bühne  des  Aischy- 
los, Herrn.  21,  598  ff.  stellt  die  paradoxe  Be- 
hauptung auf,  dass  das  steinerne  Theater 
Athens  unter  Lykurg  nicht  ausgebaut,  sondern 
überhaupt  erst  gebaut  worden  sei. 

^)  13  xeQXL^ag  hat  das  Dionysostheater 
in  Athen  nach  der  Zahl  der  Phylen  unter 
Hadrian.^ 

^)  Über  das  schwer  entwirrbare  Ver- 
hältnis von  ÖQ/TJaiQcc  zu  y^v{ÄiXr],  über  das 
die  verschiedensten  Hypothesen  aufgestellt 
wurden,  s,  Müller,  S.  129  ff". 


166 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


der  Orchestra  mochte  anfangs  mit  dem  Chor  auch  der  Schauspieler  seinen 
Platz  gehabt  haben,  wenn  auch  die  Angaben  der  Alten  von  dem  Fleischtisch 
(sAsog),  von  dem  herab  der  Schauspieler  vor  Thespis  mit  dem  Chor  agiert 
haben  soll,  auf  dem  Miss  Verständnis  einer  Komikerstelle  beruhen,  i)  Als 
aber  mehrere  Schauspieler  auftraten  und  deren  Spiel  den  Hauptanziehungs- 
punkt zu  bilden  begann,  schnitt  man  das  äussere  Segment  der  Orchestra  ab, 
um  hier  speziell  für  die  Schauspieler  ein  oblonges  Gerüst  {loysTov,  oxgißag, 
^ndpitum)  zu  errichten.^)  Die  Handelnden  waren  also  jetzt  auf  zwei,  durch 
Treppen  verbundene  Räume  verteilt,  von  denen  jeder  seine  eigenen  Zugänge 
{at  avM  xal  cct  xavo)  tkxqoSoi)  hatte.  Die  weitere  Vervollkommnung  drehte 
sich  wesentlich  um  den  Ausbau  des  schon  aus  akustischen  Gründen  über- 
deckten Bühnengebäudes  mit  den  rückwärts  und  zur  Seite  gelegenen  Kou- 
lissen.  Dasselbe  ward  durch  eine  in  mehrere  Stockwerke  gegliederte,  mit 
einer  Hauptthüre  und  2  oder  4  Seitenthüren  versehene,  aber  leicht  durch 
Holzverkleidung  und  Malerei  (rtQoaxrjvior)  umzugestaltende  Rückwand  ab- 
geschlossen. Diese  stellte  in  der  Tragödie  meistens  die  Vorderseite  eines 
Königspalastes  vor,  hiess  aber  (Txrjvt'j,  weil  im  alten  Satyrdrama  die  Phan- 
tasie der  Zuschauer  sich  eine  Hütte  in  dem  Hintergrunde  vorstellen  sollte.^) 
Die  beiden  Seitenwände  hiessen  TiaQaaxi]via]  an  ihnen  befanden  sich  die 
hölzernen,  drehbaren  Prismen  {neQiaxToi,  versurae),  die  mit  je  3  Tafelbildern 
bedeckt  waren  und  durch  deren  Drehung  eine  Veränderung  der  Szene  an- 
gedeutet werden  konnte.  Dazu  kamen  bei  der  Aufführung  die  speziellen 
Ausrüstungen,  das  Gerüste  für  den  Standplatz  des  Chors,  die  Dekorationen 
der  Bühne  und  der  Orchestra,  die  Rollmaschine  (sxxvxhjfjLo),  die  Götter- 
bühne (d^soXoyalov),  die  Schwebemaschine,  die  Hadesleiter  u.  a. 

130.  Spieltage  und  Agone.  Der  Ursprung  des  Dramas  aus  dem 
Kulte  des  Dionysos  gab  sich  bei  den  Athenern  bis  in  die  spätesten  Zeiten 
darin  kund,  dass  Dramen  nicht  alltäglich  und  nicht  zu  beliebigen  Zeiten, 
sondern  nur  an  den  Festen  des  Gottes  Dionysos  zur  Aufführung  kamen. 
Den  Ehrenplatz  hatte  deshalb  im  Dionysostheater  zu  Athen  in  der  Mitte 
der  ersten  Reihe  der  Priester  des  Dionysos  Eleuthereus.-^)  Das  Drama  trat 
so  in  den  Kreis  der  musischen  Wettkämpfe  {aywvec  p.ovaixoi),  indem  zur 
Feier  der  Götterfeste  durch  poetische  und  musikalisch-orchestische  Produk- 
tionen vom  Staat  ein  Preisbewerben  eingerichtet  wurde.  Die  Hauptfeste, 
an  denen  Dramen  zur  Aufführung  kamen,'')  waren  die  grossen  Dionysien,^) 
gefeiert   zur   Zeit   der  wiedererwachenden   Natur   im   Monat   Elaphebolion 


')  Die  Hauptstelle  über  jenen  eleog  bei 
Pollux  IV,  123.  Ein  Missverständnis  einer 
Komikerstelle  nimmt  Hiller,  Rh.  M.  39, 
329  an. 

2j  Nach  AViLAMOwiTz  a.  0.  fand  dieses 
und  der  Bau  der  Rückwand  erst  um  460 
vor  Aufführung  der  aischylischen  Orestie  statt. 

^)  So  auch  im  Aias  des  Sophokles. 

^)  Sein  Sessel  mit  der  bezüglichen  In- 
schrift \\'ard  aus  den  Ruinen  hervorgezogen; 
die  Abbildung  bei  Müller  a.  0.  94.  Ange- 
spielt ist  auf  den  Platz  bei  Arist.  Equ.  536. 

•')  Un verlässig   Diog.  IV,  56:    dQd/uaaiy 


7Jyi02^i^oyTo  JiovvGLOig.  Arjvcdoig,  JJavaf^rj- 
vcdoig{(deoiv'ioig  em.l^öckh),  Xvzqoig  [Xvtqol 
hiess  der  3.  Tag  des  ältesten  Dionysos  festes, 
der  Anthesterien,  gefeiert  am  13.  des  Monates 
Anthesterion,  Februar/März);  richtiger  Schol. 
Arist.  Ach.  503;  vgl.  Müller,  S.  309  f. 

^)  Auch  genannt  r«  si^  aar  et  Jiopvaiu. 
im  Gegensatz  zu  den  Dionysien  auf  dem 
Land  oder  denen  in  der  Vorstadt.  Ihre  Su- 
periorität  zeigte  sich  auch  darin,  dass  an 
ihnen  nur  ein  Bürger,  an  den  Lenäen  auch 
ein  Metüke  (s.  Schol.  Arist.  Plut.  953)  die 
Chorcgie  leisten  durfto. 


C.  Drama.     1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  130.) 


167 


(März/April),  und  die  Lenäen  oder  das  Kelterfest,  begangen  im  Monat 
Gamelion  (Januar Februar).^)  Die  Dionysien  überstrahlten  seit  den  Perser- 
kriegen, namentlich  seitdem  sie  nach  Errichtung  des  steinernen  Theaters 
im  Jahre  472  scenisch  geworden  waren, 2)  an  Glanz  und  Dauer  alle  anderen 
Feste:  Athen  zeigte  sich  dabei  im  Festgewand  gegenüber  ganz  Hellas,  ins- 
besondere auch  gegenüber  den  Bundesgenossen,  deren  Abgesandte  um  jene 
Zeit  die  Tribute  nach  Athen  brachten  und  dem  Festspiel  im  Theater  bei- 
wohnten. Tragödien,  und  zwar  nur  neue,  kamen  mindestens  an  r5  Tagen 
hintereinander  zur  Aufführung,^)  und  zwar  regelmässig  je  3  Tragödien  und 
1  Satyrdrama.  Die  würdevolle  Tragödie  bildete  eben  den  Glanzpunkt  des 
Festes;  dass  immer  3  Stücke  auf  einmal  zur  Aufführung  kamen,  scheint 
auf  die  ältere  Zeit,  wo  das  Festgedicht  in  einem  dreigliederigen  Dithy- 
rambos  oder  Nomos  bestund,  zurückzugehen.  Die  3  Tragödien  zusammen 
hatten  den  Namen  Trilogie,  wobei  Logos  soviel  als  dialogisches  Festspiel 
bedeutete.'^)  Neben  Tragödien  wurden  schon  zu  Aischylos  Lebzeiten,*'')  w^ahr- 
scheinlich  schon  seit  472,  auch  Komödien  gegeben;*^)  über  die  Stelle,  welche 
dieselben  einnahmen,  widersprechen  sich  die  Zeugnisse.  Aus  den  Versen 
der  Vögel  des  Aristophanes  789  ff.,  wo  den  Zuschauern  Flügel  gewünscht 
werden,  um  während  der  langweiligen  Tragödie  hinauszufliegen  und  nach 
gutem  Gabelfrühstück  zur  lustigen  Komödie  wieder  zurückzukommen,  möchte 
man  schliessen,  dass  damals  auch  an  den  Dionysien  die  Komödie  am  selben 
Tage  wie  die  Tragödie,  und  zwar  an  letzter  Stelle  nach  den  Tragödien  ge- 
geben wurde. '^)    Nach  dem  Gesetze  des  Euegoros  hingegen^)  und  nach  den 


^)  Das  Fest  genannt  nach  dem  Kelter- 
platz, daher  der  Ausdruck  ovni  Arjvcao) 
(cyoju  bei  Arist.  Ach.  503;  vgl.  Hesych. 
inl  ArjvaUo  u.  Bekker  An.  gr.  278.  Auf  das 
Theater  im  Lenaion  scheint  sich  der  von 
Eratosthenes  (bei  Hesych.,  Suid.,  Bekker  An. 
gr.  354  u.  419)  erläuterte  sprichwörtliche 
Ausdruck  bei  Kratinos  aiysLQov  S^sa  =  Sitz 
bei  der  Pappel,  zu  beziehen.  Ob  mit  Lenaion 
der  gleiche  Ort  bezeichnet  wurde  wie  mit 
eV  Xl^vaig,  wo  nach  dem  Zeugnis  des  Thu- 
kydes  II,  15  das  ältere  Dionysosfest  der  An- 
thesterien  begangen  wurde,  ist  strittig.  Aller- 
dings haben  Hesychios  s.  v.  Xi^pca  und  der 
Scholiast  zu  Arist.  Ach.  970  den  Jiowaog 
6  iv  Xi^vciigxmA  den  Jiovvoog  Atjvcuog  gleich- 
gestellt, aber  die  Stelle  der  an  den  Lenäen 
aufgeführten  Frösche  des  Aristophanes  V. 
216  ff.  lässt  erkennen,  dass  der  Ort  iy  lifxvccig 
verschieden  war  von  dem,  wo  die  Frösche 
selbst  aufgeführt  worden.  Jedenfalls  lag  der 
Bezirk  ev  XlfAvaig  ausserhalb  der  Mauer,  wie 
auch  Thuk.  II,  15  andeutet,  so  dass  die 
Dionysien  im  Theater  als  r«  ev  äarsi  Jio- 
vvoici  dem  älteren  eV  lifxvaig  gefeierten  Dio- 
nysosfest der  Anthesterien  entgegengesetzt 
werden  konnten.  Die  Kontroverse  ist  ein- 
sichtsvoll behandelt  von  Oehmichen  a.  0. 
S.  122  ff. 

'^)  Musisch  waren  sie  wohl  schon  zuvor, 
aber  der  musische  Teil  wird  vor  472  (e| 
01;  TTQioToi'  xiofÄoi  riücii')  nur  in  Dithyramben 


bestanden  haben;  in  noch  älterer  Zeit  scheint 
das  Fest  apollinisch  gewesen  zu  sein,  wie 
T.  MoMMSEN.  Heortologie  59  hauptsächlich 
daraus,  dass  auch  später  noch  der  Preis 
in  einem  Dreifuss  bestand,  vermutet  hat. 

^)  4  Tage  zur  Zeit  des  Schauspielers 
Polos  bei  Plut.  an  seni  3;  5  Konkurrenten 
hatte  Aristophanes  im  Plutos  (i.  J.  388 ;  s.  arg. 
IV) ;  ebenso  gross  war  die  Zahl  in  den  Jahren 
354-3  nach  GIG.  231 :  s.  Usenee,  Com.  phil. 
Bonn,  p.,  583  ff.,  Rohde,  Rh.  M,  39,  161. 

*)  Über  den  Gebrauch  von  Xoyog  =  (fuf- 
loyog  vergl.  Aristot.  Polit.  VII,  17  p.  1336'^ 
14,  Antiphanes  fr.  190,  2  und  die  Bezeich- 
nung löyoi  2:iox()aTixoi  für  sokratische  Ge- 
spräche. Später  hat  man  auch  Reden  des 
Antiphon  und  Dialoge  des  Piaton  zu  Tetra- 
logien verbunden, 

^)  Dieses  steht  fest  durch  das  Sieger- 
verzeichnis CIA.  II,  971,  wo  ein  Sieg  des 
Komikers  Magnes  neben  einem  des  Aischy- 
los verzeichnet  ist. 

*^)  In  der  älteren  Zeit  versah  wohl  das 
Satyrspiel  allein  die  Stelle  des  heiteren  Festes; 
nach  der  Aufnahme  von  Komödien  wurde  das 
Satyrspiel  an  seiner  Stelle  belassen,  der  Ko- 
mödie aber  ein  neuer  Tag,  und  zwar  vor 
dem  tragischen  Agon  eingeräumt. 

')  Davon  geht  aus  H.  Sauppe,  Ber.  d. 
Sachs.  Ges.  d.  W.  1855  S.  19  ff. 

^)  Das  Gesetz  des  Euegoros,  erhalten 
in  Demosthenes  Midiana  10  lautet:   Ei' tjyoQog 


168 


Griechische  Literaturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Didaskalien  im  CIA.  II,  971  folgten  in  umgekehrter  Reihenfolge  lyrische, 
komische,  tragische  Aufführungen  aufeinander,  i)  wahrscheinlich  so,  dass  am 
6.  und  7.  Elaphebolion  die  lyrischen  Wettkämpfe  stattfanden,  am  10.  die 
Komödien  und  am  11. — 13.  die  Tragödien  zur  Aufführung  kamen. 2)  An 
dem  älteren  Feste  der  Lenäen  war  umgekehrt  die  ausgelassene  Komödie 
das  Hauptfestspiel,  wenigstens  in  der  Zeit  nach  472,  nachdem  für  die  Tra- 
gödie ein  glänzenderer  Platz  an  den  grossen  Dionysien  geschaffen  war.  Die 
Athener  waren  da,  wie  Aristophanes  Ach.  503  sagt,  unter  sich  allein  und 
konnten  sich  so  ungescheuter  über  ihre  politischen  Verkehrtheiten  lustig 
machen.  Übrigens  wurden  auch  Tragödien  an  den  Lenäen  gegeben;  das 
war  sicher  in  der  Zeit  vor  472  der  Fall,  wo  die  Lenäen  das  einzige  sce- 
nische  Fest  in  Athen  waren,  aber  auch  aus  späterer  Zeit  erfahren  wir  von 
einem  Sieg  des  Tragikers  Agathon  an  den  Lenäen."^)  ,  Neben  diesen  zwei 
städtischen  Festen  waren  durch  theatralische  Vorstellungen  die  ländlichen 
Dionysien  bekannt,  an  denen  aber  in  der  Regel  nur  Stücke  zur  Aufführung 
kamen,  welche  in  der  Stadt  bereits  die  Probe  bestanden  hatten.  Besucht 
waren  besonders  die  Dionysien  im  Piräus;  Theater  gab  es  ausserdem  in 
Thorikos,  Munichia,  Eleusis,  Aixone.  Ausserdem  wurden  in  der  älteren 
Zeit  und  dann  wieder  seit  Lykurg  auch  an  den  Chythroi,  dem  dritten  Fest- 
tage der  Anthesterien,  Komödien  in  der  Stadt  aufgeführt. 

131.  Wollte  nun  ein  Dichter  ein  Stück  zur  Aufführung  bringen,  so 
musste  er  bei  dem  Leiter  des  Festes,  bei  dem  Archen  eponymos  an  den 
Dionysien,  bei  dem  Archon  basileus  an  den  Lenäen  um  einen  Chor  nach- 
suchen {xoQov  ahelv).  Gab  der  Archon  einen  Chor,  so  ward  dem  Dichter 
ein  Chorleiter  {xoQriyog)  zugewiesen, 4)  der  aus  Sängern  seiner  Phyle  einen 
Chor  zusammenzusetzen  und  für  dessen  Einübung  {ötSaaxaXia)  durch  den 
als  Chormeister  {didäaxaXoq)  fungierenden  Dichter  zu  sorgen  hatte.  Die 
Bestellung    und  Ausstattung   der   Schauspieler   {vrcoxqiTaC)   ging    denselben 


stnspy  orav  rj  nofinrj  ri  tco  Jlovvgio  ev  JIsi- 
QctieT  xcd  ol  XMfxoj&ol  xal  ol  rQccyoj&ol,  xcd 
7]  int  Arjvttiio  no^mj  xcd  ol  TQayo)dol  xcd  ol 
xwucodoi,  xcd  tolg  ev  ccarei  Jiovvaioig  rj  nofxnrj 
xccL  ol  ncdds?  <xcd  ol  cipdQegy  xcd  6  xiö^og 
xcd  ol  X(jD/Liu)dal  xal  ol  jQayco&ol,  xcd  ©aqyt]- 
'Aloiv  rrj  71 0^71  fi  xal  reo  dycopi  firj  e^eTvav 
fA.rjte  Eve^vQccacii  [xrjTS  XafxßavEiv  eregov 
ersQov  xtX. 

')  Caesar,  Quaestiones  duae  ad  Ar  ist. 
Aves  spectantes,  Marb.  Ind.  lect.  1881  hilft 
sich  mit  der  bedenklichen  Annahme  einer 
Änderung  nach  der  Aufführung  der  Vögel 
(414).  Am  ehesten  hat  der  Dichter  einen 
auf  die  Lenäen  passenden  Witz  auf  die 
dramatischen  Agone  überhaupt  übertragen. 
Auch  das  yQiarsvrca  cT'  i^aQxovt/rcxyg  in  Arist. 
Ran.  317  spricht  gegen  die  Aufführung  der 
Komödie  nach   der  Tragödie. 

2)  Die  verschiedene  Folge  der  dramati- 
schen Spiele  an  den  Dionysien  und  Lenäen 
scheint  mit  der  Neuorganisation  des  Festes 
i.  .L  472,  zufolge  welcher  3  Arten  von  Spielen, 
TQc<yo)dic<.(,  ochvQoi,  xojfucocflat,  gegeben  wur- 
den, zusammenzuhängen. 


^)  Der  Sieg  des  Agathon  an  den  Lenäen 
ist  bezeugt  durch  Ath.  217  a;  dass  Aischylos 
an  den  Lenäen  wie  an  den  Dionysien  Siege 
errang,  steht  aus  den  Verzeichnissen  der 
dionysischen  und  lenäischen  Siege  CIA.  11,  972 
fest,  wenn  auch  der  Name  des  Dichters  nur 
zum  Teil  erhalten  ist.  Ob  sich  die  litterari- 
schen Angaben  über  die  Zahl  der  Siege  des 
Sophokles,  Euripides  u.  a.  bloss  auf  das  Haupt- 
tragödienfest, die  Dionysien,  beziehen,  ist 
ungewiss;  vielleicht  sind  die  Divergenzen 
bezüglich  der  Zahl  der  Siege  darauf  zurück- 
zuführen, dass  die  lenäischen  Siege  teils  ein- 
gerechnet wurden,  teils  nicht. 

'')  Die  liturgische  Leistung  der  Choregie 
datiert  nach  Marm.  Par.  von  509/8;  seit  dem 
Archontat  des  Kallias  406/5  traten  zwei  zur 
Leistung  derselben  zusammen  (Schol.  ad  Arist. 
Ran.  406);  an  die  Stelle  der  Choregen  traten 
in  der  Zeit  nach  Alexander  die  Agonotheten; 
s.  Müller  339  f.  Die  Kosten  einer  tragi- 
schen Choregie  betrugen  nach  Lysias  19,  14 
an  3000,  einer  komischen,  an  1600  Drach- 
men. —  A.  Brimck,  Inscr.  fjr.  ad  chorec/iam 
pertinentes  (Diss.  phil.  Hai.  VII)  1886. 


C.  Drama.     1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  131.) 


169 


nichts  an,  da  diese  eigens  vom  Archen  den  Dichtern  zugelost  ^)  und  vom 
Staate  honoriert  wurden.  Der  Schauspieler  waren  es  anfangs  nur  1,  unter 
Aischylos  wurde  die  Zahl  auf  2,  unter  Sophokles  auf  3  erhöht,^)  unter  welcher 
Zahl  sich  auch  bis  auf  Sophokles  der  Dichter  selbst  befand;  in  der  Regel  spielte 
überdies  ein  Schauspieler  mehrere  Rollen.  Aber  auch  so  waren  dem  griechi- 
schen Dichter  durch  die  geringe  Zahl  der  Schauspieler  starke  Beschrän- 
kungen auferlegt.  Der  Chor  bestund  in  der  Komödie  aus  24,  in  der  Tra- 
gödie aus  12,  später  seit  Sophokles  aus  15  Mann; 2)  ausserdem  waren  dem- 
selben ein  oder  zwei  Musiker  beigegeben,  ein  Flötenspieler  zur  Direktion 
der  Marschbewegungen  und  Chorgesänge,  ein  Kitharist  für  die  Monodien.'^) 
Das  ganze  Personal  war  aus  Männern  zusammengesetzt;  die  strenge  Sitte 
verbot  den  Frauen  Anteilnahme  am  öffentlichen  Spiel.  Aufgestellt  war 
beim  Einzug  der  Chor  im  Viereck  {zsTQaywvog  xoQog),  nicht  im  Kreis  {xm- 
Xiog  x^Q')  wie  beim  Dithyrambus.  Mit  der  viereckigen  Aufstellung  war  die 
Gliederung  des  Chors  in  mehrere  Lang-  und  Querreihen  {arolxoi^  ^vyd)  ver- 
bunden. Während  des  Spiels  trat  derselbe,  um  den  Blick  auf  die  Bühne 
nicht  zu  hindern,  in  2  sich  gegenüberstehende  (avTiTTgodcoTtoi)  Abteilungen 
auseinander,  welche  Stellung  auch  die  Regel  bei  den  in  Strophen  und  Anti- 
strophen  gegliederten  Stehliedern  [ardaiiia)  bildete.^) 

War  alles  für  das  Festspiel  vorbereitet  und  bei  der  Generalprobe  im 
Odeon  als  richtig  befunden  worden,^)  so  fand  an  den  Dionysosfesten  selbst 
im  Theater,  zu  dem  jeder  Bürger,  anfangs  unbedingt,  später  gegen  ein 
massiges  Eintrittsgeld,^)  Zutritt  hatte,  die  Aufführung  statt.  Die  Auffüh- 
rung war  zugleich  eine  Preisbewerbung  [äydiv);  die  Entscheidung  lag  in 
dem  Urteil  von  besonderen  Preisrichtern,  5  an  der  Zahl.^)    Preise  wurden 


^)  Phot.  Hes.  Suid.  u.  j^SfX7]osig  imo- 
•/.QiKJov.  ol  noiritid  e^^dy^ßuvov  rgeig  vno- 
xQUug  xlriQio  psfxtjS^errag  t>noxQiPovfj,si^ovg 
rd  (^Qdfiara,  mu  6  viX7]aag  slg  Tovnidv  cixQi- 
rog  nuQEXnfxßdvsTo.  Trotz  der  Regel  des 
Loses  wussten  die  grossen  Dichter,  wahr- 
scheinlich durch  Verständigung  mit  ihren 
Mitbewerbern,  bestimmte  Schauspieler  sich 
ständig  zu  gewinnen. 

■^)  Über  die  Zeit  der  Vermehrung  unten 
bei  Aischylos  und  Sophokles. 

^)  Wahrscheinlich  ist  man  dabei  von 
den  50  Mann  des  älteren  dithyrambischen 
Chors  ausgegangen,  und  hat  von  den  48  Mann, 
die  man  für  eine  viereckige  Aufstellung 
allein  brauchen  konnte,  die  Hälfte  (24)  dem 
minder  angesehenen  Spiel  der  Komödie,  die 
ganze  in  4  Partien  geteilte  Zahl  (4  >c  12) 
dem  vollständigen  aus  4  Abteilungen  be- 
stehenden Spiel  der  Tragödie  mit  Inbegriff 
des  Satyrspiels  zugewiesen.  Eine  andere 
Erklärung  wird  aufgestellt  von  Zielinski, 
Gliederung  der  altatt.  Komödie  S.  278  f. 

^)  Lyra  neben  Flöte  angewendet  im 
Wettstreit  des  Aischylos  und  Euripides  in 
Arist.  Ran,  1304.  Bloss  Auleten  erwähnt 
Demosth.  21,  13. 

•')  Über  die  Gliederung  des  Chors  han- 
delte   zuerst   0.   Müller    im  Anhaue  seiner 


für  die  scenischen  Altertümer  epochemachen- 
den Ausg.  von  Aesch,  Eumeniden.  Neueres 
bei  Christ,  Teilung  des  Chors,  in  Abhdl.  d. 
b.  Ak.  XIV,  198  ff.  und  A.  Müller,  Bühnen- 
alt. 202  f.  Für  die  Aufstellung  beim  Vortrag 
ist  das  Hauptzeugnis  bei  Hephaest  p.  73  W. : 
xalErrca  de  nciqäßaaig,  ineid'rj  siffEkd^opteg 
Eig  To  &EcaQou  xcd  cIvtitt qöa lonoi  (<X?.ij- 
^oLg  arccvTsg  ol  ^oQEVTcd  nccQEßaivov  etc., 
wonach  die  Choreuten  bei  den  Stasima  sich 
gegenüber  stunden. 

^)  Dieser  Proagon  fand  wenige  Tage 
vor  den  Dionysien  statt  nach  Schol.  Aesch. 
in  Ctes.  67.  Den  Proagon  sucht  als  blosse  An- 
kündigung des  Stückes  zu  erweisen  Rohde,  Rh. 
M.  38,  251  ff.  Mit  der  Annahme  von  3  Arten 
von  Proagon eu  sucht  sich  zu  helfen  Oeh- 
iviicHEN  a.  0.  S.   103  ff. 

^)  Das  Eintrittsgeld  {S^siO()ix6v)  betrug 
für  einen  Spieltag  2  Obolen,  daher  Dem.  de 
cor.  28:  sv  roip  (fvoip  oßoXoiu  iß^ecogovy. 
Seit  Perikles  wurde  dasselbe  aus  der  Staats- 
kasse den  Bürgern  wieder  vergütet. 

^)  Sprichwörtlich  ii^  ttepte  xqirwv  yov- 
vaai  xsiTcci.  Die  7  Richter  bei  Luc.  Harm. 
2  und  Vitruv  1.  Vll  prooem.  scheinen  auf 
spätere  Zeiten,  wo  die  Zahl  der  Phylen  auf 
13  vermehrt  war,  zu  gehen.  Die  Redu- 
zierung  von    10  urteilenden  Richtern    auf  5 


170  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

3  verteilt,  so  dass,  da  in  der  Regel  auch  3  Dichter  oder  Choregen  kon- 
kurrierten, jeder  derselben  einen  Preis  erhielt  und  nur  ein  Unterschied  im 
Grad  des  Preises  stattfand,  jedoch  so,  dass  nur  der  erste  Preis  als  Sieg 
galt.  Höher  standen  im  Ansehen  die  Siege  bei  den  grossen  Dionysien 
(aarixai  vTxai)  als  die  bei  den  Lenäen  {Arjvaixal  vTxai);  von  Siegen  und 
Preisen  bei  den  ländlichen  Festen  hören  wir  ohnehin  nichts.  Der  Preis 
galt  nominell  der  Phyle,  die  den  Chor  gestellt,  und  dem  Choregen,  der 
die  Kosten  getragen  hatte;  er  bestand  in  einem  Dreifuss  (TQirrovg),^) 
der  in  feierlicher  Weise  von  den  Choregen  zum  ehrenden  Andenken  an  den 
Sieg  aufgestellt  wurde.  Auf  solche  Weise  ist  das  berühmte  choragische 
Denkmal  des  Lysikrates  entstanden,  das  unter  dem  Namen  der  Diogenes- 
laterne bekannt  ist.  Der  Dichter  erhielt  als  Chormeister  einen  Ehrenlohn 
(iiiad^ög),^)  dessen  Höhe  in  den  verschiedenen  Lagen  des  Staates  verschieden 
war;  auch  den  Schauspielern  oder  richtiger  den  Protagonisten  wurden  seit 
456  Preise  zuerkannt.  Über  die  Preisverteilung  wurde  eine  Urkunde  {öiSaa- 
xaX(a)  aufgenommen,  von  denen  uns  noch  mehrere  inschriftlich,  andere 
durch  Vermittelung  der  Schrift  des  Aristoteles  ttsqI  didaaxaXicov  durch 
Notizen  der  Grammatiker  erhalten  sind.^) 

132.  Ökonomie  des  Dramas.  Die  Anlage  und  Gliederung  des 
Dramas^)  harmonierte  mit  den  Teilen  des  Theaters  und  der  Zusammen- 
setzung des  Theaterpersonals.  Schon  im  Dithyrambus  traten  die  Verse  des 
Vortänzers  den  Gesängen  und  Tänzen  des  Chors  gegenüber;  ausgeprägter 
wurde  dieser  Unterschied  im  Drama,  wo  sich  bestimmter  die  Gesänge  des 
Chors  [td  xoQixd)^  die  Reden  der  Schauspieler  {Siäloyog,  diverhium  oder 
deverbium)  und  die  Wechselreden  des  Chors  und  der  Schauspieler  schieden. 
Die  eigentliche  Handlung  ruhte  in  den  Reden  und  Aktionen  der  Schau- 
spieler; der  Chor  nahm  zwar,  seltener  in  der  Tragödie,  öfter  in  der  Komödie, 
am  Fortgang  der  Handlung  teil,  repräsentierte  aber  mehr  den  zuschauenden, 
beobachtenden  Teil,  in  der  Tragödie  speziell  das  die  verschiedenen  Phasen 
der  Handlung  mit  seinen  Sympathien  begleitende  Volk.  In  der  älteren  Zeit 
hatte    der  Chor,    entsprechend   dem   Ursprung   des   Dramas,    den  Vorrang. 

stimmende  hat  Sauppe,  Über  die  Richter  bei  i  erläuterung  von  Böckh,  CIG.  I  p.  350  ff. ; 
scenischen  Spielen,  in  Abhdl.  d.  sächs.  Ges.  seit  der  Zeit  hat  sich  das  Material  durch 
d.  W.  Bd.  VII  aufgeklärt;  vgl.  Müller  a.  j  neue  Funde  in  der  Nähe  des  Dionysos- 
0.  369  ff.  !   theaters  bedeutend  vermehrt  (CIA.  II,  971  — 

')  Der  Dreifuss  als  Preis  speziell  für 
einen  dithyrambischen  Männerchor  bezeugt 
von  Lys.  21,  2,  für  die  dramatischen  Agone 
in  Abrede  gestellt  von  Bergk  und  Lipsius 
bei  Müller  S.  418.  ^T,  Mommsen,  Heortologie 


S.  59  bringt  die  Verleihung    des   Dreifusses 


977),  so  dass  Bergk,  Rh.  M.  34,  292  ff.  die 
ganze    Frage   von   neuem   behandelte.     Die  | 


neu  aufgefundenen  Inschriftenplatten  ent- 
halten Didaskalien  der  grossen  Dionysien 
nach  Jahren  geführt  (n.  971),  und  Dichter- 
verzeichnisse mit  Angabe  ihrer  yTxca  aGZLXcd 
damit  in  Verbindung,  dass  die  Dionysien  i  und  rTxm  h]vaixcd  (n.  977), 
ursprünglich  apollinisch  gewesen  seien.  ^)  Arist.  Poet.  12;    Pollux  IV,  53;  Eu- 

2)  Arist.  Ran.  367;  wie  gross  der  Lohn  j  kleides  bei  Tzetzes  tisql  TQayiodlag,  dazu 
war,  können  wir  nach  den  bei  den  Pana-  j  Westphal,  Proleg.  z.  Aesch.  Tragödien, 
thenäen  ausgeteilten  bemessen;  bei  diesen  !  Leipz.  1869;  Ascherson,  Umrisse  und  Glie- 
erhielt  nach  CIA.  II,  965  der  erste  Kitharode  I  derung  des  gr.  Dramas,  in  Jahrb.  f.  Phil, 
einen  goldenen  Olivenkranz  von  1000  Drach-  |  Suppl.  IV,  419  ff. ;  Oehmichen,  De  eompo- 
men  und  500^Dr.  Silber,  der  zweite  1200  Dr.,  sitione  episodiorum  trag,  graecae  externa, 
der  dritte  600,  der  vierte  400,  der  fünfte  300.       Erlang.  1881;  Zielinski,  Gliederung  der  alt- 

•■')  Schol.    Arist.  Ran.  367,    Eccles.  102.       attischen  Komödie,  Leipz.  1885. 
Über    diese    Didaskalien    die    erste    Haupt- 


C.  Drama.    1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  132.)  171 

Damals  also  eröffnete^)  und  schloss  der  Chor  das  Spiel;  aus  seiner  Stellung 
in  jener  Zeit  erklärt  es  sich,  dass  auch  später  noch  beim  Beginn  des 
Spiels  der  Herold  den  Dichter  oder  Choregen  aufforderte,  den  Chor  herein- 
zuführen. 2)  Das  Lied,  mit  dem  der  Chor  von  dem  Seitenzugang  {rtaQoSog) 
in  die  Orchestra  einzog,  hiess  Parodos,^)  das,  mit  dem  er  die  Bühne  am 
Schlüsse  verliess,  Ex 0 dos;  zog  er  während  des  Stückes  nach  zeitweiliger 
Entfernung  zum  zweitenmal  in  die  Orchestra  ein,  wie  im  Aias,  so  hiess 
dieser  zweite  Einzug  sowie  das  begleitende  Lied  Epiparodos.  Die  Marsch- 
bewegung erheischte  ein  entsprechendes  Metrum;  dazu  eignete  sich  in  der 
feierlichen  Tragödie  zumeist  der  Anapäst,  in  der  ausgelassenen  Komödie 
der  Trochäus  oder  lambus.  Bei  der  grösseren  Raschheit  des  Aufbruchs 
erschien  auch  für  die  Tragödie  in  der  Exodos  der  trochäische  Tetrameter 
nicht  unpassend.  Diese  Rhythmen  eigneten  sich  mehr  zum  recitierenden 
Vortrag  {TTaQaxaraXoyrj)  als  zum  vollen  Gesang,  weshalb  auch  die  Parodos 
von  Aristoteles  als  ^e'^ig,  nicht  als  f^iskog  bezeichnet  wird.  Aber  bei  blossen 
Einzugsversen  blieb  es  nicht;  es  reihten  sich  daran  noch  andere  Gesänge, 
welche  der  Chor,  nachdem  er  bereits  auf  der  Thymele  Platz  genommen 
hatte,  vortrug.  Es  kam  auch  der  Fall  vor,  dass  der  Chor  stumm  während 
der  Reden  der  Schauspieler  in  die  Orchestra  einzog  oder  dass  der  Gesang 
sich  zu  einem  Wechselgesang  zwischen  dem  Chor  und  den  Personen  der 
Bühne  gestaltete.  Aber  immer  verblieb  dem  ganzen  ersten,  beziehungs- 
weise dem  ganzen  letzten  Gesang  der  Name  Parodos  oder  Exodos. '')  Bei 
der  Exodos  nahmen  sogar  mit  der  Zeit  die  Schauspielerpartien  einen  solchen 
Umfang  an,  dass  Aristoteles  die  Exodos  unter  den  scenischen,  nicht  den 
chorischen  Partien  aufführt.  Die  mittleren  Chorlieder,  welche  die  Dialog- 
partien unterbrachen  und  in  der  Regel  bei  leerer  Bühne  vorgetragen  wur- 
den, hiessen  in  der  Tragödie  Stasima,  d.  i.  Stehlieder,  im  Gegensatz  zu 
den  Marschanapästen. 5)  Solche  Stehlieder  zwischen  dem  Abtreten  und 
Wiederauftreten  der  Schauspieler  sind  auch  der  Komödie  nicht  ganz  fremd, 
doch  haben  sie  hier  keine  gleich  ausgebildete,  regelmässige  Stellung  gehabt.^) 


^)  So  noch  in  Aescli.  Suppl.  Pers.  und 
in  den  Boukoloi  des  Kratinos,  die  mit  einem 
Dithyrambus  anfingen. 

^)  Arist.  Ach.  10:  6  ö'^  uveItiev  *  EXoay'' 
fc>  Seoyvi,  TOP  x^Q^^-  dreier  gebraucht  ist 
TTQosiaccysip  vom  Schauspieler  bei  Aristot. 
polit.  VII,  17  p.  1336'^  29. 

^)  Aristoteles  definiert:  /oqixov  naQodog 
jxev  7]  nQcSrr]  Xi^ig  0X7]  (oXov  cod.)  /oqov. 
Aus  der  falschen  Lesart  oXov  entwickelte  sich 
die  falsche,  schon  bei  Plutarch,  an  scni  p. 
785  a  vertretene  Meinung,  dass  in  Soph. 
Oed.  Col.  das  Loblied  auf  Athen  (668—719). 
das  erste,  welches  der  Gesamtchor  singt, 
als  die  Parodos  angesehen  werden  müsse. 
Im  übrigen  stimme  ich  ganz  L.  Schmidt, 
Rh.  M.  28,  286—91  u.  Ind.  Marb.  1889  bei, 
der  den  vorwitzigen  Fragen  neuerer  Ge- 
lehrten, welche  Verse  in  den  einzelnen  Dra- 
men nach  des  Aristoteles  Definition  sei  es 
der  Parodos,  sei  es  den  Stasima  zuzuweisen 


der  Terminologie  das  nachklassische  Zeit- 
alter angehen,  und  dass  leicht  Aristoteles 
mit  dem  ersten  Versuch  einer  Feststellung 
der  Terminologie  nicht  alle  Fälle  der  Praxis 
getroffen  habe. 

^)  Daher  Arist.  Poet.  12:  naQo^og  /uer 
Tj  nQMTf]  ?.€^Lg  oh].  So  hat  in  Aesch.  Agam. 
die  Parodos  3  Teile:  anapästisches  Einzugs- 
lied (40-103),  daktylische  Perikope  aus 
Strophe,  Antistrophe,  Epode  (104 — 169),  tro- 
chäische Strophenpaare  (170—269). 

^)  Daher  Arist.  a.  0.:  oiclaifxoi'  tfe  fxt- 
log  /oQov  To  ilvEv  uvuncüorov  xal  TQO/ciLov. 
Der  Ausdruck  oidoifxou  scheint  mit  dem 
technischen  Ausdruck  fabula  stataria  im 
Gegensatz  zu  fahula  motoria  zusammenzu- 
hängen, indem  auch  die  Stasima  dem  Drama 
einen  ruhigen,  die  Hyporchemata  einen  be- 
wegten Charakter  gaben.  Hingegen  deutet 
Hermann,  Epit.  doctr.  metr.  §  665  das  Wort 
de  choro  tenente  stationes  suas. 


seien,  den  Satz  entgegenhält,  dass  die  Fragen  *■')  Zielinski   a.    0.    nimmt,    zumal    Ari- 

der tragischen  Technik   das  klassische,  die   |   stotcles  jene  Teile  speziell  bei  der  Tragödie 


172 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Eine  besondere  Klasse  dieser  Zwischengesänge  bilden  die  Hyporchemata,^) 
bei  denen  der  Chor  in  jubelnder  Stimmung  den  Fuss  zum  Tanze  hob,  wie 
in  Soph.  Aias  693  ff.  und  Arist.  Lysistr.  1247  ff.  Welche  Ausdehnung  dieser 
Tanz  hatte  und  inwieweit  auch  mit  dem  Vortrag  der  übrigen  Chorgesänge 
eine  Bewegung  verbunden  war,  ist  schwer  zu  sagen.  Unterschieden  wurden 
3  Arten  dramatischen  Tanzes,  die  feierliche  Emmeleia  der  Tragödie,  der 
lascive  Kordax  der  Komödie  und  die  hüpfende  Sikinnis  des  Satyrdramas.-)  | 
Ausser  den  genannten  Chorliedern,  welche  allen  Arten  des  Dramas  gemein-  =• 
sam  sind,  hat  die  Tragödie  und  Komödie  noch  einige  spezielle.  In  der 
Komödie,  in  welcher  der  Chor  auch  durch  Zwischenlieder  weit  öfter  in  den 
Gang  der  Handlung  eingriff,  war  ein  Hauptchorgesang  die  Parabase, 
eigentlich  ein  ganzes  Zwischenspiel,  das  der  Chor  den  Zuschauern  zugekehrt 
aufführte  und  das,  wenn  die  Parabase  vollständig  war,  sich  in  7,  teils 
gesungene,  teils  gesprochene  Teile  [xofiiuiccTiov,  nagäßaaig  i]  ävanaiaToi^ 
liaxQov  rj  TivTyog,  (p^rj,  iniQQrßia,  avTcoörj^  avT£7riQQrjf.ia)  gliederte.^)  Der 
Tragödie  speziell  eigen  w^aren  die  Klagegesänge,  xof.iiJ.oi  genannt,  weil 
sich  die  Klagenden  dabei  ehedem  in  lebhafter  Erregung  die  Brust  zer- 
schlugen; sie  wurden  nicht  vom  Gesamtchor,  sondern  von  einzelnen  Cho- 
reuten oder  einzelnen  Abteilungen  des  Chors  und  einer  oder  der  anderen 
Person  der  Bühne  abwechselnd  gesungen  {futlrj  aiiioißaia).^)  Überhaupt 
aber  war  der  Chor  durchaus  nicht  immer  als  geschlossenes  Ganze  thätig; 
vielmehr  entwickelte  er  ein  lebhaftes,  wechselreiches  Leben  dadurch,  dass 
er  bald  in  seiner  Gesamtheit  als  militärisch  geordnete  Rotte  (^o/og)  auf- 
trat, bald  sich  in  Einzelchoreuten  auflöste  (aTTOQäSrjv),  bald  in  2  Reihen 
sich  gegenüberstellte  {dvTiTtQÖaomoi),  bald  reihenweise  sang,  bald  durch 
seine  Führer  {xoQV(faTog  oder  riyeiiövsg  tcov  r]iii%oQi(x)v)  sich  vertreten  liess.^) 
133.  Die  scenischen  Partien,  die  Gespräche  der  Bühne  oder  der  Schau- 
spieler, sind  der  Prolog  und  die  Epeisodia.  Der  Prolog,  oder  diejenige 
Partie,  welche  dem  ersten  Auftreten  des  Chors  voranging,  fehlte,  wie  be- 
reits bemerkt,  in  den  ältesten  Stücken  ganz,  später  hat  er  bei  den  verschie- 
denen Dichtern  verschiedene  Gestalt  angenommen.  Der  Name  Epeisodion 
bezeichnete  zur  Zeit,  als  es  noch  keinen  Prolog  gab,  das  erste  Zwiegespräch 
der  Schauspieler,  indem  dabei  zu  dem  Chor,  der  zuvor  schon  eingezogen 
war,  nun  auch  die  Schauspieler  in  das  Theater  eintraten  {sTisiafieaav)-^  des 
weiteren  hiessen  so  dann  auch  die  übrigen  Dialogpartien  zwischen  den 
einzelnen  Stehliedern,  in  denen  die  Schauspieler,  welche  in  der  Regel  wäh- 


aufzählt,  eine  schärfere  Scheidung  von  Tra- 
gödie und  Komödie  an,  indem  er  jener  die 
episodische,  dieser  die  epirrhematische  Kom- 
position zuweist. 

^)  Eukleides  bei  Tzetzes  de  trag.  115. 
Aristoteles  hat  das  vnoqy^ijfxa  offenbar  wegen 
seines  seltneren  Vorkommens  ganz  über- 
gangen. Die  getanzten  Chorgesänge  gingen 
aus  der  älteren  Form  der  Tragödie  hervor, 
in  welcher  nach  Arist.  Poet.  c.  4  und  Ath. 
p.  22  a  der  Tanz  eine  grössere  Rolle  spielte, 

■')  Bekker,  An.  gr.  p.  101;  Poli.  IV,  99. 
Vgl.  H.  BüCHHOLTZ,  Die  Tanzkunst  des  Eu- 
lipides,    Leipz.    1871;    Chr.    Kirchhoff,  Die 


orchestische  Eurythmie  der  Griechen,  Al- 
tena 1873. 

■')  KoLSTER,  De  2)arahasi  1829;  Agthe, 
Die  Parabase,  Altona  1866;  Christ,  Metrik'^ 
§  734  ff. 

4)  Arist.  Poet.  12:  xofxfxog  &i  &Qrjvog 
y.oivog  /oQov  xcd   dno  axijyfjg. 

^)  S.  obenS.  169  An.  2.  Leider  sind  diese 
Unterabteilungen  des  Chors  in  unseren  Hand- 
schriften und  Scholien  selten  angemerkt  und 
sind  wir  fast  lediglich  auf  Kombinationen 
angewiesen,  in  denen  sich  besonders  G.  Her- 
mann in  seinen  Ausgaben  versuchte. 


C.  Drama.    1.  Anfänge  und  äussere  Verhältnisse.  (§  133)  —  2.  Die  Tragödie.  (§  134.)  173 

rend  des  Chorgesaiigs  abwesend  waren,  von  neuem  auf  die  Bühne  traten. 
Man  ersieht  leicht,  wie  sich  daraus  die  später  bei  den  Römern  und  bei 
uns  übliche  Einteilung  in  Akte  {actus)  entwickeln  konnte;^)  dieselbe  ver- 
drängte die  alte  Gliederung  des  Dramas  in  Prolog,  Parodos,  Epeisodia, 
Stasima,  Exodos,  nachdem  der  Chor  und  damit  auch  die  alten  Chorlieder 
in  Wegfall  gekommen  waren.  Prolog  und  Epeisodien  wurden  einfach  ge- 
sprochen, wozu  das  herrschende  Versmass  des  Dialoges,  der  iambische  Tri- 
meter,  trefflich  passte.^)  Aber  auch  das  Recitativ  der  Vorsänger  des  Dithy- 
rambus lebte  teilweise  im  Drama  wieder  auf.  Dasselbe  hatte  zunächst 
seine  Stelle  in  der  Exodos  und  den  Kommoi,  welche  abwechselnd  von  den 
Schauspielern  und  dem  Chorführer  vorgetragen  wurden;  dasselbe  erhielt  sicli 
aber  auch  in  den  Tetrametern,  welche,  häufig  namentlich  bei  Aristophanes, 
auf  Strophe  und  Antistrophe  folgten  und  durch  ihren  symmetrischen  Bau 
sich  über  die  Stufe  der  einfach  gesprochenen  Trimeter  erheben.^)  Endlich 
fehlte  auf  der  Bühne  auch  nicht  der  förmliche  Gesang;  er  machte  sich  in 
den  Einzelgesängen  {inovoiSiai)  und  Duetten  der  Schauspieler  {rd  dno 
(Txrjvrjg  seil,  lislrj)  breit,  welche  in  der  jüngeren  Tragödie  in  demselben  Grade 
zunahmen,  in  dem  die  schlichte  Weise  des  alten  Chorgesangs  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  ward,  so  dass  sie  schliesslich  bei  Plautus  und  in  dem 
römischen  Drama  den  einzigen  Rest  des  Gesangs  im  Theater  [Cantica) 
ausmachten. 

2.  Die  Tragödie/) 

I  a.  Die  Anfänge  der  Trag'ödie  bis  auf  Aischylos.^) 

134.    Nach  Aristoteles,  Poet.  4  ist  die  Tragödie  von  den  Vorsängern 
des  Dithyrambus  {dno   tcov   s'^aQxövTcov  xov  diOvqaixßov)  ausgegangen   und 


^)  Westphal,  Prolegomena  zu  Aischylos 
S.  188  fr. 

^)  Dem  iambischen  Trimeter  ging  zur 
Zeit,  als  das  Drama  noch  mehr  den  Charakter 
einer  Tanzaufführung  hatte,  der  trochäische 
Tetrameter  voraus;  s.  Arist.  Poet.  4:  to 
fxiiqov  FX  TFTQafxtTQov  iafxßsTop  sytvexo  •  to 
fxev  yc<Q  TiQixixov  rszQaf^erQio  e/Qwi^ro  cTt«  ro 
GcavQLxijf  y.al  6QX^]Gziy.Mxiqav  Bivca  riju 
nobjGiy.  Mehrere  Gelehrte,  namentlich  West- 
phal, nehmen  gestützt  auf  Flut,  de  mus.  28 
teilweises  Recitativ  der  Trimeter  bis  in  die 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  an. 

^)  Sehr  weit  gehen  in  der  Annahme 
symmetrischen  Baues  der  Dialogpartien,  auch 
der  iambischen  Trimeter  Prien  und  Oeri, 
denen  gegenüber  ich  meine  beschränkenden 
Thesen  in  der  Philologenversammlung  zu 
Wiesbaden  im  J.  1877  (Vrhdl.  S.  141-161) 
aufstellte. 

*)  Im  Altertum  schrieben:  Asklepiades 
Tragilensis,  ein  Schüler  des  Isokrates,  Tq(4- 
yio^ovfXBPa  d.  i.  von  den  Mythen  der  Tragödie 
(fragm,  coli.  Werfer  in  Acta  phil.  Mon.  U, 
4);  Duris  der  Historiker  und  Istros  aus  Kal- 
latis  TTfrn  T()«y(odL«g  (s.  Ad.  Trendelenburg, 


Gvammaiicormn  graec.  de  arte  trag,  iudicid, 
Bonn  1867);  Herakleides  Pont.  nsQi  nur 
XQioJy  TQCiyiüd'onoudp  (Diog.  V,  88).  Der 
letztere  und  der  Peripatetiker  Dikäarch 
handelten  auch  von  dem  Inhalt  {x6(pc<ha(() 
der  Tragödien,  speziell  des  Sophokles  und 
Euripides  (Ath.  134^  und  Sext.  Emp.  3,  3), 
worauf  die  vnod^sGsig  {argumenta)  des  Aristo- 
phanes von  Byzanz  basierten,  von  denen  uns 
noch  Reste  in  den  Schollen  erhalten  sind 
(s.  ScHNEiDEWiN,  De  liypothesibus  trag.  gr. 
Aristopliani  Byzantio  vindicandis,  Abhdl. 
d.  Gott.  Ges.  VI,  3-37).  —  Neuere  Werke: 
Welcker,  Die  griech.  Tragödien  mit  Rück- 
sicht auf  den  epischen  Cyklus  geordnet, 
Bonn  1839,  3  Bde.  (Hauptwerk);  Boeckh, 
De  tragoediae  graecae  principibus,  Heidelb. 
1808;  W.  K.  Kayser,  Historia  critica  trqgi- 
corum  graecorum,  Gott.  1845;  Patin,  Etu- 
des  sur  les  tragiques  grecs,  6.  ed.  Paris  1884, 
ästhetische  Analysen  mit  geistreichen  Seiten- 
blicken auf  das  moderne  Drama.  —  Frag- 
mentensammlungen der  Poetae  traqici  (jr. 
von  Fr.  W.  Wagner,  Bresl.  1844—52'  3  Bde., 
und  von  Nauck,  2.   Aufl.,  Lips.  1889. 

^)  Bentley,  De   origine  tragoediae,   in 


174  Crriechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

zuerst  im  Peloponnes  aufgekommen.  Beide  Angaben  hängen  zusammen. 
Denn  in  Korinth  hatte  Arion  den  ersten  dithyrambischen  Chor  aufgestellt, 
und  in  Sikyon  wurden  nach  der  bekannten  Nachricht  des  Herodot  schon 
vor  dem  Tyrannen  Kleisthenes  tragische  Chöre  aufgeführt,  welche  anfangs 
die  Leiden  des  Gottes  Dionysos,  später  auch  die  tragischen  Geschicke  des 
Helden  Adrastos  zum  Gegenstand  hatten.^)  Sikyon  war  auch  die  Heimat 
des  mythischen  Dichters  Epigenes,  der  in  seinen  Dichtungen  den  engen 
Kreis  der  Dionysosmythen  überschritten  und  dadurch  das  Sprichwort  ovdtv 
nqog  Jiövvaov  hervorgerufen  haben  soll.'^)  Dass  auch  in  Phlius  derartige 
chorische  Aufführungen  bestanden,  dafür  zeugt  der  Dichter  Pratinas  aus 
Phlius,  der  von  seiner  Heimat  das  Satyrdrama  nach  Athen  brachte.  Da 
so  in  dem  Dithyrambus  die  Wurzel  der  Tragödie  erblickt  wurde,  so  ward 
Arion  von  Suidas  Erfinder  der  tragischen  Art  {rQccyixov  tqottov  svQSTr^g) 
genannt  und  von  Tzetzes  geradezu  in  den  Anfang  der  Reihe  der  Tragiker 
gestellt.^)  Von  den  Führern  der  Dithyrambenchöre  aber  leitet  Aristoteles 
die  Tragödie  ab,  weil  ihm  die  Dialogpartien  als  die  Hauptsache  des  Dramas 
erschienen,  die  Rollen  der  Schauspieler  aber  aus  denen  der  Chorführer 
gleichsam  herausgewachsen  waren.  Solche  Vortänzer  {e'^ccQxoi)  und  zwar 
zwei  treffen  wir  neben  dem  Chor  schon  bei  Homer  J^  606  und  S  19;  gewiss 
haben  dieselben  auch  in  den  Epithalamien  der  Sappho  und  den  Parthenien 
Alkmans'eine  Rolle  gespielt.  In  der  Natur  der  Sache  lag  es,  dass  ihre 
Worte  in  ein  anderes,  dem  Einzelvortrag  besser  angepasstes  Metrum  ge- 
kleidet wurden  "^j  und  auch  inhaltlich  in  Gegensatz  zum  Gesang  des  Gesamt- 
chors traten.  Denn  dem  Führer  kam  es  zu,  den  Chor  zum  Gesang  oder 
Tanz  aufzufordern  und  demselben  in  erzählender  Rede  den  Anlass  zur  Klage 
oder  Ekstase  darzulegen.  Stellte  nun  der  Chor  irgend  eine  Handlung,  wie 
im  Mythus  des  Pentheus  die  Verwunderung  über  das  Erscheinen  des  Gottes, 
die  Verfolgung  des  Gegners,  die  Klage  über  den  Tod  des  Gefallenen  mit 
mimischem  Gesang  und  Tanz  dar,  so  bedurfte  es  nur  noch  der  Anreden  des 
Koryphaios  und  des  Gegenübertretens  zweier  Halbchöre  mit  ihren  Führern, 
und  das  dramatische  Spiel  war  da. 


Opusc.  276  ff.;  Hiller,  Rh.  M.  39,  321  fF.; 
Nietzsche,  Die  Geburt  der  Tragödie  aus  dem 
Geiste  der  Musik,  Leipz.  1872. 

^)  Her.  V,  67:  ol  ^^ixvwvioi  iii^ucoi^  xov 
' Adqriaxov  xcd  ^rj  TTQog  rd  ncix^sa  avrov  tqk- 
yixoTac  ^oqoTgl  eyeQuiQov.  Von  Arion  be- 
richtet Suidas:  acavQovg  eVf/xf/V  tfXfxsxQa 
)JyovTaq. 

2j  Zenob.  V,  4;  Suidas  u.  Phot.  s.  h.  v. 
Das  Sprichwort  wird  indes  weder  von  Strabon 
p.  381  noch  von  Plut.  Symp.  T,  1  speziell 
auf  Epigenes  gedeutet;  umgekehrt  deutet  es 
der  letztere  auf  die  Neuerungen  des  Phry- 
nichos  und  Aischylos.  Von  Epigenes  datiert 
Suidas  u.  Otanig  den  Beginn  der  Tragödie. 
Die  Sikyonier  nennt  Erfinder  der  Tragödie 
Themistios  or.  XXVH,  p.  406  Dind. 


&s  ©ianig  eV«  vnoxQnrjv  eisvQSv.  Ath.  630  c: 
Gvpsairjxs  <^e  xcd  acnvQixrj  nciaa  nolrjaLg  jo 
TjaXciidv  ix  /OQMV  log  xcd  t)  rore  tQccyojdicf. 
BöCKH,  Staatsh.  d.  Athener  11  \  361  ff.,  hat 
daraus  die  vielberufene  lyrische  Tragödie 
gemacht,  welche  Anschauung  seinerseits  G. 
Hermann,  De  tragoedia  comoediaque  lyrica,  ■ 
1836  (==  Opusc.  VIT,  211-240)  als  leeres  1 
Phantom  bekämpfte.  Den  Gedanken  Böckh's  ' 
nahm  in  unseren  Tagen  wieder  Lübbert, 
De  Pindari  carminibus  dramaticis,  Bonn. 
Ind.  1884/5  auf,  wo  mit  freier  Phantasie  de- 
finiert wird:  ^Qccfxcaa  TQccyixcK  carmina  sunt 
argumenti  heroici,  in  quibus  Bacclii  loco 
heroes  prodibant,  qui  pro  genere  humano 
propugnantes  forhmae  tela  et  ictus  intrc- 
pido  p)ectore  exciperent 


2)  Tzetzes  Proleg.  in  Lycophr.;  vgl.  Diog.  ^)  Zuerst  trochäische  Tetrameter,    dann 

HI,  56:  To  Tjcdcaov  iv  jfi  TQCiyM^iic  nQÖxeQou   '    iambische    Trimeter    nach    Arist.    Poet.    4, 
^ev    ^ovog    o    /o^;oV    disÖQcttichiCey;  vdTSOoy    I    Rhet.  Ill;    1. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie.  (§  135-136.) 


175 


135.  Jene  unbedeutenden  Vorspiele  im  Peloponnes  wurden  bald  in 
Schatten  gestellt  durch  die  entwickelteren  Formen,  welche  die  neue  Kunst 
in  Attika  annahm.  Hier  war  es  das  rebenreiche  Dorf  Ikaria,  in  dem  zuerst 
mit  dem  Dienste  des  Weingottes  zugleich  auch  das  dramatische  Spiel,  das 
der  Komödie  wie  der  Tragödie,  erblühte. 0  Aus  Ikaria  stammte  Thespis, 
der  mit  Umgehung  des  oben  genannten  Epigenes  als  der  eigentliche  Er- 
finder der  Tragödie  bezeichnet  wurde.  2)  Von  dort  wurde  unter  dem  kunst- 
sinnigen Regiment  der  Peisistratiden  die  Tragödie  nach  der  Stadt  ver- 
pflanzt; im  Jahre  536  führte  daselbst  Thespis  die  erste  Tragödie  auf;  für 
das  Jahr  508,  nach  Verjagung  der  Tyrannen,  ist  uns  die  Übernahme  der 
Chorleistung  durch  Bürger  bezeugt.^)  Wie  die  Tragödie  in  jener  ältesten 
Zeit  beschaffen  war  und  worin  sich  die  altattische  von  der  peloponnesischen 
unterschied,  darüber  lässt  sich  nichts  bestimmtes  aufstellen  und  davon  hatte 
selbst  Aristoteles  keine  klare  Vorstellung  mehr.  Es  werden  uns  zwar  von 
Suidas  mehrere  Titel  von  Tragödien  des  Thespis  überliefert:  'ÄS^Xa  IlsXiov 
Tj  (IfoQßag,  IsQsig,  ^Hi^soi,  Usv^evg,  aber  dass  Thespis  schriftlich  abgefasste 
Tragödien  hinterlassen  habe,  ist  sehr  fragwürdig;  wahrscheinlich  waren  jene 
Stücke  junge  Fälschungen,  welche  Herakleides  Pontikos  dem  Ahnherrn  der 
Tragödie  untergeschoben  hatte.*)  Eher  darf  man  aus  den  Angaben  des 
Diogenes-'*)  abnehmen,  dass  bei  Thespis  schon  der  Schauspieler  aus  der  Rolle 
eines  blossen  Chorführers  zur  selbständigen  Stellung  einer  ausserhalb  des 
Chors  stehenden  Person  herausgetreten  sei  und  davon,  dass  er  auf  die 
Fragen  des  Chorführers  antwortete  (vTiexQivsTo),  den  Namen  vTroxQiirjg  er- 
halten habe.^)  Aber  was  Horaz  a.  p.  276  von  dem  Wagen  fabelt,  mit  dem 
Thespis  seine  Tragödien  herumgefahren  habe,  beruht  auf  Verwechselung 
der  Tragödie  mit  den  Spottreden  der  vom  Wagen  herab  die  Leute  necken- 
den Festschwärme  {axco/nfiaTa  €'§  «/xa^/;c),  und  was  der  späte  Rhetor  The- 
mistios  or.  XXVI  p.  382  Dind.  von  der  Erfindung  des  nQÖloyog  und  der 
^r^cig  durch  Thespis  berichtet,  ist  mit  freier  Phantasie  aus  den  Andeutungen 
des  Aristoteles  Poet.  4  herausgelesen. 

136.  Ausser  Thespis  werden  noch  als  älteste  Tragödiendichter  und 
Vorgänger   des  Aischylos   genannt:    Choirilos,   Pratinas,    Phrynichos.     Von 


^)  Ath.  40b:  dnö  fisd^rjg  y.al  rj  rrjg  xco- 
fiM&lag  y,al  t)  rrjg  TQayiü&Ucg  svQsaig  kv  'ixa- 
Qia  jrjg  'Aixixtjg. 

'^)  Plato  Min.  321a;  Dioscorides  Anth. 
yil,  410u.  411;  Horaz  a.  p.  275,  deren  An- 
sicht Bentley  a.  0.  verfocht.  Dagegen 
nennt  Suidas  den  Thespis  den  16.  oder  2, 
Tragiker  nach  Epigenes. 

•')  Marm.  Par.  58  (nach  sicherer  Ver- 
besserung), u.  61. 

*)  Diog.  V,  92:  cp7]al  J"  ^AQiazö'^evog  6 
fxovGixdg  xai  TQCcyw&lag  'ÜQux'küi^rjV  Hovtixov 
nois7v  xai  BeoTiidog  eniyQdcpeiv.  Bentley 
a.  0.  287  bezieht  darauf  die  citierten  Titel 
und  erhaltenen  Fragmente.  Daub,  De  Suidae 
hiogr.,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XII,  412  zeigt, 
dass  jene  untergeschobenen  Stücke  nicht  in 
den  Katalogen  der  Alexandriner   stunden. 


^)  Diog.  111,  56:    eV    rrj    tgayco^la  iiqö 
TSQoy  fÄ6i^  ^ovog  6  /oQog  i^te^Qtcfxchi^Ev,  va- 
rsQov    di    Geanig     Hva     vttoxqli'^v    s^evQSv. 
Vgl.  Pollux  IV,  123. 

6)  So  deutete  eben  Pollux  IV,  123  das 
Wort  vTToxQiztjg,  und  so  gebraucht  das  Ver- 
bum  vnoxQivofiai,  synonym  mit  uTJoxQLvofxai, 
Homer  //  407,  M  228,  o  170.  Vgl.  Apoll. 
Soph.  lex.  p.  160 B.,  Hesychius  u.  vnoxQivono 
und  G.  CuKTius,  Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  W. 
1866,  S.  148  u.  Rh.  M.  23,  255  ff.  Ob  diese 
Deutung  des  Wortes  richtig  sei  und  ob  nicht 
vnoxQnt'jg  vielmehr  denjenigen,  der  die  Worte 
eines  Anderen,  des  Dichters,  wiedergab,  be- 
deutete, ist  freilich  eine  strittige  Frage, 
worüber  Sommerbrodt,  Rh,  M.  22,  513  ff. 
u.  30.  456  ff. 


176  Öriechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

diesen  hat  Pratinas,  der  aus  Phlius  im  Peloponnes  stammte,  das  Satyr- 
spiel in  Athen  eingebürgert.  Suidas  legt  ihm  50  Dramen,  darunter  32 
Satyrspiele  bei;  ausserdem  hat  sich  von  ihm  ein  hübsches  Hyporchem  er- 
halten, dessen  rasche  und  wechselnde  Rhythmen  uns  die  lustigen  Bocks- 
sprünge seiner  Satyrn  erraten  lassen.  In  des  Vaters  Fusstapfen  trat  sein 
Sohn  Aristias;  eines  von  dessen  Satyrdramen  hatte  den  Titel  Kvxko)il>, 
behandelte  also  den  gleichen  Stoff  wie  das  einzige  uns  erhaltene  Satyr- 
drama des  Euripides. 

Der  bedeutendste  unter  den  älteren  Tragikern  scheint  Phrynichos, 
der  Sohn  des  Polyphradmon,  gewesen  zu  sein;  er  hat  nach  Suidas  zuerst 
weibliche  Personen  auf  die  Bühne  gebracht  und  mit  Vorliebe  trochäische 
Tetrameter  in  seinen  Tragödien  gebraucht,  i)  Teils  durch  Suidas,  teils  durch 
andere  kennen  wir  noch  9  oder  10  Tragödientitel,  AlyvitTioi,  ^Axtaicov, 
A^-xr^arig,  'AvTOiog  rj  A'i'ßveg^  Jixaioi  [tj  IltQaai  rj  ^vvd^Mxoi]^'^)  Javäidsg,  Mi- 
Xr^Tov  aXwcng,  UXsvQwviai^  TärraXog,  (J)oiviaaai.^)  Am  berühmtesten  davon 
waren  die  Q>o(viaaai^  welche  Themistokles  im  J.  476  mit  besonderem  Glänze 
in  Scene  setzte*)  und  bald  nachher  Aischylos  in  seinen  Persern  nachahmte. 
Politischen  Inhaltes  war  auch  das  Stück  MiXtjtov  alcoaig,  berühmt  geworden 
durch  die  Nachricht  des  Herodot,  dass  die  Athener,  welche  durch  das 
Drama  an  eine  dunkle  Partie  ihrer  Politik  erinnert  wurden,  den  Dichter 
mit  einer  Geldbusse  bestraften  und  für  die  Zukunft  derartige  politische 
Tragödien  sich  verbaten.'')  Auch  Phrynichos  hinterliess  wie  all  die 
grossen  Tragiker  einen  Sohn,  Polyphradmon,  als  Erben  seiner  Kunst ;^) 
derselbe  trat  mit  einer  Trilogie  Lykurgeia  gegen  die  Sieben  des  Aischylos 
in  Wettstreit. 

Choirilos  hat  auf  die  Aufstellung  und  die  Bewegungen  des  Chors 
der  älteren  Zeit  wesentlichen  Einfluss  geübt,  so  dass  Sophokles  gegen  ihn 
und  Thespis  seine  Streitschrift  über  den  Chor  richtete.  Auch  die  Erfindung 
der  Masken  und  prachtvollen  Gewänder  legten  nach  Suidas  einige  dem 
Choirilos  bei.  Aber  Bedenken  erregt  die  Angabe  des  Lexikographen  von 
160  Dramen  und  13  Siegen.'^) 


^j  Die  Angabe  des  Suidas  svQsrijg  xov 
TeiQccfiSTQov  eyivero  ist  insofern  schief,  als 
nach  Arist.  Poet.  4  der  Tetrameter  das 
alte  Metrum  des  tragischen  Spieles  überhaupt 
war. 

2)  Jixuioi  scheint  aus  JaMxcu,  dem 
Namen  eines  persischen  Volksstammes,  ver- 
derbt zu  sein;  ferner  scheinen  Ivvx^coxoi,  oder 
UtQaai  und  Zvvd^oixoi  Doppeltitel  der  ^o'lvig- 
am  gewesen  zu  sein. 

^)  Suidas  erwähnt  noch  einen  zweiten 
Tragiker  Phrynichos,  den  Sohn  des  Melan- 
thas,  dem  er  eine  Andromeda  und  Erigone 
beilegt;  beide  identifiziert  Weloker,  Gr.  Tr. 
I,  19  unter  Missbrauch  des  interpolierten 
Scholion   zu  Arist.  Vesp.  1481. 

'^)  Flut.  Them.  5:  ii/lxi]a6  dt  xcu  /oqtj- 
yojp  TQaycpö'oTg,  /nsyuhjp  rjdr]  rors  anovdrjv 
X(d  cpilorifxlav  tov  dyojyog   €/oyrog   xal  ni- 


i^ovra  '  Qe^iöxoxlfjg  ^QEÜQQioq  i/OQTJyti, 
4>QVPixog  iMdaaxsv,  ^Adslfu,avrog  i]QX€i^.  Der 
Name  des  Stückes  ist  nicht  genannt;  dass 
es  die  Phoinissai  waren,  ist  eine  wahrschein- 
liche Vermutung  von  Bentley. 

^)  Herod.  6,  21 :  'J0-7]ycaoi  dijXoy  inolij- 
acif  vnsQCix^sod^EVTEg  t>j  Mi7,rjrov  ccXioasi  Tfj 
Tf  aX'Afj  TToXXa/fi  xcd  drj  xal  -noirjocwri  ^qv- 
VL/io  (J'Qafxa  MiXi^TOv  aliooiv  xcd  di&d^ui^ti, 
ig  ddxQvd  rs  ensffs  ro  d^eaiQov  xal  st,t]^'L(oadv 
fxiv  log  dvafxvriaavTa  oixfjia  xaxd  X'^^^fi^' 
ö'Qa/fxrjai  xal  enixa'^av  fxij&ei^a  /Qaax'hu 
roiTO)  TM  ö'Qd/xari.  Es  verschwand  so  all- 
mählich die  Politik  aus  der  Tragödie,  um 
später  in  der  Komödie  wieder  aufzutauchen. 

^)  Diese  Vererbung  der  Kunst  hing  z.  T. 
damit  zusammen,  dass  der  Sohn  Erbe  der 
Stücke  des  Vaters  wurde. 

Auf  seine  Berühmtheit  im  Satyrspiol 


raxa  rijg  rixi^g  di'sfhjxe  roiavTr^v  intyQacp^jy       geht  der  Vers  Ifi'ixa  fA£i^  ßaaiT^si'g  ijy  XoiQi?.og 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     b.  Aischylos.  (§  137.) 


177 


b.  Aischylos  (525— 456).  i) 

137.  Aischylos,  Sohn  des  Eiiphorion,  enstammte  einem  edlen  Ge- 
schlechte des  Gaues  Eleusis,  worauf  Aristophanes  in  den  Fröschen  886  den 
Dichter  selbst  mit  den  Worten  anspielen  lässt:  Jt^it^tsq  ry  d^Qtxpaaa  r/jv 
sjjirjv  (fQkva.  Geboren  wurde  derselbe  nach  der  parischen  Chronik  ^)  Ol. 
63,  4  =^  525/4,  nach  der  alten  Lebensbeschreibung  dagegen  Ol.  64,  4. 
Die  Jahre  des  heranreifenden  Mannesalters  unseres  Dichters  fielen  in  die 
grosse  Zeit  der  Perserkriege,  die  nicht  bloss  mit  hohen  Gedanken  des 
Dichters  Brust  schwellten,  sondern  an  denen  er  auch  selbst  mit  seinen 
Brüdern  in  den  Schlachten  von  Marathon,  Salamis  und  Platää  heldenmütigen 
Anteil  nahm.  Rühmend  ist  seiner  Tapferkeit  bei  Marathon  in  der  Auf- 
schrift seines  Grabdenkmals  gedacht:^) 

Äla^v^ov  Ev(fOQi(ovog  'A^rjvatov  tqSs  xsvd^si 

füvrjiJicc  xaTa(px^ifX€vov  nvQOiföqoio  Fskag, 
a^xijv  S'svSöxifxov  Maga^cüvwi'  ccXaoq  av  si'rcot 

xal  ßa^vxc<iT7]€ig  MrjSog  snio'Tccixsvog. 
Sein  Bruder  Kynegeiros  war  jener  Held,  der  bei  Marathon  mit  der  Hand 
ein  persisches  Schiff  zurückzuhalten  suchte  und  seinen  Mut  mit  dem  Tod 
besiegelte  (Herod.  VI,  114).  Auch  den  Ameinias,  der  sich  in  der  Schlacht 
von  Salamis  hervorthat,  geben  mehrere  für  einen  Bruder  des  Dichters  aus;*) 
da  aber  dieser  nach  Herodot  VHI,  84  aus  Pallene  stammte,  so  können  wir 
darin  nur  eine  unhistorische  Ausschmückung  der  Dichterlegende  erblicken.^) 
Über  die  Erziehung  des  Dichters  und  seine  Lehrer  fehlen  uns  nähere  Nach- 
richten. Im  eigenen  poetischen  Schaffen  versuchte  er  sich  frühe,  und  zwar 
wandte  er  sich  mit  fast  ausschliesslicher  Vorliebe^)  derjenigen  Dichtungs- 
gattung zu,  die  seinem  fürs  Hohe  und  Erhabene  angelegten  Geist  am  besten 
entsprach  und  die  damals  in  Athen  am  meisten  Pflege  und  Anklang  fand.  Die 
Dichtersage  Hess  den  Gott  Dionysos  selbst  dem  jungen  Aischylos,  als  er  die 
Trauben  hütete,  erscheinen  und  zum  Dichten  von  Tragödien  anfeuern.  Schon 
vor  seinem  30.  Lebensjahre  trat  er  Ol.  70  =  500/497  als  Mitbewerber  um 
den   tragischen    Kranz    mit    Pratinas    und    Choirilos    in    die    Schranken.'^) 


SV  IcnvQoig.  Über  einen  Wettstreit  des 
Choirilos  mit  Pratinas  und  Aischylos  und 
dem  dabei  erfolgten  Zusammensturz  des 
Brettergerüstes  in  der  70.  Olympiade  be- 
richtet Suidas  u.  Hqajivag. 

^)  Erhalten  ist  uns  aus  dem  Altertum 
ein  zum  Teil  auf  Chamaileons  Schrift  TteQL 
Aia^vlov  zurückgehender  Biog  Jia/vXov  und 
ein  Artikel  des  Suidas,  zusammengestellt  mit 
den  anderen  Zeugnissen  des  Altertums  von 
Fb.  Scholl  in  der  Ausg.  der  Sieben  von 
Ritschi.  Neuere  Bearbeitungen  der  Vita 
Aeschyli  von  Stanley  in  der  Ausgabe  des 
Dichters  (1663);  Che.  Petersen,  De  Aesch. 
rita  et  fabulis,  Kopenh.  1814;  Dahms,  De 
Aesch.  vita,  Berl.  1860;  Teuffel-Wecklein 
in  Ausg.  der  Perser  1886. 

'^)  Mit  der  Chronik  stimmt  nach  leichter 
Verbesserung  Suidas:  ^yioviCero  avrog  er  rr 


0  (0  cod.)  oXv/nniädt  haiv  wV  Tis' . 

3)  Ath.  627c;  Paus.  I,  14;  Vit.  Aesch. 
Nach  Eustratios  zu  Arist.  Eth.  Nie.  III,  2 
ward  er  verwundet  von  dem  Schlachtfeld 
weggetragen. 

4)  Diodor  XI,  27;  Aelian  V.  H.  V.  19; 
Aristodem  3;  Suidas  und  die  Vita. 

^)  G.  Hermann,  Op.  II,  166  hat  zuerst 
den  Irrtum  erkannt. 

^)  Ausser  Tragödien  dichtete  er  auch 
Elegien,  so  eine  auf  die  Gefallenen  von  Ma- 
rathon  im  Wettstreit  mit  Simonides;  auch 
zur  Dichtung  eines  Päan  war  er  durch  die 
Priester  von  Delphi  aufgefordert  worden 
nach  Porph.  de  abstin.   II,  18. 

^)  Suidas  u.  ügatipag.  Ob  aber  damals 
schon  ein  regelmässiger  Agon  bestand,  wird 
bestritten. 


Hai  (Ibnch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.    2.  Aufl. 


12 


178 


Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 


Den    ersten    Sieg  indes   errang   er   erst  im  J.  485,   als   er  bereits   im   40. 
Lebensjahre  stund.  ^) 

In  die  spätere  Lebenszeit  des  Dichters  fallen  seine  Reisen  nach  Sikilien. 
Wie  uns  die  bereits  erwähnte  Grabschrift  meldet,  starb  er  in  Sikilien  bei 
Gela  (456),  zwei  Jahre  nachdem  er  noch  einen  glänzenden  Erfolg  in  Athen 
mit  seiner  Orestie  davongetragen  hatte.  Aber  er  war  schon  zuvor  einmal, 
bald  nach  dem  Ausbruch  des  Ätna,  um  470,  einer  Einladung  des  Königs 
Hieron  nach  Syrakus  gefolgt,  bei  welcher  Gelegenheit  er  zur  Verherrlichung 
der  Neugründung  der  Stadt  Ätna  ein  Lokalstück  Ahvcctai  dichtete.  2)  Den 
Grund  seines  Weggangs  nach  Sikilien  sucht  das  Epigramm  Anth.  VII,  40 
in  einer  Missstimmung  über  die  Feindseligkeit  der  Bürger.  Die  Verstim- 
mung selbst  erklärten  die  einen  aus  der  Niederlage,  die  er  in  dem  Wett- 
streit mit  Simonides  um  die  schönste  Elegie  auf  die  Gefallenen  von  Marathon 
erlitt  (489),  die  anderen  aus  dem  Siege,  den  Sophokles  im  dramatischen 
Wettkampf  des  Jahres  468  über  ihn  errang,  2)  die  dritten  aus  dem  Prozess, 
den  ihm  die  Athener  wegen  Profanierung  der  Mysterien  angehängt  hatten. 
Die  beiden  ersten  Gründe  sind  aus  leicht  ersichtlichen,  chronologischen  An- 
ständen unzulässig;  sie  sind  von  Leuten  erdacht,  welche  die  Grössen  der 
Vergangenheit  nach  ihrer  eigenen  kleinlichen  Gesinnung  bemassen.  Denn 
wie  anders  der  selbstbewusste  Aischylos  über  solche  Niederlagen  dachte, 
zeigt  die  von  Athenaios  überlieferte  Anekdote,  wonach  er,  als  ihm  einmal  ^ 
die  Theaterrichter  den  Preis  aberkannten,  ruhig  sagte,  er  vertraue  der 
Zeit,  die  werde  schon  seinen  Tragödien  die  gebührende  Ehre  bringen.'') 
Einen  besseren  Boden  hat  der  dritte  Grund,  da  schon  ein  alter,  unver- 
dächtiger Zeuge,  Aristoteles,  in  der  Nikomachischen  Ethik  III,  1  von  jener 
Klage  spricht,^)  und  der  Kommentator  des  Aristoteles,  Eustratios,  zu  der  Stelle 
aus  Herakleides  Pontikos  des  weiteren  berichtet,  der  Dichter  habe  sich  bei  dem 
im  Theater  entstandenen  Tumult  zum  Altare  des  Dionysos  flüchten  müssen 
und  sei,  vor  Gericht  gestellt,  nur  dadurch,  dass  er  seine  Unkenntnis  der  Myste- 
rienlehre vorschützte,  freigesprochen  worden.^)    Aber  wenn  es  auch  seine 


^)  Ich  habe  das  früher  damit  in  Ver- 
bindung gebracht,  dass  überhaupt  erst  um 
diese  Zeit  tragische  Wettkämpfe  und  Preis- 
bewerbungen in  Athen  eingeführt  worden 
seien.  Dafür  schien  auch  zu  sprechen,  dass 
von  dem  Rivalen  unseres  Dichters,  von  Pra- 
tinas  nur  ein  einziger  Sieg  angeführt  wird. 
Aber  diese  Hypothese  ist  trotzdem  angesichts 
der  neu  aufgefundenen  Theaterurkunden, 
CIA.  II,  977,  nicht  zu  halten:  Oehmichen 
a.  0.  S.  161  hat  durch  geschickt  angestellte 
Berechnung  herausgefunden,  dass  vor  Ai- 
schylos mindestens  9  Namen  siegender  Tra- 
giker stunden. 

'^)  Der  Ausbruch  fand  479  nach  Mann. 
Par.,  475  nach  dem  verlässigeren  Zeugnis 
des  Thuc.  III,  116  statt.     Vergl.  Vit.  Aesch.: 

xziCopTog  inedeUaro  rag  Jlzvaiag,  oicoyi^o- 
fxsvog  ßiov  dyud^op  ToTg  avvoixil^ovGV  irjv 
Tiohv.  Unklar  ist,  warum  Pausanias  I,  2.  3 
den  Aischylos  mit  Simonides,  nicht  auch  mit 


Pindar  bei  Hieron  weilen  lässt.  Dass  Aisch. 
zwischen  471  u.  469  in  Syrakus  gewesen, 
habe  ich  nachgewiesen  Stzb.  d.  b.  Ak.  1888 
S.  371  ff. 

^)  Ausser  der  Vita  Plut.  Cim.  8. 

*)  Ath.  347  e:  ojiri^x^elg  ddixtog  nore,  cog 
QsocpQCiGTog  rj  XajuatXecDy  iy  ria  tieql  rj&ovrjg 
eXQtjxev,  eq)7]  /qopo)  rag  r^ayM^iag  civcni- 
^Evcii,  sidojg  otl  xo^ieTxca   xiqp  TiQoaTJxovaav 

^)  Ausser  Aristoteles  s.  Älian  V.  H,  V, 
19;  Clem.  Alex,  ström.  II  p.  387  und  Eustra- 
tios zu  Aristoteles.  Schon  Aristophanes  Ran. 
807  sagt  oilrs  yccQ  'J&rjvcäoioi  Gvpißaiv  'Aio- 
/vXog. 

*^)  Über  das  Stück  oder  die  Tetralogie, 
welche  einen  solchen  Tumult  erregte,  waren 
schon  die  Alten  auf  das  Raten  angewiesen. 
Eustratios  nennt,  auf  seinen  Gewährsmann 
Herakleides  Pontikos  gestützt,  unter  anderen 
die  Toxoiides  und  Hiereiai.  Spätere,  der  Ver- 
fasser der  Vita  und  Apsines  in  Rhet.  gr.  III, 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,    b.  Aischylos.  (§  138.) 


179 


Richtigkeit  mit  jenem  Prozess  wegen  Entweihung  der  Mysterien  hat,  so  ist  es 
doch  noch  sehr  zweifelhaft,  ob  gerade  dieser  ihn  zum  Weggang  nach 
Sikilien  bestimmte.  Das  Ganze  sieht  mehr  wie  eine  leere  Kombination  der 
Grammatiker  aus,  gegen  deren  Verlässigkeit  schon  die  Unbestimmtheit 
spricht,  mit  der,  ohne  Unterscheidung  der  beiden  Reisen,  einfach  von  dem 
Weggang  des  Dichters  nach  Sikilien  gesprochen  ist.  Es  bedurfte  über- 
haupt keines  bestimmten  Anlasses,  um  den  Aischylos  für  die  Einladung 
nach  Sikilien  empfänglich  zu  stimmen.  Der  strenge  Aristokrat  und  An- 
hänger der  alten  Ordnung  war  ohnehin  verstimmt  durch  das  Umsichgreifen 
der  Demokratie  und  der  sophistischen  Aufklärung,  die  ihm  die  grollende 
Klage  über  die  neuen  Götter  und  Tyrannen  im  Prometheus  und  in  den 
Eumeniden  entlockte. 

Bei  dem  zweiten  Aufenthalt  in  Sikilien  fand  er  den  Tod  bei  Gela 
Ol.  81,  1  =  456/5.  Die  Sage  hat  auch  diesen  in  ein  dichterisches  Ge- 
wand gehüllt:  ein  Adler,  der  eine  Schildkröte  in  den  Krallen  trug,  Hess 
diese  auf  das  kahle  Haupt  des  Dichters  fallen  und  zerschmetterte  so 
seinen  Schädel.^)  Die  Sage  hat  man  aus  einem  Grabrelief  zu  erklären 
versucht,  auf  dem  ein  Adler  mit  einer  Schildkröte  als  Symbol  der  Dicht- 
kunst über  dem  Haupte  des  vergötterten  Dichters  geschwebt  habe;'-)  wahr- 
scheinlich aber  ist  sie  nur  eine  Übertragung  einer  alten,  schon  dem  Demo- 
krit  bekannten^)  Fabel  auf  unseren  Dichter,  zu  der  den  Komikern  dessen 
Kahlköpfigkeit  die  Handhabe  bieten  mochte.*)  Hinterlassen  hatte  er  zwei 
Söhne  Euphorion  und  Bion  und  einen  Neffen  Philokles,  die  zugleich  Erben 
und  Fortpflanzer  seiner  Kunst  wurden.  Mit  seinen  Stücken  durften  näm- 
lich auch  noch  nach  seinem  Tode  die  Überarbeiter  derselben  in  den  Wett- 
kampf eintreten,  und  viele  sollen  nach  Quintilian  X,  1.  66  mit  denselben 
Siege  errungen  haben. ^)  Auch  sonst  ward  in  Athen  das  Andenken  des 
grossen  Dichters  in  Ehren  gehalten :  zur  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
galt  er  dem  Aristophanes  und  den  Leuten  seiner  Richtung  als  unüber- 
troffenes Ideal,  später  wurde  auf  Antrag  des  Redners  Lykurg  sein  Stand- 
bild neben  denen  des  Sophokles  und  Euripides  in  dem  Dionysostheater 
aufgestellt.  ^) 

138.  Die  Einrichtung  der  attischen  Bühne,  welche  an  den  Dionysien 
nur  neue  Stücke  zuliess  und  jedesmal   3  Tragödien   und  1  Satyrspiel  ver- 


340.  7  Sp.,  fabeln  von  den  Eumeniden,  die, 
wie  wir  uns  selbst  überzeugen,  nichts  von 
Mysterienentweihung  enthalten;  vgl.  G.  Her- 
mann, Opusc.  II,  163  ff. 

1)  Sotades  bei  Stobaios  98,  9;  Val.  Max. 
9,  12;  Plin.  N.  H.  10,  3;  Aelian  H.  A.  7, 
16;  Vita  und  Suidas. 

2)  GöTTLiNG,  Opusc.  230  if.;  Welcker, 
Alt.  Denkm.  H,  237  ff.  Danach  wird  der 
kapitolinische  Kopf,  den  die  Tafel  4  gibt, 
i)ut'  Aischylos  gedeutet,  wofür  sich  neuer- 
dings auch  Kroker,  Berl.  Phil.  Wochen- 
schrift 1885  S.  897  ff.  ausspricht. 

^')  Eudemos  fr.  22  Sp. 
4)  RoHDE,    Jahrb.    f.    Phil.  121,    22  ff., 
0.   Crusius,    Rh.    M.    38,   308  ff.;    Keller, 


Tiere  des  klass.  Altertums  S.  258  bringt  die 
Erfindung  mit  dem  Adlerflug  des  Aischylos 
in  recht  zweifelhafte  Verbindung. 

5)  Vgl.  Schol.  Arist.  Ach.  10,  Ran.  868; 
Philostr.  vit.  Apoll.  VI,  11;  s.  Rohde,  Rh. 
M.  38,  289  ff.  Schön  sagt  Aisch.  bei  Arist. 
Ran.  868:  ort  ij  noii]aig  ov/i  avyie&pijxe  fnoi. 

^)  Vs.  Plut.  vit.  X  orat.  7:  eiaijyeyxe  v6- 
fxovg  .  .  (6g  )(c<).xäg  aixövag  dvn&aTvai  tmi^ 
nou]T(oi^  Jia/vXov  2'oqpoxÄeot;ff  Ev()cniöov  xai 
jccg  xgctyioMcig  avruiy  eV  xoivco  yQaxpafievovg 
(pvXaTTEiP  xcd  ZOP  rrjg  7i6),€(og  yQctjUficaaa 
TiaQ(xvayivi6axBLv  roTg  vnoxQivofiEvoig.  Vgl. 
Diog.  II,  43;  Paus.  I,  21;  Ath.  19  e;  s.  Wel- 
cher, Alt.  Denkm.  II,  465  ff. 


12^ 


180 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


langte,  stellte  an  die  Fruchtbarkeit  der  Dichter  ausserordentliche  Anforde- 
rungen. Ihnen  wurde,  wie  von  den  anderen  grossen  Tragikern,  so  auch  von 
Aischylos  entsprochen.  Ein  altes  Verzeichnis  der  Dramen  im  cod.  Laur.  enthält 
72  Titel;  Suidas  gibt  die  runde  Zahl  von  90  Tragödien  (richtiger  Dramen)  an; 
die  Vita  spricht  von  70  Tragödien  und  beiläufig  5  Satyrspielen.  Siege  errang 
er  nach  der  Vita  13,  nach  Suidas  28 ;  in  der  letzteren  Zahl  scheinen  eben  auch 
diejenigen  inbegriffen  zu  sein,  welche  mit  Stücken  des  Dichters  nach  dessen 
Tod  gewonnen  wurden.')  Jedenfalls  hat  Aischylos  mit  mehr  als  der  Hälfte 
seiner  Tragödien  den  ersten  Preis  errungen,  wiewohl  ihm  erst  im  J.  485 
das  erste  Mal  ein  voller  Sieg  zu  teil  wurde.  2)  Auf  uns  gekommen  sind  nur 
7  Tragödien  in  folgender  Ordnung:  Jla'gaai,,  'Ayajusfxvcov,  XorjcfOQoi,  JlQOfAtj- 
■d-svg^  Evi^ievidsg,  'Etttcc  inl  Orjßag,  ^IxsTiSsg.  Von  diesen  sieben  sind  wiederum 
nur  drei,  Prometheus,  Septem,  Persae,  häufig  in  der  byzantinischen  Zeit  ge- 
lesen und  kommentiert  worden.  Die  Erhaltung  gerade  dieser  Stücke  scheint 
nicht  auf  Zufall  zu  beruhen,  sondern  dem  ästhetischen  Urteil  eines  Gram- 
matikers aus  der  letzten  Zeit  des  Altertums  verdankt  zu  werden.  Wir  sind 
der  Auswahl  um  so  mehr  dankbar,  als  sie  uns  nicht  bloss  eine  vollständige 
Trilogie  erhalten  hat,  sondern  uns  auch  den  Entwicklungsgang  des  Dichters, 
mehr  als  man  bei  einer  so  geringen  Anzahl  von  Stücken  erwarten  sollte, 
erkennen  lässt.  Denn  bei  Aischylos  treten  mehr  als  bei  Pindar  und  Sophokles 
die  Stufen  der  allmählichen  Ausbildung  seiner  Kunst  hervor;  er  half  eben 
selbst  an  der  Schaffung  der  Tragödie  mit  und  verschmähte  es  zugleich  nicht, 
aus  den  Fortschritten,  welche  jüngere  Genossen  einführten,  seinerseits  Nutzen 
zu  ziehen.  In  der  Besprechung  der  einzelnen  Stücke  verlassen  wir  die  ver- 
wirrte Folge  der  Handschriften  und  halten  uns  an  die  zeitliche  Ordnung, 
die  sich  aus  didaskalischen  Angaben  und  inneren  Anzeichen  mit  ziem- 
licher Sicherheit  feststellen  lässt.  Da  aber  von  den  Tragödien  unseres 
Dichters  keine  ein  abgeschlossenes  Ganze  für  sich  bildete,  sondern  mit 
zwei  andern  zu  einem  grösseren,  in  Inhalt  und  Anlage  zusammenhän- 
genden Ganzen  (Trilogie)  verknüpft  war,  so  wird  es  auch  unsere  Aufgabe  sein, 
mit  der  Besprechung  der  nur  vereinzelt  erhaltenen  Tragödien  (SuppL,  Pers., 
Sept.,  Prom.)  zugleich  die  der  damit  zusammenhängenden  Stücke  zu  verbinden. 
139.  Die  ^Ixtzidsg  haben  ihren  Namen  von  dem  Chor  der  Töchter 
des  Danaos,  welche  vor  den  Verfolgungen  der  Söhne  des  Aigyptos  in  Argos 
Schutz  suchen.  Die  Tragödie  von  schlichter  Einfachheit  der  Anlage,  die 
bei  dem  Überwiegen  des  lyrischen  Elementes  mehr  einer  Kantate  als  einem 
Drama  gleicht,  teilt  mit  den  Persern  die  Eigentümlichkeit,  dass  sie  eines 
Prologes  entbehrt  und  gleich  mit  dem  Einzüge  des  Chors  beginnt;  sie  hat 
die  geringste  Anzahl  von  Personen,  nämlich  nur  drei  (Danaos,  König  von 
Argos,  Herold  der  Agyptier),  die  so  nacheinander  auftreten,  dass  sie  mit 
Leichtigkeit  von  zwei  Schauspielern  gespielt  werden  konnten.  Der  span- 
nenden Entwicklung  und  des  aus  dem  Kontrast  der  Handelnden  entspringenden 
Konfliktes  entbehren  die  Schutzflehenden  gänzlich;  gleichwohl  haben  sie  in 
den  reichgegliederten  Chorliedern  und  namentlich  in  den  weihevollen  Segens- 


^)  Es  kann  die  Differenz  aber  auch  da- 
her kommen,  dass  einmal  bloss  die  dionysi- 
schen,  das  andere  Mal  die  dionysischen  und 


lenäischen  Siege  gerechnet  waren, 
2)  Bezeugt  durch  Marm,  Par. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     b.  Aischylos.  (§  139—140.)  181 

gesängen  des  Schlusses  grosse  Schönheiten,  deren  Genuss  nur  durch  die 
schweren  und  zahlreichen  Verderbnisse  des  Textes  gestört  wird.  —  Ver- 
bunden waren  die  Schutzflehenden  zu  einer  Trilogie  mit  den  OaXa^xorrowi,^) 
welche  die  Hochzeit  der  Söhne  des  Aigyptos  und  der  Töchter  des  Danaos 
zum  Gegenstand  hatten,  und  den  Javcädsg,'^)  in  denen  die  Hypermestra, 
welche  allein  vor  dem  Frevel,  ihren  neuvermählten  Gatten  Lynkeus  in  der 
Brautnacht  zu  ermorden,  zurückgeschreckt  war,  vor  Gericht  gestellt,  aber 
durch  Vermittelung  der  Aphrodite  freigesprochen  wurde.  Die  Trilogie  und 
insbesondere  das  uns  erhaltene  erste  Stück  tragen  eine  grosse  Zuneigung 
zu  Argos  und  zu  den  Einrichtungen  jenes  Landes  zur  Schau;  aber  gleich- 
wohl verbietet  die  Altertümlichkeit  der  Tragödie  an  Anspielungen  auf  das 
im  J.  461  abgeschlossene  Bündnis  zwischen  Argos  und  Athen  zu  denken. 3) 
140.  Die  IJsQaai  bildeten  nach  der  uns  erhaltenen  Didaskalie  das 
Mittelstück  einer  Trilogie  und  wurden  im  J.  472  aufgeführt.  Sie  sind  ein 
historisches  Drama  und  haben  die  Feier  des  Sieges  der  Hellenen  bei  Salamis 
zum  Gegenstand;  da  aber  die  Tragödie  nicht  Jubel,  sondern  Klage  und 
Jammer  fordert,  so  hat  der  Dichter  die  Scene  nach  der  persischen  Haupt- 
stadt Susa  verlegt,  wohin  der  König  Xerxes  nach  seiner  schmählichen, 
durch  die  eigene  Überhebung  verschuldeten  Niederlage  in  zerlumptem  Ge- 
wände zurückkehrt.  Der  Stoff  unserer  Tragödie  ist  also  nicht  dem  Mythus, 
sondern  der  Geschichte  entnommen,  worin  Aischylos  dem  Phrynichos  ge- 
folgt ist,  dessen  4  Jahre  zuvor  aufgeführten  (^oiviaaai  nach  dem  Zeugnis 
des  alten  Grammatikers  Glaukos  dem  Aischylos  zum  Vorbild  dienten.^) 
Auch  die  Perser  erfordern  wie  die  Schutzflehenden  nur  zwei  Schauspieler 
und  entbehren  wie  diese  des  iambischen  Prologs;  aber  die  Darstellung  zeigt 
weit  mehr  künstlerischen  Aufbau,  indem  uns  zuerst  die  unheilahnende  Stim- 
mung des  Chors  und  die  schweren  Träume  der  Königin  Atossa  in  die 
dumpfe  Atmosphäre  vor  dem  Herannahen  des  Gewitters  versetzen,  bis  dann 
mit  der  Unglücksnachricht  des  Boten  und  der  Rückkehr  des  niedergeschmet- 
terten Königs  sich  das  Gewitter  mit  all  seinen  Schrecken  entlädt.^)  Kunst- 
voll ist  auch  die  Weise,  wie  durch  Beschwörung  des  Geistes  des  Königs 
Dareios  ein  Gegensatz  von  heute  und  ehedem  geschaffen  und  der  Blick  der 
Zuschauer   über   die  Seeschlacht  bei  Salamis   hinaus   auf   die  Zukunft  und 


^)  Die  von  Pollux  7,  122  citierten,  aber  in 
dem  Verzeichnis  des  Laur.  nicht  aufgeführten 
f>cdafxonoioL  hat  Hermann,  Verh.  d.  sächs.  Ges. 
d.  Wiss.  IV,  123  f.  und  Ausg.  I,  329  mit 
den  Alyvmioi  identifiziert.  Welcker  zog 
anfangs  die  OaXafionoioi  zur  Iphigeniatrilogie, 
stimmte  aber  später  Rh.  M.  13,  189  flf.  Her- 
mann bei.  Westphal,  Proleg.  4  stellt  die 
AiyvnxLoi  als  ein  von  den  fiaXa^onoi.oi  ver- 
schiedenes Stück  zu  Mifxvoyv  u.  ^'vx^^^^^^'^^^- 

^)  Hermann,  De  Aeschyli  Danaidibus, 
Opusc.  H,  319  ff. 

^)  0.  Müller  in  Ausg.  d.  Eumeniden 
p.  123  u.  Gr.  Litt.  I,  546  hat  im  Anschluss 


urteilt  dagegen  Wilamowitz,  Herm.  21,  608 
Anm.  Dass  unser  Stück  vor  dem  Prometheus 
gedichtet  war,  davon  gleich  nachher. 

^)  Argum.  Pers.:  rXavxog  iv  tm  tisqI 
Jla/vXov  I.IV&10V  ix  xiov  ^oiviaaMV  4>Qvvi)(ov 
(prjal  Tovg  HbQaag  fxerccnsnoi/^a&ai,  exxid^r^oi 
xal  rrjv  f^QXV^  ^°*^  ^gdfiatog  xcivrrjv: 

rwcT'  eaxl  UeQüiou  Xixv  nalai  ßeßt]x6xü)y. 
nXrjp  exsT  Evvov)(6q  iaxiv  dyye'k'ko)v  sv  ^QXfj 
xrjv  SsQ^ov  rjxxar  axoQvvg   xe  &Q6vovg  Xivccg 
xoTg  xrjg  c<Q)(rjg  nciQedQoig,    evxav&cc    de  nqo- 
XoyiCsi  /oQog  nQSffßvxaiy. 

^)  Lückenhaftigkeit  des  Schlusses  der 
Perser    nahm    an    und    ergänzte    denselben 


an    Böckh   unsere    Schutzflehenden    an    den  j  durch    eigene   Nachdichtung   Köchly,   Vhdl. 

Schluss    von    Ol.   79    setzen    wollen.      Auf  \  d.  Phil,  in  Innsbruck  v.  J.  1875;    doch    da- 

das   .1.  460/59   will   Bücheler,   Rh.   M.   40,  :  gegen    erhob   die    Kritik    allseitigen  Wider- 

(•28    auch    den    Vers    152    deuten.     Richtig  |  Spruch. 


182 


Griechische  Literaturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


die  Niederlage  bei  Platää  gelenkt  wird.    Aber  sicher  noch  weit  mehr  wirkte 
im  Theater  zu  Athen   der  nationale   Hintergrund,    den    der  Dichter  noch 
durch  die  Erkundigungen  der  Königin  über  die  Zustände  Athens  zu  steigern 
verstund;  lauter  Beifall  lohnte  sicher  den  Dichter  bei  den  Versen  241  f. 
AT.  Tig  6t  TToifxccvwQ  sTisöTi  xaTTiSscTTUo^si  arqaxoi; 
XO.  ovTivog  SovXoi  xsxXrivrai  (pcordg  ovo'  vnrjxooi. 

Die  vollständige  Tetralogie  bestand  aus  den  Tragödien  ^ivsvg,  lltQaai,, 
rXadxog  JIoTvisvg^)  und  dem  Satyrdrama /7^o/tryi9^frc  nvQxasvg,^)  Im  ersten 
Stück,  das  von  dem  alten  Thrakerkönig  der  Argonautensage  benannt  war, 
war  wahrscheinlich  der  Durchzug  des  Perserheeres  durch  Thrakien,  im 
Glaukos,  der  von  dem  Dorfe  Potniä  auf  dem  Wege  von  Platää  nach  Theben 
seinen  Beinamen  hatte,  die  Schlacht  von  Platää  und  der  gleichzeitige 
Seesieg  der  Griechen  Sikiliens  über  die  Karthager  bei  Himera  berührt. 
Es  sind  also  auch  hier  die  Stücke  der  Trilogie  in  einem  inneren  Zusammen- 
hang gestanden,  wenn  sie  auch  nicht  Teile  einer  und  derselben  Handlung 
bildeten. 

Die  Tetralogie  der  Perser  mit  ihrem  grossartigen  nationalen  Hinter- 
grund kam  auch  bei  einer  besonders  feierlichen  Gelegenheit  zur  Aufführung. 
Mit  ihr  wurde  nämlich  im  J.  472  das  neuerbaute  Dionysostheater  zu  Athen 
eingeweiht,  wie  wir  jetzt  aus  den  neuaufgefundenen  Theaterurkunden  (CIA. 
II,  971)  wissen.  Die  Ausstattung  der  Bühne  hatte  Perikles  übernommen, 3) 
dessen  Stern  eben  damals  aufzugehen  begann  und  der  sich  mit  dem  Dichter 
in  den  Ruhm  des  Tages  teilte.  Später  wurde  die  Tetralogie  nochmals  in 
Syrakus  aufgeführt,  wahrscheinlich  im  J.  470,  als  der  Dichter  selbst  in 
Syrakus  weilte.*) 

14:1.  Die  'ETtra  stcI  Qrjßag  wurden  als  drittes  Stück  zusammen  mit 
Laios,  Oedipus  und  dem  Satyrspiel  Sphinx  im  Jahre  467  aufgeführt. 
Aischylos  siegte  mit  dieser  Tetralogie  über  Aristeas  und  Polyphradmon, 
die  Söhne  seiner  alten  Nebenbuhler  Pratinas  und  Choirilos.  Wir  begreifen 
leicht  an  dem  einen  uns  erhaltenen  Drama  das  Urteil  der  athenischen 
Richter.  Dasselbe  ist  nicht  bloss  ein  SQcifia  "Aqso^g  ßsatöv,  wie  es  Aristo- 
phanes  in  den  Fröschen  V.  1021  nennt,  sondern  lässt  auch  weit  mehr  den 
Dialog  zur  Geltung  kommen,  ohne  dass  deshalb  die  melischen  Partien  des 
von  banger  Furcht  geschüttelten  Frauenchors  an  wirkungsvoller  Schönheit 
etwas  eingebüsst  hätten.  Einen  Glanzpunkt  der  Tragödie  bildet  die  Schil- 
derung der  7  feindlichen  Heerführer  und  der  7  Thebaner,  welche  an  jedem 


der  7  Thore   der  Stadt   einander 


entgegenstanden, 


wobei  mit  fein  berech- 


')  Der  Zusatz  JIotviEvg  fehlt  in  der  alten 
Mediceerhandschrift,  rührt  aber  trotzdem 
sicher  aus  alter  Tradition  her;  er  sollte 
unsern  Glaukos  von  dem  Satyrdrama  Glaukos 
unterscheiden.  Welcker,  Aeschyl.  Tril.  47 
u.  Rh.  M  a.  F.  5,  236  dachte  an  den  Meer- 
gott Glaukos  Pontios  und  nach  Fr.  35  und 
Pind.  P.  I,  75  an  eine  Verherrlichung  des 
mit  der  Schlacht  von  Salamis  gleichzeitigen 
Sieges  über  die  Karthager  bei  Himera. 

2)  Der  Zusatz  nvqxaevg  steht  nicht  in 
der  Didaskalie,  woraus  Sittl,   Gr.  Litt.  III, 


255  schliesst,  dass  die  Prometheustrilogie 
erst  nach  den  Persern  aufgeführt  sei.  Aber 
der  Zusatz  wird  überhaupt,  wie  die  ähnlichen 
anderer  Stücke  (z,  B.  Oed.  Tyr.),  erst  von 
den  Grammatikern  zugefügt  sein. 

3)  Siehe  oben  §  129. 

^)  Diese  zweite  Aufführung  in  Syrakus 
wird  ausser  durch  die  Vita  auch  noch  durch 
Eratosthenes  und  Herodikos  in  den  Scholien 
zu  Aristoph.  Ran.  1028  bezeugt;  vgl.  Schö- 
MANN,  Rh.  M.  42,  467  ff. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     b.  Aischylos.  (§  141.) 


183 


nender  Kunst  der  mit  besonderer  Liebe  nach  dem  Muster  des  tugendhaften 
Aristides  i)  gezeichnete  Amphiaraos  und  das  unselige  Brüderpaar  Polyneikes 
und  Eteokles,  deren  Zweikampf  den  Höhepunkt  des  Dramas  bildet,  an  den 
Schluss  gestellt  sind.  Indes  die  volle  Herrschaft  über  den  Dialog  hat  doch 
auch  hier  der  Dichter  noch  nicht  gefunden,  indem  in  jener  langen  Partie 
die  Handlung  nicht  vom  Fleck  rückt  und  wir  mehr  nur  einen  Zyklus  von 
lebenden  Bildern  zu  schauen  vermeinen.  Auch  bedarf  bezeichnenderweise 
das  Stück  noch  nicht  eines  dritten  Schauspielers,  sondern  nur  eines  weiteren 
Sängers  {TraQaxoQrjyrjina)  für  das  Klageduett  der  Antigene  und  Ismen e.  Auf- 
fällig ist,  dass  der  Schluss  des  Stückes  (996 — 1070)  einen  durch  den  Ver- 
lauf der  Handlung  nicht  begründeten  Hinweis  auf  das  Verbot  der  Bestat- 
tung des  Polyneikes  und  die  heroische  Weigerung  der  Antigene  enthält. 
Derselbe  hat  die  Gelehrten,  bevor  Franz  im  J.  1848  die  Didaskalie  im 
Cod.  Laurentianus  entdeckte,  zu  allerlei,  jetzt  abgethanen  Vermutungen 
über  das  den  Sieben  nachfolgende  Stück  verleitet.-)  Aber  jene  Partie,  in 
der  wir  auch  ganz  und  gar  die  Kühnheit  der  äschylischen  Diktion  ver- 
missen, scheint  erst  später  bei  wiederholter  Aufführung  der  Tragödie  zu- 
gefügt zu  sein.^) 

Von  den  mit  den  Sieben  verbundenen  Stücken  Laios,  Oedipus,  Sphinx 
sind  uns  leider  nur  ganz  dürftige  Überbleibsel  erhalten.-*)  Aber  so  viel 
lernen  wir  auch  aus  der  erhaltenen  Tragödie  kennen,  dass  der  Dichter  mit 
grossem  Geschick  die  tragischen  Momente  der  alten  Mythe  teils  beibehalten, 
teils  durch  wirksamste  Um-  und  Zudichtung  verstärkt  hat:  die  Selbst- 
blendung des  Oedipus,  welche  das  alte  Epos  entweder  gar  nicht  kannte 
oder  doch  erst  in  eine  spätere  Lebenszeit  des  Königs  (Od.  A  271  ff.)  ver- 
legte, Hess  Aischylos  gleich  auf  die  Erkenntnis  der  blutschänderischen  Ver- 
bindung mit  der  eigenen  Mutter  folgen  (Sept.  763  ff.);  die  4  Kinder,  Eteokles, 
Polyneikes,  Antigene,  Ismene,  welche  nach  dem  alten  Epos  Oedipus  mit 
seiner  zweiten  Gemahlin,  Euryganeia,  erzeugt  hatte,  5)  machte  er  durch 
schaudererregende  Modifikation  der  alten  Sage  zu  unseligen  Sprossen  der 
gottlosen  Ehe  des  Sohnes  mit  der  Mutter.^)  Im  übrigen  passte  der  grause 
Fluch,  den  nach  dem  alten  Epos  der  Vater  über  seine  lieblosen  Söhne  aus- 
stiess,  dem  Tragiker  trefflich  in  seinen  Plan,  und  diente  der  trilogischen 
Verknüpfung  einzig  die  zwiefache  Schicksalsfügung,  dass  der  Sohn  den 
Vater,  welcher  die  Mahnung  des  Orakels  in  den  Wind  geschlagen  hatte, 
ohne  Vorwissen  tötet,  und  dass  an  den  Söhnen  hinwieder   sich  der  Fluch, 


^)^Den  Vers  579  ov  yccQ  ^oxeXv  cigiarog, 
uXV  slvai  d^iXei  bezog  das  Theater  unter  lau- 
tem Beifall  auf  Aristides  nach  Plut.  Arist.  3. 

2)  Vgl.  Müller,  Gr.  Litt.  I,  540;  das 
Richtige  erkannte  schon  vor  Aufdeckung 
der  Didaskalie  Näke,  Rh.  M.  27,  194  ff. 

^)  Oberdick,  De  exitu  fabulae  Aeschyli 
quae  Septem  adversus  Thebas  inscribitur, 
Arnsberg  1877. 

^)  Vermutlich  bildete  in  den  3  Stücken 
ein  öffentliches  Unglück  den  Hintergrund 
der  Handlung:  in  den  Sieben  die  Belagerung 
der  Stadt,  in  dem  Oedipus  ähnlich  wie  im 
Oed.  Tyr.   des   Sophokles   eine   verheerende 


Pest,  im  Laios  das  Unheil  der  Sphinx.  Die 
rätselgebende  Sphinx  war  dann  selbst  in 
burlesker  Weise  in  dem  zugehörigen  Satyr- 
spiel vorgeführt. 

^)  So  sicher  der  Dichter  der  Oidipodeia 
nach  dem  Zeugnis  des  Pausanias  IX,  5.  11 ; 
wahrscheinlich  aber  dachte  sich  so  auch 
Homer  a.  0.  das  Sachverhältnis.  Nach  Pau- 
sanias hat  auch  noch  der  Maler  Onasias, 
ein  Zeitgenosse  des  Polygnot,  auf  einem  Ge- 
mälde dargestellt   xazrjcprj    rrjp   EvQvyaveiuv 

«)  Sept.  739.  913.  1023. 


134  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

den  der  gereizte  Vater  im  Zorne  ausgestossen  hatte,  in  schrecklicher  Weise 
vollzieht. 

142.  Der  IlQOfxrjx^svg  6€(f(ji(6T7]g,  benannt  von  dem  Hauptträger  der 
Handlung,  ist  der  berühmte  Repräsentant  einer  Göttertragödie.  Zu  einer 
Trilogie  verbunden  war  derselbe  mit  dem  ÜQoiiri&svg  Xvöiuvog  und  dem 
ÜQoixr^d^svg  rrvQcpoQog.  Der  erstere  folgte  unmittelbar  auf  den  gefesselten 
Prometheus,  wie  aus  einer  Angabe  des  Scholiasten  zu  V.  527  feststeht;  der- 
selbe enthielt  nach  einer  alten,  bereits  bei  Hesiod.  Theog.  525  ff.  vorkom- 
menden Mythe  die  Erlösung  des  gefesselten  Prometheus  durch  Herakles, 
der  den  Adler,  welcher  dem  Halbgott  die  Leber  abfrass,  mit  seinem  Bogen 
wegschoss.i)  Den  JlQOjjirj^svg  rcvQcpoQog  hat  man  ehedem  das  erste  Stück 
der  Trilogie  bilden  lassen,  in  welchem  der  menschenfreundliche  Heros  den 
göttlichen  Feuerfunken  den  hilflosen  Menschen  gebracht  habe.  2)  Da  aber 
Prometheus  nach  den  Schollen  zu  V.  94  in  jenem  Stücke  sagte,  dass  er 
30,000  Jahre  gefesselt  gewesen  sei,  so  nahm  Westphal,  Proleg.  zu  Aisch. 
S.  207  if.  an,  dass  der  feuertragende  (nicht  der  feuerbringende)  Prome- 
theus vielmehr  den  Schluss  der  Trilogie  gebildet  habe  und  ähnlich  wie 
die  Eumeniden  zur  Verherrlichung  eines  attischen  Festes,  der  Prometheia, 
bestimmt  gewesen  sei.^)  Die  hohe  Bedeutung  des  uns  erhaltenen  Stückes 
liegt  nicht  in  dem  Aufbau  der  Handlung,  die  vielmehr  sehr  geradlinig 
verläuft  und  durch  die  locker  eingelegte  Episode  der  gleichfalls  durch  Zeus 
ins  Unglück  gestürzten  und  auf  ihren  Irrfahrten  bis  zum  Kaukasus  kom- 
menden lo  *)  mehr  gedehnt  als  verwickelt  wird ;  sie  liegt  vielmehr  in  der 
grossartigen  Zeichnung  des  Titanen,  der  als  gemarterter  Dulder  für  die 
dem  Menschengeschlecht  erwiesenen  Wohlthaten  an  die  hehre  Gestalt  des 
christlichen  Menschenerlösers  erinnert,^)  in  dem  gewaltigen  Trotz  aber, 
mit  dem  er  die  Aussöhnungsversuche  der  neuen  Götter  von  sich  weist, 
die  heroische,  selbstherrische  Natur  des  Dichters  selbst  widerspiegelt.  Von 
überwältigender  Wirkung  ist  namentlich  der  Schluss  der  Tragödie,  wo  der 
Fels,  an  den  der  Heros  geschmiedet  ist,  unter  Donner  und  Blitz  versinkt. 
Im  übrigen  gehört  das  Drama  zu  der  Klasse  der  TQayioSiai  rsgarröSsig,  da 
schon  die  äusseren  Erscheinungen  des  an  den  Fels  geschmiedeten  Prometheus, 
der  durch  eine  Maschine  niedergelassenen  Okeaniden,  des  auf  einem  Wunder- 


')  Nach  den  zahlreichen  Fragmenten 
des  griechischen  Originals  und  der  lateini- 
schen Bearbeitung  des  Accius  hat  Schömann, 
Greifsw.  1844  eine  poetische  Rekonstruktion 
des  gelösten  Prometheus  versucht.  Die 
schöne  Mythe  wurde  auch  durch  die  bildende 
Kunst  verherrlicht,  wie  auf  dem  kapitolini- 
schen Prometheussarkophag,  einem  pom- 
peianischen  Wandgemälde  (Heibig  n.  1128), 
einem  Gemälde  der  Villa  Pamfili  (0.  Jahn, 
Abh.  d.  b.  Ak.  VIII,  2),  einer  neuerdings  auf- 
gefundenen, von  MiLCHHÖFER,  Befreiung  des 
Prometheus,  42.  Winckelmann's  Programm 
(1882),  richtig  gedeuteten  Marmorgruppe  von 
Pergamon. 

2)  Welcker,  Die  äschyl.  Trilogie  Pro- 
metheus und  die  Kabirenweihe  zu  Lemnos, 
nebst  Winken  über  die  Trilogie   des  Aesch. 


überhaupt,  Darmstadt  1824,  mit  Nachtrag, 
Frankfurt  1826. 

^)  Zu  beachten  ist  dabei,  dass  der  Ko- 
miker Diphilos  eine  travestierende  Komödie 
lIvQcpÖQog  dichtete.  Vgl.  Pollux  8,  116:  tivq- 
(poQog  '  Tialg  nvQ  enl  rovg  ßüjjuovg  enixid^eig. 
Aber  wankend  macht  an  der  gegebenen  Auf- 
fassung das  Citat  des  Philodemos  de  pietate 
p.  39  ed.  Gomp. :  Aio/vlog  ev  zm  X<vo->  ^i- 
V  <M  TIq-)  ofXf]&£L  .  .  .  .  (.vn>  6  Jiog  d6d<€ad^ca>; 
vgf.  Nauck,  TGF.2  p.  69. 

■*)  Näher  ward  die  lo  dem  Prometheus 
dadurch  gerückt,  dass  der  13.  Nachkomme 
derselben,  Herakles,  dem  Prometheus  Er- 
lösung bringen  sollte ;  s.  V.  897  fF. 

^)  Lasaulx,  Prometheus,  die  Sage  und 
ihr  Sinn,  Würzb.  1844. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     b.  Aischylos.  (§  142-143.)  185 

vogel  herbeigekommenen  Okeanos  und  der  in  eine  Kuh  verwandelten  lo 
Staunen  bei  den  Zuschauern  hervorrufen  mussten.^)  —  Über  die  Zeit  der 
Aufführung  fehlen  uns  didaskalische  Zeugnisse.  Der  Hinweis  auf  die  Sikiliens 
Fluren  verwüstenden  Feuerströme  Typhons  (V.  383  ff.)  zeigt,  dass  das  Stück 
nach  dem  Ausbruch  des  Aetna,  der  im  J.  475  ^)  stattfand,  gedichtet  wurde. 
Ebenso  lehrt  die  Vergleichung  von  Prom.  876  und  883  mit  Suppl.  45  und 
230,  dass  unser  Prometheus  nach  den  Schutzflehenden  anzusetzen  ist.^) 
Weiter  herab,  auf  die  Zeit  nach  468  führt  der  Prolog  des  Dramas ;  nicht 
bloss  beginnen  noch  die  472  gegebenen  Perser  nach  altertümlicher  Weise 
direkt  mit  dem  Einzug  des  Chors  ohne  jeden  Prolog,  es  konnte  auch  unser 
Prolog  kaum  anders  als  mit  drei  Schauspielern  (Heph aistos,  Kratos,  Pro- 
metheus) gespielt  werden.^)  Wenn  daher  nicht  die  Verse  1 — 87  des  Pro- 
logs erst  bei  einer  späteren  Aufführung  nach  dem  Tode  des  Aischylos 
hinzugefügt  wurden,^)  was  doch  bei  der  altertümlichen  Strenge  und  der 
echtäschylischen  Diktion  dieser  Partie  äusserst  unwahrscheinlich  ist,  so 
kann  der  Prometheus  erst  nach  Einführung  des  3.  Schauspielers  gedichtet 
sein.  Nahe  an  die  Eumeniden  rücken  ihn  auch  die  beiden  Tragödien  ge- 
meinsamen Klagen  über  die  neuen  Götter  und  die  neuen  übermütigen 
Machthaber,  aus  denen  der  Unmut  des  alten  Optimaten  über  die  frei- 
geisterischen  und  demokratischen  Grundsätze  der  perikleischen  Staats- 
verwaltung deutlich  herausklingt.  Hat,  wie  ich  vermute,  Pindar  P.  lY,  291 
mit  Xv(fs  dt  Zsvg  a(f&itog  Tnävag,  ip  6t  XQOVoi  i^szaßoXal  Xif^avTog  ovqov 
lariMv  auf  unsere  Trilogie  angespielt,  so  muss  dieselbe,  da  jene  Ode  des  the- 
banischen  Sängers  auf  einen  pythischen  Sieg  des  Jahres  466  geht,  zwischen  468 
und  466  aufgeführt  worden  sein,  von  welchen  drei  Jahren  wiederum  das  eine, 
467,  wegfällt,  da  in  diesem  Aischylos  mit  der  thebanischen  Trilogie  siegte. 
143.  '4yaf.i€ijiV(tiv,  XovjCfÖQOi  und  Ev^xtviSsg  bilden  zusammen  die 
sogenannte  Orestie,^0  welche  458  zur  Aufführung  kam  und  den  ersten  Preis 
erhielt.'^)  Das  Satyrspiel  dazu  war  der  Proteus,  auf  den  schon  im  Aga- 
memnon V.  834  hingewiesen  wird  ^)  und  der  mit  den  3  Tragödien  insofern 
zusammenhing,  als  der  Meergott  Proteus  bei  Homer  Od.  S  511  ff.  dem 
Menelaos   das   schauerliche  Geschick   des   Agamemnon    weissagt.     Die   uns 


^)  Auch    die    Parodie    in    Aristophanes  schliefen  Hesse,  was  schon  wegen  der  tech- 

Vögel    1494—1551    hat    den  Charakter    des  nischen  Schwierigkeit  imwahrscheinlich   ist. 

Wunderbaren.  Bezüglich    der  Vorausschickung    eines    Pro- 

-)  Vgl.   S.  145   An.    1.     Die    glänzende  loges  bemerke  man  indes,    dass    schon   470 

Schilderung    Pindars   P.    1,    15 — 28    scheint  Phrynichos  seine  Phönissai   mit  Versen  des 

das  Vorbild    für    die    matten    Verse    Prom,  |   Schauspielers  beginnen  Hess. 

367 — 388  gewesen  zu  sein;   siehe  indes  die  j            "')  Vgl.   Röhleke,  Septem  adv.   Theha» 

obige  Stelle.  j   et  Prometheum   vinctitm   esse   fahulas  post 

^)  Wenn  die  Irrfahrten  der  lo  in  Prom.  j    Äeschylum  correctas,  Berol.  1882. 

819  if.  etwas  abweichend  von  Suppl,  556  ff.  j           ^')  Nach  Aristoph,    Ran,  1127  war  Ore- 

erzählt  sind,    so    hängt   dieses   mit  der  dem  steia  ein  anderer  Name  für  das  Mittelstück, 

Prometheus     eigentümlichen    Neigung     zum  |    die  Choephoren;  erst  von  den  Neueren  wurde 

Wunderbaren  zusammen.  i    der  Name  auf  die  ganze  Trilogie  übertragen. 

^)  Ausser    diesen    3   Schauspielern    be-  ^)  Arg.  Agam,:  ididd/d^t]  x6  ÖQä^a  snl 

durfte  es  noch  der  stummen  Person  der  Bia.  «pj^oiro?   <^iXoxX6ovg   6X.   n'    ersi   ß' .  nQuitog 

Mit  2  Schauspielern  und  1  stammen  Person  Aia/vXog  'Jyctfxefxfopi,    XotjcpoQoig,  Ev^evioi. 

käme  man  nur  aus,    wenn   man  den  Kratos  \    IJQMxei  acavQixw ^  sxoQtjyEt  Bsroalrjq^AcfiövEvc:. 

V.  84  verschwinden    und   rasch,  vor  V.  88,  |            ^)  Dieses   ist  fein  bemerkt  von  Böckh, 

m    die   den  Prometheus   vorstellende   Puppe  j    De  traf/,  gr.  princ.  p.  208. 


186 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


erhaltenen  3  Tragödien  waren  wahrscheinlich  die  letzten,  welche  Aischylos 
in  Athen  zur  Aufführung  brachte,  da  er  bald  darauf  nach  Sikilien  aus- 
wanderte und  dort  den  Tod  fand.  Jedenfalls  sind  sie  die  vollendetsten 
unter  den  uns  erhaltenen,  und  ist  namentlich  der  Agamemnon  wohl  das 
erhabenste  und  ergreifendste,  was  überhaupt  ein  Diener  der  Melpomene 
geschaffen  hat.  Den  Stoff  zur  Trilogie,  deren  3  Teile,  Mord  des  heim- 
kehrenden Königs,  Rache  des  Orestes  an  der  unnatürlichen  Mutter  und 
ihrem  Buhlen,  Sühnung  des  von  den  Furien  verfolgten  Muttermörders,  ein 
grosses,  in  sich  geschlossenes  Ganze  ausmachen,  hatte  der  Dichter  in  der 
Hauptsache  von  Homer  entlehnt, ')  doch  so,  dass  er  in  der  Verwertung  der 
alten  Sage,  selbst  in  kleineren  Einzelheiten  derselben  eine  wundervolle 
Kunst  bewies,  wie  in  der  Hereinziehung  der  Kassandra,^)  die  einerseits  die 
Eifersucht  der  Klytaimestra  mit  Recht  erregt  und  somit  deren  Schuld 
mindert,  anderseits  mit  ihrem  Seherblick  die  grauenhaften  Vorbereitungen 
zur  entsetzlichen  Mordthat  vorausschaut  und  den  Zuschauern  verkündet. 
Neu  hinzugedichtet  ist  der  wesentliche  Inhalt  des  dritten  Stückes,  die 
Freisprechung  des  Orestes  auf  dem  Areopag  durch  den  Stichentscheid  der 
Göttin  Athene  {calcultis  Minervae)  ^)  und  die  Versöhnung  der  Erinyen,  die 
aus  bluttriefenden  Furien  in  segenspendende  Huldgöttinnen  sich  wandeln. 
Der  Dichter  hat  diesen  Teil  speziell  für  Athen  und  die  Verherrlichung  des 
gerade  damals  von  der  demokratischen  Partei  hart  angegriffenen  Gerichts- 
hofes auf  dem  Areopag  gedichtet.^)  In  dem  Mittelstück,  das  von  den  die 
Todesspende  zum  Grabhügel  des  Agamemnon  tragenden  Chorjungfrauen  den 
Namen  XorjgjOQoi  erhielt,  rührt  die  Art  der  Wiedererkennung  des  Geschwister- 
paares von  der  Erfindung  des  Dichters  her."^)  Diese  letzte  Partie,  wo  Elektra 
den  Bruder  an  der  dem  Toten  geweihten  Haarlocke  und  an  der  Grösse 
der  Fusstapfen  erkennt,  ist  freilich  wenig  geglückt,  namentlich  wenn  man 
die  Feinheit  der  sophokleischen  Elektra  daneben  hält.^)  Um  so  wirkungs- 
voller aber  waren  die  aus  Stesichoros  herübergenommenen  und  für  die 
Bühne  weiter  entwickelten  Motive  der  treuen  alten  Amme  und  des  unglück- 
ahnenden Traumes  der  Königin.  Mehr  indes  als  alle  einzelnen  Vorzüge 
bedeutet  der  grosse  Fortschritt,  den  die  Kunst  des  Dichters  in  der  ganzen 


1)  Hom.  Od.  y  262  -314  u.  X  405-434. 
Vorgänger  des  Aischylos  waren  die  Lyriker 
Xanthos  und  Stesichoros,  die  schon  in  ihren 
Orestien  den  gleichen  Mythus  behandelt 
hatten,  vgl.  Raoul-Rochette,  Oresteide,  in 
Monura.  ined.  1833. 

'^)  Dem  Aischylos  folgt  in  diesem  und 
in  anderen  Zügen  sein  Geistesverwandter, 
Pindar  in  P.  XI;  s.  oben  S.  154  An.  3. 

^)  Diese  Abstimmung  der  Minerva  ist 
dargestellt  auf  dem  berühmten  corsinischen 
Silberbecher,  Baumeister,  Denkm.  d.  kl. 
Alt.  n.  1316. 

**)  Die  Einsetzung  des  Areopag  wird  feier- 
lich von  Athene  verkündet  Eum.  684—713; 
diese  Rede  will  indes  Wecklein,  Stzb.  d.  b.  Ak, 
1887,  S.  64,  hauptsächlich  wegen  der  lokalen 
Schwierigkeit,  welche  das  Pronomen  'ö&s  in 
nc'cyov  "jQSioy  royde  (688  u.  691)  bietet,  für 
eine  junge  Interpolation   ausgeben.  —  Über 


die  Verbindung  des  Areopag  mit  dem  Kulte 
der  Is/ufcii,  die  an  der  Erdschlucht  des 
Areshügels  einen  altehrwürdigen  Gottesdienst 
genossen,  s.  Töpffek,  Attische  Genealogie 
170  ff. 

^)  Der  Traum  der  Klytaimestra  und  die 
Amme  des  Orestes  kamen,  worauf  mich 
Sitzler  aufmerksam  machte,  schon  bei  Stesi- 
choros fr.  41  u.  42  vor. 

^)  Die  Wiedererkennungsscene  beruht  auf 
klügelnder  Schlussfolgerung,  was  Arist.  Poet. 
16  tadelnd  bemerkt;  über  sie  witzelt  selbst 
Aristophanes  Nub.  536.  Über  das  Verhältnis 
der  Choephoren  und  der  Elektra  ist  unend- 
lich viel  geschrieben ;  ich  begnüge  mich  zu 
verweisen  auf  A.  W.  Schlegel,  Vorles.  üb. 
dram.  Kunst  1,  222-  245;  Fleischmann,  Kri- 
tische Studien  über  die  Kunst  der  Charak- 
teristik bei  Aesch.  u.  Soph.,  Erlangen  1875 
u.  Jahrb.  f.  Phil.  115,  513  ff. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,    b.  Aischylos.  (§  144.)  187 

Anlage  dieser  seiner  letzten  Trilogie  genommen  hat.  Er  hat  nicht  bloss 
von  dem  dritten  Schauspieler  vollen  Gebrauch  gemacht,  er  hat  denselben 
auch  meisterhaft  verwertet,  um  eine  spannendere  Entwicklung  in  die  Hand- 
lung zu  bringen  und  die  Charaktere  durch  gegenseitige  Hervorhebung 
schärfer  hervortreten  zu  lassen.  Dabei  bewährte  er  zugleich  die  alte 
Grossartigkeit  seiner  Natur  in  der  grandiosen  Zeichnung  der  rachebrütenden, 
nach  dem  Blute  des  gehassten  Gemahls  lechzenden  Klytaimestra,  ^)  in  der 
grausigen  Scene  des  die  Mutter  zur  Mordstätte  zerrenden  Orestes  (Choeph. 
880 — 930),  in  der  wirkungsvollen  Gegenüberstellung  der  alten  und  neuen 
Weltordnung  in  den  Eumeniden.  In  den  Chorliedern  aber  hat  er  anfangs 
durch  Rückblicke  in  die  Vergangenheit,  den  Auszug  der  Achäer,  die  Opfe- 
rung der  Iphigeneia,  den  Raub  der  Helena,  die  Züchtigung  der  Troer,  die 
Gewitterwolken  sich  allmählich  aufthürmen  lassen,  dann  aber  nach  voll- 
brachter Blutthat  das  Walten  der  höheren  Mächte  und  die  hehre  Not- 
wendigkeit unerbittlicher  Bestrafung  begangenen  Frevels  in  erhabenster 
Sprache  verkündet.  Wenn  irgendwo,  so  sieht  man  aus  den  Eumeniden, 
dass  Aischylos  nicht  so  sehr  den  Zuhörern  einen  Genuss  durch  Entfaltung  seiner 
dichterischen  Kunst  bereiten,  als  vielmehr  Lehrer  seines  Volkes  und  Verkünder 
der  höchsten  Sittengesetze  sein  wollte.  Einen  gewaltigen  Eindruck  hat 
namentlich  zu  allen  Zeiten  auf  jeden  empfindenden  Leser  die  grandiose, 
tiefsittliche  Auffassung  der  Rachegeister  gemacht;  wiedergegeben  hat  denselben 
niemand  besser  und  ergreifender  als  Schiller  in  den  Kranichen  des  Ibykus. 
144.  Verlorene  Dramen.  Aischylos  hat  seine  Dramen  Tsindxrj 
iwv  ^OjXTiQov  iieyccXwv  dsinviov  genannt. 2)  Das  hat,  wenn  wir,  wie  billig, 
auf  den  Inhalt  schauen,  nur  zum  Teil  seine  Richtigkeit,  und  überhaupt 
nur,  wenn  wir  unter  dem  Namen  Homer  an  den  Dichter  des  gesamten 
epischen  Kyklos  denken.  Aus  dem  troischen  Sagenkreis  nämlich  entlehnte 
er  den  Stoff  zur  Trilogie  von  Hektors  Tod  und  Lösung,  oder  zu  den  Tra- 
gödien MvQfJiiSdvsg,  Nr^Qtjldsg,  (^Qvysg  rj  "ExroQog  Xvrqa  (nach  Ilias  / — /2), 
ferner  zu  den  Käqsg  (von  Sarpedons  Tod),^)  zu  Mä/nvcov  und  ^vxoaraaia 
(Wägung  der  Todeslose,  nämlich  des  Memnon  und  Achill,  nach  der  Aithiopis 
unter  Anschluss  an  II.  X,  209  ff.),  zw^OtcImv  xQiaig,  OQiaaai  (von  Aias  Tod) 
und  2aXaixivi(xi  (nach  der  kleinen  Ilias),  zu  <I>iXoxvrjTrjg^)  und  Arjiivioi  (eben- 
falls nach  der  kleinen  Ilias),  zu  ^Icpiyävsia,  Tr^Xsipog  und  üalai^Li^d^^g  (nach  den 
Kyprien),^)  zu  ^vxc^YOiyof,  JlrjvsXÖTjrj^  KiQxrj  aaTVQixrj  (nach  Telegonie).  Dem 
Dionysosmythus,  der  alten  Quelle  der  tragischen  Kunst,  war  entnommen  die  Te- 
tralogie AvxovQysia,  zu  welcher  die  'Hdcovof,  Baaaaqai,  Nsaviaxoi,  Avxovqyog 


^)  Das  Mass  überschreitet  Aisch.,  wenn 
er  Agam.  1388  den  Blutstrahl  des  hinge- 
schlachteten Königs  mit  dem  segenbringen- 
den Regen  vergleicht.  Den  Anstoss,  den 
unser  Gefühl  an  der  Unthat  der  Gattin  und 
des  Sohnes  nimmt,  hat  mein  Freund  Siegert 
in  seiner  Tragödie  Klytämnestra  durch  voll- 
ständige Umdichtung  zu  beseitigen  gewagt. 

^)  Ath.  347  e;  beachtenswert  ist,  dass 
keiner  der  Titel  des  Phrynichos  auf  Homer 
hinweist. 

"')  Von  den  Kuqeg  (im  Sinne  von  Avxioi) 


wurde  ein  Fragment,  in  welchem  Europe,  des 
Sarpedon  Mutter,  um  ihren  Sohn  bangt,  aus 
einem  Papyrus  ans  Licht  gezogen  von  Weil, 
Nouveaux  fragments  d' Buripide  et  d' autres 
poetes,  Paris  1879;  Bläss,  Rh.  M.  35,  74  ff., 
jetzt  auch  bei  Nauck  TGP.'"^  33. 

^)  Über  die  Abweichung  des  äschylischen 
Philoktet  vom  sophokleischen  s.  Dio  Chrys. 
or.  LH.     Der   Chor   bestand   aus   Lemniern. 

"'')  T^Xecpo?  und  Hcdafi  'df]g  sind  in  dem 
Verzeichnis  des  Mediceus  durch  Zufall,  wie 
es  scheint,  ausgefallen. 


Igg  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

(tavvQixög  gehörten,  ferner  die  Stücke  Jlfvd^svg,  Sccvrqim^  ^sfjishj  r]  vÖQOifOQoi^ 
Jiovvaov  TQocfof,  welche  gleichfalls  zusammen  eine  Tetralogie  gebildet  zu 
haben  scheinen.  Der  Argonautensage  gehörten  an  'Ad^ä^ag^  ^VifuTivkrj,  'ÄQyw, 
KdßsiQüi,^)  vielleicht  auch  0€(oqoi  r]  'la^/juacTtai,  Nsiisa.  Auf  verschiedene 
andere  Sagenkreise  bezogen  sich  die  'ÄQystoi,  'EXsvaivioi,  ^Eniyovoi  (Adra- 
stossage),  (PoQxiSsg,  noXvSexrr^g  (Perseussage),  'Alxinrjvr],  ^HQaxleiSai  (Hera- 
klessage), 2)  ^Hliddsg  (Tod  des  Phaethon),  To^otiSsg  (Untergang  des  Aktaion), 
Nioßrj,^)  'AraXarTTj,  ^I'^icov,  HsQQccißiSsg,  2iav(fog.  Nimmt  man  noch  hinzu, 
dass  Aischylos  auch  die  Göttermythe  auf  die  Bühne  gebracht,  das  Wagnis  einer 
politischen  Tragödie  versucht,  in  den  Ahvaiai  die  Lokalsage  dramatisiert,  ge- 
legentlich auch  Elegien  und  Epigramme  gedichtet  hat, 4)  so  bekommt  man  eine 
Ahnung  von  der  Vielseitigkeit  und  der  Originalität  des  Begründers  der  Tragödie. 
145.  Die  eigentlichen  Verdienste  des  Aischylos  um  die  dramatische 
Kunst  liegen  nur  zum  kleineren  Teil  in  dem  Reichtum  des  Stoffes,  sie  sind 
vorzüglich  in  der  Gestaltung  des  Mythus  und  in  der  Ausbildung  der  dra- 
matischen Darstellungsmittel  zu  suchen.  Die  letzteren  fasst  Aristoteles, 
Poet.  4  in  die  Worte  zusammen:  t6  ts  %wv  vnoxQiTcov  nXrjd^og  i^  ivog  flg 
dvo  TiQcoTog  ÄlaxvXog  Tjyays  xal  tcc  tov  %oqov  ijXccttmös  xai  tov  Xöyov  tvqm- 
ray(x)naTi]v  naqeaxsvaas.^)  Wir  sahen  oben,  dass  in  diesen  Punkten  sich 
der  Dichter  allmählich  vervollkommnete:  in  seinen  älteren  Tragödien,  wie 
besonders  in  den  Schutzflehenden,  nehmen  die  Chorlieder  noch  einen  über- 
mässigen Raum  ein  und  ermüden  nicht  selten  durch  die  Wiederholung- 
gleicher  Gedanken;  erst  nach  und  nach  erweiterte  er  die  Dialogpartien, 
fügte  den  Prolog  hinzu  ß)  und  nahm  von  Sophokles  auch  den  3.  Schauspieler 
an.  Sehr  richtig  antwortete  deshalb  der  Verteidiger  des  Aischylos  den 
Bewunderern  des  Sophokles,  weit  schwieriger  sei  es  nach  Thespis  und 
Phrynichos  die  Tragödie  auf  solche  Höhe  zu  bringen,  als  sie  nach  Aischylos 
zur  Vollendung  des  Sophokles  zu  erheben.'^)  Auch  auf  die  Erhöhung  des 
Glanzes  der  äusseren  Darstellungsmittel  verwandte  er  grosse  Sorgfalt:  er 
heisst  bei  Horaz  a.  p.  278  personae  pallaeque  repertor  honesfae;^)  auch  die 
Erfindung  mannigfacher  Maschinen  und  Dekorationen  wird  ihm  beigelegt,'^) 

f 


^)  Aufgeführt  wurden  dieselben  nach 
den  Feldzügen  am  Strymon  um  466,  nach 
WiLAMOwiTZ,  Herm.  21,  612. 

-)  Von  den  Herakliden  wurde  ein  neues 
Fragment  aus  Schol.  Aristidis  des  Cod.  Marc. 
423  hervorgezogen  von  Wilamowitz,  De 
Mhesi  scholns,   Ind.  lect.,  Greifsw.  1877. 

^)  In  der  Niobe  sass  nach  der  Vita  die 
Heldin  stumm  in  den  Mantel  gehüllt  auf 
dem  Grabe  der  Kinder;  ähnlich  verhüllt  sass 
Achill  da  in  Hektors  Lösung,  was  den  Spott 
der  Komiker,  wie  des  Aristoph.  Ran.  912 
herausforderte. 

^)  Päane  zu  dichten  lehnte  er  ab  nach 
Porphyrios  de  abstin.  II,  18. 

')  Vgl.   Diog.    III,    56;   auch   die  Erfin- 


einen  vierten  Schauspieler,  der  aber  nur  we- 
niges zu  sagen  brauchte  {naQct/oQTjyr/fLia), 
führte  er  in  dem  Memnon  ein;  s.  PoUux, 
4,  110. 

^)  Ein  Prolog  fehlt  in  Suppl.  u.  Pers.,mit 
der  Zufügung  desselben  war  Phrynichos  in 
den  Phönissen  vorangegangen.  Auch  ein 
Epilog  findet  sich  im  Agamemnon,  der  aber 
keine  weitere  Aufnahme  fand. 
')  Vita  §  14. 

«)  Vgl.  Vita  13  u.  Scholl  p.  29  ff. 
•')  Ckamer,  An.  Par.  I,  19:  et  juei^  i^i] 
ndvja  ctg  Aia^vXio  ßovXerca  rd  ttsqI  rrjv 
ax't^vrju  EVQrjfj,aia  Tiqoovi^Eiv,  ixxvxhjjbidcrcc 
xal  neQidxxovg  xctl  ^u}]/aydg,  E^coarqav  rs 
xal  TiQoaxrjvia,  xal  diarsyiag  xal  xsqavvo- 
dung  des  3.  Schauspielers  wird  ihm  zuge-  1  axonsTa  xal  ßQovre7a  xal  &Eo'koyeTa  xal  ye- 
schrieben  von  Themist.  or.  XXVI  p.  382  D.  1  qdvovg  xai  nov  xal  ivari&ag  xal  ßaxQaxi^ccg 
und  von  einigen  in  der  Vita;  mit  welchem  |  xal  ngoacona  xal  xod^oQvovg  xal  ravil  rd 
Recht,  haben  wir  oben  bei  den  Sieben,  Pro-  ■  noixlXa,  arQ/uard  re  xal  xaXimxQav  xal  xol- 
metheus    und  Orestie   gesehen.     Sogar  noch       nuy^a  xal  naQdnr^x^^    ^^^'    aQyijvoi'  xal  ino- 


|C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,    b.  Aischylos.  (§  145—146.) 


189 


und  man  braucht  nur  den  Prometheus  und  die  Eumeniden  zu  lesen,  um 
sich  eine  Vorstellung  zu  machen,  welche  ausserordentliche  technische  Mittel 
zu  ihrer  Aufführung  nötig  waren.  Dabei  war  Aischylos  selbst  Chormeister 
und  ersann  ausser  dem  Text  auch  noch  die  Melodien  und  Tänze.  An  der 
Darstellung  der  Rollen  nahm  er  noch  selbst  als  Schauspieler  teil;  zu  Ge- 
nossen hatte  er  dabei  die  berühmten  Schauspieler  Kleandros  und  Myniskos/^) 
146.  Das  hervorstechendste  Merkmal  der  äschyleischen  Poesie,  das 
Grossartige  und  Titanenhafte,  zeigt  sich  in  den  Gedanken,  dem  Versbau 
und  der  Sprache.  Den  sprachlichen  Ausdruck  zeichnet  Kühnheit  der  Meta- 
phern, Pracht  der  Bilder,  Grossartigkeit  des  Periodenbaus  aus;  doch  fehlt 
auch  nicht  die  Härte  im  Satzgefüge,  der  Bombast,  die  Eintönigkeit  des 
Pathos,  die  Liebe  zum  Grotesken  und  Wunderbaren.'-^)  Lieblingsausdrücke, 
wie  oiaxa  vo)fxcov,  ov  SixoQQÖrrcog  u.  a.  kehren  zu  oft  wieder;  das  Mass  ist 
überschritten,  wenn  mit  schwülstiger  Überschwenglichkeit  im  Agam.  887  ff. 
der  heimkehrende  König  gleich  in  6  Bildern  hintereinander  gepriesen 
wird.^)  Die  Späteren,  welche  durch  Sophokles  und  Euripides  an  einfache 
Schönheit  und  ruhiges  Ebenmass  gewöhnt  waren,  nahmen  an  dieser  Seite 
der  äschylischen  Dramen  Anstoss;^)  den  nüchternen  Alltagsmenschen 
schien  er  gar  seine  Dramen  im  Rausch  gedichtet  zu  haben. 5)  Wenn  indes 
Pindar  Erhabenheit  der  Sprache  mit  anmutsvoller  Grazie  besser  als 
Aischylos  vereinigt  hat,  so  darf  man  den  Einfluss  der  Masken  und  Stelzen 
und  des  ganzen  dionysischen  Spiels  nicht  ausser  acht  lassen,^)  —  Unbe- 
dingtes Lob  verdient  die  melodische  Schönheit  und  symmetrische  Strenge 
der  Rhythmen  des  Aischylos:  zu  gewaltigen  Perioden,  der  Grösse  und 
Tiefe  der  Gedanken  entsprechend,  bauen  sich  bei  ihm  die  Verse  auf; ")  die 
synkopierten  Trochäen,  die  er  mit  Vorliebe  verwendet,  malen  mit  ihren 
langangehaltenen  Längen  vortrefflich  den  Ernst  der  Lage  und  die  Tiefe 
der  Empfindung.^)  Auch  der  Dialog  ist  strenge  gebaut,  so  dass  Verteilung 
eines  Verses   unter  mehrere  Personen   noch   nicht  vorkömmt;    ein  Streben 


XQitfjy  Eni  TW  dtvreQio  roy  tqlioi\  Vitruv 
praef.  1.  VIT:  namque  primum  Agatharchus 
Äthenis  Äeschylo  docente  tragoediae  scenam 
fecit  et  de  ea  comnientarium  reliquit.  Dazu 
SoMMERBKODT,  Scaenica,  Berl.  1876.  Über 
die  Bühne  Wilamowitz,  Herrn.  21,  598  ff., 
wonach  wohl  die  Orestie  eine  Rückwand 
voraussetzt,  in  den  früheren  Stücken  aber 
die  Scene  rund  und  für  den  Chor  und  die 
Schauspieler  zugleich  bestimmt  gewesen 
sein  soll. 

')  Aus  späterer  Zeit  erwähnt  Aristoph. 
Vesp,  579  den  Oiagros. 

^)  Das  Wunderbare  tritt  namentlich 
auch  in  der  phantastischen  Schilderung  von 
fernen  Ländern  hervor,  was  schon  der  Scho- 
liast  tadelt  (zu  Prom.  371  u.  733)  und  die 
Komiker  parodierten,  s.  Meineke,  Hist. 
com.  gr. 

'')  Ähnlich  Choeph.  995  ff.  u.  Sept.  559  ff. ; 
in  unerträglicher  Weise  sind  die  Epitheta 
gehäuft  Suppl.  802  ff. 

^)  Das  Urteil  der  Späteren  gibt  gut 
wieder  Quintil.  X,  1.  GG:  Aescliylus  suhlimis 


et  gravis  et  grcmdiloquus  saepe  iisque  ad. 
Vitium,  sed  rudis  in  plerisque  et  incom- 
positiis.  Vita  Aesch.  5 :  ^rj^ol  ro  ßccQog  tisql- 
Tiihivca  rotg  TiQOGconoig,  aQX^^^^  slvca  xqivimv 
rovxo  ro  fj.6Qog  fxeyaXonQsneg  re  xal  t^qohxov, 
ro  de  navovQyov  xofA.tpo7TQ£n6g  rs  xcci  yvm- 
fMoXoyixov  ulXörQiov  rrjg  rgayiodlag  ^Qov/usyog. 
Vgl.  Arist.  Nub.  1370:  iyoj  yaq  Ala/vlov 
t'Ofj.iC(o  TTQOjrov  Ev  7i.oii]rc(Tg,  xjjocpov  tiAemv, 
d^vararov,  arofxfpaxa,  XQrjfxvoTioioi^ ;\^.  Lech- 
KEE,  De  arte  Aeschyli  rhetorica,   Hof  18G7. 

^)  Ath.  22  a  u.  428  c. 

^)  Über  das  Verhältnis  von  Aischylos 
und  Pindar  siehe  oben  S.  154. 

^)  Diese  langen  Verse  und  Perioden 
treten  freilich  in  der  schlechten  Versteilung 
{x(x}lo{j.ErQLa)  der  Handschriften  nicht  zu 
Tage;  am  besten  sind  die  ursprünglichen 
Versformen  auf  Grund  der  Untersuchungen 
der  neueren  Metrik  von  Dindorf  in  der  Aus- 
gabe der  Poetae  scen.  gr.  hergestellt. 

^)  Das  Urteil  der  Alten  drückt  Aristoph. 
Ran.  1254  aus:  ccy&gl  no  nolv  n^ETara  dt] 
xcd    xdXhara   fxt'h]   noirjacivri    rioy  tri  vvi'l. 


190  Öriechische  Litter aturgeschichte.    1.  Elassische  Periode. 

nach  symmetrischer  Anlage  ist  unverkennbar,  wenn  auch  neuere  Forscher, 
wie  Ritschi,!)  mit  der  gewaltsamen  Herstellung  gleicher  Reden  in  den 
Sieben  über  das  Ziel  geschossen  haben.  —  Die  Gravität  der  Gedanken 
wurzelt  bei  ihm  in  der  Strenge  der  alten  Sitte  und  in  den  Weisheitslehren 
der  Priester  und  Mysterien.  Daher  galten  seine  Tragödien  auch  später 
noch  den  Anhängern  der  alten  Zucht  und  Ordnung,  wie  dem  Aristophanes, 
als  das  Ideal  kerniger  Poesie.  In  dem  Glauben  an  das  Walten  einer  höheren 
Macht  2)  ist  insbesondere  die  Idee  des  Schicksals  begründet,  die  den  Hinter- 
grund aller  seiner  Tragödien  bildet  und  sich  mit  der  frommen  Anschauung 
des  Dichters  von  der  Hinfälligkeit  und  Ohnmacht  alles  Sterblichen  paart. 
Dass  dabei  der  Held  des  Stückes,  um  Mitleid  zu  erregen,  nicht  von  jeg- 
licher Schuld  frei  sein  dürfe,  hat  er  besonders  in  dem  Agamemnon,  der 
aus  ehrgeiziger  Schwäche  seine  eigene  Tochter  geopfert  hatte,  trefflich  zum 
Ausdruck  gebracht.  Am  gewaltigsten  aber  wirkt  in  seinen  Tragödien  die 
Idee  von  der  Verkettung  der  menschlichen  Geschicke  und  von  dem  auf 
Kind  und  Kindeskinder  sich  forterbenden  Fluch  der  bösen  That.  Mit  ein- 
ziger Kunst  hat  er  zur  Durchführung  dieser  Idee  den  alten  Brauch,  mit 
3  Tragödien  und  1  Satyrdrama  den  Festtag  auszufüllen,  benützt:  aus  3  nur 
äusserlich  nebeneinander  gestellten  Tragödien  entstand  unter  seinen  genialen 
Händen  der  grossartige  Bau  einer  zusammenhängenden,  nicht  bloss  aus 
demselben  Mythenkreis  genommenen,  sondern  auch  durch  Einheit  der  Hand- 
lung und  der  leitenden  Grundidee  zusammengehaltenen  Trilogie.  Auch  die 
Kunst  der  Motivierung  der  Handlung  und  der  Retardierung  wie  Steigerung 
der  Affekte  war  ihm  nicht  fremd;  wenn  er  darin  und  in  der  Individualität 
der  Charakterzeichnung  hinter  Sophokles  und  Euripides  zurückblieb,  so  lag 
dieses  in  der  Richtung  seiner  Zeit,  die  im  Leben,  wie  in  der  Poesie  und 
Kunst  das  Grosse  und  Erhabene  liebte  und  in  der  Verleugnung  gefälliger 
Anmut  bis  zum  Harten  und  Eckigen  ging.  —  Was  schliesslich  mehr  als 
alles  Einzelne  bedeutet,  das  ist  die  geniale  Begabung  unseres  Dichters,  die 
überall  durchschlägt  und  seine  Poesie  zum  Ausfiuss  unbewusster  dionysischer 
Begeisterung  macht.  Sophokles  hatte  einst  von  ihm  gesagt  (Ath.  22^),  er 
thue  das  Rechte,  aber  ohne  es  zu  wissen.  Das  sollte  ein  Tadel  sein  in 
dem  Munde  des  jüngeren,  reflektierenden  Dichters,  ist  aber  in  der  That 
das  höchste  Lob;  ja,  Aischylos  dichtet  wie  berauscht  in  gottbegeistertem 
Wahne;  seine  Dichtungen  sind  nicht  Schöpfungen  der  Kunst,  sondern  Gaben 
des  göttlichen  Genius;  bei  ihm  ist  keine  Rede  von  klügelnder  Künstelei, 
keine  Spur  von  kühler  Reflexion,  kein  Schein  von  fremder,  aus  anderer 
Mund  entlehnter  Weisheit:  aus  dem  unerschöpflichen  Born  seiner  eigenen 
göttlichen  Natur  quellen  in  nie  versiegendem  Strome  Gedanken  wie  Worte. 
Handschriftliche  Überlieferung:  Die  Tragödien  des  Aisch.  Soph.  Eur.  wurden  auf 
Lykurgs  Antrag  (s.  Müller,  Bühnenalt.  859  An.  1;  0.  Korn,  De  puhlico  Aesch.  Soph. 
Eur.  fahularum  exemplari  Lycurgo  auctore  confecto,  Bonn  1863)  in  einem  Staatsexemplar 
aufgeschrieben,  das  später  nach  Alexandria  gebracht  wurde.  Der  Hauptcodex  der  7  er- 
haltenen Stücke  des  Aisch.,  den  Burgess,  Dindorf  (Phil.  18,  55  ff.),  Wecklein  für  den  Arche- 


^)  RiTSCHL,   Parallelismus    der   7   Rede-  I  jenigen,  welche,  wie  später  Epikur,  die  Götter 

paare  in  den  Sieben    des  Aeschylus,  Opusc.  '  sich    um    die    Sterblichen     nicht    kümmern 

I,  300  ff.  I  liessen,  ist  besonders  Agam.  381  ff.  gerichtet. 

'^)  Gegen    die    Gottesleugner    und    die-  I 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  147.) 


191 


typus  aller  Codd.  halten,  ist  ein  Mediceus  sive  Laurentianus  XXXII  9  s.  XI  (von  Aurispa 
i.  J.  1423  aus  Griechenland  gebracht  und  von  Cosmo  Medici  der  Bibliothek  einverleibt), 
der  zugleich  den  Sophokles  und  die  Argonautika  des  Apollonios  enthält;  ein  faksimilierter 
Abdruck  dieses  Cod.  von  R.  Merkel,  Aeschyli  quae  super'sunt  e  cod.  Law.  descripta, 
Oxon.  1871  foL,  die  zuverlässigste  Vergleichung  mit  Unterscheidung  der  verschiedenen 
Hände  von  Vitelli  in  Weckleins  Ausg.,  ßerl,  1885.  Von  den  jetzt  fehlenden  Blättern  des 
Agam.  bietet  die  beste  Abschrift  der  Florent.  XXXI  8  s.  XIV.  Für  die  3  in  Byzanz  zu- 
meist gelesenen  Stücke  Prom.  Pers.  Sept.  muss  jedenfalls  ausser  dem  Laur.  der  Paris.  2884 
s.  XIII  herangezogen  werden. 

Der  Grundstock  der  Scholien,  der  ebenso  viele  feine  Bemerkungen  über  die  Kunst 
des  Dichters  enthält  als  für  die  Wortkritik  wichtig  ist,  aber  früh  durch  die  Albernheit 
jüngerer  Erklärer  zurückgedrängt  wurde  (s.  Römer,  Stud.  zur  handschr.  Überl.  des  Aeschylus, 
in  Stz.  d.  b.  Ak.  1888  11  231),  geht  auf  den  Grammatiker  Didymos  zurück  und  stimmt 
vielfach  mit  Glossen  des  Hesychios  überein  (s.  Frey,  De  Äesch.  sclioliis  Mediceis,  Bonn 
1857).  Diese  alten  Scholien  sind  samt  ßlog,  t>no&ea€ig,  Interlinearglossen  und  kritischen 
Zeichen  aus  dem  Laur.  am  besten  herausgegeben  von  Vitelli-Wecklein  Davon  sind  zu 
scheiden  jüngere  Scholien  (besonders  ausführlich  zu  Prom.  Sept.  Pers.)  von  Tzetzes,  Thomas 
Magister  und  Triklinios  in  codd.  Paris.  2785.  2787  und  Leidenses  Is.  Vossii  (s.  Franken, 
De  ant.  Äesch.  Interpret,  auctoritate,  Utrecht  1845),  herausgegeben  von  W.  Dindorf  im 
3.  Bde.  der  Oxforder  Aischylosausgabe  1851. 

Ausgaben:  ed.  princ,  Aldina  1518,  worin  Agamemnon  und  Choephoren  (am  Anfang 
verstümmelt)  noch  nicht  getrennt  sind.  Ausgezeichnete  Emendationen  des  stark  korrupten 
Textes  lieferten  Turnebüs  (f  1565)  und  Auratüs  (f  1588),  der  letztere  wird  von  Hermann 
ad  Agam.  1396  „omnium  qui  Aeschylum  attigerunt  princeps"  genannt.  Ausgabe  mit  ge- 
lehrtem Kommentar  von  Stanley,  London  1663.  Die  äschyl.  Studien  wurden  wieder  belebt  durch 
die  Ausgaben  von  Porson  1794;  Schütz  ed.  III  1839 — 41  in  5  vol.  Die  lang  ersehnte  Aus- 
gabe von  G.  Hermann  ward  nach  dessen  Tod  besorgt  von  Haupt,  Lips.  1852,  2  vol.  Neueste 
kritische  Gesamtausg.  von  Weoklein- Vitelli,  Berol.  1885,  nach  der  ich,  da  sie  zur  Vers- 
teilung der  Handschriften  zurückkehrt,  citiere.  —  Textesausg.  von  Kirchhoff,  Berl.  1880, 
mit  den  Varianten  des  Medic.;  Weil  bei  Teubner  1885;  von  dem  letzteren  eine  ed.  mai., 
Gissae  1858—67,  2  vol.  —  Spezialausgaben  der  Sieben  von  Ritschl  ed.  II.  Lips,  1875; 
des  Prometheus  von  Schümann,  Griech.  u.  deutsch,  Greifsw.  1844;  der  Orestie  von  Franz, 
griech.  u.  deutsch,  Leipz.  1846,  von  Th.  Heyse,  Halle  1884,  von  0.  Marbach  mit  deutscher 
Nachdichtung  Leipz.  1874,  von  Wecklein,  Leipz.  1888;  des  Agamemnon  von  Enger-Gilbert, 
Leipz.  1874,  Schneidewin-Hense,  Berl.  1883,  Keck,  Gr.  u.  deutsch  mit  Einl.  u.  Komment., 
Leipz.  1863,  Wilawowitz,  Text  u.  Übers.,  Berlin  1885;  der  Eumeniden  von  0.  Müller 
(wichtig  für  Bühnenaltert.),  Gott.  1833.  —  Schulausgaben  mit  erklärenden  Anmerkungen 
der  Perser  von  Teuffel- Wecklein,  Leipz.;  des  Prometheus  von  Wecklein,  Leipz.  —  Glos- 
sarium von  Blomfield  in  dessen  Ausg.  des  Agam.,  Cambr.  1818,  Lips.  1822.  Lex.  Aeschy- 
leum  comp.  Wellauer  2  vol.,  Lips.  1830.     Lex.  Aesch.  ed.  W.  Dindorf,  Lips.  1873. 

c.  Sophokles  (496— 406).  0 

147.  Sophokles  stammte  aus  dem  nahe  bei  Athen  in  reizender  Lage 
gelegenen  Demos  Kolonos  Hippios.  Sein  Vater  hiess  Sophillos  und  hatte 
eine  Waffenfabrik,  welche  der  Familie  reiche  Einkünfte  und  eine  angesehene 
Stellung  verschaffte.  2)  Das  Jahr  seiner  Geburt  war  nach  der  alten  Vita 
495/4,  nach  der  verlässigeren  Angabe  der  parischen  Marmorchronik  497/6.^) 
In  der  Jugend  erhielt  er  sorgfältigen  Unterricht  in  der  Gymnastik  und 
Musik,   so  dass  er  in  beiden  Künsten  wiederholt  bekränzt  wurde   und  bei 


^)  Aus  dem  Altertum  ist  uns  erhalten 
ein  aus  Angaben  des  Aristoxenos,  Satyros, 
Istros  zusamengesetzter  ^ocpoxXtovg  ßlog, 
mit  Suidas  und  den  anderweitigen  Zeugnissen 
zusammengestellt  von  Jahn  in  Ausg.  der 
Elektra.  Nach  Suidas  hatte  Philochoros  ein 
Werk  in  5  B.  tisqI  twv  ZocpoxXiovg  fxvy^coy 
geschrieben.  —  Aus  neuerer  Zeit  Lessing, 
Leben  des  Sophokles,  unvollendet  hinter- 
lassen; Ferd.  Schultz,  De  vita  Soj)Jwclea, 
Berl.  1835;  Ad.  Scholl,  Sophokles,  sein  Leben 
und  Wirken,  Frankf.  1842,  hypothesenreich;  , 


Dindorf  in  3.  Oxforder  Ausg.,  und  Bergk 
in  Ausg.  von  1858. 

'^)  Der  Vater  war  /ua/caQonoiog;  bei 
Plinius  H.  N.  37,  40  heisst  Sophokles:  p?-<?«- 
cipe  loco  genitus  Athenis. 

'')  Die  Vita  geht  wie  Diodor  13,  103 
davon  aus,  dass  Soph.  rund  90  Jahre  alt 
geworden  sei;  das  Marm.  Par.  gibt  ihm  92, 
Ps.  Lucian,  Macrob.  c.  24  nach  der  Emendation 
von  Schultz  91  Jahre.  Vergl.  Mendelssohn 
Act.  soc.  Lips.  II,  171  f. 


192 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  iPeriode. 


der  Siegesfeier  der  Schlacht  von  Salamis  die  ehrenvolle  Aufgabe  erhielt, 
dem  Chor  der  Knaben,  der  tanzend  und  singend  den  Päan  vortrug,  mit 
der  Leier  voranzuziehen.  ^)  Die  harmonische  Vereinigung  von  körperlichen 
und  geistigen  Kräften  kam  ihm  auch  später  im  Leben  zu  statten,  indem 
er  bei  der  Aufführung  seiner  Nausikaa  durch  die  Grazie  im  Ballspiel  ent- 
zückte, 2)  und  vom  Maler  Polygnot  als  zitherspielender  Thamyris  in  der 
bunten  Halle  dargestellt  wurde.  Zum  Lehrer  in  der  Musik  hatte  er  den 
von  Aristoxenos  hochgepriesenen  Lampros;  sein  Unterricht  befähigte  ihn 
die  Melodien  zu  den  Chorgesängen  selbst  zu  komponieren,  während  sich 
Euripides  dabei  fremder  Beihilfe  bedienen  musste.  In  der  Tragödie,  heisst 
es  in  der  Lebensbeschreibung,  ging  er  bei  Aischylos  in  die  Schule;  ob  im 
engeren  Sinne,  als  dass  er  demselben  im  Theater  seine  Kunst  absah,  bleibt 
zweifelhaft.  Zum  erstenmal  trat  er  als  Dramatiker  auf  und  zum  erstenmal 
siegte  er  zugleich  im  J.  468  mit  dem  Triptolemos.^)  Der  Mythus  von  dem 
einheimischen  Heros,  den  die  hehre  Göttin  Demeter  von  ihrem  Heiligtum 
in  Eleusis  auf  schlangenbeflügeltem  Wagen  hatte  ausziehen  lassen,  um  die 
Pflege  des  Ackerbaues  und  die  damit  verbundenen  Lehren  milder  Gesittung 
in  die  Ferne  zu  tragen,  war  so  glücklich  gewählt  und  so  fesselnd  durch- 
geführt, dass  im  Theater  eine  ungewöhnliche  Aufregung  zwischen  den  An- 
hängern des  Altmeisters  Aischylos  und  den  Bewunderern  des  neu  aufgehen- 
den Gestirns  unseres  Sophokles  entstund  und  der  Archen,  der  die  Spiele 
leitete,  in  ausserordentlicher  Weise  dem  siegreich  heimkehrenden  Kimon 
und  seinem  Mitstrategen  die  Entscheidung  überliess.  Die  Entscheidung 
fiel  gegen  Aischylos  zu  Gunsten  des  Sophokles  aus,  der  also  schon  im 
28.  Lebensjahre  der  Ehre  des  ersten  Preises  teilhaftig  wurde. '^)  In  den 
folgenden  10  Jahren  beherrschten  die  beiden  grossen  Tragöden  mit  ab- 
wechselndem Erfolg  die  attische  Bühne,  indem  es  Aischylos  nicht  ver- 
schmähte, auch  von  dem  jüngeren  Genossen  zu  lernen,^)  Sophokles  aber  bei 
aller  Verehrung  gegen  den  älteren  Meister  sich  doch  sorgsam  vor  den  Ver- 
irrungen  desselben  hütete.^)  Von  einem  Wettstreit  mit  Euripides  hören 
wir  zum  erstenmal  im  J.  438,  wo  Sophokles  den  ersten  Platz,  Euripides 
mit  der  Alkestis  den  zweiten  erhielt.  Auch  im  J.  431,  wo  Euripides  seine 
Medea   aufführte,   behauptete   Sophokles  den  Vorrang.')     Im   übrigen  Hess 


^)  Die  Freunde  der  Synchronismen  heben 
hervor,  dass  zugleich  Aischylos  bei  Salamis 
mitkämpfte.  Sophokles  den  Siegesreigen  führte, 
Euripides  in  Salamis  das  Licht  der  Welt  er- 
blickte; siehe  dagegen  §  162  An.  1. 

^)  Vita  und  Ath.  20  f.:  xal  rov  OäfzvQiv 
(^i&daxo)u  civiog  ixiS^aQiasi^,  (ixQcog  Je  iocpai- 
QiaEv,  brf  rrjv  Navatxdav   xa^TJxe. 

^)  Chron.  Par.  Dass  es  der  Triptolemos 
war,  mit  dem  Soph.  siegte,  schloss  Lessing 
aus  Plinius  H.  N.  XVIII,  65:  ante  mortem 
eius  (Alexandri)  annis  fere  CXLV  So- 
lihocles  poeta  in  fabida  Triptolemo  fru- 
mentum  Italicum  ante  cuncta  laudavit. 

')  Plut.  Cim.  8.  Ebenda  und  in  Vit. 
Aesch.  ist  weiter  erzählt,  dass  infolge  der 
Niederlage  Aischylos  Athen  verlassen  und 
nach  Sikilien  gegangen  sei;  das  letztere  ist 


jedenfalls  Fiktion;  s.  §  137. 

•'*)  Gleich  467  siegte  wieder  Aisch.  mit 
den  Sieben,  458  mit  der  Orestie;  beidemal 
machte  Aisch.  vom  3.  Schauspieler  Gebrauch. 

^)  Von  der  Verehrung  des  Soph.  gegen- 
über dem  älteren  Meister,  den  er,  als  er  selbst 
zum  Hades  hinabkam,  küsste  und  durch  Hand- 
schlag begrüsste,  s.  Aristoph.  Ran.  788  ff.  u. 
1516  ff.  Auf  der  anderen  Seite  lesen  wir 
bei  Ath.  22''^:  fxe&vMu  de  inoisi,  rag  xqa- 
yio&iag  Jia/vXog,  aig  cp7]ot  XafzaiXecoy  '  locpo- 
xXrjg  yovv  (oveUi^sv  cwko,  otl  si  xal  rd 
Jeopxci  noLsr,  «AA'  ovx  Etd(6g  ye.  Auch  den 
oyxog  Alaxvlov  tadelte  er  nach  Plut.  de 
prof.  virt.  7. 

"')  Auch  liess  er  nach  Eur.  Vorgang  im 
Hipponus  den  Chor  seine  persönliche  Sache 
führen;  s.  Pollux  IV,  111. 


C.  Drama.     2,  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  148.) 


193 


derselbe  in  späteren  Jahren  sich  auch  von  dem  jüngeren  Rivalen  beein- 
flussen. Das  zeigt  besonders  der  Deus  ex  machina  im  Philoktet  (aus  d. 
J.  409)  und  die  Art  des  Prologs  in  den  Trachinierinnen.  i)  Ausserdem  trat 
er  auch  mit  Choirilos,  Aristias,  Euphorion  und  mit  seinem  eigenen  Sohne 
lophon  in  die  Schranken; 2)  Euphorion,  der  Sohn  des  Aischylos,  gewann 
ihm  im  J.  431  den  1.  Preis  ab.^) 

148.  Als  guter  Bürger  beteiligte  sich  Sophokles  auch  an  dem  öffent- 
lichen Leben  und  ward  von  seinen  Mitbürgern  mit  mannigfachen  Ehren 
ausgezeichnet.  Bekannt  ist  seine  Ernennung  zum  Strategen  im  samischen 
Kriege  (441  —  439)  infolge  des  Beifalls,  den  seine  Antigene  gefunden  hatte.*) 
Perikles,  sein  mächtiger  Gönner  und  Kollege  im  Amt,'')  scheint  indes  nicht 
viel  von  dem  Feldherrntalent  des  Dichters  gehalten  zu  haben;  man  legte 
ihm  den  Scherz  in  den  Mund:  zu  dichten  verstehe  Sophokles,  nicht  aber 
das  Heer  zu  führen.^)  Er  verwendete  ihn  daher  mehr  zu  diplomatischen 
Sendungen  an  die  Bundesgenossen.  In  Chios  kam  Sophokles  bei  dieser 
Gelegenheit  mit  dem  Tragiker  Ion  zusammen,  der  uns  bei  Athenaios  p.  603  e 
die  nette  Anekdote  erzählt,  wie  der  lebenslustige  Dichterfeldherr  beim 
Wein  einem  schönen  Knaben  einen  Kuss  abgewinnt  und  dieses  dann  als 
dasjenige  Strategem  erklärt,  auf  das  er  sich  verstehe.')  Um  diese  Zeit 
ist  er  auch  zu  Herodot,  wahrscheinlich  durch  Vermittlung  des  Perikles, 
des  gemeinsamen  Gönners  beider,  in  nähere  Beziehung  getreten;  denn  nach 
Plutarch,  an  seni  3,  hat  er  55  Jahre  alt  eine  Elegie  an  Herodot  gerichtet, 
deren  Anfang  lautete:  o^^tp'  ^Hqoö6t(i)  tsv'^sv  ^ocfoxXr^g  htMv  o)v  tt&vt'  inl 
TU€VTr^xovTa.^)  Ausser  dem  Strategenamt  im  samischen  Krieg  bekleidete  er 
Ol.  84,  2  ~  443/2  die  Würde  eines  Hellenotamias  oder  Schatzmeisters  der 
Bundesgenossenkasse. '^)  Eine  zweite  Strategie  des  Dichters  erwähnt  Plu- 
tarch, Nie.  15,  wobei  er,  von  Nikias  aufgefordert  als  ältester  seine  Meinung 
zuerst  zu  sagen,  in  liebenswürdiger  Bescheidenheit  erwiderte:  eya]  naXaiö- 


')  Argum.  Eur.  Ale.  et  Med. 

2)  Vita  Soph. 

^)  Argum.  Eur.  Med. 

^)  Argum.  Antig.:    (fciol    de   xov    Ioq)o- 

doy.i^qaciVTa  iv  rfj  di&aaxa'Aia  rijg  'Jptiyorrjg. 
Vita  Soph. :  xcd ^Jx^rjicuoi  cT'  aviop  ve  {'ixf  oder 
is  codd.,  ve'  stimmt  zu  der  Elegie  an  Hero- 
dot) STMV  ovra  aTQar7]y6v  sYlovro  tjqo  tmu 
JJslonovvrjGiaxdv  exsoiv  C  (corrige  <9^'  vel  f]') 
iv  TW  TTQog  'Avaiovg  noXsfzio.  Suidas  u.  Me- 
'AiGffog:  V716Q  ZafA.i(x}p  axQaxrjyi^dag  evav^d- 
Xi]GS  TiQog  Zoffoxlriv  xop  xgaytxou  6X.  ttcT' 
{Tis'  coni.  Bernhardy).  Danach  war  Sophokles 
wahrscheinlich  im  J.  440  Stratege.  Vgl. 
noch  Strab.  p  638;  Plut.  Nie.  15,  Pericl.  26, 
adv.  Col.  32,  Justin  III,  6,    12. 

^)  Das  Verzeichnis  sämtlicher  10  Stra- 
tegen in  Sehol.  Aristid.  111,  p.  485  D,  mit 
Ergänzung  von  Wilamowitz,  De  Bhesi  scho- 
liis,  Greifsw.  1877. 

'^j  So  Sophokles  selbst  bei  Ath.  603  d: 
T[sQix'kt/)]g  7Toi,f£tv  US  tfp7],  axQCix^jyseiy  J"  ovx 
iniGxuaOai.  Indes  berichtet  Suidas  u,  Ms- 
Haiulh'.icli  der  klass.  Altertumswi.sscnscbaft.  TU.    2. 


hGGog,  dass  der  Philosoph  Melissos  dem 
Tragiker  Sophokles  eine  Seeschlacht  ge- 
liefert habe. 

^)  Weiter  ausgeschmückt  ist  der  Vorfall 
von  Cicero  de  off.  1,  144:  bene  Perides,  cum 
h'iberet  collegam  in  praetura  Sophoclem 
poetam  iique  de  communi  officio  convenis- 
sent  et  casu  formosus  puer  praeteriret 
dixissetque  Sophocles  „o  puevum  pulchrum, 
Fericle,"  „at  enim  iiraetorem,  Sophocle,  decet 
non  solum  manus,  sed  etiam  oculos  absti- 
nentes habere  " 

«)  Vgl.  ZuRBORG,  Herrn.  X,  206  ff.,  Clas- 
SEN  in  Verh.  d.  Kieler  Philol.  Vers.  114  ff. 
Von  dem  Studium,  das  Sophokles  dem  Hero- 
dot zuwandte,  zeugt  die  Anlehnung  von  Oed. 
Col.  337-41  an  Herod.  II,  35,  von  Electr. 
417-23  an  Herod.  I.  108;  hingegen  wird 
der  Anklang  von  Ant.  905  —  14  an  Herod. 
HI,  119  auf  spätere  Interpolation  zurück- 
zuführen sein,  und  kann  ebensogut  Oed.  R. 
261  f.  dem  Herod.  IX,  68  als  umgekehrt 
nachgeschrieben  sein. 

'')  Bezeugt  durch  CIA.  I,  237. 
Aull.  13 


194 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


rarog  eiiu,  av  S^  TtQsaßinaTOQ. ^)  Im  hohen  Alter  ward  er  nochmals  in  die 
Politik  hineingezogen,  wenn  anders  die  Nachricht  bei  Aristoteles  Rhet.  III, 
18  auf  unseren  Tragiker  bezogen  werden  darf.  2)  Danach  verteidigte  sich 
Sophokles,  als  er  im  J.  411  Probulos  des  Rates  gewesen  war  und  nach 
dem  Sturz  der  Oligarchen  vor  Gericht  gestellt  und  der  Mitschuld  der  Ein- 
setzung des  Rats  der  Vierhundert  beschuldigt  wurde,  mit  der  Verlegen- 
heitsausrede, dass  er  keine  bessere  Wahl  gehabt  habe.  Auch  ein  geist- 
liches Amt,  das  Priestertum  des  Heros  Alkon,  verwaltete  er  und  bezeugte 
seinen  frommen  Sinn  durch  Stiftung  einer  Kapelle  des  '^HQaxXrjg  ^r^vvrr^g^) 
und  durch  Dichtung  eines  Päan  auf  Asklepios,  ^)  von  dem  neuerdings  Bruch- 
stücke in  einem  Asklepiosheiligtum  am  Südabhang  der  Burg  gefunden 
wurden.-'')  Übrigens  ward  es  ihm  noch  zu  besonderer  Ehre  angerechnet, 
dass  er  nicht,  wie  Aischylos,  Euripides  und  andere  verlockenden  Ein- 
ladungen an  Fürstenhöfe  folgte,  sondern  als  avrjQ  (fiXa^r^vaiog  ähnlich  wie 
Sokrates  stets  in  Athen  geblieben  ist.*^) 

149.  Im  Privatleben  gewann  Sophokles  durch  Liebenswürdigkeit  und 
Anmut  die  Herzen  Aller  und  wusste  durch  heiteren  Witz  und  Humor  die 
Unterhaltung  zu  würzen.  Den  süssen  Gaben  der  Aphrodite  war  er  keines- 
wegs abhold;  auch  von  der  Verirrung  des  griechischen  Altertums,  von  der 
Liebe  zu  schönen  Knaben,  scheint  er  sich  nicht  frei  gehalten  zu  haben. '^) 
Verheiratet  war  er  mit  Nikostrate ;  Sprosse  dieser  Ehe  war  lophon,  der, 
wie  sein  Vater,  die  Laufbahn  eines  tragischen  Dichters  einschlug.  Die 
Dichterlegende  weiss  ausserdem  von  der  Liebe  des  greisen  Dichters  zur 
Sikyonerin  Theoris  und  dem  Ariston  als  Frucht  dieser  Verbindung  zu  er- 
zählen.*)    Enkel  des  Dichters  war  Sophokles,   der  aber  nicht  von  Ariston, 


^)  Im  Schol.  zu  Aristoph.  Pac.  696  wird 
dem  alternden  Sophokles  der  Vorwurf  der 
Gewinnsucht  gemacht  mit  der  Bemerkung 
'Atyeica  (fe  ort  ix  rijg  axQtarjyiag  rfjg  fV  ^afxo) 
7]QyvQia(iTo.  Hier  ist  die  zweite  Strategie 
mit  der  ersten  verwechselt;  vielleicht  ist 
dasselbe  oben  Anm.  4  mit  der  doppelten  Zeit- 
angabe der  Fall,  und  war  Sophokles  im  55. 
und  im  69.  Lebensjahr  oder  441  und  427 
Stratege. 

2)  Bestritten  wird  dieses  von  Dindorf, 
Vit.  Soph.  p.  XX,  sq. 

")  Cic.  de  div.  I,  54:  Sophocies,  cum  ex 
aede  Herculis  patera  aurea  (jrcwis  surrepta 
esset,  in  somnis  vidit  ipsum  deum  dicentem 
qui  id  fecisset,  quod  semel  ille  iterumque 
neglexit.  uhi  idem  saepius,  ascendit  in 
Ariopagum,  detulit  rem.  Ariopagiiae  com- 
prehendi  iuhent  eum,  qui  a  Sophocle  erat 
nominatus;  is  quaestione  adhihita  confe^sus 
est  pateramque  rettuUt,  quo  facto  fanum 
illud  Indicis  Herculis  nominatum  est.  Die 
Vita  fügt  hinzu,  dass  Soph.  für  die  Anzeige 
eine  Prämie  von  1  Talent  erhalten  habe. 

^)  Et.  M.  256,  6,  Philostratus  iun.  Imag. 
13  und  andere  (s.  Jahn  zur  Vita  Z.  88)  er- 
zählen von  der  Bewirtung  des  Asklepios 
durch  den  Dichter  und  von  der  Asklepios- 
kapelle  des  Sophokles  an  der  Burg. 


^)    KUMANUDES,  ^AS^r]V.  5,  340  U,  BÜCHELEF, 

Rh.  M.  32,  318  u.  34,  302. 

^)  Seine  eigene  Gesinnung  bekennt  er 
fr.  711:  oaiig  yccQ  wg  rvQapi^ov  SfxnoQsvsrai. 
X6LV0V  Vrfc  cTovAo?  x«V  eXsv&SQog  /uoXr}. 

'')  Bei  Ath.  603 e  heisst  Sophokles  ^/Ao- 
jwer^)«!^,  wie  Euripides  cpi'koyvvrjg.  Ausser  dem 
schönen  Knaben  von  Chios,  von  dem  uns  Ion 
bei  Ath.  603 e  erzählt,  nennt  Ath.  592b  noch 
einen  Knaben  Smikrines. 

^)  Hermesianax  bei  Ath.  598c  u.  Poll. 
IV,  111.  Welckee,  Gr.  Trag.  I,  304  sucht 
geistreich  den  Ursprung  der  Legende  in  dem 
miss verstandenen  Halbvers  (piXrj  yilg  ?/  d^eioQig. 
Suidas  erwähnt  noch  als  weitere  Kinder  des 
Sophokles  den  Leosthenes,  Stephanos,  Mene- 
kleides.  Von  Ath.  592  wird  nach  der  trüben 
Quelle  des  Anekdotenschreibers  Hegesander 
noch  eine  zweite  Geliebte  des  Dichters  ge- 
nannt, die  Hetäre  Archippe,  die  er  zur  Erbin 
eingesetzt  habe.  Scholl,  Leben  d.  Soph. 
365  ff,  verwirft  alles  dieses  als  Missver- 
ständnis, entstanden  aus  den  bösen  Nach- 
reden der  Komiker,  indem  er  sich  auf  die 
Darstellung  des  Piaton  de  rep.  I,  p.  329  b 
(Ammianus  Marcell.  XXV,  4)  berief,  wo 
Sophokles  sich  rühmt,  im  Alter  des  bösen 
Tyrannen  der  Liebesleidenschaft  losgeworden 
zu  sein. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles  (§  149). 


195 


sondern  von  lophon  abstammte.^)  Übrigens  scheint  es  in  dem  Hause  des 
alten  Sophokles  nicht  an  Zwistigkeiten  zwischen  Vater  und  Sohn  gefehlt  zu 
haben;  nach  einer  vielfach  bezeugten  Überlieferung  klagte  lophon  seinen 
Vater  bei  den  Geschlechtsverwandten  {(fQccTOQsg)  wegen  Geisteszerrüttung 
(nagavoiag)  an,  worauf  dieser  zum  Beweise  seiner  Geisteshelle  das  herrliche 
Preislied  auf  Attika  im  Oedipus  Col.  vortrug  und  damit  die  Richter  zu 
solchem  Enthusiasmus  fortriss,  dass  sie  mit  Entrüstung  die  Klage  des 
Sohnes  abwiesen.  2)  Die  Sage  ging  in  dieser  ausgeschmückten  Form  auf 
irgend  eine  Komödie  zurück,  welche  den  Handel  des  lophon  auf  die  Bühne 
gebracht  hatte.  ^)  Aber  an  der  Sache  wird  doch  etwas  wahres  gewesen 
sein,  da  auch  Aristoteles  Rhet.  HI,  15  von  einem  Prozess  des  Sophokles 
meldet,  in  dem  derselbe  sein  Zittern  mit  der  Last  der  80  Jahre  entschul- 
digte. Auffällig  ist  nur,  dass  Aristophanes  in  den  Fröschen  V.  73  nichts 
von  einem  Streit  des  lophon  mit  seinem  Vater  weiss,  sondern  nur  abwarten 
will,  ob  derselbe  auch  nun,  wo  er  nicht  mehr  des  Vaters  Beihilfe  habe,  etwas 
zu  leisten  im  stände  sei.  Gestorben  ist  Sophokles  als  hochbetagter  Greis  von 
91  Jahren  unter  dem  Archen  Kallias,  im  Herbste  406.*)  Sein  Tod  war 
ruhig  und  sanft;  Spätere  dichteten,  dass  er  bei  dem  Verschlucken  einer 
unreifen  Traube,  die  ihm  der  Schauspieler  Kallipides  vom  Lande  geschickt 
hatte,  den  Erstickungstod  gestorben  sei.^)  Kurz  zuvor  hatte  er  noch  um 
den  Tod  seines  Kollegen  Euripides  Trauerkleider  angelegt.  ^)  An  den 
Lenäen  des  folgenden  Jahres  (405)  beklagten  schon  die  beiden  grossen 
Komödien  dichter  Aristophanes  in  den  Fröschen  und  Phrynichos  in  den  Musen 
den  Hingang  der  zwei  Meister  des  tragischen  Kothurn.  Das  Grabdenkmal 
in  seinem  Heimatort  an  der  Strasse  nach  Dekeleia  war  mit  einer  Sirene 
als  Symbol  der  Totenklage  geziert.'^)  Wie  einem  Heros  wurden  ihm  dort 
alljährlich  nach  einem  Volksbeschluss  Opfer  dargebracht.^)  Die  Sage,  dass 
der  spartanische  Feldherr  Lysander  erst  nachdem  er  gehört,  dass  Sophokles 
gestorben   sei,   den  Trauerzug   aus   der  Stadt  herausgelassen  habe,'-^)   lässt 


')  CIA.  11,  072,  37. 

^)  Satyros  in  Vita  13;  Cic.  de  sen,  7, 
22  und  de  fin.  V,  1.  3;  Plut.  an  sen.  3;  Apul. 
apol.  37;  Ps.  Lucian  Macrob.  24. 

^)  Vita  13:  x(d  nore  eV  &Qdfxciji  etaijyaye 
'locptjivxa.  Vermutet  wird  Aristophanes,  der 
eine  Komödie  jQccfÄaza  schrieb,  oder  Leu- 
kon, von  dem  ein  Stück  4>QdT€Q€g  betitelt 
war. 

■*)  Marm.  Par.  aq^ouTog  ^J^tjrf]ai  KctXXlov, 
ebenso  Diodor  13,  103.  Die  Zeitangabe  neQc 
rovg  Xoag  ist  weder  mit  der  p]rzählung  von 
der  Traube  noch  mit  der  Aufführung  von 
Aristophanes  Fröschen  an  den  Lenäen  (Jan. 
Febr.)  vereinbar,  ausser  man  denkt  an  die 
ländlichen  Dionysien,  die  allerdings  einmal 
zur  Zeit  des  Demosthenes  (or.  18,  160  und 
262)  in  Kolytos  zur  Zeit  der  Weinlese  ge- 
feiert wurden. 

')  Vit.  Soph.;  Anth.  Vll,  20;  Sotades 
bei  Stob.  98,  9;  Ps.  Lucian  Macr.  24.  Die 
Angabe  des  Satyros  in  der  Vita,  dass  er 
beim  Vorlesen  der  Antigone  erstickt  sei,  war 
vielleicht   ursprünglich    ein    Spott    auf    die 


lange,  pausenlose  Monodie  der  Antigone  in 
Oed.  Col.  243—53,  kann  sich  aber  auch  auf 
die  ßotenrede  Ant.  1215 — 8  beziehen.  Von 
diesen  Todesursachen  weiss  noch  nichts 
Phrynichos,  der  in  seinen  Movaca  (Argum. 
Oed.  Col.)  umgekehrt  von  Soph.  sagte:  x«- 
X(og  cF'  ETslevTTja^  ov^sp  vno^eirccg  xaxov. 
Das  Todesjahr  und  die  Fabeln  über  den  Tod 
des  Dichters  sind  neuerdings  besprochen  von 
Mendelssohn,  Acta  phil.  Lips.  11,  161  ff. 

^)  Vita  Eur. :  Xeyovai  (^s  xtd  2LocpoxXta 
dxovGccpxa  oii  hslsvTijaev,  aviov  ^ev  Ifxci- 
TLM  cpaiM  TJQosX&eh',  TOP  (fe  /oQop  xal  Tovg 
vnoxQixdg  daiecfciVifixovg  eiaayayeTv  eV  rw 
TXQoayüJvL. 

'')  Die  Grabschrift  soll  nach  dem  wenig 
verlässigen  Lobon  (anders  bei  Val.  Max.  8,  7) 
gelautet  haben: 

y.Qimru)  nods  xdrpM  locpoxlrj  ttqmxsTcc  ?,aß6px(c 
xrj  XQccyixrj  xe/i'rj  G/i]U(c  xo  OEfAvoxaxov. 

^)  Vita  und  Et.  M.  256.  6. 

9)  Vita;  Plinius  H.  N.,VII,  109;  Paus. 
1,  21.  1.  Bergk  deutet  die  Überlieferung  auf 
das  Todesopfer,  welches  die  Angehörigen  im 


19(3 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


sich  mit  der  geschichtlichen  Wahrheit  nicht  vereinigen,  da  die  Einschlies- 
sung  Athens  erst  im  folgenden  Jahre  begann.  Das  Bild  von  der  Gestalt 
und  dem  Gesichtsausdruck  des  grossen  Toten  können  wir  uns  noch  durch 
die  Marmorstatue  des  lateranischen  Museums  vergegenwärtigen,  i)  die  wohl 
eine  Kopie  des  auf  Antrag  des  Redners  Lykurg  dem  Dichter  im  Theater 
errichteten  Standbildes  ist:  eine  hohe  Gestalt  von  kräftigen  Formen  mit 
vollem  Bart-  und  Haarwuchs,  den  Kopf  nur  wenig  nach  oben  gerichtet, 
voll  Klarheit  und  mildem  Ernst.  In  den  Epitheten,  welche  ihm  die  Zeit- 
genossen gaben  —  svxoXoi'  nennt  ihn  Aristoph.  Ran.  82,  7Tai6i(66rj  naq' 
oivor  xal  ös^iöv  Ion  bei  Ath.  603  f.  —  und  in  dem  Beiwort  Biene 
[lisXiTTo),  welches  ihm  die  Grammatiker  und  Epigrammatiker  mit  Vor- 
liebe beilegten,'-^)  drückt  sich  noch  mehr  als  in  den  Zügen  seines  Por- 
träts die  gewinnende  Anmut  seiner  Umgangsformen  und  die  bezaubernde 
Grazie  seiner  Rede  aus.  Der  Vorwurf  des  Geizes,  den  ihm  Aristophanes 
im  Frieden  V.  696  macht,  dass  er,  alt  geworden,  wie  Simonides  nur  dem 
Gewinne  lebe,  stimmt  schlecht  zu  seinem  sonstigen  Wesen.-)  Ein  schöner 
Zug  von  Geselligkeit  liegt  in  der  von  ihm  veranlassten  Gründung  eines 
Musenvereins  von  Gebildeten  oder  Theaterkünstlern. '^) 

150.  Gedichtet  hat  Sophokles  nach  der  Angabe  des  Grammatikers 
Aristophanes  ausser  wenigen  Elegien  und  Päanen  123  Dramen.^)  Erfolge 
erzielte  er  im  dramatischen  Wettkampf  mehr  als  Aischylos  und  Euripides, 
indem  er  18  bis  20  Siege  errang,^)  oft  den  2.  Preis  davontrug,  niemals 
auf  die  3.  Stelle  herabgedrückt  wurde.  Erhalten  haben  sich  von  ihm  nur 
7  Tragödien  in  folgender  Ordnung:  Äiag,  ^HXtxTqa,  OiSinovq  TVQavvog, 
AvTiyovri,  Tga^iviai,  <t>iXoxTijTrjg,  OiöiTiovg  enl  KoXmvojJ)  Wahrscheinlich 
waren  diese  die  besten  Stücke  nach  dem  Urteil  des  Grammatikers,  der 
gegen  Ende  des  Altertums  die  Auswahl  traf.^)    Der  Ordnung  lag  vielleicht, 


nächsten  Jahr  am  Sterbetag  dem  Toten  dar- 
brachten. 

^)  Siehe  Tafel;  über  die  Statue  siehe 
Welcker,    Denkm.    d.    alt.    Kunst  I,  457  ff. 

2)  Dio  Chrys.  or.  LH,  p.  273;  Gramer, 
An.  Par.  I,  19;  Suidas;  Schol.  zu  Ai.  1199, 
Oed.  Col.  17;  Anth.  VIT,  22  u.  36.  Aus- 
gegangen sind  die  Späteren  von  den  Versen 
des  Aristophanes:  6  cT'  av  locpoxXeovg  rov 
fithiL  xe/QiOf^ei'ov  |  mgtisq  xadiaxov  neQie- 
Xsi/s  ro  öTÖfxa.  Ath.  20  e:  nQog  tw  xalög 
ysyevfJGxfai  Tr]p  wQai'  ijr  xcd  6Q/7]azixrjv 
dsö'idayfAepog  xcd  fxovaixijy.  Vita:  rov  ij&ovg 
Toaavrrj  yiyovE  %«Q(^g,  wate  ndvxi]  xcä  TjQog 
icTiiiVTMv  aviop  aTSQyead^ai,. 

^)  Welcker,  Gr.  Trag.  I,  208  u.  Bergk, 
Vita  Soph.  p.  XVIII  vermuten,  dass  sich  der 
Vorwurf  auf  die  häufigere  Dichtung  von 
Dramen  während  des  peloponnesischen  Krie- 
ges bezogen  habe,  was  bei  der  Höhe  des 
Dichterhonorars  (s.  §  131)  als  Gewinnsucht 
gelten  konnte. 

^)  Istros  in  der  Vita:  raTg  de  Movoaig 
xhiaaop  ix  tüjp  TiSTiaK^evfxei^wy  avvayaysTv. 
Vgl.  Sauppe,  De  coUcqio  artificuvi  scaen. 
Ind.  Gott.  1870  p.  4  f.  Die  ai^odog  tlov 
7i€^l  Jiopvaoy  T6/ytTior  will  davon  getrennt 


wissen  Köhler,  Rh.  M.  39,  293. 

^)  Diese  Zahl  gibt  Suidas  an,  und  damit 
stimmt  auch  die  Zahl  der  echten  Stücke  der 
Vita,  wenn  wir  mit  Bergk  lesen:  s/si  de 
dQiifXttra,  vijg  (pr]Oiv  'Aqiarocpcivrjg  qX ,  rovTtoi' 
ÖS  rspöx^evicii  t,'  [it,'  codd.).  Die  Zahl  kann 
nicht  ganz  richtig  sein,  da  sie  nicht  mit  4 
in  Tetralogien  zerlegbar  ist. 

*')  20  Siege  gab  Antigonos  Karystios 
nach  der  Vita  an,  24  Suidas,  18  Diodor 
XIII,  103;  18  Siege  an  den  Dionysien  gibt  auch 
die  didaskalische  Urkunde  CIA.  II,  977;  ob  er 
auch  an  den  Lenäen  gesiegt,  wissen  wir  nicht. 

"')  Es  haben  sich  also  ebenso  viele 
Stücke  von  Sophokles  wie  von  Aischylos 
erhalten;  ebenso  wurden  von  Sophokles  in 
der  byzantinischen  Zeit,  wie  man  aus  den 
Schohen  sieht,  nur  3  Stücke  (Aias,  El.,  Oed.  R.) 
häufiger  gelesen;  vgl.  §  138  u.  105. 

^)  Von  Antigone  u.  Elektra  heisst  es  bei 
Dioskorides  Anth.  VII,  37  uficpozeQai  yuQ 
axQoy,  von  Oed.  R.  in  der  2.  Hypothesis 
i^e/SL  7i((Of]g  rry?  Zocfoxleovg  7toi7]G€(og  und 
ähnlich  bei  Ps.  Longin  33  u.  Statilius  Anth. 
XI,  98,  von  Oed.  Col.  ro  dQajucc  jiov  xhav- 
fuctoTidy,  Philoktet  erhielt  den  1.  Preis  und 
wird     von    Dio    Chrys.    or.    52    bewundert. 


C.  Drama.     3.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  150-151.) 


197 


wie  Sclineidewin  vermutete,')  ein  chronologisches  Prinzip  zu  gründe,  das 
nur  ein  wenig  durch  die  Voranstellung  der  drei  im  Mittelalter  am  meisten 
gelesenen  Stücke  (Aias,  Elektra,  Oed.  R.)  gestört  wurde.  Ehe  wir  aber 
auf  die  erhaltenen  Tragödien  im  einzelnen  eingehen,  wollen  wir  zuvor  von 
den  Verdiensten  des  Sophokles  um  die  attische  Bühne  im  allgemeinen  handeln. 
151.  Unter  den  Neuerungen,  welche  Sophokles  in  der  äusseren  Gestalt 
des  dramatischen  Bühnenspiels  vornahm,  war  die  augenfälligste  die  Ver- 
mehrung der  Schauspieler  von  2  auf  SJ)  Dieselbe  muss  von  ihm  gleich 
bei  seinem  ersten  Auftreten  (468)  oder  doch  bald  nachher  durchgesetzt 
worden  sein,  da  alle  seine  erhaltenen  Tragödien  mindestens  3  Schauspieler 
zur  Aufführung  fordern  und  auch  Aischylos  schon  in  der  Orestie  (458), 
wahrscheinlich  auch  schon  im  Prometheus  und  in  den  Sieben  (467)  von 
3  Schauspielern  Gebrauch  machte.  Denn  es  ist  ja  selbstverständlich,  dass 
die  Gewährung  von  3  Schauspielern  zu  gleicher  Zeit  allen  Dichtern  zu 
statten  kam.  Zur  Einführung  eines  3.  Schauspielers  fügte  Sophokles  die 
Neuerung,  dass  er  sich  wegen  seiner  schwachen  Stimme  von  der  Ver- 
pflichtung entheben  Hess,  selbst  die  Rolle  eines  Schauspielers  bei  Auffüh- 
rung seiner  Dramen  zu  spielen.^)  Das  geschah  wahrscheinlich  im  J.  456, 
da  von  diesem  Jahre  an  in  den  Siegerverzeichnissen  neben  dem  siegenden 
Dichter  auch  der  siegende  Schaupieler  erwähnt  ist.^)  An  die  Einführung 
des  3.  Schauspielers  knüpft  mit  Recht  Diogenes  die  Vollendung  der  griechi- 


Niir  von  den  Tracliinierinnen  fehlt  ein  aus- 
drückliches anerkennendes  Zeugnis. 

^)  ScHNEiDEWiN,  Abhdl.  d.  Gott.  Ges.  VI, 
264.  Vgl.  das  Referat  von  Wecklein,  Jahr- 
ber.  d.  Alt.  XIV,  1.  242.  Einwendungen 
erhebt  Bergk,  Vit.  Soph.  p.  XL  hauptsäch- 
lich deshalb,  weil  in  der  Ordnung  der  Stücke 
der  übrigen  Tragiker  auf  die  Chronologie 
keine  Rücksicht  genommen  sei.  Aber  dass 
es  eine  Ordnung  nach  der  Zeit  gab,  beweist 
die  Angabe  der  aristophanischen  Hypothesis 
der  Antigene,  dass  dieselbe  an  32.  Stelle  stund. 
Eine  ähnliche  Angabe  findet  sich  in  Argum. 
Eur.  Ale.  und  Aristoph.  Aves;  s.  Böckh, 
Ausg.  der  Antig.  S.  120  An.  Der  Annahme 
einer  chronologischen  Ordnung  fügen  sich 
gut  Aias,  Philoktet,  auch  Oed.  Col.,  wenn 
man  von  der  bezeugten  (zweiten)  Aufführung 
ausgeht.  Einige  Bedenken  erregt  die  Elektra, 
die  indes  ebenso  wie  der  Oed,  R.  vor  die 
Antigene  nur  infolge  der  Voranstellung  der 
3  meist  gelesenen  Stücke  (Aias,  El.,  Oed.  R.) 
gekommen  war.  Von  Bedeutung  für  die 
Erkenntnis  der  chronologischen  Folge  ist 
namentlich  der  Versbau,  für  die  mir  mein 
ehemaliger  Schüler  Probst  folgende  Tabelle 
zur  Verfügung  gestellt  hat:  Auflösungen  im 
Trimeter  hat  El.  3,  16,  Ant.  4,  05,  Oed.  C.  5, 
06,  Trach.  5,  9,  Oed.  R.  5,  93,  Phil.  11,00  auf 
1 00  Verse.  Versteilung  durch  Personenwechsel 
Ant.  0,  Ai.  4,  Trach.  4,  Oed.  R.  12,  El.  27,  Phil. 
32,  Oed.  C.  48,  mehr  wie  einmaligen  Per- 
sonenwechsel El.  1,  Oed.  C.  1,  Oed.  R.  2, 
Phil.  4.     Dazu    kommen    aber    noch    Eigen- 


tümlichkeiten der  lyrischen  Versmasse,  wo- 
von unten  bei  den  einzelnen  Stücken. 

2)  Arist.  Poet.  4;  Diog.  III,  56:  (vansQ 
ro  nalaiop  ep  tfj  TQayioöia  tiqotbqov  fxev 
(.lovog  6  /oQog  ^iE&Qa^chi^ev,  varsQov  de 
(^Eonig  eva  vnoxQit'rjp  iievQSv  vnsQ  rov  ccvc(- 
navsodca  top  ^oqop,  xal  deiheQOP  Aia^vlog, 
TOP  ÖS  tqLtov  liofpoy.Xrjg,  xal  avven'kiJQioae 
xrjv  TQayioöiai'.  Vgl.  Dikäarch  in  Vit.  Aesch. 
13,  Suidas  und  Vita  Soph. 

^)  Vita:  xcil  noXXd  exaivovqyrjaap  ii^ 
Totg  aycoai,  tiqmtov  fiEv  xaralvGag  rrjv  vno- 
XQiaiv  rov  nottjrov  dt«  ryi'  idlccf  fjLLXQO(p(jiv'iCiv ' 
TJc'iXca  yccQ  xcd  6  nonjTTJg    vttexqli^sto    avrog. 

"*)  Dieses  Jahr  ist  aus  der  grossen  di- 
daskalischen  Inschrift  CIA.  II,  971  ermittelt 
von  Oehmichen,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  II,  145. 
Dass  die  Zufügung  des  siegenden  Schau- 
spielers auf  den  Siegerlisten  mit  der  Neue- 
rung des  Sophokles  oder  mit  der  Abschaffung 
des  alten  Brauches,  nach  welchem  der  Dichter- 
didaskalos  zugleich  die  erste  Schauspieler- 
rolle spielte,  zusammenhing,  ist  meine  eigene 
Vermutung,  die  sich  leicht  auch  einem  an- 
deren aufgedrängt  haben  wird.  Wenn  des 
weiteren  nun  in  dem  Leben  des  Sophokles 
überliefert  wird,  dass  der  Dichter  selbst  in 
der  Rolle  der  ballspielenden  Nausikaa  und 
des  die  Laute  spielenden  Thamyris  excelliert 
habe,  so  müssen  wir  nach  obigem  annehmen, 
dass  beide  Stücke,  die  Nausikaa  und  der 
Thamyris,  in  die  Zeit  vor  456  oder  zwischen 
468  und  456  zu  setzen  sind. 


198 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


sehen  Tragödie;   denn  über  sie  gingen  die  Alten  nicht  hinaus  und  mit  ihr 
erst  hat  Sophokles  die  kunstvolle  Durchführung  einer  verschlungenen  Hand- 
lung  und   die   wirksame  Gegenüberstellung  verschiedener  Charaktere,   wie 
der  Antigene   und  Ismene,   der  Elektra   und  Chrysothemis,    ermöglicht.   — 
Ebenso   wie   die  Zahl    der  Schauspieler   vermehrte    er   die    der   Choreuten, 
und  zwar  von  12  auf  15.^)     Diese  Neuerung  ist  später  wie  die  zuvor  be- 
sprochene  eingeführt  worden,    da  wir  sie  noch  nicht   im  Agamemnon   des 
Aischylos  und  selbst  noch  nicht  im  Aias  unseres  Dichters  treifen.    Wiewohl 
von  minder  hoher  Bedeutung,  hat  sie  doch  eine  ebenmässigere  Aufstellung 
des  Chors    beim   Stand   auf   der  Thymele   ermöglicht  und   ausserdem  dem 
Koryphaios  eine  selbständigere  Stelle  verschafft,    zumal   wenn    derselbe   in 
zwei    gegenüberstehende    Reihen     [avxiTiQoawTioi)    auseinandertrat.      Darin 
beruht  aber  auch  der  Zusammenhang  der  beiden  Neuerungen,  indem  nun- 
mehr  der  Chorführer  in   den  Wechselgesprächen   gleichsam   als  4.  Schau- 
spieler den  3  Schauspielern  der  Bühne  gegenübertrat.-)     Der  Lexikograph 
Suidas  erwähnt  auch  eine  eigene,  in  Prosa  geschriebene  Schrift  des  Sophokles 
TtsQi  Tov  xo^oi5,  worin  derselbe  gegenüber  Thespis  und  Choirilos,  den  ersten 
Ordnern    des    Chors,    die  Vorteile    seiner    Neuerung   auseinandersetzte.    — 
Seine   weittragendste  Neuerung    bestand    in    der   Loslösung   der    einzelnen 
Dramen   von  ihrem  tetralogischen   oder  trilogischen  Zusammenhang,    was 
Suidas  mit   den   unklaren  Worten   ausdrückt:   tjq^s  tov  dgäfjia  nqog  ^Qocfia 
aycovf^ead^cci,    äXXd   ixi]   rsTQakoysiCi^^ai    (v.  1.    TSTQaXoytav).     Die  Erklärung 
der  Worte   geben  uns   die  Tragödien   des  Sophokles    selbst   an   die  Hand, 
wenn    wir   es    auch    schwer    empfinden,    dass   uns   gerade   von   ihm   keine 
einzige  vollständige  Didaskalie   und   keine  Angabe   über   die  mit   den  ein- 
zelnen 7  Tragödien  zugleich  gegebenen  Stücke  erhalten  ist.    Vor  wie  nach     1 
aber  traten  die  Tragiker  an  den  grossen  Dionysien  mit  4,  nicht  etwa  mit    ij 
1  Drama  in   den  Wettkampf;    vor  wie  nach    auch   erhielten  die  einzelnen    i 
Choregen  und  Dichter  nur  1  Preis  auf  Grund  ihrer  Gesamtleistung  in  den    ! 
4  Stücken.^)     Ob   seit   Sophokles'  Neuerung   die    3    Stücke    einer  Trilogie    { 
auf  3  Tage   verteilt  und    das  Gesamturteil   erst   aus    dem  Urteil   über  die    j 
einzelnen  Stücke  gewissermassen  zusammengerechnet  wurde,  darüber  lassen    j; 
sich    nur  Vermutungen    aufstellen.^)     Aber    was   wir   aus    den    erhaltenen    , 


^)  Vita :  rovg  de  /oQSvrclg  noiTJaag  avxl 
tß'  le,  ebenso  Suidas. 

^)  Darauf  ist  besonders  aufmerksam  ge- 
macht von  Hense,  Der  Chor  des  Sophokles, 
Berl.  1877;  vgl.  auch  meine  Metrik,  2.  Aufl., 
S.  670.  Beachtenswert  ist  auch,  dass  gegen- 
über den  vielen  nach  dem  Chor  benannten 
Stücken  des  Aischylos  fast  alle  Stücke  des 
Sophokles  nach  der  Hauptperson  den  Namen 
haben. 

^)  Die  zahlreichen  Belege  für  die  beiden 
Sätze  sind  zusammengestellt  von  Bergk,  Gr. 
Lit.  III,.231. 

*)  Über  diese  Vermutungen  s.  Bergk, 
Vita  Soph.  p.  XXIX.  Dindobf,  Vita  Soph. 
p.  XXXV  bezweifelt  die  Echtheit  der  Über- 
lieferung und  will  den  Absatz  in  der  Fassung 
rov  fxrj  dQufxa  .  .  dem  Artikel  4>{)vri/og  zu- 


weisen. Ad.  Scholl,  Gründlicher  Unterricht 
über  die  Tetralogien  des  alten  Theaters, 
Leipzig  1859,  polemisiert  ohne  Glück  gegen 
die  im  Texte  gegebene,  wesentlich  auf 
Welcker  zurückgehende  Deutung  und  er- 
klärt S,  37  den  Satz  des  Suidas  für  eine 
falsche  Vorstellung  der  Späteren.  Schöll's 
Anschauung  von  einem  inneren  Zusammen- 
hang der  Oedipusstücke  sucht  geistreich, 
aber  ohne  Erfolg  Vischer,  Allg.  Zeit.  Beil. 
1861  Nr.  186 — 9  zu  verteidigen.  Die  Sache 
ist  endgültig  zum  Austrag  gebracht  von 
L.  Schmidt,  Bilden  die  3  thebanischen  Tra- 
gödien eine  Trilogie?  in  Comm.  phil.  Bonn. 
219 — 259.  Die  Annahme  einer  Verteilung 
der  3  Stücke  auf  3  Tage  rät  allerdings  der 
Vi'^ortlaut  der  Suidasstelle  an  und  wird  neuer- 
dings verteidigt  von  Freericks,  Eine  Neue- 


D.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  152.) 


199 


Tragödien  sehen,  ist,  dass  Sophokles  jede  einzelne  Tragödie  in  sich  ab- 
rundete, so  dass  sie  auch  ohne  die  beiden  andern  verstanden  und  gewürdigt 
werden  konnte.  Er  entschlug  sich  also  der  beengenden  Notwendigkeit  aus 
einem  kleinen  Mythus,  wie  es  z.  B.  der  des  Lykurgos  war,  3  Tragödien 
herauszuschlagen  und  brachte  zugleich  in  die  einzelnen  Dramen  mehr  Leben 
und  Handlung,  indem  er  aus  dem  Gesamtmythus  den  Punkt  herausgriff, 
der  sich  zur  lebensvollen  dramatischen  Handlung  am  meisten  eignete.  So 
sind  also  die  3  Tragödien  Oed.  Rex,  Oed.  Col.,  Antig.,  welche  dem 
Inhalt  nach  zur  trilogischen  Zusammenfassung  wie  gemacht  scheinen,  jede 
für  sich  gedichtet  und  jede  zu  einer  anderen  Zeit  aufgeführt  worden.  — 
Bezüglich  anderer  unbedeutender  und  bestrittener  Neuerungen  des  Sophokles 
hören  wir,  dass  er  den  Krummstab  der  Greise  und  die  weissen  Schuhe  der 
Schauspieler  und  Choreuten  erfunden,  i)  die  Scenenmalerei  vervollkommnet, 2) 
die  phrygische  Tonart  und  dithyrambische  Weise  in  die  Theatermusik  3) 
eingeführt  hat. 

152.  Die  Neuerungen  in  der  Form  des  dramatischen  Spiels  waren 
gute,  zum  Teil  ausgezeichnete  Griffe  unseres  Meisters;  aber  höher  steht 
doch  der  geistige  Gehalt,  den  er  den  Schöpfungen  seines  dichterischen  Genius 
einzuatmen  verstand.^)  Lob  verdient  da  zuerst  die  Charakterzeichnung  so- 
wohl in  Bezug  auf  Naturwahrheit,  als  auf  Idealität  der  Auffassung.  Seine 
Personen  sind  unserem  Herzen  und  unserer  Empfindung  näher  gerückt  als 
die  des  Aischylos;  nicht  übermenschliche,  gigantische  Kräfte  lässt  er  spielen, 
die  zarten  Regungen  der  Liebe,  die  staatsmännische  Weisheit  des  Herr- 
schers, die  Gegensätze  des  Geschlechtes  und  Alters  kommen  zum  klar 
umrissenen  Ausdruck.  Aber  es  fallen  deshalb  nicht,  wenn  wir  von  den 
nebensächlichen,  mit  Humor  nach  dem  Leben  gezeichneten  Boten-  und 
Wächterrollen  absehen,  die  Personen  aus  der  erhabenen  Höhe  der  Heroen- 
zeit in  die  platte  Trivialität  der  gemeinen  Gegenwart  herab.  Sophokles 
selbst  war  sich  dieser  seiner  Vorzüge  in  der  Charakterzeichnung  klar  be- 
wusst;  sagte  er  doch  in  einem  berühmten  Ausspruch,  er  stelle  die  Menschen 
dar  wie  sie  sein  sollten,  Euripides  wie  sie  wirklich  seien.  ^)  Dabei  ver- 
stand er  es  durch  scharf  markierte  Gegensätze  in  den  Charakteren,  wie 
der  heroischen  Antigene  und  der  zartbesaiteten  Ismene,  des  schlauen  Odys- 
seus  und  des  offenherzigen  Neoptolemos,  des  starrsinnigen  Aias  und  der 
hingebenden  Tekmessa,  Konflikte  geistiger  Mächte  in  die  Tragödie  zu  bringen. 
Mit  Geschick  hat  er  endlich  in  der  Charakterzeichnung  auf  die  Natur  und 
Fähigkeiten  seiner  Schauspieler,  von  denen  uns  Apollonios  und  Tlepolemos 


rung  des  Sophokles,  in  Comm.  Ribbeckianae 
1888  S.  205-15. 

^)  Vita:  ^ccrvQog  de  cprjaiu  ort  xcd  rr]y 
y.ccfxnvXrjy  ßaxrrjQiap  avrog  i7isv6't]Gev  '  cprjol 
&6  xcd  lazQog  rag  ?.svxdg  XQtjnWag  uinov 
i^€VQf]X€yat,  äg  vnodovvTUi  ot  t€  vnoxQiTctl 
xccl  ol  j(0Qsvrai,  xat  riQog  rüg  (pvasig  avxMv 
yQuxpca  T«  &Qdfxara. 

'^)  Arist.  Poet.  4:  TQEig  (fs  vnoxQiTug 
x((i  GX7jvoyQttCfiav  locpoxlijg  TKtQsaxEvaasp. 
Aber  schon  für  Aiscliylos  hat  Agatharchos 
nach  Vitruv  VII  praef.  Dekorationen  gemalt. 


^)  Vita:  (ftpl  de  'jQiaxo'^svog  wg  nQMXog 
Tioy  ^AdrjVfjS^Ev  7ion]XO}V  xrjv  4>Qvy'Lav  fielo- 
noiiav  eig  xd  tdia  lia fxaxa  naoelaße  xcd  xov 
dii^j^Qa^ußixov  XQOTTov  xaxefii^ev.  Die  dithy- 
rambische Weise  scheint  sich  auf  die  Frei- 
heit des  häufigen  Rhythmenwechsels  in  den 
Gesangspartien  zu  beziehen. 

■*)  0.  Ribbeck,  Sophokles  und  seine 
Tragödien,  in  Sammlung  wiss.  Vorträge, 
88.  Heft. 

•'')  Arist.  Poet.  25:  locpoxX^g  ecprj  ctvxog 
fj.ey  oi'ovg  &£c  noiety,  EvQinidfjv  de  oloi  eicjiv. 


200  Griechische  Litteratiirgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

genannt  werden,  1)  Rücksicht  genommen,  wie  denn  ganz  unverkennbar  An- 
tigene und  Elektra,  Ismene  und  Chrysothemis  denselben  Schauspielern,  wie 
man  sagt,  auf  den  Leib  geschrieben  sind.  —  Im  Aufbau  des  Dramas  hält 
er  immer  den  Blick  fest  auf  die  eine  Handlung  und  die  in  ihr  verkörperte 
Idee  gerichtet;  alles  Beiwerk,  was  den  Blick  zerstreuen  und  die  Aufmerk- 
samkeit von  dem  einen  Ziele  ablenken  könnte,  wird  sorgsam  vermieden. 
Mit  bewusster  Geistesklarheit,  nicht  nach  den  Eingebungen  eines  dunklen 
Gefühles  hat  er  sich  den  Plan  seiner  Stücke  bis  ins  Einzelne  entworfen 
und  ihn  in  strenger  Gesetzmässigkeit  so  durchgeführt,  dass  kein  Glied 
aus  der  Reihe  fällt.  Insbesondere  zeigt  sich  das  in  den  Chorgesängen, 
die  stets  bei  der  Sache  bleiben  und  den  Gefühlen,  welche  die  Handlung 
auf  der  Bühne  in  jeder  fühlenden  Brust  erregen  musste,  entsprechenden 
Ausdruck  leihen.  Auch  diese  Seite  der  Kunst  des  Sophokles  hat  gerechte 
Würdigung  bereits  bei  Aristoteles  gefunden,  der  Poet.  18  die  Weise,  wie 
er  den  Chor  behandelte,  als  Muster  hinstellt:  xal  t6v  xoqov  öt  t'va  ösT 
imoXaßslv  iMv  vtioxqitmv  xal  fxoQioi'  sivai,  tov  oXov  xal  avvayMvi^eaO^ai^ 
ixi)  &(STieQ  EvQiTiiSi]  ccXX'  McfTüfQ  2o(foxXei.  Aber  nicht  die  Stelle  eines  be- 
liebigen Schauspielers  nimmt  der  Chor  des  Sophokles  ein;  er  vertritt  das 
in  der  Stimme  des  Volkes  zum  Ausdruck  kommende  sittliche  Bewusstsein; 
er  steht  mit  seiner  ruhigen  Klarheit  über  dem  Kampf  der  Leidenschaften 
und  bildet  so  recht  das  ideale  Element  in  der  sophokleischen  Tragödie.'-^)  — 
Die  Hauptaufgabe  der  Tragödie,  die  Erregung  und  Reinigung  von  Furcht 
und  Mitleid,  lässt  sich,  wie  Sophokles  richtig  erkannte,  nicht  lösen  ohne  den 
erschütternden  Umschwung  {neQmsTeia)  des  Geschickes  der  Hauptpersonen. 
Unglück,  Tod  und  Jammerklage  bildeten  von  jeher  die  Sphäre  der  Tragödie ; 
aber  den  Umschwung  von  der  sonnigen  Höhe  des  Glückes  zum  finsteren 
Todesgrauen  den  Zuschauern  vorzuführen,  sie  in  banger  Spannung  um  ihre 
Helden  zittern  zu  lassen,  das  verstand  er  meisterlich.  Dazu  diente  ihm 
der  glückliche  Griff  in  der  Wahl  des  Stoffes  und  das  rechte  Geschick  in 
der  Bearbeitung  desselben.  Einfache  Handlungen  {änXai  tQay(odiai),  wie  sie 
Aischylos  liebte,  taugten  ihm  nicht;  selbst  im  Aias  und  Oedipus  Col.  wusste 
er  die  geradlinige  einfache  Bewegung  durch  Zwischenfälle  zu  unterbrechen 
und  zu  beleben.  Verwickelte  Mythen  (nenXsy^isvai  TgayioSiai)  also  mit 
grossartiger  Peripetie  suchte  er  aus  und  half  durch  geschickte  Zudichtungen, 
wie  von  der  unglücklichen  Liebe  des  Haimon  oder  dem  Missgeschick  des 
Orestes  bei  den  pythischen  Spielen,  der  Dürftigkeit  des  überlieferten  Mythus 
nach,  ohne,  wie  Euripides,  den  Pfad  der  Überlieferung  gänzlich  zu  verlassen 
und  sich  ins  Romanhafte  zu  verlieren.  Die  Lösung  des  Knotens  (Ivaig) 
führte  er  durch  geschickte  Schürzung  desselben  {nXoxrj)  und  den  in  dem 
Charakter  der  Personen  und  der  ganzen  Anlage  des  Stückes  begründeten 
Fortgang  der  Handlung  herbei.  Nur  einmal,  in  dem  Philoktet,  nahm  er  zu 
dem  bequemen  Ausweg  der  Göttermaschine  seine  Zuflucht.  Indem  er  aber  so 
dem  sittlichen  Willen  des  Einzelnen  erhöhten  Einfluss  auch  auf  sein  Geschick 
zumass,  milderte  er  die  Herbheit  der  alten  Vorstellung  von  einem  blind- 
waltenden Verhängnis.     Es  ist  nicht  bloss  allegorisches  Spiel,  wenn  er  im 

^)  Schol.    Arist.    Nub.    1266,   Ran.  791 ;    |  ^)  Auf   den   sophokleischen   Chor   passt 

vgl.  Vita  6.  I   Horaz  a.  p.  193  ff.  u.  Aristot.  Probl.  XIX,  48. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.     (§  153.) 


201 


Oed.  Col.  lo81  dem  Zeus,  dem  Lenker  der  Welt,  die  Dike  zur  Beisitzerin 
gibt.  In  diesem  Glauben  an  eine  sittliche  Weltordnung  und  in  der  ehr- 
furchtsvollen Scheu  vor  den  ewigen  Gesetzen  edler  Menschlichkeit,  offen- 
bart sich  zugleich  auch  die  tiefe  Religiosität,  welche  die  Alten  an  ihm 
rühmten  und  welche  ihn  mit  demutsvollem  Glauben  selbst  an  Seher-  und 
Orakelsprüche  erfüllte.')  —  Auch  auf  die  kleineren  Hilfsmittel  der  Span- 
nung und  Gemütserregung  verstand  er  sich  einzig.  Die  Wiedererkennungs- 
scene  in  der  Elektra  steht  an  ergreifender  Wirkung  keiner  euripideischen 
nach.  Mit  besonderem  Geschick  aber  handhabt  er  die  Kunst  der  tragi- 
schen Ironie  in  einzelnen  Ausdrücken  wie  in  ganzen  Scenen.^)  Wie  musste 
nicht  der  Zuschauer,  der  schon  den  Verlauf  und  Ausgang  der  Verwicklung 
voraus  wusste,  tief  von  der  Nichtigkeit  alles  menschlichen  Witzes  durch- 
drungen werden,  wenn  er  den  Oedipus  die  Worte  sprechen  hörte  dXX' 
ovtiot'  si{.a  Tolg  (fvzevaaaiv  f  ofiov  (V.  1007),  während  er  thatsächlich 
schon  längst  in  unseliger  Nähe  mit  seiner  eigenen  Mutter  zusammenlebte. 
153.  Edel  und  erhaben  wie  die  Charakterzeichnung  ist  auch  die 
Sprache  des  Sophokles.  Auch  hier  hielt  er,  seinem  grossen  Zeitgenossen 
Pheidias  vergleichbar,  das  schöne  Mass,  die  rechte  Mitte  zwischen  den 
Extremen :  den  Schwulst  des  Aischylos  hat  er  abgestreift,  von  dem  Markt- 
gezänke  des  Euripides  hielt  er  sich  fern.^)  In  der  Anmut  der  Sprache,  nicht 
bloss  in  dem  Anschluss  an  die  Mythen  des  epischen  Kyklos  erkannten 
die  Alten  den  homerischen  Zug  in  der  sophokleischen  Poesie.^)  Von  dem 
Honigseim,  den  Aristophanes  in  seiner  Rede  fand,  war  bereits  oben  die 
Rede;  doch  vom  Süsslichen  ist  seine  Sprach-  und  Denkweise  weit  ent- 
fernt, umgekehrt  sind  für  unser  Gefühl  die  Gedanken  und  Worte  der  An- 
tigene und  Elektra  oft  zu  herb  und  verstandesmässig.^^)  In  dem  Versbau 
und  den  Rhythmen  entfernte  er  sich  ein  wenig  von  der  Strenge  und  Gesetz- 
mässigkeit des  Aischylos.  Insbesondere  erlaubte  er  sich  im  Trimeter  des 
Dialoges  häufigere  Auflösung  der  Längen  und  Zerschneidung  des  Verses 
durch  Personenwechsel,  ja  selbst  einigemal  den  Apostroph  am  Versschluss.^) 
Die  freien  Masse  seiner  Chorgesänge  und  Monodien  haben  weder  die 
Mannigfaltigkeit  noch  den  einfach  durchsichtigen  Bau  des  Aischylos ;  doch 
schliessen  sich  die  Rhythmen  gut  der  jedesmaligen  Stimmung  an,  und  wenn 
manche  Strophen  schwerer  zu  recitieren  sind  und  uns  nicht  so  leicht  ins 
Gehör  gehen,  so  ist  daran  der  Verlust  der  Melodien  schuld.  Jedenfalls  steht 
der  rhythmische  Formenreichtum  des  Sophokles  weit  über  dem  Leierkasten 
des  Euripides  und  bilden  gerade  die  Chorgesänge  wegen  der  Tiefe  und 
Hoheit  der  Gedanken  und  der  schmiegsamen  Schönheit  des  sprachlichen 
Ausdrucks  die  schönsten  Perlen  im  Ruhmeskranz  unseres  Dichters.'')   Fassen 


^)  Schul,  ad  El.  831 :  rf Aew?  dfirj/ai/sr 
6  lofpoidfjg  Big  rovg  S^sovg  ß'kaacprjfj.wv  '  xal 
yciQ  8ig  iju  TöiV  d^soasßeatchojy. 

^)  Thiklwall,  On  tlie  irony  of  So- 
phodes,  Phil,  Mus.  11,  483  ff.  =  Philol.  6, 
81  ff. 

^)  Plut.  de  profectu  virt.  7. 

^)  Polemon  bei  Suidas:  tXsysp  ovv'Ofxr]- 
Qov  fAFr  Io(foxX£C(  8711x6}/,  locfoxXici  öaOfxr]- 
Qoy   XQayixöv.      Vgl.    Dionys.    de   comp.  24; 


Dio  Chrys.  or.  52  p.  272. 

^)  Diog.  IV,  20  von  Polemon :  »yV  cTe  xtd 
cpiXoaocfox'kfjg  xal  juccXiara  ev  ixeivoig  .  . 
fW«  i^v  xatcc  xov  4>Qi^Pi/oi/  ov  yXv^tg  ovd^ 
vTTo/vTog  aXXd  TlQäfxPiog. 

6)  Ath.  543 e.  Vgl.  meine  Metrik,  2. 
Aufl.,  S.  304;  man  nannte  diese  Nachlässig- 
keit nach  Schol.  Heph.  p.  143  W.  oxrjfxa  lo- 
cp6x?:eiop. 

')  Schol.    ad    Ocd.    C.    GG8:    Io(poxXi]g 


202  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

wir  alles  zusammen,  so  begreifen  wir  die  Verehrung,  welche  selbst  die 
Komiker  dem  Sophokles  entgegentrugen,  und  welche  die  Künstler  durch  die 
Tänie,  die  sie  ihm  ins  Haar  flochten,  zum  Ausdruck  brachten. i)  Das  Urteil 
der  Zeitgenossen  gibt  Xenophon  wieder,  wenn  er  Mem.  I,  4  im  Epos  dem 
Homer,  im  Dithyrambus  dem  Melanippides,  in  der  Tragödie  unserem 
Sophokles  die  Palme  reicht. 2) 

154.  Der  erhaltene  Ai'ag  ist  fxacfTiyocpoQog  im  Gegensatz  zu  dem  Al'ag 
AoKQog  zubenannt  von  der  Geissei,  welche  Aias  über  dem  Widder,  dem 
vermeinten  Odysseus,  schwingt  (V.  110).  Der  Stoff,  schon  von  Aischylos 
in  den  OQJjaam  behandelt,  war  der  kleinen  Ilias  des  Lesches  entnommen,^) 
hatte  aber  für  Athen  ein  spezielles  lokales  Interesse,  da  der  Salaminier 
Aias  zu  den  Stamm heroen  Attikas  gehörte.  Im  Anschluss  an  das  Epos 
stellt  Sophokles  im  Eingang  den  Aias  dar,  wie  er  rasend  über  die  Tiere  der 
gemeinsamen  Beute  herfällt  in  dem  Wahne,  dass  diese  seine  Feinde,  die 
Atriden  und  Odysseus,  seien.  Die  unheimliche  Gestalt  der  feindseligen 
Göttin  Athene,  die  dem  Odysseus  das  schreckliche  Bild  des  rasenden  Aias 
zeigt,  ist  neu,  wie  der  Verfasser  der  Hypothesis  bemerkt;  sie  ist  hinzu- 
gefügt, teils  um  die  Macht  der  Gottheit  über  die  in  ihrem  Stolze  sich  über- 
hebenden Menschen  klar  vor  Augen  zu  führen  (V.  118  —  133),  teils  um  den 
Zuschauern  den  Anblick  der  grausen  Mordscene  zu  ersparen.  In  der  alter- 
tümlich gebauten,  durch  anapästische  Systeme  eingeleiteten  Parodos  be- 
jammert sodann  der  Chor  der  salaminischen  Schiffsmannen  die  durch  der 
Götter  furchtbaren  Zorn  herbeigeführte  Sinnesverblendung  des  geliebten 
Führers.  Bald  darauf  sehen  wir  den  Helden  selbst,  durch  ein  Ekkyklema 
auf  die  Bühne  gerollt,  in  dumpfer  Verzweiflung  dasitzend.  Erweicht  durch 
die  rührenden  Zureden  der  Tekmessa  und  den  Anblick  seines  einzigen  Kindes 
Eurysakes,  scheint  er  nochmals  von  Todesgedanken  abzustehen  und  sich 
unterwürfig  der  Notwendigkeit  zu  fügen,  so  dass  der  Chor  in  einem  Tanz- 
lied an  Pan  (693 — 718)  seiner  Freude  über  die  Umstimmung  des  Führers 
Ausdruck  gibt.  Aber  die  Umstimmung  war  Täuschung;  schon  am  Schlüsse 
des  nächsten  Epeisodion  erblicken  wir,  nachdem  wir  durch  Kalchas  War- 
nungen auf  das  nahende  Geschick  vorbereitet  worden,  den  Aias  in  ein- 
samer Waldesgegend  vor  dem  scharfgeschliffenen  Schwert,  in  das  er  sich 
nach  dem  berühmten  Monolog  (815 — 865)  an  den  bitteren  Todesbringer 
stürzt.  Mit  dem  Tode  des  Helden  endigt  aber  nicht  die  Tragödie;  der 
zweite,  über  500  Verse  füllende  Teil  dreht  sich  um  die  Bestattung  des 
Leichnams,  den  die  Atriden  den  Hunden  vorwerfen  wollen,  den  aber  doch 
nach  langem  Streit  der  treue  Halbbruder  Teukros  dem  Mutterschoss  der 
Erde  übergibt.     Dieser  2.  Teil  missfällt  uns,  da  wir  nach  der  Katastrophe 

inl    To    tdiop    dnuvTsT   ^uQay.xi](iiam6v,    x6  j  470  ff. 
y'AaqjvQov  xcd  loJoxoi^  fis'Aog.    Dazu  Dio  Chrys.  '')  Ähnlich   der   Grammatiker   der   Vita 

or.  LH  fin.:    t«    de   ^eh]    ovx    t/SL  nolv  ro  '  Aesch.,    der    die  Tragödie    unter   Sophokles 

yycDjLiixoy  ov'ö's  itjp  TiQog  ÜQsrtjy  TtciQuxhptr,  \  ihren  Höhepunkt  {Ts'Asiorrjg)   erreichen  lässt. 


j 


iöaneQ  rd  EvQinidov,    rj&ovrjv    de  &avjxciax'i]v 
y.al  f^eyaXoTiQeneiuy,  (oars   fxi]    slxrj    loiavicc 
ttsqI  ccinov  Tov  ^jQiarocpdyi]  EiQt]xevca  ' 
6  (V  civ  locpoxXeovg  xov  /uehTt   xe/Qi^fuei^ov 

dioTieQ  xad'iay.ov  neQulei^e  to  (jn\ua.  j    i'eiai  x«l   eavtdi^  dvai^el 

^)  Welckeb,   Denkm.    d.    alt.   Kunst.  I, 


^)  Proklos  ehrest,  p.  238  W.:  ?;  rwv 
07iXa)y  ygiotg  yivezcii  xal  'Odvoaevg  fisrd 
(3oi'Xf]aii'  'AS^ijydg  Xa^ßdvsi.  AXag  de  e^uavvjg 
yevofxepog  ri]v  ts  Xeiav   tior  'A^aiaiv  Xvjuccl- 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  154  -155.) 


20: 


nicht  noch  ein  so  langes  Nachspiel  erwarten,  und  wurde  daher  von  ver- 
schiedenen Seiten  auf  eine  spätere  Überarbeitung  des  Stückes  zurück- 
geführte) Aber  der  Dichter  hat  ihn  deutlich  in  dem  Monologe  des  Aias 
V.  827  f.  angekündigt,  und  die  alten  Zuschauer  werden  ihn  bei  dem  religiösen 
Gewicht,  das  sie  auf  die  Totenbestattung  legten,  günstiger  beurteilt  haben. 
Der  lange  Streit,  zumal  des  Teukros  mit  dem  übermütigen  Agamemnon 
und  dem  Menelaos,  dem  Repräsentanten  des  rohen  Spartanertums,  war 
überdies  Sirenenmusik  für  die  Athener,  die  gewiss  mit  lautem  Beifall  den 
Vers  1102  ^TtdQrrjg  dvaaawv  rjX&sg,  ovx  rj^iMv  xQaron'  aufnahmen.  Viel- 
leicht rechtfertigte  auch  der  trilogische  Zusammenhang  die  lange  Aus- 
dehnung des  Schlussteiles;  denn  bei  dem  hohen  Alter  unseres  Stückes  ist 
es  erlaubt  anzunehmen,  dass  dasselbe  noch  nach  Art  der  äschylischen 
Tragödien  mit  dem  Teukros  und  Eurysakes^)  zu  einem  Ganzen  verbunden 
war.  Dass  aber  der  Aias  aus  der  älteren  Periode  des  Sophokles  stamme, 
dafür  spricht  ausser  dem  äschylischen  Bau  der  dreigliederigen  Parodos 
und  der  steifen  Gestalt  der  grinsenden  Athene  auch  der  Umstand,  dass  die 
wahrscheinliche  Verteilung  der  Epiparodos  866 — 878  unter  Einzelchoreuten 
auf  einen  Chor  von  12,  noch  nicht  von  15  Mann  führt.  ^) 

155.  Die  'AvTiyovr],  das  gefeierteste  Drama  der  griechischen  Litteratur , 
das  dem  Dichter  die  Ernennung  zum  Strategen  im  samischen  Krieg  eintrug, 
wurde  nach  der  wahrscheinlichsten  Berechnung  442  oder  440  aufgeführt.*) 
Der  Mythus  ist  der  alten  Thebais  entnommen,  in  welcher  der  Kampf  und  Tod 
der  feindlichen  Brüder  Eteokles  und  Polyneikes  und  die  Übernahme  der 
Herrschaft  durch  Kreon  erzählt  war.  Ob  das  alte  Epos  auch  schon  das 
Verbot  der  Beerdigung  des  Vaterlandsverräters  Polyneikes  und  die  heim- 
liche Bestattung  desselben  durch  seine  heldenmütige  Schwester  Antigonep) 
kannte,  bleibt  ungewiss,  da  Pindar  Ol.  VI,  15  und  Nem.  IX,  24  von  7 
Leichenhügeln  bei  jenem  Kampfe  spricht.'^)    Selbst  ob  Aischylos  in  diesem 


')  Beegk.  Gr.  Litt.  III,  378  ff. ;  0.  Rib- 
beck, Sophokles  19;  van  Leeuwen,  De  au- 
thentia  et  integritate  Aiacis  Sophoclei,  Ut- 
recht 1881.  Auch  die  häufigen  Auflösungen 
im  Trimeter  scheinen  die  Annahme  eines 
späteren  Ursprungs  oder  einer  späteren  Um- 
arbeitung zu  begünstigen.  Dass  schon  die 
Alten  ungünstig  über  diesen  zweiten  Teil 
des  Aias  dachten,  lehren  die  Schollen  zu 
V.  1123  u.  1126.  —  Eine  lateinische  Überse- 
tzung des  Aiax  lorarius  lieferte  Jos.  Scaliger. 

'^)  Über  den  Inhalt  des  Eurysakes,  den  Ac- 
cius  übersetzte,  s.  Welckek,  Gr.  Trag.  II,  197  ff. 

^)  So  G.  WoLFF  in  der  Ausgabe,  dem 
Muff,  Chorische  Technik  des  Sophokles,  bei- 
stimmt. Wendt  in  seiner  Übersetzung  S.  12 
macht  mit  Recht  für  die  frühe  Abfassung 
auch  den  Charakter  der  Versmasse  und  den 
Umstand  geltend,  dass  nur  an  2  Stellen,  im 
Prolog  und  kurz  vor  Schluss  3  Schauspieler 
gleichzeitig  an  der  Handlung  teilnehmen, 
etwas  was  auf  die  Zeit  hinweist,  in  der  man 
den  Vorteil  des  3.  Schauspielers  erst  all- 
mählich auszunützen  begann. 

')  Vgl.    oben   S.  193   An.  4;    das   Jahr 


sucht  festzustellen  Böckh  im  ersten  Exkurs 
seiner  Ausg.  Es  dreht  sich  um  442  oder 
440,  da  ins  .1.  441  der  erste  Sieg  des  Eu- 
ripides  fällt.  Bekgk,  Gr.  Litt.  Ill,  415  wollte 
deshalb,  um  die  Antigone  441  setzen  zu 
können,  in  der  Hypothesis  des  Stückes 
schreiben :  decUdaxiat  de  ro  dgä/ua  tovto 
XQiaxoarov.  devrsQog  tjv  statt  XQiaxoaxop  dsv- 
TSQov.  Eher  kann  man  an  den  Ausweg 
eines  Sieges  an  den  Lenäen  denken,  da  die 
Verschiedenheit  der  Angaben  über  die  Zahl 
der  Siege  des  Sophokles  (s.  S.  196  An.  6) 
möglicherweise  so  zu  deuten  ist,  dass  er 
18  Siege  an  den  Dionysien  und  2  oder  6 
an  den  Lenäen  davontrug. 

^)  Die  Vorstellung  einer  starken,  gegen 
Herrschergebot  ankämpfenden  Jungfrau  ging 
offenbar  von  der  Etymologie  des  Namens 
^ivriyovi]  aus. 

*^)  Wahrscheinlich  gehören  die  knrc. 
nvQal  der  Lokalsage  an  (s.  Böckh  zu  Ol.  VI, 
24)  und  beziehen  sich  auf  die  Kämpfe  an 
den  7  Thoren,  so  dass  aus  ihnen  über  Poly- 
neikes Bestattung  nichts  sicheres  geschlossen 
werden  kann. 


204 


Griochische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Teil  des  Mythus  dem  Sophokles  vorangegangen  sei,  ist  zweifelhaft,  da  die 
Echtheit  des  Schlusses  der  Sieben,  der  das  Verbot  des  Kreon  und  den 
Entschluss  der  Antigone  enthält,  starken  Zweifeln  unterliegt,  i)  Jedenfalls 
ist  ganz  neu  von  Sophokles  hinzugedichtet  die  Bestrafung  der  Antigone 
durch  Einsperrung  in  ein  unterirdisches  Grabverlies,  wozu  dem  Dichter  die 
Sage  der  Danae  und  die  alten  unterirdischen  Grabkammern  im  Lande  der 
Argiver  und  Minyer  die  Handhabe  boten, 2)  und  ebenso  das  Liebesverhältnis 
der  Antigone  und  des  Haimon,  von  dem  das  alte  Epos  so  wenig  etwas 
wusste,  dass  in  ihm  vielmehr  Haimon  ein  Raub  der  Sphinx  geworden  war.^) 
In  diesen  beiden  Zudichtungen  offenbart  sich  das  geniale  Erfindungsver- 
mögen des  Sophokles:  der  zarte  Liebesbund  der  Antigone  und  des  Haimon 
lässt  einesteils  in  das  Todesgrauen  wilder  Rachsucht  den  milden  Lichtstrahl 
süsser  Empfindungen  fallen  und  reisst  anderseits  den  kaltblütigen  Tyrannen 
Kreon  durch  den  Tod  seines  Sohnes  und  seiner  Gattin  mit  in  den  Abgrund 
des  Verderbens.  Die  unterirdische  Grabkammer  aber  war  schon  an  und 
für  sich  dazu  angethan,  wie  die  Heldin  selbst,  so  auch  die  Zuschauer  mit 
Grauen  zu  erfüllen,  ward  aber  vollends  zur  Stätte  grausigster  That,  als 
Haimon,  indem  er  sich  um  den  Leichnam  der  erhängten  Geliebten  schmiegte, 
das  Schwert  erst  gegen  den  eigenen  Vater  zückte  und  dann  sich  selbst 
in  die  Brust  stiess.  Aber  so  bewunderungswürdig  auch  diese  beiden  Zu- 
dichtungen sind,  so  hat  doch  noch  mit  mehr  Glück  der  Dichter  die  Per- 
sonen und  Züge  der  alten  Sage  selbst  benützt,  um  in  Antigone,  welche  an 
die  ungeschriebenen,  ewigen  Gesetze  der  Natur  appellierend  die  Bestattung 
des  geliebten  Bruders  fordert,  und  in  Kreon,  der  als  Vertreter  der  Staats- 
weisheit den  Leichnam  des  Verräters  den  Tieren  und  Vögeln  zum  Trasse 
hingeworfen  haben  will,  zwei  sittliche  Anschauungen^  von  denen  keiner  die 
Berechtigung  ganz  abgesprochen  werden  kann,  in  verhängnisvollen  Konflikt 
zu  bringen  und  so  eine  neue,  höhere  Gattung  tragischer  Verwicklung  zu 
schaffen. 0  Dabei  wiegt  er  die  beiden  sittlichen  Mächte  so  gegeneinander 
ab,  dass  wohl  die  Wagschale  des  Kreon  sinkt,  weil  Menschensatzung  gegen 
die  Heiligkeit  ■  ewiger  Naturgesetze  zurücktreten  muss,'')  dass  aber  auch 
Antigone  nicht  von  jeder  Schuld  frei  bleibt,  indem  sie  in  hochfahrendem 
Tone  die  Beihilfe  ihrer  Schwester  Ismene  zurückweist  und  in  heftiger  Über- 
hebung  das  Mass  der  Besonnenheit  und  Gesetzesschranke  überschreitet. 
Den  Vorzügen  der  Ökonomie  des  Stückes  gesellen  sich  andere  der  Cha- 
rakterzeichnung und  des  Stiles  zu.  Wirkungsvoll  sind  die  Gegensätze  der 
heroischen,  die  Grenzen  der  Weiblichkeit  überschreitenden  Antigone  und 
der  weichen,  in  jungfräulicher  Schüchternheit  vor  einem  Konflikt  mit  der  i| 
Staatsgewalt  zurückschreckenden  Ismene,  und  trefflich  hat  der  Dichter  in 
dem    einzigen   Vers    ov   toi   awe^d^siv   dXXd   avficpi^sTv   £(pvv  (V.  523)    den 


•)  Vgl.  §  141. 

-)  Vermutlich  wurden  dieselben  damals 
noch  für  Grabkammern  und  noch  nicht,  wie 
bei  Pausanias,  für  Schatzhäuser  ausgegeben. 

3)  Schol.  zu  Eur.  Phoen.  1760. 

■^j  Nebenbei,  in  dem  Stasimon  V.  594  ff., 
verschmäht  Sophokles  auch  nicht  die  Wirkung 
des  düsteren  Hintergrundes  eines  im  Labda- 


kidenhaus  sich  forterbenden  Fluches. 

^)  Ph.  Mayer,  Studien  zu  Homer  und 
Sophokles,  Gera  1874,  hat  in  dem  schönen 
Aufsatz,  Über  den  Charakter  des  Kreon,  sich 
die  richtige  Auffassung  dadurch  erschwert, 
dass  er  die  gleiche  Charakterzeichnung  des 
Kreon  in  den  3  Stücken,  Ant.,  Oed.  R.  und 
Oed.  Col,  durchzuführen  sich  abmüht. 


C.  Drama.     ^.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  150.) 


205 


ganzen  Charakter  der  Heldin  und  zugleich  das  geheimste  Wesen  des  weib- 
lichen Herzens  enthüllt.  ^)  Auch  die  herzlose  Staatsklugheit  und  der  trotzige 
Starrsinn  des  Kreon,  der  nur  auf  dem  Gipfel  des  Unglücks  und  da  zu  spät 
gebrochen  wird  (V.  1095  ff.),  ist  in  guten  Gegensatz  gestellt  zur  zarten, 
fast  weiblichen  Liebesempfindung  des  Haimon.  Die  Chorlieder  der  Antigone 
aber  sind  aufs  engste  mit  der  Handlung  verknüpft  und  begleiten  mit  der 
Klarheit  des  Gedankens  und  der  Tiefe  des  Gemütes  die  Wechsel  der  Scenen 
von  dem  ersten  Sonnenstrahl  des  Sieges  nach  langer  Kampfesnot  bis  zur 
ernsten  Schlussmahnung  des  abziehenden  Chors.  —  Nach  einer  Notiz  bei 
Cramer,  An.  Ox.  IV,  315,  gaben  einige  die  Antigone  für  ein  Werk  des 
lophon  aus,  was  sich  auf  eine  nochmalige  Aufführung  und  Umarbeitung 
durch  lophon  beziehen  wird.  2)  Euripides  hat  sich  an  dem  gleichen  Stoff 
versucht,  mit  der  unglücklichen  Abänderung,  dass  er  Haimon  und  Antigone 
zusammenführte  und  eine  Frucht  ihrer  heimlichen  Liebe  erdichtete.^)  Accius 
hat  das  sophokleische  Stück  für  die  römische  Bühne  bearbeitet.*)  In  unserer 
Zeit  wetteifern  die  humanistischen  G3^mnasien  aller  Länder  in  Aufführung 
des  griechischen  Textes  der  Antigone  und  hat  Böckhs  Übersetzung  und 
die  Komposition  der  Chöre  von  Mendelssohn  das  antike  Werk  auch  in 
unseren  Theatern  und  Konzertsälen  populär  gemacht. 

156.  Die  'HXsxTQa  lasse  ich  hier  folgen  wegen  der  Verwandtschaft 
der  Anlage.  Die  Verwandtschaft  beruht  in  der  Ähnlichkeit  des  Gegensatzes 
zwischen  der  heroischen,  vor  Rachedurst  jede  Regung  kindlicher  Liebe  ver- 
leugnenden Elektra  und  der  schüchternen,  aus  weiblicher  Schwäche  auch 
gegen  die  unnatürliche  Mutter  innerhalb  der  Schranken  kindlicher  Ergeben- 
heit verharrenden  Chrysothemis.  Es  hat  allen  Anschein,  dass  Sophokles, 
durch  den  glänzenden  Erfolg  seiner  Antigone  bestimmt,  sich  nach  einem 
ähnlichen  Stoff  in  dem  Heroenmythus  und  nach  ähnlichen  Rollen  für  seine 
erprobten  Schauspieler  umsah.  Den  Stoff  und  die  Rolle  der  ersten  Heldin 
fand  er  in  den  Choephoren  des  Aischylos.  Die  Schwester  gab  ihm  der 
Vers  des  Homer  /  145  ^)  an  die  Hand.  Da  aber  bei  Aischylos  die  Choe- 
phoren das  Mittelstück  einer  Trilogie  gewesen  waren,  so  musste  er,  um 
seinem  Drama  eine  selbständige  Stellung  zu  geben,  die  letzte  Partie  der 
Choephoren,  welche  das  Herannahen  der  Rachegeister  ankündigt,  weg- 
schneiden.^) Sodann  galt  es  ebenso  wie  in  der  Antigone  die  weibliche  Rolle 
in  den  Vordergrund  zu  rücken.  Das  gelang  ihm,  indem  er  den  Orestes  in 
die  zweite  Stelle  schob  und  die  Elektra  nicht  bloss  selbständig  den  Plan 
der  Ermordung  des   Buhlen  Aigisthos   fassen,    sondern   auch   dem   Bruder, 


^)  Daher  das  Urteil  der  alten  Kunst- 
richter in  der  Vita:  o/cTf  de  xcuqop  at\u/ns- 
jQrjGui  xcd  TiQÜyfxmci,  wffr'  ex  fXLXQov  rjfxi- 
azi/iov  ij  Xe^siog   fxicig    ölov   ii]yhonoie?p  tjqo- 

GOJTlOy. 

'^)  Stelle  dazu  die  Angabe  des  Satyros 
in  der  Vita  von  einer  Vorlesung  der  Anti- 
gene durch  den  sterbenden  Dichter,  oben 
S.  195  An.  5. 

^)  Vergl.  Argum.  Soph.  Ant. ;  Wecklein, 
Sitz.  d.  b.  Ak.  1878  II  186-98;  über  eine 
Antigone  des  Astydamas  s.  Nauck  TGF- 
777;  Heydemann,  Nacheuripideische  Antigone, 


1868. 

'*)  Ribbeck,  Rom.  Trag.  S.  483,  wo  un- 
geschickte Abweichungen  von  dem  Original 
nachgewiesen  sind. 

•')  Auf  ihn  ist  angespielt  El.  157:  oYu 
XQva6x)^£fXig  Ciöet  xcd  ^Icpiäpaaaa.  Ein  Unter- 
schied besteht  darin,  dass  die  Tragiker  die 
ylaoö'ixj]  Homers  'fTAexTQa,  wie  die  ^Enixäajij 
Homers  'loxuarr,,  entweder  nach  einer  alten 
Textesvariante  oder  nach  einer  anderen  Sagen- 
quelle, nannten. 

*^)  Eine  leise  Andeutung  liegt  in  dem 
Verse  1425. 


20G  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

als  er  den  tödlichen  Streich  gegen  die  Mutter  führte,  in  wildem  Rachedurst 
zurufen  lässt  naiaor  ei  a&tieig  SiTrXr^v  (V.  1415).  Mit  gutem  Recht  konnte 
er  daher  auch  das  neue  Drama,  wie  ehedem  die  Antigone,  nach  der  weib- 
lichen Hauptrolle  benennen.  ^)  Von  dem,  was  er  sonst  gegenüber  Aischylos 
neuerte,  ist  das  wirkungsvollste  die  Wiedererkennungsscene,  wobei  er  sich 
die  anachronistische  Fiktion,  dass  Orestes  bei  den  pythischen  Spielen  ge- 
fallen sei,  erlaubte.  In  solchen  Dingen  hatte  man  seit  Aischylos  viel  gelernt, 
aber  etwas  ergreifenderes  als  die  Scene,  wo  Elektra  zuerst  die  Urne  mit 
der  vermeintlichen  Asche  des  Bruders  von  Orestes  in  die  Hände  nimmt  und 
dann  in  dem  Überreicher  der  Urne  ihren  leibhaftigen  Bruder  erkennt,  hat 
das  athenische  Theater  nicht  gesehen.  2)  Über  die  Abfassungszeit  der 
Elektra  gehen  die  Meinungen  der  Gelehrten  stark  auseinander,  so  dass 
sie  z.  B.  Ribbeck  für  die  älteste,  Gruppe  und  Wilamowitz  für  eine  der 
jüngsten  Tragödien  unseres  Meisters  erklärten.^)  In  Ermangelung  be- 
stimmter Zeugnisse  hängt  die  Entscheidung  von  dem  Kunstcharakter  des 
Stückes,  namentlich  seiner  metrischen  Form  und  seinem  Verhältnis  zu  ver- 
wandten Stücken  ab.^)  Die  kommatische  Form  der  Parodos,  die  kurze, 
aus  nur  1  System  bestehende  Exodos,  die  häufige  Verteilung  eines  Verses 
auf  mehrere  Personen,  endlich  das  Zurücktreten  der  Chorgesänge  gegenüber 
den  Wechselgesängen  führen  uns  in  die  jüngere  Entwicklungsstufe  unseres 
Dichters,  worauf  auch  die  Anspielung  auf  das  unterirdische  Grabgemach 
der  Antigone  (V.  381)  hinweist.  Die  Elektra  des  Euripides  ist  zwar  mehr 
gegen  Aischylos  als  Sophokles  gerichtet,  aber  nicht  bloss  geht  der  Vor- 
wurf des  leichtgläubigen  Vertrauens  auf  eine  blosse  Haarlocke  (Eur.  El.  530) 
auf  beide,  sondern  kehrt  sich  auch  der  Hinweis  auf  die  Fiktion  der  pythi- 
schen Spiele  (V.  883)  speziell  gegen  Sophokles.'')  Also  vor  412  und  nach 
440  müssen  wir  unsere  Tragödie  setzen;  unentschieden  lasse  ich  es,  ob 
sie  vor  oder  nach  dem  König  Oedipus  zu  setzen  ist,^')  und  ob  Euripides  im 
Hippolytos  (428)  mit  der  glänzenden  Schilderung  von  den  scheu  gewordenen 
Pferden  des  unglücklichen  Jünglings  (Hipp.  1230 — 48)  die  Erzählung  des 
Sophokles  vom  Wagenunfall  des  Orestes  (El.  743 — 56)  überbieten  w^ollte 
oder  für  Sophokles  das  nicht  ganz  erreichte  Vorbild  war.') 

157.  Der  OiSitiovq  TVQarvog,^)  die  erschütternde  Schicksalstragödie, 


^)  Beachte,    dass   die   aeschylische  Tra-  j   eingeführt  wurde,  der  homerh'ebende  Dichter 

gödie    auch    den    Namen   ^OqtoTsia   hatte   s.  aber  hier  einfach  den  homerischen  Leichen- 

S.  185  An.  6.  \   spielen  des  Patroklos  gefolgt  zu  sein  scheint. 

^)  Dabei  war  Sophokles  zu  nobel,  als  dass  |            ^)  Erkannt  von  0.  Ribbeck,  Leipz.  Stud. 

er  sich,  wie  Eur.  El.  530,  über  seinen  Vor-  VIII,  382-6. 

ganger  lustig  gemacht  hätte;  umgekehrt  lässt  ^)  Für  die  erstere  Annahme  spricht  die 

er  im   Anschluss   an  Aiscln-los  den   Orestes  ;   Stellung  des  Stückes  in   den  Handschriften; 

eine     Locke     am    Grabe    des    Agamemnon  s.  §  150. 

niederlegen  (900)  und    Chrysothemis  daraus  ')  Eine  Wechselbeziehung  zwischen  t^w?;- 

auf  die  Rückkehr  des  Bruders  schliessen.  riov  Ihüptmv  Hipp.  1245  und  T/u7]ToTg  luuoi 

^)  Flessa,  Prioritätsfrage  der  soph.  und  El.  747  ist  schwer  abzuweisen,   ebenso   wie 

eur.  Elektia,  Bamb.  Progr.  1882,  wo  über  die  ,   zwischen   xa&aQjijg   /doi'ög  Vesp.  1043  und 

frühere  Litteratur  sorgfältig  referiert  ist;  Rib-  xa&c(Qrrjg  doj/uarog  El.  10.  Ausserdem  scheint 

BECK,  a.  0.  13;  Wilamowitz,  Herrn.  18.  214jff.  j   die  Bemerkung  des  Aristoph.  Equ.  558  von 

^)  Mit  dem  Gebrauch  des  Zweigespanns  den    Unfällen    bei    den    Wagenrennen,   und 

(702  und  721  f )  ist  für  die  Zeitbestimmung  Nub.  534   von    der  Locke    des  Bruders   mit 

nichts  anzufangen,    da  dasselbe  thatsächlich  '   unserm  Stücke  zusammenzuhängen, 

erst  nach  dem  Tode  des  Sophokles  in  Delphi  ^)  Das  Beiwort  ist  erst  später  zugesetzt 


C    Drama.  2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  157.) 


207 


wurde  vermutlich  zur  Zeit  oder  nicht  lange  nach  der  Pest  im  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  gedichtete)  Der  alte  thehanische  Mythus  von 
Oedipus,  der  ohne  Wissen  seinen  Vater  erschlug,  seine  Mutter  heiratete, 
und  als  er  nach  langen  Jahren  von  seinen  Verirrungen  Kenntnis  erhielt, 
sich  in  Verzweiflung  die  Augen  ausstach,  war  zur  tragischen  Darstellung 
wie  geschaffen.  2)  Die  drei  grossen  Tragiker  haben  ihn  wetteifernd  be- 
arbeitet;'^) Sophokles  hat  die  äschyleischen  Stücke  Laios  und  Oedipus  ge- 
schickt in  der  Art  zu  einem  zusammengezogen,  dass  er  die  früheren  Ge- 
schicke des  Oedipus  in  der  Form  episodischer  Erzählungen  den  Zuhörern 
vorführte.  Die  unerreichte  Kunst  des  Sophokles  aber  besteht  darin,  dass 
er  erst  nach  und  nach  den  Schleier  von  der  unseligen  Vergangenheij:  des 
Königs  wegzieht,  und  mit  glücklichster  Anwendung  der  tragischen  Ironie 
den  König  selbst  das  Geheimnis  enthüllen  lässt.  Oedipus  sendet  seinen 
Schwager  Kreon  zum  delphischen  Orakel  ab,  um  von  Apoll  ein  Mittel  zur 
Abwendung  der  Pest  zu  erfahren:  das  Orakel  befiehlt,  die  Mörder  des 
Laios  aufzusuchen  und  zu  bestrafen.  Oedipus  lässt  den  Seher  Teiresias 
kommen,  um  von  ihm  eine  Spur  des  unbekannten  Mörders  zu  erfahren : 
der  Seher  bezeichnet  in  dunklen,  den  Zuschauern  aber  w^ohl  verständlichen 
Worten  ihn  selbst  als  den  Mörder.  Durch  den  lauten  Streit  gerufen,  kommt 
lokaste  aus  dem  Palaste  und  erzählt,  um  den  aufgeregten  Gatten  zu  be- 
ruhigen, die  Aussetzung  des  jungen  Oedipus  und  die  Ermordung  des  Laios 
am  Dreiweg  in  Phokis:  die  Erzählung  lässt  im  Geiste  des  Oedipus  die 
schreckliche  Ahnung,  dass  er  selbst  der  Mörder  des  Laios  sei,  aufdämmern. 
Die  Hoffnung,  dass  ihm  doch  wenigstens  das  vom  Orakel  angedrohte  Los, 
seinen  eigenen  Vater  zu  erschlagen,  erspart  bleibe,  scheint  durch  die  Mel- 
dung vom  Tode  des  Polybos  zur  Gewissheit  zu  werden:  da  verkündet  der 
Bote,  dass  Polybos  und  Merope  nur  die  Nähreltern  des  Oedipus  waren. 
Vor  lokastes  Auge  zerfliessen  bereits  die  Nebel,  Oedipus  klammert  sich 
noch  an  einen  Hoffnungshalm  und  verlangt  stürmisch,  den  Diener  zu  sehen, 
der  den  kleinen  Knaben  dem  Hirten  des  Königs  Polybos  übergeben  habe: 
er  kommt  und  löst,  von  Oedipus  selber  befragt,  die  letzten  Zweifel,  so 
dass  nun  die  ganze  schauerliche  Wahrheit  enthüllt  vor  den  Augen  des 
unglücklichen  Königs  liegt.    So  ist  spannend  und  erschütternd  die  Handlung 


worden,  so  dass  er  von  Andern  nach  der 
Hypothesis  Oid\  TiQorsgog  genannt  werden 
konnte.  In  späterer  Zeit  deutete  man  nach 
der  Hypothesis  das  Beiwort  auf  den  Vorzug 
des  Stückes:  /((Qityrojg  ö't  jvQarpov  uTiccvreg 
uvTov  enLyqd(povaiv  wg  i^e/oyTu  Tiuar^g  rtjg 
^oqjoy.Xtovg  7ioiija6(hg,  xciLTiSQ  iqxTrj&ivTu  vno 
^iXoxXtovg,  (jjg  (pjöt  JixaiuQ/og.  P^benso 
der  Rhetor  Aristides  vntQ  roiy  xeiruQuyp 
p.  334. 

')  Auf  diese  Zeit  weist  die  Schilderung 
der  Pest  im  Eingang  der  Tragödie.  Ob 
Perikles,  der  im  Herbst  429  starb,  noch  am 
Leben  war,  steht  nicht  fest;  nach  ihm  scheint 
die  Herrschei macht  und  der  freigeisterische 
Sinn  des  Oedipus  gezeichnet  zu  sein.  Ath. 
l'TGa  überliefert,  dass  Euripides  in  der  Medea 
1.481)  und  Sophokles  in  unserem  Oedipus  die 


grammatische  Tragödie  des  Kallias  in  der 
Disposition  des  Chors  nachgeahmt  habe, 
woraus  man  jedenfalls  so  viel  entnehmen 
darf,  dass  das  btück  des  Sophokles  nach  dem 
des  Kallias  zur  Aufführung  kam;  aber  das 
letztere  ist  chronologisch  nicht  fassbar. 

'^)  Arist.  Poet.  14:  cTeT  yuQ  xul  i'iyev  rov 
OQÜP  ovTOj  ovfeGtKyiU  rov  fxvOov,  üjaxe  tuv 
ay.ovovxa  rd  TTQÜyuaxa  yiyvofxev«  xal  cpQLX- 
xeip  y.(d  iXseiv  ex  xujy  avjußaivovxcov,  (ctieq 
äv  Tiü^oL  xig  icxovioy  xov  xov  Oif^ino^og  fxv&ov. 

^)  Aischylos  schrieb  einen  Laios  und 
Oedipus,  P]uripides  einen  Oedipus,  worin  ev 
wie  in  Antigone,  Elektra,  Philoktet  die  Sage 
stark  umgestaltete,  so  dass  Oedipus  sich 
nicht  selber  blendet,  sondern  von  den  Kriegs- 
genossen des  Laios  geblendet  wird. 


208 


Griecliische  Litter aturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 


dargestellt,  wie  es  trefflicher  kaum  geschehen  konnte.  Fraglich  ist  nur, 
ob  auch  das  versöhnende  Element,  die  Katharsis,  vom  Dichter  nach  Gebühr 
berücksichtigt  und  die  höhere  Auffassung  vom  Schicksal  und  der  sittlichen 
Weltordnung  zur  Geltung  gebracht  worden  sei.  Da  wird  man  nun  zugeben 
müssen,  dass  er  gleichsam  im  Banne  des  Stoffes  die  alte  Idee  von  dem 
blinden  Walten  des  Verhängnisses  mehr  als  sonst  zur  Erregung  von  Furcht 
und  Mitleid  verwendet  hat.  Aber  er  hat  doch  auch  auf  der  anderen  Seite 
den  furchtbaren  Eindruck  der  dämonischen  Schicksalsgewalt  gemildert, 
einmal  durch  den  versöhnenden  Ausgang,  indem  der  schwergekränkte  Kreon, 
von  Mitleid  gerührt,  dem  geblendeten  König  seine  beiden  geliebten  Töchter 
zum  Tröste  schickt,  dann  durch  die  Zeichnung  des  Oedipus  selbst,  der, 
über  die  Massen  herrschsüchtig,  jähzornig  und  argwöhnisch,  nicht  ganz 
ohne  eigene  Schuld  dem  schweren  Geschick  verfällt.  Die  Tragödie  fand 
bei  ihrer  ersten  Aufführung  in  Athen  nicht  die  verdiente  Anerkennung; 
Sophokles  musste  gegen  Philokles  zurückstehen,  vielleicht  weil  die  Athener 
nicht  durch  die  Schilderung  der  Pest  auf  dem  Theater  an  dem  Feste  des 
Dionysos  an  das  Unglück  der  Wirklichkeit  gemahnt  werden  wollten.  Aber 
Aristoteles  führt  in  der  Poetik  kein  Drama  so  oft  als  Muster  an  wie  den 
Oedipus,  und  die  Späteren,  wie  der  Verfasser  der  Hypothesis  und  Aristides, 
skandalisierten  sich  über  den  schlechten  Geschmack  der  Athener,  welche 
einen  Philokles  dem  Sophokles  vorziehen  konnten.^) 

158.  Die  Tga^iviai  haben  ihren  Namen  von  dem  Chor,  der  aus 
Jungfrauen  von  Trachis  gebildet  ist.  Der  Chor  selbst  spielt  aber  nur  eine 
sehr  untergeordnete  Rolle.  Das  Interesse  der  Leser  verteilt  sich  einerseits 
auf  die  edle  Deianeira,  die,  wiewohl  erregt  durch  die  Ankunft  ihrer  neuen 
Nebenbuhlerin,  der  schönen  lole,  doch  nur  in  bester  Absicht  dem  Herakles 
das  Nessusgewand  schickt  und,  als  sie  von  Hyllos  das  angerichtete  Unheil 
erfährt,  schweigend  weggeht,  um  durch  freiwilligen  Tod  ihre  Schuld  zu 
büssen,  anderseits  auf  den  Heros  Herakles,  dessen  fürchterliche  Qualen, 
als  das  Gift  des  lodernden  Gewandes  ihm  Mark  und  Bein  verzehrt,  den 
Schlussteil  des  Dramas  bilden.  Durch  den  Prolog,  in  welchem  Deianeira 
ihr  Missgeschick  von  der  Zeit  an,  wo  Herakles  und  der  Flussgott  um  ihre 
Hand  warben,  bis  zur  Gegenwart,  wo  sie  schon  15  Monate  den  abwesenden 
Gatten  missen  muss,  in  epischer  Breite  erzählt,  und  durch  den  Epilog,  in 
dem  Herakles,  über  die  Zeit  der  Handlung  hinausgreifend,  dem  Sohne 
Hyllos  die  kriegsgefangene  lole  zu  heiraten  befiehlt,  2)  erinnert  das  Stück 
stark    an  euripideische  Manier.     Ein   grosser  politischer  Hintergrund  und 


^)  Aus  der  modernen  Litteratur  gleicht 
kein  Stück  dem  Oedipus  mehr  wie  Shake- 
speare's  König  Lear,  nur  hat  der  grosse 
Britte  nicht  bloss  den  Inhalt  der  beiden 
Oedipus,  Blendung  und  Tod  des  Königs,  in 
ein  Stück  zusammengezogen,  sondern  auch 
die  Handlung  noch  durch  Hereinziehung 
eines  ähnlichen  Geschicks  des  Hauses  Glo- 
cester  verwickelter  und  krasser  gestaltet, 

2)  Die  Schlusspartie  1216—1278  erklärt 
für  unecht  Bergk,  Gr.  Litt.  ITT,  394  f.; 
Wendt    in    Übers.    S.  7    möchte    eher    ver- 


zumal  dieselbe  weniger 
In  dem  ganzen 


muten,  dass  der  Schluss  der  Tragödie  ver 
loren  gegangen  sei 
Verse  als  alle  anderen  zähle 
Stück  wollte  Schlegel  eine  Bearbeitung  durch 
lophon  finden;  mit  der  Annahme  doppelter 
Rezension  fand  sich  Hermann  in  seiner  Aus- 
gabe ab.  Gegen  jene  Hypothese  wendet 
sich  in  übertriebenerßewunderung  desStückos 
R.  Schreiner,  Zur  Würdigung  der  Trachiniai 
des  Soph,  1885,  Progr.  von  Znaim;  auch 
Weokletn,  Bay.  Gymn.  Bl.  XXII  (1886).  399 
stellt  die  Trach.  höher  als  selbst  die  Elektia. 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    c.  Sophokles.  (§  158     159.)  209 

ein  in  die  Zeitverhältnisse  hineingreifendes  Hauptmotiv  fehlt  unserer  Tra- 
gödie; dadurch  steht  sie  namentlich  der  Antigone  und  den  beiden  Oedipus 
nach.  Der  Dichter  hat  sich  hier  einfach  darauf  beschränkt,  den  Mythus 
in  seiner  überkommenen  Gestalt  beizubehalten  und  aus  den  gegebenen 
Motiven  eine  ergreifende  Tragödie  unglücklicher  Gattenliebe  zu  schaffen. 
Was  indes  dem  Stück  an  Grossartigkeit  abgeht,  wird  durch  die  Zartheit 
der  Empfindung  und  die  Feinheit  psychologischer  Zeichnung  glücklich  er- 
setzt. Über  die  Zeit  der  Abfassung  fehlen  uns  bestimmte  Angaben.  Nach 
dem  unverkennbaren  Anklang  der  Verse  Trach.  1101 — 4  an  Eur.  Herc. 
für.  1353—7,  und  Trach.  416  an  Eur.  Suppl.  567  0  fällt  das  Stück  in 
dieselbe  Zeit,  wie  jene  euripideischen,  also  um  420 — 415.  Unter  den 
Römern  hat  Seneca  im  Hercules  Oetaeus  den  Stoff  frei  behandelt  oder 
vielmehr  misshandelt. 

159.  Der  ^iloxTrjTr^g,  nach  der  didaskalischen  Überlieferung  409 
aufgeführt  und  mit  dem  I.Preis  ausgezeichnet, 2)  behandelt  denselben  Stoff, 
wie  die  gleichnamigen  Stücke  des  Aischylos  und  Euripides.  Der  Rhetor 
Dio  Chrysostomos,  dem  noch  die  3  Dramen  vorlagen,  vergleicht  dieselben 
und  gibt  dem  Sophokles  den  Vorzug.'^)  Euripides,  dessen  Philoktet  431 
zusammen  mit  der  Medea  auf  die  Bühne  kam,  hatte  sich  noch  enger 
an  Aischylos  angeschlossen  und  wie  jener  den  Chor  aus  einheimischen 
Lemniern  bestehen  lassen;  Sophokles,  welcher  auch  noch  einen  zweiten,  früh, 
wie  es  scheint,  verloren  gegangenen  Philoktet  schrieb,^)  nahm  stärkere 
Veränderungen  vor,  um  aus  einem  Stoff,  der  zunächst  nur  zur  Darstellung 
schweren  körperlichen  Leides  {rgayo)6ia  rraO^r^Tixrj)  geeignet  schien,  ein 
Intriguenstück  (Tgay.  TisTrXsyiiu'vrj)  mit  glücklichem  Ausgang  zu  schaffen. 
Quelle  der  Fabel  waren  die  kyklischen  Epen  der  Kyprien  und  der  kleinen 
Ilias,  worin  die  Zurücklassung  des  von  einer  Schlange  gebissenen  Philok- 
tetes  auf  der  öden  Insel  Lemnos  und  die  Abholung  desselben  nach  Troia 
im  letzten  Jahre  des  Krieges  erzählt  war.  Nach  dem  Auszug  des  Proklos 
und  dem  Gemälde  des  Polygnot  in  der  Pinakothek^)  war  es  Diomedes, 
der  den  Helden,  von  dessen  Bogen  die  Einnahme  der  Priamosveste  ab- 
hing, von  Lemnos  zurückholte.  Aischylos  setzte  an  dessen  Stelle  nach 
einer  anderen  Version  der  Sage  ^)  oder  nach  eigener  Erfindung  den  schlauen 
Odysseus,  der  sich  für  die  Ausführung  eines  auf  Täuschung  berechneten 
Unternehmens  ungleich  besser  eignete.    Euripides  vereinigte  die  Darstellung 

^)  Darauf    macht    Wilamowitz,    Herrn.    I    {^ccdeg    xal    dnXovf    lo    rov    Aio/vXov    e^ioi^ 
XVlll.  244   aufmerksam ;    auf   wessen    Seite    |    oilre  rd  dxQißeg  xal  dgi/iv  xal  noXixixov  rov 


das  Original,  auf  wessen  die  Nachbildung 
stehe,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  ent- 
scheiden. Aus  den  Nachahmungen  schliesst 
auf  420  — 415  Schröder,  De  iteratis  aj).  trag, 
gr.,  in  Diss.  Ärgent.  p.  113.  Wilamowitz, 
Eur.  Herakl.  1,  343:  Die  Trachinierinnen  des 
Sophokles  enthalten  nicht  nur  deutliche  An- 
klänge an  den  Herakles,  sondern  sind  ge- 
radezu durch  ihn  angeregt;   vgl.  1,  382  f. 

2)  Argum.:    Mi^d^x^rj    inl    TXavxinnov, 
TJQdoTog  7]v  Zo(pox'krjg. 

^)  Dio  Chrys.  or.  LH,  p.  272:    6  :£ocpo- 
xlfjq  fAtaog  soixep  dfU(fo?y  eiycti,  oiJie  ro  cw- 

llaudbncb  der  tlass.  Altortuniswissonschaft.  VII.     2.  Aufl.  14 


Et'Qinldov,  ae^vrjp  Je  nva  xccl  f^eyccXoTiQenij 
noirjaiv  jQccyixiorara  xal  Evenearccrcc  e^ovaay. 
■*)  Dieser  zweite  4>tXoxTrJTt]g  spielte  in 
Troia,  wie  der  erhaltene  in  Lemnos;  eine 
klare  Idee  über  ihn  sich  zu  bilden,  ist  bei 
der  Spärlichkeit  der  Fragmente  schwer;  s. 
Welcher,  Gr.  Trag.  1,  138  f. 

5)  Paus.  1,  22.  6. 

6)  Find.  Pyth.  I,  53  spricht,  vielleicht 
nach  Stesichoros,  von  mehreren  Abgesandten. 
Möglicherweise  wich  auch  in  diesem  Punkte 
Arktinos  von  Lesches  ab.     Vgl.  §  52. 


210 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


des  Lesches  mit  der  des  Aischylos,  indem  er  dem  Diomedes  den  Odysseus 
beigesellte.  Sophokles  warf  den  steifen  Diomedes  ganz  weg  und  gab  dem 
Odysseus  den  jungen  Sohn  des  Achill,  den  Neoptolemos,  an  die  Seite, 
offenbar  nach  eigener  Erfindung.  In  dieser  Veränderung,  mit  der  auch 
die  Zusammensetzung  des  Chors  aus  Schiffsleuten  des  Odysseus  zusammen- 
hängt, wurzelt  die  Stärke  der  neuen  Tragödie  des  fast  neunzigjährigen 
Greises,  in  deren  lebensvoller  Frische  wir  nichts  von  der  schwächenden 
Einwirkung  des  Alters  wahrnehmen.  Denn  die  ganze  Verwicklung  ent- 
springt wie  von  selbst  dem  Charaktergegensatz  des  klugen  Odysseus,  der 
in  seiner  Schlauheit  ohne  jeden  Gewissensskrupel  Lüge  und  Hinterlist  an- 
wendet, wenn  es  sich  um  die  Durchführung  eines  im  Interesse  des  Gemein- 
wohles geplanten  Unternehmens  handelt,  und  des  offenherzigen,  edlen 
Neoptolemos,  der  sich  von  vornherein  nur  widerstrebend  dazu  hergibt, 
sich  durch  falsche  Vorspiegelung  in  das  Vertrauen  des  Philoktet  zu 
stehlen,  und  dann,  als  der  unglückliche,  von  einem  neuen  Krankheitsanfall 
erfasste  Einsiedler  ihm  treuherzig  den  Bogen  übergibt,  Vertrauen  mit  Ver- 
trauen erwidert  und  das  künstliche  Gewebe  der  Täuschung  zerreisst.  Damit 
geriet  aber  auch  der  ganze  Anschlag,  dessen  Fäden  Odysseus  aus  der  Ferne 
gelenkt  hatte,  so  in  Verwirrung,  dass  menschliche  Kunst  den  Knoten  zu 
lösen  nicht  mehr  im  stände  gewesen  wäre  und  nach  euripideischer  Art  ein 
deus  ex  machina,  Herakles,  dazwischen  treten  musste.^)  In  diesem  Aus- 
gang, sowie  in  den  zahlreichen  Auflösungen  des  Trimeters  und  den  ein- 
förmigen Rhythmen  der  Chorgesänge  erkennt  man  den  Einfluss  des  Euripides.^} 
160.  Der  OiSinovQ  enl  KoXmvo)  ist  in  alten  Erzählungen,  wie  wir 
oben  sahen,  mit  dem  Greisenalter  des  Dichters  in  Verbindung  gebracht  und 
nach  einer  didaskalischen  Notiz  ^)  erst  nach  des  Meisters  Tod  im  J.401  von 
dessen  Enkel  auf  die  Bühne  gebracht  worden.  Aber  sicher  war  dieses  nur 
eine  Wiederaufführung  ^)  und  kam  das  Stück  zum  erstenmal  schon  vor  den 
Phönissen  des  Euripides,  deren  Schluss  V.  1705  ff.  unverkennbar  auf  unsere 
Tragödie  anspielt,'')  wahrscheinlich  auch  vor  dem  Philoktet,  dessen  Versbau 
eine  ungleich  grössere  Laxheit  verrät,  auf  die  Bretter,  aber  ob  schon  zu 
Anfang  des  peloponnesischen  Krieges,  wie  K.  Lachmann,  Rh.  M.  I,  313  ff. 
und  Ad.  Scholl,  Philol.  XXVI,  385  ff.  annahmen,  oder  erst  nach  dem 
Frieden  des  Nikias  im  J.  420,  wie  Böckh,  Ges.  Sehr.  IV,  228  ff.  glaub- 
würdig machte,    wage   ich    nicht   zu  entscheiden.^)     Jedenfalls    fällt  unser 


^)  Doch  ist  der  Gott  bei  Sophokles  keine 
Drahtpuppe,  nur  gemacht,  um  dem  Stücke 
einen  Schluss  zu  geben;  er  repräsentiert 
vielmehr  die  göttliche  Stimme  der  Liebe  und 
Versöhnung  in  der  Menschenbrust,  welche 
den  Starrsinn  und  den  Eigenwillen  der  Leiden- 
schaft (toiT  &v}xoEi4ovg)  bricht;  man  kann 
ihn  dem  ^ai^oviop  des  Sokrates  vergleichen. 

^)  Mein  Freund  Römer  macht  mich  da- 
rauf aufmerksam,  wie  wir  auch  in  der  Zeich- 
nung der  Hauptcharaktere,  namentlich  in 
der  des  schlauen  Odysseus,  die  neuere  Rich- 
tung der  realistischer  gewordenen  Schau- 
spielerkunst zu  erkennen  haben. 

")  Arg.  II:    ^^ocfo/.lrjc:  6  vidovg  iö'lö'a^ei^ 


vlog  loy  ^jQiGicopog  inl  uQ/optog  Mixonvog. 
og  Eüxv  xirciQrog  and  Ka?/Mov,  scp^  ov  (faaii- 
ol  n'keiovg  xöv  ^iocpox'kea  xelevirjota. 

^)  Auch  die  Wiederaufführung  der  An- 
tigene war,  wie  wir  oben  sahen,  in  den 
Didaskalien  angeführt.  Die  bezeugte  Auffüh- 
rung des  Oed.  Col.  wird  für  die  erste  und  ein- 
zige gehalten  von  Müller,  Gr.  Litt.  I^,  582. 

^)  Freilich  hat  man  diesen  Schluss  selbst 
als  spätere  Zudichtung  verdächtigt,  worüber 
unten.  Auch  Aristophanes  Av.  1473  ff.  scheint 
eine  Parodie  von  dem  Hymnus  auf  Athen 
in  Oed.  C.  694  ff.  zu  sein. 

^)  Beide  Ansichten  gehen  von  den  zahl- 
reichen   Anspielungen    auf    das    Verhältnis 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     c.  Sophokles.  (§  160-161.)  211 

Oedipus  nach  dem  König  Oedipus  ^)  und  hat  der  Dichter  auf  das  schönste 
mit  dem  Abendglanz  seiner  Kunst  Athens  Vergangenheit  und  seinen  Heimat- 
ort Kolonos  verklärt,  indem  er  den  geblendeten  König  im  Haine  der  Eume- 
niden  bei  Kolonos  Ruhe  und  Erlösung  von  seiner  Mühsal  finden  lässt.  Der 
Gegenstand  lud  von  selbst  zu  einer  ruhigeren,  mehr  die  Seele  ergreifenden, 
als  die  Leidenschaft  erregenden  Behandlung  ein ;  dieser  Ton  ist  dem  Dichter 
trefflich  geglückt,  so  dass  heutzutage  noch  das  Stück  mit  seiner  Majestät 
des  Todes  selbst  auf  unser  verwöhntes  Theaterpublikum  den  tiefsten  Eindruck 
zu  machen  pflegt.'^)  Aber  es  bemühte  sich  überdies  auch  der  Dichter  mehr 
Verwicklung  in  die  an  und  für  sich  übereinfache  Handlung  zu  bringen, 
indem  er  nicht  bloss  dem  blinden  König  seine  Töchter  als  Wegführerinnen 
beigibt,  sondern  denselben  auch  mit  Kreon,  der  dem  armen  Greis  seine 
einzigen  Stützen  wegführen  will,  und  mit  Polyneikes,  der  auf  dem  Zug 
von  Argos  nach  Theben  durch  Attika  kommt,  in  lebhaft  erregten  Scenen 
zusammenführt.  Die  Hereinziehung  des  Kreon  gab  zugleich  dem  Stück, 
ähnlich  wie  den  Herakliden,  den  Schutzflehenden  und  dem  rasenden  Herakles 
des  Euripides,  eine  glanzvolle  politische  Staffage ;  denn  wie  dort,  so  erscheinen 
auch  hier  Athen  und  sein  Herrscher  als  grossmütige  Beschützer  der  Fremden, 
die  auf  dem  gastlichen  Boden  Attikas  Schutz  vor  ihren  Bedrängern  suchen. 
Aber  der  schönste  Schmuck  der  sophokleischen  Tragödie  sind  doch  die  er- 
greifenden Chorgesänge  und  vor  allem  die  Krone  derselben,  der  herrliche 
Hymnus  auf  Attika  {66S — 719),  welcher  das  euripideische  Seitenstück  in 
der  Medea  V.  824  —  845  weit  hinter  sich  lässt. 

161.   Von  den  nicht  erhaltenen  Dramen  des  Sophokles  sind  nur  sehr 
spärliche  Reste  auf  uns  gekommen,    die  uns  in  vielen  Fällen  nicht  einmal 
eine  sichere  Vermutung  über  ihren  Inhalt   erlauben.^)     Zu  einem   grossen 
Teile  derselben  hatte   er  als  Homerfreund   den  Stoff  aus  Homer   und  dem 
epischen  Kyklos  entnommen;"^)  so  bezogen  sich  auf  den  troianischen  Sagen- 
kreis 'Ah'^avdQog,  'EXe'vrjg  yäfiog  (Satyrdrama),  ^xvQim,  ^Oövaasvg  }jiaiv6i.i€vog, 
^I(fiYi--reia  (Opferung  in  Aulis),  'Axmißv  avXXoyog  i]  ^vvSsittvoi  (Satyrdrama), 
Mv(Toi\    TrjXs(fog,    noi{.ibveg   (Protesilaos   Tod,    wahrscheinlich   Satyrdrama), 
^E?.h'v7]g  anaiTY^aig^   Tgooikog,  naXaj^irjdrjg,  (I>Qvy8g,  (Potvi'^,  Al^iOTifg  rj  M^ivmv, 
^ViXoxTYiTVjg  SV    TQoia,   Aäxaivai    (Raub    des  Palladiums),    AaoxoMv^   ^ivoov, 
TlQiai,iog^    Al'ag  Aoxqög^    AixfJiceXcoTiSfg,    JloXv^evrj,    ^AvTi^vogidai    (Abzug    der 
Söhne   des   Antenor    nach    der    venetischen   Hadria),    NavnXiog  xaranXeMv, 
NavnXiog  rrvQxasvg  (Schiffbruch  an  den  kaphereischen  Felsen),  Navaixcca  tj 
j  JlXvvTQiai    (neu  entworfen    von    Göthe),    (I>aiaxsg^    'OSvaasvg    dxavO^onXrj^    /y 
NinxQa    (Tod  des  Odysseus  durch  den   Rochenstachel  seines   Sohnes  Tele= 


Athens  zu  Theben   iiHd  die  Unbesiegbarkeit       Stückes  am  Schlüsse   auf  die  allein  uns  be- 


Attikas  (V.  702)  aus,  die  sicher  auf  die  letzte 
Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  nicht 
])assen.  Scholl  nimmt  ausserdem  starke  Um- 
arbeitungen des  ursprünglichen  Textes  an. 
^)  Arg.  Oed.  tyr. :  eIol  6e  ymI  ol  ttqo- 
TSQov,  ov  Tvqarvov  imyQdcpoyrsg  dicc  rovg 
/Qovovg  T(op  ^i^aoxaliixjp  y.cd  did  tu  nQay- 
f^icaa.     Indes    möchte    ich    selbst    auf   diese 

Notiz  nicht  allzu  fest  bauen,  da  sie  möglicher-    |    inixio  xvxho,    i6q   xccl   oXa    dgdjuaTcc  noirjacd 
weise     ebenso     wie     die    Stellune     unseres   :    dxo'kovS^iov  Ttj  ii^'  tovtü)  uvdoTiotia 


zeugte  Aufführung  durch  den  Enkel  des  So- 
phokles geht. 

'^)  Wie  günstig  die  Alten  urteilten,  sagt 
uns    das    Argumentum:    rö   tff    (^qc</jc<    tmv 

3)  Welcker,   Griech.  Trag,  im  1.  Band 
und  im  Nachtrag  des  dritten. 


"*)  Ath.  297  d:  e/aige  J"  6  ^ocpoy.Xrjg  tm 

'  '  XT 

14* 


212  Griechische  Litteraturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 

gonos;  danach  Pacuvius'  Niptra),  EvQvaXog  (Sohn  des  Odysseys  und  der 
epirotischen  Königstochter  Euippe,  vom  Vater  ohne  Wissen  getötet).  Die 
nächstgrösste  Aufmerksamkeit  wandte  Sophokles  der  einheimischen  attischen 
Sage  zu ;  ausser  dem  Triptolemos  und  Oedipus  Col.  waren  aas  derselben  ge- 
nommen die  Stücke  Tr^qevg,  'ÜQsid^VKx,  KQiovaa^  "icov,  ÜQÖxQig^  Aiy^vg,  0afdQa, 
TsvxQog,  EvQvadx7jg,  JaiSaXog.  Endlich  finden  wir  in  den  Fragmenten  des 
Sophokles  neben  den  altberühmten  Sagen  des  Hauses  der  Tantaliden  und 
Labdakiden  ^)  auch  die  Argonautenfahrt  (A^a/nag,  KoX%idsg^  ^xvd^cci,  'Pi^orofxoi), 
den  Heraklesmythus  und  die  Sagen  des  Thamyris,  Minos,  Meleager,  Bel- 
lerophon (loßärrjg),  der  Niobe,  Danae,  Tyro,  Andromeda  vertreten.  Gänzlich 
verschmäht  hat  Sophokles  Stoffe  aus  dem  Göttermythus  und  der  Zeit- 
geschichte. 

Codices:  das  Verhältnis  ist  das  gleiche  wie  bei  Aischylos:  Hauptcod.  ist  Laurentianus 
XXXII,  9  s.  XI  (L),  nachträglich  mit  Scholien  versehen  und  von  verschiedenen  Händen 
korrigiert  und  ergänzt,  so  dass  z.  B.  Oed.  R.  800  von  später  Hand  s.  XIII  zugefügt  ist; 
in  phototypischem  Druck  die  ganze  Handschrift  herausgegeben  von  Thompson-Jebb,  Fac- 
simile  of  the  Laur.  man.,  London  1885.  Ausserdem  beachtenswert  Paris.  2712  s.  XIII 
(A  mit  kurzen  Scholien),  der  nicht  aus  dem  Laurent,  abgeschrieben  ist,  sondern  von  einem 
gemeinsamen  Archetypus  abstammt,  da  er  die  Verse  Oed.  R.  800  und  Oed,  Col.  1130,  die 
in  L  von  erster  Hand  fehlen,  sowie  das  dort  fehlende  ys'yog  locpoxleovg  enthält,  Vergl. 
A.  Seyffert,  Quaest.  crit,  de  Soph.,  Halis  1864,  Unbrauchbar  sind  die  jüngeren,  aus  der 
Rezension  des  Triklinios  stammenden  Codd. 

Scholien :  die  alten  aber  stark  gekürzten  gehen  auf  Didymos  zurück,  der  zu  Ant,  45, 
Oed.  C.  237  u.  a.  mit  Namen  angeführt  ist;  dazu  eine  Vita  (fehlt  in  L)  und  vnod^easig  in 
prosaischer  und  metrischer  Form,  welche  auf  Aristophanes  (genannt  zu  Ant.  u.  Oed,  R.) 
und  Salustius  (genannt  zu  Antig.  u.  Oed.  C.)  zurückzuleiten  sind.  Jüngere  wertlose  Scho- 
lien von  Moschopulos  u.  Thomas  Magister  zu  den  im  Mittelalter  zumeist  gelesenen  3  Stücken 
Aias,  Elektra,  Oedipus  Rex,  von  Demetrios  Triklinios  zu  Aias,  El,,  Oed.  R,,  Ant.;  Ausgabe 
der  Scholien  von  Elmsley-Dindorf,  Oxon.  1825 — 52,  2  Bde,;  neue  Ausg.  von  Papa georgios 
in  Bibl.  Teubn.  Über  die  Quellen  der  Scholien  und  ihre  Bedeutung  für  die  Kritik  G. 
WoLFF,  De  Soph.  scholiis  Laurentianis,  Lips.  1843;  über  ihr  Verhältnis  zu  Suidas  P,  Jahn, 
Quaestiones  de  scholiis  Laurentianis,  Berl,  1884. 

Ausgaben:  ed.  princ.  bei  Aldus  Ven.  1502,  Mit  den  Scholien  von  H.  Stephanus, 
Paris  1568,  welche  Ausg,  mit  ihrem  triklinianischem  Text  bis  in  unser  Jahrh,  die  Vulgata 
blieb,  Fortschritt  in  der  Versteilung  der  Cantica  von  Canter,  Antw,  1579,  —  Eindringende 
Studien  wurden  dem  Soph,  später  als  dem  Eur.  zu  teil ;  grundlegend  die  kritisch-exege- 
tische Bearbeitung  von  Brunck,  Argent.  1786;  fruchtbringend  die  wiederholten  Neuauflagen 
der  Ausgaben  von  Erfurdt  durch  G,  Hermann,  Lips.  1817 — 48;  bedeutend  für  die  Kritik 
durch  Zurückgehen  auf  den  Cod,  Laur.  mit  genauem  Apparat  die  Ausg,  von  Dindorf, 
Oxon,  1860,  In  der  von  Jacobs  u,  Rost  geleiteten  Biblioth,  graec,  mit  lat.  Anmerk,  gab 
den  Sophokles  Wunder  heraus;  die  4.  Neubearbeitung  besorgt  Wecklein.  —  Ausgaben 
mit  erklärenden  Anmerkungen  von  Schneidewin-Nauck  bei  Weidmann ;  von  Wolff-Beller- 
mann  bei  Teubner;  von  Wecklein  bei  Lindauer  in  München;  von  Semitelos,  Athen  1887, 
im  Erscheinen,  —  Kritisch-berichtigte  Textesausgaben  von  Nauck  bei  Weidmann;  von 
Dindorf-Mekler  in  Bibl,  Teubn,;  von  Schubert  in  Bibl,  Schenkl,  —  Einzelausgaben:  Aiax 
cum  scholiis  et  commentario  j^ß'i'P^t^o  ed.  Lobeck,  ed,  II  Lips,  1835,  -  Antigene  griech. 
deutsch  mit  Exkursen  von  Boeckh,  Berl,  1843;  cum  scholiis  et  virorum  doctorum  ciiris 
ed.  Wex,  Lips,  1831,  2  vol.  —  Electra  in  usum  scholarum  ed.  0,  Jahn,  mit  Vita  u.  kri- 
tischem Apparat,  ed,  III  cur,  Michaelis,  Bonnae  1882;  dazu  Michaelis,  Arch.  Zeit.  38, 
75  ff.  —  Oedipus  Mex  cum  annot.  ed.  tertium  Elmsley,  Lips,  1821;  adnot.  van  Herwer 
DEN,  Trai,  1867,  —  Oedip)us  Col.  cmn  schol.  et  suis  comment.  ed.  Reisig,  Jenae  1820. 

Lexicon  Sophocleum  von  Ellendt,  ed.  II  cur.  Genthe,  Berl.  1882,  —  Brambach, 
Metr.  Studien  zu  Sophokles,  Sophokleische  Gesänge,  Leipz,  1869  u.  1870,  —  Gleditsch, 
Die  Cantica  der  sophokl,  Tragödien,  2,  Aufl,  Wien  1883,  —  Chr,  Muff,  Die  chorische 
Technik  des  Soph,,  Halle  1877,    -    0,  Hense,  Der  Chor   des  Soph.,    Berl,    1877   u,  Rh,  M. 


1 


^)  Aus  letzterem  waren  ausser  den  oben    j    welche  der  römische  Tragiker  Accius  nach- 
bereits  genannnten  (Oedipus  etc.)  auch  noch    i    bildete, 
die    'Eniyoroi    (oder    Eriphyle)    genommen, 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.    §  162.) 


213 


32,  485  ff.  —  Genthe,  Index  comment.  Soph.  1874;  die  neuere  Litteratur  besprochen  von 
Wecklein  in  Bursian-MüUer's  Jahrber.  d.  Alt. 


d.  Euripides  (480— 406).  0 

162.  Euripides,  der  jüngere  Zeitgenosse  des  Sophokles,  trat  schon 
durch  seine  Abkunft  in  Gegensatz  zu  seinen  grossen  Mitbewerbern  um  den 
tragischen  Kranz;  enstammten  Aischylos  und  Sophokles  vornehmen  und 
reichen  Geschlechtern  Attikas,  so  dass  sie  schon  durch  die  Geburt  zu  an- 
sehnlicher Stellung  unter  ihren  Mitbürgern  berufen  schienen,  so  war  hin- 
gegen Euripides,  dessen  Eltern,  Mnesarchides  und  Kleito,  eine  Zeit  lang 
in  der  Verbannung  in  Böotien  gelebt  hatten  und  nach  ihrer  Rückkehr 
Krämersleute  in  dem  Dorfe  Phlya^)  waren,  in  bescheidenen  Verhältnissen 
aufgewachsen.^)  Sein  Geburtsjahr  fiel  nach  der  einen  Version^)  mit  der 
Seeschlacht  von  Salamis  zusammen,  was  dann  die  litterarische  Sage  so  aus- 
schmückte, dass  sie  den  Dichter  an  dem  Tage  der  Schlacht  und  auf  der 
Insel  Salamis  ^)  geboren  sein  liess,  nach  anderen  war  er  ein  oder  ein  paar 
Jahre  früher  geboren.  In  der  Jugend  erhielt  er  eine  sorgfältige  Erziehung, 
so  dass  er  an  den  Götterfesten  der  Heimat  als  Tänzer  und  Fackelträger 
des  Apoll  mitwirkte*')  und  im  Ring-  und  Faustkampf  sich  auszeichnete. 
Der  Turnkunst  sagte  er  bald  wieder  Valet.^)  Auch  der  Malerei,  der  er 
sich  in  seiner  Jugend  widmete,  scheint  er  nicht  lange  obgelegen  zu  haben, 
obwohl  er  stets  für  das  Malerische  in  der  Poesie  ein  grosses  Talent  an 
den  Tag  legte.  ^)  Es  war  die  Tragödie,  in  der  er  das  eigentliche  Feld 
seines  Schaffens  fand.  Im  J.  455^)  erhielt  er  zum  erstenmal  mit  seinen 
Peliades  einen  Chor,  musste  aber  bei  diesem  ersten  Debüt  mit  dem  dritten, 


^}  Aus  dem  Altertum  ein  Ttvog  Eigi- 
7IL&0V  yal  ßiog.  Dazu  ein  Artikel  des  Suidas 
und  ein  Kapitel  bei  Gellius  XV,  20.  Die 
5  Briefe  des  Eur.  sind,  weil  unecht,  ohne 
Wert.  —  Sämtliche  Quellen  zusammengestellt 
und  verwertet  von  Nauck,  De  Eur.  vita 
poesi  ingenio,  in  seiner  Ausg.  Das  Leben 
des  Dichters  mit  seinen  Werken  dargestellt 
von  Härtung,  Eurip)ides  restitutus,  Hamb. 
1843,  2  Bde.  —  0.  Ribbeck,  Euripides  und 
seine  Zeit,  Bern  1860.  -  Wilamowitz,  Das 
Leben  des  Euripides,  in  Eur.  Herakles  1,  1-  -42. 

")  Suidas   und   Harpokration   u.  ^Ivsia. 

^)  Vita  Eur.;  Arist.  Ach.  457.  478,  Equ. 
19,  Thesm.  456,  Ran.  840.  947.  Anders 
Philochoros  bei  Suidas :  EvQtnldfjg  Mi^tjaaQ/ov 
rj  MvrjGciQ^i^ov  xal  KXeitovg,  oX  cpevyov- 
X€g  Eig  BoiMxiap  fisjMxrjauv^  shf<  ey  rfj 
'Jttix^  (ähnlich  Stob.  Flor.  44,  41)  •  ovx  r'cXr}- 
i^eg  df  tijg  Xa^ccvoTKxyXig  rju  rj  fj^tjrt]Q  avrov  ' 
xkI  yuQ  TMP  a(p6^Qn  evysvoJv  izvy/avsp,  (vg 
d-no^eixvvoi  4>LX6/oQog.  Die  Witze  der  Ko- 
miker, welche  die  Mutter  des  Dichters  zu 
einem  Hökerweib  machten,  mögen  nicht  viel 
Glauben  verdienen,  aber  mit  dem  hohen 
Adel,  den  Philochoros  seinem  Euripides 
nachrühmt,  wird  es  auch  nicht  weit  her 
gewesen  sein;  das  ncdg  ((QovQalag  ^sov  des 
Arist.  Ran.  840  muss  seine  Richtigkeit  haben. 


Daraus,  dass  nach  der  Vita  und  Gellius  Euri- 
pides in  Salamis  eine  Grotte  mit  Ausblick  auf 
die  See  hatte,  lässt  sich  noch  nicht  auf  er- 
erbten Grundbesitz  auf  jener  Insel  schliessen. 

4)  Vita;  Diog.  H,  45;  Plut.  Symp.  VIII, 
1.  1.  Die  Angabe  des  Eratosthenes  in  der 
Vita,  der  den  Dichter  75  Jahre  alt  werden 
lässt,  führt  auf  481/80.  Die  parische  Chronik 
setzt  die  Geburt  Ol.  83,  4  -=  485/4,  was 
Mendelssohn,  Acta  Lips.  II,  161  ff.  ver- 
teidigt. 

')  Vita;  in  GIG.  6052  heist  Eur.  2VJ«- 
(xlviog.  Gellius  XV,  20:  Philochorus  refert 
in  insula  Salamine  speluncam  esse  taetram 
et  horridavi,  in  qua   scriptitarit  Euripides. 

^)  Ath.  424  e  und  Vita,  vermutlich  nach 
Philochoros,  der  damit  den  Vorwurf  niederer 
Abkunft  widerlegen  wollte. 

"')  Hart  ist  sein  späteres  Urteil  über  die 
Athleten  fr.  284:  ov^ev  xaxiou  eaxiv  ad^lrjtMu 
yevovg. 

^)  Nach  der  Vita  zeigte  man  von  ihm 
Bilder  {niväxia)  in  Megara.  Die  Kunst  in 
der  Beschreibung  von  Bildern  tritt  in  Ion 
190  -  218  glänzend  hervor.  Vgl.  Kinkel  zu 
Phoen.  127. 

^)  Irrtümlich  lässt  Gellius  XV,  20  den 
Dichter  schon  im  18.  Lebensjahr  Tragödien 
schreiben. 


214 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


d.  i.  letzten  Preis  vorlieb  nehmen.  Der  Bühne  blieb  er  bis  zu  seinem  Ende 
treu,  wiewohl  er  erst  spät  mit  der  Richtung  seiner  Poesie  durchschlug  ^ 
und  auch  dann  noch  manchen  Wandel  in  der  Gunst  des  Publikums  zu 
erfahren  hatte. 

163.  Fand  Euripides  in  dem  tragischen  Spiel  sein  Lebenselement, 
so  zeigte  er  doch  auch  für  andere  Geistesrichtungen  und  insbesondere  für 
die  Philosophie  ein  lebhaftes  Interesse.  Er  besass  eine  auserlesene  Biblio- 
thek'^) und  war  Hörer  der  Philosophen  Anaxagoras,  Protagoras  und  Pro- 
dikos. 3)  Dem  Sokrates  war  er  befreundet  und  erfreute  sich  dessen  wohl- 
wollenden Beifalls;  Aelian  V.  H.  II,  13  erzählt,  Sokrates  habe  nur  selten 
das  Theater  besucht  und  nur  dann,  wenn  neue  Stücke  des  Euripides  zur 
Aufführung  kamen.  Dabei  ist  aber  nicht  daran  zu  denken,  dass  Euripides 
in  ein  förmliches  Schülerverhältnis  zu  jenen  Philosophen  getreten  sei ;  er 
suchte  nur  im  freien  Verkehr  mit  ihnen  und  im  Lesen  ihrer  Bücher  über 
die  höchsten  Probleme,  die  damals  die  Geister  bewegten,  Aufschluss  zu 
erhalten.  Und  indem  er  selbst  ein  eifriger  Anhänger  des  Rationalismus 
und  ein  Verächter  des  alten  Götterglaubens  wurde,  trug  er  durch  seine 
Tragödien  mehr  als  jene  Philosophen  selbst  zur  Verbreitung  der  philo- 
sophischen Aufklärung  bei.-^)  Nicht  unverdient  war  der  Ehrentitel  eines 
Philosophen  der  Bühne.'')  Hingegen  hielt  er  sich  dem  thatkräftigen  politi- 
schen Leben  fern;^)  er  verriet  auch  darin  im  Gegensatz  zu  Aischylos  den 
Dichter  der  Neuzeit.  Nur  in  seinen  Dichtungen  nahm  er  lebhaft  an  den 
politischen  Tagesfragen  teil,  indem  er  namentlich  in  den  Tendenztragödien 
aus  der  ersten  Hälfte  des  peloponnesischen  Krieges  jede  Gelegenheit  er- 
griff, um  seine  Vaterstadt  zu  Ehren  zu  bringen  und  gegen  dessen  Feinde 
zu  Feld  zu  ziehen.') 


')  Erst  441  siegte  er  nach  Marm.  Par. 
zum  erstenmal. 

2)  Ath.  3a;  Suidas  setzt  dafür  den  jün- 
geren Euripides,  über  den  unten  §  174. 

^)  Vita:  (cxovazTJg  yevöfxevog  'Ava^ayoQOv 
xcd  JlQodixov  xal  UQinxayÖQOv  xcü  ^cjXQchovg 
ETcaQog.  Cicero  Tusc.  IV,  14:  fuerat  ayditor 
Protagorae,  In  Versen  des  Alexander  Ätolus 
bei  Gellius  XV,  20  heisst  er  'Jva^ayöqov 
TQÖcpifxog,  auf  Anaxagoras  scheint  zu  gehen 
Eur.  Ale.  903—10.  Auch  mit  Heraklits 
Lehre  wurde  Eur.  bekannt:  s.  Diog.  II,  22 
u.  Eur.  fr.  639.  830;  Arist.  Ran.  1082. 

■*)  Von  Beweisen  sind  die  Stücke  des 
Eur.  voll. ;  besonders  sprechend  sind  Hec.  799, 
Ion  436-51,  Iph.  Taur.  385-91,  Troad. 
884 — 8  (nach  Diogenes  von  Apollonia),  Belle- 
rophon fr.  288  u.  294,  Chrysippos  fr.  836, 
Theseus  fr.  392.  Peir.  fr.  596,  fr.  ine.  904. 
Dass  Eur.  die  Lehren  des  Anaxagoras  auf 
die  Bühne  gebracht,  deutet  Piaton  Apol.  26  d 
an.  Vgl.  Luc.  Jup.  trag.  c.  41.  Bei  einem 
Prozess  bezichtete  ihn  nach  Arist.  Rhet.  III, 
15  p.  1416  a  29  sein  Gegner  der  Asebie. 
Die  Litteratur  bei  Ueberweg,  Grundriss  d. 
Gesch.  d.  Phil.  P  81,  wozu  jetzt  Wilamo- 
wiTz,  Eur.  Herakl.  I,  22—30. 

•')  Ix7]pix6g  cfilöaocfog  heisst  er  bei  Ath. 


158  e  u.  561a,  Vitruv  VIII  praef. ,  Sext. 
Empir.  I,  288,  Clem.  Alex,  ström.  V,  688. 
Vgl.  Plat.  de  rep.  VIII  p.  ^568a:  rj  rs  rfta- 
ycodici  oXiog  oocpov  doxeT  sivca  xal  6  Evqi- 
Tiidrjg  diaq)iQ8iv  sv  avTrj, 

6)  Von  Aristoteles  Rhet.  II,  6  p.  1384b 
16  wird  eine  EvQinl&ov  ctnöxQiaig  riQog  2!vq((- 
xoaiovg  erwähnt,  was  der  Scholiast  auf  ein 
sonst  nicht  bekannte  Gesandtschaft  bezieht, 


Von  einer  Klage, 


die    dem  Dichter    ein  ge 


wisser  Hygiainon  durch  das  Anerbieten  des' 
Vermögenstausches  anlässig  einer  zu  leisten- 
den Liturgie  anhängte,  meldete  Arist.  Rhet. 
III,  15. 

^)  So  pries  er  Athen,  indem  er  zum 
Teil  die  alten  Mythen  ummodelte,  als  Schir- 
merin  der  Verfolgten  in  Med.  Heracl.  Herc. 
Suppl.  Phoen.  Im  Menelaos  der  Andromache 
(s.  Schol.  zu  Andr.  445)  und  des  Orestes 
brandmarkte  er  die  treulose  Härte  und  Geld- 
gier der  Lakedämonier.  Durch  die  Heraklideu 
wird  das  Bündnis  mit  Argos  empfohlen. 
Gegen  die  Demagogen  und  Volksschmeichler 
sind  gerichtet  Hec.  254  if. ,  Suppl.  232  ff. 
Wegen  der  im  Kresphontes  repräsentierten 
Vaterlandsliebe  preist  den  Dichter  Lycurg 
adv.  Leoer.  100. 


1 


I 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  163-164,) 


215 


164.  Eine  grosse  Rolle  spielten  in  dem  Leben  und  in  der  Beurteilung 
des  Euripides  seine  häuslichen  Verhältnisse.  Verheiratet  war  er  zweimal; 
die  erste  Frau  hiess  Melito,  die  zweite  Choirine  (v.  1.  Choirile);i)  aber  mit 
beiden  scheint  er  schlechte  Erfahrungen  gemacht  zu  haben.  Die  Skandal- 
geschichte wusste  namentlich  von  einem  Famulus  des  Dichters,  Kephisophon 
mit  Namen,  zu  erzählen,  mit  dem  die  Frau  in  ehebrecherischem  Umgang 
lebte.  2)  Die  Alten  führten  auf  diese  ehelichen  Misshelligkeiten  den  Weiber- 
hass  zurück,  den  Euripides  in  seinen  Tragödien  zur  Schau  trägt  und  der 
die  Frauen  in  den  Thesmophoriazusen  zur  Verschwörung  gegen  den  Dichter 
bewegt.  Aber  mit  diesem  Weiberhass  muss  es  so  weit  nicht  her  gewesen 
sein.  Witzig  entgegnete  Sophokles,  als  einer  ihm  von  dem  Weiberhasser 
Euripides  sprach:  sv  ys  ratg  TQayuiSiaic^  iitsl  sv  ys  T'fj  xh'vrj  (fiXoyvvrjg. 
Söhne  hatte  er  drei:  Mnesarchides,  Mnesilochos,  Euripides,  von  denen  der 
letzte  hinterlassene  Stücke  des  Vaters  nach  dessen  Tod  zur  Aufführung 
brachte.  Die  letzte  Zeit  seines  Lebens  brachte  er  an  dem  Hofe  des  musen- 
liebenden Königs  Archelaos  von  Makedonien  zu,^)  der  damals  die  erwähl- 
testen Geister  Griechenlands  an  seine  neue  Residenz  in  Pella  zu  ziehen 
suchte  und  ausser  Euripides  auch  den  Tragiker  Agathen  zur  Übersiedelung 
von  Athen  nach  Makedonien  veranlasst  hatte.  ^  Vielleicht  auf  dem  Wege 
dahin  wurde  er  in  Magnesia  eine  Zeitlang  festgehalten  und  durch  öffent- 
liche Auszeichnungen  gefeiert.^)  Wie  Aischylos  für  Sikilien  ein  Lokalstück, 
die  Aitnaiai,  gedichtet  hatte,  so  dichtete  auch  er  zu  Ehren  seines  könig- 
lichen Gönners  den  Archelaos,  in  welchem  er  den  regierenden  König  unter 
der    Gestalt    des    Ahnherrn    der    makedonischen    Dynastie    verherrlichte.^) 


^)  Vita:  yvt^(uxa  df  yrj^cti  tiqwtijp  Ms- 
liTWy  ö'evrsQay  de  XoiQLvrjp.  Das  Verhältnis 
umgekehrt  bei  Suidas,  zu  einer  Bigamie  ge- 
staltet bei  Gellius  XV,  20.  Die  Heirat  mit 
der  Choirile  erklärt  für  eine  Fabel  Wila- 
MOWiTZ,  Anal.  Eur.  149  u.  Eur.  Herakl.  7, 
vielleicht  mit  Recht. 

-)  Dieser  Kephisophon  gehört  mit  zum 
Haushalt  des  Euripides  in  Arist.  Ran.  1408  und 
1452.  Vers  944  derselben  Komödie  wird  in 
den  Schollen  so  gedeutet,  als  ob  Kephisophon 
dem  Euripides  geholfen  habe,  namentlich 
in  den  Liedern.  Von  dem  Umgang  desselben 
mit  der  Frau  des  Dichters  erzählt  die  Vita, 
wohl  auch  nach  W^itzen  der  Komödie.  Eben- 
daher wird  die  Anekdote  von  dem  Verhältnis 
des  Dichters  zur  Schaffnerin  im  Hause  des 
Königs  Archelaos  stammen;  s.  Hermesianax 
bei  Ath.  598  d. 

^)  Vita;  Philodemos  de  vitiis  10:  So- 
linus  IX,  16;  Lucian  de  paras.  35;  Paus.  I, 
2.  2;  Syncellus  p.  500,  7.  Von  einem  gol- 
denen Becher,  den  der  König  beim  Mahl 
dem  verehrten  Dichter  schenkte,  erzählt 
Plut.  Mor.  p.  531  d. 

^j  Von  einer  Liebkosung  des  jüngeren 
liebenswürdigen  Dichters  Agathon  durch  Eu- 
ripides erzählen  Plut  Mor.  770c  und  Aelian 
V.  H.  XllI,  4,  wahrscheinlich  nach  einer 
Schrift  des  Peripatetikers  Praxiphanes.   Von 


einem  Zerwürfnis  des  Dichters  mit  einem 
Höfling,  der  den  Dichter  wegen  des  übel- 
riechenden Atems  verspottet  hatte,  erzählen 
Aristot.  Polit.  V,  10,  p.  1311'^  33  und  Sto- 
bäus  Floril.  41,  6. 

^)  Vita:  fiezear?]  de  iu  Mayvrjaia  xcd 
TiQo^EVLa  sTi/uijO^f]  xcil  dzalsnc',  welches  Ma- 
gnesia geraeint  sei,  ist  leider  nicht  ange- 
geben. Auch  an  dem  Tyrannen  Dionysios 
von  Syrakus  hatte  er  einen  enthusiastischen 
Bewunderer,  der  aus  seinem  Nachlass  um 
hohes  Geld  Leier,  Griffel  und  Schreibtafel 
erstund;  s.  Hermippos  in  der  Vita.  Damit 
vergleiche  Plut.  Nie.  29:  evioi  xai  i)V  Evqi- 
nl&i]v  eGoi&r]oav.  ^aXiara  ydq  wg  eoixe  tmv 
ixTog  'EX^tji'coy  €n6&t]Cc(f  avrov  trjv  fiovaav 
Ol  nsQi  Iixsliciv. 

^)  Damit  steht  nicht  in  absolutem  Wider- 
spruch Diomedes  p.  488,  20  K:  Euripides 
petente  Archeiao  rege,  ut  de  se  tragoediam 
scriberet,  ahnuit  ac  j)recatiis  est  ne  accideret 
Archeiao  aliquid  tragoediae  proprium^  osten- 
dens  nihil  aliud  esse  tragoediam  quam  mi- 
seriarum  comprehensionem.  Über  den  histo- 
rischen Hintergrund  der  Sage,  durch  welche 
das  makedonische  Königsgeschlecht  auf  den 
dorischen  Ahnherrn  Temenos  zurückgeführt 
wurde,  siehe  Gutschmiü,  Die  makedonische 
Anagraphe,   in  Comm.  phil.  Bonn.  p.  118  ff. 


216 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Seine  Heimat  sah  Euripides  nicht  mehr  wieder.  In  Arethusa  bei  Amphipolis 
starb  er  im  Frühjahr  406,  noch  vor  dem  Feste  der  grossen  Dionysien; 
die  Sage  erzählte,  dass  Hunde  des  Königs  den  Dichter  zerrissen  hätten.^) 
Bei  Amphipolis,  an  dem  Zusammenfluss  zweier  Bäche,  befand  sich  auch 
sein  Grab,  das  noch  in  später  Zeit  ein  Wanderziel  der  Verehrer  des  Dichters 
Avar.2)  In  Athen  riss  sein  Tod  eine  grosse  Lücke,  ^)  die  auch  sein  bitterer 
Feind  Aristophanes  bereitwillig  anerkannte.  Seine  Mitbürger  ehrten  ihn 
durch  ein  Kenotaph,  für  welches  Thukydides  oder  Timotheos  die  Aufschrift 
dichtete.*)  Später  fügten  dieselben  auf  Antrag  des  Lykurg  die  Ehre  eines 
ehernen  Standbildes  im  Theater  des  Dionysos  hinzu.  Die  erhaltenen 
Porträte  des  Dichters^)  zeigen  uns  den  Tragiker  in  älteren  Jahren  mit 
spärlichem  Haar  über  der  Stirne  und  mageren  Backen;  die  ganze  Physio- 
gnomie verrät  mehr  den  herben  Ernst  eines  grübelnden  Moralisten  als  die 
leichte  Schaffenslust  eines  gottbegnadeten  Dichters. 

165.  Werke  des  Euripides.  Verfasst  wurden  von  Euripides  ausser 
einem  Epinikion  auf  einen  Wagensieg  des  Alkibiades  und  einer  Elegie 
auf  die  bei  Syrakus  gefallenen  Bürger  92  Dramen  oder  23  Tetralogien.^') 
Davon  hatten  sich  in  die  Zeit  der  gelehrten  Grammatiker  78  Stücke  ge- 
rettet,') darunter  8  Satyrspiele ;^)  für  unecht  galten  unter  "diesen  ein  Satyr- 
drama und  die  3  Tragödien  Tervrjg,  ^PaSd^avd^vg,  IIsiQfd^ooq.  Auf  uns  ge- 
kommen sind  19  Dramen,  darunter  1  Satyrspiel  KvxlMip  und  1  Tragödie 
von  zweifelhafter  Echtheit  ^Prj(fog.  Von  diesen  19  Stücken  wurden  im 
byzantinischen  Mittelalter  am  meisten  gelesen  und  allein  kommentiert 
die  3  Tragödien  'Ejcäßt],  ^OQi'aTrjg,  (ItohiaGai,  Unter  den  erhaltenen  Dramen 
befinden  sich  mehrere,  wie  MijSeicc,  ^oiviaaai,  'InnoXviog^  Bäxxcci,  ^I(fiyeveia 
SV  TavQoig,  die  sich  schon  im  Altertum  eines  hohen  Ansehens  erfreuten; 
aber  viele  andere   sind   geringwertig   und  wurden    von  den  Grammatikern 


^)  Älteste  Zeugen  für  diese  Sage  sind 
Sotades  bei  Stob.  98,  9  und  Diodor  13,  103; 
gegen  die  Richtigkeit  derselben  spricht,  dass 
Aristophanes  von  ihr  nichts  weiss.  Nach 
einer  anderen  bei  Suidas  und  Anth.  7,  51 
erwähnten  Fassung  waren  es  Weiber,  nicht 
Hunde,  die  den  Dichter  zerrissen. 

'^)  Ammianus  Marcell.  XXVII,  4.8:  ^jj'o- 
xima  Arethusa  convallis  et  statio,  in  qua 
risitur  Euripidis  sej)ulcru7n.  Vgl.  Vitruv 
X,  3;  Plinius  H.  N.  31,    19;    Paus.   I,  2.  2. 

^)  Nach  Athen  kam  nach  der  Vita  die 
Nachricht  vor   dem  Proagon    der  Dionysien. 

4)  Vit.  Eur.  und  Ath.  187  d. 

^)  S.  die  angefügte  Tafel.  Erhalten  sind 
uns  von  dem  meistgefeierten  und  meist- 
gelesenen Dichter  mehrere  Hermen  und 
Statuen;  s.  Visconti,  Iconogr.  gr.  I,  5,  3; 
G.  Krüger,  Arch.  Ztg.  1870  Taf.  26  u.  1871 
Taf.  1;  Jahrb.  d.  arch.  Inst.  1889,  S.  98.  Als 
Ergänzung  diene  die  Charakterisierung  der 
Vita:  ay.v&Qiondq  de  xal  avvvovg  xckI  aiairj- 
Qog  icpaivero  xul  fxiaoyt'kojg  xal  fAiaoyvvr]g  .  .  . 
iXsysTo  de  xcd  ßa&vv  ntoycova  S^Qtxpca  xcci 
inl  xrjg  oxpsoig  (paxovg  ia/t]X6yai.  Von  seinem 
übelriechenden    Atem   spricht  die   Vita   und 


Aristot.  Polit.  V,  10. 

^)  Die  Zahl  schwankt  in  der  Vita  und 
Suidas  zwischen  92  und  98  infolge  der  Ver- 
wechselung der  Zahlzeichen  ß  und  t];  die 
nicht  geretteten  kannten  die  Grammatiker 
wahrscheinlich  nur  aus  den  Didaskalien. 

^)  Varro  bei  Gellius  XVII,  4  spricht 
von  75  Stücken;  die  Abweichung  kommt 
wahrscheinlich  daher,  dass  die  einen  die 
3  unechten  Tragödien  einrechneten,  die  an- 
deren dieselben  ganz  ausser  Betracht  Hessen. 
Auf  der  Rückseite  der  sitzenden  Statue  des 
Euripides  im  Louvre  ist  ein  alphabetisches 
Verzeichnis  von  37  Stücken  bis  'OQsartjg 
geschrieben;  s.  Welcker,  Gr.  Trag.  444  f. 
Ein  anderes  gleichfalls  verstümmeltes  Ver- 
zeichnis in  teilweise  alphabetischer  Ordnung 
findet  sich  auf  einem  Stein  des  Piräus,  bei 
WiLAMOWiTz,  Anal.  Eur.  p.  139. 

^)  Wenn  trotz23  Tetralogien  Euripides  nur 
8  Satyrdramen  dichtete,  so  erklärt  sich  dieses 
daraus,  dass,  Avie  das  Beispiel  der  Alke- 
stis  zeigt,  für  ein  Satyrspiel  auch  eine  Tra- 
gödie mit  glücklichem  Ausgang  eintreten 
konnte. 


I 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  165.) 


217 


in  zweite  Linie  gestellt.  ^  Dieses  scheint  damit  zusammenzuhängen,  dass 
die  19  Dramen,  ähnlich  wie  die  Reden  des  Lysias,  aus  zwei  Sammlungen 
stammen,  von  denen  die  eine  eine  Auswahl  der  besten  Stücke  enthielt 
(Hec,  Orest.,  Phoen.,  Hipp.,  Med.,  Ale,  Androm.,  Rhes.,  Troad.,  Bacch.), 
die  andere  sämtliche  Stücke  in  alphabetischer  Ordnung  umfasste.^)  Anklang 
fand  Euripides  mit  seinen  Tragödien  bei  dem  athenischen  Publikum  weniger 
als  Aischylos  und  Sophokles :  nach  der  parischen  Marmorchronik  errang  er 
erst  im  39.  Lebensjahre  unter  dem  Archon  Diphilos  (441)  den  ersten  Sieg, 
und  im  ganzen  genommen  erhielt  er  nur  5  mal  den  ersten  Preis.  ^)  Tn 
das  rechte  Fahrwasser  scheint  er  erst  im  Beginne  des  peloponnesischen 
Kriegs  gekommen  zu  sein,  wo  der  alternde  Sophokles  allmählich  in  den 
Hintergrund  trat  und  er  selbst  durch  Anspielungen  auf  politische  Zeit- 
verhältnisse und  durch  Einflechtung  sophistischer  Weisheit  der  bewunderte 
Liebling  der  jüngeren  Generation  ward.^)  Aber  um  so  heftiger  befehdeten 
ihn  dann  als  den  Stimmführer  des  neuen  Zeitgeistes  die  Dichter  der  Komödie, 
von  denen  namentlich  Aristophanes  ihn  erbarmungslos  hei  jeder  Gelegen- 
heit, insbesondere  in  den  Acharnern,  den  Fröschen,  den  Thesmophoriazusen 
verspottete.^)  Aber  die  Rhetorik  und  philosophische  Aufklärung,  sowie  die 
Vorliebe  für  das  Pathetische  gewann  in  dem  Geistesleben  der  Griechen 
immer  mehr  die  Oberhand,  und  so  fand  auch  Euripides  nach  seinem  Tod 
bei  Aristoteles  gerechte  Anerkennung^)  und  bei  den  Dichtern  der  neuen 
Komödie,  wie  Menander  und  Philemon,  geradezu  abgöttische  Bewunderung.^) 
Von  den  Griechen  der  späteren  Zeit  ging  dann  die  Bewunderung  desselben 
auf  die  Römer  über,  so  dass  Ennius,  Pacuvius,  Accius,  Seneca  sich  haupt- 
sächlich ihn  zum  Vorbild  nahmen.  Auch  bei  den  Philosophen,  namentlich 
dem  Stoiker  Chrysippos  und  dem  Akademiker  Krantor  stand  er  in  hohen 
Ehren,  und  auf  die  Kunst  hat  er  wie  kein  zweiter  Dichter  des  Altertums 
befruchtend  eingewirkt.^)  Sein  Ansehen  erhielt  sich  im  Mittelalter;^)  in 
der  neueren  Zeit  ward  hinwiederum  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  und 


')  Von  der  Andromache  lesen  wir  in 
der  Hypotliesis  ro  dgäf^a  rcou  dsvzEQMu.  da- 
gegen  von   dem    Hippolytos   ro    dgufxa   ri^v 

TTQWTMV. 

'^)  Alphabetische  Ordnung  gewahrt  man 
in  der  Reihenfolge  des  Laur.  32,  2;  'EXsv}], 
HkexTQtx,  'HQccxXrj^,  'IlQaxXsidca,  Icop,  Ixert^sg, 
'icpiyeyeia;  darüber  Wilamowitz,  Anal.  Eurip. 
136  ff.,  der  die  ähnlich  mangelhafte  Ordnung 
auf  dem  Stein  des  Piräus  vergleicht;  ich 
erkläre  mir  die  Störung  der  alphabetischen 
Folge  aus  der  Verlegung  der  Bände,  die 
ursprünglich  nach  dem  Alphabet  geordnet, 
und  in  deren  jedem  wiederum  die  darin  ent- 
haltenen Stücke  alphabetisch  geordnet  waren. 

^)  Gellius  XVII,  4:  Euripidem  quoipie 
M.  Varro  ait,  cum  quinque  et  septuaginta 
tragoedias  scripserit,  in  quinque  solis  vi- 
cisse,  cum  cum  saepe  vincerent  aliquot  poetue 
ignavissimi. 

'*)  aocfojTcaov  nennt  den  Euripides  der 
Vertreter  der  Jugend,  Pheidippides,  in  Ari- 
stoph.  Nub.  1370. 

'')  Heimgezahlt   hat   P^uripides   den    Ko- 


mikern ihren  Spott  durch  die  bitteren  Verse 
in  der  zweiten  Melanippc  fr,  495: 

up^Qoiv  ^6  nokXol  rov  ye'kcozoq  ovvexa 
ctaxovat  /('cgitag  xsQTOfxovg.  iyai  de  mag 
f^iiaui  yskolovg,   oitiveg  aocpöiv  nsQi 
(i/c'(Xip^  s^ovai  fftofiar«  xcX. 

^)  Arist.  Poet.  13:  6  Evgini^rjg  si  xtd 
xd  alXcc  fir)  sv  oixopojusT,  dXXcc  rgayixwrccTÖg 
ys  Tvov  7T0it]rwi^  cpcävsKa. 

^)  Philemon  Hess  nach  der  Vita  P^urip. 
in  einem  Lustspiel  einen  Freund  des  Eur. 
sagen:  st  tccTg  dXrjd^eicaaty  ol  tsd^vrjxoteg 
aXa&rjaiy  si/oy.  äv^gsg,  Mg  cpaaip  riveg, 
dnr]y^('ifit]v  dv,  a/nr'  i^sTt/  Evqmi^yjy.  Quintil. 
X,  1.  69:  Euripidem  admiratus  maxime  est, 
ut  saepe  testatur,  et  secutus  Menander. 

^)  JüL.  Vogel,  Scenen  euripideischer 
Tragödien  in  griechischen  Vasengemälden, 
Leipz.  1886. 

^)  Aus  Centonen  euripideischer  Verse 
ist  das  mittelalterliche  Drama  Kgiarng  nda- 
/MP  zusammengesetzt,  was  am  ausführlich- 
sten von  Brambs  in  der  neuen  Ausgabe  des 
Stückes.  Lips.  1884  nachgewiesen  ist. 


218 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Schöngeister,  die  erst  durch  den  römischen  Tragiker  Seneca  die  griechischen 
Meister  kennen  lernten,  zuerst  auf  Euripides  gelenkt,  so  dass  derselbe  vor 
Aischylos  und  Sophokles  Eingang  in  die  moderne  Litteratur  fand.^) 

166.  Chronologie  der  Dramen.  Bestimmte,  aus  den  Didaskalien 
geschöpfte  Angaben  über  die  Zeit  der  Aufführung  haben  wir  nur  von 
wenigen  Tragödien  unseres  Dichters;  nach  ihnen  wurden  aufgeführt  die 
Peliades  bei  dem  ersten  Auftreten  des  Dichters  im  J.  455, 2)  Alkestis=^) 
zusammen  mit  Kressai,  Alkmeon  aus  Psophis  und  Telephos  438,  Medea 
mit  Philoktetes,  Diktys  und  Theristai  431,  Hippolytos  stephanephoros 
428,  Troades  mit  Alexandres,  Palamedes  und  Sisyphos  415,  Helena  und 
Andromeda  412,^)  Orestes  408,'')  Iphigenia  in  Aulis,  Bakchen  und 
Alkmeon  in  Korinth  nach  des  Dichters  Tod.'^)  Im  übrigen  sind  wir  zur 
Bestimmung  der  Abfassungszeit  auf  Kombinationen,  hauptsächlich  aus  der 
metrischen  Form,  den  politischen  Anspielungen  und  den  Parodien  bei 
Aristophanes  angewiesen.  In  erster  Beziehung  ist  von  Hauptgewicht  die 
Beobachtung  Hermanns,'^)  dass  Euripides  in  seiner  letzten  Periode  von 
Ol.  91  an  (um  418)  den  trochäischen  Tetrameter  neben  dem  iambischen 
Trimeter  in  die  Dialogpartien  wieder  einführte,  und  in  der  Auflösung  der 
Längen,  sowie  im  Gebrauch  des  vielgestaltigen  (polyschematischen)  Gly- 
coneus  eine  grössere  Freiheit  walten  Hess.  Auch  in  der  Wahl  der  Stoffe 
zeigen  sich  bemerkenswerte  Unterschiede  in  den  verschiedenen  Lebensaltern 
des  Dichters.  Während  er  anfangs  (etwa  455 — 431)  vorzugsweise  durch 
neue  Stoffe  (Rhesos,  Alkestis,  Alkmeon,  Medea)  Interesse  zu  gewinnen 
trachtete,  versuchte  er  in  der  ersten  Hälfte  des  peloponnesischen  Krieges 
sein  Glück  mit  nationalen  Tragödien,  welche  zu  Anspielungen  auf  die 
politischen  Zeitverhältnisse  Gelegenheit  boten  (Heraclidae,  Andromache, 
Hercules,  Supplices,  Ion),  und  kehrte  in  der  dritten  Periode  seines  Schaffens, 
als  das  Interesse  am  Krieg  und  an  der  Politik  zu  erkalten  begonnen  hatte, 
wieder  zu  den  alten  Mythen  zurück,  aber  in  der  Art,  dass  er  in  der  Be- 
handlung derselben  teils  in  Einzelheiten  von  seinen  Vorgängern,  nicht  ohne 
polemische  Seitenhiebe  ^)  abwich  (Elektra,  Phoenissae,  Orestes),  teils  eine 
ganz  neue  Romantik  in  dieselben  brachte  (Helena,  Andromeda,  Iphigenia 
Taurica).  Nach  diesen  und  ähnlichen  Gesichtspunkten  '•^)  haben  die  Ge- 
lehrten   die  Chronologie    der   euripideischen  Stücke  zu  fixieren  gesucht;  ^^) 


')  Viele  Leser  fanden  insbesondere  die 
lateinischen  Übersetzungen  der  Hecuba  und 
der  aulischen  Iphigenia  von  Erasmüs  (1506) 
und  die  Excerpta  traßtcorum  et  comicorum 
von  Hugo  Grotius  (1G26). 

•^)  Nach  der  Vita;  die  folgenden  Zeug- 
nisse stehen  in  den  Hypotheseis  der  betref- 
fenden Stücke. 

^)  Es  war  die  Alkestis  das  17.  Stück, 
was  sich  wahrscheinlich  auf  eine  chrono- 
logische, schwerlich  auf  eine  alphabetische 
Anordnung  der  Stücke  bezieht;  vgl.  oben 
S.  197   An.   1. 

4)  Schol.  ad.  Aristoph  Thesm.  1021  u. 
1069. 

•^)  Schol.  ad.  Orest.  371. 


^)  Schol.  ad.  Aristoph.  Ran.  67. 

"')  G.  Hermann,  Elem.  doctr.  metr.  p.  83 f. 

^)  Seitenhiebe  gegen  Aisch.  in  Phoen. 
751,  gegen  Aisch.  und  Soph.  El.  530  und 
872,  Antig.  fr.  165. 

^)  Ein  wichtiges  Anzeichen  sind  die 
Wiederholungen,  worüber  Schröder,  De 
iteratis  apud  tragicos  graec,  1882  in  Diss. 
phil.  Argent.  tom.  VI. 

^°)  ZiRNDORFER,  De  chvonologia  fabu- 
larum  Eur.,  Marburg  1839;  Fix,  Chron. 
fab.  Eur.,  vor  der  didotischen  Ausg ,  und 
besonders  Wilamowitz,  Analecta  Eur.,  p. 
172  ff.  Die  wahrscheinliche  Folge  ist:  Rhe- 
sus, Alcestis  (438),  Medea  (431),  Hippolj^tus 
(428),  Hecuba,  Cyclops,  Heraclidae,  Herc.  für., 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  166-167.) 


119 


aber  die  gewonnenen  Resultate  sind  doch  nicht  so  sicher,  dass  ich  dieselbe 
der  Ordnung  der  Dramen  zu  gründe  zu  legen  wagte.  Auf  der  anderen 
Seite  ist  die  Zahl  der  erhaltenen  Tragödien  so  gross  und  ist  ihr  Gehalt 
so  verschieden,  dass  ich  mich  begnügen  werde,  einige  hervorragende  Stücke 
herauszuheben  und  die  anderen  in  alphabetischer  Ordnung  summarisch 
aufzuzählen. 

167.  Die  Mt'jdsia  wurde  nach  der  Hypothesis  431  zusammen  mit 
dem  Philoktetes,  Diktys  und  dem  Satyrspiel  Theristai  ^)  aufgeführt.  Die 
Tragödie  ist  benannt  nach  der  Hauptheldin,  der  unheimlichen  Zauberin 
aus  dem  Kolcherland.  Aus  ihrem  Mythus  hatte  Euripides  schon  zu  seiner 
ersten  Tragödie,  den  Peliaden,  den  Stoff  genommen.  Aber  während  er  dort 
ebenso  wie  Sophokles  in  den  '^Pi^oroßoi  einfach  der  Sage  folgen  konnte, 
musste  er  hier  erst  die  alte  Überlieferung  umformen,  um  den  Boden  für 
eine  Tragödie  zu  gew^innen.  Schon  der  korinthische  Epiker  Eumelos  (Paus. 
II,  3.  8)  hatte  von  der  Herrschaft  lason's  in  Korinth  und  seiner  Entzweiung 
mit  Medea  erzählt;  dem  hatte  Kreophylos  2)  die  Sage  von  der  Ermordung 
des  Königs  Kreon  durch  Gift  und  von  der  Flucht  der  Medea  nach  Athen 
zugefügt  (Schol.  ad.  Med.  273).  Auch  des  unglücklichen  Loses  der  Kinder 
war  schon  in  beiden  Erzählungen  gedacht  worden.  Aber  erst  bei  den 
Tragikern  ermordet  die  Mutter  ihre  eigenen  Kinder,  um  sich  an  dem  treu- 
losen Gemahl,  welcher  der  reichen  Königstochter  zulieb  die  unglückliche 
Gattin  Verstössen  hatte,  in  furchtbarer  Weise  zu  rächen.  Diese  entsetz- 
liche, von  Eifersucht  und  Rachedurst  eingegebene  That,  die  mit  den  Kindern 
zugleich  die  von  den  Geschenken  der  Nebenbuhlerin  bethörte  junge  Frau 
des  lason  mit  ins  Verderben  zog,  hat  Euripides  zum  Mittelpunkt  der 
Tragödie  gemacht.  Den  Ausgang  der  erschütternden  Handlung,  die  Flucht 
der  Medea,  nahm  er  wieder  aus  dem  alten  Mythus;  er  erfand  nur  die 
spezielle  Richtung  der  Flucht  nach  Athen  und  liess  zur  Vorbereitung  der- 
selben schon  in  der  Mitte  des  Stückes  (663 — 758)  den  König  Aigeus  auf 
dem  Heimweg  von  Delphi  mit  Medea  zusammenkommen. 3)  Damit  verband 
er  zugleich  den  Zweck,  das  ehrliche  und  bundesfreundliche  Verfahren  der 
alten  Athener  gegen  Korinth  herauszustreichen  (723  —  730)  und  in  still- 
schweigenden Gegensatz  zur  Feindseligkeit  der  Korinther  beim  Ausbruch 
des  peloponnesischen  Krieges  zu  stellen.  Die  uns  erhaltene  Medea  ist  die 
Umarbeitung  einer  älteren,  von  der  mehrere,  ehemals  als  Parallelen  an  den 
Rand   geschriebene  Verse   in    den  Text    unseres  Stückes  gekommen  sind.^) 


Andromache,  Supplices,  Troades  (415),  Iph. 
Taur.,  Ion,  Electra,  Helena  (412),  Phoenissae, 
Orestes  (408),  Bacchae  u.  Iph.  Ad.  (407). 

^)  Euripides  erhielt  den  3.  Preis;  erster 
warEuphorion,  zweiter  Sophokles.  DerPhilok- 
tet  war  ein  bewundertes  Stück,  über  dessen 
Anlage  wir  durch  den  Rhetor  Dio  Chrysost. 
or.  52  u.  59  Aufschluss  erhalten.  Dass  auch 
der  Diktys,  der  in  die  Perseussage  eingriff, 
viel  gelesen  wurde,  zeigen  die  zahlreichen 
Fragmente.  Die  &eqiotkI  waren  nach  der 
Didaskalie  schon  zur  Zeit  des  Grammatikers 
Aristophanes  verloren. 

^)  Schwerlich   der   alte  Homeride,  eher 


der  von  Ath.  361c  erwähnte  Verfasser  von 
'Eqpsatofcw^ofc,  s.WiLAMOWiTZ,Herm.XV,485ff.; 
vgl.  Max  Groeger,  De  Argonauticarwm 
fabularum  liistoria,  Diss.  Vratisl.  1889,  p.  22  ff. 

^)  Unentschieden  ist  es,  ob  der  Tadel 
des  Aristoteles,  Poet.  25:  oQd^rj  de  €7jLzl/j.7]ai,g 
xcd  aXoyicc  xcd  /uo/y^ijQia,  örav  ^rj  dvciyxrjc: 
ovG7jg  fifjdsp'  /Q7Ja7]Tai  TM  (c'Aoya),  wansQ  Ev- 
Qini&ijg  Tili  JiyeT,  auf  unsere  Stelle  oder  auf 
die  Tragödie  Aigeus  ging. 

^)  Der  ersten  Medea  gehörten  wohl  auch 
die  Verse  in  Schol.  Arist.  Ach.  119  und 
Ennius  Med.  bei  Cic.  ep.  ad  fam.  7,  0  an.  Die 
Dittographien   unseres   Textes    sind  V.  723. 


220 


Griechische  Litteratnrgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Ausserdem  hatten  die  alten  Grammatiker  Kenntnis  von  der  Medea  eines 
sonst  wenig  bekannten  Tragikers  Neophron,i)  aus  der  uns  drei  längere 
Fragmente  erhalten  sind,  und  die  Dikäarch  und  der  Verfasser  der  dem 
Aristoteles  fälschlich  zugeschriebenen  Hypomnemata  für  das  Original  des 
euripideischen  Stückes  ausgaben.  2)  Dass  aber  Euripides,  der  erfindungs- 
reiche Kopf,  einem  obskuren  Neophron  die  herrliche  Fabel  abgestohlen 
habe,  hat  gar  keine  Wahrscheinlichkeit.  Auch  hätte  schwerlich  Aristo- 
teles in  der  Poetik  so  oft  unserer  Medea  mit  besonderer  Auszeichnung 
gedacht,  wenn  er  sie  für  ein  blosses  Plagiat  angesehen  hätte.  Eher 
haben  alte  Gelehrte  irrtümlich  die  erste  Bearbeitung  der  euripideischen 
Tragödie  dem  Neophron  zugeschrieben,  oder  hat  Euripides  selbst  das  erste 
Mal  das  Stück  unter  fremdem  Namen  auf  die  Bühne  gebracht.^) 

168.  Der  ^InnoXvtoq,  speziell  ^InnöXvTog  aTfcpavrjifoQog  genannt,  hat 
grosse  Verwandtschaft  mit  der  Medea  und  wurde  bald  nach  ihr  im  J.  428 
mit  durchschlagendem  Erfolge  aufgeführt. 4)  Wie  dort  die  grausige  Rach- 
sucht eines  gekränkten  Weibes,  so  bildet  hier  die  verzehrende  Glut  unreiner 
Liebe  den  Angelpunkt  der  Tragödie.  Der  StoflP  ist  der  attischen  Sage  ent- 
nommen unter  Anknüpfung  an  den  lokalen  Kult  eines  gleichnamigen  Halb- 
gottes in  Trözen.'')  Der  Mythus  von  der  verbrecherischen  Liebe  der  Phaidra, 
der  Gemahlin  des  Theseus,  zu  ihrem  Stiefsohn  Hippolytos  und  von  dem 
tragischen  Ende  des  von  seinem  Vater  verfluchten  Sohnes  hatte  bereits 
Sophokles  angezogen  ^)  und  war  von  Euripides  selbst  schon  einmal  vor 
428  behandelt  worden.'')  Der  Titel  Phaidra,  den  Sophokles  seiner  Tragödie 
gab  und  den  mit  Recht  wieder  aus  Seneca  der  grosse  französische  Tragiker 
Racine  aufgriff,  zeigt,  dass  derselbe  den  Stoff  am  rechten  Zipfel  gefasst 
hatte.  Denn  dadurch,  dass  Phaidra,  als  sie,  dem  Weibe  Putiphars  vergleichbar, 
ihre  Liebe  von  dem  keuschen  Jüngling  verschmäht  sah,  den  unschuldigen 
Sohn  bei  dem  Vater  der  Verführung  anklagt,  wird  sie  die  treibende  Kraft 
der  ganzen  Handlung  und  büsst  in  echt  tragischer  Weise  mit  ihrem  frei- 
willigen Tod  die  Schuld  unseliger  Liebe  und  falscher  Scham.  Euripides 
hat  sein  Drama  Hippolytos  getauft  und  in  Einklang  damit  auf  die  edle 
Gestalt  des  unschuldigen  Jünglings  und  dessen  grauses  Ende  durch  den 
Fluch  des  eigenen  Vaters  die  Hauptaufmerksamkeit  der  Zuschauer  gelenkt. 
Damit  wird  aber,  entgegen  einem  Hauptgesetz  der  tragischen  Kunst,  ^)  ein 


724.  729.  730  =  785—8;  798-810  =  819— 
823;  1231  f.  =  1233-5.  Wilamowitz,  Herni. 
15, 488  ff.  wil]  diese  Dittographien  auf  den  Zwie- 
spalt   der  Textesüberlieferung  zurückführen. 

')  Suidas  u.  JSeücfQMp;  Diog.  II,  137. 

-)  Argum.:  lo  ö^ccfia  doxst  imoßuXea^ca 
7TciQ((  NeocfQoi'og  [TiavcaöcfQovog  codd.)  ^la- 
(Txei'äaagy  oJ?  jLxaiuQ^og  tisqI  tov  rijg  E'A- 
?A<dog  ßiov  y.cd  ^jQiaTOTeXrjg  iv  vno^ipjjf^aair. 

^)  Die  Fragmente  des  sogenannten  Neo- 
phron haben  ganz  den  Versbau  der  Dittogra- 
phien des  älteren  Euripides.  Vgl.  0.  Ribbeck, 
Leipz.  Stud.  8,  386  ff.  Wecklein  schlägt  in 
der  Einleitung  seiner  Ausgabe  einen  Mittel- 
weg ein  und  setzt  die  Medea  des  Neophron  zAvi- 
schen  die  erste  und  zweite  Bearbeitung  des  Eu- 
ripides. EineScene  der  Medea  auf  einem  Wand- 


gemälde von  Pompeji  s.  Baumeister  n.  1948. 

■*)  Argum.  sdiö('c/x)t]  inl  'Enafxs'ivopog 
uQ^ovrog  6h\UTTidJ'i  nC'  srei  &'  .  JiQWTog  Ev- 
Qinidtjg,  &8VT£Qog  ^lofpdiv,  rgnog  ^Imv. 

^)  Nähere  Nachweise  bei  Wecklein  in 
der  Einleitung  seiner  Ausgabe. 

^)  Ob  die  Phaidra  des  Sophokles  älter 
sei,  dafür  haben  wir  freilich  keine  Zeug- 
nisse; Wilamowitz,  Herm.  18,  239  nimmt 
das  Gegenteil  an. 

^)  Der  erste  Hippolytos  wurde  zugleich 
mit  Aigeus  und  Theseus  gegeben;  s,  Wila- 
mowitz, Herin.  15,  483. 

^)  Arist.  Poet.  13:  diiXoy  ort  ovrs  rovg 
inisixsTg  ar&Qctg  dsT  fierccßdXXopTag  cpaivea^fa 
f|  £t'Tv/ic(g  eig  dvarv^inp  —  ov  yuQ  cpoßsQoi' 
ot'Jf    i^seiyoi'   Toijo.    i'.'kla   fAictQÖP   eariv  — 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  1G8  ~1G9.)  221 

Unschuldiger  zum  Helden  der  Tragödie.  Denn  die  Weise,  nait  der  Euripides 
dem  Hippolytos  eine  Schuld  beimisst,  weil  er  nämlich  den  Kultus  der  Aphrodite 
vernachlässigt  habe  (87 — 105),  genügt  an  und  für  sich  nicht  und  zieht 
obendrein  die  Menschen  auf  die  Stufe  willenloser  Drahtpuppen  in  der  Ge- 
walt widerstreitender  Dämone  herab.  Aber  auch  sich  selbst  hat  Euripides 
korrigiert  und  gleichfalls  nicht  zum  Besseren.  In  dem  ersten  Hippolytos, 
dem  im  wesentlichen  Seneca  und  Ovid,  Heroid.  4,  gefolgt  zu  sein  scheinen,^) 
hatte  Phaidra  selbst  dem  schönen  Amazonensohn  ihre  Liebe  bekannt  und 
dieser  sich  aus  Scham  über  den  sittenlosen  Antrag  der  Stiefmutter  das 
Haupt  verhüllt,  wovon  das  Stück  den  Zunamen  ^InnöXvTog  xaXvnTo^isvoc. 
erhielt.-)  Diese  Schamlosigkeit  der  Phaidra  hatte  nach  der  Hypothesis 
unseres  Stückes  bei  dem  Publikum  Anstoss  erregt,  und  der  Dichter  hat 
deshalb  in  dem  zweiten  Hippolytos,  der  von  dem  Kranz,  den  Hippolytos 
der  jungfräulichen  Göttin  Artemis  weiht  (V.  73  fP.),  den  Beinamen  (iTS(favr- 
(foQog  oder  acstpaviaq  erhielt,  das  Stück  so  umgearbeitet,  dass  Phaidra  selbst 
ihre  von  Aphrodite  ihr  eingegebene  Liebe  aus  züchtiger  Scham  in  sich  zu 
verschliessen  sucht,  und  somit  statt  ihrer  die  Amme  halb  gegen  den  Willen 
der  Herrin  das  Geheimnis  dem  Jüngling  verrät.  Aber  während  so  Phaidra 
in  diesem  Punkt  entschuldbarer  und  bemitleidenswerter  erscheint,  wird  die 
schwarze  That,  mit  der  sie  aus  falscher  Scham  in  dem  zurückgelassenen 
Briefe  den  unschuldigen  Stiefsohn  verleumdet  und  ins  Verderben  stürzt, 
um  so  unentschuldbarer.  Wenn  wir  aber  auch  so  in  der  Ökonomie  der 
Tragödie  keinen  Fortschritt  des  Euripides  gegenüber  Sophokles,  und  des 
älteren  Euripides  gegenüber  dem  jüngeren  anerkennen  können,  so  begreifen 
wir  doch,  dass  das  erhaltene  Stück  den  ersten  Preis  erhielt  und  von  den 
alten  Kunstrichtern  zu  den  besten  Werken  des  Dichters  gerechnet  wurde.  "^) 
Denn  mit  feinster  psychologischer  Kunst  ist  die  verzehrende  Glut  der  im 
Liebesgram  hinsiechenden  Fürstin  dargestellt,  und  tiefergreifend  ist  die 
Schilderung  von  dem  grausen  Geschick  des  unglücklichen  Jünglings,  den 
die  durch  ein  Meerungeheuer  scheu  gewordenen  Rosse  durch  die  Felsen 
schleifen.  Gut  wirkten  gewiss  auch  bei  den  alten  Athenern,  die  das  Un- 
glück des  Krieges  und  der  Pest  zur  Frömmigkeit  und  Einkehr  in  sich 
zurückgeführt  hatte,  die  Deklamationen  gegen  die  Rechtsverdrehungen  und 
Prahlereien  der  Rhetoren  und  Tugendlehrer. ^)  Nachgebildet  wurde  die 
Tragödie  von  Seneca  und  Racine.^) 

169.  Die  'l(fiy£V£ia  iv  TavQoig,  so  benannt  im  Gegensatz  zu  der 
in  Aulis,  wird  durch  den  Versbau  (die  trochäischen  Tetrameter  und  die 
häufigen  Auflösungen)   in   die  Zeit  nach  Ol.  90  verwiesen. '^)     Der  Dichter, 

OVIS  rovg  juo;(07]Qovg  e|  aiv/iug  eig  €VTv/iai^.  j  Gegensatz  die  ungeschminkte  Wahrheitsliebe 
Dagegen  Hipp.  1390:   tö   J"  evyevig  as  riHv       des  Hippolytos  984  ff.)   921  f.     Manche    der 


cfQevMV  ilnoj'ksosp. 


Sprüche    sind     heutzutag    noch     gang    und 


')  Hiller,  De  Soph.  Phaedra  et  de  Eur.  I  gäbe,  wie  V.  430  ccl  (yevTSQal  nwg  cpQopTiiisg 

Hipp,  priore,  in  Über  miscell.  pJiilol.  Bonn.  \  oocpoijeQai. 

p.   34  ff.;    Kalkmann,   De  Hippolytis  Eiiri-  1  ^)  W.  Schlegel,  Comparaison  entre  Ja 

pidis  quaest.  novae  1882.  !  Phedre    de   Eacine    et    Celle    d"    Enripide, 


'-)  Der  Kommentar  dazu  liegt  in  dem 
V.  243:  XQvxpoy  xs(fctXr]P  •  aiö'ovfus^a  yocQ  xd 
'^eXeyfxeva  juoi. 

'^)  Argum.:    to    ds    ö'gccf^a   riof  TiQohiov. 

*j  Besonders   V.  436  ff.   (dazu   steht   in 


Paris  1807:  neuere  Litteratur  bei  Patin, 
Euripide  I,  42  ff.  und  Wecklein  in  seiner 
Ausg.  S.  21. 

^)  Einer  bestimmten  didaskalischen  An- 
gabe   entbehren    wir.     Der   Verfolgung   des 


222 


Griecliisclie  Litter atur geschieh te.     I.  Klassische  Periode. 


iineniiüdlicli  in  der  Aufspürung  und  Verwendung  lokaler  Sagen  und  reli- 
giöser Gebräuche,  ging  auch  in  unserem  Stück  von  attischen  Tempelsagen 
aus.  An  der  Ostküste  Attikas  war  der  Kultus  der  Artemis-Hekate  seit 
alter  Zeit  heimisch.')  In  Halai  befand  sich  ein  Tempel  der  Artemis  Tauro- 
polos;-)  in  Brauron  zeigte  man  das  Grab  der  Tempel  Wärterin  Iphigenia^)  und 
ward  die  Göttin  selbst  unter  dem  Zunamen  'Icpiysveia  verehrt;^)  hier  auch 
wurden  an  dem  Feste  BQavQMvia  junge  Mädchen  der  Göttin  als  Bärinnen 
(ccQXToi)  geweiht,  was  darauf  hindeutet,  dass  hier  wie  anderwärts  der  orien- 
talischen Göttin  ehedem  Menschen  geopfert  wurden.^)  Nun  bekamen  die 
Griechen  Kunde,  dass  noch  zu  ihrer  Zeit  im  taurischen  Chersones  von  den 
Barbaren  einer  jungfräulichen  Göttin,  die  sie  ihrer  Artemis  verglichen, 
Menschenopfer  dargebracht  wurden.  Daraus  wob  Euripides  die  Mythe,  dass 
die  in  Aulis  der  Artemis  dargebrachte,  von  der  Göttin  selbst  aber  nach 
Tauri  versetzte  Königstochter  Iphigenia^)  später  mit  Hilfe  ihres  in  jenes 
ferne  Barbarenland  verschlagenen  Bruders  Orestes  das  heilige  Götterbild 
nach  Attika  gebracht  habe.  Zu  diesem  Behufe  dichtete  er  die  den  Athenern 
geradezu  heilig  gewordene  Darstellung  des  Aischj^los  teilweise  um :  ein  Teil 
der  Erinyen  steht  nach  dem  freisprechenden  Urteil  der  Pallas  Athene  von 
weiterer  Verfolgung  des  Muttermörders  ab,  ein  anderer  aber  setzt  dieselbe 
bis  zur  vollständigen  Entsühnung  des  Orestes  fort.  Um  aber  dem  Zusammen- 
hang der  Iphigeniasage  mit  dem  attischen  Kult  der  Artemis  die  göttliche 
Weihe  zu  geben,  lässt  er  gegen  Schluss  die  Göttin  Athene  selbst  auf  der 
Göttermaschine  erscheinen  und  feierlich  die  religiöse  Feier  Attikas  ein- 
setzen. Der  meisterhaft  erfundene  Mythus  ist  mit  nicht  minderer  Meister- 
schaft durchgeführt.  Wahre  Muster  anschaulicher,  fesselnder  Erzählung 
sind  die  beiden  langen  Botenreden  von  der  Gefangennahme  des  Orestes 
und  Pylades  (260 — 339)  und  von  den  Wechselfällen  ihrer  Entweichung 
(1327 — 1419);  voll  von  Leben  und  Geist  sind  die  wiederholten  Stichomy- 
thien,  in  deren  Anwendung  sich  Euripides  in  dieser  Tragödie  besonders 
gefällt;  einzig  schön  aber  sind  die  beiden  Wiedererkennungsscenen,  von 
denen  namentlich  die  erste,  wo  Iphigenia  dem  Pylades  den  für  den  Bruder 
bestimmten  Brief  vorliest  und  so  unwillkürlich  das  Geheimnis  ihrer  Her- 
kunft enthüllt  (755 — 797) ,  das  volle  Lob  des  Aristoteles  Poet.  14  fand. 
Selbst  die  Chorlieder  erheben  sich  über  das  gewöhnliche  Niveau  euripidei- 
scher  Melik;  namentlich  in  dem  2.  Stasimon  (1089 — 1152)  ist  mit  rührender 
Zartheit  die  Sehnsucht  der  ins  Barbarenland  verkauften  Jungfrauen  nach 
dem  Boden  und  den  Götterfesten  der  geliebten  Heimat  ausgedrückt.')    Für 


Orestes  durch  die  Furien  bis  nach  dem 
TaurerJand  wird  weder  in  Electra  noch  in 
Orestes  gedacht.  Gleichwohl  führt  der  Um- 
stand, dass  die  Helena  einer  schlechten  Neu- 
auflage der  Iphigenia  gleichsieht,  auf  die 
nächste  Zeit  vor  der  Aufführung  der  Helena 
oder  vor  412. 

')  Paus.  I,  23.  7;  33.   1;  HI,  16.  7. 

2)  Strab.  p.  399;  Eur.  Iph.  Taur.  1457; 
Ilesychius :   TuvQonöhcc,  ä  sig  ioQr?]y  ayovair 

■^)  Iph.  T.  1464;  Euphorien  in  Schol. 
Arist.  Lys.  645. 


4)  Paus.  II,  35.  2;  I,  43.  1;  VII,  26.  3. 
Vgl.  WiLAMOWiTz,  Herm.  18,  256  ff. 

^)  Iph.  T.  1458  ff.,  Arist.  Lys.  646  und 
dazu  die  Schol.;  Harpocr.  u.  ^exareveip.  Vgl. 
Schöne  in  der  Ausg.  Einl.  XVIII  sqq. 

^)  Procl.  arg.  Cypr. :  'A^Ts^xig  ds  ((vrijr 
s^agnaffCiGa  sig  TavQovg  jusTuxo/uiCsi  y.c.l 
ud^dvcaov  noieT. 

^)  In  der  nächsten  Zeit  nach  Euripides  ha- 
ben der  Sophist  Polyeidos  (Arist. Poet.  16  u.  17) 
und  der  Tragiker  Timesitheos  (s.  Suidas) 
den  gleichen  Stoff  bearbeitet.  Dass  unter 
den  Römern  Pacuvius  in  seinem  Dulorestes 


C.  Drama.    3.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  l7Ö.) 


223 


uns  Deutsche  hat  die  Tragödie  noch  einen  besonderen  Wert,  weil  sie  unseren 
Goethe  zu  einer  seiner  schönsten  Dichtungen  angeregt  hat.  Derselbe  hat 
bekanntlich  an  der  Lüge,  mit  der  Iphigenia  den  König  Thoas  hintergeht, 
Anstoss  genommen  und  deshalb  eine  andere,  truglose  Lösung  des  Konfliktes 
erdichtet.  Den  Griechen,  denen  Barbaren  gegenüber  auch  List  und  Betrug 
erlaubt  schien,  lag  jener  Anstoss  fern;  umgekehrt  wird  bei  ihnen  die  er- 
finderische Klugheit,  mit  der  Iphigenia  den  Argwohn  des  Thoas  einzu- 
schläfern versteht  (1153  —  1233),  rauschenden  Beifall  geerntet  haben.  ^) 

170.  Die  ^oiviacrai,  benannt  nach  dem  aus  Phönikerinnen  zusammen- 
gesetzten Chor,  gehören  gleichfalls  der  letzten  Periode  des  Dichters  an 
und  wurden  zusammen  mit  dem  Oinomaos  und  Chrysippos  aufgeführt.^) 
Euripides  erhielt  mit  diesen  Stücken  den  2.  Preis,  aber  die  Grammatiker 
erkannten  die  Phönissen  als  eine  der  vollendetsten  Schöpfungen  des  Dichters 
an,^)  und  dieses  mit  Recht,  wenn  auch  mehr  einzelne  Scenen  als  das  Ganze 
Lob  verdienen.  In  7  Dramen  behandelte  Euripides  die  altberühmten  Sagen 
des  Labdakidenhauses:  in  den  beiden 'AXxiatwvsg,  im.  XQvcyiTiTvog  und  in  den 
'IxtTiösg  gewann  er  dem  alten  Mythus  neue  Stoffe  ab;  in  dem  Oedipus,  der 
Antigene '')  und  in  unseren  Phönissen  suchte  er  durch  Neugestaltungen  das 
Interesse  des  Publikums  für  den  alten  Stoff  zu  beleben.  Die  Phönissen 
haben  im  allgemeinen  denselben  Inhalt  wie  die  Sieben  des  Aischylos,  aber 
wie  Euripides  im  Oedipus  die  Mythen  des  Oedipus  und  der  Sphinx  in  eins 
zusammenzog,  so  hat  er  auch  in  den  Phönissen  nach  allen  Seiten  über  den 
engen  Rahmen  des  äschylischen  Stückes  hinausgegriffen  und  damit  dem 
neuen  Drama  eine  ausserordentliche  Mannigfaltigkeit  und  Ausdehnung  (von 
1766  Versen)  gegeben.  Mehr  aber  noch  hat  er  in  der  Ökonomie  des 
Dramas  geneuert:  in  den  Sieben  bestand  der  Chor  aus  thebanischen  Jung- 
frauen, die  angstvoll  zu  den  Altären  der  Götter  flüchteten ;  Euripides  setzte 
an  ihre  Stelle  phönikische  Mädchen,  die,  vom  König  Agenor  als  Beute- 
teil nach  Delphi  geschickt,  auf  ihrem  Wege  Theben  berührten.  Das  war 
keine  gute  Neuerung,  zumal  der  Seeweg,  den  sie  kamen  (V.  210),  nicht 
über  Theben  nach  Delphi  führte,  hatte  aber  für  Euripides  den  Vorteil,  dass 
nun  die  Chorlieder  über  Kadmos  (638  —  689)  und  die  Sphinx  (1019 — 1066), 
die  er  nach  seiner  Art  einlegte,  wenn  nicht  zur  Handlung,  so  doch  zur 
Person  des  Chors  einige  Beziehungen  gewannen.  Aischylos  hatte  ferner 
in  eintöniger  und  breitgesponnener  Weise  die  2  mal  7  Führer  nach  einander 
aufmarschieren  lassen;  das  missfiel  dem  Euripides,  und  mit  Recht ;^)  er  er- 
reichte das  Gleiche  wirkungsvoller  teils  durch  die  Teichoskopie,  in  welcher 
der  Pädagoge  der  x^ntigone  ähnlich  wie  in  der  Ilias  dem  Priamos  die  Helena 


die  Handlung  der  Iph.  Taur.  behandelthabe,  be- 
zweifelt Ribbeck,  Römische  Tragödie  S.  239  ff. 
Auch  die  Kunst  hat  sich  der  dankbaren  Mo- 
tive unserer  Tragödie  mit  Vorliebe  bemäch- 
tigt, wovon  zahlreiche  Vasen,  Wandgemälde, 
Sarkophage  zeugen. 

^)  Geistreiche  Parallele  von  Ph.  Mayer, 
Die  Iphigenien  des  Euripides,  Racine  und 
Goethe,  in  dessen  Studien,  Gera  1874;  0. 
Jahn,  Pop.  Aufsätze  353  ff. 

-')  Nach   dem   Argumentum   unter   dem 


sonst  nicht  bekannten  Archen  Nausikrates 
um  409.  Schol.  Arist,  Ran.  53  lässt  das  Stück 
kurz  vor  den  Fröschen  gegeben  sein;  vgl. 
Schol.  Arist.  Av.  348. 

^)  Argum.  und  Schol.  Arist.  Ran.  53. 

■*)  Auf  die  Antigene  und  ihren  Ausgang, 
die  Vermählung  des  Haimon  und  der  Anti- 
gene, bezieht  sich  Phoen.  1C37  und  1G72  ff. 

^)  Phoen.  751 :  orofua  tf '  kxäaxov  (ha- 
TQißrj  nol^rj  "kiysir  ex^QMv  vn^  avroTg  rel/e- 


224 


Grrieciiische  Litteraturgeschiciite.     I    Klassische  Periode 


die  einzelnen  Helden  zeigt  (88 — 201),  teils  durch  die  effektvollen  Sclilachten- 
berichte  des  Boten  (1090—1199,  1217—1269).  Bei  Aischylos  sodann 
blieben  lokaste  und  Oedipus  ganz  ausser  dem  Spiel;  Euripides  lässt  sie  ent- 
gegen der  Darstellung  des  Sophokles  beide  noch  in  Theben  am  Leben  sein 
und  versteht  es  nun,  ihre  Anwesenheit  zu  ergreifenden  Scenen  zu  verwerten. 
Denn  die  ganze  Tiefe  der  Mutterliebe  thut  sich  in  dem  genial  erfundenen 
Versuche  der  Aussöhnung  der  feindlichen  Brüder  auf  (355 — 637),  und  die 
Summe  des  Jammers  zeigt  sich  am  Schluss,  wo  der  blinde  Greis  durch 
die  Weherufe  der  Antigene  aus  dem  Haus  gezogen  (1539  ff.)  und  von  dem 
herzlosen  Kreon  aus  dem  Lande  gestossen  wird  (1589  ff.)  Ganz  neu  hin- 
zugekommen ist  der  heldenmütige  Opfertod  des  Menoikeus,  des  Sohnes  des 
Kreon,  von  dem  nach  der  Weissagung  des  Teiresias  Euripides  den  Sieg 
abhängen  lässt  (834 — 1018).^)  Versäumt  hat  es  auch  Euripides  nicht, 
Stellen  zur  Verherrlichung  Athens  einzulegen  (852 — 857  und  1705—7), 
wenn  auch  dazu,  wie  namentlich  an  der  ersten  Stelle,  die  Gelegenheit 
mit  den  Haaren  herbeigezogen  werden  musste.  Man  wird  zugeben,  dass 
der  Dichter  mit  diesen  Neuerungen  und  zugleich  durch  die  Kunst  der 
sprachlichen  Darstellung  2)  das  Stück  reicher,  erschütternder  und  zugleich 
unserem  Geschmack  entsprechender  gestaltet  hat.  Wir  begreifen,  dass 
dasselbe  den  gelehrten  Kenner  des  Euripides,  Valckenaer,  zur  gelehrten 
Bearbeitung  (1754)  und  Hugo  Grotius  und  Schiller  zur  Übersetzung  reizten. 
Freilich  von  einer  gewissen  Breite  und  zerstreuenden  Überfülle  ist  das 
Stück  nicht  frei  zu  sprechen; 3)  besonders  leidet  der  Schluss  unter  dem 
Streben,  alles  Mögliche  in  denselben  hereinzuziehen,  die  Heirat  des  Haimon 
und  der  Antigene,  die  Bestattung  des  Polyneikes  durch  Antigene,  die  Be- 
gleitung des  verbannten  Oedipus  durch  Antigene.*) 

171.  Die  übrigen  Dramen  sind  in  alphabetischer  Ordnung  folgende: 
"A?.xrjaTig  wurde  438  an  vierter  Stelle,  also  anstatt  eines  Satyrdramas 
aufgeführt.  Zu  dieser  Stellung  stimmt  die  burleske,  an  Shakespeare  er- 
innernde Erzählung  des  Dieners  über  die  Ungeniertheit  und  Gefrässigkeit 
des  Herakles  (747  ff.)  und  der  glückliche  Ausgang  der  Handlung,  indem 
Alkestis,  die  junge  Gattin  des  Admet,  die  allein  für  ihren  Mann  zu  sterben 
bereit  ist,  von  Herakles  den  Armen  des  Thanatos  wieder  abgerungen  wird. 
Von  den  Dramen  des  Euripides  war  die  Alkestis  nach  der  Didaskalie  das 
16.  (oder  17.)  Stück.  Bei  der  Einfachheit  der  Handlung  hatte  in  ihr  der 
3.  Schauspieler  noch  eine  sehr  untergeordnete  Rolle,  so  dass  sie  zur  Not 
mit   2  Schauspielern    und    einem  Nebensänger    gegeben    werden    konnte.) 


^)  Die  Gestalt  des  freiwillig  den  lodern- 
den Altar  besteigenden  Menoikeus  findet 
sich  auf  Glaspasten,  s.  Oberbeck,  Her.  Gal. 
S.  133. 

'^)  Besonderes  Lob  verdienen  die  Monodie 
der  im  Schmerze  rasenden  Antigene  (1485  if.) 
und  der  Chorgesang  auf  den  Kriegsgott 
Ares,  den  Stifter  des  Elends  (784  ff.). 

^)  Manche  Verse  kamen  aber  erst  durch 
Interpolation  hinein,  worüber  Zipperer,  De 
lEiir.  PJioen.  rersihiis  i^uf^pectis  et  interpolatis. 
Wirceb.   1875. 


'')  Man  hat  deshalb  in  der  Exodos  starke 
Interpolationen  angenommen;  Böckh,  De 
trag.  gr.  princ.  c.  21,  und  ihm  folgend 
Kinkel  in  seiner  Ausg.  haben  den  ganzen 
Schluss  von  1746  an  verurteilt;  aber  damit 
wird  die  andere  Schwierigkeit,  wie  Anti- 
gone  zugleich  den  Vater  nach  Attika  be- 
gleiten und  den  Bruder  in  Theben  beerdigen 
soll,  nicht  gehoben.     Vgl.  §  160. 

5)  A.  Müller,  Bühnenalt.  173,  An.  3. 
Vielleicht  behalf  sich  das  Satyrdrama  länger 
mit  2  Schauspielern. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  171.) 


225 


Das  Stück  gehört  nicht  zu  den  besten  des  Euripides;  auch  durch  seine 
Stellung  am  Schlüsse  der  Tetralogie  werden  nicht  alle  Schwächen  desselben, 
weder  der  Mangel  an  Einheit  noch  die  jämmerliche  Zeichnung  des  Admet 
entschuldigt.  Aber  wie  wenig  trotzdem  es  ein  moderner  Dichter  und  selbst 
ein  Wieland  mit  seinem  Gegenstück  Alceste  dem  antiken  Tragiker  gleich 
thun  konnte,  hat  mit  jugendlichem  Übermut  Goethe  in  seiner  geistreichen 
Farce  „Götter,  Helden  und  Wieland"   dargethan.  ^) 

'AvSqoiiccxri  ist  ein  politisches  Intriguenstück,  dessen  Hauptpersonen, 
Menelaos  und  Hermione,  die  Treulosigkeit  und  Ränkesucht  der  Spartaner 
repräsentieren.  Andromache  selbst,  die  dem  Sohne  des  Achill  als  Beute- 
anteil zugefallen  war,  hatte  die  Eifersucht  der  Hermione,  der  rechtmässigen 
Gattin  des  Neoptolemos,  erregt;  eingewoben  ist  die  Ermordung  des  letz- 
teren im  Tempel  zu  Delphi  durch  die  Leute  des  Orestes,  indem  Euripides 
sich  schon  in  diesem  alten  Stück  erlaubte,  die  alte  Sage  zu  seinen  Zwecken 
umzugestalten. 2)  Schon  von  den  Alten  wurde  die  Andromache  zu  den 
Dramen  zweiten  Ranges  gestellt;  der  Hauptfehler  des  Stückes  besteht  in  dem 
Mangel  der  Einheit,  indem  es  in  zwei  ganz  lose  verbundene  Teile  aus- 
einanderfällt. ^) 

Die  Bdxxcci  wurden  erst  nach  dem  Tode  des  Dichters  durch  dessen 
Sohn  zur  Aufführung  gebracht.^)  Sie  behandeln  einen  echt  dionysischen 
Stoff, ^)  die  Feindseligkeit  des  Königs  Pentheus  gegen  den  Dionysoskultus 
und  dessen  furchtbare  Bestrafung  durch  den  Gott,  der  seine  Glieder  durch 
seine  eigene,  in  bacchantische  Raserei  versetzte  Mutter  Agave  zerreissen 
lässt.  Die  Tragödie  ward  von  Accius  ins  Lateinische  übersetzt;  die  erschüt- 
ternde Botenrede  von  der  Raserei  der  Agave  ward  sogar  am  parthischen 
Hofe  aufgeführt.*^)  Manche  Mängel,  namentlich  gegen  Schluss,  rühren  wohl 
daher,  dass  der  jüngere  Euripides  vor  der  Aufführung  noch  manche  Er- 
gänzungen vornahm.'^) 

^Exaßrj  heisst  die  von  Ennius  den  Römern  nahegebrachte  Tragödie, 
die  zwar  der  Einheit  entbehrt,  aber  durch  das  ergreifende  Pathos  der  un- 
glücklichen Königin  und  des  geblendeten  Verräters  Polymestor  einen  grossen 
Erfolg  auf  den  Brettern  erzielt  haben  muss.^)   In  der  philologischen  Litteratur 


')  Geschrieben  1774  bei  einer  Flasche 
guten  Burgunders  in  einer  Sitzung,  auf- 
genommen in  Ges.  Werke,  Bd.  33;  vgl. 
Steinberger,  Goethe  und  die  Alkestisfrage, 
Bayr.  Gymn.  Bl.  XXV,  24  ff. 

2}  Die  alte  Sage,  die  von  einer  Betei- 
ligung des  Orestes  an  der  Ermordung  des 
Neoptolemos  noch  nichts  weiss,  steht  bei 
Pindar  N.  7,  41 ;  die  euripideische  Fassung 
liegt  dem  Vasenbild  Ann.  d'  Instit.  1868 
Tav.  d'agg.  E  zu  gründe. 

")  Nach  den  Scholien  zu  V.  445  wurde 
das  Stück  nicht  in  Athen,  sondern  auswärts 
aufgeführt,  und  zwar  unter  fremdem  Namen 
(Demokrates,  wofür  Bergk  Menekrates  ver- 
mutet). Die  politischen  Anspielungen,  na- 
mentlich V.  733,  bestimmten  Böckh,  De 
trag.  gr.  princ.  189  f.  das  Stück  in  d.  J.  418 


zu  setzen;  Zirndorfer  und  Bergk,  Herrn.  18, 
490  treten  für  Ol.  89,  2  =  423  ein;  das  zu 
V.  445  angeführte  Scholion  verlegt  mit  Recht 
das  Stück  in  den  Anfang  des  Krieges. 

4)  Schol.  Arist.  Ran.  67. 

^)  Derselbe  war  schon  von  Aischylos  im 
Pentheus  und  von  Xenokles  in  den  Hax/ca 
behandelt  worden. 

^)  Plut.  Grass.  33.  Eine  Partie  aus  dem 
Schluss  übersetzte  Goethe,  Ges.  W.  46,  58  ff. 

^)  BoECKH,    De   trag.   gr.  princ.  c.  24. 

^)  Die  Parodien  in  den  Wolken  (1165 
=  Hec.  172;  718  =  Hec.  141)  weisen  auf 
die  Zeit  vor  Ol.  89,  1,  etwa  425  hin,  so  dass 
die  durch  diis  Pathos  entfesselter  Weiber- 
leidenschaft ausgezeichneten  Tragödien  Mo- 
dea,  Hippolytus,  Hecuba  auch  zeitlich  nahe 
aneinander  liegen. 


Uauclbnch  der  klass.  Altcrtuiuswissenscliaft.    VII.     2.  Aufl. 


15 


226  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

spielt  das  Drama  eine  Rolle  durch  die  für  Erkenntnis  der  Metrik  der 
Tragiker  epochemachenden  Ausgaben  von  Person  und  Hermann. 

^EXtvrj  ist  neben  Ion  das  Mustereines  romantischen  Intriguenstückes 
und  wurde  zugleich  mit  der  verwandten  Andromeda  412  aufgeführt.')  In 
der  Fabel  lehnte  sich  Euripides  an  Stesichoros  Helena  an,'-^)  erlaubte  sich 
aber  eine  ganz  freie  Umdichtung  der  Überlieferung.^)  Helena,  von  der 
Paris  nur  ein  Schattenbild  nach  Troia  entführt  hatte,  wird  in  Ägypten  von 
dem  Königssohn  Theoklymenos,  der  um  die  Hand  der  schönen  Griechin 
wirbt,  bedrängt  und  sucht  an  dem  Grabe  des  Proteus  Schutz.  Von  der 
Bedrängnis  wird  sie  durch  die  Ankunft  des  Menelaos  befreit,  mit  dem  sie 
gemeinsam  Flucht  und  Täuschung  des  Barbarenkönigs  plant  und  ausführt. 
Das  Stück,  das  in  seinem  Schluss  ganz  der  taurischen  Iphigenia  ähnelt, 
fand  viele  Leser  im  Altertum  und  hat  daher  viele  Interpolationen  erfahren ; 
Horaz  Od.  III,  3  scheint  die  Verse  878  ff.  vor  Augen  gehabt  zu  haben. 

'HXäxTQa  zeigt  uns  am  besten  die  Manier  des  Euripides,  alte  Stoffe 
neu  zu  gestalten  und  die  Erhabenheit  der  Heroen  weit  in  die  Niedrigkeit 
des  Alltagslebens  herabzuziehen:  Elektra,  des  Königs  Agamemnon  Tochter, 
ist  an  einen  gemeinen  Bauern  verheiratet;  Klytämnestra,  durch  List  auf 
das  Land  gelockt,  muss  sich,  bevor  sie  den  Todesstreich  empfängt,  noch 
ihr  ganzes  Sündenregister  von  ihrer  Tochter  vorhalten  lassen  (1004 — 1131); 
aber  einzig  schön  ist  die  Botenrede  (774—858)  von  der  Abschlachtung  des 
Buhlen,  wobei  der  Dichter  mit  genialer  Erfindungsgabe  den  Agisthus  selbst 
dem  Orestes  das  Messer  in  die  Hand  geben  lässt.  Verfasst  ist  das  Drama 
413  kurz  vor  der  Helena,  die  V.  1280  angekündigt  ist;  auf  diese  Zeit  führt 
auch  der  Hinweis  auf  die  sikilische  Expedition  und  den  Verrat  des  Alki- 
biades  am  Schlüsse  der  Tragödie.^) 

^HQaxXetdai,  ein  einfaches,  mattes  Drama  ohne  spannende  Verwick- 
lung, das  nur  durch  die  erhabene  Scene  von  dem  heldenmütigen  Entschluss 
der  Makaria,  sich  dem  freiwilligen  Opfertod  für  der  Brüder  Rettung  zu 
weihen,  einigermassen  gehoben  wird.  Die  politischen  Nebenabsichten  treten 
zwar  nicht  so  grell  wie  in  der  Andromache  hervor,  sind  aber  unverkennbar. 
Der  Dichter  will  vor  allem  Athen  verherrlichen,  dessen  König  Demophon 
den  nach  Attika  geflüchteten  Kindern  des  Herakles  Schutz  bietet  und  um 
ihretwillen  den  Kampf  nicht  scheut;  er  will  aber  zugleich  den  Undank  von 
Argos  und  Sparta  (V.  742)  brandmarken,  welche  in  der  Gegenwart  die  den 
Herakliden  ehedem  erwiesenen  Wohlthaten  mit  feindlichem  Einfall  vergalten. 
BöcKH,  de  trag.  gr.  princ.  190,  hat  die  Tragödie  auf  417  setzen  wollen, 
als  die  Argiver  nach  Bruch  des  Bündnisses  mit  den  Lakedämoniern  Frie- 
den machten.  Aber  die  Einfachheit  der  Handlung  und  die  Strenge  des 
Rhythmus,  sowie  die  Voraussagung  des  Einfalls  der  Spartaner  (V.  1027) 
weisen  auf  die  ersten  Jahre  des  peloponnesischen  Krieges.'^) 


')  Nach  Schol.  Arist.  Thesm.  1021  und 
1069.  ZiELiNSKi,  Gliederung  der  altatt.  Koni. 
97  ff.  findet  in  Arist.  Eq.  80  ff.  eine  Parodie 
von  Eur.  Hei.  835  ff.  und  setzt  demnach 
Helena  u.  Elektra  ins  Jahr  425. 

2)  Dazu  vgl.  Od.  (1227  u.  Herod.  II,  112. 


^)  Als  erwiesen  kann  gelten  die  Parodie 
in  Arist.  Ran.  1317  f.,  nicht  die  in  Av.  414 
oder  Nub.  423.  Über  das  Verhältnis  zur 
Elektra  des  Soph.  s.  §  156. 

•')  Die  aus  einer  didaskalischen  Angabo 


^)  Aristoph.  Thesm.  850  nennt  sie  y.ca-   \   genommene    Stelle    des    Ammianus   Marcel- 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  171.) 


227 


'HQaxJ.rjg  iLiccivo^is i'og^)  erinnert  durch  das  erschütternde  Pathos  und 
den  Mangel  der  Einheit  an  die  Hekabe.  Der  erste  Teil  endet  glücklich, 
indem  die  dem  Herakles  angetraute  thebanische  Königstochter  Megara  mit 
ihren  Kindern  im  Augenblick  der  Todesgefahr  durch  die  unerwartete  Rück- 
kunft des  Herakles  gerettet  wird.  Auch  der  Schrecken  des  zweiten  Teiles, 
in  welchem  der  in  Raserei  versetzte  Vater  seine  eigenen  Kinder  mordet, 
erhält  einen  versöhnenden  Abschluss  durch  die  edle  Freundschaftsliebe  des 
Theseus  und  die  religiöse  Sühnung,  welche  der  dankbare  Freund  seinem 
unglücklichen  Genossen  auf  attischem  Boden  in  Aussicht  stellt.  Die  Tra- 
gödie enthält  Stellen  grossartiger  Tragik,  aber  daneben  auch  abschweifende 
Deklamationen,  wie  188—203,  und  alberne  Reflexionen,  wie  637 — 700.  Die 
politischen  Anspielungen  führen  auf  die  Zeit  nach  der  Schlacht  von  Delion 
(424),  der  Hinweis  auf  das  Alter,  das  den  Dichter  nicht  hindere  dem  Musen- 
gesang zu  huldigen  (678),  in  die  späteren  Lebensjahre  des  Dichters. 2)  Das 
griechische  Original  hat  Seneca  in  seinem  Herakles  frei  bearbeitet. 

Die  ^Ixäriösg  werden  in  der  Hypothesis  passend  ein  iyxw^iov  'A^rjvcov 
genannt;  sie  sind  von  dem  gleichen  Gefühl  des  Hasses  gegen  Theben  wie 
der  Herakles  beseelt  und  scheinen  auch  um  dieselbe  Zeit,  nur  etwas  später, 
421  oder  420,  gedichtet  zu  sein.^)  Das  Drama  griff  die  bereits  von  Aischylos 
in  den  Eleusinioi  (Flut.  Thes.  29)  und  von  Herodot  IX,  27  berührte  Sage 
auf,  wonach  Theseus  die  Bestattung  der  vor  Theben  gefallenen  argivischen 
Heerführer  den  hartherzigen  Thebanern  zum  Trotz  gewährte.  Seinen  Namen 
hat  dasselbe  von  dem  Chor  der  Schutzflehenden  oder  den  Müttern  der  Ge- 
fallenen.4)  Die  rührenden,  eng  an  die  Handlung  sich  anschliessenden  Chor- 
lieder und  die  effektvolle  Scene  der  in  den  Scheiterhaufen  ihres  Gemahls 
Kapaneus  sich  stürzenden  Euadne  werden  dem  Werke  bei  der  Aufführung 
grossen  Erfolg  verschafft  haben  trotz  der  unpassenden  Digressionen  V. 
840 — 917,  und  der  leeren,  an  den  rasenden  Herakles  V.  655  erinnernden 
Reflexionen  des  Iphis  V.  1080  ff. 

'J(fjiy€V€ia  rj  iv  ÄvXidi  geht  dem  Mythus  nach  der  taurischen  Iphi- 
genia  voraus,  fällt  aber  der  Abfassungszeit  nach  in  die  letzte  Lebenszeit 
des  Dichters.  Euripides  hinterliess  dieselbe  unvollendet;  davon  zeugen  die 
unverkennbaren  Spuren  späterer  Zusätze  in  unserem  Text,  namentlich  am 
Schluss  und  in  der  Parodos.  Einzelne  Verse  stammen  aus  noch  späterer 
Zeit,  aber  diese  können  die  Annahme  einer  vollständigen  Überarbeitung  in 
römischer  oder  gar  byzantinischer  Zeit  nicht  beweisen.^) 


linus  XXVIII,  4.  27  zeigt,  dass  die  Hera- 
kliden  zusammen  mit  Kresphontes  und  Te- 
menos  aufgeführt  wurden ;  s.  Wilamowitz, 
Herrn.   11,  302  u.   17,  337  ff. 

^)  Ursprünglich  einfach  'UQaxlijg  betitelt, 
welchen  Titel  noch  Seneca  vorfand. 

2)  Wilamowitz,  Eur.  Herakl.  I,  344 
u,  380  setzt  demnach  den  Herakles  in  das 
vorletzte  Jahrzehnt  des  5.  Jahrhunderts,  zwi- 
schen die  Hiketiden  (421)  und  die  Troades 
(415).  Über  das  Verhältnis  zu  Soph.  Trach. 
s.  §  158. 

^)  Anspielung  auf  das  argivische  Bünd- 
nis in  V.  1190  ff. ;    auf   die  Weigerung   der 


Thebaner  nach  der  Schlacht  von  Delion  die 
Toten  herauszugeben  (Thuc.  4,  97  ff.)  bezieht 
sich  die  ganze  Fabel  der  Tragödie. 

^)  Über  die  Zusammensetzung  des  Chors 
aus  5  Müttern  und  10  Dienerinnen,  s.  Ar- 
NOLDT,  Die  chorische  Technik  des  Eur.  72  ff. 

^)  A.  Hennig,  De  Ii^h.  Aul.  forma  ac 
condidone,  Berol.  1870,  unterscheidet  Inter- 
polationen aus  3  verschiedenen  Zeiten.  Aus 
einer  andern,  mit  einem  deus  ex  macliina 
schliessenden  Ergänzung  stammen  die  Verse 
bei  Aelian  V.  H.  VII,  39,  wenn  nicht  hier 
ein  schwerer  Irrtum  des  Aelian  vorliegt; 
sonst  müsste  der  handschriftlich  überlieferte 

15* 


228  Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 

"lot)v,  eine  verschlungene  Tragödie  mit  glücklichem  Ausgang,  durch 
spannende  Disposition  und  zarte  Empfindung  ausgezeichnet.  Die  Fabel  ist 
von  Euripides  unter  Verwertung  alter  Überlieferungen  zur  Verherrlichung 
des  reinen  Geblütes  des  attischen  Stammhauses  erfunden.  Das  Drama  spielt 
in  Delphi,  wo  wir  den  unschuldigen  Knaben  Ion,  den  einst  Apoll  mit 
Kreusa,  der  Tochter  des  Erechtheus,  erzeugt  hatte,  im  Tempeldienst  des 
Gottes  treffen,  und  wohin  Kreusa  und  ihr  Gemahl  Xuthos  gekommen  waren, 
um  wegen  ihrer  Kinderlosigkeit  das  Orakel  zu  befragen.  Die  Enthüllung 
der  dunklen  Abkunft  des  Ion  und  die  Wiedererkennung  von  Mutter  und 
Sohn  spielen  sich  auf  so  verschlungenen  Wegen  ab,  dass  zur  vollen  Auf- 
klärung am  Schlüsse  das  Erscheinen  eines  Dens  ex  machina  nötig  war. 
Über  die  Abfassungszeit  des  Stückes  fehlen  zuverlässige  Anzeichen;  doch 
ist  dasselbe  jedenfalls  nach  dem  Erechtheus  (421)  gedichtet  worden.  ^)  Eine 
freie  Nachbildung  hat  in  unserer  Zeit  A.  W.  Schlegel  gedichtet. 

KvkXmxP,  das  einzige  uns  erhaltene  Satyrdrama,  das  nicht  geeignet 
ist,  uns  von  dieser  Dichtungsgattung  einen  sehr  hohen  Begriff  zu  geben, 
das  aber  doch  in  neuer  Bearbeitung  auch  heutzutage  noch  im  Wiener  Burg- 
theater ausserordentlichen  Beifall  finden  soll.  Der  Stoff  ist  der  Erzäh- 
lung der  Odyssee  vom  Abenteuer  des  Odysseus  bei  dem  Unholden  Kyklops 
entnommen. 

^ÖQtaTtjg,  nach  den  Schollen  zu  V.  371  im  Jahre  408  aufgeführt, 
zeigt  den  Verfall  der  euripideischen  Kunst.  Die  Fabel,  die  zur  Zeit  der 
Rückkehr  des  Menelaos  spielt  und  sich  um  die  Rache  dreht,  welche  der 
zum  Tode  verurteilte  Muttermörder  Orestes  mit  Elektra  und  Pylades  an 
Menelaos  und  seinem  Hause  nehmen,  ist  ganz  willkürlich  vom  Dichter  zu- 
sammengebraut. Alle  Personen  sind  ins  Gemeine  herabgezogen:  Menelaos 
ist  ein  herzloser  feiger  Egoist,  Elektra  ein  ränkespinnendes  Weib,  Orestes 
gleicht  dem  nächtlichen  Raufbold  undBieh'OQtarrjg  ßaiv6i.isvog  der  Komödie.-) 
Schon  Aristoteles'  Poet.  15  verurteilt  den  Menelaos  unseres  Dramas  als 
7TaQ(xd€iy!.ia  TTovtjQi'ag  rjd^ovg  firj  dvayxaiag,  gleichwohl  machte  dasselbe  wegen 
seiner  blendenden  Scenerie  und  des  musikalischen  Bravourstückes  V.  136D 
bis  1502  grossen  Effekt,  s) 

Die  Tqoictdeg  wurden  nach  der  erhaltenen  Didaskalie  415  zusammen 
mit  Alexandros,  Palamedes  und  dem  Satyrdrama  Sisyphos  aufgeführt  und 
mit  dem  2.  Preise  bedacht.  Die  3  Tragödien  sind  durch  den  zusammen- 
hängenden Inhalt  zu  einer  sogenannten  Thementrilogie  verbunden.  Dem 
erhaltenen  Stück  —  und  bei  den  beiden  andern  wird  es  nicht  viel  anders 
gewesen  sein  —  ist  der  Charakter  der  epischen  Darstellung  trotz  der 
Dramatisierung   des  Stoffes   geblieben :   es   sind  mehr   einzelne,    locker    an- 


Schluss  der  Tragödie  von  V.  1510  an  erst 
später  im  byzantinischen  Mittelalter  ergänzt 
worden  sein. 

^)  BöcKH,  De  ffr.  traff.  ^^rinc.  191  macht 
die  feine  Kombination,  dass  die  V.  190  ff, 
beschriebenen  Gemälde  der  Tempelhalle  die- 
selben seien,  welche  Athen  infolge  des  See- 
sieges bei  Rhion  (429)  gelobt  hatte  (Paus. 
XTI,  5  und  Ion  1592);  aber  deshalb  braucht 
das    Stück    noch   nicht   bald    nach   429   ge- 


dichtet zu  sein.  Enthoven,  De  lone  fa- 
hiila  Euripidea,  Bonn  1880  setzt  das  Stück 
412  auf  Grund  der  häufigen  Auflösungen  im 
Trimeter  und  der  Bezugnahme  auf  die  Grotte 
des  Pan  in  Arist.  Lys.  911. 

2)  Vgl.  OQeaifjg  fj.aiv6^6voq  in  Arist. 
Ach.  1166  u.  Av.  1487. 

^)  Argum.:  t6  dQäju«  rojy  sttI  axijptiq 
evdoxiuovfiwy. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  171.) 


229 


einander  gereihte  Episoden  aus  der  Einnahme  der  Stadt  als  Teile  einer 
einzigen,  straff  zusammengefassten  Handlung.  Die  Person  der  Hekabe 
bildet  fast  allein  das  Band,  welches  die  verschiedenen  Akte  zusammenhält. 
Da  hat  es  der  gleichzeitige  Toreute  Mys,  auf  dessen  Iliupersis  der  berühmte 
Silberbecher  des  Münchener  Antiquariums  zurückgeht,  besser  verstanden, 
aus  den  gleichen  Scenen  eine  höhere  Einheit  zu  schaffen.  Aber  gleichwohl 
müssen  wir  es  unserem  Euripides  lassen,  dass  er  seinen  Athenern,  die  an 
den  regelrechten  Tragödien  der  alten  Schule  genug  hatten,  mit  diesem 
neuen  Versuch  einer  Tragödie  in  Bildern  eine  anziehende  Ohren-  und 
Augenweide  geboten  hat. 

^Praog  ist  nichts  anderes  als  ein  Iliadis  Carmen  didiictimi  in  actus. 
Die  Echtheit  der  Tragödie  ward  nach  der  Hypothesis  schon  in  dem  Alter- 
tum angezweifelt,^)  indem  die  alexandrinischen  Kunstrichter  in  ihr  mehr 
den  sophokleischen  Charakter  finden  wollten.  Das  kann  sich  nun  kaum 
auf  etwas  anders  als  den  Mangel  an  euripideischem  Pathos  beziehen ;  denn 
von  der  eigentlichen  Kunst  des  Sophokles  lässt  sich  noch  weniger  etwas 
in  der  Tragödie  finden.  Aber  dieselbe  weicht  so  sehr  von  der  Art  der 
Medea,  der  Troades  und  aller  erhaltenen  Tragödien  des  Euripides  ab,  dass 
sie  entweder  aus  einer  ganz  anderen  Kunstperiode  unseres  Dichters  stammt 
oder  überhaupt  fälschlich  demselben  zugeschrieben  wurde.  Für  die  Unecht- 
heit  sprachen  sich  Valckenaer,  Diatribe  in  Eurip.  p.  88  ff.,  und  G.  Her- 
MATTN,  Opusc.  III,  262  ff.  aus;  aber  dass  Chorlieder  von  so  kunstvollem  und 
reichem  Versbau,  wie  die  des  Rhesos  sind,  in  der  Zeit  der  alexandrinischen 
Pleias,  an  welche  Hermann  dachte,  noch  gedichtet  worden  seien,  hat 
durchaus  keine  Wahrscheinlichkeit.  Glaubwürdiger  ist  die  Ansicht  der 
alten  Grammatiker  Krates,  Dionysodoros  und  Parmeniskos,  denen  sich  in 
unserer  Zeit  Vater  in  seiner  Ausgabe  (Berl.  1837)  und  Härtung,  Eurip. 
re^it.  I,  38  angeschlossen  haben,  dass  der  Rhesos  ein  Jugendstück  des 
Euripides  sei. 2)  In  der  That  hatte  Euripides  nach  den  Didaskalien,  wie  in 
der  Hypothesis  des  Stückes  bezeugt  ist,  einen  Rhesos  geschrieben,  und  es 
kann  demnach  höchstens  nur  davon  die  Rede  sein,  dass  der  euripideische 
Rhesos  durch  das  gleichnamige  Stück  eines  anderen  Tragikers  verdrängt 
worden  sei.^)  Auf  die  Jugendzeit  des  Euripides  führt  auch  der  politische 
Hintergrund  der  erhaltenen  Tragödie,  der  mit  der  Gründung  von  Amphipolis 
am  Strymon  (um  453)  zusammenzuhängen  scheint.^)     Der  Rhesos  ist  also, 


^)  Dazu  ein  Scholion  zu  V.  41:  to  /,  ort 
ovx  eaxLv  EvQinidov  6  ari^og. 

^)  Astronomische  Irrtümer  des  Stückes 
erklärte  daraus  Krates  nach  den  Scholien 
zu  V.  529  (vergl.  zu  V.  5,  499,  528,  541). 
Sonderbarerweise  haben  die  alexandrinischen 
Grammatiker  nicht  zur  Entscheidung  der 
Frage  das  athenische  Staatsexemplar  der  B 
Tragiker  eingesehen.  Wilamowitz,  De  Rhesi 
scholiis,  Greifsw.  1877,  lässt  den  Rhesos  in 
der  Zeit  des  Demosthenes  mit  Nachahmung 
des  Sophokles  und  Euripides  gedichtet  sein. 

■'')  Wenn  nicht  von  2  Tragödien  Rhesos, 

so    doch    von    2  oder   vielmehr   3  Prologen 

I  eines  Rhesos,  dem  erhaltenen   in  Anapästen 


und  zweien  in  iambischen  Trimetern,  haben 
wir  durch  das  Argumentum  Kenntnis.  Ähn- 
lich haben  wir  in  der  Iphig.  Aul.  Spuren 
von  2  Prologen,  einem  anapästischen  und 
einem  iambischen;  ebenso  gab  es  2  Aus- 
gänge derselben  Iphigenia  und  des  Arche- 
laos; s.  Welcker,  Gr.  Trag.  700  f. 

^)  Wilamowitz,  Anal.  Eur.  147  f.  und 
Eur.  Herakl.  I,  41  An.  81,  führt  diese  poli- 
tische Bedeutung  aus,  setzt  aber  dann  un- 
seren Rhesos  aus  Gründen  der  Metrik  und 
Ökonomie  (das  Stück  erfordert  wie  Oed.  Col. 
4  Schauspieler)  nicht  in  die  Zeit  der  Grün- 
dung von  Amphipolis,  sondern  des  zweiten 
Seebundes  im  4.  Jahrh. 


230 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


wenn  echt,  das  älteste  Stück  des  Euripides,  so  dass  man  aus  dem  Ver- 
gleich desselben  mit  der  Medea  ermessen  kann,  welche  ausserordentliche 
Fortschritte  der  Dichter  in  der  Darstellung  der  Leidenschaft  und  der  Er- 
regung tragischer  Effekte  gemacht  haben  müsse. 

Ausser  den  19  vollständigen  Dramen  sind  noch  zahlreiche  Fragmente 
des  vielgelesenen  und  wegen  seiner  schönen  Sentenzen  vielcitierten  Dichters 
auf  uns  gekommen.  Zahlreich  sind  namentlich  die  Bruchstücke  der  beliebten 
Tragödien  Antiope,  Alkmeon,  Andromeda,  ^)  ßellerophontes,  Stheneboia, 
Kresphontes,  Melanippe  (rj  ao(frj  und  rj  deaf-iMrig)^  Palamedes,  Philoktetes, 
Protesilaos,2)  Telephos.  Die  umfangreichsten  haben  wir  vom  Phaethon,^)  die 
unseren  Goethe  zur  Wiederherstellung  der  Umrisse  der  ganzen  Fabel  reizten.^) 
In  einem  der  Codices,  dem  Palat.  287,  findet  sich  am  Schluss  auch  noch 
der  Anfang  der  Danae,  der  aber  nicht  von  Euripides,  sondern  von  irgend 
einem  Fälscher  des  Mittelalters  oder  der  Renaissance  herrührt. 

172.  Kunstcharakter  des  Euripides.  Euripides  fand  bei  seinem 
Auftreten  die  Tragödie  bereits  vollständig  ausgebildet  vor.  In  ihrer  äusseren 
Form  verdankt  sie  daher  seinem  Eingreifen  keine  wesentlichen  Fortschritte. 
Was  hier  von  ihm  neu  eingeführt  und  weiter  entwickelt  wurde,  der  Pro- 
log und  der  Dens  ex  machina  war  nicht  wesentlich  und  sicher  kein 
Fortschritt.  In  fast  allen  Stücken  orientiert  uns  Euripides  im  Eingang 
durch  den  von  einer  handelnden  Person  oder  einem  Gott  gesprochenen  Prolog 
über  den  Mythus  und  die  auftretenden  Personen.  Diese  Art  der  Vorrede, 
die  öfters  auch  schon  den  ganzen  Gang  der  Tragödie  vorausverkündet, 
musste  die  Spannung  der  Zuhörer  schwächen,  hatte  aber  ihren  Grund  und 
ihre  Entschuldigung  in  der  selbständigen,  aus  dem  trilogischen  Zusammen- 
hang losgelösten  Stellung  seiner  Dramen  und  in  der  dem  Euripides  eigen- 
tümlichen Freiheit  der  Umgestaltung  des  überlieferten  Mythus,  die  eine 
vorausgehende  Aufklärung  des  Publikums  fast  zur  Notwendigkeit  machte. 
Aber  Euripides  gebrauchte  dieses  Mittel  in  einförmiger,  handwerksmässiger 
Weise,  so  dass  mit  Recht  dasselbe  von  Aristophanes  verspottet  und  von 
den  Grammatikern  getadelt  wurde.  ^)  —  Ein  Pendant  zum  Prolog  bildete 
der  Dens  ex  machina,  mit  dem  Euripides  fast  alle  seine  Stücke  schliessen 
lässt,^)   den  er  aber   auch   nicht  selten  mitten   im  Stücke  zur  Anwendung 


^)  Von  der  grossartigen  Wirkung,  welche 
die  Andromeda  noch  zu  Neros  Zeit  machte, 
erzählt  uns  Eunapios  p.  54  D  und  Lukian, 
Quomodo  hist.  conscr.  2 ;  vgl.  Arist.  Ran.  53. 

2)  Mayek,  Herm.  20,  101  ff. 

^)  Blass,  De  Phaeth.  Eur.  fragm.  Cla- 
romantanis,  Kiel  1885.  Restitutionsversuche 
von  WiLAMowiTz  in  Herm.  18,  396  ff. 

^)  Goethe,  Ges.  Werke  46,  33  ff.  Die 
zerstreuten  Fragmente  zu  sammeln  und  zur 
Rekonstruktion  der  Dramen  zu  verwerten, 
bildete  überhaupt  eine  die  Gelehrtenwelt  viel 
beschäftigende  Aufgabe.  Hauptleistungen  von 
Valckenaer,  Diatribe  in  Euripidis  perdi- 
forum  dramatum  rell.  LB.  1767;  Härtung, 
Euripides  restitutus,  Hamb.  1843;  Welcker, 
Griech.  Trag.,  2.  Bd.  Wecklein,  Drei  ver- 
lorene   Tragödien    des    Euripides    (Antiope, 


Antigene,  Telephos),  Stzb.  d.  b.  Ak.  1878; 
Über  den  Kresphontes  des  Eur.  1880  in  der 
Festschrift  für  ürlichs;  Über  fragmentarisch 
erhaltene  Tragödien  des  Eur.  (Andromeda, 
Bellerophon  etc.),  Stzb.  d.  b.  Ak.  1888.  Neue 
Bruchstücke  aus  den  Temeniden  (nach  Weck- 
lein aus  Diktys)  aus  Pariser  Papyri  publiziert 
von  Weil,  Nouveaux  fragments  d'  Eur.,  Par. 
1879;  BLASS,  Rh.  M.  35,  74  ff.;  Wecklein, 
Philol.  39,  406  ff. 

5)  Arist.  Ran.^  946  u.  1198  ff.  Vgl.  Vit. 
Eur.:  xal  ev  roTg  TiQoXoyotg  de  o/XtjQog. 
Übrigens  haben  namentlich  die  Prologe  viele 
Interpolationen  erfahren,  worüber  Klinken- 
berg, De  Euripideorum  prologoruni  arte 
et  interpolatione,  Bonn  18"^1. 

^)  S.  WiLAMowiTz,  Anal.  Eur.  180. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  172.)  231 

bringt.  Götter  hatte  schon  Aischylos  mittelst  der  Maschine  erscheinen 
lassen,  aber  Euripides  benützte  dieses  Mittel  in  bequemer  und  einförmiger 
Weise,  um  den  Knoten  durch  das  Dazwischentreten  der  Gottheit  zu  lösen, 
zum  Teil  auch,  um  den  Blick  des  Zuhörers  über  die  Grenzen  der  Hand- 
lung hinaus  zu  leiten.  Manchmal  wird  so  ein  Kultusbrauch,  wie  in  Iph. 
Taur.  1450  ff.,  Med.  1381  ff.,  Rhes.  962  ff.,  oder  eine  politische  Einrich- 
tung, wie  in  Ion  1571  ff.  u.  Andrem.  1244,  vorausverkündet  und  gewisser- 
massen  sanktioniert.  In  solchen  Fällen  wird  der  Deus  ex  machina  seine  Wir- 
kung geübt  haben  und  der  gespannten  Aufmerksamkeit  sicher  gewesen  sein; 
aber  meistens  verhüllte  er  nur  schlecht  die  Eilfertigkeit  des  Dichters  und 
die  Mängel  der  Anlage,  weshalb  mit  gutem  Takt  Seneca  denselben  in  der 
Nachahmung  der  Medea  und  des  Hippolytus  wieder  weggelassen  hat. 

Wesentlicher  und  bedeutsamer  ist  was  Euripides  in  der  tragischen 
Kunst  innerhalb  ihrer  alten  Formen  geneuert  und  teils  gebessert,  teils  ver- 
schlechtert hat.  Beginnen  wir  mit  dem  Stoff,  so  war  es  natürlich,  dass 
das  athenische  Publikum  an  der  wiederholten  Vorführung  von  Personen 
der  alten  berühmten  Sagenkreise  genug  hatte.  Euripides  trug  dem  Rech- 
nung und  da  er  den  von  Aischylos  angezeigten  Weg  des  historischen 
Dramas  verschmähte  und  politische  Stoffe  bereits  durch  die  Komiker  vorweg 
genommen  fand,  so  suchte  er  mit  erfinderischem  Sinne  teils  neue,  ent- 
legene Lokalsagen  auf,  ^)  teils  gestaltete  er,  namentlich  in  seinem  späteren 
Leben,  alte  Mythen  um,  teils  endlich  flocht  er,  in  dieser  Beziehung  nahe 
an  die  neue  Komödie  streifend,  aus  kleinen  Anhaltspunkten  ganz  neue  roman- 
hafte Erzählungen  zusammen.  Man  muss  ihm  die  Anerkennung  lassen, 
dass  er  auf  diese  Weise  neue  tragische  Figuren,  wie  die  Medea  und 
Iphigenia,  für  die  Ewigkeit  geschaffen  und  der  neuen  Gattung  selbst- 
erfundener Dramen  in  seiner  Helena  und  Andromeda  die  Wege  gebahnt 
hat.  —  Aber  der  Stoff  an  und  für  sich  bedeutet  noch  wenig;  er  erhält 
erst  Bedeutung  durch  den  dramatischen  Funken,  der  ihm  entlockt  wird: 
auf  die  Leidenschaften  {Tiä^rj),  die  auch  die  Zuschauer  mitfortreissen, 
verstand  sich  Euripides  wie  kein  zweiter.  Longin  rühmt  ihm  nach,  dass 
er  die  Liebe  und  Raserei  auf  die  Bühne  gebracht  habe;^)  als  echter  Kenner 
der  menschlichen  Natur  hat  er  die  dämonische  Gewalt  dieser  Leidenschaften 
zumeist  in  Frauen,  wie  in  der  Medea  und  Hekabe,  zum  Ausdruck  ge- 
bracht. Indes  auch  die  zarten  Saiten  des  Herzens  weiss  er  anzuschlagen, 
und  von  Thränen  der  Rührung  wird  der  Leser  in  mehr  wie  einem  Stücke 
übermannt.  Diese  letztere  Wirkung  erzielte  er  hauptsächlich  durch  einen 
weiteren  Vorzug  seiner  Kunst,  durch  die  Geschicklichkeit  in  den  Wieder- 
erkennungsscenen.  In  ergreifender  Weise  hat  er  dieselben  in  mehreren 
Stücken  mit  dem  Höhepunkt  der  Peripetie  in  Verbindung  gebracht.  Ausser 
dem  Ion  und  der  Iphigenia  Taur.  war  in  dieser  Beziehung  besonders  be- 
rühmt  der  Kresphontes,   in    welchem  Drama   Merope    in    falschem  Wahne 


^)  Das  ist  wohl  der  Nebengedanke  von  i    ^ccvlaq    rs    xcd  jQCorag,    ixzQccyM&^aai    xdv 

Arist.  Ach.  398:    o  vovg  ^ev  (sc.   EvQinidov)  rovroig  cog  ovx  oi&^  ei  rig  stegog  sntTvxsatct- 

e^o)  H}.X6y(0P  invXXm.  |    rog.     Vgl.    Schol.    Soph.    Oed.    R.  264:    rmg 

-)  Ps.  Longin  de  subl,  15:  effr«.  fjeu  ovf  xivijxixwg  iyyoiaig  TiXsoydCei   EvQinid7]g. 

rpiXonovuhajog  6  EvQin'i&y]g  dvo  lavil  nudi],  j 


232 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode, 


bereits  das  Beil  über  dem  schlafend  daliegenden  Jüngling  schwang,  als  der 
Alte  in  ihm  den  Sohn  der  Merope  erkannte  und  die  Mutter  von  der  un- 
seligen That  zurückzog.  Durch  die  bezeichneten  Vorzüge  ist  Euripides  der 
tragischste  {TQayixcoTaTog)  Dichter  i)  und  der  vollendetste  Meister  der  ver- 
schlungenen Tragödie  {TQccy.  nsnleyiitvi])  geworden.  —  Aber  den  Vorzügen 
stehen  auch  grosse  Schattenseiten  gegenüber.  Euripides  entnahm  zwar  die 
Stoffe  der  Heroenzeit,  aber  er  entkleidete  die  Heroen  ihrer  erhabenen  Grösse 
und  legte  ihnen  Gedanken  und  Handlungen  der  gemeinen  Gegenwart  unter. '^) 
Die  Vertreter  der  grossen  alten  Zeit,  wie  Aristophanes,  entrüsteten  sich 
über  den  Telephos  in  Lumpen  und  über  den  Dichter  von  Prozessreden, ^) 
und  auch  wir  wenden  uns  mit  Unmut  von  dem  Bauernweib  Elektra  und 
dem  Banditen  Orestes  ab.  Der  ganze  Versuch,  die  Politik  in  die  Tragödie 
zu  ziehen,  war  eine  Geschmacksverirrung,  und  auch  die  philosophischen 
Sprüche  und  rhetorischen  Deklamationen  passen  nicht  in  den  Mund  der 
Heroen  oder  gar  Heroinnen,  am  wenigsten  die  Sophismen  nach  Art  von 
Tj  ylwaa'  oiiw^iox\  i]  6h  (fqriv  dvwfjioiog  (Hipp.  612),  oder  ti  S'  alaxQov,  rjv 
Hl]  loiai  %Qw}X6voig  doxfj  (fr.  19).  Es  hing  aber  diese  Degradation  der 
Tragödie  mit  dem  Streben  des  Euripides  zusammen,  sich  nicht  einzig  dem 
Dienste  der  Musen  zu  weihen,  sondern  durch  die  Muse  auch  für  seine 
politischen  und  philosophischen  Ideen  Propaganda  zu  machen.  Vergessen 
aber  wollen  wir  über  dem  Tadel  nicht,  dass  wir  dieser  spekulativen  Rich- 
tung des  Dichters  auch  die  vielen  herrlichen  Sentenzen  [yvw^im)  verdanken, 
die  wir  noch  heutzutag  so  gern  in  den  Mund  nehmen. 

173.  Die  sprachliche  Kunst  des  Euripides  zwang  selbst  seinem 
bitteren  Feinde  Aristophanes  unumwundene  Anerkennung  ab.  ^)  Indem 
Euripides  den  Schwulst  des  Aischylos  wegwarf  und  die  Sprache  des  Lebens 
durch  hübsche  Verbindungen  veredelte,-^)  schuf  er  eine  gemischte  Diktion, 
die  allen  leicht  verständlich  war  und  sich  doch  über  die  Plattheiten  des 
Marktes  erhob.  ^')  Zur  Geltung  kam  selbstverständlich  dieser  Charakter 
der  euripideischen  Sprache  zumeist  in  den  Dialogpartien,  in  den  pointierten 
Stichomythien  und  in  den  sorgfältig  nach  den  Regeln  der  Symmetrie  aus- 
gearbeiteten Monologen  und  Botenreden  {Qr^asig)J)   In  ihnen  zeigte  sich  zu- 


^)  Diesen  Ehrennamen  gibt  ihm  Arist. 
Poet.  13;  vgl.  Quintilian  X,  1.  67:  Euripides 
in  iis  quae  in  miseratione  constant  facile 
2)raecipuus.  Ähnlich  urteilt  Freytag,  Technik 
des  Dramas  239:  Keiner  seiner  grossen  Vor- 
gänger versteht  wie  er  die  epischen  Bilder 
mit  flammender,  markzerfressender  Leiden- 
schaft zu  füllen ;  keiner  hat  so  viele  wahre, 
schön  empfundene,  individuelle  Züge  in  sie 
hineingetragen,  keiner  so  reiches  Detail,  in 
welchem  die  Zuschauer  das  gebildete  Em- 
pfinden ihrer  Tage  wiederfanden. 

^)  Arist.  Poet.  25:  ^orpoxXijg  ecprj  ccvTog 
neu  oXovg  &si  noisTp,  EvQiTiiö'?]^  di  olol  staiv. 

^)  Arist.  Ach.  432:  Tt]Xs(fov  (5«xw^«t«, 
Ran.  850  w  nzM^onoLe  xal  QaxtoavQQKnrddi], 
Pac.  534  noir]Tiqv  QijficiTLOir  dixccptxiou,  Ran. 
943  ^vXdi^  diifotg  aTvo^v^fuhcov  and  ßtßkUoy 
unrjd^ay.     Vgl.  WoLD.  Rtbbeck,  Die  dramati- 


schen Parodien  bei  den  attischen  Komikern, 
im  Anhang  seiner  Ausgabe  der  Acharn  er 
S.  277—316. 

^)  Arist.  fr.  397  D. :  /Qüifxcii  ydq  avxov 
xov  aro^arog  xo)  axQoyyvlM,  xovg  vovg  &^ 
ayoQcdovg  r]xxov  ij  xsTpog  noiw.  Vgl.  Schol. 
Plat.  VI,  p.  227  Herrn.:  'JQiaxocpdyrjg  ixto- 
jUM^sixo  STIL  xcp  axojnxsip  fxev  EvQ07il&t]i^, 
fii/neiffS^ca    tf'    avxoi^. 

^)  Arist.  Rhet.  III,  2:  xXenxsxai  J"  €tK 
euu  xig  ex  xrjg  elm&viag  diaXexxov  ixXeycoy 
Gvvxi&fi,  OTTSQ  EvQiTTiörjg  noiei  xal  vnedsi^e 
TiQiuxog. 

^')  Dion.  Hai.,  Vet.  Script,  cens.  II,  11; 
Diog.  IV,  26 ;  Alexander  Aetolus  bei  Gellius 
XV,  20. 

')  HiRZEL,  De  Fjuripiclis  in  componen- 
(Iis  diverhiis  arte,  Lips.  1862.  Zu  weit  geht 
in  der  Annahme    des   symmetrischen   Baues 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     d.  Euripides.  (§  173.) 


233 


meist  die  rhetorische  Stärke  des  Dichters,  welche  seine  Dramen  auch  haupt- 
sächlich zum  Studium  für  angehende  Redner  empfahl.^)  Weit  stehen  den 
Dialogpartien  die  Mele,  namentlich  die  Chorlieder  nach,  die  fast  wie  ein 
unbequemes  Vermächtnis  aus  älterer  Zeit  erscheinen.  In  den  Vordergrund 
treten  die  Monodien  und  Wechselgesänge,  was  in  der  ganzen  Richtung  der 
Musik,  welche  sich  von  der  Pflege  des  Chorgesangs  den  Kraftproben  der 
Solosänger  in  den  Arien  und  Monodien  zuwandte,  seinen  Grund  hatte. 
Das  Band  zwischen  den  Chorliedern  und  der  Handlung  wird  zunehmend 
lockerer;  selbst  in  einer  so  vorzüglichen  Tragödie,  wie  die  Phönissen, 
gleichen  die  meisten  Chorgesänge  eingelegten  Musikstücken  {sfjbßohima),^) 
welche  das  Umkleiden  der  Schauspieler  erleichterten,  im  übrigen  aber, 
unbeschadet  des  Fortgangs  der  Handlung,  ebensogut  wegbleiben  konnten. 
Ausserdem  löst  sich  bei  Euripides  die  Strenge  der  metrischen  Form  und 
die  Gesetzmässigkeit  des  Rhythmus.  Im  Trimeter  häufen  sich  namentlich 
seit  Ol.  91  die  Auflösungen  der  Längen  und  die  Verteilung  eines  Verses 
unter  mehrere  Personen.  In  den  lyrischen  Partien  überwiegen  in  den  Tra- 
gödien der  letzten  Periode  bis  zum  Überdruss  die  frei  gebauten  Glykoneen.^) 
In  den  Melodien  glaubten  die  Theaterbesucher  die  Weisen  gemeiner  Kneip- 
und  Hurenlieder  wiederzuhören.*)  Ein  guter  Teil  der  gerügten  Fehler 
scheint  indes  nicht  dem  Euripides  zur  Last  zu  fallen,  sondern  dem  Kephi- 
sophon  und  Timokrates,  deren  Beihilfe  er  sich  in  den  lyrischen  Partien 
bediente.^)  Auch  in  der  obersten  Anforderung  des  Stils,  in  der  Gruppie- 
rung zu  einem  Ganzen,  lässt  es  Euripides  in  den  geringeren  Stücken  viel- 
fach fehlen.  Das  Streben  nach  Reichtum  und  Mannigfaltigkeit  des  Inhaltes, 
das  dem  Dichter  wohl  halb  durch  das  Publikum  aufgenötigt  war,  that  der 
strengen  Durchführung  einer  Idee  und  einer  Handlung  Eintrag;  wollte 
eine  Handlung  nicht  ausreichen,  dann  thaten  es  zwei,  wie  in  Hekabe  und 
Herakles,  oder  löste  sich  das  Drama  in  eine  Reihe  von  Bildern,  wie  in 
den  Troades,  auf.  Schliesslich  dürfen  wir  bei  der  Beurteilung  des  Euripides 
nicht  vergessen,  dass  wir  durch  das  blosse  Lesen  seiner  Tragödien  nur 
eine  mangelhafte  Vorstellung  von  ihrer  Wirkung  im  Dionysostheater  be- 
kommen. Denn  Euripides  lebte  und  schrieb  für  die  Bühne :  im  axrjvrjg 
8vSoxiiiiH,  oXog  Tov  d^eäxQov  sariv  urteilten  die  Alten  von  ihm,  halb  lobend 
und  halb  tadelnd.  Für  den  Effekt  auf  der  Bühne  waren  die  Botenreden 
mit  ihrer  unübertroffenen  Anschaulichkeit,  die  Abschieds-  und  Erkennungs- 
scenen  mit  ihrem  ergreifenden  Ethos,  das  erschütternde  Pathos  des  rasenden 


Oeri,  mit  dem  ich  über  diesen  Punkt  dis- 
putierte in  Verhdl.  d.  Phil.  Vers,  in  Wies- 
baden 1877,  S.  142—161. 

^)  Quint.  X,  1.  68:  illud  quidem  nemo 
non  fateatur  necesse  est  iis,  qui  se  ad  agen- 
dum  comparcmt,  utiUorem  longe  fore  Euri- 
pidem.  nmnque  is  et  sermone  .  .  .  magis 
accedit  oraforio  generi  et  sententiis  densus 
etc.  Vergl.  Die  Chrys.  or.  XVIII,  p.  47: 
noXiTiXM  ccy^QL  Tidvv  lorpehfxog  '  exi  de  rjf^t] 
xcct  ndS^f]  deiyog  7ih]Q(xiocii  xcd  ypwfxag  TfQog 
(cncivTci    i6(peXi^ovg    y.ciTK^iyvvai    roTg   Tjoirj- 

'')  Tadel  bei  Aiist.  Poet.   18   und  Schol. 


Eur.  Phoen.  1018.  Besonders  anstössig  ist 
Hei.  1301  ff.  ^ 

•^)  Das  ist  das  ^M^exafirixcivop  bei  Ari- 
stoph.  Ran.  1327,  wozu  noch  das  Anhalten 
einer  Silbe  durch  mehrere  Zeiten,  das  famose 
sleieieiXiaaere  (Aristoph.  Ran.  1314)  kommt. 

^)  Aristoph.  Ran.  1301:  otroc  cf'  änc 
ndvriop  fisv  (peget  tioqviMioi',  (TxoXiMy  Mehjtov. 

•'')  Vit.  Eur.:  xd  (xilr]  ai'X(o  cpaat  Ktjcpi- 
Gocpiovxa  TTOieip  rj  TifioxQdxT]v  \4QysiOP.  Dun- 
kel bleibt  die  Entlehnung  der  didOeaig  fxeXujt' 
der  Medea  aus  der  grammatischen  Tragödie 
des  Kallias,  die  Ath.  p.  4530  bezeugt. 


234  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Herakles  und  des  geblendeten  Polymestor,  die  Schlagwörter  und  geistreichen 
Sentenzen,  kurz  das  Schönste  und  Beste  in  der  Kunst  des  Euripides  berechnet. ') 

Codices:  Die  Dramen  des  Eur.  sind  in  2  Abteilungen  auf  uns  gekommen;  die  erste, 
9  Stücke  (Ale.  Androni.  Hec.  Hipp.  Med.  Orest.  Rhes.  Troad.  Phoen.)  umfassende  liegt 
uns  in  Handsclir.  des  12.  Jahrh.  vor,  Vatic.  909,  Marc.  471,  Paris.  2712,  ferner  in  Marc. 
468,  Paris.  2713,  Havn.  417;  die  zweite,  sämtliche  19  Stücke  umfassende  Sammlung  findet 
sich  nur  in  jungen  Handschriften,  nämlich  in  Laur.  32,  2,  ferner  in  Palat.  287  u.  Laurent, 
abb.  Flor.  172,  welche  beide  zusammengehören  und  ursprünglich  1  Handschrift  bildeten. 
Ein  jetzt  in  Berlin  befindlicher  Papyrus  aus  Fajjum,  der  Hippol.  242—515  enthält,  ist 
bekannt  gemacht  von  Kirchhoff,  Monatsber.  d.  Berl.  Ak.  1881  S.  982  ff.,  ein  anderer  der 
Rhes.  48  —  96  enthält,  von  Wilcken,  ebenda  1887,  814  und  Wilamowitz,  Eur.  Herakl.  I, 
214.  —  Ausgaben  mit  kritischem  Apparat,  in  denen  das  bezeichnete  Verhältnis  festgestellt 
ist,  von  KiECHHOFF,  (grössere  Ausg.  v.  1855),  Prinz,  (bis  jetzt.  Med.  Ale.  Hec),  Barthold 
(bis  jetzt  Hipp.  Med.). 

Scholien  haben  wir  nur  zu  den  9  Tragödien  der  1.  Samml.,  die  reichhaltigsten  zu 
Hec.  Phoen.  Orest.  Die  imoO^saEig  gehen  auf  Aristophanes  und  Dikäarch  zurück.  In  den 
Scholien  sind  uns  Reste  der  kritischen  Studien  des  Aristarch,  Kallistratos,  Krates,  Didymos 
erhalten.  Über  die  letzte  Quelle  der  Scholien  unterrichtet  die  Subscriptio  zu  Orest:  naQa- 
yiyQanTcii  ix  rov  Jiovvolov  vno^vijfiarog  oXoa/SQwg  xal  xiop  ^vxxmv,  und  zu  Med.:  n^og 
(fidcpoQCi  civiiyQaq)a  Jiouvalov  oXoa/SQeg  xal  ziva  xiüv  JLdi'juov;  s.  Barthold,  De  scholioruvi 
in  Eur.  veterum  fontibus,  Bonn  1864.  Im  Mittelalter  kamen  zu  den  3  gelesensten  Stücken 
die  breitgetretenen  Scholien  des  Thomas  Magister,  Moschopulos  und  Triklinios  hinzu.  Die 
alten  Scholien  des  Vat.  B  sind  herausgegeben  von  Cobet  hinter  den  Phoenissen  von  Geei 
LB.  1846.  Gesamtausg.  der  Scholien  von  Gu.  Dindorf,  Ox.  1863,  4  Bde.,  neue  sorgfäl- 
tigere Ausg.  von  Ed.  Schwartz,  Berol.,  im  Erscheinen. 

Ausgaben:  dieselben  wurden  erst  nach  und  nach  vervollständigt;  zuerst  bloss  4  Stücke 
in  ed.  princ.  Flor.  1496,  weitere  in  der  Aldina  1503,  besorgt  von  dem  Kreter  Musuros; 
die  Elektra  kam  zuletzt  hinzu  durch  Victorius  1545.  -  Gesamtausg.  mit  Scholien  und 
Kommentar  von  Barnes,  Cant.  1694;  von  Musgrave,  Ox.  1778.  —  Epochemachend  Valcke- 
naer's  Ausg.  der  Phoenissae  1755  und  Diatribe  in  Em.  perd.  dram.  rell.  1767.  —  Ein- 
schneidende Kritik  geübt  von  den  Engländern  Markland  (Suppl.  Iph.  Aul.  et  Taur.  1771), 
Porson  (Hec.  Orest.  Phoen.  Med.  1797),  Elmsley  (Med.  1818,  ed.  II  Lips.  1822),  Monk 
(Hipp.  Ale.  mit  guten  Noten),  neuerdings  Badham  (Iph.  Taur.  Hei.  1851).  —  Gesamtausg. 
von  Matthiae,  Lips.  1813-  1836,  10  vol.;  fruchtbarer  die  Separatausgaben  der  meisten 
Stücke  von  G.  Hermann;  für  Kritik  bahnbrechend  durch  den  ersten  kritischen  Gesamt- 
apparat die  grosse  Ausgabe  von  Kirchhoff,  Berol.  1855,  2  Bände.  —  Textausgabe  von 
Nauck  in  Bibl.  Teubn.;  Ausgabe  mit  lateinischen  Noten  in  Bibl.  Goth.  (11  Stücke)  von 
Pflugk  und  Klotz,  neubesorgt  von  Wecklein.  —  Spezialausg.  mit  erklärenden  Anm.  von 
Wecklein  (Bacch.  Hipp.  Iph.  Taur.  Med),  von  Weil  (Hipp.  Hec.  Iph.  Taur.  et  Aul.); 
Phoen.  von  Geel  LB.  1846,  von  Kinkel,  Leipz.  1871;  Iph.  Taur.  von  Schöne-Köchly  3.  Aufl. 
Berl.  1872;  Hippol.  von  Barthold,  Berl,  1880,  von  Badham  2.  Aufl.  London  1867,  von 
Herwerden,  Utr.  1875;  Iphig.  Aul.  von  Vitelli,  Flor.  1878;  Eur.  Herakles  von  Wilamo- 
witz, 2  Bde.  Berl.  1889,  Hauptwerk  mit  umfassender,  die  ganze  Litteraturgeschichte  be- 
rührender Einleitung. 

Erläuterungsschriften:  R.  Arnoldt,  Die  chorische  Technik  des  Eur.,  Halle  1878.  — 
H.  BucHHOLTZ,  Die  Tanzkunst  des  Eur.,  Leipz.  1871.  —  Ein  Glossar  im  9.  Bde.  der  Glas- 
gower  Ausg.  1821. 

e.  Die  übrigen  Tragiker. 

174.  Aischylos,  Sophokles,  Euripides  waren  die  Meister  der  griechi- 
schen Tragödie,  aber  nicht  die  einzigen  Tragiker  ihrer  Zeit:  um  sie  grup- 
pierte sich  eine  ganze  Schar  verwandter  Dichter,  und  ihre  Kunst  dauerte  J 
über  ihren  Tod  hinaus  im  4.  Jahrhundert  fort.  Neben  ihnen  haben  zunächst 
Achaios  und  Ion  im  Kanon  der  alexandrinischen  Kunstrichter  Platz  ge- 
funden ;  aber  enger  schliessen  sich  an  sie  ihre  Verwandten  und  Anhänger  an, 
die  gleichsam  eigene  Schulen  bildeten. 

')  Unter  den  Schauspielern  des  Euripides    l    ix    xvfxäxwv    yaq    avx^ig    av    yaXrjv'    oqm  so 
ist  durch  die  "Witze  der  Komiker  (Arist.  Ran.    \    aussprach,    dass   man   yuXrjv   (Wiesel)    statt 


303,  Strattis  fr.  1)  Hegel ochos  berüchtigt 
geworden,    der    den    Vers    des   Orestes  279 


yaXrjvä  (Windesstille)  verstand. 


C.  Drama.     2.  Die  Tragödie,     o.  Die  übrigen  Tragiker.  (§  174.) 


235 


Zu  der  Schule  des  Aischylos  gehörte  vor  allem  sein  Sohn  Euphorion. 
Derselbe  hat  4 mal  mit  Stücken  seines  Vaters  gesiegt,  aber  auch  eigenes 
gedichtet.  Der  Schwestersohn  des  Aischylos,  Philokles,  erscheint  in 
Aristoph.  Thesm.  noch  als  lebend;  nach  Suidas  hat  er  100  Tragödien  ge- 
dichtet, darunter  eine  Tetralogie  Pandionis.  Dass  er  nicht  ohne  Talent  war, 
zeigt  sein  Sieg  über  den  König  Oedipus  des  Sophokles.  Söhne  des  Philokles 
waren  Mors  im  OS,  Tragödiendichter  und  Augenarzt,  und  M  el  an  thios,  welche 
beide   den  bitteren  Spott  des  Aristophanes  in  den  Vögeln  V.  801  erfuhren. 

Sohn  des  Sophokles  war  der  Tragiker  lophon,^)  dem  Suidas  50  Dramen 
beilegt.  Schon  428  erlangte  er  neben  dem  Hippolytos  des  Euripides  den 
2.  Preis,  aber  man  kannte  sich,  wie  Aristophanes  in  den  Fröschen  V.  79 
boshaft  bemerkt,  nicht  recht  aus,  inwieweit  derselbe  auf  eigenen  Füssen 
stund  oder  durch  die  Beihilfe  seines  Vaters  in  die  Höhe  kam.  Ob  auch 
der  uneheliche  Sohn  des  Sophokles,  Ariston,  Tragödien  gedichtet  hat,  steht 
nicht  fest,  da  Diogenes  7,  164  nur  einen  ^Agicfrcov  Tioirjtrjg  TgaymSiag  ohne 
Angabe  des  Vaters  erwähnt.  Der  Enkel  des  grossen  Tragikers,  Sophokles 
der  Jüngere,  trat  wieder  als  Tragödiendichter  auf.  Wir  sahen  bereits 
oben,  dass  er  den  Oedipus  auf  Kolonos  nach  dem  Tode  des  Grossvaters 
auf  die  Bühne  brachte:  einen  Sieg  desselben  im  Jahre  396  erwähnt  Diodor 
XIV,  53.  Im  ganzen  soll  er  nach  dem  letzteren  12,  nach  Suidas  aber  nur 
7mal  gesiegt  haben. 

Euripides  der  Jüngere,  Neffe  des  berühmten  Tragikers, 2)  brachte 
dessen  Iphigenia  in  Aulis  auf  die  Bühne  und  dichtete  auch  drei  eigene 
Stücke,  Orestes,  Medea,  Polyxene.  Von  einem  Sieg  desselben  hören  wir 
nichts.  Alterer  Zeitgenosse  des  Euripides  war  Aristarchos  aus  Tegea,'^) 
der  unter  andern  zum  Dank  für  seine  Genesung  einen  Asklepios  schrieb 
(Aelian  fr.  101)  und  nach  Suidas  die  Tragödie  auf  ihren  jetzigen  Umfang  [dg 
%o  vvv  civTMv  ßrjxog)  brachte,  das  ist  von  beiläufig  1000  Versen,  wie  viel  des 
Aischylos  Perser  und  des  Euripides  Alkestis  hatten,  auf  1300  und  darüber. 

Ion  aus  Chios,^)  Zeitgenosse  der  grossen  Tragiker,  kam  in  frühen 
Jahren  nach  Athen,  wo  er  in  den  Kreisen  des  Kimon  verkehrte  und  den 
Aischylos  kennen  lernte."')  Später,  während  des  samischen  Krieges,  traf 
er  in  seiner  Heimat  mit  Sophokles  zusammen.  Der  Tod  traf  ihn  vor  dem 
Frieden  des  Aristophanes  (421).  Mit  einer  für  jene  Zeit  merkwürdigen 
Vielseitigkeit  dichtete  er  ausser  Tragödien  noch  Elegien,  Hymnen,  Dithy- 
ramben und  schrieb  in  Prosa  Reisememoiren  (ETridrj/xim)  und  ein  Geschichts- 
werk über  die   Gründung   von  Chios.*^)     Den  Athenern  machte  er   sich   in 


^)  Osw.  Wolf,  De  lophonte  poeta  tra- 
gico,^  Lips.  Diss.  1884.  Die  6  Titel  bei  Sui- 
Aas/^/tXXevg,  Trj'kB(poq/A7tTc(i(ov,'I'kiov  neqaiq, 
Je^afxEvög,  Büx/at,  kommen  bei  demselben 
Suidas  alle  auch  unter  Klsocpiov  ^A&7]vmog 
rqayixog  vor,  woran  Susemihl,  Jahrber.  d. 
Alt.  XI,  1.  18  die  Vermutung  knüpft,  dass 
jener  Tragiker  Kleophon  auf  eine  Verschrei- 
bung  von  lophon  hinauslaufe. 

^)  Nach  Schol.  ad  Aristoph.  Ran.  67  u. 
Vita  Eurip.  war  er  ein  Sohn  des  grossen 
Tragikers,  nach  Suidas  ein  Neffe. 


3)  Eusebius  zu  Ol.  81,  2  --  454:  Ari- 
starchus  tragoediographus  agnoscitur:  vgl. 
Welckek,  Gr.  Tr.  931  f. 

'^)  Eine  alte  Monographie  von  Baton, 
angeführt  von  Ath.  436  b;  aus  neuerer  Zeit 
Bentley,  Op.  494 — 510;  Köpke,  De  lonis 
Chii  vita  et  fraqtnentis  1836.  Fr.  Scholl, 
Rh.  M.  32,  1 45  ff. 

5)  Plut.  Cim.  9  u.  16;  de  prof.  in  virt.  8. 

^)  Schol.  Arist.  Pac.  835;  die  Fragmente 
gesammelt    von   Müller    FHG.   11,   44—51. 


236  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

artiger  Freigebigkeit  dadurch  verbindlich,  dass  er  nach  einem  Siege  jedem 
Bürger  einen  Krug  Chierwein  schickte.^) 

Achaios^)  aus  Eretria,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Sophokles,  den  er 
aber,  wie  man  aus  den  Fröschen  des  Aristophanes  schliessen  muss,  nicht 
überlebte,  brachte  44  Stücke  zur  Aufführung,  erlangte  aber  nur  1  Sieg; 
einen  Namen  hatte  er  im  Satyrdrama.  ^) 

Neophron  aus  Sikyon  gehört  der  gleichen  Periode  an,  wenn  wirk- 
lich seine  Medea  Vorbild  für  Euripides  war  oder  Euripides  seine  Medea 
unter  Neophrons  Namen  aufführen  Hess.  Suidas,  der  im  übrigen  ihn  mit 
Nearchos,  einem  Tragiker  aus  der  Zeit  Alexanders,  verwechselt,  legt  ihm 
120  Tragödien  bei  und  schreibt  ihm  die  Neuerung  zu,  Pädagogen*)  und  die 
Folterung  von  Sklaven  in  die  Tragödie  eingeführt  zu  haben. 

Xenokles  trug  im  Jahre  415  mit  der  Tetralogie  Oldmovg,  Avxdon\ 
Bäxxccf,  'A^dfüiag  den  Sieg  über  Euripides  davon,  worüber  sich  die  Freunde 
des  Euripides  skandalisierten,  wohl  mit  Recht,  da  ihn  und  seine  Sippe 
Aristophanes,  gewiss  kein  Freund  des  Euripides,  als  erbärmliche  Dichter 
verspottet.-^)  Sein  Vater,  Karkinos,  war  von  Akragas  nach  Athen  über- 
gesiedelt und  trat  in  Athen  als  Tragödiendichter  und  Tänzer  auf;  sein 
Sohn,  Karkinos,  gleichfalls  Tragödiendichter, ^)  stand  am  Hofe  des  jüngeren 
Dionysios  in  Ehren. 

175.  Agathon,^)  Sohn  des  Tisamenos^)  aus  Athen,  mehr  bekannt 
durch  die  witzige  Charakteristik,  welche  Aristophanes  in  den  Thesmophoria- 
zusen  von  ihm  entwirft,  und  die  Rolle,  welche  er  in  Piatons  Gastmahl 
spielt,  als  durch  seine  eigenen  Werke.  Er  blühte  in  den  letzten  Dezennien 
des  5.  Jahrhunderts;  416  gewann  er  den  Sieg  an  den  Lenäen,^)  dessen 
Feier  Piaton  Anlass  zu  dem  erhaltenen  Symposion  bot.  Durch  seine  feinen 
und  eleganten  Manieren  mehr  wie  jeder  andere  zum  Hofmann  geeignet, 
folgte  er  bald  nachher  mit  seinem  Liebling  Pausanias  einer  Einladung  des 
Königs  Archelaos  nach  Makedonien,  wo  er  wieder  mit  seinem  älteren 
Genossen  Euripides  zusammentraf.^^)  Zur  Zeit  als  dieser  starb,  weilte  er 
noch  in  Pella,  was  Aristoph.  Ran.  82  mit  den  Worten  oi'x^Tai  eg  fxaxccQayv 
€i>(i)Xiai>  andeutet.  Aber  nach  Athen  scheint  er  nicht  mehr  zurückgekehrt 
zu  sein,  wie  man  aus  den  Worten  des  Scholiasten  zu  jener  Stelle  ent- 
nehmen muss.  Die  Kunstrichtung  des  Agathen  entsprach  ganz  seinem  I 
geschniegelten  und  gebügelten  Äussern;  in  der  Sprache  ahmte  er  die  ge- 
suchten Antithesen  des  Gorgias  nach;i>)   in  der  Musik  liebte    er  die   süss- 


^)  Ath.  3  f.  als  Vater  des  Tragikers  Akestor  genannt;  das 

^)  Uelichs,     Achaei    Eretriensis    quae       veranlasste  Müllee-Stkübing,  Aristoph.  und 

die  bist.  Kritik  562  f.  zu  kühnen  Hypothesen. 
^)  Ath.  172a;  dazu  stimmen  die  langen 
Nächte  in  Plat.  Symp.  223  c. 

^^)  Nette  Anekdote  von  Euripides,  der  den 
schönen,  aber  schon  40jährigen  Agathon  beim 
Gelage  küssen  will,  bei  Aelian  V.  H.  XIII,  4. 
^')  Schol.  ad  Luc.  rhet.  praec.  11.  Bei 
Aelian  V.  H.  XIV,  13  sagte  er  witzig  zu 
einem,  der  die  Antithesen   aus    seiner  Rede 


super  sunt  collect  n  et  ülustrata,   Bonn  1834 

3)  Diog.  II,  133. 

^)  Ein  Pädagoge  tritt  in  der  Medea  auf. 

■^)  Arist.  Thesm.  169  u.  441,  Ran.  86; 
vgl.  Vesp.  1501,  Nub.  1261. 

'^)  Suidas  erwähnt  von  ihm  160  Dramen, 
aber  nur  1  Sieg. 

')  RiTSCHL,  De  Aqathonis  tragici  aetate, 
1829,' jetzt   in   Opusc.  I,   411  ff.;    Welckeb, 


Gr.  Trag.  981  ff.  !    entfernen  wollte:    'AsX7]i)^cig  aavrdv  rov  'Jyd- 

^)  Suid.;  Schol.  Arist.  Ran,  83;  Ceamee,    j    &Mva  ix  tov  l^ydffojrog  K(pc<riC(oy. 
Anecd.  Oxon.  IV,  269.    Tisamenos  wird  auch    | 


C.  Drama.    2.  Die  Tragödie,    e.  Die  übrigen  Tragiker.  (§  175—176.)        237 


liehen  Triller,  so  dass  die  'AyäO^on'oq  avXtjaig  sprichwörtlich  wurde;  ^)  seine 
Chorgesänge  sanken  zu  einem  blossen  Ohrenschmaus  herab  und  hatten 
nur  noch  die  Bedeutung  von  musikalischen  Zwischenspielen  {si^ißoXiiaajJ) 
Im  Inhalt  wagte  er  die  grosse  Neuerung,  zu  seiner  Tragödie  'JvOog  die 
Fabel  ganz  frei  zu  erfinden."^)  Übrigens  fand  er  mit  seiner  feinen,  geist- 
reichen Art  vielen  Anklang;  insbesondere  hat  Aristoteles  für  ihn  fast  nur 
Worte  der  Anerkennung. 

176.  Mit  dem  Tode  des  Euripides  und  Sophokles  verödete  die  tra- 
gische Bühne.  Es  lebten  zwar  noch  im  4.  Jahrhundert  Dichter  genug, 
welche  für  die  Bühne  schrieben  und  die  Aristoteles  der  Beachtung  wert 
hielt;  aber  die  Trift  der  tragischen  Muse  war  abgepflückt,  und  da  das 
Hinübergreifen  auf  historische  und  rein  fingierte  Stoffe  keinen  Anklang  fand, 
so  bewegten  sich  die  Tragödiendichter  wesentlich  in  dem  Geleise  der  alten 
Fabeln  und  hatten  ihre  liebe  Not,  den  vergriffenen  Stoffen  durch  Änderung 
in  Kleinigkeiten,  wie  des  Ortes  oder  der  Erkennungsweise,  irgend  eine 
neue  Seite  abzugewinnen;'^)  nur  selten  glückte  es  einem  Dichter  mit  einer 
ganz  neuen  Tragödie  zu  debütieren,  fand  dann  aber  auch  aussergewöhn- 
lichen  Beifall,  wie  Astydamas  mit  seinem  Parthenopaios.  Leichte  und 
elegante  Handhabung  der  Sprache  war  damals  eine  sehr  verbreitete  Kunst 
und  die  Tragiker  verstanden  sich  auf  dieselbe  um  so  mehr,  als  sie  meist 
aus  der  Schule  von  Rhetoren  hervorgegangen  waren;  aber  die  geschickte 
Mache  und  die  geistreichen  Metaphern  vermochten  nicht  den  Mangel  an 
Naturwahrheit  und  warmer  Empfindung  zu  ersetzen.  Drei  Dinge  waren 
es  insbesondere,  welche  diese  Periode  der  Nachblüte  der  tragischen  Kunst 
charakterisierten.  Erstens  wurde  es  üblich,  auch  an  den  grossen  Dionysien 
neben  neuen  Tragödien  auch  alte  zuzulassen;  die  neuaufgefundenen  Didas- 
kalien  CIA.  II,  973  zeigen  uns,  dass  in  den  Jahren  341 — 339  regelmässig  eine 
alte  Tragödie  den  neuen  Tragödien  vorausging.  Zweitens  begann  das 
Publikum  Aufmerksamkeit  und  Beifall  fast  in  höherem  Grade  der  Schau- 
spielerkunst als  den  Dichtern  und  den  Texten  zuzuwenden,'')  so  dass  der 
Schauspieler  in  den  Didaskalien  genannt  und  für  die  Schauspieler  ein  be- 
sonderer Wettkampf  eingerichtet  wurde.  ^)  Drittens  kam  die  Unnatur  von 
Dramen,  die  zum  Lesen  {ccrayvcoaTixä),  nicht  zum  Spiel  auf  den  Brettern 
[ayu)via%i7ca)  bestimmt  waren,  auf; ')  speziell  hat,  wie  wir  aus  Aristoteles 
Rhet.  III,  12  erfahren,  Chairemon  solche  Lesetragödien,  wie  Likymnios 
derartige  Dithyramben  gedichtet.  Weniger  berührte  die  Kunst  und  das 
Wesen  des  Dramas  der  äusserliche  Umstand,  dass  seit  dem  4.  Jahrhundert 
Athen   aufhörte,   einzige  Pflegestätte  der  dramatischen  Kunst  zu  sein,  und 


')  Suidas  und  Hesychius  unter  ^Jydl^M- 
vog  avX.;  Plut.  Symp.  III,   1. 

2)  Arist.  Poet.  18. 

'•")  Arist.  Poet.  9. 

"*)  Arist.  Poet.  13:  tjqiotov  ol  TioirjTcu 
Tovq  Tv^oi^Tag  uvx^ovg  ccnriQiS^fxovv,  vvv  tFf 
tjeqI  öllyag  otxiag  cd  TQay(üdica  avvxi&evxca, 
oioy  ntgl  'JXxfjaioji^a  xal  Oid'movv  xccl  Oge- 
ajv.v  xcd  MeXeaygoi'  xcd  Qvioiijy  xal  Tij}.€g)oy. 

^)  Arist.  Rhet,  III,  1 ;    fAeiCoy    dvyayrai 


VW  TODv  noi^]Hi)v  ov  vnoxQiTca, 

®)  Plut.  Vit.  dec.  orat.  841  e,  Alciphron 
ep.  III,  48;  vergl.  Müller,  Gr.  Bühn.  321). 
Berühmte  Schauspieler  waren  damals  Polos, 
Theodoros,  Aristodemos,  Neoptolemos,  Ai- 
schines.     Vgl.  Welckek,  Gr.  Tr.  911  ff. 

')  Schon  in  Aristophanes  Fröschen  V.  T);*. 
liest  Dionysos  während  des  Feldzugs  auf 
dem  Kriegsschiff  für  sich  die  Audromeda 
des  Euripides. 


238 


Crriechische  Litteraturgeschiclite.     I.  Klassische  Periode. 


dass  auch   in   Syrakus,    Korinth,   Argos,   Pherä,   Megalopolis   und   anderen 
Städten  Tragödien  aufgeführt  wurden.^) 

Von  Dichtern  werden  aus  der  Wende  des  5.  Jahrhunderts  genannt 
Kritias  und  Theognis,  die  beide  zu  den  30  Tyrannen  gehört  hatten, 
und  Meletos.  der  als  Ankläger  des  Sokrates  eine  traurige  Berühmtheit 
erlangt  hat.-)  Nur  zum  Gespötte  diente  Dionysios  der  Altere,  Tyrann 
von  Syrakus,  der  auch  als  Dichter  glänzen  wollte^)  und  sogar  in  Athen 
kurz  vor  seinem  Tod  (367)  mit  einer  Tragödie  ''Emogog  Xvtqu  den  ersten 
Preis  gewann.*)  Dem  4.  Jahrhundert  gehörten  ferner  an:  Astydamas,  Sohn 
des  Tragikers  Morsimos,  der  anfangs  den  Rhetor  Isokrates  hörte,  sich  aber 
dann  zur  Tragödie  wandte.  Ein  ausserordentlich  fruchtbarer  Dichter  (Suidas 
legt  ihm  240  Tragödien  bei)  erfreute  er  sich  zugleich  einer  grossen 
Gunst  des  Publikums;  er  trug  15  Siege  davon ''^)  und  erhielt  ob  seines 
Parthenopaios  die  Ehre  einer  Statue.  Die  Kunst  des  Vaters  vererbte  sich 
auf  seinen  Sohn,  den  jüngeren  Astydamas.  Theodektes  aus  Phaseiis  in 
Lykien,  Schüler  des  Piaton  und  Isokrates,  war  gleich  angesehen  als  Redner 
und  Tragiker.  Ein  schöner  und  gewandter  Mann  war  er  in  den  Kreisen 
der  Platoniker,  namentlich  von  Aristoteles,  gern  gesehen;  auch  am  Hofe 
der  Artemisia  stund  er  in  Ehren  und  ward  nach  Halikarnass  berufen,  um 
dem  Mausollos  die  Leichenrede  zu  halten  (352). <^)  Gestorben  ist  er  in 
Athen  im  Alter  von  41  Jahren;  an  der  heiligen  Strasse  nach  Eleusis  stand 
sein  grossartiges  Grabdenkmal,  auf  dem  er  sich  rühmte  bei  13  Wettkämpfen 
8  Siegeskränze  davongetragen  zu  haben. '^)  Ausser  Tragödien  hatte  er  Reden 
und  eine  berühmte  itjvrj  ^rjroQixr'j  geschrieben.^)  Moschion,  ein  oft  auf- 
gezogener Gourmand,  griff  nochmals  zur  politischen  Tragödie  zurück  in 
seinem  Themistokles  und  seinen  Pheräern,^)  von  welchen  Dramen  das  erste 
den  Tod  des  Themistokles  behandelte,  das  zweite  sich  auf  den  Unter- 
gang des  Alexander  von  Pherä  bezogen  zu  haben  scheint.  Sonstige 
Tragiker  unserer  Periode  waren  Chairemon,  Verfasser  von  Lesetragödien 
und  eines  aus  verschiedenen  Versen  zusammengesetzten  Gedichtes  KtvravQog, 
Polyeidos,  der  nach  Arist.  Poet.  17  eine  neue  Lösung  der  Wiedererkennung 
der  Iphigenie  ersann,  Karkinos  der  Jüngere,  Dikaiogenes,  Aphareus, 
Kleainetos,  die  Kyniker  Diogenes  von  Sinope  und  Krates,  Anti- 
phon, Python  u.  a. 


')  Müller,  Gr.  Bülm.  376  ff.  In  Syra- 
kus, wo  Epicharmos  lebte  und  Aischylos 
seine  Perser  aufführen  liess,  gab  es  gewiss 
schon  früher  ein  Theater. 

'^)  Meletos  war  Verfasser  einer  Oidi- 
7i6(^£i((.  Der  Scholiast  zu  Plat.  Apol.  18b 
nennt  ihn  TQayMÖ'iag  cfccvXoq  noiijir/g;  vgl. 
Welcker,  Gr.  Trag.  970  ff. 

^)  Nach  Suidas  hat  er  Tragödien  und 
Komödien  gedichtet  und  demnach  die  For- 
derung des  Sokrates  in  Plat.  Symp.  extr. 
erfüllt;  aber  die  Komödien  werden  bezwei- 
felt, s.  Welcker,  1229. 

4)  Tzetzes,  Chil.  V,  180;  nach  dem- 
selben Chi].  V,  185  spottete  er  in  einem 
Drama    über  Piaton.     Eine   Darstellung   aus 


der  Tragödie  von  Hektors  Lösung  findet  sich 
auf  einem  Wandgemälde  von  Pompeji;  s. 
Baumeister  n.  1949. 

^)  Einen  Sieg,  vielleicht  den  ersten,  er- 
wähnt die  parische  Chronik  zu  373;  vergl. 
Welcher,  1052  ff.;  den  Sieg  mit  dem  Par- 
thenopaios bezeugt  CIA.  II,  973. 

^)  Gellius  X,  18.  7  spricht  von  einer 
Tragödie  Mausolus. 

')  Steph.  Byz.  u.  'f>«ai]kig,  und  Paus. 
I,  37.  3. 

^)  Daher  von  Cicero  Or.  51  artifex  ge- 
nannt; auf  dieses  Handbuch  scheinen  auch 
die  QEo^ixreici  des  Aristoteles  Bezug  zu  haben ; 
vgl.  Spenoel,  Artium  scrii'tiores  p.   108. 

'')  RiBBEOK,  Rh.  Mus.  30,  147  ff. 


C.  Drama.    3.  Die  Komödie,   a.  Die  Anfänge  der  Komödie.  (§  177--178.)     239 


3.  Die  Komödie.^ 

a.  Die  Anfänge  der  Komödie  in  Griechenland  und  Sikilien. 

177.  Die  Komödie  lässt  Aristoteles,  wie  wir  oben  §  127  sahen,  von 
den  Vorsängern  der  Phallosiieder  {dito  tmv  i^aQxovTMV  rd  (faXhxd)  ent- 
standen sein.  Solche  Aufzüge  von  Phallosträgern  {cfaXXocpoQoi),  die  mit 
einem  grossen  Phallos,  dem  Symbol  der  Zeugungskraft  des  Naturgottes, 
umherzogen,  fanden  an  vielen  Orten  statt.  Von  ihrem  Brauch  an  den 
ländlichen  Dionysien  gibt  uns  Aristophanes  in  den  Acharnern  259  ff.  ein 
anschauliches  Bild. 2)  In  Lindos  auf  Rhodos  zog  nach  Athen,  p.  445  schon 
zur  Zeit  der  Sieben  Weisen  Antheas  in  bacchischem  Anzug,  gefolgt  von 
phallostragenden  Genossen  in  dem  Lande  umher,  den  nachfolgenden  Seh  warm- 
gesellen lustige  Verse  vorsingend.  Genauer  beschreibt  uns  Semos  bei 
Athen,  p.  622  aus  späterer  Zeit  solche  Aufzüge  in  Delos:  die  Phallophoren 
ziehen  zuerst  im  raschen,  iambischen  Takt  in  die  Orchestra  ein;  dann  laufen 
sie  auf  die  Einzelnen  zu  und  überschütten  dieselben  mit  Spottversen. 
Ähnlich  war  die  von  Herodot  V,  83  geschilderte,  in  Aegina  heimische 
Feier  der  Fruchtgöttinnen  Damia  und  Auxesia,  von  der  die  Spottverse  in 
Aristophanes  Fröschen  416  ff.  ein  Abbild  geben.  ^)  Verwandter  Natur  waren 
die  Spässe  der  Deikelisten  in  Sparta,  die  mit  Geberden  und  Worten  bald 
einen  fremden  Quacksalber,  bald  einen  Krautdieb  nachahmten,  ^)  die  Scherze 
der  vermummten  Hirten  in  Sparta  und  Sikilien,^)  die  komischen  Gesänge 
der  Hilaröden  und  Magöden  in  Unteritalien. ^) 

178.  Aus  diesen  volkstümlichen  Schwänken  und  Neckereien  sind  die 
verschiedenen  Arten  der  komischen  Muse  hervorgegangen.  Die  Komödie 
knüpfte   zunächst   an  die  Phallika  an;    denn   sie   war   und   blieb   mit   dem 


^)  Von  den  Alten  handelte  Aristoteles 
im  2.  Buch  der  Poetik  von  der  Komödie, 
woraus  verzettelte  Reste  auf  uns  gekommen 
sind,  die  J.  Bernays,  Zwei  Abhandlungen  i 
über  die  arist.  Theorie  des  Dramas  133  ff.  j 
ins  rechte  Licht  gestellt  hat.  Ausserdem  i 
schrieb  der  Peripatetiker  Chamaileon  tisqI  ' 
xojfXMMug  in  mindestens  6  B.,  und  beschäf- 
tigten sich  in  Alexandria  Lykophron,  Era- 
tosthenes,  Eumelos,  Aristophanes  Byz.,  Ari- 
starch  mit  der  Komödie.  Der  Krateteer  Hero- 
dikos  schrieb  Kw^mögv^aev«,  die  den  7'^«- 
yMÖovfisi'K  des  Asklepiades  entsprochen  zu 
haben  scheinen.  Erhalten  sind  uns  aus  rö- 
mischer Zeit  mehrere,  den  Aiistophanes- 
scholien  vorausgeschickte  Traktate,  nämlich 
Platonios  ix  tmp  71€qI  diacpoQccg  xio/xa)diüjp 
(I)  und  7J€Qi  diacpogag  )(aQCiXTr]QO)v  (II),  ferner 
ein  Anonymus  tieqI  xiOfxoiSiag  (III)  mit  wert- 
voller Charakteristik  der  Dichter  (Neudruck 
von  Studemund  in  Philol.  46,  13),  endlich 
Andronikos  neQi  rd^scog  noirjXMv  (X).  —  Aus 
dem  Mittelalter  stammen  die  Verse  desTzETZES, 
TTSQi  xiüf^io&iag  und  dessen  Prolegomena  in 
Äristophnnem  (ed.  Keil  in  Ritschl,  Opusc. 
I,  197  ff.),  womit  das  Scholium  Plautinum, 
neu    bearbeitet    von    Studemund,    Phil.    46, 


1 — 26,  zusammenhängt.  —  Neuere  Bearbei- 
tungen: Bekgk,  Commentationes  de  reliquns 
comoediae  atticae  antiquae,  Lipsiae  1838; 
Aug.  Meineke,  Historia  critica  comicorum 
graec,  Berol.  1839,  5  vol.,  Hauptwerk;  der 
erste  Band  enthält  die  Litteraturgeschichte 
der  Komödie,  die  übrigen  die  Fragmente;  ed. 
minor.,  Berol.  1847,  2  vol.;  Comicorum  atii- 
corum  fragm.  ed.  Kock,  Lips.  1880 — 8,  3  Bde. ; 
KANNEGIESSER,  Die  alte  kom,  Bühne  in  Athen, 
Bresl.  1817,  geistvoll  aber  antiquiert:  Du- 
meril,  histoire  de  la  comedie  ancienne,  Par. 
1869.  - 

^)  Entartet  ist  der  von  Schmeichelei 
überströmende  Phallosgesang  der  Athener  zu 
Ehren  des  vergötterten  Demetrios  bei  Athen, 
p.  253,  doch  so,  dass  man  auch  da  noch  im 
Rhythmus  und  Ton  die  Spuren  der  alten 
dionysischen  Spottverse  erkennt. 

^  Von  Phallophoren  in  Sikyon,  der  alten 
Heimat  des  Bocksgesangs,  spricht  Ath.  621. 

4)  Ath.  621  d. 

^)  Vgl.  den  Traktat  neQL  xrjg  svQeasojg 
Tvüp  ßovxoXixüjy  vor  den  Theokritscholien. 

^)  Ath.  621;  vgl.  Grysar,  De  Dorien- 
sitim  comoedia,  Colon.  1828. 


240  Crriecliische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Kultus  des  Dionysos  und  seinen  Festen  aufs  engste  verknüpft.  Ihre  An- 
fänge sucht  Aristoteles  Poet.  3  bei  den  dorischen  Megarern,  den  nisäischen 
im  griechischen  Festland  und  den  hybläischen  in  Sikilien.O  Im  fest- 
ländischen Megara  gab  die  Ochlokratie  nach  dem  Sturze  des  Tyrannen 
Theagenes  (um  600)  dem  Spott  der  Phallophoren  freien  Lauf;-)  zur  kunst- 
v^ollen  Entwicklung  ist  aber  der  megarische  Scherz  {MsYaQixov  axcofjifia) 
nicht  gekommen;  man  sprach  in  Athen  von  ihm  nur  im  Sinne  von  grober 
Posse  und  plumpem  Einfall.")  Eine  Hauptfigur  desselben  war  der  Maison, 
worunter  man  sich  die  stehende  Maske  eines  drolligen  Koches  zu  denken 
hat.^)  Nach  Attika,  und  zwar  nach  dem  Demos  Ikaria,  wo  wir  auch  die 
Wiege  der  Tragödie  fanden,  verpflanzte  die  Komödie  Susarion.  Es  sind 
uns  von  ihm  noch  5  Verse,  freilich  von  zweifelhafter  Echtheit  erhalten, 
worin  er  sich  als  Sohn  des  Philinos  aus  Megara  einführt  und  die  grosse 
Weisheit  verkündet  xal  yccg  t6  yfjfnat  xal  to  /t/y  yrjfxai  xaxov.  Die  parische 
Chronik  lässt  ihn  zwischen  581  und  562  in  Ikara  auftreten  und  als  Sieger 
einen  Korb  von  Feigen  und  eine  Amphora  Wein  davontragen.  Aber  die 
Stegreifwitze  [amoaxeSiäai-iaTa)  dieses  alten  Lustspiels  zogen  nicht  in  glei- 
chem Grade  wie  die  Anfänge  der  Tragödie  die  Aufmerksamkeit  der  Gebil- 
deten und  der  Stadt  auf  sich.  So  blieb,  wie  Aristoteles  sagt,'^)  die  Komödie 
verborgen,  und  dauerte  es  an  100  Jahre,  bis  in  Athen  von  Staats  wegen 
Wettspiele  für  Komödiendichter  eingerichtet  wurden. 

179.  Inzwischen  waren  schon  in  Sikilien  die  Keime  der  dorischen 
Komödie  aufgegangen  und  hatte  bereits  Syrakus  neben  Phormis  und 
Deinolochos ^)  den  grossen  Dichter  Epicharmos'')  hervorgebracht.  Der- 
selbe stammte  aus  Kos,  war  aber  schon  als  Knabe  nach  Megara  in  Sikilien 
und  später  nach  Syrakus  gekommen,  wo  die  Tyrannen  Gelon  und  Hieron 
den  Glanz  ihrer  Herrschaft  durch  musische  und  theatralische  Festspiele  zu 
erhöhen  suchten.  Seine  philosophische  Bildung  gab  sich  in  vielen  weisen 
Sprüchen  kund,  so  dass  die  Pythagoreer  die  Fabel  aufbrachten,  er  habe 
ehedem  zu  ihrem  Bunde  gehört  und  sei  erst  später  zur  Komödie  über- 
getreten.^)   Suidas  setzt  ihn  6  Jahre  vor  die  Persika,  d.  i.  486,  was  wohl 


^)  Aspasios  zu  Arist.  Eth.  Nie.  IV,  6 
nennt  die  Megarer  Erfinder  der  Komödie; 
vgl.  Anth.  XI,  32.  Wilamowitz,  Die  mega- 
rische Komödie,  Herrn.  9,  319  ff.  will  die 
megarische  Komödie  auf  Witze  attischer 
Komödiendichter  reduzieren. 

2)  Flut.  Quaest.  gr.  p.  295  d;  Anth.  XI, 
440. 

•')  Aristoph.  Vesp.  57 ;  Eupolis  in  den 
Scholien  z.  St.;  Ekphantides  bei  Aspasios  a.  0. 

^j  Aristophanes  Byz.  bei  Ath.  659;  Mei- 
NEKE  I,  55  f. 

■')  Arist.  Poet.  5 :  i)  de  xMfXiodici  dia  ro 
fxr]  anovdd^sa&ca  e^  (<QXV^  e^aS^ey  '  xcd  yuQ 
'/oQw  y.üjjutoÖMP  otps  noT€  6  ccQ/ioy  tdcoxey. 
aXk^  i&eXopTul  TJaay  '  ijdrj  6s  a/TJ/uard  nva 
(cvirjg  iyovatjg  oi  'Asy6fj.svoi  (wr^g  7ioit]rtd 
^vrifxovsvovTca.  Suidas  u.  ^Enl/aQ^og  nennt 
aus  jener  älteren  Zeit  die  Namen  Euetes. 
E  u  X  e n  i  d  e s ,    M  y  1 1  o  s ;  der  letzte  steht  auch 


bei  Diomedes  p.  488,  24  K. 

^)  Der  von  Epicharraos  in  Logos  und 
Logina  erwähnte  Dichter  Aristoxenos  war 
wahrscheinlich  kein  Komiker,  sondern  ein 
lambograph. 

"')  Über  Epicharmos  ein  Artikel  dos 
Suidas  und  Diog.  8,  78.  Lorenz,  Leben  u. 
Schriften  des  Koers  Epicharmos,  Berl.  1864; 
Leop.  Schmidt,  Quaestiones  Epicharmene, 
Bonn.  1846.  Die  Fragmente  gesammelt  von 
Ahrens,  De  gr.  ling.  dial.  t.  II  im  Anhang.  Ein 
neues  Bruckstück  aus  dem  'Odvaaevg  aino- 
IxoXog  gefunden  von  Gomperz,  Mitteil,  aus 
der  Sammlung  der  Papyrus  des  Erzherzogs 
Eainer,  Bd.  V;  wozu  vgl.  Blass,  Jahrb.  f. 
Phil.  139  (1889)  S.  257  ff. 

^)  Gedichte  des  Epicharmos  mit  pytha- 
goreischer Weisheit  hat  Euripides  benützt, 
nachgewiesen  von  Wilamowitz,  Eur.  Herakl. 
I,  29  f. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,   a.  Die  Anfänge  der  Komödie.  (§  179     180).     241 


mit  seiner  Übersiedelung  nach  Syrakus  zusammenhängt.  Bei  unge- 
schwächter Geisteskraft  erreichte  er  das  hohe  Alter  von  90  Jahren,  ^j  Das 
Andenken  des  Dichters  ehrten  die  Syrakusaner  durch  ein  ehernes  Stand- 
bild, wozu  Theokrit  ein  Epigramm  dichtete.  Seine  Komödien,  deren  Zahl 
zwischen  36  und  52  schwankt,  waren  zum  grösseren  Teil  mythologische 
Travestien,  die  sich,  wie  schon  die  Titel  KvxXMifi,  ^'A^xvxog,  Bovaigig,  ITqo- 
fia&svg  zeigen,  am  meisten  dem  attischen  Satyrspiel  näherten.  Da  war 
im  Busiris  eine  Hauptperson  Herakles,  wie  er  sich  in  den  Vorratskammern 
des  erschlagenen  Unholdes  gütlich  that;  da  bildete  in  ''Hßag  ycc/^wg  den 
Mittelpunkt  der  Hochzeitsschmaus  mit  den  leckeren  Speisen  von  Fischen, 
Austern,  Vögeln,  Kuchen;  da  war  in  dem  ''Hifaiaxog  die  Fesselung  der 
Hera  auf  dem  Throne  dargestellt,  weil  sie  aus  Eifersucht  dem  Herakles 
Nachstellungen  bereitet  hatte.  2)  Andere  Stücke  boten  Bilder  aus  dem 
gewöhnlichen  Leben,  wie  der  Bauer  {'ÄyqmaTtvog)  und  die  Festbesucher 
(Osagoi),  oder  witzige  Wettkämpfe  und  philosophischen  Wortstreit,  wie 
Aöyog  xal  Aoyiva  und  Av^avoiievog  löyog.^)  Geschrieben  waren  seine  Lust- 
spiele im  dorischen  Dialekt  der  Syrakusaner;  von  Versen  gebrauchte  er 
ausser  dem  iambischen  Trimeter  insbesondere  den  trochäischen  und  ana- 
pästischen Tetrameter,  den  letzteren  in  zwei  Komödien,  den  XoQsvovxsg 
und  dem  'Enivixiog,  durchweg;^)  seine  trochäischen  Tetrameter  hatten  durch 
die  häufigen  Auflösungen  der  Längen  einen  ungleich  bewegteren  Charakter 
als  die  entsprechenden  Verse  des  attischen  Dramas.  Mit  der  Raschheit  des 
trochäischen  und  anapästischen  Rhythmus  paarte  sich  die  Lebhaftigkeit  der 
Aktion,  so  dass  seine  Komödien  zu  den  fabulae  motoriae  gerechnet  wurden, 
worauf  sich  der  bekannte  Vers  des  Horaz  epist.  H,  L  58  bezieht:  Plautus 
ad  exemplar  Skull  properare  Epidiarmi.  Einen  Hauptanziehungspunkt  aber 
in  den  Gedichten  unseres  Epicharmos  bildete  die  Fülle  treffender  Sentenzen,''^) 
weshalb  Piaton  Theat.  152  e  ihn  auf  eine  Linie  mit  Homer  stellt.  Ennius 
hat  sein  philosophisches  Lehrgedicht,  weil  es  mit  Sentenzen  des  sikilischen 
Komikers  angefüllt  war,  geradezu  Epicharmus  überschrieben.  Das  Stu- 
dium des  Dichters  erhielt  sich  noch  lange  bei  Philosophen  und  Gram- 
matikern, von  denen  Apollodor  aus  Athen  eine  Ausgabe  mit  Kommentar 
in  10  B.  veranstaltete;^)  auf  uns  gekommen  ist  nur  ein  Trümmerhaufen 
von  Fragmenten. 

180.  In  demselben  Syrakus  bildete  sich  im  Anschluss  an  das  volks- 
tümliche Possenspiel  der  Mimus  aus.'^)  Die  ganze  dramatische  Dichtkunst 
beruht  auf  Nachahmung;  Mimus  aber  hiess  speziell  die  Nachahmung  einer 
bestimmten  Situation  oder  Person.  Er  unterschied  sich  also  von  der  Ko- 
mödie   dadurch,    dass   er   des   Chors   entbehrte    und    keine    Handlung    zur 


')  Von  90  Jahren  nach  üiog.  8,  78; 
von  97  nach  Luc.  Macr.  25. 

'-)  Darauf  ward  ehedem  das  Vasenbild 
bei  Wieseler,  Theatergebäude  Taf.  9,  14 
bezogen,  während  Wieseler  selbst  die  Dar- 
stellung auf  ein  anderes  Stück  bezieht. 

^)  J.  Bernays,  Epicharmos  und  der 
Av^avofxevog  Xöyog,  Ges.  Abh.  I,  109—117. 
Über  die  Verspottung  des  äschylischen  Bom- 
bastes durch  Epicharm   s.  Schol.  ad.  Aesch. 

Haiulbaoh  dov  klass,  Altortiiniswisspuscliaft.  VII.    2 


Eum.  626. 

^}  Hephaestion  c.  8. 

"'')  Vielcitiert    ist    der    Vers:    racps    y.Kt 

^')  Porphyrios  in  Vit.  Plotin.  24;  wahr- 
scheinlich umfasste  jedes  Buch,  oder  rich- 
tiger jeder  Tomos  eine  Tetralogie. 

^)  Fuhr,  De  mimis  Graecorum,  Berlin 
1860.  Im  Altertum  schrieb  Apollodor  einen 
Kommentar  zu  Sophion. 

Aufl.  16 


242  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Durchführung  brachte.  Der  berühmteste  Vertreter  dieser  Gattung  war 
Sophron,  von  dem  Suidas  folgendes  überliefert:  „Sophron  aus  Syrakus, 
Sohn  des  Agathokles  und  der  Damnasyllis,  lebte  zur  Zeit  des  Xerxes  und 
Euripides  und  schrieb  i^iii^iovg  ävÖQsiovg  (wie  ayysXog,  ^vvvo^rjQag,  y&QovTsg, 
dhsTg)  und  /iiifxovg  yvraixetovg  (wie  axtargiai,  vvix(fon6vog^  nsv^tqa^  ^lad^iiid- 
^ovaai);  sie  sind  in  Prosa,  in  dorischem  Dialekt  geschrieben;  man  sagt, 
dass  der  Philosoph  Piaton  immer  mit  ihnen  verkehrte,  so  dass  er  sogar 
zuweilen  auf  ihnen  schlief."  Dem  Piaton  warfen  seine  Neider  sogar  vor, 
dass  er  in  seinen  Dialogen  nur  die  Mimen  des  Sophron  kopiert  habe;  in 
den  Idyllen  des  Theokrit  sind  uns  noch  einige  Nachahmungen  erhalten, 
welche  uns  für  den  Verlust  der  Originale  entschädigen  müssen,  i)  Neben 
Sophron  wird  als  Mimendichter  sein  Sohn  Xenarchos  aus  der  Zeit  des 
Tyrannen  Dionysios  genannt.  2) 

b.  Die  altattische  Komödie. 

181.  Festen  Boden  und  dauernde  Heimstätte  gewann  die  Komödie  in 
Attika,  dem  Lande  demokratischer  Freiheit  und  geistreichen  Scherzes.  Doch 
kam  dieselbe  hier  erst  später  zur  Entfaltung  und  nahm,  da  das  ältere  Satyrspiel 
einen  Teil  ihres  Gebietes,  die  mythologische  Posse,  bereits  okkupiert  hatte, 
eine  etwas  abweichende  Richtung.  Das  Leben  der  Gegenwart,  das  öffentliche 
und  private,  bildete  für  die  attische  Komödie  in  allen  ihren  Wandlungen 
den  Hauptgegenstand  des  heiteren  Spieles.  Ausser  an  die  phallischen  Auf- 
züge der  Dionysien  knüpfte  sie  hier  an  die  scherzhaften  Neckereien 
der  sogenannten  Gephyrismen  {yeifwqiaixoi)  an.  Es  war  nämlich  bei  den 
jährlichen  Prozessionen  zur  Mysterienfeier  in  Eleusis  Sitte,  dass  an  der 
Brücke  (yt(fVQa),  welche  über  den  Kephissos  führte,  Witzbolde  sich  zu  beiden 
Seiten  aufpflanzten  und  in  bald  scherzenden,  bald  beissenden  Versen  die  Vor- 
übergehenden neckten. •')  Auch  die  Freiheit,  mit  der  man  vom  Wagen  herab 
bei  bacchischen  Aufzügen  auf  die  Leute  rechts  und  links  seinen  Spott 
ausgoss,  gab  der  attischen  Komödie  Nahrung  und  zog  in  ihr  das  Ele- 
ment des  aus  dem  Leben  und  der  Gegenwart  genommenen  Scherzes  und 
Spottes  gross. 

Zur  Blüte  kam  in  Attika  die  Komödie  erst,  nachdem  dieselbe  in  die 
öffentliche  Feier  der  Dionysosfeste  aufgenommen  war,  oder  mit  anderen 
Worten,  nachdem  der  Archen  auch  für  sie  einen  Chor  zu  geben  und  einen 
Wettkampf  (ayon')  konkurrierender  Choregen  und  Dichter  zu  eröffnen  be- 
gonnen hatte.  Das  geschah  später  als  bei  der  früher  zu  Ehren  gekom- 
menen Tragödie,*)  begreiflich,  da  ernste  und  haushälterische  Bürger  nur 
zögernd  sich  dazu  verstanden,  das  ausgelassene  Spiel  mit  öffentlicher  Au- 
torität zu  umkleiden.  Aus  der  späteren  Aufnahme  erklärt  es  sich  auch, 
dass  nunmehr  2  Repräsentanten  der  heiteren  Muse,  das  früher  im  Gefolge 
der  Tragödie  eingeführte  Satyrdrama  und  die  urwüchsige,  erst  später  auf- 
genommene   Komödie    nebeneinander    zur   Aufführung   gelangten.'^)     Indes 

')   Der    rhythmische    Hymnus    Gregors  1  ^)  Fritzsche   in  Ausg.   von   Arist.  Ran 

von  Nazianz  in  meiner  Anth.  christ.  p.  29  wird  [  p.  197. 

von  alten  Grammatikern  missverständlich  auf  |  ^)  Aristot.  Poet.  5. 

das  Vorbild  Sophrons  zurückgeführt.  '  ^)  Vergl.  S.  163. 

'^)  Suidas  u.  ^rjyiyovg.  Arist.  Poet.  1.  | 


i 


C.  Drama.    3.  Die  Komödie,    b.  Die  altattische  Komödie.  (§  181.) 


243 


wurden  doch  nach  den  neuerlich  aufgefundenen  didaskalischen  Urkunden 
CIA.  II,  971  schon  zu  Aischylos  Zeiten,  wahrscheinlich  schon  seit  472  Komödien 
unter  staatlicher  Leitung  aufgeführt.^)  Die  alte  Komödie  begann  aber  sicher 
erst  nach  den  Perserkriegen,  und  ihre  Anfänge  fallen  mit  der  ungehinderten 
Freiheit  (TraQQrj(Tia)  der  durch  Perikles  grossgezogenen  Demokratie  zusammen. 
Das  bestimmte  ihren  Charakter:-)  öffentlich  geworden,  richtete  sie  auch 
ihren  Witz  und  Spott  gegen  die  Gebrechen  des  öffentlichen  Lebens  und  der 
leitenden  Personen  des  Staates.  Bei  einer  Schrankenlosigkeit  der  Rede- 
freiheit, wie  sie  kein  Zeitalter  in  gleichem  Grade  sah,  brauchte  sie  sich 
nicht  auf  dem  matten  Boden  der  Allgemeinheiten  oder  versteckten  An- 
spielungen zu  bewegen,  sondern  durfte  offenen  Hauptes  den  Gegner,  auch 
wenn  er  zu  den  angesehensten  und  höchstgestellten  gehörte,  angreifen.  In 
der  persönlichen  Persiflage  knüpfte  sie  an  die  bitteren  Spottverse  des 
Archilochos  und  der  ionischen  lambographen  an;  über  sie  ging  sie  aber 
dadurch  hinaus,  dass  sie  statt  Privatpersonen  Männer  des  öffentlichen 
Lebens  angriff  und  in  einer  Zeit,  wo  es  noch  keine  Presse  und  keine  Flug- 
blätter gab,  das  Zensorenamt  der  öffentlichen  Meinung  übte.  Wiederholt 
zwar  ward  das  Verbot  erlassen,  die  Durchgehechelten,  zumal  wenn  sie  ein 
öffentliches  Amt  bekleideten  (tovq  aQ^oizag),  bei  Namen  zu  nennen  (ovo- 
liaarl  xo)iiio)6sh');^)  aber  die  Polizei  war  in  Athen  schwach,  und  die  Lust 
an  der  politischen  Komödie  gross,  so  dass  immer  wieder  die  zügellose  Rede- 
freiheit durchbrach,  bis  mit  dem  unglücklichen  Ausgang  des  peloponnesi- 
schen  Krieges  der  Freiheit  des  Theaters  feste  und  dauernde  Fesseln  an- 
gelegt wurden.  Für  uns  sind  so  die  Stücke  der  alten  Komödie  ein  Spiegel- 
bild der  Zeit,  wie  denn  schon  Piaton  dem  Tyrannen  Dionysios,  um  sich 
vom  athenischen  Staat  ein  Bild  zu  machen,  die  Lektüre  der  Komödien  des 
Aristophanes  empfohlen  haben  soll.*) 

Aber  bei  allem  Ernst  des  persönlichen  und   politischen  Spottes   blieb 
doch  die  attische  Komödie  ein  mutwilliges  Kind  der  heiteren  Muse  Thalia, 


')  Nach  Bergk,  Rh.  M.  34,  305  fanden 
die  ersten  Siege  der  Komiker  an  den  Lenäen 
statt,  da  an  den  Dionysien  erst  später,  um 
Ol.  84,  ein  regelmässiger  Agon  für  Komiker 
eingerichtet  worden  sei;  siehe  dagegen  oben 
§  130.  Dass  schon  vor  472  an  den  Lenäen 
Preise  für  Komödien  ausgesetzt  wurden, 
lässt  sich  zwar  nicht  beweisen,  ist  aber  wahr- 
scheinlich; aber  in  dem  ersten  Teil  des 
Zeitraumes  von  536 — 472  müssen  nach  dem 
Zeugnis  des  Aristot.  Poet.  5  nur  Tragödien 
gegeben  worden  sein. 

'^)  Anon.  de  com.  III:  ysyovuai  (ff  fisra- 
ßoXm  x(ji)fx(t)diag  TQsTg  '  y.cd  r]  fxey  uQ^aia,  rj 
cTf  via,  iq  de  fiiarj  •  ol  fxhv  ovv  r?;?  «^/«t«? 
y(x)fXMdiag  71017]tkI  ov/  {no&eaecog  uh]\^oig, 
alh}  Tiaideltcg  svjQa-niXov  yivGfxevoi  Cf]^Mrccl 
Totlg  uycüpag  inotovy  '  y.ai  (fegsrai  avXMv 
nävia  X(<  dQci^ara  j^s  oiip  joTg  iperdsni- 
yQ('((poig. 

^)  Das  erste  Verbot  wurde  unter  dem 
Archon  Morychides  Ol.  85,  1  =  440/39  er- 
lassen; dasselbe  wurde  3  Jahre  später  unter 


dem  Archon  Euthymenes  (s.  Schol.  Arist. 
Ach.  67)  wieder  aufgehoben;  neue  Beschrän- 
kungen scheinen  428/7  durch  Antimachos 
ergangen  zu  sein  (s.  Schol.  Arist.  Ach.  1150) 
und  wurden  durch  ein  Psephisma  des  Syra- 
kosios  417/6  (s.  Eupolis  in  den  Poleis  und 
Schol.  Arist.  Av.  1297)  erneut  eingeschärft, 
durch  das  insbesondere  die  namentliche  Ver- 
höhnung der  Beamten  untersagt  wurde  (s. 
Phrynichos  im  Monotropos;  vgl.  Schol.  Arist. 
Nub.  31,  Ran.  501;  Xen.  de  rep,.Ath.  2,  18). 
Vgl.  Meineke  I,  40  ff.;  Bergk,  Über  die  Be- 
schränkungen der  Freiheit  der  älteren  Ko- 
mödie zu  Athen,  Kl.  Sehr.  444  ff.;  Lübke, 
Quaest.  crit.  in  hist.  vet.  com.,  Berl.  1883. 
^)  W.  ViscHER,  Über  die  Benützung  der 
alten  Komödie  als  geschichtliche  Quelle,  Basel 
1840,  in  Klein.  Sehr.  I,  459  ff.;  Müller- 
Strübing,  Aristophanes  und  die  historische 
Kritik.  Leipzig  1873;  Muhl,  Zur  Geschichte 
der  alten  attischen  Komödie  zur  Zeit  des 
peloponnesischen  Kriegs,  Augsb.  Progr.  1881. 


16^ 


244 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


ein  tolles  Fastnachtspiel.  Die  Ausgelassenheit  gab  sich  gleich  äusserlich 
in  der  Erscheinung  der  Spielenden  kund;  nicht  bloss  die  Schauspieler  trugen 
bizarre  Anzüge  und  groteske  Masken,  auch  die  Choreuten  waren  phanta- 
stisch ausstaffiert,  bald  als  Vögel,  bald  als  Wespen,  bald  als  Frösche  und 
ähnliches  verkleidet.  Der  Chor  spielte  überhaupt  in  ihr  eine  viel  aktivere 
Rolle  und  blieb  dadurch  dem  Charakter  des  lustigen  Seh  warmes  getreu, 
aus  dem  das  ganze  Spiel  hervorgegangen  war.  Er  sang  also  nicht  bloss 
Einzugs-,  Auszugs-,  Stehlieder;  er  griff  auch  beständig  mit  kleinen  Gesängen 
und  durch  Organisierung  förmlicher  Streitscenen  in  die  Handlung  ein  und 
bewahrte  in  der  Parabase,  in  der  er  sich  als  Vertreter  des  Dichters  an  das 
Volk  wendete,  eine  lebensfrische  Erinnerung  an  die  alten  Aufzüge  des 
neckenden  Festschwarmes. ')  Dem  gegenüber  blieb  die  Handlung  etwas 
in  der  Entwicklung  zurück;  sie  erhob  sich  zwar  über  die  megarische  Posse 
und  die  lose  Aneinanderreihung  burlesker  Scenen,  aber  die  kunstvolle  Ver- 
knüpfung und  die  Spannkraft  der  Peripetie  und  der  Wiedererkennung  kamen 
erst  in  der  neuen  Komödie  zur  Geltung,  in  der  alten  überwogen  die 
trunkenen  Orgien  des  ausgelassenen  Weingottes,  die  in  saftigen  Zoten 
und  Spässen  sich  gefielen  und  in  phantastischer  Genialität  über  die  be- 
engenden Schranken  des  Anstandes  und  Philistertums  sich  wegsetzten;  es 
war  ein  Spiel,  das  vor  allem  die  Zuschauer  zum  Lachen  bringen  und 
durch  derbe  Witze  und  kecke  Einfälle  in  launige  Feststimmung  versetzen 
wollte.  In  diese  Stimmung  versetzt  selbst  uns  die  Lektüre  der  erhaltenen 
Stücke,  und  doch  fehlt  uns  dabei  eine  Hauptsache,  der  Anblick  der  phan- 
tastischen Masken   und  der  lasziven  Sprünge  des  Kordaxtanzes. 

Die  Sprache  der  Komödie  schloss  sich  selbstverständlich  eng  an 
die  Umgangssprache  des  Volkes  an,  so  dass  epische  Formen  aus  dem 
Dialog  mehr  als  in  der  Tragödie  ausgeschlossen  waren  und  die  hervor- 
ragendsten Komiker,  wie  Pherekrates  und  Aristophanes,  zugleich  als 
die  reinsten  Vertreter  des  Attikismos  galten.  2)  Daneben  aber  verstanden 
es  die  Dichter  durch  kühne  Wortbildungen,  eingelegte  Fabeln,  Parodien 
lyrischer  und  tragischer  Verse  der  Diktion  Reiz  und  poetischen  Anstrich 
zu  geben.  Die  Rhythmen,  namentlich  der  gesungenen  Stellen  tragen  ent- 
sprechend der  ausgelassenen  Art  des  Spiels  und  Tanzes  einen  munteren 
und  bewegten  Typus;  neben  den  anapästischen  Tetrametern  spielen  die 
raschen  Trochäen  und  kräftigen  Päonen  eine  Hauptrolle.  Auch  der  Haupt- 
vers des  Dialoges,  der  iambische  Trimeter,  wird  durch  die  häufigen  Auf- 
lösungen und  die  Einmischung  von  Anapästen   beschwingter  zugleich  und 


^)  Ungenügend  ist  die  Aufzählung  der 
HbQi]  y.uj/uoiJ'iag  im  Anecd.  Paris.  Vollstän- 
diger ist  das  den  Aristophanesscholien  zu 
gründe  liegende  S5'stem  des  Heliodor;  vergl. 
oben  §  132.  Zielinski,  Die  Gliederung  der 
altatt.  Komödie,  stellt  die  Komposition  und 
Gliederung  der  Komödie  in  scharfen  Gegen- 
satz zu  der  der  Tragödie;  ihm  gebührt  das 
Verdienst,  die  Bedeutung  des  Agon  als  alten 
Hauptelementes  der  Komödie  zur  Geltung 
gebracht  zu  haben;  demselben  sucht  er  auch 
ähnlich    wie    der  Parabase    eine   feste   Glie- 


derung in  Ode,  Katakeleusmos,  Epirrhema, 
Pnigos,  Antode,  Antikeleusmos,  Antepirr- 
hema,  Antipnigos,  Sphragis  zu  geben. 

'-)  Der  strengere  Attikismos  der  Komödie 
zeigt  sich  besonders  in  dem  Gebrauch  von 
TT  statt  <J(T,  in  den  Pluralen  innrjg,  U/aQ^'i^g 
statt  (TTTTsTg,  ^J/ugreTg,  und  in  der  Selten- 
heit von  Formen  und  Wörtern  des  epischen 
und  ionischen  Dialektes;  s.  Ruthekford, 
Zur  Geschichte  des  Atticismus,  Jhrb.  f.  Phil. 
XIIT,  359-392,  und  oben  §  125. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     b.  Die  altattische  Komödie.  (§  182-183.)      245 


lässiger.  Im  übrigen  sind  uns  die  Komödien  auch  dadurch  leichter  ver- 
ständlich, dass  sie  frei  von  verwickelten  Versformen  fast  nur  populäre, 
leicht  ins  Gehör  gehende  Sangweisen  enthalten. ') 

182.  Die  ältesten  Komödiendichter  Athens  nach  den  Perserkriegen 
waren  Chionides,  Ekphantides,  Magnes.  Des  Magnes  gedenkt  rühmend 
Aristophanes  in  den  Rittern  520  ff.;  nach  dem  Anonymus  de  com.  III  hatte 
er  11  Siege  davongetragen,-)  hatte  sich  aber  von  ihm  nichts  erhalten. 3) 
Titel  seiner  Stücke  waren  Ba^ßtrixTrai,  Bdr^axot,  "Ogvi^sg,  Av6oi\  Wjvsg, 
woraus  man  ersieht,  dass  er  in  der  phantastischen  Ausstattung  des  Chors 
dem  Aristophanes  vorangegangen  war. 

183.  Kratinos  (gestorben  zwischen  423  und  421),'^)  der  neben  Eupolis 
und  Aristophanes  in  den  Kanon  aufgenommen  wurde, ''^)  war  der  Begründer 
des  archilochischen  Tones  der  politischen  Komödie  und  erhob  zugleich  durch 
Einführung  des  3.  Schauspielers  die  Komödie  zu  gleichem  Rang  mit  der 
Tragödie.  Ein  Anhänger  des  Kimon^)  und  der  konservativen  Partei  ver- 
folgte er  heftig  den  Perikles,  den  er  in  den  Ogatrai  den  zwiebelköpfigen 
Zeus  schalt  und  in  den  XsiQwveg  von  der  Zwietracht  und  dem  Kronos  geboren 
sein  liess.'^)  Im  Privatleben  war  er  ein  Freund  lustiger  Gelage  und  setzte 
mehr  als  gut  der  Weinflasche  zu;  von  ihm  rühren  die  hübschen  Verse  her: 

oivog  TOI  y^aQisvti  nsXsi  ta^vg  IrcTiog  aoiSm, 

vöooQ  dii  TVivcov  ovötv  av  TtXOC  (focföv.^) 
Als  Komödiendichter  trat  er  nach  Eusebios  erst  spät  im  J.  453  auf;  Siege 
errang  er  9  (6  an  den  Lenäen,  3  an  den  Dionysien),  Komödien  hinterliess 
er  21,  welche  von  den  alexandrinischen  Grammatikern  fleissig  gelesen  und 
kommentiert  wurden.  Berühmt  waren  die  'äqxiXoxoi,  die  Spötter,  worin 
ein  Wettstreit  von  Dichtern  vorkam,  die  QqaTxai  und  Xeigcov^g,  welche 
gegen  Perikles  gerichtet  waren,  die  Evi'HÖai,  die  man  bei  dem  Tode  Ale- 
xanders d.  Gr.  unter  dem  Kopfkissen  des  Königs  fand  (Phot.  bibl.  151a  11), 
die  ^Odvaar^g,  mit  denen  er  die  Reihe  mythologischer  Travestien  eröffnete, 
insbesondere  aber  die  JJvtivtj.  Als  nämlich  Aristophanes  in  den  Rittern 
V.  524  über  ihn  als  morsche  Ruine  zu  spotten  gewagt  hatte,  trat  er  im 
nächsten  Jahr  (423)  mit  jener  Pytine  auf,  in  welcher  Frau  Komödia  sich 
beklagte,  dass  ihr  einst  so  getreuer  Ehemann  nun  in  wilder  Ehe  mit  der 
Flasche  lebe,  und  mit  ihren  Künsten  ihn  wieder  aus  den  Schlingen  der 
bösen  Buhlin  befreite;  die  Athener  stellten  sich  auf  die  Seite  des  gekränk- 
ten Dichters,    indem   sie   ihm  den   ersten  Preis   zuerkannten,  Aristophanes 


')  Sehr  viele  Metra  sind  nach  Dichtern 
der  alten  Komödie  benannt,  wie  Cratineum, 
Eupolideum,  Pherecrateum,  Aristophaneum, 
Phrynicheum. 

^)  Ein  Sieg  gleichzeitig  mit  einem  des 
Aischylos  ist  urkundlich  bezeugt  CIA.  II,  971 ; 
die  Siege  desselben  waren  gewiss  ebenso 
wie  die  des  Kratinos  teils  lenäische,  teils 
dionysische. 

^)  Nach  einer  Notiz  des  cod.  Salomonis 
(publiziert  von  Useneb,  Rh.  M.  28,  418)  hatten 
die  Stücke  der  älteren  Komiker  nicht  mehr 
als  300  Verse. 

^)  Tot  war  er  zur  Zeit    der  Aufführung 


von  Arist.  Pac.  701,  was  Zielinski,  Rh.  M. 
39,  301  fF.  wegzuklügeln  sucht. 

">)  Horaz  Sat.  I,  4.  1;  Velleius  I,  16.  3; 
Quint.  X,  1.  66;  Platonios  de  com.,  wonach 
Kratinos  der  bittere  (nixQorsQog) ,  Eupolis 
der  feinere  {ini/ciQisareQog)  war,  Aristophanes 
sich  in  der  Mitte  hielt;  vgl.  Persius  I,  123. 
Vom  Anonym,  de  com.  III  wird  Kratinos 
dem  Aischylos  verglichen. 

6)  Plut.  Cim.  10. 

')  Plui.  Pericl.  3  u.  24. 

^)  Nach  Epigramm  des  Nikainetos  bei 
Ath.  39  c;  vgl.  Horaz  Ep.  I,  19.  1;  Meineke 
bist.  com.  I,  47. 


246  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

selbst  aber  ehrte  den  einstigen  Rivalen  in  den  Fröschen  V.  357  durch  den 
Preis  der  stiergewaltigen  Sprache  des  Kratinos. 

K  rat  es  diente  anfangs  als  Schauspieler  dem  Kratinos,  trat  dann 
aber  auch  als  selbständiger  Dichter  auf;  zum  erstenmal  siegte  er  449. 
Nach  Aristoteles  Poet.  5  war  er  der  erste,  der  von  der  Form  des  persön- 
lichen Spottgedichtes  abgehend,  eine  allgemeine  Fabel  seinen  Stücken  zu 
gründe  legte.')  In  der  Weise  des  Epicharmos  liebte  er  den  heiteren  und 
lustigen  Ton;  auch  soll  er  zuerst  Trunkene  auf  die  Bühne  gebracht  haben. 2) 
Suidas  nimmt  zwei  Komödiendichter  Krates  an  ^)  und  schreibt  dem  unseren 
7  Komödien  zu;  wir  haben  im  ganzen  noch  15  Titel.  Von  genialer  Erfin- 
dung waren  seine  OrjQia,  die  das  goldene  Zeitalter  schilderten,  wo  die  wilden 
Tiere  noch  Sprache  hatten  und  in  allem  dem  Menschen  zu  Diensten  stunden. 

Pherekrates  war  ein  erfinderischer  Kopf,  der,  in  Krates  Fusstapfen 
tretend,  an  die  Stelle  regellosen  Spottes  fein  erfundene  Fabeln  setzte. 
Seine  Wilden  (AyQioi)  wurden  420  an  den  Lenäen  aufgeführt,  den  ersten 
Sieg  scheint  er  437  errungen  zu  haben.  ^)  Von  seinen  16  Komödien,  von 
denen  drei  als  unecht  galten,'')  behandelte  der  JovXoSiSdaKaXog  die  Zucht- 
losigkeit  der  Sklaven,  die  KoQiavro)  die  Trunksucht  der  Hetären,  die  Mvq- 
jurjxdv^QcoTtoi  die  Fabel  von  der  Entstehung  der  Menschen  aus  Ameisen,  der 
X€iQ(07>  die  Misshandlungen  der  Frau  Musica.  Aus  den  MsraXXijg  (Bergkobol- 
den) hat  uns  Athenaios  ein  langes  Fragment  erhalten,  in  dem  das  Schlaraffen- 
leben des  goldenen  Zeitalters  launig  geschildert  ist.  Übrigens  verzichtete 
auch  Pherekrates  nicht  ganz  auf  die  politische  Satire;  in  einem  Stück  (bei 
Ath.  535b)  verspottete  er  mit  bitterem  Hohn  den  Weiberhelden  Alkibiades. 

Zur  Zeit  des  Kratinos  blühten  noch  mehrere  andere  Komödiendichter 
gleicher  Richtung,  aber  niederen  Ranges,  so  Telekleides,  der  mit  Heftig- 
keit den  Olympier  Perikles  verspottete  und  die  Dichter  seiner  Zeit  in  den 
^HaioSoi  geissei te, 6)  Hermippos  der  Einäugige,  der  gleichfalls  als  Gegner 
des  Perikles  auftrat  und  gegen  die  Aspasia  eine  Klage  wegen  Gottlosigkeit 
einbrachte;')  eines  seiner  Stücke,  die  ^oQiioiföqoi,  enthielt  viele  Parodien  auf 
Homer;  ferner  Myrtilos,  Alkimenes,  Philonides.^) 

184.  Eupolis,  ausgezeichnet  durch  feinen  Witz  und  anmutige  Darstel- 
lung, erhielt  sich  neben  Aristophanes  am  längsten  in  der  Gunst  der  Leser. ''^) 
Seine  Blüte  fällt  in  die  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges;  frühreif  brachte 
er  schon  als  junger  Mensch  von  17  Jahren  Komödien  auf  die  Bühne.  Den 
Tod  erlitt  er  im  Hellespont,  wahrscheinlich  411,  im  Kampfe  für  das  Vater- 
land, infolge  dessen  die  Athener  den  Dichtern  Befreiung  vom  Kriegsdienst 


')  Arist.  Poet.  5:  Kgart^g  nQOJtog  tiq^ev 
(iq^ifXEvog  Trjg  ia^ßixrjg  iöeag  x(x(^6Xov  notsiy 
j^.6yovg  xal  fxvd^ovg. 

2)  Anon.  de  com.  III;  Arist.  Equ.  537  ff. 

^)  Auch  der  zweite  Krates  wird  von  Sui- 
das der  uQ/cda  xtü/uM&la  zugewiesen,  aber 
die  Titel  seiner  Stücke  QrjaavQog,  "Ogyi^eg, 
4>iX((QyvQog  weisen  mehr  auf  die  neue  Ko- 
mödie; vgl.  Meineke  I,  64. 

■*)  Das  erste  überliefert  Ath.  218 d,  wo- 
zu   stelle   Plato   Protag.   327  d;    das    zweite 


^)  Den  XeiQüiv  soll  nach  anderen  Niko- 
machos  oder  Piaton  gedichtet  haben;  s.  Ath. 
364  a,  Meineke  I,  75,  Bergk  290  ff. 

^)  Von  ihm  5  Siege  verzeichnet  CIA. 
II,  977. 

^)  Plut.  Pericl.  32.  über  seinen  Hyper- 
bolos  s.  Aristoph.  Nub.  547. 

^)  Andere  Namen,  wie  Xenophilos,  Phi- 
lokles,  Aristokrates,  Kallistratos,  Emmenides, 
Sokrates,  gibt  mit  Angabe  der  Siege  die 
Liste  der  Komiker  CIA.  II,  977. 


beruht  auf  der  Emendation  des  Anon.  de  com.  ^)  Vergl.    Persius   II,    92;    Lucian    adv 

vixa  enl  dsi'nqov  {eil  GeoJojQov  em.  Dobree).    ;    ind.  27. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     b.  Die  altattische  Komödie.  (§  185.)  247 


gewährt  haben  sollen,  i)  Man  kannte  von  ihm  14  oder  17  Stücke, 2)  von  denen 
7  mit  dem  ersten  Preis  gekrönt  wurden. 3)  Mit  Aristophanes  war  er  anfangs 
infolge  der  gleichen  Abneigung  gegen  die  zügellose  Demokratie  und  die  neu- 
modische Bildung  gutbefreundet;  später  entwickelte  sich  zwischen  beiden 
ein  gespanntes  Verhältnis,  das  in  dem  gegenseitigen  Vorwurf  des  Plagiates 
gipfelte.^)  Die  berühmtesten  seiner  Komödien  waren  die  KoXaxsg  (421), 
in  denen  er  den  reichen  Kallias,  der  mit  Schmarotzern,  Sophisten  und  Lit- 
teraten sein  Erbe  verprasste,  an  den  Pranger  stellte,  der  MaQixäg,  in  dem 
er  den  Hyperbolos,  den  Nachfolger  des  Kleon,  unter  falschem  Namen  ver- 
höhnte, die  BccTiTai  oder  Täufer,  •'^)  die  gegen  Alkibiades  und  die  von  ihm 
begünstigten  fremden  Kulte  gerichtet  waren,  die  Jrjinoi^  in  denen  die  Geister 
der  grossen  Staatsmänner  der  alten  Zeit  citiert  wurden,  um  ihre  Meinung 
über  die  verzweifelte  Lage  des  Staates  abzugeben.  Andere  angesehene 
Stücke  waren  die  Ziegen,  die  Städte  (der  Bundesgenossen),  das  goldene 
Zeitalter,*^)  die  Astrateutoi,  die  Taxiarchoi,  der  Autolykos,  die  Heloten. 

Phrynichos,  der  429  zuerst  auftrat  und  in  Sikilien  umkam,  wird 
zwar  von  Aristophanes  in  den  Fröschen  V.  13  übel  mitgenommen,^)  hatte 
aber  guten  Witz  und  schneidigen  Charakter.  Von  seinen  10  Komödien 
waren  besonders  angesehen  der  Konnos,  benannt  nach  dem  Lehrer  des 
Sokrates  in  der  Musik,  die  Schmauser,  der  Einsiedler  (MovfkQOTrog),  die 
Mysten,  Ephialtes,  die  Musen;  in  den  letzteren  nahm  er  ähnlich  wie  Aristo- 
phanes in  den  Fröschen,  den  Tod  des  Sophokles  und  Euripides  zum  Aus- 
gangspunkt. 

Piaton  8)  spielte  von  der  Mitte  des  peloponnesischen  Krieges  an  bis 
über  390  hinaus  eine  hervorragende  Rolle  auf  der  komischen  Bühne  Athens. 
Von  seinen  28  Stücken  richtete  sich  nur  ein  Teil  gegen  die  politischen 
Umtriebe,  wie  der  ^YntQßolog,  der  Kleocpcov  (405),  die  ^vfifiaxicc,  welch' 
letzteres  Stück  sich  auf  die  Verbindung  des  Nikias,  Albikiades  und  Phaiax 
zur  Verbannung  des  Hyperbolos  durch  das  Scherbengericht  bezog;  die 
meisten,  namentlich  die  aus  der  späteren  Lebenszeit  des  Dichters,  griffen 
nach  Art  der  mittleren  Komödie  in  das  Gebiet  der  Parodie,  so  die  TIonjTai, 
2o<fiaTai\  "A6o)ng,  Evqcötttj,  Adiog.  Berühmt  war  besonders  der  (Ddcov,  in 
dem  der  Titelheld  mit  seiner  von  Aphrodite  ihm  verliehenen  Salbe  allen 
Weibern  den  Kopf  verrückte.^) 

Andere  von  Aristophanes  und  Eupolis  verdunkelte  Komödiendichter 
dieser  Zeit  waren  Kallias,  der  wahrscheinlich  auch  Verfasser  der  Buch- 
stabentragödie war, ^0)  Ameipsias,    der   sich   an  Aristophanes    zu    reiben 


^)  Suidas  u.  Ei'nohg.  Das  erinnert  an 
die  vacaiio  militiae  bei  Porphyrio  zu  Hör. 
Epod.  1,  7.  Die  Fabel,  dass  Alkibiades  den 
bösen  Komiker  ertränken  Jiess,  widerlegte 
schon  Eratosthenes  nach  Cic.  ad  Att.  6,  1. 
Nach  Paus.  2,  7  befa,nd  sich  sein  Grabdenk- 
mal bei  Sikyon. 

^)  Die  1.  Zahl  bei  dem  Anon.  de  com., 
die  2.  bei  Suidas. 

^)  3  dionysische  Siege  bezeugt  die  Ur- 
kunde CIA.  II,  977. 

"*)  Den  Vorwurf  erhebt  Arist.  Nub.  558; 
dagegen  Eupolis    bei   Schol.    Arist.    Eq.  528 


und  1288. 

5)  So  Lehrs,  Popul.  Aufs.2  396  f. 

^)  Das  Stück  handelte  nicht  vom  Glück 
des  goldenen  Zeitalters,  sondern  de  statu 
pessimo  cum  irrisione  tmnquam  aureo. 

^)  Aus  den  Scholien  z.  St.  ersieht  man, 
dass  die  Kunsturteile  der  alexandrinischen 
Gelehrten  über  ihn  geteilt  waren. 

^)  CoBET,  Observationes  crit.  in  Pia- 
tonis comici  rell.,  Amsterd.  1840. 

«)  Servius  ad  Verg.  Aen.  III,  279. 

1")  Ath.  453;  vergl.  Hense,  Rh.  M.  31, 
582  ff. 


248 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


liebte,  1)  Aristomenes,  den  die  Grammatiker  zu  den  Komikern  zweiten 
Eanges  {sTuSevregoi)  rechneten, 2)  ferner  Aristonymos,  Leukon,  Lysippos, 
Metagenes,  Aristagoras. 

Endlich  sei,  ehe  wir  uns  zum  Haupt  Vertreter  der  attischen  Komödie, 
zu  Aristophanes,  wenden,  noch  des  Hegemon,  mit  dem  Beinamen  (l^axi^g, 
aus  Thasos  gedacht,  der  eine  Komödie  Philine  dichtete,  mehr  aber  als  Erfinder 
der  parodischen  Dichtung  berühmt  war.  Er  blühte  während  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  und  soll  durch  seine  Titanomachie  das  leichte  Völkchen 
der  Athener  so  zum  Lachen  gebracht  haben,  dass  sie  darüber  die  Nieder- 
lage in  Sikilien  vergassen.  Besonders  war  es  Alkibiades,  der  ihm  seinen 
mächtigen  Schutz  lieh  und  einmal  eine  gegen  den  beliebten  Dichter  ge- 
richtete Klage  einfach  mit  dem  nassen  Schwamm  ausgelöscht  haben  soll.^) 
Erhalten  ist  uns  von  ihm  durch  Athenaios  p.  698  ein  Gedicht  in  parodi- 
schen Hexametern,  worin  er  den  Spott  böswilliger  Landsleute,  dass  er  aus 
dem  armen  Thasos  in  die  Fremde  nach  Athen  gegangen,  aber  von  dort 
nicht,  wie  andere  Rhapsoden,  Haufen  von  Geld  nach  Hause  gebracht  habe, 
witzig  abwehrt. 

c.  Aristophanes  (um  450  bis  um  385).^) 

185.  Von  den  äusseren  Lebensverhältnissen  des  Aristophanes  wissen 
wir  und  wussten  bereits  die  Alten  nur  weniges.  Von  Geburt  war  er  ein 
Kydathenäer;  Aginete  hiess  er,  weil  er  ein  Ackerlos  auf  jener  Insel  er- 
halten hatte.  Das  attische  Geblüt  der  Mutter  ward  nie  angefochten,'') 
aber  die  Zweifel  an  der  Herkunft  des  Vaters  zogen  dem  Dichter  schon 
bald  nach  seinem  ersten  Auftreten  eine  Klage  wegen  unbefugter  Anmas- 
sung  des  Bürgerrechtes  zu.  ^)  Daher  stammen  die  verschiedenen  Vermutungen 
der  Grammatiker,  die  ihn  bald  für  einen  Rhodier  aus  Lindos  oder  Kameiros,^) 
bald  gar  für  einen  Agyptier  aus  Naukratis  ausgaben.^)  Aber  mochte  auch 
kein  athenisches  Vollblut  in  seinen  Adern  rollen,  nach  Gesinnung  und 
Bildung  war  er  Athener  wie  kein  zweiter.  Sein  Geburtsjahr  wird  nicht 
angegeben;  da  ihm  aber  sein  Alter  erst  in  den  Rittern  (aufgeführt  424) 
einen  Chor  für  sich  zu  verlangen  erlaubte,^)  so  muss  er  damals  mindestens 


^)  Vit.  Aristoph. 

2)  Suidas  11.  'AQiaro^evrjg.  Wahrschein- 
lich gab  es  der  Aristomenes  zwei;  s,  Bergk, 
Rh.  M.  34,  307. 

^)  Chamaileon  bei  Ath.  406. 

'*)  Ausser  einem  Artikel  des  Suidas,  mit 
dem  das  gute  Scholion  zu  Piaton  VI,  227 
ed.  Herm.  gleiche  Quelle  hat,  ist  erhalten 
ein  \4Qiato(p(cvovq  ßiog  und  ein  Absatz  im 
Anon.  de  com.  Von  Neueren ;  C.  Fk.  Ranke, 
De  vita  Aristoph.,  in  Ausg.  von  B.  Thieesch 
(1830)  und  abgekürzt  in  Ausg.  von  Meineke 
(1860);  Rötscher  (mehr  Hegelianer  als  Phi- 
lolog),  Aristophanes  und  sein  Zeitalter,  Berl. 
1827;  Bergk  zu  den  Fragmenten  im  2.  Bd. 
von  Meineke's  Fr,  com.  gr. ;  Müller-Strü- 
BiNG,  Aristophanes  und  die  historische  Kritik, 
Leipz.  1873. 

-')  Dieses   geht   daraus   hervor,   dass   er 


!  sich  bei  dem  Prozess  auf  den  Vers  der  Odys- 
see ci  215  ovng  kov  yovov  avrog  civäyvM 
berief. 

^)  Vita:  ^eviag  xaz^  avrov  yQacprjv  eff^STo 
KXecop.  Der  Streit  beendet  durch  einen  Aus- 
gleich nach  Arist.  Vesp.  1285. 

')  Auf  Grund  von  Ach.  653  berichtet 
das  Schol.  Plat. :  xarsxXiJQcoae  de  xcd  rijv 
Alyivav,  lug  Osoyeyrjg  cprjalp  sv  ra  ttsqI  At- 
yivrjg.  Wahrscheinlich  erhielt  dieses  Acker- 
los der  Dichter  erst  nach  der  totalen  Unter- 
werfung der  Insel  im  J.  431 ;  s.  Bergk,  Gr. 
Litt.  IV,  74.      ^ 

^)  Suidas:  ^AQiarocpdvrjg  'Podiog  rjroi  Alu- 
diog,  OL  &6  Aiyvnxiov  acpaocw  (vergl.  Schol. 
Nub.  271  u.  Ath.  229  e),  ol  de  KafiiQea,  t9eaei 
de  ^Ad^r]vcaog. 

^)  Nub.  530:  xuyoS,  7Jc<Qd^evog  ytcQ  er' 
t]P  xovx  e'^rjv  71  c6  fxoi  xexeTr,  e^e&r]X(x. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     c.  Aristophanes.  (§  185.) 


249 


schon  volljährig,  wahrscheinlich  aber  bereits  25  bis  30  Jahre  alt  gewesen 
sein;^)  bereits  421,  als  er  den  Frieden  aufführte,  war  er  ein  Glatzkopf.  2) 
Über  seine  Erziehung  und  Bildung  sind  uns  keine  besonderen  Zeugnisse 
erhalten;  aus  seinen  Werken  sehen  wir,  dass  er  nicht  bloss  die  ihm  nächst- 
stehenden Dichter,  die  Komiker  und  lambographen,  gut  kannte,  dass  er 
auch  in  den  Tragödien  des  Aischylos  und  den  Gesängen  des  Stesichoros 
und  Pindar  wohl  zu  Hause  war,  kurzum,  dass  die  Grazien  und  Musen  seine 
Wiege  umstanden  und  seinen  Lebenslauf  begleitet  hatten.  Besonderen  Ein- 
fiuss  auf  den  jungen  Dichter  übte  das  politische  Parteileben  in  den  Klubs 
oder  Hetärien.  Mit  der  ganzen  Heftigkeit  seines  Wesens  schloss  er  sich 
den  Friedensfreunden  und  der  aristokratischen  Partei  an,  denen  die  Herr- 
schaft der  bürgerlichen  Emporkömmlinge,  wie  Kleon  und  Hyperbolos,  und 
die  neue  Richtung  der  rhetorisch-sophistischen  Bildung  ein  Dorn  im  Auge 
war.^)  So  gelang  es  ihm,  indem  er  Witz  und  Humor  mit  politischer  Heiss- 
blütigkeit  und  sittlichem  Ernste  verband,  die  Bretter  der  ausgelassenen 
Thalia  zu  einer  Erziehungsstätte  des  Volkes  und  zu  einer  politischen  Macht 
ersten  Ranges  zu  erheben.  Über  40  Jahre  (von  427  bis  nach  388)  be- 
herrschte er  die  komische  Bühne  Athens  und  machte  innerhalb  derselben 
auch  die  Wandlungen  durch,  welche  das  Lustspiel  infolge  der  geänderten 
Zeitverhältnisse  und  des  geänderten  Geschmacks  erlebte.  Die  aristokrati- 
sche Partei  des  Dichters  war  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges 
ans  Ruder  gekommen,  ohne  es  wesentlich  besser  zu  machen;  der  Bühnen- 
freiheit waren  durch  Gesetz  und  mehr  noch  durch  die  Furcht  vor  den 
Machthabern  beengende  Schranken  gezogen  worden  ;i)  der  Staat  war  durch 
den  unglücklichen  Ausgang  des  langjährigen  Krieges  verarmt  und  hatte 
für  Festspiele  und  Chorausstattung  wenig  Geld  übrig;  der  Dichter  selbst 
wurde  allgemach  alt  und  verlor  die  Schneidigkeit  rücksichtslosen  Angriffs. 
So  trat  seit  dem  Frieden  des  Nikias  die  politische  Parteileidenschaft  in 
seinen  Komödien  zurück  und  ward  er  schliesslich  mit  seinem  Plutos,  Aiolo- 
sikon  und  Kokalos  Begründer  der  neuen  Komödie.^)  Die  letzten  zwei  Stücke 
gab  er  schon  nicht  mehr  unter  seinem  Namen,  sondern  unter  dem  seines 
Sohnes  Araros,  um  denselben  empfehlend  bei  dem  Publikum  einzuführen.*^) 
Den   uns   erhaltenen  Plutos  dichtete  er  noch   für  die  Dionysien  von   388; 


')  Von  der  Altersgrenze,  die  zur  For- 
derung eines  Chors  berechtigte,  wussten 
schon  die  alten  Erklärer  nichts  sicheres; 
das  junge  Scholion  zu  Nub.  510  spricht  von 
30  Jahren.  Kenntnislos  ist  die  Angabe  der 
Scholien  zu  den  Fröschen  V.  504,  wo  aus 
ü/s&oi'  f^eiQaxlaxog  rj&r]  rjnreio  zixiv  ayoJpMv 
gar  nichts  zu  schliessen  ist. 

^)  Pac.  767 :  xal  roTg  cpalcixQoTai  tiuqui- 
j  vovfxsv  avanovdaCsiy  71€qI  rijg  pixr]g.  Y^\. 
\  Bergk,  Comment.  p.  203.  Auch  die  Büsten 
stellen  den  Dichter  kahlköpfig  dar.  Dass  er 
dei  Flasche  fleissig  zugesprochen,  bezeugt 
Ath.  429  a:  'AXy.caog  de  6  fislonoidg  xal  ^Jqi- 
axocpävrjg  6  xiofxiod'vonolog  fxsx^^vovreg  tyqacpov 
T(c  Tioiijfxara. 

^)  Dass  wir  in  der  Polemik  des  Aristo- 
phanes  nicht  das  objektive  Urteil   eines  Hi- 


storikers, sondern  die  subjektiv  gefärbte  An- 
sicht eines  politischen  Parteiraannes  zu  er- 
kennen haben,  betont  besonders  MüUer- 
Strübing. 

4)  Vgl.  Pac.  739  flf.,  Vesp.  1023;  vgl. 
S.  243  An.  3. 

^)  Vita  Aristoph.:  xprjcpiauaTog  yevoixevov 
^'OQtjyixov  WÜTE  fxrj  opofMaari  x(j)fX(a&eiP  ripcc 
x(d  X(x)p  ^oQfjycip  ovx  dprs/öpttop  nqog  ro 
^oQfjyeip  ,  .  .  eyQccxpE  KojxaXop,  sp  0.  eiadysi 
(fSoQCiP  xcd  dpaypcoQiGfxop  xal  rciXla  ndpTcc, 
ä  i^rjXioae  Mspap&Qog.  Vgl.  Platonios  tieql 
dicccpoQug  x(ou. :  roioviog  ovp  iarip  6  t^? 
fiEor]g  X(x)^(o6iag  Tvnog,  olog  eüxip  6  Jiolo- 
(Tixiop  ^jQiaro(pc'<povg. 

*^)  Vgl.  Arg.  Plut. ;  vielleicht  auch,  weil 
Aristophanes  zu  alt  war,  um  selbst  noch  als 
Schauspieler  die  erste  Rolle  zu  spielen. 


250 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


bald  nachher  aber  muss  er  gestorben  sein;  sicher  war  er  Ol.  101,  wo  nach 
Suidas  sein  Sohn  Araros  mit  eigenen  Stücken  auftrat,  schon  tot;  wahr- 
scheinlich enthält  das  384  geschriebene  Gastmahl  des  Piaton  ein  Gedenk- 
blatt für  den  kurz  zuvor  verstorbenen  Dichter.  Söhne  hinterliess  er  3  oder  4, 
von  denen  sich  Philippos  und  Araros  gleichfalls  der  komischen  Bühne 
widmeten.') 

180.  Hinterlassen  hat  Aristophanes  44  Komödien,  von  denen  4  als 
unecht  galten. 2)  Auf  uns  gekommen  sind  11  Stücke,  die  anderen  kennen 
wir  nur  nach  Titeln  und  Bruchstücken.'^)  Die  Zahl  der  Dramen  ist  kleiner 
als  die  der  grossen  Tragiker,  weil  an  den  Dionysosfesten  immer  nur  eine 
Komödie  gegenüber  drei  Tragödien  zur  Aufführung  kam.  Die  3  ersten 
Komödien  brachte  er  unter  fremdem  Namen,  die  JaiTaXrjg  oder  Schmauser 
durch  Philonides  (427),  die  BaßvXun'ioi  (426)  und  'Axccgrrjg  (425)  durch 
Kallistratos  auf  die  Bühne. ^)  Beide  Männer  dienten  ihm  auch  später  noch 
als  Schauspieler,  und  zwar  soll  Philonides  die  Rollen  von  Männern  in 
öffentlicher  Stellung,  Kallistratos  die  von  Privatpersonen  gegeben  haben. •'^) 
In  dem  Frieden  Hess  er  nach  der  Hypothesis  die  Hauptrolle  durch  den 
Schauspieler  Apollodor  spielen.  Übrigens  verschmähte  er  auch  selbst  nicht 
die  Aufgabe  eines  Schauspielers;  speziell  wissen  wir,  dass  er  in  den  Rit- 
tern den  Kleon  gab,  angeblich  weil  keiner  der  Schauspieler  die  gefährliche 
Rolle  zu  übernehmen  wagte.")  Nach  dem  Tode  des  Dichters  konnten  sich 
natürlich  seine  Dramen  nicht  wie  diejenigen  der  Tragiker  auf  der  Bühne 
erhalten.  Das  verbot  der  Ton  und  Inhalt  der  speziell  für  die  jedesmaligen 
Zeitverhältnisse  gedichteten  Werke  der  alten  Komödie.  Aber  um  so  eifriger 
wurden  sie  von  den  alexandrinischen  Grammatikern  gelesen  und  kommentiert. 
Wiewohl  daher  unser  Dichter  bei  den  zahmeren  Geistern  der  Kaiserzeit, 
wie  Dion  Chrysostomos  und  Plutarch,'^)  wegen  seiner  derben  und  unflätigen 
Spässe  in  Verruf  kam  und  dem  feinen,  wohlgezogenen  Menander  nachstehen 
musste,  so  haben  sich  doch  von  ihm  nicht  weniger  als  11  Stücke,  offenbar 
die  berühmtesten  und  charakteristischsten,  erhalten  und  dazu  gelehrte  und 
scharfsinnige  Schollen,  ohne  deren  Beihilfe  wir  vielfach  bei  der  Erklärung 
und  Zeitbestimmung  im  Stiche  gelassen  würden.  Diese  11  Stücke  wollen 
wir  nun  ihrer  chronologischen  Folge  nach  einzeln  betrachten.^) 


^)  Nach  Dikäarch  hatte  er  noch  einen 
Sohn  Philetairos;  Apollodor  nennt  statt  dessen 
Nikostratos, 

2)  Die  4  zweifelhaften  Stücke  nohjatg, 
JiövvGog  pccvayog,  N^aot,  Nloßog  wurden  von 
andern  dem  Archippos  zugeschrieben;  über 
die  Gründe  dieses  Urteils  ^ibt  Vermutungen 
Kaibel,  Herm,  24  (1889)  S.  42  ff. 

^)  Ein  alphabetisches  Verzeichnis  von 
42  Stücken  im  Cod.  Ambros.  entdeckt  von 
NovATi;  vgl.  WiLAMOWiTZ,  Herm.  14,  161  ff. 
Merkwürdigerweise  fehlt  Aristophanes  unter 
den  Siegern  an  den  Dionysien;  er  errang 
unter  eigenem  Namen  nur  an  den  Lenäen 
Preise;  s.  Oehmichen,  Stz.  d.  b.  Ak.  1889. 
II,  156. 

^)  Den  Kallistratos  nennt  auch  für  die 
Janaliig  der  Anon.  de  com.;  vergl.  Schol. 
Nub.  531.     Übrigens    versteht   Arist.,   wenn 


er,  wie  Ach.  644,  vom  Dichter  jener  Stücke 
spricht,  sicher  sich  selbst,  nicht  jene  Stroh 
männer.  Die  Vita  bemerkt  weiter:  saxMnrov 
avTov  'jQiaiojvvfxög  rs  xal  'JfXEixpiccg,  rsTQädi 
Xeyoyreg  avjov  ysyovivca  xard  riijv  naQoi^iav 
(og  aXXoig  noyovpra. 

^)  Vita:  dV«  ^usv  ^iXtavl^ov  rcc  &r]fionxc<, 
dui  ds  KaXXioxQchov  rd  IdiMTixu.  Dazik 
Schol.  Nub.  531,  und  Bekgk  bei  Meineke- 
II,  916  ff.  ^  ^ 

^)  Vita:  ovdsyog  jmv  oxcvonoiiov  roXfirj- 
acivxog    ro    tiqocsmtiov    avrov    (sc.    KXs(Dvogy 
oxsvdGai,  cT/'  iavrov  jQiaxocpiprjg  vTXSXQivcao^ 
avrov  xö  TXQÖaionov  ^ilxio  /Qioag,   was    aus 
Arist.  Eq.  230  ff.  geschlossen  scheint. 

')  Dion  or.   16,  6;  Plut.  IvyxQiaig  'Aql-    I 
axocpdi'ovg  xfd  Msydi'dQov. 

^)  In  den  Handschriften  stehen  die 
Stücke    in   folgender    Ordnung:    Plut.    Nub. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     c.  Aristophanes.  (§186—188.)  251 

187.  ^AxaQiniq  ist  der  Titel  des  ältesten  der  erhaltenen  Stücke,  auf- 
geführt 425  an  den  Lenäen  durch  Kallistratos  und  mit  dem  1.  Preis  ge- 
krönt.') Auf  die  Festzeit  spielt  der  Dichter  selbst  V.  504  an:  amol  yag 
€(ffX€v  ovnl  yir^va((o  t'  aycov^  xovttco  ^svoi  itccQsiaiv.  Kleon  hatte  nämlich 
gegen  den  Dichter  Klage  bei  dem  Senat  erhoben,  weil  er  im  Jahre  zuvor 
an  den  grossen  Dionysien  in  den  Baßvlonnoi  vor  ganz  Hellas  den  Staat 
der  Athener  und  die  Beamten  desselben  lächerlich  gemacht  habe.'-^)  Den 
Namen  hat  unsere  Komödie  von  dem  Chor,  der  aus  Kohlenträgern  des 
Dorfes  Acharnä,  handfesten  vierschrötigen  Kerlen,  zusammengesetzt  war, 
zu  deren  sehniger  Kraft  trefflich  der  rasche  und  kräftige  Rhythmus  der 
Kretiker  und  Trochäen  stimmt.  Ausgangspunkt  für  den  Dichter  bildete 
der  Gegensatz  zwischen  dem  Friedensbedürfnis  der  Landleute,  die  der 
Plackereien  des  Krieges  überdrüssig  waren,  und  den  Wühlereien  der  Dema- 
gogen und  Eisenfresser  nach  dem  Schlage  des  Kleon  und  Lamachos,  deren 
Weizen  in  den  Unruhen  des  Krieges  am  üppigsten  blühte.  Repräsentant 
der  ersten  Partei  ist  der  Biedermann  Dikaiopolis,  der  durch  Amphitheos 
einen  Separatfrieden  von  den  Lakedämoniern  erhandeln  Hess  und  nun  mit 
heiterer  Lust,  wie  ehedem  im  Frieden,  seine  ländlichen  Dionysien  begeht.^) 
Verwicklung  bekommt  die  Handlung  durch  den  Chor  der  Acharner,  die  den 
Verräter,  weil  er  einen  Privatfrieden  mit  den  Feinden  der  Stadt  zu  schliessen 
gewagt,  mit  Steinen  verfolgen  und  zur  Verteidigung  auf  dem  Hackblock 
nötigen,  mehr  noch  durch  den  effektvollen  Kontrast  des  schlichten  Land- 
manns und  des  Pascha  mit  3  Rossschweifen,  des  kriegs wütigen  Lamachos, 
der  zum  Krieg  gegen  den  Einfall  der  Böotier  auszieht,  während  jener  zum 
Mahle  sich  laden  lässt,  und  schwerverwundet  auf  die  Bühne  zurückgetragen 
wird,  während  jener  nach  fröhlichem  Mahle  jubelt  und  tanzt.  Dieses  alles 
ist  belebt  durch  sprudelnden  Witz  und  ergötzlichste  Scenen,  wie  von  den 
Gesandten  der  Perserkönige,  dem  Studierzimmer  des  Euripides,  dem  Ferkel- 
verkauf der  Megarer.  Über  dem  Ernst  des  politischen  Hintergrundes,  der 
immer  wieder  und  wieder  durchbricht,  verläugnet  sich  eben  doch  nicht 
die  Ausgelassenheit  des  Dionysosfestes,  das  die  gröbsten  Zoten  hervorrief 
und  entschuldigte.'^) 

188.  Die  Ritter  {innrjq)  wurden  im  J.  424  an  den  Lenäen  vom  Dichter 
selbst  siegreich  auf  die  Bühne  gebracht,  ^)    aber  bereits    in  den  Acharnern 


Ran.,  Eq.  Ach.  Vesp.  Pac.  Av.  Thesm.  Eccl. 
Lys.  Massgebend  war  für  diese  Folge  offen- 
bar nicht  die  Abfassungszeit  der  Stücke, 
vielmehr  stehen  voran  die  3  Stücke,  welche 
den  späteren  Grammatiker  die  lesenswer- 
testen schienen,  der  Plutus  als  Vorbild  der 
neuen  Komödie,  die  Wolken  und  Frösche 
wegen  ihrer  Beziehung  zu  Euripides  und  So 


Autor  erhoben  werden;  den  Aristophanes 
belangte  Kleon  nach  Schol.  ad  Ach.  377  mit 
einer  cftxjy   '^Eviag. 

3)  Mit  einer  aller  Illusion  spottenden 
Freiheit  versetzt  Arist.  von  V.  240  an  die 
Scene  aus  der  Stadt  aufs  Land,  worüber  M. 
Haupt.  Opusc.  II,  458  ff. 

^j  Müller-Strübing  S.  498  ff.  nahm  eine 


krates;    den   Schluss   bilden    die   3   Weiber-    i    Überarbeitung  des  Stückes  an,  da  Lamachos 
komödien.  \    bald  als  Stratege,    bald   als  Lochage   (1074) 

')  Nach    dem  Argumentum    erhielt   den    j    erscheint.     Die    Hypothese    unterstützt   Zie- 


2.    Preis    Kratinos    mit    den    XetfAaCofxsyoi, 
den  3.  Eupolis  mit  den  JSov^TjvUa. 

2)  Schol.  Ach.  502.  Der  Scholiast  zu 
Vesp.  1285  bezeichnet  die  Anklageform  als 
siaay(oyij  eig  jfjy  ßov'Atji^.  Diese  Anklage 
konnte    indes    nur    gegen    den    nominellen 


LiNSKi,  Gliederung  54  ff.  durch  den  Nach- 
weis, dass  an  Stelle  der  schalen  Polterscene 
593  ff.  in  der  ersten  Bearbeitung  ein  voll- 
ständiger Agon  gestanden  habe. 

•'')  Zweiter    war    nach     der    Hypothesis 
Kratinos    mit    den    ^üxvqoi.    dritter    Aristo- 


252 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


V.  300  in  Aussiebt  gestellt.  Anlage  und  Tendenz  des  Stückes  liegen 
schon  im  Titel:  die  Elite  der  athenischen  Bürgerschaft,  die  Kitter  und 
Söhne  der  edlen  Geschlechter  hatten  dem  Aristophanes  die  Ehre  angethan, 
selbst  den  Chor  zu  bilden.^)  Das  hob  das  politische  Selbstgefühl  des  jetzt 
vor  aller  Welt  von  den  Besten  des  Staates  unterstützten  Dichters,  der  mit 
einer  unserem  Polizeiregiment  schwerbegreiflichen  Redefreiheit  nicht  bloss 
dem  Mächtigsten  des  Staates,  dem  Kleon,  rücksichtslos  sein  Sündenregister 
vorhält,  sondern  auch  dem  souveränen  Demos  unverblümt  die  bittersten 
Wahrheiten  sagt.  Auch  durch  die  Sorgfalt  der  Disposition  und  der  streng 
durchgeführten  Fabel  erheben  sich  die  Ritter  über  die  geniale  Ungebunden- 
heit  der  Acharner:  der  Demos,  ein  alter,  jähzorniger,  dem  Aberglauben 
nicht  minder  als  der  Schmeichelei  zugänglicher  Herr,  wird  ganz  beherrscht 
von  seinem  neuen  Diener  Kleon,  der  auf  jede  Weise  den  alten  Herrn  zu 
ködern  weiss  und  erst  allerjüngst  den  Feldherrn  Nikias  und  Demosthenes 
bei  Sphakteria  den  besten  Bissen  abgejagt  hatte.  In  dem  Prolog  treten 
zwei  andere  Sklaven  des  Demos,  welche  die  Grammatiker  Demosthenes 
und  Nikias  getauft  haben, ''^)  auf,  um  sich  über  ihren  neuen  Genossen,  den 
Paphlagonier,  zu  beklagen,  der  sie  durch  seine  Schmeicheleien  ganz  um  die 
Gunst  ihres  Herrn  bringe.  Ein  Orakelspruch,  wie  sie  damals  zu  Dutzenden 
bei  öffentlichen  Angelegenheiten  in  Umlauf  gebracht  wurden,  zeigt  ihnen 
den  Weg,  den  durchtriebenen  Gesellen  zu  stürzen:  sie  treiben  einen  vierten 
Sklaven,  den  Wursthändler  Agorakritos,^)  auf,  der  an  Unverschämtheit 
noch  den  Gerber  Kleon  zu  übertrumpfen  versteht  und  zuletzt  auch  von 
dem  Demos  das  Staatssiegel  {SaxTvXiov  V.  947)  eingehändigt  bekommt. 
Die  Gliederung  des  Stückes  in  Akte  ist  vermittelst  Parabasen  und  Scenen- 
wechsel  angedeutet:  zuerst  wird  Kleon  von  dem  Wursthändler  auf  offener 
Strasse  unter  lautem  Schreien  und  Toben,  aber  mit  dem  Beistand  der  Ritter, 
der  geschworenen  Feinde  des  Demagogen,  verhaftet;  sodann  berichtet  nach 
einer  Parabase  der  Wursthändler  in  einer  langen  parodischen  Rede  die 
Verhandlung  vor  dem  Senat;  darauf  folgt  die  weitläufige  Hauptverhand- 
lung vor  dem  Demos  selbst;  nach  einer  zweiten  Parabase  wird,  damit 
das  Stück,  dem  Charakter  des  Lustspiels  entsprechend,  einen  heiteren  Aus- 
gang habe,  der  Demos  von  den  beiden  Nebenbuhlern  mit  wetteifernder 
Geschäftigkeit  regaliert,  und  hält  zum  Schluss  der  Sieger  Agorakritos  als 
Repräsentant  des  neuen  Regiments  mit  dem  umgekochten  Demos  seinen 
festlichen  Einzug.  Durchwoben  ist  die  Handlung  mit  tausend  pikanten 
Einfällen  und  Witzen,  zu  denen  das  Demagogentum  der  Zeit  Stoff  in  Fülle 
bot.  Prachtstücke  sind  ausserdem  in  Rhythmus  und  Inhalt  die  lustigen 
Reiterlieder   und   die  historischen  Rückblicke  auf  die  Vorgänger  des  Dich 


inenes  mit  den  YXocfoQoi.  Von  den  Kittein 
sagt  dieselbe:  to  de  ÖQäfxa  itov  iiyav  xalöig 
iienoLTi^epiov. 

')  Dankbar  erkennt  der  Dichter  Vesp. 
1023  die  hohe  Ehre  an. 

'^)  Die  Namen  stehen  jetzt  in  den  Aus- 
gaben und  Handschriften,  sind  aber,  wie  die 
Hypothesis  lehrt,  erst  von  den  alexandrini- 
scheu  Grammatikern  eingesetzt  worden. 


^)  Name  und  Person  dieses  Rivalen  sine 
aus  der  Phantasie  des  Dichters  hervor 
gegangen ;  aber  manche  Striche  zur  Zeich 
nung  mochte  dem  Dichter  die  Figur  des 
gleichgemeinen  Demagogen  Hyperbolos  ge- 
liefert haben.  Müller-Strübing  S.  556  An, 
will  den  Namen  aus  'JyÖQarog  -f  OeoxQiroi 
herleiten. 


C.  Drama.    3.  Die  Komödie,    c.  Aristophanes.  (§  189.)  253 

ters  in  der  ersten  Parabase  (505 — 610).  Aristophanes  rühmt  sich  in  den 
Wolken  Y.  549  seines  durchschlagenden  Erfolges,  aber  der  kühne  Angriff 
auf  den  mächtigen  Lederhändler  Kleon  trug  ihm  Verfolgung  und  eine 
Klage  ein,  wie  er  in  den  Wespen  1285  ff.  andeutet.^)  Sein  Beispiel  indes 
regte  andere,  speziell  den  Eupolis  und  Hermippos,  zu  ähnlichen  Angriffen 
auf  den  Lampenfabrikanten  Hyperbolos  an.^) 

189.  Die  Wolken  (vecptXcci)  wurden  zuerst  für  die  Dionysien  von  423 
gedichtet  und  dann,  da  dieselben  eine  kühle  Aufnahme  gefunden  hatten,  ^) 
nochmals  umgearbeitet.  Diese  zweite  Bearbeitung,  die  aber  nicht  zum 
Abschluss  und  noch  weniger  zur  Aufführung  kam,  liegt  uns  allein  vor. 
Die  alten  Grammatiker  waren  im  stände,  auch  noch  die  erste  Bearbeitung 
zum  Vergleiche  heranzuziehen,'^)  und  bezeichnen  insbesondere  die  Parabase, 
in  der  sich  der  Dichter  über  die  Unbill  des  Publikums  beklagt  (518  ff.),  ^) 
den  Streit  zwischen  dem  dixaiog  und  ccdixog  Xoyog  (889 — 1104),  und  den 
Schluss,  wo  das  Haus  des  Sokrates  in  Brand  gesteckt  wird,  als  neue  Zu- 
thaten.  Das  Stück  fand,  wie  erwähnt,  bei  den  Athenern  keinen  rechten 
Anklang,  indem  die  Masse  sich  für  die  philosophischen  Grübeleien  nicht 
interessierte  und  die  Besseren  an  der  ungerechten  Verzerrung  der  Gestalt 
des  Sokrates  Anstoss  nahmen.  Der  Dichter  selbst  hingegen  hielt  dasselbe 
für  sein  feinstes  Werk,  und  die  Nachwelt  hat  ihm  insofern  Recht  gegeben, 
als  keine  andere  Komödie  in  alter  und  neuer  Zeit  mehr  gelesen  und  kom- 
mentiert wurde.  Aber  das  Interesse  knüpft  sich  mehr  an  die  welthistori- 
sche Persönlichkeit  des  Sokrates  als  an  die  poetischen  Schönheiten  des 
Stückes.  Es  können  doch  eben  die  vollständige  Verzeichnung  des  Philo- 
sophen und  die  mangelhafte  Zusammenarbeitung  der  einzelnen  Teile  nicht 
als  besondere  Ehrentitel  angesehen  werden.  Die  Wolken  also  sind  gegen 
den  Geist  der  Neuzeit  und  die  neue  Richtung  der  sophistisch-rhetorischen 
Erziehung  gerichtet.^)  Als  Repräsentanten  dieser  Richtung  stellt  Aristophanes 
den  Sokrates  hin,  lediglich  deshalb,  weil  dieser  schon  in  seiner  äusseren 
Erscheinung  eine  komische  Figur  bildete,  und  weil  unter  den  Philosophen 
seiner  Zeit  keiner  bekannter  und  einflussreicher  als  er  war.  Sokrates  also 
erscheint,  ganz  entgegen  den  Lehren,  die  er  zeitlebens  vertrat,  als  ein 
grübelnder  Naturphilosoph,  auf  einer  Schwebemaschine  nach  den  Sternen 
lugend  und  die  luftigen  Gestalten  der  Wolken  als  die  Götter  seines  Himmels 
anrufend.  Bei  ihm  sucht  ein  ungebildeter  Landmann,  Strepsiades,  den  die 
Vornehmheit  seiner  adeligen  Frau  und  die  noblen  Passionen  seines  Sohnes 
Pheidippides  in  Schulden  gestürzt  haben,  Hilfe  in  der  Hoffnung,  mittelst 
der  Kunstgriffe   der   neuen  Weisheit  sich  der  Plackereien  seiner  Gläubiger 


')  Auf  die  Klage  des  Kleoii  bezieht 
Bergk,  Kl.  Sehr.  II,  467  die  Stelle  in  Ps  - 
Xenophon  de  rep.  Athen.  2,  18. 

2)  Aristoph.  Nub.  553 ff.  Schol.  ad  Nub. 
554  führt  aus  den  Bapten  des  Eupolis  an: 
xci^sivovq  xovq  Inneag  ivy£7ioi'>]aa  reo  cpa- 
hiXQM  rovrto  xci&ioQt]ac'cjLitjy,  was  die  Alten 
auf  die  2.  ' Parabase  1288-1315  bezogen. 
Eine    Erklärung,    wie    dieses    zu    verstehen 


1.  Kratinos  mit  der  V/tTtV?/,  den  2.  Ameipsias 
mit  dem  Konnos. 

*)  Darüber  die  6.  Hypothesis  und  P]ra- 
tosthenes  in  den  Scholien  zu  V.  553.  Vgl. 
Teuffel  in  der  Ausg.  der  Wolken ;  Dindobf, 
De  Arist.  fragm.  15—23;  Zielinski,  S.  34  ft". 

■0  Ebenso  Vesp.  1044  ff. 

*^)  SüvERN,  Über  die  Wolken  des  Ari- 
stophanes, Berl.  1826;  F.  V.  Fritzsche^  De 


sei,  stellt  Kirchhoff,  Heim.  13,  287  ff.  auf.    |    Socrate  reterum  comicorum,  in  Qnaest.  Ari- 
^)  Aristophanes  erhielt  den  3.  Preis,  den    j    stoph.  p.  97-295. 


254  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

zu  entledigen.  Zuerst  tritt  er  also  selbst  in  das  Studierzimmer  ein ;  als  er 
aber  von  Sokrates  wegen  seiner  Ungelehrigkeit  und  Vergesslichkeit  davon- 
geschickt  wird,  bewegt  er  seinen  Sohn  Pheidippides,  sich  selbst  dem 
Sokrates  in  die  Lehre  zu  geben.  Dieser  zeigt  sich  denn  auch  so  gelehrig, 
dass  der  Alte  schon  über  die  langen  Nasen  seiner  Gläubigen  jubelt;  aber 
bald  muss  er  zu  seinem  Schaden  erfahren,  dass  die  Schlauheit  der  neuen 
Lehre  an  ihm  ausgeht,  indem  der  Junge  ihn  durchprügelt  und  ihm  dann 
rite  vordemonstriert,  dass  es  ganz  in  der  Ordnung  sei,  wenn  die  Alten 
von  den  Kindern  die  Prügel  der  Jugendzeit  zurückgezahlt  bekommen. 
Mit  einem  grossen  Feuerwerk,  der  Verbrennung  des  Hauses  der  Gottes- 
leugner Sokrates  und  Chairephon,  schliesst  das  Stück.  Piaton  misst  in  der 
Apologie  die  Hauptschuld  an  dem  irrigen  Urteil,  das  sich  über  Sokrates 
gebildet  hatte,  den  Komikern  bei  und  spielt  dabei  p.  19  deutlich  auf  unsere 
Wolken  an;  später  Hess  er  denselben  Aristophanes  mit  Sokrates  beim 
Symposion  gemütlich  zusammensitzen,  zum  Zeichen,  dass  er  tollen  Fast- 
nachtscherz von  gemeiner  Verleumdung  zu  trennen  wusste. 

190.  Mit  den  Wespen  {a<frjx€g),  aufgeführt  andenLenäen  422,^)  kehrte 
Aristophanes  wieder  zur  politischen  Komödie  zurück,  doch  folgte  er  in  dem 
Aufbau  des  Stücks  ganz  der  Anlage  der  Wolken,  indem  er  nur  die  Rollen 
umkehrte.  Während  dort  der  alte  Strepsiades  den  jungen  Pheidippides  in 
die  neue  Schule  einführt,  bemüht  sich  hier  umgekehrt  der  junge  Hasse- 
kleon,  Bdelykleon,  den  alten  Kleonfreund,  Philokieon,  von  seiner  Prozess- 
wut zu  heilen.  Er  sperrt  ihn  also  zuerst  peinlich  ab  und  weist  die  Richter- 
kollegen, die  ihn  früh  morgens  zum  Gerichtshof  abholen  wollen,  mit  Gewalt 
zurück.  Dann  lässt  er  ihm  infolge  eines  Kompromisses  zu  Hause  ein 
Privatgericht  herrichten,  in  welchem  der  Prozess  der  2  Hunde  ver- 
handelt wird,  der  den  Streit  des  Kleon  und  Lachest)  auf  das  witzigste 
parodiert.  In  diesem  Hauptteil  des  Stückes  herrscht  der  Ernst  der  sitt- 
lichen Entrüstung  vor,  der  sich  zunächst  gegen  ein  Erb-  und  Erzübel 
{vdaov  aQxociccv  €v  rfi  noXti  svTsroxvTav  V.  651)  des  athenischen  Volkes,  die 
durch  Erhöhung  des  Richtersoldes  von  1  oder  2  auf  3  Obole  masslos 
gesteigerte  Prozesssucht,  wendet,  daneben  aber  auch  die  spitzigsten  Pfeile 
gegen  Kleon  und  die  anderen  Volksschmeichler  richtet,  welche  die  Mara- 
thonskämpfer mit  dem  armseligen  Lohn  des  Richtersoldes  abspeisten,  um 
desto  schamloser  den  weit  grösseren  Teil  der  öffentlichen  Einkünfte  in 
ihre  Taschen  zu  schieben.  Der  Schluss  des  Stückes  ist  dann  wieder  für 
die  Freunde  der  Posse  und  der  lustigen  Kneipscenen  hergerichtet:  der  alte 
Philokieon  wird  von  seinem  Sohne,  um  gründlich  kuriert  zu  werden,  in 
ein  fröhlich 3s  Gelage  eingeführt,  wo  er  bald  seinen  mürrischen  Griesgram 
so  völlig  auszieht,  dass  er  die  schöne  Flötenspielerin  zerrt,  die  Tischgenossen 
schlägt  und  zuletzt  tanzend  und  jubelnd  mit  dem  Chor  zur  Bühne  hinaus- 
zieht. Den  Namen  hat  die  Komödie  von  dem  Chor  der  Richter,  die  wegen 
ihrer  grimmen  Härte  als  Wespen   mit  spitzem   Stachel  dargestellt  waren; 


')  Arg.    Vesp. :    Mi^dx^t^    snl    uQ^oriog 

Tid-     oXvuTTiuöt  '  ^BihsQog   rjv,    xccl    Evlxa  #t- 
'/.(üvld'rjq  llQoicyojvi.    AerxMv  IJQeaßeai  TQLTog. 


Gegen    die    Prozesssucht    waren    gleichfalls 
gerichtet  die  Prospaltier  des  Eupolis. 

^)  Dass  Ac(/7]g  unter  dem  Hundsnanien 
A((ßr]g  steckt,   vermutet  Schol.  Vesp.  832, 


C.  Drama.    3.  Die  Komödie,    c,  Aristophanes.  (§  190—192.) 


255 


begleitet  waren  sie,  da  sie  schon  vor  Tagesgrauen  zum  Richtplatz  auf- 
brachen, von  3  lampentragenden  Knaben,^)  die  am  Schluss  als  die  tanzenden 
Söhne  des  Tragödiendichters  Karkinos  wiederkehren.  Das  Stück,  wiewohl 
von  den  Athenern  nur  mit  dem  2.  Preis  bedacht,  gehört  zu  den  vorzüg- 
lichsten des  Dichters:  es  vereinigt  den  sittlichen  Ernst  des  unbestechlichen 
Politikers  mit  dem  unverwüstlichen  Humor  des  erfindungsreichen  Dichters. 
Nachgebildet  wurde  dasselbe  von  Racine  in  seinen  Plaideurs. 

191.  Der  Friede  {slQTjvri)  wurde  an  den  Dionysien  421  kurz  vor  Ab- 
schluss  des  Friedens  des  Nikias  aufgeführt  und  mit  dem  2.  Preis  bedacht.  2) 
Nach  der  3.  Hypothesis  hatten  die  alten  Grammatiker  noch  Kenntnis  von  einer 
zweiten  ElQi]vt]^  die  in  dem  Jahre  zuvor,  noch  zu  Lebzeiten  des  Kleon  ge- 
dichtet war.  Aus  ihr  scheinen  die  Verse  45  ff.  und  479  f.  zu  stammen, 
in  denen  Kleon  noch  als  lebend  gedacht  ist.^)  Unsere  Komödie  ist  ge- 
wissermassen  eine  Vorfeier  des  sicher  erwarteten  und  bald  abgeschlossenen 
Friedens.  Im  Eingang  lässt  der  Dichter  in  spasshafter  Verkehrung  des 
euripideischen ,  auf  dem  Pegasus  durch  die  Luft  reitenden  Bellerophon 
den  Trygaios  als  Repräsentanten  der  friedliebenden  Landleute  auf  dem  Mist- 
käfer gen  Himmel  fahren,  um  von  dort  die  Opora  und  Theoria  zum  lang- 
ersehnten Friedensfest  abzuholen.  Im  zweiten  Teile,  der  auf  der  Erde 
spielt,  werden  dann  die  Vorbereitungen  zum  Festopfer  getroffen  und  wird 
zum  Schluss  Trygaios  mit  seiner  Schönen  vom  Chor  unter  Hochzeitsgesang 
aufs  Land  geleitet.  Das  Stück  entbehrt  der  kunstvoll  verschlungenen 
Handlung  sowohl  als  des  lebhaften  Streites;  im  übrigen  sind  die  Freuden 
des  friedlichen  Landlebens  reizend  geschildert  (1127 — 1190),  und  hat  ge- 
wiss die  grosse  Parabase  (729— 818)  durch  die  gelungene  Verteidigung 
des  Dichters  und  die  hübsche  Aufforderung  an  die  Musen  zum  fröhlichen 
Tanzlied  ihre  Wirkung  nicht  verfehlt. 

192.  Die  Vögel  {oQvi^sg),  die  geistreichste  Schöpfung  der  aristophani- 
schen Phantasie,  erhielt  bei  ihrer  Aufführung  an  den  Dionysien  des  Jahres  414 
auffälligerweise  nur  den  2.  Preis.*)  Das  Argument  ist  gewissermassen 
der  Welt  der  äsopischen  Fabel  entnommen.  Zwei  Athener,  Euelpides, 
Hans  Hoffegut,  ^)  und  Peithetairos,  Beschwatzefreund,  des  Lebens  in  der 
händelsüchtigen  Vaterstadt  müde,  kommen  auf  Kreuz-  und  Querwegen  zum 
Wiedehopf,  dem  aus  der  Vorgeschichte  Attikas  berühmt  gewordenen  Vogel, 
um  sich  von  ihm  einen  schikanenfreien  Ort,  eine  Seligeninsel,  anweisen  zu 

,  lassen.     Aber  mit   den   vorgeschlagenen  Orten   wenig   einverstanden,    ent- 
j  schliessen  sie  sich,  bei  den  Vögeln  selbst  zu  bleiben  und  diesen  die  Grün- 
I  düng  eines   neuen  Staates   anzuraten.     Die  Vögel   gehen   auf  den   phanta- 
stischen Vorschlag  ein  und  gründen  Wolkenkuckucksheim  [NtifsXoxoxxvyia) 


')  Über  die  Anordnung  des  Chors  und 
der  begleitenden  Knaben  s.  Rice.  Arnoldt,  Die 
Chorpartien  des  Arist.,  Leipz.  1873,  Kap.  1. 

^}  Den  1.  Preis  erhielt  Eupolis  mit  den 
KoXaxeg,  den  3.  Leukon    mit    den  4>QcaoQsg. 

•^)  Stanger,  Umarbeitung  einiger  aristo- 
phanischei  Komödien,  Leipz.  1870;  Zielinski, 
Gliederung  S.  G3  ff. ;  dagegen  Müller-Strü- 
BiNG  169  f.  Fritzsche,  Quaest.  Arist.  112 
und  Stanger  glauben,  dass  die  zweite  EiQyp't] 


nur  dem  Titel  nach  von  den  reioQyoi  ver- 
schieden gewesen  sei. 

^)  Nach  der  Hypothesis  erhielt  den  1. 
Preis  Ameipsias  mit  den  Ktüfxccarat,  den 
dritten  Phrynichos  mit  dem  MovoxQonog.  In 
demselben  Jahr  Hess  Arist.  nach  dem  2.  Arg. 
den  Amphiaraos  durch  Philonides  aufführen. 

•'*)  So  übersetzt  von  Goethe  in  der  ge- 
nialen Nachbildung  des  Eingangs  der  Vogel, 
Ges.  Werke  Bd.  14. 


256  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

in  der  Luft  zwischen  Himmel  und  Erde.  Die  Gründung  der  Stadt  und  die 
bei  solcher  Gelegenheit  herkömmlichen  Zudringlichkeiten  von  Poeten,  Wahr- 
sagern, Aufsehern,  Sykophanten  werden  in  ergötzlichster  Weise  geschildert, 
ebenso  die  Verwirrung  der  Götter,  die  durch  die  neue  Vogelstadt  sich  der 
Ehren  und  Opfer  der  Menschen  beraubt  sehen,  so  dass  Zeus  genötigt  wird, 
eine  Gesandtschaft  an  den  Vogelstaat  abzuordnen,  um  einen  Modus  vivendi 
herzustellen.  Der  Pakt  kommt  unter  der  Bedingung  zu  stände,  dass  Zeus 
dem  Peithetairos  die  Basileia,  die  Personifikation  der  Weltherrschaft,  i) 
abtrete.  Das  leitet  zum  Schluss  des  Stückes,  das  in  der  Art  der  meisten 
Lustspiele  des  Aristophanes  mit  einem  Triumph-  und  Hochzeitszug  der 
Hauptpersonen,  des  Peithetairos  und  der  Basileia,  endet.  Dass  wir  hier 
ein  Meisterwerk  des  Witzes  und  der  Phantasie  voll  duftiger  Natur-  und 
Waldpoesie  vor  uns  haben,  ward  zu  aller  Zeit  anerkannt,^)  nicht  minder 
dass  in  der  utopischen  Zauberumhüllung  eine  Reihe  kräftiger  Soitenhiebe 
auf  stadtbekannte  Persönlichkeiten,  wie  den  Fresser  und  Feigling  Kleony- 
mos  (V.  289  f.),  den  von  Schmeichlern  und  Weibern  ausgebeuteten  Kallias 
(285  ff.),  den  Geometer  und  Kalenderverbesserer  Meton  (992  ff.),  den  Dithy- 
rambendichter Kinesias  (1373  ff.)  u.  a.  abfallen.  Aber  über  die  Tendenz 
der  Gesamtkomödie  hat  man  viel  gestritten.  Süvern^)  wollte  in  ihr  eine 
bis  ins  Einzelnste  durchgeführte  Allegorie  auf  die  Begebenheiten  der 
Zeitgeschichte  finden;  umgekehrt  leugnete  Droysen  in  seiner  Über- 
setzung des  Aristophanes  jede  tiefere  Tendenz  und  sah  in  dem  Stück  nur 
ein  harmloses  Spiel  der  Phantasie  nach  Art  des  Sommernachtstraumes. 
Die  Wahrheit  liegt  in  der  Mitte  und  ist  trefflich  entwickelt  von  Bur- 
sian,'^)  der  dem  poetischen  Spiel  sein  volles  Recht  lässt  und  in  den 
Hauptträgern  der  Handlung  keine  Verspottung  bestimmter  Individuen 
annimmt,  aber  doch  dem  Dichter  die  Absicht  zuschreibt,  dem  atheni- 
schen Volk  in  der  tollen  Projektenmacherei  des  Peithetairos  und  der 
raschen  Erwärmung  der  Vögelschar  für  abenteuerliche  Pläne  einen  Spiegel 
der  eigenen  Leichtgläubigkeit  und  maulaufsperrenden  Gedankenlosigkeit 
vorzuhalten. 

193.  Die  AvcnaTQccTrj,  aufgeführt  an  den  Lenäen  411,^)  ist  die 
älteste  der  erhaltenen  3  Weiberkomödien  unseres  Dichters.  Dieselbe  ist 
benannt  nach  der  Hauptperson,  welche  in  einer  Versammlung  von  Frauen 
aus  allen  Teilen  Griechenlands  den  Vorschlag  macht,  die  Männer  dadurch 
zum  Frieden  zu  zwingen,  dass  sie  ihnen  den  Beischlaf  kündigen,*^)  infolge 
dessen  es  denn  auch  wirklich  nach  allerlei  obscönen  Zwischenfällen  zur 
Versöhnung  der  Lakedämonier  und  Athener  kommt.  Eine  Parabase  fehlt? 
der  Chor  ist  wie  in  Schillers  Braut  von  Messina  in   2  feindliche  Parteien, 


^)  Müller-Strübing,  Jahrb.  für  Phil. 
121,  104,  schliesst  aus  V.  1738  im  Zusammen- 
hang mit  Aesch.  Eum.  827,  dass  unter  der 
{kcaileia  die  Stadtgöttin  Athen  gemeint  sei. 
Dagegen  Cäsar,  Ind.  leet,  Marb.  1881. 

'^)  Arg.  I:  To  dQccfia  tovto  tmu  ayav 
övvaziog  7isrioLt]fMsviüv.  Eine  ähnliche  Idee 
hatte  indes  schon  Pherekrates  in  seinen 
'  4yoioi   durchgeführt. 

^)  SüYERN,    über    Aristophanes'    Vögel, 


Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1827. 

■*)  BuRSiAN,  Über  die  Tendenz  der  Vögel 
des  Arist.,  in  Stzb.  d.  b.  Ak.  1875  S.  375  ff. 

'^)  Arg.  Lys. ;   eine  Angabc   des  Preises] 
und  der  Mitbewerber  fehlt. 

ß)  Ähnliche  Situation  von  burgbesetzen- 
den Frauen  aus  altfranzösischen  und  mitte; 
hochdeutschen  Stoffen  weist  nach  Jak.  Grimi 
Kl.  Sehr.  V,  408  ff. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     g.  Aristophanes.  (§  193.)  257 

die  der  Frauen  und  die  der  Grreise,  geteilt.  Die  lüsternen  Einfälle  und 
unflätigen  Witze  des  Stückes  waren  nur  im  Theater  zu  Athen  denkbar, 
wo  die  Männer  unter  sich  waren  und  auch  die  Frauenrollen  von  Männern 
gespielt  wurden.  Unter  diesen  Voraussetzungen  ist  aber  auch  unerreicht 
die  Scene  des  stanzengeplagten  Kinesias  und  der  den  Mann  mit  ergötz- 
lichsten Ausflüchten  hinhaltenden  Myrrhine  (845—979). 

Die  QsapioifOQicc^ovaai^  aufgeführt  in  demselben  Jahr,i)  giud  gegen 
Euripides  gerichtet,  dessen  neumodische  Manier  schon  in  den  Acharnern 
die  Zielscheibe  des  beissenden  Spottes  unseres  Dichters  gebildet  hatte.  Das 
dreitägige  Fest  der  Thesmophorien  zu  Ehren  der  Demeter  war  ausschliess- 
lich für  Frauen  bestimmt;  zum  Thesmophorion,  dem  Ort  der  städtischen 
Feier  am  Abhang  der  Akropolis,  hatte  kein  männliches  Wesen  Zutritt. 
Gelegentlich  dieses  Festes  also  lässt  Aristophanes  die  Frauen  den  Plan 
fassen,  den  Euripides,  den  grossen  Verleumder  ihres  Geschlechtes,  in  die 
Acht  zu  thun.  Euripides,  der  von  der  Sache  Wind  bekommen,  sucht  zu- 
erst den  eleganten  Liebling  der  Frauen,  den  Dichter  Agathon,  und  als 
dieser  sich  nicht  dazu  hergeben  will,  seinen  Schwager  Mnesilochos  2)  zu 
bewegen;  sich  als  Frau  verkleidet  in  die  Weiberversammlung  einzuschleichen 
und  seine  Verteidigung  zu  führen.  Der  Aufgabe  entledigt  sich  Mnesilochos 
mit  Witz  und  Geschick,  vornehmlich  durch  den  Nachweis,  dass  die  Frauen 
thatsächlich  noch  viel  wollüstiger  und  schlechter  seien,  als  Euripides  sie 
dargestellt  hatte.  Aber  während  so  der  Anschlag  trefflich  abzulaufen  be- 
ginnt, kommt  plötzlich  die  Verlegenheit  durch  die  Anzeige  des  Kleisthenes, 
dass  sicherem  Vernehmen  nach  ein  als  Frau  verkleideter  Mann  sich  ein- 
geschlichen habe.  Die  Anwesenden  werden  unter  allerlei  zotigen  Witzen 
untersucht,  und  Mnesilochos  nach  vergeblichem  Sträuben  als  Mann  erkannt. 
Der  Bösewicht  soll  durch  einen  skythischen  Polizisten  (ro^oirryg)  verhaftet 
und  vor  die  Prytanen  geführt  werden;  da  gelingt  es  noch  den  erfinderi- 
schen Listen  des  Euripides,  sich  mit  den  Frauen  abzufinden  und  den  Mnesi- 
lochos seinem  Wächter  zu  entreissen.  Die  Stärke  der  Komödie  liegt  in 
der  Parodie  des  Euripides  und  Agathon,  wobei  der  geschniegelte  und  ge- 
bügelte Weiberpoet  Agathon  mit  seinen  gedrechselten  und  verschnörkelten 
Versen  noch  schlechter  wegkommt  als  der  erfindungsreiche  Weiberfeind 
Euripides.  Die  Chorlieder  sind,  wie  bei  der  Situation  des  Stückes  erklär- 
lich, ganz  anderer  Art  als  in  den  anderen  Komödien;  sie  enthalten  herr- 
liche Tanzlieder  zu  Ehren  der  Götter,  in  denen  aber  gewiss  auch  die  Parodie 
eine  grosse,  nur  uns  bei  der  Magerkeit  der  Scholien  wenig  mehr  erkenn- 
bare Rolle  spielt.  Das  Stück  fand  solchen  Anklang,  dass  Aristophanes 
später  noch  ein  zweites  Stück  gleichen  Namens  folgen  liess.  Dasselbe 
war  keine  Überarbeitung  unserer  Komödie,  sondern  ein  ganz  neues  Stück, 
das,  wie  man  aus  der  Sprecherin  des  Prologs,  Kalligeneia,  erkannt  hat, 
am    vierten    oder  letzten  Festtage   spielte,   während  unsere  Thesmophoria- 


')  Nach    Schol.    Thesm.    190;    Andere,  Titel    hatten    die    'J^tavid^ovaca    des   Phile- 

woiunter  Hanow,    Exerc,  crit.   in   com.    gr.  tairos. 

82  ff.,  RiTscHL,  Opusc.  I,  429  plädieren  für  ^)  Der  Name  ist  nicht  genannt,  indem 
410;  eine  Didaskalie  zu  dorn,  wie  es  scheint,  !  die  Person  nur  als  xy&earijg  EvQtnldov  ein- 
weniger gelesenen  Stück  fehlt.     Verwandten  ,    geführt  wird;  s.  Hiller,  Herrn.  8,  449  f. 

Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII      2.  Aufl.  17 


258 


Griechische  Litteraturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 


zusen  auf  den  dritten  Festtag  fallen.  Mit  Bezug  darauf  hat  der  Gram- 
matiker Demetrios  aus  Trözen  nach  Athen,  p.  29a  die  zweiten  Thesmophoria- 
zusen  QsafxoifOQidaaaai  getauft.^) 

Die  'ExxXrjaid^ovaai,  nach  dem  peloponnesischen  Krieg  im  Jahre  889 
(nach  anderen  392)  aufgeführt,  ^)  sind  ein  loser  Schwank,  der  allerdings 
auch  aus  den  politischen  Zeitverhältnissen  erwachsen  ist,  aber  ganz  der 
ätzenden  Schärfe  persönlicher  Persiflage  entbehrt.  Denn  die  Angriffe  auf 
die  neuerungssüchtige  Gesetzgebung  (V.  813  ff.),  den  korrumpierenden  Ein- 
fluss  des  Ekklesiastensoldes  (308  ff.),  das  Demagogentum  des  Agyrrios 
(102.  184)  sind  alle  so  zahm,  dass  sie  selbst  unsere  Theaterzensur  passieren 
könnten.  Der  Schwank  zerfällt  in  zwei  locker  verbundene  Abschnitte.  In 
dem  ersten  ziehen  Frauen  als  Männer  verkleidet  mit  Stiefeln  und  Schnurr- 
bärten  in  aller  Frühe  in  die  Volksversammlung  (SxxXrjcria),  um  durch  ihre 
Wortführerin  Praxagora  den  Beschluss  durchzusetzen,  dass  die  Angelegen- 
heiten der  Stadt,  nachdem  die  Männer  alles  schlecht  gemacht,  nunmehr 
den  Frauen  überlassen  werden.  Im  zweiten  Teil  treten  dann  die  Frauen 
mit  ihren  weltverbessernden  Ideen  der  Güter-  und  Weibergemeinschaft 
heraus,  machen  aber  gleich  bei  dem  ersten  Versuch  der  Durchführung 
ihrer  Prinzipien  glänzend  Fiasko,  teils  infolge  der  Schlauheit  einzelner 
Bürger,  die  mit  der  Auslieferung  ihres  Vermögens  an  den  Gesamtstaat 
zurückhalten,  teils  und  mehr  noch  infolge  der  Geilheit  der  alten  Weiber, 
welche  von  der  Bestimmung  der  Männergemeinschaft  zunächst  für  sich 
Vorteil  zu  ziehen  suchen.  Die  sozialistischen  und  kommunistischen  Ideen 
des  aristophanischen  Weiberstaates  haben  vieles  mit  der  Republik  Piatons 
gemein;  aber  ob  Aristophanes  dieselben  aus  Piaton  entnommen  und  mit 
seiner  Komödie  eine  Satire  auf  den  Staat  des  Piaton  habe  schreiben  wollen, 
ist  fraglich.  3)  Nicht  nur  fehlt  jede  Anzüglichkeit  auf  Philosophen,  wiewohl 
der  Dichter,  wenn  derartige  Lehren  von  einem  Philosophen  bereits  auf- 
gestellt worden  wären,  sich  schwerlich  die  Gelegenheit  der  Philosophen- 
verspottung hätte  entgehen  lassen;^)  auch  die  Chronologie  macht  Schwierig-i 
keit:  die  uns  erhaltene  Politeia  des  Piaton  in  10  Büchern  ist  zweifelsohne] 
weit  später  ediert  worden,  und  ob  die  angebliche  ältere  Ausgabe  in  2  Buchen 
in  so  frühe  Zeit  hinaufgerückt  werden  dürfe,  lässt  sich  bezweifeln.  Das] 
Wahre  an  der  Sache  wird  also  sein,  dass  infolge  der  allgemeinen  Ver- 
armung der  Bürger  nach  dem  peloponnesischen  Krieg  kommunistische] 
Ideen  in    den  Köpfen   der  Bürger  spukten,   und  dass  dieselben  zuerst  dei 


^)  Das  Verhältnis  klar  gelegt  von  Fritz- 
scHE  in  Ausg.  (1838);  vgl.  A.  Mommsen, 
Heortologie  S.  301  ff.  Dagegen  Zielinski 
79  ff. 

'^)  Auf  das  Jahr  392  führt  die  Angabe 
des  Philochoros  zu  V.  193.  Götz,  De  tempo- 
ribus  Eccles.  Aristoph.  in  Act.  Lips.  11,  335  ff. 
verwertet  die  geschichtlichen  Verhältnisse  für 
das  Jahr  389  und  erklärt  den  Irrtum  des  Phi- 
lochoros daraus,  dass  Demostratos,  unter  dem 
nach  der  verlorenen  Didaskalie  das  Stück 
gegeben  Avorden  sei,  Ol.  97,  3  und  96,  4.  Ar- 
chon    war.     Die    Winterzeit_,    in    welche   die 


Lenäen  fallen,  ergibt  sich  aus  V.  289. 

^)  Bergk,  Comment.  p.  81 :  locupletis-' 
simus  auctor  Aristophanes,  qui  in  Eccle^ 
siazusis  ipsam  hanc  doctrinam,  quam  JPlato, 
in  Ulis  lihris  proposuit,  scite  exagitat  ipsum- 
que  etiani  Platonem  ohscurato  quidem  no 
mine  {'jQLfftvXkog  für  nXchotv  6  ^Agloxcovog) 
ohiurgat.  Ebenso  Meineke,  Hist.  crit,  com. 
I,  288.  Dagegen  Susemihl,  Plat.  Phil.  II, 
1.  296  ff. 

^)  Der    Ausdruck     cpiX6ao(poq     cpQovxig 
V.  571   beweist  nichts  dagegen. 


C.  Drama.     2.  Die  Komödie,     c.  Aristophanes.  (§  194.) 


259 


geniale  Komiker  zu  einem  drolligen  Schwank  benützte   und  dann  der  tief- 
sinnige Philosoph  in  ein  durchdachtes  System  brachte. 

194-.  Die  Frösche  (ßdvQccxot),  an  den  Lenäen  405  aufgeführt,  wurden 
nicht  bloss  mit  dem  1.  Preis  gekrönt,  sondern  auch  mit  einem  so  ausserordent- 
lichen Beifall  aufgenommen,  dass  sie  zu  einer  zweiten  Aufführung  kamen  ^) 
und  der  Dichter  ihretwegen  mit  einem  Zweig  des  heiligen  Ölbaums  bekränzt 
wurde.  2)  Stoff  bot  dem  Aristophanes  und  in  merkwürdiger  Übereinstimmung 
zugleich  seinem  Rivalen  Phrynichos  der  kurz  zuvor  eingetretene  Tod  der 
beiden  grossen  Tragiker  Sophokles  und  Euripides.  Es  standen  die  grossen 
Dionysien  bevor  und  jeder  Theaterfreund  fragte  sich  besorgt,  was  wird  jetzt 
mit  dem  dramatischen  Agon  werden,  w^o  die  grossen  Meister  zu  den  Seligen 
gegangen  sind  und  nirgends  ein  Ersatz  sich  zeigen  will.  Da  macht  sich 
also  der  Gott  Dionysos  mit  seinem  Diener  Xanthias  auf  den  Weg,  um  den 
Euripides  wieder  aus  der  Unterwelt  heraufzuführen. 3)  Bei  Herakles,  der 
dereinst  den  Kerberos  aus  dem  Hades  geholt  hatte,  holen  sie  sich  Rat 
und  steigen  dann  bei  dem  melitischen  Thor,  wo  Herakles  einen  Tempel 
hatte  und  sich  zugleich  der  Eingang  zu  einer  Begräbnisstätte  befand,  in 
die  Unterwelt  hinab.  Nach  der  Fahrt  über  den  Styx  und  nach  allerlei 
Fährlichkeiten  kommen  sie  in  der  Behausung  des  Hades  gerade  zu  der 
Zeit  an,  wo  zwischen  Aischylos,  der  bisher  den  tragischen  Thron  inne  ge- 
habt hatte,  und  dem  neuangekommenen  Euripides,  der  jetzt  auf  denselben 
Anspruch  erhob,  sich  ein  Streit  entsponnen  hatte.  Sofort  wird  das  Schieds- 
richteramt dem  Dionysos  zugewiesen;  der  zugleich  den  Sieger  mit  in  die 
Oberwelt  hinaufzunehmen  verspricht.  Der  berühmte  Streit,  von  Aristo- 
phanes nach  sorgfältiger  Disposition  und  mit  feinster  Komik  durchgeführt,'*) 
bildet  für  uns  gewissermassen  den  Kanon  des  ästhetischen  Urteils  über 
das  Verhältnis  der  grossen  Tragiker  zu  einander.  Aristophanes  steht 
natürlich  auf  Seiten  des  Aischylos,  des  Vertreters  der  alten,  ehrbaren  Zeit; 
aber  so  schonungslos  er  auch  die  Erniedrigung  der  tragischen  Kunst  durch 
Euripides  geisselt,  so  lässt  er  doch  auch  dem  Sophisten  unter  den  Dichtern 
Gerechtigkeit  widerfahren,  indem  er  schliesslich  sein  Urteil  über  die  Ver- 
dienste beider  in  den  schönen  Vers  (1413)  zusammenfasst:  tov  ^tv  ydq 
iiyoviiai  (focpöv,  to)  d'  ridofxcci.  In  noch  ehrenderer  Weise  drückt  er  sich 
über  den  edlen,  milden  Charakter  des  Sophokles  aus,  der  in  seiner  Be- 
scheidenheit gar  keinen  Anspruch  auf  den  Thron  erhoben  hatte,  von  Aischylos 


^)  Arg.  1 :    To    6e    dQcifia    rioy    stJ   ndvx^    I 

KofAAtoy  Tov  fX6T(c  ^AvTiyev)]  (^id  4>i'Aiovi^ov 
sig  Arjvcaci  '  nQiorog  tjv,  dei'iEQog  4>Qvvt/og 
Movaaig,  Wkchiop  jQixog  KlEO(f<avii  .  o'vtü)  di 
ix^avfxuadr]  to  d^äfÄCc  öid  rrju  ev  aihw  nagd- 
ßaaiv  (cft«  xriv  Eig  Jl'dov  xcitctßaaiP  corr. 
Weil),  waxE  xcd  ((yE&Ldd^&f]. 

^)  Vit.  Arisi,  wo  die  Auszeichnung  spe- 
ziell auf  die  Partie  toV  lEgoy  /ogov  dixcaoy 
noXhc  /QtjGxd  xrj  noXsi  av^nagaLVEiv  xx'k. 
(V.  68G)  zurückgeführt  wird.  Spuren  einer 
Diorthose  versuchen  nachzuweisen  Stanger 
[  a.  0.  6  ff.,  ZiELTNSKi  a.  0.  150  ff. 


^)  In  dieser  Erfindung  war  dem  Aristo- 
phanes teilweise  Eupolis  vorausgegangen,  der 
in  den  Jrjfxoi  die  grossen  Staatsmänner  wie- 
der von  den  Toten  hatte  auferstehen  lassen, 
worüber  Meineke,  Hist.  crit.  com.  126  f. 

^)  In  jenem  Streit  enthält,  um  das  ge- 
legentlich zu  bemerken,  das  berühmte  Xi]- 
xvOiov  unoJlE'JEv,  womit  die  Eintönigkeit  der 
euripideischen  Verse  verspottet  wird,  einen 
Anklang  an  den  Paroden  Hegemon,  von  dem 
es  in  Paroem.  gr.  I,  40G  heisst:  'HyrjfÄOjy  6 
Gdaiog,  otiÖxe  tiuqm^mv  ccnogriaEiE,  nQOGExi&Ei: 
X(d  xo  TiEgdtxog  axilog. 


260 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


aber  beim  Weggehen  zu  seinem  Vikar  eingesetzt  wurde.  Jener  Wettstreit 
der  Tragiker  bildet  den  Mittelpunkt  und  für  uns  den  hauptsächlichsten 
Anziehungspunkt  des  Dramas;  aber  dem  Umfang  nach  nimmt  er  kaum 
die  Hälfte  der  Dichtung  ein.  Aristophanes  trug  eben  auch  in  unserer 
Komödie  dem  Geschmack  des  gewöhnlichen  Publikums  Rechnung,  wie 
gleich  in  der  Eingangsscene,  wo  der  als  Herakles  mit  Keule  und  Löwen- 
fell bekleidete  Weibergott  Dionysos  und  sein  auf  dem  Esel  reitender  und 
das  Gepäck  gleichwohl  auf  dem  Rücken  tragender  Diener  Xanthias  Pracht- 
figuren bilden,  ferner  beim  Eingang  in  die  Unterwelt,  wo  die  Köchinnen  ein 
Zetergeschrei  über  den  vermeintlichen  Vielfrass  Herakles  erheben  und  der 
finstere  Unterweltswächter  Aiakos  den  Dionysos  und  seinen  Begleiter  Spiess- 
ruten  laufen  lässt,  endlich  am  Schluss,  wo,  um  den  Ernst  des  Streites  zu 
verwischen,  Pluton  den  Theatergott  und  Theaterdichter  zum  Abschied  be- 
wirtet. Aber  auch  der  politische  Charakter  der  alten  Komödie  ist  nicht 
ganz  ausser  acht  geblieben;  er  drückt  sich  in  zahlreichen  derben  An- 
spielungen aus,  besonders  aber  in  der  auf  die  Aussöhnung  der  Parteien 
bezüglichen  Parabase  (675 — 737),  die  bei  dem  athenischen  Theaterpublikum 
ganz  besonderes  Gefallen  fand.  Den  Namen  hat  indes  unsere  Komödie 
nicht  von  dem  Chor  der  Eingeweihten  (^varai),  welcher  diese  Parabase 
vorträgt,  sondern  von  dem  lustigen  Nebenchor  der  Frösche,  welche  mit 
ihrem  ßQexsxsat^  xoa§  xoa^  die  Überfahrt  des  Gottes  über  den  See  der 
Unterwelt  begleiten.^) 

195.  Der  üXovtoc,  ist  in  der  uns  erhaltenen  zweiten  Fassung  388 
aufgeführt  worden,  nachdem  der  erste  Plutos  bereits  408  über  die  Bretter 
gegangen  war.  2)  Im  Geiste  der  mittleren  Komödie  ist  hier  an  die  Stelle 
der  persönlichen  Persiflage  eine  allegorische  Fabel  vom  Gott  des  Reichtums 
getreten.  Der  Chor  ist  so  gut  wie  ganz  verschwunden;  einen  schwachen 
Nachklang  bildet  die  nach  Motiven  des  Dithyrambus  eingelegte  Neckscene 
zwischen  der  herbeigerufenen  Schar  der  Armen  und  dem  Sklaven  Karion 
(V.  288 — 321). 3)  Von  der  Politik  hält  sich  der  Dichter  ganz  fern  und 
führt  nur  einmal  (V.  176)  ganz  nebenbei  einen  Seitenhieb  auf  den  Dema-j 
gogen  Agyrrios.  Hingegen  gaben  auch  im  Plutos,  wie  in  den  kurz  zuvor 
aufgeführten  Ekklesiazusen,  die  sozialen  Zustände  dem  Dichter  den  Stoff 
an  die  Hand.  Ein  verarmter,  biederer  Bauer,  Chremylos,  der  sich  auf  des 
Orakels  Rat  dem  Gefolge  des  blinden  Plutos  angeschlossen  hatte,  heilt  mit 
seinem  verschmitzten  Sklaven  Karion  den  Gott  von  der  Blindheit,  indem 
er  ihn  im  Asklepiostempel  durch  den  köstlich  verspotteten  Humbug  des 
Traumschlafes  kurieren  lässt.  Nun,  nachdem  der  Gott  sieht,  an  wen  er 
seine  Gaben  verteilt,  kehrt  sich  die  ganze  Welt  um:  die  Gerechten 
schwimmen  in  Überfluss,  die  Sykophanten  und  alten  Huren  kommen  in 
Not,  die  Götter  und  ihre  Priester  sind  um  die  fetten  Opfergaben  gebracht. 


i 


^)  Dem  Inhalt  nach  berührten  sich  die 
Frösche  zumeist  mit  dem  gleichfalls  nach 
dem  Tode   des  Euripides   gedichteten  FrjQv- 

2)  Der  erste  Plutos  wurde  aufgeführt  Ol. 
92,  4  nach  Schol.  ad  Flut,  173;  über  die  Zeit 
des   zweiten   belehrt   Arg.  IV,   wonach  Mit- 


bewerber waren  Nixo/aQt]g  Aäxiaaiv,  \4qi- 
axofxivrjg  ^JJ/uiJTio,  J^iyocpiov  'JdcSyiifi,  ^JX- 
xaiog  naaicpäri.  Der  erste  Plutos  war  wahr- 
scheinlich ganz  verschieden;  s.  Kock  zu  den 
Fragmenten  desselben. 

^)  Pauseausfüllende  Musikstücke  müssen 
eingelegt  gewesen  sein  V.  627  und  958. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     c.  Aristophanes.  (§  195-197.) 


261 


Zum  Schluss  wird  der  vergötterte  Plutos  auf  der  Burg  in  dem  Opisthodom 
der  Göttin  Athene  aufgestellt,  zum  guten  Augurium  für  die  Stadt,  damit 
es  dem  dort  aufbewahrten  Staatsschatz  nie  an  Gold  und  Geld  fehle. 
Das  alles  ist  recht  hübsch  und  mit  feinem  Verständnis  der  sozialen  Ver- 
hältnisse *)  dargestellt,  aber  ohne  die  jugendliche  Keckheit  ausgelassenen 
Witzes. 

196.  Von  den  verlorenen  Komödien  seien  hier  noch  erwähnt:  die 
Nrj(foi,  in  denen  das  Glück  des  Friedens  gepriesen  war  und  von  denen 
eine  Stelle  (fr.  1)  Horaz  in  der  hübschen  2.  Epode  auf  die  Freuden  des 
Landlebens  nachgeahmt  hat ;  der  'AiKfidqaog,  eine  Komödie  der  Wunderkuren, 
welche  in  dem  gleichen  eTahr  wie  die  Vögel  (414),  als  durch  das  Gesetz  des 
Syrakosios  die  Freiheit  der  politischen  Komödie  eingeengt  war,  über  die  Bretter 
ging;  die 'OAx«()Vg,  in  denen  Aristophanes  dieselbe  Tendenz  wie  in  dem  Frieden 
verfocht;  die  Jga^ara  i]  Ksvrccvgog  und  jQaf^iaza  rj  Nioßog,  in  welchen  der 
Handel  des  lophon  mit  seinem  Vater  Sophokles  vorgekommen  zu  sein  scheint; 2) 
die  TayrjvKTTai  und  der  T()i(fähjg,  in  welchen  Stücken  Alkibiades  und  seine 
lustige  Gesellschaft  die  Kosten  des  Spieles  tragen  mussten;  das  Alter 
(Fr^Qac),  worin  die  Greise  nach  Art  der  Schlangen  die  alte  Haut  abgeworfen 
hatten  und  sich  wie  mutwillige  Jungen  geberdeten;  der  rrjQvvddrjg,  der 
sich  im  Inhalt  mit  den  Fröschen  berührte;  endlich  die  Störche,  die  Da- 
naiden,  der  Daidalos  u.  a. 

197.  Zum  Schluss  noch  einige  Bemerkungen  über  den  Kunstcharakter 
und  den  Stil  des  Aristophanes.  Die  Kunst,  die  ein  Komödiendichter  in 
erster  Linie  haben  muss^  die  Kunst,  seine  Zuhörer  und  Leser  zum  Lachen 
zu  bringen,  besass  unser  Dichter  in  eminentem  Masse.  Über  das  ganze 
Repertoire  von  Scherzen,  Bummelwitzen  {ßoifioloxia),  Zoten,  Verhöhnungen, 
unerwarteten  Ausgängen  {nagd  TCQoaöoxiav),  Parodien,  Anspielungen  ver- 
fügte er  mit  souveräner  Herrschaft.  Die  Schwächen  der  menschlichen 
Natur,  insbesondere  die  Nacktheiten  des  Geschlechtstriebes  bei  Männern 
und  Frauen,  hat  er  nicht  minder  wie  die  lächerlichen  Auswüchse  des 
gesellschaftlichen  und  staatlichen  Lebens,  die  Aufgeblasenheit  der  Empor- 
kömmlinge, die  noblen  Passionen  der  adeligen  Jünglinge,  die  Durchtrieben- 
heit der  Sklaven,  den  Humbug  und  Eigennutz  der  Wahrsager  für  seine 
Stücke  verwertet.  In  Erfindung  lustiger  und  burlesker  Scenen  zeigt  er 
eine  geradezu  unerschöpfliche  Originalität;^)  auch  da,  wo  der  Ernst  der 
Situation  und  die  Subtilität  des  Themas  die  Heiterkeit  fröhlicher  Scenen 
auszuschliessen  schien,  hat  er  wenigstens  zum  Schluss  durch  irgend  einen 
Aufzug  oder  einen  lustigen  Schmaus  dafür  gesorgt,  dass  die  Zuschauer 
nicht  mit  sauertöpfischer  Miene  nach  Hause  gingen.     Aber   so   hoch    auch 


')  Sehr  hübsch  setzt  die  Penia  V.  507— 
609  auseinander,  wie  nicht  der  Reichtum, 
sondern  sie,  die  Armut,  die  treibende  Macht 
im  Staate  sei,  ohne  die  alles  in  träges  Schla- 
raffenleben verfallen  würde.  Das  Stück  ward 
im  Mittelalter  am  fleissigsten  gelesen,  wes- 
halb wir  zu  ihm  die  meisten  Scholien  haben. 

^)  Siehe  oben  §  149.  Wilamowitz,  Oh- 
''■n\  crit.  in  com.  graec.  11  ff.  bezieht  hier- 


auf das  Scholion  zu  Vesp.  60:  eV  lolg  tiqo 
Tovrov  de&iduyfxei'oig  ^Qa^aaiv  eig  xrjv  'Hqcc- 
xXeovg  fcnlrjarlciv  ■noXXd  TiQoeiQrjrcct,  wonach 
die  jQdfxaza  vor  den  Wespen  oder  vor  422 
aufgeführt  worden  seien. 

'■'')  KocK,  Aristophanes  als  Dichter  und 
Politiker,  Rh.  M.  39,  118-  140.  Arist.  selbst 
Nub.    747 :    <iXX'   üel    xairdg    t&eag   siacpeQtov 


262 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


die  witzige  Ader  und  die  derbe  Natürlichkeit  unseres  Aristophanes  anzu- 
schlagen sind,  die  Hauptsache  waren  sie  bei  ihm  nicht.  Eine  höhere  sitt- 
liche Tendenz  zieht  sich  durch  alle  seine  Komödien:  er  wollte  das  Gemeine 
und  Verkehrte  dadurch  austreiben,  dass  er  es  lächerlich  machte;  das 
horazische  ridentem  dicere  verum  stand  ihm  überall  obenan ;  ^)  ja  er  ging 
selbst  hie  und  da  über  die  Grenze  des  poetischen  Spieles  hinaus  und  stellte 
mit  sittlicher  Entrüstung  direkt  ohne  die  Beihilfe  des  Lächerlichen  die 
Gemeinheit  von  Sykophanten  und  politischen  Gaunern  an  den  Pranger. 
Die  Grundsätze,  die  er  auf  solche  Weise  durch  seine  Komödien  zur  Geltung 
zu  bringen  suchte,  betrafen  teils  die  Politik,  teils  die  Poesie  und  Erziehung; 
die  Kunst  und  die  Künstler  Hess  er  unberührt,  wie  sich  auch  umgekehrt 
die  Kunst  um  seine  Komödien  nicht  gekümmert  hat.  In  der  Politik  neigte 
er,  wie  Kratinos  und  die  meisten  Dichter  der  attischen  Komödie,  zur 
Friedens-  und  Ordnungspartei  und  vertrat  den  Standpunkt  der  ehrenfesten 
Aristokratie.  Nikias,  Theramenes,  Kritias,  Alkibiades  blieben  so  gut  wie 
ganz  verschont, 2)  die  Ochlokratie  und  das  damit  verbundene  Demagogen- 
tum  des  Kleon,  Hyperbolos,  Agyrrios  haben  an  ihm  den  galligsten  Gegner 
gefunden.  3)  In  dieser  Stellungsnahme  berührte  er  sich  mit  dem  aristo- 
kratischen Philosophen  Piaton,  der,  wie  man  sich  erzählte,  dem  Tyrannen 
Dionysios,  als  er  die  Staatsverfassung  der  Athener  kennen  lernen  wollte, 
die  Dichtungen  des  Aristophanes  übersandte.^)  In  der  Poesie  zeigte  er 
sich  gleichfalls  als  einen  Freund  der  alten  Zeit:  Aischylos  war  sein  über- 
schwenglich gepriesenes  Ideal,  ^)  die  ganze  Lauge  seines  Spottes  ergoss 
er  über  die  neumodische  Richtung  des  Euripides;^)  von  ihm.,  dem  beliebten 
Dichter  der  Jugend,  fürchtete  er  zumeist  einen  schlimmen  Einfluss  auf  das 
Volk,  ihn  verfolgte  er  daher  über  das  Grab  hinaus  mit  erbarmungslosem 
Spott.  Mehr  nur  nebenbei  werden  die  Schnörkel  des  weichlichen  Agathen 
und  die  ätherischen  Tiraden  des  Dithyrambendichters  Kinesias  verhöhnt. 
Seine  Feindseligkeit  gegen  Euripides  hing  mit  seiner  Abneigung  gegen  die 
ganze  Richtung  der  modernen  Erziehung  zusammen:  die  alte  Thatkraft, 
Schlichtheit,  Frömmigkeit  wollte  er  genährt  sehen,  wenn  er  auch  selbst  als 
Spassmacher  sich  gelegentlich  über  die  Göttermythen  lustig  machte ;  von  den 
Wortverdrehungen  der  Rhetorik,  den  Spekulationen  und  den  Trugsätzen 
der  Sophistik  befürchtete  er  den  Ruin  seines  Vaterlandes.  In  seinem 
eigenen  Felde,  der  komischen  Poesie,  war  er,  im  Bewusstsein  seiner 
Kraft,  gegen  seine  Rivalen  nichts  weniger  als  rücksichtsvoll;  dafür  hat 
Kratinos  ihm  den  Spott  über  die  ausfallenden  Saiten  seiner  Leier  (Eq.  531 — 6) 


^)  Ach.  500:  To  ydg  ^Ixuiov  oids  xal 
r^vyiodla. 

2)  Auf  Alkibiades  wandte  er  in  den 
Fröschen  1432  den  berühmten  Ausspruch 
des  Aischylos  an:  ov  XQV  '^^optog  axvfxpov 
iv  nöXei  XQecpsiv,  rjy  d"  ixzQaq^fj  rig,  roTg 
TQonoig  vn7]QSTsTv.  Vermutlich  gingen  auf 
den  Alkibiades  der  Triphaies  und  die  Ta- 
genistai. 

^)  Vesp.  1043  preist  er  sich  selbst  als 
a'As^lxaxou  rrjg  /oigag  rtjaös  xa&aQT^y. 

^)  Vit,    Arist. :     (paol     de    xcd    Tlhh^va 


Jioyvalü)  TW  rvQäyyo)  ßovXt]%96yn  ^aS^sTv  rtji 
' A&rjvciLMv  TToXirsLCip  nifixpai  rrji^  'Jqlgto- 
(pävovg  nolr]Giv. 

^)  Hennig,    Aristoplianis    de    Aeschyli 
poesi  iudicia,  Lips.  1878. 

^)  W.  Ribbeck,  Die  dramatischen  Paro- 
dien, in  der  Ausg.  der  Acharner;  van  dk 
Sande  Bakhüysen,  De  parodia  in  comoediis 
Aristophaneis,  Utr.  1877.  Über  nichtattische 
Ausdrücke  in  den  Parodien  s.  Rutherford 
Zur  Gesch.  d.  Atticismus  in  Jhrb.  f.  Phil 
Suppl.  XIII,  384---99. 


C.  Drama.    3.  Die  Komödie,    c.  Aristophanes.  (§  198.)  263 

in  dem  nächsten  Jahre  mit  seiner  „Flasche"  gut  heimgezahlt,  und  Eupolis 
ihm  den  Vorwurf  des  litterarischen  Diebstahls  (Nub.  554)  in  seinen  Bdittat 
mit  Bitterkeit  zurückgegeben.  ^) 

198.  In  dem  Aufbau  und  der  Ökonomie  seiner  Komödien  erhob  er 
sich  wohl,  wenn  wur  seiner  eigenen  Darlegung  im  Frieden  V.  748  ff.  glauben 
dürfen,  hoch  über  die  Possenreissereien  der  älteren  Schule;  aber  die  Kunst 
spannender  Anlage  und  geschickter  Verschlingung  war  erst  den  Dichtern 
der  neuen  Komödie  vorbehalten.  Der  ganze  Charakter  des  ausgelassenen 
Karnevalspieles  vertrug  sich  nicht  mit  der  Feinheit  einer  regelrechten 
Disposition.  Nur  wo  musikalische  Rücksichten  mit  in  Frage  kamen,  finden 
wir  bei  ihm  eine  merkwürdige  Strenge  des  symmetrischen  Baues,  und  zwar 
nicht  bloss  in  lyrischen  Gesängen,  sondern  auch  in  parakatalogisch  vor- 
getragenen, aus  anapästischen,  trochäischen,  iambischen  Tetrametern  be- 
stehenden Partien.  2)  Von  den  beiden  Bestandteilen  des  antiken  Dramas 
weiss  man  nicht,  welchen  man  bei  Aristophanes  höher  stellen  soll,  ob  den 
leichtfliessenden,  spannenden  Dialog,  oder  die  melodischen,  wechselreichen, 
tiefste  Empfindung  und  schwungvollste  Kraft  atmenden  Chorgesänge.  In 
der  Regel  preist  man  die  letzteren  mehr,  weil  man  so  etwas,  wie  die 
aristophanischen  Parabasen  in  anderen  Litteraturen  nicht  hat.^)  Aber  auch 
abgesehen  von  den  Parabasen  entwickelt  Aristophanes  in  den  Chorpartien 
eine  ausserordentliche  Kunst;  weit  inniger  wie  bei  den  Tragikern  bleibt 
der  Chor  mit  der  Handlung  und  dem  Spiel  auf  der  Bühne  in  Kontakt, 
weit  grösseres  Leben  entfaltet  er  in  sich  selbst  dadurch,  dass  er  sich  bald 
in  Halbchöre  und  Reihen  auflöst,  bald  alle  einzelnen  Choreuten  hinter- 
einander zu  Wort  kommen  lässt.^)  Dem  Dialog  wie  den  Chorpartien  aber 
gibt  einen  besonderen  Reiz  die  korrekte  Schönheit  des  sprachlichen  Aus- 
drucks und  der  leichte  Fluss  des  Verses.  In  der  Sprache  eignete  sich 
Aristophanes  von  Euripides  den  gerundeten  Ton  der  gebildeten  Umgangs- 
sprache an."^)  Bei  den  Grammatikern  galt  er  als  Muster  des  reinen  Atti- 
kismus,  welchen  er  auch  bei  dem  grösseren  Reichtum  seiner  in  den  ver- 
schiedensten Lebenssphären  sich  bewegenden  Sprache  vollständiger  als  die 
Tragiker  und  Sokratiker  zum  Ausdruck  brachte.^)  Im  Versbau  steigt  er 
einerseits  durch  den  freien  Bau  des  Trimeter  zur  Lässigkeit  der  Umgangs- 
sprache herab  und  erhebt  er  sich  anderseits  durch  die  befiederten  Anapästen 
und  energischen  Kretiker  zu  kühnem  Fluge,  "^j  Die  Kola  der  lyrischen 
Gesänge  aber  gehen  alle  leicht  ins  Gehör,  so  dass  wir  auch  nach  dem  Ver- 
luste der  Melodien  ihre  melodische  Schönheit  leicht  herausfühlen.  Die  Natur 
der  altattischen  Komödie  bringt  es  mit  sich,  dass  die  Jugend  an  unseren 
humanistischen  Gymnasien   nicht   mit   der   aristophanischen   Muse  vertraut 


')  S.  oben   §  188;    vgl.    Clemens   Alex,    i   mantischen    Oedipus    und    im    engeren    An- 


strom.  VII,  763:  Jlhhoji'  6  xcofiiy.og  xccl 
' jQiarocfdvtjg  ev  zm  JcciduXo)  rd  c'cX?.7]X(oy 
vfpaiQovvxai. 


schluss  an  Aristophanes  von  Richter  in  den 
^Insg,  Koxxvysg,  Xeh&öyeg  nachgeahmt. 

*)  R.  Arnoldt,  Die  Chorpartien  bei  Ari- 


'^)  Vieles    der  Art    ist    erst    in    unserer  i    stophanes  scenisch  erläutert,   Leipz.  1873. 
Zeit  erkannt  worden,  worüber  meine  Metrik,  ■')  Vgl.  »S.  232  An.  4. 

2.  Aufl.,  S.  602  ff.  «)  Vgl.  S.  244  An.  2. 

^)  Nur  in   unserer  Zeit  von  Platen  in  i  ^)  Nach  Aristophanes  ist  in  der  Metrik 

der   Verhängnisvollen   Gabel   und   dem    Ro-  |   der  anapästische  Tetrameter  benannt. 


264 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode, 


gemacht   werden   kann;    aber  Griechenland    und   Athen    kennt   nicht,   wer 
nicht  diesen  ungezogenen  Liebling  der  Grazien  gelesen  hatJ) 

Die  Scholien,  zu  Plut.  Nub.  Ran.  Pac.  reichhaltig,  zu  Lys.  Thesm.  Eccl.  ganz  spär- 
lich, bestehen  in  vTTo&eaeig,  vnofxvrjfiara  und  metrischen  Analysen.  Die  ersten,  in  ver- 
schiedenen Fassungen  auf  uns  gekommen,  gehen  auf  Aristophanes  Byz.  und  Dikäarch 
zurück.  Die  metrischen  Analysen  rühren  von  dem  Metriker  Heliodor  her.  An  der  Exe- 
gese und  Kritik  beteiligten  sich  Aristophanes  Byz.  und  dessen  Schüler  Kallistratos, 
Aristarch,  Didymos  und  die  Pergamener  Herodikos  und  Asklepiades.  Die  Re- 
daktion der  alten  Scholien  erfolgte  durch  Phaeinos  und  Symmachos  nach  der  Sub- 
scriptio  zu  Nub.  u.  Pac;  von  diesen  lebte  Symmachos  um  100  n.  Chr.  (s.  Wilamowitz 
Eur.  Heracl.  I,  179  f.),  Phaeinos,  ein  elender  Skribent,  jedenfalls  später,  vielleicht  erst  im' 
Beginne  des  Mittelalters.  Vgl.  0.  Schneider,  De  veterum  in  Aristopli.  schoUorum  fontibus, 
Stralsund  1838;  R.  Schnee,  Ein  Beitrag  zur  Kritik  der  Aristophanes-Scholien,  Berlin 
1879;  Thiemann,  Heliodori  colometria  Aristoph.,  Halle  1869.  Manche  der  alten  Scholien 
sind  besser  im  Suidas  erhalten,  worüber  0.  Buenger,  De  Arist.  apud.  \Suidam  rell.,  in 
Diss.  Argent.  1,  149  ff.  —  Aus  dem  Mittelalter  ist  der  Kommentar  des  Eustathios  verloren 
gegangen;  die  Prolegomena  in  Aristoph.  von  Tzetzes,  welcher  Plut.  Nub.  Ran.  Av.  kommen- 
tierte, publizierten  aus  Cod.  Ambros.  222  Keil,  Rh.  M.  6,  108  ff.,  Ritschl,  Op.  I,  197  ff., 
Nauck,  Lex.  Vind.  233  ff.  Ausserdem  haben  wir  verwässerte  Scholien  von  Thoraas 
Magister  und  Triklinios.  Gesamtausg.  der  Scholien  von  W.  Dindorf,  Ox.  1858,  3  vol., 
und  DüBNER,  Par.  1842;  Martin,  Les  scoUes  du  manuserit  d' Aristophane  ä  Ravemie, 
Paris  1882,  wozu  ergänzende  Berichtigungen  von  R.  Scholl,  Sitzb.  d.  bayer.  Ak.  1889, 
II,  39-46. 

Codices:    Ravennas   180   s.  XI  mit  Scholien;   Venetus  474   s.  XII    ohne  Ach.  Eccl. 
Thesm.  Lys.,   mit  Scholien,  welche  die  Lücken  des  Ravennas  ergänzen.     Zur  2.  Klasse  ge- 
hören Paris.  2712  s.  XIII  (A);  Laur.  31,  15  s.  XIV  (r),  wozu  die  Ergänzung  der  Leidensis  9  J 
bildet.     Ein  paar  Blätter  aus  dem  Altertum,    Verse   der   Vögel   enthaltend,   sind   publiziert  I 
von  Weil,  Rev.  de  phil.  VI,  179.    Kritischer  Apparat  in  den  Sonderausgaben  von  Blaydes  I 
und  Ad.  v.  Velsen  (von  letzterem  nur  erschienen  Eccl.  Eq.  Plut.  Ran.  Thesm.). 

Ausgaben:  ed.  princ.  Aid.  1498  ohne  Lys.  Thesm.,  besorgt  von  Musurus;  die 
11  Stücke  vereint  Bas.  1532.  —  Ausg.  mit  Kommentar  von  Küster,  Amstel.  1710  (mit 
PJmendationen  Bentley's);  von  Brunck,  Argent.  1781.  —  Weitläufige  Hauptausg.  von 
Invernizzi,  fortgesetzt  von  Beck  und  Dindorf,  Lips.  1794  —  1826,  13  vol.  —  Textausg. 
von  Meineke,  Lips.  1860;  von  Blaydes,  Hai.  1886,  2  vol.  mit  Conspectus  codicum  et 
praecipuarum  editionum.  —  Ausgewählte  Komödien  (Wolken,  Ritter,  Frösche,  Vögel)  mit 
erklärendem  Kommentar  von  Kock,  bei  Weidmann.  —  Acharn.  ed.  Elmsley,  2.  Aufl., 
Lips.  1830;  von  Alb.  Müller,  Hann.  1863;  von  Blaydes,  Halle  1887;  von  W.  Ribbeck, 
griech.  u.  deutsch,  Leipz.  1864.  —  Ritter  von  W.  Ribbeck,  griech.  u.  deutsch,  Berl.  1867.  — 
Wolken  von  F.  A.  Wolf  mit  metrischer  Übersetzung,  Berlin  1812;  von  CI.  Hermann, 
Lips.  1830;  von  Teuffel-Kähler,  Leipz.  (1867)  1888.  —  Ran.  emend.  et  comment.  Fritz- 
sche,  Turici  1845.  —  Wespen  und  Frieden  von  Jul.  Richter,  Berl.   1858.   1860. 

Erläuterungsschr. :  Beer,  Über  die  Zahl  der  Schauspieler  bei  Arist.,  Leipz.  1844.  — j 
Chr.   Muff,  Vortrag   der   chorischen    Partien    bei   Arist.,   Halle    1872;    besser   R.  Arnold 
Die    Chorpartien    bei    Arist.,   Leipz.    1873.  —  Übersetzung    mit    Erläuterungen   von    J.   G. 
Droysen,  Berl.   1835  (1869),  neueste   wohlfeile  Ausg.  1871.  —  Ein   Lexikon  wird  erwartet 
von  Bachmann;  vorerst  hilft  Jacob,  Comicae  dictionis  index,  in  Meineke  Fragm.  com.  t.  V. 


I 


d.  Mittlere  und  neue  Komödie.  2) 

199.    Der  alten  Komödie  wurde  nach  dem  peloponnesischen  Krieg  in 

doppelter  Weise  der  Boden   unter   den  Füssen  entzogen.     Die  eine   deutet 

Horaz  an,  wenn  er  in  der  Ars  poet.  284  von  dem  Chor  der  Komödie  sagt: 

turpiter  obticuit  suhlato  iure  nocendi.'^)     Das   Recht  des    Spottes  liess   sich 


^)  So  nennt  Goethe  unsern  Aristophanes 
im  Epilog  der  Vögel,  Ges.  W.  14,  116;  Bergk 
nennt  irgendwo  die  ältere  attische  Komödie 
den  Höhepunkt   der  griechischen  Poesie. 

'-)  Grauert,  De  mediae  Graecorum  co- 
moediae  natura,  Rh.  M.  a.  F.  II,  50  ff.; 
0.  RibBECK,  Über  die  mittlere  und  neue 
Komödie,  Leipzig  1857.  In  den  Kanon  auf- 
genommen waren  von  den  Dichtern  der  mitt- 


leren Komödie  Antiphanes  u.  Stephanos  (nach 
Lex.  Bodl. :  Antiphanes  u.  Alexis),  von  denen 
der  neuen  Philemon,  Menander,  Diphilos, 
Philippides,  Poseidippos,   Apollodoros. 

^)  Den  Unwillen  über  die  Ausschreitun- 
gen der  politischen  Redefreiheit  der  Komiker 
spricht  Isokrates  de  pace  14  und  ad  Nicocl. 
2,  44  aus,  den  über  die  persönlichen  Verun- 
glimpfungen Piaton  in  der  Apologie. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     d.  Mittlere  und  neue  Komödie.  (§  199  -  200     265 


zwar  so  rasch  die  Komödie  nicht  nehmen;  sie  rieb  sich  an  den  Dichtern 
und  Musikern,  nachdem  sie  die  Archonten  und  Beamten  aus  dem  Spiel 
lassen  musste;  aber  die  Feinheit  ästhetischer  Ausstellungen  konnte  doch 
nicht  den  Widerhall  finden,  wie  die  kecken  Angriffe  auf  die  leitenden 
Staatsmänner.  Die  zweite  Schädigung  ging  von  der  finanziellen  Lage  des 
Staates  und  der  Beschränkung  der  Ausgaben  für  den  Chor  aus.  Um  für 
3  Schauspieler  an  2  Festen  des  Jahres,  den  Lenäen  und  Dionysien,  zu 
sorgen,  dazu  reichten  immer  noch  die  Mittel  des  Staates  leicht  aus;  aber 
um  an  einzelne  Bürger  wiederholt  die  Zumutung  der  Choregie  zu  stellen, 
dazu  waren  die  Vermögens  Verhältnisse  der  athenischen  Bürgerschaft  zu 
sehr  herabgekommen.  Da  die  für  die  Existenz  des  Staates  notwendigsten 
Leistungen,  wie  die  Trierarchie,  nur  mit  Mühe  aufgebracht  werden  konnten, 
so  musste  man  sich  in  den  Luxusausgaben,  wie  eine  die  Choregie  war, 
notwendigerweise  Beschränkungen  auferlegen.  Dithyramben  konnten  nun 
einmal  nicht  ohne  Chöre  aufgeführt  werden;  aber  in  der  Tragödie  und 
Komödie  hatte  sich  der  den  Schauspielern  zufallende  Teil  so  sehr  ent- 
wickelt, dass  man  sich  mit  einem  geringeren  Chorapparat  begnügen,  ja 
des  Chors  zur  Not  ganz  entraten  konnte.^)  In  dem  Chor  aber  und  der 
Parabase  lag  der  Schwerpunkt  der  alten  Komödie;  mit  ihrem  Wegfall 
musste  die  Komödie  entweder  ganz  verstummen  oder  eine  andere  Richtung 
nehmen.  Sie  that  das  letztere.  Die  Feinheit  des  attischen  Witzes  war 
noch  lange  nicht  erschöpft;  die  Komödie  war  darin  besser  daran  als  die 
Tragödie,  dass,  während  jene  sich  immer  in  den  alten  Mythenkreisen  be- 
wegen musste,  diese  in  den  veränderten  sozialen  Zuständen  neue  Nahrung 
fand. 2)  Sie  bequemte  sich  daher  nicht  bloss  den  veränderten  Verhältnissen 
an,  sondern  hat  sich  auch  noch  über  die  Zeit  des  Untergangs  der  helleni- 
schen Freiheit  hinaus  auf  ihrer  Höhe  erhalten.  In  der  ganzen  Anlage  und 
Diktion  aber  der  neuen  Komödie  treffen  wir  dieselbe  Vorliebe  für  das  Feine 
und  Glatte  (adrdüv  xcd  yXaifvqöv),  welche  die  plastische  Kunst  und  Malerei 
dieser  Zeit  gegenüber  dem  Erhabenen  und  Grossen  der  früheren  Kunst- 
richtungen charakterisiert. 

200.  Kunst  und  Poesie  entwickeln  und  verändern  sich  allmählich; 
es  lässt  sich  nicht  mit  Messerschneide  eine  Periode  von  der  andern  ab- 
sondern. So  hat  sich  auch  die  neue  Richtung  der  Komödie,  welche  in  der 
Beiseitesetzung  der  persönlichen  Verhöhnung  und  der  Ausbildung  der  Fabel 
beruhte,  erst  allmählich  Bahn  gebrochen.  Während  daher  die  älteren  unter 
den  griechischen  Grammatikern  nur  einfach  alte  {aq^ccict)  und  neue  {vta 
oder  TiaivrD  Komödie  unterschieden,^)  nahmen  spätere  eine  Übergangsstufe, 


^)  Schol.  Arist.  Nub.  404:  XQoyo)  tf'  oi' 
noXXo^  vorsQor  xcd  xud^dna^  nsQiElXe  Kivrjaiag 
Tag  xoQf]yiccg.  Nach  der  Vita  Aristoph.  fand 
sich  auch  in  den  Stücken  der  neuen  Ko- 
mödie, des  Philemon  und  Menander,  öfters 
die  Überschrift  Xoqov,  wie  es  scheint  zur 
Bezeichnung  der  Stelle,  wo  entweder  ein  be- 
liebiges, von  mehreren  Personen  zu  singendes 
rjesangstück  oder  ein  Zwischenspiel  des  Flö- 
tenbläsers, wie  in  Plautus  Pseudulus  573, 
einzulegen  war.     Vgl.  Aeschin.  in  Tim.  157. 


2j  Die  Lage  der  Komödie  gegenüber 
der  Tragödie  vom  umgekehrten  Standpunkt 
aus  witzig  geschildert  von  Antiphanes  fr.  191. 

^)  FiELiTZ,  De  Atticorum  comoedia  bi~ 
partita,  Bonn  1866.  Die  Unterscheidung 
von  uQ/aUi  und  xaii^rj  xcof^codia  findet  sich 
schon  bei  Aristoteles  Eth.  Nie.  IV,  14.  Der 
Name  /ueat]  Jässt  sich  erst  bei  Schriftstellern 
nach  Hadrian  nachweisen,  geht  aber  doch 
wohl  in  frühere  Zeit  zurück;  die  Zweiteilung 
weist  den  Pergamenern,  die  Dreiteilung  den 


266 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


die  mittlere  {ixeaij)  Komödie,  an  und  bemerkten  von  mehreren  Stücken  der 
alten  Komiker,  wie  von  dem  Plutos  des  Aristophanes  und  den  Odysses  des 
Kratinos,  dass  sie  im  Charakter  der  mittleren  oder  neuen  Komödie  ge- 
dichtet seien. ^)  Als  spezielle  Eigentümlichkeit  der  mittleren  Komödie  be- 
zeichneten sie  die  versteckte  Anspielung  und  die  Vorliebe  für  Parodie  und 
Verspottung  der  Dichter  und  Mythen, 2)  während  die  neuere  in  die  feine 
Zeichnung  der  Sitten  und  die  Erfindung  kunstvoll  verschlungener  Hand- 
lungen ihre  Hauptkraft  gesetzt  habe.  Beiden  gemeinsam  war  der  Mangel 
von  Chorgesängen  und  die  Einfachheit  der  metrischen  Form.  Der  fast  zur 
ausschliesslichen  Herrschaft  gelangte  Vers  war  der  iambische  Trimeter; 
daneben  trat  an  gehobenen  Stellen  der  trochäische  Tetrameter  ein;  ausser- 
dem fanden  anapästische  Dimeter  oder  Systeme  in  den  Gesangspartien, 
namentlich  der  mittleren  Komödie,  ihre  Stelle.^)  Auch  in  der  Prosodie 
und  dem  Sprachgebrauch  merkten  die  Grammatiker  manche  Abweichungen 
von  den  strengeren  Regeln  der  alten  Komödie  an.^)  Der  Zeit  nach  setzte 
man  die  mittlere  Komödie  zwischen  den  peloponnesischen  Krieg  und  den 
Regierungsantritt  Alexanders  (400—336),  die  neue  unter  Alexander  und 
die  Diadochen  (336—250). 

201.  Zur  alten  Komödie  zählten  die  Grammatiker  noch  mehrere 
Dichter,  welche  nach  ihrer  Lebenszeit  und  der  Richtung  ihrer  Poesie  der 
mittleren  näher  stunden.  Es  waren  dies  Strattis,  Theopompos,  Alkaios, 
Nikochares.  Von  Strattis  zählt  Suidas  16  Stücke  auf;  mehrere  derselben, 
wie  Mi'j6€i(x,  Tgcöilog,  (t>oiviaaai,  XqvaiTiTiog  waren  offenbar  parodischer 
Natur;  sein  Kivrjaiag  war  gegen  die  bekannte  Klappergestalt  des  Dithy- 
rambendichters Kinesias  gerichtet;  den  Maxsdorsg  rj  Uavaaviag  lag  der 
Aufenthalt  des  Agathon  und  seines  Freundes  Pausanias  an  dem  Hofe  des 
makedonischen  Königs  Archelaos  zu  gründe.  —  Theopompos  schrieb 
nach  Suidas  24,  nach  dem  Anon.  de  com.  17  Komödien;  eine  derselben, 
EiQrjvrj,  scheint,  nach  dem  gleichnamigen  Stück  des  Aristophanes  zu  ur- 
teilen, politischer  Natur  gewesen  zu  sein,  ebenso  wie  seine  Stratiotides  an 
die  Ekklesiazusen  des  Aristophanes  erinnern.  Aus  dem  'H^vxo^grjg  ist  uns 
eine  Anspielung  auf  den  Phaidon  des  Piaton  erhalten. 

Die  mittlere  Komödie  zählte  nach  dem  Anon.  de  com.  57  Dichter  und 
617  Dramen;'^)   ich   bespreche    kurz    die   namhaftesten.     Antiphanes  von 


Alexandrinern  zu  Kaibel,  Zur  att.  Kom,, 
Herrn.  24  (1889)  S.  56  ff. 

^)  Platonios  de  diff.  com.:  loiovrog  iarw 
ö  r^g  ^8arjg  xwfLKixfiag  tvnog,  oiog  sgtiv  6 
AioXoaixMv  ' jQiiTocpdi'Ovg  xal  ol  O&vaarjg 
Kq«tIpov  xal  nXeiGia  twv  TiuMaaür  dga/uaTiop. 
OVIS  }(OQLX(<  ovrs  TiicQaßdasig   s/oyra. 

^)  Die  Erfindung  einer  solchen  Hand- 
lung gehört  zum  Trhia/ja,  daher  Anon.  de 
com.  HI:  o  iTAoviog  t'SiOTSQtCei  xard  ro 
TiXdafia  '  Tt]v  re  yaQ  vno&eGir  ovx  uX7]{^i] 
Xsyei  .  .  .  Die  Lateiner  nannten  eine  solche 
erfundene  Handlung  argumentum  im  Gegen- 
satz zu  fahula. 

■^)  Die  Cantica  bestehen  aus  Monodien 
und  Duetten;  Plut.  Symp.  VH,  5.  4  stellt  die 


^sXrj  des  Menander  neben  die  des  Euripides; 
ausser  Trochäen  und  Anapästen  kommen 
noch  vor  Kretiker  bei  Eubul.  Nutr.  2,  Anax. 
Circe  9;  versus  Eupolidei  sind  nachgewiesen 
von  Meineke  I,  300  u.  442  f. 

')  Meineke  I,  294  ff. 

•>)  Noch  mehr  Stücke  (über  800)  nimmt 
Ath.  836  d  an.  39  Dichternamen  sind  er- 
halten und  aufgezählt  von  Meineke  I,  303. 
Neue  Namen  von  Dichtern  lehren  uns  die 
neuaufgefundenen  didaskalischen  Verzeich- 
nisse CIA.  II,  971 — 7  kennen.  Im  Altertum 
schrieb  Antiochos  aus  Alexandria  nsQi  riov 
SV  rfj  utöT]  x(Of4iodif<  xia^ioSovfAEvwv  noiijKoy; 
s.  Ath.  482  c. 


I 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     d.  Mittlere  und  neue  Komödie.  (§  201.)       2(37 

fremder  Herkunft  trat  Ol.  98  in  Athen  als  Komödiendichter  auf.  Ein  überaus 
fruchtbarer  Dichter  schrieb  er  260,  nach  andern  sogar  365  Komödien,  mit 
denen  er  aber  nur  13  Siege  davontrug.  Wir  haben  noch  Fragmente  von 
mehr  als  200  Stücken,  die  sich  besonders  in  der  Schilderung  von  Gastereien 
ergehen,  aber  auch  viele  hübsche  Sentenzen  enthalten.  Die  Kunst  vererbte 
sich  in  seinem  Geschlecht.  —  Anaxandrides  aus  Kameiros  in  Rhodos  errang 
nach  der  parischen  Chronik  im  J.  376  einen  Sieg  in  Athen  und  beteiligte 
sich  im  J.  348  an  den  Festspielen,  welche  König  Philipp  nach  der  Einnahme 
Olynths  veranstaltete.  0  Ein©  hübsche  Schilderung  seiner  Persönlichkeit 
hat  uns  aus  dem  Werke  des  Chamaileon  nsgl  xcofKo^iccg  Athenaios  p.  374 
aufbewahrt.  Danach  war  er  ein  schöner,  grosser  Mann,  der  die  natürliche 
Schönheit  seiner  Figur  noch  durch  langes  Haar  und  purpurnes,  mit  goldenen 
Franzen  besetztes  Gewand  zu  heben  wusste;  dabei  war  er  aber  so  heftigen 
und  hochfahrenden  Sinnes,  dass,  wenn  er  mit  einer  Komödie  durchfiel,  er 
dieselbe  nicht  umarbeitete,  sondern  als  Makulatur  zum  Einwickeln  verkaufte. 
Indes  kann  er  nicht  immer  so  gegen  sich  und  das  Publikum  gewütet  haben, 
denn  er  siegte  nur  lOmal,  hinterliess  aber  doch  65  Stücke.  Aus  seinen 
JloXeig  haben  wir  ein  hübsches  Fragment  über  die  Verschiedenheit  der 
griechischen  und  ägyptischen  Sitte,  wobei  auch  das  Schweinefleisch,  das 
der  Agyptier  nicht  isst,  dem  Griechen  aber  als  Leckerbissen  gilt,  eine  Rolle 
spielt.  In  einem  Canticum  des  Protesilaos  verspottet  er  mit  feiner  Ironie 
die  kolossalen  Zurüstungen  bei  der  Hochzeitsfeier  des  athenischen  Feldherrn 
Iphikrates  mit  der  Tochter  des  Thrakerkönigs  Kotys.  Neben  Komödien 
dichtete  er  auch  Dithyramben.^)  —  Alexis  (Ol.  97 — 123)  stammte  aus 
Thurii  in  Unteritalien;  vermutlich  war  aber  schon  sein  Vater  infolge  der 
Einnahme  der  griechischen  Kolonie  durch  die  Lukaner  (390)  nach  dem 
attischen  Demos  Oion,  den  Stephanos  Byz.  als  Heimat  unseres  Dichters 
angibt,  übergesiedelt.  Viele  seiner  Komödien,  wie  Al'acoTtog,  ^Aqyiloyog^ 
^Eke'vrj,  ^Emd  im  Grjßag,  ^Hcriovrj,  Atvog,  'OSvaa^vg,  'ÖQt'aTrjg  tragen  den 
Charakter  der  mittleren  Komödie  an  der  Stirne  geschrieben;  aber  dem 
Lebensalter  nach  ragte  er  tief  in  die  Zeit  der  neuen  Komödie  hinein.  Denn 
in  dem  Hypobolimaios  berührte  er  die  Verbindung  des  Ptolemaios  Phila- 
delphos  mit  seiner  Schwester  Arsinoe.^)  Es  hatte  sich  eben  unser  Dichter 
durch  heiteren  Witz  gesund  und  lebensfrisch  erhalten,  so  dass  er  ein  Alter 
von  106  Jahren  erreichte  und  in  seinem  Element,  auf  der  Bühne,  starb. ^) 
Komödien  hinterliess  er  nach  Suidas  245,  von  denen  einige  nach  Gellius 
II,  23  auch  in  das  Lateinische  übertragen  wurden.  Ausser  der  Parodie 
und  Philosophenverspottung  spielten  Liebesabenteuer  und  Parasitenwitze 
eine  Hauptrolle  in  seinen  Dichtungen;  die  ersteren  hatte  schon  Anaxandrides 

')  Mit  seiner   Beliebtheit    am    makedo-    !    iriutuiig   wird  bezweifelt   von  Fk.  Scholl  in 
nischen    Hofe    hängt    vielleicht    auch    seine       seiner  Ausg.  der  Capt.  p.  XVI  sq. 


häufige  Berücksichtigung  bei  Aristot,  (Rhet 
ni,  10.  11.  12;  Eth.  Nie.  VII,  11;  Eth.  Eud 
VI,  10)  zusammen. 


■')  Bergk,  Gr.  Litt.  IV,  151  lässt  die 
betreffenden  Verse  von  zweiter  Hand  zuge- 
fügt sein. 


^)  Nach    Vermutung    von    Muret    und  j  "*)  Plut.  an  seni  p.  785  b:  4>iXij^oim  t6i' 

Ladewig  sind  die  Captivi   des  Plautus  nach  j  xwtuiy.oy  xai  "AXehp  inl   j^g  <jy7]t^ijg  uyMvi- 

einem    Stücke    des    Anaxandrides    gedichtet  i  Cojueyovg     y.cd     OTecparovfx^voiK     o     'hircaog 

wegen  der  Ähnlichkeit  von  Capt.  ITl,  4.  10)^  f.  xureXcißer. 

mit  Anaxandrides  bei  Ath.  ()88b.     Die  Ver-  | 


268  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

eingeführt,  die  Erfindung  der  Parasitenrolle  galt  als  spezielle  Erfindung 
des  Alexis.  1)  Kulturhistorisch  interessant  ist  ein  längeres  Fragment  aus 
dem  'laoarccaiov  von  den  Mitteln  der  Kosmetik  und  Phelloplastik,  mit  denen 
die  Hetären  den  Mängeln  der  Natur  nachzuhelfen  wussten.  —  Andere 
Dichter  der  mittleren  Komödie  waren  Eubulos,  der  nach  Suidas  in  der 
Mitte  zwischen  der  alten  und  mittleren  Komödie  stund,  Archippos,  der 
mit  seinen  Fischen  und  dem  Plutos  in  dem  Fahrwasser  des  Aristophanes 
sich  bewegte  ^)  und  dessen  'AinfiTQimv  vielleicht  das  Vorbild  für  den  Am- 
phitruo  des  Plautus  abgab,  ferner  Araros,  Amphis,  Anaxilas,  Ephip- 
pos,  Nikostratos,  Stephanos,  Timokles,  Philetairos  u.  a.^) 

202.  Die  neue  Komödie  geht  der  Zeit  nach  über  die  Grenzen  des 
ersten  Teiles  unserer  Litteraturgeschichte  hinaus,  hängt  aber  so  sehr  mit 
der  Poesie  vor  Alexander  zusammen,  dass  sie  von  derselben  nicht  wohl 
losgerissen  werden  darf.  Ihre  Blüte  fällt  zusammen  mit  der  Zeit  der 
politischen  Ohnmacht  Griechenlands  und  des  Niedergangs  nicht  bloss  der 
öffentlichen  Freiheit,  sondern  auch  der  häuslichen  Sitte.  An  Stelle  des 
strengen  Familienlebens  war  der  Umgang  mit  feingebildeten  Hetären  ge- 
treten, an  Stelle  patriotischer  Freiheitskämpfer  die  Grossprecherei  vater- 
landsloser Söldnerführer,  an  Stelle  frommen  Glaubens  teils  beschränkte 
Gespensterfurcht  (SsiaiSaiiaoria),  teils  flacher  Atheismus.  Das  ist  der  Hinter- 
grund, von  dem  sich  das  Bild  der  neuen  Komödie  abhebt.  Von  kühnem 
Eingreifen  in  das  öffentliche  Leben  war  daher  bei  ihr  noch  weniger  als 
bei  der  mittleren  Komödie  die  Rede.  Zwar  führte  gelegentlich  noch  einmal 
Philippides  einen  kräftigen  Hieb  gegen  Stratokies,  den  elenden  Schmeichler 
des  Demetrios  Poliorketes,'*)  und  stellte  Archedikos  den  makedonischen 
Gewalthabern  zu  liebe  die  Lüderlichkeit  des  Demochares  an  den  Pranger,"^) 
aber  das  geschah  nur  selten  und  nur  nebenher.  Auch  die  Verspottung 
der  litterarischen  Ausartungen  in  Musik  und  Poesie,  welche  der  mittleren 
Komödie  noch  einigen  Stachel  gegeben  hatte,  trat  jetzt  zurück,  begreiflich, 
da  damals  in  der  Tragödie  neues  so  gut  wie  nichts  mehr  geleistet  wurde. 
Nur  die  Anmassung  und  die  finstere  Morosität  der  Philosophen  boten  noch 
den  Komikern  einige  Gelegenheit  zu  Spott  und  Hohn.^)  Im  übrigen  suchte 
die  neue  Komödie  in  ganz  anderen  Dingen  ihre  Stärke,  in  der  künstlichen 
Schürzung  und  Lösung  des  Knotens  und  in  der  Feinheit  der  Charakter- 
zeichnung. In  erster  Beziehung  war  den  Dichtern  Euripides  Vorbild,  den 
sie  auch  in  der  Einfachheit  und  Klarheit  des  sprachlichen  Ausdrucks  und 
in  der  Einlage  ethischer  Sentenzen  {yvM^ai)  nachahmten.  Die  Tragödie 
hatte  eben  früher  als  die  Komödie  die  Kunst  spannender  Fabelanlage  aus- 
gebildet; es  Hess  sich  aber  leicht  die  packende  Wirkung  von  Wieder- 
erkennungsscenen,  in  denen  Euripides  sich  als   unübertroffener  Meister  be- 


1)  Ath.  235 e;  Poll.  VI,  35.     Dass  dieses 
jedoch    mit  Einschränkung   anzunehmen  ist, 


lieh  bezeugt  in  den  Siegerlisten  der  komischen 
Dichter  CIA.  II,  971-7. 


zeigt  Meineke  I,  377.  !  ^)  Plut.  Dem.  12;  der  harpalische  Handel 


2)  Dass  die  Fische  den  Vögeln  des  Ari 
stophanes  nachgebildet  waren,  ist  gut  er- 
wiesen von  Kaibel.  Zur  attischen  Komödie, 
Herrn.  24  (1889)  S.  49  ff, 


ist  auf  die  Bühne  gebracht  von  Timokles 
bei  Ath.  341  f.;  weitere  Beispiele  gibt  Mei- 
NEKE  I.  436  ff. 

•')  Polyb.  XII,  13   und  Meineke  I,  459. 


^)  Einige    weitere  Namen   sind  urkund-   \  ^')  Philemon  schrieb  ein  Stück  ^ilöaocpoi. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,     d.  Mittlere  und  neue  Komödie.  (§  202    203.)     2ß9 


wählt  hatte,  auf  die  bürgerlichen  Verhältnisse  der  Komödie  übertragen. 
Dazu  traten  in  dem  Lustspiel  die  Motive  der  Verwechselung  von  Doppel- 
gängern und  die  kunstvoll  eingefädelte  Intrigue.  Zur  Erfindung  verwickelter, 
unerwartet  sich  lösender  Handlungen  bot  aber  das  Leben  jener  Zeit,  wo 
statt  des  Jupiter  optimus  maximus  Frau  Fortuna  herrschte  und  verschmitzte 
Sklaven  mit  verliebten  Jünglingen  gegen  die  alten  Herrn  ihre  Minen  spielen 
Hessen,  überreichen  Stoff.  Für  die  Charakterzeichnung  hatte,  von  Epi- 
charmos  und  Sophron  abgesehen,  bereits  Alexis  die  Figur  des  Parasiten, 
Timokles  die  des  eisenfressenden  Kraftmenschen  ausgebildet;  zu  ihnen 
kamen  der  abgefeimte  Sklave,  der  tölpelhafte  Bauer,  der  geizige  Alte,  der 
leichtsinnige  Sohn,  die  kokettierende  Hetäre,  der  rohe  Hurenwirt,  der  ahnen- 
stolze Aristokrat,  der  anmassende  Parvenü.  ^  In  der  zutreffenden  Zeich- 
nung und  in  der  Würzung  des  Dialogs  mit  geistreichen  Pointen  und  feinen 
Witzen  suchten  die  Dichter  das  aaxsiov  und  xofxijjov,  was  als  Hauptvorzug 
der  neuen  Komödie  galt  und  was  auch  in  den  gleichzeitigen  Werken  der 
Plastik  und  Malerei  das  Genremässige  und  Niedliche  vor  dem  Grossartigen 
und  Erhabenen  hervortreten  Hess.  Auch  aus  der  neuen  Komödie  ist  kein 
vollständiges  Originalwerk  auf  uns  gekommen,  so  sehr  auch  bis  tief  in  die 
römische  Kaiserzeit  hinein  Menander  sich  in  der  Gunst  des  Publikums  er- 
hielt. 2)  Doch  sind  wir  immerhin  bei  ihr  etwas  besser  daran  als  bei  der 
mittleren,  indem  uns  in  den  Fabulae  palliatae  des  Plautus  und  Terenz 
mehr  oder  minder  getreue  Kopien  der  griechischen  Originale  überkommen 
sind.  Griechische  Originaldichter  der  neuen  Komödien  werden  64  gezählt, 
also  weniger  als  von  der  mittleren,  dafür  aber  mehrere  ersten  Ranges. 

203.  Menandros  (342  —  291)'^)  aus  Athen  war  ein  Glückskind,  dem 
schon  mit  der  Geburt  ein  leichtes  Lebenslos  in  den  Schoss  gefallen  war.  Er 
w^ar  der  Sohn  vornehmer  Eltern :  seine  Mutter  hiess  Hegesistrate,  sein  Vater 
war  Diopeithes  aus  Kephisia,^)  sein  Oheim  Alexis,  der  gefeierte  Dichter  der 
mittleren  Komödie.  Ein  Mann  von  schönem  Wuchs  hatte  er  nur  den  Makel 
eines  schielenden  Auges.  ^)  Mit  Glücksgütern  reichlich  gesegnet,  verbrachte 
er  die  meiste  Zeit  auf  seiner  Villa  im  Piräus  im  genussreichen  Verkehr  mit 
seiner  geliebten  Glykera.*^)    Durch  seinen  Oheim  in  die  Kunst  des  Lustspiels 


^)  Typenzeichnungen  nach  der  Komödie 
sind  uns  in  Theophrasts  Charakteren  er- 
halten. Die  einzelnen  Figuren  geistreich 
entworfen  von  0.  Ribbeck,  Gesch.  der  röra. 
Dichtung  I,  63  ff.,  und  in  den  ethologischen 
Studien  über  Kolax,  Alazon,  Agroikos.  In 
der  Theatergarderobe,  wie  sie  uns  der  Lexi- 
kograph Pollux  IV,  133  ff.  beschreibt,  hatten 
dieselben  einen  stehenden  Platz,  so  dass  in 
den  Scenenüberschriften  plautinischer  Stücke 
teils  neben,  teils  statt  der  Eigennamen  der 
('harakter  der  auftretenden  Personen  {senex, 
])arasitus,  servus)  verzeichnet  ist. 

^)  Erdichtet  wohl  ist  die  Angabe  des  De- 
metrios  Chalkondylas  bei  Meineke,  Menandri 
rell.  p.  XXIX,  dass  die  byzantinischen  Kaiser 
den  Geistlichen  die  Verbrennung  der  Gedichte 
des  Menander  und  Philemon  gestatteten. 

^)  Meineke,    Menandri    et    Philemonis 


rell.,  Berol.  1823,  wo  p.  XXIII  sqq.  an  der 
Hand  des  Suidas  die  Lebensverhältnisse  dar- 
gestellt sind.  Apollodor  bei  Gellius  XVII,  4 
und  CIG.  6084  geben  dem  Menander  52  Le- 
bensjahre, indem  sie  Geburts-  und  Todesjahr 
einrechneten. 

^)  Verwechselt  wurde  derselbe  früher 
mit  dem  aus  Demosthenes  bekannten  Feld- 
herrn Diopeithes  aus  Sunion. 

^)  Suidas  sagt  von  ihm  mit  witziger  Anti- 
these ßTQCißog  rag  oxpeig,  o^vg  de  tov  vovv. 
Seine  Statue  von  Kephisodotos  und  Timar- 
chos  auf  der  beigegebenen  Tafel. 

^)  Alciphron  ep.  II,  3,  wo  von  seiner 
Berufung  durch  Ptolemaios  Soter  ausgegan- 
gen wird.  Im  folgenden  Brief  II,  4.  5  wird 
erzählt,  wie  Glykera  voll  Spannung  in  den 
Kulissen  auf  den  Erfolg  ihres  geliebten  Me- 
nander  gewartet    und    dann    ihm    wie   neu- 


270 


Griechische  Litteraturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 


eingeführt  und  im  Umgang  mit  Theophrast  und  seinem  Altersgenossen 
Epikur  ^)  philosophisch  gebildet,  errang  er  schon  im  Ephebenalter  (321  v.  Chr.) 
einen  dramatischen  Sieg.  Im  übrigen  ward  ihm  bei  der  Nachwelt  grössere 
Anerkennung  als  von  seinen  Zeitgenossen  zu  teil; 2)  denn  nur  8mal  siegte 
er,  indem  sein  Rivale  Philemon  mit  allerlei  Mitteln  besser  die  Gunst  des 
Publikums  auf  sich  zu  ziehen  verstand;^)  auch  warf  man  ihm  ein  gröb- 
liches Plagiat  vor,  da  er  nach  Caecilius  bei  Euseb.  praep.  ev.  X,  3.  13 
seinen  Jeiaidaii^icov  von  Anfang  bis  zu  Ende  dem  Olcoviarrjg  des  Antiphanes 
entnommen  haben  soll.  Aber  nach  seinem  Tode  wurde  er  der  Lieblings- 
schriftsteller der  gebildeten  Welt,  so  dass  unendlich  oft  bis  in  die  christ- 
liche Ära  hinein  von  griechischen  und  römischen  Autoren  auf  seine  Verse 
angespielt  wurde.  Hinterlassen  hat  er  nach  Apollodor  105,  nach  andern 
108  Komödien.^)  Die  Briefe  an  den  König  Ptolemaios  und  die  andern  von 
Suidas  erwähnten  Schriften  in  Prosa  werden  wohl  spätere  Fälschungen  ge- 
wesen sein.^)  Im  Lateinischen  nachgebildet  wurden  Evvovxog,  'Adslifoi^ 
'EavTov  Tii^ia)Qoi>i.i€vog,  JIsQiv^ia  und  'Avöqia  von  Terenz,  dem  dimidiatus 
Menander,  vielleicht  auch  der  Jlg  i'^anavdyv  (Bacchides),  KaQx^j66viog 
(Poenulus)^)  und  die  (DilccdsXifoi  (Stichus)  von  Plautus;^)  ausserdem  hören 
wir,  dass  von  lateinischen  Dichtern  Caecilius  Statins  die  Stücke  NavxXrjQog, 
^YnoßoXijxcciog,  nl6xio\\  XalxsTa,  Luscius  Lavinius  das  (I^dafia,  Turpilius 
den  JtjiiuovQyog,  Atilius  den  Miaoyvvrjg  unseres  Menander  übertragen  haben. 
In  der  Originalsprache  sind  zahlreiche  Fragmente  auf  uns  gekommen,  die 
noch  in  unserer  Zeit  durch  ein  von  Tischendorf  gefundenes,  losgerissenes 
Blatt   einer   Handschrift  des  4.  Jahrhunderts  vermehrt  wurden.^)     Ausser- 


belebt  um  den  Hals  gefallen  sei.  Ich  setze 
die  schöne  Stelle  gleich  griechisch  her:  tI 
yuQ  ' ASrjvca  /oiQig  Mevc'iviSQOv ;  iL  Je  Ms- 
vtiv^Qog  /loglg  rXvyJqag ;  rjXi?  avTco  xal  rd 
TTQoaajTTsTci  diaaxevciCd)  ycd  jag  ea&rjzag  ii^dvio 
xdy  toig  nciQaaxtjvioig  earrjxa  rovg  &axTvXovg 
suavr^g  nieCovaa  xcd  TQ8^ovaa,  ecxig  clv  xqo- 
ia'/.iarj  To  d^eicxQov  '  rors  vt]  rrjv  ^'jQTSfxiv 
uvaxpv^o)  xcd  nsQißdX'kovGd  ge  rrju  Isqdv 
ix6Ly7]y  x£(puXi]i^  Evuyxci)dt,ofj.ai. 

^)  Strab.  p.  638:  'EnixovQio  ovvicprjßov 
MevcivJQou.  Ganz  als  Epikureer  schildert 
den  Menander  Phaedrus  V,  1.  12:  unguento 
delibutus,  vestitu  adfluens  veniebat  gressu 
delicato  et  lanquido. 

2)  Quint.  X,  1.  69;  Dio  Chrys.  or.  XVIII. 
7;  Plut.  comp.  Men.  et  Aristoph.  p.  853; 
Anth.  VII,  370.  IX,  187;  Append.  185.286.377. 
Genannt  wird  er  6  xaXög  bei  Ath.  248 du.  364 d, 
6  /Qvffovg  bei  Themistios  or.  XX  p.  236. 

^)  Gellius  XVII,  48:  Philemonein  cum 
forte  liahuisset  obviam,  quaeso,  inquit,  Phi- 
Jemo,  bona  venia  die  mihi,  cum  me  vincis, 
non  erubescis? 

^)  Gellius  XVII,  4  und  Suidas.  Diö 
Anga]3e  des  Leo  Allatius  bei  Fabricius  Bibl. 
gr.  X,  69,  dass  im  16.  Jahrh.  noch  23  von 
Psellos  kommentierte  Stücke  des  Menander 
in  Konstantinopel  existierten,   geht   auf  die 


von  R.  Förster,  De  antiqiiitatibus  et  libris 
manuscr.  Constantino2)olitanis,  Rostock  1877, 
publizierten  Kataloge  aus  d.  J.  1565/75  p. 
20  u.  29  zurück. 

^)  In  Alexandria  wird  auf  ihn  haupt- 
sächlich der  Grammatiker  Aristophanes  auf- 
merksam gemacht  haben,  der  nach  dem  PJpi- 
gramm  CIG.  6083  ihn  zunächst  nach  Homer 
stellte. 

®)  Die  Fragmente  des  KaQ/t]d6yiog  stim- 
men indes  nicht  zum  Poenulus.  Wahrschein- 
lich hingegen  ist  auch  die  Cistellaria  des 
Plautus  dem  Menander  nachgebildet. 

^)  Die    Mostellaria    des    Plautus    führt 
Meineke,    Hist.    com.  I,  487   auf   ein   Stückj 
des  Theognetos  ^aafia  rj  4>iXdQyvQog  zurück,} 
während  Luscius  das  'Pdafxa  Menanders  be- 
arbeitet  habe.     Übrigens   schrieb   auch  Phi^ 
lemon  ein  'Pda^a,  und  dieses  wird  wohl  das 
Vorbild  des  Plautus  gewesen  sein. 

^)  Die  neuen  Fragmente  publiziert  von 
CoBET  in  Mnem.  IV,  285;  Kock,  Com.  att.  fr. 
t.  III  p.  151  ff.;  vgl.  WiLAMOWiTZ  im  Herrn. 
XI,  498  ff.  An  den  alten  hat  glänzenden  Scharf- 
sinn geübt  Bentley,  Emendationes  in  Me- 
nandrum  et  Philemonem  (1710),  neu  abge- 
druckt in  Meineke's  ilfen.  et  Phil.  rell. 
p.  435  ff. 


C.  Drama.     3.  Die  Komödie,    d.  Mittlere  und  neue  Komödie.  (§  204-205.)    271 

dem  hat  man  in  späterer  Zeit  aus  seinen  Komödien  ähnlich  wie  aus  den 
Mimen  des  Publilius  Syrus  eine  Blütenlese  von  Sentenzen  ausgezogen,  die, 
mit  fremden  Zusätzen  stark  vermischt,  als  MsvarSgov  yvwixai  ^loröatixoi 
(850  Verse)  auf  uns  gekommen  sind.^  Sonderbarer  Weise  fehlen  aber  in 
dieser  Sammlung  gerade  die  schönsten,  durch  sonstige  Citate  sicher  als 
menandrisches  Gut  bezeugten  Sprüche,  wie  xoivd  rd  zmi  (fiXo)v  (fr.  9), 
rd  xaxcog  TQtcpovra  XmqC  dvÖQSiovq  7X0i6i  (fr.  63),  to  rrj^g  tvx^^  Y^Q  QSVficc 
ftsTam'TTTsi  zaxv  (fr.  94),  6v  ot  ^sol  (fiXovaiv  dnod^vrjaxH  vt'og  (fr.  125), 
(p^siQovaiv  rjd^r]  XQ^]^^  o^iliai  xaxai  (fr.  218),  so  dass  der  neueste  Heraus- 
geber der  Fragmente  der  attischen  Komiker  die  Monosticha  gar  nicht  in 
seine  Sammlung  aufgenommen  hat. 

204,  Philemon,  Sohn  des  Dämon  (361 — 263), 2)  ward  des  zweiten 
Platzes  unter  den  Dichtern  der  neuen  Komödie  gewürdigt.^)  Als  seine 
Heimat  bezeichnen  Suidas  und  der  Anonymus  de  com.  Syrakus  in  Sikilien,^) 
während  ihn  Strabon  p.  671  den  berühmten  Männern  von  Soli  beizählt. 
Seinen  Ruhm  erntete  er  in  Athen,  wo  er  sogar  den  Menander  in  der  Gunst 
des  Theaterpublikums  ausstach.  Doch  muss  er  auch  auf  Neider  und  Gegner 
gestossen  sein,  da  er  bei  Stobaios  Flor.  40,  8  vom  Leben  in  der  Verban- 
nung spricht.  Nach  Alciphron  ep.  II,  3.  17  lebte  er  eine  Zeitlang  an  dem 
Hofe  des  Königs  Ptolemaios  in  Ägypten.  Bei  der  ägyptischen  Reise  soll 
ihm  das  Unglück  begegnet  sein,  durch  einen  Sturm  nach  Kyrene  ver- 
schlagen zu  werden  und  in  die  Gewalt  des  Tyrannen  Magas,  den  er 
früher  durch  Spöttereien  gereizt  hatte,  zu  kommen.-')  Den  Tod  fand  er 
in  hohem  Alter  mitten  im  fröhlichen  Schaffen.^)  Hinterlassen  hat  er 
97  Komödien,  von  denen  viele  schon  dem  Namen  nach  sich  mit  Stücken 
des  Menander  berühren.  Zwei,  den  'EfxrcoQog  und  OrjaavQog,  kennen 
wir  aus  den  lateinischen  Bearbeitungen  des  Plautus,  Mercator  und  Tri- 
nummus. 

205.  Diphilos  aus  Sinope,  ein  lebens-  und  wanderlustiger ')  Dichter, 
der  sich  nicht  scheute,  die  eigenen  Liebeshändel  mit  der  witzigen  Gnathaina 
auf  die  Bühne  zu  bringen,  dichtete  nach  dem  Anon.  de  com.  100  Komödien. 
In  den  Stücken,  welche  nach  ihm  Plautus  bearbeitete,  in  Casina  {KXijqov- 
fiivoi),  Rudens  und  Vidularia    (^xfJ'/«),^)   zeigt  er  sich  als  Meister  des  In- 


^)  Die  Verse  wurden  erst  allmählich 
vollständiger  bekannt.  Neue  Beiträge  gibt 
W.  Meyer,  Die  urbinatische  Sammlung  von 
Spruchversen  des  Menander,  Euripides  u.  a. 
in  Abb.  d.  b.  Ak.  XV,  397  fF.  Vgl.  Horkel, 
Die  Lebensweisheit  des  Komikers  Menan- 
der (1857),  in  dessen  Reden  u.  Abhandl. 
■^.23  fF. 

'^)  Diodor  23,  7  nach  Apollodor. 

^)  Quint.  X,  1.  72:  Philemon  consensu 
omnium  meruit  credi  secundus.  Eine  Ver- 
gleichung  desselben  mit  Menander  gibt  Apu- 
leius  Flor.  16;  darauf  stützten  Rigault  und 
Meineke  die  durch  das  Zeugnis  des  Chorikios, 
Apologia  mimorum  18,  2  unterstützte  Ver- 
mutung, dass  in  den  r^io^uat,  Meydy&Qov  xal 
'PiXiaiiioyog  (neuestens  herausgegeben  von 
Stüdemund,   Index   Bresl.    1887)   der  Name 


4>iXiaTi(üyog  an  die  Stelle  des  ursprünglichen 
^iXrjfxovog  getreten  sei;  vgl.  Kock,  Com.  gr. 
fragm.  t.  III  praef.  IV  sq. 

'^)  Ein  Stück  von   ihm   hiess   lixeXLxög. 

^)  Plut.  de  ira  p.  458a  und  449 e. 

^)  Verschiedene  Variationen  über  seinen 
Tod  bei  Ps.  Lucian  Macrob.  25;  Val.  Max. 
IX,  12;  Aelian  bei  Suidas  u.  Philemon;  Plut. 
an  seni  p.  785  b;  Apul.  Flor.  16. 

')  Gedichtet  und  gespielt  (Ath.  583  f.) 
hat  er  zumeist  in  Athen,  gestorben  ist  er  in 
Smyrna. 

^)  Die  dem  Rudens  und  der  Vidularia 
zu  gründe  liegenden  Stücke  des  Diphilos 
waren  Parallelkomödien,  worüber  Stüdemund, 
Über  2  Parallelkomödien  des  Diphilos,  Vhdl. 
d.  36.  Vers.  d.  Phil.  S.  33-42. 


Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 


trigiienspiels.  Von  seiner  Kunst  in  geistreicher  Verwicklung  der  Hand- 
lung zeugt  auch  die  Asinaria  des  Plautus,  wenn  anders  dieses  eng  an  das 
griechische  Original  sich  anschliessende  Stück  des  witzigen  Sarsinaten  nach 
unserem  Diphilos,  und  nicht  nach  Demophilos,  einem  obskuren  Dichter 
der  mittleren  Komödie,  gedichtet  ist.  ^)  In  anderen  Dramen,  wie  in  der 
Sappho,  in  der  er  mit  kühnen  Anachronismen  den  Archilochos  und  Hip- 
ponax  als  Geliebte  der  Dichterin  einführte,  schloss  er  sich  mehr  dem 
Geist  der  mittleren  Komödie  an.  Die  derbe  Prügelscene  mit  dem  Kuppler 
Sannio  in  Terenz  Brüder  II,  1  ist  aus  den  2vva7rod^vrjaxovTsg  des  Diphilos 
entnommen. 

Andere  Dichter  der  neuen  Komödie  waren  Apollo doros  aus  Ka- 
rystos,  2)  dem  Terenz  im  Phormio  (EniSi>tat,6p.8voQ)  und  der  Schwieger- 
mutter (ExvQo)  folgte;  Philippides,  der  bei  dem  König  Lysimachos  in 
hohen  Ehren  stund  und  noch  mit  altattischem  Freimut  die  Schmeichler 
des  Demetrios  Poliorketes  und  die  Geldmänner  unter  den  Metöken  anzu- 
greifen wagte ;^')  Poseidippos  aus  Kassandreia  in  Makedonien,  der  nach 
Menanders  Tod  die  attische  Bühne  beherrschte  und  dessen  Stücke  auch 
die  Lateiner  nahahmten;*)  Epinikos,  welcher  in  seinem  Mnesiptolemos 
die  Geziertheit  des  gleichnamigen  Geschichtsschreibers,  der  bei  König  An- 
tiochus  d.  Gr.  in  grosser  Gunst  stund,  mit  feinem  Witz  verspottete;  So- 
sipater  und  Euphron,  aus  deren  Komödien  Athenaios  p.  377  u.  379 
ganze  Lehrsätze  der  Kochkunst  ausgezogen  hat,  die  lebhaft  an  die  Weis- 
heit des  Catius  in  Horaz  Episteln  II,  4  erinnern;  ferner  Anaxippos, 
Archedikos,  Baton,  Eudoxos,  Damoxenos,  Hegesippos,  Hippar- 
chos,  Lynkeus,  Sosikrates,  Theognetos. 

Die  grosse  Zahl  der  Dichter  der  neuen  Komödie  und  ihre  Fruchtbar- 
keit gegenüber  den  alten  Komikern  hängt  damit  zusammen,  dass,  wie 
man  aus  den  Inschriften  über  die  Feier  der  Soterien  (Inscript.  de  Delphes 
n.  3  —  6)  sieht,  nicht  mehr  1  Komödie  3  Tragödien  gegenüberstund,  son- 
dern im  Durchschnitt  die  gleiche  Zahl  von  Komödien  und  Tragödien 
zur  Aufführung  kam.  Im  allgemeinen  blieb  die  neue  Komödie,  wenn 
auch  einzelne  Vertreter  derselben,  wie  Machon,  ihre  Stücke  auswärts 
und  namentlich  in  Alexandria  zur  Aufführung  brachten,  eine  echte 
Pflanze  des  attischen  Bodens;  dieselbe  hat  zumeist  den  Ruf  attischen 
Geistes  und  attischer  Feinheit  begründet  und  zusammen  mit  der  Philo- 
sophie Athen  bis  in  die  römische  Zeit  hinein  zur  Heimstätte  höherer  Bil-^ 
düng  gemacht. 


^)  Im  Frologus  des  Stückes  heisst  es 
nämlich  hiiic  est  nomen  graece  Onago  fa- 
hulae,  Demophilus  scvipsit,  Maccius  vortit 
harhare.  Dieses  Demopliihis  scripsit  korri- 
gierte aber  Ritschi,  Par.  Plaut.  272  in  eam 
Dijjhilus  scripsit. 

^)  Davon  verschieden  ein  älterer  Apol- 
lodoros  aus  Gela,  Zeitgenosse  des  Menander 
(Suidas). 

3)  Piut.  Dem.  12  u.  2G.  Die  Athener 
ehrten  ihn  durch  einen  im  Dioiiysostheater 
jetzt   wieder   aufgefundenen  Volksbeschluss, 


worüber  Zink  in  Eos  I,  24  ff. 

*)  Gell.  IT,  53:  comoedias  ledit^tmu.^ 
nostrorum  poetarum  sumptas  ac  versas  del 
Graecis,  Menandro  aut  Posidippo  aut  ApolA 
lodoro  aut  Alexidc.  Die  Menächmen  oder 
die  Komödie  der  Irrungen  des  Plautus  führt 
auf  AWOnoioi  des  Poseidippos  zurück  Lade- 
wig, Phil.  I,  275  ff.;  vergl.  Ribbeck,  Rom. 
Dicht.  I,  125.  Die  sitzende  Statue  des  Po- 
seidippos neben  der  des  Menander  ward  aus 
den  Thermen  des  Diokletian  (jetzt  im  Vati- 
kan) hervorgezogen;  s.  Tafel. 


1.  Anfänge  der  Prosa.  (§  206-207.)  273 

II.  Prosa. 
1.  Anfänge  der  Prosa. 

206.  Es  entspricht  dem  naturgemässen  Gang  der  griechischen  Litteratur, 
dass  die  Prosa,  für  welche  der  Ausdruck  löyoq  sich  im  alten  Homer  noch 
gar  nicht  findet,  i)  erst  nach  der  Poesie  hervorgetreten  ist.  Denn  das  Denk- 
vermögen, an  das  sich  vornehmlich  die  Prosa  in  ihren  verschiedenen  Formen 
wendet,  kommt  später  bei  dem  Menschen  zur  Entwicklung  als  die  in  der 
Sinnenwelt  wurzelnde  Einbildungskraft,  und  während  Lieder  sich  leicht 
von  Mund  zu  Mund  fortpflanzen,  haben  Sätze  der  prosaischen  Rede  ohne 
schriftliche  Aufzeichnung  keinen  Bestand.  Ihren  Anfang  hat  die  Prosa  in 
demselben  Land  genommen,  in  welchem  auch  die  älteste  Gattung  der  Poesie, 
das  Epos,  seine  Blüte  gefunden  hatte.  Ihre  frühesten  namhaften  Denkmale 
waren  daher  auch  in  ionischem  Dialekt  abgefasst.^)  Aber  in  der  univer- 
selleren Natur  der  Prosa  lag  es,  dass  sie,  die  nicht  für  lokale  Feste  und 
enge  Kreise  bestimmt  war,  ein  allgemeineres  Verständigungsmittel  anstrebte. 
Daher  kamen  in  der  Prosa  nicht  in  gleicher  Weise  wie  in  der  Poesie  die 
einzelnen  Dialekte  nach-  oder  nebeneinander  zur  Geltung;  vielmehr  ge- 
brauchten gleich  anfangs  auch  Nichtionier,  wenn  sie  in  Prosa  schreiben 
wollten,  den  ionischen  Dialekt,  und  kam  bald  nachher  der  verwandte  atti- 
sche Dialekt,  dessen  Klangfarbe  sich  zum  präzisen  und  energischen  Aus- 
druck der  Gedanken  am  meisten  eignete  2)  und  der  zugleich  die  Sprache 
der  tonangebenden  Vormacht  Griechenlands  war,  zur  allgemeinen,  fast  aus- 
schliesslichen Herrschaft.  In  den  Inschriften  zwar  bedienten  sich  die  ein- 
zelnen Staaten  bis  über  die  Zeit  Alexanders  hinaus  ihrer  lokalen  Dialekte, 
aber  in  der  Litteratur  spielte  die  Aeolis  gar  keine  Rolle  und  war  die  Doris 
auf  die  paar  Werke  pythagoreischer  Philosophen  und  des  Mathematikers 
Archimedes  beschränkt.'^) 

207.  Zur  Anwendung  kam  die  Prosa  zuerst  bei  den  Aufzeichnungen 
in  Stein  oder  Erz.  Bei  diesen  Aufzeichnungen,  bei  denen  es  vor  allem  auf 
exakte  Bestimmtheit  ankam,  wäre  der  poetische  Redeschmuck  und  der 
rhythmische  Satzschluss  dem  nächsten  Zweck  nur  hinderlich  gewesen.  Hier 
waren  ausserdem  der  Natur  der  Sache  nach  ganz  besonders  häufig  Eigen- 


')  Für  Rede  gebraucht  Homer  die  Aus- 
drücke fxvdog  und  eni],  das  Wort  Xoyog  steht 
nur  in  einer  interpolierten  Stelle  der  Ilias 
'>  393  und  in  der  jungen  Telemachie  a  5(5, 
au  welch  letzterer  Stelle  obendrein  Nauck 
eneaat  statt  7.6yoioi  vermutet;  häufiger  findet 
sich  das  Wort  schon  bei  Hesiod. 

'^)  Über  den  Einfluss  des  homerischen 
Epos  auf  den  ersten  Prosastil  s.  Ed.  Zarncke, 
Die  Entstehung  der  griechischen  Literatur- 
sprachen, Leipz.  1890,  S.  12  ff. 

^)  Voraus  hatte  der  attische  Dialekt  vor 
dem  ionischen  den  Dual  und  die  bestimmtere 
Scheidung  der  Relativ-  und  Demonstrativ- 
pronomina.    In  der  bündigen  Kürze  des  Aus- 


statten. Dass  die  Breitmauligkeit  des  dori- 
schen ci  sich  weniger  als  das  dünne  tj  für 
die  Schärfe  der  Dialektik  und  Schneidigkeit 
der  Rede  empfahl,  bedarf  keiner  weiteren 
Ausführung.  Vgl.  Isokrates  15,  296,  wo  er 
von  den  Vorzügen  der  Athener  spricht:  nQog 
cTe  rovToig  xcd  ii^v  rrjg  cfwvyjg  xoiv6ti]tu  xw 
fxcTQi6Ti]Ta  xcd  TTJy  uXhjy  evTQcmsXiuy  xcd 
cfiloXoylciv  ov  ^ixQÖv  rjyovvzai  av^ßccXea(^ca 
jueQog  TJQog  ttju  rioy  "koyiov  Tica^eiccv. 

^)  Dass  im  Volke  die  Dialekte  noch 
bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  gesprochen 
wurden,  bezeugt  Strabon  p.  383;  ja,  dass 
sich  dieselben  bis  ins  Mittelalter  vererbten, 
machen   die  Dialektreste   im  heutigen  Grie- 


drucks  kam  dem  attischen  Dialekt  auch  die    i    chcnland,  namentlich  im  Zakonischen,  wahr- 
strengere Durchführung   der  Kontraktion  zu    |    scheinlich. 

Haiidbiu-h  dor  klass.  AUf rt\iniswissonscliaft.   VII.    2.  Ana.  18 


274 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


namen  und  Zahlwörter  anzubringen,  die  sich  nicht  so  leicht  ohne  willkür- 
liche Umgestaltungen  der  metrischen  Form  anpassen  Hessen.  ^  In  den  in- 
schriftlichen Aufzeichnungen  also  war,  von  den  Weihinschriften  abgesehen, 
von  vornherein  die  Verslosigkeit  die  Regel.  In  diesen  hat  man  daher  auch 
die  Anfänge  der  Prosa  zu  suchen,  und  die  Inscriptiones  graecae  antiquissimae 
von  Röhl  enthalten  zugleich  die  ältesten  Denkmale  griechischer  Prosa. 
Aber  die  kleinen,  weder  durch  einen  höheren  Plan,  noch  eine  sorgsamere 
Form  hervorragenden  Inschriften  kommen  für  die  Litteraturgeschichte 
wenig  in  Betracht.  Am  ehesten  erheischen  hier  die  Aufzeichnungen 
von  historischen  Listen  und  von  Gesetzesvorschriften  eine  spezielle  Be- 
sprechung. 

208.  Listen  {drayQa(pcct)  wurden  am  frühesten  von  den  Siegern  an 
den  grossen  Nationalspielen  abgefasst.  Am  berühmtesten  waren  die  der 
Sieger  in  Olympia,  über  die  wir  die  Hauptkunde  der  'OXvinTTiddcov  dva- 
yqaifii]  des  Julius  Africanus  und  dem  Gymnastikos  des  Philostratos  ver- 
danken. Dieselben  begannen  mit  der  1.  Olympiade  oder  777/6  und  enthielten 
zu  den  13  ersten  Olympiaden  nur  die  Sieger  im  Lauf,  von  da  an  auch 
die  in  den  übrigen,  nach  und  nach  eingeführten  Arten  von  Wettkämpfen.-) 
Daneben  existierten  Aufzeichnungen  von  den  Königsgeschlechtern  einzelner 
Staaten  und  den  Successionen  der  Priester  und  Priesterinnen  berühmter 
Heiligtümer.  Dieselben  gingen  bis  in  die  mythischen  Zeiten  zurück,  be- 
ruhten aber  in  ihrem  älteren  Teil  meistens  auf  Ergänzungen,  welche  Schrift- 
gelehrte des  6.  oder  5.  Jahrhunderts  auf  Grund  müssiger  Kombinationen 
veranstalteten.  Am  ältesten  waren  die  Listen  der  Priester  innen  der 
Hera  in  Argos,  nach  denen  man,  wie  uns  Thukydides  II,  2  mitteilt,  in 
Argos,  ebenso  wie  in  Athen  nach  Archonten,  rechnete.^)  Im  CIG.  2655 
ist  uns  ein  ähnliches  Verzeichnis  von  Priestern  des  isthmischen  Poseidon 
von  Halikarnass  inschriftlich  erhalten.  Reichhaltiger  war  die  lakonische 
Chronik  (yiaxon'ixal  drayQacfai),  die  bis  in  die  Zeit  des  Agesilaos  fort- 
geführt war*)  und  ausser  den  Namen  der  Könige  gewiss  auch  die  der 
Sieger  an  dem  nationalen  Fest  der  Karneen  enthielt.  Wichtiger  noch  war 
die  sikyonische  Tafel  (tj  ^ixvcoii  dvaxsijitvrj  dvayQaiprj).  Dieselbe  ent- 
hielt nach  Plut.  de  mus.  3  die  Priesterinnen  von  Argos,  die  alten  Dichter 


^)  Im  Gegensatz  zu  den  gewöhnlichen, 
sozusagen  prosaischen  Eigennamen  sind  die- 
jenigen der  Götter,  wie  'Jg^Qodiii],  IJoasi- 
(^diop,  UnoXXojy,  ^'OXv/nnog  dem  daktylischen 
Rhythmus  angepasst;  vgl.  §  14.  Auch  in 
den  Bildungen  der  Zahlwörter  iQuiat]  und 
ißdofnurt]  statt  rgtri]  und  ißdofXT],  Eivctersg 
statt  EvvedsTsg,  rEGaccQfixovra  neben  nevit]- 
xopra  wird  man  den  Einfluss  des  dakty- 
lischen Versmasses  erkennen.  Aber  was 
sich  ein  göttlicher  Sänger,  wie  Homer,  er- 
lauben durfte,  stund  nicht  einem  beliebigen 
Steinhauer  zu,  und  was  bei  fingierten  Namen 
poetische  Weihe  gab,  das  hätte  bei  bürger- 
lichen Namen  Verwirrung  gebracht. 

2)  Nach  der  ausdrücklichen  Angabe  des 
Polybios  VI,  2  und  Euseb.  I,  194  Seh.  be- 
gannen erst  mit   der  1.  Olympiade  die  Auf- 


zeichnungen; es  ist  daher  poetische  Aus- 
schmückung, wenn  Pindar  Ol,  X  schon  bei 
Gründung  der  Spiele  durch  Herakles  Namen 
von  Siegern  im  Ringkampf,  Faustkampf  und 
Viergespann  aufführt.  Auffälliger  ist  es, 
dass  zu  Ol.  18  ein  Zweifel  über  den  Sieger 
im  Ringkampf  gelassen  war,  woraus  man 
auf  nachträgliche  Aufzeichnung  schliessen 
könnte. 

^)  Nach  Dionys,  Arch.  I,  22  ging  die 
Aufzeichnung  bis  auf  die  Zeit  vor  den  Troika 
hinauf,  d.  h.  so  weit  wurde  sie  von  Hella- 
nikos  vermittels  fingierter  Namen  hinauf- 
geiechnet. 

^)  Plut.  Ages.  19.  Joseph,  c.  Ap.  I,  4 
leugnet  geradezu  das  Vorhandensein  grie- 
chischer Städtechroniken. 


1.  Anfänge  der  Prosa.  (§  208-209.)  275 


o 


und  Musiker,  die  Könige  von  fast  1000  Jahren,  ^)  ward  aber  wahrscheinlich 
erst  um  590  unter  dem  Einfluss  des  Tyrannen  Klisthenes  angelegt.'^) 

209.  Nebst  Verzeichnissen  waren  es  Verträge  und  Gesetze,  welche 
frühzeitig    auf   festes   Material   geschrieben    wurden.     Die  Etymologie    des 
Wortes  QtjTQa,  d.  i.  Spruch,  zeigt  zwar,  dass  auch  die  Gesetze,  namentlich 
die  QTjTQai  der  Lakedämonier,  anfangs  mündlich  fortgepflanzt  wurden;  aber 
das  Wort  nahm  bald  die   allgemeine  Bedeutung   von  Gesetz   oder  Vertrag 
an,  und  so  heisst  pQäxqa  auch  der  schriftlich  abgefasste  Bundesvertrag 
der  Eleer  und  Euväer  (CIG.  11),  den  Böckh  in  die  50.  Olympiade,  neuere 
Gelehrte    erheblich   später   setzen.^)     Bis    in    den  Anfang   der    Olympiaden 
hinauf  reicht  der  zwischen  Lykurg  und  Iphitos  vereinbarte  Gottesfrieden 
(ixsxsiQicc),  den  Pausanias  V,  20.  1  auf  einem  Diskus  in  Olympia  eingegraben 
fand.     Sodann  hat  bereits  in  der  23.  Olympiade  Ono mastos  aus  Smyrna 
nach  Philostratos  Gymn.  p.  267,  27  K.  Regeln  über  den  Faustkampf  {v6f.iovg 
TTvxTixovg)    niedergeschrieben.      Die   ältesten    staatordnenden    Gesetze,    von 
denen  wir  Kenntnis  haben,  waren  die  des  lokrischen  Gesetzgebers  Zaleukos 
(662).     Von  denselben  ist  aber  nichts  auf  uns  gekommen,  da  das  bei  Sto- 
baios  Flor.  44,  20  erhaltene  Vorwort  eine  plumpe  Fälschung  ist,  die  sogar 
zu  Zweifeln  an  der  Existenz  des  Zaleukos  selbst  geführt  hat.'^)    Bestimm- 
teres  wissen   wir   von    der   athenischen   Gesetzgebung   des   Drakon    (621) 
und  Solon   (594).     Die   letztere   war  in    furchenförmiger  Schrift  auf  vier- 
eckige Holztafeln  (a^oveg  oder  xvQßeig)  geschrieben   und  auf  der  Burg  zur 
allgemeinen  Einsichtsnahme    aufgestellt.     Doch    auch   von    dieser   sind  nur 
wenige  Bruchstücke,   darunter   inschriftlich   ein  Absatz   eines  drakonischen 
Gesetzes  (CIA.  I,  61),    auf  uns  gekommen.^)     Dagegen  sind  uns  vollständig 
mehrere  Volksbeschlüsse ß)  und  die  Gesetzestafeln  von  Heraklea  (CIG. 
5774 — 5)    erhalten.     Allerneuestens   wurde   durch   Halbherr   und   Fabricius 
auch  ein  grosser  Abschnitt  des  Rechtes  von  Gortyn  ans  Tageslicht  ge- 
zogen."^)    Dasselbe  war  auf  12  Tafeln  eines  runden  Gerichtssaales  (Tholos) 
geschrieben   und   bildet   eine   äusserst   interessante  Novelle    des    Personen- 
und  Erbrechtes    der   kretischen    Stadt   Gortyn  in    dorischer   Sprache.     Die 
Rechtsbestimmungen  desselben   zeugen  von  einem  weit  höheren  Stand  der 
Kultur  als  das  römische  Zwölftafelgesetz,  indem  sie  den  Übergang  aus  dem 
ius  talionis  des  barbarischen  Faustrechtes  zur  Humanität  der  Sühnesatzungen 
repräsentieren.^)     Auch  der  Satzbau   ist  wider  Erwarten  korrekt  und  ent- 
wickelt,   so   dass  wir   es   mit  einem   litterarischen  Denkmal  nicht  aus  den 


^)  Die  Liste  der  26  Könige  in  teilweise    |  ^)  R,   Scholl,    Über   attische    Gesetzge- 


abweichender  Fassung    erhalten   durch  Pau- 
sanias II,  5.  5 — 6  u.  7  und  Eusebios  p.  11 
56  Seh. 


2)  Frick,  Jahrb.  f.  Phil.  1873,  S.  707  ff.;   [   448  ff. 


bung,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1886  S.  87-139. 

^)  Vgl.  HiNRiCHS,  Griech.  Epigraphik  im 
Handb.    d.    klass.   Altertumswissenschaft  II, 


LiJBBERT,    De    Pindaro    Clisthenis   censore, 
Bonn  1884. 

")  Kirchhoff,  Stud.  z.  Gesch.  d.  griech. 
Alph.^  p.  150  geht  auf  Ol.  70  herab. 


^)  Ausgabe  von  Bücheler  u.  Zitelmann, 
Das  Recht  von  Gortyn,  Frankf.  1885,  mit 
sachlichem  Kommentar;  von  den  Gebrüdern 
Baunack,  Leipz.  1885,  mit  sprachlichen  Er- 


*)  Von  demselben  spricht  bereits  Diodor  ;  läuterungen. 

12,  20;    vgl.   Strab.    p.    260.      Die   Existenz  1  ^)  Ein  Sühngeld  {noiv}])   für   einen  Tot- 

des  Zaleukos  leugnete  Timäus   nach  Cic.  de  '  schlag  kommt  schon  bei  Homer  -  488  vor. 

leg.  II,  6.   15.  1 

18* 


276  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Anfängen  des  Prosastils,   sondern   aus  den  nächsten  Jahrzehnten  nach  den 
Perserkriegen  zu  thun  haben. 

210.  Eine  prosaische  Litteratur  im  eigentlichen  Sinne  datiert  erst 
aus  der  Zeit,  in  der  man  förmliche  Bücher  in  Prosa  schrieb.  Ihr  Auf- 
blühen hängt  mit  der  Beschaffung  eines  leichteren  Schreibmaterials  zu- 
sammen; das  ergab  sich,  nachdem  König  Psammetich  (663 — 610)  Ägypten 
dem  Handel  der  lonier  geöffnet  hatte  und  infolge  dessen  auch  die  Ausfuhr 
der  Papyrusstauden  (ßvßXot)  oder  ihrer  bastartigen  Häute  (dältoi)  gestattete. 
Dieselben  verdrängten  rasch  das  teure  und  schwer  zu  bereitende  Material 
von  gegerbten  Ziegen-  und  Schafhäuten,  auf  das  die  Griechen  vor  Ein- 
führung der  Papyrusrollen  zu  schreiben  pflegten,  i)  Die  ersten  Schriftsteller 
in  Prosa  blühten  in  der  Mitte  des  6.  Jahrhunderts; 2)  als  solche  werden 
Kadmos  von  Milet  und  Pherekydes  von  Syros  genannt.^)  Beide  stammten 
aus  lonien  und  schrieben  daher  auch  in  dem  gleichen  Dialekt  wie  die 
epischen  Dichter,  nur  nicht  in  der  alten,  sondern  in  der  jüngeren  las. 
Pherekydes  wird  den  Philosophen  beigezählt;  sein  Ruhm,  der  erste  Pro- 
saiker gewesen  zu  sein,  gründete  sich  auf  seine  kosmogonische  Schrift 
über  die  Natur  und  Götter,^)  von  welcher  aber  schon  Diogenes  nur  durch 
Theopomp  Kenntnis  hatte.  Aber  dieselbe  ist  nicht  bloss  früh  verschollen, 
sie  hat  auch  keine  Nachfolge  gefunden ;  hingegen  schliesst  sich  an  Kadmos  , 
eine  ganze  Reihe  ähnlicher  historischer  Schriften  an,  so  dass  man  mit  \ 
Recht  in  den  Anfang  der  griechischen  Prosa  die  Geschichtsschreibung  setzt. 

2.  Die  Geschichtsschreibung/) 

a.  Die  Logog'raphen.^^) 

211.  Die  ältesten  Geschichtsschreiber  hat  man  sich  seit  Creuzer  ge- 
wöhnt mit  dem  Namen  Logographen  [XoyoyQÜqm)  zu  bezeichnen.  Die  Be- 
zeichnung ist  nicht  ganz  zutreffend,  da  der  Name  speziell  mit  der  Ge- 
schichtsschreibung nichts  zu  thun  hat  und  mehr  den  Rednern,  welche,  wie 
Lysias   für  Andere  Reden  schrieben,  zukam.')    Aber  wir  bleiben,  um  Ver- 


^)  Herod.  V,  58,  wonach  auch  die  ältesten 
Bücher  dirp^sQai  hiessen. 

^)  Diog.  I,  121  setzt  den  Pherekydes 
Ol.  59,  Eusebios  OL  60,  Suidas  Ol.  45.  Man 
ging  davon  aus,  dass  Pherekydes  etwas  vor 
Pythagoras  lebte. 

^)  Strab.  p.  18:  TjQioxiazci  i]  7ioor]Tixi] 
TiccQccaxsvrj  nciQfj'k^Ev  eig  t6  jusaoy  xcd  evdo- 
xifirjasv  '  eilet  ixsiv^ju  fiifiov/UEyot  kvaapzeg 
To  fxizQov,  xciX'ka  dh  (pvla^avxe<;  rd  noLrjnxd 
avv^yQtixpav  ol  nsQt  Kddfiov  xcd  4'€Q6xvdr] 
xul  Exurcdov.     Vgl.   Suidas  u.  4>eQ8Xv^r]g. 

^)  Dieselbe  heisst  bei  Suidas  STirdfAv/og 
(neyrefxv/og  corr.  Preller  nach  Eudemos  p. 
170  Sp.)  und  ward,  wie  man  ebenfalls  aus 
Suidas  sieht,  frühzeitig  mit  der  ®eoXoyla  des 
Pherekydes  von  Leros  verwechselt.  Vergl. 
0.  Kern,  De  Orphei  Epimenidis  Pherecydis 
theogoniis,  Berl.   1888  p.  83  ff. 

^)  G.  J.  Vossius,  De historicis  graecis  lihri 


(1623),  aiictiores  et  emendatiores  ed.  Wester- 
mann, Lips.  1838;  Creuzer,  Die  historische 
Kunst  der  Griechen  (1803),  2.  Aufl.,  Leipzig 
1845;  Ulrici,  Charakteristik  der  griech.  Hi- 
storiographie, Berl.  1833,  mit  philosophischem 
Geiste  erfasst;  C.  Müller,  Fragmenta  lii- 
storicorum  graecorum,  Paris  1841 — 70,  5  vol.; 
Schäfer,  Abriss  d.  Quellenkunde  der  griech. 
und  röm.  Gesch.  (1867),  3.  Aufl.,  Leipz.  1882; 
Herm.  Haupt,  Jahresberichte  in  der  Revue 
historique.  In  den  Kanon  wurden  aufge- 
nommen: Herodot,  Thukydides,  Xenophon, 
Philistos,  Theopomp,  Ephoros,  Anaximenes, 
Kallisthenes,  und  dann  nachträglich  noch 
Hellanikos,  Polybios. 

^)  I.  Lipsius,  Quaest.  logographicae, 
Ind.  Lips.  1886. 

')  G.  Curtius,  Über  zwei  Kunstaus- 
drücke der  alten  Litteraturgeschichte,  in  Kl. 
Sehr.  \l,  239  ff. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     a.  Die  Logographen.  (§210-212.)        277 

wirrung  zu  vermeiden,  bei  dem  herkömmlichen  Namen,  zumal  denselben 
schon  Thukydides  I,  21  auch  von  den  Vorläufern  der  Historiographie  ge- 
braucht hat  und  löyoi  schon  bei  Herodot  der  geläufige  Name  für  Geschichts- 
werk war. 

Die  Geschichtsschreibung  der  Logographen  ging  von  den  loniern 
Vorderasiens  und  der  Inseln  aus.  Dort  war  durch  das  Epos  die  Kunst 
des  Erzählens  genährt  und  der  Sinn  für  Beobachtung  der  Aussenwelt  ge- 
weckt worden;  dort  strömten  auch  am  reichhaltigsten  die  Nachrichten  über 
die  fernen  Gegenden  des  Westens  und  die  weiten  Reiche  des  Ostens  zu- 
sammen. Das  war  in  der  Natur  des  Landes  begründet,  dessen  gute  Häfen 
zur  Schiffahrt  einluden  und  in  das  die  grossen  Strassen  des  Perserreiches 
ausliefen.  Die  Logographen  knüpften,  wie  das  schon  Strabon  p.  18  her- 
vorhob, in  ihrer  ganzen  Darstellungsweise  an  Homer  und  das  Epos  an; 
sie  waren  gewissermassen  nur  Nachahmer  Homers,  Darin  wurzelte  die 
Anschauung  der  Alten  von  der  Inferiorität  der  Geschichte,  die  Aristoteles, 
Poet.  9  mit  den  vielbesprochenen  Worten  ausspricht:  (filo(So(f(ßT€Qov  xal 
(snovdmoxeQov  noiriaiq  latoQiaq  saziv.^)  Indem  also  die  Logographen  an 
die  epische  Poesie  anknüpften,  gebrauchten  sie  nicht  bloss  den  ionischen 
Dialekt  und  zahlreiche  Wendungen  der  epischen  Sprache,  sondern  be- 
trachteten auch  hauptsächlich  die  äusseren  Erscheinungen,  ohne  tiefer  den 
Zusammenhang  der  Dinge  und  Ereignisse  zu  ergründen.  Vorzüglich  be- 
schäftigten sie  sich  mit  den  Gründungen  der  Städte,  den  Genealogien  der 
herrschenden  Geschlechter,  den  Gebräuchen  und  Einrichtungen  der  einzelnen 
Völker,  den  geographischen  Merkwürdigkeiten  der  fremden  Länder.'^)  Ihre 
Bücher  wurden  früh  durch  die  kunstvolleren  und  kritischeren  Werke  der 
attischen  und  alexandrinischen  Schriftsteller  in  den  Hintergrund  gedrängt, 
so  dass  nichts  von  denselben  auf  uns  gekommen  ist.  Ich  begnüge  mich 
daher  mit  einer  kurzen  Aufzählung,  indem  ich  nach  Dionysios  de  Thuc.  5 
zwei  Klassen,  die  älteren  und  die  jüngeren  Logographen,  unterscheide. 

212.  K  ad  mos  aus  Milet  war,  wenn  anders  den  Nachrichten  über  ihn 
zu  trauen  ist,  der  älteste  der  Logographen.  Suidas  erwähnt  von  ihm  eine 
KTiaig  MiXrjtov  xal  xvg  oXr-g^Imviaq  in  4  B.,  erhalten  hat  sich  von  ihm  nichts.^) 

Hekataios,  Sohn  des  Hegesander  von  Milet,  der  bedeutendste  der 
Logographen,  lebte  in  der  Zeit  der  Perser  kriege  und  nahm  eine  hervor- 
ragende Stellung  in  seiner  Vaterstadt  ein.  Vor  dem  Ausbruch  der  Feind- 
seligkeiten mahnte  er  in  der  Bundesversammlung  der  lonier  vom  Krieg 
mit  dem  mächtigen  Perserreich  ab;*)  später  (494)  ging  er  als  Abgeord- 
neter der  lonier  zum  persischen  Statthalter  Artaphernes  und  erwirkte,  dass 
dieser  den  ionischen  Städten  ihre  Verfassung  zurückgab.  Von  ihm  existierten 
2  Werke:   rsveaXoyfai  in  mindestens  4  B.  und  ThQiodog  //yc  in  2  B.    Von 


')  Ulrici,  Charakteristik  294  f. 

'^)  Eine  gute  Charakteristik  der  Logo- 
,ii,raphen  oder  der  naXcciol  avyygacpsig  gibt 
Dionysios,  de  Thuc.  5.  6.  23. 

■')  Nach  Clem.  Alex,  ström.  VI,  p.  752 
machte  der  Prokonnesier  Bion  davon  einen 
Auszug.  Dionys.  deThucyd.  23  bezweifelt  die 
Echtheit  des  unter  Kadmos  Namen  umlaufen- 


den Werkes,  Neuere  gehen  noch  weiter  und 
glauben,  dass  die  Vorstellung,  der  Phöni- 
kier  Kadmos  sei  der  Erfinder  der  Buch- 
staben gewesen,  Anlass  gegeben  habe,  einem 
Kadmos  das  älteste  Prosawerk  zuzuschreiben ; 
dagegen  besonnene  Einwürfe  von  Kühl, 
•laiirb.  f.  Phil.  137  (1888)  S.  110  ff. 
■*)  llerod.  V,  3«;  vgl.  VI,  2  u.  5. 


278  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

dem  letzteren  Werke,  in  dem  der  Verfasser  die  reife  Frucht  seiner  aus- 
gedehnten Reisen  niederlegte  und  insbesondere  vom  Westen  Europas  ge- 
naue Nachricht  gab,  sind  uns  ziemlich  zahlreiche  Fragmente  (bei  Müller 
FHG.  I,  1 — 31;  IV,  623  u.  627)  erhalten.  Von  einzelnen  Abschnitten  des- 
selben, wie  von  denen  über  Asien  und  Ägypten,  wurde  die  Echtheit  aus 
nichtigen  Gründen  bestritten.  ^  Der  Beschreibung  in  Worten  war  eine 
Karte  (Triva'^)  beigegeben,  wie  schon  vor  ihm  der  Philosoph  Anaximander 
eine  solche  entworfen  hatte. ''^) 

Zu  den  älteren  Logographen  gehörten  ausserdem  Akusilaos  von 
Argos,  Verfasser  von  r&vsaXoy(ai^  deren  Echtheit  angefochten  wurde,  •^) 
Charon  von  Lampsakos,  dem  von  den  vielen  Werken,  die  ihm  Suidas 
beilegt,  mit  Sicherheit  nur  die  üsQaiKä  in  2  B.  und  die  ^qoi  yiafjupaxr^vMv 
in  4  B.  angehören,^)  Eugeon  von  Samos,  Verfasser  von  'S2qoi,  2a^iaxoi^^) 
Dionysios  von  Milet,  der  UsQaixd  in  ionischem  Dialekt  verfasste,^)  ferner 
Deiochos  von  Prokonnesos,  Eudemos  von  Faros,  Demokies  und  Ame- 
lesagoras,  ausserdem  Theagenes,  der  erste  Grammatiker,  der  zur  Zeit 
des  Kambyses  über  Homer  und  seine  Abstammung  schrieb. 

213.  Als  jüngere  Logographen,  die  kurz  vor  dem  peloponnesischen 
Krieg  blühten  und  bis  auf  Thukydides  herabreichten,  werden  von  Dionysios 
namentlich  angeführt:  Hellanikos,  Damastes,  Xenomedes,  Xanthos. 

Xanthos  der  Lydier,  der  nach  Suidas  zur  Zeit  der  Einnahme  von  | 
Sardes  (499)  lebte,  sicher  aber  erst  unter  Artaxerxes  (465 — 425)  schrieb,^) 
war  Verfasser  von  Lydiaka  in  4  B.  Ephoros  bei  Ath.  515  e  lässt  durch 
diese  dem  Herodot  Anregung  und  Stoff  [acfOQi^im)  zu  seinem  Geschichtswerk 
gegeben  sein.  Dabei  ist  aber  merkwürdig,  dass  nach  Dionysios,  Arch.  I,  28, 
bei  Xanthos  von  der  durch  Herodot  I,  94  berichteten  Gründung  des  Staates 
der  Tyrrhener  durch  die  Lydier  nichts  zu  finden  war.  Übrigens  hatte  nach 
Diogenes  VI,  103  ein  gewisser  Menippos  das  Werk  des  Xanthos  in  einen 
Auszug  gebracht,  und  hielt  der  pergamenische  Grammatiker  Artemon  den 
Kyklographen  Dionysios  für  den  wirklichen  Verfasser  der  unter  Xanthos 
Namen  umlaufenden  Lydiaka.^)  Benützt  und  ausgeschrieben  wurde  Xan- 
thos vielfach  von  dem  hellenistischen  Historiker  Nikolaus  Damascenus. 

Pherekydes  der  Genealoge  von  Athen  ist  verschieden  von  dem  Phi- 


I 


^)  Kallimachos  bei  Ath.  70b  u.  410  e, 
und  Arrian  V,  6;  vergl.  Eratosthenes  bei 
Strab.  7  tov  (äev  ovv  (sc.  ^Ava^lfxctvdQov) 
ix^ovvca  TTQMTov  yBioygacfixdp  niraxa,  rov 
6e  'ExcctaTov  xuraXinslv  ygafx^a  niarov^evov 
iy.slvov  eivcti  ix  rrjg  äXXrjg  aviov  yQacprjq. 
Die  Bedenken  widerlegt  Diels,  Herrn.  22, 
411  ff. 

'^)  Agathemeros  in  Müllee,  Geogr.  gr. 
min.  II,  471,  und  Schol.  Dionys.,  ebenda 
II,  428;  Strabon  p.  7  scheint  dieselbe  nicht 
gekannt  zu  haben. 

"*)  Suidas  u.  'Exaraiog :  TiQMtog  laroQiav 
TieCojg  s^-tjyeyxe,  avyyQCicprjv  de  4>€Q6xvdt]g. 
T«  yc(Q  '  AxovGiXciov  i'Or^svsTaf.  Dagegen 
tritt  I.  Lipsiüs  a.  0.    für    die  Echtheit    ein. 

Die  Ansicht  des  Akusilaos  vom  Chaos  führt    i    Quaest.  log.  p.  12  ff, 
Piaton  Symp.  178  b  an ;  Commentare  zu  seinem    | 


Werk    verfasste   in   Hadrians   Zeit   Sabinus. 

*)  Neumann,  De  Charone  Lampsaceno, 
Bresl.  1880. 

5)  Müllee,  FHG.  IV,  653. 

^)  Suidas  konfundiert  denselben  mit  dem 
jüngeren,  um  100  v.  Chr.  lebenden  Dionysios. 

^)  Das  letzte  geht  aus  dem  Fragment 
bei  Strabon  p.  49  hervor;  damit  lässt  sich 
die  Angabe  des  Suidas  ysyovoyg  em  ri]g 
uXojoeiog  lagdetoy  nur  vereinbaren,  wenn 
man  yeyovojg  mit  natus  est  deutet,  oder  an- 
nimmt, dass  er  in  seinem  Werke  die  Ein- 
nahme  von   Sardes  se  puero   erwähnt  habe. 

8)  Ath.  515e;  Müllee,  FHG.  l  p.  XXII 
nimmt  eine  Ummodelung  der  Lydiaka  dos 
Xanthos  durch  Dionysios  an.     Vgl.  Ltpstus, 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     a.  Die  Logographen.  (§  213). 


279 


losophen  Pherekydes  von  Syros,  aber  wahrscheinlich  eine  Person  mit  dem 
Pherekydes  aus  Leros,  von  dem  ihn  Suidas  in  einem  konfusen  Artikel 
unterscheidet.  Er  scheint  eben  in  Leros  geboren  und  Athener  nur  deshalb 
genannt  worden  zu  sein,  weil  er  den  grösseren  Teil  seines  Lebens  in  Athen 
zubrachte  und  dort  sein  Hauptwerk  schrieb.  0  Seine  Blüte  wird  von  Eu- 
sebios  auf  Ol.  81,  3  =  454/3  gesetzt;  nach  Ps.  Lukian  Macr.  22  erreichte 
er  ein  Alter  von  95  Jahren.  Sein  Hauptwerk,  das  bald  ^I(TTOQiai,  bald 
revsaXoyiai  oder  Amöx^ovsg  betitelt  wird,  enthielt  in  10  B.  die  Abstam- 
mungen der  Götter  und  edlen  Geschlechter  und  war  in  ionischem  Dialekt 
geschrieben.  Es  handelte  aber  das  1.  Buch  von  der  Theogonie  und  dem 
Gigantenkampf,  das  2.  von  Prometheus,  das  3.  von  Herakles,  das  4.  von 
den  argivischen  und  kretischen  Sagen,  das  6.  7.  8.  von  den  äolischen  Sagen 
und  dem  Argonautenzug,  das  9.  und  10.  von  den  arkadischen,  lakonischen 
attischen  Stammessagen.  Dionysios,  Arch.  I,  13  nennt  unseren  Logographen 
Pherekydes  den  ersten  unter  den  Genealogen;  wie  leicht  es  aber  derselbe 
in  seinen  Genealogien  mit  der  Wahrheit  nahm,  ersieht  man  aus  der  Unzahl 
fingierter  Namen.  So  nahm  er,  und  Hellanikos  nach  ihm,  eine  Abstam- 
mung des  Homer  von  Orpheus  an  und  dachte  sich  beide  durch  einen  Zeit- 
raum von  10  Geschlechtern  von  einander  geschieden;  flugs  erdichtete  er 
10  Ahnen  des  Homer  EvxXrjg,  (I>iXüi6QTrrjg,  XaQi6rj^og  etc.,  denen  man  die 
Fiktion  ebenso  wie  den  von  der  Schiff'ahrt  benannten  Ahnen  des  Phäaken- 
königs  Alkinoos  bei  Homer  Od.  7,  62  an  der  Stirne  geschrieben  sieht.  Frag- 
mente bei  Müller,  FHG.  I,  70-99  u.  IV,  637—9. 

Hellanikos  von  Mytilene^)  war  Zeitgenosse  des  Herodot  und  Thu- 
kydides  und  muss,  wenn  die  Angabe  des  Scholiasten  zu  Aristoph.  Ran. 
706  u.  732  richtig  ist,  das  Jahr  407  überlebt  haben.  3)  Ein  Mann  von  lebhafter 
Wissbegierde  hat  er  Griechenland  nach  allen  Seiten  durchreist  und  überall 
Erkundigungen  eingezogen.  Auch  am  Hofe  der  Könige  von  Makedonien  weilte 
er  eine  Zeitlang;^)  den  Tod  fand  er  in  hohem  Alter  bei  Perperene  gegenüber 
der  Insel  Lesbos,  Seine  zahlreichen  Schriften  waren  teils  chronologischen  In- 
haltes im  Anschluss  an  die  alten  Tempelchroniken,  wie  die  ^ItQeiai  al  ev^ÄQysi 
in  3  B.  und  die  KaQvsovtxai,^)  teils  behandelten  sie  die  Geschichte  einzelner 
Landschaften,  wie  die  'Ar^fg  in  4  B..^)  die  d^ogcorfg  (Geschichte  von  Argos), 
^ActcoTiig  (Geschichte  von  Böotien),  JevxaXixovsia,  'ÄQxaSixd,  Alohxa,  Aeaßixä, 
Urlavifg,  teils  endlich  hatten  sie  denkwürdige  Unternehmungen  zum  Mittel- 


^)  Lipsius,  Quaest.  logogr.  p.  18  unter- 
scheidet wieder  beide  und  nimmt  neben  dem 
älteren  Pherekydes  aus  Athen  einen  jüngeren 
Pherekydes  aus  Leros  an,  der  nach  der 
Stelle  im  Leben  des  Hippokrates  p.  449,  4  W. 
fjivrjfjtovsvet  df  z  ~?  yei^eaXoyiag  mnov  ^Eqcc- 
Toar^sj/r^g  xal  'PsQSxvö'ijg  xal  JnoXXoÖMQog  zwi- 
schen Eratosthenes  und  Apollodor  gelebt  habe. 

^)  Pkeller,  De  Hellanico  Leshio  liisto- 
rico  (1840),  in  Ausgew.  Aufs.  23  ff. 

•')  DiELS,  Rh.  M.  31,  53  setzt  nach 
Pamphila  bei  Gellius  XIV,  23  u.  Ps.  Lucian 
Macrob.  22,  d.  i.  nach  Apollodor  unsern 
Hekatäus  auf  49G  411.  Dagegen  lässt 
WiLAMOwiTZ,  Herrn.  11,  292    denselben   um 


454  geboren  sein. 

*)  Nach  Suidas  weilte  Hellanikos  am 
Hofe  des  Amyntas  und  überlebte  die  Re- 
gierungszeit des  Perdikkas. 

^)  Nach  Ath.  635  f.  waren  dieselben  in 
Prosa  und  Vers  geschrieben,  womit  Suidas 
stimmt:  avvsyQc'ixpixto  de  n^elarcc  ttcCw?  re 
xai  7J0(t]TiXMg. 

^)  Dass  Herodot  die  Atthis  des  Hella- 
nikos noch  nicht  kannte,  zeigt  Her.  IX,  73. 
Gegenseitige  Unabhängigkeit  des  Hellanikos 
und  Herodot  beweist  Bass,  Wien.  Stud.  1, 
1()1  ff.  Thukydides  erwähnt  I,  97  abfällig 
die  Atthis  und  die  Medika. 


280 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


punkt,  wie  die  Tqohxcc  und  n^qaixccA)  Den  ionischen  Dialekt,  die  an- 
reihende Satzform  und  die  kritiklose  Leichtgläubigkeit  teilte  er  mit  den 
anderen  Logographen;  seine  Ungenauigkeit  in  chronologischen  Dingen 
tadelt  kurz  Thukydides  I,  97,  härter  Ephoros  bei  Photios  p.  48b,  29,  lose- 
phos  c.  Ap.  I,  3,  Strabon  p.  366,  426,  451,  602.  Fragmente  bei  Müller, 
FHG.  I,  45—69  u.  IV,  629—637. 

Andere  Logographen  der  jüngeren  Klasse  waren  Stesimbrotos  von 
Thasos,  Zeitgenosse  des  Kimon  und  Gegner  des  Perikles,  der  eine  littera- 
rische Schrift  über  Homer  und  ein  politisches  Pamphlet  über  Themistokles, 
Thukydides,  Perikles  verfasste;^).  Hippys  aus  Rhegion  zur  Zeit  der  Perser- 
kriege, von  dem  Suidas  unter  andern  eine  Kriaig  'iraXiag,  Xqovixcc  und 
2ix€hxd  in  5  B.  anführt  (Müller  FHG.  II,  12 — 15);  Glaukos  von  Rhegion, 
dessen  Schrift  tisqI  tmv  aQxaiwv  noirjtMv  xal  /movaixon'  noch  von  Harpo- 
kration^)  und  Plutarch  ttsqI  /novaixrjg  benützt  wurde; ^)  Damastes  aus  dem 
troischen  Sige,  Schüler  des  Hellanikos,"^)  der  über  die  Ahnen  der  griechi- 
schen Führer  vor  Troja,  über  Völker  und  Städte,  über  Dichter  und  Philo- 
sophen schrieb  und  ausserdem  einen,  wesentlich  auf  Hekataios  fussenden 
Periplus  verfasste;^)  Herodoros  aus  Heraklea,  Vater  des  Sophisten  Bryson, 
der  mit  kritischem  Urteil  über  Herakles  und  die  Argonauten  schrieb  (Müller 
FHG.  II,  27—41);  der  Sophist  Hippias  aus  Elis,  dem  neben  verschie- 
denen Deklamationen  auch  eine  'OXvf.im,ovix(av  dvayqaifi]  beigelegt  ward 
(Müller  FHG.  H,  59—61). 

b.  Herodotos  (um  484  bis  um  425).^) 

214.  Herodot  wird  von  Cicero  de  leg.  I,  1  Vater  der  Geschichte 
genannt,  da  er  zuerst  ein  grosses  welthistorisches  Ereignis  darzustellen 
unternahm  und  zuerst  über  genealogische  Verzeichnisse  hinausgehend  den 
Plan  eines  gross  angelegten  Geschichtswerkes  fasste.  Über  die  Person  des 
Verfassers  sind  wir  nur  mangelhaft  unterrichtet;  selbst  einer  Vita,  abge- 
sehen von  dem  Artikel  des  Suidas,  entbehren  wir.  Die  Zeit  desselben 
bestimmt  unsere  älteste  Quelle  Dionysios,  Thucyd.  5,  mit  den  paar  Worten: 
„Herodot  aus   Halikarnass  war  kurz  vor  den   Perserkriegen   geboren   und 


^)  Von  bestrittener  Echtheit  waren  die 
BccQßaQiy.ä  vof^ifxcc  und  6ie  ^lyvnriaxd,  welche 
einen  Teil  jenes  Werkes  bildeten  und  von 
Müller  I  p.  XXX  einem  jungen  Hellanicus 
Aegyptius  beigelegt  werden. 

•^)  Die  Echtheit  jenes  Pamphletes  (Mül- 
ler, FHG.  II,  52—8),  das  eine  Hauptquelle 
des  Plutarch  war,  Avird  verteidigt  von  Wila- 
MowiTz,  Herrn.  12,  361  ff.  und  Ad.  Schmidt, 
Das  perikleische  Zeitalter  I,  183  ff. 

^)  Harpokration  u.  Movacaog. 

"•)  Hiller,  Die  Fragmente  des  Glaukos 
von  Rhegion,  in  Rh.  M.  41,  388—436.  Ob 
der  Homeriker  Glaukos  und  der  rXavxog 
tisq'l  Jla/vXov  fxvSixiv  in  Argum.  Aisch.  Pers. 
u.  Schol.  Eur.  Hec.  41  eine  Person  ist,  bleibt 
dahingestellt. 

•')  Suidas  setzt  ihn  mit  ysyorwq  ttqo 
Tojy    [T€^o7Toi'i^7](n((XiOi'    zu    früh;    schon    als 


Schüler  des  Hellanikos  muss  er  an  das  Ende 
des  5.  Jahrh.  gerückt  werden;  er  folgte 
ausserdem  dem  Gorgias  in  der  Zurückführung 
des  Geschlechtes  des  Homer  auf  Musaios. 
Seine  Verlässigkeit  perhorresziert  der  kri- 
tische Strabon  p.  47.  Dagegen  war  sein 
TlEQiTiXovg  oder  KaräXoyog  ed^pcov  xcd  noleiav 
einem  Antiquar  wie  Avien  eine  erwünschte 
Quelle. 

6)  Müller,  FHG.  II,  64-67;  vgl.  Aga- 
themeros  in  Müller,  Geogr.  gr.  min.  H,  471. 

"')  Quellen  sind  ein  Artikel  des  Suidas 
und  Plutarch,  De  Herodoti  malignitate. 
Neuere  Bearbeitungen :  Dahlmann,  Herodot, 
in  Forschungen  II,  1  ff.;  Bahr,  De  vita  et 
scriptis  Herodoti,  im  4.  Bde.  seiner  Ausg.: 
Ad.  Bauer,  Herodots  Biographie,  in  Sitzb. 
der  Wien.  Ak.  89,  301-420. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     b.  Herodotos.  (§  214 ) 


281 


lebte  bis  in  den  peloponnesischen  Krieg  hinein".  Bestimmter,  aber  ohne 
sichere  Gewähr  setzt  Pamphila,  die  gelehrte  Schriftstellerin  aus  der  Zeit 
des  Nero,  das  Geburtsjahr  unseres  Autors  auf  484  an.^)  Dass  er  den  An- 
fang des  peloponnesischen  Krieges  und  die  Einfälle  der  Lakedämonier  in 
Attika  noch  erlebte,  geht  aus  seinem  Werke  selbst,  namentlich  aus  IX,  73, 
hervor;  ebenso  aus  VII,  170,  dass  er  zur  Zeit  der  grossen  Expedition  der 
Athener  nach  Sikilien  nicht  mehr  unter  den  Lebenden  weilte.  Wahr- 
scheinlich starb  er  kurz  vor  oder  bald  nach  dem  Hingang  des  Perserkönigs 
Artaxerxes  (425).^)  Seine  Heimat  war  die  dorische  Kolonie  Halikarnass 
in  Kleinasien,  die  damals  zum  Vasallenstaat  der  durch  unseren  Historiker 
berühmt  gewordenen  Königin  Artemisia  gehörte.  Die  Eltern  des  Herodot, 
Lyxes  und  Droio,  gehörten  zu  den  angesehensten  Familien  der  Stadt;  sein 
Bruder  hiess  Theodoros;  einer  seiner  fernerstehenden  Verwandten,  sein 
Oheim  oder  Vetter,  war  Panyassis,  der  bekannte  Epiker.  Beide  wurden 
in  die  Freiheitskämpfe  ihrer  Vaterstadt  gegen  die  Gewalthaber  Kariens, 
die  Nachfolger  der  Artemisia,  verwickelt.  Panyassis  kam  bei  diesen  Kämpfen 
um;  Herodot,  der  anfangs  zur  Auswanderung  nach  der  ionischen  Insel 
Samos  sich  genötigt  sah,'^)  soll  später  nach  seiner  Rückkehr  zur  Verjagung 
des  Tyrannen  Lygdamis  mitgewirkt  haben. ^)  Aber  bald  nachher  verliess 
er,  wie  es  in  der  Grabschrift  heisst  wegen  der  Missgunst  der  Bürger,  seine 
Vaterstadt  für  immer.  Im  J.  445  treffen  wir  ihn  in  Athen,  wo  er,  wahr- 
scheinlich in  dem  neuerbauten  Odeon,  eine  Partie  seiner  Geschichte  vorlas 
und  mit  einer  glänzenden  Staatsbelohnung  von  10  Talenten  ausgezeichnet 
wurde.  ^)  Antragsteller  des  Ehrendekretes  war  Anytos,  der  eigentliche  Ur- 
heber aber  Perikles,  der  weitsehende  Staatsmann,  der  in  dem  Unternehmen 
des  Herodot  einen  Hebel  für  die  Hebung  der  Macht  Athens  sah  und  viel- 
leicht auch  als  gemeinsamer  Gönner  die  Freundschaft  des  Herodot  und 
Sophokles  vermittelte.^)    Später  schloss  er  sich  der  im  Jahre  444  von  Athen 


')  Gellius  XV,  23;  wahrscheinlich  ging 
Pamphila  oder  ihr  vermutlicher  Gewährs- 
mann Apollodor  davon  aus,  dass  444  die 
uxfirj  unseres  Herodot  war.  Ad.  Scholl, 
Über  Herodots  Lebenszeit,  im  Phil.  9,  193  ff. 
will  mit  dem  Geburtsjahr  auf  489  hinaufgehen. 

^)  Darius,  Xerxes,  Artaxerxes  sind  allein 
als  Perserkönige  erwähnt  VI,  98  und  ange- 
deutet VII,  106.  Ohne  Nötigung  wurde  früher 
die  Nachricht  1, 130  von  dem  Abfall  der  Meder 
auf  die  Ereignisse  von  408  bezogen. 

^)  Bauer  a.  0.  hält  die  Angabe  von 
einer  Auswanderung  nach  Samos  für  er- 
funden, um  den  ionischen  Dialekt  seines 
Oeschichtswerkes  zu  erklären;  beides  bringt 
allerdings  Suidas  in  Zusammenhang.  Dass 
man  aber  auch  in  Halikarnass  damals  ionisch 
schrieb,  zeigen  die  Inschriften,  namentlich 
das  unter  der  Oberhoheit  dos  Lygdamis  zu 
stände  gekommene  Gesetz  der  Gemeinden 
Halikarnass  und  Salmakis,  in  dem  auch  ein 
Panyatis  vorkommt. 

*)  Das  muss  vor  454  stattgefunden 
haben,  da  nach  der  Inschrift  CIA.  I,  90  da- 
mals   schon    Halikarnass    dem    atiienischen 


Seebund  beigetreten  war. 

^)  Die  Hauptnachricht  darüber  bei  Plu- 
tarch  de  Her.  mal.  26,  geschöpft  aus  Diyllos, 
einem  Historiker  derDiadochenzeit;  als  Jahr  ist 
Ol.  83,  3  oder  83,  4  von  ICusebios  angegeben. 
Die  Staatsbelohnung  lässt  vermuten,  dass  der 
vorgelesene  Abschnitt  auf  den  Ruhm  Athens 
Bezug  hatte.  Dem  entsprechen  am  besten 
die  3  letzten  Bücher  von  den  Perserkriegen; 
höchstens  könnte  man  noch  an  den  Ab- 
schnitt von  Kroisos  und  Selon  I,  26  —  92  mit 
dem  Exkurs  über  Attika  und  Peisistratos 
denken.  Die  Sache  selbst  wurde  später  ins 
Fabelhafte  ausgeschmückt:  Lukian,  Herod.  1 
und  Suidas  u.  &ovxvJ'.  machten  aus  einer 
Vorlesung  in  Athen  eine  solche  in  Olympia; 
Suidas,  Marcellinus  c.  54  u.  Photios  p.  00  b, 
19  lassen  den  Knaben  Thukydides  unter 
den  Zuhörern  sein;  alles  schon  widerlegt 
von  Dahlmann  a.  0.  30  ff.  Von  weiteren 
Vorlesungen  in  Theben  und  Korinth  melden 
Plutarch  de  Her,  mal.  31,  Ps.  Dio  Chrys. 
or.  XXXVIL  p.  103  H. 

'•)  S.  §  148. 


282 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


neugegi'ündeten  Kolonie  Thurii  in  Unteritalien  an,')  die  ihm  zur  zweiten 
Heimat  wurde,  so  dass  ihn  schon  Aristoteles,  Rhet.  III,  9  als  Thurier  be- 
zeichnete.''^)  Von  dort  besuchte  er  Italien  und  Sikilien;  von  dort  muss  er 
aber  auch  nochmals  nach  Athen  zurückgekehrt  sein;  denn  in  Athen  finden 
wir  ihn  V,  77  nach  der  Vollendung  der  Akropolis  oder  nach  432  wieder. 3) 
In  den  ersten  Jahren  des  peloponnesischen  Krieges  starb  er,  ungewiss  ob 
in  Athen  oder  in  Thurii.^)  Sein  Bild,  zugleich  mit  dem  des  Thukydides 
auf  einer  Doppelherme  erhalten,'')  ist  wohl  nur  ein  Idealporträt  aus  spä- 
terer Zeit. 

215.  Reisen  Herodots.  In  dem  Leben  des  Herodot  und  in  seiner 
Stellung  als  Historiker  spielen  seine  Reisen  eine  wichtige  Rolle.  Heutzu- 
tage sammelt  ein  Geschichtsschreiber,  wenn  er  nicht  Selbsterlebtes  erzählt, 
sein  Material  aus  den  Archiven  und  Bibliotheken.  Herodot  konnte  aus  den 
Schriften  seiner  Vorgänger  nicht  viel  lernen,  wenn  er  auch  keineswegs  die 
Logographen  Hekataios  und  Xanthos  unbenutzt  liess;*^)  wesentlich  war  er 
aber  doch  auf  persönliche  Erkundigungen  bei  den  Leuten  der  älteren 
Generation  und  auf  den  direkten  Besuch  der  beschriebenen  Länder  ange- 
wiesen.'') Dazu  bedurfte  es  ausgedehnter  Reisen^)  und  längeren  Aufent- 
halts in  den  Hauptzentren  der  alten  Welt.  Zunächst  führten  ihn  seine 
oben  geschilderten  Lebensverhältnisse  nach  Kleinasien,  Athen,  Unteritalien 
und  die  verschiedenen  Städte  des  eigentlichen  Hellas.  Ausserdem  unter- 
nahm er  mehrere   grössere  Reisen   in   entlegenere   Länder,    teils   zu   Land, 


')  Ob  gleich  im  Jahr  der  Gründung,  be- 
zweifelt mit  Recht  Böckh  zu  Soph.  Ant. 
IS.  144,  weil  Herodot  noch  441/40  mit  So- 
phokles in  Verkehr  stund;  s.  oben  §  148. 
Auch  der  Redner  Lysias  war  nicht  gleich 
in    dem    ersten  Jahr  nach  Thuiü  gegangen. 

-)  Vergl,  Strab.  p.  656;  Duris  bei 
Suidas  u.  Ilayvecaaig :  Steph.  Byz.  u.  Oovqloi  ; 
Julian  ep.  22;  Plinius  H.  N.  XII,  4.  18. 
Das  Citat  des  Aristoteles  Rhet.  III,  9: 
HQod'orov  0OVQLOV  ^cT'  lajoQirjg  aTiod's^ig  geht 
wohl  auf  ein  italisches  Exemplar  des  Herodot 
zurück,  wie  auch  die  Werke  Piatons  zuerst 
in  Sikilien  in  den  Buchhandel  kamen. 

^)  Die  Worte  des  Textes  to  ds  tlQiGrsqrjg 
/stQog  sarfjxs  TiQioroy  iaioyri  eg  rd  nQonvhaa 
TU  ev  Tri  cixQOTicXei  machen  freilich  der 
Exegese  Schwierigkeit,  aber  die  muss  mit 
Wachsmuth,  Jahrb.  f.  Phil.  119,  18  durch 
die  Änderung  shövri  tu  nQoni'Xaia  gehoben 
werden. 

^)  In  Thurii  auf  dem  Markt  war  er  nach 
Suidas  begraben ;  das  Epigramm  lautete  nach 
Stephan.  Byz.  u.  Sovqioi: 
HqöÖotou  Av^£(jo  xqvtttsl  xövtg  cide  (^avorta, 

'iddog  ciQ^carjg  loTOQirjg  iTQVTaviv, 
JojQidog   6X   nÜTQrjg   ß'AaaiovT^  ccötuov  ydq 

ccT^rjTou 
juojfxof  vTiexTiQocpvyoiv  Qovqiop  sG/e  nuTQt^v. 
x\ndere  bei  Suidas  lassen  ihn  in  Pella  sterben, 
welche  Variante  ursprünglich  zu  Hekatäus 
gehört  zu  haben  scheint.  Nach  Marcellinus 
c.    17     befand    sich    ein    Grabdenkmal    des 


Herodot  neben  dem  des  Thukydides  in  den 
kimonischen  Gräbern  zu  Athen. 

^)  Siehe  beigegebene  Tafel. 

^)  Porphyrie  bei  Eusebios  praep.  ev.  X,  o 
bemerkt  auf  Grund  der  speziellen  Nachweise 
des  Grammatikers  Polio,  dass  Herodot  im 
2.  Buch  vieles  wörtlich  aus  Hekataios  herüber- 
genommen habe;  dieses  begründet  den  Zwei- 
feln der  Neueren  gegenüber  Diels  im  Herm. 
22,  44  if.  Herodot  selbst  II,  143  u.  VI,  137 
verweist  auf  den  Hekataios.  Die  Benützung 
des  Xanthos,  welche  Ephoros  bei  Ath.  61 5  e 
andeutet,  lässt  sich  nicht  in  gleicher  Weise 
nachprüfen;  siehe  Heil,  Logopraphis  num 
Herodotus  usus  esse  videatur,  Marburg, 
Diss.  1884. 

'')  Herod.  II,  123:  i/uol  de  Tragd  ndi/ta 
TOP  Xöyov  i'TioxesTai,  otl  t«  Xeyöfxsva  vno 
sxddTov  dxofj  yQuipü).  VII,  152:  iya)  de  ocpelXo) 
leyeiv  tu  Xeyöfxeva,  nei&eGd^cd  ye  fxev  ov 
navTanciaiv  ocpei^aD  xai  juoi  tovto  to  enog 
i/eTü)  ig  ndpTa  top  löyov. 

^)  NiEBUHR,  Die  Geographie  Herodots, 
mit  einer  Karte,  Kl.  Sehr.  I,  132—258;  Fr. 
Hildebrand,  De  üinerihus  Herodoti  Euro- 
2)aeis,  Lips.  1883;  R,  Müller,  Die  geogra- 
phische Tafel  nach  den  Angaben  Herodots, 
1881.  Im  Westen  ist  Herodot  weit  weniger 
als  im  Osten  bewandert;  so  macht  er  11,33 
u.  IV,  49  TIvQiji'f]  (die  Pyrenäen)  zu  einer 
Stadt  und  lässt  bei  ihr  im  Land  der  Kelter 
den  Ister  entspringen. 


1 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     b.  Herodotos.  (§  215     216.) 


283 


teils  zur  See:  zur  See  nach  dem  schwarzen  Meer  bis  zum  kimmerischen 
Bosporus,  sowie  nach  Kypern,  Ägypten,  Kyrene,  Tyrus;  zu  Land  durch 
ganz  Ägypten  von  Naukratis  bis  nach  Elephantine,  und  durch  das  weite 
persische  Reich  von  der  Küste  bis  nach  Susa.  Die  letztgenannte  Reise, 
die  bedeutendste  von  allen,  machte  er  wahrscheinlich  auf  dem  leichteren 
Weg  von  der  syrischen  Küste  aus,i)  nicht  auf  der  grossen,  von  Sardes  aus- 
gehenden Königsstrasse,  wiewohl  er  von  der  letzteren  gelegentlich  (V,  52 
und  VIII,  98)  eine  genaue  Beschreibung  gibt.  2)  Wann  und  in  welcher 
Reihenfolge  er  diese  Reisen  unternahm,  lässt  sich  nur  teilweise  ermitteln. 
Nach  Ägypten  kam  er  sicher  erst  einige  Zeit  nach  der  Niederwerfung  des 
ägyptischen  Aufstandes,  wie  aus  III,  12  und  II,  30  und  99  erhellt,  wahr- 
scheinlich von  Athen  oder  Thurii  aus  zwischen  445  und  432. 3)  Schon  zu- 
vor war  er  in  Assyrien  und  Persien  gewesen,^)  wahrscheinlich  schon  vor 
454,  als  er  noch  Unterthan  des  Perserkönigs  war.  Diese  grösseren  Reisen 
hingen  wesentlich  mit  dem  ersten  Teile  seines  Werkes  zusammen.  Für  den 
zweiten  und  hauptsächlichsten  Teil  war  er  vornehmlich  auf  Erkundigungen 
in  den  Städten  Griechenlands  selbst  und  auf  den  intimeren  Verkehr  mit 
den  hervorragenden  Staatsmännern  angewiesen;  und  da  kann  kein  Zweifel 
sein,  dass  Athen  und  die  Kreise  des  Perikles^)  zumeist  ihn  fesselten  und 
beeinflussten. 

216.  Das  Geschichtswerk  Herodots.  Seinen  Namen  hat  Herodot 
unsterblich  gemacht  durch  sein  Geschichtswerk  ^[aroQirjg  dTioSe'^ig,  das  von 
den  Grammatikern  in  9,  nach  den  Musen  benannte  Bücher  eingeteilt  wurde.  ^') 
Mittelpunkt  desselben  bilden  die  Kämpfe  der  Hellenen  und  Barbaren  unter 
den  Perserkönigen  Darius  und  Xerxes.  Diese  Kämpfe  werden  schon  im 
ersten  Buch  durch  Zurückgehen  auf  die  ersten  Zusammenstösse  Asiens  und 
Europas  in  der  mythischen  Vorzeit  eingeleitet,  werden  aber  erst  vom 
5.  Buche  an  in  fortlaufender  Erzählung  vorgeführt.  In  den  vorausgehenden 
Büchern  greift  der  Autor  zunächst  auf  die  Geschichte  der  Lydier,  deren 
König  Krösus  den  ersten  Angriff  auf  die  Griechen  Kleinasiens  gemacht 
hatte,  zurück;  Krösus  führt  ihn  auf  die  Perser,  die  Besieger  der  Lydier, 
diese  wieder  zu  den  Ägyptiern,  Babyloniern  und  Skythen,  welche  der  Reihe 
nach  den  Persern  unterlegen  waren.  Es  ist  also  ein  lockeres  Band,  welches 
die  Teile,  die  ursprünglich  eigene,  für  sich  bestehende  Schriften  (Xoyoi  TleQ- 
oixof,  AlyvTitioi^  Aißvxoi\  AvSixoi\  ^xv^ixot,  2dj^uoi  etc.)  gebildet  zu  haben 
scheinen,')  zu  einem  Ganzen  verbindet.    Dazu  kommen  noch  innerhalb  der 


')  Matzat,  Herodots  Angaben  über  Asien, 
im  Herrn.  VI,  392-486. 

'^)  W.  Götz,  Die  vorderasiatische  Reichs- 
poststrasse der  persischen  Grosskönige,  in 
Jahrb.  d.  geogr.  Ges.  München  1885,  S.  90  ff. 

'-")  Nach  Thuk.  I,  112  hielt  sich  im  Jahre 
449  noch  Amyrtaios  in  den  Marschen  des 
Nüdeltas,  während  Herodot  III,  15  dessen 
Sohn  Pausiris  schon  wieder  mit  seines  Vaters 
Herrschaft  von  den  Persern  belehnt  sein  lässt. 

')  Dies  folgt  aus  II,  150. 

•')  Ein  Denkmal  hat  Herodot  VT,  l'H 
dem  Perikles  in  der  Erzählung  gesetzt,  dass 
seine  Mutter  Achariste   in  ihrer  Schwanger- 


schaft geträumt  habe,  einen  Löwen  zu  ge- 
bären und  dann  nach  wenigen  Tagen  den 
Perikles  geboren  habe. 

*^)  'laTOQitjg  di6(f€^i(;  benennt  sein  Werk 
Herodot  selbst  in  dem  Proömium.  Die  sehr 
unsachgemässe  Einteilung  in  9  Bücher  kennt 
bereits  Diodor  11,  37:  nach  den  Musen  fand 
dieselben  benannt  Lukian,  de  bist,  conscr.  42. 
Ebenso  haben  nach  den  Musen  der  Historikei' 
Kephalion  (Phot.  34  a  8),  der  Rhetor  Bion 
(Diog.  IV,  58),  der  Lateiner  Opilius  (Gell. 
N.  A.  I,  25)  die  Bücher  ihrer  Werke  be- 
nannt. 

')  Ob   man  annehmen  darf,    dass    diese 


284 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


einzelnen  Teile  zahlreiche  Digressionen  (rrQocrd^rjxcci  IV,  30),  durch  das  alles 
das  erste  historische  Werk  der  Griechen  dem  ersten  Epos  derselben  sehr 
ähnlich  wird.  Das  regt  zur  Frage  an,  ob  denn  auch  die  Teile  des  Werkes 
in  derjenigen  Reihenfolge  entstanden  seien,  in  der  sie  jetzt  uns  vorliegen, 
und  ob  die  geschlossene  Einheit,  die  sich  jetzt  in  zahlreichen  Rück-  und 
Vorwärtscitaten,  direkten  und  indirekten  Verweisen  kundgibt,  schon  von 
vornherein  dem  Autor  als  fester  Plan  vorgeschwebt  habe.  In  bejahendem 
Sinne  werden  beide  Fragen  beantwortet  von  Kirchhoff,')  der  die  Bücher 
I— III,  119  zwischen  445  und  443  in  Athen,^)  III,  120— V,  76  zwischen 
448  und  432  in  Thurii,^)  den  Rest  in  Athen  zwischen  431  und  428  ent- 
standen sein  lässt.  Damit  lässt  sich  aber  die  Nachricht  von  der  Vorlesung 
des  Geschichtswerkes  in  Athen  schwer  vereinigen,  da  diese  uns  eher  ver- 
muten lässt,  dass  Herodot  zuerst  den  zweiten  Perserkrieg  oder  die  3  letzten 
Bücher  geschrieben  habe.^)  Sodann  fehlt  es  nicht  an  Anzeichen,  dass  die 
engere  Zusammenfügung  der  einzelnen  Teile  erst  das  Werk  einer  späteren  Über- 
arbeitung war.  Das  2.  Buch  über  Ägypten  sieht  ganz  wie  eine  ursprünglich 
für  sich  bestehende  Schrift  aus,  und  schwerlich  hätte  sich  Herodot  zweimal 
II,  33  und  IV,  49  so  ausführlich  und  ohne  jede  Rückbeziehung  über  den 
Ursprung  und  den  Lauf  des  Ister  ausgesprochen,  wenn  das  zweite  Buch 
von  vornherein  bestimmt  gewesen  wäre,  mit  dem  vierten  einen  Teil  des- 
selben Werkes  zu  bilden.^)  Noch  auffälliger  ist  die  zweimalige  Erwähnung i 
der  Lage  von  Pedasos  und  des  langen  Bartes  der  Athenapriester  in  genannter] 
Stadt  (I,  175  u.  VIII,  104).  Doch  ist  es  bedenklich  aus  den  beiden  letzten  Stellen 
etwas  zu  schliessen,  da  im  8.  Buch  sich  die  betreffenden  Sätze  so  schlecht! 
in  den  Zusammenhang  einfügen,  dass  sie  eher  von  einem  späteren  Inter- 
polator  als  von  Herodot  selbst  herzurühren  scheinen.  Überhaupt  aber  sprechen 
der  lange  Zwischenraum  zwischen  den  einzelnen  Reisen  des  Historikers  und 
die  Analogie  der  anderen  grösseren  Prosawerke  des  Altertums,  wie  insbeson-j 
dere  der  Politeia  des  Piaton  und  der  Politika  des  Aristoteles,  für  die  Annahme^ 
dass  auch  Herodots  vielgliederiges  Geschichtswerk  erst  allmählich  durcl 
Zusammenfügung  von  Büchern  (?^6yoi)  kleineren  Umfangs  entstanden  istJ 
Eine  zweite  Kontroverse  betrifft  die   Frage,    ob   Herodot  selbst  seid 


Xoyoi  auch  getrennt  publiziert  worden  waren, 
hängt  wesentlich  von  dem  gleich  nachher 
zu  besprechenden  Citat  der  ' Joavqioi  Xöyoi 
bei  Aristoteles  ab. 

^)  Kirchhoff,  Über  die  Entstehungszeit 
des  herodotischen  Geschichtswerkes  2.  Aufl., 
Berl.  1878.  Dagegen  Ad.  Bauer,  Die  Ent- 
stehung des  herodot.  Geschichtswerkes,  Wien 
1878,  der  hauptsächlich  darin  abweicht,  dass 
er  viele  spätere  Einfügungen  infolge  der 
zwischen  445  u.  432  gesetzten  ägyptischen 
Reise  annimmt  und  den  Xerxeszug  oder  die 
letzten  3  B.  früher,  vor  445,  entworfen  sein 
lässt.  Vgl.  Ammer,  Her  od.  Hai.  quo  ordine 
Ijhros  suos  conscripserit,  Virceb.  1881,  und 
Über  die  Reihenfolge  und  Zeit  der  Abfas- 
sung desherod.  Geschichtswerkes,  Straubinger 
Progr.   1889. 

'^)  Der   Endtermin    ergibt    sich     daraus, 


dass  Sophokles  Antig.  905  ff.  an  einer  Stelle, 
die  freilich  andere  für  eine  spätere  Interpo- 
lation ausgeben,  auf  Herod.  III,  119  Bezug 
nimmt. 

'^)  In  Thurii  ist  sicher  geschrieben  IV, 
99,  wo  die  Gestalt  des  kimmerischen  Bos- 
porus an  Attika  und  Japygien  erläutert  ist. 

^)  Für  die  frühere  Abfassung  dieser 
3  letzten  Bücher  spricht  auch,  dass  er  VII, 
39  und  VII,  114  noch  nicht  die  ähnlichen, 
erst  IV,  84  und  III,  35  erzählten  Fälle  ge- 
kannt zu  haben  scheint. 

•')  Auch  in  VI,  60,  wo  eine  Ergänzung 
zu  II,  167  über  gemeinsame  Sitten  bei  den 
Lakedämoniern  und  Ägyptiern  gegeben  ist, 
hätte  auf  II,  167  zurückverwiesen  werden 
sollen;  eine  indirekte  Bezugnahme  auf  II, 
68  ff.  liegt  IV,  44  vor,  aber  in  einem  leicht 
später  erst  zugesetzten  Nebensatz. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     b.  Herodotos.  (§  217.) 


285 


Werk  zum  Abschluss  gebracht  habe.  An  zwei  Stellen  nämlich  1,  106  und 
184  verspricht  der  Autor  später  er  'Äaavqioiai  Xoyoiai  etwas  zu  erzählen, 
was  wir  nirgends  in  dem  erhaltenen  Werke  zu  lesen  bekommen.  Nun 
erwähnt  aber  Aristoteles  in  der  Tiergeschichte  VIII,  18  etwas  aus  Herodot, 
was  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  den  'AaavQioi  Xöyoi  gestanden  hat.') 
Das  führt  zur  Vermutung,  dass  Herodot,  als  er  die  Schlussredaktion  des 
1.  Buches  vornahm,  auch  die  ehedem  gesondert  herausgegebenen  ^Aaavqioi 
Xoyoi  in  vollem  Umfange  seinem  Hauptwerk,  etwa  nach  III,  150,  einzu- 
verleiben beabsichtigte,-)  durch  den  Tod  aber  an  der  Ausführung  des 
Planes  verhindert  wurde.  Wichtiger  noch  für  unsere  Frage  ist  die  Stelle 
VII,  213,  wo  er  später  {iv  Tolg  onia&sv  Xöyoig)  von  dem  Tode  des  Ver- 
räters Ephialtes  zu  berichten  verspricht,  während  thatsächlich  in  den  nach- 
folgenden Büchern  davon  nichts  zu  lesen  ist.^)  Es  scheint  nämlich  danach 
die  Absicht  Herodots  gewesen  zu  sein,  sein  Werk,  das  jetzt  mit  der  Ein- 
nahme von  Sestos  schliesst,  noch  über  dieses  Ereignis  hinaus  fortzuführen. 
Denn  wenn  man  auch  zugeben  muss,  dass  mit  jener  Expedition  der  Flotte 
nach  dem  Hellespont  der  Krieg  einen  teilweisen  Abschluss  fand  und  dass 
die  Erzählung  von  dem  Zwiegespräch  des  Artembares  und  Kyrus  mit  dem 
Schlusssatz  aq^siv  sl'Xovco  XvTiQrjv  olxsovTsg  iiaXXov  r]  nsSiäöa  aneiQovrsg 
aXXoiai  SovX&vsiv  sehr  passend  das  Buch  oder  den  ganzen  aus  den  letzten 
3  Büchern  gebildeten  Abschnitt  schliesst,^)  so  erwartet  man  doch  die  Fort- 
führung des  Werkes  bis  zu  einem  entscheidenderen  Wendepunkt  und  über- 
dies die  Abrundung  desselben  durch  einen  förmlichen  Epilog. "')  Im  übrigen 
wird  es  kaum  möglich  sein,  die  Zeit  zu  bestimmen,  in  der  Herodot  die 
einzelnen  Teile  geschrieben,  umgearbeitet  und  dem  Ganzen  einverleibt  hat. 
Wir  begnügen  uns  daher  bei  Herodot  und  Thukydides  mit  dem,  was  der 
Autor  schliesslich  gab,  und  verzichten  auf  die  undankbare  Mühe,  dem 
Schriftsteller  ins  Konzept  schauen  zu  wollen.^) 

217.   Sprache   des   Herodot.     Geschrieben   ist   das  Geschichtswerk 


^)  Arist.  Hist.  an.  VIII,  18:  r«  fxev  ovv 
yajuxpujyv/ci  .  .  .  änora  ndfAnav  eoriv  '  dXk' 
'HQodoTog  (Haio^og  var.  lect.,  'Eq66iOQoq  coni. 
Bergk)  t]yv6et  tovto  •  Tisnoirjxs  yuQ  xov  rijg 
fxuvreiccg  ttqos^qov  deroy  fcV  t»j  ^irjyrjosi  tfi 
nsol  TTJt'  nolioQyACiv  T7]p  Nlpov  ti'lvovxu. 
Die  Variante  'Hoioöog,  an  der  viele  festhalten, 
bat  in  der  Poesie  des  Hesiod  keinen  Anhalt. 

'^)  ^Einwendungen  gegen  diese  Schluss- 
folgerungen erhebt  E.  Bachof,  Die  'Aaavgioi 
Uyoi  des  Herodot,  in  Jahrb.  f.  Phil.  1877, 
S.  577  ff.,  und  Stein,  Jahrber.  d.  Alt.  VI, 
1.  325  ff. 

■^)  Gegen  den  gezogenen  Schluss  erhebt 
Einwendungen  Ed.  Meyer,  Rh.  M.  42,  146  ff. 
In  VIII,  120  ist  uns  durch  cod.  B  eine 
kleine  Lücke  bezeugt;  aber  es  wäre  doch 
ein  sonderbarer  Zufall,  wenn  die  Erwähnung 
des  Versprochenen  gerade  in  der  kleinen 
Lücke  von  20  Zeilen  gestanden  gewesen 
wäre.  Auch  das  Versprechen  V,  22  wird 
später  VIII,  137  nicht  ganz  erfüllt. 

^)  Dieser  Gedanke  ausgeführt  von  Gom- 
PERZ,  Herodotische  Studien,  in  Sitzb,  d.  Wien. 


Akad.  103,  141  ff.;  dagegen  Kirchhoff  in 
Sitzb.  d.  Berl.  Ak,  1885  S.  301  ff.  Dem 
Inhalt  nach  vergleicht  sich  die  Stelle  des 
Herodot  mit  Hippokrates  Tie^t  cUqmv  v^drwv 
TÖniop  p.  565  K.:  dno  /uey  ijav/hjg  xmI  qcc- 
d^vfxbjg  i]  ^Biklr]  ccv^siat,  an 6  de  rrjg  raXai- 
7iu)QL7]g  xcd  rü)v  nöpwv  ai  dv^Qsua  •  did 
TOVTO  eioi  ^a)[ifxi6TeQ0L  oi  t^i^  EvQiuTDji/ 
olxovvTsg,  xcd  did  Tovg  vöfxovg,  oti  or  ßaai- 
'kevovTCii  (jjansQ  ol  ^ Jaujvoi. 

^)  Wenig  Glauben  verdient  die  Angabe 
des  unzuverlässigen  Ptolemaios  bei  Photios. 
p.  148b,  10:  (og  nXrjaloQoog  6  OeaaccXog  6 
v^voyqdcfog  SQio^svog  ysyovt^g  IlQodozov  xcd 
xktjQoyouog    tmv    ccvtov  ,    ovrog    noitjösie    to 

TJQOoi/ULOy      Tfjg      7lQi6T7]g       LGTOQLCig      'liQodoTOV 

'Jhxc(Qi/c(Gae(üg  •  Tr}y   yccQ   xcud  cpvoiv  elvca 

TtJüv  '^HQodoTOl'    laiOQKiii/    dQ)(7]y    ,UsQatMv    ol 

Xoyiot".  Danach  sucht  die  Unechtheit  des 
Pioömium  zu  erweisen  P.  La-Roche,  Phil. 
14,  281  ff. 

^)  Bei  der  Ilias  und  Odyssee,  wo  die 
Einheit  des  Verfassers  zweifelhaft  ist,  liegt 
die  Sache  doch  ganz  anders. 


286 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Herodots  in  ionischer  Sprache,  nicht,  wie  man  erwarten  könnte,  in  dori- 
scher oder  attischer.  Dazu  ward  der  Autor  zunächst  wohl  durch  seine 
Vorgänger  in  der  Geschichtsschreibung  bestimmt,  da  diese  alle  in  ionischer 
Sprache  geschrieben  hatten.  Aber  ionisch  brauchte  er  nicht  erst,  wie 
Suidas  meint,  in  Samos  zu  lernen;  auch  in  der  dorischen  Kolonie  Hali- 
karnass  sprach  ein  Bruchteil  der  Bevölkerung  ionisch,  und  wurden  Staats- 
dokumente, wie  die  unlängst  aufgefundene  Urkunde  von  Halikarnassos  und 
Salmakis,!)  \yi  ionischer  Sprache  abgefasst.  Attisch  aber  schrieb  Herodot 
nicht,  weil  erst  nach  ihm  das  Attische  die  Bedeutung  einer  allgemeinen 
Vermittlungssprache  erhielt,  vielleicht  aber  auch,  weil  er  schon,  ehe  er 
nach  Attika  kam,  sein  Geschichtswerk  begonnen  hatte.  Herodot  gilt  uns 
so  neben  Hippokrates  als  Hauptvertreter  des  ionischen  Dialektes.  2)  Mit 
der  Weichheit  und  Flüssigkeit  des  Dialektes  steht  in  schönstem  Einklang 
die  Einfachheit  des  Stils  und  die  Naivität  der  Erzählung.  Aristoteles  Rhet. 
HI,  9  bezeichnet  unseren  Herodot  als  Hauptrepräsentanten  der  HQoiiev)^ 
Xs'^ig,  welche  die  Sätzchen  einfach  mit  ts  und  d&  aneinanderzureihen,  statt 
zu  kunstvoll  gebauten  Perioden  zu  verknüpfen  pflegt.^)  Selbst  uns  werden 
manchmal  der  ts  zu  viel;  noch  weniger  war  die  schlichte  Kunstlosigkeit 
dieses  Stiles  im  Geschmack  der  rhetorisch  gebildeten  Leser  der  nächsten 
Jahrhunderte  nach  Herodot.  Erst  in  der  römischen  Kaiserzeit  scheint  man 
wieder  mehr,  wie  das  Urteil  des  Dionysios  von  Halikarnass  "^j  und  die 
Nachahmungen  des  Arrian  und  Ps.  Lukian  zeigen,  die  hübsche  Harmonie 
dieses  einfachen  Stils  mit  dem  naiv^en  Ton  des  ionischen  Erzählers  gewür-| 
digt  zu  haben.  " 

218.  Charakteristik  des  Geschichtswerkes.  Der  Hauptwert  des 
herodotischen  Werkes  beruht  in  seinem  Inhalt.  Gilt  dieser  Satz  der  Natur 
der  Sache  nach  von  allen  historischen  Werken,  so  doch  in  erhöhtem  Grade 
von  Herodot;  er  hat  einerseits  die  glänzendste  Partie  der  alten  Geschichte, 
den  heldenmütigen  Kampf  des  kleinen  Griechenvolkes  gegen  die  persische 
Übermacht,  den  Sieg  des  freien  Geistes  über  knechtische  Unterwürfigkeit') 


^)  Die  Inschrift  besprochen  von  Kirch- 
hoff, Studien  zur  Gesch.  d.  griech.  Alph., 
3.  Aufl.,  S.  4  ff.   und   Rühl,   Phil.   41,  54  ff. 

2)  Dass  indes  Herodots  Sprache  kein 
reiner  Lokaldialekt  war,  sondern  viele  poe- 
tische Elemente  namentlich  aus  Homer  auf- 
genommen hatte,  bemerkten  bereits  die 
Alten;  s.  Hermogenes  in  Rhet.  gr.  ed.  Sp. 
n,  421.  Bredow,  Quaest.  critic.  de  dialecto 
Herodotea  lihri  IV,  Lips.  1846;  Merzdorf, 
Quaest.  gramm.  de  dial.  Herod.  in  Curtius 
Stud.  VIII,  125  ff.  u.  IX,  199  ff.;  Stein  in 
der  Ed.  mai.  praef.  XLIV,  sqq.  Dionys. 
Halic.  ep.  ad  Pomp.  3:  'Hgo^orog  xiig  'Icafog 
((Qiazog  xapoiv.  Unsere  Handschriften  schwan- 
ken vielfach,  wie  zwischen  ^£/iw  u.  iS^ekio, 
ixeivog  u.  xsh'og,  sirexu  u.  eYvexbi^,  und  haben 
falsche  Formen,  wie  iysptcuo,  Kgolaea)  u.  a. 

^)  Cicero  Orat.  12  vergleicht  den  Hero- 
dot einem  sedatus  amnis;  ähnlich  Quintil. 
IX,  4.  18;  Dio  Chrys.  or.  18  p.  479  R.  u. 
or.  53  p.  278  R.;   Athen.  78 e. 

^)  Dion.  Hai,  ep.  ad  Pomp.  3,    wo  eine 


sehr  lesenswerte  Vergleichung  des  Thuky- 
dides  und  Herodot  zu  Gunsten  des  letzteren 
gegeben  wird;  ich  hebe  aus  ihr  nur  den 
Satz  hervor:  »/  ^ev  'Hqo^otov  didß^saig  ip 
ilnaaiv  inisixrjg  xccl  rotg  fxsv  dyaS^oTg  avv- 
Tjdofispf],  xoTg  de  xaxoTg  avvaXyovacc.  Damit 
vgl.  Dio  Chrys.  or.  53  p.  278  R.  Günstig 
urteilt  auch  Hermogenes  de  ideis  II,  \2 
p.  421  Sp.:  fXEToi  rov  xaS^aQov  xcd  EvxQivovg 
noXvg  iari  rmg  rjdovaTg  '  xal  ydcQ  rcdg  £v- 
voLcag  fxvihiXKig  a/Edop  dnc'iaaig  xcd  rfj  Xe'^ei 
noi7]Tixfj  x6/Qi]TC(i  dioXov.  Homerische  Wen- 
dungen, aber  auch  Anklänge  an  die  Tragiker 
finden  sich  zahlreich. 

^)  Wie  sehr  er  von  diesem  Hochgefühl 
erfüllt  war,  zeigen  besonders  die  herrlichen 
Worte  der  Spartaner  VII,  135.  Übrigens 
sind  von  den  Griechen,  und  nicht  am  min- 
desten von  Herodot  selbst,  die  Perserkriege, 
ähnlich  wie  im  Mittelalter  die  Freiheits- 
kämpfe der  Schweizer  gegen  die  Burgunder 
weit  über  ihre  wirkliche  Bedeutung  erhoben 
worden. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     h.  Herodotos.  (§  218.) 


287 


zum  Mittelpunkt  seiner  Darstellung  erkoren,  und  er  hat  anderseits  sein 
Werk  so  eingerichtet,  dass  er  in  dasselbe  die  reichsten  Notizen  über  Sitten 
und  Einrichtungen  von  Hellenen  wie  Barbaren  einflechten  konnte.  Die 
Welt  war  damals  noch  nicht  uniformiert,  und  Herodot  verband  mit  der 
Wissbegierde  des  loniers  das  offene  Auge  eines  unbefangenen  Beobachters. 
So  bietet  er  uns  eine  unerschöpfliche  Fülle  ethnographischer  Mitteilungen 
über  die  Ägyptier,  Skythen,  Thraker,  Perser,  fast  alle  Völker  der  damals 
bekannten  Erde,  und  entwirft  uns  anziehendste  Schilderungen  bald  von  den 
Pyramiden  Ägyptens  und  den  Bauten  der  Assyrier,  bald  von  den  Rosen- 
gärten Makedoniens  (VIII,  138)  und  den  Kornfeldern  der  Gelonen  (IV,  108). 
Er  hat  in  der  That  mit  seinem  Geschichtswerk  erreicht,  was  er  im  Ein- 
gang verspricht,  wc  fbirjTs  rd  ysvöiisva  s'^  dv^QooTiMV  reo  XQovo^  s'^i'TtjXa  yt- 
VTjTai  fiirjTs  egya  nsyccXa  rs  xal  O^cüDfiaard  rd  ^itv  'EkXrjdi  rd  St  ßaQßüQoiai 
dnodsxd^svTa  dxXsd  ysvijTai. 

Aber  hatte  er  auch  die  notw^endigste  Eigenschaft  eines  Historikers, 
die  Fähigkeit  und  den  Willen,  das  Wahre  zu  ermitteln  und  zu  sagen? 
An  Eifer,  durch  ausgedehnte  Reisen  überall  direkte  Erkundigungen  ein- 
zuziehen und  mit  eigenen  Augen  die  Dinge  zu  schauen,  hat  es  ihm  sicher 
nicht  gefehlt.  Bei  zwiespältiger  Überlieferung  hat  er  gewissenhaft  beide 
Parteien  zu  Wort  kommen  lassen,  oft  dem  Leser  selbst  die  Entscheidung 
überlassend.  Die  Perser,  Ägyptier  und  Thraker  benennt  er  zwar  mit  dem 
landläufigen  Namen  Barbaren,  aber  keiner  seiner  Landsleute  hat  je  gegen 
die  Barbaren  einen  gleichen  Gerechtigkeitssinn  gezeigt.  Absichtlich  hat  er 
nie  täuschen  wollen,  und  viele  seiner  fabelhaften  Angaben,  die  den  Alten 
ungeheuerlich  erschienen,  haben  durch  die  Entzifferung  der  Hieroglyphen 
und  Keilschriften  ihre  Bestätigung  gefunden.  Aber  er  kannte  als  echter 
Grieche  keine  fremden  Sprachen,  er  sah  sich  den  Fremden  gegenüber  auf 
die  zweifelhafte  Vermittelung  von  Dolmetschern  angewiesen  und  huldigte 
dazu  der  bösen  Sitte,  fremde  Verhältnisse  und  Götter  mit  griechischen 
Namen  zu  benennen.  Er  hielt  sich  ausserdem  mit  Vorliebe  bei  seinen  Er- 
kundigungen in  Hellas  wie  in  Ägypten  und  Assyrien  an  die  Priester  und 
ward  so  unwillkürlich  in  deren  abergläubische  oder  auf  Täuschung  berech- 
nete Auffassungen  hineingezogen.  Irrtümer  konnten  unter  solchen  Um- 
ständen nicht  ausbleiben,  wie  wenn  er  I,  131  durch  die  Endung  verleitet 
den  iranischen  Sonnengott  Mithra  für  eine  Göttin  ausgibt,  oder  III,  31  im 
Widerspruch  mit  den  heiligen  Schriften  der  Iranier  die  Heirat  mit  einer 
Schwester  als  unerlaubt  bezeichnet. ')  Auch  in  den  griechischen  Angelegen- 
heiten beging  er  Irrtümer  und  Hess  sich  namentlich  von  einer  gewissen 
A^oreingenommenheit  für  Athen  und  die  Kreise  des  Perikles  leiten,  was  zu 
harten  und  ungerechten  Urteilen  gegen  andere,  insbesondere  gegen  Korinth, 

xsif^svci  Kqoöötco  laioQtijy,  dXhl  xcd  \p6vaT}]i' 
uvxov  dnsXsy/cjy  iv  noXXoTg  y.ai  XoyoTioior 
(tnoxalwv.  Vergl,  Diodor  11,  15.  Ahnlicli 
urteilt  Manetho  über  die  ägyptischen  Partien 
seines  Geschiclitswerkes  bei  Josephus  c.  Ap. 
I,  14:  7T0ÄA«  löu  "^Hqö&oiop  sXsy/et  Tcoy  Ji- 
yrnTiaxivf  vn''  äyvoiag  ixpsvofxevov.  Sogar 
Bestechlichkeit  Avird  ihm  vorgeworfen  von 
Ps.  Dio  Ghrysost.  or.  37,  p.  103  R. 


')  Die  neuen,  durch  die  grossartigen 
Fortschritte  der  orientalischen  Philologie  be- 
dingten Anschauungen  gegenüber  Herodot 
vertritt  nicht  ohne  viele  zweifelhafte  Auf- 
stellungen Sayce,  The  ancient  enqnres  of 
the  east  and  Herodots  bools  I—  III,  Lond. 
1883.  Sehr  ungünstig  urteilte  unter  den 
Alten  sein  Zeitgenosse,  der  Arzt  Ktesias,  bei 
l'hütios  p.  35b,  41:  Kr7]au<g  tV  unaaip  ih'ii- 


288  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Theben  und  Themistokles  führte.  Wir  haben  darüber  eine  freilich  selbst 
wieder  von  thebanischem  Lokalpatriotismus  diktierte  Anklageschrift  von 
Plutarch  Tregl  rrjg  ^HqoSotov  xaxorjd^siccg,  und  erfahren  aus  Suidas,  dass 
auch  Aelius  Harpokration  ein  Buch  tisqI  tov  xarsipeva^ai  xirv  ^HqoSötov 
laioQiav  geschrieben  hatte. ^)  Weit  mehr  aber  als  diese  doch  immerhin 
nur  massige  Parteinahme  für  Athen  hielt  das  Urteil  Herodots  seine  reli- 
giöse Anschauung  und  seine  ethische  Richtung  befangen.  Herodot  war 
nicht  bloss  Historiker,  er  war  auch  Theologe;  er  teilte  mit  der  Mehrzahl  J 
seiner  Zeitgenossen  den  Glauben  an  Vorzeichen  und  Wunder,  er  hatte  sich  " 
eine  eigene  Vorstellung  von  dem  Neide  der  Götter  gebildet  und  wollte 
insbesondere  in  der  Geschichte  überall  das  Walten  der  Gottheit,  speziell 
in  den  Perserkriegen  das  Strafgericht  der  Götter  über  menschlichen  Frevel 
und  Übermut  erkennen.  Infolgedessen  merkte  er  nicht,  dass  die  ihm  vor- 
gelegten Orakel  zum  grossen  Teil  nur  vaticinia  ex  eventu  waren,  und 
liess  sich  selbst,  um  Zusammenhang  in  die  Naturerscheinungen  und  mensch- 
lichen Ereignisse  zu  bringen,  zur  Verrückung  chronologischer  Daten  ver- 
leiten, 2)  wie  das  alles  sehr  gut  Wecklein,  Über  die  Tradition  der  Perser- 
kriege, dargethan  hat.  Aristoteles,  de  gen.  an.  III,  5,  hat  unseren  Herodot 
einen  f.ivd^oX6yog  genannt,  und  wir  werden  zugeben  müssen,  dass  derselbe, 
wenn  er  auch  nicht  geradezu  kritiklos  schrieb, •'^)  doch  noch  weit  von  einem 
kritischen  Geschichtsforscher  entfernt  war.  Aber  auf  der  anderen  Seite 
bekundet  Herodot  in  allen  litterarischen  Fragen  ein  feines,  von  Vorurteilen 
freies  Urteil,  und  berührt  uns  sympathisch  der  warme  Ton,  welcher  sein 
Werk  durchzieht  und  der  nur  von  einem  Manne  ausgehen  konnte,  der  selbst 
von  Vaterlandsliebe  und  sittlichem  Adel  getragen,  auch  in  der  Geschichte 
der  Völker  das  Walten  höherer  sittlicher  Mächte  fand. 

Codd. :  2  Familien,  von  denen  die  ältere  vertreten  ist  durch  A  (Flor.  73,  5  s.  XI)  B 
C  (A  u.  B  mit  stichometrischen  Angaben),  die  jüngere,  von  Cobet  und  Gomperz  höher  ge- 
schätzte durch  R  (Vatic.  123)  P  (Paris.  1633),  Vindob.,  Sancroftianus.  Kritischer  Apparat 
am  besten  in  den  Ausgaben  von  Gaisford  und  von  Stein. 

Hypomnemata  schrieben  nach  Suidas  die  Rhetoren  Heron  aus  Athen,  Salustius 
und  Tiberius.  Kritische  Studien  stellte  in  Hadrians  Zeit  der  Grammatiker  Alexander 
von  Kotyaion  an.  rXöioaca  '^Hqo&oxov  von  Apollonios  erwähnt  Et.  M.  p.  500.  Auf  uns 
gekommen  sind  kaum  nennenswerte  Scholien  und  dürftige  ^Hqo^ötov  'Ae^eLg,  abgedruckt  im 
Anhang  von  Steins  Ausgabe;  vgl.  Kopp,  Beiträge  zur  griech.  Exzerptenlit.  72  ff. 

Ausgaben:  cum  annot.  Galei,  Fr.  Gronovii,  Valckenarii,  ed.  Wesseling,  Amstel. 
1763  —  cum  annot.  Wesselingii  et  Valckenarii  aliorumque  ed.  Schweighäuser  Argent. 
1816,  6  Bde.  —  ed.  Gaisfokd,  ed.  III  Oxon.  1849  —  ed.  Bahr  mit  Kommentar,  ed.  11 
Lips.  1856,  4  Bde.  —  ed.  Stein,  Berol.  1869,  2  Bde.  mit  erlesenem  kritischen  Apparat, 
ed.  min.  1884.  —  Textausgabe  mit  kurzem  Apparat  von  Holder  in  Bibl.  Schenk.  —  P]r- 
klärende  Schulausg.  von  Stein  bei  Weidmann;  von  Abicht  bei  Teubner;  von  Hintner  in 
Wien.  —  Herodotus  1.  I — III  ivith  notes  introdnction  and  appendices  von  Sayce,  Lond. 
1883,  worin  die  neueren  Forschungen  der  Orientalisten  verwertet  sind.  Englische  Über- 
setzung mit  reichen  sachlichen  Kommentaren  von  Rawlinson,  ed.  II  Lond.  1876,  4  Bde.  -- 
Klassische  Übersetzung  von  Lange,  2.  Aufl.,  Berl.  1824.  —  Lexicon  Herodottum  von  Schweig- 
häüser,  Strassb.  1824. 

Eine  Epitome  des  Herodot  in  2  B.  schrieb  Theopomp;  den  Namen  des  Herodot 
trägt  fälschlich  ein  in  ionischem  Dialekt  geschriebener  Biog  'OfxtJQov,  worüber  oben  S.  24. 


')  Vgl.   Strab.   p.  819;    Joseph,    c.   Ap. 
I,   14;  Et.  M.  u.  Aeovroxöfxog. 

'^)  So   ist  VII,   37    die   Sonnenfinsternis 
von  478  in  die  Zeit  des  Xerxeszuges  gesetzt;    |    Kyprien  II,  117 
s.  Wecklein,  Über  die  Tradition  der  Perser-    , 


kriege  in  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1876,  S.  253. 

^)  Vergleiche    besonders    den   hübschen 
Nachweis  des  unhomerischen  Ursprungs  der 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     c.  Thukydides.  (§  219.) 


289 


c.  Thukydides  (um  455  bis  um  400).  0 

219.  Thukydides,  Sohn  des  Oloros  und  der  Hegesipyle  aus  dem 
attischen  Demos  Halimus,^)  war  der  erste  kritische  Historiker  und  zugleich 
der  erste  namhafte  Prosaiker  Athens.  Durch  den  Vaternamen  ward  er 
von  dem  Staatsmann  Thukydides,  dem  Sohne  des  Melesias  und  politischen 
Gegner  des  Perikles,  unterschieden.  Die  Herkunft  des  Historikers  ging 
auf  den  thrakischen  König  Oloros  zurück,  dessen  Tochter  Hegesipyle  Mil- 
tiades,  der  Marathonsieger,  geheiratet  hatte.  ^)  Dass  derselbe  auch  mit  den 
Pisistratiden  verwandt  war,  berichtet  der  Litterarhistoriker  Hermippos."*) 
Zu  dieser  genealogischen  Angabe  wird  zunächst  der  Exkurs  über  die  Pisi- 
stratiden VI,  54 — 59,  der  ein  näheres  Interesse  unseres  Historikers  für  die 
Ehre  jener  vielverrufenen  Tyrannen  erkennen  lässt,  Anlass  gegeben 
haben;  aber  auch  thatsächlich  hatte  Thukydides  zu  den  Pisistratiden 
insofern  verwandtschaftliche  Beziehungen,  als  ebensogut  Pisistratos  als 
Kimon,  in  dessen  Familiengrabstätte  unser  Historiker  beigesetzt  war, 
zu  dem  berühmten  Geschlecht  der  Phileidai  gehörten.  Von  seinen  thra- 
kischen Ahnen  oder  von  seiner  Frau,  die  aus  der  attischen  Besitzung 
Skaptehyle  an  der  thrakischen  Küste  stammte,^')  hatte  er  die  reichen 
Bergwerke  in  Thrakien,  nach  denen  er  sich  in  der  Verbannung  zurückzog. 
Aber  auch  in  seiner  Hinneigung  zur  Aristokratie  und  in  seiner  rücksichts- 
losen, jeder  Wortzier  abholden  Wahrheitsliebe  dürfen  wir  den  Einfluss  des 
adeligen  Familienstolzes  und  der  thrakischen,  halbbarbarischen  Abkunft 
erblicken.*')  Über  sein  Geburtsjahr  und  seine  Erziehung  scheinen  die  Alten 
selbst  nichts  sicheres  gewusst  zu  haben;  aber  wahrscheinlich  war  er  zwi- 
schen 460  und  454  geboren,')  und  übten  auf  seine  Geistesrichtung  und 
seine  Schreibweise  die  aufgeklärten  Lehren  des  Philosophen  Anaxagoras 
und  die  strengen  Stilregeln  des  Redners  Antiphon  bestimmenden  Einfluss.^) 


^)  Ausser  dem  Artikel  des  Suidas  haben 
wir  eine  ausführliche  Vita  von  Marcellinus 
[ex  Toüy  sig  Oovx.  a^oXibJt^  tieqI  tov  ßiov 
(iVTOv  b)ovy.v^ii^ov  y.al  irjg  tov  loyov  ideag), 
wahrscheinlich  demselben  Rhetor,  von  dem 
wir  auch  Scholien  zu  Hermogenes  (Walz, 
Rhet.  gr.  IV,  39  ff.)  haben.  Neuere  Darstel- 
lungen: Krüger,  Untersuchungen  über  das 
Lebendes  Thukydides,  Berl.  1832,  mit  Nach- 
trag 1839 ;  RoscHEK,  Leben,  Werk  und  Zeit- 
alter des  Thukydides,  Gott.  1842;  Wilamo- 
wiTZ,  Die  Thukydideslegende,  im  Herm.  12, 
326  ff.,  mit  Pmtgegnungen  von  R.  Scholl, 
Herm.  13,  438  ff'.,  und  Unger,  Jahrb.  f.  Phil. 
1880,  S.  173  ff. 

''^)  Qovy.vdlJi]?  ^OqoXov  'Ahfiovaiog  stand 
auf  seiner  Grabstele  in  der  kimonischen  Grab- 
stätte (s.  Mareen.   16). 

^)  Vermutungen  über  den  Stammbaum 
von  Töpffer,  Attische  Genealogie  282  ff", 
u.  320. 

^)  Marceil.  18  u.  Schol.  zu  I,  20.  Die 
Vermutung  des  Hermippos  sucht  Müller- 
Strübing,  Aristoph.  534  ff.  zu  stützen. 

^)  Marceil.  19:  ijydyeio  öi   yvt^cdy«  und 

Uandbiicb  der  tlass.  Altortviuiswisseuschaft.  VII.     2 


ZxumrjavXrjg  rijg  QQaxijg  nXovalay  acpöS^K 
xcd  jWeV«AA«  xsxxtjfAtvrjp  iy  rrj  0Qcicxrj.  Nach 
Plut.  Cim.  4  hatte  er  die  Bergwerke  von 
seinen  thrakischen  Ahnen. 

")  Ein  strenger,  die  fremde  Abkunft 
nicht  verleugnender  Ausdruck  liegt  auch  in 
den  Gesichtszügen  seiner  von  Oinobios  ge- 
fertigten (Paus,  l,  23.  9)  Büste,  worüber 
Michaelis,  Die  Bildnisse  des  Thukydides, 
Strassb.  1877;  vgl.  die  beigegebene  Tafel. 

'')  Zwei  widersprechende  Angaben  haben 
wir  aus  dem  Altertum,  die  der  Pamphila 
bei  Gellius  XV,  23,  wonach  er  im  Beginne 
des  peloponnesischen  Krieges  40  Jahre  alt, 
also  ca.  470  geboren  war,  und  die  des  Mar- 
cellinus 34,  wonach  er  im  50.  Lebensjahre 
starb,  also  um  450  geboren  war.  Auszugehen 
ist  von  der  sicheren  Thatsache,  dass  Thuky- 
dides 424  das  Strategenamt  bekleidete,  also 
damals  mindestens  30  Jahre  zählte 
Diels,  Rh.  M.  31,  48. 

**)  Marcell.    22:     ijxovas   6e    didaaxuXioi' 

'AvaSiCiyÖQov    ^ev    fV    (pilooöcfoig    'öf^ey    g:y- 

o\i^     6     Ai'Tv'kXog     x(ci     uSeog    yQf'fja    ii'Of^i- 

ai^jj      rijg      exeTSey      »Vew^t«?      euq:^0Q7]9elg, 

Ann.  19 


Vgl. 


290  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Was  man  sich  von  dem  Einfiuss  des  Herodot  erzählte,  welcher,  als  er  den 
jungen  Thukydides  bei  der  Vorlesung  seines  Geschichtswerkes  bis  zu  Thränen 
ergriffen  sah,  sich  an  den  Vater  mit  den  Worten  wandte :  co  "OXoqs,  oQya 
rj  (fvaig  Tov  vtov  aov  irgog  i^iaü^i]^ara^  ist  novellistische  Erfindung  späterer 
Grammatiker.^)  Im  Beginne  des  peloponnesischen  Krieges  stand  Thuky- 
dides bereits  im  urteilsfähigen  Alter,  2)  so  dass  er  die  Grösse  des  Krieges 
voraussehen  und  den  Plan  zu  seinem  Geschichtswerk  fassen  konnte;  430 
oder  429  ward  er  von  der  Pest  befallen;-^)  423  leitete  er  als  Stratege  und 
Flottenbefehlshaber  die  Operationen  an  der  thrakischen  Küste.  Da  er  aber 
zum  Ersätze  der  von  Brasidas  bedrängten  Stadt  Amphipolis  zu  spät  kam 
und  die  Einnahme  derselben  durch  den  kühnen  und  geschickten  Feldherrn 
der  Lakedämonier  nicht  zu  verhindern  vermochte,  ward  er  wegen  Hoch- 
verrates zum  Tod  verurteilt.  Der  ungerechten  Strafe  entzog  er  sich  durch 
freiwillige  Verbannung,  in  der  er  20  Jahre  weilte,*)  bis  er  404  mit  dem 
Ende  des  peloponnesischen  Krieges,  nach  Pausanias  I,  23  durch  einen  von 
Oinobios  beantragten  Volksbeschluss,^)  die  Erlaubnis  zur  freien  Rückkehr 
in  seine  Vaterstadt  erhielt.  Die  Müsse  der  Verbannung  benützte  er,  um  an 
seinem  Geschichtswerk  zu  arbeiten,  zunächst  um  Materialien  zu  demselben 
zu  sammeln.  Seine  Besitzverhältnisse  mussten  ihn  von  selbst  bestimmen, 
sich  nach  Thrakien  zu  wenden  und  dort  sein  neues  Domizil  aufzuschlagen. 
Aber  sicher  wird  er  nicht  20  Jahre  lang  in  Thrakien  festgesessen  haben. 
Der  Geschichtsschreiber  Timaios  ^)  lässt  ihn  nach  Italien  in  die  Verbannung 
gehen;  daran  wird  so  viel  wahr  sein,  dass  er  Italien  und  Syrakus,  den 
Schauplatz  seiner  grossartigsten  Darstellung,  irgendwann  einmal  besucht  hat. 
Ausserdem  lebte  er  eine  Zeitlang  in  Makedonien  bei  dem  Könige  Arche- 
laos, der  Dichter  und  Gelehrte  an  seinen  Hof  zog  und  durch  Anlegung 
von  Strassen  und  Städten  Makedonien  auf  die  Bahn  höherer  Kultur  lenkte. 
Thukydides  selbst  schildert  uns  II,  100  den  Eindruck,  den  das  erleuchtete 
Regiment  des  tüchtigen  Königs  auf  ihn  machte.'')  Unsicher  ist,  wie  lange 
er  die  Zeit  seiner  Zurückberufung  überlebte  und  wo  und  wie  er  gestorben 
ist.  Nach  Didymos  bei  Marcellinus  c.  32  und  Pausanias  I,  23.  9  ist  er 
in  Athen  unmittelbar  nach  seiner  Rückkehr  eines  gewaltsamen  Todes  ge- 
storben,   während    ihn   Kratippos,    der   Fortsetzer    seines   Werkes,   in    der 


cipdQog,  ov  xcd  ^8^vi]xca  sv  rfi  oydorj  (VIII, 
G8).  Aus  dieser  Lobrede  auf  Antiphon  wurde 
wohl  zunächst,  und  zwar  zuerst  von  Caeci- 
lius  (Plut.  p.  833  e)  geschlossen,  dass  derselbe 
sein  Lehrer  gewesen  sei. 

^)  Marcell.  54,  Suidas  und  Phot.  cod.  GO. 
Nach  Marcell.  36  fand  man  im  Stile  des 
Thukydides  auch  Spuren  der  nagiaiöaeig  u. 
uvxcfhtGELg  des  Leontiners  Gorgias  und  der 
uxQvßoXoyia  des  Keers  Prodikos ;  vgl.  Blass, 
Att.  Bereds.  I'^  218.  Im  übrigen  scheint 
Thukydides  sich  selbst  gezeichnet  zu  haben, 
wenn  er  I,  138  von  seinem  Helden  Themi- 
stokles  sagt:  avrjQ  oixeia  '^vvegei  xcd  ovrs 
7iQ0fj.aS^ujv  ig  avt^i'  ovd^y  ovr^  intfAcc&oJt^ 
y.(j(<TiaTog  yvio^uop. 

'')  Thuc.  V,  26. 


3)  Thuc.  II,  48. 

4)  Thuc.  IV,  103-7  u.  V,  26. 

^)  Mit  Pausanias  stimmt  Plinius  N.  H. 
VII,  110.  WiLAMOwiTZ  a.  0.  344  ff.  bestreitet 
die  Richtigkeit  dieser  Angabe,  da  dem  Thu- 
kydides ohnehin  durch  die  allgemeine  Am- 
nestie von  404  die  Rückkehr  freistand.  Da- 
gegen R.  Scholl,  Herrn.  13,  438  und  Unger 
a.  0.  138. 

6)  Marcell.  25  u.  33. 

^)  Marcell.  29 :  avvEXQovrjGS  cT',  Mg  (frjat 
JlQa^icpdi^rjg  sv  r(p  ttsqI  iaroqiug,  J7A«rw^fc 
rw  y.tüfjLXM,  'Jydx^MVi  riö  TQccyixio,  Nixr^Qchcp 
enonoiM  xcd  XoiqlXm  xcd  Malccvimii&ri,  xcd 
inel  jusy  f'C^y  ^Q/^^f^og,  cido^og  ijp  w?  eni 
tiXeTgtov,  (og  avTog  ÜQa^Lcpc'iyrjg  ^rjXoT,  vare- 
Qov  de  dc((fxoyiiog  e\hccv{j.c'(a&^]. 


2.  Die  Gescliichtssclireibuug.     c.  Thukydides.  (§  220.) 


291 


Fremde,  im  Lande  der  Thraker  sterben  Hess.")  Dass  er  eines  unvorher- 
gesehenen Todes  starb,  lässt  auch  der  unfertige  Zustand  seines  Werkes  ver- 
muten. Der  Tod  ereilte  ihn  wahrscheinlich  vor  dem  Hingang  des  Königs 
Archelaos  (399),  sicher  vor  396,  wo  ein  erneuter,  von  Thukydides  III,  116 
nicht  gekannter  Ausbruch  des  Aetna  stattfand.  2) 

220.  Die  Geschichte  des  peloponnesischen  Krieges  ist  das 
einzige  Werk  unseres  Historikers,  und  dieses  eine  Werk  ist  obendrein  ein 
Torso  geblieben,  da  es  mitten  im  Krieg  mit  dem  J.  411  abbricht.  Denn 
den  ganzen  Krieg  hatte  er  zu  schreiben  im  Sinn,  wie  er  gleich  im  An- 
fang mit  klaren  Worten  ausspricht  und  noch  bestimmter  im  Eingang  des 
zweiten  Teiles  V,  26  wiederholt.  Auch  hatte  er  unzweifelhaft  das  Material 
zur  Darstellung  des  ganzen  Krieges  gesammelt,  mit  welcher  Arbeit  er 
gleich  im  Anfang  des  Krieges  in  Voraussicht  seiner  Bedeutung  begann 
und  welche  er  während  desselben  ununterbrochen  fortsetzte. 2)  Aber  ein 
jäher  Tod  verhinderte  ihn,  die  Verarbeitung  des  Stoffes  zum  Schluss  zu 
führen,^)  so  dass  die  Geschichte  der  letzten  Jahre  ungeschrieben  blieb ^) 
und  auch  das  letzte  Buch  des  ausgearbeiteten  Werkes  die  letzte  Feile  ver- 
missen lässt.  Denn  von  den  8  Büchern,  in  welche  das  Werk  nach  unserer 
Bucheinteilung  zerfällt,  hat  das  letzte  etwas  skizzenhaftes  und  entbehrt  der 
für  Thukydides  Darstellungsart  charakteristischen  Reden  in  direkter  Form.<^) 
Dass  indes  auch  dieses  Buch  echt  ist,  daran  ist  nicht  im  mindesten  zu 
zweifeln;  wenn  dasselbe  von  einigen  der  Tochter  des  Thukydides  zuge- 
schrieben wurde,  ^)  so  war  das  nur  eine  miss verständliche  Deutung  der 
guten  Überlieferung,  dass  nach  dem  Tode  des  Vaters  seine  Tochter  die 
Herausgabe  des  Gesamtwerkes  besorgte.*^)  Die  Einteilung  des  Werkes  in 
8  Bücher  rührt  nicht  von  Thukydides  selbst  her,  wie  man  schon  daraus 
ersieht,  dass  daneben  eine  solche  in  9  und  13  B.  existierte.'-^)  Wohl  aber  hat 
derselbe  durch  die  neue  Einleitung  in  V,  26  ^^ytyqacfs  St  xal  ravra  GovxvSiSrjg 


^)  Marceil.  33.  Nach  Stephanos  Byz. 
u.  UccQnf'iQiJiP  starb  er  bei  Perperene,  einem 
äolischen  Städtchen  der  Aeolis  gegenüber 
Lesbos,  wo  Suidas  mit  mehr  Wahrschein- 
lichkeit den  aus  jener  Gegend  stammenden 
Hellanikos  sterben  lässt.  Wilamowitz  findet 
in  der  Angabe  des  Marcellinus  c.  31  von 
einem  Kenotaph  des  Thukydides  in  Athen 
ein  grobes  Missverständnis,  das  Unger  mit 
kühnen  Hypothesen  zu  zerstreuen  sucht. 

'')  Diodor  XIV,  59.  Unger  a.  0.  164  fF. 
lässt  den  Thukydides  erst  zwischen  Spätsommer 
395  und  Sommer  393  sterben,  weil  die  Stelle 
IV,  74  voraussetze,  dass  die  394  in  Megara 
aufgekommene  Aristokratie  seitdem  wieder 
abgeschafft  worden  sei. 

•')  Thuc.  I,  1  u.  V,  26. 

'*)  Aus  dem  Perfekt  yiyQucpe  &6  xai 
Tccvra  0ovxvdl&t]g  (V,  25)  schliesst  Müller- 
Strübing,  Thuk.  Forsch.  74,  dass  Thuk. 
den  ganzen  Krieg  geschrieben  habe,  dass 
aber  der  Schlussteil  des  Werkes  durch  Be- 
raubung und  Ermordung  des  Verfassers  zu 
Verlust  gegangen  sei. 

^)  Nachgetragen    wurde    dieselbe   durch 


Xenophon  und  Kratippos;  über  den  ersteren 
gleich  nachher,  den  Kratippos  setzt  Mar- 
cell.  33  nach  Zopyros,  so  dass  derselbe  der 
alexandrinischen  Zeit  angehörte,  wie  Scholl 
im  Herrn.  13,  466  richtig  nachweist. 

^)  Nach  Dionysios  de  Thuc.  16  hatte 
Kratippos,  der  Fortsetzer  des  Werkes,  die 
verkehrte  Vermutung  aufgestellt,  Thukydides 
habe  absichtlich  im  8.  ß.  die  Reden  weg- 
gelassen, weil  sie  die  Erzählung  der  Hand- 
lung störten  und  den  Lesern  lästig  seien. 

^)  Marcell.  43:  Xiyovai  &s  riveg  xrlv 
oy^örju  laioQUiv  vo&evea^ui  xal  fxrj  eipai 
0ovxv(fidov,  «AA'  ol  /nsy  cpaaiy  eivai  rfjq 
d^vyttXQÖq  avxov,   ol  de  Bspocpixiviog. 

^)  Den  Xenophon  nennt  als  Herausgeber 
Diog.  II,  57. 

^)  Marcell.  58:  Trjv  nQayfxarsiav  avxov 
ol  fxev  xaxixsfjioy  sig  XQ€ig  xal  dexa  laxoQiag, 
ciX'Aoi    de    ccXXojg  •  ofiiog    de   ?;  nXeiaxt]  xal  t) 

XOLVT]     XeXQÜxrjXE     XÖ     [XS/QI      X(xJV     OXXÜJ      difi- 

Q'qoH^ai  xt]i'  TiQayjuax8Lay.  Eine  Einteilung 
in  9  B.  kennt  Diodor  12,  37  u.  13,  42;  s. 
Wilamowitz,  Curae  Thucyd.  p.  6  f. 


19* 


292 


Griechische  Litteraturgeschichte,     I.  Klassische  Periode. 


'A^ijvaiog^'  klar  angedeutet,  dass  das  Ganze  aus  2  Teilen  zusammenge- 
wachsen ist,  dass  mit  andern  Worten  Thukydides  anfänglich  nur  den  zehn- 
jährigen, sogenannten  archidamischen  Krieg  darzustellen  gedachte,  und  erst 
später,  als  der  Friede  des  Nikias  sich  ohne  Bestand  erwies  und  aus  dem- 
selben neue  Kämpfe  hervorgingen,  den  ursprünglichen  Plan  erweiterte 
und  auf  den  archidamischen  Krieg  die  Erzählung  der  sikilischen  Expedition 
und  dann  die  Geschichte  des  erneuten  Krieges  in  Hellas,  des  sogenannten 
dekeleischen  Krieges  folgen  Hess.  Man  hat  Anzeichen  dieses  Sachverhält- 
nisses auch  noch  in  unserem  Texte  finden  wollen,  namentlich  darin,  dass  in 
dem  1.  Teil  (T,  1 — IV,  48  oder  I,  1 — V,  24)  noch  das  Wort  6  TtoXsfxog,  in  dem 
Sinne  ,archidamischer  Krieg'  genommen  sei.^)  Diese  Anzeichen  sind  aber 
bis  auf  kleine  Spuren  dadurch  verwischt,  dass  der  Verfasser  den  ersten 
Teil  nach  Abschluss  des  Krieges  nochmals  überarbeitete,  2)  mit  der  Neu- 
redaktion des  Ganzen  aber  nicht  über  die  4  ersten  Bücher  hinauskam,  so 
dass  Unebenheiten,  wie  die  zweimalige  Widerlegung  der  Erzählung  von 
den  Tyrannenmördern  Harmodios  und  Aristogeiton  (I,  20  und  VI,  54 — 57), 
stehen  geblieben  sind.^) 

221.  Von  seinen  Vorgängern  unterschied  sich  Thukydides  schon  durch 
die  Wahl  des  Stoffes,  indem  er  nicht  in  die  Vergangenheit  zurückgriff, 
sondern  das,  was  er  selbst  miterlebt  hatte,  erzählte.  Er  betont  mit  Selbst- 
gefühl wiederholt  diesen  Umstand,  *)  weil  er  sich  so  über  die  leitenden 
Persönlichkeiten  ein  sicheres  Urteil  bilden  konnte  und  bezüglich  der  That- 
sachen  nicht  wie  Hellanikos  und  die  Logographen  auf  die  fabelhaften  Über- 
lieferungen der  Vergangenheit,  sondern  auf  eigene  gewissenhafte  Erkundi- 
gungen angewiesen  war.-^)  Demgemäss  bleibt  er  auch,  im  Gegensatz  zu 
Herodot,  streng  bei  der  Sache  und  erlaubt  sich,  abgesehen  von  orientierenden 
Einleitungen,  wie  von  der  Vorgeschichte  Griechenlands  (I,  1 — 21),  von  der 
nächsten  Vergangenheit  Athens  (I,  89 — 118.  128  —  138),  von  der  Lage  und 


')  Thuc,  I,  10.  Diese  Ansicht  wurde 
aufgestellt  von  Ulrich,  Beiträge  zur  Jjr- 
klärung  des  Thukydides,  Hamb.  1840;  da- 
gegen polemisiert  Classen,  in  der  Einleitung 
seiner  Ausgabe.  Die  Hypothese  Ulrichs 
wurde  teilweise  modifiziert  von  Steup,  Quaest. 
Thucyd.,  Bonn  1808,  weiter  verfolgt  von 
Müller-Strübing,  Thukydideische  Forschun- 
gen, Wien  1881,  S.  42  flf. 

^)  Daraus  stammt  z.  B.  die  Charakteiistik 
des  Perikles  II,  05,  wobei  ein  Blick  auf  die 
ganze  Folge  des  Krieges  bis  zu  seinem  Ende 
geworfen  ist.  War  der  erste  Teil  wirklich 
bald  nach  420  nicht  bloss  geschrieben,  son- 
dern auch  herausgegeben  worden,  so  hatten 
sich  von  dieser  Sonderausgabe  keine  Exem- 
plare in  die  spätere  Zeit  gerettet. 

^)  CwiKLiNSKi,  De  tempore  quo  Thuc. 
priorem  historiae  suae  partem  composuerit, 
Berl.  1873,  und,  Entstehung  der  Thukydi- 
deischen  Geschichte,  Herm.  12,  23—87  stellt 
folgende  Chronologie  auf:  1.  archidamischer 
Krieg  I,  1--V,  24,  nach  421  aber  vor  404 
geschrieben ;  2.  der  sikilische  Krieg,  eben- 
falls  vor  404   abgefasst;    3.  Geschichte  der 


Friedenszeit  und  des  ionisch-dekeleischen 
Krieges,  Buch  V  von  c.  25  an.  einzelne 
Partien  von  B.  VI,  endlich  B.  VII  u.  VIII, 
geschrieben  nach  404;  4.  Einreihung  des 
sikilischen  Krieges  und  vollständige  Um- 
arbeitung des  ganzen  Werkes,  die  nur  bis 
zum  Ende  des  4.  Buches  gedieh. 

'*)  Thuk.  V,  20;  ineßtoDu  diu  napTog 
avTov  alaS^(iv6fj.sp6g  re  rrj  rjhxla  xcd  ngoa- 
E/toy  irjv  yvi6fxi]i^,  oneog  axQtßag  n  staouat. 
I,  1 :  TCi  yccQ  TiQo  avTioy  (sc.  noX.  TTeXon.) 
Y.al  rd  an  na'kciiorEQcc  aa(ptog  fihv  svqsTv 
did  XQoyov  nlrj&og  cl^vrcau  rji^.  Vgl.  VI,  2. 
Abschätziges  Urteil  über  Hellanikos  I,  97; 
verdeckter  Vorwurf  gegen  Herodot  I,  22. 

^)  Wir  können  hier  teilweise  noch  an 
der  Hand  epigraphischer  Funde  den  Histo- 
riker kontrollieren.  Der  in  Stein  uns  er- 
haltene Bundesvertrag  der  Athener  und  Ar- 
giver  weicht  in  Kleinigkeiten  von  dem  Texte 
des  Thukydides  V,  47  ab;  s.  Kirchhoff, 
Herm.  12,  308  ff.  Bezüglich  der  Strategen 
I,  51  überführt  die  Inschrift  CIA.  I,  179  den 
Historiker  eines  kleinen  Irrtums. 


2.  Die  Geschichtsschreibnng.     c.  Thukydides.  (§  221 -222.)  293 

älteren  Geschichte  Sikiliens  (VI,  1-5),^)  fast  gar  keine  Abschweifungen. 
Nur  einmal  (VI,  54— -57)  hat  er  sehr  zur  Unzeit,  lediglich  um  ein  ein- 
gefleischtes Vorurteil  seiner  Mitbürger  zu  zerstreuen,  eine  aufklärende  Di- 
gression  über  die  Ermordung  des  Hipparch  durch  Harmodios  und  Aristo- 
geiton  einzulegen  sich  gestattet.''^)  In  seinem  Hauptthema  galt  ihm,  wie 
er  dieses  auch  in  dem  Titel  des  Werkes  ausdrückte,  die  Darstellung  des 
Krieges  als  seine  eigentliche  Aufgabe.  Infolge  dessen  kümmerte  er  sich 
um  Kunst  und  kulturgeschichtliche  Verhältnisse  gar  nicht  und  berührte 
auch  die  inneren  Vorgänge  Athens  und  Spartas  nur  wenig,  so  dass  er  uns 
z.  B.  wohl  sein  Verhalten  bei  der  Einnahme  von  Amphipolis  ausführlich 
erzählt,  aber  von  seiner  Verurteilung  und  den  dabei  doch  gewiss  laut  ge- 
wordenen Parteikämpfen  auf  dem  Forum  nichts  sagt.  Die  Kriegsereignisse 
selbst  erzählt  er  in  annalistischer  Weise,  indem  er  obendrein  in  jedem  Jahr 
Sommer  und  Winter  scheidet.  Diese  kunstlose  Einförmigkeit,  die  oft  Zu- 
sammengehöriges auseinanderzureissen  nötigte,  missfiel  nicht  ohne  Grund 
den  späteren  Rhetoren,^)  entsprach  aber  der  Weise  der  Kriegsführung  und 
der  Gewohnheit  der  alten  Historiker.  Gestritten  hat  man  in  unserer  Zeit 
viel,  ob  Thukydides  dabei  vom  natürlichen  Jahr  oder  von  dem  Kalender- 
jahr ausgegangen  sei.  Die  Natur  der  Sache  begünstigt  die  erstere  Annahme, 
da  man  sich  ja  auch  in  den  Operationen  nicht  nach  den  Wirren  des  dama- 
ligen Kalenders,  sondern  nach  der  Norm  der  Natur  wird  gerichtet  haben.*) 

222.  Thukydides  gilt  mit  Recht  als  der  grösste  Historiker  des  Alter- 
tums. Er  brachte  zur  Geschichtsschreibung  eine  reife,  aus  eigener  prakti- 
scher Thätigkeit  stammende  Kenntnis  der  Staatsgeschäfte  und  des  Kriegs- 
wesens mit.  Sein  aufgeklärter  Geist  war  frei  von  jeder  religiösen  Be- 
fangenheit und  erhaben  über  die  engherzigen  Parteivorurteile  der  Politiker 
gewöhnlichen  Schlages.  Die  mit  prüfendem  Blick  erkannte  und  auf  un- 
parteiischer Erkundigung  beruhende  Wahrheit  war  das  höchste  Ziel  seiner 
Geschichtsschreibung,  vor  dem  seine  innere  Empfindung  und  seine  Hinneigung 
zur  aristokratischen  Regierungsform  zurücktreten  mussten.  Der  Grösse  der 
Zeit  und   des  Gegenstandes   entsprach  die  Grösse   seiner  Seele,   die  Hohes 


')  In  diesen  Abschnitten  war  denn  auch    '   seines  Verfahrens  veranlasst,    da   andere  — 
Thukydides  auf  ältere  Quellenschriftsteller  an-   j   und    unter   diesen    wird    gewiss    Hellanikos 

gewesen   sein  —  eine   Erzählung   nach   Ar- 
chonten  wünschten. 

^)  Die  zweite  Meinung  wird  vertreten 
durch  Unger,  Das  Kriegsjahr  des  Thukyd.. 
im  Philol.  43,  577  ff.  und  44,  622  ff.,  die 
erste  unter  andern  durch  Wilamowitz,  Curae 
Thucydideae,  Gott,  1885.  Über  den  natür- 
lichen Frühlingsanfang  ist  allerdings  einige- 
mal (II,  103.  in,  116.  IV,  52.  VII,  19)  hin- 
übergegriffen, aber  das  erklärt  sich  aus  stilisti- 
schen Rücksichten.  DiechronologischeSchwie- 
gilt  der  Tereussage  und  scheint  durch  das  :  rigkeit  bezüglich  des  Anfangs  des  Krieges 
Interesse  an  dem  sophokleischen  Stück  her-  und  des  Anschlags  auf  Platää  II,  2  kommt 
vorgerufen  zu  sein.  ;    ohnehin  hier  nicht   in  Betracht,  da  hier  das 

^)  Hart  urteilt  Dionys.  de  Thucyd.  9  u.       überlieferte  ^vo  ^rjvccg  mit  Vömel  und  Krüger 
epist.  ad  Pomp.  3.     Schon  Thukydides  selbst       in  &'  ^urjpag,  d.  i.  TsanaQKc  firjvag  gebessert 
sah  sich  im  Eingang  der  Fortsetzung  seines       werden  muss. 
Geschichtswerkes  V,  20   zur  Hechtfertigung    [ 


gewiesen,  und  zwar  hat  er  in  dem  Abschnitt 
über  Sikilien  den  Antiochos  ausgebeutet, 
wie  durch  feine  sprachliche  Beobachtungen 
\VöLFFLi]>5,  Antiochos  von  Syrakus  und  Coelius 
Antipater,  Leipz.  1870  zur  Gewissheit  er- 
hoben hat.  In  dem  1.  B.  hat  er  Herodot, 
Hellanikos  und  eine  chronikartige  Aufzeich- 
nung benützt,  worüber  Köhler,  Über  die 
Archäologie  des  Thuk.,  in  Comm.  in  honor. 
Momms.  270-7. 

Eine  ähnliche  kürzere  ICpisode  II,  29 


294 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode, 


und  Grosses  auch  mit  dem  entsprechenden  Massstab  zu  beurteilen  verstand 
und  sich  namentlich  in  der  ebenso  scharfen  als  grossartigen  Charakteristik 
der  handelnden  Hauptpersonen  kundgibt.  Als  Mittel  dazu  dienten  ihm  die 
Reden,  welche  er  seinen  Staatsmännern  und  Feldherrn  in  den  Mund  legt 
und  die  man  mit  Recht  als  die  eigentlichen  Glanzpunkte  seines  Werkes 
bezeichnet  hat.  Wie  er  dieselben  aufgefasst  haben  wollte,  hat  er  selbst 
I,  42  klar  ausgesprochen:  o<icc  \xlv  ^oyo)  dnov  sxaarot  rj  ixäXXovrsq,  ttoXs- 
Hrjaeiv  rj  iv  avToi  r^rj  ovtsQj  ^aXinov  ttjv  axqißsiav  avrrjv  twv  Xsx^svtmv 
6iafjivrifxov6V(Sai  -ijv  sfioi  ts  cor  avrog  rjxovcfa  xal  zoTg  aXXo&sv  nod^ev  iixol 
ciTtayysXXovtyiv  (og  S'ccv  iSoxovv  ifioi  exacfroi  ttsqI  tmv  asl  Tiaqovtoav  rd 
Ssovra  ixccXiar'  slnsiv,  sxofjisrfo  ort  eyymara  Trjg  ^vjiiTidarjg  yvcofir^g  toov  dXrj^wg 
Xexd-tvTfjöv^  ovTMg  el'qijrai.  Wir  haben  also  in  den  eingelegten  Reden  nicht 
so  sehr  Proben  der  rednerischen  Fertigkeit  der  sprechenden  Personen,  als 
des  Thukydides  selbst  zu  erkennen. i)  In  den  Reden,  sowie  in  dem  langen 
Zwiegespräche  der  athenischen  Gesandten  und  der  melischen  Behörden 
(V,  85 — 111)  erkennen  wir  zumeist  die  Reife  des  politischen  Urteils  unseres 
Historikers,  zugleich  aber  auch  die  oft  recht  hartherzigen  Grundsätze, 
welche  damals  die  athenische  Politik  leiteten.  Die  Ereignisse  selbst  schildert 
Thukydides  mit  ruhiger  Objektivität,  2)  zugleich  aber  mit  einer  Anschaulich- 
keit, durch  die  wir  die  Dinge  selbst  mitzuerleben  glauben.  2)  In  dieser 
Kunst  lebensvoller  Schilderung,  die  am  glänzendsten  in  der  ergreifenden 
Darstellung  des  sikilischen  Feldzugs  hervortritt,*)  erkennt  man  den  Ein- 
fluss  des  attischen  Theaters.  Durch  das  Gefallen  an  dramatischer  Dar- 
stellung Hess  sich  selbst  unser  Geschichtsschreiber  in  einigen  Partien,  wie 
in  der  Erzählung  von  den  Kämpfen  um  Platää,  über  die  Linie  streng  kriti- 
scher Darstellung  zur  phantasie vollen,  halb  romanhaften  Ausmalung  der 
Dinge  verführen.'')     Auf  der  anderen  Seite   kann   als  wahres  Muster  einer 


^)  Entgegen  den  Worten  des  Thukydides 
selbst  nimmt  H.  Welzhofek,  Tkukydides  und 
sein  Geschichtswerk,  München  1876,  genaue 
Wiedergabe  der  gehaltenen  Reden  an.  Be- 
achtenswert ist,  dass  die  2  Wendungen, 
welche  Aristoteles  Rhet.  p.  1365  a,  31  und 
1411a,  1  aus  dem  Epitaphios  des  Perikles 
anführt,  nicht  in  der  berühmten  Leichenrede 
des  Perikles  bei  Thuk.  II,  35 — 46  stehen; 
vielleicht  stammten  dieselben  aus  Perikles' 
Leichenrede  von  439.  Selbst  in  den  Ur- 
kunden hielt  sich  Thukydides  nicht  ängst- 
lich genau  an  den  Wortlaut  der  Originale, 
wie  dieses  aus  dem  wieder  aufgefundenen 
Bruchstück  des  Ol.  89,  4  mit  Argos,  Man- 
tinea  und  Elis  geschlossenen  Bundesvertrages 
hervorgeht,  worüber  Kiechhoff,  Herrn.  12, 
368  ff.  Über  den  Charakter  der  Reden  des 
Thukydides  s.  Blass,  Att.  Bereds.  P,  203  ff. 
Seinem  Grundsatz  entsprechend  führt  Thu- 
kydides die  Reden  ein  mit  Totale  (nicht 
wie  Herodot  rd^eyAeyei;  vgl.j  Schnorr  v. 
Carolsfeld,  Über  die  Reden  bei  Sallust 
S.  1  ff.  u.  75  ff, 

^)  Die  Objektivität  zeigt  sich  besonders 
darin,  dass  er  den  Empfindungen  des  Ge- 
fühls Schweigen    gebot  und  selbst  mit  dem 


Ausdruck  lobender  Anerkennung  äusserst 
kargte.  Uns  will  die  erbarmungslose  Staats- 
räson, welche  er  bei  der  grausamen  Ver- 
gewaltigung der  Melier  seinem  Athener  ohne 
ein  Wort  der  Missbilligung  in  den  Mund  legt 
(V,  105),  zu  objektiv  und  kalt  erscheinen. 

2)  Plut.  de  glor.  Athen,  p.  347a:  0ov- 
xv(^l^r]q  cisl  rio  '/-6y(p  TTQog  javxrjy  df^ctXXärai 
Tijy  evdqysiav ,  olov  &earrjp  noirJGai  xov 
dxQoarrjv  xal  xä  yevofASva  ttsqI  xoi^g  oQMvxaq 
sxTi'krjxxLxä  xal  xaqaxxixd  nd&r}  xoTg  dva- 
yiviäaxovaiv  ifSQydaaaS^ai  'ki)(vev6fxsvog. 

^)  Plut.  Nie.  1 :  inl  xalg  dcrjy^asai  (sc. 
xiop  2:ixsXix(x)y)  SovxvM^rjg  avxog  avxov  nsgl 
xavxa  7iax^7]xixi6xaxog,  svagyeaxaxog  yevo- 
fXBvog  dfXifxrjXMg  eS.syrjP0X8. 

^)  Müller-Strübtng,  Die  Glaubwürdig- 
keit des  Thukydides,  geprüft  an  seiner  Dar- 
stellung der  Belagerung  von  Platää,  Jahrb. 
f.  Phil.  131,  289  ff.  Ein  starker  geographi- 
scher Irrtum  bezüglich  der  Lage  des  Vor- 
gebirgs  Maleia  in  Lesbos  findet  sich  III,  4. 
Die  schweren  Angriffe,  die  Müller-Strübing 
namentlich  in  seinem  Buche  Aristophanes 
und  die  historische  Kritik,  gegen  die  Ünvoll- 
ständigkeit  und  Parteilichkeit  unseres  Histori- 
kers  vorgebracht   hat,    prüft   und  widerlegt 


2.  Die  Geschichtsschreibung,    c.  Thukydides.  (§  222.)  295 

gedrängten  kritischen  Geschichtsschreibung  die  sogenannte  Pentakontie  oder 
der  kurze  Überblick  über  die  athenische  Geschichte  in  den  50  Jahren  vor 
Beginn  des  peloponnesischen  Krieges  (I,  89 — 118)  gelten.  Im  Gegensatz 
zu  den  vielschreibenden  Dichtern  und  Logographen  jener  Zeit  hat  er  seine 
Thätigkeit  um  eine  grosse  Aufgabe  konzentriert  und  in  dieser  selbst  seinen 
Ruhm  in  gedrängtem  Gedankenreichtum,  nicht  in  voluminösem  Umfang  ge- 
sucht. Mit  berechtigtem  Selbstgefühl  nennt  er  I,  22  sein  Werk  ein  xTrjfjia 
sg  del  fxccXXov  rj   dycovKTf^ia  ig  ro  TiaQaxQrjficc   dxovsiv. 

Die  sprachliche  Darstellung  entspricht  der  Schärfe  und  Tiefe  der  Ge- 
danken. Die  Glätte  und  Rundung  des  Ausdrucks  verschmähte  er,  wäre  ihm 
auch,  selbst  wenn  er  sie  gewollt,  schwerlich  gelungen.  Die  häufigen  Hyperbata, 
Sinnkonstruktionen  und  Anakoluthien,  die  verschränkte  Wortstellung,  der  be- 
liebte Gebrauch  des  genetiven  Infinitivs  zur  Bezeichnung  der  Ursache  haben 
ihren  Grund  in  einer  gewissen  Unbeholfenheit  und  in  dem  übermässigen 
Streben,  die  Fülle  der  zuströmenden  Gedanken  in  wenige  Worte  zusammen- 
zufassen. Manchmal  glaubt  man  in  dem  schwerfälligen  Satzbau  das  Werden 
des  Werkes  aus  wiederholten  Zusätzen  und  Selbstbesserungen  zu  erkennen. 
Dionysios  de  Thuc.  24  bezeichnet  ihn  als  Hauptvertreter  der  avarrjQa  xal 
axorsiVTi  £xg)Qa(ng,  und  schon  dem  Cicero  erschienen  seine  Reden  schwer- 
verständlich, i)  Von  den  Neueren  hat  etwas  derb  Fr.  A.  Wolf  von  einem 
Feldwebelstil  unseres  Historikers  gesprochen.  Aber  man  darf  nicht  übersehen, 
dass  er  der  erste  namhafte  attische  Prosaiker  war  und  mehr  wie  die  Späteren 
mit  der  Sprödigkeit  des  sprachlichen  Stoffes  zu  ringen  hatte.  ^)  Auch 
fällt  ins  Gewicht,  dass  er  den  grössten  Teil  seines  Lebens  ausserhalb  Athens 
im  Barbarenland  verlebte  und  so  die  grosse  Stilentwicklung  der  attischen 
Dichter  und  Redner  in  den  letzten  Decennien  des  5.  Jahrhunderts  nicht 
mit  durchmachte.^)  Jedenfalls  hat  er  trotz  der  Härte  seines  Stiles  durch 
die  Gedankentiefe  und  Reife  des  politischen  Urteils  grosse  Anerkennung  bei 
den  nachfolgenden  Generationen  gefunden:  Philistos,  Sallust,  Prokop  eiferten 
ihm  nach;*)  Dionysios  fand  sich  mit  seiner  abfälligen  Kritik  zahlreichen  Be- 
wunderern gegenüber,  welche  den  Thukydides  für  den  grössten  aller  Historiker 
hielten.^)  In  der  römischen  Kaiserzeit  hat  man  auch  sein  Werk  zu  kommen- 
tieren begonnen.  Didymos  schrieb  eine  Vita,  die  wahrscheinlich  den  Eingang 
eines  Kommentars  bildete;*^)  Numenios  verfasste  Hypotheseis,  Sabinos  und 
Heron  unter  Hadrian  Hypomnemata,  hauptsächlich  vom  rhetorischen  Stand- 
punkt.'')  Aus  dem  Studium  der  Kommentatoren  stammen  die  nicht  seltenen 


Edm.  Lange,  Zur  Frage  über  die  Glaubwürdig-  I  ■')  Dionys.  de  Thuc.  2. 

keit    des   Thukydides,    Jahrb.    f.    Phil.    135  !  ^)  Meier,  Opuso.  II,  61  und  M.  Schmidt, 

(1887)  S.  721-  48.  j  Didijmi  fracjm.  p.  384. 

^)  Cic,    Orat.   30:   ipsae   illae  contiones  \  '')  Hauptausg.  der  Scholien  von  F.  Haase, 

ita  multas  hahent  oh^^^curas  abditasque  sen-  j  ed.  II,  Paris  1846.     Neue  Scholien  aus  einem 

tentias,  vix  ut  intellegantur.    Vgl.  Brutus  83.  Codex    von   Patmos    publizierte    Sakkelion, 


-)  Ein  Zeichen  der  üngelenkigkeit  liegt 
auch  in  der  zahlreichen  Anwendung  und  Neu- 
bildung von  Verbis  denominativis. 

'')  Müller,  Gr.  Litt.  l[\  140. 

^)  Ahnlich  ausgerüstet  von  Natur  war 
auch  der  grosse  römische  Historiker  Tacitus, 
über  dessen  Verhältnis  zu  Thukydides  s. 
Lehrs,  Pop.  Aufs.-  450  ff. 


Reime  de  philol.  1877  p.  182—8.  Doberentz, 
De  scholüs  in  Thucydidem,  Halle  1876; 
E.  Schwabe,  Quaestiones  de  Thuc.  scholio- 
ruvi  fontibus,  Leipz.  Stud.  IV,  67  ff. ;  Altinger, 
De  rhetoricis  in  orationes  Thucyd.  scholiis, 
München.  Progr.  1885.  Citiert  sind  in  den 
Scholien  Antyllos  (ob  aus  Didymos  verderbt?), 
Asklepiades,  Phoibammon  (4.  Jahrb.). 


296  Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 

Interpolationen,  wie  die  moralisierenden  Betrachtungen  des  Kapitels  III,  84, 
die  aber  schon  von  den  alten  Kritikern  durch  den  Obelos  als  unecht  be- 
zeichnet wurden.^) 

Codd.  bilden  2  Familien;  die  eine  vertreten  durch  Laur.  69,  2  s.  X  (C)  und  Monac. 
sive  Augustanus  430  (F),  die  andere  durch  Vatic.  126  s.  XI  (B),  der  aber  selbst  nicht 
durchweg  der  gleichen  Rezension  folgt.  Dass  Stephanos  Byz.  noch  einen  reineren  Text 
hatte,  beweist  Niese,  Herrn.  14,  423  ff. 

Ausgaben:  cwm  diversorum  comment.  (Hudson,  Wasse,  Düker)  ed.  Poppo,  Lips.  1821  ff.. 
11  vol.;  desselben  Poppo  edit.  minor,  neubesorgt  von  Stahl  1883,  4  vol.;  comment.  Göller, 
ed.  II,  Lips.  1836,  2  Bde.  —  Kritische  Ausgabe  von  1mm.  Bekker,  Berlin  1821,  3  vol.; 
edit.  min.  gleichfalls  mit  kritischem  Apparat  1868;  von  Haase,  Par.  1846  (1868);  —  rec.  et 
annot.  Herwerdmn,  Lips.  1877,  5  Hefte.  —  Thukyd.  I.  I  et  II  ed.  A.  Schöne,  Berol.  1874 
mit  Scholien  u.  kritischem  Apparat.  —  Ausgaben  mit  erklärenden  Anmerkungen  von  Krüger, 
3.  Aufl.,   Berl.   1861;    von   Classen  in  Weidm.  Samml.;  von  Böhme-Widmann  bei  Teubner. 

Lexicon  Thucyd.  von  Betant,  Genf  1843;  Index  Thucydideus  von  v.  Essen,  Berlin 
1887.     Gute  Übersetzung  mit  inhaltreichen  Anmerk.  von  Heilmann,  Lemgo  1833. 

d.  Xenophon  (um  434  bis  nach  359).  2) 

223.  Xenophon,  den  die  Historiker  wie  die  Philosophen  zu  den 
Ihrigen  zählten,  war  Sohn  des  Gryllos  und  der  Diodora  und  entstammte 
einer  wohlhabenden  Ritterfamilie  des  Demos  Erchia.  Sein  Geburtsjahr  wird 
nicht  angegeben;  ausgehend  von  der  Überlieferung,^)  dass  Sokrates  in  der 
Schlacht  von  Delion  (424)  den  vom  Pferde  gesunkenen  Xenophon  gerettet 
habe,  und  dass  Xenophon  selbst  90  Jahre  alt  geworden  sei^)  setzte  das- 
selbe Krüger  auf  444  an.  Aber  da  Xenophon  in  der  Anabasis  noch  als 
junger  Mann  erscheint,^)  so  verwarf  Cobet,  Nov.  lect.  534  ff.  jene  Über- 
lieferung von  der  Errettung  des  Schülers  durch  den  Lehrer  als  tendenziöse 
Erfindung  und  Hess  im  Einklang  mit  Athen,  p.  216 d,  wonach  Xenophon 
im  J.  421  noch  ein  Knabe  war,  unseren  Autor  um  434  geboren  sein.^) 
In  der  Jugend  schloss  sich  derselbe  an  Sokrates  an;  der  hatte  ihm  einst 
in  einem  Engweg  die  Frage  vorgelegt,  nov  xaXol  Tcayad-ol  yivovTai  ccv^qw- 
noi;  und  ihm  dann,  als  er  um  die  Antwort  verlegen  war,  zugerufen:  snov 
Toivvv  xal  nävd^avsJ)  Aber  so  warm  er  auch  seinem  edlen  Lehrer  anhing, 
so  fühlte  er  sich  doch  mehr  zum  praktischen  Leben  hingezogen  und  trat 
durch  Vermittelung  seines  Freundes  Proxenos  in  die  Dienste  des  jün- 
geren Kyros.'^)  Als  dieser  in  der  Schlacht  von  Kunaxa  (401)  gefallen 
und  die  hellenischen  Führer  von  den  Persern  hinterlistig  ermordet  worden 


')  Sehr  weit  geht  in  der  Aufstöberung 
von  Interpolationen  Müllee  Stkübing,  Thu- 
kydideische  Studien,  Wien  1881,  wonach 
ganze  Partien,  wie  z.  B.  die  von  der  Er- 
mordung der  Lesbier  (HI,  35-50)  erst  später 
von  andern  zugesetzt  sein  sollen. 

2)  Biographie  in  Diog,  II,  49-53,  neben 
Avelcher  der  Artikel  des  Suidas  nichts  neues 
enthält.  Diogenes  geht  auf  Demetrios  Magnes 
zurück,  der  sein  Hauptmaterial  aus  Dinarch's 
Rede  für  Aischylos,  einen  Freigelassenen 
des  jüngeren  Xenophon,  schöpfte;   s.  Wila- 


2)hon,  son  caractere  et  son  talent,  Par. 
1873;  RoQTJETTE,  De  Xenophontis  vita,  Kö- 
nigsberg, Diss.  1884,  wozu  Stahl  im  Philol. 
Anz.  1886. 

^)  Diog.  II,  22;  Strab.  p.  403. 

*)  Ps.  Lucian,  Macrob.  21. 

^)  Vgl.  besonders  Anab.  III.  1.  14.  25; 
VI,  4.  25. 

^)  Habtmann,  Analecta  Xenophonten, 
Leiden  1877  geht  mit  dem  Geburtsjahr  auf 
425  herab. 

')  Diog.  II,  48  und  Strab.  p.  403. 


MOwiTz,   Phil.  Unt.  IV,  330—5.     Die  Briefe  «)  Anab.    III,    1.    4  ff.      Nach    Philostr 

der  Sokratiker    18—22    sind    eine    mit   Vor-       Vit.  soph.  I,  12  hatte  er  den  Proxenos,  der 


sieht  zu  benützende  Quelle.  —  Krüger,  De 
Xenophontis  vita,  in  dessen  Histor.-philol. 
Stud.  II,  262  ff. ;  F.Ranke,  De  Xenophontis 


dort  Hvog  aQ/caog  heisst,  in  Böotien  als 
Kriegsgefangener  gehört,  was  ein  Pendant 
zu  der  Anekdote  von  der  Schlacht  bei  Delion 


vita  et  scriptis,  Berl.  1851;  Croiset,  Xeno-   \   zu  sein  scheint. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     d.  Xonophon.  (§  223-224.)  297 

waren,  leitete  er  selbst  mit  staunenswerter  Klugheit  und  Unerschrockenheit 
den  Rückzug  der  10,000  mitten  durch  Feindes  Land.  An  dem  Hellespont 
angekommen,  Hess  er  nicht  bloss  die  Geretteten  in  das  Heer  der  Spartaner, 
die  bereits  die  Befreiung  der  kleinasiatischen  Griechen  vom  Joche  der 
Perser  begonnen  hatten,  eintreten,  sondern  Hess  sich  auch  selbst  im  wei- 
teren Verlauf  der  Dinge  bestimmen,  mit  Agesilaos  nach  Griechenland  gegen 
die  Feinde  der  Spartaner  zu  ziehen.  An  der  Schlacht  von  Koronea  (394) 
gegen  die  mit  Athen  verbundenen  Thebaner  nahm  er,  wenn  auch  nicht  als 
Kämpfender,  teil.  Infolge  dieser  seiner  Verbindung  mit  den  Feinden  des 
Vaterlandes  wurde  er  wegen  Hochverrats  von  den  Athenern  verurteilt.^) 
Die  Lakedämonier  hingegen  entschädigten  ihn,  der  mit  der  Verbannung 
jedenfalls  auch  seine  Güter  in  Attika  verloren  hatte,  durch  Verleihung  eines 
Landgutes  in  Elis  bei  dem  Städtchen  Skillus.^)  Dort  lebte  er  mit  seiner 
Frau  Philesia  und  seinen  zwei  Söhnen  Gryllos  und  Diodoros  in  friedlicher 
Zurückgezogenheit,  litterarischen  Arbeiten  und  den  Freuden  des  Landlebens 
hingegeben,  bis  die  Kämpfe  der  Thebaner  und  Lakedämonier  ihn  aus  dieser 
Ruhe  wieder  aufscheuchten.  Nach  der  Schlacht  von  Leuktra  wurde  er 
aus  Skillus  verjagt  (370)  und  rettete  sich  mit  Mühe  nach  Korinth.  Von 
hier  aus  trat  er  wieder  in  gute  Beziehungen  zu  seiner  Vaterstadt,  die  sich 
damals  mit  den  Lakedämoniern  gegen  Theben  verbunden  hatte.  Der  Ver- 
bannungsbeschluss  wurde  förmlich  aufgehoben;^)  er  selbst  zwar  nahm  an 
den  Kämpfen  keinen  Anteil  mehr,  aber  er  Hess  seine  beiden  Söhne  in  die 
athenische  Reiterei  eintreten.  Von  diesen  starb  Gryllos  bei  Mantinea  den 
Heldentod  (362).^)  Den  Tod  des  Sohnes  überlebte  der  Vater  noch  um 
einige  Jahre;  sicher  starb  er  erst  nach  359,  in  welches  Jahr  die  in  Hell. 
VI,  4.  36  gemeldete  Ermordung  des  Tyrannen  Alexander  von  Pherä  fällt, ^'') 
vielleicht  auch  erst  nach  355,  wenn  anders  die  Schrift  IIoqoi  mit  Recht 
ihm  beigelegt  wird.  Nach  Diogenes  II,  56  starb  er  in  Korinth;  danach 
scheint  er  also  trotz  der  Aufhebung  des  Verbannungsbeschlusses  nicht 
mehr  nach  Athen  zurückgekehrt  zu  sein. 

224.  Xenophon  wird  von  seinem  Biographen  Diogenes  II,  48  ein 
avYiQ  8vSaifio)i'  T€  xal  eveiSeataTog  dg  vitsQßohp'  genannt;  er  kann  als  Re- 
präsentant der  von  den  Griechen  zuoberst  in  der  Reihe  der  Tugenden  ge- 
stellten xaXoxccycc^ia  gelten,    indem  er   körperliche  Schönheit   und   geistige 


')  Das  Jahr  der  Verbannung  steht  nicht  |  denselben  Eubulos.     Die  Sache  selbst,  nicht 

fest,    scheint   jedoch    vor    die   Schlacht    bei  |  bloss    die    Person    des   Antragstellers    wird 

Koronea    gesetzt  werden   zu  müssen.     Nach  i  bezweifelt  von  Cobet,  Nov.  lect.  757  f. 
Paus.  V,  6.  3,  Dio  Chrys.  or.  VIII  in..  Diogen.               ■*)  Diog.  II,  54  erzählt  die  schöne  Anek- 

II,  51  wurde    er   infolge   seiner   Beteiligung  ;  dote,   wie  Xenophon,    dem    beim  Opfern  die 

am  Zuge    des  Kyros   als    eines  Feindes    der  Nachricht  vom  Tode  seines  Sohnes  überbracht 

Athener  verbannt;  wahrscheinlich  war  auch  |  wurde,  anfangs  den  Kranz  vom  Haupte  nahm, 

hierauf  in   dem  Verbannungsbeschluss,    den  \  dann  aber,  als  er  vernommen,  dass  sein  Sohn 


nach  Istros  bei  Diog.  II,  59  Eubulos  be- 
antragte, Bezug  genommen.  Sicher  erfolgte 
die  Verbannung  weder  während  des  Zuges 
noch  unmittelbar  danach;  das  erhellt  aus 
Anab.  V,  3.  6  f.  u.  VII,  7.  57. 

^)  Eine  Schilderung  desselben  Anab.  V, 
3.  7  ff.;  vgl.  Paus.  V,  0.  5  f. 

")  Nach   Istros    bei    Diog.    II,   59  durch 


erst  nach  tapferer  Gegenwehr  gefallen  sei, 
denselben  wieder  aufsetzte.  Auf  den  Helden- 
tod des  einen  der  Dioskuren  wurden  Tau- 
sende von  Enkomien  abgefasst  nach  Aristo- 
teles bei  Diog.  II,  55. 

■*)  DiodorXVl,  14  berichtet  dieselbe  zum 
Jahr  357;  s.  aber  Schäfer,  Demosth.  I,  loo 
An.  2. 


298  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Begabung  auf  das  schönste  in  seiner  Person  vereinigte.  Von  praktischem 
Thatendrang  erfüllt,  verschmähte  er  die  blosse  Stubengelehrsamkeit  und 
dürre  Spekulation;  auf  der  anderen  Seite  aber  entbehrte  er  der  schöpferi- 
schen Originalität,  um  im  Denken  und  Handeln  sich  zu  hohen  Idealen  zu 
erheben.  Ein  schwarzer  Fleck  in  seinem  Leben  bleibt  der  Mangel  an  Vater- 
landsliebe. Die  Abneigung  gegen  die  athenische  Demokratie  und  die  Vor- 
liebe zum  aristokratischen  Lakedämon  teilte  er  mit  Piaton  und  anderen 
Sokratikern;  aber  keiner  von  diesen  war  so  weit  wie  er  gegangen,  dass 
er  in  den  Reihen  der  Feinde  seinen  Landsleuten  gegenübertrat.  Mit  Ent- 
rüstung hat  ihn  deshalb  ein  deutscher  Patriot  ^  den  ausgeartetsten  Sohn 
genannt,  den  jemals  ein  Staat  ausgestossen  habe.  In  religiösen  Dingen 
ging  seine  Anhänglichkeit  an  das  Alte  bis  zur  Beschränktheit;  namentlich 
huldigte  er  in  dem  Glauben  an  die  Macht  der  Opfer  und  den  Seherblick 
der  Wahrsager  ganz  den  abergläubischen  Meinungen  der  Menge.  Gerade 
dieses  hat  aber  später  in  der  römischen  Kaiserzeit  viel  zur  Erhöhung  seines 
Ansehens  beigetragen ;  das  Hauptansehen  indes  verdankte  er  der  bezaubern- 
den Schönheit  seiner  Sprache,  die  immer  neue  Nachahmer  hervorrief  und 
für  die  Blüte  des  Attikismus  galt.-)  Er  hiess  die  attische  Biene ^)  und  auf 
seinen  Lippen  soll  die  Göttin  Peitho  gesessen  haben.*)  Am  meisten  Lob 
verdient  die  Rundung  und  Durchsichtigkeit  seines  Satzbaues,  in  dem  sich 
die  ganze  Klarheit  und  einfache  Bestimmtheit  seines  Geistes  widerspiegelt.'') 
Nach  Diogenes  II,  56  hat  er  an  die  40  Bücher  (nicht  Schriften)  hinter- 
lassen;^) alle  dann  von  Diogenes  namentlich  aufgezählten  Schriften  sind 
auch  unversehrt  auf  uns  gekommen,')  darunter  manches  unechte.  Die- 
selben gehören  zum  grösseren  Teile  dem  Gebiete  der  Geschichte  an,  andere 
der  philosophischen  Litteratur,  Nationalökonomie  und  Taktik. 

225.  KvQov  avdßaaig  in  7  B.^)  hat  den  Namen  von  dem  kleineren 
ersten  Teil  (I,  1  —  6),  in  welchem  der  Zug  des  Kyros  vom  Meere  zu  dem 
höher  gelegenen  Asien  beschrieben  ist.  Den  Hauptgegenstand  aber  bildet 
die  von  Xenophon  geleitete  Heimkehr  der  10,000  Griechen  nach  der  Schlacht 
von  Kunaxa.  Die  Kühnheit  und  die  geschickte  Ausführung  dieses  Unter- 
nehmens,   dem  sich   der  Rückzug  des  Generals    Moreau    durch    die    Pässe 


^)  NiEBUHR,  Kl.  Sehr.  T,  4G7.  |  ^)  Die  erhaltenen  Schriften   machen  zu- 

sammen 37  B.  aus,  wenn  man  aber  die  Ein- 
teilung der  Hellenika  in  9  B.  zu  Grunde, 
legt,  39;  von  der  letzteren  Zahl  lässt  daher 
Wachsmuth,  Rh.  M,  34,  334  den  Diogenes 
ausgehen. 

')  Nicht  erhalten  ist  uns  die  von  Stobaios 
Flor.  88.  14  erwähnte  Schrift  ttsqI   Geoyvi^og, 


''^)  Nach  Suidas  hatten  über  seinen  Stil 
gehandelt  Harpokration  tieqi  tmv  tkxqk  Ss- 
pofpMVTi  <jvvxd'is(x)v,  ferner  Heron,  Zenon,  Me- 
trophanes,  Theon,  Tiberios.  Auch  Ps.  Longin 
de  subl.  8  spricht  von  einer  Schrift,  die  er 
über  Xenophon  geschrieben  habe. 

•^)  Suidas   u.    Seyocpujy.     In    den    Wort 


formen  entfernte  er  sich  indes  vielfach  von  |    deren  Echtheit  neuerdings  Immisch,  Xenophon 

dem  strengeren  Attikismus  des  Aristophanes,  !   über  Theognis,  in  Comment.  Ribbeck  71--98 

indem    er  z.  B,    Innslg   statt    Inmjg  schrieb.  [    zu  erweisen  sucht. 

Vgl.    H.    Sauppe    in    Proleg.    seiner   Ausg.  '            ^)  Die   Einteilung  in  Bücher  rührt  von 

p.  XV.*  später   Hand   her,   von    derselben   auch    die 

*)  Cic.  Orat.  32  u.  G2;  Quint.  X,  1.  82;  j    über  den  Inhalt  orientierenden  Einleitungen 

Diog.  II,  57;  Tac.  dial.  31.  !   zu    Anfang  jedes   Buches;    vgl.    Birt,   Ant. 

'")  Vgl.  Dionys.    ep.  ad  Pomp.  4:  Sspo-  \    Buch.  464  ff.     Arrian   las   jene    einleitenden 

(jpöji/  'Uqo^oxov  ^rjliorrjg  iyeysro   xai'   dfAcpo-  Interpolationen  noch  nicht  in  seinem  Exem- 

TSQovg  Tovg  xaQuxrrJQag  j6p  ts  TTQayiuanxoy  plar,  da  er  die  Bücher  seiner  Anabasis  ohne 

■/(d  roy  XsxTixuy.  jede  Einleitung  beginnt 


ä.  Die  Geschichtsschreibung,     d.  Xenophon.  (§  225-226.) 


2Ö9 


des  Schwarz waldes  im  Jahre  1796  zur  Seite  stellen  lässt,  üben  die  vor- 
züglichste Anziehungskraft  des  Werkes.  Unter  den  historischen  Aufzeich- 
nungen des  Altertums  dürften  unserer  Anabasis  nur  die  Kommentare 
Cäsars  über  den  gallischen  Krieg  den  Rang  streitig  machen.  Die  Darstel- 
lung gibt  Xenophon  wie  später  auch  Cäsar  so,  dass  er  von  sich  immer  in 
der  dritten  Person  redet,  *)  offenbar  um  so  der  Erzählung  den  Schein 
grösserer  Objektivität  zu  verleihen;  einigemal  (T,  8.  6.  18.  V,  4.  34)'^)  wird 
sogar  eine  Ansicht  mit  Xeyovai  rivsg  eingeführt,  wo  der  Verfasser  recht 
gut  die  Sache  ohne  dieses  Mäntelchen  hätte  erzählen  können.  Daraus  geht 
hervor,  dass  Xenophon  die  Schrift  ohne  Nennung  seines  Namens  in  die 
Welt  schickte.  Auffällig  aber  ist,  dass  er  Hell.  III,  1.  2  sogar  einen  anderen, 
Themistogenes  aus  Syrakus,  als  Verfasser  derselben  bezeichnet.  Danach 
hat  er  dieses  sein  schönstes  und  anziehendstes  Werk  nicht  bloss  anonym, 
sondern  sogar  pseudonym  erscheinen  lassen.  Denn  dass  von  diesem  Zug 
ausser  von  Xenophon  und  dem  Stymphalier  Sophainetos,  dessen  Anabasis 
der  Geograph  Stephanos  von  Byzanz  4mal  citiert,^)  auch  noch  Themisto- 
genes eine  eigene  Darstellung  gegeben  habe,  ist  wenig  glaubwürdig.*) 
Sicher  hat  das  Altertum,  wie  man  aus  Plutarch,  de  glor.  Ath.  1  und 
Tzetzes  Chil.  VII,  930  sieht,  nur  an  Pseudonymität  gedacht. ■'^)  Verfasst 
wurde  die  Anabasis  von  Xenophon  wohl  erst,  nachdem  er  durch  den  Besitz 
von  Skillus  Müsse  zu  litterarischen  Arbeiten  gefunden  hatte,  wie  auch  die 
Schilderung  dieses  Landsitzes  Anab.  V,  3.  9  wahrscheinlich  macht.*^)  Ein 
neuerer  Forscher')  glaubte  sogar  aus  den  Imperfekten  in  der  Schilderung 
der  religiösen  Volksfeste  in  Skillus,  wie  snoist  ^vaiav,  jusTfTxov  zrjg  eogrijc, 
folgern  zu  müssen,  dass  Xenophon  zur  Zeit  der  Abfassung  Skillus  schon 
wieder  verlassen  habe.  Aber  ein  solcher  Schluss  ist  nicht  zwingend,  und 
die  angegebene  Stelle  der  Hellenika  zeigt,  wofür  auch  die  jugendliche  Frische 
der  Darstellung  spricht,  dass  die  Anabasis  zu  den  frühesten  Schriften  unseres 
Autors  gehört. 

226.  KvQov  naiösia  in  8  B.  ist  eine  Art  historischen  Tendenz- 
romanes,  indem  darin  der  ältere  Kyros  als  Muster  eines  rechten  Herrschers 
aufgestellt  wird.  Die  Abweichung  von  der  historischen  Treue  geht  bis  zur 
Fälschung  allbekannter  Thatsachen.^)    Während  Kyros,  wie  jedermann  aus 


')  Nur  in  dem  unechten  Schlusskapitel 
VII,  8.  25,  steht  die  erste  Person  sTrijk^ouey. 

'^)  Die  Echtheit  der  beiden  ersten  Stellen 
wird  von  Cobet  und  andern  Kritikern  be- 
zweifelt, vielleicht  mit  Recht;  das  Xeysrai 
von  II,  2.  6  hat  nichts  auffälliges, 

^)  Steph.  unter  A'«(>(fotJ;^o6,  Tdo^oi,^voxoi, 
XciQfxdv^i].  Benützt  scheint  diesen  und  viel- 
leicht auch  den  Ktesias  Diodor  XIV,  19—31 
durch  Vermittlung  desEphorosan  denjenigen 
Partien  zu  haben,  die  von  Xenophon  ab- 
weichen. 

■*)  Die  entgegengesetzte  Meinung  ver- 
tritt ScHENKL,  Xenophontische  Studien,  Stzb. 
d.  Wien.  Ak.  1868  S.  635  ff.  Suidas  erwähnt 
von  diesem  Themistogenes  ausser  der  Ana- 
basis noch  (lila  rii'd  ttsqI  rrjq  tccvToii  tkctqi- 
^og.     Zweifellos    erweist   der  Stil,    dass   die 


uns  erhaltene  Anabasis  von  Xenophon  selbst 
verfasst  ist. 

^)  Dunkel  bleibt  das  ccllri  yeyQamai 
Anab.  II,  6.  4  von  einer  Sache,  wovon 
Xenophon  nirgends  in  seinen  Schriften  etwas 
geschrieben  hat. 

^)  Ganz  verlässig  ist  dieser  Schluss  des- 
halb nicht,  weil  möglicherweise,  wie  Bergk, 
Gr.  Litt.  IV,  313  annimmt,  jener  Passus  über 
Skillus  ähnlich  wie  der  Epilog  der  Kyropädie 
erst  später  bei  einer  Neuausgabe  des  Buches 
zugefügt  wurde.  Von  Bedeutung  ist  auch, 
dass  Xenophon  I,  8.  26  auf  die  persische 
Geschichte  des  Ktesias,  die  sicher  erst  398 
erschien.  Rücksicht  nimmt. 

'')    ScHENKL    a.    0. 

^)  Auch  ohne  ersichtlichen  Zweck  ver- 
kehrt Xenophon    den  Thatbestand,  indem  er 


300 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode, 


Herodüt  I,  214  wissen  konnte,  eines  gewaltsamen  Todes  in  dem  Kampfe 
gegen  die  Massageten  gestorben  war,  lässt  ihn  Xenophon  Cyr.  VIII,  7  sanft 
liinüberschlummern,  nachdem  er  noch  zuvor  den  Göttern  geopfert  und  in 
langer  Rede  von  seinen  Kindern  und  Freunden  rührenden  Abschied  ge- 
nommen hatte.  9  T)em  Titel  nach  sollte  man  bloss  eine  Darstellung  der 
Erziehung  des  Kyros  erwarten,  das  Buch  gibt  aber  eine  Geschichte  des 
ganzen  Lebens  jenes  Herrschers.  Der  Titel  will  eben  von  vornherein  die 
Tendenz  des  Buches  andeuten,  dass  nämlich  die  Erfolge  des  Königs  und 
seine  guten  Regierungsmaxime  in  der  richtigen  Erziehung  ihre  Wurzel 
gehabt  haben.  2)  Der  Gedanke  gerade  in  Kyros  das  Ideal  eines  rechten 
Herrschers  zu  zeichnen  ist  vielleicht  nicht  erst  in  dem  Kopfe  unseres 
Xenophon  zuerst  entstanden.  Wir  erfahren  wenigstens  aus  Diogenes  VI, 
16,  dass  auch  der  Sokratiker  Antisthenes  einen  Dialog  Kvgog  rj  ttsqI  ßaoi- 
Xsiag  geschrieben  hat;  freilich  ob  vor  oder  nach  Xenophon,  lässt  sich  nicht 
so  leicht  entscheiden,  zumal  die  Abfassungszeit  der  Kyropädie  selbst  nicht 
ausgemacht  ist.  Von  dem  Epilog  VIIT,  8,  worin  die  Entartung  der  da- 
maligen Perser  und  ihr  Abfall  von  der  alten  Sitte  (Tiaidsia)  dargethan  wird, 
steht  allerdings  fest,  dass  er  nicht  vor  364  geschrieben  sein  kann;^)  aber 
derselbe  wird  von  namhaften  Kritikern  für  unecht  erklärt  und  scheint  jeden- 
falls erst  nachträglich,  sei  es  nun  von  Xenophon  selbst  oder  einem  anderen 
zugefügt  zu  sein.*)  Die  Überlieferung  des  Gellius  XIV,  3,  dass  Xenophon 
mit  seiner  Kyropädie  ein  Gegenstück  zu  der  ersten  Ausgabe  der  platoni- 
schen Politeia  habe  liefern  wollen,  setzt  voraus,  dass  das  xenophontische 
Werk  vor  der  uns  erhaltenen  Politeia  des  Piaton  verfasst  wurde. 

227.  Die  ^EXX^jvixcc  in  7  B.'^)  enthalten  die  griechische  Geschichte 
von  411  bis  362  oder  von  dem  Zeitpunkt,  wo  das  Werk  des  Thukydides 
endigte,  bis  zur  Schlacht  von  Mantinea.  Das  Werk  fängt  ganz  abrupt  mit 
jjiSTd  6t  xama  an,  will  also  sicher  in  seinem  ersten  Teil  nur  eine  Fort- 
setzung oder  Ergänzung  des  unvollendeten  Werkes  des  Thukydides  bieten. 
Aber  auch  der  fade  Schluss  ^J^ioi  f^itv  örj  fi^xqi  romov  y^acptfr^M,  rd  6t 
f^ifTa  Tavra  l'aoK  dlXoi  /tfArVff"  sieht  nicht  so  aus,  als  ob  der  Verfasser 
selbst  sein  Werk  zum  Abschluss  gebracht  habe.  Doch  es  fehlt  nicht  bloss 
ein  kunstvoller  Eingang  und  Schluss,  das  ganze  Werk  ist  trotz  einiger 
gelungenen  Partien  weit  entfernt  von  der  feinen  Durcharbeitung  der  Ana- 
basis und  Kyropädie.    Da  nun  Xenophon  an  demselben,  wie  wir  aus  einer 


z.  B.  I,  1,  4  und  VIII,  7.  20  Ägypten,  wel- 
ches erst  Kambyses  unterwarf,  bereits  durch 
Kyros  dem  persischen  Reiche  einverleibt 
werden  lässt. 

\)  Schon  Cicero  epist.  ad  Quint.  I,  1,  8 
bemerkt:  Cyrus  üle  a  Xenoplionte  non  ad 
historiae  fklem  scriptus,  secl  ad  effigiem  iusti 
imperii.  Vgl.  Dionys.  ep.  ad  Pomp.  4:  Kv- 
Qov  TKiiöeUa^.  Eiy.6in<  ßaoiXecog  aycu9ov  xal 
evd\dfxovog. 

'^)  Cyr.  I,  1,  6:  noia  Tui  tku^sUc  nai- 
JevS^slg  Toaovrov  Sirjvsyxev  sig  to  ciQ)^eiv  ur- 
^oomiov.  Von  Einfluss  für  die  Benennung 
war  aber  hier,  wie  ähnlich  bei  der  Anabasis, 
zumeist,    dass   die  Darstellung   mit  der  nut- 


6elci  KvQov  begann. 

^)  In  die  letzten  Regierungsjahre  des 
Artaxerxes  (gestorben  362)  setzt  Diodor  XV, 
92  die  in  jenem  Epilog  erwähnte  Roheit  des 
Rheomitres. 

^)  Für  unecht  erklärten  den  Epilog 
Valckenaer  und  F.  A.  Wolf;  s.  Schenkl, 
Jahrb.  d.  Phil.  1861,  S.  540  ff.  Beckhaus, 
Ztschr.  f.  Gymn.  XXVI,  226  ff.  schreibt  dem 
jungen  Xenophon  den  Epilog  zu;  ähnlich 
Bergk,  Gr.  Litt.  IV,  312. 

•^)  Daneben  existierte  eine  Ausgabe  in 
9  B.,  wie  aus  den  Citaten  des  Harpokration 
Schäfer,  Jahrb.  f.  Phil.  1870,  S.  527  nach- 
gewiesen hat. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,    d.  Xenophon.  (§  227—228.)  301 

gelegentlichen  Bemerkung  zu  VI,  4.  o6  sehen,  noch  über  das  Jahf  o59 
hinaus  arbeitete,  so  ist  man  zur  Annahme  gedrängt,  dass  er  dasselbe  nicht 
zur  Herausgabe  als  Ganzes  abgerundet,  nicht  die  letzte  Feile  an  dasselbe 
angelegt  hat.')  Auf  solche  Weise  sind  in  demselben  auch  die  Spuren  ge- 
blieben, welche  auf  Abfassung  der  einzelnen  Teile  zu  verschiedenen  Zeiten 
hinführen.  Niebuhr'^)  hat  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass,  wenn 
es  am  Schlüsse  des  2.  Buches  von  den  unter  sich  ausgesöhnten  Parteien 
Athens  heisst  eti  xal  vvr  o^iov  %€  TCoXiTevovrai  xal  toig  oQxoig  sjjiiitvsi  ö 
^rj{.iog,  Xenophon  unmöglich  zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Mantinea,  nachdem 
jene  Aussöhnung  längst  vergessen  und  ganz  andere  Verhältnisse  eingetreten 
waren,  noch  so  habe  schreiben  können.  Er  nahm  deshalb  an,  dass  Xeno- 
phon zuerst  nur  die  2  ersten  Bücher  als  Fortsetzung  des  Thukydides  ge- 
schrieben habe.  Weiter  gingen  Neuere,  indem  sie  auf  den  stärkeren  Ein- 
schnitt nach  V,  1  und  die  stilistische  Verschiedenheit  der  einzelnen  Teile 
hinwiesen.^)  Die  ersten  2  Bücher  oder  genauer  I,  1 — II,  3.  10  führen  in 
annalistischer  Form  und  trockenem  Ton  sine  ira  et  studio  die  Geschichte 
des  peloponnesischen  Krieges  zu  Ende;  sie  waren  ursprünglich  bestimmt, 
mit  dem  Werke  des  Thukydides  als  Supplement  desselben  herausgegeben 
zu  werden.  Daran  schliesst  sich  in  freierer  und  lebhafterer  Darstellung 
und  mit  entschiedener  Parteinahme  für  Sparta  die  Erzählung  der  Ereignisse 
bis  387  oder  bis  zum  Frieden  des  Antalkidas.  Dieser  Abschnitt  ist  gewisser- 
massen  eine  Verherrlichung  der  Politik  des  Agesilaos  und  scheint  von 
Xenophon  um  384  in  dankbarer  Anerkennung  der  von  Agesilaos  erhaltenen 
Wohlthaten  abgefasst  zu  sein.^)  Mit  V,  4  wird  zur  Darstellung  des  Miss- 
brauchs, den  die  Spartaner  Theben  gegenüber  von  ihrer  Macht  machten, 
mit  einem  neuen  Proömium  in  der  Art  übergegangen,  als  ob  hier  ehedem 
ein  neues  Buch  begonnen  habe.  Ob  die  Schlussredaktion  oder  die  Zu- 
sammenordnung der  zu  verschiedenen  Zeiten  geschriebenen  und  wahrschein- 
lich auch  herausgegebenen  Teile  von  Xenophon  selbst  herrührt,  ist  schwer 
zu  entscheiden.  Sicher  von  späterer  Hand  sind  noch  zur  Ergänzung  und 
chronologischen  Fixierung  Glosseme  in  nicht  geringer  Zahl  hinzugekommen.'') 
228.    Der    'AyrjaiXaog,    eine    Lobrede    auf   den    verstorbenen    König 


')  Grosser.  Jahrb.  f.  Phil.  93  (1866),  |  Xen.  Hellenika,  Progr.  des  Berliner  Sophien- 
721  ff-.;  95,  737  tf.;  105,  723  ff.  sucht  die  j  gymn.  1881;  vgl.  Roquette,  S.  Gl,  der  mit 
Hellenika  als  einen  späteren  Auszug  zu  er-  Dittenberger,  Herrn.  XVI,  330  auch  Eigen- 
weisen, worauf  insbesondere  auch  das  «X^»?  !  tümlichkeiten  des  Sprachgebrauchs  (nament- 


yeyQC(7iicci  der  Anab.  II,  6.  4  hinzuweisen 
scheine,  da  er  dort  etwas  verspricht,  was 
in  unseren  Hellenicis  nicht  steht.  Zuvor  schon 


lieh  von  ,M»?V)  für   die  Scheidung  verwertet. 
^)  Hell.  IV,  3.  16  wird  die  Schlacht  von 
Koronea   genannt   ol'a   ovx   ((XX)]   tiop  y'  i(p' 


hatte  Kyprianos,  ti€qI  xiov  'EXXrjyixcou  rov  rj^iuv,  was  nach  der  Schlacht  von  Leuktra 
aei'o(fo)VTog,  Athen  1859.  den  Gedanken  i  nicht  mehr  recht  zutraf;  aber  derselbe  Aus- 
einer Epitome  ausgesprochen.  Dem  tritt  mit  druck  kehrt  wieder  im  Agesilaos  2,  9,  der 
gesundem  Urteil  Vollbrecht,  De  Xenophon-  \  sicher  nach  der  Schlacht  von  Leuktra  ab- 
tis  Hellenicis  in  epitomen  non  coactis,  Hann.  j  gefasst  ist.  Die  Ansicht  von  Leutsch,  Phil. 
1874  entgegen.  Dass  die  den  Agesilaos  be-  |  33,  97,  dass  Xenophon  die  ersten  4  Bücher 
treffenden  Abschnitte  uns  nicht  im  Auszug  j  unter  dem  Pseudonym  Kratippos  veröffent- 
erhalten  sind,  dafür  haben  wir  eine  Garantie  licht  habe,  widerlegt  RiJHL,  Jahrb.  f.  Phil, 
an  der  Lobrede  auf  Agesilaos.  1883,  S.  738  f.     Auf  Hell.    V,  1.  36,   nimmt 

'"*)  Niebuhr,  über  Xenophons  Hellenika,  Isokrates  Paneg.  §  139  Bezug. 

Kl.  Sehr.  I,  464  ff.  ^)  Unger,  Die  historischen  Glosseme  in 

^)  Nitsche,    Über    die    Abfassung    von  Xen.  Hellenika,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1882. 


302 


Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 


Agesilaos,  hängt  mit  den  Hellenicis  eng  zusammen;  waren  doch  diese  in 
ihrem  Hauptteile  der  Verherrlichung  der  politischen  Ziele  und  der  krie- 
gerischen Tüchtigkeit  des  ausgezeichneten  Mannes  gewidmet.  Nachdem 
derselbe  im  Winter  361/60  auf  der  Heimkehr  von  dem  ägyptischen  Feld- 
zug gestorben  war,  regnete  es  förmlich  Enkomien  auf  ihn.^)  Zu  diesen 
gehört  auch  die  uns  erhaltene,  von  Cicero,  epist.  ad.  fam.  V,  12.  7  über- 
schwenglich gepriesene  Schrift,  in  welche  aus  Xenophons  Hellenicis  ganze 
Abschnitte  fast  wörtlich  herübergenommen  sind.  2)  Ob  Xenophon  wirklich 
Verfasser  der  Lobrede  sei,  ist  zweifelhaft.^) 

^l€QO)v,  eine  kleine  Schrift  von  verwandtem  Charakter,  referiert  ein 
Gespräch  des  Dichters  Simonides  mit  dem  älteren  Hieron  über  den  Vorzug 
des  Lebens  eines  Privatmannes  vor  dem  eines  Tyrannen  und  über  die 
Mittel,  mit  denen  ein  Herrscher  sein  Land  glücklich  machen  kann.  Die 
Schrift  hängt  wohl  mit  Beziehungen  zusammen,  welche  Xenophon  zu  dem 
Hofe  des  Dionysios,  an  dessen  Tafel  ihn  Athenaios  p.  427  f.  sitzen  lässt, 
unterhielt;  aber  unsicher  ist  es,  ob  man  dabei  an  den  Aufzug  der  Ge- 
sandten des  älteren  Dionysios  bei  den  olympischen  Spielen  des  J.  384  oder 
an  die  Thronbesteigung  des  jüngeren  Dionysios  im  J.  367  zu  denken  hat.^) 

229.  Die  'Anoiivriiioreviiaxa  ^mxqcctovq  (Memorabüia  Socratis)  in 
4  B.  haben  dem  Xenophon  den  Ruhm  eines  Philosophen  eingetragen,  sind 
aber  in  der  That  nur  allgemein  verständliche  Denkwürdigkeiten  aus  dem 
Leben  des  Sokrates  ohne  tieferen  philosophischen  Gehalt.  Veranlasst  waren 
dieselben  durch  die  Verunglimpfungen  des  Sophisten  Polykrates,  der  um 
394  eine  Anklagerede  gegen  Sokrates  geschrieben  hatte.  ^)  Gleich  im  Ein- 
gang führen  sie  sich  als  eine  Verteidigungsschrift  gegen  die  ungerechten 
Beschuldigungen  der  Ankläger,  nicht  sowohl  des  Anytos  und  Meletos,  als 
eben  jenes  Sophisten  ein.  Sie  stehen  also  auf  einer  Stufe  mit  Piatons 
Apologie;  aber  während  Piaton  die  Form  einer  Verteidigungsrede  des  an- 
geklagten Sokrates  wählte,  spricht  Xenophon  in  eigener  Person,  indem  er 
an  die  Anklagepunkte  anknüpfend  ein  allgemeines  Lebensbild  des  weisen 
Lehrers  entwirft.  Die  Treue  des  Bildes  brachte  es  mit  sich,  dass  die  Dar- 
stellung fast  ganz  in  Gesprächen  sich  bewegt,  ^0  da  ja  Sokrates  im  Gegensatz 
zu  den  Sophisten  gerade  auf  diese  Weise  seine  Gedanken  mitzuteilen  liebte. 
Gewiss  waren  auch  damals  schon  manche  sokratische  Gespräche  ans  Licht 


^)  Isoer.  epist.  9,  1. 

''^)  Die  kleinen  Abweichungen  sind  be- 
achtenswert; sie  zeigen,  dass  inzwischen  der 
Einfluss  des  Isokrates  Fortschritte  gemacht 
hatte,  indem  der  Hiatus  zwar  nicht  ganz, 
aber  mit  grösserer  Sorgfalt  als  früher  ver- 
mieden ist. 

^)  Anstoss  erregt  insbesondere  der  hi- 
storische Irrtum  I,  6,  dass  Agesilaos  als 
junger  Mann  {tn  v8og  ixip)  den  Thron  be- 
stiegen haben  soll,  während  er  thatsächlich 
damals  bereits  40  Jahre  alt  war.  An  den 
Enkel  des  Xenophon  denkt  auch  hier  Beck- 
HAUS,  Ztschr.  f.  Gymn.  26,  225  ff.  Nach 
einem  Citat  bei  Ath,  138 e  erkannte  Polemon, 
der  berühmte  Antiquar,  die  Schrift  als  xeno- 


phontisch  an.  Vgl.  Nitsche,  Jahrber.  d.  Alt. 
V,  L  31  ff. 

4)  NiTSCHE,  Jahrber.  d.  Alt.  V,  1.  25  ff. 
erklärt  sich  für  die  zweite  Annahme  und 
widerlegt  Sitzlek,  der  die  Echtheit  auch 
dieser  Schrift  bezweifeln  wollte. 

^)  Über  jene  Schrift  s.  Isocrates  Bus.  5 
und  Schol.  Aristides  III,  480  D.  Das  Ver- 
hältnis der  Memorabilien  zu  derselben  ward 
aufgedeckt  von  Cobet,  Nov.  lect.  661  ff.  und 
gegen  Breiten bach's  Einwände  (Jahrb.  f. 
Phil.  99,  301  ff.  u.  115,  455  ff.)  verteidigt 
von  ScHENKL,  Xenoph.  Stud.  II,  1  ff. 

^)  Ein  wichtiges  Kapitel  III,  9  über  die 
Identität  von  Tugend  und  Wissen  ist  refe- 
rierend gehalten. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     d.  Xeuophou.  (§  229.) 


303 


getreten  und  wollte  Xenophon  zum  Teil  aus  eigener  Erinnerung,  zum  Teil 
nach  Mitteilung  anderer  weitere  Beiträge  zum  ehrenden  Andenken  des  ein- 
zigen Mannes  liefern.  Wenn  dabei  öfters  in  den  Gesprächen  über  dieselbe 
Sache  andere  Personen  bei  ihm  als  bei  Piaton  erscheinen,  so  hat  das  an 
und  für  sich  nichts  auffälliges,  da  ja  Sokrates  über  die  Vorbildung  des 
Staatsmannes,  über  das  Schöne,  über  die  Gottesfurcht  u.  a.  mit  vielen  wird 
gesprochen  haben.  Eher  können  die  Ideen  von  der  Zweckmässigkeit  der 
Weltschöpfung,  von  der  göttlichen  Vorsehung  und  der  Gottähnlichkeit  der 
Menschenseele  in  I,  4  und  IV,  3  befremden,  da  dieselben  der  Entwicklung 
der  griechischen  Philosophie  gewissermassen  vorzugreifen  scheinen.  Im 
allgemeinen  aber  machen  die  Denkwürdigkeiten  unseres  Xenophon  den  Ein- 
druck grösserer  Objektivität  und  treuerer  Wiedergabe  der  Wirklichkeit  als 
die  Dialoge  Piatons.  Es  liegt  dieses  schon  darin,  dass  Xenophon  kein 
philosophischer  Kopf  war  und  deshalb  weniger  in  die  Versuchung  kam, 
eigene  spekulative  Ideen  den  Gesprächen  des  Sokrates  zu  unterlegen.  Frei- 
lich hinderte  ihn  auf  der  anderen  Seite  jener  Mangel  an  philosophischer 
Anlage  vielfach,  den  eigentlichen  Kern  der  sokratischen  Lehre  zu  begreifen,  i) 
Der  Abfassungszeit  nach  gehören  die  Denkwürdigkeiten  zu  den  frühesten 
Schriften  Xenophons.  Nach  dem  22.  Briefe  der  Sokratiker  wurden  sie  zu 
Megara  geschrieben,  womit  ausgesprochen  scheint,  dass  ihre  Abfassung 
vor  die  Belehnung  des  Xenophon  mit  Skillus  fiel;-)  jedenfalls  sind  sie  vor 
dem  Gastmahl,  also  vor  384  abgefasst. 

Das  2van6aiov  ist  gewissermassen  eine  Ergänzung  der  Denkwürdig- 
keiten, indem  damit  Xenophon  den  Sokrates  nun  auch  in  der  heiteren  Ge- 
selligkeit eines  Mahles  vorführen  wollte.^)  Das  Mahl  war  an  den  Pana- 
thenäen  von  dem  reichen  Kallias  zu  Ehren  seines  Lieblings  Autolykos,  der 
einen  Sieg  im  Pankration  errungen  hatte  (422),  gegeben  worden;  Sokrates, 
Antisthenes  und  einige  andere  waren  als  Gäste  geladen.  Das  Mahl  wird 
so  geschildert,  wie  derartige  Gelage  in  reichen  Häusern  gewesen  sein  mögen: 
neben  dem  philosophischen  Tischgespräch  und  der  Rede  des  Sokrates  über 
die  Liebe  nehmen  die  Tänzerinnen,  der  Spassmacher  und  die  Lauten- 
spielerinnen einen  übermässig  breiten  Raum  ein.  Nirgends  zeigt  sich  der 
Abstand  des  Piaton  und  Xenophon  stärker  als  in  der  Vergleichung  der 
beiden  Symposien:  dort  geniale  Phantasie  und  Tiefe  der  Spekulation,  hier 
nüchterne  Prosa  und  platte  Alltäglichkeit.  Dass  wir  in  ihnen  Gegenstücke 
von  Rivalen  vor  uns  haben,  ist  unzweifelhaft;  aber  ob  zuerst  Xenophon  oder 
zuerst  Piaton  mit  seinem  Gastmahl  hervorgetreten  sei,  darüber  sind  die 
Meinungen  der  gewiegtesten  Kenner  geteilt.  Auf  der  einen  Seite  scheint 
sich  Xenophon,  Conviv.  8.  32  mit  eigrjxs  Ilavaaviag  auf  Piaton,  Symp.  178c 
zurückzubeziehen;  auf  der  anderen  Seite  aber  hätte  sich  derselbe  doch  einer 


')  Zeller,  Gesch.  d.  Phil.  11*,  1.  236  ff.; 
Sehr  weit  geht  in  der  Ausscheidung  von  an- 
geblich Unechtem  Kohn,  Sokrates  und  Xeno- 
phon, 1875.  Dagegen  F.  Dümmler,  Acade- 
mica,  1889;  Joel,  Xenophons  Verhältnis  zur 
echten  Sokratik,  1890. 

'^)  Die  Glaubwürdigkeit  des  Briefes  wird 
abgewiesen  von  Bentley,  Epist.  Phaler.,  in 
Opusc.  54.    In  der  Bemerkung  über  die  Be- 


rechtigung der  Mantik,  Mem.  I,  1 ,  8  ovtb  tw 
(TtQcatjyixco  dtjXoi^  si  ovfj.cpeQei  OTQairjysTy 
könnte  man  eine  Rückbeziehung  auf  die  be- 
kannte Erzählung  in  Anab.  KI,  1.  5  er- 
blicken. 

^)  Conviv.  I,  1 :  (<XX'  i/uol  (^oxei  tmu 
xctXuiv  xdycid^MP  (iy&güij/  tgya  ov  fxovoy  tC 
fxsxd  anovd^g  TJQatxofXEva  (c^iofiytjuui^evT« 
eivat  dXXd  xccl  rd  iy  xccTg  n(ad\cag. 


3Ö4 


Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 


unerhörten  Selbsttäuschung  hingegeben,  wenn  er  geglaubt  hätte,  dem  pla- 
tonischen Gastmahl  mit  dem  seinigen  Konkurrenz  machen  zu  können.^) 

Der  ülxoro^uixög  ist  eine  Ergänzung  zu  den  Denkwürdigkeiten  des 
Sokrates,  wie  der  Verfasser  selbst  gleich  im  Eingang  andeutet.  Die  kleine, 
anziehende  Schrift  enthält  ein  Gespräch  des  Sokrates  mit  Kritobulos  und 
Lochomachos  über  die  beste  Führung  des  Hauswesens,  besonders  in  Bezug 
auf  den  Ackerbau.  Cicero  hat  dieselbe  ins  Lateinische  übersetzt.-)  Der 
abrupte  Eingang  rjxovaa  6t'  tioh-,  der  an  dem  ähnlichen  des  Symposion  sein 
Analogon  hat,  veranlasste  einige  schon  im  Altertum,  das  Schriftchen  als 
5.  Buch  der  Denkwürdigkeiten  auszugeben.^)  Aber  die  Person  des  Sokrates 
ist  hier  viel  freier  gezeichnet,  indem  Xenophon,  ähnlich  wie  das  Piaton  in 
seinen  Dialogen  zu  thun  liebte,  seine  eigenen  Gedanken  dem  Sokrates 
unterlegt.^) 

Die'ÄTioXoyia  ^coxQcxTovg  TTQog  Tovg  dixuardg  enthält  eine  weitere 
Ausführung  des  Schlusskapitels  der  Denkwürdigkeiten,  steht  aber  hinter 
der  Kunst  der  übrigen  Schriften  Xenophons  zurück  und  scheint  demselben 
von  einem  Späteren,  vielleicht  seinem  Enkel,  untergeschoben  zu  sein.^) 

230.  Von  den  übrigen  kleineren  Schriften  Xenophons  gehören  mehrere 
dem  Zwischengebiet  von  Geschichte  und  Politik  an: 

Die  AaxsS ccip.ovi(x)v  TcoXixsia  ist  im  Geiste  der  Kyropädie  und  zur 
Empfehlung  des  spartanischen  Königtums  geschrieben.  Sie  sucht  den  Grund 
der  Macht  und  des  Ansehens  des  kleinen  Staates  in  der  Verfassung  des 
Lykurg,  gibt  aber  zugleich  im  Epilog  (c.  14—15)  zu,  dass  die  Gesetze  des 
Lykurg  nicht  mehr  in  voller  Kraft  bestehen,  und  dass  nur  die  Stellung 
der  Könige  die  gleiche  geblieben  sei.  Auf  die  Abfassungszeit  im  Beginn 
des  athenischen  Seebundes  (378)  führt  die  Bemerkung  14,  6,  dass  früher 
die  Hellenen  Spartas  Führerschaft  sich  erbeten  hätten,  jetzt  aber  zu  einander 
Gesandtschaften  schickten,  um  eine  neue  Herrschaft  Spartas  zu  verhindern.") 
Nach  Diogenes  II,  57  hat  Demetrios  Magnes  diese  und  die  folgende  Schrift 
für  unecht  erklärt;  diese  Bemerkung  scheint  sich  aber  in  der  Vorlage  des 
Diogenes  lediglich  auf  den  Staat  der  Athenei  bezogen  zu  haben.  Nur  das 
letzte  Kapitel   von   den  Königen  Spartas   sieht  wie   ein  ursprünglich  nicht 


^)  Die  Priorität  des  Xenophon  behauptet 
von  BöCKH,  De  simuUate  quae  inter  Pla- 
tonem  et  Xenopliontem  intercessisse  fertur, 
Ber.  1811  =  Kl.  Sehr.  IV,  5  ff.,  und  von 
IIuG,  Philol.  7,  638  ff.  und  in  Ausg.  von 
Plat.  Sympos. ;  die  umgekehrte  Meinung 
vertreten  von  K.  Fk.  Hermann,  Num  Plato 
an  Xenophon  convivium  suum  prius  scrip- 
serit,  1835  u.  1841,  neuerdings  mit  sprach- 
lichen Gründen  von  Schanz,  Herm.  21,  458. 
Vgl.  ScHENKL,  Xen.  Stud.  II,  46. 

'-)  Vgl.  Cic.  de,,off.  II,  24.  87.  Sonder- 
barerweise soll  die  Übersetzung  Ciceros  nach 
Servius  zu  Verg.  Georg.  I,  43  drei  Bücher 
umfasst  haben;  s.  Schenkl,  Xen.  Stud.  III,  5. 

^)  Galen,    Comm.    in  Hippocr.  de  artic. 

I,     1  :      OIL     tO     ßiß'Aior    TOVTO    XMV    ^LCOXQCiTlXÜjip 

icn ofAvrj^uov ei\uia cov  iaii  t6  ta/«Toi\     Ebenso 
Stob.  Flor.  55,  19. 


^)  C.  Lincke  dachte  deshalb  an  starke 
Interpolationen  durch  den  jüngeren  Xeno- 
phon, den  Sohn  der  Gryllos,  der  nach  Photios 
bibl.  260  Schüler  des  Isokrates  war. 

'')  Verworfen  von  Valckenaer  zu  JVIem. 
I,  1,  dem  Enkel  zugeschrieben  von  Beck- 
haus a.  0.,  in  das  2.  Jahrh.  v.  Chr.  ver- 
wiesen von  Schenkl,  Xen.  Stud.  II,  146  f. 
Dass  umgekehrt  der  Schluss  der  Memorabilien 
aus  der  Apologie  genommen  sei,  suchen 
nachzuweisen  Geel,  De  Xen.  apologia,  Lei- 
den 1836,  und  R.  Lange,  De  Xen.  quae 
dicitur  apologia,  Halle,  Diss.  1873.  Vergl. 
HuG  im  Anhang  zu  Köchly's  Reden  I,  430  ff. 

^)  Diese  Abfassungszeit  ist  aaf  den  Epilog 
beschränkt  und  das  übrige  in  387  —  5  gesetzt 
von  Naumann,  De  Xenophontis  libro  qui 
AaxedaiuoiniOi'  nohTsl«  inscrihitar ,  Berlin 
1876. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     d.  Xeuophou.  (§  230.) 


301 


zur  Sache  gehöriges  Anhängsel  aus.  Polybios  aber,  wenn  er  VI,  45  den 
Xenophon  von  der  Verwandtschaft  der  kretischen  Verfassung  mit  der 
spartanischen  reden  lässt,  scheint  keinen  vollständigeren  Text  unserer 
Schrift  vor  Augen  gehabt,  sondern  nur  ungenau  referiert  zu  haben,  i)  Die 
Schrift  in  ihrer  heutigen  Gestalt  war  eine  Hauptquelle  Plutarchs  im  Leben 
Lykurgs  und  in  den  Lakedämonischen  Einrichtungen. 

Die  ^A^rjvaio)^'  nolixsia  ist  ein  Seitenstück  zum  Staat  der  Lake- 
dämonier,  ist  aber  viel  älter,  wahrscheinlich  das  älteste  Denkmal  attischer 
Prosa,  und  von  einem  ganz  anderen  Geiste  durchweht.  Die  Abfassung  der- 
selben wird  von  Kirchhoff  ^)  mit  Wahrscheinlichkeit  in  das  J.  424  gesetzt, 
fiel  sicher  vor  413  oder  vor  die  Auflösung  der  athenischen  Seeherrschaft. 
Ihr  Verfasser  ist  im  Grunde  des  Herzens  ein  Feind  der  Demokratie,  zeigt 
aber  vom  Standpunkt  eines  Realpolitikers,  wie  der  Staat  der  Athener,  nachdem 
nun  einmal  die  Demokratie  zu  Recht  bestehe,  regiert  werden  müsse  und  in 
der  Hauptsache  auch  wirklich  regiert  werde.  Man  könnte  die  Schrift  eine  Re- 
lation nennen,  welche  ein  Proxenos  über  die  athenische  Demokratie  an  eine 
auswärtige  aristokratische  Regierung  erstattete;  im  Ton  und  in  einzelnen 
Wendungen  erinnert  sie  stark  an  die  sokratischen  Gespräche,  weshalb  Cobet 
geradezu  annahm,  dass  sie  ursprünglich  die  Form  eines  Dialoges  gehabt 
habe.^)  Leider  ist  dieselbe  in  sehr  zerrüttetem  Zustand  auf  uns  gekommen.*) 
Der  eigentliche  Verfasser  ist  schwer  mehr  zu  eruieren;  Böckh'')  hat  an 
den  Aristokraten  Kritias,  Müller-Strübing  an  Phrynichos  gedacht. 

UoQoi  ij  716qI  TCQoa 66(üv  ist  der  Titel  einer  interessanten  Schrift, 
der  wir  mannigfache  Belehrung  über  das  athenische  Finanzwesen  verdanken ; 
sie  ist  eine  Gelegenheitsschrift,  in  der  Xenophon  Mittel  angibt,  wie  den 
schlechten  Finanzen  der  Stadt  bei  dem  drohenden  Abfall  der  Bundesgenossen 
abgeholfen  werden  könne.  Die  Zeitverhältnisse,  aus  denen  die  Vorschläge 
erwachsen  sind,  führen  nach  Cobets  Auffassung  (Nov.  lect.  756  ff.)  auf  das 
Jahr  356/5.  Andere  ^)  gehen,  anknüpfend  an  5,  9,  wo  von  der  versuchten 
Verdrängung  der  Phoker  aus  der  Vorstandschaft  des  delphischen  Orakels 
die  Rede  ist,  bis  auf  346  herab.  Ist  die  letztere  Meinung  richtig,  dann  ist 
nicht  Xenophon  der  Verfasser,  der  damals  bereits  tot  war,  sondern  irgend 
ein  Parteigänger  der  Friedenspolitik  des  Eubulos.") 


')  Auf  einen  Auszug  schliesst  aus  jener 
Stelle  Cobet,  Nov.  lect.  707.  Aristot.  Polit. 
VII,  14,  p.  1333b,  18  nennt  unter  denjenigen, 
welche  über  den  Staat  der  Lakedämonier 
geschrieben  haben,  nur  den  Thimbron  mit 
Namen ;  neuerdings  verteidigte  die  Echtheit 
Naumann  a.  0. 

^)  Kirchhoff,    Über    die    Schrift    vom 

Staat  der  Athener,  Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1874 

lind  1878.     M.  Schmidt,  Memoire  eines  Oli- 

garchen   in  Athen    über   die   Staatsmaximen 

des  Demos,  Jena  1876,    setzt    die  Schrift  in 

j  430/29,  Müller-Strübing,  Die  attische  Schrift 

I  vom   Staat   der   Athener,    Philol.   Suppi.  IV, 

j  1  ff.  in  417-414,   und   so   im   wesentlichen 

'  auch  Bergk,  Gr.  Litt.  IV,  238  An.  7. 

^)  Belehrend  ist  zum  Vergleich  die  poli- 
tische   Diskussion,    welche    Thukydides    5, 
Handbuch  der  klass.  Altorlumswissenschaft.  VII.    2 


85 — 113  zwischen  den  Meliern  und  den  Ab- 
gesandten der  Athener  geführt  werden  lässt. 

^)  Eettig,  Über  die  Schrift  vom  Staate 
der  Athener,  Zeitsch.  f.  österr.  Gymn.  1877 
S.  241  ff.;  L.  Lange,  De  prUtina  libelU  de 
rep.  Ätheniensium  forma  restituenddy  Leipz. 
1882,  u.  Leipz.  Stud.  V,  395  ff. 

^J  Böckh,  Staatshaushaltung  der  Athener 
I^  432,  indem  er  sich  auf  ein  Citat  des 
Kritias  bei  Poll.  VIII,  25  =  Rep.  Ath.  3,  6 
stützt,  über  die  ganze  Schrift  in  ihrer  Stel- 
lung zur  Zeit  handelt  R.  Scholl,  Über  die 
Anfänge  einer  politischen  Literatur  bei  den 
Griechen,  akad.  Rede,  München  1889. 

<5)  Hagen,  Eos  II,  149;  Holzapfel,  Philol. 
40,  242  ff. 

')  Schon  Onken,  Isokrates  und  Athen 
S.   90    hat    die   Schrift    für    unecht    erklärt. 


Aufl. 


20 


306  Griechische  Literaturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

231.  Mit  der  speziellen  Kenntnis  und  Liebhaberei  des  Xenophon  hängen 
folgende  kleinere  Schriften  zusammen: 

Der  ^iTTTTccQxiyiog^  geschrieben  für  einen  Reiterführer,  gibt  fromme 
und  sachgemässe  Anweisungen  zur  Verbesserung  der  athenischen  Reiterei. 
Der  Hinweis  auf  die  mit  den  Athenern  verbundenen  Lakedämonier  (9,  4) 
und  auf  den  drohenden  Einfall  der  Böotier  (7,  3)  führt  auf  die  Zeit  kurz 
vor  der  Schlacht  bei  Mantinea. 

IIsQi  iTTTvixrjQ  ist  nach  dem  Hipparchikos,  der  am  Schluss  (12,  14) 
citiert  wird,  geschrieben.  Wie  jene  Schrift  für  einen  Reiterobersten  bestimmt 
war,  so  diese  für  einen  gemeinen  Kavalleristen  {Idiornj  Innst);  sie  gibt 
praktische  Ratschläge  für  Ankauf  und  Schulung  des  Pferdes,  sowie  für 
Ausrüstung  des  Reiters.  Aus  1,  3  und  11,  6  ersehen  wir,  dass  schon  vor 
Xenophon  ein  gewisser  Simon  über  denselben  Gegenstand  geschrieben  hatte; 
aus  des  letzteren  Schrift  wird  das  in  den  Geoponika  19,  5  unter  dem  falschen 
Namen  des  Xenophon  angeführte  Kapitel  stammen. 

Der  KvvrjysTixog  enthält  das  Lob  der  Jägerei  und  viele  praktische 
Anweisungen  für  die  Abrichtung  der  Jagdhunde.  Sehr  hübsch  wird  gegen 
Schluss  das  Waidwerk  als  Vorschule  des  Kriegsdienstes  gepriesen  und  der 
Wortklauberei  der  Sophistik  entgegengesetzt.  Das  Werk  wird  von  dem 
Grammatiker  Tryphon  bei  Athen.  400a  als  xenophontisch  anerkannt,  weicht 
aber  im  Stil  und  hyperbolischen  Ausdruck  stark  von  der  Schlichtheit  des 
Xenophon  ab,  so  dass  man  es  demselben  entweder  ganz  absprechen  oder 
in  eine  jüngere  Periode  seiner  Schriftstellerei  verlegen  muss.  ^) 

Angehängt  endlich  sind  den  Werken  des  Xenophon  7  Briefe,  deren 
ünechtheit  schon  Bentley,  Opusc.  54,  erwiesen  hat. 

Scholien  sind  zu  Xen.  so  gut  wie  keine  erhalten,  da  die  von  Dindorf  veröffent- 
lichten das  wegwerfende  Urteil  von  Cobet  Nov.  lect.  546  verdienen.  Die  handschriftliche 
Überlieferung  ist  zu  den  einzelnen  Büchern  verschieden;  durchweg  aber  haben  wir  nur 
verhältnismässig  junge  Codd.;  die  besten  sind:  zur  Anabasis  Paris.  1640  (C)  v.  J.  1320, 
der  aber  auf  einen  Cod.  s.  IX  zurückgeht  (Hug,  De  Xen.  anab.  cod.  C,  Turici  1878);  zur 
Cyropädie  Marc.  511  s.  XII,  Paris.  1640  (C),  1635  (A);  zu  Hellen.  Paris.  1738  (B),  2080 
(G),  1642  (D),  Marc.  368  (M);  zu  Memorab.  Paris.  1302  s.  XIII  (enthält  nur  1.  I  u.  II)  u. 
1740.  Kritischer  Apparat  in  der  Oxforder  Ausg.  Dindorf's  1857;  bereichert  in  der  Ausg. 
von  ScHENKL,  Berl.  bis  jetzt  vol.  I  u.  II,  dazu  Mitteilungen  über  die  benützten  Codd.  in 
Xen.  Stud.,  3  Hefte. 

Gesamtausgabe  von  J.  G.  Schneider,  Lips.  1790-1849,  6  vol.  (einzelne  Bände  be- 
arbeitet von  Bornemann)  ;  rec.  et  comment.  instr.  Bornemann,  Kühner,  Breitenbach,  Gotha 
1828,  4  vol.;  ed.  G.  Sauppe,  Lips.  1865,  5  vol.  —  Anab.  em.  Cobet  LB.  1859;  Hell.  eni. 
Cobet,  Amst.  1862.  —  Expeditio  Cyri  und  InstiHiHo  Cyri  rec.  Hug.,  Lips.  1878,  bedeu- 
tendste kritische  Ausgabe  mit  Facsimiles  des  Cod.  Paris.  1640.  —  Anabasis  mit  erklärenden 
Anm.  von  Krüger,  6.  Auflage  1871;  von  Vollbrecht  bei  Teubner;  von  Rehdantz-Carnuth 
bei  Weidmann.  —  Cyropaedie  von  Breitenbach  bei  Teubner;  von  Hertlein-Nitsche  bei 
Weidmann.  —  Hellenika  von  Breitenbach  bei  Weidmann;  von  Büchsenschütz  bei  Teubner; 
von  ZuRBORG  u.  Grosser  bei  Perthes;  von  E.  Kurz,  München  1874  (dazu  Progr.  des  Ludw. 
Gym.  1875);  von  0.  Keller,  Lips.  1888.  —  Memor.  mit  Anm.  von  Kühner  bei  Teubner; 
von   Breitenbach   bei   Weidmann.  —  De  reditibus   lihellus,   rec.   Zurborg,  Berl.  1876.   — 


Die  Echtheit  verteidigt  der  verdiente  Heraus-  j  aus    Cobet,    Nov.   lect.   774,   und    Roquette 

geber  der  Schrift  Zurborg,  De  XenopJiontis  \  a.  0.     Auffällig  ist  der  dem  Xenophon  sonst 

lihello    qui    IIoqoi    inscrihitur,    Berl.    1874;  !  fremde  Gebrauch    des  Infinitiv   absolutus  in 

ebenso  Maüvig,   Adv.  crit.  I,  364,    der   das  j  dem  Sinn  eines  Imperativs.     Sittl,  Gr.  Litt, 

chronologisch   anstössige   snsiQwvxo  5,  9   in  '  11,  462  findet  Anzeichen  späteren  Ursprungs 

7tetQ(x)i'To  bessert.  auch  in  der  Form  der  Aeneassage  1.   15. 
'}  Für  eine  .Jugendschrift  sprachen  sich 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     e.  Geschichtswerke.  (281—234.) 


307 


Xen.  qiii  fertur  libellus  de  repuhlica  Athenieimum,  rec.  Kikchhoff,  Berl.  1874.  —  Lexi- 
logus  Xenophontis  von  G.  Saüppe,  Lips.  1808. 

e.  Die  kleineren  und  verlorenen  Geschichtswerke. 

232.  Antiochos  von  Syrakus  war  Verfasser  einer  ^ixekiMTig  avy- 
yQccifi'j  in  ionischem  Dialekt,  welche  mit  dem  König  Kokalos  begann  und 
bis  auf  das  Jahr  424  oder  den  Frieden  von  Gela  herabgeführt  war.  Die- 
selbe, noch  von  Thukydides  ^)  benützt,  ward  später  durch  die  berühmteren 
Werke  des  PhiJistos  und  Timaios  in  Schatten  gestellt  und  war  schon  zu 
Strabons  Zeit  verschollen.  Länger  erhielt  sich  sein  Buch  'iraXiag  ohio^xög,  von 
dem  uns  durch  Dionysios  von  Halikarnass,  Strabon  und  Stephanos  von 
Byzanz  noch  manche  Angaben  erhalten  sind.  2) 

233.  Ktesias  von  Knidos  aus  dem  Geschlecht  der  dortigen  Asklepiaden 
war  um  415  in  die  Kriegsgefangenschaft  der  Perser  geraten  und  verbrachte, 
von  den  Königen  wegen  seiner  ärztlichen  Kunst  hoch  geehrt,  17  Jahre  in 
Persien.  ^)  In  der  Schlacht  von  Kunaxa  befand  er  sich  im  Gefolge  des 
Artaxerxes  und  heilte  den  König  von  der  ihm  durch  Kyros  beigebrachten 
Wunde.^)  Später  ward  er  vom  König  zu  diplomatischen  Sendungen  an 
Euagoras  und  Konon  verwendet,  wobei  er  um  398  wieder  nach  seiner  Heimat 
kam,  um  nicht  mehr  nach  Persien  zurückzukehren.^)  Die  reichen  Kenntnisse, 
die  er  sich  vom  Orient  an  Ort  und  Stelle  durch  den  Verkehr  mit  dem  persi- 
schen Hof  und  durch  das  Studium  der  einheimischen  Geschichtsbücher  ^) 
erworben  hatte,  legte  er  in  seinen  IIsqüixü^  einem  umfangreichen,  in  ioni- 
schem Dialekt  geschriebenen  Werk  von  23  B.  nieder.  Dem  Patriarchen 
Photios  Cod.  72  verdanken  wir  einen  Auszug  aus  demselben.')  Danach 
behandelten  die  6  ersten  Bücher  die  assyrische  und  vorpersische  Geschichte, 
und  gingen  die  folgenden  Bücher  bis  auf  das  Jahr  398  herab.  In  der 
Erzählung  hofmeisterte  Ktesias  mit  Vorliebe  den  Herodot,  indem  er  den- 
selben nicht  bloss  vielfach  berichtigte,  sondern  geradezu  als  Lügner 
hinstellte.^)  Ein  zweites  Werk  'Tv6ixä  gab  im  1  Buch  die  ersten  Nach- 
richten von  dem  Wunderland  Indien,  besonders  von  seiner  Tier-  und 
Pflanzenwelt.  Auch  von  ihm  hat  uns  Photios  a.  0.  einen  Auszug  er- 
halten. Ausserdem  wird  von  ihm  ein  geographisches  Werk  IlsQinXovg  oder 
Usoiodog  erwähnt.^) 

234.  Aineias,  der  Taktiker,  lebte  zu  gleicher  Zeit  mit  Xenophon 
und   berührte  sich  mit  ihm   durch    die  gleiche  Vorliebe  für  die  praktische 


')  S.  oben  §  221. 

2)  Fragmente  hi  Müller  FHG.  1,  181-4. 
WöLFFLiN,  Antiochos  von  Syrakus  und  Coe- 
lius  Antipater  1872. 

•')  Diodor  11,  32. 

^)  Xenoph.  Anab.  I,  8.  26. 

■')  Photios  p.  44b   nach   Ktesias   selbst. 

^)  Das  waren  die  ßaaihxcd  öicp&SQca  des 
Diodor  11,  32. 

')  Pamphila  unter  Nero  verfasste  nach 
Suidas  eine  Epitome  in  3  B.  Ausser  durch 
Photios,  der  auf  seine  Gesandtschaftsreise 
nach  Persien  den  Ktesias  als  Reiselektüre 
mitzunehmen    besonderen    Anlass    hatte,    ist 


durch  die  ersten  Bücher  des  Diodor  und 
Plutarch's  Leben  des  Artaxerxes  manches 
von  Ktesias    auf   die   Nachwelt    gekommen. 

^)  Aber  vielfach  gaben  dem  Herodot 
die  Monumente  recht;  s.  Haug,  Die  Quellen 
Plutarchs  S.  88  f. 

^)  Fragmente  gesammelt  von  C.  Müller 
im  Anhang  der  Didot'schen  Herodotausgabe 
1858.  Dazu  kommen  aber  die  Stellen,  in 
denen  Ktesias  bloss  benützt,  nicht  citiert 
ist,  wie  namentlich  in  Plutarchs  Leben  des 
Artaxerxes.  Spir.  Lambros  'lajoQixd  fxeXe- 
Tij^uccTcc  p.  Gl — 68  teilt  drei  neue  Bruch- 
stücke der  Indika  des  Ktesias  mit. 

20* 


308  Griechische  Litteraturgeschichte.    1,  Klassische  Periode. 

Beschäftigung  eines  Kriegsmannes.  Derselbe  ist  wahrscheinlich,  wie  be- 
reits Casaubonus  vermutete,  identisch  mit  dem  von  Xenophon,  Hell.  VII, 
3.  I  erwähnten  Stymphalier  Aineias.  ^)  Die  von  ihm  erhaltene  Schrift 
TaxTixor  vTTOfuvrjfjia  7T8qI  tov  Ticijg  xQr]  TToXioQxovfisvovg  ävTtxeiv  ist  nur  ein 
Abschnitt  eines  grösseren,  von  Polybios  X,  44  unter  dem  Titel  Td  tzsqI 
Toov  aTQaTt]yrjjj,ccTixcov  vTiofjivrjiiiaTa  aufgeführten  Werkes.  Die  Regeln  der 
Taktik,  die  eine  noch  sehr  niedere  Stufe  des  erst  unter  den  Diadochen 
ausgebildeten  Geniewesens  erkennen  lassen,  werden  durch  zahlreiche  Bei- 
spiele erläutert,  und  diese  geben  dem  Buche  den  Hauptwert.  Nach  ihnen 
lässt  sich  auch  die  Abfassungszeit  desselben  dahin  bestimmen,  dass  es  in 
den  nächsten  Jahren  nach  860  entstanden  ist. 2)  Später  machte  Kineas, 
der  Feldherr  des  Königs  Pyrrhos,  von  dem  Werke  einen  Auszug,  dessen 
Arrian,  Takt.  1,  Erwähnung  thut. 

Ausgabe  mit  Polybios  von  Casaubonus,  Par.  1609;  neuere  kritische  Bearbeitung  von 
Herchek,  Berl.  1870;  von  Hüg,  Lips.  1874. 

235.  Philistos  aus  Syrakus,  ^)  der  berühmte  sikilische  Historiker, 
war  schon  herangewachsen,  als  der  spartanische  Feldherr  Gylippos  die  Ver- 
teidigung von  Syrakus  gegen  die  Athener  leitete;^)  später  spielte  er  als 
Parteigänger  und  Feldherr  der  beiden  Dionysii  eine  hervorragende  Rolle 
in  seiner  Heimat.  In  den  Kämpfen  des  Dion  gegen  den  jüngeren  Dionysios 
kam  er  357  um,  sei  es  dass  er  sich  nach  seiner  Niederlage  zur  See  selber 
entleibte,  wie  Ephoros  und  Diodor  IV,  16  erzählen,  sei  es  dass  er  gefangen 
genommen  und  von  den  wütenden  Gegnern  unter  schmählichen  Insulten 
ums  Leben  gebracht  wurde,  wie  ein  Augenzeuge  bei  Plutarch  im  Leben  des 
Dion  c.  35  berichtet.  Sein  Geschichtswerk,  2ixshxd  betitelt,  begann  er  in 
der  Müsse  der  Verbannung,  als  er  von  dem  älteren  Dionysios  infolge  von 
Zerwürfnissen  aus  Syrakus  verwiesen  worden  war  (386).  Der  erste  Teil 
{avvta'^ig)  in  7  B.  behandelte  die  ältere  Geschichte  Sikiliens  bis  zur  Thron- 
besteigung des  ersten  Dionysios  (406);  im  zweiten  Teil  gab  er  zunächst 
in  4  B.  eine  Geschichte  des  älteren  Dionysios;  dieser  Hess  er  dann  später 
noch  die  Geschichte  des  jüngeren  Dionysios  von  366 — 362  in  2  B.  nach- 
folgen.^) Cicero^)  nennt  den  Philistos  ptisiUmn  TJmci/didem;'')  mit  seinem 
grossen  Vorbild  teilte  er  die  gedrungene,  jede  Digression  vermeidende  Dar- 
stellung, die  aus  eigener  Erfahrung  entsprungene  Sachkenntnis  und  die 
Belebung  der  Erzählung  durch  eingelegte  Reden;  aber  er  stand  ihm  weit 
nach  an  mannhaftem  Freiheitssinn;  Dionysios  in  dem  Brief  an  Pompejus 
c.  5  wirft  ihm  die  niedrige  Gesinnung  eines  Tyrannenschmeichlers  vor.  Im 
Stil  und  der  rhetorischen  Technik  hatte  er  sich  an  seinem  Lehrer  Euenos 


')  Über  diese  neuerdings  lebhaft  behan- 
delte Kontroverse  s.  Schenkl,  Jahrber.  d. 
Alt.  XII,  1.  261  ff. 

'^)  HuG,  Aeneas  von  Stymphalos,  Zur. 
1877  nimmt  d.  J.  359-8,  Gutschmid,  Lit. 
Centralbl.  1880  N.  18  d.  J.  357-6  an. 

^)  Zwei  konfuse  Artikel  des  Suidas. 
Körber,  De  Philisto  verum  Sicularum  scrip- 
tore,  Bresl.  1874. 

')  Plut.  Nie.  19. 

^)  Diodor    13,    103   u.    15,  89;   Dionys. 


ep.  ad  Pomp.  5.  Suidas  lässt  das  Werk  aus 
11  B.  bestehen,  indem  er  die  spätere  Fort- 
setzung nicht  berücksichtigt. 

^)  Cic.  ad  Quint.    fr.   II,  11.  4;    ähnlich 
Brut.  17,  66;   de    or.    II,    13.  57;    Quint.  X, 

1.  74. 

^)  Ähnlich  Dionysius,  Cens.  vet.  Script.  3, 

2.  In  der  Kunst  durch  passende  Verbindung 
auch  gewöhnlichen  Wörtern  Glanz  zu  geben 
vergleicht  Longin  de  subl.  40  den  Philistos 
mit  Aristophanes  und  Euripides. 


2.  Die  Geschichtsschreibung,     e.  Geschichtswerke.  (§  235—237.) 


309 


aus  Faros  gebildet.    Die  Fragmente  gesammelt  bei  Müller  FHG.  1, 185  —  192  ; 
IV,  639  f. 

Eine  Fortsetzung  des  Pbilistos  lieferte  Äthan as,  der  die  Geschichte 
des  jüngeren  Dionysios  zu  Ende  führte  und  daran  die  des  Dion  und  Timoleon 
(362-337)  reihte. 

236.  Die  grossen  Historiker,  die  wir  bisher  betrachtet,  hatten  sich 
durch  praktische  Thätigkeit  im  Staats-  und  Kriegsdienst  ihre  Berechtigung 
zur  Geschichtsschreibung  erworben.  Gegen  Ende  unserer  Periode  begann 
die  Übung  in  der  Redekunst  für  eine  bessere  Vorschule  gehalten  zu  werden 
als  die  Teilnahme  am  öffentlichen  Leben:  statt  Staatsmänner  treten  nun- 
mehr Rhetoren  als  Geschichtsschreiber  auf.  Das  hat  die  griechische  Historie 
in  falsche  Bahnen  geleitet.  Die  ganze  Rhetorik  hatte  es  nicht  auf  Wahr- 
heit, sondern  auf  blendenden  Schein  abgesehen,  und  so  konnte  es  nicht 
fehlen,  dass  auch  in  der  Geschichtsschreibung  unter  dem  Streben  nach 
schönen  Phrasen  und  geistreichen  Wendungen  die  Sorgfalt  in  der  Erforschung 
der  Thatsachen  und  die  Unbestechlichkeit  des  Urteils  litten.  Die  beiden 
Hauptvertreter  dieser  rhetorisierenden  Geschichtsschreibung  waren  Ephoros 
und  Theopompos.  1) 

237.  Ephoros  aus  Kyme'^^)  im  äolischen  Kleinasien  war  nicht  bloss  aus 
der  Schule  des  Isokrates,  in  der  er  den  Curs  zweimal  durchmachte,-^)  hervor- 
gegangen, sondern  hatte  auch  von  seinem  Lehrer  in  der  Beredsamkeit  das 
Thema  zu  seinem  Geschichtswerk  erhalten.*)  Denn  in  der  eigentlichen 
Redekunst  scheint  er  es  nicht  sehr  weit  gebracht  zu  haben;  auch  wird 
von  ihm  nur  eine  einzige  rhetorische  Schrift,  tisqI  Xt'^sMg,  und  diese  nur 
gelegentlich  einmal  vom  Rhetor  Theon  (Rhet.  gr.  H,  71  Sp.)  angeführt. 
Sein  historisches  Werk  in  30  B.  war  die  erste  Universalgeschichte  der 
Griechen  {laTOQiat  xoivmv  TjQa^sMv);^)  sie  begann  mit  der  Rückkehr  der 
Herakliden  als  dem  ersten  beglaubigten  Ereignis  und  ging  herab  bis  auf 
die  Belagerung  von  Perinth  (340).  Dass  gerade  hiemit  das  Werk  schloss, 
daran  scheint  der  Tod  des  Autors  schuld  gewesen  zu  sein.  Denn  jenes 
Ereignis  bezeichnet  keinen  einschneidenden  Abschnitt  in  der  Geschichte, 
und  Ephoros  selbst  hatte  die  ganze  Regierung  des  Philipp  und  auch 
noch  den  Zug  des  Alexander  gegen  das  Perserreich  miterlebt.  Auch  be- 
sorgte nicht  er,  sondern  sein  Sohn  Demophilos  die  Herausgabe  des  Ge- 
saratwerkes, indem  er  zugleich  im  letzten  Buch  die  Erzählung  des  heiligen 
Krieges  zu  Ende  führte.  ^)  Das  vielgerühmte  ')  Werk  war  so  angelegt, 
dass  jedes  Buch   mit   einem   eigenen  Proömium    anfing   und  einen   in  sich 


0  Cicero  de  orat.  II,  13.  57  u.  III,  9. 
36:  ex  clarissima  rhetoris  Isocratis  officina 
duo  praes^tardes  ingenio ,  Theopompus  et 
Ephorus,  ah  Isocraie  magistro  impulsi  sc 
ad  historiam  contulerunt;  dicebat  Isocrates 
se  calcaribus  in  Ephoro,  contra  auteni  in 
Theopompo  frenis  uti  solere.  Suidas  u. 
^i,(poQog:  laoxQchrjg  xov  ^ev  ecpt]  ^aXtPov 
Seixs&ui,  TOP  &6  ^Eq)OQoy  xeyTQov. 

-)  Artikel  bei  Suidas.  Makx,  Epliori 
f'itmaei  fragm..  Karlsruhe  1815;  Klügmann, 


De  Ep)horo  historico  graeco,  Gott.  1860. 

•^)  Deshalb  scherzweise  M(foQog  genannt 
von  Ps.  Plut.  vit.  dec.  orat.  p.  837  e. 

^)  Ps.  Plut.  a.  0. :  y-ccl  t>;V  vnö&eaiv 
r^g  /Qelag  ccvrog  vnsS^i^yaxo. 

^)  Dieses  rühmend  anerkannt  von  Polyb. 
V,  33:  E(poQOP  xov  TiQMXOv  xal  fxovov  emßs- 
ßXfjfieuop  xd  xar^oXov  y^dcpeip. 

«)  Diodor  XVI,  14;  vgl.  Ath.  232d. 

')  Polyb.  VI,  45;  XII,  28.  loseph.  c. 
Ap.  I,  12. 


310 


Griechische  Litteratnrgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


abgerundeten  Stoff  behandelte.^)  Neben  den  geschichtlichen  Ereignissen 
war  der  Geographie,  zum  Teil  in  Verbindung  mit  den  Städtegründungen 
eine  besondere  Aufmerksamkeit  zugewandt; 2)  das  4.  Buch  hatte  von  seinem 
geographischen  Inhalt  den  Titel  EvQomtj;  Pseudoskymnos  bekennt,  seine 
Darstellung  von  Hellas  dem  Ephoros  entlehnt  zu  haben.  In  der  Sammlung 
des  Stoffes  war  Ephoros,  da  der  weitaus  grösste  Teil  seines  Werkes  jen- 
seits seiner  eigenen  Beobachtungen  und  Erinnerungen  lag,  auf  die  Benützung 
der  älteren  Geschichtswerke  angewiesen.  Aus  Herodot  namentlich  hat  er 
ganze  Partien,  wie  man  aus  Diodor,  der  hauptsächlich  dem  Ephoros  folgte, 
entnehmen  muss,  fast  wörtlich  herübergenommen.  ^)  In  der  Benützung 
seiner  Quellen  ist  ihm  Urteil  und  Wahrheitsliebe  nicht  ganz  abzusprechen; 
zu  rühmen  ist  es  besonders,  dass  er  die  genealogischen  Fiktionen  des 
Hellanikos  scharf  zurückwies^)  und  die  ganze  mythische  Zeit  aus  dem 
Bereiche  der  Geschichte  ausschloss.  Aber  die  guten  Vorsätze  haben  nicht 
immer  vorgehalten,  indem  er  z.  B.,  wie  Strabon  p.  422  tadelnd  hervor- 
hebt, die  Mythen  über  den  Kampf  des  delphischen  Apoll  mit  dem  Drachen 
wie  historische  Thatsachen  gläubig  nacherzählte.  Ausserdem  mangelten 
ihm  die  praktischen  Kenntnisse  eines  Militärs,  um  die  kriegerischen  Opera- 
tionen richtig  darzustellen:  ein  guter  Kenner,  Polybios  XII,  25,  bezeichnet 
seine  Darstellung  der  Schlachten  von  Leuktra  und  Mantinea  als  geradezu 
lächerlich,  während  er  ihm  die  Anerkennung  einer  sachkundigeren  Be- 
schreibung der  Seetreffen  lässt.  Der  Stil  unseres  Autors  trug  etwas  von 
der  Mattigkeit  der  Schulrhetorik  an  sich;"»)  gleichwohl  ward  er  gern  und 
viel  gelesen:  an  sein  Werk  knüpften  die  Historiker  der  Diadochenzeit  an, 
Diodor  nahm  es  sich  zum  Muster  und  plünderte  es  nach  seiner  Art,  andere 
machten  Auszüge  aus  demselben.  Unter  den  letzteren  scheinen  die  unter 
seinen  Werken  von  Suidas  aufgezählten  Bücher  IIsqI  ayad^wv  aal  xaxah' 
und  UaQado'^cov  tcov  ixa(/iaxov  ßißXia  is  zu  gehören.  Ob  die  2  Bücher 
Erfindungen  {e  '(>?y/i«Ta)r  ßißXia  ß')  auch  aus  den  Historien  ausgezogen 
waren  oder  ein  selbständiges  Werk  für  sich  bildeten,  lässt  sich  schwerer 
entscheiden.     Fragmente  bei  Müller,  FHG.  I,  234—277. 

238.  Theopomp,  ^)  Sohn  des  Damasistratos  aus  Chios,  geboren  um 
380,  kam,  aus  seiner  Heimat  vertrieben,  mit  seinem  Vater  nach  dem  gast- 
lichen Athen,  von  wo  er  erst  im  45.  Lebensjahre  wieder  nach  Chios  zurück- 
kehren durfte.  Nach  Alexanders  Tod  von  neuem  in  die  Fremde  gestossen, 
wandte  er  sich  an  den  König  Ptolemaios  in  Ägypten,  aber  ohne  bei  dem- 
selben eine  freundliche  Aufnahme  zu  finden.    Wahrscheinlich  ist  er  in  der 


^)  Diodor  V,  1  u,  XVI,  76;  es  sind  da- 
her auch  gewiss  einzelne  Bücher  längst  vor 
Abschluss  des  Gesamtwerkes  herausgegeben 
worden. 

'^)  Daher  besonders  geschätzt  von  dem 
Geographen  Strabon  VII  p.  302,  VIII  p.  332, 
IX  p.  422. 

^)  Bauer,  Benützung  Herodots  durch 
Ephoros  bei  Diodor,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  X, 
279—342.  Lysimachos  hatte  nach  Euseb. 
Praep.  ev.  X,  3  tjsqI  EcpoQov  y.lonrjg  ge- 
schrieben. 


^)  los.  c.  Ap.  I,   3:   'EcpoQog   'EXXdvLxoi 
EP    loTg   nXsiaroig   xpev^ofMEvov    inideixpixni 

5)  Dio  Chrys.  or.  18  p.  479  R;  Suidi 
u.  'E(foQog  xcil  Geönofinog:  Tfjv  de  EQ^rjvsicii 
irjg  laroQtag  vmiog  xal  ywS^Qog  xal  ^Tj&efxlcci 
s/wp  enlraoiv. 

•^)  Artikel  des  Suidas;   Phot,    cod.    176;[ 
Pflugk,  De  Theopompi  Chii  vita  et  scnx)tis\ 
Berl.  1827,  wozu  berichtigend  Meier,  Opusc. 
II,  284  flf. ;  Dellios,  Zur  Kritik  des  Geschichts-f 
Schreibers  Theopomp,  Jen.  Diss.  1880. 


3.  Die  Geschichtsschreibung,     e.  Geschieh tswerke.  (§288.)  311 

Fremde  auch  gestorben.  In  jüngeren  Jahren  verfolgte  er  die  Richtung 
seines  Lehrers  Isokrates  und  trat  in  verschiedenen  Städten  mit  Erfolg  als 
epideiktischer  Redner  auf.  Insbesondere  erhielt  er  in  einem  Panegyrikus 
auf  den  König  Mausollos  von  Karien  den  Siegespreis.  Seine  beiden  grossen 
historischen  Werke  waren  die  Hellenika  in  12  B.,  welche,  an  Thukydides 
anknüpfend,  die  Geschichte  von  410  —  394  oder  bis  zur  Schlacht  von  Knidos 
behandelten,  und  die  Philippika  in  58  B.,  welche  die  Regierung  des  Königs 
Philippos  von  Makedonien  zum  Mittelpunkt  hatten,  aber  in  zahlreichen 
und  ausgedehnten  Digressionen  die  ganze  Zeitgeschichte  umfassten;  so 
enthielten  dieselben  3  Bücher  sikilische  Geschichte  (Diod.  16,  71),  eine 
Musterung  der  Demagogen  Athens  im  10.  B.,  einen  Abschnitt  wunderbarer 
Geschichten,  einen  Exkurs  über  die  aus  Delphi  geraubten  Schätze.  Die 
Philippika  wurden  später  vom  König  Philippos  III.  unter  Weglassung  des 
Fremdartigen  in  einen  Auszug  von  16  B.  gebracht.  Ausserdem  verfasste 
Theopomp  oder  ein  anderer  unter  seinem  Namen  ^)  eine  Epitome  des  Herodot 
in  2  B.  Die  3  Werke  scheinen  dann  später,  ähnlich  wie  die  Annalen  und 
Historien  des  Tacitus,  zu  einem  Gesamtwerk  von  72  B.  vereinigt  worden 
zu  sein.'-^)  Untergeschoben  aus  Bosheit  wurde  unserm  Historiker  von  dem 
Rhetor  Anaximenes  die  Schmähschrift  TQixdgarog,  worin  alles  Unheil 
Griechenlands  auf  die  Häupter  der  3  Städte  Athen,  Sparta,  Theben  geladen 
war. 3)  Uns  sind  nur  Fragmente  und  Auszüge  erhalten;  von  der  lateini- 
schen Bearbeitung  der  Historiae  Philippicae  durch  Trogus  Pompeius  ist 
selbst  hinwiederum  nur  die  Epitome  des  Justinus  auf  uns  gekommen.  Wir 
sind  daher  auch  in  der  Charakterisierung  des  Theopomp  wesentlich  auf  die 
Urteile  der  Alten  angewiesen.  Die  gehen  aber  stark  auseinander:  Dionysios 
im  Brief  an  Pompeius  c.  6  rühmt  an  ihm  die  reine  Diktion  und  markige, 
an  Demosthenes  anstreifende  Kraft  der  Darstellung,  besonders  aber  das 
Eindringen  in  die  geheimen  Motive  der  Handelnden.  Polybios  hingegen 
findet  an  ihm  viel  zu  tadeln,  namentlich  seine  von  Schmähsucht  getriebene 
Parteilichkeit  in  der  Schilderung  des  Königs  Philipp  und  seiner  Genossen 
und  den  Mangel  an  militärischen  Kenntnissen  in  seinen  Schlachtenberichten. ^) 
Die  damit  in  Verbindung  stehenden  langen  Reden  mitten  in  den  Schlachten 
veranlassten  Plutarch,  reip.  ger.  praec.  6,  auf  ihn  den  Vers  des  Euripides 
anzuwenden:  ovSt^ig  aidr>Qov  Tavia  ^iMgahsi  ntXaq.  Mochte  übrigens  auch 
Theopomp  den  Namen  maledicefitissimus  scriptor^)  verdienen  und  in  seinen 
Darstellungen  mehr  den  gewandten  Rhetor  als  den  erfahrenen  Politiker 
verraten,  einer  der  bedeutendsten  Historiker  Griechenlands  war  er  jeden- 
falls doch.  Davon  zeugt  schon  der  Umstand,  dass  er  eifrigst  von  den 
Späteren  gelesen  und  benützt  wurde;  eine  Hauptquelle  war  er  namentlich 
für  die  Paradoxographen  und  den  Freund  der  chroniqiie  scandaleuse,  Athe- 
naios,  durch  den  uns  auch  die  meisten  Fragmente  erhalten  sind. 


^)  Voss,  De  hist.  gr.  60  f.  '    Jebb.     Nach  dem  griechischen  Vorbild  dich- 

'^)  So  erklärt  sich  die  Angabe  des  Suidas  tete   der   Römer  Terentius  Varro    die  Satire 

'PiXimnxd  ev  ßißXloig  oß',  wie  Müller  FHG.  TQixuQavog  auf  Pompeius,  Cäsar  und  Crassus ; 

I  p.  LXIX  nachgewiesen  hat.  s.  Riese,  Varr.  sat,  Men.  p.  232. 

'')  los.  c.  Ap.  I,  24;  Lucian  Pseudol.  29;  ^)  Polyb.  VIII,  11—18;  XII,  25. 

Paus.  IV,  18.  5;  Aristid.  Romae  cncom.  p.  211  ;            •')  Corn.  Nepos,  Alcib.  11. 


312  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Theoponipi   fragni.    coli.   Wicherö,  LB.  1829;    Müller,  FHG.  I,  278—333;    Bünger, 
Theopompea,  Argent.  1874,  der  besonders  dem  Sprachgebrauch  Theopomps  nachgeht. 

239.  Unbedeutender  waren  andere  Historiker  der  gleichen  rhetorischen 
Richtung,  die  wir  kurz  aufzählen:  Kephisodoros  von  Theben,  Verfasser 
einer  Geschichte  des  heiligen  Kriegs;  Deimon  von  Kolophon,  Verfasser 
umfangreicher  Persika,  die  bis  auf  die  Eroberung  Ägyptens  durch  Arta- 
xerxes  III  (340)  herabgingen;  Theokritos  aus  Chios,  Gegner  des  Theo- 
pomp, von  dem  Suidas  eine  Geschichte  Libyens  und  Wunderbriefe  anführt 
(Müller  II,  86  f.);  Asklepiades  von  Tragilos,  Schüler  des  Isokrates,  der 
in  den  6  Büchern  TQaycndovfxsvun'  die  von  den  Tragikern  auf  die  Bühne 
gebrachten  Mythen  zusammenstellte  (Fragmente  gesammelt  von  Werfer, 
Acta  phil.Monac.  II,  491 — 557,  und  Müller  III,  301 — 6);  Anaximenes  aus 
Lampsakos,  Schüler  des  Zoilos  und  Diogenes,  dem  Victorius  und  Spengel  die 
unter  dem  Namen  des  Aristoteles  laufende  isxvri  QrjTOQixt]  nQog  ^Als^avSqov 
zugeschrieben  haben,  und  der  an  geschichtlichen  Werken  ^EXlrjvixd  von 
der  Götter  Geburt  bis  zur  Schlacht  von  Mantinea  in  12  B.,  (I>iXi7i7iixä  in 
8  B.  und  ein  Epos  auf  Alexander  schrieb;^)  Kallisthenes  aus  Olynth, 
Schüler  und  Schwestersohn  des  Aristoteles,  der  Hellenika^)  und  Persika 
verfasste,  aber  durch  ein  freies  Wort  sich  den  grausamen  Zorn  Alexanders 
zuzog. ^)  Ausser  den  Genannten  stellten  die  Geschichte  Alexanders  dar:*) 
Kleitarchos,  Sohn  des  Deimon,  von  dem  nach  Quintilian  X,  1.  74  mehr 
das  Talent  der  Darstellung  als  die  historische  Treue  gelobt  wurde;  Ptole- 
maios  Lagu^)  und  Aristobulos,  die  Arrian  in  der  Einleitung  seiner 
Anabasis  als  die  zuverlässigsten  Autoren  preist,  Marsyas  von  Pella,  Ver- 
fasser von  Makedonika,^)  Chares  aus  Mytilene,  der  als  Zeremonienmeister 
viel  von  dem  Privatleben  des  Königs  zu  erzählen  wusste,  Eumenes  und 
Diodotos,  Verfasser  von  Tagebüchern  {i(friix8QiSeq)  des  Königs  u.  a.  Die 
Atthidenschreiber,  die  zum  Teil  auch  noch  unserer  Periode  angehören,  werden 
wir  unten  in  Zusammenhang  mit  ähnlichen  Werken  der  alexandrinischen 
Periode  besprechen. 

240.  Die  Geographie  und  Ethnographie  bildeten  in  der  klassischen 
Zeit  noch  nicht  selbständige  Wissenschaften  für  sich;  sie  waren  der  Ge- 
schichte nicht  bloss  verschwistert,  sondern  machten  geradezu  integrierende 
Teile  derselben  aus.  Bei  Hekataios,  Herodot,  Ephoros  waren  gelegentlich 
interessante  Mitteilungen  über  fremde  Länder,  Städtegründungen,  Sitten 
und  Bräuche  fremder  Völker    eingestreut.     Wichtig  für    die   Ethnographie 


')  Diodor  15,  89;  ein  längeres  Fragment 
der  Philippika  bei  Stob.  Flor.  36,  20;  über 
den  dem  Theopomp  fälschlich  zugeschriebenen 
Trikaranos  s.  §  238.     Als  schlechter  Poet  ist 


er   mit  Choirilos   aufgeführt  in  einer  herku-    }    Schäfer,  Quellenk.  P  71  if. 


lanischen  Rolle,  s,  Usener,  Rh.  M.  42,  150. 
-)  Nach   Diodor    14,    117    reichten    die- 
selben von  387   oder   dem  Frieden    des  An- 
talkidas  bis  zum  phokischen  Krieg  357. 


')  Ein  Fragment  bei  Synesios  in  der 
Lobrede  auf  die  Kahlköpfigkeit  c.  16,  nach- 
gewiesen von  RoHDE,  Rh.  M.  38,  301. 

^"^  Es  gab  zwei  Marsyas,  einer  aus  Pella, 


^)  Untergeschoben    wurde   ihm   eine  lo-  |  ein  anderer  aus  Philippi,  die  beide  Maxedo- 

manhafte    Alexandergeschichte    (JXe^dydQov  vixd  und  manches  andere  (s.  Suidas)  schrie- 

nga^Sig),    auf   die   wir  unten  zurückkommen  '  ben;    über  ihre  Unterscheidung  s.    Ritschl. 

werden.  |  De  Marsyis  verum  scriptoribus.  in  Opusc.  T, 

^}  St.  Croix,  Examen  critiqiie  des  cm-  \  449 — 70. 


ciens   liistoriens   d' Alexandre    le  Grand,  2. 
edit.,  Par.  1804;    Müller,  Scriptores  rerum  I 
Alexandri   31.;   Paris    1877;    Fränkel,   Die 
Quellen  der  Alexanderhistoriker,  Bresl.  1883; 


3.  Die  Beredsamkeit,     a.  Anfänge  der  Beredsamkeit.  (§  239-241.)  313 

waren  auch  die  Schriften  der  Arzte;  namentlich  teilt  uns  der  berühmte 
Arzt  Hipppokrates  (geb.  460)  in  dem  letzten  Teile  seines  Buches 
TTfQi  cibQMr  iSävMv  t6tio)1'  äusscrst  interessante  Beobachtungen  über  die 
von  Luft  und  Boden  abhängigen  physischen  und  geistigen  Eigenschaften 
der  Bewohner  Europas  und  Asiens  mit.  Die  Beobachtungen  sind  uns  dop- 
pelt interessant,  da  der  Verfasser  mit  dem  erfahrenen  Blick  des  Arztes 
zugleich  den  hohen  Sinn  des  für  Freiheit  begeisterten  Hellenen  verband ; 
insbesondere  erhalten  wir  durch  ihn  in  Verbindung  mit  dem  4.  Buch  des 
Herodot  die  ersten  genaueren  Nachrichten  über  die  Anwohner  des  schwarzen 
Meeres,  die  Skythen  und  Sauromaten.^)  Leider  ist  durch  eine  grosse  Lücke 
der  von  Ägypten  und  Lybien  handelnde  Abschnitt  verloren  gegangen. 2) 

Erst  gegen  Ende  unserer  Periode,  als  unter  Alexander  grossartige  Unter- 
nehmungen zur  See  ausgeführt  wurden,  entwickelte  sich  die  selbständige 
Litteratur  der  Seefahrtsberichte  {Tt^QinXoi  oder  TräQajiXoi).  So  schrieb 
Nearchos,  der  Admiral  der  indischen , Flotte,  einen  Bericht  über  seine 
Fahrt  längs  der  persischen  und  indischen  Küste  {to.  aii(fl  tfp  TrccgaTiho)^ 
den  noch  Strabon  und  Arrian  fleissig  benützten.  Neben  ihm  veröffentlichte 
sein  Obersteuermann  Onesikritos  von  Astypalaia  wunderreiche  Mittei- 
lungen über  die  durch  Alexander  erschlossenen  Länder  Asiens.  Ein  anderer 
Admiral  Alexanders,  Androsthenes  von  Thasos,  beschrieb  in  seinem 
naQänXovQ  ^IvStxrjg  die  Küste  Arabiens.  Etwas  später  unter  Seleukos  Nikator 
gab  Patrokles,  der  als  Befehlshaber  von  Babylon  (seit  312)  den  Osten 
aus  eigener  Anschauung  kennen  zu  lernen  Gelegenheit  hatte  und  die  Auf- 
zeichnungen des  Xenokles,  des  Schatzmeisters  Alexanders,  benützte, 2)  eine 
Beschreibung  der  Länder  am  kaspischen  Meer.  Aber  alle  diese  Seeberichte 
sind  verloren  gegangen ;  auf  uns  gekommen  ist  nur  eine  Küstenbeschreibung 
unter  dem  Namen  des  Skylax.  Der  echte  Skylax  stammte  aus  Karyanda 
in  Karlen  und  hatte  im  Auftrag  des  Darius  Hystaspes  die  Küsten  des 
arabischen  Meerbusens  umfahren.^)  Der  erhaltene  JIsQinXovg  rfjg  ^aXdcrcrrjg 
TT-g  ohovfisvrjg  EvQwrcr^g  xal  'Aaiag  xal  yiißvr^g  ist  eine  allgemeine  Küsten- 
beschreibung und  rührt  aus  viel  späterer  Zeit  her.  Nach  den  in  demselben 
enthaltenen  Anzeichen  setzt  ihn  Unger,  Philol.  33,  29  ff.  in  das  Jahr  356. 
Ausgabe  in  Müller's  Geogr.  graeci  min.,  Par.  1855,  t.  I  p.  15 — 96. 


3.  Die  Beredsamkeit.^) 

a.  Anfänge  der  Beredsamkeit. 

241.    Das  natürliche  Geschick  zum  Reden  war  den  Griechen  von  der 
Natur  als    schönes   Angebinde   in    die  Wiege   mitgegeben    worden.     Schon 


^j  Über  die  Pfahlbauern  am  Phasis  s. 
]>.  551  K. :  fj  TS  ^ittira  roTg  cfy&Qionoig  ev 
Totg  eXeoLP  eorlv  tu  rs  olyrjfxara  ^vliva  xal 
y.aXd^iva.  iv  v^ccGi  fie/urj/ai^fjiusya,  damit 
vergleiche  man  Herodot  5,  16  über  die  Pfahl- 
bauten der  Päonier  und  die  ähnlich  zu  deu- 
tenden 'J/eXioldsg  naQoixoi  G)Qrjxi(t)i^  inavhoi/ 
in  Aisch.  Pers.  872. 

^)  Zu  dem  berühmten  Buche  des  Hippo- 
krates    hatte    Galen    einen    Kommentar    ge- 


schrieben, der  aber  nur  durch  eine  lateinische 
Übersetzung  auf  uns  gekommen  ist;  leider 
lässt  sich  auch  aus  diesem  nichts  zur  Aus- 
füllung jener  Lücke  gewinnen;  s.  Ilberg  in 
Comm.  Ribbeck.  p.  343  An. 

=>)  Strab.  p.  69. 

4)  Herod.  IV,  44. 

■^)  Von  den  alexandrinischen  Gelehrten 
wurden  die  Redner  wenig  beachtet;  erst  die 
Pergamener  und   dann   in  Rom  Dionysios 


314 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Homer  in  der  Presbeia  erfreut  uns  durch  wirkungsvolle,  dem  Charakter 
der  Redenden  best  angepasste  Reden,  und  an  Nestor  und  Adrastos  priesen 
die  alten  Sänger  den  honigsüssen  Mund.  Auf  die  Kraft  der  überzeugenden, 
hinreissenden  Rede  stützten  dann  in  der  Zeit  des  aufstrebenden  Athen 
Themistokles  und  Perikles  ^)  vornehmlich  ihre  politische  Macht.  Aber  die 
Geschichte  der  Beredsamkeit  beginnt  erst  mit  dem  Zeitpunkt,  wo  die  Rhe- 
torik als  Kunst  {^^%vi])  gelehrt  zu  werden  begann  und  die  gehaltenen 
Reden  auch  herausgegeben  und  durch  Abschreiber  vervielfältigt  wurden. 
Jene  Kunst  ging  nach  dem  Zeugnis  des  Aristoteles,'^)  der  zuerst  eine  Zu- 
sammenstellung der  rhetorischen  Theorien  unternahm,  von  Sikilien  und 
Syrakus  aus,  wo  nach  dem  Sturze  der  Tyrannenherrschaft  (465)  die  vielen 
Privatprozesse  der  gerichtlichen  Beredsamkeit  reiche  Nahrung  gaben.  Der 
erste  Lehrer  der  Beredsamkeit  war  Korax,  der  die  Rhetorik  als  eine 
TsxvYj  neiO^ovg  Srj/iuovQYog  fasste  und  vermittelst  der  Sätze  der  Wahrschein- 
lichkeit ^)  auf  die  Richter  zu  wirken  suchte.  Sein  nächster  Nachfolger  war 
Teisias  oder  Tisias,  der  die  Regeln  seines  Lehrers  zu  einer  T&xvrj  qi^toqix/j 
zusammenfasste  und  bereits,  wie  man  aus  Piatons  Phaidros  sieht,  direkten 
Einfluss  auf  das  Studium  der  Rhetorik  in  Attika  ausübte.  Bekannt  und 
für  den  rabulistischen  Charakter  jener  Anfänge  der  Rhetorik  bezeichnend 
ist  die  Anekdote,  die  man  sich  von  dem  Verhältnis  dieses  Teisias  zu  seinem 
Lehrer  Korax  erzählte:^)  Teisias  machte  sich  verbindlich,  dem  Korax  ein 
ausbedungenes  Honorar  (fiiad-ög)  zu  bezahlen,  wenn  er  den  ersten  Prozess 
gewonnen  habe;  als  Teisias  die  Kunst  erlernt  hatte,  aber  mit  der  Über- 
nahme eines  Prozesses  zögerte,  kam  es  darüber  zum  Streit  zwischen  Lehrer 
und  Schüler:  Teisias  behauptete,  in  keinem  Falle  etwas  bezahlen  zu  müssen, 
weder  wenn  er  im  Streite  siege,  noch  wenn  er  unterliege;  wenn  er  siege 
nicht,  eben  weil  er  Sieger  sei;  wenn  er  unterliege,  ebensowenig,  weil  das 
Übereinkommen  ihn  verpflichte,  nur  dann  zu  zahlen,  wenn  er  gesiegt  habe. 


und  Cäcilius  brachten  das  Studium  der 
Redner  in  die  Höhe.  Erhalten  sind  uns 
ausser  den  Schriften  des  Dionysios  die  Bioi 
riüu  dexa  QrjzoQOiu  des  Ps.  Plutarch,  die 
auf  Dionysios  undCaeciHus  zurückgehen.  Mit 
diesen  stimmen  im  wesentlichen  die  betref- 
fenden Abschnitte  des  Photios  Cod.  259 — 
268;  über  ihr  Verhältnis  A.  Schöne,  Die 
Biographien  der  zehn  att.  Redner,  in  Jahrb. 
f.  Phil.  1871  S.  761  ff.,  und  dagegen  Zückeb, 
Quae  ratio  inter  vitas  Lysiae  Dionysiacam 
Pseudoplutarcheam  JPliotianam  intercedat, 
Erlangen  1877.  —  Neuere  Werke:  Ruhnken, 
Hist.  critica  oratorum  yraecoriim,  in  der 
Ausg.  des  Rutilius  Lupus  1768  =  Opusc.  1, 
310  ff.;  Westermann,  Gesch.  der  Bered- 
samkeit in  Griechenland  und  Rom.  Leipzig 
1833,  2  Bde.;  Blass,  Die  attische  Bered- 
samkeit, Leipz.  1868  —  80,  4  Bde.,  in  2.  Aufl. 
der  1.  Bd.  1887;  Perrot,  L'eloquence  po- 
litique  et  judiciair e  ä  Athen  es,  Par.  1873; 
GiRAUD,  Etudes  sur  Veloquence  aitiqne,  Par. 
1874,  ed  n  (unver.  Abdr.),  Paris  1884;  Jebb, 
The  Ättic  orators  from  Antiphon  to  Isaeos 


London  1876,  2.  Aufl.  1880,  2  vol.;  Volk- 
mann, Die  Rhetorik  der  Griechen  und  Römer, 
2.  Aufl.,  Leipz.  1885.  — ^  Saramelausgaben : 
Oratorum  graecorum  quae  supersunt  monu- 
menta  ingenii  ed.  Reiske,  Lips.  1770 — 5, 
12  vol.;  Oratores  attici  ex  rec.  Imm.  Bekkeri, 
Berol.  1823-1824,  5  vol.;  Oratores  attici 
rec.  J.  G.  Baiterus  et  Herm.  Sauppius  1838— 
50,  9  fasc.  mit  Fragmenten,  Scholien  und 
Onomastiken.  —  Indices  graecitatis  orato- 
rum atticorum  auf  Grund  von  Reiske's  Sonder 
indices  von  Mitchell.  Ox.  1828,  2  vol. 

^)  Eupolis   von    Perikles   in    den  Jrjfioi  \ 
fr.  94: 

TleiS^io  Tig  enexdS^t^sv  enl  roTg  ^eiXsavv  ' 
ovTüyg  exrjXei  xccl  ^övog  tmv  qtjtoqmv 
x6  TiEVTQov  iyxateXms  xoig  dxQOM^evoig. 
danach  Cic.  Brut.  9,  38  u.  11,  44. 
^)  Bei  Cicero,  Brut.  46. 
■')  Arist.  Rhet.  II,  23  p.  1402a,  17. 
^)  Sext.    Emp.   adv.   math.    II,  96   ohne 
Nennung  des  Tisias;  vollständiger  in  Walz, 
Rhet.  gr.  IV,  13. 


3.  Die  Beredsamkeit,     a.  Anfänge  der  Beredsamkeit.  (§  242— 243.)  315 

Die  Richter  aber  warfen  nach  kurzem  Besinnen  beide  aus  dem  Gerichts- 
saal hinaus,  indem  sie  riefen:  ix  xaxov  xoQccxog  xaxdv  c^ov. 

242.  Von  Sikilien  wurde  die  Rhetorik  nach  Athen  verpflanzt,  wo  sie 
bei  der  Prozesssucht  der  Bürger  und  der  sophistischen  Richtung  der  Zeit 
einen  besonders  günstigen  Boden  fand.  Vermittler  war  der  Rhetor  und 
Sophist  Gorgias  von  Leontini.^)  der  427  als  Abgesandter  seiner  Vaterstadt 
nach  Athen  kam  und  dort  so  sehr  sich  gefiel,  dass  er  in  Hellas  zu  bleiben 
sich  entschloss  und  in  Athen  und  anderen  Städten,  namentlich  Thessaliens 
teils  als  Redner,  teils  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  auftrat.  Gleichzeitig 
mit  ihm  hielt  Thrasymachos  aus  Chalkedon,  den  wir  aus  Piatons  Re- 
publik kennen,  und  den  schon  Aristophanes  in  den  Daitales  (i.  J.  427) 
fr.  211  erwähnte,  Vorträge  über  gerichtliche  Beredsamkeit  in  Athen.  Wie 
gross  ihr  Einfluss,  namentlich  der  des  ersteren,  war,  erhellt  vorzüglich 
aus  Piaton,  der  seine  Polemik  gegen  das  Scheinwissen  der  Rhetoren  an  die 
Person  des  Gorgias  in  dem  nach  ihm  benannten  Dialoge  anknüpfte.  Aus- 
gebildet hat  Gorgias  vornehmlich  die  Prunkrede  oder  das  ytvog  imSeix- 
tixov.  Am  berühmtesten  waren  unter  seinen  Reden  der  UvOixog  (sc.  ^öyog), 
gehalten  in  Delphi  an  der  Stelle,  wo  er  nachher  in  Erz  aufgestellt  wurde, ^) 
der  'OkvfjLTTixog,  in  dem  der  später  zum  Überdruss  oft  wiederholte  Gedanke, 
die  Hellenen  sollten  ihre  inneren  Händel  lassen  und  ihre  vereinten  Kräfte 
gegen  die  Barbaren  wenden,  zum  erstenmal  glanzvoll  durchgeführt  war,^) 
der  Epitaphios,  der  für  die  später  so  häufigen  Grabreden  auf  die 
Vaterlandsverteidiger  Vorbild  wurde.  Leider  haben  wir  von  diesen  be- 
rühmten Reden  des  Gorgias  nur  Inhaltsangaben  (bei  Philostratos)  und  spär- 
liche Fragmente;  hingegen  sind  unter  seinem  Namen  zwei  sophistische 
Reden,  ^EXt'vrjg  eyxo}p.iov  und  IlaXai^irj^i^g,  auf  uns  gekommen,  über  deren 
Echtheit  die  Meinungen  der  Kenner  geteilt  sind.  ^)  In  seinen  Werken  ^) 
hat  Gorgias  vorzüglich  den  durch  den  Schmuck  von  Figuren  und  Metaphern 
gehobenen,  halbpoetischen  Stil^)  ausgebildet;  unter  seinen  Figuren  werden 
hauptsächlich  die  Antithesen,  die  Parisa  und  Paromoia  von  Cicero  Or.  175 
hervorgehoben;  für  die  Verbreitung  des  attischen,  durch  lonismen  seiner 
Heimat  [nQccaa^iv  statt  ngäzTsiv)  gemilderten  Dialektes  hat  er,  der  von 
allen  Griechen  gesuchte  Redner,  vorzüglich  beigetragen.^) 

24-3.  Ihre  weitere  Entwicklung  nahm  die  Beredsamkeit  in  Athen; 
liier  vereinigte  sich  alles,    um  die  neue  Kunst  zur  Blüte  zu  bringen.     Vor 


'■)  Philostr.  Vit.  soph.  I,  9;  Foss,  De 
Gorgia  Leontino,  Halle  1828;  Frei,  Quaest. 
Protagoreae,  Bonn  1845;    Gorgias   erreichte 


darum,  ob  derjenige,  gegen  den  Isokrates 
seine  Helena  schrieb.  Gorgias  oder  ein  an- 
derer war;    sind    die  Reden    nicht  von  Gor- 


nach  Apollodor  ein  Alter  von  105  oder  109    !    gias,  so  ahmen  sie  doch  glücklich  die  Eigen- 


Jahren;  sein  Leben  setzt  demnach  Foss 
496—388,  Frei  483-375;  vergl.  Blass  I''*, 
47  f.  Über  die  späteren  Anhänger  des  Gor- 
gias siehe  den  Brief  des  Fhilostratos,  epist. 
72  an  die  Kaiserin  Julia. 

''')  Philostr.  a.  0.;  Ath.  505  d. 

•^)  Auch  in  Olympia  wurde  ihm  später 
eine  Statue  gesetzt,  wovon  die  Inschrift  jetzt 
gefunden    ist;    s.    Arch.   Zeit.  35,  43.     Über 


tümlichkeiten  seines  Stiles  nach.  Für  die 
Echtheit  bringt  neue  Gründe  vor  Maass, 
Herrn.  22,  566-81. 

^)  Nach  Dionys.  de  Thuc.  23  hatte  man 
von  ihm  auch  Sätze  einer  rhetorischen  Techno. 

^)  Arist.  Rhet.  III,  1 :  notrjTixrj  ti()i6t7] 
iyeysTo  Xe^ig,  oiop  rj  FoQyiov. 

^)  WiLAMOWiTZ,  Entstehung  der  griech. 
Schriftspraclien,  in  Verh.  der  Vers.  d.  Phil. 


eine  übersehene  Stelle    des  Olympikos  siehe    !    in  Wiesbaden,  S.  311  u.  Phil.  Unt.  VII,  312  f. 
J.  Bernays,  (ies.  Abb.  I,   121.  j   vgl.    Ed.  Zarncke,    Die  Entstehung   der   gr. 

■*)   Namentlich    handelt    es    sich    dabei    i   Literaturspr.  S.  18  f.  u.  49  f. 


316 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


allem  war  es  die  Redefreiheit  (jTaQQi^aia).  die  ein  Grundpfeiler  des  attischen 
Staatswesens  zugleich  und  ein  Lebenselement  der  Beredsamkeit  war.  Dazu 
kamen  die  Öffentlichkeit  der  Verhandlungen,  die  Macht  der  Volksversamm- 
lungen, die  Häufigkeit  der  Prozesse,  das  Wohlgefallen  an  schönen  Reden, 
das  bei  den  Schützlingen  der  Athene  nicht  minder  entwickelt  war  als 
anderwärts  das  für  Musik,  Theater  und  Fechterspiele.  So  kamen  denn  in 
Athen  zwischen  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  und  der  Herrschaft 
Alexanders  alle  3  Gattungen  von  Reden  zur  Blüte,  die  Reden  vor  Gericht 
[yspog  dixavixoi'),  die  bei  den  Beratungen  im  Senat  und  in  den  Volks- 
versammlungen {ys'rog  (fviißovXsvTixor  oder  drjfxriyoqixov),  endlich  die  in 
den  Festversammlungen  {ysvog  sTtidsixTixöv  oder  ysvog  TrarrjyvQixov).  An- 
fangs scheuten  sich  noch  die  grossen  Staatsmänner  ihre  Reden  heraus- 
zugeben; ')  bald  aber,  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges,  wurde 
auch  diese  Scheu  überwunden  und  betrachteten  die  Politiker  geradezu  die 
Veröffentlichung  ihrer  Reden  als  ein  Hauptmittel  zur  Stärkung  ihres  politi- 
schen Einflusses.  Theorie  und  Praxis  ist  in  dieser  ganzen  Periode  insofern 
nebeneinander  hergegangen,  als  die  Lehrer  der  Beredsamkeit  zugleich  Redner 
waren,  nur  dass  bei  den  einen  die  Thätigkeit  des  Lehrens,  bei  den  andern 
der  Glanz  des  öffentlichen  Auftretens  in  den  Vordergrund  trat.  ^)  Von 
den  Grammatikern,  und  zwar  von  den  Pergamenern  um  125  v.  Chr.  wurde 
ein  Kanon  von  10  attischen  Rednern  aufgestellt;^)  dieselben  sind:  Antiphon, 
Andokides,  Lysias,  Isokrates,  Isaios,  Aischines,  Demosthenes,  Hypereides, 
Lykurgos,  Deinarchos.  In  ihre  Besprechung  werden  wir  zugleich  die 
anderen,  nicht  in  den  Kanon  aufgenommenen  Redner  miteinflechten. 


b.  Antiphon  und  Andokides. 

244.  Antiphon, 4)  des  Sophilos  Sohn  aus  dem  Demos  Rhamnus,  fand 
bei  den  politischen  Wirren  gegen  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  den 
Tod.  Ein  eifriger  Anhänger  der  Oligarchen  und  Mitbegründer  des  Rates 
der  400  ward  er  nach  dem  Misslingen  der  Staatsumwälzung  von  seinen 
Gegnern  des  Landesverrates  angeklagt  und  zum  Tod  verurteilt  (411).  Das 
veranlasste  den  Thukydides,  den  Spätere  zu  einem  Schüler  des  Antiphon 
machten,  das  Andenken  des  gesinnungstüchtigen  Mannes  durch  ein  ehrende 
Charakteristik  zu  feiern.^)    Antiphon  war  als  Redner  in  der  Volksversamm- 


1)  Plat.  Phaedr.  257  d. 

'^)  Von  den  Rednern  Athens  gilt  nament- 
lich der  sprichwörtliche  Ausdruck  Piatons, 
Legg.  I  p.  642.  dass,  wenn  die  Athener  wo 
tüchtig  sind,  sie  dieses  in  hervorragendem 
Masse  sind:  t6  vno  no'kXuiv  "ksyofispor,  tog 
daoi  'AS^rjvaioyv  sialv  (cyuS^oi^  ^LcicpEQÖvTiug  eial 
roiovTOL,  öoxsi  dXrjd^eaTcaa  XtyEO&ai. 

^)  Über  das  Verzeichnis  Meier,  Opusc. 
L  120  fF.  und  besonders  Studemund,  Herrn. 
II,  434  ff.,  wo  die  abweichenden  Angaben 
über  die  Zahl  der  Reden  bei  Ps.  Plutarch- 
Photios  und  einem  anonymen,  in  mehreren 
Handschriften  erhaltenen  Verzeichnis  der  10 
Redner  und  ihrer  Werke  erörtert  sind.  Die 
erste  bestimmte  Kunde  von  dem  Kanon  haben 
wir  bei  Cäcilius  (in  der  Zeit  des  Augustus), 


der  eine  Schrift  iisql  rov  /ciQaxitjgog  rwi 
dexa  QrjroQMv  schrieb.  Dass  aber  derselbe 
von  den  Pergamenern  ausging,  beweist  in 
musterhafter  Diskussion  Brzoska,  De  canont 
deceni  oraiorum  atticorum,  Bresl.  Diss.  1883 

^)  Ausser  Plutarch-Photios,  Philostr.  vit 
soph.  I,  15  und  Suidas  dient  als  Quelle  ein 
wesentlich  auf  Plutarch  zurückgehendes  Fayoc 
'AvTKpöivzog  unserer  Handschriften.  Ruhn 
KEN,  Disputatio  de  Antiphonte  oratore,  ii 
Opusc.  I,  142  - 182,  eine  scharfsinnige  un 
gelehrte  Untersuchung  des  lÖjährigen  Ge 
lehrten. 

'')  VIII,  68:  ^Ai'Xicpiov  r]v  avrjq  'A&i]V{dm 
TMP  xciS^^  Eavrov    (CQsrfj   ts    ovdspog    varsQof 
XML  XQartoiog  iy(^vjur]fh]pf((,   yero^usvog  xal 
av  yyoif]  stneip.  xal  ig  fisy  d^juop  ov  naQUo 


3.  Die  Beredsamkeit,    b.  Antiphon  und  Andokides.  (§  244.)  317 

lung  nicht  aufgetreten,  auch  seine  Thätigkeit  als  Lehrer  der  Beredsam- 
keit i)  trat  bald  hinter  den  Erfolgen  jüngerer  Rhetoren,  wie  Lysias  und 
Thrasybulos,  zurück;  sein  eigentliches  Feld  fand  er  in  der  Gerichtsrede, 
indem  er  seine  Freunde,  wenn  sie  angeklagt  waren,  mit  seinem  Rate,  wie 
Thukydides  sagt,  unterstützte,  d.  i.  ihnen  Verteidigungsreden  schrieb.  Es 
war  nämlich  in  Athen  Gesetz,  dass  die  Streitenden  vor  Gericht  selbst  ihre 
Sache  führen  mussten,  damit  die  Richter  nicht  durch  die  Kniffe  der  Ad- 
vokaten überlistet  würden;  aber  die  heilsame  Absicht  des  Gesetzgebers 
wurde  dadurch  vereitelt,  dass  Ankläger  und  Verteidiger  vor  der  Gerichts- 
verhandlung die  kundige  Hilfe  ihrer  Freunde  in  Anspruch  nahmen  und 
sich  von  denselben  geradezu  förmliche  Reden  ausarbeiten  Hessen,  die  sie 
dann  selbst  vor  Gericht  auswendig  vortrugen.  Indes  war  Antiphon  auch 
in  eigener  Sache,  wenigstens  einmal,  nämlich  bei  jenem  Hochverratsprozesse 
aufgetreten;  die  Alten  hatten  noch  die  betreffende  Rede  ttsqI  i^isTaaräaeMg 
oder  über  die  Staatsveränderung.  2) 

Unter  dem  Namen  des  Antiphon  waren  60  Reden  in  Umlauf,  von 
denen  Cäcilius  25  für  unecht  erklärte.^)  Auf  uns  gekommen  sind  nur  15, 
und  zwar  sind  dieselben  alle  Reden  in  Kriminalprozessen  (dixai  (povixai); 
man  hat  also  den  Antiphon  als  eine  Hauptautorität  im  Kriminalrecht,  wie 
den  Isaios  in  Erbschaftssachen,  angesehen.  Von  jenen  15  Reden  sind  12 
blosse  Skizzen  in  3  fingierten  Rechtsfällen  (unerwiesener  Mord,  <f6vog  ana- 
QÜaijf^wg,  unfreiwilliger  Todschlag,  cpovog  dxovaiog,  endlich  Schlag  mit  nach- 
gefolgtem Tod),  so  angelegt,  dass  immer  je  4  (Anklage,  Verteidigung, 
Replik,  Gegenreplik)  zu  einer  Tetralogie  zusammengehören.^)  Die  3  grös- 
seren Reden  sind:  xaTrjyoQi'a  cpagfiaxeiag  xazd  rf^g  fjirjTQViäg  (1),  nsQi  tov 
^Hqmöov  (fcrov  (5),  Tt€Ql  Tov  %oQ8VTov  (6).  Dio  vorzüglichste  und  als  solche 
schon  von  den  Alten  anerkannte  ist  zweifellos  die  zweite,  mit  der  sich 
ein  gewisser  Euxitheos  •'•)  gegen  die  Anschuldigung  verteidigt,  den  auf  einer 
Fahrt  von  Mytilene  nach  Ainos  spurlos  verschwundenen  Kleruchen  Herodes 
ermordet  zu  haben. ^)  Interessant  ist  auch  der  erste  Rechtsfall,  in  dem  ein 
unehelicher  Sohn  gegen  seine  Stiefmutter  wegen  eines  ihrem  Manne  ge- 
reichten Liebestrankes  klagend  auftritt.  Aber  die  Stellung  der  Erzählung 
[dn]yi^aig)  mitten  zwischen  den  Beweisen  und  der  Mangel  einer  eigentlichen 
Peroratio  haben  Anstoss  erregt  und  Zweifel  an  ihrer  Echtheit  hervor- 
gerufen.')   Der  Stil  des  Antiphon  zeigt  noch  ganz  die  Strenge  und  schlichte 


odJ"  ig  uXXop  ccyMva  txovaiog  ovdt'ycc,  u)iX^ 
t'TioTTrcüg  TU)  ttXtJx^sl  ö'id  Jb'l«!^  dstyortjrog 
diaxsifxspog,  lovg  /lerroi  ayiavi^ofxsvovg  xctl 
SV  (^ixaoTTjQiio  Y.al  iv  dtjfico  TiXeToTu  elg  üt^fJQ 
ooxig  ^vfjßovXevaaiTo  ti   dvvccfASvog  v^cpsleTv. 

')  Plat.  Menex.  236  a. 

'')  Aiist.  Eth.  Eud.  III,  5  p.  1232b  0. 

•')  Verwirrung  erregte,  dass  es  neben  dem 
Redner  noch  einen  Sophisten  Antiphon  gab. 

■*}  Die  Tetralogien  haben  als  Skizzen 
a,uch  ihre  Eigentümlichkeiten  im  sprach- 
lichen Ausdruck,  namentlich  wie  L.  Spengel, 
Rh.  M.  17,  1G7  hervorhob,  häufiges  te  .  .  .  re. 
Davon  ist  man  bis  zur  Verwerfung  ihrer 
Echtheit  gegangen;  anstössig  ist  der  öfter 
vorkommende  Aorist  dneXoyij&^jv. 


^)  Euxitheos  genannt  von  Sopatres  bei 
Walz,  Rhet.  gr.  IV,  316,  wie  Meuss,  l)e 
anayioyrjg  ratione  apud  Äthenienses,  Breslau 
1884  p.  27  und  Bohlmann,  Antiphontis  de 
caede  Herodis  oratio  (1886)  nach  einer  An- 
deutung im  Antiphonkommentar  von  Mätz- 
ner p.  205  ermittelten. 

^)  Gehalten  ist  dieselbe  geraume  Zeit 
nach  der  Einnahme  von  Mytilene  (427),  als 
die  Seemacht  der  Athener  noch  nicht  er- 
schüttert war,  um  417;  s.  Blass  I-  178. 

'')  Gegen  die  Ausstellungen  von  Mätzner 
und  Blass  wird  die  Rede  in  Schutz  genom- 
men von  Wilamowitz,  Herm.  22,  194  ff.  und 
Br.  Keil,  Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887)  S.  89  ft. 


318  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Einfachheit  der  alten  Zeit;  nur  im  ebenmässigen  Satzbau,  der  seine  Reden 
denen  des  Thukydides  gegenüber  auszeichnet,  und  in  der  häufigen  Wieder- 
kehr von  Gemeinplätzen  und  Sentenzen  erkennt  man  den  Einfluss  der  rhe- 
torischen Schule  des  Gorgias.  Eine  Eigentümlichkeit  seiner  Reden,  die 
Br.  Keil  ^)  gut  mit  dem  Gesetze  ^ii]  ovoiiaazl  xo^iKodsTv  in  Verbindung  ge- 
bracht hat,  besteht  darin,  dass  die  Namen  der  in  dem  Prozess  irgendwie 
kompromittierten  Personen  in  der  Regel  nicht  angegeben  werden. 

Der  Text  des  Antiphon  und  der  kleinen  attischen  Redner  überhaupt  beruht  auf  Cod. 
Crippsianus  (A)  s.  XIII  und  Oxoniensis  (N)  s.  XIV,  die  zwei  selbständige  Abieiter  desselben, 
nicht  mehr  erhaltenen  Archetypus  sind.  —  Ausg.  mit  Kommentar  von  Mätzner,  Berol. 
1838:  von  Jernstedt,  Petersb.  1880;  von  Blass  in  Bibl.  Teubn,  —  Ignatius,  De  Äntijihontis 
Bhamn.  elocutione,  Berl.  1882.  Neuere  Litteratur  besprochen  von  Hüttner,  Jahrber.  d.  Alt. 
XIV,  1.  14-23. 

245.  Andokides,2)  Sohn  des  Leogoras  aus  Kydathen,  Sprosse  eines 
alten,  mit  dem  Amte  eines  heiligen  Heroldes  [xtqv'^)  bekleideten  Geschlech- 
tes,-^) ist  der  geringste  der  in  den  Kanon  aufgenommenen  Redner,  da  er 
weder  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  auftrat,  noch  als  Logograph  eine  aus- 
gedehnte Sachwalterpraxis  entfaltete,  sondern  nur  einige  wenige,  in  eigener 
Sache  gehaltene  Reden  hinterliess.  Geboren  war  derselbe  nicht  viel  vor 
440;^)  sein  unstetes  Leben  datierte  von  der  Zeit  des  Hermokopidenprozesses 
(415),  wo  er  in  der  Hoffnung  auf  eigene  Straflosigkeit  sich  zur  Denunziation 
seiner  Genossen  herbeiliess,  hintendrein  aber  doch  von  Markt  und  Opfer 
ausgeschlossen  ward."')  Er  verliess  daher  seine  Vaterstadt  und  kehrte 
erst  402  unter  dem  Schutze  der  allgemeinen  Amnestie  zurück,  nachdem 
er  inzwischen  zweimal  (411  und  407)  die  Aufhebung  der  gegen  ihn 
verfügten  Acht  zu  erwirken  fruchtlos  versucht  hatte.  Aber  auch  jetzt 
noch  wurden  ihm  Chikanen  bereitet,  indem  ihn  im  Jahre  400  der  Dema- 
goge Kephisios  wegen  unbefugter  Teilnahme  an  den  Mysterien  auf  die 
Anklagebank  brachte.  Aber  diesesmal  sprach  ihn  der  aus  Mysten  zu- 
sammengesetzte Gerichtshof  frei,  und  wurde  er  sogar  bald  nachher  im 
korinthischen  Krieg  mit  der  Mission  betraut,  den  Frieden  mit  Sparta  zu 
unterhandeln.  Aber  die  Unterhandlungen  verliefen  resultatlos, ^)  so  dass  er 
selbsjb  infolgedessen  von  neuem  ins  Exil  wandern  musste.  Während  seiner 
wiederholten  Abwesenheit  von  Athen  war  es  ihm  indes  gelungen,  durch 
gute  Handelsgeschäfte  grosse  Reichtümer  zu  erwerben,  so  dass  er  durch 
glänzende  Ausstattung  eines  kyklischen  Chores  die  Augen  auf  sich  zu  ziehen 
vermochte.'^)  '] 

Unter  dem  Namen  des  Andokides  sind  4  Reden  auf  uns  gekommen, 
und  schon  die  Alten  scheinen  nicht  viel  mehr  gehabt  zu  haben.  Von  diesen 
4  Reden,    718qI    tmv   fivaTtjQfcDV^    nsgl    njg    tavxov    xa^ödov,    iregl   Tfjg   ngog 


')  Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887)  S.  101.  mit    dem   Strategen  Andokides    bei  Thuc    1, 

'^)  Vater,  Herum  Andocidearum  ccipita   '    51  identisch  sei;    s.  Meier,    Opusc.  I,  90  ff. 

•')  Thuc.  VI.  GO;    Andoc.   I,  25  ff.;  Ljs. 
adv.  Andoc.  21  ff. 

^)  Philochoros   im   Argumentum   der  3. 
Rede, 

^}  Ps.  Plutarch  p.  835  b   stützt   sich  bei 


IV,  Berol.  1840-5.  M.  H.  E.  Meier,  De 
Andocidis  quae  vulgo  fertur  oratione  contra 
Alcihiadem  dissert.  VI,  Halle  1837—42. 
Opusc.  I,  94  ff. 

")  Darüber  Töpffer,  Attische  Genealogie 


83  ff.  '  dieser  Angabe   auf  die  Inschrift  eines  Drei- 

*)  Lysias  adv.  Andoc.  46;  Ps.  Plutarch  |  fusses;    bezeugt   ist   die  Liturgie    durch    die 

p    834c  lässt   ihn   viel    älter   sein,    von  der  I  Inschrift  in  CIA.  11,  553. 

falschen  Voraussetzung  ausgehend,    dass   er  j 


3.  Die  Beredsamkeit,     c.  Lysias  und  Isaios.  (§  245—240.) 


319 


Aax£6aip.oviovg  eiQr'jvrjg,  xaid  'Alxißiddov,  sind  nur  die  zwei  ersten  un- 
zweifelhaft echt.  Die  Veranlassungen,  bei  denen  sie  gehalten  wurden,  sind 
bereits  im  Lebensabriss  des  Redners  erwähnt;  sie  sind  für  Kenntnis  des 
Mysterienwesens  und  der  Parteiverhältnisse  in  der  letzten  Zeit  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges  äusserst  wichtig;  der  ersteren  sind  auch  die  ein- 
schlägigen Urkunden  beigegeben.  Das  Interesse  an  dem  Rechtsfall,  welches 
der  1.  Rede  zu  gründe  liegt,  wird  noch  dadurch  erhöht,  dass  uns  auch  die 
Anklagerede  gegen  Andokides  unter  den  Reden  des  Lysias  erhalten  ist. 
Die  4.  Rede  ist  ein  sophistisches  Machwerk  und  dem  Andokides  fälschlich 
untergeschoben.')  Ihr  liegt  die  Voraussetzung  zu  grund,  dass  die  Strafe 
des  Ostrakismus  einen  von  den  dreien,  Nikias,  Alkibiades  oder  den  Sprecher 
(Phaiax)  treffen  sollte,  und  dass  nun  der  Sprecher  die  drohende  Verbannung 
von  sich  auf  den  Alkibiades  abzuwälzen  suchte.  Auch  die  3.  in  das  J.  392/1 
verlegte  Rede  erregt  Anstoss,^)  namentlich  wegen  der  argen  historischen 
Verstösse,  an  denen  die  Darstellung  der  früheren  Friedenschlüsse  (§  3 — 9) 
leidet.  Aber  gerade  diese  Paragraphen  sind  wörtlich  von  Aischines  in  seine 
Gesandtschaftsrede  (§  172 — 5)  herübergenommen,  und  ihre  historischen 
Irrtümer  müssten  bei  einem  späteren  Fälscher  noch  mehr  als  bei  einem 
unstudierten  Praktiker  des  5.  Jahrhunderts  befremden.  Einen  entwickelten 
Kunstcharakter  zeigen  die  Reden  des  Andokides  nicht;  sie  entbehren  be- 
sonders der  Kunst  berechneter  Ökonomie  und  leiden  an  ermüdender  Weit- 
schweifigkeit; am  meisten  Lob  verdient  die  Frische  und  Anschaulichkeit 
der  Erzählung. 

Die  Textesüberlieferung  ist  die  gleiche  wie  bei  Antiphon.  Kritische  Textesausgabe 
von  Blass  in  Bibl,  Teubn.  —  Nabek,  Mnem.  III  QQ  ff.  will  sämtliche  Reden  des  Andokides 
der  Schule  des  Isokrates  zuweisen. 


e.  Lysias  und  Isaios. 

246.  Lysias  und  Isaios  stelle  ich  in  diesem  Abschnitt  als  die  Haupt- 
vertreter der  gerichtlichen  Redeschreibekunst  zusammen.  Beide  waren 
Fremde  und  konnten  schon  so  nicht  als  Staatsredner  eine  Rolle  in  Athen 
spielen  oder  auch  nur  vor  Gericht  in  eigener  Sache  eine  bedeutende  Thä- 
tigkeit  entfalten.  Aber  beide  waren  die  berühmtesten  Sachwalter  ihrer 
Zeit  und  beide  haben,  wenn  sie  auch  nicht  in  Athen  geboren  waren,  den 
Ton  der  attischen  Rede  in  mustergültiger  Weise  getroffen. 

Lysias 3)  war  der  Sohn  des  Kephalos,  den  Perikles  bewogen  hatte 
von  Syrakus  nach  Athen  überzusiedeln,  wo  er  als  Metöke  wohnte  und 
mehrere  Häuser  und  eine  bedeutende  Schildfabrik  besass.  In  dem  Hause, 
das  er  im  Piräus  hatte,  spielt  die  Republik  Piatons,  welchem  Gespräch 
Piaton  auch  den  Lysias,   aber   als  stumme  Person  beiw^ohnen  lässt,   sei  es 


')  Die  Unechtheit  ward  zuerst  erkannt 
von  Taylor,  Lcctiones  Lysiacae  c.  6;  gegen- 
über inzwischen  erhobenen  Zweifeln  ist  die- 
selbe streng  bewiesen  von  Meier,  Opusc.  I, 
74  ff.  Andokides  war  damals  (418)  als  Po^ 
litiker  noch  unbekannt  und  schrieb  über- 
haupt nicht  Reden  für  andere.  Nach  Ath. 
408  c  wurde  die  Rede  von  andern  dem  Ly- 
sias zugeschrieben. 

'^)  Gegen  die  Echtheit  erklärte  sich  schon 


Dionysios  in  der  Hypothesis  der  Rede;  für 
die  Echtheit  tritt  mit  überzeugenden  rirründeu 
ein  BLASS,  Att.  Ber.  P,  329 "ff. 

^)  Aus  dem  Altertum  haben  wir  neben 
den  allgemeinen  Quellen  die  spezielle  Ab- 
handlung des  Dionysios  Halic.  über  Lysias. 
Aus  neuerer  Zeit  Taylor  in  Reiske's  Orat. 
gr.  VI,  100  ff.;  BLASS,  Att.  Ber.  l\  839  ff.; 
Pretsch,  De  vitae  I/ysiae  tfuiporihnfi  deft- 
niendis,  Halle  Diss.  1881. 


320 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


dass  er  ihn  damit  als  einen  noch  ganz  jungen  Menschen,  oder  als  einen 
unphilosophischen,  der  aktiven  Beteiligung  an  einem  philosophischen  Ge- 
spräch unfähigen  Kopf  darstellen  wollte.  Das  Geburtsjahr  unseres  Lysias 
lässt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben.  Die  Alten  lassen  ihn  459/8 
unter  dem  Archon  Philokles  geboren  sein;  aber  diese  scheinbar  so  bestimmte 
Angabe  beruht  nur  auf  unsicherer  Schlussfolge.  Dionysios  wusste  nämlich, 
wahrscheinlich  aus  einer  Rede  des  Lysias  selbst,  dass  er  15  Jahre  alt  mit 
einem  seiner  Brüder  nach  Thurii  ausgewandert  war;  indem  er  nun  voraus- 
setzte, dass  diese  Auswanderung  gleich  bei  Gründung  der  Kolonie  statt- 
gefunden habe,  kam  er  auf  444  -[-  15  =  459.  Aber  diese  Voraussetzung 
steht  nicht  auf  festen  Füssen,  da  Lysias  auch  später  erst  nach  Thurii  gegangen 
sein  konnte;  sicher  falsch  ist  die  weitere  Angabe  desPs.  Plutarch,  dass  Lysias 
erst  nach  dem  Tode  seines  Vaters  Kephalos,  der  doch  zur  Zeit  der  plato- 
nischen Republik  noch  lebte,  0  Athen  verlassen  habe.  Auf  der  anderen 
Seite  ersehen  wir  aus  Piatons  Phaidros  p.  278  e,  dass  Lysias  erheblich  älter 
als  Isokrates  war,  dass  also  sein  Geburtsjahr  geraume  Zeit  vor  436,  in 
welchem  Jahre  Isokrates  geboren  wurde,  anzusetzen  ist.  Nehmen  wir 
hinzu,  dass  Kephalos  nach  dem  Zeugnis  des  Lysias  selbst  (or.  in  Erat.  4) 
30  Jahre  in  Athen  lebte,-)  so  kommen  wir  zu  dem  wahrscheinlichen  Schluss, 
dass  Lysias  um  450,  und  zwar  in  Syrakus  geboren  ward,^)  um  440  mit 
seinem  Vater  nach  Athen  übersiedelte,  später  aber,  um  435,  mit  einem 
seiner  Brüder  wieder  nach  Westen  und  zwar  nach  Thurii,  der  von  Perikles 
gegründeten  und  begünstigten  Kolonie,  zurückkehrte.  Einen  Teil  seiner 
Jugend  verlebte  er  demnach  in  Unteritalien,  wo  er  den  Unterricht  des 
Teisias  in  der  Rhetorik  genoss.^)  Als  aber  nach  dem  unglücklichen  Aus- 
gang des  sikilischen  Feldzugs  die  antiathenische  Partei  in  Thurii  die  Ober- 
hand erhielt,  kehrte  er  wieder  nach  Athen  zurück  (412).')  Hier  sehen  wir 
ihn  erst  in  der  nächsten  Zeit  nach  dem  peloponnesischen  Krieg  eine  Rolle 
spielen.  Das  grosse  Vermögen  seines  Hauses  hatte  die  Hab-  und  Blutgier 
der  30  Tyrannen  gereizt;  so  ward,  wie  er  anschaulich  und  ergreifend  in 
der  Rede  gegen  Eratosthenes  erzählt,  sein  Bruder  Polemarchos  von  den 
Schergen  der  Gewalthaber  ermordet,  und  entkam  er  selbst  nur  mit  knapper 
Not  und  mit  dem  Verluste  des  grössten  Teiles  seines  Vermögens  nach 
Megara.  Von  hier  setzte  er  sich  mit  Thrasybul  in  Verbindung  und  wirkte 
für  die  Rückkehr  des  Demos.  Zur  dankbaren  Anerkennung  seiner  Ver- 
dienste beantragte  Thrasybul  die  Aufnahme  des  Metöken  unter  die  atheni- 
schen Bürger;  aber  das  Dekret  ward  von  Archinos,  einem  Rivalen  des 
Thrasybul,  als  gesetzwidrig  angefochten  und  annulliert. 

mir  das  Urteil  des  Tiraaeus,  des  guten  Ken- 
ners der  sikilischen  Verhältnisse,  von  dem 
Cicero  an  derselben  Stelle  berichtet:  qimm- 
qiiam  Timaeus  eum  quasi  Licinia  et  Mucia 
lege  repetit  Syracusas. 

^)  Ps.  Plutarch  p.  835  d:  xuxeT  (seil. 
it^  QovQLOig)  dtsfistfe  nui^Evöfxsvog  nuQa 
Ttai^  xal  Nixiu  xoTg  ZvQaxovaioLg  xt}]od{i^vÖQ 
r'  oixiav  xal  xXtjgov  Xa/ioy  inohisvacao  itog 
KXsoxQiTov  (418/2). 

')  Ps.  Plutarch  a.  0.  nach  Dionysios.    . 


^)  Dieses  Gespräch  fällt  wahrscheinlich 
410,  worüber  indes  gerade  infolge  der  An- 
gaben über  Lysias  die  Meinungen  geteilt 
sind;  siehe  §  288  und  Blass,  Att.  Ber.  I-, 
339  ff. 

^)  Pketsch  a.  0.  ist  so  kühn,  die  Schwie- 
rigkeiten der  Chronologie  durch  Änderung 
von  TQiäxovTcc  in  nevxrjxovTu  heben  zu  wollen. 

")  Kein  Gewicht  lege  ich  auf  Cicero, 
Brut.  16,  63:  est  enim  Atticus,  quoniam 
certe  Athem's  est  et  natus  et  niortuus  et 
functus  omni  civiiim  munere.     Mehr  wiegt 


3.  Die  Beredsamkeit,    c.  Lysias  und  Isaios.  (§  246.)  321 

Lysias  musste  also  auf  die  Ehre  dem  athenischen  Gemeinwesen  als 
Bürger  anzugehören  verzichten  und  sich  mit  der  bevorzugten  Stellung  eines 
gleichsteuernden  {laoTsXrig)  Metöken  begnügen,  i)  Diese  erlaubte  ihm  bald 
nach  seiner  Rückkehr  (403)  gegen  Eratosthenes,  den  Mörder  seines  Bru- 
ders, vor  Gericht  als  Ankläger  aufzutreten.  Die  Rede  ist  uns  noch  er- 
halten, sie  ist  die  einzige,  die  nach  einer  alten  Beischrift  Lysias  selbst  vor 
Gericht  gesprochen  hat,  und  sie  verdient  wie  keine  andere  gelesen  und 
studiert  zu  werden.  Aber  schon  zuvor  hatte  er  der  Beredsamkeit  in  an- 
derer Weise  seine  Dienste  gewidmet.  In  Piatons  Phaidros,  dessen  Scenerie 
um  404  zu  setzen  ist,  begegnet  uns  Lysias  als  angesehener  Lehrer  der  Be- 
redsamkeit. Die  Rede  über  die  Liebe  [löyog  €Q0)Tix6g),  die  er  als  Muster 
seinen  Schülern  zum  Auswendiglernen  diktiert  hatte,  behandelt  freilich  ein 
so  schlüpfriges  Thema  und  entbehrt  so  jeder  Wärme,  2)  dass  man  begreift, 
wie  Lysias  mit  sophistischen  Machw^erken  der  Art  die  Konkurrenz  des 
Theodoros  und  Isokrates  nicht  zu  bestehen  vermochte.  Er  wandte  sich 
also  einer  anderen  Seite  rhetorischer  Thätigkeit  zu;  3)  das  war  die  eines 
Logographen,  der  anderen  Reden  schrieb,  die  diese  dann  selbst  vor  Gericht 
vortrugen.^)  Hier  kam  es  darauf  an,  den  Klienten,  schlichten  einfachen 
Bürgern,  die  durch  rabulistische  Sykophanten  vor  Gericht  gezogen  waren 
oder  ihr  Eigentum  und  ihr  Hausrecht  gegen  böswillige  Angriffe  zu  schützen 
hatten,  solche  Reden  in  den  Mund  zu  legen,  wie  sie  sich  für  einfache 
Leute,  die  von  ihrem  Recht  ergriffen  waren,  geziemten;  es  galt  ohne  ge- 
suchtes Pathos,  ohne  spinöse  Rechtsdeduktionen,  ohne  Weitschweifigkeit, 
klar  und  einfach  den  Thatbestand  darzulegen  und  den  Mann  aus  dem  Volke 
die  Sprache  der  sicheren  Überzeugung  und  des  gekränkten  Rechtsgefühles 
sprechen  zu  lassen.  Lysias  brachte  dieses  fertig  in  unerreichter  Meister- 
schaft mit  den  Mitteln  einfacher  Beweisführung  und  anschaulicher  Erzäh- 
lung. Das  Schlichte  {t6  a(f€kig),  das  Einfache  (t6  xa^^agov),  das  Klare 
(tvdqyeia  7]  aa(f7]V€icc)  waren  es,  worin  schon  die  Alten  die  Charakterzüge 
der  lysianischen  Rede  fanden.^)  Er  bedurfte,  um  zu  wirken  und  die  Richter 
zu  einem  günstigen  Entscheid  zu  bewegen,  keiner  langen  Reden,  die  sich 
auch  schlecht  in  dem  Munde  einfacher  Bürger  ausgenommen  hätten  und 
schon  durch  die  Wasseruhr  (xXeipvSqa)  ausgeschlossen  waren:  eine  kurzie 
markige  Darlegung  des  Thatbestandes  und  der  Rechtsgründe  genügte,  so 
dass  die   Reden  des  Lysias   in  der  Regel   nicht  mehr  als   1/2  bis  1  Stunde 


')  Darüber  Weiteres  aus  einer  verloren 
gegangenen  Rede  des  Lysias  tieql  näp  iSiiai^ 
sv£Qy€(THüi^  bei  Ps.  Plutarch.  Über  die  Pri- 
vatverhältnisse des  Lysias,  namentlich  seinen 
Umgang  mit  der  Hetäre  Metaneira  erfahren 
wir  Näheres  aus  der  ps.  demosthenischen 
Rede  gegen  Neära  21  f. 

'^)  Über  den  Streit,  ob  der  Xöyog  sqmti- 
xog  von  Lysias  selbst  herrühre  oder  boshafter 
Weise  von  Piaton  dem  Lysias  untergeschoben 
sei,  s.  BLASS,  Att.  Ber.  1 2,  424  ff.  L.  Schmidt, 
Über  die  lysianische  Rede  im  plat.  Phaedrus, 
Vhdl.  d.  18.  Vers.  d.  Phil.  S.  98-100  erweist 
den   Erotikos   als    ein   wirkliches   Erzeugnis 


Lysiam  primo  profderi  solitum  artem  di- 
cendi,  deinde  quod  Theodorus  esset  in  arte 
subtilior,  in  orationibus  ieiunior,  orationes 
eum  serihere  aliis  coepisse,  artem  removisse. 

^)  Die  Privatreden,  die  uns  erhalten 
sind,  fallen  nach  404;  nur  die  für  Polystratos 
(20)  ist  zwischen  411  u.  407  gehalten;  aber 
dieser  Umstand  erhöht  nur  noch  das  Gewicht 
der  Verdachtgründe  gegen  die  Echtheit  dieser 
Rede. 

^)  Aristoteles  scheint  diese  Vorzüge  we- 
nig gewürdigt  zu  haben ;  er  berücksichtigt 
den  Lysias  fast  gar  nicht  in  seiner  Rhetorik ; 
hingegen   sagt   Dionysios   Lys.   2   von  ihm: 


des  Lysias  aus  einer  früheren  Lebensepoche,       yMd^uQog    iaii    xijv   sQfitjysiay   Tiavv   y.cd    rfjq 

'Ö  Cicero  Brut.  12,  48  nach  Aristoteles:       ATxixijg  yhÖTDjg  uQiarog  xapnöv. 

Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.   VII.    2.  Aufl.  21 


322  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

zum  Vortrag  bedurften.  Eine  besondere  Kunst  aber,  ohne  als  Kunst  zu 
erscheinen,  entwickelte  derselbe  in  der  Erzählung.  Man  kann  kaum  etwas 
hübscheres,  anschaulicheres  lesen,  als  die  Erzählung  von  den  schurken- 
haften  Gewaltthaten  des  Eratosthenes  und  seiner  Spiessgesellen  in  dem 
Xoyog  xccT  ^EgaToad^svovg,  oder  von  der  raffinierten  Überlistung  des  Ehe- 
mannes und  seiner  gerechten  Notwehr  in  der  anoXoyia  neql  tov  ^EqaTo- 
ad^ivovq  (fovov.  Die  Sachlichkeit  der  lysianischen  Rede  zeigt  sich  auch  in 
dem  Mangel  wiederkehrender  Gemeinplätze;  schon  Dionysios  in  seinem  Auf- 
satz über  unseren  Redner  c.  17  macht  die,  wenn  auch  nicht  ganz  richtige 
Bemerkung,  dass,  wiewohl  Lysias  so  viele  Reden  geschrieben  habe,  doch 
alle  Proömien  ihr  Eigentümliches  haben.')  Treffend  aber  bemerkt  Favo- 
rinus  bei  Gellius  II,  5  über  das  Verhältnis  der  Redeweise  des  Piaton  zu 
der  des  Lysias :  si  ex  Piatonis  oratione  verhuni  aliquod  demas  mutesve  atque 
id  commodatissime  facias,  de  elegantia  tarnen  detraxeris,  si  ex  Lysia^  de  sen- 
tentia.  Kein  Wunder  also,  dass  Lysias  mit  diesen  Vorzügen  auch  glän- 
zende Erfolge  bei  den  Richtern  erzielte,  dass  er  ein  vielgesuchter  Rechts- 
anwalt wurde  und  mit  seiner  Redeschreiberei  sich  wiederum  ein  anständiges 
Vermögen  erwarb.  So  begegnen  uns  denn  in  den  nächsten  zwei  Dezennien 
nach  404  zahlreiche,  in  einzelnen  Jahren  sich  häufende  Reden;  die  letzte 
chronologisch  fixierbare  Rede,  die  für  Pherenikos,  fällt  um  380,  und  viel 
länger  wird  er  wohl  auch  nicht  gelebt  haben.  2) 

247.  In  Umlauf  waren  im  Altertum  von  Lysias  425  Reden;  von 
diesen  haben  die  alten  Kritiker  233  als  echt  anerkannt.^)  Auf  uns  ge- 
kommen sind  34  Reden  und  diese  nicht  alle  vollständig  und  nicht  alle  von 
unzweifelhafter  Echtheit,^)  überdies  einige  Briefe  in  gefälligem  Ton,  aber 
von  unbedeutendem  Inhalt.  Die  Reden  gehören  zum  grössten  Teil  der 
Klasse  der  Gerichtsreden  an;  doch  fehlen  auch  nicht  ganz  die  Xöyoi  avß- 
ßovlavTixoi  und  inideixTixoi.  Eine  Demegorie,  wenn  auch  vielleicht  keine 
wirklich  gehaltene,  war  die  Rede  jisqI  tov  fxrj  xaraXvacci  zip'  nÜTQwv 
noXiTsiav  ^A^t'jvtjai,  von  der  uns  Dionysios  ein  Bruchstück  erhalten  hat;  sie 
ist  in  die  Zeit  unmittelbar  nach  Vertreibung  der  Dreissig  (403)  gesetzt 
und  tritt  mit  Nachdruck  für  die  Wiederherstellung  der  vollen  unbeschränkten 
Demokratie  ein.  —  Von  den   epideiktischen   Reden   bezieht   sich   der  Epi- 


')  Das  Lob  muss  eingeschränkt  werden, 
wie  Meier,  Opusc.  315  nachweist,  da  er  z. 
B.  or.  19  das  Proömium  aus  Andokides  1 
entlehnt  hat.  —  Auch  der  politische  Stand- 
punkt ist  nicht  immer  der  gleiche,  indem 
Lysias  auch  hier  sich  dem  Charakter  und 
den  Anschauungen  seiner  Klienten  anbe- 
quemte, wie  besonders  die  Vergleichung  der 
21.  und  25.  Rede  lehrt. 

2)  In  noch  spätere  Zeit  fallen  2  dem 
Lysias  zugeschriebene  Reden  für  Iphikrates, 
deren  eine  dem  Jahre  371,  die  andere  dem 
Jahre  354  angehört;  aber  Dionysios  verwarf 
beide;  s.  Blass,  Att.  Ber.  l-,  344.  Die  An- 
gaben über  das  Lebensalter  des  Lysias  dif- 
ferieren zwischen  76,  80,  83  Jahren. 

2)  Die  Zahl  von  233  echten  Reden  wird 


rückgeführt;  ausserdem  soll  nach  Photios 
p.  489a  35  ed.  Bekk.  u.  Suidas  sich  Paulus 
von  Germe  aus  Mysien  mit  der  Kritik  der 
Echtheit  beschäftigt  haben. 

*)  Die  11.  Rede  ist  eine  blosse  Epitome  j; 
der  10.,  die  15.  der  14.;  die  20.  pro  Poly- 
strato  entbehrt  des  Proömiums  und  stellt 
das  Sachverhältnis  so  unklar  dar,  dass  sie 
entweder  verstümmelt  oder  unecht  ist;  s. 
Pohl,  De  or:  pro  Pohjstrato  Lysiaca,  Argent. 
1881, u. Blass  1^508 ff.;  Nowack,  Leipz.Stud. 
72,  1—106  über  die  14.  u.  15.  Rede.  Die  Echt- 
heit der  6.  Rede  gegen  Andokides  ebenso  wie 
die  der  9.  vtieq  tov  aiQaxiojTov  war  schon 
dem  Harpokration  zweifelhaft;  die  8.  erregt 
wegen  der  Sorgfalt  in  Vermeidung  des  Hia- 
tus  Verdacht;    s.    Blass    T^  658   und  Röhl, 


bei  Plutarch  auf  Dionysios  und  Cäcilius  zu-       Ztschr.  f.  Gymn.,  Jahrber.  1881  S.  191  ff.        1 


3.  Die  Beredsamkeit,     c.  Lysias  und  Isaios.  (§  247.) 


323 


taphios  auf  die  Vaterlands  Verteidiger  im  korinthischen  Krieg;  die  Rede 
greift  aber  in  übermässiger  Breite  auf  die  früheren  Zeiten  bis  auf  die 
Amazonenkämpfe  zurück  und  spricht  von  dem  korinthischen  Krieg  in  so 
allgemeinen  Wendungen,  dass  man  nicht  einmal  weiss,  auf  welches  Jahr 
man  dieselbe  ansetzen  soll.  Demnach  haben  wir  in  derselben  keine  wirk- 
lich gehaltene  Rede,  sondern  eine  sophistische  Schulübung  zu  erblicken,  die 
fälschlich  dem  Lysias  zugeschrieben  wurde,  i)  —  Zur  Klasse  der  epideik-' 
tischen  Reden  gehört  auch  der  'OXvuniaxög,  gehalten  388,  von  dem  uns 
ein  Fragment  mit  den  bei  solchen  Festreden  üblichen  Phrasen  vom  ein- 
trächtigen Zusammengehen  der  Griechen  gegen  ihre  Zwingherrn  erhalten 
ist.  Die  Spitze  der  Rede  war  aber  nicht  gegen  den  Perserkönig,  sondern 
gegen  Dionysios,  den  Tyrannen  von  Syrakus,  gerichtet  und  hatte  den  Er- 
folg, dass  die  Festversammelten  über  die  von  Dionysios  geschickten  Zelte 
herfielen  und  dieselben  plünderten. 2)  —  Eine  sophistische  Tendenzrede  war 
die  arcoloyia  ^coxQdzovg,  die  sicher  nicht  wirklich  gehalten  wurde,  sondern 
nur  bestimmt  war,  um  die  mehrere  Jahre  nach  dem  Tode  des  Sokrates 
geschriebene  Anklagerede  des  Sophisten  Polykrates  zu  widerlegen. 3) 

Weitaus  am  wichtigsten  für  die  Kenntnis  der  lysianischen  Beredsam- 
keit, sowie  der  politischen  Verhältnisse  Athens  sind  die  gerichtlichen  Reden. 
Voran  stehen  unter  diesen  die  schon  oben  berührte  Rede  gegen  Eratos- 
thenes  (403)  und  die  verwandte,  ein  paar  Jahre  später  gehaltene  Rede 
gegen  Agoratos,  einen  schandbaren  Sklavensohn,  der  als  Helfershelfer  der 
Oligarchen  den  Tod  des  Dionysodoros  und  anderer  Häupter  der  Demokratie 
herbeigeführt  hatte.  In  ihr  bewährt  Lysias  nicht  bloss  seine  Meisterschaft 
in  lebensvoller  Schilderung  der  Schreckensherrschaft,  sondern  zeigt  auch 
ein  besonderes  Geschick  in  der  kunstvollen  Anordnung,  indem  er  den 
schwächsten  Teil,  dass  die  Anklage  erst  viele  Jahre  nach  dem  Verbrechen 
und  vor  dem  unstatthaften  Gerichtshof  der  Elfmänner  angebracht  worden 
war,  in  die  Mitte  zwischen  die  packende  Erzählung  und  die  pathetische 
Peroratio  stellt.  Einen  politischen  Hintergrund  haben  auch  die  Anklage- 
reden gegen  Philon  und  Euandros  und  die  Verteidigungsreden  für  Manti- 
theos  und  einen  andern  wegen  oligarchischer  Gesinnung  verfolgten  Unge- 
nannten (25),  die  alle  vier  bei  der  Dokimasie  oder  der  Prüfung,  ob  der 
ausgeloste  Senator  oder  Beamte  auch  die  Würdigkeit  zur  Übernahme  des 
Amtes  habe,  gehalten  wurden.  Auf  die  Rechenschaftsablage  {sv&vvai)  nach 
Verwaltung  des  Amtes  beziehen  sich  die  Reden  gegen  Epikrates  (27)  und 
Nikomachos  (30);  die  erstere  dieser  Reden  ist  bloss  ein  kurzer  Epilog,   in 


')  Für  die  Echtheit  tritt  ein  Le  Beau. 
Lysias  Epitaphios  als  echt  erwiesen,  Stuttg. 
1863.  Dagegen  Sauppe  in  der  Rezension, 
Gott.  Gel.  Anz.  1864  S.  824  ff.  Gegen  die 
Echtheit  spricht  sich  auch  Blass,  Att.  Ber. 
1  ^,  437  ff.  aus,  glaubt  aber,  ausgehend  von 
1  einer  Stelle  des  Theon,  Rbet.  gr.  II,  63, 
i  dass  die  sophistische  Übungsrede  in  der  Zeit 
des  Lysias  vor  dem  Panegyrikus  des  Iso- 
krates  entstanden  sei.  Reuss,  Rh.  M.  38. 
149  setzt  sie  nach  Isoer.  Areop.  oder  nach 
853.  Zweifelhaft  ist,  ob  Aristot.  Rhet.  III, 
10,    wo  er  eine  Stelle   unserer  Rede    mit  iy 


IM  iniTucfiw  citiert,  wirklich  unseren  Epita- 
phios gemeint  habe,  etwas  was  selbst  wieder 
davon  abhängt,  ob  dort  das  jedenfalls  irr- 
tümliche IcihtfÄTpv  in  Aafxuc  oder  sonstwie 
geändert  werden  dürfe. 

'')  Diodor.  XIV,  109;  Dionys.  de  Lys. 
29;  Ps.  Plutarch  im  Leben  des  Lysias. 

^)  Über  das  Verhältnis  zur  Apologie  des 
Piaton  siehe  unten  §  286.  Dass  die  Reden 
des  Lysias  und  Polykrates  noch  von  dem 
Rhetor  Libanios  in  seiner  Apologie  benützt 
wurden,  führt  nach  einer  Andeutung  Dindorfs 
RuD.  HiKZEL,  Rh.  M.  42,  239  ff.  aus. 

21  * 


324 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode 


der  letzteren  Rede  handelt  es  sich  um  willkürliche  Änderungen,  die  sich 
der  Angeklagte  als  dvayQcc(f8vg  bei  der  Aufzeichnung  von  Gesetzen,  nament- 
lich von  Sakralgesetzen  hatte  zu  schulden  kommen  lassen.  ^)  Interessanter  noch 
sind  die  2  Reden  gegen  Alkibiades  (gehalten  395/4)  wegen  Versäumung 
militärischer  Pflichten  (Xsittotoc'^iov),  sowie  die  Rede  vTitg  tcov  'AQiaTO(pcevovg 
XQrjf.iäT(jov  TTQog  %d  dtjjjiöaiov,  und  das  vorzügliche  Bruchstück  rregl  rrjg 
dr^svasMg  rcor  tov  Nixiov  ddsXcfov  sniXoyog^  in  denen  sich  der  Streit  um 
Güterkonfiskationen  wegen  Staatsverbrechen  dreht.  2)  In  die  humane  Für- 
sorge der  Athener  für  erwerbsunfähige  Mitbürger  gewährt  einen  erfreu- 
lichen Einblick  die  kleine  Rede  imtq  döwärov  (24),  mit  der  ein  Krüppel 
den  Fortbezug  der  Pension,  die  Missgünstige  ihm  entziehen  wollten,  von 
dem  Rate  sich  erbittet.  Ein  besonderes  sakrales  Interesse  knüpft  sich  an 
die  Rede  vntq  tov  (fr^xov,  in  welcher  der  Angeklagte  sich  gegen  den  Vor- 
wurf verteidigt,  dass  er  einen  auf  seinem  Grundstück  befindlichen  heiligen 
Ölbaum  (jiioQia)  ausgerodet  und  mitsamt  der  Umzäunung  (arjxog)  habe  ver- 
schwinden lassen.  Im  übrigen  drehen  sich  viele  der  Reden  um  Bagatell- 
sachen, die  nur  durch  die  Art  der  Behandlung  einiges  Interesse  erregen; 
eine,  die  achte,  hat  nur  private  Zänkereien  zum  Gegenstand  und  ist  ein  in 
die  Form  einer  Rede  gekleideter  Absagebrief.  Von  der  am  meisten  ge- 
rühmten Privatrede  xccrd  JioysiTovog  wegen  schurkenhafter  Vormundschaft 
(sTTiTQOTiijg)  sind  uns  leider  nur  Bruchstücke  durch  Dionysios  überkommen. 

Die  einzige  Grundlage  des  Textes  ist  für  die  meisten  Reden,  wie  zuerst  H.  Sauppe, 
JEpist.  crit.  ad  God.  Hermanum  nachwies,  der  cod.  Palalinus  s.  X  in  Heidelberg;  nur  die 
Reden  über  Eratosthenes  Mord  und  der  Epitaphios  sind  auch  noch  durch  eine  andere 
Quelle  auf  uns  gekommen,  die  am  besten  durch  Marcianus  F  vertreten  ist,  worüber  R. 
Scholl,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1889  II,  S,  26  —  38.  Die  übrigen  29  Reden  gehen  auf  2  Sammlungen 
zurück,  von  denen  die  eine  sämtliche  Reden  nach  den  Prozessarten  geordnet  enthielt  und 
von  der  die  Reden  neQi  jQuv^caog,  aaeßeiag,  y.ay.oloyiiov  (3 — 11)  auf  uns  gekommen  sind, 
die  andere  eine  Auswahl  der  politisch  interessantesten  Reden  umfasste  (12 — 31),  unter 
denen  die  Rede  gegen  Eratosthenes  (12.)  voranstund. 

Hauptausgabe  von  Reiske  cum  annot.  Taylori,  Marclandii,  suis,  Lips.  1872,  2  vol. 
Kritische  Textesausg.  von  Cobet,  Amstel.  1863;  von  Scheibe  in  Bibl.  Teubn.  Erklärende 
Ausgabe  ausgewählter  Reden  von  Rauchenstein-Fuhk  bei  Weidmann;  von  Frohberger- 
Gebauer,  bei  Teubner  mit  überlangem  kritischen  Anhang. 

248.  Isaios,^)  Sohn  des  Diagoras  aus  Chalkis,^)  ward  von  Hermippos 
unter  den  Schülern  des  Isokrates  aufgezählt,  wirkte  aber  so  ziemlich  zu 
gleicher  Zeit  wie  jener,  um  390  bis  340.  Da  er  Fremder  war,  so  war  ihm 
die  Laufbahn  eines  Staatsredners  versagt,  er  beschränkte  sich  daher  auf 
die  Stellung  eines  Lehrers  der  Beredsamkeit  und  eines  Logographen.  Seine 
Spezialität  waren  Erbschaftsangelegenheiten,  bei  deren  Behandlung  er  Rechts- 
kenntnis mit  geschickter  Beweisführung  und  Anordnung  verband.  Es  sind 
daher  von  den  64,  oder  richtiger,  nach  Ausscheidung  der  unechten,  von 
den  50  Reden,  welche  er  hinterliess,  nur  die  löyoi  xhjgixoi  auf  uns  ge- 
kommen. Es  waren  deren  13,  aber  durch  den  Wegfall  der  Schlussblätter, 
des  Cod.  archetypus    sind   uns   nur    10    und    die   Hälfte   der   11.  erhaltenJ 


^)  0.  Gülde,  Quaestiones  de  Lysiae 
oratione  in  Nicomachum.     Berl.  Diss.  1882. 

'^)  R.  Scholl,  Quaestiones  fiscales  iuris 
attici  ex  Lysiae  orationihus  illustratae,  in 
Comment.  in  honorem  Mommseni,  Berl.  1873. 

^)  Ausser  den  gewöhnlichen  Quellen 
(Dionys.,  Ps.  Plut.,  Suidas)  ein   yivog  'lauiov 


bei  Westermann,    Biogr.   p.  261   f.    und   eil 
Artikel  des  Harpokration  'laaiog. 

^)  Diese  Angabe  geht  nach  Suidas  aui 
Demetrios  Magnes  zurück;  wenn  er  nach 
andern  (Hermippos?)  Athener  hiess  (Dionysios, 
Suidas,  yei'og  7ff,),  so  bezog  sich  dies  wohl 
auf  die  Adoptivheimat. 


3.  Die  Beredsamkeit,     d.  Isokrates.  (§  248—249.)  325 

Ausserdem  hat  uns  Dionysios  ein  grosses,  in  den  Ausgaben  an  12.  Stelle 
gedrucktes  Bruckstück  aus  einem  anderen  Rechtsfall  aufbewahrt,  in  dem 
ein  gewisser  Euphiletos  gegen  die  Gemeinde  der  Erchiäer  wegen  wieder^ 
rechtlicher  Streichung  aus  der  Bürgerliste  Appellation  ergreift.  Die  Auf- 
nahme in  den  Kanon  verdankte  Isaios  der  entwickelten  Kunst  der  Beweis- 
führung, durch  die  er  zur  sachlichen  Schlichtheit  des  Lysias  in  Gegensatz 
trat.  Das  Verhältnis  beider  ist  von  dem  Biographen  gut  mit  dem  Satze  be- 
zeichnet, dass  Lysias  überzeugte,  auch  wenn  er  für  ungerechte  eintrat, 
Isaios  Verdacht  erregte,  auch  wenn  er  für  gute  sprach.  Der  schlauen  Ge- 
wandtheit in  der  Behandlung  des  Rechtsfalls  entspricht  auch  das  grössere 
Pathos  und  die  gesuchte  Weise  der  Rede. 

Zu  9  Reden  ist  einzige  Quelle  der  Cod.  Crippsianus  A.  -  Ausgaben:  recogn.  adnot. 
crit.  et  comment.  adi.  Schömann,  Greifsw.  1831;  rec.  Bükmann.  Berl.  1883,  wozu  textkri- 
tische Beiträge  in  Herrn.  19,  325  ff.     Textesausg.  in  ßibl.  Teubn.  von  Scheibe. 

d.  Isokrates  und  die  sophistische  Beredsamkeit. 

249.  Isokrates  (436—338)  ^  war  der  Sohn  des  Theodoros,  eines 
wohlhabenden  Flötenfabrikanten  aus  dem  Demos  Erchia;  geboren  war  er 
nach  seiner  eigenen  Angabe  de  antid.  9  im  J.  436.  Mit  aller  Sorgfalt 
erzogen,  2)  hörte  er  in  den  Jünglingsjahren  von  Philosophen  den  Prodikos, 
von  Rednern  den  Gorgias  und  Theramenes.  Auch  mit  den  Kreisen  des 
Sokrates  stand  er  in  Verbindung;  Piaton  lässt  am  Schluss  des  Phaidros 
den  Sokrates  glänzende  Erwartungen  von  dem  jungen  Isokrates  aussprechen, 
und  der  Peripatetiker  Praxiphanes  führte  in  dem  Dialog  über  Dichter  den 
Isokrates  als  Gast  des  Piaton  auf  dem  Lande  ein.^)  Aber  die  Hoffnungen 
des  Sokrates  und  Piaton,  den  talentvollen  jungen  Mann  ganz  für  die  Philo- 
sophie zu  gewinnen,  scheiterten.  Isokrates  fühlte  sich  mehr  zu  der  prakti- 
schen Thätigkeit  eines  Redners  hingezogen.  Anfangs  trat  er,  wie  Lysias, 
als  Redenschreiber  [loyoyQCKfog)  auf;  aus  dieser  seiner  Laufbahn  sind  uns 
noch  6  Reden  erhalten,  welche  in  die  Zeit  von  402  bis  393  fallen. 4)  Aber 
bald  suchte  er  infolge  von  Unannehmlichkeiten,  welche  ihm  diese  Anwalts- 
praxis zugezogen  haben  soll,'^)  ein  anderes  Feld  rednerischer  Thätigkeit. 
Von  der  Beteiligung  an  den  öffentlichen  Kämpfen  auf  dem  Markt  und  in  der 
Ratsversammlung  hielt  ihn  eine  angeborene  Schüchternheit  und  die  Schwäche 
seiner  Stimme  ab;  aber  zu  einem  Lehrer  der  Beredsamkeit  glaubte  er  das 
Zeug  in  sich  zu  haben.  Um  390  also  eröffnete  er  eine  förmliche  Schule, 
nach    der   Angabe    des   Ps.  Plutarch   p.  837b    zuerst   in  Chios   (ßm  Xiov). 

^)  Quellen     sind    ausser    Ps.    Plutarch,       Eutliynus;  der  Trapezitikos  ist  einige  Jahre 
Photios    und    Suidas    die   Spezialschrift    des   |    nach  Wiederaufrichtung  der  athenischen  See- 


Dionysios  über  Isokrates  und  eine  anonyme 
Vita,  vielleicht  von  dem  Rhetor  Zosimos, 
alles  zusammengestellt  bei  Westermann, 
Biog.  gr.  245—259.  Wichtig  ist  überdies 
Socraticorum  epist.  30  aus  den  gegnerischen 
Kreisen  der  Akademie.  Zur  Lebens-  und 
Quellenkunde  Bruno  Keil,  Analecta  Isocra- 
tea,  Prag-Leipz,  1885. 

2)  Isocrat.  15,  161. 

•)  Diog.  in,  8. 


macht  oder  nach  der  Schlacht  von  Knidos 
(395)  gehalten  (17,  36).  Wie  weit  man  unter 
393  herabgehen  dürfe,  ist  nicht  ausgemacht. 
^)  Cicero  Brut.  12,  48  nach  Aristoteles: 
cum  ex  eo,  quia  quasi  committeret  contra 
legem  quo  quis  iudieio  circumveniretw , 
saepe  ipse  in  iudicium  vocaretur,  orationes 
aliis  destitisse  scribere  totumque  se  ad  artes 
componendas  transtulisse.  Da  das  Institut 
der  Logographen  auch  später  noch  fortdauerte, 


"*)  In  die  Zeit  unmittelbar  nach  Herstel-    ]    so  ist  die  Nachricht  wenig  glaublich, 
lung  der  Demokratie  fällt  die  21.  Pede  gegen    | 


326 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Aber  dass  ein  Athener  statt  in  seiner  Heimat,  dem  Sitze  der  Beredsamkeit, 
in  dem  fernen  Chios  eine  rhetorische  Schule  gegründet  haben  soll,  ist 
wenig  glaublich;  wahrscheinlich  steckt  in  jenem  im  Xtov  ein  altes  Ver- 
derbnis, und  war  in  der  Vorlage  des  Ps.  Plutarch  vielmehr  das  Lokal  in 
Athen  angegeben,  in  dem  der  gefeierte  Rhetor  zu  lehren  begann.  Das 
Programm,  mit  dem  er  seine  Schule  eröffnete,  liegt  uns  in  der  Rede  gegen 
die  Sophisten  vor.  Er  versprach  darin,  seine  Schüler  nicht  bloss  zu  Red- 
nern zu  bilden,  sondern  überhaupt  in  die  Bildung  und  praktische  Lebens- 
weisheit einzuführen.  Damit  trat  er  als  Konkurrent  der  Sophisten  und 
Philosophen  auf,  und  wenn  auch  der  Ausfall  gegen  die  Wortspaltereien 
der  Eristiker  zunächst  gegen  Antisthenes  gerichtet  war,  so  verstimmte 
doch  der  ganze  Tenor  der  Programmrede  auch  den  Piaton,  der  sich  dafür 
in  dem  Dialog  Euthydemos  p.  304  d  mit  geringschätziger  Bitterkeit,  ohne 
gerade  den  Isokrates  bei  Namen  zu  nennen,  über  die  Anmassung  der  Halb- 
wisser  erging,  welche  das  Zwischengebiet  zwischen  Philosophie  und  Politik 
kultivierten,  es  aber  in  keinem  von  beiden  zu  etwas  rechtem  brächten. i) 
Aber  die  Feindseligkeit  der  Philosophen  that  dem  Aufblühen  der  rhetorischen 
Schule  des  Isokrates  keinen  Eintrag.  Das  Programm  übte  von  vornherein 
auf  die  praktischer  angelegten  Naturen  grosse  Anziehungskraft,  und  der 
Leiter  der  Schule  sorgte  bei  seinem  hervorragenden  Lehrgeschick  für  eine 
glückliche  Lösung  der  Aufgabe.  Von  allen  Seiten  strömten  Schüler  herbei; 
nicht  bloss  künftige  Redner,  sondern  auch  solche,  welche  sich  der  Staats- 
verwaltung widmen  oder  nur  einen  höheren  Grad  von  Bildung  überhaupt 
sich  erwerben  wollten,  drängten  sich  in  seine  Schule.  Cicero  de  orat.  II, 
22,  942)  hat  den  berühmten  Ausspruch  gethan:  Isocratis  e  ludo  tamquani 
ex  equo  Troiano  meri  principes  exierunt^  und  der  alexandrinische  Gram- 
matiker Hermippos  schrieb  ein  eigenes  Buch  nsQi  tmv  'laoxQarovg  uad^rjTcov.^) 
Staatsmänner,  wie  Timotheos  und  Leodamas,  nannten  sich  seine  Schüler; 
die  Historiker  Ephoros  und  Theopomp  und  der  Tragiker  Theodektes  hatten 
aus  seiner  Schule  die  Anregung  erhalten;  die  grossen  Redner  der  nächsten 
Zeit,  Isaios,  Lykurgos,  Aischines,  Hypereides,  waren  durch  ihn  in  die  Rede- 
kunst eingeführt  worden;  mit  den  bedeutendsten  und  mächtigsten  Persönlich- 
keiten seines  Jahrhunderts,  mit  den  Königen  Euagoras  von  Kypern,  Archidamos 
von  Sparta,  Philippos  von  Makedonien  trat  er  durch  seine  Schule  in  Ver- 
bindung. Der  Kurs  in  derselben  dauerte  gewöhnlich  3 — 4  Jahre,  ^)  wofür 
er  ein  Honorar  von  1000  Drachmen  verlangte,  was  ihm  bei  der  Masse  der 
Schüler  mit  der  Zeit  ein  grosses  Vermögen  eintrug.  Allmonatlich  fand  ein 
Certamen  statt;  der  Preis  bestand  in  einem  Kranz. s)  Dem  Unterricht  lag 
eine  entwickelte  Theorie  {rs'xvr])  zu  grund,  von  der  sich  manches  noch  in  spätere 


')  Dies  Verhältnis  überzeugend  klarge- 
legt von  L.  Spengel,  Isokrates  und  Piaton, 
Abhdl.  d.  b.  Ak.  VII  (1855),  mit  einem  Nach- 
trag im  Philol.  19,  597.  Vgl.  Reinhardt, 
De  Isocratis  aemulis,  Bonn  1873.  Nichts 
bedeuten  die  Ilerumredereien  von  Nowak, 
Piaton  u.  die  Rhetorik,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
XIII,  537.     Vgl.  Epist.  Socrat.  30. 

'')  Vgl.  Cic.  Brut.  8,  32:  Isocratis  äo- 
mus  cunctae  Graeciae    quasi  ludus  quidam 


patuit  atque  officina  dicenäi. 

^)  Ath.  342  c  u.  451  e;  Dionys.  de  Isaeo  1; 
Ps.  Plutarch  p.  837  c.  Manche  waren  von 
der  Schule  des  Piaton  in  die  des  Isokrates 
und  umgekehrt  übergetreten,  wie  Lykurgos, 
Klearchos  aus  Heraklea,  Isokrates  von  Apol- 
lonia. 

"*)  Isoer.  de  antid.  87. 

^)  Menander    in   Rhet.   gr.   TU,  398  Sp. 


3.  Die  Beredsamkeit,     d.  Isokrates.  (§  250.) 


327 


Zeiten  vererbt  hat;  die  Hauptsache  aber  bildeten  die  zur  Einübung  be- 
stimmten Vorlagen  von  Musterbeispielen  und  die  Anleitung  zum  Ausarbeiten 
von  Reden  und  Redeteilen.  Sein  eigentliches  Ansehen  verdankte  aber  doch 
Isokrates  nicht  seiner  Thätigkeit  als  Lehrer  der  Beredsamkeit;  dieses  gründete 
sich  vorzüglich  auf  seine  epideiktischen  und  politischen  Reden,  die  er  nicht 
wirklich  hielt,  die  vielmehr  Schulreden  in  dem  Sinne  waren,  dass  sie  zu- 
gleich den  Schülern  als  Muster  in  der  Redekunst  dienen  sollten.  Mit  ihnen 
suchte  er,  wie  mit  politischen  Broschüren,  Einfluss  auf  den  Gang  der  Er- 
eignisse zu  gewinnen  und  vornehmlich  sein  politisches  Ideal,  die  Vereini- 
gung aller  Hellenen  zum  gemeinsamen  Krieg  gegen  die  Barbaren,  der  Ver- 
wirklichung entgegenzuführen.  Der  unpraktische  Doktrinär  erreichte  sein 
Ziel  nicht  und  starb,  als  er  seine  Hoffnungen  durch  die  Kriegserklärung 
des  Königs  Philipp  zusammenbrechen  sah,  zur  Zeit  der  Schlacht  von 
Chaeronea,  indem  er,  wie  man  sagte,  durch  Verweigerung  von  Nahrung 
freiwillig  seinem  Leben  ein  Ende  machte.  ^  Er  hinterliess  einen  Stiefsohn 
Aphareus,  den  ihm  seine  Frau  Plathane,  die  er  in  späten  Jahren  als  Witwe 
heiratete,  mit  in  die  Ehe  gebracht  hatte,  und  eine  Tochter,  die  er  mit  einer 
Hetäre,  Lagiske  mit  Namen,  erzeugt  hatte.  Eine  Statue,  gefertigt  von  dem 
berühmten  Künstler  Leochares,  hatte  ihm  sein  Schüler  Timotheos,  eine  Büste 
auf  einer  Säule  sein  Stiefsohn  Aphareus  gesetzt;  das  auf  der  angefügten 
Tafel  abgebildete  Bildnis  der  Villa  Albani  zeigt  die  griesgrämigen  Mienen 
eines  dem  frischen  Puls  des  Lebens  entfremdeten  Schulmeisters. 

250.  Vom  litterarischen  Nachlass  des  Isokrates  sind  21  Reden  und 
10  Briefe  auf  uns  gekommen;  die  Alten  hatten  von  echten  Werken  nur 
wenig  mehr:  Cäcilius  kannte  28,  Dionysios  25  unter  den  60  zirkulierenden 
Reden  als  echt  anJ)  Auch  ein  Handbuch  der  Beredsamkeit,  eine  i^sxvrj, 
war  von  ihm  in  Umlauf;  Aristoteles  soll  desselben  nach  dem  anonymen 
Biographen  in  der  avvayoyyr^  tsxvmv  Erwähnung  gethan  haben,-)  Quintilian 
II,  15.  4  aber  bezweifelt  die  Echtheit  des  damals  vorhandenen  Abrisses. 
Wahrscheinlich  waren  es  nur  Regeln,  welche  die  Jünger  nach  Erinnerungen, 
vielleicht  auch  Diktaten  aus  der  Schule  des  Meisters  nachträglich  zusammen- 
gestellt hatten.  Was  sich  von  ihnen  erhalten  hat,  ist  bei  Spengel,  2vva- 
yMyr]  T^x^Mv  ^.  154  — 172,  zusammengetragen  und  erläutert.  Die  erhaltenen 
Reden  stehen  in  unseren  Ausgaben  in  der  Reihenfolge,  die  ihnen  Hieronymus 
Wolf  gegeben  hat,  voran  die  paränetischen  (3),  dann  die  epideiktischen 
(12),  zuletzt  die  gerichtlichen  (7).  Zeitlich  am  frühesten  fallen  die  6  ge- 
richtlichen {718Q1  Tov  ^fvyovg,  TQarvs^iTiHog,  ttqoq  KaXXifxaxov,  Alyivrjiixog, 
xard  Xoxhov,  TiQog  Evi>vvovv),  welche,  wie  schon  bemerkt,  zwischen  402 
und  393  gehalten  oder  vielmehr  von  unserem  Redner  für  andere  geschrieben 
worden  sind.^)    Von  ihnen  hat  die  zweite  ihren  Namen,  weil  es  sich  in  ihr 


')  Dagegen  spricht  Isokrates  im  ?).  (un- 
echten) Brief  an  Philipp  so,  als  ob  er  auch 
noch  nach  der  Schlacht  an  ein  Zusammen- 
gehen der  Griechen  und  Philipp  gehofft  habe. 

^)  Br,  Keil,  Anal.  Isoer.  c.  2  weist 
nach,  dass  schon  Hermogenes  nicht  mehr 
als  unsere  21  Reden,  und  zwar  in  der  Ord- 
nung unserer  Hdschr.  hatte. 


^)  Angeführt  wird  dasselbe  von  Philo- 
demos  in  Vol.  Herc.  XI,  96:  'laoxQcariv  x«t 
Ts/yccg  yMTCiXmeTy. 

')  Wie  wir  aus  Dionysios  de  Isoer.  8 
sehen,  hat  Aphareus  nach  dem  Willen  des 
Vaters  die  Autorschaft  dieser  gerichtlichen 
Reden  später  verleugnet.  Die  Echtheit  des 
Trapezitikos    wegen    der    sprachlichen    Be- 


328  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

um  ein  Depot  bei  einem  Banquier  {TQarif^itrjg)  handelt,  die  vierte,  weil  sie 
vor  einem  äginetischen  Gerichtshof  gehalten  worden  ist.  Die  letzte,  in 
ihrer  heutigen  Gestalt  nur  ein  Bruchstück,  ist  der  berühmte  Xdyog  anäq- 
TVQog,  so  genannt,  weil  in  der  Sache  keine  Zeugen  beigebracht  werden 
konnten.  In  dem  bezüglichen  Streit,  der  um  402  kurz  nach  Vertreibung 
der  Dreissig  zum  gerichtlichen  Austrag  kam,  stand  Isokrates  dem  Lysias 
gegenüber  und  gaben  die  beiderseitigen  Reden  dem  Antisthenes  Anlass  zu 
einer  gegen  Isokrates  gerichteten  Streitschrift  Tiegl  tmv  dvTiyQacpcov  i]  Avaiac 
xal  'laoxQatr^g,  ngog  tov  'laoxqärovg  af^iaQTVQov.^)  Auch  in  der  Rede  rceQl 
Tov  ^evyovg,  in  der  es  sich  um  ein  fremdes  Gespann  2)  handelt,  mit  dem 
der  berühmte  Alkibiades,  der  Vater  des  Angeklagten,  in  Olympia  gesiegt 
hatte,  trat  Isokrates  den  Kreisen  des  Lysias  feindlich  gegenüber,  da  dieser 
zu  den  Gegnern  des  Alkibiades,  des  Freundes  der  Sokratiker,  gehörte  und 
einige  Jahre  später  (395/4)  die  uns  noch  erhaltene  Rede  gegen  Alkibiades 
hielt. ^)  Isokrates,  damals  noch  mit  Piaton  und  den  Sokratikern  befreundet, 
ergriff  die  Gelegenheit,  um  sich  in  überschwenglichem  Lobe  der  Verdienste 
des  Alkibiades  zu  ergehen. 

Einen  ganz  anderen  Charakter  trägt  die  erst  in  unserem  Jahrhundert 
durch  Mustaxides  aus  dem  Cod.  Ambros.  415  vervollständigte  Rede  tisqI 
avTiSocrscog.  Dieselbe  ist  353  *)  von  dem  Redner  in  eigener  Sache  im 
82.  Lebensjahre  geschrieben,  hat  aber  nur  die  Form  einer  Gerichtsrede. 
Veranlasst  war  dieselbe  durch  eine  Chikane  des  Lysimachos,  der  ihm  durch 
das  Anerbieten  des  Vermögenstausches  die  Leistung  einer  kostspieligen 
Trierarchie  zuschob.  Es  konnte  nämlich  in  Athen  einer,  dem  eine  Liturgie 
zugemutet  wurde,  einen  anderen  Bürger,  den  er  für  reicher  hielt,  dadurch 
zur  Übernahme  der  Leistung  zwingen,  dass  er  ihm  im  Falle  der  Weigerung 
Vermögenstausch  (avTidoaig)  anbot.  Nun  stund  Isokrates  im  Rufe,  sich 
durch  seine  Lehrthätigkeit  und  vornehmen  Verbindungen  ein  enormes  Ver- 
mögen erworben  zu  haben,  und  es  bot  ihm  daher  jener  Lj^simachos  zweimal 
Vermögenstausch  an.  Darüber  kam  es  zur  gerichtlichen  Verhandlung,  und 
bei  dem  zweiten  Mal  musste  sich  wirklich  Isokrates,  wollte  er  nichts 
schlimmeres  über  sich  ergehen  lassen,  zur  Übernahme  der  Trierarchie  ver- 
stehen. Hintendrein  schrieb  er  dann  unsere  Rede,  die  längste  und  lang- 
weiligste von  allen,  in  welcher  er  sich  gegen  die  Missgunst  seiner  Mit- 
bürger zu  verteidigen  und  seine  Verdienste  in  helles  Licht  zu  setzen  suchte. 

251.  Den  eigentlichen  Gerichtsreden  stehen  der  Zeit  nach  zunächst 
die  schon  erwähnte  Programmrede  xazd  rcov  aotfiarm'  und  die  2  sophisti- 


sonderheiten  und  sachlichen  Unklarheiten 
angezweifelt  von  Benseier  und  Grosse;  siehe 
Hüttner,  Jahrber.  d.  Alt.  XIV,  1.  37  f. 


Herausgeber    Frohberger    annimmt,    Teisias 
der  Sohn  des  Diomedes. 

')  Die   Rede   des  Isokrates  setzt  Blass 


^)  Diog.  VI,   15.     Die  Parteinahme    des  j  II,  205  auf  das  Jahr  397;  sie  fällt  nach  §  40 

Antisthenes  für  Lysias  erkannt  von  Usener,  [  jedenfalls  vor  den  Wiederaufbau  der  Mauern. 

Quaest.  Anax.  7  ff.,  von  demselben  in  weitere  Fr.  Now^ack,  De  Isocratis  tieqi  tov  Cevyovg 

Kombinationen   gezogen   Rh,    M.  35,  135  ff.  oratione,  in   Comm.    Ribbeck.   461—474  er- 

'^)    Auffälligerweise     heisst    der    Eigen-  j  klärt  die  gegenseitige  Bezugnahme  von  Isoer. 

tümer  des  Gespanns  in  unserer  Rede  Teisias,  |  XVI  §  10.  11.  12.  13   und   Lys.   XIV   §  30. 

bei  Andokides  4,  26  aber,    mit   dem  Diodor  37.    32.    31    aus    einer    nachträglichen   Um- 

13,    74    und    Plutarch,    Alcib.     12    stimmen,  i  nrbeitung  der  Rede  des  Isokrates. 

Diomedes.     Wahrscheinlich    war,    wie    der  |           ^)  Das  Jahr  gibt  Isokrates  selbst  §  9. 


I 


3.  Die  Beredsamkeit,     d.  Isokrates.  {%  251.)  329 

sehen  Schulreden  Bovcnqig  und '^Atr/yc  eyna^iiiov^^)  mit  denen  erden  Sophisten  2) 
zeigen  wollte,  wie  man  ein  solches  Thema  anfassen  müsse.  Paränetische 
Reden  sind  uns  3  überliefert,  der  Fürstenspiegel  {nQog  NixoxXea),  gerichtet 
an  Nikokles,  den  Sohn  des  Euagoras,  der  um  378  seinem  Vater  in  der 
Herrschaft  von  Kypern  gefolgt  war;  die  Mahnrede  an  die  Unterthanen  des 
Nikokles,  Nixoxlrjg  betitelt,  weil  sie  dem  Nikokles  selbst  in  den  Mund  ge- 
legt ist;  die  Spruchrede  an  Demonikos,  den  Sohn  eines  dem  Redner  be- 
freundeten Mannes.  Alle  3  Reden  enthalten  eine  Fülle  schöner,  ohne  sicht- 
bares Band  aneinandergereihter  Sentenzen ;  aber  die  letzte  wird  von  Harpo- 
kration  u.  sTtaxToq  oQxog  als  Werk  des  Isokrates  von  Apollonia  citiert  und 
enthält  auffällige  Abweichungen  vom  Sprachgebrauch  unseres  Redners.'') 
Mit  den  Ermahnungen  an  Nikokles  hängt  die  Lobrede  auf  Euagoras  zu- 
sammen. Sie  war  die  erste  dieser  Gattung,  da  man  zuvor  das  Gebiet  der 
fyxMfiia  auf  Zeitgenossen  ganz  den  Dichtern  überlassen  hatte  ;'^)  geschrieben 
ist  sie  nach  dem  Tod  des  Euagoras  (374)  und  nach  der  Mahnrede  an 
Nikokles  (s.  9,  78),  um  370. 

Den  Glanzpunkt  der  isokratischen  Beredsamkeit  bilden  die  epideiktischen 
Reden: //«r/^yr^/xo^,  Preisrede  auf  Athen,  geschrieben  im  Sinne  einer  in  Olympia 
vor  dem  versammelten  Hellenenvolk  gehaltenen  Rede  (um  380);  nXaraixog,  den 
Platäern  in  den  Mund  gelegt,  die,  von  den  Thebanern  aus  Haus  und  Hof  ver- 
trieben, den  Schutz  der  Athener  anflehten  (373);'^()X/'(^a/iog,  von  Archidamos  in 
der  spartanischen  Volksversammlung  gehalten,'')  um  die  Bürger  zur  Ausdauer 
in  dem  Kampf  gegen  Messenien  zu  bewegen  (365);^)  ^vfxiiccxixog  r]  negl  eigrjvrjg, 
Flugschrift  aus  dem  Jahre  357  oder  355,  worin  Isokrates  der  Kriegspartei  des 
Chares  entgegentritt  und  ein  gerechtes  Entgegenkommen  gegen  die  Bundes- 
genossen befürwortet;  'AgeouayiTixog^  wahrscheinlich  nach  dem  Bundesge- 
nossenkrieg (um  354)  geschrieben  zu  Gunsten  des  Areopag,  indem  Isokrates 
einen  Ausweg  aus  den  zerfahrenen  Zuständen  nur  in  der  Rückkehr  zur  alten 
Verfassung  und  in  der  Wiederherstellung  des  Areopags  sah;  Wilimrog^  Send- 
schreiben an  den  König  Philipp  nach  Abschluss  des  philokrateischen  Friedens 
(346),  in  welchem  der  altersschwache  Greis  den  siegreichen  König  auf- 
fordert, die  Städte  der  Hellenen  unter  einander  zu  versöhnen  und  die 
Führerrolle  im  Krieg  gegen  die  Perser  zu  übernehmen ;  Ilavad^rjvaixog,  ge- 


')  Beegk,    Fünf  Abhandl.    S.    34   rückt  |            '^)  Dieses  hebt  mit  Stolz  auf  diese  neue 

diese  Rede,    weil   in  ihr  Antisthenes  als  ge-  1    Erfindung   seiner   Weisheit   der  Redner  §  8 

altert    bezeichnet    werde,     in    spätere    Zeit  [    hervor.     Auch  ein  eV^w^to»/ auf  Gryllos,  den 

herab;    ebenso    setzt    sie    Br.    Keil,    Anal,  j    Sohn    des    Xenophon,    soll    er    geschrieben 

Isoer.  p.  6  um  d.  J.  366.     Blass   P,    74  f.  haben,  nach  Diog.  11,55:  äXXd  xaVEg^mnog 

geht  wieder  auf  das  J.  393  als  vermutliche  \    iv  tm  tisqI  SEocpQuaxov   xcd  iMXQazt]  (7(rw- 

Abfassungszeit  zurück.  xqüii]    em.    Meier,    Opusc.    II,    287)    (py]ai 

'^)  Wer  die  Bekämpften   seien,    ob  Gor-  ;    rQvXho    iyxiö^iou    ysyQctcpsvca.       Auch    bei 

gias  mit  seiner  Helena,  oder  Anaximenes  und  |    dem  Wettstreit  der  Lobredner  auf  Mausollos 

Polykrates,    darüber   waren  schon  die  Alten  soll  er  beteiligt  gewesen  sein ;  s.  Gellius  X, 

nach  den  Argumenten  uneins.  18.  6  u.  Meier  a.   0. 

^)  Die  Echtheit  ward  zuerst  verworfen  von  \            ^)  Natürlich  war  die  Rede  nicht  wirklich 

Benseier;  die  Untersuchung  fortgeführt  von  '    von  Arcliidamos   gehalten    worden;    dieselbe 

jW.   Jahr,    Quaest.    Isocrateae.    Halle  1881,  I   wurde  von  den  Alten  wegen  ihres  ethischen 

und  Albrecht,  Philol.  43,  244  ff.   u.  Ztschr.  Gehaltes  besonders  hoch  geschätzt;  s.  Dionys. 

|f.  Gymn.,  Jahrb.  1885  S.  95  f.        Von  ihrer  de  Isoer.  9  u.  Philostr.  Vit.  soph.  I,  17. 

Beliebtheit   zeugt    die  syrische  Übersetzung,  I            ^')  Gerichtet   war  die  Rede    gegen  Alki- 

publiziert  von  Lagarde,  Anal.  Syr.,  Lips.  1858.  damas;  s.  §  253. 


330  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

schrieben  342—339,  eine  schlechte  Neuauflage  des  Panegyrikos,  ^)  in  welcher 
mit  dem  Lobe  Athens  die  Verherrlichung  der  eigenen  Kunstrichtung  in 
ermüdender  Breite  verbunden  ist. 

Den  Reden  sind  10  Briefe  angefügt,  über  deren  Echtheit  das  Urteil 
der  Kenner  schwankt,  die  aber  jedenfalls  ganz  im  Geiste  und  im  Stil  des 
Isokrates  geschrieben  sind.  Dieselben  sind  gerichtet  an  Dionysios  den 
Tyrannen  von  Syrakus,  an  König  Philipp,  -)  den  jungen  Alexander,  an 
Antipater,  Timotheos  (Tyrannen  von  Heraklea),  Archidamos,  die  Kinder  des 
lason,  die  Archonten  von  Mytilene.  In  dem  3.  Brief  an  Philipp,  der  nach 
der  Schlacht  von  Chäronea  geschrieben  ist,  geht  der  Schreiber  in  seiner 
Einfältigkeit  so  weit,  auch  noch  nach  der  Niederwerfung  der  Athener  von 
einer  Führerrolle  des  Königs  in  einem  Perserkrieg  zu  träumen.  Endlich 
bewahrte  man  in  den  Rhetorenschulen  das  Andenken  an  die  vielen  hübschen 
Aussprüche  {ano(fd^€yp,ata)  des  Lehrers,  darunter  den  schönen  rrig  TzaiSeiac 
n]v  fxtv  Qi'^av  eivai  tcixqccv  tov  dt  xagiidv  yXvxvv.^) 

252.  Die  Bedeutung  des  Isokrates  liegt  in  der  Ausbildung  des  Stils 
{^e'^ig,  chcutio);  seine  Perioden  sind  von  vollendeter  Rundung.  Ebenmass 
der  Glieder  ist  mit  gefälligem  Wechsel  gepaart;  wohlklingender  Rhythmus 
schlägt  an  das  Ohr  des  Lesenden,  ohne  dass  doch  derselbe  ein  bestimmtes 
Metrum  herauszufinden  vermöchte.  Insbesondere  wandte  unser  Redner  dem 
Wohlklang  {numenis)  der  Rede  am  Schluss  der  Perioden  und  der  Ver- 
meidung des  Zusammenstosses  zweier  Vokale  (Hiatus)  und  gleicher  Kon- 
sonantengruppen in  der  Aufeinanderfolge  zweier  Wörter  seine  Aufmerksam- 
keit zu.  Die  von  ihm  geforderte  Sorgfalt  in  der  Fügung  der  Rede  ist  dann 
auch  für  die  Folgezeit,  insbesondere  für  die  Historiker  Polybios,  Dionysios 
und  Plutarch  massgebend  geworden.*)  Auch  die  Bedeutung  der  lumina 
orationis,  der  Metaphern  und  Figuren,  hat  er  wohl  gewürdigt;  doch  hielt 
er  auch  hierin  Mass  und  fiel  nicht  in  den  Fehler  gesuchter  Künstelei. 
Aber  so  hoch  man  auch  diese  formalen  Vorzüge  der  Reden  des  Isokrates 
anschlagen  mag,  so  merkt  man  denselben  doch  zu  sehr  die  darauf  ver- 
wendete Mühe  an.  Auf  die  Ausarbeitung  des  Panathenaikos  hat  er  nach 
seinem  eigenen  Geständnis  3  Jahre  verwendet,  und  für  sein  schönstes  Werk, 
den  Panegyrikos,  soll  er  gar  10  Jahre  gebraucht  haben,  wozu  Cäcilius  in 
dem  Buche  vom  Erhabenen  4,  2  witzig  bemerkt,  dass  Alexander  in  weniger 
Jahren  Asien  erobert,  als  Isokrates  den  Panegyrikos  geschrieben  habe. 
Infolge  dessen  fehlt  seinen  Reden  die  anregende  Frische  und  die  natür- 
liche Kraft;  ihre  Schönheit  ist  zu  sehr  gemachte  Zier.  Hübsch  verglichen 
deshalb  die  Alten  ^)  den  Isokrates  mit  dem  zum  festlichen  Agon  gerüsteten 
Athleten,   den  Demosthenes   mit   dem   zur  Schlacht  gewappneten  Hopliten. 


')  Der    Titel    kommt    daher,    weil    den    |   att.  II,  227. 
Hauptteil   der  Rede    das  Lob  Athens  bildet,    j  ^)  Benseler,    De    hiatu    in    oratorihus 


und  weil  dazu  das  nahende  Fest  der  Pana- 
thenäen  (§  17)  Anlass  bot. 

'^)  Von  einem  bissigen  Feind  des  Redners 
stammt  der  30.  Brief  der  Sokratiker,  in  dem 
speziell  das  Verhältnis  des  Isokrates  zu  Phi- 
lipp, bei  dem  er  auch  mit  seinen  Reden 
betteln  ging,  begeifert  wird. 

•*)  Zusammengestellt   von  Sauppe,  Orat, 


atticis   et    historicis  graecis,  Freiburg  1841; 
Blass,  Gesch.  d.  Bereds.  II,  130  ff. 

•^)  König  Philipp  nach  Ps.  Plut.  p.  845  c, 
Kleochares  bei  Phot.  p.  121b,  9.  ^ihnlich 
urteilte  der  Peripatetiker  Hieronymus  bei 
Dionys.  de  Isoer.  13  und  Philodemos  Rhet. 
col.  17.  I 

! 


3.  Die  Beredsamkeit,     d.  Isokrates.  (§  262     253.) 


331 


Aber  immerhin  bleibt  doch  noch  das  beste  an  Isokrates  die  formale  Voll- 
endung; der  Inhalt  seiner  Reden  dreht  sich  um  wenige  Gemeinplätze  der 
Politik,  vermischt  mit  abgeschmackten  Tiraden  auf  die  Grösse  seiner  Kunst. 
Das  Lob  der  Bildung,  die  Ermahnung  der  Hellenen  zum  einträchtigen 
Zusammenstehen,  die  Vorschriften  der  Humanität,  Gerechtigkeit,  Mässigung 
vernimmt  man  gern  aus  seinem  beredten  Munde;  aber  das  sind  Gedanken, 
die  jeder  in  den  Mund  nehmen  konnte,  und  deren  stete  Wiederholung  einen 
langweiligen  Eindruck  macht.  Der  Panathenaikos  ist  zur  Hälfte  aus  Phrasen 
älterer  Reden  zusammengesetzt,  und  in  die  Rede  über  den  Vermögenstausch 
hat  Isokrates  zum  Belege  seiner  patriotischen  Gesinnung  ganze  Stellen  aus 
seinen  früheren  Reden  eingelegt.  Das  zeugt  von  starker  Geistesarmut. 
Dabei  war  aber  unser  Rhetor  so  eitel,  seine  Redekunst  für  das  Höchste 
zu  halten  und  dieselbe  als  die  eigentliche  Weisheit  auszugeben.  Wie  er 
mit  dieser  hohlen  Einbildung  den  gerechten  Spott  des  Piaton  herausforderte, 
werden  wir  weiter  unten  sehen.  Bei  aller  Sorgfalt  in  der  Glättung  der 
Rede  hing  doch  dem  Isokrates  gegenüber  der  Energie  des  Demosthenes 
die  Mattigkeit  eines  Schulmeisters,  gegenüber  dem  Tiefsinn  des  Piaton  die 
Oberflächlichkeit  eines  Dilettanten  an. 

Die  Codices  bilden  2  Familien;  die  ältere  und  bessere  bildet  der  ürbinas  CXI  der 
Vaticana  (r),  in  welchem  aber  die  18.  und  21.  Rede  fehlen  (beschrieben  ist  der  Cod.  von 
Martin,  Le  manusc.  (V  Isoer.  Urhin.,  Paris  1881);  die  2.  Familie  ist  vertreten  durch  Vat.  65 
vom  Jahr  1063  [J]  u.  Laurent.  87,  14  s.  XIII  (0).  Reste  stichometrischer  Angaben  in  r  weist 
nach  Fuhr,  Rh.  M.  37,  468  ff.  Die  2.  Rede  (§  1 — 30)  ist  auch  in  einem  Papyrus  erhalten, 
worüber  A.  Schöne,  De  Isoer atis  papyro  MassiUensi,  Melanges  Graux  p.  481 — 504,  Par. 
1884;  BLASS,  Jahrb.  f.  Phil.  129,  417  ff.  u.  Br.  Keil,  Herm.  19,  596  ff.  Dürftige  Schollen 
und  Inhaltsangaben  bei  Baiter-Sauppe  p.  3—11. 

Ausgaben:  Die  Vulgata  bildete  bis  in  unser  .Tahrh.  die  Ausg.  von  Hieronymus  Wolf, 
Basel  1551;  rec.  Benseler-Blass,  Lips.  1882.  —  Ausgewählte  Reden  mit  Anmerkungen 
für  die  Schule    von  Rauchenstein-Reinhardt   bei    Weidmann,  von  Schneider  bei  Teubner. 

253.  Nebenbuhler  des  Isokrates  und  Vertreter  der  sophistischen  Be- 
redsamkeit waren  Antisthenes,  Alkidamas,  Thrasymachos,  Polos,  Lykophron, 
Polykrates  und  des  letztgenannten  Schüler  Zoilos.  Von  den  beiden  ersten 
sind  ein  paar  Deklamationen  auf  uns  gekommen.  Auf  Antisthenes,  den 
Sokratiker,  von  dem  eine  theoretische  Schrift  rceQi  Xs^sMq  rj  uegl  xf^Qf^^^^rjQon' 
angeführt  wird,  und  von  dem  uns  die  2  kurzen  Schulreden  Ai'ag  und'OSva- 
(tsvg  erhalten  sind,^  werden  wir  unten  bei  den  Philosophen  nochmals  zurück- 
kommen. Alkida mas  aus  dem  äolischen  Eläa  war  Schüler  des  Gorgias 
und  lehrte  in  Athen  gleichzeitig  mit  Isokrates.  Gegen  diesen  seinen  Zeit- 
genossen und  Rivalen  ist  die  erhaltene  Rede  tcsqI  aoifiardyv  /;  negl  imv 
Tovg  YQaTTTovg  koyovg  yQacfovxorv  2)  gerichtet,  indem  darin  der  Verfasser  als 
eine  Haupterfordernis  des  Redners  die  Fähigkeit  bezeichnet,  sofort  über 
jeden  Gegenstand  frei  reden  zu  können.  Auch  der  verlorene  Messenikos 
stand  zu  des  Isokrates  Archidamos  in  Gegensatz,  indem  darin  Alkidamas 
den  Lakedämoniern  die  Freilassung  der  Messenier  empfahl;  in  ihm  kam 
bereits  der  denkwürdige,  den  Anschauungen  der  Zeit  vorauseilende  Satz  vor: 


^)  Im  Katalog  der  Schriften  des  Anti- 
sthenes bei  Diog.  VI,  15  werden  ausserdem 
angeführt:  'Oq^otov  fcnoXoyia,  nsQi  tmv  (hxo- 
yqäcpMv  ij  ylnaiag  xcd  laoxQuTrjc.  TiQog  loy 
laoxQihovg  cI^iuqxvqov. 


-)  Die  Rede  steht  im  5.  Bande  von 
Bekker's  Orat,  Attici  p.  073—9.  -  Ein  Bruch- 
stück einer  anderen  Rede  gegen  Isokrates 
ward  aus  dem  Papyrus  Erzherz.  Rainer  ans 
Licht  gezogen. 


332  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

^XfV^fQovc  a^rjxf  TTccvtag  ^foc,  ovSera  dovXov  i)  (fixTic  TTSTiohjXfr.  Einen 
weiteren  Gesichtskreis  hatte  des  Alkidanias  Schrift  MovrrsTor,  in  der  unter 
anderm  die  Erzählung  von  dem  Tode  des  Hesiod  vorkam;  es  lag  dem 
Museion  der  durch  Beispiele  beleuchtete  Satz  zu  gründe,  dass  die  Dichter 
Kinder  der  Musen  sind  und  unter  dem  Schutze  der  Götter  stehen;^)  viele 
Anekdoten  der  älteren  Litteraturgeschichte  gehen  auf  dieses  Buch  des 
sophistischen  Rhetors  zurück. 

e.  Demosthenes  (383—322). 

254.  Wir  kommen  zur  glänzendsten  Stufe  der  Beredsamkeit,  zur 
Redegewalt  der  athenischen  Staatsredner.  Wie  wir  oben  sahen,  hatten 
schon  im  5.  Jahrhundert  die  grossen  Staatsmänner  Athens  im  Gegensatz 
zu  denen  der  Spartaner  durch  überzeugende  Darlegung  ihrer  Politik  und 
feuerigen  Appell  an  den  Patriotismus  des  Volkes  ihren  Einfluss  begründet. 
Themistokles  und  Perikles  waren  nicht  bloss  weitsehende,  thatkräftige 
Staatsmänner,  sie  arbeiteten  auch  unablässig  im  Verkehr  mit  Dichtern 
und  Philosophen  an  ihrer  geistigen  Bildung  und  trugen  mit  der  Gewalt 
der  Rede  ihre  erleuchteten  Ideen  in  die  Massen.  Aber  in  jener  Zeit  der 
That,  wo  es  noch  keinen  Buchhandel  gab  und  kaum  ein  Werk  in  attischer 
Prosa  existierte,  lebten  die  Reden  der  grossen  Staatsmänner  nur  in  dem 
Gedächtnis  der  Zuhörer  und  Zeitgenossen  fort,  so  dass  wir  z.  B.  von  der 
berühmten  Leichenrede  des  Perikles  nur  durch  den  Historiker  Thukydides 
Kenntnis  erhalten.  Die  Dinge  waren  inzwischen  anders  geworden:  rasch 
hatte  sich  seit  dem  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  ein  blühender 
Buchhandel  in  Athen  entwickelt,  2)  der  für  Vervielfältigung  und  Verbreitung 
der  Schriften  sorgte;  die  Bürger,  auch  die  schlichten  und  armen,  verstanden 
sich  nicht  mehr  bloss  auf  die  Handhabung  der  Waffen,  sondern  auch  auf 
Lesen  und  Schreiben;  die  Lesesucht  war  so  gross  geworden,  dass  selbst 
Tragödien  und  Dithyramben  zum  Lesen  gedichtet  wurden.^)  Was  Wunder, 
wenn  nun  auch  die  Staatsmänner  mit  geschriebenen  Reden  sich  an  das 
Volk  wandten,  um  auf  solche  Weise  in  nachhaltigerer  Weise  auf  dasselbe 
zu  wirken  und  in  weiteren  Kreisen  für  ihre  politischen  Ideen  Propaganda 
zu  machen.  Von  diesem  Standpunkt  aus  sind  die  publizistischen  Werke 
des  Xenophon  über  den  Staat  der  Lakedämonier,  über  die  Staatseinkünfte, 
über  Agesilaos,  zu  beurteilen,  von  diesem  auch  die  in  die  Form  der  Rede 
gekleideten  Mahnschriften  des  Isokrates;  sie  repräsentieren  die  Anfänge 
der  Publizistik  und  Flugblätterlitteratur.  Aber  man  war  doch  damals  noch 
nicht  zum  papierenen  Zeitalter  der  Zeitungen  und  Tageblätter  herabgesunken ; 
der  Staatsmann,  der  wirklich  etwas  leisten  und  durchsetzen  wollte,  durfte 
sich  nicht  auf  das  Schreiben  von  Broschüren  und  Artikeln  beschränken, 
er  musste  auch  selbst  vor  das  Volk  im  Ratsaal  und  auf  dem  Markte  treten 
und  mit  hinreissender  Beredsamkeit  die  Stimmen  für  seine  Politik  gewinnen. 

^)  Vahlen,  Der  Rhetor  Alkidamas,  Stzb.  j  Aristot.  Poet.  8   für   älter   als   die  attischen 

d.  Wien.  Ak.  1861  S.  491     528.  !  Komiker    ausgegeben),    des   Philolaos    (von 

2)  Mit   Athen    konkurrierte    zumeist  Si-  Piaton    in    Sikilien    gekauft),    Piaton    u.    a. 

kilien.    wo    die  Werke    dos  Herodot    (daher  1  erschienen. 

'HQotfikov  G)ovQioi'),  des  Theognis  (daher  zum  ")  Sie  heissen  bei  Aristoteles,  Rhet.  IIT, 

Sikilier  gemacht),    des  Epicharm    (daher  bei  |  12  p.  1418  b,  18  Lesedramen  {(h'aymoariyM). 


3.  Die  Beredsamkeit,     e.  Bemosthenes.  (§  254—255.) 


333 


Von  den  alten  Staatsmännern  unterschied  er  sich  nur  dadurch,  dass  er  auf 
doppelte  Weise,  durch  die  gehaltene  und  durch  die  geschriebene  Rede  auf 
das  Volk  einwirkte.  Gelegenheit  aber  zu  solchem  doppelten  Redekampf 
boten  zumeist  die  Parteiungen  und  politischen  Stürme,  welche  in  der  Zeit 
des  Philipp  dem  Untergang  der  hellenischen  Freiheit  vorangingen.  In  den 
Reden  aus  jener  Zeit  fesselt  uns  nicht  bloss  die  rhetorische  Kunst,  sondern 
noch  mehr  der  Widerhall  der  gewaltigen  Kämpfe  um  die  höchsten  Güter 
der  Nation.  Der  redegewaltigste  von  allen  war  Demosthenes,  aber  neben 
ihm  hat  die  Zeit  noch  eine  ganze  Reihe  bedeutender  Redner  hervorgebracht. 

255.  Leben  des  Demosthenes.  Die  Herkunft  des  Demosthenes  i) 
drückt  sich  in  dem  Formelvers  aus  Jrji^ioa^tivijg  Jrjjj.o(T^£vovg  Ilaiavisvg 
TciS'  siTTsv.  Der  Vater  des  Redners  war  Besitzer  einer  Waffenfabrik 
[nu%aiQOTioi6q),  in  der  30  Sklaven  arbeiteten,  und  hatte  ausserdem  noch 
durch  Pfändung  eine  Stuhlfabrik  mit  20  Arbeitern  erhalten.  Das  Geschlecht 
der  Mutter  stammte  aus  dem  Skythenland.  2)  Als  Geburtsjahr  lässt  sich 
aus  den  eigenen  Angaben  des  Redners  das  Jahr  383  berechnen.^)  Der 
junge  Demosthenes  hatte  noch  nicht  das  8.  Lebensjahr  erreicht,  als  sein 
Vater  starb  und  durch  Testament  3  Vormünder  seiner  Kinder,  eines  Sohnes 
und  einer  Tochter,  bestellte.  Aber  die  Vormünder  rechtfertigten  nicht  das 
in  sie  gesetzte  Vertrauen,  sie  brachten  das  Vermögen  von  15  Talenten, 
statt  es  durch  gute  Verwaltung  zu  verdoppeln,  fast  ganz  durch,  so  dass 
es  des  volljährig  gewordenen  Demosthenes  erste  Handlung  war,  seine  Vor- 
münder, zunächst  den  Aphobos,  vor  Gericht  zu  ziehen  (364).  Die  nötigen 
Rechtskenntnisse  und  rhetorischen  Kunstgriffe  hatte  er  sich  bei  Isaios  er- 
worben, als  dessen  Schüler  ihn  Hermippos  bei  Dionysius  de  Isaeo  1  bezeichnet. 
Die  beiden  Reden,  die  Anklagerede  gegen  Aphobos  und  die  Replik  auf  dessen 
Verteidigung,  sind  uns  noch  erhalten,  und  so  überzeugend  wirkte  die  Dar- 
stellung des  20jährigen  Jünglings  auf  die  Gemüter  der  Richter,  dass  sie 
den  Aphobos  zum  Schadenersatz  von  10  Talenten  verurteilten.  Es  reihte 
sich  aber  an  diesen  Prozess  ein  anderer  gegen  Onetor,  den  Schwager  des 
Aphobos,  der,  als  es  zur  Pfändung  kam,    ein  Grundstück  des  Aphobos  als 


^)  Die  Quellen,  gedruckt  bei  Wester- 
mann, Biogr.  gr.  p.  281  —  312  u.  Quaest.  De- 
mosth.  IV,  sind  Ps.  Plutarch  im  Leben 
der  10  Redner,  mit  dem  im  wesentlichen 
Photios  cod.  265  stimmt;  Plutarch,  Vita 
Demosth.  (Gebhakd,  De  Plutarchi  in  riia 
Dem.  fontihus,  München  1880;  Stükm,  l)e 
foniibus  historiae  Demosthenicae,  Halle  1881); 
Dionysios  ad  Ammaeum  c.  4u.  10  (wichtig 
für  Chronologie  der  Reden)  und  tisqI  6eiv6- 
xrjiog  J^jjjioaxievovg;  Ps.  Lucian,  Dem. 
encom  ;  L  i  b  a  n  i  0  s ,  Vita  et  hypotheses  Dem. ; 
Zosimos,  VitaDem.;  anonyme  Vita;Suidas, 
3  Artikel.  Die  uns  erhaltenen  Biographien 
gehen  auf  die  Reden  des  Demosthenes  und 
seiner  Gegner  und  die  biographischen  Nach- 
richten des  Demetrios  aus  Phaleron  (siehe 
Dionys.  de  Dem.  53),  Hermippos  und  Satyros 
zurück.  —  Neuere  Bearbeitungen:  Schäfer, 
Demosthenes  und  seine  Zeit,  Leipz.  1856, 
3  Bde.,    2.   Aufl.  1889    nach    dem   Tod    des 


Verfassers;  Blass,  Gesch.  der  attischen  Be- 
reds.  im  3.  Bde.;  Köchly,  Populäre  Vor- 
träge über  Demosthenes,  in  Ges.  Reden; 
HuG,  Demosthenes  als  politischer  Denker,  in 
Studien  aus  dem  klass.  Alt.,  Treib.  1881 ; 
Maur.  Croiset,  Les  idees  morales  dans 
Veloqiience  polit.  de  Demosth.,  Montpell. 
1874;  Bredif,  Deloquence  politique  en 
Grece,  Demosthene,  Par.  1879. 

'^)  Dinarch  adv.  Dem.  15  schilt  ihn  des- 
halb einen  Skythen.  Curtius,  Gr.  Gesch. 
III,  549:  „Die  ausserordentliche  Spannkraft 
seines  Geistes  mag  damit  zusammenhängen, 
dass  etwas  von  dem  Blute  der  nordischen 
Völker  in  seinen  Adern  floss.  Auch  der 
geistesverwandte  Thukydides  stammte  müt- 
terlicherseits von  einem  nordischen  Bar- 
barenvolk." 

'•^)  In  Betracht  kommt  besonders  30,  17 
u.  21,  154;  s.  Blass  111,  7  ff.,  Schäfer  111, 
2,  38  ff. 


334  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Unterpfand  für  die  nicht  zurückbezahlte  Mitgift  seiner  von  Aphobos  ge- 
schiedenen Schwester  in  Anspruch  nahm.  Auch  die  Rede  gegen  Onetor 
ist  uns  erhalten,  der  Ausgang  des  Prozesses  aber  unbekannt;  wahrscheinlich 
kam  es  schliesslich  zu  einem  Vergleich,  bei  dem  Demosthenes  weniges  aus 
dem  Schiffbruch  seines  Vermögens  rettete.  ^)  So  ward  denn  auch  er,  ähnlich 
wie  vordem  Lysias,  durch  äussere  Verhältnisse,  durch  die  Nötigung,  an 
einen  Ersatz  des  verlorenen  Vermögens  zu  denken,  auf  die  Bahn  eines 
XoyoyQccffoc  oder  Sachwalters  gedrängt.  Auf  diesem  Wege  fand  er  aber 
zugleich  auch  Gelegenheit,  sich  in  der  Ausübung  der  Beredsamkeit  zu  üben 
und  die  Aufmerksamkeit  des  Volkes  auf  sich  zu  lenken,  wie  später  auch 
Cicero  durch  die  Thätigkeit  vor  Gericht  sich  den  Weg  zur  politischen 
Laufbahn  bahnte.  Freilich  konnte  infolge  der  athenischen  Verhältnisse 
Demosthenes  nicht,  wie  Cicero,  sich  selbst  dem  Volke  zeigen  und  zum  ge- 
schickten Entwurf  der  Rede  auch  noch  die  packende  Gewalt  des  Vortrages 
fügen.  Er  schrieb  eben  bloss  die  Reden,  damit  der  Angeklagte  oder  Kläger 
sie  vor  Gericht  vortrage;  nur  in  der  Rede  für  Phormion  gegen  Apollodoros 
ist  er  selbst  in  der  Eigenschaft  eines  Fürsprechers  {avvriyoQog)  vor  den 
Richtern  aufgetreten.-)  Im  übrigen  muss  er  grossen  Anklang  und  Erfolg 
mit  seiner  Advokatenpraxis  gehabt  haben.  Zahlreiche  Reden  in  Privat- 
angelegenheiten, die  bis  zum  J.  345  herabreichen, ^)  sind  dessen  Zeuge,  und 
doch  hat  er  gewiss  nur  einen  ganz  kleinen  Teil  seiner  gerichtlichen  Reden 
der  Veröffentlichung  wert  gehalten.  Wenn  ihm  der  Vorwurf  der  Zwei- 
deutigkeit und  des  Verrates  der  Sache  seines  Klienten  an  die  Gegenpartei 
gemacht  wurde,  '^)  so  beruht  dieses  wohl  nur  darauf,  dass  er  für  und 
gegen  Apollodor,  den  reichen  Bankpächter,  auftrat;  dieses  that  er  aber  bei 
verschiedenen  Prozessen,  nicht  bei  demselben  Rechtshandel.  Dass  er  da- 
neben auch  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  wirkte,  erfahren  wir  nur  aus 
Aischines  I,  117  und  175,  hat  aber  bei  der  in  Athen  herkömmlichen  Ver- 
bindung der  beiden  Thätigkeiten  eines  Redners  und  eines  Heranbildners 
von  Rednern  durchaus  nichts  unwahrscheinliches. 

256.  Die  Thätigkeit  als  Sachwalter  bildete  die  Stufenleiter,  auf  der 
Demosthenes  zur  höheren  Stellung  eines  leitenden  Staatsmannes  emporstieg. 
Das  Aufsteigen  war  ein  stufenmässiges;  bevor  er  in  der  Volksversammlung 
sich  direkt  an  das  souveräne  Volk  wandte,  trat  er  vor  Gericht  und  im 
Senat  in  Streitfällen  auf,  welche  die  öffentlichen  Angelegenheiten  berührten. 
Die  erste  Rede  derart  war  die  über  den  trierarchischen  Kranz  [naql  tov 
areifävov  rfjg  tqujquqxi^^),  die  er  359  nach  der  Niederlage  der  Athener  im 
Seetreffen  bei  Peparethos  zu  Gunsten   eines  Unbekannten^)   hielt,   der   von 


^)  Darauf  führt  Aischines  in  Ctes.  173: 
ix  TQiVjQUQ^ov  XoyoyQacfog  ccpecpupf],  rcc  ncc- 
TQ(oci  xtiTCiyekdajMg  TiQoefxsvog. 

2)  Dass  der  avpijyoQog  nicht  Demosthe- 
nes, sondern  ein  anderer  war,  nimmt  Blass 
in,  30  an. 

^)  Die  Privatrede  nQÖg  4>cävinnov  fällt 
erst  330,  ist  aber  unecht.  Demosthenes  be- 
merkt selbst    32,  32:    ifxol    avfAßtßt]y.6v   ttcp^ 


TiQog  tV  7TQccyfA.cc  idtoy  ■nQoosT.rjXvd^Evca.  Vgl. 
jedoch  Blass  111,  30. 

4)  Aisch.  II,  165;  Plut.  Dem.  15. 

^)  Nach  Libanios  war  es  Apollodor,  was 
man  daraus  vermutet  zu  haben  scheint,  dass 
die  Rede  mitten  unter  solchen  steht,  welche 
für  Apollodor  gehalten  wurden.  Über  die 
Rede,  deren  Echtheit  bestritten  wird,  siehe 
KiRCunoFF,  Rede  vom  trierarchischen  Kranz, 


ov  tjsqI  Tioy   y.oivaiv    Xt'ysiy   ?;^|«^>yi/,    fAiföt    i    Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1865  S.  65 — 108. 


3.  Die  Beredsamkeit,     e.  Demosthenes.  (§  256-257.) 


335 


dem  Senate  nach  dem  Gesetze  den  Kranz  verlangte,  weil  er  zuerst  seine 
Triere  fertig  gestellt  hatte.  Schon  im  folgenden  Jahr  (358)  soll  er  nach 
Aischines  III,  52  gegen  den  Feldherrn  Kephisdotos  als  Ankläger  wegen 
Hochverrates  aufgetreten  sein ;  doch  hat  er  die  bei  dieser  Gelegenheit  ge- 
haltene Rede  nicht  zur  Veröffentlichung  bestimmt.  Aber  in  die  nächste 
Zeit  fallen  die  4  grossen  staatlichen  Gerichtsreden,  die  er  veröffentlichte 
und  in  denen  er  zu  den  öffentlichen  Angelegenheiten  durch  Klagen  wegen 
gesetzwidriger  Anträge  (y^atpal  naQav6}xwv)  bestimmte  Stellung  nahm. 
Zuerst  schrieb  er  355  für  Diodoros  eine  solche  Anklagerede  gegen  Androtion, 
weil  dieser  eine  Bekränzung  des  Rates  der  500  beantragt  hatte,  wiewohl 
derselbe  während  seines  Amtsjahres  nichts  für  die  Flotte  gethan  hatte.  ^) 
Daran  schloss  sich  die  Rede  gegen  Timokrates,  einen  Genossen  des  Andro- 
tion, der  zu  Gunsten  der  Staatsgläubiger  Ausstand  für  die  Rückzahlung 
der  dem  Staate  schuldigen  Gelder  beantragt  hatte.  Zum  erstenmal  trat 
Demosthenes  persönlich  in  der  Eigenschaft  eines  Synegoros  an  der  Seite 
des  Ktesippos,  eines  Sohnes  des  Chabrias,  in  einer  öffentlichen  Prozess- 
sache mit  der  Rede  gegen  Leptines  auf  (355/4).  Dieser  hatte,  um  der 
finanziellen  Bedrängnis  des  Staates  abzuhelfen,  die  Abschaffung  der  Steuer- 
befreiung (dreXsia)  für  alle  mit  Ausnahme  der  Nachkommen  der  Tyrannen- 
mörder Harmodios  und  Aristogeiton  beantragt.  Demosthenes,  der  bei  aller 
Sorge  für  die  Hebung  der  Finanzen  doch  kein  Knauser  zu  unrechter  Stunde 
war,  befürwortete  in  einer  glänzenden,  wohl  durchdachten  Rede  das  Recht, 
ja  die  Pflicht  des  Staates,  hervorragende  Verdienste  einzelner  Männer  zu 
belohnen  und  auf  solche  Weise  die  andern  zum  Wetteifer  in  Erfüllung  der 
Bürgerpflichten  anzuspornen. 2)  In  die  auswärtige  Politik  griff  die  4.  öffent- 
liche Rede  xard  'ÄQiaToxQctrovg  ein  (352),  in  der  er,  gegenüber  dem  Aristo- 
krates,  der  besondere  Vergünstigungen  für  den  Odryserkönig  Kersobleptes 
und  dessen  Schwager  Charidemos  beantragt  hatte,  den  Satz  verfocht,  dass 
Athen  am  besten  seine  Besitzungen  im  Chersones  behaupten  könne,  wenn 
es  den  Zwiespalt  und  die  Eifersucht  der  angrenzenden  thrakischen  Fürsten 
möglichst  nähre.  Diesen  Reden  schliesst  sich  die  Rede  gegen  Meidias  von 
der  Ohrfeige  {negl  tov  xovdidoi^)  an,  mit  der  Demosthenes  348  ^)  den 
Meidias,  der  ihn  als  Choregen  beschimpft  und  damit  das  Fest  gestört  hatte, 
I  zu  belangen  gedachte.  Die  Rede  wurde  indes  nicht  gehalten,  da  es  Demo- 
1  sthenes  noch  in  letzter  Stunde  vorzog,  einen  Vergleich  einzugehen  und  die 
j  Klage  fallen  zu  lassen.^) 

I  257.    Inzwischen   hatte  Demosthenes   auch    direkt   als  Volksredner  in 

1  die  Politik  einzugreifen  begonnen,  und  wir  kommen  somit  zu  seiner  bedeut- 
isamsten  Thätigkeit  als   leitender   Staatsmann    und  Verfasser   von  Volks- 


^)  Dionj'S.  ad  Amm.  4  nennt  sie  die 
I  erste  öffentliche  Rede,  indem  er  die  Rede 
1  wegen  des  trierarchischen  Kranzes  aussei- 
Betracht  lässt. 

'  -')  Die  Rede  ward  mit  der  Gegenrede 
<U'S  Rhetors  Aristides  herausgegeben  und 
nläutert  von  F.  A.  Wolf,  Halle  1790. 

•')  Nach  §  154  war  er  dvo  y.cd  rQiüxov- 
nc  tif]  alt,    was   Schäfer   in    ctaaccQu  x.  t(>. 


änderte;  s.  Böckh,  Zeitverhältnisse  der  dem. 
Rede  gegen  Meidias,  Ges.  Sehr.  V,  153—205. 
^)  Strittig  ist  es,  ob  Demosthenes  auch 
nur  die  Rede  herausgegeben  hat,  oder  ob 
dieselbe  erst  nach  seinem  Tod  aus  seinen 
Papieren  herausgegeben  wurde;  über  diese 
Kontroverse  s.  Hüttner,  Jahresb.  d.  klass. 
Alt.  1887  S.  218  f. 


336 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


reden  {Stj^ijoYiai).'^)  Zur  Zeit  seines  ersten  Auftretens  waren  die  Ver- 
hältnisse Athens  überaus  traurig  und  zerfahren.  In  den  Kämpfen  mit  den 
Thebanern  und  Thessaliern  war  die  Grenzstadt  Oropos  an  die  Thebaner 
verloren  gegangen  (366),  und  konnte  es  der  Tyrann  Alexander  von  Pherä 
nach  der  Niederlage  des  athenischen  Admirals  Leosthenes  bei  Peparethos 
wagen,  mit  seiner  Flotte  in  den  Hafen  des  Piräus  einzulaufen  (361).  So- 
dann war  Athen  durch  den  unglücklichen  Ausgang  des  Bundesgenossen- 
krieges (357 — 5)  fast  all  seiner  auswärtigen  Besitzungen  beraubt  und  auf 
den  dürftigen  Besitz  von  Lemnos,  Imbros,  Skyros  und  der  Südküste  des 
thrakischen  Meeres  beschränkt  worden.  Im  Innern  war  auf  die  kräftige 
Leitung  des  Staates  durch  Kallistratos,  der  361  in  die  Verbannung  gehen 
musste,  eine  Periode  der  allgemeinen  Erschlaffung  und  spiessbürgerlichen 
Friedens-  und  Handelspolitik  gefolgt.  Ihr  Träger  war  Eubulos,  der,  hoch- 
fahrenden Plänen  abhold,  lieber  die  verringerten  Kräfte  des  Staates  der 
Pflege  gemächlichen  Lebens  als  dem  Ruhme  der  Hegemonie  zuwenden 
wollte.  Demosthenes  ganze  Natur  widerstrebte  von  vornherein  einer  so 
mattherzigen  Politik;  doch  ist  die  volle  Energie  seines  Wollens  erst  durch 
das  Vorgehen  des  Königs  Philipp  geweckt  worden,  und  selbt  diesem  gegen- 
über war  sein  Verhalten  anfangs  noch  zaudernd  und  zurückhaltend,  bis 
erst  allmählich  die  helle  Flamme  des  Hasses  gegen  die  Vertreter  der 
Friedenspolitik,  die  Vaterlandsverräter,  wie  er  sie  schalt,  emporschlug. 
Bis  zum  ersten  Auftreten  gegen  Philipp  in  der  L  philippischen  Rede  (351) 
war  überhaupt  sein  politisches  Auftreten  mehr  ein  gelegentliches,  aus  dem 
noch  nicht  die  feste  Richtung  auf  ein  bestimmtes  Ziel   hervortrat. 

Die  Volksreden,  die  er  in  jenem  vorbereitenden  Stadium  seiner  politi- 
schen Thätigkeit   hielt,   waren   nachfolgende:   In  der   trefflich  disponierten 
Rede  7T£qI  avfbifiOQiwr  (über  die  Steuerverbände)  suchte  er  354,  als  ein  Krieg 
mit  dem  Perserkönig  auszubrechen  drohte,  das  überstürzte  Kriegsfieber  der 
Athener  zu  dämpfen,  indem  er  vor  allem  zur  besseren  Ausrüstung  der  Flotte 
durch  Vermehrung  der  zur  Trierenleistung  verpflichteten  Bürger  und  durch 
Erhöhung  der  Zahl  der  Schiffe  auf  300  drang.     Im   folgenden  Jahr   (353), 
als  Gesandte   der  Spartaner   und    der  von  denselben  hartbedrängten  Stadt 
Megalopolis  in  Athen  erschienen  waren,  warnte  er  in  der  Rede  vntQ  MeyaXo- 
TioXiTMv  vor  einem  unbedingten  Eintreten  für  die  Megalopoliter  und  empfahl 
eine   blosse  Aufforderung   zum    billigen  Ausgleich   an  die  streitenden  Par- 
teien. Ahnlich  wie  in  der  Aristokratea  verfocht  er  auch  hier  den  Satz,  dass  es 
dem  Staate  fromme,  wenn  die  Lakedämonier  wie  die  Thebaner  schwach  seien 
In  der  Rede  VTitg  Trjg  ^Podmv  nohTsiag  (351)  tritt  er  schon  für  eine  aktiver 
Politik   ein,   indem   er   den  alten  Gedanken,   dass  die  Athener  sich  als  ei 
Bollwerk  der  Demokratie  hinstellen  müssten,  aufnahm  und  der  Unterstützun 
der  Demokraten   von  Rhodos   gegen   die   von   Mausollos   begünstigten   Oli 
garchen  trotz  der   im  Bundesgenossenkrieg  bewiesenen  Undankbarkeit  de 
Rhodier  das  Wort  redete. 

258.   Von  da  an   konzentrierte   sich   die   ganze  politische  Thätigkeit 
unseres  Redners  um  die  Abwendung  der   grössten  Gefahr,    die  Athen   und 


^)  L.  Spengel,  Die  Demegorien  des  De- 
mosthenes,   Ablidl.    d.    b.    Ak.    IX    (1860); 


Hartel,   Demostheiiische   Studien,  Stzb.  der 
Wien.  Ak.  1877-8. 


S.  Die  Beredsamkeit,    e.  Demosthenes.  (§  258—269.)  337 

ganz  Hellas  von  Norden,  von  dem  König  der  Makedonier,  drohte.  Demo- 
sthenes erkannte  gleich  im  Anfang  die  Gefahr  und  setzte  dann  mit  immer 
steigender  Energie  all  seine  Beredsamkeit  und  all  seinen  Einfluss  ein,  um 
die  Athener  aus  ihrem  Schlafe  aufzurütteln  und  die  Gegenpartei  des  Eu- 
bulos,  Aischines,  Philokrates,  Demades  niederzudonnern.  Die  erste  Rede, 
die  er  in  dieser  Richtung  hielt,  ist  die  1.  philippische  Rede,  gehalten  351 
bald  nach  dem  Zuge  gegen  Pylä,  auf  den  §  17  angespielt  ist.  Mit  Ein- 
sicht und  Kraft,  ohne  Rücksicht  auf  den  Beifall  der  genusssüchtigen  Menge 
mahnte  er  zur  Rüstung,  namentlich  zur  eigenen  Beteiligung  der  Bürger, 
die  wenigstens  V^  des  Heeres  stellen  sollten.  Ernst  in  der  Kriegsführung 
that  in  der  That  äusserst  not,  da  Philipp  nicht  bloss  Pydna,  Methone, 
Potidäa  bereits  weggenommen  hatte,  sondern  auch  schon  die  alten  Be- 
sitzungen der  Athener  auf  Imbros  und  Lemnos  bedrohte.  Auffälligerweise 
nahm  Dionysius  ad  Amm.  4  an,  dass  mit  §  30  eine  neue  Rede  beginne, 
wahrscheinlich  verleitet  durch  die  Überschrift  IIöqov  d/iöSsi^ig,  die  aber 
nicht  eine  neue  Rede  einleitete,  sondern  der  eingelegten  Urkunde  galt.^) 
In  die  nächste  Zeit  fallen  die  3  olynthi sehen  Reden,  von  denen  die  letzte 
im  Jahre  349/8  gehalten  wurde.  Philipp  begann  schon  351  Olynth,  die 
mächtigste  Stadt  der  Chalkidike,  zu  bedrängen,  und  die  Athener,  wohl  ein- 
sehend, dass  es  sich  dort  um  ihre  vitalsten  Interessen  handle,  sandten  im 
ganzen  3  Hilfkorps  zum  Ersatz  der  bedrängten  Stadt  ab;  aber  die  Situation 
bei  der  1.  und  2.  Rede  ist  im  wesentlichen  die  gleiche,-)  und  nur  zwischen 
die  dritte  und  die  beiden  ersten  Reden  fiel  ein  kleiner  Erfolg  der  atheni- 
schen Hilfstruppen. 3)  Demosthenes  trat  mit  aller  Kraft  für  eine  entschie- 
dene Hilfeleistung  ein,  und  die  markige  Wucht  der  Sprache  stempelt  die 
3  kurzen  Reden  für  Olynth  zu  den  vorzüglichsten  Erzeugnissen  der  demo- 
sthenischen  Beredsamkeit.  Aber  die  Anstrengungen  des  Redners  blieben 
ohne  Erfolg;  er  selbst  wagte  es  nicht,  einen  förmlichen  Antrag  auf  Ver- 
wendung der  Theatergelder  für  Kriegszwecke  zu  stellen,^)  und  ehe  sich 
Athen  zu  einer  thatkräftigen  Hilfeleistung  mit  einem  Bürgerheer  aufraffte, 
fiel  die  Stadt  durch  den  Verrat  der  beiden  Reiterführer  Lasthenes  und 
Euthykrates  in  die  Gewalt  des  Makedonerkönigs. 

259.  Schon  in  das  10.  Jahr  ging  der  Krieg  mit  Philipp;  die  Kräfte 
Athens  waren  erschöpft,  ein  Staat,  der  wie  Athen  so  ganz  auf  den  Handel 
und  den  Export  von  Artikeln  der  Kunst-Industrie  angewiesen  war,  konnte 


')  Barak,  Die  einheitliche  Komposition 
der  1.  phil.  Rede,  Wien.  Stud.  VI,  173—205. 

^)  Schon  1,  2  u.  17  ist,  wie  Hartel, 
Dem.  Stud.  I,  15  hervorhebt,  aller  Nachdruck 
darauf  gelegt,  dass  die  Bürger  selbst  in  das 
Feld  ziehen  sollen,  war  also  wahrscheinlich 
schon    die   Absendung    von    Söldnertruppen 


Reden  gegen  Philipp  (Stzb.  d.  b.  Ak.  1880 
8.  273  ff.)  insofern  bei,  als  er  die  1.  olynth. 
Rede  im  J.  352  vor  der  1.  philippischen  ge- 
halten sein  Hess;  dagegen  Baran,  Zur  Chro- 
nologie des  euböischen  Krieges  und  der 
olynthischen  Reden  des  Dem.,  Wien.  Stud. 
VII.  190-231. 


vorausgegangen.  I  ■*)  Bloss  eine  Anregung  enthält  Olynth. 

^)  Dem.  3,  35.     Dionys.  ad  Amm.  hatte,  i  3,    10;    einen    förmlichen    Antrag    hatte    im 

wohl  durch  Philochoros  Nachrichten  von  den  !  Frühjahr  349  bei  der  Expedition  nach  Euböa 

verschiedenen    Hilfszügen     verleitet,     einen  und  Olynth  ApoUodor  gestellt,  war  aber  in- 


grösseren Zwischenraum   zwischen  der  1.  u. 


folge  der  Anklage  des  Stephanos  wegen  ge- 


2.  Rede  angenommen  und  die  2.  vor  die  1.    |   setzwidrigen  Antrags    nicht  durchgedrungen 
gesetzt.      Ihm    pflichtete    in    neuester    Zeit      (in  Neaer.  3  f.) 
Unger,    Zeitfolge    der   4    ersten   demosthen.    | 

Ilaiulbucb  der  klass.  Altertumswisscuschaft.  VII.     2.  Aull,  22 


338  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

nicht  auf  die  Dauer  die  Unsicherheit  der  Meere  und  den  alles  gefährdenden 
Kriegszustand  ertragen.  Auch  an  seinen  Verbündeten  hatte  Athen  keine 
Freude  erlebt:  der  schändliche  Tempelraub  der  Phokier  musste  die  frommen 
Seelen  unter  den  Athenern  mit  Abscheu  erfüllen ;  die  Jahre  lang  fortdauernde 
Verwüstung  griechischen  Landes  durch  die  gegenseitigen  Raubzüge  der 
Phokier  und  Thebaner  war  gewiss  nicht  bloss  einem  unpraktischen  Friedens- 
freund wie  Isokrates,  sondern  auch  vielen  anderen  Athenern  ein  Greuel. 
Auf  der  anderen  Seite  litten  auch  die  Küsten  des  makedonischen  Reiches 
schwer  unter  dem  langjährigen  Krieg  mit  einem  zur  See  überlegenen  Feinde, 
so  dass  sich  auch  Philipp  zum  Frieden,  namentlich  zu  einem  Separatfrieden 
mit  Athen  geneigt  zeigte.  So  beschloss  Athen  auf  den  Antrag  des  Philo- 
krates  hin  eine  Gesandtschaft  von  10  Männern  an  den  Philipp  zur  Ein- 
leitung von  Friedensverhandlungen  abzuordnen,  und  nachdem  diese  über 
die  zu  erwartenden  Friedensbedingungen  günstigen  Bericht  erstattet  hatten, 
durch  dieselben  Gesandten  den  Frieden  zu  ratifizieren  und  den  Philipp  zu 
vereidigen.  So  kam  346  der  Friede  des  Philokrates  zu  stände.  An  seinem 
Zustandekommen  hatte  Demosthenes  mitgewirkt;  denn  er  war  beidemal 
zugleich  mit  Aischines  Mitglied  der  Gesandtschaft,  und  wenn  er  auch  mit 
seinen  Kollegen  in  Bezug  auf  die  Langsamkeit  der  Reise  und  die  Schön- 
färberei der  Berichterstattung  nicht  einverstanden  war,  so  hatte  er  sich 
doch  auch  nicht  entschieden  von  ihnen  getrennt  und  seine  Mitwirkung  offen 
versagt.  Er  war  wohl  gleich  den  andern  von  der  Notwendigkeit  des 
Friedensschlusses  überzeugt  und  sah  sich  ausser  stand,  den  Philipp  zur 
schleunigeren  Eidesleistung  und  zur  Einbeziehung  der  Phokier  in  den  Frie- 
den zu  zwingen.  Aber  wenn  er  nicht  mit  gleich  guter  Hoffnung  an  dem 
Friedenswerk  mitarbeitete,  so  zeigte  sich  bald,  wie  sehr  seine  Besorgnisse 
begründet  waren.  Der  schlaue  Philipp  hatte  sich  nicht  bloss  durch  sein 
Säumen  vor  der  Eidesleistung  in  den  Besitz  mehrerer  wichtigen  Punkte 
der  thrakischen  Küste  gesetzt,  er  warf  auch  nach  dem  Abschluss  des 
Separatfriedens  offen  bezüglich  der  Phokier  die  Maske  ab,  setzte  sich  mit 
seinen  nun  freigewordenen  Regimentern  sofort  gegen  Thessalien  in  Be- 
wegung und  nahm  in  Ausführung  eines  Amphiktionenbeschlusses  an  den 
Phokiern,  den  vormaligen  Bundesgenossen  der  Athener,  blutige  Rache  für 
ihre  Frevel.  Über  eine  solche  Treulosigkeit,  die  so  gar  nicht  den  ver- 
lockenden Vorspiegelungen  der  Gesandten  entsprach,  geriet  man  in  Athen 
ausser  sich,  war  aber  ihr  gegenüber  vollständig  ohnmächtig,  da  man  keine 
Macht  hatte  dem  Philipp  entgegenzutreten  und  da  obendrein  die  formellen 
Friedensbedingungen  von  demselben  nicht  verletzt  worden  waren.  Aber 
um  so  mehr  wütete  man  im  Innern  gegen  die  Verräter,  die  durch  das  Geld 
des  Philipp  bestochen,  den  ungünstigen  Frieden  herbeigeführt  hätten.  Zu- 
erst fiel  der  Hauptanstifter  Philokrates;  bald  kam  auch  Aischines  an  die 
Reihe,  gegen  den  Timarchos  und  mit  ihm  Demosthenes  eine  Klage  wegen 
Truggesandtschaft  {7TaQaTTQ8(T ßsiag)  eixihrachte.  Die  Klage  kam  nicht  so- 
gleich zum  Austrag,  da  ihr  Aischines  mit  einer  Klage  gegen  Timarchos  in 
den  Weg  trat,  indem  er  denselben  schändlicher  Hurerei  beschuldigte,  wo- 
durch er  als  aiiiiog  das  Recht  öffentlicher  Klage  verscherzt  habe.  So  kam 
der  Prozess  gegen  Aischines   erst  343   zur  Verhandlung;    die  Anklagerede 


3.  Die  Beredsamkeit,    e.  Demosthenes.  (§  260.) 


339 


des  Demosthenes  wie  die  Verteidigungsrede  des  Aischines  sind  uns  erhalten, 
doch  muss  Demosthenes  seine  Rede  erst  hintendrein  sorgfältig  ausgearbeitet 
und  zum  Teil  auch  umgearbeitet  haben.  Denn  wie  man  aus  Aischines  II,  86 
sieht,  kamen  in  der  wirklich  gesprochenen  Rede  des  Demosthenes  Dinge 
vor,  die  in  der  geschriebenen  und  uns  erhaltenen  nicht  stehen.  ^)  Die  lange 
Anklagerede  nimmt  gegen  Aischines  ein,  genügt  aber  nicht,  um  uns  von 
der  vollen  Schuld  desselben,  dass  er  sich  nämlich  nicht  bloss  durch  den 
schlauen  König  überlisten  Hess,  sondern  um  Geld  die  Interessen  seines 
Vaterlandes  verraten  hat,  vollauf  zu  überzeugen.  Auch  die  Geschworenen 
Athens  traten  nur  zum  Teil  auf  die  Seite  des  Demosthenes:  mit  einer 
Mehrheit  von  30  Stimmen  wurde  Aischines  freigesprochen. 2) 

260.  Nun  folgt  eine  Periode  der  Friedenslockerung,  indem  die  Athener 
die  Feinde  Philipps  unterstützten  und  allmählich  einen  latenten  Krieg  zu 
führen  begannen,  ehe  es  zum  förmlichen  Bruch  kam.  Demosthenes  trat 
anfangs  noch  für  Aufrechthaltung  des  Friedens  ein;  das  that  er  346  mit 
der  Rede  TtsQi  siQrjvrjc,  in  welcher  er  von  der  Opposition  gegen  die  Auf- 
nahme Philipps  in  den  Amphiktionenbund  abriet.  Nach  und  nach  aber 
stellte  er  sich  immer  entschiedener  an  die  Spitze  der  antimakedonischen 
Partei,  indem  er  die  Umtriebe  Philipps  aufdeckte  und  ihm  die  Schuld  des 
Friedensbruches  zuzuschieben  suchte.  Die  in  diesem  Sinn  von  Demosthenes 
gehaltenen  und  zur  Verbreitung  seiner  Gedanken  auch  durch  Abschriften 
veröffentlichten  Reden  sind:  die  2.  philippische  Rede  (342),  die  Rede 
über  die  Angelegenheiten  im  Chersones  (341),  die  3.  philippische  Rede  (341). 
Von  diesen  ist  weitaus  die  schönste  und  kraftvollste  die  3.  philippische 
Rede,  von  der  uns  zwei,  schwerlich  beide  auf  Demosthenes  selbst  zurück- 
gehende Rezensionen,  eine  kürzere  und  eine  erweiterte  überliefert  sind.^) 
Ausserdem  haben  wir  aus  jener  Zeit  noch  4  Reden,  deren  Echtheit  zweifel- 
haft ist:  erstens  die  über  Halonnesos,  ein  Inselchen,  das  Philipp  den  See- 
räubern entrissen  hatte,  und  das  die  Athener  als  alten  Besitz  von  ihm 
zurückforderten.  Demosthenes  hatte  in  der  Sache  wirklich  gesprochen,  aber 
die  erhaltene  Rede  rührt  nicht  von  ihm  her,  sondern  von  einem  radikaleren 
und  derberen  Vertreter  der  Kriegspartei, ^)  wahrscheinlich  von  Hegesippos, 
dem  sie  nach  der  Hypothesis  des  Libanios  ^)  von  einem  Teil  der  alten  Ge- 
lehrten zugesprochen  wurde.  Die  zweite  verdächtige  Rede  ist  die  4.  phi- 
lippische, in  die  ganze  Paragraphen  aus  der  Rede  usqI  twv  ev  XsQcrovt'jdo) 
übertragen   sind,   in  der  aber   auch  mehreres,   sonst  nicht  bekanntes,    wie 


^)  Über  die  neuere  Litteratur  hierüber 
s.  Hüttner,  Jahresb.  d.  klass.  Alt.  1887, 
217  f. 

'^)  So  ein  Gewährsmann  des  Plutarch 
Dem.  15;  Flut,  selbst  und  vielleicht  auch 
Dionys.  ad  Amm.  11  nahmen  an,  dass  der 
Prozess  gar  nicht  zur  Entscheidung  kam. 
Aber  Demosthenes  selbst  de  cor.  142  spricht 
gegen  diese  Annahme ;    s.  Blass  III,    308  f. 

^)  Die  kürzere  liegt  uns  im  cod.  2'  vor, 
nach  dem  die  Rede  von  Westermann  in 
seiner  Ausgabe  abgedruckt  ist.  Die  kürzere 
Fassung  liegt  auch  den  stichometrischen 
Angaben    der    Attikusausgabe     zu    gründe; 


s.  Christ,  Die  Attikusausg.  des  Dem.  55  ff. 
Über  die  2  Redaktionen  handelt  Dräseke, 
Überlieferung  der  3.  phil.  Rede  des  Dem., 
in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  VII.  Neuerdings 
weist  auch  A.  Spengel,  Stzb.  d.  b.  Ak.  1887 
S.  272  ff,  nach,  dass  die  längere  Redaktion 
nicht  von  Dem.,  sondern  von  unverständigen 
Interpol atoren  herrührt. 

^)  Dem.  spricht  nicht  so  derb  wie  der 
Verf.  der  Rede  §  45:  sitisq  v/usTg  tw  iy- 
xecpuXoy  fV  ro?g  XQOidcfOig  y.ai  y.i]  iv  xcuq 
nxBqviug  xcnansncntjfÄti'oy  cpoQSiTs. 

•')  Ebenso  von  Harpokration  u.  iTyr^atn- 
\   71  og  und  von  Photios  p.  491a,  11. 

22* 


340  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Über  Abführung  des  Fürsten  Hernieias  von  Atarneus  nach  Innerasien  vor- 
kommt. In  der  erhaltenen  Gestalt  ist  die  Rede  niemals  gehalten,  in  ihr 
auch  schwerlich  von  Demosthenes  selbst  veröffentlicht  worden;  wahrschein- 
lich rührt  sie  von  einem  Rhetor  her,  der  eine  Ausgabe  der  philippischen 
Reden  ohne  die  Rede  über  die  Angelegenheit  des  Chersones  besorgte  und 
dabei  Papiere  des  Demosthenes  über  konzipierte,  aber  nicht  veröffentlichte 
Reden  benützte.  Unecht  ist  drittens  auch  die  Rede  nqog  TijV  €Tn(fTo?,r]r 
Ttp'  (I>iXi7T7Tov,  in  die  gleichfalls  mehrere  Paragraphen  aus  anderen  Reden 
eingelegt  sind,  auf  die  Sache  selbst  aber,  die  Zurückweisung  der  von 
Philipp  in  dem  Brief  erhobenen  Beschwerden,  wenig  eingegangen  ist. 
Dieser  Brief  selbst  ist  mit  der  Rede  erhalten;  schwankend  aber  ist  das 
Urteil  über  seine  Echtheit.  Aus  der  Rede  des  Demosthenes  ist  er  sicher 
nicht  von  einem  späteren  Rhetor  zusammengestellt;  hat  ihn  ein  Rhetor 
fingiert,  so  hat  derselbe  dazu  jedenfalls  die  zeitgenössischen  Geschichts- 
werke des  Theopomp  und  Hieronymos  von  Kardia  benützt.')  Endlich  ist 
eine  allgemein  gehaltene  und  daher  chronologisch  gar  nicht  fest  datierbare 
Deklamation  ti8qI  awra^ewa  auf  uns  gekommen,  in  der  für  Aufhebung  der 
Theorikenkasse  plädiert  wird. 

261.  Zur  offenen  Kriegserklärung  kam  es  auf  Betrieb  des  Demosthenes 
340,  als  Philipp  die  den  Athenern  verbündeten  Städte  Perinth  und  Byzanz 
am  Bosporus  angriff.  Anfangs  waren  die  Athener  glücklich;  der  Bered- 
samkeit und  diplomatischen  Geschicklichkeit  des  Demosthenes  gelang  es 
sogar,  eine  Aussöhnung  und  ein  Bündnis  der  Athener  und  Thebaner  zu 
stand  zu  bringen,  aber  die  entscheidende  Niederlage  bei  Chäronea  (338) 
machte  allen  Berechnungen  und  Hoffnungen  ein  Ende.  Demosthenes,  der 
persönlich  an  der  Schlacht  teilgenommen  hatte,  legte  auch  nach  der  ver- 
hängnisvollen Niederlage  die  Hände  nicht  in  den  Schoss;  er  hielt  nicht 
bloss  die  Leichenrede  auf  die  Opfer  der  Vaterlandsverteidigung,  2)  er  be- 
antragte auch  die  Ausbesserung  der  Mauern  und  trat  selbst  in  die  be- 
treffende Kommission  ein,  wobei  er  zu  den  vom  Staate  ausgeworfenen 
Mitteln  noch  Geld  aus  seiner  eigenen  Tasche  zuschoss.  Wegen  dieser  Ver- 
dienste beantragte  Ktesiphon  im  Jahre  336  kurz  vor  Philipps  Tod  3)  eine 
öffentliche  Bekränzung  des  Demosthenes  und  zwar,  um  die  Demonstration 
der  Patrioten  und  Makedonierfeinde  desto  glänzender  zu  gestalten,  im 
Theater,  an  den  Dionysien,  vor  den  versammelten  Bundesgenossen.  Sofort 
erhob  Aischines  gegen  den  Antrag  Einsprache  und  verhinderte  dessen  Aus- 
führung, indem  er  den  Ktesiphon  mit  einer  Klage  wegen  Gesetzwidrigkeit 
belangte.  Der  Prozess  verschleppte  sich,  man  weiss  nicht  warum,  6  volle 
Jahre  und  kam  erst  im  Jahre  330  zur  Verhandlung.  Die  Klage  war  äusser- 
lich  gegen  Ktesiphon  gerichtet,  sie  galt  in  der  That  aber  dem  Demosthenes 


*)  BöHNEKE,  Demosthenes,  Lykurg,  Hy-  i  Machwerk   eines  unbekannten   Rhetors    mit 

perides  S.  482-   607   verteidigt  die  Echtheit  \  Benützung  des  platonischen  Menexenos  und 

von    Rede    und    Brief.      Schon    Philochoros  ^  des  Hypereides;  s.  Schäfer  III,  33. 

kannte  den  Brief  nach  Dionys.  ad  Amm.  11.  |  ^)  Aesch.  3,  219;   fälschlich   lassen   Ci- 

Vgl.    W.  NiTSCHE,    Progr.    d.    Sophiengymn,  \  cero    de   opt.   gen.   orat.  und  Plut.  Dem.  24 

in  Berlin,  1876.  |  die  Klage  schon  vor  der  Schlacht  von  Chä- 

2)  Dem.    de    cor.    285.     Der    erhaltene  ;  ronea    angebracht   sein;    s.    Böhneke,    For- 

iniiu(piog  indes  ist  unecht,  ist  ein  klägliches  j  schungen  587  ff,  und  Schäfer  III,  78. 


3.  Die  Beredsamkeit,    e.  Demosthenes.  (§261—262.) 


341 


lind  der  von  ihm  vertretenen  Politik;  sie  hängte  sich  an  Nebenpunkte, 
weil  die  ßekränzung  beantragt  war,  ehe  Demosthenes  Rechenschaft  abge- 
legt hatte,  und  weil  die  Gesetze  eine  Bekränzung  im  Theater  verpönten; 
sie  sollte  in  Wahrheit  aber  die  Handlungsweise  des  Demosthenes  treffen, 
der  weit  entfernt  eine  solche  Auszeichnung  zu  verdienen,  an  allem  Unglück 
der  Griechen  schuld  sei.  Der  Prozess  war  so  von  vornherein  ein  hoch- 
politischer; er  erhielt  noch  mehr  den  Charakter  einer  grossen  Staatsaktion, 
in  der  ein  Verdikt  über  die  beiden  sich  gegenüberstehenden  Parteien,  der 
käuflichen  Friedensfreunde  und  der  ungebeugten  Verteidiger  der  Ehre  des 
Vaterlandes,  gefällt  werden  sollte,  durch  die  Kunst  der  beiden  Redner,  die 
sich  einander  im  entscheidenden  Redekampf  massen,  des  Anklägers  Aischines 
und  des  Verteidigers  Demosthenes.  Cicero  sagt  in  der  seiner  Übersetzung 
der  demosthenischen  Rede  vorausgeschickten  Einleitung:  ad  quod  iudicium 
concursiis  dicihtr  e  tota  Graecia  f actus  esse;  quid  enim  tarn  aut  visendum 
aut  audiendum  fuit  quam  summorum  oratorum  in  gravissima  causa  accurata 
et  inimicitiis  incensa  contentio?  Beide  Reden  sind  uns  erhalten;  die  demo- 
sthenische,  die  Rede  vom  Kranz  (nsQl  arecpdvov,  nicht  vrrbQ  aT€(p.),  ist 
ein  unübertroffenes  Meisterstück,  in  welcher  der  Redner  durch  geschickte 
Anordnung  die  schwachen  Punkte  verkleidet^)  und  mit  der  Verteidigung 
seines  Klienten  die  Verherrlichung  seiner  Verdienste  und  die  moralische 
Zerm.almung  seines  Gegners  verbunden  hat;  sie  ist  ein  glänzendes  Denkmal 
des  Patriotismus  und  zugleich  der  Beredsamkeit  des  Mannes,  der  durch 
seine  flammende  Vaterlandsliebe  und  hinreissende  Redegewalt  selbst  diese 
Zeit  des  Niedergangs  der  hellenischen  Freiheit  verklärt  hat.  2)  So  urteilten 
auch  bereits  die  Geschworenen  Athens,  die  so  zahlreich  für  die  Politik  des 
Demosthenes  eintraten,  dass  Aischines  nicht  einmal  ein  Fünftel  der  Stimmen 
erhielt. 

262.  Die  grossen  Siege  Alexanders  in  Asien  überstrahlten  mit  ihrem 
Glänze  so  sehr  die  Streitigkeiten  der  Griechen  untereinander  und  die  ohn- 
mächtigen Versuche  einer  Auflehnung  gegen  die  makedonische  Oberherr- 
schaft, dass  auch  ein  Politiker  von  dem  Scharfblick  und  der  Redegewalt 
des  Demosthenes  nichts  auszurichten  vermochte.  Es  fällt  zwar  in  jene 
Zeit^)  die  unter  seinem  Namen  umlaufende  Rede  tt^qI  tmv  ngog  ^AXt'^avSqov 
avvd^r^xcov,  die  eine  Aufforderung  zum  Aufstand  gegen  die  Makedonier 
wegen  Bruchs  der  Verträge  enthält;  aber  dieselbe  ist,  wie  bereits  die  Alten 
sahen, 4)    weit    entfernt   von    demosthenischem   Charakter.     Auch    kam   die 


')  Den  schwachen  Punkt  bilden  die 
rechtlichen  Seiten  der  Frage;  diese  sind  in 
die  Mitte  genommen,  so  dass  Demosthenes 
durch  Darlegung  seiner  Politik  der  Ehre 
und  des  Patriotismus  im  ersten  Teil  die 
Richter  für  sich  einnimmt  und  im  dritten 
diejenigen,  welche  durch  die  schwache  Recht- 
fertigung der  Rechtspunkte  wankend  gewor- 
den waren,  wieder  für  sich  gewinnt  und 
durch' das  Pathos  des  Epiloges  zur  bedenken- 
losen Parteinahme  fortreisst. 

2)  L.  Spengel,  Demosthenes' Verteidigung 
des  Ktesiphon,  Abhdl.  d.  b.  Ak.  X  (18G3); 
Reich,    Beweisführung     des     Aeschines     in 


seiner  Rede  gegen  Ktesiphon,  2  Progr.  von 
Nürnberg  1884—5:  Fox,  Die  Kranzrede  des 
Dem.,  Leipz.  1880. 

^)  BöHNEKE,  Forschungen  1,  628,  ebenso 
Spengel,  Blass  setzen  die  Rede  vor  Thebens 
Zerstörung  im  Sommer  335;  hingegen  Schä- 
fer III,  191  in  330,  ebenso  Windel,  De  ora- 
tione  Demosthenis  decima  septima,  Gott. 
1881,  und  KoRNiTZER,  Ztschr.  f.  östr.  Gymn. 
1882  S.  249  -70. 

^)  Nach  Libanios  in  der  Hypothesis 
fanden  einige  in  ihr  den  Charakter  des 
Hypereides. 


342  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

Leitung  der  beiden  Parteien  Athens  allmählich  in  andere  Hände,  in  die 
des  Hypereides  auf  der  einen  und  die  des  Demades  auf  der  anderen  Seite. 
Eine  neue  Bewegung,  in  die  leider  auch  unser  Redner  verwickelt  werden 
sollte,  brachte  die  Angelegenheit  des  Harpalos.  Dieser  war  mit  Schätzen 
des  Königs  Alexander  durchgegangen  und  begehrte  Einlass  in  Athen. 
Demosthenes  erklärte  sich  gegen  die  Aufnahme  und  riet,  nachdem  Harpalos 
doch  Einlass  gefunden  hatte,  zur  Deponierung  der  Gelder  auf  der  Akropolis. 
Als  hintendrein,  nachdem  Harpalos  nach  Kreta  geflohen  war,  das  Depot 
untersucht  wurde,  fand  sich  ein  bedeutendes  Defizit,  und  entstand  der  Ver- 
dacht, dass  die  fehlende  Summe  zur  Bestechung  der  Redner  verwendet 
worden  war.  Der  Areopag  nahm  selbst  die  Voruntersuchung  der  faulen 
Sache  in  die  Hand  und  veröffentlichte  eine  Liste  derjenigen,  welche  Geld 
von  Harpalos  empfangen  hätten  (tÖ)v  ^MQoSoxriadvrcov).  Auf  dieser  stund 
auch  Demosthenes  mit  25  Talenten.^)  Die  Sache  kam  darauf  vor  Gericht 
und  da  Demosthenes  nicht  leugnen  konnte,  Geld  empfangen  zu  haben,  und 
nur  behauptete,  dasselbe  nicht  für  sich,  sondern  für  die  öffentlichen  Be- 
dürfnisse der  Stadt  erhalten  zu  haben,  so  verurteilten  die  Richter,  ohne  die 
Sache  näher  zu  untersuchen,^)  den  Redner  zu  einer  Geldbuse  von  50  Ta- 
lenten (324).  Da  er  die  Summe  nicht  bezahlen  konnte,  so  entfloh  er  nach 
Aegina  und  weiter  nach  Trözen.  Seine  Rechtfertigung  und  Bitte  um  Rück- 
berufung, die  den  Inhalt  des  zweiten  an  das  Volk  und  den  Rat  der  Athener 
gerichteten  Briefes  bilden,  fruchteten  nichts;  eine  Wendung  trat  erst  ein, 
als  nach  dem  Tode  Alexanders  (323)  Athen,  Argos  und  Korinth  sich  gegen 
die  makedonische  Zwingherrschaft  erhoben.  Demosthenes  schloss  sich  noch 
als  Verbannter  den  athenischen  Gesandten,  welche  den  Krieg  gegen  die 
Makedonier  predigten,  an  und  ward  bald  feierlich  auf  Demon's  Antrag 
zurückberufen.  Aber  der  Traum  der  wiedererstandenen  Freiheit  sollte 
nicht  lange  währen;  die  Niederlage  bei  Krannon  vernichtete  vollständig  die 
Hoffnung  der  Patrioten.  Athen  wurde  eingenommen  und  mit  einer  Be- 
satzung belegt.  Demosthenes  und  Hypereides,  auf  Antrag  des  Demades 
zum  Tode  verurteilt,  ergriffen  die  Flucht.  Demosthenes  gelang  es  nach 
Kalauria  in  den  Poseidontempel  zu  entfliehen;  aber  die  Schergen  des  An- 
tipater  rissen  ihn  vom  Altar.  Glücklicherweise  hatte  er  Gift  in  einem 
Siegelring  oder  Schreibrohr  bei  sich,  so  dass  er  sich  durch  freiwilligen  Tod 
den  Insulten  seiner  Feinde  entziehen  konnte.^)  So  starb  Athens  grösster 
Redner  im  Oktober  322,  nachdem  er  in  seinen  letzten  Jahren  ein  ähnliches 
Geschick,  wie  später  der  grösste  Redner  Roms  zu  erleiden  gehabt  hatte. 
263.  Kunst  des  Demosthenes.  Die  Sache  hat  es  mit  sich  gebracht, 
dass  wir  in  die  Darstellung  des  Lebens   unseres  Redners   auch   schon   die 

^)  Plut.    Dem.   25    erzählt    nach    feind-    [    Q((^yxV^  stk^cpS^ca  vvxtioq  toV  dfjjuccyMyop. 
seliger  Quelle    die  Anekdote    von    dem  gol-   j  '^)  Wir   haben    aus    dem   Prozesg    noch 

denen  Becher,    der    bei  der  Musterung  dem    1    die  von  Invektiven  überfliessende  Rede  des 
Dem.  in  die  Augen  gestochen  sei,    und  den   i    Dinarch  und  Teile  der  Rede  des  Hyperides. 
ihm  Harpalos   dann  gefüllt  mit  20  Talenten 
zugeschickt    habe;    ebenso    den    schlechten 
Witz,    den    einige    über  Dem.    machten,    als 

er  mit    verbundenem  Halse   auf  den  Markt   '    auf   einem    in   England    befindlichen   Terra- 
kam  und  nicht  sprechen  zu  können  erklärte :       kottarelief;   s.  Baumeister,  Denkm.  425. 
oi'x  V7i6  ovvdy)(rjg  e(fQat,oy,    al/C    vii'   aqyv-    \ 


i 


Über   mangelhafte  Untersuchung   beschwert 
sich  Dem.  im  2.  Brief. 

2)  A^]^oG^ivi]q  inißtofxiog  ist  dargestelll 


3.  Die  Beredsamkeit,     e.  Demostheues.  (§  263.) 


343 


Aufzählung  seiner  Reden  und  Bemerkungen  über  seine  rednerische  Be- 
gabung einflochten.  Daher  kann  ich  mich  hier  über  diese  beiden  Punkte 
kurz  fassen.  Um  mit  dem  letzteren  zu  beginnen,  so  war  Demosthenes  bei 
Isaios  in  die  Schule  gegangen,')  aber  in  seinem  ganzen  Auftreten  merkte 
man  ihm  wenig  von  der  Schule  an,  bildete  er  vielmehr  eine  Persönlichkeit 
für  sich.  Diese  seine  eigentümliche  Stellung  hatte  ihre  Wurzel  in  dem 
sittlichen  Ernst  seiner  Politik,  in  der  mannhaften  Entschiedenheit,  mit  der 
er  in  einer  Zeit  der  Verweichlichung  und  des  Kleinmutes  für  die  Ehre  und 
Freiheit  seines  Vaterlandes  eintrat,  in  dem  Feuer,  mit  dem  er  seine  Ideale 
ergriff  und  seine  Zuhörer  fortzureissen  verstand.  Dionysios,  der  feine 
Kenner  der  Redner,  hat  mit  dem  Worte  deivÖTifi  die  charakteristische 
Eigenschaft  unseres  Redners  bezeichnet.  Er  hat  dieselbe  zunächst  in  der 
sprachlichen  Kunst  seiner  Reden  nachgewiesen ;  weit  ergiebigeren  Stoff  noch 
hätte  ihm  der  Inhalt,  die  in  den  Reden  vertretene  Politik  und  die  schlag- 
fertige Gewalt  der  Argumentation,  geliefert.  Aber  wenn  auch  seine  Reden 
ganz  aus  dem  Leben  und  aus  den  Kämpfen  einer  bewegten  Zeit  hervor- 
gegangen sind  und  dadurch  einen  ganz  anderen  Eindruck  auf  uns  machen 
als  die  in  dem  Schatten  der  Schule  gezeitigten  Deklamationen,  so  war  er 
doch  nicht  ein  einfaches  Naturgenie,  sondern  hatte  sich  erst  mit  Mühe  und. 
Sorgfalt  zu  dem  grossen  Redner  herangebildet.  Dass  er  alle  Kunstgriffe 
der  Rhetorik  kannte,  dass  er  ganz  nach  den  Regeln  der  Schule  die  schwa- 
chen Teile  durch  die  Kunst  der  Anordnung  [Tcc^iq)  zu  verstecken  und  durch 
das  Pathos  und  die  Zuversicht  der  Rede  die  Schwäche  der  Beweisgründe 
zu  übertönen  suchte,  das  hat  uns  besonders  Spengel,  der  gründliche  Kenner 
der  alten  Rhetorik,  einzusehen  gelehrt.  Ist  durch  dessen  Nachweise  der 
Glaube  an  die  Unparteilichkeit  des  Demosthenes  und  an  die  Wahrheit  seiner 
Anklagen  in  nicht  wenigen  Fällen  herabgemindert  worden,  so  ist  die  Be- 
wunderung seiner  Kunst  um  so  höher  gestiegen.  Die  Regeln  dieser  Kunst 
und  die  Gewandtheit  im  sprachlichen  Ausdruck  hat  Demosthenes  zunächst 
in  den  Rhetorenschulen  und  in  dem  Studium  geistesverwandter  Autoren, 
wie  Thukydides,  gelernt. 2)  Geweckt  wurde  dann  sein  Entschluss,  dereinst 
als  Redner  seine  Kräfte  dem  Staate  zu  weihen,  durch  das  Vorbild  des 
grossen  Staatsmannes  Kallistratos;  nach  alter  Überlieferung^)  v/ar  es  dessen 
Rede  über  Oropos  (gehalten  366),  welche  zündend  auf  den  jungen  Demo- 
sthenes wirkte  und  seine  Lebensrichtung  bestimmte.  Natürlich  Hess  es 
derselbe  aber  auch  nicht  an  der  Übung  fehlen,  die  für  ihn  um  so  not- 
wendiger war,  als  er  verschiedene  Hindernisse  der  Natur  zu  überwinden 
hatte.  Um  sich  das  anstössige  Heben  der  einen  Achsel  abzugewöhnen, 
stellte  er  sich  während  des  Deklamierens  unter  ein  von  der  Zimmerdecke 


^)  Dionys.  de  Isaeo  1 ;  Schäfer  I,  254  fF. 

'')  In  dem  5.  Brief  p.  1490  preist  Dem. 
die  Unterweisung  des  Piaton  {jrjv  llXäxMvog 
^latQißrjp),  und  danach  sagt  Cicejo  Brut. 
81,  121:  lectitavisse  Platoncm  studiose, 
audivisse  etiaiii  DemostJienes  dicitur.  Abei' 
die  Reden  des  Dem.  verraten  durchaus  keinen 
Einfluss  riatons;  die  praktische  Natur  des 
Dem.  war  von  vornherein  der  philosophischen 
Spekulation  abgekehrt;  s.  Schäfer  I,  280  ff. 


Mehr  glaublich  ist  sein  Studium  des  geistes- 
verwandten Thukydides,  den  er  8  mal  ab- 
geschrieben haben  soll;  s.  Lucian  adv.  ind.  4; 
aber  auch  dafür  bieten  seine  Reden  keinen 
greifbaren  Anhalt.  Nachahmungen  des  Ly- 
kurgos  u.  Isaios  wies  der  Rhetor  Theon  in 
Rhet.  gr.  II,  63.  27  Sp.  nach;  vgl.  M.  H.  E. 
Meier,  Opusc.  II,  317  ff. 

•)  Plut.  Dem.  5;  vgl.  Schäfer  I,  275  If. 


344 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


herabhängendes  Schwert;  um  den  Buchstaben  q  anstandslos  aussprechen  zu 
lernen,  nahm  er  Steinchen  bei  den  Übungen  in  den  Mund;  um  durch  das 
Lärmen  der  Volksversammlung  nicht  ausser  Fassung  gebracht  zu  werden, 
deklamierte  er  häufig  am  Meeresgestade  bei  brandender  See.^)  Ganz  be- 
sondere Aufmerksamkeit  wandte  er  der  von  den  früheren  Rednern  wenig 
beachteten  2)  Kunst  des  Vortrags  {viroxQiaig)  zu.  Gefragt,  was  beim  Reden 
das  erste  sei,  soll  er  der  Kunst  des  Vortrags  die  erste,  zweite  und  dritte 
Stelle  zugewiesen  haben. 3)  Er  ging  deshalb  auch  bei  den  Schauspielern 
in  die  Lehre  und  Hess  sich  insbesondere  von  dem  berühmten  Schauspieler 
Satyros  öfters  einzelne  Stellen  vorsagen. '^)  Mit  der  Zeit  brachte  er  es 
aber  auch  selbst  im  Vortrag  und  Gebärdenspiel  zu  grosser  Virtuosität. 
Beobachteten  die  Früheren  eine  steifleinerne  Haltung,  indem  sie  die  Rechte 
unverrückt  im  Gewände  behielten,  so  sprach  er  zuerst  degagiert,  frei  und 
lebhaft  die  Hand  bewegend."^)  Der  Geist,  der  ihn  beseelte,  trat  dann  in 
seine  Augen  und  gab  seinem  Gesicht  jenen  energischen,  zornglühenden 
Ausdruck,  den  wir  an  seiner  Büste  bewundern.^)  Ausserdem  verwandte 
er  auf  die  Ausarbeitung  und  Feilung  der  Reden  den  grössten  Fleiss.  Deine 
Reden  riechen  nach  der  Öllampe,  warf  ihm  Pytheas  vor; ')  andere  schalten 
ihn  einen  Wassertrinker,  der  sich  vor  lauter  Studieren  nicht  die  Zeit  zu 
lustigen  Gelagen  nehme.  Jedenfalls  hat  er  die  Reden,  bevor  er  sie  ver- 
öffentlichte, sorgfältig  durchgearbeitet,  vielleicht  auch  bei  zweiter  Heraus- 
gabe nochmals  revidiert.  Wir  haben  dieses  bereits  oben  bei  der  Rede  von 
der  Truggesandtschaft  angedeutet;  bei  der  Rede  vom  Kranz  scheint  er 
auch  auf  die  inzwischen  veröffentlichte  Gegenrede  des  Aischines  Rücksicht 
genommen  zu  haben. ^)  Vorzüglich  aber  wird  sich  die  Feilung  vor  der 
Veröffentlichung  auf  die  Feinheiten  des  sprachlichen  Ausdrucks  und  den 
Rhythmus  der  Rede  erstreckt  haben.  Demosthenes  trat  hier  insofern  in 
die  Fussstapfen  des  grossen  Stilmeisters  Isokrates,  als  er  den  Hiatus  durch 
Wahl  der  Wörter  und  Änderung  der  vulgären  Wortstellung,  wenn  auch 
nicht  peinlich,  so  doch  sorgsam  zu  vermeiden  suchte.  Eigentümlich  ist 
ihm  selbst  die  Abneigung  gegen  gehäufte  Aufeinanderfolge  von  kurzen 
Silben;  eine  solche  schien  ihm  die  Kraft  des  Ausdrucks  zu  brechen.^) 
Wirkungsvoll  ist  aber  bei  ihm  namentlich  die  rhetorische  Kunst  der  Wort- 
stellung und  der  nicht  überhäufige,  aber  doch  gern  gesuchte  Schmuck  der 
Rede  durch  Figuren,  von  denen  er  einige,  wie  die  Leiter  {xXtjua^),  zuerst 
in  den  Stil  einführte.  ^<^)  Auf  diese  Weise  vereinigen  die  Reden  des  Demo- 
sthenes  auf  das   schönste  das  Feuer  und  die  Kraft,   welche  die  Hitze  des 


'•)  Demetrios  Phalereiosbei  Plut.  Dem.  1 1 ; 
ferner Ps.  Plut.  p.  844 d;  Zosim.  p.  299  West; 
Cic.  de  fin.  V,  2.  5;  Quint.  X,  3.  30;  Val. 
Max.  VIII,  7. 

2)  Vgl.  Arist.  Rhet.  III,  1  p.  1403b,  21. 

3)  Philod.  Rhet.  4,  16;  Cic.  de  orat.  III, 
56.  213,  Brut.  38.  142  u.  a.;  s.  Schäfer  I, 
298  f. 

4)  Plut.  Dem.  6. 

^)  Darauf  spielt  an  Aisch.  I,  25  und 
Dem.  de  fals.  leg.  255;  vgl.  Philodem  de 
rhet.  4,  16  und  das  Bild  des  Redners. 

'')  Siehe  Abbildung   auf  der  angefügten 


Tafel  und  die  Büste  der  Münchener  Glypto- 
thek n.  149.  Vgl.  H.  Schröder,  Abbild,  d. 
Demosthenes,  Braunschweig  1852;  Michaelis 
in  Schäfers  Demosthenes  1887  t.  III,  165. 

^)  Libanios  Z.  79:  Uv&eccg  axconruiv  e(fr] 
ror?  Xoyovg  rov  J7]^oaS^eyovg  Xv^viov  dno^sir. 
ähnlich  Plut.  Dem.  8. 

^)  Schäfer  III,  68  ff. ;  Reich  a.  0. 

^)  Das  wichtige  Gesetz  wurde  erst  in 
unserer  Zeit  von  Blass  III,  100  erkannt. 

^^)  Straub,  De  tropis  et  fipuris  qiiae 
inveniuntur  in  orationihus  Demosthenis  et 
Ciceronis,  Aschaffenburg  1883. 


3.  Die  Beredsamkeit,    e.  Demosthenes.  (§  263.)  345 

Redekampfes  auf  dem  Markte  erzeugte,  'und  die  Sauberkeit  und  Sorgfalt 
des  Stiles,  welche  die  nachträgliche  Feilung  im  Studierzimmer  dem  ersten 
Ergüsse  der  Rede  hinzufügte.^) 

Um  das  Gesagte  an  Beispielen  zu  erläutern,  greife  ich  aufs  Geratewohl 
ein  paar  Stellen  aus  der  3.  olynthischen  Rede  heraus:  §  13  lesen  wir  eh'  oi'sa-y 
avxöv,  dl  sTtoiijCav  ßh'  ov6h'  av  xaxöv,  f-uj  nad^etv  d'  iqjvXcc'^avT;'  av  i'acog,  tov- 
lovg  p.^v  i^anazäv  aiQeiai^ai  liiaXXov  rj  TiqoXsyovta  ßiä^ecfS^ai,  vf.uv  6'  sx  tcqoq- 
QYjaswg  7roXsfjirj(f€iv  xai  TavS^'  scog  av  sxövrsg  e^anaTccaS^s;  Wir  haben  hier  ein 
konditionales  Sachverhältnis,  aber  das  bringt  der  Redner  nicht  in  der  langwei- 
ligen Form  der  Logik  mit  Vorder-  und  Nachsatz  vor  (wenn  .  .  .  so),  sondern 
in  kraftvoller  Nebeneinanderstellung  der  Gegensätze  und  mit  wirksamstem 
Appell  an  das  eigene  Urteil  der  Zuhörer  {oi€(y&'  aviov  .  .  .  Ttoleiiriastv;).  Ge- 
stellt sind  die  Worte  so,  dass  nicht  ein  nichtssagendes  Pronomen  dem  Relativ- 
satz vorangeht,  sondern  das  Relativum  ot  mit  dem  Demonstrativum  romovg 
wirkungsvoll  aufgenommen  wird,  dass  ferner  die  entgegengesetzten  Prono- 
mina Tomovg  und  vixtv  an  der  Spitze  stehen  und  dass  die  Gegensätze  s'^a- 
TTaräv  und  ßia^eaü^ai  die  nichtsbedeutenden  Worte  alfyeXad^ai  —  TCQoXsyovTa 
in  die  Mitte  nehmen.  Um  dem  Zweifel,  ob  die  Duodezstaaten  sich  über- 
haupt zur  Wehr  setzen  würden,  kräftigeren  Ausdruck  zu  geben,  ist  von 
der  gewöhnlichen  Stellung  i'(To)g  av  €(fida^aiTo  Umgang  genommen  und 
das  zweifelnde  /b-wg  mit  Nachdruck  an  den  Schluss  gesetzt;  um  endlich  den 
anstössigen  Hiatus  aigetad^ai  rj  TUQokeyovra  zu  vermeiden,  erlaubt  sich  der 
Redner  ein  überflüssiges  oder  doch  nicht  notwendiges  fiäXlov  zwischen  die 
klaffenden  Vokale  zu  schieben.  Ein  ähnliches  Sach Verhältnis  liegt  in  §  17 
vor:  0  Y^Q  ^^?  ^^'  ^Y^^  Xrjcp&sirjv,  ravTa  tt gäzTwv  xal  xaraaxsval^ö^svog, 
ovTog  efxol  noXs^st  xav  ^rjTKx)  ßäXXrj  fxriSt  ro^sviß.  Auch  hier  wird  zweimal 
das  Demonstrativum  zama  und  ovxog  dem  Relativsatz  kraftvoll  nachgestellt, 
im  übrigen  aber  ist  zum  Ausdruck  des  logischen  Verhältnisses  eine  andere 
Form  gewählt;  die  gleiche  Form,  wenn  auch  noch  so  gut,  hätte  bei  öfterer 
Wiederholung  Uberdruss  erzeugt;  aber  auch  so  kein  mattes  Wenn,  sondern 
ein  direktes  Hinweisen  auf  den  alle  Vorbereitungen  zur  Überlistung  der 
Stadt  treffenden  Feind  (o  .  .  ovTog  .  .  sixoi),  dann  aber  auch  nichts  mehr 
von  einem  blossen  Glauben,  sondern  bestimmte,  kategorische  Behauptung 
(tioXsi.ih).  Auffällig  aber  ist  in  unserer  Periode  der  Unterschied  in  den 
Satzschlüssen  ovvog  sfnol  7ToXsf.i8T  und  f^trjSt  ro'^svi]:  im  ersten  vermeidet 
Demosthenes,  in  dessen  Rede  schon  die  Alten,  vorzüglich  der  Rhetor  Dio- 
nysios,  einen  gewissen  Rhythmus  fanden,  selbst  nicht  die  Ähnlichkeit  mit 
der  ersten  Hälfte  des  Hexameters,  in  dem  zweiten  führt  er  durch  die 
Schwere  der  gehäuften  Längen  den  Athenern  eindringlichst  die  Grösse  der 
Gefahr  zu  Gemüt  und  schliesst  zugleich,  ähnlich  wie  im  Eingang  der  Kranz- 
rede TZQCoTov  iJ^bv  CO  avSqsg  ^A^ijvaToi  ToTg  O^eotg  sv^onai  näai  xal  rudaaig, 
mit  wuchtigem  Rhythmus  die  Periode.  Von  besonderem  Interesse  aber 
sind  die  ziemlich  zahlreichen  Stellen,  an  denen  uns  die  Rede  in  2  Recen- 
sionen,  einer  demosthenischen  und  nachdemosthenischen,  erhalten  ist;  denn 

*)  Quintil.  X,  1.  76;  oratorum  Jonge  '  quibysäam  nervis  intenta  sunt,  tarn  nihil 
'princeps  Demosthenes  ae  paene  lex  orandi  otiosum,  is  dicendi  modus,  ut  nee  qnod  dc- 
fuit:  tanta  vis  in  eo,  tarn  densa  omnia,  ita      sit  in  eo  nee  quod  redundet  invenias. 


346  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

an  ihnen  kann  man  zumeist  den  grossen  Unterschied  zwischen  dem  ge- 
drungenen, wuchtigen  Stil  des  echten  Demosthenes  und  der  matten  Breite 
seiner  Nachtreter  kennen  lernen.  Gerne  würde  ich  auf  die  Stelle  §  46 
eingehen,  wo  der  spätere  Herausgeber,  weil  er  die  konzise  Sprache  des 
alten  Redners  nicht  verstand,  eine  lange  breite  Sauce  über  die  alte  ge- 
drängte Argumentation  geschüttet  hat.  Aber  das  würde  einer  zu  langen 
Auseinandersetzung  bedürfen;  ich  erwähne  daher  nur  einen  einfachen  kurzen 
Fall.    In  §  25  hatte  Demosthenes  auf   die  Ankündigung  ndv^'    ocr'  i^rj^xag- 

TT^zai  AaxsSaiixovioig eXccTTov'    ecniv,    co    avSgeg    'dO^rjvaioi,    cor  0f- 

XiTiTtog  €v  TQial  xal  ösx'  ovx  oXoig  eT8(yiv  olg  inirtoXä^si  r6ixrjx€  rovg  ^'ElXr^- 
vag,  iiäXXov  6'  ovSt  TvsfjiTrTov  iit-Qog  tovtcov  sxelva  sofort  das  Sündenregister 
des  Philipp  mit  OXvvd^ov  ^ihv  drj  xal  Ms^wvrjv  xal  ^AnoXXan'iav  xtX.  folgen 
lassen.  Was  thut  der  Nachtreter  und  was  würden  wir  Epigonen  in  ähn- 
lichem Falle  thun?  er  ersetzt  das  individuelle  Tiefimov  mit  dem  verwaschenen 
TToXXoaTov  und  schiebt  zwischen  die  kurz  abgebrochene  Propositio  und  die 
Schlag  auf  Schlag  erfolgende  Begründung  den  langweiligen  Satz  xal  tovto 
€x  ßqaxi-og  Xöyov  ^äSiov  ds7'§ai.  Ich  könnte  noch  viele  Stellen  aus  der- 
selben Rede  zur  Beleuchtung  der  markigen  Kunst  des  Demosthenes  an- 
führen, aber  diese  paar  Beispiele  mögen  genügen. 

264.  Charakter  des  Demosthenes.  In  der  Hoheit  der  Gesinnung 
und  der  rhetorischen  Kunst  besteht  der  hohe  Wert,  den  die  Kenner  zu 
allen  Zeiten  den  Reden  des  Demosthenes  beigemessen  haben.  Diese  Vorzüge 
würden  bleiben,  auch  wenn  er  selbst  im  Leben  weichlich  und  feige  gewesen 
wäre.  Aber  die  Vorwürfe,  die  in  dieser  Beziehung  gegen  ihn  erhoben 
wurden,  sind  gewiss  nur  aus  dem  Hass  und  Neid  seiner  politischen  Gegner 
hervorgegangen.  Hätte  er  wirklich,  wie  ihm  Aischines  III,  152  vorwirft 
und  Plutarch,  Dem.  20,  gläubig  nacherzählt,  in  der  Schlacht  von  Chäronea 
in  feiger  Flucht  den  Schild  weggeworfen,  so  hätten  ihn  sicherlich  nicht 
seine  Mitbürger  der  Ehre  gewürdigt,  den  Gefallenen  die  Grabrede  zu  halten,  i) 
Und  dass  er  kein  Wüstling  war,  der  durch  Ausschweifungen  die  Sehnen 
seiner  Kraft  brach,  beweist  die  nachhaltige  Energie,  mit  der  er  für  seine 
politischen  Ideale  zeitlebens  eintrat.  Der  Spitzname  BavaXog,  der  ihm 
möglicherweise  nur  wegen  einer  äusserlichen  Kleinigkeit  (Stotterns  oder 
weichlichen  Ganges)  in  der  Jugend  gegeben  wurde,  kann  dagegen  nichts 
beweisen.  Dass  er  7  Tage  nach  dem  Tode  seiner  einzigen  Tochter  2)  auf 
die  Nachricht  vom  Tode  Philipps  hin  Festkleider  anlegte,^)  darf  nicht  als 
rohe  Gemütlosigkeit  ^)  gedeutet  werden,  sondern  war  ein  Ausfluss  jener 
hochentwickelten  Vaterlandsliebe  der  Alten,  für  deren  Grösse  die  neue  Zeit 
kaum  ein  Verständnis  hat.  Für  seine  Unbestechlichkeit  aber  spricht  schon 
das  Zeugnis  seines  Erbfeindes  Philipp,  der,  als  einst  seine  Ratgeber  in 
losen  Schimpfreden  über  den  attischen  Redner  sich  ergingen,  dieselben  mit 
den  Worten  zurechtwies :  Demosthenes  darf  schon  ein  freies  Wort  sprechen. 


^)  Das  hat  schon  richtig  Reiske  geltend    j   von  derselben  Mutter,    die    den  Vater  über- 
gemacht.    Dass    früher    seine    Gegner    eine    j   lebten;  s.  Ps.  Plut.  847c. 
Klage   Uinozaiiov    gegen    ihn    planten,    be-    ;  •")  Über    die    unbewiesenen    Nachreden 


merkt  er  selbst  (Mid.  103)   mit  Entrüstung. 
■')  Aesch.  III,  77. 
''')  Ausserdem    hatte    er    noch    2   Söhne 


vom    Umgang   mit    Hetären    bei  Ath.  592 f, 
Diog.  6,  34    u,   andern  s.  Schäfer  III,  360. 


3.  Die  Beredsamkeit,     e.  Demosthenes.  (§  264—265). 


347 


denn  von  ihm  allein  findet  sich  der  Name  nicht  in  meinen  Ausgabebüchern/') 
Und  so  haben  denn  auch  seine  Mitbürger  42  Jahre  nach  seinem  Tod,  als 
ein  ruhiges  Urteil  der  erregten  Parteileidenschaft  Platz  gemacht  hatte,  in 
dankbarer  Anerkennung  seiner  patriotischen  Gesinnung  und  der  gemein- 
nützigen Opferwilligkeit,  die  er  durch  freiwillig  übernommene  Staats- 
leistungen, Loskauf  von  Kriegsgefangenen,  Unterstützung  bedürftiger  Bürger 
bethätigt  hatte,  ihm  ein  Standbild  gesetzt  2)  mit  der  vielsagenden  Inschrift: 
el'neq  i'arjv  QMjurjr'  yvMfxij,  Jrjfxoff^^reg,  f^x^c, 
üv  ttot'   av  ^EXXtjvcov  rjQ'^ev   AQrjg  MaxeSojv. 

265.  Werke  des  Demosthenes.  Unter  dem  Namen  des  Demosthenes 
sind  auf  uns  gekommen  61  Reden  oder  richtiger,  nach  Ausscheidung  des 
Briefes  des  Philipp,  60,  ferner  eine  Sammlung  von  Einleitungen  {nqooiixia) 
und  6  Briefe,  welch'  letztere  alle  mit  Ausnahme  des  5.  von  Demosthenes 
aus  dem  Exil  an  den  Rat  und  das  Volk  der  Athener  gerichtet  sind.  Die 
Echtheit  der  Briefe  wird  bezweifelt;  ob  von  allen  mit  Recht,  ist  noch  nicht 
ausgemacht.^)  Unter  den  Proömien  decken  sich  mehrere  mit  den  Ein- 
gängen wirklicher  Reden,  andere  sind  Schul  Variationen,  welche  schwerlich 
den  Demosthenes  selbst,  eher  seine  Schüler  und  Anhänger  zu  Verfassern 
haben. '^)  Von  den  Reden  ist  so  ziemlich  alles  erhalten,  was  die  Alten  als 
demosthenisch  anerkannten.  Ps.  Plutarch  gibt  die  Zahl  der  echten  Reden 
auf  65  an,^)  es  fehlen  demnach  nur  4,  die  wahrscheinlich  von  den  späteren 
Kritikern  noch  ausgeschieden  wurden,  darunter  die  sicher  unechte  nsQil 
Tov  iir]  sxdovvai  ^'ÄQTcaXov.^)  Aber  auch  viele  von  den  erhaltenen  Reden 
sind  mit  teils  grösserer,  teils  geringerer  Wahrscheinlichkeit  von  der  modernen 
Kritik  und  teilweise  schon  von  alten  Kritikern  verworfen  worden. 

Eingeteilt  werden  die  Reden  in  koyoi  dr^fioaioi  (27)  und  iöiomxoi  (34), 
neben  der  die  Einteilung  in  Sixavixoi',  av^ißovXevrixoi  und  stciöhxtixoC  ein- 
hergeht. Die  2  epideiktischen  Reden,  der  sTTizag^iog'^)  und  sqwtixoc,  sind 
zweifellos  unecht;  von  der  letzten,  einer  Lobrede  auf  einen  schönen  Knaben 
Epikrates,  ist  es  schwer  zu  begreifen,  wie  sie  sich  überhaupt  unter  die 
Reden  eines  Demosthenes  verirren  konnte.  Von  den  öffentlichen  Reden, 
den  in  der  Volksversammlung  {drjfjirjyoQiai)  und  den  vor  Gericht  gehaltenen, 
ist  bereits  oben  im  Lebensabriss  unseres  Redners  gehandelt  worden.  Unter 
denselben  stehen  auch  zwei  gegen  Aristogeiton  (25.  und  26.),  die  ziemlich 
allgemein    als    unecht    gelten.  8)     Dieselben    geben    sich   für   Deuterologien 


')  Lucian.  Dem.  enc.  33:  ^ixaiog  6  j7]{xo- 
cS^evrjg  -^aQQtjalag  rry/äfsty  •  fxovog  ys  tüjv 
STIL  trjg  'E'AXu6og  dfj/uayioyüjj/  ovdafxov  C(no- 
loyiafxoig  iyyeyQamm,  iiop  ifxcot^  avaX(i)fj,caüiv. 

'')  Plut.  Dem.  30;  Zosim.  p.  302.  Das 
Dekret  im  Wortlaut  bei  Ps.  PJut.  p.  850. 

^)  Gegen  eine  Unechterklärung  in  Bausch 
und  Bogen  erklärt  sich  Blass  III,  383  ff.  u. 
Jahrb.  f.  Phil.  115,  541  ff.,  indem  er  nament- 
lich die  beiden  umfangreichen  Briefe  2.  u.  3. 
dem  Demosthenes  zuweist;  gegen  die  Echt- 
heit Alb.  Neupert,  De  Demosthenicarwn 
quae  feruntur  epistidarinn  flde  et  auctori- 
tate,  Lips.  Diss.  1885.  Quintilian  X,  1.  107 
gibt  die  Briefe    unbedenklich    für   echt  aus. 


^)  SwoBODA,  De  Dem.  quae  feruntur 
prooemiis,  Vindob.  1887  spricht  sie  insgesamt 
dem  Demosthenes  ab,  lässt  sie  aber  bald 
nach  seinem  Tod  entstanden  sein. 

*'')  Das  von  Studemund,  Herm.  II,  43 
veröffentlichte  Verzeichnis  gibt  71  Reden. 

^)  Unsicher  ist  es,  ob  die  Rede  vtisq 
xmr  QYjToQwv,  gegen  die  Auslieferung  der 
Redner,  wirklich  existierte;  s.  Blass  III,  59. 
Über  nicht  erhaltene  Privatreden  s.  Schäfer 
III,  2.  316. 

"')  Rede  auf  die  Gefallenen  von  Chä- 
ronea,  s.  §  261. 

^)  Die  Gründe  der  Unechtheit  der  1. 
Rede,   meist   sachlicher  Natur,   sucht   abzu- 


348  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

(Reden  an  zweiter  Stelle)  aus,  gehalten  bei  der  Klage,  welche  unter  Alexan- 
ders Regierung  Lykurg  gegen  jenen  der  Atimie  verfallenen  Demagogen  er- 
hoben hatte.  Dionysios  de  Dem.  57  hatte  bereits  mit  gesundem  Urteil 
die  Unechtheit  der  beiden  Reden  erkannt;  wenn  bezüglich  der  ersten  andere, 
wie  Plinius  ep.  IX,  26,  Ps.  Longin  27,  Photios  p.  491a  29,  für  die  Echt- 
heit eintraten,  so  Hessen  sie  sich  durch  die  allerdings  schönen  Gemein- 
plätze, wie  namentlich  über  den  Wert  der  Gesetze,  täuschen.  Ein  geringeres 
Interesse  bieten  selbstverständlich  die  Privatreden,  von  denen  die  gegen  Konon 
(54.)  und  für  Phormion  (36.)  am  meisten  gelesen  zu  werden  verdienen. 
Die  unechte  Rede  gegen  Neaira,  eine  durchtriebene  Hetäre,  hat  ein  be- 
sonderes kulturhistorisches  Interesse.  Schwierig  ist  bei  den  Privatreden 
die  Echtheitsfrage,  da  zur  Veröffentlichung  derselben  Demosthenes  selbst 
weniger  Grund  hatte,  so  dass  dieselben  alle,  abgesehen  von  den  5  Vormund- 
schaftsreden (Xoyoi  sTTiTQOTnxof),^)  vermutlich  erst  nach  dem  Tode  des  Red- 
ners von  den  Herausgebern  seiner  Werke  aus  den  Papieren  derjenigen,  für 
die  sie  geschrieben  waren,  gesammelt  und  herausgegeben  wurden.  Dabei 
konnte  es  aber  leicht  vorkommen,  dass  die  Inhaber  der  Reden,  wie  namentlich 
die  Familie  des  Apollodor,^)  auch  manche  Rede  hergaben,  die  sie  sich  von 
andern  hatten  aufsetzen  lassen.  Einige  derselben  (52.  53.  49.)  können 
nicht  von  Demosthenes  geschrieben  sein,  weil  sie  in  eine  Zeit  fallen,  in 
der  derselbe  noch  zu  jung  war,  andere  wiederum  nicht,  weil  er  zu  ihrer 
Zeit  bereits  sich  ganz  den  Staatsgeschäften  gewidmet  hatte  (48.  56.  58.  59.). 
In  einer,  der  Anzeige  gegen  Theokrines,  die  indes  für  die  Parteistellung 
des  Demosthenes  sehr  wichtig  ist,  wird  gegen  Demosthenes  selbst  wacker 
losgezogen  (58,  42).  Wieder  andere  sind  aus  sprachlichen  oder  stilistischen 
Gründen  der  Unechtheit  verdächtig,^)  so  dass  schliesslich  Blass  ausser 
den  Vormundschaftsreden  (27. — 31.)  nur  noch  10  Privatreden  (36. — 39.  41. 
45.  51.  54.  55.  57.)  als  echt  anerkennt  und  andere  noch  unter  diese  Zahl  herab- 
gehen.'*) 

266.  Der  Ruhm  und  der  Einfluss  des  Demosthenes  überdauerten  sein 
Leben.  Nachdem  der  Alp  der  makedonischen  Herrschaft  von  Athen  ab- 
gewälzt war,  wurde  ihm  im  Jahre  280  auf  Antrag  seines  Schwestersohnes 
Demochares    das   oben   schon   erwähnte  Ehrendenkmal   gesetzt   und  seinen 


schwächen  und  wegzuemendieren  Weil,  Re-  als  echt  anerkennt;    s.  Sigg,    Der  Verfasser 

vue  de  phil.  1882  p.  1—21  und  in  Melanges  der    neun    angeblich   von   Demosthenes   für 

Renier   p.    17  ff.;    dagegen    J.    H.    Lipsius,  Apollodor    geschriebenen    Reden,   Jahrb.  für 

Über  die  Unechtheit  der  ersten  Rede  gegen  <   Phil.  Suppl.  VI,  397  ff. 

Aristogeiton,   Leipz.    Stud.    VI,  317— 31;   R.  ^-j  in  der  Rede  gegen  Euergos  (47.)  steht 

Wagner,    De  priore  quue  Demosthenis  fer-  \    nur  t'ya,    nie    oViw?   in  Absichtssätzen;    Über 

tur   adversus  Aristogitonem   oratione,  Rost.  \    andere   sprachliche   Anzeichen   s.  Sittl,  Gr. 

üiss.  1883.  I    Litt.  II,  223.     Vgl.  Paul  Uhle,  Quaestioncs  . 

')  Es    sind    derselben  5   (27.— 31.),    die  j    de  orationum  Demostheni  falso  addictarumfi 

wahrscheinlich,    weil    in   eigener   Sache   ge-  j    scriptoribus,    2   part.,    Lips.    1883    u.    1886. 

halten,     von     Dem.     selbst     herausgegeben  Einige  unter  den  unechten  Privatreden  sind 

wurden;  von  der  3.  wird  indes  die  Echtheit  |    unter  sich  durch  den  Stil  verwandt,  Avie  die 

bezweifelt;    siehe    dagegen    Reichenberger,  j    gegen    Apaturios,    Phormion,    Dionysodoros, 


Demosthenis  tertiam  contra  Aphohuvi  ora 
tionem  esse  (jenuinam,   Würzb.   1881. 

^)  Es   sind    der   für  Apollodor  geschrie- 


ferner die  gegen  Makartatos,  Olympiodoros. 
Lakritos. 

^)  Ein   chronologisches  Verzeichnis   der 


benenReden8(45.  46.  47.  49.  50.  52.^53.  59.),    |    echten    und    unechten    Reden    bei    Schäfer 
von  denen  Blass  nur  die  45.  gegen  Stephanos    \   III,  2.  316. 


2.  Die  Beredsamkeit,    e.  Demosthenes.  (§  266.)  349 

Verdiensten  in  einem  Ehrendekret  öffentlich  Anerkennung  ausgesprochen.^) 
Um  dieselbe  Zeit  muss  in  Athen  eine  in  seinem  Geist  und  seinem  Stil  sich 
versuchende  rhetorische  Schule  geblüht  haben,  durch  deren  Bemühungen 
die  Reden  des  Meisters  gesammelt  und  verbreitet  wurden,  und  aus  der 
auch  die  meisten  untergeschobenen  Reden  und  vielleicht  auch  die  Erweite- 
rungen der  echten  hervorgegangen  sind.^)  In  Alexandria  fanden  zwar  die 
Werke  des  Demosthenes  Aufnahme  in  die  Bibliothek  und  wurden  von 
Kallimachos  katalogisiert,^)  aber  ein  besonderes  Studium  scheint  ihnen  dort 
ebenso  wenig  wie  den  übrigen  Prosawerken  zugewendet  worden  zu  sein. 
Die  eingehenderen  Studien  datieren  aus  dem  Beginn  der  römischen  Kaiser- 
zeit und  gehen  auf  die  beiden  Rhetoren  Dionysios  von  Halikarnass  und 
Cäcilius  von  Kaiakte  zurück.  Von  dem  ersteren  sind  uns  die  für  die  ästhetische 
Kritik  und  die  Chronologie  der  Reden  wichtigen  Schriften  tisqI  ösivözrjTog 
Jrj^oaO-tvovg  und  smGcoXrj  nqog  'Ajniiiaiov  erhalten.  Hypomnemata  des 
Didymos  zu  Demosthenes  werden  erwähnt  von  dem  Lexikographen  Harpo- 
kration  p.  73,  5  Bekk.  In  den  nächsten  2  Jahrhunderten,  wo  Demosthenes 
der  Redner  schlechthin  hiess,  entstanden  die  nicht  zum  kleinsten  Teil  auf 
Demosthenes  fussenden  lexikalischen  Verzeichnisse  der  Attikisten,  die  Spezial- 
schriften  über  den  Stil  des  Demosthenes,  wie  die  erhaltene  Monographie  des 
Tiberius  ttsqi  tcov  naQcc  Jr^^oa&srH  axrjj^iccTwr  (Rhet.  gr.  II,  59 — 82  Sp.), 
endlich  die  Inhaltsangaben  (viroO^tasig)  zu  den  einzelnen  Reden.  In  dieser 
Zeit  kamen  die  Erklärer  auch  auf  den  Gedanken,  zu  den  gelesensten  Reden, 
von  dem  Kranz,  von  der  Truggesandtschaft,  gegen  Midias,  gegen  Timokrates, 
Urkunden,  die  im  Text  nur  durch  Überschrift  angedeutet  waren,  zu  fabri- 
zieren und  in  die  Reden  selbst  einzulegen. 4)  Sie  mochten  zu  diesen  Fäl- 
schungen besonders  dadurch  veranlasst  werden,  dass  sie  in  einigen  Privat- 
reden, wie  gegen  Neaira,^)  Lakritos,  Makartatos,  Stephanos  schon  aus  alter 
Zeit  Urkunden  in  den  Text  eingelegt  fanden.  Denn  dass  die  Urkunden  jener 
öffentlichen  Reden,  welche  so  lange  die  Forscher  in  die  Irre  führten,  zum 
grösseren  Teil  erst  nachträglich  von  den  Grammatikern  fabriziert  wurden, 
steht  durch  die  glänzenden  Nachweise  von  Droysen  fest,^)  so  dass  es  sich 
nur    um    die  Hilfsmittel   handelt,    welche  dieselben   bei   ihren  Fälschungen 

^)  Das    Ehrendekret    bei    Ps.    Plutarch  1  decretis    in    Demosthenis    Aeschinea,    Mar- 

p.  850;    über   sein  Bild,    in   dem  er  mit  Hi-  j  bürg  1877. 

niation  und  Schwert   dargestellt   war,    siehe  ^  i  Die  Urkunden  zur  Rede  gegen  Neära 

ebenda  p.  847.  ]  stunden    sicher    schon    in    der  Attikusausg., 

')  Hier    ist    wohl    auch    die    alte    von  j  wie  ich  a.  0.  43   nachgewiesen  habe;    über 

Dionys.  ad  Amm.  c.  4  u.  10  benützte  Biographie  i  ihre   Glaubwürdigkeit   s.  Kirchner,    Rh.   M. 

entstanden,  in  der  die  auf  die  Zeitfolge  der  |  40,  377  ff.     Ebenso  ist  das  Erbschaftsgesetz 


Reden  bezüglichen  Daten  nach  Archonten 
unter  Benützung  der  Atthides  gegeben  waren. 

^)  Darüber  Rehdaktz  bei  Schäfer  III, 
2.  317  ff. 

*)  In  meiner  Schrift,  die  Attikusausgabe 
des  Dem,  40  ff.  habe  ich  bewiesen,  dass  die 
Urkunden  zu  den  bezeichneten  Reden  noch 
nicht  in  der  Attikusausgabe  stunden  und  die 
zur  Midiana  selbst  den  Scholiasten  noch 
nicht  vorlagen,  so  dass  dieselben  kaum  vor 
dem  3.  Jahrhund,    entstanden    sein   können. 


der  Makartea  als  echt  erwiesen  von  Bür- 
MANN,  Rh.  M.  32,  354  ff.;  über  anderes  gibt 
Auskunft  Hüttner,  Jahresb.  d.  klass.  Alt. 
1887  S.  223  ff. 

^)  Droysen,  Die  Urkunden  in  Demo- 
sthenes Rede  vom  Kranz,  Ztschr.  f.  Alt.  1839 
N.  68  ff.  mit  Nachtrag  1842  N.  2—4;  Wester- 
mann, Untersuchungen  über  die  in  die  atti- 
schen Redner  eingelegten  Urkunden,  Abh. 
d.  Sachs.  Ges.  I,  1  ff.  (1850);  Christ,  Die 
Attikusausg.    des  Dem.   in    Abh.    d.    b.   Ak. 


Kleinasiatischen    Ursprung    weist     aus    der       XVI  (1882);  R.  Scholl,  Über  attische  Gesetz- 
j  Form    der   Urkunden   nach    Wortmann,  De   \   gebung,   Sitzb.    d.    b.   Ak.  1880  S.  87     139. 


350  Griechische  Litter aturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

benützten.  Auf  uns  gekommen  sind  ausser  jenen  Urkunden  von  Erläute- 
rungsschriften aus  dem  Altertum  die  Hypotheseis  des  Rhetors  Libanios 
und  die  Scholien  des  Zosimos  aus  Askalon  und  des  Grammatikers  Ulpian, 
welche   auf  die    älteren  Scholien   des  Menander   und  Zenon  zurückgehen.  ^ 

Die  Codd.  des  Dem.  gehen,  wie  die  Subscriptio  zur  Rede  ad  ep.  Phil,  in  B  u.  F 
diiüQ&ioTai  £x  dvo  'JxTLxicivöiv  wahrscheinlich  macht,  auf  eine  Ausgabe  zurück,  die  in  der 
römischen  Buchhandlung  des  Attikus  erschienen  war;  auf  diese  scheinen  auch  die  sticho- 
metrischen  Angaben  in  2'  1i  F  zurückzugehen,  worüber  Christ,  Die  Attikusausg.  d.  De- 
raosth.,  mit  berichtigenden  Nachträgen  von  Bürmann,  Herm.  XXI,  34,  und  Burger,  Herm. 
XXII,  650.  Infolge  der  Interpolationen  der  Kaiserzeit  und  der  Umschrift  aus  Papyrus- 
rollen in  Pergamenthandschriften  entstanden  2  Familien  von  Codd.,  die  sich  besonders  in 
Phil.  III  durch  kürzere  und  längere  Fassung  des  Textes  unterscheiden.  Die  Hauptcodd. 
sind:  2'=  Par.  2934  membr.  s.  X;  F  =^  Marcian.  416  membr.  s.  XI  und  der  davon  ab- 
geschriebene B  =  Monac.  (Bavaricus)  85  bomb.  s.  XIII;  J  =  Monac.  (Augustanus)  485 
membr.  s.  XII. 

Scholien  zu  18  Reden  von  Ulpian  und  Zosimos,  meistens  rhetorischer  Art,  am 
besten  bei  Sauppe-Baiter,  Or.  att.  II,  49 — 126.  Kritische  Zeichen  insbesondere  zur 
Midiana  von  mir  nachgewiesen  in  Attikusausg.  25  ff.  und  aus  2  von  Weil,  Mel.  Graux 
p.  13 — 20.  In  meiner  Schrift  S.  11  f.  gab  ich  auch  aus  den  Codices  Nachweise  von 
Kolenteilung  durch  die  Rhetoren  Lachares  und  Ps.  Kastor;  s.  Walz,  Rhet.  gr.  III, 
721  f.  und  Stijdemund,  Ps.  Castoris  excerpta  rhet.,  Breslau  1888,  p.  23.  —  Neue  Scholien 
aus  einem  Cod.  von  Patmos  publiziert  von  Sakkelion  in  Bull,  de  corr.  hell.  1877  p.  1 — 16. 
Bruchstücke  eines  gelehrten  Speziallexikons  zur  Aristokratea  aus  den  Papyri  von  Fajjum, 
veröffentlicht  von  Blass,  Herm.  17,  148  ff. 

Ausgaben:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1504.  —  Grundlegende  Ausg.  mit  Übers,  u.  Noten 
von  Hier.  Wolf,  Basil.  1549,  öfters  wiederholt  —  cum  comment.  Wolfli  Taylori  Mark- 
landi  suis  ed.  Reiske  in  Orat.  graeci,  Lips.  1770;  in  verbesserter  Aufl.  von  Schäfer,  Lips. 
1821,  5  vol.  —  ex  rec.  G.  Dindorfii  mit  Noten  der  Früheren  und  Scholien,  Oxon.  1846 — 51, 
9  vol.  —  Ausg.  mit  kritischem  Apparat  von  Bekker  (1824)  und  Sauppe  (1843)  in  Orat. 
attici:  Dem.  rec.  Dindorf,  ed  IV  cur.  Blass,  Bibl.  Teubn.  —  Spezialausg. :  Dem.  adv.  Lept. 
c.  comm.  perp.  ed.  F.  A.  Wolf,  Hai.  1790;  in  Midiam  ed.  Buttmann,  ed.  V  Berol.  1862.  — 
Dem.  contiones,  de  Corona  et  de  fals.  leg.  ed.  Vömel,  Lips.  1856  u.  1862.  —  Les  haran- 
gues  und  les  plaidoyers  poUtiques  ed.  Weil  mit  krit.  und  exegetischen  Noten,  Par.  ed.  II 
1881  u.  1883.  —  Dem.  de  cor.  explic.  Dissen,  Gott.  1827;  ed.  Lipsius  mit  krit.  Apparat 
u.  Scholien,  Lips.  1876.  —  Ausgewählte  Reden  mit  erklärenden  Anmerkungen  von  Wester- 
mann-Müller-Rosenberg  bei  Weidmann;  von  Rehdantz-Blass  bei  Teubner  (in  letzterer 
Ausgabe  auch  treffliche  rhetorische  Indices);  von  Sörgel  bei  Perthes.  —  Demosthenes 
Staatsreden  nebst  der  Rede  vom  Kranz  übersetzt  mit  Einl.  u.  Anm.  von  Jacobs,  2.  Aufl., 
Leipz.  1833;  die  erste  Auflage  1805  veröffentlicht,  um  den  von  Napoleons  Gewaltherrschaft 
bedrohten  Deutschen  ein  Mahnbild  aus  alten  Zeiten  vorzuhalten. 

f.  Die  Zeitg'enossen  des  Demosthenes. 

267.  Lykurgos,-)  Sohn  des  Lykophron  aus  dem  alten  Geschlecht 
der  Butaden,  erwarb  sich  seine  grössten  Verdienste  als  Staatsmann  durch 
die  ehrliche,  mannhafte  Politik,  die  er  in  jenen  schweren  Zeiten  der  Be- 
drohung Athens  durch  Makedonien  vertrat,  insbesondere  aber  durch  die 
geschickte  Finanzverwaltung,  die  er  12  Jahre  lang  (338—326),  anfangs  in 
eigener  Verantwortlichkeit  als  Finanzminister  (o  sttI  rf]  dioixijasi),  später 
unter  dem  Namen  vorgeschobener  Freunde  zum  Heile  der  Stadt  leitete. 
Lange  scheint  er  das  letzte  Jahr  jener  Verwaltung  (326)  nicht  überlebt  zu 
haben,  da  noch  Demosthenes  sich  für  seine  Kinder,  die  man  nach  deni 
Tode  des  Vaters  wegen  angeblicher  Kassendefekte  in  den  Kerker  warf,  in 
treuer    Anhänglichkeit   für    seinen    ehemaligen    Parteigenossen    verwandte. 


I 


^)  Über  die  Quellen  der  Scholien  Din- 
dorf im  7.  Bande  der  Oxforder  Ausgabe; 
ScHUNK,  De  scholiortnn  in  Demosihenis 
orationibus  fontibus,  Koburger  Progr.  1879; 


Em.    Wakgrin,    Quaestiones    de   scholiorum 
Demosthenicorum  fontibus,  Halle  Diss.  1883. 
2)  Quellen:   Ps.  Plutarch   und  Suidas. 


3.  Die  Beredsamkeit,    f.  Bemosthenes  Zeitgenossen,  (§  267—268.)         351 

Erst  lange  Zeit  nach  seinem  Tode  im  J.  307  erstatteten  ihm  seine  Mit- 
bürger den  Tribut  des  Dankes  durch  ein  Ehrendekret,  das  uns  durch 
litterarische  (Ps.  Plutarch  p.  852)  und  inschriftliche  Überlieferung  (CIA.  II, 
240)  überkommen  ist.  ^)  Lykurg  war  also  in  erster  Linie  Staats-  und 
Finanzmann.  Ein  Staatsmann  konnte  aber  in  jener  Zeit  in  Athen,  wo 
alles  öffentlich  verhandelt  wurde,  nicht  bestehen  ohne  die  Fertigkeit  der 
Rede;  bezeichnete  man  ja  den  Staatsmann  mit  keinem  anderen  Namen  als 
dem  eines  Redners  {qtjtwq).  Lykurg  bedurfte  überdies  in  besonderem  Grade 
der  Fertigkeit  im  Reden,  da  er  es  sich  zur  speziellen  Aufgabe  stellte,  alle 
Defraudanten  und  Vaterlandsverräter  rücksichtlos  vor  Gericht  zu  ziehen. 
Die  Alten  hatten  von  ihm  15  Reden,  von  denen  er  2  in  eigener  Sache  zur 
Rechtfertigung  seiner  Verwaltungsgrundsätze  gehalten  hatte.  Auf  uns  ge- 
kommen ist  die  einzige  Rede  gegen  Leokrates,  der  nach  dem  Unglück  von 
Chäronea  feige  die  Stadt  verlassen  hatte  und  den  Lykurg,  als  er  321 
wieder  zurückzukehren  wagte,  mit  einer  Hochverratsklage  {elaayy^h'ag) 
belangte.  Der  Hauptvorzug  der  Rede  liegt  in  der  sittlichen  Entrüstung, 
die  aus  ihr  spricht;  der  Angeklagte  entrann  mit  knapper  Not  der  Todes- 
strafe, indem  die  Stimmen  der  Richter  zu  gleichen  Teilen  auseinander- 
gingen und  für  diesen  Fall  die  Bestimmung  galt,  dass  das  mildere  Urteil 
obsiegen  sollte.  Ausser  in  den  Reden  zeigte  Lykurg  seinen  politischen 
Scharfblick  und  seine  Redaktionsgewandtheit  in  den  zahlreichen  Gesetzen, 
die  er  beantragte  und  von  denen  nach  dem  Ehrendekret  eine  Gesanit- 
abschrift  auf  der  Akropolis  aufgestellt  wurde,  von  der  uns  mehrere  Reste 
(CIA.  n,  162.  168.  173.  176.  180.  202)  erhalten  sind. 

Die  handschriftliche  UberHeferuiig  ist  die  gleiche  wie  bei  Andokides.  Spezialaus- 
gaben  mit  Kommentar  von  Pinzger,  Leipz.  1834;  von  Rehdantz,  Leipz.  1876.  Kritische 
Bearbeitnng  von  Tahlheim,  Berl.  1880, 

268.  Aischines  (389—314)^)  war  der  Sohn  ehrbarer,  aber  in  kleinen 
Verhältnissen  lebender  Eltern,  des  Schulmeisters  Atrometos,  dessen  Name 
die  Schmähsucht  seiner  Gegner  in  Tromes  (Zitterer  statt  Unverzagt)  ver- 
wandelte,^) und  der  Glaukothea,  die  als  Priesterin  von  Mysterien  sich  Geld 
verdiente.  Der  Lebenszeit  nach  war  er  ein  wenig  älter  als  sein  grosser 
Rivale  Demosthenes.  Da  er  nach  seiner  eigenen  Angabe  I,  49  zur  Zeit 
des  Prozesses  wegen  der  Truggesandtschaft  45  Jahre  alt  war,  so  muss  er 
389  geboren  sein.*)  Der  Vater  wusste  aus  allen  seinen  3  Söhnen  etwas 
zu  machen:  der  eine,  Philochares,  wurde  Vasenmaler,  der  andere,  Apho- 
betos,  Stadtschreiber ;^)  auch  Aischines  fing  mit  dem  Schreiberdienst  an, 
wandte  sich  aber  dann  zum  Schauspiel,  wo  er  es  indes  nicht  über  den 
Tritagonisten  brachte.    Vom  Theater  wandte  er  sich  der  öffentlichen  Thätig- 

')  Eine  Erzstatue    des  Lykurg   erwähnt  1    Glaubwürdigkeit    schon    dadurch   verringert 

Paus.  I,  8.  2;   über   die    Basis   eines   Denk-  wird,  dass  von  den  meisten  Vorwürfen  in  der 

j  mals    aus   römischer   Zeit    mit   Avxovqyog  6  Rede  de  fals.  leg.  noch  keine  Spur  sich  findet. 

^riTbiQ  s.  CIA.  III,    944.  ')  Dem.  de  cor.  129. 

2)  Ausser   Ps.   Plut.   de  X  orat.,    einem  "*)  Dass  er  etwas  älter  als  Demosthenes 

I  Kapitel   des    Philostr.  I,  18   und   2  Artikeln  j    war,  ist  angedeutet  Aesch.  III,  2. 

I  des  Suidas    haben  wir  noch  die  Vitae  eines  j            •'')  Nach  Dem.  19,  249  waren  die  Brüder 

j  gewissen  Apollonios   und    eines    Anonymus.  anfangs  Unterschreiber  (r7To;'()«^MjW«rei'oj^ref), 

j  Die  Lebensverhältnisse   sind   entstellt  durch  j    brachten    es    aber    dann    beide    zum  Staats- 

die  Persiflage  des  Dem.  de  cor.  129  ff.,  deren  1   Schreiber  {yqufxfÄcaevg  t(J  (^tjf^M). 


352  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

keit  als  Redner  und  Staatsmann  zu,  nachdem  er  schon  zuvor  als  Soldat  für 
das  Vaterland  mit  Ehren  gekämpft  hatte.  Zum  erstenmal  trat  er  348  nach 
dem  Falle  von  Olynth  auf,  um  den  Zusammentritt  eines  hellenischen  Kon- 
gresses zu  empfehlen,  i)  aber  bald  ging  er  ganz  in  das  Lager  der  Friedens- 
partei über,  die  unter  Eubulos'  Fahne  um  jeden  Preis  einen  Ausgang  aus 
den  kriegerischen  Verwicklungen  suchte.  Wie  wir  schon  bei  Demosthenes 
erzählt  haben,  wirkte  er  als  Gesandter  in  hervorragender  Weise  zum  Ab- 
schluss  des  philokrateischen  Friedens  mit  (346)  und  musste  sich  dann  gegen 
die  Anklage  der  Truggesandtschaft  vor  den  Gerichten  verantworten,  wobei 
er  zuerst  den  Hauptankläger  Timarchos  durch  die  Gegenanklage  ehren- 
rühriger Schamlosigkeit  glücklich  bei  Seite  schob,  dann  aber  dem  Demo- 
sthenes gegenüber  nur  mit  knapper  Not  und  durch  den  Einfluss  seiner 
Fürsprecher  Eubulos,  Phokion  und  Nausikles  der  Verurteilung  entging  (343). 
Im  Jahre  339  war  er  Vertreter  Athens  (Tivkayogag)  bei  dem  Amphiktionen- 
bund  und  spielte  in  seiner  Kurzsichtigkeit  dadurch,  dass  er  die  Ächtung 
der  Amphissäer  bewirkte,  dem  Philipp  die  Entscheidung  griechischer  An- 
gelegenheiten in  die  Hände.  Nach  der  Schlacht  von  Chäronea  (338)  sank 
selbstverständlich  das  Ansehen  seiner  Partei,  und  kam  er  selbst  in  immer 
weiteren  Kreisen  in  den  Verdacht,  von  Philipp  Geld  zum  Verrate  seines 
Vaterlandes  genommen  zu  haben.  Die  Ungunst  seiner  Mitbürger  erfuhr  er 
330  in  dem  gegen  Ktesiphon  wegen  gesetzwidrigen  Antrags  erhobenen 
Prozess,  bei  dem  er  trotz  des  Aufgebotes  aller  Mittel  der  Beredsamkeit 
gegen  Demosthenes  nicht  aufzukommen  vermochte  und  mit  seiner  Anklage 
nicht  einmal  das  Fünftel  der  Stimmen  erhielt.  Da  er  so  der  Atimie  ver- 
fallen war  und  das  Recht,  vor  dem  Volke  aufzutreten,  verlor,  so  verliess 
er  Athen  und  wandte  sich  nach  Ephesos,  später  nach  Rhodos  und  Samos; 
in  Rhodos  soll  er  eine  Rednerschule  eröffnet  haben. 2)  Hier  fand  er  so 
festen  Boden,  dass  er  auch  nach  dem  lamischen  Krieg  nicht  nach  Athen 
zurückkehrte,  sondern  75  Jahre  alt  in  der  Fremde  starb.  2) 

269.  Aischines  verdankt  seinen  Ruhm  bei  der  Nachwelt  dem  Konflikt, 
in  den  er  mit  seinem  berühmten  Gegner  Demosthenes  geriet.  Denn  auf 
uns  gekommen  sind  von  ihm  nur  die  3  Reden,  welche  in  denjenigen  Pro- 
zessen, in  denen  Demosthenes  ihm  gegenüberstund,  gehalten  wurden.  Sie 
sind  uns  erhalten  infolge  der  Aufmerksamkeit,  welche  zu  allen  Zeiten  den 
Entgegnungen  auf  die  demosthenischen  Reden  ttsqI  nagarcgsaßeiag  und  neQl 
aT£(fävov  zugewendet  wurde.  Diese  Vergleichung  gibt  denselben  auch 
heutzutage  noch  ihre  hervorragende  Bedeutung.  Diese  3  Reden  also  sind: 
xaTci  TijudQxov  (1.),  Tcegl  nagaTigsaßsiccg  (2.),  xaxd  KTtjcfKfMVTog  (3.).  Über 
die  Veranlassung  derselben  ist  bereits  oben,  im  Leben  des  Demosthenes, 
gesprochen  worden ;  die  erste  macht  schon  wegen  des  Gegenstandes  einen 
widerlichen  Eindruck;  in  der  dritten  steht  Aischines  doch  allzusehr  der 
hinreissenden   Gewalt   demosthenischer   Beredsamkeit   nach;*)    am   meisten 


')  Dem.  19,  10  u.  303. 

2)  Ps.  Plut.  p.  840  d,  Philostr.  imdSuidas: 
zum  Elementailehrer  lässt  ihn  der  unver- 
lässige  Anonymus  herabsinken. 

^)  Die    75    Jahre    gibt    Apollonios     an, 


Verständnis  einer  Ermordung  durch  Anti- 
pater,  wodurch  freilich  auch  jene  Angabe 
zweifelhaft  wird. 

*)  Die  Rede    des   Aisch.    ist    so    wenig 
aus    einem    Guss    wie    die    des    Dem.;    sie 


verbindet  aber  diese  Angabe  mit  dem  Miss-   {   scheint  zum  Teil  schon   zur  Zeit  der  Klage- 


3.  Die  Beredsamkeit,     f.  Demosthenes  Zeitgenossen.  (§  269—270.)         353 


Lob  verdient  die  zweite,  die  auch  ein  englischer  Praktiker  in  der  Beredsam- 
keit, Lord  Brougham,  für  Aischines'  bestes  Werk  erklärt  hat.  Die  Alten 
kannten  unter  seinem  Namen  noch  eine  delische  Rede,  hielten  dieselbe 
aber  für  unecht,  zumal  der  Rat  des  Areshügels  die  Wahl  des  Aischines 
zum  Vertreter  Athens  in  Dolos  annulliert  und  dem  Hypereides  die  Führung 
der  Sache  der  Athener  aufgetragen  hatte.  Die  12  uns  erhaltenen  Briefe 
sind  unbedeutend  und  machen  den  Eindruck  von  Schul  Übungen.^) 

Die  Codd.  des  Aisch.,  die  auf  einen  schon  stark  interpolierten  Archetypus  zurück- 
gehen, scheiden  sich  in  2  Klassen,  denen  sich  eine  3.  kontaminierte  zugesellt-  Ein  Sterama 
derselben  stellt  Ortner,  Krit.  Unters,  zu  Aisch.  Reden  S.  23  auf.  Ein  Fragment  III,  178—186 
enthält  ein  Papyrus  aus  Fajjum,  worüber  Hartel,  Griech.  Papyri,  Wien  1886  S.  45.  — 
Scholien  haben  sich  verhältnismässig  viele  und  gute  erhalten;  am  besten  sind  dieselben 
herausgegeben  in  der  Ausg.  von  Ferd.  Schultz;  den  Grundstock  bilden  die  Kommentare  von 
Aspasios  und  Apollonios;  s.  Ferd.  Schultz  Jahrb.  f.  Phil.  93  (1866)  S.  289 — 315; 
Freyer,  JDc  scholiorum  Aeschineorum  fontibus,  in  Leipz.  Stud.  V,  239—392,  sucht  als 
Hauptquelle  die  Attikisten  Ailios,  Dionysios  u.  Pausanias  zu  erweisen.  —  Gesamtausgabe 
mit  Kommentar  von  Ferd.  Schultz,  Lips.  1865;  Krit.  Ausg.  von  Weidner  Berol.  1872,  Er- 
klärende Ausg.  der  Ctesiphontea  von  Bremi,  Gotha  1845;   von  Weidner  bei  Weidmann. 

270.  Hypereides,''^)  Sohn  des  Glaukippos  aus  dem  attischen  Demos 
Kollytos,  war  neben  Demosthenes  ein  Hauptvertreter  der  antimakedonischen 
Partei,  zugleich  aber  ein  leichtlebiger  Freund  von  Hetären  und  Tafelgenüssen, 
so  dass  er  fast  eine  stehende  Figur  der  neuen  Komödie  wurde.  ^)  In  die 
Beredsamkeit  durch  Isokrates  eingeführt,^)  wagte  er  sich  bereits  zur  Zeit 
des  Bundesgenossenkrieges  mit  einer  Klage  an  den  damals  allmächtigen 
Staatsmann  Aristophon.^)  Feste  Stellung  zur  Politik  nahm  er  in  der  Hoch- 
verratsklage gegen  Philokrates,  dessen  Verurteilung  er  herbeiführte.  Von 
nun  an  kämpfte  er  als  unerschrockener  und  uneigennütziger  Patriot  an  der 
Seite  des  Demosthenes  gegen  die  feilen  Vaterlandsverräter,  bis  er  sich  von 
diesem  in  der  Sache  des  Harpalos  trennte  und  sogar  als  sein  Ankläger 
auftrat.  Nach  dessen  Verbannung  ward  er  der  ausgesprochene  Führer  der 
Partei,  musste  aber  nach  dem  unglücklichen  Ausgang  des  lamischen  Krieges 
seinen  Patriotismus  mit  dem  Tode  büssen.  Von  dem  Volke  geächtet,  floh 
er  nach  Aegina,  wurde  aber  dort  von  dem  Schauspieler  Archias  ergriffen 
und  vor  Antipater  geführt,  der  ihm  die  Zunge  ausschneiden  und  grausam 
hinmorden  Hess  (322):^)  sein  Leichnam  wurde  unbeerdigt  hingeworfen  und 
erst  später  nach  Athen  gebracht  und  im  Erbbegräbnis  vor  dem  Reiterthor 
beigesetzt. 

Als  Redner  wurde  Hypereides  sehr  hoch  geschätzt;  man  rühmte  an 
ihm  die  Anmut  (x^gig),  wie  an  Demosthenes  die  Kraft  {Ssivottjg).  Der  Ver- 
fasser der  Schrift   vom  Erhabenen   c.  34   vergleicht  ihn  einem  Pentathlon, 


Stellung,  als  Dem.  noch  nicht  Rechenschaft 
über  sein  Amt  abgelegt  hatte,  verfasst  zu 
sein;  s.  Blass  III,  2. 183 fF.  Selbst  Weidner, 
der  so  sehr  für  die  Politik  seines  Aischines 
eintritt,  meint,  man  werde  bei  dem  Lesen 
der  beiden  Reden  an  den  Kampf  des  Riesen 
mit  dem  Zwerge  erinnert. 

1)  Philostr.  Vit.  soph.  I,  18.  4  u.  Phot. 
490a,  34  u.  20a,  8  kennen  nur  9  Briefe; 
3  sind  also  erst  nach  Philostratos  hinzu- 
gekommen. 

2)  Die  Vita  des  Ps.  Plut.  und  der  Artikel 
des    Suidas     bei    Westermann,    Biogr.    gr. 


312-6. 

^)  Ath.  341  e,  wo  er  als  ix(^voni6h]g, 
der  jeden  Morgen  den  Fischmarkt  besucht, 
aufgezogen  wird;  die  4  Hetären,  die  er  an 
verschiedenen  Orten  hatte,  zählt  Ath.  590  c  auf. 

^)  Daneben  wird  er  von  Ps.  Plut.  p. 
848  b  ein  Hörer  des  Lykurgos  und  Piaton 
genannt. 

^)  Hyper.  pro  Eux.  38. 

f')  Nach  andern  (Ps.  Plut.  p.  849  b)  ward 
er  gefoltert  und  hat  sich  dabei  selbst,  um 
nicht  gegen  seine  Freunde  zeugen  zu  müssen, 
die  Zunge  abgebissen. 


Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.    2.  Aufl. 


23 


354 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


weil  er  alle  fünf  Vorzüge  zusammen  besitze  (x^^Qig,  jnty^ihog,  dtrtsiafjiög, 
oixorofiia,  navovQyia);  einige  haben  ihn  sogar  über  Demosthenes  gestellt.^) 
Einer  seiner  römischen  Bewunderer,  der  Redner  Messala  Corvinus,  über- 
setzte seine  Rede  für  die  schöne  Phryne  ins  Lateinische,  wie  das  gleiche 
Cicero  mit  der  Kranzrede  des  Demosthenes  gethan  hatte.  Die  geistvolle 
Freiheit,  mit  der  er  die  Sache  seiner  oft  recht  zweifelhaften  Klienten  und 
Klientinnen  führte,  spricht  sich  in  der  Anekdote  von  der  Phryne  aus:  wie 
andere  im  Epilog,  um  das  Mitleid  der  Richter  zu  erregen,  die  weinenden 
Kinder  des  Angeklagten  vorführten,  so  entblösste  er  am  Schlüsse  seiner 
Rede  die  Brust  seiner  Klientin,  um  durch  den  Anblick  der  Schönheit 
die  Richter  zur  Milde  zu  stimmen.  2)  Reden  hatte  das  Altertum  von  ihm 
77,  von  denen  52  die  Probe  der  Kritik  bestanden.  Noch  zur  Zeit  des 
Matthias  Corvinus  soll  in  Ofen  eine  Handschrift  derselben  existiert  haben, 
aber  dieselbe  ist,  wenn  nicht  überhaupt  ein  Irrtum  vorliegt,  verschollen, 
und  so  war  man  lange  einzig  auf  die  Berichte  der  Alten  angewiesen, 
bis  in  unserem  Jahrhundert  aus  Gräbern  von  Theben  in  Oberägypten 
5  Reden  (xaxd  /irifxoaO^tvovg  vrctq  tmv  ^AQuaksio)}',  virtg  Avx6(fQOvog  dno- 
Xoyia^  VTitQ  Ev'§sv(n7Tov  drcoXoyia  rrgog  JJolvevxTor,  fmTaqtog,  xcctcc  'A^tjvo- 
yi^'vovg)  ans  Tageslicht  gezogen  wurden.  Am  vollständigsten  ist,  neben  der 
erst  allerneuestens  aufgefundenen  Anklagerede  gegen  den  Salbenhändler 
Athenogenes,  die  3.  erhalten,  welche  als  Deuterologie  in  einem  zwischen 
330  und  324  wegen  Verteilung  der  Ländereien  von  Oropos  ausgebrochenen 
Prozess  gehalten  wurde,  und  in  welche  interessante  Mittheilungen  über 
frühere  Rechtsfälle  eingeflochten  sind.  Höheres  Interesse  hat  der  Epitaphios, 
den  Hypereides  zu  Ehren  der  im  lamischen  Krieg  Gefallenen,  besonders 
des  Führers  Leosthenes  hielt,  und  in  der  mit  Anklängen  an  Piaton  die 
Gefallenen  selig  gepriesen  werden  wegen  ihres  ruhmvollen  Loses  und  des 
ehrenden  Empfanges  drunten  im  Hades. ^) 

Der  Papyrus  mit  den  3  ersten  Reden  publiziert  von  Hareis  und  Arden;  dazu  kamen 
später  1856  der  Epitaphios  im  Stobartschen  Papyrus  in  London  und  neuerdings  die  von 
Revilloud  in  der  Revue  des  etudes  grecqaes  1889  veröffentlichte  Rede  gegen  Athenogenes. 
Gesamtausg.  von  Blass  in  Bibl.  Teubn.  ed.  11,   1881. 

271.  Deinarchos,  0  Sohn  des  Sostratos  aus  Korinth,  war  um  342 
als  junger  Mann  nach  Athen  gekommen  und  hier  als  Fremder,  wie 
Lysias  und  Isaios,  zunächst  auf  die  Thätigkeit  eines  Redenschreibers  an- 
gewiesen. Einflussreiche  Stellung  gewann  er  überhaupt  erst  nach  dem 
Hingang  der  grossen  Redner  unter  der  Regierung  des  Demetrios  von 
Phaleron.  Wegen  der  unter  dessen  Ägide  entfalteten  Thätigkeit  ward  er 
307,  als  nach  dem  Einzug  des  Demetrios  Poliorketes  die  demokratische 
Partei  wieder  Oberwasser  bekam,  zum  Tode  verurteilt.  Er  zog  sich  nach 
Chalkis  in  Euböa  zurück,  wo  er  15  Jahre  lang  lebte,  bis  er  292  durch  j 
Verwendung  seines  Lehrers  Theophrast  wieder  die  Erlaubnis  zur  straffreien 
Rückkehr  erhielt.     Li  die  Zeit   unmittelbar   nach  seiner  Rückkehr  fiel  der 


1)  Ps.  Plut.  p.  849 d. 

2)  Ath.  590  e;  der  Komiker  Poseidippos 
(Ath.  591  e),  der  den  Prozess  der  Phryne  auf 
die  Bühne  brachte,  wusste  von  jenem  Kunst- 
griff des  Redners  noch  nichts. 

^)  Ps.  Longin  34  sagt  lobend  von  ihm: 


Tof    ETTiidcpiop    iniösixrixojig    log    ovx   o/cT'  st 
rig  ciXXog  ffts^eto. 

'*)  Ausser  den  allgemeinen  Quellen  die 
wichtige  Spezialschrift  des  Dionysios  über 
Dinarch. 


3.  Die  Beredsamkeit,    f.  Demosthenes  Zeitgenossen.  (§  271     272.)         355 

Prozess  gegen  seinen  ehemaligen  Freund  Proxenos,  den  er  in  einer  dem 
Dionysios  noch  vorliegenden  Rede  wegen  Unterschlagung  seiner  Habe  be- 
langte. Er  war  damals  schon  Greis;  wie  lange  er  diesen  Gerichtshandel 
überlebte,  wissen  wir  nicht.  Als  Redner  bildete  er  keinen  bestimmten 
Charakter  aus  und  ward  deshalb  von  Dionysios  nicht  der  Aufnahme  in  den 
Kanon  gewürdigt.  Wiewohl  er  der  entgegengesetzten  Parteirichtung  als 
Demosthenes  angehörte,  so  suchte  er  doch  die  Kraft  {^sivozi^g)  der  demo- 
sthenischen  Reden  nachzuahmen,  freilich  ohne  sie  zu  erreichen,  wovon  er 
den  Beinamen  xQiOivog  Jrjij.oad^6'vrjg  erhielt.  9  Über  die  Zahl  seiner  Reden 
und  die  Echtheit  derselben  schwanken  die  Angaben.  Ps.  Plutarch  und  Photios 
geben  64,  das  ambrosianische  Verzeichnis  400  (viell.  60),  Demetrios  Magnes^) 
und  Suidas  160,  Dionysios  59  echte  und  27  unechte  an.  Leser  fanden  nur 
diejenigen  Reden,  welche  zu  Demosthenes  in  Beziehung  stunden,  und  so 
sind  auch  nur  3,  welche  auf  die  harpalische  Sache  Bezug  haben,  auf  uns 
gekommen.^)  Die  erste  ist  die  für  Beurteilung  des  Demosthenes  und  der 
Parteiverhältnisse  Athens  äusserst  wichtige  Rede  xavd  JrjfAoa^svovg;  sie 
ward  nach  der  eigentlichen  Anklagerede  des  Hauptanklägers  Stratokies 
gehalten;  um  so  mehr  schweifte  Dinarch  von  der  Sache  ab,  um  sich  in  der 
Verurteilung  der  Politik  des  Demosthenes  und  in  Verunglimpfung  seiner 
Person  mit  schauspielerischem  Pathos  zu  ergehen.  Erklärende  Spezialausg. 
von  Mätzner,  Berol.  1842;  kritische  Ausg.  von  Thalheim,  Berl.  1887. 

212.  Von  sonstigen  Rednern  jener  Zeit  hatte  einen  Namen  Demades, 
ein  witziger  Lebemann  und  feiler  Parteigänger  der  Makedonier,  der  aber 
in  jener  Zeit  des  sittlichen  Verfalls  als  genialer  Redner  und  Erzähler  sich 
eines  ganz  ausserordentlichen  Rufes  bei  seinen  Landsleuten  erfreute.  Von 
ihm  haben  sich  geistreiche  Aussprüche,  Jrj^Kxdsicc,  erhalten,'^)  und  ihm  wur- 
den in  der  Sophistenzeit  14  Reden  untergeschoben,^)  von  denen  eine,  virtq 
Ttjg  SayöfxasTiag,  uns  noch  in  Exzerpten  bekannt  ist.  ^)  Ferner  seien  er- 
wähnt Hegesippos  mit  dem  Spitznamen  Krobylos,  dem  wahrscheinlich  die 
Rede  tt^qI  ^Alovvriaov  angehört;^)  Stratokies,  Hauptankläger  des  Demo- 
sthenes in  dem  harpalischen  Prozess  und  Verfasser  des  Ehrendekrets  für 
Lykurg;  Pytheas,  der  anfangs  auf  Seiten  der  Patrioten  stund  und  sich 
der  Vergötterung  Alexanders  widersetzte,  später  aber  seit  dem  harpalischen 
Prozess  in  den  Sold  der  makedonischen  Herrscher  trat;  Demochares, 
Schwestersohn  des  Demosthenes,  der  280  das  Ehrendekret  für  Demosthenes 
beantragte  und  in  einer  Rede  imtq  2o(foxXt'ovg  jiQog  (DiXcova  den  Antrag  des 
Sophokles  auf  Vertreibung  der  Philosophen  als  geschworenen  Feinden  der 
Volksfreiheit  unterstützte.^)  Ausserdem  haben  wir  aus  ägyptischen  Papyri 
ein   Bruchstück   einer   Rede,   in  der   ein  Feldherr   angegriffen  wird  (wahr- 


^)  Hermog.  p.  413  Sp. ;  dalier  der  la- 
teinische Ausdruck  hordearius  rhetor  bei 
Suet.  rhet.  2. 

'^)  Bei  Dionys.  de  Din.  1. 

3)  Dionysios  will  ihm  auch  die  unter 
Demosthenes  Namen  laufende  Rede  gegen 
Theokrines  zuweisen,  welcher  Annahme  aber 
chronologische  Bedenken  entgegenstehen; 
vgl.  §  205. 

^)  Diese  Ji]y.u^sici  sind  aus  einer  Wiener    i   melte  Müller,  FHG.  II,  445 — .9 

23* 


Hdschr.  nicht  unerheblich  vermehrt  von 
DiELS,  Rh.  M.  29,  107  fF. 

^)  Cic.  Brut.  3G  sagt  noch:  cuius  nulla 
extant  scripta  und  ähnlich  Quintil.  XII, 
10,  49. 

^)  Die  Exzerpte  aus  einem  Palat.  129 
mitgeteilt  von  H.  Haupt  in   Herm.  13,  489  ff. 

')  Siehe  oben  §  260. 

^)  Die  Fragmente  seiner  Historien  sam- 


356  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

scheinlich  Chabrias  von  Leodamas),   weil  er  nach  einem  Seesieg  die  Toten 
zu  bestatten  und  die  noch  Lebenden  zu  retten  versäumt  habe. 

4.  Die  Philosophen.^) 

a.  Anfängre  der  Philosophie. 

273.  Die  Forschungen  über  den  Urgrund  des  Seins  und  die  Gesetze 
des  Denkens  fallen  ausserhalb  des  Bereiches  der  allgemeinen  Litteratur. 
Es  wird  daher  die  Philosophie  der  Griechen  in  der  Regel  als  Gegenstand 
einer  speziellen  Disziplin  betrachtet,  bei  der  dann  auf  den  Inhalt  der  philo- 
sophischen Werke  und  auf  die  allmählichen  Fortschritte  in  der  Erkenntnis 
der  obersten  Gründe  der  Hauptnachdruck  gelegt  wird.  Aber  auch  in  einer 
Geschichte  der  Litteratur  verlangt  die  Philosophie  einen  Platz;  sie  darf  am 
wenigsten  in  einer  griechischen  Litteraturgeschichte  beiseite  gelassen  wer- 
den, weil  sie  einerseits  eine  der  grossartigsten  und  originellsten  Schöpfungen 
des  griechischen  Forschergeistes  ist,  anderseits  bei  den  Griechen  noch  einen 
allgemeineren  Charakter  trug  und  mit  Seiten  der  schönen  Litteratur,  wie 
Rhetorik  und  Poetik,  sich  vielfach  berührte.  Aber  wesentlich  nur  die 
Philosophen,  deren  Schriften  uns  erhalten  sind,  werden  wir  eingehender 
behandeln,  diejenigen  hingegen,  von  deren  philosophischen  Gedanken  wir 
nur  durch  andere  Kenntnis  haben,  entweder  ganz  ausser  Betracht  lassen 
oder  nur  kurz  streifen. 

274.  Eine  Vorstufe  der  griechischen  Philosophie  bildeten  die  Speku- 
lationen der  alten  Theologen,  welche  von  dem  geistigen  Kern  der  über- 
lieferten Religion  ausgehend,  ein  System  der  Weltentstehung  (Kosmogonie) 
konstruierten. 2)  Von  ihnen,  insbesondere  von  Hesiod  und  Pherekydes, 
ist  von  uns  schon  oben  in  anderem  Zusammenhang  gehandelt  worden.  Auch 
die  sogenannten  Sieben  Weisen,  die  ihrer  politischen  Klugheit  und  prak- 
tischen Lebensweisheit  ihre  Berühmtheit  verdankten,  haben  bereits  bei 
anderer  Gelegenheit  (§  88)  Erwähnung  gefunden. 

Die   ersten,    welche   den    Namen   Philosophen  verdienen  und  mit  der 

^)  Haupt-Quellen:  Diogenes  Laert.  1862  -4;  Zeller,  Philosophie  der  Griechen 
tisqI  ^ii(i)v  x(u  doyjucniüi'  rioy  iy  cfiXoaocpia  in  3  Teilen,  3.  Aufl.,  Leipz.  1859 — 68,  4.  Aufl. 
stdoxiu7]ac'(PT(oi^,  10  B,;  Reste  von  des  Por-       im  P]rscheinen;  Zellek,  Grundriss  der  Gesch. 


phyrios  (fiXöaocpog  laxoQia ;  Doxographi  graeci, 
zusammengestellt  von  Diels,  Berl.  1879.  — 
Fragmentensammlungen:  Philos.  graec.  vet. 


der  alten  Philos.,  2.  Aufl.  Leipz,  1886;  Ueber 

weg,  Grundriss  d.  Gesch.  d.  Philos.,  1.  Teil 

das  Altertum,  7.  Aufl.  besorgt  von   Heinze, 


rell.  coli.    Karsten,   Brux.  1832—8;    Fragm.  Berl.  1886;  Prantl,  Übersicht  der  griechisch- 

philos.  graec.  ed.  Mullach,  Paris  1875-81,  röm.Philosophie,  2.  Aufl.  Stuttg.  1863;  Prantl, 

3    vol.   noch    unvollendet;    Historia    philos.  Gesch.  der  Logik  im  Abendlande,  Leipz.  1855, 

graec.   et   rom.    ex   fontium    locis    contexta  .    1.  Band  die  griech.-röm.  Philos.  umfassend; 

cur.  Ritter  et  Preller,    ed.  VI  (1878)  cur.  I   Schwegler,  Gesch.  der  griech.  Phil.,  3.  Aufl. 

Teichmijller,  ed.  VII  (1886)  cur.  Schultess.  :    besorgt  von  Köstlin,   Freib.   1883;  Windel-; 

Werke  z.  Gesch.  d.  Philos,,  ältere:  Jonsius,  band,  Gesch.  d.  alt.  Philos.,  in  diesem  Hand- 

De     scriptoribus      Imtoriae    philo sophicae,  buch  im  11.  Halbband,  Nördl.  1888;  Archiv 

Francof.  1659,  ex  rec.  Dornii  1716;  Tenne-  ;    für  Gesch.   der  Philos.,   herausgegeben   von 

MANN,  Gesch.  d.  Phiios.  (1798),  5.  Aufl.  von  j    Stein,  Berl.  seit  1887. 

Wendt,    Leipz.     1829.    —    Neuere    Werke:  ;            '^)  kristoi.  Met.  l,^:  etol  ^s  xiveg  o"i  xid 

Brandis,  Handbuch  d.  Gesch.  d.  griechisch-  rovg    najunaXalovg    y.cd    noXv    ttqo   jrjg    vvp 

römischen  Philos.  in  3  Teilen  bis  Aristoteles  yeveasoig  y.cd   nQojtovg  &€oXoyij(TccyT(cg  ovrojg , 

incl.,  Berl.    1835—66;    Brandis,    Gesch.  der  j    oioyicansQirrjg  g:vae(og  vnoXccßeTy.  Met.II,4: 

Entwicklungen  der   griech.  Philos,  und  ihre  ol  71€qI  'Haiodoy  xai  ndvieg  oaoi  d^eoloyoi, 

Nachwirkungen  im  röm.  Reich,  2  Bde.,  Berl.  j 


4.  Die  Philosophen,     a.  Die  Anfänge  der  Philosophie.  (§  273-274.)        357 

Verbreitung  naturwissensclmftlicher  Kenntnisse  das  Nachdenken  über  die 
Gründe  des  Seins  anregten,  waren  die  ionischen  Physiologen.  Ihre 
Blüte  fällt  in  dieselbe  Zeit,  wie  die  der  Sieben  Weisen,  in  das  (5.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  In  die  Litteratur  sind  auch  sie  wenig  eingetreten.  Der 
älteste  von  ihnen,  Thaies  von  Milet,  dessen  Zeit  sich  durch  die  von 
ihm  vorausgesagte  Sonnenfinsternis  von  585  bestimmt,  hat  überhaupt  nichts 
schriftlich  hinterlassen.  1)  Der  erste,  von  dem  ein  Buch  erwähnt  wird,  war 
Anaximander  von  Milet,  dem  zugleich  die  erste  Anfertigung  einer  ehernen 
Erdtafel  und  Himmelskugel  {(r(faTQa)  nachgerühmt  wird.^)  Ihm  folgte 
Anaximenes,  der  gleichfalls  eine  Schrift  tv€qI  (fimog  in  ionischer  Mund- 
art verfasste.  Alle  drei  suchten  den  Urgrund  der  Dinge  in  etwas  Mate- 
riellem, indem  der  erste  aus  dem  Wasser,^)  der  zweite  aus  dem  Unendlichen 
(ccTTfiQov),  der  dritte  aus  der  Luft  die  Dinge  entstanden   sein  Hess. 

Über  diese  plumpen  Anfänge  der  Naturerklärung  ging  der  Ausläufer 
der  ionischen  Physiologen,  der  grosse  Denker  Herakleitos  aus  Ephesos 
(um  535  bis  um  475)  weit  hinaus.  Sein  Buch,  das  wegen  der  Dunkelheit 
der  Sprache  verrufen  war,*)  hat  bis  in  die  Zeit  der  Neuplatoniker  hinein 
Leser  gefunden,  so  dass  uns  von  demselben  nicht  wenige  Fragmente  er- 
halten sind.^)  Seine  philosophische  Grundanschauung,  die  sich  gegen  die 
Einheits-  und  Stillstandslehre  der  Eleaten  kehrte,*^)  wurzelte  in  dem  Satze 
von  dem  ewigen  Fluss  der  Dinge  (TTccrra  qsi)  und  von  dem  Krieg  als  dem 
Vater  der  Dinge  {TroXf/nog  TidvTon'  TtaxriQ).  Als  Urstoff  nahm  er  das  Feuer, 
das  feinste  und  geistigste  der  Elemente,  an  und  Hess  die  Dinge  von  diesem 
aus  und  zu  diesem  zurück  einen  doppelten  Weg  gehen  i)]v  xcctm  666v  und  T:r]v 
av(t)  oSör.  Die  Ordnung  der  Bewegung  wird  ihm  aufrecht  erhalten  durch 
die  ewigen,  feststehenden  Naturgesetze,  die  er  nach  seiner  symbolischen 
Sprachweise  unter  dem  Namen  EffiaQiiu'vrj  zusammenfasste.  Unter  den  vielen 
Sentenzen  des  kernhaften,  aristokratisch  gesinnten  Philosophen  findet  sich 
auch  der  goldene  Spruch  7ToXi\aa^rjirj  voov  ov  diSäaxei,  Die  9  unter  seinem 
Namen  uns  erhaltenen  Briefe  rühren  von  einem  hellenistischen  Juden  aus 
der  Zeit  der  Kleopatra  her.'') 


^)  Daher  sagt  vorsichtig  Aristoteles  Met. 
I,  3  p.  984a,  2:    &aXiig   Xeysrat    ovxMg   dno- 

^)  Strab.  p.  7;  nach  Diog.  II,  2  stand  er 
Ol.  58,  2  im  Alter  von  64  Jahren. 

^)  vStatt  des  Wassers  setzte  als  Urstoff  das 


von   „auch"  zu  Ztjvdg  ovofxa  ziehe. 

^)  Heracliti  Ephesii  rcll.  rec.  I.  Bywa- 
TER.  Oxon.  1877;  Schuster,  Heraklit  von 
Ephesus,  Acta  soc.  philo).  Lips.  t.  III;  Pflei- 
DERER,  Die  Philosophie  des  Heraklit  von  Ephe- 
sus im  Lichte  der  Mysterienidee,  Berlin  188(J. 


Nasse   {vyQov)  Hippon   der  Atheist    dessen  Über  ein  neues  Fragment  hervorgezogen  aus 

Zeit  sich  aus  der  Erwähnung  in  den  Panoptai  |    den  XQfjGfiol  tmv  "FXArjvixwv  &e(op  Neumann, 

des  Kratinos  bestimmt.  Herm.  15,  605  f.  Die  neuesten  Leistungen  auf 

^)  Heraklit  selbst  erhielt  davon  den  Bei-  dem  überreichen  Gebiet  der  Heraklitlitteratur 

namen  der  Dunkle  (6  ffxoretj'oV).  Speziell  rügt  ]    bespricht  Cron,   Philol.  N.  F.  Bd.  1  H.  2  -  3. 

Aristoteles  Rhet.  III,  5:  TfrH^«xAf('Tov  Jmd-  \            ^)  Wenn    es    auch    wahrscheinlich    ist, 

T£'|«<.   tQyoi'    did    TÖ    i(&i]Xoy   sivui,    tioteqo)  dass  Heraklit  sein  Buch  vor  dem  Erscheinen 

TiQoaxsiTca  tw  i-arsgoy  ij  t(o  nQoxsQov.    Diese  des  philosophischen    Lehrgedichtes   des  Par- 

Schwierigkeit    begegnet  uns    ausser   in  dem  menides    schrieb,    so   konnte    er    sich    doch 

von  Aristoteles  selbst  angeführten  Satze  joi  \   jedenfalls  schon  gegen  Xenophanes  wenden, 

loyov  tovd'  eovTog  dsi  a^vvsxoi  oi  livd^Qionoi  "')  J.  Bernays,  Die  pseudoheraklitischen 

yiyvovTm,    besonders   in    dem    locus  concla-  Briefe,  ein  Beitrag    zur   philos.  u,  religions- 

matus    eV    to    aocpoy    juoih'oy    Xfysa'^ai    ovy.  geschichtlichen  Litteratur,  Berl.  1869;  Pflei- 

sdelsi  xal  if^eXei   Zrjvog  ovi^of^a   wo  ich  mit  i    derer.  Die  ps.-heraklitischen  Briefe  und  ihre 

Cron  tV  als  Prädikat  fasse  und  xcd  im  Sinne  Verfasser,  Kh.  M.  42,  153  ff. 


358 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Auch  der  Vater  der  zweiten  Richtung  philosophischen  Denkens,  Py- 
thagoras  aus  Samos,  der  um  530  sich  in  Kroton  in  Unteritalien  ansiedelte 
und  Stifter  des  philosophisch-politischen  Bundes  der  Pythagoreer  wurde, 
scheint  selbst  nichts  geschrieben  zu  haben;  schon  das  berühmte  amoq 
8(fa  weist  darauf  hin,  dass  sich  die  Anhänger  unseres  Philosophen 
nur  auf  mündliche  Aussprüche,  nicht  auf  irgend  welche  Schriften  des 
Meisters  berufen  konnten,  i)  Der  erste  Pythagoreer,  der  die  Hauptsätze 
der  Lehre  in  einem  Buche  zusammenfasste,  war  Philolaos,  ein  älterer 
Zeitgenosse  des  Sokrates,  der  nach  Zersprengung  der  pythagoreischen  Ver- 
eine in  Italien  nach  Theben  gekommen  war.  Von  ihm  haben  wir  noch 
umfangreiche  Fragmente  in  dorischem  Dialekt,  für  deren  Echtheit  Böckh 
eingetreten  ist. 2)  Einige  mathematische  und  physikalische  Bruchstücke 
sind  uns  auch  von  Archytas  aus  Tarent,  einem  Freunde  Piatons,  erhalten.^) 
Zweifellos  untergeschoben  ist  die  aus  dem  platonischen  Dialog  ausgezogene 
Schrift  des  angeblichen  Pythagoreers  Timaios  neQi  ipvxäg  xal  (pvaioq.  Die 
Lehre  des  Pythagoras  von  der  Seelen  Wanderung  und  die  in  seiner  Schule 
sich  forterbende  Liebe  zur  Mathematik  und  Harmonik  scheinen  auf  den 
Einfluss  des  Pherekydes  und  der  ägyptischen  Priester,  welche  Pythagoras 
in  seinen  jungen  Jahren  gehört  haben  soll,  zurückzugehen."*)  Die  mathe- 
matischen Studien  brachten  ihn  auf  den  Gedanken,  die  Zahl  und  die  Zahlen- 
verhältnisse, auf  denen  nicht  bloss  die  Harmonie  der  Töne,  sondern  das 
Wesen  {saaia)  aller  Dinge  beruhe,  zum  Prinzip  zu  erheben.  Es  bedeutete 
dieses  einen  grossen  Fortschritt  in  der  philosophischen  Erkenntnis,  da  da- 
mit etwas  Geistiges  anstatt  eines  Materiellen  in  den  Anfang  trat.  Aber 
die  Durchführung  jenes  an  sich  richtigen  Prinzips  artete  bei  den  Schülern 
des  Meisters  in  einen  phantastischen,  spielenden  Mystizismus  aus.^) 

275.  Die  Eleaten  Xenophanes  und  Parmenides  haben  ihre  philo- 
sophischen Gedanken  in  Versen  niedergelegt;  von  ihnen  ist  daher  bereits 
oben  beim  Lehrgedicht  §  74  gehandelt  worden.  Der  Begründer  der  eleati- 
schen  Schule,  Xenophanes  aus  Kolophon,  ging  in  seiner  philosophischen  Lehre 
von  einer  höheren  Auffassung  Gottes  aus  und  bekämpfte,  indem  er  nur 
einen  Gott  annahm  und  diesen  Einen  sich  ewig  gleichbleibend  dachte,  den 
Polytheismus   und  die  anthropomorphen  Vorstellungen  der  Volksreligion.  ^) 


')  Die  Uvx^ctyoQov  /Qvaci  snr}  (neuestens 
herausgegeben  von  Nauck  im  Anhang  des 
Jamblichos)  stammen  aus  halbbarbarischer 
Zeit.  Doch  sind  denselben  ältere,  schon  von 
Chrysipp  bei  Gellius  VII,  2.  12  als  pytha- 
goreisch angeführte  Verse  beigemischt.  Nach 
Diog,  VIII,  6 — 8  waren  noch  andere  Verse 
des  angeblichen  Pythagoras  in  Umlauf;  s.§453. 

'^)  Böckh,  Philolaos  des  Pythagoreers 
Lehre  nebst  den  Bruchstücken  seines  Werkes, 
Berlin  1819.  Neuere  Litteratur  bei  Uebee- 
WEG  S.  54  u.  62. 

^)  BlasS;  De  Archytne  Tarentini  fragm. 
math.  in  Mel.  Graux  p.  573—84. 

*)  Die  Reise  des  Pythagoras  nach  Ägypten 
berichtet  als  ältester  Zeuge  Isokrates,  Bus. 
11;  die  späteren  Zeugnisse  bei  Zeller  I^ 
277  ff.    Auch  die  Lehre  des  Zoroaster  soll  er 


gekannt  haben;  ebenda  S.  275  f.  Dass  auch 
indische  Weisheit  auf  irgend  welchem  Wege 
zu  Pythagoras  gedrungen,  zeigt  Schröder. 
Im  übrigen  darf  jetzt  als  ausgemacht  gelten, 
dass  die  Angaben  der  Späteren  über  Pytha- 
goras Reisen  zu  den  Magiern,  Indern,  Juden 
nicht  aus  geschichtlicher  Erinnerung  stam- 
men, sondern  in  der  pythagoreischen  Legende 
und  der  Verlogenheit  des  Synkretismus  seine 
Quelle  hat. 

^)  Über  die  Fortdauer  der  pythagorei- 
schen Sekte  in  der  alexandrinischen  Zeit  und 
ihr  Neuaufleben  bei  den  Neupythagoreern 
s.  §  453  u.  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  III  ^  2.  79  ff. 

^)  Den  Kern  der  Lehre  enthalten  die 
Verse  eu  ^hsog  tr  xe  S^soTai  xcd  drx^Qionotai 
^EytGTog,  ov  ri  de^uag  ihvrjroTaiv  ofuoUoc: 
ovdi  vorjfxcc.     Vergl.    Ps.  Aristot.   De  Xeno- 


1 


4.  Die  Philosophen.     A.  Die  Anfänge  der  Philosophie.  (§  275.)  ^59 

Parmenides  erwies  in  dem  ersten  Teile  seines  philosophischen  Lehrgedichtes 
jenes  Eins  als  das  allein  wahrhaft  Seiende,  das  ewig  und  unveränderlich, 
denkend  und  gedacht  zugleich  sei,  behandelte  aber  dann  doch  im  zweiten 
Teile  auch  das  Werden  und  Vergehen  oder  die  Welt  der  trügerischen 
Meinung  (So'^a  im  Gegensatz  zu  aXrjO^eia),  indem  er  dieselbe  auf  2,  durch 
den  Eros  zusammengeführte  Prinzipien,  Licht  und  Finsternis  ((päog  xa) 
(TxÖTog  xal  tu  avaioixa^  cegaior  (fxXrjQov  etc.),  zurückführte.^)  Die  Lehren 
des  tiefsinnigen  Meisters  wurden  später  von  seinen  Schülern  Zenon  und 
Melissos  auch  in  prosaischer  Rede  dargelegt  und  weitergeführt. 

Mit  Parmenides  teilt  sein  Zeitgenosse  Empedokles  aus  Akragas  in 
Sikilien  die  Form  der  poetischen  Darstellung;  auch  von  ihm  ist  daher 
bereits  oben  §  74  die  Rede  gewesen.  Die  Philosophie  verdankt  ihm  die 
Unterscheidung  von  Stoff  und  Kraft.  Den  Stoff  bilden  ihm  die  4  Elemente 
[Ttaaaga  tmv  jkxvtmv  Qi^M^aaTa),  die  er  zuerst  unterschied,  aber  noch  alle- 
gorisch mit  Namen  von  Göttern  {Zevg,  ^'Hga,  'AiSwvevg,  Nr^criig)  bezeichnete. 
Die  Kraft  tritt  ihm  in  zwiefacher  Gestalt  auf,  als  Liebe  {(l>iX6Tt]g),  welche 
alles  in  die  eine  Kugel  zusammenführt,  und  als  Streit  (Nflxog),  welcher  das 
Vereinigte  wieder  scheidet,  bis  von  neuem  wieder  die  Liebe  ihr  Werk 
beginnt. 

Von  bedeutendstem  Einfluss  auf  attische  Geistesrichtung  und  Litteratur 
war  unter  den  älteren  Philosophen  Anaxagoras  aus  Klazomenä  (geb.  um 
500).  Derselbe  ist,  indem  er  den  vovg  als  Prinzip  in  die  Philosophie  ein- 
führte, nach  einem  bekannten  Ausspruch  des  Aristoteles  Met.  I,  3  wie  ein 
Nüchterner  neben  Betrunkenen  erschienen.'^)  Im  übrigen  lehnte  er  sich  in 
seinen  Anschauungen  stark  an  Empedokles  an,  an  den  namentlich  sein 
viLiov  TidvTa,  aus  dem  er  alles  Seiende  entstanden  sein  Hess,  erinnerte.  Der 
rationalistische  Zug  seiner  Philosophie  bestand  hauptsächlich  darin,  dass 
er  mit  Ausschluss  aller  Symbolik  seine  Prinzipien  mit  sachlichen,  nicht 
von  den  Göttern  hergenommenen  Namen  bezeichnete.  Während  seines 
langen  Aufenthaltes  in  Athen,  wo  er  anfangs  an  Themistokles,  später  an 
Perikles  mächtige  Gönner  hatte,  trug  er  zur  Verbreitung  religiöser  Auf- 
klärung wesentlich  bei,  bis  er  432/1  infolge  einer  Anklage  wegen  Atheis- 
mus (aa(:ßsia)  die  Stadt  verlassen  musste.  Sein  Einfluss  überdauerte  sein 
Leben;  das  verdankte  er  dem  Fortleben  seines  Werkes  neq!  (fmiog,  das 
noch  zur  Zeit  des  Sokrates  und  Piaton  viel  in  Athen  gelesen  wurde. ^) 

Bereits  eine  ausgedehnte  litterarische  Thätigkeit  entfaltete  neben  dem 
eklektischen  Physiker  Diogenes  von  Apollonia')  der  vielgereiste,^)  von 
seinen  Zeitgenossen  wegen  des  Umfangs  seines  Wissens  angestaunte  Philo- 


'pliane  Zenone  Gorf/ia  c.  3  und  Freuden- 
THAL,  Die  Theologie  des  Xenophanes,  Breslau 
1886,  wonach  bei  Xenophanes  doch  noch 
von  keinem  reinen,  streng  durchgeführten 
Monotheismus  die  Rede  sein  kann. 

')  Zum    zweiten    Teil    geht   Parmenides 
über  mit  den  Versen 

fi'  TW  aoi  navou)  ■niotov  Xoyoi^  /ycTf   v6rjy.ci 
(}(ÄCplg  uX}]x^siag  '  d'6'^ag  d"  und  Tovds  ßgoisiug 
iiävdccvSjXOGfxop  s^uidi'entMi^  u7ifay]X6i'(ly.ovix)v. 
Über  den  platonischen  Dialog  Parmenides  s. 


§288. 

'■^J  Ahnlich  ist  der  Ausspruch  des  Piaton 
Phaed.  97  c. 

')  Plat.  Apol.  '26d;  von  seinem  Einfluss 
auf  Euripides  s.  §  1(33. 

"*)  Wiewohl  aus  Kreta  gebürtig,  schrieb 
er  doch  ionisch. 

')  Er  selbst  bezeugt  bei  Clemens,  ström. 
T,  3)04  seinen  Aufenthalt  in  Ägypten  und 
andern  Ländern. 


360  Griechische  Litter aturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

soph  Demokritos  von  Abdera  (geboren  um  460),^)  der  mit  seinem  älteren 
Genossen  Leukippos  die  materialistische  Atomenlehre  aufbrachte  und  wegen 
seiner  auf  heitere  Seelenruhe  abzielenden  Ethik  bei  den  Späteren  den  Bei- 
namen des  lachenden  Philosophen  {ysläcrovog)  erhielt.  2)  Unter  seinen  zahl- 
reichen, meist  naturwissenschaftlichen  Schriften  in  ionischem  Dialekt,  welche 
später  Thrasylos  in  15  Tetralogien  ordnete,^)  waren  der  fxey^g  StdxoaiLiog'^) 
und  fxixQog  SidxoapLog  und  das  Buch  neql  svO^vnir^g  am  berühmtesten ;  •'^)  wir 
haben  aus  ihnen  nur  wenige  wörtliche  Anführungen,  die  meisten  bei  Sextus 
Empiricus  adv.  math.  VII,  135.  Auch  sprachliche  und  litterarische  Themen 
behandelte  er  in  den  Schriften  n8Ql  ^Oixtjqov,  tisqI  oQ&osnsirjg  xal  yXwaaswv, 
71€qI  Qi]ßdTa)v,  6vop.aarix6v.  Fälschungen  aus  späterer  Zeit  sind  die  auf 
uns  gekommenen  2  Briefe,  die  Bücher  neql  avfxna^siwv  xal  avTiTua^srnv, 
(J^vcrixd  xal  MvfTTixd,  FtMQyixd  xeiQox^xriTa,^)  Ausserdem  haben  sich  aus 
einer  Sentenzensammlung  viele  Kernsprüche  unseres  Philosophen  erhalten."^) 

b.  Die  attische  Periode  der  Philosophie. 

276.  Wie  nach  den  Perserkriegen  Athen  nicht  bloss  die  politische 
Vormacht  Griechenlands,  sondern  auch,  und  in  noch  höherem  Grade,  der 
Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens  der  Nation  überhaupt  geworden  war,  so 
begannen  im  5.  Jahrhundert  auch  die  philosophischen  Regungen  sich  all- 
mählich von  der  Peripherie  Griechenlands  nach  dem  neuen  geistigen  Zentrum 
zusammenzuziehen.  Um  dieselbe  Zeit,  in  der  die  neue  Gattung  der  dra- 
matischen Poesie  in  Athen  zur  Entfaltung  und  Blüte  kam,  ward  der  Boden 
Attikas  auch  zur  Aufnahme  der  verwandten  Gattung  der  prosaischen  Lit- 
teratur  vorbereitet  und  tragfähig  gemacht.  Pythagoreer  hatten  nach  Auf- 
lösung ihres  Bundes  Schutz  und  Stellung  in  dem  hellenischen  Festland 
gefunden;  Parmenides  war  als  Greis  nach  Athen  gekommen,  um  in  der 
Kephissosstadt  seine  Lehre  vom  Eins  und  wahrhaft  Seienden  zu  verkünden; 
Anaxagoras  hatte  geradezu  den  bedeutendsten  Teil  seines  Lebens  in  Athen, 
im  Verkehr  mit  den  einflussreichsten  Männern  der  Stadt  zugebracht.  Aber 
eigentlich  eingebürgert  wurde  die  Philosophie  in  Athen  erst  durch  die 
Sophisten  während  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges. 

Die  Sophisten^)  bereiteten  eine  neue  Richtung  des  Denkens  und  der 
Lebensauffassung  vor,  indem  sie  die  unfruchtbaren  Spekulationen  über  den 
Urgrund  der  Dinge  und  das  Werden  der  Welt  beiseite  lassend,  die  näher- 
liegenden Fragen  der  Ethik,  der  Politik  und  des  Erkennens  mit  subjektiver 
Denkfreiheit  erfassten  und  in  geschmückten,    mehr  auf  den  Schein  als  die 

^)  Sein     Leben     reichte    nach     Seneca   \  *)  Der  (xeyag  dtdxoa/uog  wurde  von  Theo- 


Quaest.  nat.  7,  16  über  373  herab;  s.  Diels, 
Rh.  M.  42,  1  ff.;  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  I*, 
761  ff. 

■')  Aelian  V.  H.  IV,  20;  Suidas  u.  Jf]- 
fioxQixog;  Anth.  VII,  56;  Hör.  ep.  II,  1.  194; 
Seneca  de  tranqu.  an.  15;  Lucian  vit.  auct. 
18;  Juvenal  X,  33. 

^)  Diog.  IX,  45.     Auch   Schüler  hinter- 


phrast  dem  Leukippos  beigelegt;  s.  Diog. 
IX,  46. 

^)  Aus  der  Schrift  nsgl  svSv^irjg  schöpfte 
Seneca,  De  tranquillitute  animi,  worüber 
HiKZEL,  Herrn,  14,  354  ff.  Die  schönsten 
Sentenzen  aus  Demokrit  sind  zusammenge- 
stellt von  Ritter-Pkeller,  Hist.  phil.  n.  158. 

6)  Vgl.  Meyer,  Gesch.  d.  Botanik  I,  277. 


Hess   Demokrit,    darunter    den    Anaxarchos,  I  ')  Vergleiche  unten  §  578. 

den  Gefährten   Alexanders;    siehe    Gomperz,  |  ^)  Grote,  Hist.  ofGreece  VIII,  474— 544; 

Anaxarch  u.  Kallisthenes,  in  Comm.  in  hon.  i  Schanz,  Beiträge  zur  vorsokratischen  Philo- 

Momms.  471-86.  |  sophie,  Gott.  1867. 


I 


4.  Die  Philosophen,     b.  Die  attische  Periode  der  Philosophie.  (§276.)      361 


Wahrheit  berechneten  Vorträgen  [iTiiSsi^eic)  verbreiteten.  Der  Hauptver- 
treter dieser  neuen  Weisheit  war  Protagoras  aus  Abdera  (geb.  um  485), i) 
der  wie  die  meisten  Sophisten  ein  Wanderleben  führte,  Athen  aber  zum 
Hauptsitz  seiner  prunkenden  Thätigkeit  wählte,  2)  bis  er  um  411  der  Gott- 
losigkeit angeklagt,  aus  Athen  fliehen  musste  und  auf  der  Flucht  nach 
Sikilien  im  Meere  den  Tod  fand.^)  Nächst  ihm  war  am  einflussreichsten 
Gorgias  aus  Leontini,  der  427  als  Gesandter  seiner  Vaterstadt  nach  Athen 
kam  und  über  den  Tod  des  Sokrates  (399)  hinaus  als  Lehrer  und  Fest- 
redner den  Samen  der  Rhetorik  und  Sophistik  in  Hellas  ausstreute.*)  Diesen 
beiden  Hauptträgern  der  Sophistik  reihten  sich  Hippias  aus  Elis  und 
Prodi  kos  aus  Keos  an,  die  als  jüngere  Zeitgenossen  neben  jenen  gefeierten 
Lehrern  in  Athen  und  anderen  Städten  Griechenlands  das  neue  Evangelium 
der  Aufklärung  und  subjektiven  Lebensauffassung  predigten. 

Der  Einfluss  dieser  Männer  auf  den  Geist  der  Zeit,  auf  die  Loslösung 
vom  Glauben  an  das  Überlieferte,  auf  die  gänzliche  Umgestaltung  der  Er- 
ziehung und  des  Unterrichtes  ^)  war  ein  enormer,  dem  der  Enzyklopädisten 
im  vorigen  Jahrhundert  vergleichbar;  aber  ihre  Stellung  in  der  Litteratur 
und  im  positiven  Fortschritt  des  Wissens  ist  gering.  Das  liegt  zum  grossen 
Teil  darin,  dass  sie  ihre  Anschauungen  weniger  durch  Schriften  als  durch 
Vorträge  und  hochbezahlte  Lehrkurse  ^)  verbreiteten.  Von  Hippias  werden 
mehr  geschichtliche  und  rhetorische  {avayqaifri  'OXvfXTiioviyiMv  und  TQmxog 
Xoyog)  als  philosophische  Schriften  angeführt.  Gorgias  hatte  ohnehin  seine 
Stärke  in  den  Reden,  neben  denen  seine  dialektische,  an  die  Lehre  der 
Eleaten  anknüpfende  Schrift  ttsqI  tov  ^rj  ovTog  r]  tt^qI  (fvascog "')  zurücktrat. 
Von  Prodikos  kennen  wir  nur  ein  Buch  'ügai,  in  dem  der  schöne  Mythus 
von  Herakles  am  Scheideweg  stund.  Protagoras  war  nicht  bloss  der 
philosophischste  Kopf  unter  den  Sophisten,  er  hat  auch  am  meisten  von 
ihnen  geschrieben ;  8)  von  zweien  seiner  Schriften  kennen  wir  die  Anfänge, 
in   denen    zugleich   die   Hauptsätze    seiner  Lehre    enthalten   sind:    nävjwv 


^)  Frei,  Quaestiones  Protagoreae,  Bonn 
1845. 

^)  In  Athen  verkehrte  er  im  Anfang  des 
peloponnesischen  Krieges  mit  Perikles;  dann 
verliess  er  wieder  Athen,  um,  als  Kallias 
Herr  seines  Vermögens  geworden  war,  wieder 
dorthin  zurückzukehren. 

^)  Vor  411  oder  vor  die  Zeit  des  Rates 
der  Vierhundert  setzt  die  Anklage  gegen 
Protagoras  Müller-Strübing,  Jahrb.  f.  Phil. 
121,  84.  Einen  der  Vierhundert,  Pythodoros, 
nennt  als  Ankläger  Aristoteles  bei  Diog.  IX, 
54.  Über  seine  Hauptschrift  KaraßccXkovres 
oder  \4vTiXoyix('c  oder  'AXtjS^SLcc  s.  I.  Bernays, 
<4es.  Abh.  I,  117—121. 

')  Vgl.  oben  §  242. 

")  Bergk,  Gr.  Litt.  IV,  830:  Bisherhatte 
sich  der  Unterricht  auf  Musik,  Gymnastik 
und  die  Elemente  des  Lesens,  Schreibens  und 
Rechnens  beschränkt;  alles  was  darüber 
hinausging,  suchte  sich  der  einzelne  selbst 
im  öffentlichen  Leben  anzueignen.  Jetzt 
nahmen  die  Sophisten  den  wissenschaftlichen 


Unterricht  der  Jugend  in  die  Hand;  die  Ju- 
gend, die  seit  alters  in  den  Gymnasien  und 
Ringschulen  den  Leibesübungen  oblag,  sollte 
jetzt  in  der  Palästra  der  Sophistik  geschult 
werden,  welche  zu  ihren  Vorträgen  gerade 
jene  Gymnasien  mit  Vorliebe  wählten. 

^)  Protagoras  und  Gorgias  haben  für 
den  Kurs  einen  Lohn  von  100  Minen  ge- 
nommen; s.  Diog.  IX,  52;  Diodor  XII,  53; 
Suidas  unt.  Gorgias.  Prodikos  gab  in  der 
Grammatik  {nsQi  oQxi^ötrjxog  ovo^äTOJv)  einen 
Kurs  für  50  u.  einen  kürzeren  für  1  Drachme. 

"')  Der  Inhalt  -dieser  Schrift  steht  bei 
Sext.  Empir.  adv.  math.  VII,  55  ff.  und  Ps. 
Aristot.  de  Melisso ;  er  gipfelt  in  den  Sätzen : 
ttqöjxov  özi  ovdsp  eariv,  dethsQoy  oti  €1  xal 
tariv,  dxardXrjnrov  dpx^QconM,  rqixov  ort  ei 
xal  xccTcc'kfjnrov,  «AAor  rot  y''  civs^oiaxov  xcd 
dfEQfX'^vevxov  X(o  neXag. 

^)  In  ionischem  Dialekt  ist  das  längere 
Fragment  bei  Plutarch,  Consol.  ad  Apoll.  33 
geschrieben. 


362  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

j(Qrji(xiwr  fieTQor  ai'^QMirog,  to)i>  fitr  oriMV  wg  saii^  twv  6t  fitj  övxwv  ok 
ovx  eanr  und  ttsqI  /lui'  d^ewv  ovx  f'xo)  eiStvcu  ovO-'  ok  darr,  ovO^'  wg  ovx 
eiair.  Auch  für  die  Entwicklung  der  grammatischen  Terminologie  waren 
seine  Schriften,  wie  die  ttsqI  oQ^^osirsiag,  von  Wichtigkeit;  er  unterschied 
zuerst  die  4  Aussageformen  (tqotjoi,  modi):  svxoyXrj  (Optativ),  SQükrjaig, 
anoxQiaig,  evToXrj  (Imperativ),  und  die  3  Geschlechter:  aggsra,  ^rjXea,  axtinj. 
In  der  philosophischen  Theorie  ging  er  von  dem  heraklitischen  Satz  vom 
ewigen  Fluss  der  Dinge  aus,  indem  er  damit  den  weiteren  verband,  dass 
unser  Wissen  lediglich  auf  sinnlichen  Wahrnehmungen  beruhe J)  Dadurch 
gelangte  er  zu  einem  ausgeprägten  sensualistischen  Skeptizismus,  wonach 
es  nichts  Festes  und  Bleibendes,  weder  in  den  Dingen  noch  im  Wissen 
gibt,  und  wonach  wir  nur  sagen  können,  wie  die  Dinge  uns  jedesmal  zu 
sein  scheinen,  nicht  was  sie  immer  und  was  sie  an  sich  sind.  Da  er  auf 
solche  Weise  eine  objektive  Wesenheit  der  Dinge  leugnete,  so  ward  ihm 
der  Mensch  zum  Mass  der  Dinge  in  seinen  positiven  wie  negativen  Aus- 
sagen. Der  rhetorische  Charakter  seiner  Philosophie  drückte  sich  in  dem 
verrufenen  Satze  aus,  er  verstehe  die  Kunst,  die  geringere  Sache  zur  bes- 
seren zu  machen  [tov  tjttco  Xöyov  x^bittm  noieiv),  natürlich  mit  den  Ver- 
drehungen der  Rhetorik  und  den  Winkelzügen  sophistischer  Dialektik. 

Neben  den  längeren  Vorträgen  wurde  von  den  Sophisten  auch  die 
bereits  von  Zenon  und  den  Eleaten  gepflegte  Kunst  des  Disputierens  [Sia- 
XsxTixrj)  betrieben,  die  bei  ihnen  meist  in  Rechthaberei  [sQKrrtxrj)  ausartete. 
Von  solchen  Disputationen  wurden  mit  der  Zeit  auch  Aufzeichnungen  ge- 
macht; eine  derselben,  JiaXs^sig  r^d^ixai  betitelt,  in  dorischem  Dialekt  aus 
der  Zeit  nach  Athens  Fall  ist  uns  zufällig  erhalten.  2)  Als  Verfasser  der- 
selben ist  Mystas  (v.  1.  Mymas)  genannt,  unter  welchem,  wahrscheinlich 
verderbten  Namen  die  einen  den  Pythagoreer  Simmias,  die  anderen  den 
Schuster  Simon  erkennen  wollen. 3) 

Mit  den  grossen  Sophisten  des  5.  Jahrhunderts  starb  die  Sophistik 
nicht  aus,  sie  lebte  noch  im  4.  Jahrhundert  neben  Piaton  und  teilweise 
selbst  neben  Aristoteles  fort;  aber  sie  brachte  keine  namhaften  Männer 
mehr  hervor.  Zu  den  Vertretern  der  jüngeren  Sophistik  gehören  Thra- 
sy machos  aus  Chalkedon,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Sokrates,  bekannt  als 
rhetorischer  Rechtsverdreher  aus  Piatons  Republik;  Polykrates,  der  im 
J.  395  eine  Anklageschrift  gegen  Sokrates  schrieb;  die  eristischen  Klopf- 
fechter Euthydemos  und  Dionysodoros,  die  Piaton  mit  unübertroö'ener 
Ironie  im  Dialog  Euthydemos  verspottet  hat;  Bryson  von  Heraklea, 
aus  dessen  dialektischen  Dialogen  Piaton  vieles  entnommen  haben  soll 
(Ath.  p.  508  d). 

277.    Sokrates   (um   469  —  399),    Sohn   des  Bildhauers  Sophroniskos 


1)  Diog.  IX,  51:  rÄsys  ^t^rev  elvm  nagd  I  Fünf  Abhdl.  z.  gr.  Philos.  (1883)  S.  119— 3S,  I 

T«V    c(ia&?JGstg.     Die    Erkenntnistheorie    des  |  und  von  Blass,  Jahrb.  f.  Phil.  1881  S.  739;  j^ 

Protagoras   lernen   wir   am  besten  aus  dem  |  Simon   von   Teichmüller,   Litterar.  Fehden 

platonischen  Dialog  Theätet  kennen.  i  des  4.  Jahrh.  II,  97,  wo  auch  der  Text  der  } 

'^)  WiLAMowiTz,    Ind.    Gott.    1889   p.    9  ;  Schrift  mit  Übersetzung  gegeben  ist.     Über  ' 

weist   nach,    dass    die   Schrift    um  400    von  j  die  Codd.    und    die  Fmendation    der  Schrift 

einem  liyzantier   oder  Rhodier   verfasst  sei.  s.  Schanz,  Herrn.   19,  3(39  ff. 

•^)  Simmias  ward  vermutet  von  Bergk,  | 


4.  Die  Philosophen,     b.  Die  attische  Periode  der  Philosophie.  (§  277.)      363 

und  der  Hebamme  Pliainarete,  aus  dem  Demos  Alopeke  bei  Athen,  war  der 
erste  grosse  Denker  Athens,  der  originellste  und  weiseste  Mann  des  ganzen 
Altertums.  Wie  alle  grossen  Männer  der  alten  Zeit,  stand  er  mitten  im 
Volke  und  versäumte  über  philosophischem  Nachdenken  nicht  seine  Pflichten 
als  Bürger  und  Mensch.  Er  hatte  von  seinem  Vater  die  Bildhauerkunst 
erlernt,  und  am  Eingang  zur  Akropolis  zeigte  man  später  noch  die  von 
ihm  gefertigten  drei  Chariten.^)  Im  peloponnesischen  Krieg  trug  er  für 
sein  Vaterland  die  Waffen  und  focht  tapfer  bei  Potidäa,  Delion  und  Amphi- 
polis;  im  Jahre  406  trat  er  als  Prytane  mutvoll  für  die  mit  dem  Todes- 
urteil bedrohten  Feldherrn  der  Schlacht  bei  den  Arginusen  ein.  Ver- 
heiratet hatte  er  sich,  auch  darin  den  Bürgerpflichten  nachkommend,  mit 
einer  Athenerin  Xanthippe.  Philosoph  von  Profession  war  er  so  wenig, 
dass  er  nichts  schrieb,  nie  um  Geld  lehrte,  in  seinem  ganzen  Auftreten  die 
Regeln  der  Schulweisheit  verleugnete.  Noch  weniger  kann  bei  ihm  von 
dem  Anschluss  an  eine  bestimmte  Schule  die  Rede  sein;  er  hatte  wohl  den 
Protagoras,  Archelaos  und  Parmenides  gehört  und  war  in  den  Schriften 
der  älteren  Philosophen  nicht  unbewandert, 2)  aber  seine  Denkweise  war 
ebenso  originell,  wie  seine  Lehrweise.  Mit  den  Sophisten  teilte  er  die 
gleiche  Richtung  des  philosophischen  Denkens :  von  ihm  konnte  man  ebenso 
wie  von  den  Sophisten  rühmen  quoä  pliilosopliiam  devocavif  e  caelo  et  in 
urbihus  collocavit;^)  von  ihm  gilt  geradeso  wie  von  den  Sophisten,  dass  er 
jede  Beschränkung  der  Denkfreiheit  durch  die  Schranken  dogmatischer 
Überlieferung  von  sich  wies  und  in  den  richtig  entwickelten  Denkgesetzen 
allein  die  Quelle  richtigen  Wissens  erblickte.  Es  war  daher  nicht  ganz 
zu  verwundern,  wenn  er  von  fernerstehenden  unphilosophischen  Köpfen 
mit  den  Sophisten  in  einen  Topf  geworfen  und  für  das  von  jenen  an- 
gerichtete Unheil  verantwortlich  gemacht  wurde.  Wer  aber  tiefer  blickte, 
sah  den  grossen,  gewaltigen  Unterschied:  Sokrates  lehrte  nicht  um  Lohn, 
sondern  folgte  in  seinem  Verkehr  mit  der  Jugend  nur  dem  inneren  Drang 
seines  Geistes ;  ^)  er  war  in  der  Einfachheit  seines  Wesens  hoch  erhaben 
über  jeder  Anwandlung  des  Hochmutes  und  der  Eitelkeit;  er  verschmähte 
die  Prunkreden  der  Sophisten  und  suchte  statt  dessen  mit  der  Hebammen- 
kunst (fjiai&vTixrj)  seiner  Mutter,  durch  schlichte  Fragen  die  Wahrheit  aus 
den  Jünglingen  herauszulocken;  in  seinem  Bekenntnis  des  Nichtwissens 
barg  sich  zwar  ein  Stück  der  gerühmten  sokratischen  Ironie,  aber  es  war 
ihm  doch  heiliger  Ernst  mit  dem  Satze,  dass  durch  Erkenntnis  der  früheren 
Selbsttäuschung  sich  jeder  erst  den  Weg  zu  besserem  Wissen  bahnen  müsse. 
Den  Boden  des  subjektiven  Erkennens  hatte  er  mit  den  Sophisten  gemein, 
aber  aus  einzelnen  Vorstellungen  sollte  durch  richtige  Deduktion  das  Wissen 
höherer  Wahrheiten  gewonnen  und  so  von  der  66^a  zur  iKiörri^ri  fort- 
geschritten werden.  Als  den  grossen  Fortschritt  der  sokratischen  Philo- 
sophie  bezeichnet    daher    richtig    Aristoteles  5)    die    induktive    Erkenntnis- 


1)  Paus.  I,  22.  8;  IX,  35.  7. 

'')  Xen.  Memor.  I,  1.  14;  IV,  7.  6. 

^)  Cic.  Tusc.  disp.  V,  4.  10;  Acad.  post. 


gucker  machte;  s.  §  189. 

*)   Diog.     II,    65:     \4QLaxi7inog    ntfiipag 


I,  4.  15.     Völlige  Unkenntnis  der  Natur  der       stnövrog    IioxQurovg    ro  diajj.6riov  uvtio   fn] 

sokratischen  Denkweise    war    es,    dass   Ari-       ETurQeneiy. 

stophanes    in    den  Wolken    ihn    zum   Stern-    j  ^)  Arist.    Met.    XIII,  4:    (h'o   ydq   iaiiy 


304  Griechische  Litteraturgeschichtp.     I.  Klassische  Periode. 

methode  und  die  Entwicklung  allgemeingültiger  Definitionen.  Diese  betrafen 
aber  zunächst  nur  das  Gebiet  der  Sittenlehre,  in  der  er  von  der  Anschauung 
ausging,  dass  die  Tugend  auf  Wissen  oder  der  richtigen  Einsicht  in  das, 
was  tapfer,  gerecht,  besonnen  etc.  sei,  beruhe.^)  Bei  seinen  Jüngern  er- 
zeugte das  Zusammenarbeiten  in  der  Herausschälung  richtiger  Erkenntnisse 
enthusiastischen  Weisheitseifer  und  schwärmerische  Zuneigung  zu  dem  ge- 
liebten Lehrer.  Aber  die  bornierten  Anhänger  des  Alten  und  die  Vertreter 
verletzter  Eitelkeit,  Meletos,  Anytos  und  Lykon,  benützten  die  verkehrte 
Meinung,  welche  die  Komiker  von  der  Richtung  der  sokratischen  Philosophie 
unter  der  Menge  verbreitet  hatten,  und  die  Misstimmung,  welche  nach 
der  Rückkehr  des  Demos  gegen  Alkibiades  und  Kritias,  die  Schüler  und 
Freunde  des  Sokrates,  herrschte,  um  den  einzigen  Mann  in  seinem  70.  Lebens- 
jahre mit  einer  Klage  wegen  Verführung  der  Jugend  und  Einführung  neuer 
Götter  zu  belangen.  Zum  Tode  mit  schwacher  Majorität  verurteilt,  trank 
er  im  Kerker  den  Giftbecher  im  Mai  399.  Der  Tod  des  Unschuldigen, 
wie  er  uns  von  Piaton  im  Phaidon  mit  ergreifender  Wahrhaftigkeit  ge- 
schildert ist,  hat  das  Ansehen  des  edlen  Weisen  nur  erhöht  und  die  Ge- 
meinde seiner  Schüler  und  Verehrer  nur  zu  engerem  Anschluss  an  den 
geliebten  Meister  zusammengeführt.  Sokrates  wirkte  durch  die  schlichte 
Wahrheit  seiner  Lehre  und  die  mit  dem  Tod  besiegelte  Lauterkeit  der 
Gesinnung  wie  ein  gottgesendeter  Religionsstifter.  Er  legte  den  Gedanken 
an  eine  solche  Sendung  seinen  Jüngern  nahe  durch  die  Berufung  auf  das 
Daimonion,  das  er  als  die  in  seinem  Linern  vernehmbare  Stimme  der  Gott- 
heit befrage,  so  oft  er  etwas  wichtiges  zu  thun  im  Begriffe  stehe,  er  be- 
währte sich  aber  zugleich  dadurch,  dass  er  jeden  Schein  wunderwirkender 
Kraft  von  sich  ferne  hielt,  als  echten  Sohn  Athens. 

278.  Sokrates  hat  selbst  nichts  geschrieben, 2)  aber  er  hat  einen  reichen 
Samen  ausgestreut,  der  in  seinen  Jüngern  aufgegangen  ist  und  reiche  lit- 
terarische Früchte  trug.  Es  haben  insbesondere  seine  Schüler  die  Gespräche, 
die  er  mit  den  verschiedensten  Leuten  und  über  die  verschiedensten  Gegen- 
stände hielt,  aufgezeichnet  und  der  Nachwelt  überliefert.  So  reihen  sich 
an  Sokrates  die  Sokratiker  und  die  ^wxQaTixol  köyoi  an.  Dem  grössten 
der  Sokratiker,  Piaton,  widmen  wir  einen  eigenen  Abschnitt,  von  dem 
sokratischen  Historiker  Xenophon  ist  bereits  oben  gehandelt  worden;  hier 
stellen  wir  das  Hauptsächlichste  über  die  übrigen  Sokratiker  und  ihre 
Schulen  kurz  zusammen.^) 

Ai  seh  in  es  aus  Sphettos  schrieb  sokratische  Dialoge,  die  mit  beson- 
derer Treue  die  Manier  des  Sokrates  wiedergaben.  Unter  der  grösseren 
Anzahl  der  unter  seinem  Namen  in  Umlauf  befindlichen  Dialoge  wurden 
nur  7  [Mdziddrjg,  KaXh'ag,  'A^ioxog,  'Aanaaia,  'AXxißiddrjc,  Tr^Xavyrjg,  'Pivmv) 
für  echt  befunden  (Diog.  H,  61);  erhalten  hat  sich  von  ihnen  keiner. 


u  rtg  av  anodoit]  ^oDXQdrsi,    tTtxraw?    toi'g  t'    |    ab,    die    er    im    Kerker    in  Verse    gebracht 
inaxTixovg  loyovg  xccl  t6  oQlCear^ai  xax^ölov^ 
vgl.  ibid.  I,  6  and  De  part.  anim.  I,  1. 

M  Xen.    Meni.    III,    9.    4:    aotpov    xai 
awffQovu  exQiVE  •  ecf^r]  re  xul  r^v  6iy.aioovr7]i^  ='}  Diog.    II,    04:     nurrm'    fxsrToi-    rior 

■/.cd    Ti]u    uXXrji'    Tiaaav  äQ£T7)v  aocpiav  Sivdi.    1    iMXQatixior  dudöywv  llavctiriog  ahjS^Eig  sivai 

2)  Ich  sehe  von  den  äsopischen  Fabehi    I    doxel    rovg     mdnorog,    Sevocpiüvrog,    'Avri- 


haben  soll.  Ausser  Betracht  bleiben  ohnehin 
die  unechten  Briefe  des  Sokrates  und  der 
Sokratiker. 


4.  Die  Philosophen,    b.  Die  attische  Periode  der  Philosophie.  (§  278.)      305 

.  Euk leides  aus  Megara,  der  die  sokratisclie  Lehre  vom  Guten  mit 
der  eleatischen  vom  Sein  und  Eins  verband  und  zuerst  den  Namen  siStj 
(Ideen)  in  die  Philosophie  einführte,  ^  pflegte  den  Dialog  als  Werkzeug  der 
Dialektik.  Wir  haben  nichts  von  ihm;  das  Altertum,  das  6  Dialoge  von 
ihm  besass,  war  über  die  Echtheit  derselben  in  Zweifel  (Diog.  II,  64). 
Unter  den  späteren  Häuptern  der  megarischen  Schule  gelangte  Stilpon 
(um  380 — 300),  der  sich  den  ethischen  Ansichten  der  Kyniker  zuneigte, 
seine  Stärke  aber  im  Disputieren  hatte,  zu  besonderem  Ansehen;  auch  von 
ihm  zirkulierten  9  Dialoge,  die  aber  Diog.  II,  120  als  spitzfindig  und  frostig 
(ipvxQf^O  bezeichnet. 

Phaidon  aus  Elis,  nach  dem  der  gleichnamige  Dialog  des  Piaton 
benannt  ist,  schrieb  gleichfalls  Dialoge;  die  2  als  echt  anerkannten  hiessen 
ZamvQog  und  ^ifiwv  (Diog.  II,  105).  2)  Die  von  ihm  in  Elis  gegründete 
Schule  wurde  von  Menedemos  im  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  nach  Eretria 
verpflanzt. 

Antisthenes  aus  Athen,  Hörer  des  Gorgias,  dann  des  Sokrates,  war 
Gründer  der  kynischen  Schule,  welche  von  dem  Gymnasium  Kynosarges, 
wo  der  Stifter  lehrte,  ihren  Namen  hatte.  In  der  Lehre  und  in  den  zahl- 
reichen Schriften  trat  er,  der  Vertreter  der  Eristik  und  Dürftigkeitsmoral, 
vielfach  in  Feindschaft  zu  Piaton,  dessen  Ideenlehre  er  ins  Lächerliche  zog, 
und  den  er  in  dem  Dialoge  ^d3(ov  ^)  auch  persönlich  verspottete.  Auf  der 
anderen  Seite  Hess  es  auch  Piaton  nicht  an  Ausfällen  fehlen ;  im  Euthy- 
demos  verhöhnte  er  unter  fremden  Namen  die  unfruchtbaren  Haarspaltereien 
der  antisthenischen  Eristik.  Die  Alten  hatten  von  ihm  zahlreiche  Schriften, 
geordnet  nach  sachlichen  Gesichtspunkten  in  10  Bänden.*)  Auf  uns  ge- 
kommen sind  unter  seinem  Namen  2  unbedeutende  Deklamationen  Al'ag 
und  'Odva(r€vg.^)  Von  dem  Dialoge  ÄQx^Xccoq  1]  nsql  ßaaiXsiag  gibt  den 
Hauptinhalt,  dass  nicht  Geld  und  Macht,  sondern  nur  sittliche  Tüchtigkeit 
den  Menschen  wahrhaft  glücklich  mache,  ein  Rhetor  der  Kaiserzeit,  Dion 
Chrysostomos  in  der  13.  Rede  wieder.*^)  Schüler  des  Antisthenes  war 
Diogenes  vonSinope  (gestorben  323,  an  demselben  Tag  wie  Alexander  d.  Gr.), 
eine    originelle   Bettelmönchfigur,    zu  welcher  schriftstellerische  Thätigkeit 


^ai^Mvog  xcd  EvxXsidov,  ror?  cT'  aXXovg  dpcuQsT. 

0  Gegen  Eukleides  scheint  nämlich  ge- 
richtet zu  sein  Plat.  Soph.  p.  246b:  ol  ngog 
((VTovg  afxcpiaßrjxovvxEg  {xala  evlaßiüg  aviod^EP 
£$  aogäiov  nod^ep  ufxvporTcn,  vorjxd  dtza  xcd 
«(TcouciTcc  eiÖ7]  ß(cX6fZ6Poi  xrjv  dXf]&ivi^v  ovaiav 
sJvai.  Vgl.  Zeller,  Gesch.  d.  gr.  Phil.*  11, 
1.  252  ff. 

•^)  Andeutungen  über  den  nach  dem 
Schuster  Simon  benannten  Dialog  lljucoi^ 
geben  der  12.  u.  13.  Brief  der  Sokratiker, 
worüber  Wilamowitz,  Herrn.  14, 187  ff.  u.  476  f. 

=')  Vgl.  Ath.  220  d  u.  507  a;  gegen  die 
Lehre  des  Antisthenes  sind  gerichtet  ausser 
dem  Euthydem  die  Stellen  in  Theät.  155  e 
u.  Soph.  251b,  vielleicht  auch  der  Spott  auf 
den  Schweinestaat  in  Polit.  II  p.  372  d.    Über 


seinen  Dialog  KvQog  tj  ttsqI  ßaaiXeiag^  mit 
dem  er  den  Anstoss  zur  Kyropädie  des  Xeno- 
phon  gab,  s.  oben  §  226.  Der  Name  läd^iov 
erinnert  an  den  Brief  des  Augustus  an 
Horaz  in  dessen  Vita:  iyiter  alios  iocos 
purissimuni  penem  et  homuncionem  lepi- 
clissimum  adpellat. 

^)  Das  Verzeichnis  steht  bei  Diogenes 
VI,  15;  vgl.  DüMMLER,  Antisthenica,  Halle 
1882;  SusEMiHL,  Jhrb.  f.  Phil.  135  (1887) 
S.  207—14. 

^)  Ihre  Echtheit  verteidigt  gegen  mannig- 
fache Anfechtungen  Blass,  Att.  Bereds.  II, 
311  ff. 

^)  Dieses  hat  scharfsinnig  erschlossen 
Usener  bei  Dümmler,  p.  10  aus  der  Ver- 
gleichung  des  Verzeichnisses  der  Werke 
des  Antisthenes  und  Dion  p.  424  u.  431  R. 


366 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


nicht  gut  passte.     Die  ihm  beigelegten  Schriften  wurden  bereits  von  Sosi- 
krates  und  Satyros  für  unecht  erklärt  (Diog.  VI,  80). 

Aristippos  aus  Kyrene  war  Antipode  des  Antisthenes  und  Vater 
der  kryenaischen  Lehre  von  dem  vernunftgemässen  Lebensgenuss.  Beide 
stimmten  darin  überein,  dass  sie  die  Philosophie  auf  die  Untersuchung  über 
die  Tugend  und  das  beste  Leben  beschränkten,  die  Fragen  nach  dem  Wissen 
als  überflüssig  oder  doch  gleichgültig  ablehnten.^)  Wenn  Aristoteles  Met. 
p.  996a  32  den  Aristippos  einen  Sophisten  nennt,  so  hängt  diese  respekt- 
widrige Benennung  wohl  damit  zusammen,  dass  derselbe  einerseits  nach 
Sophistenart  um  Geld  lehrte,  2)  anderseits  mit  der  Annahme,  dass  einzig 
die  Eindrücke  {näd^rD  der  Dinge  auf  uns  massgebend  seien,  sich  zum 
Sensualismus  des  Protagoras  bekannte.  Mit  Piaton,  dessen  Philebos  haupt- 
sächlich gegen  ihn,  ohne  dass  sein  Name  genannt  sei,  gerichtet  ist,  kam 
er  in  Sikilien  an  dem  Hofe  des  Dionysios  zusammen.  Seine  teils  in  atti- 
schem, teils  in  dorischem  Dialekt  abgefassten  Dialoge  werden  von  Diog. 
II,  84  aufgezählt.  Die  Lustlehre  des  Aristipp  schlug  in  einem  jüngeren 
Vertreter  der  kyrenaischen  Schule,  in  Hegesias  mit  dem  Beinamen  o 
TisKTi^dvaTog,  der  zur  Zeit  des  Ptolemaios  Lagu  lebte,  in  vollständigen 
Pessimismus  um,  indem  derselbe,  an  der  Erreichung  der  Glückseligkeit 
{svdmfiiovfa)  verzweifelnd,  die  durch  den  Tod  am  sichersten  zu  erreichende 
Empfindungslosigkeit  für  das  beste  hielt. *'^) 

c.  Piaton  (427—347).^) 

279.  Piaton,  Sohn  des  Ariston  und  der  Periktione  aus  dem  attischen 
Demos  Kollytos,  ^^)  erblickte  im  Jahre  427  am  7.  Thargelion  (Mai),  welcher 
Tag  in  seiner  Schule  auch  später  noch  festlich  begangen  wurde,  das  Licht 
der  Welt.^)     Seine  Familie  gehörte   zu   den   altadeligen  Geschlechtern  des 


^)  Sext.  Emp.  adv.  math.  VII,  11: 
(foxovai  &£  xard  rii'ag  xcd  oi  und  rrjg  Kv- 
Qijyt]g  ^övov  (landCsox^ai  t6  tjx^ixop  ^EQog^ 
7i«Q(f.7j^^nEiv  df  To  cpvaiy.ov  y.cd  t6  loyixov 
wq  fj,t]d6y  TTQog  to  ev^ai^ovMg  ßiovy  avi'SQ- 
yovvra.  Aristot.  Met.  B  2  p.  996-'^  32:  tmp 
aocfLOTMi^  xii'sg  oiov  ^Aglaximrog  nQosTDßd- 
xit,sv  avTug  sc.  Tag  utj&rjfxaxixug  £7nazt']jAag' 
ii^  /uiy  yc<Q  Tcag  dXXaig  rs/fcag  xcd  rcdg 
ßayccvaoig,  oiov  iv  Tsxrovixf]  xal  axvTixfj. 
t^toTi  ße'Aiioy  rj  /eTgov  l^yeoihai  nana,  rag 
&£  ficcd^ijfxaiixdg  ov^iva  noisTod^ai  Xoyov  nsQl 
dyad^iov  xal   xaxöjv. 

'')  Diog.  II,  65:  nQioiog  tmv  iMxgari- 
xiop  fj.iGx9oi'g  stasnQd'^aro. 

^)  Cic.  Tusc.  I,  34;  PJut.  de  araore  pro- 
lis  5;  Diog.  II,  93. 

^)  Quellen:  Diog.  1.  III;  Olympiodor, 
Vita  und  Prolegomena  zu  Alkibiades;  Apu- 
leius,  De  dogmate  Piatonis.  Zurückgehen 
diese  Biographien  auf  Speusippos'  Eyxiofiiov 
JlXdriopog,  Philippos  den  Opuntier,  der  nach 
Suidas  nsQl  TlXdzoivog  schrieb,  auf  die  Pla- 
toniker  Xenokrates  und  Hermodoros,  und 
auf  die  Briefe  unter  Piatons  Namen.  — 
Neuere    Darstellungen:    Ast,    Piatos    Leben 


u.  Schriften,  Leipz.  181G;  K.  Fr.  Hermakn, 
Geschichte  und  System  der  platonischen 
Philosophie,  Heidelberg  1839;  Steinhart, 
Piatos  Leben  im  9.  Band  der  Übersetzung  von 
Müller,  Leipz.  1873;  Grote,  Plato  and  t}ie 
other  companions  of  Socrates,  Lond.  1865, 
3  vol. ;  H.  V.  Stein,  Sieben  Bücher  z.  Gesch.  d. 
Piatonismus,  Gott.  1862— 4, unvollendet.  Son- 
stige Litt,  bei  Ueberweg,  Gesch.  d.  Phil.  I,  §  39. 
Andere  Litteratur  über  Piatons  Schriften  siehe 
unten  S.  371  An.  3. 

'")  Da  der  Vater  des  Piaton  ein  Acker- 
los in  Aegina  hatte,  so  Hessen  ihn  einige 
nach  Diog.  III,  3  aus  Aegina  stammen. 

^)  Die  Angaben  der  Alten  gingen  von 
dem  Todesjahr  unter  dem  Archen  Theophilos 
Ol.  108,  1  aus  und  kamen  von  da  zu  etwas 
abweichenden  Resultaten,  je  nachdem  sie 
den  Philosophen  80  oder  81  oder  84  {IIJ 
=  84  wohl  verlesen  aus  IIA  =  81)  Jahre  alt 
gestorben  sein  Hessen:  s.  Diels,  Rh.  M.  31, 
41  f.  u.  Zeller,  Gesch.  d.  gr.  Phil.^  II.  1. 
390  f.  Als  sein  Glück  pries  es  Piaton  be 
Plut.  Mar.  46  als  Hellene  und  zur  Zeit  des 
Sokrates  geboren  worden  zu  sein:  vgl.  Lac- 
tant.  Inst.  div.  III,  19. 


4.  Die  Philosophen,    c.  Piaton.  (§  279.)  367 

Landes;  sein  Vater  rühmte  sich  ein  Kodride  zu  sein;  ^)  seine  Mutter  war 
eine  Schwester  des  Charmides  und  Geschwisterkind  des  Kritias,  der  als 
vielseitiger  Schriftsteller  und  als  einer  der  Dreissig  eine  hervorragende 
Rolle  in  der  Geschichte  Athens  spielte.  An  Geschwistern  hatte  er  zwei 
leibliche  Brüder,  Adeimantos  und  Glaukon,  deren  Andenken  er  in  der  Re- 
publik verewigte,  und  eine  Schwester  Potone,^)  deren  Sohn  Speusippos  das 
Erbe  des  Philosophen  in  der  Akademie  antrat.  Einem  Halbbruder  Antiphon, 
Sohn  des  Pyrilampes,  begegnen  wir  im  Eingang  des  Parmenides.  Er  selbst 
soll  anfangs  den  Namen  seines  Grossvaters  Aristokles  geführt  und  erst  von 
seinem  Lehrer  in  der  Gymnastik  wegen  seines  breitschulterigen  Körperbaus 
den  Namen  Piaton  bekommen  haben.'') 

Als  Sohn  einer  angesehenen  Familie  und  jüngerer  Verwandte  hoch- 
gebildeter Männer  erfreute  er  sich  in  seiner  Jugend  aller  Vorteile  edler 
attischer  Jugenderziehung.  Li  der  Musik,  Gymnastik,  Malerei  erhielt  er 
Unterricht;  in  der  Gymnastik  brachte  er  es  so  weit,  dass  er  bei  den 
isthmischen  Spielen  im  Ringen  einen  Sieg  gewann. 4)  Auch  in  der  Musik,  die 
damals  zugleich  die  Poesie  umfasste,  ging  er  über  das  blosse  Lernen  hinaus 
und  dichtete  selbst  Dithyramben  und  Tragödien.'')  Epicharmos  und  Sophron 
bildeten  auch  später  noch  seine  Lieblingslektüre;  den  ersteren  soll  er  stets 
unter  seinem  Kopfkissen  gehabt  haben. 0)  Hohe  poetische  und  mimetische 
Begabung  spricht  auch  aus  der  scenischen  Einkleidung  seiner  Dialoge  und 
aus  der  Stellung  des  Mythus  in  seiner  Philosophie.  Aber  indem  er  den 
natürlichen  Hang  zum  poetischen  Spiel  mit  Gewalt  zu  Gunsten  der  Philo- 
sophie in  sich  unterdrückte,  eiferte  er,  gleichsam  seiner  ersten  Liebe  zum 
Trotz,  um  so  heftiger  gegen  den  nachteiligen  Einfluss,  den  die  erheuchelte 
Leidenschaft  der  Tragiker  auf  die  Seelen  der  Menschen  übe,  und  verbannte 
die  Dichter  mitsamt  dem  Homer  aus  seinem  Idealstaat.  0  In  der  Philo- 
sophie hörte  er  nach  dem  Zeugnis  des  Aristoteles  Met.  I,  6  als  junger 
Mensch  den  Herakliteer  Kratylos,  zu  dessen  Andenken  er  später  den  Dialog 
Kratylos  schrieb.^)  Vom  20.  Lebensjahre  an  schloss  er  sich  dem  Sokrates 
an,^)  dem  er  bis  zu  dessen  Lebensende  in  innigster  Verehrung  ergeben 
blieb.  Seine  eigene  Philosophie  wollte  er  nur  als  Ausfluss  der  sokratischen 
Weisheit  betrachtet  wissen,  weshalb  er  den  Sokrates  zum  Träger  des 
Gesprächs    in    seinen  Dialogen    machte    und  dieselben  geradezu  ^MXQarixol 


^)  Diog.  III,  1 ;  Apul.  1 ;  die  Annahme  |  V.  H.  II,  30.  Fabel  ist  es,  wenn  ihn  Dio- 
einer  Abkunft  von  Selon  bei  Olympiodor  genes  wegen  der  Dünne  seiner  Stimme  der 
scheint  sich  auf  Timaios  p.  20 e  zu  stützen,       tragischen  Kunst  entsagen  lässt. 


wo  Kritias  den  Solon  einen  Freund  seines 
TiQÖnunnog  jQMTjidrjg  nennt. 

2)  Nach  einigen  bei  Diog.  III,  1  hiess 
Potone  auch  die  Mutter  des  Piaton. 

2)  Diog.  III,  4.  Anders  deutete  der 
Sillograph  Timon  bei  Ath.  505  e  den  Namen 
Tlh'aMv.  indem  er  ihn  mit  nXcaro)  in  Ver- 
'  bindung  brachte:  oJf  avenXccxiE  Ilhhwv  6 
TTsnlao^iva  Oav/uaTa  eidttig.  Wahrscheinlich 
ist  das  alles  eitel  Faselei. 

'')  Diog.  III,  4  nach  dem  Zeugnis  des 
I  Dikäarch. 


6)  Diog.  III,  18;  Olymp.  3:  Valerius 
Max.  V,  7. 

^)  Meisee,  Zu  Piatos  Phaedr.,  Protag., 
Theätet,  München  1864;  Reber,  Piaton  u. 
die  Poesie,  Münch.  1864.  Wie  sehr  die 
Liebe  zur  Poesie  und  zu  Homer  in  seinem 
Innern  fortdauerte,  zeigt  sein  eigenes  Ge- 
ständnis Rep.  607  c. 

^)  Piaton  selbst  bezeugt  dieses  im  Phae- 
don  p.  96  a,  freilich  ohne  den  Namen  Hera- 
klit  zu  nennen. 

^)  Hermodoros  bei  Diog.  III,  6  lässt  ihn 


''}  Diog.    III,   5;    Olympiodor  3;    Aelian   {    8  Jahre  (407-399)  mit  Sokrates  verkehren. 


368 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Xöyol  nannte.  1)  Erst  in  späteren  Jahren  trat  er  auf  seinen  sikilischen 
Reisen  in  engere  Beziehungen  zu  den  Pythagoreern  und  gestattete  diesen 
bedeutenden  Einfluss  auf  seine  philosophischen  Anschauungen;  auf  die 
Eleaten  war  er  schon  früher  während  seines  Aufenthaltes  in  Megara  durch 
den  Dialektiker  Eukleides  hingewiesen  worden. 

Bei  einem  gesunden,  kräftigen  Mann,  wie  Piaton  war,  verstand  sich 
in  den  kriegerischen  Zeiten,  in  welche  sein  beginnendes  Mannesalter  fiel, 
die  militärische  Dienstleistung  für  das  Vaterland  von  selbst.  Aber  in  den 
Angaben  des  Diogenes  III,  7,  dass  er  das  erste  Mal  gegen  Tanagra,  das 
zweite  Mal  bei  Korinth,  das  dritte  Mal  bei  Delion  im  Felde  gestanden  sei, 2) 
ist  Falsches  mit  Wahrem  gemischt.  Dass  er  als  Reiter  gedient  habe,  macht 
die  genaue  Pferdekenntnis  im  Phaidros  p.  253  d,  die  weit  über  das  Mass 
eines  Laien  hinausgeht,  wahrscheinlich.  Dem  politischen  Leben  hielt  er 
sich  fern.  Familientraditionen  und  eigene  Überzeugung  hatten  ihn  zum 
entschiedenen  Gegner  der  Demokratie  gemacht;  aber  nachdem  die  Opti- 
maten,  denen  er  im  Herzen  zugethan  war,  zur  Zeit  der  Dreissig  einen  so 
schnöden  Missbrauch  mit  der  Gewalt  gemacht  hatten,  zerfiel  er  überhaupt 
mit  dem  politischen  Leben  Athens. 3) 

280.  Reisen.  Von  Athen  entfernte  sich  Piaton  zum  erstenmal  nach 
dem  tragischen  Ende  des  Sokrates.  Den  letzten  Stunden  des  teueren  Lehrers, 
die  er  später  im  Phaidon  so  ergreifend  geschildert  hat,  konnte  er  selbst 
infolge  eigener  Erkrankung  nicht  beiwohnen.^)  Aber  bald  darauf  verliess 
er  mit  anderen  Freunden  aus  Furcht  vor  weiteren  Verfolgungen  die  Stadt 
und  begab  sich  nach  Megara,  wo  sich  um  Eukleides  ein  Kreis  Gleich- 
gesinnter sammelte.^)  Im  Eingang  des  Theaetet  hat  er  später  der  Liebens- 
würdigkeit, mit  der  sich  jener  der  Sokratiker  annahm,  ein  schönes  Denk- 
mal gesetzt.  Der  Umgang  mit  Eukleides  scheint  ihn  nicht  bloss  auf  die 
Schriften  der  Eleaten  hingewiesen,  sondern  auch  die  Keime  der  Ideenlehre 
in  ihm  geweckt  zu  haben.  Wahrscheinlich  von  Megara  aus  ß)  unternahm  er 
dann  seine  Reisen  nach  Kyrene  und  Ägypten.  Nach  Kyrene  ward  er  durch 
den  Mathematiker  Theodoros  gezogen,  den  er  zu  Athen  in  den  Kreisen  des 
Sokrates  kennen  gelernt  hatte.  ^)  Von  da  besuchte  er  vielleicht  auch  das 
alte  Wunderland  Ägypten,  dessen  alte  Weisheit  schon  vor  ihm  den  Selon 
und  Herodot  angezogen  hatte  und  von  der  er  bereits  im  Phaidros  nähere 
Bekanntschaft  zeigt.  ^) 


')  Übertrieben  heisst  es  im  2,  Brief 
p.  314c:  ovdey  noinoT^  iyio  ttsqI  xovroiv 
yeyQaq)a  ovd'  ean  avyyQa^fxa  UXchiavog 
ovdev  oi'd"  eaxca,  tu  de  vvv  lsy6fA,spct  2'w- 
XQcicTovg  eoTi  xaXov  xcd  reov  yeyovorog.  Der 
Titel  I(i)XQcaixol  Xöyoi  bei  Aristot.  Poet.  1 ; 
Rhet.  III,  16;  Polit.  II,  6;  Ps.  Plato  epist. 
9  p.  363a;  Ath.  505c;  Diog.  II,  64;  III,  18. 

2)  Aelian  V.  H.  VII.  14  spricht  richtiger 
nur  von  Tanagra  und  Korinth.  Die  Herein- 
ziehung der  Schlacht  bei  Delion  beruht  offenbar 
auf  Verwechselung  des  Piaton  mit  Sokrates. 

^)  Nach  dem  7.  Brief  p.  325  c  brach  er 
die  Beziehungen  zu  den  Optimaten  ab,  nach- 
dem Sokrates  von  den  Dreissig  aufgefordert, 


einen  Bürger  zum  Tode  abzuholen,  sich  dem 
ungerechten  Befehle  widersetzt  hatte. 

4)  Plat.  Phaed.  p.  59b. 

^)  Diog.  II,  106:  nqog  EvxXsidrjy  cpyjolv 
6  'EQfj.6d(x)Qog  ucpixea&ai  JlXÜTiova  xal  roig 
Xotnoi^g  (piXoaocpovg  fierd  tiju  ZiaxQKXovg  rs- 
?,6VTr]y  deiaavTug  rrjv  cjfj.6Tr]ra  tüjp  xvQc'ivvMi^. 

6)  Diog.  III,  6;  vgl.  den  7.  Brief  p.  329  a. 

')  Theodoros  ist  einer  der  Hauptträger 
des  Dialogs  im  Tbeätet. 

^)  Noch  genauere  Kenntnis  von  Ägyptens 
Weisheit  zeigt  Piaton  im  Timäus  u.  Kritias; 
s.  meine  Plat.  Stud.  S.  55  (507)  ff.  Da  im 
7.  Brief  von  dieser  Reise  nach  Ägypten 
keine  Erwähnung  geschieht,  so  haben  Neuere 


4.  Die  Philosophen."  c.  Piaton.  (§  280.)  369 

Eine  grössere  Rolle  in  seinen  Lebensgescliicken  spielen  die  Reisen 
nach  Sikilien,  wo  damals  die  Dionysioi  ebenso  wie  ehedem  Hieron  Philo- 
sophen und  Dichter  an  ihren  Hof  zu  ziehen  suchten.  Dreimal  besuchte  er 
die  dreieckige  Insel  und  Italien,  worüber  wir  den  besten  Aufschluss  durch 
den  7.  Brief  erhalten.^)  Zum  erstenmal  kam  er  dorthin,  als  er  nahezu 
40  Jahre  alt  war,  also  um  388,  in  den  letzten  Zeiten  des  korinthischen 
Krieges.  Den  Anziehungspunkt  bildete  gleich  bei  der  ersten  Reise  der 
König  Dionysios  von  Syrakus,  dessen  Schwager  Dion  ein  glühender 
Verehrer  Piatons  und  der  sokratischen  Philosophie  war.  Aber  Piaton 
fand  bei  seinem  Freimut  wenig  Eingang  am  Hof:  von  Dionysios  dem 
spartanischen  Gesandten  übergeben,  lief  er  sogar  Gefahr,  in  Aegina  als 
Sklave  verkauft  zu  werden. 2)  Die  zweite  Reise  unternahm  er,  durch 
denselben  Dion  veranlasst,  bald  nach  dem  Tode  des  älteren  Dionysios  (368) 
in  der  Hoffnung,  den  jungen  König  für  die  Philosophie  und  seine  politischen 
Ideale  zu  gewinnen.  Aber  als  sich  der  König  mit  Dion  aus  eifersüchtigem 
Argwohn  überwarf  und  denselben  vom  Hofe  verbannte,  musste  Piaton  froh 
sein,  sich  der  peinlichen  Lage  durch  Rückkehr  nach  Athen  entziehen  zu 
dürfen.  Gleichwohl  Hess  er  sich  nochmals  verleiten,  der  wiederholten  Ein- 
ladung des  jüngeren  Dionysios  Folge  zu  leisten  und  zum  drittenmal  die 
Fahrt  nach  der  Charybdis  zu  wagen  (361  0).  Aber  dieses  Mal  richtete  er 
noch  weniger  aus;  eine  Aussöhnung  des  Königs  mit  Dion  vermochte  er 
nicht  zu  erwirken  und  bei  dem  König  und  seinen  Generalen  verleumdet, 
kam  er  selbst  in  Lebensgefahr,  welcher  er  nur  durch  Vermittelung  seiner 
Freunde  in  Tarent  entkam.  Die  politischen  Absichten  des  Philosophen  bei 
seinen  Reisen  nach  Syrakus  scheiterten  auf  solche  Weise  gänzlich,  aber 
von  dauernder  Bedeutung  waren  die  Verbindungen,  die  er  in  Italien  mit 
den  Pythagoreern,  besonders  mit  Archytas,  anknüpfte. 3)  Dieselben  steigerten 
in  ihm  die  Neigung  zu  mathematischen  und  physikalischen  Studien'')  und 
beeinflussten  seine  philosophischen  Anschauungen  derart,  dass  in  seinen 
späteren  Schriften  die  Einfachheit  der  sokratischen  Lehre  immer  mehr  gegen 
die  Subtilität  der  Eleaten  und  die  mystische  Spekulation  der  Pythagoreer 
zurücktrat.^) 


die  ganze  Reise  angezweifelt.     Übertriebene   j    III,  18  von  Piaton  aus  Syrakus  nach  Athen 


Vorstellungen  von  ägyptischen  Einflüssen 
hegten  freilich  die  Späteren,  wie  Clemens 
Alex,  ström,  I,  303;  auch  Strabon  schon 
p.  806  berichtet  Fabelhaftes  von  einem  ge- 
meinsamen. 13  Jahre  dauernden  Besuche 
der  Stadt  Heliopolis  durch  Piaton  und  Eu- 
doxos.  Lactantius  Inst.  IV,  2  lässt  den 
Piaton  auch  zu  den  Magiern  und  Persern 
reisen. 

')  Ausserdem  Diog.  III,  18  ff".;  Plut. 
Dion.  10  ff.;  Cornelius  Nepos,  Dio  3. 

2)  Diodor  XV,  7;  Ath.  p.  507  b;  Diog. 
III,  19;  Plut.  Dio  5  u.  de  tranqu.  an.  12. 
Der  7.  Brief  schweigt  von  jener  Gefahr. 

^)  Über  den  Ankauf  der  Schrift  des 
Pythagoreers  Philolaos   berichtet  Hermippos 


bringen.  Einfluss  sikilischer  Gelehrten  zeigt 
sich  in  seinen  Angaben  über  Theognis,  s. 
§  90  u.J  254  An. 

*)  Über  die  wahrscheinlich  erdichtete 
Aufschrift  seines  Hörsaales  „fxtjdelg  dysot- 
fXETQriTog  sioiro)''  berichten  David,  Schol.  in 
Arist.  26a  10,  Philop.  de  an.  D.  6,  Tzetzes 
Chil.  VIII,  972.  Die  berühmte  Stelle  Rep. 
VIII,  p.  546  über  die  geometrische  Zahl  gibt 
heutzutag  noch  den  Mathematikern  Rätsel 
auf;  s.  CuRTZE,  Jahrb.  d.  Alt.  XII,  3.  13  ff. 
^)  Die  Zahlenlehre  der  Pythagoreer  muss 
nach  Aristoteles,  Metaph.  I,  6,  in  den  Vor- 
trägen des  Piaton  in  seinen  späteren  Lebens- 
jahren noch  eine  viel  grössere  Rolle  gespielt 
haben  als  in  seinen  späteren  Schriften;  vgl. 

bei  Diog.   VIII,  85   und  Timon   bei   Gellius   I   Trendelenburg,  Plafonis  de  ideis  et  nunieris 

III,  17.     Auch  Sophron's  Mimen  lässt  Diog.    \   doctrhia,  1837. 

Haudbucb  der  klass.  Altertuniswiasenschaft.  VII.     2.  Aufl.  2  { 


370 


Griechische  Litteraturgeschichie.     1.  Klassische  Periode. 


281.  Schulgründung.  Der  Dichter  verlangt  nach  Hörern,  die  sich 
an  seinen  Schöpfungen  erfreuen,  der  Philosoph  nach  Schülern,  die  ihm  und 
seiner  Lehre  anhängen.  Zur  Zeit  Piatons  war  zwar  mit  der  grösseren 
Ausdehnung  des  Buchhandels  auch  schon  die  Möglichkeit  gegeben,  durch 
Schriften  Anhänger  für  philosophische  Lehren  zu  werben;')  aber  die  Haupt- 
sache blieb  doch  noch  der  mündliche  Verkehr  des  Meisters  mit  seinen 
Schülern.  Sokrates  hatte  sich  nach  der  ganzen  Anlage  seiner  Natur  mehr 
auf  zwanglose,  halb  gelegentliche  Gespräche  mit  jungen  Männern  beschränkt; 
Piaton  ging  wohl  auch  vom  freien  Verkehr  mit  Einzelnen  aus,  errichtete 
aber  bald  eine  förmliche  Schule,  in  der  die  Jünger  sich  regelmässig  um 
den  Meister  scharten.  Dazu  wählte  er  den  etwa  20  Minuten  vor  dem 
Thore  Dipylon  gelegenen,  mit  Gymnasium  und  Parkanlagen  ausgestatteten 
Platz,  der  von  dem  Heros  Akademos  den  Namen  Akademie  hatte.  Daneben 
erwarb  er  einen  eigenen  Garten,'^)  in  den  er  sich  zu  stilleren  Studien  und 
zu  geselligen  Zusammenkünften  mit  dem  engeren  Kreis  seiner  Schüler 
zurückzog.  3)  Die  Gründung  der  Akademie  wird  von  Plutarch,  de  exilio  10 
mit  der  Rückkehr  des  Philosophen  von  seiner  ersten  sikilischen  Reise  in 
Verbindung  gebracht  und  fällt  vermutlich  in  die  Zeit  des  antalkidischen 
Friedens  (387).*)  Bald  drängten  sich  um  den  verehrten  Lehrer  edle  Jüng- 
linge aus  allen  Teilen  Griechenlands,  daneben  der  Sage  nach  auch  eine 
wissbegierige  Frau  Axiothea  aus  Arkadien  in  Männergewand. ^)  An  Rivali- 
täten mit  anderen  Schulen  und  Schulleitern,  wie  mit  dem  Sokratiker  Anti- 
sthenes  und  dem  Rhetor  Isokrates,  fehlte  es  auch  nicht,  zumal  Piaton  bei 
aller  Idealität  seiner  Anschauungen  doch  im  Verkehr  mit  andern  nicht  frei 
von  Eifersucht  und  Animosität  war.^)  Neben  dem  Lehrberuf  war  es  die 
schriftstellerische  Aufgabe,  die  Piatons  Zeit  in  Anspruch  nahm.  Doch 
sollten  seine  Schriften  keine  gesonderte  Stellung   neben   seiner  mündlichen 


^)  Belehrend  ist  Plat.  Apol.  p.  2Gd  über 
die  Bücher  des  Anaxagoras. 

2)  Diog.  III,  5  u.  20;  Pliit.  de  exilio 
10;  vgl.  Hermann  S.  121. 

2)  In  die  Akademie  oder  die  Schule 
Piatons  stiftete  später  Mithridates  eine  von 
Silanion  gearbeitete  Statue  des  Piaton,  auf 
die  wohl  die  sitzende  Statue  des  Philosophen 
und  seine  Büste  (s.  Helbtg,  Jahrb.  d.  arch. 
Instit.  I  (1886)  71  ff.  und  Abbildung  im 
Anhang)  zurückgehen.  In  dem  Garten  be- 
fand sich  seit  alters  ein  Altar  der  Musen 
und  die  Gruppe  der  Chariten,  worauf  sich 
die  Erzählung  bei  Plutarch  Coniug.  praec.  28 
stützt,  dass  Piaton  dem  Xenokrates  geraten 
habe,  den  Chariten  zu  opfern.  Von  den  Sym- 
posien in  der  Akademie  rühmte  man,  dass 
man  sich  nach  ihnen  auch  am  nächsten  Tage 
wohl  fühle;  s.  Ath.  419c.  Vgl.  Usenek,  Or- 
ganisation der  wissenschaftlichen  Arbeit,  in 
Preuss.  Jahrb.  1884;  Wilamowitz,  Phil.  ünt. 
IV,  283  ff. 

')  Eusebios  zu  Ol.  97,  4  =  389/8:  Plato 
philosophus  agnoscitur,  was  sich  aber  auch 
auf  die  1.  Reise  Piatons  nach  Sikilien  be- 
ziehen   kann;    auf   das    13.  Jahr  nach  dem 


Tod  des  Sokrates,  also  387/6,  führt  die  Notiz 
bei  Strabon  p.  806.  Schwerlich  hat  mit  der 
Schulgründung  etwas  zu  thun  die  Nachricht 
des  Eusebios  zu  Ol.  101,  3  =  374/3:  Plato  et 
Xenofon  necnon  et  alii  Socratici  clari  haben- 
tur,  die  sich  auf  die  Stelle  irgend  eines 
Historikers  bezogen  haben  wird. 

5)  Diog.  III,  46,  IV,  2;  Themist.  or.  XXII; 
unter  den  Schülern  nennt  Plut.  adv.  Col. 
auch  den  Chabrias  und  Phokion. 

^)  Gegen  Antisthenes  ist  gerichtet  der 
Euthydem,  besonders  p.  301a  und  der  So- 
phistes  p.  251;  gegen  Isokrates  der  Schluss 
des  Euthydem;  über  das  gespannte  Ver- 
hältnis zu  Xenophon  s.  §^229.  Vgl.  Dionysios 
epist.  ad  Pompeium:  tjy  juey  r^  UXcaiovog 
(fvaei  7io'A}.(<g  (cQsrdg  exovgj^  to  cpilori^or. 
Heftige  Vorwürfe  erhebt  gegen  Piatons  Cha- 
rakter Theopomp  bei  Ath.  508  c,  Aristoxenos 
bei  Diog.  III,  37  und  57,  besonders  Hege- 
sander bei  Ath.  507a.  Bei  seinen  Vor- 
trägen begegnete  ihm  dasselbe,  wie  so  man- 
chem akademischen  Lehrer  unserer  Tage, 
dass  ihm  die  Mehrzahl  der  Schüler  nicht 
bis  zum  Schlüsse  aushielt;  siehe  Aristoxenos 
Harm.  II,  30. 


4.  Die  Philosophen,     c.  Platon.  (§  281  -282.)  371 

Lehre  einnehmen,  sondern  gewissermassen  nur  Erinnerungen  an  gehaltene 
Gespräche  und  Vorträge  sein.  Nach  einer  langen,  ehrenreichen  Thätigkeit, 
die  ihn  trotz  seiner  stillen  Zurückgezogenheit  nicht  bloss  mit  auswärtigen 
Herrschern,  sondern  auch  mit  hervorragenden  Staatsmännern  Athens,  wie 
Chabrias')  und  Timotheos,^)  in  Beziehung  brachte,  starb  er  hochbejahrt  im 
81.  Lebensjahre  Ol.  108,  1  =  348/7.  Im  Testament  setzte  er  zum  Erben 
sein  Söhnchen  Adeimantos,  zum  Testamentsvollstrecker  3  Männer,  darunter 
seinen  Schwestersohn  Speusippos,  ein. 

282.  Schriften  Piatons,  dialogische  Form.  Die  Schriften  Pia- 
tons ^j  bieten  zwei  Seiten  der  Betrachtung,  von  denen  die  eine  den  Inhalt 
und  das  philosophische  System,  die  andere  die  Form  und  das  litterarische 
Verhältnis  betrifft.  Die  erste  tritt  in  einer  Litteraturgeschichte  natürlich 
zurück,  die  zweite  muss  um  so  sorgsamer  besprochen  werden,  als  unser 
Philosoph  zugleich  der  vollendetste  Stilist  gewesen  ist  und  seine  Dialoge 
die  litterarischen  Verhältnisse  des  4.  Jahrhunderts  am  klarsten  wider- 
spiegeln. Das  höhere  Leben  Attikas,  den  geselligen  und  geistig  angeregten 
Verkehr  in  den  Hallen  und  auf  den  Spaziergängen,  die  zwanglos  heitere 
und  geistreiche  Unterhaltung  bei  den  Trinkgelagen,  die  durch  geistiges 
Band  zusammengehaltene  Freundschaft  der  Jünglinge  und  Lehrer,  kurzweg 
die  Glanzseiten  des  attischen  und  griechischen  Lebens  lernen  wir  durch 
keinen  Schriftsteller  besser  als  durch  Piaton  kennen.  Alle  seine  Schriften 
sind  mit  einziger  Ausnahme  der  Apologie  in  dialogische  Form  gekleidet.'*) 
Diese  Form  ist  keine  von  aussen  hineingetragene,  sondern  eine  natürliche 
Wiedergabe  der  Art,  wie  Sokrates  mit  seinen  Schülern  verkehrte,  weshalb 
nicht  bloss  Piaton,  sondern  alle  Sokratiker  dieselbe  anwendeten.  Es  war 
ihnen  der  Stempel  dieses  ihres  Ursprungs  geradezu  aufgeprägt,  indem  sie 
in  der  Überschrift  den  Titel  ^(oxQanxol  Xoyoi  führten.  Es  ist  aber  auch 
zugleich  die  dialogische  Form  in  der  Auffassung  Piatons  vom  Wesen  des 
Wissens  und  in  seiner  ganzen  Lehrmethode  tiefinnerlich  begründet.  Das 
Denken  war  ihm  eine  Zwiesprache  der  Seele  mit  sich  selbst,^)  und  nur 
auf  ein  mit  Einsprache  und  Gegenverteidigung,  d.  i.  mit  dialektischer  Kunst 
erworbenes  Wissen  legte  er  Wert.  Er  ist  mit  dieser  Form  der  echteste 
Vertreter  hellenischer  Philosophie  und  attischen  Geistes  geworden ;  die  Ab- 
neigung der  Griechen  gegen  einsame  Abgeschlossenheit  und  der  demokratische 
Anspruch  der  Athener  auf  das  sprichwörtliche  sX^yx  shjxov  verschaffte 
von  vornherein  einer  Philosophie  Eingang,  in  der  die  Sätze  nicht  in  langer, 
salbungsreicher  Rede  de  tripode  verkündet,  sondern  in  dialektischem  Zwie- 


*)  Plut.  adv.  Col.  32.  |   suchungen   über   die  Echtheit  und  Zeitfolge 

plat.  Schriften  1861;  Schaakschmidt,  Die 
Sammlung  der  plat,  Schriften  1866;  Zeller, 
Piaton.  Studien  1839;  Bonitz,  Plat.  Studien, 
3.  Aufl.  1886;  Teichmüller,  Litterarische 
Fehden  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.,  Bres- 
lau 1881  ff.;  Chrlst,  Plat.  Studien,  Abh.  d. 
b.  Ak.  1885;  Siebeck,  Untersuchungen  zur 
Philosophie  der  Griechen,  2.  Aufl.  Leipz.  1888. 
'^)  Schlottmann,  Ars  dialogorum  com- 
ponendoTum  quas  vicissitudines  apud  Grae- 


2j  Diog.  III,  23;  über  Beziehungen  zu 
den  makedonischen  Königen  Archelaos  und 
Philippos  spricht  ungenau  Ath,  506  e,  womit 
der  5.  Brief  Piatons  zu  verbinden  ist. 

^)  Hierüber  unterrichten  ausser  den  im 
Eingang  genannten  Schriften  Schleiermacher 
und  Steinhart  in  ihren  Übersetzungen  Pia- 
tons, SocHER,  Über  Piatons  Schriften  1820; 
Sijsemihl,  Die  genetische  Entwicklung  der 
piaton.  Philosophie,  1855,    2  Bde.;    Suckow, 

Die  wissenschaftliche  u.  künstlerische  Form    i    cos  et  Romanos  suhierit,  Rostock  1889. 
der  plat.  Schriften  1855;   Ueberweg,  Unter-    \  '•')  Phaedr.  276  e. 


24 


* 


372  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

gespräch  entwickelt  wurden.  Ob  Piaton  der  erste  war,  der  philosophische 
Dialoge  schrieb,  ist  zweifelhaft,  ^  aber  jedenfalls  hat  er  dem  Dialog  durch 
anschauliche  Schilderung  der  Scenerie,^)  feine  Zeichnung  der  Charaktere, 
scharfsinnige  Entwicklung  der  Begriffe,  lebensvolle  Frische  im  Fortgang 
des  Gespräches  jene  Vollendung  gegeben,  die  seitdem  ebensowenig  wie  die 
Erzählungskunst  des  Homer  von  irgend  jemanden  erreicht  worden  ist.^) 
Neider  haben  ihm  vorgeworfen,  er  habe  in  seinen  Dialogen  die  Mimen 
des  Sophron  kopiert;^)  aber  dem  gegenüber  hat  Zeller  einfach  auf  die 
Stelle  des  Aristoteles,  Poet.  1,  verwiesen,  wo  die  totale  Verschiedenheit 
jener  beiden  Arten  von  Dialogen  ausgesprochen  ist.  Übrigens  versteht  es 
sich  von  einem  Manne,  wie  Piaton,  der  sich  nicht  von  einem  krankhaften 
Streben  nach  Originalität  leiten  Hess,  von  selbst,  dass  er  auch  von  andern 
gelernt  und  nicht  umsonst  die  Mimen  des  Sophron  gelesen  hat. 

In  den  50  Jahren  seiner  philosophischen  Lehrthätigkeit  blieb  sich 
Piaton  in  der  Art  der  dialogischen  Form  ebensowenig  gleich,  wie  im  In- 
halt der  Lehre  und  der  Methode  der  Forschung.  Mit  zunehmendem  Alter 
und  zunehmender  Annäherung  an  die  italische  Philosophie  büsste  er  auch 
an  Fertigkeit  lebensvoller  Darstellung  ein.  Im  Parmenides,  Sophistes, 
Politikos  entbehrt  der  Dialog  des  Zaubers  individueller  Zeichnung  der 
Sprechenden,  und  in  dem  Timaios  und  den  Gesetzen  überwiegt  so  sehr 
bereits  der  Lehrton  zusammenhängender  Darstellung,  dass  die  Beibehaltung 
des  Dialoges  nur  noch  als  eine  lästige  Fessel  erscheint.  Umgekehrt  ist 
Piaton  in  früheren  Jahren  von  den  einfachen,  direkt  beginnenden  Gesprächen 
mit  2  bis  3  Sprechenden  zur  verschlungeneren  Gestaltung  des  Dialoges  durch 
Heranziehung  mehrerer  Personen  (6  im  Phaidon,  9  im  Protagoras)  •'♦)  und 
Einschachtelung  des  Hauptgespräches  in  ein  einleitendes  Gespräch  über- 
gegangen. Die  letzte  Form  hatte  etwas  kompliziertes,  ward  aber  von 
Piaton  gewählt,  um  die  Art  zu  veranschaulichen,  wie  das  Andenken  an 
die  Gespräche  des  weisen  Sokrates  in  den  Kreisen  der  Sokratiker  sich 
erhielt  und  Verbreitung  fand;  sie  gab  ausserdem  dem  Autor  die  Möglich- 
keit, über  die  das  Gespräch  begleitenden  Umstände,  wie  so  einzig  schön 
im  Phaidon,  zu  referieren.    Aber  in  rein  dialektischen  Gesprächen  mussten 


')  Diog.  JII,  47  und  Proleg.  in  Plat.  5 
nennen  als  Vorgänger  die  Eleaten  Zenon 
und  Parmenides,  wahrscheinlich  irrtümlich. 
Derselbe  Diogenes  II.  122   lässt  den  Sokra- 


genaue  Zeichnung  der  Zeitverhältnisse  hin- 
derte ihn  aber  nicht,  sich  über  die  Zeit,  in 
der  das  Gespräch  spielt,  bei  Nebenbemer- 
kungen wegzusetzen.     So  ist  im  Protagoras, 


tiker  Simon  die  ersten  sokratischen  Dialoge    |    der  zu  Perikles'  Zeiten  spielt,  die  Aufführung 
geschrieben  haben.     Aristote]es  tisql  7ioi7]Tojy   \    der  Wilden  des  Pherekrates  erwähnt  (p.  327  d),    Ü 


bei  Diog.  III,  48  u,  Ath.  505  c  bezeugt,  dass 
die  Dialoge  des  Teiers  Alexamenos  ebenso 
wie  die  Mimen  des  Sophron  vor  die  sokra- 
tischen fallen.  Schon  in  der  um  425  ge- 
schriebenen Schrift  über  den  Staat  der 
Athener  zeigt  sich  der  Einfluss,  den  die 
Übung  der  Philosophen  und  Sophisten,  einen 
Gegenstand  nach  zwei  Seiten  zu  erörtern, 
gehabt  hatte;  vergleiche  auch  die  Methode 
des  Protagoras  bei  Diog.  9,  51  und  Thuky- 
dides  5,  85—113... 

'^)  Teieksch,  über  die  dramatische  Natur 


wiewohl  dieselben  9  Jahre  nach  Perikles' 
Tod  zur  Aufführung  kamen.  Über  die  Zeit- 
verstösse  im  Menexenos  siehe  unten;  vgl. 
Zeller,  Über  die  Anachronismen  in  den 
plat.  Gesprächen,  Abhdl.  d.  Berl.  Ak.  1873. 

^)  Plut.  Cic.  24:  nokXd  cT'  uvrov  y.cd 
unofivi]fxoi'Svovaiv,  oiov  ttsqI  tiZp  IlXäicoyog 
(ftccXoycDy  wg  tov  Jiug,  st  X6y(p  /Q'^ad^ca  ne- 
(pvx£y,  ovTü)  ^ici'ksyo^evov. 

4)  Diog.  III,  18. 

^)  Im  Alter  kehrte  er  in  dialektischen 
Dialogen  wüeder  zu  einer  kleineren  Zahl  von 


J 


der  plat.  Dialoge,  Abh.  d.  b.  Ak.  1837.     Die  j   Sprechenden  zurück,   wie  zu  3  im  Philebos. 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton.  (§  288    2  84.) 


373 


die  stets  sich  wiederholenden  %iy,  r;  J'  oc,  o  Silva  Überdruss  bei  den 
Lesern  erwecken,  weshalb  sich  Piaton  später  erlaubte,  auch  wenn  er  erst 
nach  einer  scenischen  Einleitung  das  Gespräch  beginnen  Hess,  dasselbe 
gleichwohl  in  direkter  Form  vorzuführen.  Zuerst  that  er  dieses  im  Theätet, 
in  dessen  Eingang  p.  143  c  er  sich  ausdrücklich  dieses  Fortschrittes  rühmt. 
Von  weitertragender  Bedeutung  war  der  Versuch  nach  Analogie  der  dra- 
matischen Trilogien  und  Tetralogien  3  und  4  Dialoge  durch  den  Fortgang 
der  Untersuchung  zu  einem  grossen  Ganzen  zu  verbinden,  wie  er  es  in 
Theaitetos,  Sophistes,  Politikos,  ^)  Politeia,  Timaios,  Kritias  gethan  hat. 
Piaton  ist  auf  diesen  grossartigen  Gedanken  erst  in  seinen  späteren  Jahren 
gekommen,  hat  aber  dann  die  trilogische  Verknüpfung  auch  äusserlich 
dadurch,  dass  er  eine  Kontinuation  der  Sc3ne  des  Gespräches  in  den  Ein- 
leitungen herstellte,  so  deutlich  zum  Ausdruck  gebracht,  dass  dieselbe 
schon  den  alten  Erklärern  und  Herausgebern  nicht  entgehen  konnte. 
Diese  sind  aber  dadurch  auf  lächerliche  Abwege  geraten,  dass  sie  nun  alle 
Dialoge  Piatons  zu  Trilogien  und  Tetralogien  zu  vereinigen  suchten  und 
selbst,  damit  die  Rechnung  glatt  aufgehe,  die  Briefe  mit  irgendwelchen 
Dialogen  zu  einer  Trilogie  oder  Tetralogie  zusammenkoppelten. ^j 

283.  Zahl  und  Echtheit  der  Schriften.  Unter  Piatons  Namen 
sind  auf  uns  gekommen  42  Dialoge,  13  Briefe,  und  eine  Anzahl  von  Defini- 
tionen (oQoi).  Es  sind  das  alle  Werke,  welche  das  Altertum  von  Piaton 
kannte.  Es  zirkulierten  allerdings  daneben  schon  zu  Aristoteles  Zeit  Be- 
griffszergliederungen {ömiQi-asio),  aber  das  waren  Aufzeichnungen  von  Schul- 
übungen, welche  Piaton  selbst  nicht  zur  Veröffentlichung  bestimmt  hatte.  ^) 
Umgekehrt  befinden  sich  unter  den  Dialogen  und  Briefen  nicht  wenige, 
welche  dem  Piaton  fälschlich  untergeschoben  worden  sind.  Von  den  Dia- 
logen wurden  7  schon  von  den  Alten  als  unecht  [vöd^oi)  bezeichnet;"^)  in 
unserer  Zeit  ist  namentlich  durch  deutsche  Kritiker  noch  von  vielen  anderen 


')  Zu  diesen  3  Dialogen  beabsichtigte 
Piaton  noch  einen  vierten  4>iX6aocfog  zu 
fügen,  kam  aber  nicht  zur  Ausführung  des 
Planes.  Ebenso  sollte  auf  den  Kritias  noch 
ein  Hermokrates  folgen. 

'^)  Aristophanes  von  Byzanz  stellte  nach 
Diog.  III,  61  folgende  5  Trilogien  auf: 
1)  UohiSLCi,  TlfÄaLog,  KQiiiag,  2)  2:o(fiGT7Jg, 
Jlohtixog,  KQcatiXog,  3)  No/noi,,  Miyiog,  'Eni- 
vojulg,  4)  &ea'LirjTog,  EvdvcpQOüy,  ^AnoXoyUc, 
5)  KQLXiDv,  ^ai&ijov,  'EniGTokctl.  Die  übrigen 
Dialoge  führte  er  noch  einzeln  auf.  Thra- 
sylos  brachte  alle  Schriften,  zum  Teil  unter 
Anlehnung  an  alphabetische  Reihenfolge,  in 
Tetralogien  unter,  nämlich:  1)  Evx^vcpQcot^, 
ArioXoyUi,  Kq'lküv,  'Pai^ioi' ,  2)  KgcavXog. 
'•^salrrjTog,  ^ocpiarrjg,  IJohiixog,  3)  IlaQfis- 
rtcT/yc,  't'iXfjßog,  IvjLinöaioy,  'PurdQog,  4)  AX- 
y.ißidörjg  «',  'AXy.ißKufrjg  ß',  ' InnaQ/og,  'Avts- 
Quaxcü,  5)  0£c{yt]g,  XaQf4L(^r]g.  Ac(/?]g,  ylvaig, 
l>)  Evd^v(^t]fÄog,  UQMTayÖQag,  Fo^ylag,  Mei'mi^, 
7)  Imiiag  jusICmi^,  Inniag  iXc'ntMv,  ^Itoi',  Ms- 
rkSevog,  8)  KletxofpMv ,  IJohrsia,  Tifxcaog. 
kQiTiag,  9)  MiPiog,  Nofxoi ,  'Enirofjig,  'Etti- 
(jrnXtä.     Die  Zusammenfassung:  der  kleineren 


Dialoge  zu  einer  Gruppe  hatte  wahrschein- 
lich im  Buchhandel  seinen  Ursprung,  indem 
man  z.  B,  Apologie,  Kriton  und  Euthyphron 
leicht  in  1  Rolle  zusammenschreiben  konnte. 
Über  die  tetralogische  Anordnung  des  Der- 
kyllides  haben  wir  eine  Andeutung  bei  Varro 
de  ling.  lat.  VII,  37.  Näheres  geben  meine 
Platonischen  Studien  S.  5  ff. 

^)  Solche  dicuQsaeLg  sind  erhalten  bei  Diog. 
Hl,  80-109.  Die  Zergliederungen,  welche 
Piaton  der  Veröffentlichung  wert  hielt,  stehen 
im  Sophistes  und  Politikos;  s.  meine  Plat. 
Stud.  30  ff.  und  Zeller  IP  1.  437  ff. 

"*)  Ausser  den  tfidXoyoi  vod^evöfxevoi 
{'A'iio/og.  nsQi  dixaiov,  ttsqI  ccQSii^g,  jtjfj.6- 
donog,  2:l(Tv(fog,  'E^v^iag,  Alxvujv)  wurden  im 
Altertum  noch  angezweifelt  die '^»Te^orcrrat  von 
Thrasylos  bei  Diog.  IX,  37.  die  Epinomis  bei 
Diog.  III,  37,  der  Hipparch  bei  Aelian  V. 
H,  VIII,  2,  der  zweite  Alkibiades  bei  Ath. 
506c;  s.  Hermann,  Plat.  Phil.  413  ff.  Noch 
weiter  scheint  in  der  Athetese  Proklos  nach 
Olympiodor's  Proleg.  gegangen  zu  sein,  wo- 
rüber Freudentiial,   Hermes  16,  201  ff. 


374  Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 

Dialogen   die  Echtheit    angefochten   worden,    aber  nur   zum  kleineren  Teil 
mit  durchschlagendem  Erfolg.  9 

284.  Ordnung  und  Zeit  der  Schriften.  Bei  der  grossen  Anzahl 
platonischer  Dialoge  schaut  man  sich  selbstverständlich  nach  einem  Prinzip 
der  Anordnung  um.  Eine  alphabetische  Ordnung  wäre  allerdings  hier  wie 
sonst  die  einfachste;  aber  ihr  schlechthin  zu  folgen,  hiesse  auf  die  wich- 
tigsten Seiten  philologischen  und  philosophischen  Erkennens  verzichten. 
Man  wünscht  zu  wissen,  zu  welcher  Zeit  die  einzelnen  Schriften  entstanden 
sind,  und  hat  bei  einem  Philosophen  noch  die  höhere  Frage  zu  lösen,  in 
welchem  Verhältnis  die  einzelnen  Schriften  zu  einander  stehen,  und  welche 
Stellung  sie  im  Ganzen  des  philosophischen  Systems  einnehmen.  Hinsichtlich 
der  Zeit  gilt  es  vor  allem,  die  beiden  Hauptgrenzen,  Anfang  und  Schluss 
der  litterarischen  Thätigkeit  Piatons  abzustecken.  Bezüglich  des  ersteren 
Punktes  beginnt  jetzt  immer  mehr  die  Ansicht  des  Engländers  Grote  durch- 
zuschlagen, dass  keiner  der  Dialoge  vor  dem  Tod  des  Sokrates  (399)  ab- 
gefasst  sei.  Es  war  ja  auch  in  der  Rücksicht  auf  den  verehrten  Lehrer 
begründet,  dass  der  Schüler  nicht  zu  Lebzeiten  des  Lehrers  Gespräche,  die 
dessen  Eigentum  waren,  veröffentlichte,  oder  gar  Dialoge,  in  denen  dem- 
selben fremde  Gedanken  untergelegt  waren,  für  sokratische  Gespräche 
(loyoi,  2o)xQaTixoi)  ausgab.  Aufzeichnungen,  private,  mochten  sich  immerhin 
schon  zu  Lebzeiten  des  Meisters  einzelne  Schüler  machen,  aber  diese  dürfen 
mit  den  für  die  Öffentlichkeit  bestimmten  Dialogen  nicht  verwechselt  werden. 
Indes  haben  wir  allerdings  Überlieferungen  aus  dem  Altertum,  die  auf  ein 
früheres  Hervortreten  Piatons  hinweisen:  so  erzählt  Diogenes  HI,  35,  So- 
krates habe  sich,  als  er  den  Lysis  unseres  Piaton  gelesen,  verwundernd 
über  die  ihm  in  den  Mund  gelegten  Reden  geäussert; 2)  das  ist  aber  wahr- 
scheinlich nur  die  Erfindung  eines  geistreichen  Mannes,  der  auf  solche 
Weise  seiner  eigenen  Verwunderung  über  die  freie  Zeichnung  des  Sokrates 
Ausdruck  gab.  Wenn  neuere  Gelehrte  noch  weiter  gegangen  sind  und  selbst 
den  Phaidros  und  Protagoras  vor  399  gesetzt  haben, 3)  so  beruht  dieses 
auf  totaler  Verkennung  der  allmählichen  Entwicklung  der  Darstellungs- 
kunst und  der  philosophischen  Erkenntnis  Piatons.  Auf  der  anderen  Seite 
hat  Piaton  erst  sterbend  die  Feder  aus  der  Hand  gelegt;  das  sieht  man 
daraus,  dass  er  die  Gesetze  und  den  Kritias  unvollendet  hinterliess  und 
zur  Abfassung   der   geplanten  Dialoge  Philosophos   und  Hermokrates  nicht 


^)  Am  weitesten  ging  in  der  Manie  der       ysyovs  nXntMvog  xal  rovg  vn'  uvrov  awis- 
ünechtheitserklärung    Ast;    am    konservati-       d^sifjLevovg  Xoyovg  {Xoyiöfiovg  codd.)   y.ofxiUov 


visten  ist  der  Engländer  Grote;  eine  Orien- 
tierung über  die  Unechtheitsfrage  gibt  Schaar- 
scHMiDT,  Die  Samml.  der  piaton.  Schriften 
S.  15-60;  Zeller,  Gesch.  d.  Phil.  II 3,  388  ff. 
Die  unechten  Dialoge  müssen  in  der  nächsten 
Zeit  nach  Piaton  von  Nachahmern  und  pytha- 
goreisierenden  Schülern  ausgegangen  sein. 
Denn  dem  Aristophanes  Bj^z.  lagen  bereits 
unechte  Dialoge,  wie  die  Epinomis  vor. 
Wichtig  ist  die  Nachricht  von  einem  Handel 
des  Platonikers  Hermodoros  mit  Dialogen 
Piatons  bei  Zenobios  V,  G:  XoyoiGip  'Eqjuo- 
diüQog   e^TTOQEverui  •  6   EQfxödoDQog   uxQoarrjg 


Eig  2YxeAmr  ernoXei. 

^)  Eine  ähnliche  Geschichte  erzählt  Ath. 
505  e  von  einer  Äusserung  des  Rhetors  Gor- 
gias  über  die  ihm  im  gleichnamigen  Dialog 
zugewiesene  Rolle,  und  ebenso  von  Phaidon 
in  gleicher  Sache. 

3)  Über  Protagoras  Hermann,  Plat.  Phil. 
S.  452  u.  Anm.  323,  über  Phaidros  Usener, 
Rh.  M.  35,  131  ff,;  dagegen  meine  Piaton. 
Stud.  49  f.  Den  Protagoras  und  Gorgias 
lässt  vor  Sokrates  Tod  auch  Bergk,  Gr.  Litt. 
IV,  439  geschrieben  sein. 


i 


4.  Die  Philosophen,     c.  Platon.  (§  284—285.) 


375 


mehr  gekommen  ist.  Bei  den  einzelnen  Dialogen  ist  die  Zeit,  in  welcher  das 
Gespräch  gesetzt  ist,  und  die,  in  welcher  dasselbe  niedergeschrieben  wurde, 
wohl  zu  unterscheiden.  Hier  interessiert  uns  zunächst  die  letztere,  aber 
leider  stehen  uns  zur  Feststellung  derselben  nur  sehr  wenige  Anhaltspunkte 
zu  gebot.  Wenn  wir  sagen,  dass  Apologie,  Kriton  und  Phaidon  nach  dem 
Tode  des  Sokrates  (399),  Menon  bald  nach  395,  Symposion  bald  nach  385, 
Nomoi  und  Timaios  nach  der  Politeia,  Sophistes  und  Politikos  nach  dem 
Theätet,  Theätet  nach  392,  Euthydem  nach  dem  Phaidros  geschrieben  sind, 
so  ist  das  so  ziemlich  alles,  was  man  mit  Zuversicht  behaupten  kann. 
Um  so  mehr  hat  man  in  unserer  Zeit  die  anderen  Anhaltspunkte  beachtet, 
welche  der  Nachweis  eines  allmählichen  Ausbaus  des  philosophischen  Sy- 
stems,^) der  Wechsel  in  der  Gesprächsform, 2)  endlich  die  teils  bewussten, 
teils  unbewussten  Änderungen  im  Wortgebrauch  und  Stil  an  die  Hand 
geben. ^)  Ist  auch  hier  noch  vieles  problematisch  geblieben,  so  haben  sich 
doch  allmählich  starke  Umwälzungen  in  den  Ansichten  der  Gelehrten  voll- 
zogen, und  braucht  man  jetzt  nicht  mehr  ganz  an  der  Lösung  des  grossen 
Problems  der  Chronologie  der  platonischen  Dialoge  zu  verzweifeln. 

285.  Arten  der  Dialoge.  Nach  dem  Charakter  der  Untersuchung 
hat  man  bereits  im  Altertum  die  Dialoge  in  verschiedene  Klassen  einge- 
teilt. Schon  Aristot.  Met.  HI,  2  macht,  wahrscheinlich  nach  den  Traditionen 
der  Akademie,  einen  Unterschied  zwischen  dem  prüfenden  {rteiQuaiimi)  und 
erkennenden  {yvMQiaTixTi)  Teil  der  Philosophie.  Zu  jenem  gehören  die  vor- 
bereitenden  und  dialektischen  Dialoge,   in   denen   eine    Begriffsbestimmung 


^)  Diesen  Gesichtspunkt  vertrat  haupt- 
sächlich Schleiermacher,  wonach  Platon  sein 
als  Ganzes  ihm  vorschwebendes  System  all- 
mählich in  seinen  einzelnen  Schriften  auf- 
gerollt habe,  so  dass  alle  zusammen  eine 
zusammenhängende  Reihe  bildeten,  in  welcher 
der  Anfang  des  folgenden  Dialoges  an  das 
am  Ende  des  vorausgegangenen  festgestellte 
Resultat  anknüpfe.  Diese  grossartige,  in  sich 
geschlossene  Auffassung  trägt  der  gelegent- 
lichen Schriftstell erei  und  der  allmählichen 
Geistesentwicklung  Piatons  zu  wenig  Rech- 
nung. Ihr  gegenüber  vertritt  C.  Fr.  Hermann 
den  historisch-kritischen  Standpunkt. 

2)  Vgl.  oben  §  282  und  Munk,  Die 
natürliche  Ordnung  der  plat.  Schriften  1857; 
Schöne,  Piatons  Protagoras  1862;  Teich- 
MÜLLER,  Litterarische  Fehden  des  4.  Jahrb., 
im  2.  Bde. 

^)  Der  Gebrauch  einzelner  Partikeln  ist 
zum  Ausgangspunkt  genommen  von  Ditten- 
BERGER,  Die  Chronologie  der  plat.  Dialoge, 
Herrn.  16,  321 — 45;  Schanz,  Zur  Entwick- 
lung des  platon.  Stils,  Herm.  21,  489  —  459. 
Einwendungen  erhob  Frederking,  Jahrb.  f. 
Phil.  1882  S.  534 ff,;  vgl.  Höfer,  De  particulis 
Piatonis,  Bonn  1882;  Siebeck,  Zur  Chrono- 
logie der  platonischen  Dialoge,  in  Unters, 
zur  Phil.  d.  Griech.  S.  107—151  u.  253-274; 
GoMPERz,  Plat.  Aufs.  =  Stzb.  d.  W.  Ak.  1887. 
II,  751  ff.,  der  so  weit  geht,  anzunehmen, 
dass    der  Phaedrus,    da    das    fatale    ,M//i'   in 


den)selben  sehr  oft,  im  Phaedon  nicht  vor- 
kommt, uns  in  zweiter  Bearbeitung  vorliege. 
Beachtenswert  ist  namentlich  das  spätere 
Hervortreten  von  t'l  {Ärjp,  ys  f^fjy,  xat  urjy, 
und  der  Gebrauch  von  ovxiog  im  Philebos, 
Politikos,  Timaios,  Nomoi,  Sophistes,  hin- 
gegen von  T(J  orzi  in  Apol.,  Euthyphro, 
Gorg..Lach.,  Lys.,  Protag.,  Symp,,  Phaedo.  — 
Die  höheren  Seiten  des  Stils  bieten  weniger 
Ausbeute  für  die  Chronologie  der  Dialoge; 
in  Betracht  kommen  besonders  die  Mythen 
und  Gleichnisse.  Im  allgemeinen  liebte  Pla- 
ton Mylhen  vornehmlich  in  seinen  späteren 
und  dogmatischeren  Schriften.  Der  erste 
grössere  Mythus  findet  sich  im  Phaidros  p. 
246  ff. ;  der  Mythus  im  Gorgias  p.  523  ist 
klein  und  bewegt  sich  noch  ganz  in  dem 
überlieferten  Volksglauben;  der  im  Menon 
p.  81  besteht  nur  in  der  Wiedergabe  einer 
pythagoreisch  gefärbten  Stelle  Pindars;  auch 
der  Mythus  im  Protagoras  p.  320  von  Pro- 
metheus und  Epimetheus  schliesst  sich  noch 
eng  an  den  Volksglauben  an  und  wird  oben- 
drein, indem  er  dem  Protagoras  in  den  Mund 
gelegt  wird,  als  Manier  dieses  Sophisten 
bezeichnet.  Von  den  grossen  Mythen  in  den 
späteren  Dialogen  (Symp.  189  u.  203,  Rep. 
414  u.  614,  Polit.  269,  Tim.  21,  Leg.  713, 
Critias)  ist  besonders  der  im  Politikos  be- 
achtenswert, da  man  einen  solchen  in  einem 
dialektischen  Dialoge  nicht  erwartet. 


376 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


oder  ein  anderes  philosophisches  Problem  nach  allen  Seiten,  meistens  ohne 
positives  Ergebnis  erörtert  wird.  In  späterer  Zeit  hat  man  nach  Diog. 
III,  49  diese  Dialoge  ^r^TrjTixoi  genannt,  und  innerhalb  derselben  wieder 
SiäXoyoi  yv^vaaTixoi  und  ayioviaxixoi  unterschieden.  Der  erkennende  Teil 
der  Philosophie  gibt  die  positiven  Resultate  des  philosophischen  Denkens 
und  liebt  mehr  den  lehrhaften,  zusammenhängenden  Vortrag;  nach  dem 
Inhalt  wurde  innerhalb  desselben  wieder  eine  Teilung  in  physische,  logische, 
ethische  und  politische  Dialoge  vorgenommen.  Da  man  durch  Prüfung  zur 
Erkenntnis  kommt,  so  dürfen  wir  im  allgemeinen  jene  prüfenden  Dialoge, 
wie  Lysis,  Laches,  Menon,  der  früheren  Periode  des  Philosophen,  die  posi- 
tiven, wie  Politeia,  Timaios,  Nomoi,  der  späteren  Zeit  gereiften  Denkens 
zuschreiben.  Aber  ein  Philosoph  hört  nie  auf,  den  Prüfstein  an  seine  Sätze 
zu  legen,  und  so  darf  es  uns  auch  nicht  wunder  nehmen,  wenn  die  dia- 
lektischen Untersuchungen  des  Politikos  und  Parmenides  in  das  höhere 
Alter  Piatons  fallen.  Auf  der  anderen  Seite  bricht  auch  schon  bei  der 
prüfenden  Voruntersuchung  eine  Ahnung  des  lichtumflossenen  Glanzes  der 
Schlussresultate  durch,  und  so  thut  sich  uns  auch  bei  Piaton  schon  im 
Phaidros,  wiewohl  derselbe  zu  den  Jugendwerken  zählt,  der  ganze  Himmel 
der  Ideenwelt  auf.  Ausserdem  war  Piaton  als  Dichter  unter  den  Philo- 
sophen auch  Gelegenheitsschriftsteller,  der  nicht  immerfort  in  der  Weise 
eines  Kathederphilosophen  an  seinem  System  arbeitete,  sondern  auch  über 
Dinge,  die  ihm  gelegentlich  in  den  Weg  traten,  seine  Gedanken  aussprach. 
Indem  daher  auch  wir  nicht  einseitig  einer  einzigen  Richtung  folgen,  zählen 
wir  unter  Beachtung  der  Zeitfolge  und  des  inneren  Zusammenhanges  in 
nachfolgender  Gruppierung  seine  Werke  auf. 

280.  Kleinere  Dialoge  im  sokratischen  Geiste  (vor  392).  Ohne 
für  die  zeitliche  Folge  innerhalb  dieser  Klasse  einstehen  zu  wollen,  stelle 
ich  die  Dialoge  und  Schriften  voran,  die  sich  an  das  tragische  Geschick 
des  Sokrates,  das  am  ehesten  zu  pietätvoller  Erinnerung  an  den  Meister 
einladen  musste,  anschliessen: 

^Anoloyicc,  Verteidigungsrede  des  Sokrates  gegen  die  Anklage  des 
Anytos,  Lykon  und  Meletos.  Die  Rede  zerfällt  in  3  Teile,  nämlich: 
1)  eigentliche  Verteidigungsrede  vor  den  Richtern,  2)  Rede  über  die  Pro- 
zessschätzung oder  das  Ausmass  der  Strafe,  3)  Anrede  an  die  Richter  nach 
der  Abstimmung.  Die  Verteidigung  ist  ohne  rednerisches  Pathos,  aber  mit 
unübertroffenem  Ethos  in  jener  schlichten  Einfachheit  durchgeführt,  welche 
der  beste  Beweis  des  reinen  Gewissens  ist.  Der  sokratische  Charakter 
zeigt  sich  zumeist  in  den  eingeflochtenen  Zwiegesprächen,  in  denen  Sokrates 
den  Politikern,  Dichtern  und  Gewerbsleuten  beweist,  dass  sie  sich  wohl 
einbilden  etwas  zu  wissen,  thatsächlich  aber  nichts  wissen.  Die  Schrift 
steht  wohl  im  Zusammenhang  mit  der  Deklamation  des  Lysias,  in  welcher 
der  Rhetor  mit  falscher  Redekünstelei  die  Sache  des  edlen  Weisen  geführt 
hatte,  ^)   wahrscheinlich   auch   mit   der   im  Jahre  395   verfassten  Rede   des 


')  Cic.  de  or.  I,  54.  231;  Diog.  II,  40; 
Quint.  II,  15.  80;  Val.  Max.  VI,  4.  Irrtüm- 
lich    wird    hier     nach     einer    gemeinsamen 


Quelle  die  Sache  so  dargestellt,  als  ob  So- 
krates selbst  die  Rede  als  unpassend  zurück- 
gewiesen habe;   vgl.  §  247  u.  229. 


Il 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton  (§  286.)  377 

Sophisten  Polykrates  gegen  Sokrates  (Diog.  II,  39),  gegen  dessen  rabuli- 
stische Darstellung  sich  auch  Xenophon  gewendet  hatte. 

Kgitcov,  Dialog  des  Sokrates  mit  seinem  Freunde  Kriton  im  Gefängnis 
zur  Rechtfertigung  seiner  leicht  als  Starrköpfigkeit  zu  deutenden  Weigerung, 
durch  Flucht  sein  Leben  zu  retten;  herrlich  ist  die  Figur  der  redend  ein- 
geführten Gesetze.     Der  Apologie  wird  p.  45  b  ausdrücklich  gedacht. 

Ev^vcpQwv  fällt,  was  die  Abfassungszeit  anbelangt,  nach  den  beiden 
zuerst  genannten  Schriften,  der  Scenerie  nach  vor  dieselben.  Die  Scene 
führt  uns  nämlich  vor  die  Halle  des  Archon  Basileus,  wo  Sokrates,  im  Be- 
griffe sich  vor  dem  Archon  zu  verteidigen,  mit  Euthyphron  zusammentrifft, 
der  dort  eine  Klage  gegen  seinen  Vater  wegen  Tötung  eines  Taglöhners 
anbringen  will.  Das  führt  zur  Erörterung  des  Begriffes  der  Frömmigkeit 
(svfTe'ßsia),  wobei  Euthyphron  der  unklaren  Vorstellung  von  dem,  was  fromm 
und  gottgefällig  {o(Tlov  xal  svasßsg)  ist,  überführt  wird.  Der  Dialog  endet 
ohne  positives  Resultat.  Er  ist  von  den  Grammatikern  an  die  Spitze  der 
Tetralogie  Euthyphron,  Apologia,  Kriton,  Phaidon  gestellt,  weil  er  das  tra- 
gische Drama  vom  Tode  des  Sokrates  eröffnet  und  weil  der  Erörterung  des 
Göttlichen  die  erste  Stelle  zu  gebühren  schien.^) 

Avaig  ist  nach  einer  un verlässigen  Überlieferung  bei  Diog.  III,  35 
noch  zu  Sokrates  Lebzeiten  geschrieben.  Der  Dialog  voll  jugendlicher 
Schönheit  und  mit  reichem  mimischen  Beiwerk,  spielt  in  einer  Palästra  und 
handelt,  an  die  Liebe  des  Hippothales  zu  dem  schönen  Lysis  anknüpfend, 
von  der  Freundschaft  [ti8qI  (piXfag),  oder  genauer  von  der  Art,  wie  man 
mit  seinem  Liebling  (TiaiSixcc)  umgehen  soll,  um  seine  Liebe  zu  gewinnen 
und  ihn  zugleich  sittlich  zu  veredeln.  In  echt  sokratischer  Weise  endet 
das  Gespräch,  indem  Lysis  und  Menexenos  von  ihren  Pädagogen  abgerufen 
werden,  noch  ehe  der  Begriff  der  cfiXia  festgestellt  ist.  Die  Liebe  war 
bei  Sokrates  und  Piaton,  die  mit  ihren  Schülern  durch  das  Band  inniger 
Freundschaft  und  Liebe  sich  verbunden  fühlten,  ein  Lieblingsthema,  auf 
das  Piaton  nochmals  im  Phaidros  und  Symposion  zurückkam  und  das  So- 
krates auch  bei  Xenophon,  Mem.  II,  6  mit  Kritobulos  bespricht. 2) 

XaQßiSrjg,  in  der  erotischen  Einkleidung  nahe  mit  Lysis  verwandt, 
behandelt  das  Thema  der  Sittsamkeit  (acocfQOfrvvrj)  und  dient  zugleich  zur 
persönlichen  Erinnerung  an  den  liebenswürdigen  Charmides  und  den  beredten 
Kritias,  mütterlichen  Verwandten  des  Piaton,  die  im  Kampfe  gegen  den 
zurückkehrenden  Demos  gefallen  waren  (403),  sowie  an  den  Leiter  des 
Gesprächs,  Sokrates  selbst.  Denn  der  Dialog  beginnt  mit  der  begeisterten 
Aufnahme,  welche  der  vom  Feldzuge  gegen  Potidäa  (422)  heimkehrende 
Sokrates  bei  seinen  Freunden,  namentlich  dem  wie  verrückt  auf  ihn  los- 
springenden Chairephon  fand.  Im  eigentlichen  Dialoge  werden  verschiedene 
Definitionen  der  aMipgoavvrj  aufgestellt  und  nacheinander  zurückgewiesen; 
die  letzte  und  oberste,  dass  das  awipQoveiv  auf  Wissen  beruhe  und  mit  dem 
yvMd^i  aavTov  zusammengehe,  entspricht  der  von  Xenophon  Mem.  III,  4  auf- 
gestellten Lehre  des  Sokrates,  aber  auch  diese  kommt  nicht  zum  Abschluss, 

^)  Nach   Xen.    Mem.    IV,   6.  2:    ttqmtov   \   schrieb     der    Epikureer    Kolotes     nQoq    jov 
*U  nsQi  ei'!ae߀ic<g  w(ft  nwg  eaxonsi.  j    Uhatoyog    Avatr    und     7700?    70/'    nXc'aiorog 

'')  Nach   Vol.   Hercul.    VI,  112   und    9G    :    l^v^vö^uo,'. 


378  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

so  dass  schliesslich  Kritias  nur  dem  Charmides  empfiehlt,  sich  auch  ferner 
ganz  der  Unterweisung  des  Sokrates  hinzugeben,  i) 

AäxriQ  rj  TteQi  ccvdqeiag.  Das  Gespräch  schliesst  an  die  Schauauf- 
führung eines  Fechtmeisters  an,  zu  der  Lysimachos  und  Melesias  die  Feld- 
herrn Laches  und  Nikias  eingeladen  hatten,  um  ihren  Rat  darüber  zu  er- 
holen, ob  sie  ihre  Söhne  Aristeides  und  Thukydides  in  dieser  Kunst  unter- 
weisen sollten.  In  die  Beratung  zieht  Laches  den  Sokrates  herein,  dessen 
tapferer  Beteiligung  an  der  Schlacht  von  Delion  (424)  mit  Ehren  gedacht 
wird.  Wie  in  allen  Xoyoi  nsiQctarixoi  werden  mehrere  Definitionen  der 
avÖQeia  versucht;  auch  die  von  Laches  aufgestellte,  die  Tapferkeit  sei  das 
rechte  Wissen  vom  Gefährlichen  und  Sicheren,  führt  zu  keinem  sicheren 
Resultat,  so  dass  zum  Schluss  nur  Laches  den  Rat  erteilt,  die  Söhne  dem 
Sokrates  zur  Unterweisung  zu  übergeben.  Die  Jünglinge  haben  ihrem 
Lehrer  keine  Ehre  gemacht,  indem  insbesondere  Aristeides  später  2)  als 
einer  geschildert  wird,  an  dem  die  guten  Lehren  keine  Früchte  getragen 
haben. 

'Ire Ti lag  sXccttcov,  der  einfachste  und  unbedeutendste  Dialog  Piatons, 
vielleicht  auch  der  älteste.  Seine  Echtheit  wird  angezweifelt  von  Ast,  ist 
aber  durch  das  Zeugnis  des  Aristoteles,  Met,  V,  29  geschützt.  Das  Ge- 
spräch knüpft  an  einen  Vortrag  des  Sophisten  Hippias  über  Homer  an, 
indem  Sokrates  die  Frage  aufwirft,  ob  Achill  oder  Odysseus  der  tüchtigere 
sei.  Sokrates  tritt  für  Odysseus  ein,  weil  er  mit  Wissen  lüge  {ifxvSeTai). 
Der  Dialog  endigt  ohne  Einigung  der  Sprechenden,  hebt  aber  die  sokratische 
Fragemethode  im  Gegensatz  zur  epideiktischen  Prunkrede  der  Sophisten 
hervor.  Ein  ähnliches  Verhältnis  zwischen  dem  Thun  mit  Wissen  und 
Thun  ohne  Wissen  stellt  Sokrates  bei  Xenophon  Mem.  IV,  2.  20  auf. 

"la)v  von  ähnlichem  Kaliber  wie  der  kleine  Hippias,  und  gleich  ihm 
der  Unechtheit  verdächtigt,  richtet  sich  gegen  die  eitle,  im  Ion  repräsen- 
tierte Zunft  der  Rhapsoden,  die  ihren  Homer  auswendig  wissen  und  pathe- 
tisch herdeklamieren,  aber  nichts  von  dem  tieferen  Inhalt  desselben  ver- 
stehen. Indem  aber  auch  von  dem  Dichter  nachgewiesen  wird,  dass  er 
ohne  eigentliches  Wissen  nur  von  göttlicher  Begeisterung  ergriffen,  seine 
Gesänge  dichtet,  arbeitet  der  Dialog  der  in  dem  Phaidros  und  der  Republik 
ausgeführten  Anschauung  Piatons  von  der  Inferiorität  der  Dichtkunst  vor. 
Den  gleichen  Gedanken  lässt  Xenophon  in  seinem  Gastmahl  3,  6  den  An- 
tisthenes  mit  den  Worten  aussprechen:  oia^d  xi  oiv  sO^vog  rXi&iMTeQov 
Qa^xodcov. 

287.  Grössere  Dialoge  der  Übergangsperiode  (ca.  392 —  ca.  380), 
in  denen  Piaton,  indem  er  über  die  einfache  sokratische  Gesprächsform 
hinausgeht  und  unter  der  Maske  des  Sokrates  eigene  Gedanken  zu  ent- 
wickeln beginnt,  tiefere  und  kunstvoller  durchgeführte  Untersuchungen 
anstellt.  Von  diesen  kennzeichnen  die  einen  (Protagoras,  Gorgias,  Euthydem, 
Kratylos)  die  Stellung  des  Sokrates  und  Piaton  gegenüber  den  Sophisten, 
die  anderen  (Menon,  Phaidros,  Symposion,.  Phaidon,  Theätet)  enthalten  die 
Keime  der  neuen,  über  Sokrates  hinausgehenden  Spekulation.^) 

')  Die  Echtheit   des  Charmides   leugnet   |  ^}  Theaefc.  150e  und  Theag.  130  b. 

Schanz,   Jahrber.  d.  Alt.  VII,  1.  236.  1  ^)  Bei   einer  systematischen  Darlegung 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton»  (§  287.) 


379 


Der  IlQwxayöoaq^  ein  wahres  Meisterwerk  unseres  Philosophen,  bildet 
gewissermassen  den  Schlussstein  der  kleinen  Gespräche  über  die  einzelnen 
Tugenden  der  Tapferkeit,  Freundschaft,  Sittsamkeit,  Frömmigkeit,  indem  er 
das  Wesen  der  Tugend  im  allgemeinen  zum  Gegenstand  hat.  Aber  nicht 
bloss  durch  den  erweiterten  Horizont  geht  der  Protagoras  über  jene  kleineren 
Gespräche  hinaus,  er  übertrifft  sie  auch  durch  den  Glanz  der  Scenerie  und 
die  Feinheit  der  Ironie,  mit  der  die  Aufgeblasenheit  der  Sophistik  in  ihrem 
angesehensten  Vertreter,  dem  Tugendlehrer  Protagoras,  getroffen  wird.i) 
Das  Gespräch  ist  in  die  Zeit  verlegt,  wo  eben  Protagoras,  sei  es  nun  zum 
ersten-  oder  zum  zweitenmal,  in  Athen  angekommen  war  und  im  Haus  des 
reichen  Kallias,  des  freigebigen  Protektors  der  Sophisten,  sein  Absteige- 
quartier genommen  hatte.-)  Im  Eingang  erzählt  Sokrates,  wie  Hippokrates, 
der  Sohn  des  Apollodor,  ihn  in  aller  Frühe  abholte  und  wie  sie  dann,  im 
Hause  des  Kallias  mit  Mühe  aufgenommen,  bereits  dort  den  Protagoras  mit 
seinen  Verehrern  gravitätisch  auf-  und  abgehend  fanden.  In  dem  darauf- 
folgenden Hauptteil  ist  es  vorzüglich  darauf  abgesehen,  den  Vorzug  der 
schlichten  Art  des  Sokrates,  durch  Frage  und  Antwort  die  Menschen  zur 
höheren  Stufe  des  Erkennens  zu  führen,  vor  den  pomphaften,  langen  Reden 
der  Sophisten  darzuthun.  Das  geschieht  an  der  Besprechung  des  Satzes 
von  der  Lehrbarkeit  der  Tugend,  welchen  Protagoras  und  die  Tugendlehrer 
seines  Schlages  in  ihren  prahlerischen  Ankündigungen  als  zugegeben  voraus- 
setzten, Sokrates  aber  als  noch  einer  kritischen  Prüfung  bedürftig  hinstellt, 
wobei  er  die  Methode  der  Sophisten,  philosophische  Sätze  in  das  trügerische 
Gewand  von  Mythen  zu  kleiden  oder  durch  Stellen  von  Dichtern  zu  stützen, 
teils  als  nichtsbeweisend  ablehnt,  teils  für  die  gegenteilige  Meinung  ver- 
wertet. Die  mit  reicher  Abwechselung  und  spannenden  Wendungen  geführte 
Disputation  kommt  nicht  zum  endgültigen  Abschluss,  so  dass  schliesslich 
die  Beantwortung  der  aufgeworfenen  Frage,  ob  die  Tugend  lehrbar  sei,  von 
einer  neuen,  vertieften  Untersuchung  abhängig  gemacht  wird.  Dass  damit 
auf  den  Menon  hingewiesen  werde,  wie  die  meisten  Erklärer  annehmen,^) 
ist  wahrscheinlich,  wenn  auch  nicht  ganz  ausgemacht,  da  auch  dort  die 
Untersuchung  nicht  zum  endgültigen  Ziele  führt.  ^)  Einen  Anhaltspunkt 
zur  Zeitbestimmung  gewährt  die  rühmende  Erwähnung  der  Peltasten,  welche 
mit  der  im  Jahre  392  durchgeführten  und  erprobten  Heeresreform  des  Iphi- 
krates  zusammenhängt.^) 


wird  man  auch  in  der  Aufzählung  und 
Analyse  der  Dialoge  von  dieser  Zweiteilung 
ausgehen;  hier  habe  ich  mich  an  die  ver- 
mutete zeitliche  Folge  gehalten. 

^)  Menardus,  Wie  ist  Piatos  Protagoras 
aufzufassen?  Oldenburg  1865. 

2)  Perikles,  dessen  Söhne  Paralos  und 
Xanthippos  der  Unterredung  beiwohnen,  ist 
p.  319  e  noch  als  lebend  gedacht,  weshalb 
Cron  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe  das 
Gespräch  vor  den  Ausbruch  des  Krieges  in 
das  Jahr  432  setzt.  Dazu  stimmt  aber  nicht, 
wenn  p.  327  d  die  420  aufgeführten  Wilden 
!  des  Pherekrates  im  Jahre  zuvor  sollen  ge- 
geben worden  sein,    so   dass  man  um  einen 


Anachronismus  oder  um  eine  Unklarheit  in 
dem  Zeitansatz  nicht  herumkommt,  mag  man 
nun  das  Gespräch  432  oder  419  setzen.  Eine 
weitere  Schwierigkeit  macht  der  Umstand, 
dassEupolisinden  421  aufgeführten  Schmeich- 
lern fr.  10  bereits  des  Protagoras  in  dem 
Hause  des  Kallias  gedacht  hatte. 

")  Hermann,  Plat.  Phil.  483;  Susemihl, 
Entwickl.  I,  83. 

*)  Im  positiven  Sinne  wird  die  Tugend- 
lehre erst  im  4.  Buch  der  Republik  behandelt. 

^)  Vgl.  Prot.  350  a  und  Xen.  Hell.  IV, 
4.  10;  die  Sache  ist  beleuchtet  von  Kroschel, 
Ztschr.  f.  Gymn.  11,  561  ff.  u.  Teichmüller, 
Litt.  Fehd.  I,  20  ff.     Ich  selbst  bin  in  Plat. 


380  Griechische  Litter aturgeschichte,     I.  Klassische  Periode. 

Der  Mävcov  steht  mit  dem  Gorgias  und  Protagoras  in  Zusammenhang, 
indem  in  demselben  einerseits  gleich  im  Eingang  auf  die  einflussreiche 
Thätigkeit  des  Gorgias  in  Thessalien,  woher  Menon  stammte,  hingewiesen, 
anderseits  die  im  Protagoras  nicht  zum  Austrag  gekommene  Frage  über 
die  Lehrbarkeit  der  Tugend  wieder  aufgenommen  wird.  Die  Erwähnung 
der  jüngsthin  vorgekommenen  Bereicherung  des  Thebaners  Ismenias  durch 
das  Gold  der  Perser^)  führt  uns  in  die  Zeit  nach  395.  Im  Hintergrund 
spielt  noch  der  Prozess  des  Sokrates,  indem  Anytos,  einer  der  Ankläger 
und  Mitsprechenden,  so  gezeichnet  wird  (p.  91c),  dass  seine  Schuld  mehr 
nur  als  Folge  seiner  geistigen  Beschränktheit  erscheint.  Die  Untersuchung 
wird,  dem  Gegenstand  und  der  Abfassungszeit  entsprechend,  in  einfacher 
Form  geführt  und  dreht  sich  um  die  bei  den  Sophisten  viel  verhandelte 
Frage,  ob  die  Tugend  lehrbar  sei.  Das  führt  zur  Frage  nach  dem  Wesen 
der  Tugend,  und  nachdem  diese  nach  mehreren  unglücklichen  Definitions- 
versuchen in  hypothetischer  Form  auf  Wissen  zurückgeführt  ist,  zur  Zwischen- 
untersuchung, wie  man  denn  überhaupt  etwas  wissen  könne.  Dabei  wird 
mit  einer  über  Sokrates  hinausgehenden  Tiefe  der  Spekulation  das  Wissen 
als  ein  Wiedererkennen  [ccväi^ivriaic)  aus  früherer  Existenz  gefasst.  Die 
Hauptfrage  kommt  in  echt  sokratischer  Weise  nicht  zum  Austrag,  sondern 
es  wird  zum  Schluss  eine  nochmalige  Untersuchung  über  das,  was  Tugend 
ist,  gefordert. 

Der  fDatSgog,  das  vielbewunderte  Gespräch,  voll  Lenzesduft  und 
poetischem  Reiz,  ist  benannt  von  Phaidros,  einem  schwärmerischen  Jünger 
des  Sokrates,  dem  wir  auch  im  Symposion  als  Lobredner  des  Eros  begegnen, 
und  den  die  Medisance  zu  einem  Geliebten  Piatons  machte.-)  Der  Prolog 
führt  die  beiden  einzigen  Unterredner,  Sokrates  und  Phaidros,  und  uns  mit 
ihnen  zum  Kephissosbach  unter  die  hohe  Platane.  Das  Gespräch  knüpft 
an  eine  Schulrede  des  Lysias  über  das  frostige  Thema,  dass  man  die  Liebes- 
gunst eher  dem  Nichtliebenden  als  dem  Liebenden  erweisen  solle,  an,  indem 
Sokrates  an  dem  elenden  rhetorischen  Machwerk  eine  vernichtende  Kritik 
übt  und  dann  demselben  zwei  eigene  Reden  entgegenstellt.  Von  diesen 
steht  die  erste  noch  auf  dem  Standpunkt  eines  rhetorischen  Aufsatzes,  die 
zweite  aber  enthüllt  die  ganze  Tiefe  philosophischer  Spekulation,  indem 
sie  den  Eros  als  das  Streben  nach  dem  Urschönen  und  der  Welt  der  Ideen 
fasst.  Damit  ist  die  unmessbare  Überlegenheit  der  philosophischen  An- 
schauung vor  der  Wortkünstelei  und  Gedankenleere  der  Rhetorik  gegeben, 
was  dann  noch  in  einer  eingehenden  Kritik  der  Redeschreiberei  näher  aus- 
geführt wird.  Der  Dialog  scheint  anfangs  von  den  Grammatikern  und 
Philosophen  weniger  geschätzt  worden  zu  sein,  da  ihn  Aristophanes  nicht 
in  das  Verzeichnis  der  Hauptdialoge  aufnahm  und  Dikäarch  an  ihm  etwas 
Gesuchtes  (^o^r/xor)  zu  tadeln  fand.'O   Um  so  mehr  gelesen  und  bewundert 

Ötud.  4t),  gestützt  auf  die  kunstvolle  Anlage  |  geschrieben    sei,    wage    ich    nicht    zu    ent- 

des  Dialoges   und    die  Erwähnung    der   La-  \  scheiden;  über  das  Verhältnis  zu  Protagoras j 

konentümelei  in  Prot.  342  c,  noch  unter  das  |  siehe  S.  379. 

Jahr  387    oder   den  Frieden    des  Antalkidas  |  '^)  Diog.    III,    31 ;    nach   Lysias    19,    L) 

herabgegangen.  Dagegen  wendet  sich  Zeller  war  Phaidros  durch  CTutmütigkeit  in  seinen 

II'*,  1.  529  f.  i  Vermögensverhältnissen  herabgekommen. 

')  Men.  p.  90a    u.  Xen.  Hell.  III,  5.  1.  |  •' f  D\og.  lU,oG:  Uyog  &^  riQüiroy  yQuipai 

Ob    Menon    nach    Gorgias    oder    umgekehrt  i  avroy    rw   ^«lÖQoy   •  xcd    yuQ    i/si    ueiQcc- 


4.  Die  Philosophen,    c.  Piaton.  (§  287.)  B81 

wurde  er  in  der  späteren  Zeit,  so  dass  auf  keinen  der  Dialoge  öfter  als 
auf  ihn  angespielt  wird.^)  —  Bezüglich  seiner  Abfassungszeit  gehen  die 
Meinungen  stark  auseinander;  schon  die  Alten ^)  fassten  ihn  als  Jugend- 
werk Piatons,  Schleiermacher  stellte  ihn  als  Programmrede  in  den  Anfang 
der  platonischen  Schriften,  und  üsener,  Rh.  M.  35,  131  ff.,  wollte  ihn  gar 
zu  Lebzeiten  des  Sokrates  im  Jahre  402  geschrieben  sein  lassen.  Dem 
gegenüber  hat  schon  Hermann,  Plat.  Phil.  374,  hervorgehoben,  dass,  wenn 
man  auch  in  dem  erhabenen  Schwung  einzelner  Stellen  und  in  dem  reichen 
Schmuck  des  Ausdrucks  mit  Recht  Spuren  der  jugendlichen  Dichterversuche 
des  Philosophen  finde,  doch  in  dem  philosophischen  Inhalt  vieles  übrig 
bleibe,  was  einer  ganz  anderen  als  der  sokratischen  Begriffssphäre  angehört. 
Sicher  ist,  dass  der  Phaidros  vor  den  Euthydemos  und  vor  die  Rede  des 
Isokrates  gegen  die  Sophisten  fällt, '0  unsicher,  ob  derselbe  den  Gorgias 
zur  Voraussetzung  habe  und  sich  auf  ihn  stütze.^)  Da  überdies  zu 
jener  Zeit  Lysias  noch  Unterricht  in  der  Beredsamkeit  gegeben  zu 
haben  scheint  und  die  Weisheit  ägyptischer  Priester  in  unserem  Dialog 
(p.  274)  eine  grosse  Rolle  spielt,  so  werden  wir  in  die  letzten  Jahre  des 
1.  Dezenniums  des  4.  Jahrhunderts  als  die  mutmassliche  Entstehungszeit 
unseres  Dialoges  geführt. 

Der  rogyiag  ist  gegen  die  After  Weisheit  der  Rhetorik  gerichtet,  die 
hier  durch  den  Leontiner  Gorgias  repräsentiert  wird.  Das  Gespräch  zeigt 
noch  die  alte  Einfachheit  sokratischer  Dialoge  und  bewegt  sich  auch  noch 
wesentlich  im  sokratischen  Gedankenkreis:  es  ist  in  direkter  Gesprächsform 
gehalten,  und  es  beteiligt  sich  an  ihm  ausser  den  beiden  Hauptsprechern, 
Sokrates  und  Gorgias,  und  deren  Sekundanten,  Polos  und  Chairephon,  nur 
noch  der  vornehme  Kallikles,  bei  dem  der  gefeierte  Rhetor  abgestiegen  war. 
Auch  im  Inhalt  entfernt  sich  der  Dialog  insofern  nicht  von  der  Anschauung  des 
Sokrates,  als  auch  dieser  der  Scheinweisheit  der  Rhetorik  gram  war  und 
die  Beschäftigung  mit  der  Philosophie  als  eine  würdigere  Lebensaufgabe 
ansah.  Aber  auf  der  anderen  Seite  ist  unser  Dialog  nicht  bloss  ungleich 
grösser  als  die  der  ersten  Periode,  sondern  zeigt  auch  in  der  dialektischen 
Entwicklung  der  Hauptsätze  eine  weit  kunstvollere  Anlage."')  In  der  De- 
finition der  Rhetorik  als  einer  Ttj^rj  dri^iovQyog  neid^ovg  TTsiaTixrjg  ov  di- 
daaxaXixrjg  ttsqI  öixaiMv  xal  aSixcov,  und  in  der  Gegenüberstellung  der 
wahren  Künste  larQtxrj,  yvixvaaTixri,  voßo^sTixr^,  aoqia  tisqI  dixaioavvrjV, 
und  der  falschen,  den  Schein  der  Weisheit  erheuchelnden  Künste  {xoXaxsvn- 
xc(i),   oipOTioiixr^,   xofxi^ionixrj,    ao(fiaTixrj,    qiiToqixtj   tritt   uns  nicht  nur    schon 


xiwöeg   Tfc    To  r[Q6ßXf]fj,c<,   JixaiaQx^S   <^£   x««    j   krates    zu    suchen    sei,    erweist    neuerdings 


TOi/  TQonoy  Tjyf  ygacprjg  oXov  inifxe^cpsiai 
(og  (fOQXLxöv.  Über  cpogrixöv  ^gekünstelt, 
poetisch"  s.  Theophrast  bei  Dionys.  Hai.  de 
Lys.  14,  de  Isoer.  13. 

')  8.  Lucian,  Bis  accus.  30,  Pisc.  22, 
Rhet.  praec.  26. 

''^)  Diog.  a.  0. 

^)  Nachgewiesen  ist  dieses  von  Spengel, 
Isokrates  und  Plato,  worüber  S.  294.  Dass 
das  Original  der  übereinstimmenden  Stellen 
im  Phaidros  und  nicht  in  der  Rede  des  Iso- 


SvsEMiBL,  De  Platonis  Phaeclro,  Greifsw.  1887, 
und  Jahrb.  f.  Phil.  121,  10;  dagegen  Siebeck, 
Unters.  129  ff.  Dittenberger  hat,  indem  er 
sich  von  dem  Gebrauch  der  Partikel  firjt' 
leiten  liess,  den  Phaidros  später  als  Phaidon 
und  Symposion  gesetzt;  s.  oben  S.  375  An.  3. 

^)  Phaedr.  260  e  u.  f.  führt  auf  Gorgias 
463b  u.  453a  zurück  Siebeck,  Unters,  z.  Phil, 
d.  Gr.  1.15  ff.;  siehe  dagegen  S.  382. 

^)  Über  den  Gedankengang  s.  Bonitz, 
Plat.  Stud.  1  -46. 


382 


Griechisclie  Litteraturgeschiclite.     1.  Klassische  Periode. 


die  dialektische  Kunst  Platoiis  in  ihrer  vollen  Feinheit  entgegen,  sondern 
haben  wir  auch  bereits  den  Kern  der  platonischen  Lehre  von  den  Gegen- 
sätzen des  Meinens  und  Wissens,  des  Scheines  und  des  wahrhaft  Seienden. 
In  den  Dialog  ist  die  heftige  Verurteilung  der  mit  rednerischen  Künsten 
das  Volk  berückenden  Demagogen  eingeflochten  (c.  58),  und  zittert  noch 
mächtig  die  zornige  Entrüstung  über  die  ungerechte  Verurteilung  des 
Sokrates  und  die  Verteidiger  des  Justizmordes  nach.  Das  hat  zur  Ver- 
mutung geführt,  dass  der  Dialog  nicht  allzulang  nach  Sokrates'  Tod  ge- 
schrieben sei.  ^)  Doch  fällt  derselbe  nicht  bloss  nach  394,  da  in  ihm  p.  469  e 
die  Wiederherstellung  der  athenischen  Seemacht  vorausgesetzt  wird,  son- 
dern es  kann  derselbe  auch  erst  nach  dem  Phaidros  und  nach  dem  ersten 
Auftreten  des  Isokrates  als  Lehrer  der  Rhetorik  gesetzt  werden,  da  p.  463a 
mit  dem  Satze  'Joxfr  toivvv  /to/,  m  Togyia^  eivai  ri  sTJiTrjdsvfia  ts^vikov 
fiUv  ov,  tpvxrjg  St  (TTOXcc(TTixrjg  xal  drSgeiag  xccl  (fvaei  Ssivrjg  ngocofiiXsir 
ToTg  avd^QiüTioig  ganz  offenbar  auf  die  anpreisenden  Worte  des  Isokrates 
in  der  um  390  geschriebenen  Rede  xaxd  tmv  aotfiarmv  §  17  \avTa  dt 
noXXrjg  impsXsiag  SsTaS^ai  xal  ipi^xrjg  dvÖQixrjg  xal  So'^aaTixrjg  sqyov  sivai 
Bezug  genommen  ist.^)  Bei  der  grossen  Bedeutung  der  Redekunst  im 
Altertum  fand  unser  Dialog  über  die  Rhetorik  grosse  Beachtung,  Bewunde- 
rung bei  den  einen  und  Anfeindung  bei  den  andern.  Der  Rhetor  Aristides 
in  der  Zeit  der  Antonine  hat  eine  eigene  Schrift  zur  Widerlegung  des- 
selben geschrieben,  in  der  es  ausdrücklich  heisst,  dass  viele  diesen  Dialog 
allen  anderen  vorzogen. 

KqaTvXog^  benannt  nach  dem  Hauptsprecher,  einem  Schüler  des 
Heraklit,  wendet  ein  Lieblingsthema  der  Sophisten  über  den  Unterschied 
von  Natur  und  Satzung  {(fvaig  und  ^taig)  auf  die  Sprache  an.  Kratylos 
vertritt  die  Ansicht,  dass  die  Sprache  ein  Naturprodukt  sei  und  benützt 
diesen  Satz  nach  Weise  der  Philosophen  jener  Zeit,  um  die  Lehre  seines 
Meisters  an  der  Hand  sprachlicher  Etymologien  zu  begründen.  Das  letzte 
wird  entschieden  zurückgewiesen  und  zugleich  angedeutet,  wie  die  Lehre 
vom  ewigen  Fluss  der  Dinge  die  Möglichkeit  des  Erkennens  (yvwaig),  das 
auf  das  Ständige  und  Bleibende  gerichtet  sei,  ausschliesse.  Im  übrigen  hat 
der  Dialog  für  uns  eine  besondere  Bedeutung,  als  der  erste  Versuch  einer 
Sprachphilosophie,  freilich  mit  allen  Schwächen  eines  ersten  Versuchs,  die 
besonders  in  den  haarsträubenden  Etymologien,  wie  x)^sdg  dno  tov  ^dr, 
7jhog,  dorisch  dhog,  dno  xov  dh'^siv,  zutage  treten.^) 

Der  Evd^vdr^iiog  ist  eine  ergötzliche  Satire  auf  die  dialektische  Klopf- 


^)  Vergl.   WiLAMOWiTz,   Philol,   Unters. 

I,  213  ff.     Natorp,  Arch.  f.  Gesch.  d.  Phil. 

II,  394  fF.  sucht  zu  erweisen,  dass  der  Gor- 
gias  zwischen  Protagoras,  Laches,  Charmides, 
Menon  auf  der  einen  und  Phädrus,  Theätet 
auf  der  anderen  Seite  zu  setzen  ist.  Um- 
gekehrt nennt  Gompeez,  Plat.  Aufs.  =  Stzb. 
d.  W.  Ak.  1887,  II,  741  ff.  den  Menon  wegen 
seiner  milderen  Beurteilung  der  Staatsmänner 
p.  93 — 94  eine  Art  Palinodie  auf  den  Gorgias. 

'^)  Diese   direkte  Anspielung   wurde  be- 
reits   erkannt    von    Bake,    Scholica   hypom- 


nemata  III,  38;  weiter  verfolgt  wurde  sie  h 
unlängst  von  Sudhaus,  Zur  Zeitbestimmung  |i 
plat.  Schriften,  Rh.  M.  44  (1889)  52  ff.,  der  ;j 
des  weitern  nachweist,  dass  Isokrates  in  der  l 
2.  Rede  an  Nikokles  (3,  2)  auf  die  Vorwürfe 
Piatons  antwortete,  weshalb  er  den  Gorgias 
bis  auf  376  herabrücken  will. 

^)  Deuschle,  Die  platonische  Sprach- 
philosophie, Marburg  1852;  Steinthal,  Gesch. 
d.  Sprachwissenschaft  S.  39 — 110;  Benfey, 
Aufgabe  des  plat.  Dial.  Kratylus,  Abhdl.  d. 
Gott.  Ges.  d.  W.  1860. 


4.  Die  Philosophen,    c.  Piaton.  (§  287.)  383 

fechterei  des  Euthydemos  und  Dionysodoros,  unter  denen  wahrscheinlich 
der  Rivale  des  Piaton,  derEristiker  Antisthenes,  mitgetroffen  wird.  Trefflich 
ist  die  Unwahrhaftigkeit  jener  Eristiker  gezeichnet,  denen  nichts  an  der 
Ermittelung  der  Wahrheit  gelegen  ist,  sondern  die  nur  mit  ihren  verfäng- 
lichen Fragen  den  Beifall  der  Zuhörer  erhaschen  wollen,  im  Grunde  ge- 
nommen aber  nicht  besser  sind  als  die  epideiktischen  Sophisten  mit  ihren 
langen  Reden.  Die  Einkleidung  des  Dialoges  ist  ähnlich  wie  die  des  Pro- 
tagoras  und  Symposion,  indem  Sokrates  dem  Kriton  die  gestrige  Disputation 
der  Eristiker  und  des  jungen  Kleinias,  welchen  jene,  mochte  er  das  eine 
oder  andere  sagen,  in  die  Enge  trieben,  wieder  erzählt.  Der  Schluss  ent- 
hält einen  versteckten  Seitenhieb  auf  den  nicht  mit  Namen  genannten,  aber 
deutlich  gekennzeichneten  Isokrates,i)  der  beim  Weggehen  sich  verächtlich 
nicht  bloss  über  die  Eristik,  sondern  über  alle  Dialektik  äussert,  in  der 
That  aber  hinter  beiden,  dem  rechten  Staatsmann  und  dem  rechten  Philo- 
sophen zurücksteht.  Verfasst  ist  unser  Dialog  nach  dem  Phaidros,  in 
welchem  Piaton  mit  Isokrates  noch  auf  bestem  Fusse  steht,  und  vor  dem 
Theätet,  in  welchem  der  Autor  die  besonders  in  dem  Euthydem  anstössige 
Form  des  referierten  Gespräches  verlässt. 

(I>ai6ü)v  rj  nsQi  ifivxrj(;  ward  von  Thrasylos  mit  Apologie,  Kriton, 
Euthyphron  zu  einer  Tetralogie  verbunden,  weil  er  die  Erzählung  von  den 
letzten  Stunden  des  Sokrates  enthält,  fällt  aber  offenbar,  wie  die  kunstvolle 
Einkleidung  und  der  Einfluss  pythagoreischer  Philosophie  zeigt,  in  die  Zeit 
nach  der  ersten  sikilischen  Reise.  2)  Die  Dramatik  unseres  Dialoges  ist  das 
Ergreifendste,  was  Piaton  geschrieben  hat,  und  der  Schluss  desselben  sollte 
auch  von  denen  gelesen  werden,  die  der  philosophischen  Spekulation  ab- 
geneigt sind  und  die  Beweiskraft  der  vorgebrachten  Unsterblichkeitsbeweise 
bestreiten.  Das  würdige  Thema  des  Gesprächs  der  letzten  Stunden  des 
sterbenden  Sokrates  bildet  nämlich  die  Unsterblichkeit  der  Seele,  deren 
Annahme  mit  der  Ideenlehre  Piatons  und  mit  der  bereits  im  Menon  ausge- 
sprochenen Auffassung,  dass  das  Erkennen  ein  Rückerinnern  an  früheres 
Wissen  oder  Schauen  {drätuvr^aig)  sei,  aufs  engste  zusammenhängt;  ausserdem 
nimmt  der  Philosoph  in  der  Beweisführung  auf  die  pythagoreische  Lehre, 
die  er  auf  seiner  sikilischen  Reise  kennen  zu  lernen  Gelegenheit  gehabt 
hatte,  ausdrücklich  Bezug.  Trotz  der  Abstraktheit  der  Beweise  drang  der 
herrliche  Dialog  so  sehr  in  weite  Kreise,  dass  der  Komiker  Theopomp  auf 
der  Bühne  in  seinem^HdvxccQtjg  eine  Anspielung  auf  denselben  machen  konnte.^) 

Das  2vfX7i6aiov  ist  leicht  das  liebreizendste  und  kunstreichste  Werk 
Piatons,  das  schon  bei  den  Alten  von  denjenigen,  welche  Piaton  mehr  seiner 
Kunst  als  seiner  philosophischen  Lehre  wegen  lasen,  vor  allen  anderen 
Werken  bevorzugt  wurde. ^)  Das  Gastmahl,  worüber  Apollodoros,  der  selbst 
wieder  von  Aristodemos  Kunde  erhalten  hatte,  seinen  Freunden  Mitteilung 
macht,  hatte  der  Tragiker  Agathen  zu  Ehren  seines  ersten  tragischen  Sieges 

'^  Erwiesen  von  Spengel,  s.  S.  381  An.  3.  |  beziehen  sich  auf  Phaid.  p.  96 e.  Nachdem  Kpi- 
-)  Eine  Rückbeziehung  auf  den  Phaidon  i  gramm  des  Kallimachos  Anth.  VII,  471  weihte 
enthält  die  Republik  p,  608  f.,  611b  u.  612a,  |  sich  Kleombrofos  aus  Ambrakia  mit  demAus- 
worüber  Siebeck,  Jahrb.  f.  Phil.  1885  S.  227;  ruflÜtf  X"^Q^  dem  Tod,  nachdem  er  den  Dia- 
umgekehrt geht  Phaid.  72^  auf  Menon  zurück.  I  log  des  Piaton  über  die  Seele  gelesen  hatte. 
"}  Die  Verse,  erhalten  bei  Diog.  IIT,  26,    {  ^)  Zeugnisse  in  der  Ausgabe  von  0.  Jahn. 


384  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

(416)  gegeben;  eingeladen  war  dazu  eine  bunte  Gesellschaft;  ausser  dem 
Sokrates,  der  noch  den  Aristodemos  mitgebracht  hatte,  Phaidros,  Pausanias, 
der  Arzt  Eryximachos,  Aristophanes.  Als  Thema  der  Tischreden  wird  auf 
Phaidros  Vorschlag  der  Eros  gewählt.  Die  Kunst  des  Piaton  nun  zeigt  sich 
in  der  Art,  wie  er  das  Thema  von  den  einzelnen  Tischgenossen  entsprechend 
ihrem  verschiedenen  Charakter  anfassen  und  nach  und  nach  zu  immer 
höheren  Zielen  führen  lässt.  Am  genialsten  ist  die  Rede  des  Aristophanes, 
der  in  einem  geistreich  erfundenen  Mythus  die  Liebe  als  das  Suchen  der 
einen  Hälfte  des  ehemals  vereinten,  aber  von  Gott  auseinandergeschnittenen 
Urmenschen  nach  seiner  anderen  Hälfte  hinstellt.  Aber  tiefer  ist  die  an 
den  Schluss  gestellte  Auseinandersetzung  des  Sokrates,  der  seiner  Rede  die 
Form  einer  Unterredung  mit  der  weisen  Mantineerin  Diotima  gibt  und  in 
ihr  die  Liebe  als  den  Trieb  nach  Unsterblichkeit  fasst,  der  den  Leib  der 
Frauen  mit  Kindersamen  und  die  Seele  edler  Jünglinge  mit  Weisheit  und 
Tugend  befruchtet.  Indes  wenn  auch  der  philosophische  Gehalt  des  Werkes 
in  den  Reden  steckt,  so  liegt  doch  der  eigentliche  Reiz  in  dem  mimischen 
Arrangement,  den  Zwischenreden  und  Zwischenfällen,  welche  uns  statt  in 
einen  langweiligen  Sprechsaal  in  ein  lebensvolles,  heiteres  Gastmahl  ver- 
setzen. Das  tritt  besonders  in  dem  letzten  Teil  des  Dialogs,  in  der  Scene, 
die  Feuerbach  zum  Gegenstand  seines  grossartigen  Gemäldes  gemacht  hat, 
hervor:  noch  nicht  war  Sokrates  mit  der  Diskussion,  die  sich  an  seine 
Rede  knüpfte,  ganz  zu  Ende,  da  kommt  Alkibiades  halbberauscht  herein 
und  hält,  von  den  Tischgenossen  aufgefordert,  eine  Lobrede  auf  Sokrates, 
die  von  leidenschaftlicher  Begeisterung  für  den  verehrten  Meister  über- 
strömt und  an  einem  konkreten  Fall  die  ganze  Reinheit  des  Verhältnisses 
des  edlen  Lehrers  zu  seinen  geliebten  Jüngern  nachweist.  Auch  der 
Schluss  dient  noch  dazu,  uns  den  Sokrates  in  seiner  herrlichen,  unendlich 
über  dem  pedantischen  Schulmeister  stehenden  Gestalt  zu  zeigen :  eine  neue 
Schar  von  Nachtschwärmern  war  eingedrungen;  über  dem  wüsten  Zechen 
schlichen  die  einen  davon,  die  andern  nickten  ein,  unter  ihnen  der  Erzähler 
des  Dialoges  Aristodemos;  als  der  gegen  Morgen  erwacht,  sieht  er  den 
Sokrates  noch  ganz  geistesfrisch  mit  den  beiden  Dichtern  Agathon  und 
Aristophanes  aus  einem  grossen  Humpen  zechen  und  über  das  Thema,  dass 
der  rechte  Dichter  zugleich  sich  auf  die  Tragödie  und  die  Komödie  ver- 
stehen müsse,  eifrigst  diskutieren.  Für  die  Abfassungszeit  des  Dialogs 
liegt  ein  Anzeichen  in  der  Anspielung  auf  die  Zerteilung  der  Stadtgemeinde 
von  Mantinea  in  4  Landgemeinden  p.  193  a,  wonach  derselbe  im  Jahre  385 
oder  bald  nachher  abgefasst  wurde.  ^) 

Der  0£aiTi]Tog  ist  ein  dialektisches  Gespräch  zwischen  Sokrates, 
Theaitetos  und  Theodoros  über  das  Wissen  (smairji^irj),  wieder  erzählt  in 
direkter  Redeform  '^)  von  Eukleides,  dem  megarischen  Sokratiker,  gelegentlich 
des  Rücktransportes  des  im  korinthischen  Kriege  (392)  erkrankten  Theätet.^) 


K 


')  Vgl.  Xenoph.  Hell.  V,  2.  Über  das 
Verhältnis  zum  xenophontischen  Symposion 
§  229.  L,  Sybel,  Piatons  Symposion,  Marb. 
1888,  nennt  das  Symposion,  das  nach  dem 
ersten  Jahresfeste  der  platonischen  Hochschule 
geschrieben    war,    das   Programm    der   Aka- 


demie. 

^)  ^gl-  §  282;  die  Änderung  der  Form 
scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  der  Theätet 
nach  Protagoras,  Euthydem  und  Symposion 
geschrieben  sei. 

•')  An  den  Kampf  um  Korinth  des  J.  3G8 


4.  Die  Philosophen,    c.  Piaton.  (§  288.) 


385 


Der  Dialog  von  tiefem  philosophischem  Gehalt  führt  unter  scharfsinniger 
Bekämpfung  entgegenstehender  Meinungen,  namentlich  des  Protagoras,  die 
Frage  nach  dem  Wesen  des  Wissens  zwar  nicht  zum  letzten  Abschluss, 
der  nur  im  Zusammenhang  mit  der  Ideenlehre  gegeben  werden  konnte, 
aber  doch  so  weit,  dass  wir  über  die  erste  Stufe  der  sinnlichen  Wahr- 
nehmung {ccl'aS^r^aig)  und  blossen  Meinung  {^6'^a)  zur  richtigen  Meinung  und 
weiter  zur  richtigen  Meinung  mit  Rechenschaftsgabe  (dhjd^rjg  6o§a  ^exd 
Xoyov)  emporsteigen.  Zugleich  ist  die  Behandlung  des  ganz  abstrakten 
Themas  durch  herrliche  Bilder  und  Gleichnisse  belebt,  wie  von  der  Heb- 
ammenkunst (f.iai£VTixrj)  des  Sokrates  (p.  149 — 151)  und  von  der  Seele  als 
dem  Taubenschlag  der  Ideen  (p.  197).')  Der  Dialog  erhält  seine  Fortsetzung 
in  dem  Sophistes  und  Folitikos,  deren  Abfassung  aber  geraume  Zeit  später 
zu  fallen  scheint.  Über  seine  eigene  Abfassungszeit  gehen  die  Meinungen 
sehr  auseinander;  die  einen,  darunter  Zeller,  setzen  ihn  bald  nach  der  Zeit 
der  Eingangsscene,  um  392,  andere  nach  dem  Euagoras  des  Isokrates  oder 
nach  374,2)  endlich  Bergk  nach  den  zweiten  Kämpfen  um  Korinth  im 
Jahre  368  und  nach  dem  Tode  des  Königs  Agesilaos  357. 

288.  Die  konstruktiven  Dialoge,  in  denen  Piaton  seine  eigene 
philosophische  Lehre  in  positiver  Weise  entwickelt  und  aus  den  früheren 
Perioden  seiner  Schriftstellerei  nur  die  Form  des  sokratischen  Gespräches 
beibehält.  Das  mimische  Element  und  die  künstlerische  Umrahmung  tritt 
hier  allgemach  zurück;  hingegen  führt  der  Lehrton  zu  längeren  Vorträgen, 
wenigstens  in  den  Schriften  über  Politik  und  Physik.  Die  hieher  gehörigen 
Dialoge  gehören  in  das  Gebiet  der  Staatslehre  (Politeia  und  Nomoi),  Dia- 
lektik (Sophistes,  Folitikos,  Parmenides),  Ethik  (Philebos),  Physik  (Timaios). 

Die  üoliTsia^)  umfasst  10  B.,  welche  Bucheinteilung  aber,  da  dieselbe 
vielfach  verkehrt  und  geradezu  sinnwidrig  ist,^)  nicht  vom  Autor  selbst 
herrührt.  Das  Werk  hat  die  Form  eines  Gespräches,  das  im  Hause  des 
greisen  Kephalos  gelegentlich  eines  im  Piräus  zu  Ehren  der  Göttin  Bendis 
veranstalteten  Festes  gehalten  wurde.'')     Anwesend  waren  ausser  Kephalos 


dachte  Bergk,  Fünf  Abh.  zur  griech.  Phil. 
S.  3.  Dagegen  Einwendungen  in  meinen 
Plat.  Stud.  48  und  Zeller,  Über  die  zeit- 
geschichtlichen Beziehungen  des  plat.  Theätet, 
Stzb.  d.  Berl.  Ak.  1886  S.  631  ff.  und  1887 
S.  214,  wo  die  Stelle  über  die  Peltasten  p. 
165  d  für  die  Zeit  392-390  geltend  ge- 
macht wird. 

')  Für  uns  Philologen  ist  auch  die  Paten- 
rede des  Sokrates  auf  die  Philologie  p.  146a 
interessant;  ov  zl  nov,  w  GEodajQS,  syoj  tno 
(fiXoXoyUcg  dyQoixiCo^ai,  7TQoS^i\uovfxei'ogrjfAccq 
noirjaca  diakeysa^ta  xc<l  (piXovg  je  xmI  nQoa7j- 
yoQovg  diaXeysad^ai. 

''^)  lioHDE,  Abfassungszeit  des  piaton. 
Theätetos,  in  Jahrb.  f.  Phil.  1881  S.  321  ff. 
und  Gott.  Gel.  Anz.  1884  S.  13  ff.,  hielt,  wie 
zu  gleicher  Zeit  Bergk,  die  Stelle  p.  175  a 
über  die  Lobreden  auf  Könige  zusammen 
mit  Isoer.  Euag.  c.  8,  wo  sich  der  Rhetor 
rühmt,  die  erste  Lobrede  auf  einen  berühmten 
Mann  der  Gegenwart  geschrieben  zu  haben. 
Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.     2. 


Dagegen  betont  Zeller,  dass  Piaton  nicht 
von  geschriebenen  Lobreden  wie  Isokrates 
rede,  und  bezieht  die  25  Ahnen  der  piaton. 
Stelle  nicht  auf  den  König  Agesilaos,  sondern 
auf  dessen  Kollegen  Agesipolis  (394  —  380), 
auf  den  besser  die  Zahl  25  passt.  Ob  uns 
doch  nicht  der  Dialog  in  einer  zweiten  Be- 
arbeitung vorliegt,  die  aus  der  Zeit  stammt, 
in  der  Piaton  zu  dem  Theätet  den  Sophistes 
und  Folitikos  fügte? 

^)  Über  den  Titel  Bohr  eleu  in  Arist. 
Polit.  p.  1293b,  1  und  Themist.  or.  II  p.  38, 
21  Dind.;  s.  Schneider  im  Eingang  seiner 
Ausgabe. 

^)  Vgl.  meine  PlaL  Stud.  22. 

•')  Das  über  dieses  Fest  und  den  Fackel- 
lauf im  Eingang  Bemerkte  zeigt,  dass  sich 
Piaton  das  Gespräch  an  einem  bestimmten 
Datum  gehalten  dachte.  Auch  ist  die  Schil- 
derung des  Festes  und  der  Person  des  greisen 
Kephalos  so  lebensvoll,  dass  man  glauben 
möchte,  Piaton  habe  selbst  noch  den  Ke- 
Aufl.  25 


386 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


und  dessen  Sohn  Polemarchos,  Sokrates,  die  Brüder  des  Piaton  Glaukon 
und  Adeimantos,  der  Rhetor  Thrasy machos  und  mehrere  stumme  Personen. 
Aber  die  grosse  Ausdehnung  des  Werkes  passt  durchaus  nicht  in  den 
Rahmen  eines  Gespräches,  weshalb  gewiss  die  Schrift  ursprünglich  kleineren 
Umfangs  war  und  erst  allmählich  durch  Erweiterung  zur  Grösse  von 
10  Büchern  angewachsen  ist.  ^)  Das  bezeugt  auch  eine  Überlieferung  des 
Altertums  bei  Gellius,^)  wonach  von  der  Republik  zuerst  nur  2  Bücher  in 
die  Öffentlichkeit  kamen.  Ganz  verwischt  sind  die  Spuren  der  allmählichen 
Entstehung  nicht,  indem  z.  B.  das  Hauptthema  des  3.  und  4.  Buches  noch- 
mals im  10.  Buche  behandelt  und  dabei  p.  607  b  auf  die  inzwischen  auf- 
getauchte Polemik  Rücksicht  genommen  ist.^)  Die  Hauptteile,  in  welche 
das  umfangreiche  Werk  zerfällt,  sind  folgende:  Buch  I  enthält  die  Ein- 
leitung und  die  Untersuchung  über  das,  was  das  Gerechte  {to  Sixaiov)  ist, 
in  ähnlicher  Weise  wie  in  den  kleinen  Dialogen  (Laches,  Charmides,  Lysis, 
Euthyphron)  das  AVesen  der  dvSQsia,  aMCfQoavvrj^  (filia,  oaiÖTrjg  untersucht 
wird.  Die  Bücher  H — IV  umfassen  die  Gründung  und  Organisation  des- 
jenigen Staates,  in  welchem  die  Idee  der  Gerechtigkeit  zur  Verkörperung 
kommt.  Den  Hauptgegenstand  dieses  Abschnittes  bildet  die  Erziehung, 
die  geistige  (ixovaixrj)  und  körperliche  (yvf^ivaaTixri)  der  Staatsangehörigen, 
woran  sich  im  4.  Buch  die  Besprechung  derjenigen  Tugenden  schliesst, 
welche  sich  in  einem  wohlorganisierten  Staat  infolge  jener  Erziehung  der 
Staatsbürger  finden  müssen,  die  Weisheit  {(pQÖrrjaig  oder  ao(ffa),  die  Tapfer- 
keit (dvSQsia),  die  Selbstbeherrschung  {c>o)(fQO(rvvrj),  die  ausgleichende  Ge- 
rechtigkeit (dixaioavvrj).  Die  Bücher  V — VII  bilden  den  3.  Teil.  Im 
Eingang  des  5.  Buches  schickt  sich  Sokrates  an,  im  Anschluss  an  das 
vorausgegangene  Buch,    die   Abarten  des    richtig  organisierten   Staates  zu 


phalos  in  seiner  Häuslichkeit  gesehen.  Aber 
die  Zeit  ist  schwer  festzustellen ;  am  meisten 
Zustimmung  verdient  Böckh,  Kl.  Sehr.  IV, 
437  ff.,  der  für  409  eintritt.  Für  eine  so 
späte  Zeit  spricht  insbesondere,  dass  Sopho- 
kles p.  329  b  als  Greis  gedacht  ist,  und  dass 
die  Brüder  Piatons,  Glaukon  u.  Adeimantos, 
sich  nach  p.  368  a  bereits  im  Kriege  ausge- 
zeichnet hatten.  C.  Fr.  Hermann,  Plat.  Phil. 
095  erklärt  sich  für  430,  weil  für  den  Anfang 
des  peloponnesischen  Krieges  am  meisten 
die  Lebensverhältnisse  des  Lysias  sprechen, 
und  versteht  daher  unter  Glaukon  u.  Adei- 
mantos die  Oheime  des  Piaton.  Vgl.  Suse- 
MiHL,  Entw.  n,  76  ff.  und  Ind.  lect.,  Greifsw. 
1884  p.  XII  und  uns  oben  S.  320. 

^)  Von  selbst  drängt  sich  einem  in  dieser 
Beziehung  der  Vergleich  des  bedeutendsten 
Werkes  der  griechischen  Prosa  mit  dem  ge- 
feiertesten der  griechisclien  Poesie  auf. 

^)  Gellius  XIV,  3:  Xenophon  inclito  Uli 
operi  Piatonis,  quod  de  optimo  statu  reipu- 
blicae  civüatisque  administrandae  scriptum 
est,  lectis  ex  eo  duohus  fere  lihris,  qui  primi 
in  volgus  exierant,  opjwsuit  contra  conscrip- 
sitque  diversum  regiae  administrationis  ge- 
niis,  quod  nfudeiug  KtQov  inscriptum  est. 
I)ass  zu  dieser  ersten  Republik  das  1.  Buch 


unserer  Republik  in  seinen  wesentlichen  Teilen 
gehörte,  ist  einleuchtend;  dass  darin  auch 
schon  die  Weibergemeinschaft  gepredigt  war, 
möchte  man  aus  Aristoph.  Eccl.  (aufgeführt 
389)  schliessen  im  Zusammenhalt  mit  p.  452  b: 
ov  (foßr]T£oy  rd  rdop  ^^aQiiyiiov  axoj^^axc:. 
Aus  Aristot.  Polit.  II,  4  ersieht  man,  dass 
Piaton  zuerst  die  Weibergemeinschaft  gelehrt 
hatte;  vgl.  indes  oben  S.  258.  Auf  die  alte 
Überlieferung,  dass  Piaton  Jahre  lang  an 
der  Politeia  gearbeitet  und  sie  wieder  und 
wieder  umgearbeitet  habe,  führt  auch  die 
Anekdote  bei  Dion.  Hai.  de  comp.  verb.  25 
u.  Diog.  3,  37,  dass  nach  dem  Tode  des 
Philosophen  ein  Blatt  gefunden  worden  sei, 
auf  dem  der  Anfang  der  Republik  wieder- 
holt umredigiert  {noixlXoDg  /usTaxei/usft])  ge- 
standen habe. 

^)  Ebenso  ist  die  beste  Staatsform  1.  VIT 
p.  540  b  als  ausführbar,  im  10.  Buch  als 
unerreichbares  Ideal  hingestellt.  Krohn,  Der 
platonische  Staat  (1876),  betrachtet  die  Re- 
publik als  ein  durch  Aggregieren  allmählich 
entstandenes  Werk;  ähnlich  Pfleiderer,  Zur 
Lösung  dei-  platonischen  Frage.  Freiburg 
1888,  der  3  separate  Teile  annimmt  I--IV 
u.  VHI-  IX;  X;  V— VH. 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton.  (§  288.) 


387 


besprechen.  Aber  diese  Diskussion  wird  infolge  der  Einsprache  des  Pole- 
niarchos  verschoben,  so  dass  zuerst  von  der  Kinder-  und  Weibergemeinschaft 
und  von  der  Erziehung  der  zukünftigen  Herrscher  des  Staates,  der  sogenannten 
Wächter  ((fidaxsg),  gehandelt  wird.  In  diesem  3.  Teil  sind  die  tiefsten  Gedanken 
der  Philosophie  niedergelegt,  so  dass  mein  verehrter  Lehrer,  L.  Spengel, 
in  demselben  den  im  Eingang  des  Sophistes  in  Aussicht  gestellten  Dialog 
Philosophos  erkennen  wollte,  i)  Die  Bücher  VIII  und  IX  kehren  zum  An- 
fang des  5.  Buches  zurück  und  besprechen  im  Gegensatz  zur  Staatsform  des 
Philosophenkönigtums  die  Abarten  der  Timokratie,  Oligarchie,  Demokratie, 
Tyrannis,  wobei  dem  Autor  bei  der  Schilderung  der  Tyrannis  der  ältere 
Dionysios,  bei  der  der  Oligarchie  Sparta  Porträt  gestanden  haben.  Im 
Anschluss  an  die  Unterscheidung  dieser  5  Staatsformen  wird  dann  auf 
die  Glückseligkeit  (svSaifjLovia)  übergegangen,  die  in  vollkommenem  Grade 
nur  dem  Gerechten  zu  teil  werde.  Damit  ist  Plato  wieder  zum  Ausgangs- 
punkt des  ersten  Buches  zurückgekehrt.  Im  10.  Buch  kommt  zuerst  Piaton 
nochmals  auf  die  Poesie  zurück,  indem  er  an  seinem  früheren  Urteil  über 
die  rechte  Erziehung  festhält  und  wider  eigene  Neigung  jede  nachahmende 
Poesie,  die  Tragödie  und  den  Erzvater  der  Tragödie,  den  Homer,  aus  dem 
Idealstaat  verbannt.  Zum  Schluss  zieht  er  dann  die  Lehre  von  der  Un- 
sterblichkeit der  Seele  heran,  die  dem  Gerechten  zum  Glück  der  inneren 
Befriedigung  auch  noch  ewigen  Lohn  in  Aussicht  stellt.  Und  wie  sonst, 
wenn  die  dialektische  Erkenntnis  nicht  mehr  ausreicht,  so  greift  auch  hier 
Piaton  zum  Mythus,  indem  er  den  von  den  Toten  wiedererstandenen  Ar- 
menier Er  von  dem,  was  er  im  Hades  von  dem  Leben  der  Seligen  und 
Verdammten  gesehen  und  gehört  hatte,  erzählen  lässt.^)  —  Die  Abfassungszeit 
der  Republik  kann  natürlich  nicht  auf  das  Jahr  festgesetzt  werden,  da 
Piaton  an  diesem  seinem  grossartigsten  Werk  viele  Jahre,  wenn  auch  nicht 
gerade  20,  gearbeitet  hat^)  und  der  erste  Entwurf,  was  schon  die  referie- 
rende Gesprächsart  zeigt,  noch  in  die  2.  Periode  seiner  Schriftstellerei  fällt. ^) 
Anspielungen  finden  sich  p.  577  a  auf  des  Verfassers  Aufenthalt  am  Hofe 
des  Dionysios  und  p.  471a  auf  die  Grausamkeit  der  Thebaner  gegen  Platää 
im  Jahre  374.  In  weite  Kreise  war  das  Werk  wohl  schon  vor  der  2.  Reise 
des  Piaton  nach  Sikilien  gedrungen,  da  wir  schwerlich  fehl  gehen,  wenn 
wir  den  Dion  und  seine  Freunde  ihre  Hoffnungen  an  die  in  der  Republik 
niedergelegten  Ideen  knüpfen  lassen.  Es  hat  demnach  Susemihl,  Plat. 
Phil.  II,  296,  unser  Werk  in  die  Jahre  380  —  370  gesetzt.  Bis  auf  minde- 
stens  360   müssten    wir   herabgehen,    wenn   wirklich,    wie  Reinhardt,  De 

')  L.  Spengel,  in  Münchener  Gel.  Anz. 
1846  S.  653  und  Philol.  19,  595;  siehe  da- 
gegen meine  Plat.  Stud.  S.  36  f.  Aber  wenn 
man  auch  die  Hypothese  Spengels  nicht 
teilt,  so  wird  man  doch,  wie  auch  Pfleiderer 
thut,  in  diesen  Büchern,  V  p.  471c — VII  incl. 
eine  spätere,  nachträglich  in  die  ältere  Re- 
publik eingelegte  Abhandlung  erblicken 
müssen. 

^)  Wieweit  Piaton  in  seiner  Politeia 
nur  eigene  Ideen  aussprach,  lässt  sich 
schwer  bestimmen.  Nach  Aristoxenos  bei 
Diog.  111,  37  fanden  sich  die  Hauptgedanken 


bereits  in  Protagoras'  UfTiXoyixd 

^)  Krohn,  Der  plat.  Staat,  Halle  1876; 
Die  plat.  Frage  1878,  wonach  die  gesamten 
Dialoge  späteren  Ursprungs  als  der  Staat 
sein  sollen.  Dagegen  Nusser,  Piatons  Poli- 
teia, Aniberg  1882.  Siebeck,  Unters.  148. 
Zu  Krohn  kehrt  teilweise  wieder  zurück 
Pfleiderer  a.  0. 

"*)  Der  er.ste  Entwurf  müsste,  wenn  auf 
ihn  Aristophanes  in  den  Kkkles.  anspielte, 
bald  nach  dem  Phaidros,  um  390  gesetzt 
werden. 


25 


388 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Isoer.  aemulis  p.  39  annimmt,  an  der  Stelle  p.  498  d  auf  Isokrates  Areo- 
pagitikos  Bezug  genommen  wäre. 

Der  Dialog  Tif^iaiog  ist  nach  der  Fiktion  des  Proömiums  am  Tage 
nach  der  Politeia  gehalten  worden,  was  aber  nicht  zur  Annahme  nötigt, 
dass  derselbe  von  Piaton  unmittelbar  nach  jenem  Werke  verfasst  worden 
sei.  Es  enthält  der  Timaios  im  wesentlichen  dasjenige,  was  die  Späteren 
als  qjvaixi]  (filoaoffia  bezeichneten,  die  Lehre  von  der  Hervorbringung  der 
Welt  durch  den  göttlichen  Schöpfer  {SrnnovQyög),  von  der  dem  All  inne- 
wohnenden Weltseele  und  dem  zur  Aufnahme  [imoöoxrj)  der  Formen  oder 
Ideen  geeigneten  unendlichen  Raum,  von  der  Bildung  der  Elemente  und 
der  Schöpfung  der  diesseitigen  Welt,  von  der  Gestaltung  des  menschlichen 
Organismus  und  der  Harmonie  von  Seele  und  Leib.  Die  Darlegung  dieser 
mehr  sublimen  und  dunklen,  als  die  Naturerkenntnis  fördernden  Lehre  ^) 
übernimmt  der  Pythagoreer  Timaios,  womit  Piaton  selbst  die  Quelle  dieser 
Theorien  angedeutet  hat. 2)  Von  sokratischer  Art  ist  in  dem  Dialog  keine 
Spur  mehr,  wenn  auch  Sokrates  noch  einer  der  Mitunterredenden  ist;  wohl 
aber  zeigt  die  Hereinziehung  der  Ideen,  auf  die  schauend  Gott  die  Welt 
schafft,  dass  Piaton  die  pythagoreische  Lehre  nicht  einfach  herübergenommen, 
sondern  mit  seinem  eigenen  Geiste  durchdrungen  hat.  Die  durch  den 
Kommentator  Proklos  uns  erhaltene  und  im  Anhang  des  platonischen  Dia- 
logs abgedruckte  Schrift  des  Timaios  nsQi  ipvx^cc  xoc^kx)  xal  cpvaiog  ist  nicht 
ein  Originalwerk,  sondern  ein  jenem  Pythagoreer  untergeschobener  Auszug 
der  platonischen  Schrift.  2) 

Der  KQiTiaQ  sollte  nach  dem  Eingang  des  Timaios  p.  19b  die  3., 
der  Hermokrates  die  4.  Stelle  in  der  mit  Politeia  und  Timaios  begin- 
nenden Tetralogie  einnehmen. 4)  Zur  Abfassung  des  Hermokrates  kam  Piaton 
gar  nicht;  der  Kritias  blieb  Fragment,  wie  uns  Plutarch,  Solon  32,  bezeugt. 
Dasselbe  enthält  die  Schilderung  eines  gewaltigen  Reichs  in  der  Atlantis, 
dessen  Macht  später  an  einem  kleinen,  nach  platonischem  Muster  ein- 
gerichteten Staate  scheitern  sollte.  Die  Kunde  von  jenem  Reich  in  der 
Atlantis  will  Kritias  von  seinem  Ahnen  Solon  erhalten  haben,  der  sie  selbst 
von  den  ägyptischen  Priestern  in  Sais  erhalten  hatte.  Die  hieroglyphischen 
Urkunden,  welche  das  Ereignis,  auf  das  Piaton  anspielt,  nämlich  den  Sieg 
der  Agyptier  unter  Ramses  über  eine  grosse,  von  Westen  her  in  Ägypten 
einfallende  Völkermasse  schildern,  sind  in  unserer  Zeit  wieder  ans  Licht 
gezogen  worden.^) 

2o(fiaTr-g  und  JIoXiTixog,  zwei  eng  zusammenhängende  Dialoge, 
sollten  nach  dem  Eingang  des  ersteren  den  Theätet  fortsetzen  und  in  einem 
nicht  mehr  geschriebenen  4.  Dialoge,   (l^iXöaocfog,   ihren  Abschluss  finden^.) 


^)  Vom  Standpunkte  des  heutigen  Natur- 
forschers hat  die  ganze  Naturlehre  Piatons 
einer  für  den  Philologen  und  Philosophen 
sehr  lesenswerten  Betrachtung  unterzogen 
Rothlauf,  Die  Physik  Piatos,  Münch.  Progr. 
der  Realsch.  1887  u.  1888. 

2)  Im  13.  Brief  scheint  unser  Timaios 
unter  dem  Namen  TlvOayoQEia  versteckt  zu 
sein;  siehe  meine  Plat.  Stud.  30  f. 


^)  Verfasst  ist  der  falsche  Timaios  vor 
dem  2.  Jahrh.  n.  Chr.,  da  er  bereits  von 
Nikomachos  Harm.  F,  24  citiert  wird. 

4)  Vgl.  Grit.  p.  108  a. 

^)  DüMicHEN,  Hist.  Inschr.  I,  1-5,  von 
mir  nachgewiesen  Plat.  Stud.  55  f. 

^)  T..  Spengel,  Phil.  XIX,  595  stellte 
die  bestechende  Vermutung  auf,  dass  der 
Philosophos    in    den    Büchern    V — VII    der 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton.  (§  288.) 


389 


Die  in  ihnen  angewandte  Methode  ist  die  der  Spaltung  der  Art  in  ihre 
Spezies  {^laigfcrig,  divisio),  durch  die  schliesslich  die  richtige  Definition  des 
Sophisten  und  Politikers  gewonnen  werden  soll.  Die  ganze  Methode,  deren 
haarspaltende  Langweiligkeit  dem  Verfasser  selbst  nicht  entging,^)  ist  weit 
entfernt  von  der  ethischen  Wärme  der  sokratischen  Gespräche  und  wird 
von  Piaton  selbst  als  eine  fremde  dadurch  bezeichnet,  dass  der  Fremde 
(^s'vog),  den  Theodoros  mitbringt,  und  der  junge  Sokrates  ^)  Hauptträger 
des  Gespräches  sind.  Schleiermacher  nahm  an,  dass  Piaton  selbst  p.  246b 
auf  die  megarische  Schule  hingewiesen  habe  und  dass  wir  also  in  unseren 
Dialogen  die  von  Aischines  weitergebildete  Kunst  der  eleatischen  Dialektik 
vor  uns  haben.  Dagegen  weist  Dümmler,  Antisthenica  p.  51  ff.,  nach,  dass  die 
Spitze  des  Dialoges  mehr  gegen  Antisthenes  gerichtet  ist.  Die  beiden  Dia- 
loge scheinen  in  dem  13.  platonischen  Brief  unter  dem  Titel  SiaiQEasiq  er- 
wähnt zu  sein,  wonach  ich  in  meinen  platonischen  Studien  ihie  Abfassungs- 
zeit um  364  setzte;^)  dazu  stimmen  auch  die  von  Schanz  aufgedeckten 
sprachlichen  Indizien.^) 

Der  UccQiiisvidrjg,  ein  Gespräch'')  des  jungen  Sokrates  mit  dem 
greisen  Parmenides,  wird  bereits  im  Sophistes  p.  217  c  als  Xoyog  rcdyxaXog 
angekündigt.  Das  Gespräch  wird  von  Antiphon,  dem  Halbbruder  Piatons, 
wiedergegeben,  der  seinerseits  wieder  dasselbe  von  Pythodoros  gehört  und 
auswendig  gelernt  haben  will.  Im  ersten  Teile  desselben  bekämpft  der 
eleatische  Philosoph  die  Ideenlehre,  und  weicht  Sokrates  so  vor  den  Ein- 
würfen des  Gegners  zurück,  dass  er  selbst  an  der  Möglichkeit  einer  dia- 
lektischen Begründung  jenes  Grundpfeilers  der  platonischen  Philosophie  zu 
verzweifeln  scheint.  Der  zweite  grössere  Teil  enthält  eine  äussert  spinöse 
Erörterung  über  das  Eine  und  Viele,  die  eine  Probe  der  eleatischen  und 
megarischen,  mit  Antinomien  operierenden  Dialektik  sein  will.  Wie  aber 
dieser  zweite  Teil  mit  dem  ersten  zusammenhängt,  oder  mit  anderen  Worten, 
wie  derselbe  dazu  dienen  soll,  die  im  ersten  halb  fallen  gelassene  Ideen- 
lehre wieder  zu  stützen,  ist  schwer  zu  sagen,  ist  sicher  von  Piaton  nicht 
klar  gelegt.*^)  Aber  deshalb  darf  man  nicht  an  der  Echtheit  dieses  her- 
vorragenden Werkes  der  Disputierkunst  zweifeln;')  mir  scheint  es  am 
wahrscheinlichsten,  dass  Piaton  im  Sinne  hatte,  dem  Parmenides  noch  einen 
andern  Dialog  nachfolgen  zu  lassen,  der  die  Lösung  bringen  sollte.^)  Die  Ab- 
fassungszeit des  Parmenides  kann  von  der  des  Sophisten  nicht  weit  abliegen. 


Republik  enthalten  sei:  dagegen  spricht  die 
Verschiedenheit  des  Tons  und  die  Chrono- 
logie; s.  S.  387  Anm.  1. 

')  Vgl.  285  d. 

^)  Über  diesen  jungen  Sokrates  vergl. 
ep.  XL 

3)  Plat.  Stud.  52. 

4)  Vgl.  S.  875  An.  3. 

^)  Über  die  Zeit  des  Gespräches  siehe 
§  74 ;  der  Ton  spitzfindiger  Dialektik  passt 
schlecht  zur  Person  des  Sokrates. 

^)  Zur  älteren  Litteratur  bei  Susemihl 
II,  353  kommt  noch  Shorey,  De  Flatonis 
idearum  doctrina  atque  mentis  humanae 
rationihus,  Monachii  1884.     Ungenügend  ist 


der  Ausweg  Plotins  VI,  8,  dass  das  ev  in 
dreifachem  Sinn   genommen   werden  könne. 

"')  ScHAAKSCHMiDT,  Plat.  Schr.  164. 

^)  Gegen  diesen  Ausweg  der  Verzweif- 
lung erklärte  sich  Apelt,  der  schon  früher 
in  seinen  Untersuchungen  über  den  Parme- 
nides des  Piaton  (1879)  unseren  Dialog  der 
fiüheren  Zeit  platonischer  Schriftstellerei  zu- 
geschrieben hatte,  in  der  Rezension  meiner 
Abhandlung  in  Phil.  Anz.  1887  S.  27.  Jack- 
son, Journ.  of  Philol.  XI  (1882),  287  ff.  u. 
X,  258  ff.  findet  in  Parmenides  und  Phile- 
bos  die  spätere,  dem  Aristoteles  vorschwe- 
bende Form  der  platonischen  Ideenlehre. 


390 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Der  (JfiXr:ßog  teilt  mit  den  dialektischen  Dialogen  der  3.  Periode  den 
Mangel  scenischer  Einkleidung,  so  dass  es  selbst  zweifelhaft  bleibt,  ob  wir 
uns  unter  Philebos  eine  wirkliche  Persönlichkeit  oder  die  abstrakte  Fiktion 
der  Jugendliebe  vorzustellen  haben.  Gegenstand  des  Dialoges  ist  die  ethische 
Frage  nach  der  Glückseligkeit,  die  weder  mit  Aristippos  in  der  reinen 
Lust,  noch  mit  den  Megarikern  in  der  blossen  Einsicht,  sondern  in  der 
Vereinigung  beider  zu  suchen  ist.  Der  Verlauf  der  Diskussion  führt  zum 
Schlussstein  der  Ideenlehre,  dem  avToayaO^ov,  und  der  Herleitung  alles  Seins 
aus  der  Idee  des  Guten. 

Die  Nof^ioi  in  12  B.  bilden  das  letzte  Werk  Piatons  und  fallen  in 
die  Zeit  des  jüngeren  Dionysios.^)  Der  Standpunkt  des  Philosophen  in 
diesem  Werk  bedeutet  einen  Abfall  von  dem  Idealstaat  und  ein  Anbequemen 
an  die  Wirklichkeit:  aus  einem  Philosophenkönigtum  wird  eine  Aristokratie, 
in  der  aber  auch  auf  den  Reichtum  Rücksicht  genommen  wird ;  die  Güter- 
gemeinschaft wird  als  unausführbar  aufgegeben  (V,  p.  739  d)  und  durch 
Vorschriften  über  Ackerverteilung  und  Beschränkung  der  Besitzfreiheit 
ersetzt;  die  Ehe  wird  ebenso  wenig  wie  das  Privateigentum  aufgehoben, 
aber  sie  wie  alle  anderen  Grundlagen  des  Gemeinwesens,  Erziehung,  Ver- 
teilung der  öffentlichen  Gewalten,  kriegerische  Ordnung  und  Zucht  werden 
durch  eine  allseitige,  bis  ins  einzelnste  gehende  Gesetzgebung  geregelt. 
Cicero  hat  das  Verhältnis  der  beiden  Werke  nachgeahmt,  indem  er  auf 
den  Dialog  de  republica  in  späteren  Jahren  die  Leges  folgen  Hess.  Piatons 
Gesetze  spielen  in  Kreta,  also  nicht  mehr  in  Athen;  in  ihnen  allein  auch 
fehlt  die  Person  des  Sokrates  ganz.  Dass  das  Werk  unvollendet  von 
dem  Autor  hinterlassen  wurde  und  sein  Schüler  Philippos  aus  Opus  die 
Herausgabe  desselben  besorgte,  bezeugt  Diog.  III,  37.  Der  unvollendete 
Zustand  tritt  uns  in  dem  Texte  vielfach  entgegen,  wie  z.  B.  darin,  dass 
im  5.  Buch,  teilweise  auch  im  8.,  11.,  12.,  die  Form  des  Dialoges  völlig 
aufgegeben  ist,  und  dass  im  5.  und  12.  Buch  heterogene  Bestandteile  den 
Fortgang  der  Untersuchung  stören.  Die  Verwirrung  stammt  wahrscheinlich 
daher,  dass  der  Redaktor  zwei  Vorlagen  des  Autors  ungeschickt  miteinander 
verschmolz.'^) 

Für  das  richtige  Verständnis  dieser  ausgedehnten  theoretischen  Be- 
schäftigung Piatons  mit  der  Staats-  und  Gesetzeslehre  verdient  die  Über- 
lieferung Beachtung,  dass  derselbe  nicht  bloss  selbst  von  mehreren  Staaten, 
den  Kyreneern,  Thebanern,  Arkadern,  um  Entwerfung  von  Gesetzen  an- 
gegangen wurde,  ^)  sondern  dass  auch  einige  seiner  Schüler,  wie  Aristonymos, 
Phormion,  Menedemos,  als  Gesetzesgeber  thätig  waren. '^) 

289.  Unechte  und  zweifelhafte  Schriften.  Dahin  gehören  ausser 
den  7  kleinen,  im  Altertum  schon  als  unecht  erkannten  Dialogen  'A^toxog,^) 


')  Vgl.  p.  709e;  710d  und  658b  mit 
Ath.  541  d;  dass  die  Nomoi  nach  der  Repu- 
blik geschrieben  sind,  bezeugt  auch  Arist. 
Polit.  11,  6.  Die  Gesetze  wurden  bald  nach 
Piatons  Tod  herausgegeben,  da  dieselben  in 
Isoer.  Phil.  12  berücksichtigt  sind. 

2)  Bruns,  Piatos  Gesetze  vor  und  nach 
ihrer  Herausgabe  durch  Philippos  von  Opus, 
1880;    ähnlich  Bergk,  Fünf  Abb.  zur  griech. 


Philos.  S.  188  ff. 

3)  Aelian  V.  H.  II,  42  u.  XII,  30;  Diog. 
III,  23:  Plut.  vit.  Luc.  2,  ad   princ.  iner.  1. 

4)  Plut.  adv.  Col.  32. 

^)  Im  Axiochos  ist  die  Lehre  Piatons 
mit  der  epikureischen  und  orphischen  ver- 
mischt. Einen  Axiochos  und  Alkibiades 
schrieb  auch  Aischines. 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton.  (§  289.) 


391 


TTfQi  6ixaiov,  nsQi  aQsrrjg,  JrjjnoSoxog,  2iav(foc,  'EQv'^iag^  ^AXximv  ^)  noch 
mehrere  andere,  deren  Echtheit  erst  die  neuere  Kritik  angefochten  hat. 

Der  Osay^jg  ist  eine  plumpe  Nachbildung  des  Laches,  worin  das 
Daimonion  des  Sokrates  zum  wahren  Zerrbild  geworden  ist.  2) 

'AlxißidSi^g  a  knüpft  an  den  Protagoras  und  die  Liebe  des  Sokrates 
zu  Alkibiades  an.  Der  Dialog  stund  als  Fürstenspiegel  in  grossem  An- 
sehen bei  den  Späteren,  so  dass  keine  Schrift  des  Piaton  öfter  kommen- 
tiert wurde.  Gut  und  echt  sokratisch  ist  die  Weise,  wie  Sokrates  dem 
jungen  Alkibiades  zu  Gemüte  führt,  dass  er,  bevor  er  als  Berater  des  Volkes 
auftreten  dürfe,  zuerst  über  das,  was  gerecht  (ö(xaiov)  und  nützlich  ((svii- 
(ftQov)  ist,  mit  sich  ins  reine  kommen  müsse.  Aber  der  Ton  und  die 
Sprache  lassen  doch  durchaus  die  Feinheit  des  Piaton  vermissen. 3)  Ver- 
fasst  wurde  der  Dialog  nach  dem  Frieden  des  Antalkidas  (p.  105  c,  120a) 
zur  Zeit  des  Bündnisses  von  Athen  und  Sparta  gegen  Theben  (p.  121a) 
um  374,  vielleicht  im  Anschluss  an  Xen.  Mem.  III,  6.   1. 

'AXxtßiädrjg  ß'  empfiehlt  den  Brauch  der  Lakedämonier,  Gott  einfach 
um  das  Gute  zu  bitten,  in  Übereinstimmung  mit  Xenophon,  Mem.  I,  3.  2; 
eben  diesem  haben  nach  dem  Zeugnis  des  Athen,  p.  506  c  einige  geradezu 
den  Dialog  zugeschrieben. 

^Jmiiag  f.isiXcov  schildert  gleichsam  als  Ergänzung  des  Protagoras 
mit  vieler  Feinheit  und  mit  dankenswerter  Sachkenntnis  das  aufgeblasene 
Wesen  der  Sophisten.  Ähnlich  aber  wie  im  ersten  Alkibiades,  thut  Sokrates 
in  diesem  Dialoge  dar,  dass  es  nicht  angehe,  über  schöne  Einrichtungen 
{zd  xaXa)  viele  Reden  zu  halten,  wenn  man  nicht  zuvor  darüber  mit  sich 
ins  klare  gekommen  sei,  was  das  Schöne  ist.  Ist  der  Dialog  unecht,^)  so 
muss  man  jedenfalls  zugeben,  dass  sein  Verfasser  sich  gut  in  den  Geist 
und  die  Methode  der  platonischen  Sokratik  hineingearbeitet  hat. 

'iTTTvaQxog  interessiert  uns  zumeist  durch  die  Nachrichten  über  die 
litterarische  Thätigkeit  des  Peisistratiden  Hipparchos.  Der  Hipparch  unseres 
Gesprächs  wird  von  Sokrates  über  das  Wesen  des  (fiXoxsgSrjg  examiniert, 
wobei  die  griesgrämige  Schulmeistermanier  des  Sokrates  himmelweit  von 
der  feinen  Ironie  des  platonischen  Sokrates  abweicht. 

Mev£^8vog  knüpft  an  die  Beratung  der  Ratsversammlung  über  die 
Wahl  eines  Redners  zu  Ehren  der  im  Krieg  Gefallenen  an,  wobei  Sokrates 
nach  kurzem  dialogischen  Vorspiel,  dem  ein  ebenso  kurzes  Nachspiel  ent- 
spricht, sich  dazu  hergibt,  das  Muster  einer  solchen  Grabrede,  welche  er 
von  der  Aspasia  gehört  haben  will,  zum  Besten  zu  geben.  Mit  kecken 
Anachronismen  werden  darin  Dinge  berührt,  die  längst  nach  Aspasias  Tod 
vorgefallen  sind  und  der  unmittelbaren  Gegenwart  angehören.  Aus  diesen 
Anachronismen  erhellt,  dass  die  Rede  nach  dem  korinthischen  Kriegt)  ge- 
schrieben ist.  Aristoteles  kennt  dieselbe  bereits  und  bezieht  sich  zweimal 
auf  sie    (Rhet.   I,    9    und   III,   4),    aber    ohne    den    Verfasser    zu    nennen. 


^)  Wkxvojv  steht  unter  Lukians  Werken; 
nach  Athen.  50G  c  schrieben  ihn  andere  dem 
Akademiker  Leon  zu. 

2)  Zu  vergleichen  ist  Xenoph.  Conv.  8,  5. 

^)  Schauerliche  Hiaten,  wie  p.  105  a 
xra  et  «ü  ool  e'i  nov  6  aviög.     Madvig,  Ad- 


vers, crit.  I,  402  Anm.  verwirft  den  Dialog, 
zugleich  aber  auch  den  Charmides,  Lysis 
und  Laches. 

4)  Die  Echtheit  verteidigt  C.  Fr.  Her- 
mann. Plat.  Phil.  487  ff. 

^)  Men.  345  e. 


392 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


Dionysios  erkennt  sie  als  echt  an  und  stützt  sich  in  der  Schrift  über  die 
Redegewalt  des  Demosthenes  c.  24—32  hauptsächlich  auf  sie,  um  die 
Inferiorität  des  Piaton  gegenüber  Demosthenes  darzuthun.  Schwerlich  aber 
hat  Piaton  auch  nur  im  Scherz  es  unternommen,  dem  Lysias  und  den 
Rhetoren  seiner  Zeit  ein  Musterstück  und  dazu  eines  von  so  zweifelhaftem 
Werte  entgegenzustellen.  9 

Die  'EQaazat'  haben  den  Namen  von  den  Geliebten  zweier  Knaben, 
mit  denen  Sokrates  in  der  Schule  des  Grammatikers  Dionysios  das  Thema, 
dass  Philosophie  und  Viel  wissen  zwei  ganz  verschiedene  Dinge  seien,  mit 
entlehnten  Phrasen  bespricht.  2) 

KXsiTocfMv  schliesst  sich  an  die  Politeia  an,  passt  aber  eher  in  den 
Mund   eines  Gegners   der   platonischen  Staatslehre   als  des  Piaton  selbst.^) 

'Enivoixig  soll  als  Schlussstein  der  Gesetze  die  Erziehung  zur  Weis- 
heit enthalten;  aber  der  pythagoreische  Zahlenmystizismus  und  die  un- 
platonische Sprache  lassen  über  die  Unechtheit  keinen  Zweifel.  Einige 
schrieben  nach  Suidas  die  Schrift  dem  Philippos,  dem  Herausgeber  der 
Gesetze,  zu.^) 

Ml  vo)g,  ein  geschmackloser,  eher  eines  Grammatikers  als  eines  Philo- 
sophen würdiger  Dialog,  wurde  mit  Nomoi  und  Epinomis  zu  einer  Trilogie 
zusammengefasst.  Den  Namen  hat  er  von  Minos,  der  als  Gesetzgeber  in 
die  fade  Untersuchung  über  das  Wesen  des  Gesetzes  hereingezogen  wird. 
Entstanden  ist  der  Dialog  erst  nach  dem  Tode  des  Philosophen  um  339.^) 

Briefe  sind  uns  unter  Piatons  Namen  13  erhalten,  oder  vielmehr  12, 
da  der  erste  nicht  von  Piaton,  sondern  von  seinem  Freunde  Dion  an  den 
König  Dionysios  gerichtet  ist.  Die  Sammlung  ist  aus  verschiedenen  Bestand- 
teilen zusammengeflossen,  wie  man  schon  daraus  sieht,  dass  der  13.  Brief, 
wiewohl  er  an  Dionysios  gerichtet  ist,  nicht  bei  den  übrigen  auf  sikilische 
Verhältnisse  bezüglichen  Briefen  (1  —  8)  steht.  Die  meisten  und  längsten 
der  Briefe  betrefl'en  die  Beziehungen  Piatons  zu  den  Machthabern  Sikiliens 
und  dienten  den  Parteiinteressen  der  Anhänger  Dions;  aber  gerade  diese 
sind   trotz   der   vielen  Detailangaben    entschieden   unecht.     Die   im  2.  und 

7.  Brief  (p.  312d  und  341  f)  ausgesprochene  Anschauung,  dass  Piaton  seine 
Lehren  über  die  letzten  Dinge  nicht  durch  die  Schrift  veröffentlicht,  son- 
dern für  enge  Kreise  von  Eingeweihten  zur  bloss  mündlichen  Darlegung 
vorbehalten  habe,  ist  aus  jener  Geheimniskrämerei  hervorgegangen,  die 
erst  nach  Piatons  Tod  mit  dessen  Lehre   getrieben  wurde.     Die  Stelle   im 

8.  Brief  p.  353  e  von  dem  drohenden  Untergang  der  hellenischen  Zunge 
durch  die  Herrschaft  der  Punier  und  0 piker  klingt  wie  ein  augurmm  ex 
eventu  aus  der  Zeit  nach  dem  Pyrrhuskriege  (280).  Aber  deshalb  brauchen  noch 
nicht  alle  Briefe    unecht  zu   sein;    die  Echtheit  des  für  Piatons  Charakter 


^j  Für  die  Echtheit  spricht  sich  aus 
Blass,  Att.  Bereds.  II,  431  ff.,  und  Diels, 
Das  3.  Buch  der  arist.  Rhetorik  21  ff.;  von 
einem  flüchtig  hingeworfenen  Scherz  Piatons 
spricht  Bergk,  Gr.  Litt.  IV,  460.  Einen 
Dialog  Aspasia  schrieb  Aischines. 

'-^j  In  Plat.  Stud.  5G  f.  wies  ich  nach, 
dass  nach  einer  Stelle  unseres  Dialoges  p. 
135  e  der  Grammatiker  Aristophanes  von  By- 


zanz  den  Beinamen  niutad^'kov  erhielt. 

^)  KuNERT,  Quae  inter  Glitoplwntem  et 
Plat.  Rempuhlicam  intercedat  ratio,  Gryph. 
1881. 

4)  Zeller,  Phil.   d.   Griech.  II 3,   891  ff. 

^)  BoECKH,  Comm.  in  Flatonis  Minoem, 
Halis  1806;  Usener,  Organisation  der  wiss. 
Arbeit,  Preuss.  Jahrb.  53,  20. 


4.  Die  Philosophen,     c.  Piaton.  (§  290.) 


393 


und  Lehre  hochwichtigen  13.  Briefes  habe  ich  Plat.  Stud.  25  ff.  nach- 
zuweisen gesucht;  doch  scheinen  auch  in  diesen  unechte  Zusätze,  wie  über 
das  Merkmal  ernst  gemeinter  und  konventioneller  Briefe  (p.  363  b),  ein- 
geschoben zu  sein. 

290.  Der  Gesamtcharakter  und  die  Lehre  Piatons.')  Wenn  wir 
statt  die  Lehre  Piatons  im  allgemeinen  darzulegen,  so  lange  bei  den  ein- 
zelnen Schriften  verweilten,  so  hat  dieses  seinen  nächsten  Grund  in  der 
speziellen  Aufgabe  einer  Litteraturgeschichte,  die  sich  mit  der  einer  Ge- 
schichte der  Philosophie  nicht  vollständig  deckt.  Aber  auch  das  Wesen 
der  platonischen  Philosophie  und  die  Eigentümlichkeit  seiner  Schriftstellerei 
erheischt  mehr  ein  eingehendes,  liebevolles  Hineinleben  in  seine  einzelnen 
Schriften,  als  eine  zusammenfassende  Darlegung  seines  philosophischen 
Systems.  Piaton  lebte  noch  in  der  glücklichen  Zeit  der  kleinen  Bücher 
und  hatte,  wenn  er  durch  einen  äusseren  Umstand  veranlasst  oder  durch 
momentane  Schaffenslust  getrieben,  bald  seinen  teueren  Lehrer  gegen  un- 
gerechte Angriffe  in  Schutz  nahm,  bald  die  Waffen  der  Polemik  gegen  die 
Aufgeblasenheit  der  Sophisten  oder  die  Streitsucht  der  Eristiker  kehrte, 
bald  herz-  und  geisterhebende  Scenen  eines  athenischen  Gastmahls  vor- 
führte, nicht  immer  zugleich  den  Plan  eines  grossen,  nach  und  nach  im 
einzelnen  auszubauenden  philosophischen  Systems  vor  Augen.  Er  war 
ausserdem  nicht  gleich  im  Anfang  seines  schriftstellerischen  Auftretens  mit 
seiner  philosophischen  Lebens-  und  Weltauffassung  bereits  fertig ;  er  em- 
pfing nicht  bloss  im  Laufe  der  Zeit  neue  Anregungen  von  aussen,  von  den 
Megarikern,  Eleaten,  Pythagoreern,  er  stiess  auch  vielfach  erst  im  Aus- 
arbeiten seines  Systems  auf  Schwierigkeiten,  die  er  nicht  vorausgesehen 
hatte  und  die  ihn  zur  Modifikation  und  Ergänzung  seiner  früheren  Auf- 
fassungen nötigten. 2)  Sicher  liegt  der  Glanzpunkt  Piatons  in  der  Kunst  seiner 
einzelnen  Dialoge,  nicht  in  dem  Ganzen  seines  Systemes,  das  schon  dem 
Aristoteles  viele  und  bedenkliche  Angriffspunkte  darbot. '')  Aber  selbst- 
verständlich gehört  zur  vollen  Würdigung  Piatons  auch  dieser  Punkt. 

Piaton  also  ist  gleich  im  Anfang  ausgegangen  und  immer  wieder 
zurückgekehrt  zum  Unterschied  der  zwei  Welten,  der  Welt  der  im  ewigen 
Fluss  begriffenen,  sinnlichen  Erscheinungen  und  der  Welt  der  ewig  sich 
gleich  bleibenden,  allein  wahrhaft  seienden  Ideen  (ei'Si]  oder  iSsai).  Der 
Unterschied  hat  sich  ihm  aus  der  Methode  seines  Lehrers  Sokrates  und 
aus  erkenntnistheoretischen  Untersuchungen  ergeben:  ein  Wissen  (s7TiaTrj!.irj) 
gibt  es  nur  von  dem  stets  sich  gleich  Bleibenden,    dem  Wesenhaften   der 


')  Über  das  System  Piatons  handeln 
Tennemann,  System  der  plat.  Philosophie, 
1792,  4  Bde.;  Heusde,  Initia  philosophiae 
Platonicae,  Utrecht  1827,  5  Bde.;   Ribbing, 

1  Genetische  Darlegung  der  plat.  Ideenlehre, 
1868,  2  Bde.;  Peipers,  Ontologia  Platonica 
1883,  2  Bde. 

^)  Tim.  p.  48  e:    r«    ^ey  yccQ  dvo  Ixavd 

i  r]v  ETIL  ToTg  efxriQoad^Ey  Xs/x^sTaiu,  eV  f/ey  ojg 
nccQa&Eiy/uarog  Eidog  vtiotex^ei^,  vorjröv  xal 
UEL  Xttl  xatd  ravzd  6V,  fxifX7]fxa  ds  ttccqcc- 
dEiyfiaTog,  dEvrsQoi/  yEVEGip  e^op  xccl  oQaiov  ' 
TQuof  ds  rotE  fXEP  ov  diEiXofXEdcc  vofxiacivTEg 


rci  dvo  e'^elv  Ixaywg,  pvv  ds  6  Xoyog  eoixev 
Eiaavayxd^Etv  ^^uXettov  xal  dfxvdgov  Eidog 
ini/EiQEiy  Xoyoig  E^cpavloai.  Was  hier  Pia- 
ton von  dem  vorderen  Teil  des  Dialogs  sagt, 
gilt  zugleich  von  der  früheren  Periode  seines 
Lebens. 

^)  Namentlich  in  Met.  A  9  u.  M,  N. 
Aristoteles  geht  in  seiner  Polemik  allerdings 
von  der  späteren,  nicht  schriftlich  nieder- 
gelegten Lehre  Piatons  aus,  aber  viele  der 
Angriffe  treffen  auch  die  Gestalt  der  Ideen- 
lehre, wie  sie  uns  in  den  erhaltenen  Dialogen 
vorliegt. 


394 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


Dinge;  die  Sinneswahrnehmungen  oder  die  Eindrücke,  welche  die  veränder- 
liche Welt  der  Erscheinungen  auf  uns  übt,  führen  nur  zu  einem  Meinen 
{66'^a),  keinem  Wissen  [iniaTrjixi]).  Dass  der  Begriff  (oqoc)  eines  Dinges 
verschieden  sei  von  den  einzelnen  Erscheinungen  des  Dinges,  hatte  bereits 
Sokrates  richtig  erfasst,  Piaton  ging  aber  darin  über  seinen  Lehrer  hinaus, 
dass  er  diesen  Begriffen  oder  Formen  (sl'Stj)  der  Dinge  ein  Sein  für  sich, 
neben  und  über  der  sichtbaren  Welt  gab  (Transcendenz).  i)  Ausgebildet 
liegt  dieses  Zweiweltensystem  bereits  im  Phaidros  vor;  hier  wird  auch 
bereits  das  Verhältnis  beider  dahin  bestimmt,  dass  die  Dinge  dieser  Welt 
nur  Abbilder  (el'Scola)  der  Ideen  sind,  was  leicht  zu  dem  weiteren  Satze 
hinüberleitete,  dass  dieselben  überhaupt  nur  insofern  sind,  als  sie  an  der 
Idee  teilhaben/^)  Die  Mängel  der  Lehre  traten  erst  zutag.  als  Piaton  die- 
selbe zu  einem  System  zu  erweitern  und  aus  jenen  Grundbegriffen  die  ganze 
Welt  zu  konstruieren  versuchte.  Schon  das  Hinausgehen  über  die  Sphäre 
des  Ethischen,  in  der  zuerst  solche  allgemeine  Begriffe  gewonnen  worden 
waren,  führte  zu  Schwierigkeiten  und  nötigte  Piaton  das  paradoxe  Zu- 
geständnis ab,  dass  neben  den  einzelnen  Menschen  ein  Idealmensch  {amo- 
civ^QMTTog)  und  neben  den  einzelnen  Tischen  ein  Idealtisch  {avTOTQdrrs^a) 
existiere.  Weitere  Schwierigkeiten  machte  der  Begriff  des  Guten  und 
Einen,  da  doch  eigentlich  das  ctvToayaO^öv  und  amo  sv  nur  die  Bedeutung 
einer  von  vielen  Ideen  hatte,  von  Piaton  aber  zur  Geltung  des  obersten 
Prinzips  oder  Gottes,  an  dem  wieder  alle  Ideen  teil  hätten,  erhoben  wurde. ^) 
Vollends  bei  der  Weltschöpfung  gerät  unser  Philosoph  auf  den  doppelten 
Abweg,  einmal  den  Schöpfer  sich  ganz  in  der  Art  der  anthropomorphen 
Religion  des  Altertums  als  einen  nach  einem  Vorbild  schaffenden  Menschen 
vorzustellen,  und  dann  denselben,  damit  er  überhaupt  aus  dem  unendlichen 
Raum,  dem  grossen  Knetstoffe  {ixiiayeTov),  etwas  formen  könne,  mehr  mit 
Zahlen  und  geometrischen  Figuren,  als  mit  begrifflichen  Ideen  operieren 
zu  lassen. 

Entschieden  glücklicher  war  Piaton  mit  seiner  Ideenlehre  auf  dem 
Gebiet  der  Ethik  und  Politik;  hier  blieb  er  eben  mit  den  Ideen  in  dem 
Kreise,  aus  dem  dieselben  hervorgegangen  waren.  Wenn  er  die  Unsterb- 
lichkeit der  menschlichen  Seele  begründet  und  in  der  aufleuchtenden  Er- 
kenntnis einer  Wahrheit  nur  ein  Rückerinnern  an  ein  früheres  Leben  sieht, 


^)  Arit.  Met.  A  6:  ex  veov  ovvt]%^r]g  ys- 
vofxsvog  (sc.  nXciTMv)  nQMTOP  Kgarvlit)  xal 
rc(?g  HQCixXeireioig  do^mg,  log  dndpxMv  xmp 
aiad7]r(0P  del  ^soptcou  xccl  iniatTJ^t^g  tisqI 
ccvTwy  ovx  ovarig.  xavxa  fih'  xal  vaxsQov 
ovxoig  vTii'kccßev  '  ZdiXQÜxovg  de  tisqI  fxev  rcc 
tjx^ixd  TTQayfxaxstwfxevov,  ttsql  de  xrjg  (fvaeiog 
ot'cffV.  eV  fXEPXOi  xovxoig  t6  xa&oXov  l^rjxovpxog 
X(d  ns()l  oQiajUMP  sniax  accvxog  tiqujxov  xrjv 
(^idvoiav,  ixsTvop  dno&e^dfisyog  dtdxo  roiovxov 
vni'Außsv  w?  neQl  txeQ(x)P  xovxo  yiypofxevov 
xcd  ov  XMv  (ciaür]X(oy  '  dSvvaxov  ydq  elvai 
TOP  xoipop  oQOP  x(op  ccla&rjxMP  xipog.  dsl  ye 
fA€Xußc<kX6px(OP  .  ovx(og  fxep  ovp  xd  xoiavxa 
xwp  övriop  idiag  TiQoarjyoQEDGS,  xd  cT'  aia^rjxd 
nuQd  xavxa  xal  xaxd  xavxa  keysaf^ai  ndpxa. 


2)  Plat.  Phaed.  p.  100  c:  cpaipexat  ydg 
fxoi,  si  XL  iaxip  dXXo  xakop  Tihjp  atho  xd 
xaXop,  ovds  dt'  ep  dXko  xaXop  eipai  tj  dioxi 
f^exs/sL  ixsLPov  xov  xaXov.  Dagegen  Aristot. 
Met.  A  9  p.  991^  9  ff. 

^)  PJat.  Phaed,  p.  97c:  ^Jpa'iayogov  li- 
yopxog  Mg  dga  povg  iaxiP  6  diaxocffxojp  t£ 
xal  idpxiop  acxiog,  xavxrj  dtj  xfj  aixia  ijoS^tjp 
x£  xal  edoSe  juoi  xqötiop  xipd  ev  s/etp  x6  xop 
povp  €ipai  ndpxwp  aXxiop,  xal  ijyrjadfiTjp,  et 
xovxh'  ovxwg  e/si,  xop  ys  povp  xoo^uovpxa 
ndpxa  xoOfXETp  xal  exaaxop  xi&EPai  xai'Xrj 
071  n  dp  ßsXxiffxa  £/r]  xxX.  Rep.  VI  p.  509  b: 
ovx  ovolag  opxog  xov  dyaS^oxi,  dW  sxt  ene- 
xsipa  xrjg  ovaiag  TiQeaßeia  xal  dvpdfjei  vne- 
QE/oixog. 


fl 


4.  Die  Philosophen,    c.  Piaton.  (§  291.) 


395 


wenn  er  den  irdischen  Leib  (ö'w/ta)  als  ein  Verliess  (afjiJia)  fasst,  in  das 
hienieden  die  unsterbliche  Seele  gebannt  sei,  wenn  er  die  im  Kopfe  sitzende 
Weisheit  {XoyiaTixov)  als  herrschende  Macht  den  zwei  anderen,  mit  dem 
Körper  enger  verbundenen  Teilen  der  Seele,  dem  ^vf,io€i6tg  und  srti^viJirj- 
Ttxov,  gegenüberstellt,  wenn  er  endlich  den  Weisen  auch  im  Staate  zur 
Herrschaft  über  die  Krämer  und  Bauern  berufen  erklärt,  so  stützt  er  sich 
hier  überall  auf  jene  Grundanschauung  von  der  alles  Sinnliche  überstrahlenden 
Hoheit  der  Ideen.  Manche  werden  freilich  auch  diese  Sätze  nicht  gelten 
lassen,  und  dass  die  rauhe  Wirklichkeit  den  Praktiker  nötige,  die  Forde- 
rungen der  reinen  Idee  herabzustimmen,  hat  ja  Piaton  selbst  in  seinen 
Gesetzen  zugegeben.  Auch  wird  der  strenge  Denker  ebenso  in  dem  die 
Ethik,  wie  in  dem  die  Physik  betreffenden  Teile  der  Schriften  Piatons 
daran  Anstoss  nehmen,  dass  der  Philosoph  da,  wo  der  dialektische  Beweis 
versagt,  zu  dem  Mythus  seine  Zuflucht  nimmt.  ^)  Aber  immerhin  bleibt 
der  Idealismus  Piatons  der  leuchtende  Stern  in  dem  Streben  und  Hoff'en 
der  Menschheit,  und  bleiben  seine  W^erke  die  glänzendsten  Erzeugnisse  des 
hellenischen  Geistes,  in  denen  Tiefe  der  Gedanken  mit  farbenreicher  Schön- 
heit der  Sprache  in  glücklichster  Weise  gepaart  ist. 

291.  Für  die  Fortpflanzung  der  Lehre  und  die  Erhaltung  der  Werke 
Piatons  sorgte  vor  allem  die  von  ihm  gestiftete  Akademie,  die  sich  unter 
verschiedenen  Wandlungen  bis  zum  Ende  des  Altertums  erhielt. 2)  Nächster 
Nachfolger  Piatons  war  sein  Neff'e  Speusippos  (347 — 339),  der  die  Ideen- 
lehre seines  Lehrers  mit  der  Zahlenlehre  der  Pythagoreer  verquickte  und, 
indem  er  das  Eins  und  die  Zweiheit  als  die  Anfänge  {dgxcci)  der  Zahlen 
und  damit  alles  Seienden  hinstellte,  das  Gute  zum  Ziel  und  Schlussstein 
{vsXog)  des  Ganzen  machte.  Ähnliche  Pfade  wandelte  dessen  Nachfolger 
Xenokrates  aus  Chalkedon  (339 — 314),  der  zuerst  die  3  Teile  der  Philo- 
sophie, Dialektik,  Physik,  Ethik,  unterschieden  haben  soll  und  3  Stufen  des 
Seins,  die  Welt  der  Sinne  {alad^rjTrj  ovaia),  die  des  Geistes  (votjttj)  und  die 
des  Himmels  oder  der  Gestirne  (//  öo'^aazri  xal  avvd^sxog  Tj  amov  tov  ovqavov) 
aufstellte.^)  Die  Reihe  der  alten  Akademiker  beschliessen  Polemon, 
Krates,  Krantor,  die  sich  wieder  mehr  der  praktischen  Tugendlehre  zu- 
wandten und  von  denen  sich  namentlich  der  letzte,  Krantor,  durch  sein 
Erbauungsbuch  über  den  Schmerz  {neQi  nsv^ovg)  einen  grossen  Namen 
machte.  4) 


')  Solche  Mythen  sind  der  von  Prome- 
theus und  Epimctheus  (Protag.  320  c  ff.),  von 
der  Beflügelung  der  Seele  (Phaedr.  24Ga  ff.), 
von   der  Teilung   des  Urmenschen  in  Mann 
und    Weib    (Symp.    189d  ff.),    von    der    Er- 
I  Zeugung  des  Eros  (Symp.  203  a  ff.),  von  den 
1  Erlebnissen    des   Armeniers  Er   im    Jenseits 
I  (Rep.  614b  ff.),  von  den  wechselnden  Welt- 
:  Perioden  und  dem  goldenen  Zeitalter  (Politic. 
1  269c  ff,  Leg.  713b  ff.),    von  den  Atlantiden 
'  (Tim.  21a  u.  Kritias),  von  der  Schöpfung  der 
lebenden  Wesen   (Tim.  41a  ff.).     Eine    ähn- 
I  liehe   Bedeutung    hat    die    schöne    Allegorie 
I  von    der   Höhle,    in    welcher   die   Menschen 
I  nach    rückwärts    gewandt    sitzend    nur    die 
Schattenbilder    der   Vorübergehenden    sehen 


(Rep.  514),  oder  der  Vergleich  des  Guten 
mit  der  Sonne,  durch  deren  erleuchtende 
und  schaffende  Kraft  die  Dinge  zugleich  er- 
kannt und  belebt  werden  (Rep.  509b). 

'^)  Man  unterschied  die  ältere,  mittlere 
und  neuere  Akademie  und  die  theologische 
Richtung  der  Neuplatoniker.  Auch  ward  zur 
Zeit  des  Wiederauflebens  der  platonischen 
Studien  in  der  Renaissance  gleich  wieder 
eine  neue  Akademie  zu  Florenz  unter  der 
Leitung  des  berühmten  Übersetzers  Piatons, 
Marsiglio  Ficino,  gegründet. 

^)  Sext,  Empir.   adv.   math.    Vll,    15  u 
147      "  '       '  '    '       ' 

bei  Diog.  IV,  11—14. 

•*)  Das  Buch  ward  später  von  Cicero  in 


Die  einzelnen  Schriften  sind  aufgezählt 


396 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


In  der  Akademie  wurde  aiicli  das  Studium  und  die  Kommentierung 
der  Werke  Piatons  sorgfältig  gepflegt.  Während  aber  die  ältere  Zeit 
sich  auf  Schriften  über  sein  Leben  und  seine  Werke  beschränkte,^)  begann 
mit  der  römischen  Kaiserzeit  die  fruchtbare  Periode  der  Kommentare.  Zu- 
nächst beschäftigte  man  sich  mit  der  Erklärung  einzelner  dunkler  Stellen 
(kt'^sig),  deren  es  ja  in  Piatons  Schriften,  namentlich  im  Timaios,  genug 
gab;  dann  folgten  Zusammenstellungen  dunkler,  später  aus  dem  Sprach- 
gebrauch verschwundener  Wörter  (yAo^o'ö'at),  zusammenhängende  Erläute- 
rungen {imoixvriixaTo)  und  Einleitungen  {slaayMyai),  die  sich  namentlich  gegen 
Ende  des  Altertums  in  den  Schulen  der  Neuplatoniker  häuften. 

Spezialwörterbücher  verfassten  Harpokration,  Zeitgenosse  Cäsars,  der  nach  Suidas 
AiHis  IlhcTiDvog  in  2  B.  schrieb;  Didymos  Areios  unter  Kaiser  Augustus,  aus  dessen 
Schrift  nsQi  tmu  dnoQovfisroDv  ticcqk  nXchcoyi  Xe^scjy  Miller,  Melanges  de  litt,  grecque 
p.  399 — 406  dürftige  Exzerpte  mitgeteilt  hat;  Boethos  (2.  Jahrh.),  dessen  IvvayMyrj  Xe^eiav 
n'Acaayvixoiv  Photios  Cod.  154  erwähnt  und  in  seinem  Lexikon  fleissig  benützt  hat;  Theon 
Smyrnäus  aus  der  gleichen  Zeit,  dessen  Schrift  tisqI  toov  xard  t6  fxaf^rj^ariTiou  /Qr^al/ucov 
€ig  TTjt/  TlX(xt(x)vog  dyayyioou^  HiLLER  in  Bibl.  Teubn.  herausgegeben  hat;  endlich  Timaios 
(3.  Jahrh.),  von  dem  uns  ein  kompendiarisches  Glossar,  tisql  tiou  Tiagd  Wkdroivi  Xs^eeov 
xciid  aroi/stoi'  erhalten  ist.  —  Altere  Kommentare,  die  uns  nicht  mehr  erhalten  sind,  ver- 
fassten Potamon  (vor  Augustus,  nach  Suidas)  zur  Politeia,  Calvisius  Taurus  (2.  Jahrh.) 
zu  Gorgias  (s.  Gellius  VII,  14,5),  Severus  und  Atticus  (s.  Mullach  FPG.  III,  175-205), 
Plutarch  tisql  rijg  ev  Ttfucdo)  \pv/oyoyiag,  und  Galen  zu  Timaios.  Im  4.  und  5.  Jahrh.  waren 
die  Hauptkommentatoren:  Hermeias,  Schüler  des  Syrian,  dessen  weitschweifigen  Kommentar 
zum  Phaidros  Ast,  Lips.  1810  herausgegeben  hat;  Proklos,  von  dessen  Kommentaren  zu  Alki- 
biades,  Kratylos,  Parmenides,  Politeia  (Comment.  in  i^mp.  ed.  R.  Scholl,  Berl.  1886,  eine  neue 
Ausg.  nach  Cod.  Vatic.  2197  von  Pitka,  in  Spicil.  Solesm.  t.  V,  dazu  Supplementa  ad  Prodi 
comment.  in  Plat.  de  rep.  Uhr.  von  Ric.  Reitzenstein,  Bresl.  phil.  Abh,  4.  Bd.),  Timaios  wir 
Kenntnis  haben;  Olymp iodoros,  der  ausser  einer  Lebensbeschreibung  Kommentare  zu  Alki- 
biades,  Gorgias,  Phaidon,  Philebos  verfasste,  welche  uns  zum  Teil,  aber  in  der  rohen  Gestalt  von 
Kollegiennachschriften  vorliegen;  Albinos  (irrig  Alkinoos)  dessen  Eiaaycoyrj  und  Aoyog 
öidaGxcchxdg  tmv  UldxMvog  doy^drcoy  auf  uns  gekommen  sind.  Ausserdem  hören  wir  von 
Kommentarendes  Longinos  zu  Phaidon;  des  Porphyrios  zum  Sophistes ;  des  Syrianos 
zu  Phaidon,  Politeia,  Nomoi;  des  Damaskios  zu  Alkibiades. 

Unsere  Scholien,  welche  aus  den  Randbemerkungen  der  Piatonhandschriften  allmählich 
von  Siebenkees,  Ruhnken,  Gaisford  zusammengetragen  wurden  und  zu  Gorgias  und  Ti- 
maios am  umfangreichsten  sind,  enthalten  Exzerpte  aus  philosophischen  Kommentaren, 
grammatische  Glossen  aus  Lexicis,  darunter  auch  aus  Diogenian,  Erläuterungen  aus  Sprich- 
wörtersammlungen und  geographischen  Verzeichnissen ;  vgl.  Mettauer,  De  Plat.  scholiorum, 
fontibus,  Zürich  1880;  Naber,  Prolog,  in  Phot.  lex.  I,  54  ff.  u.  113  ff. ;  Cohn,  Unters,  über 
die  Quellen  der  Platoscholien,  in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIII,  771  ff.  Im  Mittelalter  ist  bei 
den  Griechen  in  Byzanz  das  Studium  des  Piaton  bis  auf  Psellos  brach  gelegen;  im  Abend- 
land studierte  man  fleissig  den  Timäus,  aber  nach  der  unvollständigen  Übersetzung  und 
Erklärung  des  Chalcidius  aus  dem  5.  Jahrh.  (ed.  Wrobel,  1876).  Bei  den  Arabern 
blühten  am  meisten  im  Mittelalter  die  Piatonstudien  neben  denen  des  Aristoteles;  aus 
ihnen  sind  zahlreiche  Übersetzungen  und  Kommentare  zu  den  Hauptdialogen  hervorgegangen, 
wie  zur  Republik  von  Averroes. 

Die  Codices  gehen  auf  eine  Ausgabe  der  römischen  Kaiserzeit  zurück,  in  der  die 
Ordnung  der  Dialoge  nach  Thrasylos  befolgt  war;  die  besten  sind:  Clark ianus  (B)  ge- 
schrieben 896,  ehedem  auf  der  Insel  Patmos,  jetzt  in  Bibl.  Bodleiana;  derselbe  enthält  nur 
die  6  ersten  Tetralogien  (s.  Schanz,  Novae  comment.  105  ff.);  Parisinus  1807  {Ä)  s.  X, 
enthält  die  2  letzten  Tetralogien;  Venetus  s.  XII,  Hauptvertreter  der  2.  Familie  in  den 
6  ersten  Tetralogien.  Die  Beschränkung  des  kritischen  Apparates  auf  diese  3  Codd.  führte 
Schanz  auf  Grund  neuer  Vergleichungen  durch,  während  Bekker  noch  eine  zehnfach 
grössere  Anzahl  von  Codd.  herangezogen  hatte,  und  auch  jetzt  noch  andere  Gelehrte,  wie 
Jobdan,  Wohlrab,  Kral,  die  Heranziehung  von  mehreren  Codd.  zur  Feststellung  der  Textes- 
überlieferung für  nötig  halten. 


der  Schrift  Consolatio  und  von  Ps.  Plutarch 
in  seiner  Trostrede  benützt. 

')  Über  Speusippos  Lobrede  auf  Pia- 
ton,   über    Hermodoros   Nachrichten    vom 


Leben  und  den  Schriften  seines  Lehrers, 
sowie  über  die  Ordnung  der  Werke  Piatons 
durch  Aristophanes  von  Byzanz,  siehe  oben 
S.  366  An.  4  und  Ueberweg  V,  178  ff. 


4.  Die  Philosophen,    d.  Aristoteles.  (§  292.) 


397 


Ausgaben:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1513;  ed.  Stephan us  1578  fol.  mit  Seitenabtei- 
lungen, nach  denen  gewöhnlich  citiert  wird;  mit  kritischem  Apparat  von  Imm.  Bekker,  London 
1826,  11  tom.;  von  Baiter  Orelli  Winckelmann,  Turici  1842,  2  part.  in  4^;  von  Schanz, 
Lips.  ed.  maior  et  min.,  noch  nicht  vollendet  mit  grundlegendem  krit.  Apparat;  mit  lat.  Kom- 
mentar in  Bibl.  Goth.  von  Stallbaum,  10  vol.,  neubearbeitet  von  Wohlrab;  Textausg.  mit 
Scholien  in  Bibl.  Teubn.  von  C.  Fr.  Hermann-Wohlrab.  —  Dialogi  sei.  ed.  Heindorf-Butt- 
mann, Berl.  1827.  —  Ausgewählte  Dialoge  mit  deutschem  Kommentar  von  Deuschle-Cron- 
Wohlrab  bei  Teubner;  von  Sauppe  (Protagoras)  und  Schmelzer  bei  Weidmann;  von  Schanz 
bei  Tauchnitz.  —  Einzelausgaben:  De  civitate  reo.  et  annot.  Chr.  Schneider,  Lips.  1833, 
3  vol.  —  Sympos.  in  usuni  scliol.  ed.  0.  Jahn,  ed.  JI  cur.  Usener  1875  mit  kritischem 
Apparat  und  Scholien;  von  Hug  mit  erklärenden  Anm.,  2.  Aufl.,  Leipz.  1884;  von  Rettig, 
Balis  1875.  —  Martin,  Etudes  sur  le  Timee,  Par,  1841,  2  Bde.;  Archer-Hind,  The  Ti- 
maeus  of  Plato,  London  1887.  —  Phaedrus  cuyn  scJiolüs  Hermiae  ed.  Ast,  Lips.  1810.  — 
Phaedo  explan.  Wyttenbach,  Lips.  1825. 

Hilfsmittel  s.  S.  366  An.  4;  371  An.  3;  374  An.  1;  393  An.  1.  —  Lat.  Übersetzung 
von  Ficinus,  Flor.  1483.  —  Übers,  mit  epochemachenden  Einleitungen  von  Schleiermacher, 
3.  Aufl.  1861.  —  Übers,  von  Hier.  Müller,  mit  guten  Einleitungen  und  mit  dem  Leben 
Piatons  von  Steinhart,  Leipz.  1859,  —  Lex.  Platonicum  von  Ast,  Lips.  1838,  3  vol.  — 
Teuffel,  Übersicht  der  plat.  Litteratur  1874. 

d.  Aristoteles  (384— 322).  i) 

292.  Aristoteles  ward  384  zu  Stageira,  einem  Städtchen  der  thraki- 
schen  Chalkidike,  geboren.  Sein  Vater  Nikomachos  war  Leibarzt  des  make- 
donischen Königs  Amyntas  IL;  von  ihm  hat  der  Sohn  die  Liebe  zur  Natur- 
forschung geerbt,  2)  durch  ihn  ward  derselbe  auch  in  Beziehungen  zum  makedoni- 
schen Königshause  gebracht.  Seine  Ausbildung  erhielt  er  in  Athen,  wo  er 
im  Umgang  mit  Piaton  20  Jahre  bis  zu  dessen  Tod  weilte  (367 — 347). 
Er  hörte  also  den  Piaton  in  der  letzten  Phase  seiner  philosophischen  Ent- 
wicklung, wo  er  den  Timaios  und  die  Nomoi  schrieb  und  bereits  zur 
mystischen  Zahlenlehre  der  Pythagoreer  hinneigte.  Es  ist  das  wichtig  zur 
Deutung  der  uns  vielfach  befremdenden,  von  den  erhaltenen  Schriften  Pia- 
tons abweichenden  Darstellung  der  platonischen  Lehre  durch  Aristoteles, 
wichtig  auch,  um  den  geringen  Grad  der  Anziehungskraft  zu  begreifen,  den 
der  alternde  Piaton  auf  den  jungen  Aristoteles  übte.  Der  Gegensatz  der 
beiden  Naturen,  des  schwärmerischen  Idealismus  des  einen  und  des  nüch- 
ternen Realismus  des  andern,  trat  später  un verhüllter  hervor;  doch  zeigte 
auch  dann  noch  der  Jünger  eine  gewisse  Scheu,  gegen  den  Meister  zu 
polemisieren,  wie  er  das  Eth.  Nie.  I,  4  mit  den  berühmten  Worten  ausdrückt: 
af^KfoTv  (i.  e.  dhjO^£iag  xal  IlXdicovog)  ovtoiv  (fiXoiv  oaiov  TiQonjiäv  ti]v 
dh'jd^eiav.^)  In  jüngeren  Jahren,  wo  er  seinen  Gefühlen  noch  freien  Lauf 
in  poetischen  Ergüssen   Hess,   hat   er  selbst  voll   schwärmerischer  Bewun- 


^)  Diog.  V,  1 — 35,  der  aus  Hermippos  Buch 

tisqI   'jQiazoieXovg,   Demetrios   Magiies   tteqI 

öfxo}vvf.ioiv,  und  Apollodors  Chronik  schöpfte. 

Vita  Menagiana  (mit  deren  erstem  Teile  der 

Artikel    des  Suidas   stimmt)    und   Vita  Mar- 

ciana,    beide   kritisch   berichtigt   bei  Flach, 

Hesych.  Mil.  p.  245 — 255;  mit  der  letzteren, 

die  wahrscheinlich  von  Olympiodor  herrührt, 

.stimmt  wesentlich  überein   die  Vita  Aristot. 

von    Ps.  Ammonios;    Dionys.    Halic.    ep.  ad 

I  Amm.  I,  5.  —  Neuere  Darstellungen:  Buhle, 

Vita  Arist.  per  annos  digesta,   im    1.  Band 

jder    Bipontiner    Ausg.;    Stahr,    Aristotelia, 

'Halle    1830-2,    2    Bde.;    Lewes,    Aristotle, 


London  1864,  ins  Deiitsche  übersetzt  von 
Carus,  Leipz.  1865;  Grote,  Aristotle  (post- 
humes  und  unvollendetes  Werk),  II  ed. 
Lond.  1880. 

2)  Oncken,  Staatslehre  des  Arist.  I,  3  ff. 

^)  Spätere  stellten  in  erdichteten  Anek- 
doten das  Verhältnis  schlimmer  dar,  wie 
dass  Piaton  den  Arist.  mit  einem  Füllen  ver- 
glichen habe,  das  gegen  seine  Mutter  aus- 
schlage (Diog.  V,  2).  Aristoteles  selbst  be- 
zeichnet sich  noch  häufig  in  der  Metaphysik 
durch  den  Plural  "keyofxsv  als  Glied  der  pla- 
tonischen P'amilie. 


398 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


derung  in  einer  Elegie  an  Eudemos  des  Mannes  gedacht,  den  selbst  zu 
loben  den  Schlechten  nicht  zukomme  {dvdQog  ov  ovo'  alvelv  zolat  xaxoTai 
^€\iug).^)  Übrigens  war  er  nicht  jene  20  Jahre  hindurch  nur  Schüler  und 
Hörer  des  Piaton;  in  der  Akademie  arbeiteten  die  jüngeren  Genossen  neben 
dem  Meister  an  freigewählten  Problemen  und  hielten  neben  dem  Schulhaupt 
auch  selbst  in  engeren  Kreisen  von  Schülern  Vorlesungen.  So  scheint  Ari- 
stoteles schon  in  jener  Zeit  Vorträge, 2)  und  zwar  speziell  über  Rhetorik  ge- 
halten zu  haben.  Zum  Schüler  hatte  er  unter  andern  den  jüngeren  Theodektes, 
dessen  Namen  seine  erste  Schrift  über  Rhetorik  trug.^)  Bei  Errichtung 
dieses  Kursus  über  Rhetorik  wird  er  wohl  in  Gegensatz  zu  Isokrates  ge- 
treten sein;  ob  er  dabei  auch  den  Vers  gesprochen  cclaxqov  (fiMTiav,  ^lao- 
xQccTrj  6'iäv  Isysiv"^)  lassen  wir  dahingestellt  sein.  Schlecht  stimmt  dazu 
die  Anerkennung,  die  er  dem  Isokrates  in  seiner  Rhetorik  dadurch  erweist, 
dass  er  mit  ausgesprochener  Vorliebe  aus  dessen  Reden  Beispiele  wählt.  ^) 
Übrigens  behandelte  er  nicht  bloss  die  Theorie  der  Beredsamkeit,  sondern 
bildete  sich  auch  selbst  zu  einem  Redner  von  überzeugender  Klarheit  aus, 
wie  Antipater  bei  Plutarch,  Ale.  et  Coriol.  comp.  3  bezeugt. 

293.  Nach  dem  Tode  Piatons  (347)  verlebte  Aristoteles  zuerst  einige 
Jahre  bei  seinem  Freunde  Hermeias,  Herrscher  von  Atarneus  und  Assos 
in  Mysien,  den  er  schon  bei  Piaton  kennen  gelernt  hatte  ^)  und  dem  er 
bis  zu  dessen  gewaltsamen  Tode  in  warmer  Liebe  anhing.  Seinem  An- 
denken widmete  er  eine  Statue  in  Delphi')  und  ein  weihevolles  Skolion, 
das  uns  zum  Teil  noch  erhalten  ist.  Auch  nahm  er  dessen  Nichte  und 
Adoptivtochter  Pythias  zur  Frau,  neben  oder  nach  der  er  noch  mit  einer 
gewissen  Herpyllis  zusammenlebte,  aus  welcher  Verbindung  ihm  ein  Sohn 
Nikomachos  erwuchs.  Im  Jahre  342  folgte  er,  nachdem  er  inzwischen 
(344—2)  noch  einige  Zeit  in  Athen  zugebracht  hatte, ^)  einer  Einladung 
des  Königs  Philippos  ^)  zur  Übernahme  der  Erziehung  seines  Sohnes  Ale- 
xander, die  er  3  Jahre  lang  leitete,  gewiss  nicht  ohne  in  seinem  königlichen 
Zögling  die  hochstrebenden,  durch  die  Lektüre  Homers  genährten  Gedanken 
zu  wecken,  welche  derselbe  später  in  Thaten  umsetzte.  Auch  für  seine 
Heimat  verwandte  er  seinen  Einfluss  bei  dem  königlichen  Zögling,  indem 
er  den  Wiederaufbau  der  von  Philipp  zerstörten  Stadt  Stageira  erwirkte. 
Nach  dem  Regierungsantritt  Alexanders  siedelte  er  33.5  wieder  nach  Athen 


^)  Die  Elegie  wird  angeführt  von  Olym- 
piodor  zu  Plat,  Gorg.  160,  und  von  ihm 
ebenso  wie  vom  Verfasser  der  Vita  Marciana 
auf  Piaton  bezogen,  der  freilich  nicht  ge- 
nannt ist.  Bernays,  Ges.  Abh.  I,  141  ff. 
denkt  an  Sokrates. 

'')  Von  Vorträgen  des  Aristoteles  wäh- 
rend der  Abwesenheit  Piatons  in  Sikilieu 
spricht  Aristokles  bei  Euseb.  Praep.  ev.  XV,  2. 

^)  Arist.  Khet.  III,  9:  cd  tf'  ccQ/cd  tmv 
nsQiödioy  g/e66v  iy  roTg  Osotfexieloig  i^i]Qi&- 
^rjvzai.  Vielleicht  hatte  Theodektes  die  Vor- 
träge des  Aristoteles  veröffentlicht. 

*)  Diog.  V,  3;  darin  'laoxQdrf]  gebessert 
statt  des  überlieferten  SeyoxQcin]  nach  Cic. 
de  or.  III,  35.  141    und  Quint.  III,  1.  14. 

^)  Gegen    Isokr.    de    antid.    83    ist   ge- 


richtet Arist.  Eth.  Nie.  X,  10,  p.  1181a,  15, 
wie  Spengel  herausgefunden  hat;  umgekehrt 
scheint  Isoer.  Panath.  17  gegen  Aristoteles 
zu  polemisieren;  s.  Reinhardt,  De  Isocrati'i 
aenmlis  p.  40  ff.  Bergk  u.  Susemihl  setzen 
die  rhetorischen  Vorträge  des  Aristot.  in  die 
Zeit  seines  zweiten  Aufenthaltes  in  Athen 
in  den  Jahren  344—2. 

^)  An  Hermeias  ist  der  6.  Brief  Piatons 
gerichtet. 

')  Die  Inschrift  der  Statue  bei  Diog.  V,  5. 

^)  Dieser  2.  Aufenthalt,  der  nicht  be- 
zeugt ist,  wird  angenommen  von  Bergk,  Rh. 
M.  37,  359  ff. 

^)  Der  unechte  Einladungsbrief  bei  Gel- 
lius  N.  A.  IX,  3  u.  Plut.  Alex.  7. 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§  293-  294.) 


399 


über,  wo  er  durch  Vorträge  in  den  schattigen  Umgängen  {nsQinaioi)  des 
Gymnasiums  Lykeion  eine  eigene  Schule,  die  der  Peripatetiker  oder  der 
wandelnden  Jünger  gründete.  Nach  Gellius  XX,  5  hielt  er  2  Arten  von 
Vorträgen,  des  Morgens  für  den  engeren  Zirkel  der  vorgerückteren  Schüler 
(axQoajiiaTixd),  des  Abends  in  populärer  Form  für  einen  grösseren  Kreis 
von  Wissbegierigen  (s^coteQixd).  In  den  letzteren  scheint  er  auch  wieder 
seine  Unterweisungen  in  der  Rhetorik  aufgenommen  zu  haben.  Nach  dem 
Tode  Alexanders,  mit  dem  ihn  während  des  asiatischen  Feldzugs  die  Miss- 
handlung seines  Neffen  Kallisthenes  zeitweilig  entfremdet  hatte,  ^  ward  er 
durch  die  antimakedonische  Partei  in  einen  Prozess  wegen  Gottlosigkeit 
verwickelt,  2)  dem  er  sich  durch  die  Flucht  nach  Chalkis  entzog,  um,  wie 
er  sagte,  den  Athenern  die  Möglichkeit  zu  benehmen,  sich  zum  zweitenmal 
an  der  Philosophie  zu  versündigen.  Dort  in  Chalkis  starb  er  bald  nachher, 
im  Spätsommer  322,  an  einem  Magenleiden.^)  Sein  Testament,  zu  dessen 
Vollstreckung  er  den  Antipater  bestimmte,  steht  bei  Diog.  V,  11 ;  sein  auf 
der  angefügten  Tafel  reproduziertes  Bild,  welches  die  scharfen  Züge  des 
Denkers  zeigt,  ist  uns  in  einer  Statuette  der  Villa  Mattei  und  in  einer 
lebensgrossen  Statue  des  Palastes  Spada  erhalten.'^) 

294.  Schriften  des  Aristoteles.  Der  staunenswerten  Vielseitig- 
keit und  unermüdlichen  Arbeitskraft  des  Aristoteles  entspricht  die  Zahl 
und  der  Umfang  seiner  Schriften.  Es  ist  von  denselben  vieles  und  speziell 
von  den  systematischen  Werken  nahezu  alles  auf  uns  gekommen.  Aber 
die  populären  und  vorbereitenden  Schriften  sind  fast  sämtlich  verloren 
gegangen.  Über  die  Gesamtwerke  geben  uns  zunächst  die  Kataloge  Auf- 
schluss;^)  aber  diese  weichen  von  einander  ab  und  hängen  mit  den  Schick- 
salen der  Schriften  des  Philosophen  zusammen.  Diogenes  V,  22  —  27  gibt 
uns  ein  Verzeichnis  von  146  Werken  in  445,270  Zeilen  ^)  und  ungefähr 
400  Büchern.')  Dieses  Verzeichnis,  dessen  Titel  erheblich  von  denen  der 
Handschriften  abweichen,^)  enthält  vermutlich  den  Bestand  der  alexandrini- 


^)  spätere  (Plut.  vit  Alex.  77,  Arrian 
7,  27,  Pliii.  bist.  nat.  30,  16)  massen  dem 
Arist.  die  Schuld  einer  Vergiftung  Alexanders 
zu,  weshalb  der  wahnwitzige  Tyrann  Cara- 
calla  nach  Dion  77,  7  die  Werke  des  Arist. 
verbrannte.  Von  grossen  Unterstützungen, 
welche  Alexander  dem  Arist.  für  seine  natur- 
wissenschaftlichen Bestrebungen  zugehen  Hess, 
wissen  Flinius  N.  H.  VIII,  16,  Athen.  398  e, 
Aelian  V.  H.  IV,  19  zu  erzählen. 

'^)  Zum  Vorwand  diente  der  Päan  auf 
Hermeias,  s.  Ath.  398  e;  Diog.  V.  5;  Aelian 
V.  H.  IV,  19;  Plin.  N.  H.  VIII,  16.  44. 

^)  Censorinus  de  die  nat.  14,  16;  von 
einer  Selbstvergiftung  fabeln  Diog.  V,  6  u. 
Vit.  Menag. 

^)  Die  sitzende  Statue  trägt  rückwärts 
den  nicht  ganz  lesbaren  Namen  des  Arist.  .  .; 
s.  Matz-Duhn,  Antike  Bildwerke  in  Rom,  I 
n.  1174,  Das  Äussere  seiner  Gestalt  blieb 
hinter  dem  idealisierenden  Bild  zurück;  denn 
jin  einem  Vers  der  Vit.  Menag.  heisst  er 
GfxiXQog  cpccXaxQog  TQavXog  6  IraysiQirr}g, 
myvog     TiQoyüatOiq    naXXccxccTg    Gvv^]^fX£vog. 


Vgl.  Stahr  I,  160  if. 

^)  Abgedruckt  in  der  akad.  Ausg.  des 
Arist.  V  p.  1463  ff. 

^)  Die  Zeilenzahl  gibt  Diogenes  oder 
gab  Hermippos  auf  Grund  stichometrischer 
Angaben,  wie  sie  seit  der  alexandrinischen 
Zeit  üblich  waren  und  zur  Festsetzung  des 
Honorars    der  Abschreiber   benützt   wurden. 

')  In  der  Vita  Menagiana  ist  der  Nach- 
trag, der  aus  einem  anderen  Katalog  stammt, 
ungeschickter  Weise  mit  dem  ersten  Ver- 
zeichnisverschmolzen, sodass  nun  viele  Werke 
doppelt,  zum  Teil  mit  verschiedener  Buchein- 
teilung, verzeichnet  sind.  Die  übrigen  Ab- 
weichungen beruhen  zum  Teil  auf  Nachlässig- 
keiten der  Abschreiber,  wie  wenn  bei  Dio- 
genes die  Metaphysika  ganz  ausgefallen  sind. 

^)  Der  Katalog  hat  Uohnxrj  axQouaig, 
wir  nohrixci,  wir  'Pvaixrj  iiXQociOtg,  der  Ka- 
talog ^vaixä.  Von  der  Schrift  negl  ipv)(ijg 
kennt  der  Katalog  nur  1  B,,  von  der  re/^'V 
QrjTOQixfj  nur  2;  das  4.  Buch  der  Metaphysik 
führt  er  gesondert  unter  dem  Titel  tteqI  rvöy 
7J0GC(/(x)g  Xeyouet^ioy  an. 


400 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


sehen  Bibliothek  auf  Grund  der  Angaben  des  Litterarhistorikers  Hermippos.  i) 
Ihm  steht  ein  zweites  Verzeichnis  gegenüber,  das  weit  mehr  Bücher  (1000 
statt  400)  umfasst  und  auf  den  Peripatetiker  Andronikos,  der  zur  Zeit 
Ciceros  auf  Grund  eines  neuen  Handschriftenfundes  eine  vervollständigte 
Ausgabe  der  Werke  des  Aristoteles  besorgte,  2)  zurückzugehen  scheint.  Von 
diesem  zweiten  Verzeichnis  kennen  wir  aus  griechischen  Quellen  3)  nur  die 
Gesamtzahl  der  Bücher;  die  einzelnen  Titel  gibt  die  arabische  Übersetzung 
der  Schrift  eines  gewissen  Ptolemaios  über  Aristoteles  und  seine  Schriften.*) 
Mit  dem  neuen  Handschriftenfund  aber  hat  es  folgende  Bewandtnis.^)  Nach 
dem  Tode  des  Theophrast  war  dessen  Bibliothek,  welche  natürlich  auch  die 
Werke  des  Aristoteles  enthielt,  in  den  Besitz  eines  gewissen  Neleus  aus  Skepsis 
übergegangen.  Dessen  Erben  verbargen  die  Handschriften  aus  Furcht  vor  der 
Bibliomanie  der  Attaliden  in  einem  Gewölbe,  wo  sie  den  Motten  und  dem  Moder 
preisgegeben  blieben.  Um  100  v.  Chr.  entdeckte  sie  dort  ein  reicher  Bücher- 
liebhaber, Apellikon  von  Teos,  und  brachte  sie  nach  Athen.  Bei  der  Einnahme 
der  Stadt  durch  die  Soldaten  des  Sulla  kamen  auch  die  Bücher  in  die  Gewalt 
des  Siegers,  der  sie  nach  Rom  verbringen  Hess  (86  v.  Chr.).  Dort  erkannte  der 
Grammatiker  Tyrannion  den  Wert  der  Bibliothek  und  veranlasste  den  Peripa- 
tetiker Andronikos,  sie  durch  Abschriften  zu  vervielfältigen  und  einen  Katalog 
derselben  anzulegen.  Mit  diesem  Handschriftenfund  nahm  das  Studium  des 
Aristoteles,  dessen  Schriften  nun  vollständig  und  in  besserer  Ordnung  publi- 
ziert wurden, ß)  einen  neuen  Aufschwung;  ^)  auf  die  neue  Ausgabe  geht  im 
wesentlichen  auch  die  Rezension  unserer  Handschriften  zurück.^) 

Die  Schriften  des  Aristoteles  zerfallen,  wenn  wir  von  den  poetischen 
Kleinigkeiten  9)    und  den  Briefen  i*^)   absehen,   in  3  Kategorien,   in  Dialoge, 


^)  Diese  Annahme  stützt  sich  darauf, 
dass  Hermippos  ein  Buch  über  Aristoteles 
geschiieben  hatte,  und  dass  er  in  einem 
IScholion  am  Schluss  der  Metaphysik  des 
Theophrast  neben  Andronikos  als  Verfasser 
von  Katalogen  der  Schriften  des  Theophrast 
genannt  wird. 

2)  Von  Andronikos  wird  ein  Über  quin- 
itis  de  indice  librorum  Aristotelis  angeführt 
in  dem  arabischen  Katalog  unter  No.  90. 
Porphyr.  Vit.  Plotini  24:  UyifQoyixog  6  IIsqi- 
Tiaitjrtxog  tu  'AQiaiozsXovg  xal  0eo(pQciarov 
slg  ngay/uaTsiag  disiXsu.  —  Fälschlich  dem 
Andronikos  zugeschrieben  ist  die  Fälschung 
'Jv(^Qoi'ixov  nsQi  xä'isoig  7joi7]toi)p,  worüber 
CoHN,  Phil.  Abh.  zu  Ehren  von  Hertz  S.  130  ff. 

^)  Vita  Marciana  9;  David  in  Arist. 
categ.  24  a,  18. 

"*)  In  der  akademischen  Ausgabe  p.  1469 
steht  die  von  Steinschneider  angefertigte 
Rückübersetzung.  Der  Ptolemäus  war  nach 
den  Arabern  Philosoph  in  Rom,  vielleicht 
eine  Person   mit    dem    Ptolemäus   Chennus. 

^)  Strab.  p.  (308  f.;  Plut.  Sulla  2(3.  Kon- 
fundiert sind  die  Dinge  bei  Athenaios,  der 
p.  3  den  Ptolemaios  Philadelphos,  p.  214 
den  Sulla  die  aristotelische  Bibliothek  des 
Neleus  erwerben  lässt. 

•*)  So  kennt  das  neue  Verzeichnis,  wie 
unsere  Handschriften,  3  nicht  2  Bücher  der 


Rhetorik,  3  nicht  1  B.  de  anima,  13  nicht 
10  B.  der  Metaphysik,  2  nicht  1  B,  der  Poetik. 
Die  Einteilung  der  Werke  in  Bücher  scheint 
nicht  von  Aristoteles  herzurühren :  der  Philo- 
soph selbst  würde  nicht  de  an.  l.  HI  und 
Polit.  1.  VIII  an  der  Stelle  begonnen  haben, 
wo  sie  in  unseren  Handschriften  und  Aus- 
gaben beginnen. 

^)  Daher  heisst  es  von  den  alexandri- 
nischen  Katalogen  bei  Philoponos  in  Categ. 
39  a,  20:  sv  raTg  naXaiaTg  ßißXio&rjxcag. 

^)  Die  Rezension  unserer  Handschriften 
ward  aber  erst  am  Ende  des  Altertums  an- 
gefertigt und  enthält  einiges  erst  später 
hinzugekommene.  Dahin  gehören  nsQi  x6- 
G^ov,  71£qI  /QMfiäriüy,  nsQi  &av^aai(au  uxov- 

^)  An  Gedichten  haben  wir  ausser  einer 
Elegie  auf  Eudemos,  einem  Skolion  auf  die 
Tugend  und  daktylischen  Resten  von  Hymnen, 
unter  Aristoteles  Namen  eine  Peplos  betitelte 
Sammlung  von  Epitaphien  auf  die  Helden  vor 
Troja,  die  aber  nicht  von  unserem  Philo- 
sophen herrührt  und  auch  nicht  in  den  Kata- 
logen seiner  Werke  vorkommt.  Erwähnt 
wird  dieselbe  zum  erstenmal  von  Porphyrios 
bei  Eustathios  ad  Hom.  II.  p.  285,  24;  ins 
Lateinische  hat  dieselbe  Ausonius  übertragen. 

"^')  Von  Briefen  sind  uns  G  erhalten,  ge- 
druckt bei  Herchek,  Epist.  gr,  p.  172  -4  und 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§  295.) 


401 


vorbereitende  Sammlungen,  systematische  Werke.  Sie  wollen  wir  nach  der 
Reihe  durchgehen,  indem  wir  gleich  im  voraus  bemerken,  dass  uns  von 
den  beiden  ersten  Klassen  nur  dürftige  Bruchstücke  erhalten  sind. 

295.  Die  Dialoge.^)  Die  uns  erhaltenen  Schriften  gehören  alle  der 
Kategorie  der  systematischen  Werke  des  gereiften  Alters  an.  Diesen  waren 
populäre  Schriften,  die  sich  in  gewählter  Form  an  einen  weiteren  Kreis 
von  Gebildeten  wandten,  und  Sammelschriften,  welche  das  Material  für 
die  Theorie  und  das  System  beschafften,  vorausgegangen.  Die  populären 
Bücher  waren  mit  den  exoterischen  {s'^mtsqixoI  Xoyoi)  verwandt.  Aristoteles 
verweist  selbst  einigemal  auf  dieselben  ^)  und  gebraucht  für  sie  in  der  Poetik 
p.  1454b  18  den  Ausdruck  er  roTg  sxSsSoiisvoig  Xoyoig.  Da  in  diesen  eine 
leichtverständliche  Beweisform  angewendet  war,  so  sprach  man  auch  im 
weiteren  Sinne  von  einer  exoterischen  Untersuchungsweise  (axtipig)  und 
entwickelte  sich  daraus  die  besonders  von  Andronikos^)  in  Umlauf  ge- 
brachte Unterscheidung  von  einer  exoterischen,  an  das  allgemeine  Ver- 
ständnis gerichteten  Lehre  und  einer  streng  wissenschaftlichen,  nur  für  enge 
Kreise  von  Eingeweihten  bestimmten  Theorie.  Jene  populären  Schriften 
hatten  noch  die  Form  der  dialogischen  Einkleidung,  was  auch  in  dem  Worte 
Xöyoi  s'^coTSQixoi  liegt,  da  man  unter  ?.6yoi,  speziell  Dialoge  verstand;  doch 
fehlte  denselben  das  mimetisch  dramatische  Element,  und  waren  an  die 
Stelle  kurzer  Fragen  und  Antworten  lange  Vorträge  getreten,  in  denen  die 
Sache  von  entgegengesetztem  Standpunkt,  ähnlich  wie  es  später  Cicero  that, 
besprochen  war. 4)  Zu  ihnen  gehörten  der  Eudemos  über  die  Unsterblich- 
keit der  Seele, ^)  die  8  Bücher  tisqI  (fiXoaocfiag,  worin  die  Hauptsätze  der  ttqcötij 
(fdoaocfia  entwickelt  und  zugleich  ein  Überblick  über  die  Geschichte  der 
Philosophie  gegeben  war,^)  ein  Buch  tvsqI  Taycc^ov,  das  sich  mit  dem  vor- 
genannten Dialog  berührte  und  speziell  die  pythagoreisch  gefärbte  Lehre 
Piatons   von   der  Idee  des  Guten   behandelte,   ferner  Msvt'^svog,'^)   FQvkXog 


in  der  akad.  Ausg.  des  Aristot.  p.  1578—82. 
Die  Alten  hatten  nach  den  Katalogen  weit 
mehr  Briefe.  Stahr  II,  167  ff.,  Über  die  an- 
geblichen Briefe  des  Aristot.,  geht  in  der 
Verdächtigung  der  Echtheit  zu  weit;  die 
Briefe  an  Antipatros  mindestens  tragen  den 
unverkennbaren  Stempel  der  Echtheit. 

^)  Aristot.  fragmenta  ed.  Val.  Rose 
im  5.  Bande  der  akad.  Ausg.,  Berl.  1870; 
Val.  Rose,  Aristoteles  pseude'pigraplius 
(weil  die  Schriften  unecht  sein  sollen),  Lips. 
1863  und  in  der  Bibl.  Teubn.  1886;  Heitz, 
Die  verlorenen  Schriften  des  Arist.,  Leipz. 
1865. 

''^)  Die  Stellen  bei  Bonitz,  Index  Arist. 
p.  104  f.;  wichtig  besonders  Metaph.  p. 
1076a,  28:  jed^gvlriTat  ydq  t«  noXM  y.cd 
vno  xiüv  ii(üTSQixa)p  Xoyiov.  Polit.  p.  1323a, 
22:  vo^iGcivTS?  ovv  Ixaviag  noXld  Xeyea&ai, 
xcd  Ev  ToTg  i^wrsQiyoTg  loyoig  ttsqI  ri]g 
uQLGTvg  CMfjg.  Vgl.  Stahr  II,  237  ff,;  Ber- 
NAYS,  Die  Dialoge  des  Aristoteles  im  Ver- 
hältnis zu  seinen  übrigen  Werken,  Berlin 
1863;  DiELS,  Über  die  exoterischen  Schriften 


des  Arist.,  Stzb.  d.  Berl.  Ak.  1883  S.  477  ff.; 
SusEMiHL,  Jahrb.  f.  Ph.  128,  265  ff. 

")  Gellius  XX,  5.  10;  durch  Andronikos 
ist  beeinflusst  Cicero  de  fin  V,  5.  12;  ad 
Att.  IV,  16.  2;  Strabon  p.  609;  Galen  de 
subtil,  facult.  IV,  758;  Alex.  Aphrod.  in  Arist. 
Top.  261a,  25;  Simplicius  386  b,  25.  Jene 
Unterscheidung  spukt  schon  in  den  Briefen 
Piatons. 

^)  H.  Schlottmann,  Ars  dialogorum 
comjjonendorimi,   Rostochii   1889   p.  19 — 25. 

^)  Dem  Andenken  des  Genossen  gewid- 
met, der  353/2  im  Feldzug  des  Dion  gegen 
Dionysios  fiel;  Beiträge  zur  Erklärung  von 
Bernays.  Ges.  Abh.  I.  130—140. 

^)  Über  ihre  dialogische  Form  Bernays, 
Ges.  Abh.  I,  148  ff'. ;  neue  Beiträge  von  By- 
water,  Journ.  of  Thilol.  VII,  64  ff.  Eine 
Stelle  daraus,  die  uns  Aristoteles  auch  als 
Mann  der  phantasievollen  Darstellung  kennen 
lehrt,  teilt  Cicero  de.  nat.  II,  37.  95  mit. 

"')  Der  Titel  erinnert  ebenso  wie  der 
:^ocp(aT7Jg,  UoXiTixog  an  Dialoge  Piatons. 


Ilautlbiich  der  klass.  Altertumswissenscliaft.  VII.    2,  Aufl. 


26 


402 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


r  7T8QI  Q7^T0Qixrg,  Nr^QivS^og,  ^)  7T€qI  ^ixaioavvrjg,  ^)  tisqI  evysvsfag,  ^)  ttsqI 
(fiXiag  u.  a.  In  die  gleiche  Klasse  populär-philosophischer  BiJcher  gehörten 
auch  die  beiden  Sendschreiben  an  Alexander  ttsq!  ßaailsfag  und  tc£qI  änoi- 
xiMv,  sowie  der  an  Themison,  König  von  Kypern,  gerichtete  Protreptikos, 
der  eine  Mahnung  zum  Philosophieren  enthielt  und  von  Cicero  in  seinem 
Hortensius  nachgeahmt  v^urde. 

296.  Vorbereitende  und  grammatische  Schriften.  Aristoteles 
hat  seine  Theorie  in  Philosophie,  Poetik,  Politik  auf  Grund  ausgedehnter 
Voruntersuchungen  über  die  geschichtlichen  und  thatsächlichen  Verhält- 
nisse aufgebaut;  seinen  systematischen  Werken  [TiQayfxaTsTai)  gingen  daher 
historische  und  philologische  Vorstudien  voraus.  Schon  in  den  Dialogen 
liebte  er,  seine  Sätze  durch  Beispiele  und  historische  Rückblicke  zu  be- 
leuchten, wie  uns  dieses  namentlich  die  Schriften  über  die  Dichter  und  die 
Philosophie  zeigen.  Dazu  kamen  nun  aber  noch  viele  andere,  die  mehr 
Exzerpten^)  und  Zusammenstellungen  glichen,  als  zu  stilistisch  abge- 
rundeten Werken  verarbeitet  waren.  Dieselben  scheinen  namentlich  in  den 
philologischen  Kreisen  Alexandriens  Verbreitung  gefunden  zu  haben,  wäh- 
rend viele  derselben,  nach  dem  Katalog  des  Ptolemaios  zu  urteilen,  in  der 
theophrastischen  Bibliothek  des  Neleus  fehlten,  sei  es  nun,  weil  sie  zur 
Philosophie  im  engeren  Sinne  nicht  gehörten,  sei  es,  weil  sie  in  den  Kreisen 
der  Eingeweihten  nicht  für  aristotelisch  galten.^)  Einige  dieser  Materialien- 
sammlungen werden  im  Zusammenhang  mit  den  erhaltenen  systematischen 
Schriften  ihre  Besprechung  finden.  Hier  seien  die  grammatischen  und 
litterarhistorischen  Schriften  namhaft  gemacht:  ^inoqrifiaTa  '^Of.irjQixä,  Jiöa- 
axaXtai,  Jlv^iortxai,  ^VTrofirr^fiaza  laioQixä.^)  Aus  der  Klasse  solcher  histori- 
scher Schriften  ist  auf  uns  gekommen  das  Buch  über  Melissos  Xenophanes 
Zenon,')  welches  aber  nicht  in  den  Katalogen  der  aristotelischen  Schriften 
steht  und  im  cod.  Vat.  H^  dem  Theophrast  beigelegt  ist.^)  Dasselbe  weicht 
so  vielfach  von  den  Angaben  in  den  echten  Schriften  unseres  Philosophen 
ab,  dass  es  nicht  von  Aristoteles  herrühren  kann.^) 

297.  Die  systematischen  Werke.  Die  wichtigste  Stellung  nahmen 
unter  den  Schriften  unseres  Philosophen  diejenigen  ein,  in  welchen  er  seine 
Lehre  im  Zusammenhang  und  in  streng  wissenschaftlicher  Weise  vortrug; 
sie  hiessen  axQodaeig,  weil  sie  von  Aristoteles  seinen  Vorträgen  zu  gründe 


^)  Nerinthos  war  ein  Bauer  aus  Korinth, 
der  das  Feld  verliess,   um   Piaton  zu  hören. 

'^)  Auf  diese  Schrift  bezieht  sich  nach 
der  Vermutung  Susemihl's  Jahrber.  d.  Alt. 
X,  1.  3  Piaton  in  den  Gesetzen  p.  860  d. 

^)  Die  Echtheit  bestritten  bei  Plut.  Ari- 
stid.  27,  verteidigt  von  Immisch,  Comm.  Rib- 
beck. 78. 

^)  Im  Katalog  des  Ptolemaios  Nr.  15 
heisst  es  geradezu:  in  quo  ahhreviavit  ser- 
ononem  Piatonis  =  Td  ix  rrjg  nohislag  JlXä- 
Tiovog.  Exzerpte  werden  ferner  gewesen  sein 
T«  sx  T(ov  pöjucoi^  nXdrioyog,  ex  tmv  Tifxaiov 
x(d  'Jqxvtov.  Kritische  Polemiken  enthielten 
die  Bücher  TiQog  rd  Fo^yiov,  ngog  rd  Me- 
7üaaov,  n^og  rd  'JXxfiaiioi^og,  tisqI  tvHv  JIv- 
■&ciyo^€i(x)i'f   ttsqI  rrjg   ^A^^vts'lov  cpiloGocpiag, 


TTSqI     Jt]jLlOXQlTOV. 

^)  Alle  diese  Kollektaneen  erklärt  mit- 
samt den  populären  Schriften  Val.  Rose, 
Ärist.  pseudeingra/phus,  für  unecht.  Viele 
mochten  bloss  unter  der  Leitung  des  Schul- 
hauptes von  seinen  Schülern  angefertigt  sein. 

^)  Von  andern  wurden  die  historischen 
Erinnerungsblätter  dem  Theophrast,  gewiss 
mit  mehr  Recht,  zugeschrieben. 

'')  Überliefert  ist  der  falsche  Titel  ne^l 
Bevocfdvovg,  tieqI  Zrjywyog,  tisqI  Togylov. 

^)  Vgl.  Simplicius  im  Kommentar  zur 
Physik  p.  56. 

'->)  Zeller,  Phil.  d.  Gr.  I^  463  ff.  Diels, 
Doxographi  gr.  S.  108  ff.,  setzt  die  Schrift  in 
die  nächste  Zeit  nach  Theophrast. 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§296—297.) 


403 


gelegt  wurden,  1)  oder  TiQaYficcrsim,  weil  sie  die  sachliche  Darlegung  der 
einzelnen  Wissensgebiete  enthielten;  in  der  Schule  des  Meisters  wurden 
sie  am  meisten  in  Ehre  gehalten,  und  dieser  Hochachtung  verdanken  wir  ihre 
fast  vollständige  Erhaltung.  Um  ein  richtiges  Verständnis  und  einen  Eintei- 
lungsgrund für  die  Besprechung  dieser  Schriften  zu  gewinnen,  '^)  müssen  wir 
uns  zuvor  im  allgemeinen  über  den  Charakter  der  aristotelischen  Schriftstellerei 
klar  werden.  Aristoteles  bildete  darin  einen  scharfen  Gegensatz  zu  Piaton,  dass 
er  sein  Augenmerk  lediglich  auf  die  Sache  gerichtet  hielt  und  daneben  der 
sprachlichen  Form  nur  geringe  Sorgfalt  zuwandte.^)  Während  Piaton  sti- 
listische Kunstwerke  schuf  und  mit  der  Form  des  Dialoges  ein  poetisches 
Element  in  die  Philosophie  einführte,  hielt  Aristoteles  nur  in  seinen  An- 
fangsschriften und  in  den  populär  gehaltenen  Werken  die  sokratische  Form 
des  Dialoges  bei,  wandte  aber  in  den  Schriften  des  gereiften  Alters  und 
in  allen  uns  erhaltenen  die  lehrende  Darstellung  des  Vortrages  an.  Mit 
diesem  lehrhaften  und  systematischen  Charakter  der  Schriften  hängt  es 
zusammen,  dass  dieselben  von  äusseren  Einflüssen  wenige  oder  gar  keine 
Spuren  an  sich  tragen,  etwas,  was  natürlich  ihre  chronologische  Festsetzung 
wesentlich  erschwert.  Da  dieselben  ausserdem  alle  aus  den  Vorträgen  des 
gereiften  Alters  hervorgegangen  sind,  so  ist  in  ihnen  auch  so  gut  wie  nichts 
von  einer  allmählichen  Entwicklung  wahrzunehmen,  ^)  so  dass  z.  B.  die 
philosophischen  Kunstausdrüdke  t6  ti  tjv  sivai^  ovaia^  Sina^ig,  hrski-x^ia, 
die  Aristoteles  nachweislich  erst  geschaffen  hat,  gleichwohl  in  allen  Schriften 
gleichmässig  und  in  vollständig  ausgeprägter  Bedeutung  vorkommen.  Dazu 
kommt,  dass  die  nicht  seltenen  Verweisungen  sich  vielfach  kreuzen,  indem 
z.  B.  in  der  Rhetorik  6mal  auf  die  Poetik,  aber  auch  Imal  in  der  Poetik 
auf  die  Rhetorik  verwiesen  ist.^)  Es  hängt  aber  dieses  alles  damit  zu- 
sammen, dass  Aristoteles  selbst  zu  seinen  Lebzeiten  von  diesen  systemati- 
schen Werken  wenig  oder  nichts  in  die  Öffentlichkeit  hinausgegeben  hat, 
dass  aber  Eudemos,  Nikomachos,  Theophrast,  die  nach  seinem  Tode  die 
Veröffentlichung  des  litterarischen  Nachlasses  besorgten,  Manuskripte  vor- 
fanden, denen  die  Spuren  wiederholter  Revision  und  nachträglicher  Erweite- 
rung aufgedrückt  waren,  und  die  vor  der  Herausgabe  noch  einer  genaueren 
Zusammenordnung   und  nachhelfenden  Redaktion   bedurften.^)     Da   wir  so 


^)  Daher  (pvGixiq  axgoccaig  und  ciXQodasig 
Met.  p.  994  b,  32.  Aus  der  Vortragsform 
stammt  die  Anrede  vfxviiv  rj  rcoy  dxQOMfxevMv 
in  Soph.  el.  p.  184b,  2  —  6,  und  die  Über- 
gangsformel  (xsTa  juvra  oxi  Met.  p.  1069b, 
85;  1070a,  4,  Anal.  pr.  init. 

''')  Die  Einteilung  der  Alten  gibt  Ara- 
monios  in  cat.  p.  6  tisqI  dicagiaeMg  riou  \4qigto- 
rsXixdjy  avyyQct^^äzMv.  Vgl.  Stahr,  Aristo- 
telia  II.  254  ff.;  Titze,  De  Aristotelis  operum 
Serie  et  distinctione,  Lips.  1826. 

^)  Sein  Standpunkt,  dass  die  Sprache 
nur  zum  Ausdruck  der  Gedanken  da  sei, 
ist  ausgesprochen  ttsqI  tQfJLrjveiag  1. 

"*)  Über  die  Reihenfolge  siehe  ausser 
Titze  besonders  Brandts,  Gesch.  d.  griech.- 
röm.  Phil.  IIb.  111  ff.  Die  Untersuchungen 
stehen  hier  noch  im  Anfang. 


5)  Rhet.  1372a,  1,  1404a,  38,  1404b 
7  und  28,  1405  a,  5,  1419b,  5,  Poet.  1456  a, 
35.  Ganz  wertlos  sind  deshalb  die  Citate  zur 
Bestimmung  des  Verhältnisses  der  Schriften 
zu  einander  nicht;  es  kommt  eben  darauf 
an,  genau  zu  prüfen,  ob  dieselben  leicht  zu- 
gesetzt oder  mit  der  Umgebung  eng  ver- 
wachsen sind,  mit  anderen  Worten,  ob  sie 
von  Aristot.  selbst  oder  von  den  späteren 
Herausgebern  u.  Kommentatoren   herrühren. 

^)  Ich  habe  in  meinen  Ausgaben  aristo- 
telischer Schriften  die  nachträglichen  Zusätze 
mit  typographischen  Mitteln  von  dem  ur- 
sprünglichen Entwurf  zu  scheiden  versucht. 
Zweckmässig  ist  dieses  namentlich  deshalb, 
weil  die  Redaktoren  oft  die  von  Arist.  am 
Rand  angemerkten  Zusätze  und  Besserungen 
an   falscher   Stelle   einschoben.     Eine   totale 

26* 


404 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


unter  den  erhaltenen  Schriften  kaum  eine  haben,  die  in  allen  Teilen  vom 
Autor  zur  Herausgabe  abgeschlossen  war,^)  so  vermissen  wir  in  ihnen  auch 
den  goldenen  Fluss  der  Rede,  welchen  die  Alten,  die  noch  die  vollständigen 
Werke  des  Aristoteles  hatten  und  die  populären  Schriften  lieber  als  die 
systematischen  lasen,  an  den  Werken  unseres  Philosophen  rühmten. 2)  Dem 
Inhalte  nach  zerfallen  die  erhaltenen  Werke  in  3  Klassen:  1)  erkenntnis- 
theoretische oder  logische  Schriften,  2)  Schriften,  die  sich  die  Erforschung 
{^scoQsTx')  der  objektiven  Welt  zum  Ziele  setzen,  3)  Schriften,  die  sich  auf 
dem  Gebiete  des  menschlichen  Handelns  {tcqüttsiv)  und  Schaffens  {nmeh^ 
bewegen. 

298.  Die  logischen  Schriften  verdienen  unter  den  systematischen 
Werken  die  erste  Stelle,  weil  sie  das  Werkzeug  der  Dialektik  und  wissen- 
schaftlichen Forschung  bilden^)  und  deshalb  auch  von  den  späteren  Peri- 
patetikern*)  unter  dem  Namen  Organon,  d.  i.  Werkzeug,  der  ganzen  Samm- 
lung vorangestellt  wurden.  Erhalten  haben  sich  von  denselben  die  wich- 
tigeren alle,  und  zwar  in  folgender  Reihenfolge: 

KccTijyoQiat  oder  von  den  10  Grundformen  der  Aussage  vom  Sei- 
enden (?y  ovaia^  t6  TToaov,  t6  ngog  ti,  t6  ttoiÖv,  to  ttov,  t6  Tiort',  to  xsTa^at 
Tj  8%siv,  TO  noielv  1]  näaxeir^.^)  Die  Schrift  rührt  nicht  von  Aristoteles 
selbst,  sondern  von  einem  der  jüngeren  Peripatetiker  her  und  ist  unter  dem 
Einfluss  der  herrschenden  Schulmethode  im  Anschluss  an  die  Stelle  der 
Topik  p.  103b  20  entstanden. e) 

üegl  €QiiirjV€iag,  de  interpretationc,  oder  vom  Satz,  den  Teilen  und 
Formen  desselben  (ovo^tf«,  ^^^t«,  ^oyoq^  xardcpaaig,  arröcpaaig).  Auch  die 
Echtheit  dieser  Schrift  wurde  schon  im  Altertum  von  Andronikos  bestritten."^) 


Verwerfung  der  Blätter  und  Hefte  des  Ori- 
ginals sucht  in  überkülmer  Skepsis  ICssen, 
Der  Keller  zu  Skepsis,  und  Ein  Beitrag  zur 
Lösung  der  aristot.  Frage,  1866  u.  1883,  zu 
erweisen. 

^)  Freilich  besteht  in  Bezug  auf  den 
Grad  der  Ausarbeitung  ein  grosser  Unter- 
schied zwischen  den  einzelnen  Schriften  und 
sogar  zwischen  den  einzelnen  Büchern  der- 
selben Schrift. 

■^)  Cic.  Acad.  post.  II,  38.  119:  flumen 
orationis  aureuiu  fundens  Aristoteles-,  vgl 
Top.  I,  3;  de  invent.  II,  2.  6;  Quint.  X,  1 
83.  Nüchterner  urteilt  Dionysios,  Cens.  vet 
Script.  4,  1 :  7TaQah]nieop'  de  xcd  'jQiGxorsh] 
sig  fxifXYiaiv  rrjc.  le  ttsqI  rrju  eQ^tji^eiay  detyo 
Tfjrog  xal  Tijg  a(((p7]y£iag  xcd  rov  rjdeog  xcd 
noXvfxci&ovg.  Die  Schönheit  der  exoterischen 
Schriften  hebt  speziell  hervor  Themist.  or. 
XXVI  p.  385  D.;  Philoponos  in  cat.  36b, 
28,  David  in  cat.  26b,  35.  Blass,  Rh  M.  30, 
481  ff.  weist  in  den  gefeilteren  Schriften  auch 
eine  grössere  Sorgfalt  in  der  Vermeidung 
des  Hiatus  nach. 

3)  Arist.  Met.  p.  1005  b,  4  sagt  selbst, 
dass  die  Analytik  der  Physik  und  Meta- 
physik vorangehen  müsse.    Die  Analytik  ist 


vor  der  Physik  verfasst  nach  p.  95  b,  11. 

"^j  David  in  categ.  p.  26  a,  11:  00  de 
"ksyovreg,  ort  c^el  c}7i6  rtjg  XoyixTjg  ccQxsa&ai, 
ecpaaxoi',  ort  oQyapov  rj  Xoytxij.  Vgl.  Diog. 
V,  28.  Ahnlich  spricht  schon  Arist.  selbst, 
Top.  p.  163  b,  11  von  einem  oQyayoy  ngog 
yycoaiy.  Den  Ausdruck  Organon  fand  bereits 
Alexander  Aphrod.  als  allgemein  verbreitet 
vor;  s.  Peantl,  Gesch.  der  Log.  I,  532. 

^)  Der  Sachtitel  lautete  nsgl  rcoy  yBvcHv 
rov  ovtog-,  s.  Waitz  in  der  Ausg.  des  Or- 
ganon. I,  265. 

^)  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  207  ff.  Nach 
Simplicius  in  categ.  fol.  8  u,  Philop.  in  categ. 
39  a,  20  gab  es  noch  ein  2.  Buch  Kategorien 
[cfSQStca  xcd  üX'ko  xctiv  xatrjyoQiwv  ßiß'kiov 
i6g  'jQioxoTs'kovg).  Den  Schluss  unserer  Ka- 
tegorien c.  12  —  15,  die  sog,  postjiraedica- 
menta  {ctfxa  und  jiqoteqop,  xivbTp  und  ex^iv 
etc.)  gab  schon  Andronikos  für  unecht  aus; 
s.  Trendelenburg,  De  Arist.  categoriis,  Berl. 
1833;  Geschichte  der  Kategorienlehre,  Berl. 
1846. 

^)  Die  von  Andronikos  gegen  die  Echt- 
heit der  Schrift  erhobenen  Zweifel  sind  zu- 
rückgewiesen von  Alexander  Aphrod.  in  Anal. 
I  p.  160  ed.  Wallies. 


4.  Die  Philosophie,     d.  Aristoteles.  (§  298—299.) 


405 


'AvaXvTixd  TtQovfQa  und  varsga  in  je  2  B.,^)  benannt  nach  der  Ter- 
minologie der  Mathematiker,  weil  sie  die  Zergliederung  oder  Rückführung 
der  Wahrheiten  auf  die  Elemente,  aus  denen  dieselben  gewonnen  werden, 
bezwecken.  Die  erste  Analytik  enthält  die  Lehre  vom  wissenschaftlichen 
Beweis  (aTi66ei'§ig  r]  imarrnu]  ccTroSsixnxr/)  vermittelst  Satz,  Delinition,  Schluss 
{nQÖTaöig,  oQog,  avXXoyiai^iog);  die  zweite  handelt  vom  Erkennen  oder  Wissen 
überhaupt  {fj^d^rjcfig  ^lavorjzixrj),  vom  Wesen  des  Wissens,  das  in  der  Er- 
kenntnis des  Grundes  wurzelt,  von  der  Möglichkeit  des  Wissens  unter  der 
Voraussetzung  gewisser  unmittelbarer  Wahrheiten,  von  den  Wegen  des 
wissenschaftlichen  Erkennens  durch  syllogistischen  Beweis,  Induktion  {sTta- 
yo)yrj),  Definition  [oQKTfjiög),  Zergliederung  (Siaigsaig). 

ToTTiKcc  in  8  B.,  hervorgegangen  aus  der  Dialektik  oder  der  von  den 
Sophisten  gepflegten  Disputierkunst;  sie  enthalten  die  allgemeinen  Sätze 
{roTToi)/^)  mit  deren  Hilfe  es  möglich  ist  über  jeden  aufgestellten  Satz  so 
zu  disputieren,  dass  man,  ohne  einen  streng  wissenschaftlichen  Beweis  zu 
erbringen,  doch  für  seine  Thesis  die  Wahrscheinlichkeit  erweisen  kann.^) 
Da  sie  so  den  Weg  oder  die  Methode  des  Disputierens  angeben,  so  werden 
sie  auch  in  den  alten  Katalogen  und  von  Aristoteles  selbst,  Rhet.  I,  2, 
Me&oSixd  genannt.  Die  Topik,  in  der  sich  der  Autor  in  breiter  Ausfüh- 
rung gehen  lässt,^)  steht  hinter  der  Präzision  der  Analytik  weit  zurück  und 
gehört  der  älteren,  noch  der  platonischen  Schuldialektik  näher  stehenden 
Periode  der  aristotelischen  Philosophie  an.^) 

2o(fiaTixol  sXsyxoi  oder  die  Trugschlüsse  der  Sophisten  gehören 
zur  Topik  und  bilden  in  der  Ausgabe  des  Organen  von  Waitz  geradezu 
das  9.  Buch  der  Topik;  ^)  ihre  Sonderstellung  hängt  mit  der  Scheidung  von 
Eristik  und  Dialektik  zusammen. 

Von  den  verloren  gegangenen  Schriften  gehörten  in  das  Gebiet  der 
Logik  die  Siaiqäasig^  ttsqI  svavTiMV,  ttsqI  TCQoßXrji^idTMv,  vjrofxrrjinaTa  Xoyixd. 
Aber  alles  bedeutende  ist  erhalten  und  damit  das  dauerndste,  was  der  zer- 
gliedernde Verstand  des  Aristoteles  im  Gebiet  der  Philosophie  hervorge- 
bracht hat.  Denn  legen  wir  auch  heutzutag  auf  die  formale  Logik  nicht 
mehr  den  Nachdruck  wie  ehedem,  so  gebührt  doch  unserem  Philosophen 
das  Verdienst  die  Gesetze  der  menschlichen  Denkoperationen,  die  Wege  des 
Erkennens  und  die  Arten  der  Schlüsse  für  alle  Zeiten  festgestellt  zu  haben. 

299.  Naturwissenschaftliche  Schriften.  Von  diesen  gehören 
zur  Lehre  von  der  Natur  im  allgemeinen  oder  von  dem  W^ eltganzen: 


^)  Nach  Philop.  in  cat.  39  a,  20  gab  es 
in  den  alten  Bibliotheken  eine  Ausgabe  in 
jM  (corr.  7])  ßißX.  Die  ersten  Analytika  werden 
von  Arist.  selbst  p.  9Ca,  1  mit  iy  roTg  tiqw- 
roig  citiert. 

'■')  Diese  rönoi  sind  als  loci  communes 
bekannter  geworden  in  der  Rhetorik,  die  ja 
mit  der  Dialektik  nahe  verwandt  ist.  Die 
rhetorische  Topik  bildet  den  Gegenstand  der 
Schrift  des  Aristot.  tisqI  QrjxoQixrjg. 

■*)  Top.  I,  1 :  r;  uev  nQo&effig  ri^g  ngay- 
(Äaisiag  uix^o^ov  svqeIv,  iccp  tjg  ^vvrjao^Sx^a 
cvXXoyii^eaO^aL  neQl  navxug  rov  TTQorsr^eyTog 
7J Qoßjiijjucaog  e|  eVtfoIwi'. 


^)  Die  Breite  der  Topika  hängt,  wie  am 
Schlüsse  p.  184a  8  angedeutet  ist,  damit 
zusammen,  dass  dieselben  aus  einem  rhe- 
torisch angelegten  Lehrkurs  hervorgegangen 
sind. 

^)  Die  Topik  ist  citiert  in  Analytik  p. 
24  b,  12. 

^)  Vgl.  Waitz  II.  528;  entscheidend  ist, 
dass  am  Schluss  der  soph.  el.  eine  Rekapi- 
tulation der  ganzen  Topik  steht.  Die  Hand- 
schriften indes  sondern  die  beiden  Werke, 
der  cod.  Laur  89  teilt  obendrein  die  soph. 
el.  in  2  Bücher. 


406 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


(PvaixYj  axQÖaaig  in  8  B.;  dieselbe  handelt  von  den  Prinzipien  (a^^at) 
des  in  Bewegung  befindlichen  Seins  und  ist  vor  der  Metaphysik,  in  der  sie 
wiederholt  vorausgesetzt  wird,  abgefasst.  Die  Grundprinzipien  der  aristo- 
telischen Lehre,  vXi],  vTioxsi'i^ievov,  Svvaixig  auf  der  einen,  alSog,  !JioQ(pi], 
svvsXsy^sia  auf  der  andern  Seite,  ferner  to  avvoXov,  ro  tsXog  oder  ro  ov  evsxa, 
ovaia  und  (tvfxßsßrjxÖTa,  to  xivovv  oder  o&€v  tj  xfvrjcng  sind  hier  zum 
klarsten  Ausdruck  gebracht.  Die  Physik  des  Aristoteles  hat  also  mit  dem, 
was  wir  heutzutag  Physik  nennen,  wenig  zu  thun;  sie  erläutert  nur  die 
Begriffe,  unter  denen  wir  die  Erscheinungen  der  Natur  anschauen,  enthält 
nicht  auch  die  Gesetze,  nach  denen  die  Dinge  werden  und  zu  einander  in 
Beziehung  treten;  sehr  bezeichnend  nannte  sie  Hegel  eine  Metaphysik  der 
Physik.  Der  2.  Teil  derselben  (V— VIII)  handelt  von  der  Bewegung  und  den 
verschiedenen  Arten  der  Bewegung:  des  Raumes  {(fjoga),  der  Beschaffenheit 
(l^israßolrj  oder  aXXoiwaig),  der  Grösse  {av^rjaig  und  (fd^iaig);  er  hatte  davon 
auch  den  speziellen  Titel  rteQi  xivrja€0)g.^)  Von  dem  7.  Buch  liegen  die 
ersten  3  Kapitel  in  doppelter  Redaktion  vor.  2)  Zu  dem  ganzen  Werk 
haben  wir  aus  dem  Altertum  einen  ausgezeichneten  Kommentar  von  Simplicius. 

neql  ovqavov  in  4  B."^)  und  nsQl  ysvtaeMg  xal  (fd^oqag  in  2  B. 
schliessen  sich  eng  an  die  Physik  an  und  enthalten  apriorische  Spekula- 
tionen über  den  Himmel  und  das  Entstehen,  und  zwar  handeln  die  ersten 
von  der  Unvergänglichkeit  des  Weltalls  (nqunog  ovQavog)  und  von  der  Gestalt 
und  Bewegung  der  Gestirne  mit  Bezug  auf  die  Elemente  des  Leichten  und 
Schweren,'*)  die  letzten  von  dem  schlechthinigen  Entstehen  und  Vergehen 
und  dem  Entstehen  und  Vergehen  durch  Mischung  und  Änderung.  Nament- 
lich die  letztere  Schrift  ist  sorgfältig  durchgearbeitet  und  von  grosser  Be- 
deutung für  die  Erkenntnis  der  aristotelischen  Lehre. 

MsTSMQoXoyixd  in  4  B.  schliessen  sich  an  die  beiden  letzten  Schrif- 
ten an  und  suchen  die  Dinge  in  der  Höhe,  Kometen,  Milchstrasse,  Winde, 
daneben  auch  die  Erscheinungen  des  Meeres  und  die  Erdbeben  zu  erklären. 
Das  4.  Buch  hat  eine  selbständige  Stellung  für  sich  und  handelt  von  den 
Gegensätzen  des  Warmen  und  Kalten,  Trocknen  und  Feuchten,  als  den 
Elementen  der  Körperwelt. ^) 

300.  Von  den  Tieren  oder  lebenden  Wesen  und  im  Zusammenhang 
damit  von  der  Seele  handeln: 

AI  nsql  zd  ^oja  laTOQiai  in  10  B.,^)    von  denen  die  beiden  letzten 


^)  Andronikos  hat,  nach  Simplicius  fol. 
216  a,  7,  gestützt  auf  einen  Brief  des  Eu- 
demos,  den  3  letzten  Büchern  den  Titel  tieql 
xivtJGsojg  gegeben. 

^)  Nachgewiesen  von  Spengel,  Über  das 
7.  Buch  der  Physik  des  Arist..  Abhdl.  d.  b. 
Ak.  III,  305—49,  durchgeführt  in  der  Ausg. 
der  Bibl,  Teubn.  von  Prantl. 

^)  Met.  p.  1078  b,  5  fV  aXXoig  i^ov^si^ 
wird  von  Schwegler  auf  die  Schrift  nsgl 
ovQcivov  bezogen,  was  scliwerlich  richtig  ist, 
da  umgekehrt  die  Metaphysik  später  abge- 
fasst ist,  wofür  auch  das  Citat  p.  1073a,  32 
spricht. 

^)  Aristoteles  schliesst  sich  hier  an  die 


Sphärentheorie  des  Astronomen  Kallipos  aus 
Kyzikus,  eines  Schülers  des  Eudoxos,  an, 
wonach  Bekgk,  Gr.  Litt.  IV,  486  das  Werk 
Ol.  112  setzt. 

^)  Der  Kommentator  Alexander  Aigeus 
sprach  zuerst  aus,  dass  das  4.  Buch  nicht 
zu  dieser  ngay^xarsia  gehöre,  sondern  eher 
zu  den  Büchern  tieqI  ysyeas(og  xal  (fx^oQag, 
s.  Ideler,  Meteor.  II,  347 — 49;  Spengel, 
Reihenfolge  der  natur Wissenschaft!.  Schriften 
des  Arist.,  Abh.  d.  b.  Ak.  V,  10  ff. 

^)  Exzerpte  daraus  von  Konstantinos 
Porphyrogennetos,  publiziert  von  Spiridion 
Lambros,  Suppl.  Aristot.,  Berol.  1885. 


4.  Die  Philosophen,    d.  Aristoteles.  (§  300.) 


407 


unecht  sind,^)  TtsQi  ^('}mv  ^oqimv  4  B.,  ttsqI  ^(omv  ysvsaEwg  5  ß.,^)  7t:£qI 
noQficcg  ^f/iwr  1  B.^)  Es  gehen  hier  zwei  Behandlungsarten  der  Zoologie 
nebeneinander  her,  etwas,  was  noch  deutlicher  hervortritt,  wenn  man  die 
10  Bücher  der  Tiergeschichte  in  ihre  Teile  zerlegt.  Es  handelt  nämlich 
dieselbe  nach  einem  allgemeinen  Überblick  (I,  1 — 6)*)  von  den  Teilen  der 
Tiere  (I,  7 — IV,  7),  von  dem  Entstehen  der  Tiere  (V — VII),  von  der  Lebens- 
weise und  Nahrung  der  Tiere  (VIII).  Es  sind  also  in  den  einzelnen  Teilen 
der  Tiergeschichte  dieselben  Gegenstände  behandelt  wie  in  den  bezeichneten 
Spezialschriften.  Aber  die  Betrachtungsweise  ist  verschieden:  die  Natur- 
geschichte hat  es  mit  dem  oti  oder  den  thatsächlichen  Erscheinungen  der 
Tierwelt  zu  thun,  die  Spezialschriften,  welche  die  Physiologie  oder  die  Phi- 
losophie der  Tierlehre  bilden,^)  sind  auf  das  6i6ii  oder  auf  den  Grund  der 
Erscheinungen  gerichtet,  als  welcher  in  letzter  Linie  die  Zweckmässigkeit 
oder  das  Gute  in  der  Weltordnung  gefasst  wird.  Auch  der  Zeit  nach 
liegen  die  beiden  Arten  von  Schriften  weit  auseinander.  Die  Tiergeschichte 
wird  nicht  bloss  de  part.  animal.  II,  1  p.  646*  9  als  abgeschlossen  voraus- 
gesetzt, sie  verrät  auch  an  sich  eine  frühere  Entwicklungsstufe  im  Geistes- 
leben des  Aristoteles,  so  dass  sie  nicht  bloss  vor  dem  Buch  über  die  Teile  der 
Tiere,  sondern  auch  vor  der  Physik  ^)  abgefasst  zu  sein  scheint.  Die  ganze 
Methode  der  naturwissenschaftlichen  Forschung,  woraus  zugleich  Plan  und 
Ordnung  der  diesbezüglichen  Schriften  hervorgeht,  ist  in  dem  1.  Buch  der 
Schrift  von  den  Teilen  der  Tiere  dargestellt,  weshalb  Titze  und  SpengeP) 
jenes  Buch  als  gesonderte  Schrift  allen  zoologischen  Schriften  vorausgeschickt 
wissen  wollten;  aber  es  genügt,  wenn  dasselbe  gemäss  der  Überlieferung 
den  Eingang  der  philosophischen  oder  physiologischen  Schriften  bildet. 

JIsqI  ipvxr^g  in  3  B.^)  gehört  mit  zur  Tierlehre,  indem  Aristoteles 
die  Seele  als  Entelechie  des  Leibes  und  somit  als  Sitz  nicht  bloss  des  Denk- 
vermögens, sondern  auch  der  Wahrnehmung,  der  Ortsbewegung,  der  Er- 
nährung, des  Lebens  überhaupt  fasst.^)     Die  Schrift,  namentlich  das  3  B., 


^)  Das  10.  Buch,  welches  auf  die  Be- 
gattung der  Menschen  und  speziell  auf  die 
Gründe  der  Unfruchtbarkeit  zurückkommt 
und  im  Katalog  des  Diogenes  unter  dem 
Titel  t7T€Q  rov  juij  ysvuäu  angeführt  wird, 
ist  eine  im  14.  odei-  15.  Jahrh.  gemachte 
Rückübersetzung  der  latein.  Übersetzung  von 
Mörbecke,  wie  Spengel,  De  Aristotelis  libro 
decimo  hist.  anim.,  Heidelberg  1842  nach- 
gewiesen hat.  Dass  auch  das  9.  Buch, 
welches  nochmals  die  Gewohnheiten  der 
Tiere  (t«  nJov  t,MMv  r'jd-t])  behandelt,  nicht  von 
Aristoteles  herrührt,  hat  aus  Sprache  und  In- 
halt DiTTMEYER,  Blätter  für  bayer.  Gymn. 
XXlIi  (1887),  16-162  überzeugend  nachge- 
wiesen. 

-)  Eigentlich  sind  es  nur  4  Bücher, 
denen  ziemlich  lose  ein  Buch  tibqI  nad^y]- 
fzcaojp  Cmmv  angehängt  ist. 

^)  Prantl,  De  Aristot.  lihrorum  ad  hist. 
animal.  pertinentium  ordine.  Monachii  1849 
p.  35  beweist,  dass  das  Buch  negl  TJOQsiuc 
seinen  Platz  zwischen  dem  9.  u.  10.  Kapitel 


des  4.  Buches  de  partihus  anim.  hatte. 

^)  Hist.  anim.  I  p.  491a,  7:  sXQrjxai  eu 
TV71M  ysvficnog  /ctQfy. 

^)  De  longaev.  p.  464  b,  33:  oaoy  int- 
ßaX}.€i  Trj  (fvaixrj  cpiXoGocpla,  de  part.  anim. 
p.  641a,  29:  roi  ns^tl  cfvaecog  d^scoQrjTiXio. 
Vgl.  p.  653  a,  S! 

^)  Mit  Einschluss  des  Werkes  neQi  ov- 
Qccvov,  das  p.  645  a,  5  citiert  wird. 

')  Spengel,  Reihenfolge  der  naturwiss. 
Schriften  S.  19  ff.;     Pkantl  a.  0. 

^)  Die  Einteilung  in  Bücher  ist  unge- 
schickt durchgeführt;  die  Ordner  hätten  das 
2.  B.  bis  zu  III,  3  erstrecken  lassen  sollen, 
wie  ich  Plat.  Stud.  23  gezeigt  habe. 

'^)  Der  Standpunkt  ist  klargelegt  de  part. 
an.  I,  1  :  roiovzov  {(6g  r]  xivovaa  ^QXV  ^^'^ 
log  t6  rekog)  rov  C<f>ov  rjrot  -näaa  rj  xpv/ij 
ij  (.leQog  TL  (ivirjg  '  ojots  xal  ovT(og  «V  Xsxrtoi^ 
elij  T(o  ne^l  cpvGEMg  0^s(oq7]tix(o  tisqI  xpv/ijg. 
Die  niederste  Stufe  der  Seele,  x6  xhQenTixöi', 
kommt  nach  Aristot.  auch   den  Pflanzen  zu. 


408  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 

welches  vom  voig  handelt,  berührt  die  obersten  Probleme  der  Philosophie 
und  ist  daher  von  grösster  Wichtigkeit;  leider  ist  aber  dieselbe  nicht  zur 
vollen  Klarheit  durchgearbeitet  und  enthält  viele  dunkle  und  abgerissene 
Sätze,  so  dass  schon  unter  den  alten  Kommentatoren  über  den  Unterschied 
des  vovg  noir^Tixog  und  vovg  Tia&jjTixog,  und  über  das,  was  an  der  Seele 
trennbar  (xmqiotov)  vom  Leibe  und  demnach  unsterblich  sei,  lebhafte  Dif- 
ferenzen entstanden.  Auf  den  unfertigen  Zustand  des  aristotelischen  Ma- 
nuskripts weisen  auch  die  Spuren  einer  doppelten  Textesredaktion  hin, 
welche  die  neueren  Herausgeber  klar  gelegt  haben. 

Die  Abhandlungen  7T€qI  al(yd^rj(^s(ag  xal  ala^rjrcov,  ttsqI  fxvr^firjg  xal 
avaijLvrj(f€(og,  nfQi  vnvov  xal  f'y^^T^yo^o'fwg,  tt^qI  svvttvicov  xccl  Trjg  xal^'  vnvov 
jUccvTixrjg,  neQi  f^iaxQoßiorrjTog  xal  ßQaxvßioTrjTog,  718qI  vsoTtjrog  xal  yiJQwg, 
TisQi  ^(orjg  xal  ^avdtov,  rregl  dvaTTvor^g  pflegen  unter  dem  Namen  Parva 
naturalia  zusammengefasst  zu  werden  und  waren  von  Aristoteles  selbst 
bestimmt  als  Ergänzung  der  3  Bücher  über  die  Seele  zu  dienen. ') 

301.    Naturgeschichtliche  Werke  von  zweifelhafter  Echtheit  sind: 

JIsQi  (fVTMv  in  2  B.  Das  auf  uns  gekommene  Werk  ist  nach  dem 
phrasenreichen  Vorwort  eine  Rückübersetzung  aus  dem  Lateinischen  und 
des  weiteren  aus  dem  Arabischen.  Aristoteles  hatte  ein  Buch  über  die 
Pflanzen  im  Plan''^)  und  scheint  nach  der  Stelle  p.  539^  20  den  Plan  auch 
ausgeführt  zu  haben.  3)  Aber  das  Pflanzenbuch  des  Aristoteles  war,  wenn 
er  überhaupt  ein  solches  geschrieben  hat,  sicher  schon  zur  Zeit  des  Ale- 
xander Aphrodisiensis  verloren  gegangen.'^)  Die  uns  erhaltene  Schrift  wird 
von  ihrem  Herausgeber  Meyer  dem  Nikolaos  Damaskenos,  der  unter  Augustus 
eine  Art  Kompendium  der  aristotelischen  Philosophie  verfasste,  zugewiesen. 

IIsqI  xodfiov,  oder  über  das  wohlgeordnete  Ganze  des  Weltalls.  Das 
Buch  ist  mitsamt  dem  einleitenden  Brief  an  Alexander^)  fälschlich  dem 
Aristoteles  beigelegt  worden.  Schon  die  Erwähnung  der  britannischen 
Liseln  p.  393^^  17  führt  über  die  Zeit  des  Aristoteles  und  Pytheas  hinaus; 
auch  finden  sich  in  demselben  Einflüsse  der  stoischen  Lehre  ^)  und  Entleh- 
nungen aus  Poseidonios.  Neuere  Gelehrte  haben  dasselbe  teils  dem  Stoiker 
Chrysippos,')  teils,  und  dieses  mit  grösserem  Recht,  dem  jüdischen  Peri- 
patetiker  Nikolaos  ^)  zuschreiben  wollen ;  in  den  Katalogen  der  aristotelischen 


')  Arist.  de  sensu  init. 

2)  p.  244b,  23;  467b,  5;  656a,  3;  716a, 
1;  783b,  10. 

^)  Wahrscheinlich  rührt  das  Citat  Ei^7]- 
tca  iv  rfj  ü^swqlcc  rfj  tieqI  ruiy  (pvxiov  mit 
seinem  bedenklichen  eXQrjrat  von  einem  Inter- 
polator  her;  Spengel  wollte  sXQrjxai  in  stQrj- 
aexca  ändern. 

4)  Alex,  zu  p.  442  b,  28. 

5)  Bergk,  Rh.  M.  37,  50  ff.  und  Ber- 
NAYS,  Ges.  Abh.  II,  279,  denen  Usener  a.  0, 
und  Mommsen,  Römisch.  Gesch.  V,  494  bei- 
stimmen, verstehen  unter  dem  Alexander 
des  Briefes  nicht  Alexander  d,  Gr.,  sondern 
den  Prokurator  .Judäas  von  46 — 8  n.  Chr.; 
Bücheler,  der  den  Aufsatz  von  Bergk  nach 
dessen  Tod  herausgab,  erinnert  an  Alexandres, 
den  Sohn   des  Antonius   und   der  Kleopatra. 


^)  Spengel,  De  Aristotelis  lihro  decimo 
liistoriae  animalium  et  incerto  auctore  lihri 
nsQL  xoa/uov,  Heidelb.  1842.  Zuerst  kommt 
in  dem  Buch  die  nsfznzT]  ovala  oder  qumta 
essentia  vor. 

^)  OsANN,  Beiträge  zur  griech.  u.  röm. 
Litteraturgesch.  I,  141  ff. 

8)  Bergk,  Rh.  M.  37,  50  ff.  und  294  ff.; 
derselbe  weist  darauf  hin,  dass  jener  Niko- 
laos aus  Damaskus  nach  Simplicius  zu  Arist. 
de  caelo  p.  469a  eine  Schrift  nsgl  ncivrog 
geschrieben  hat;  dagegen  Usener  in  Ber- 
NAYS  Ges.  Abh.  II,  281.  Zeller  IIF,  1.  631  ff. 
begnügt  sich,  die  Schrift  der  eklektischen 
Richtung  des  ersten  vorchristlichen  Jahr- 
hunderts und  der  Zeit  nach  Fosidonius  zu- 
zuweisen. Vgl.  SusEMiHL,  Jahrber.  d.  Alt. 
X,  1.  33  ff. 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§  301.) 


409 


Schriften  kommt  dasselbe  noch  nicht  vor;  9  lateinisch  bearbeitet  wurde  die 
interessante  und  gut  geschriebene  Schrift  von  Apuleius,  de  mundo. 

TlsQi  xirrjascog  war  der  Spezialtitel  des  zweiten  Teiles  der  Physik. 
Das  unter  dem  Titel  negl  f^wi'  xivrjasoyq  auf  uns  gekommene  unechte  Buch 
sollte  nach  den  Schlussworten  desselben  der  Schrift  de  generatione  animalium 
vorausgehen,  während  thatsächlich  die  letzte  Schrift  sich  unmittelbar  an 
das  Werk  de  part.  anim.  anreiht. 

IIsqI  nvsvfxarog,  ein  kleiner  Schulaufsatz  verwandten  Inhalts  mit 
dem  Buche  nsQi  avaTtvoijg,  rührt  von  einem  Schulmeister  her,  der  sich  im 
Aufwerfen  von  Fragen  zu  ergehen  liebte. 

IIsqI  xodoiidroav,  oder  über  den  Grund  der  Farben  bei  Pflanzen  und 
Tieren.  Das  unechte,  von  einigen  dem  Theophrast  zugeschriebene  Buch  2) 
steht  nicht  in  den  alten  Katalogen;  ebensowenig  das  Buch  ttsqI  axovcfTcov, 
welches  durch  die  Partikel  Se  eng  mit  dem  vorausgegangenen  verknüpft 
ist  und  wahrscheinlich  ebenso  wie  das  vorausgehende  auf  den  Peripatetiker 
Straten  zurückgeht.^) 

Die  <I>vaioyv(i)ßovixcc  sind,  wie  schon  das  einleitende  ort  lehrt,  ein 
Auszug,  der  indes  viele  interessante,  auch  für  die  Kunstanalyse  wichtige 
Beobachtungen  über  Eigenschaften  von  Menschen  und  Tieren  enthält.  Dem 
Auszug  liegen  2  in  den  Katalogen  der  aristotelischen  Werke  aufgezählte 
Originalschriften  zu  grund,  die  aus  der  Schule  der  Peripatetiker  hervor- 
gegangen waren  und  den  von  Aristoteles  selbst  in  der  Analytik  ausge- 
sprochenen Gedanken*)  weiter  ausführten.  Über  die  Zeit  der  Abfassung 
scheint  die  Erwähnung  des  Sophisten  Dionysios  (c.  3  p.  808*  16),  der  in 
der  Zeit  Hadrians  lebte,  einen  Fingerzeig  zu  enthalten.'») 

IIsqI  d^avfiaaiwv  axovafxccToov  ist  die  älteste  Schrift  in  der  Lit- 
teratur  der  Wundergeschichten,  rührt  aber  gleichwohl  nicht  von  Aristoteles 
her,  da  sie  vieles  enthält,  was  erst  nach  des  Aristoteles  Tod  sich  ereignete, 
wie  über  Agathokles  c.  110  und  Kleomenes  c.  78.  Die  Zusammenstellung, 
bei  der  aristotelische  Schriften  mit  ausgezogen  wurden,  ist  erst  nach  Posei- 
donios  gemacht  worden,   da  dessen  Schriften  c.  87  und  91   benützt  sind.^) 

Die  TlQoßXrjßara  in  38  Titeln  beziehen  sich  zum  grössten  Teil  auf 
naturwissenschaftliche  Dinge,  behandeln  aber  auch  Fragen  der  Musik  und 
Poesie.  Die  Methode  Fragen  aufzuwerfen  und  Lösungen  derselben  zu  ver- 
suchen war  dem  Aristoteles  eigen,  und  es  gebraucht  derselbe  nicht  bloss 
häufig  den  Ausdruck  TcpoßXrjßa,  sondern  scheint  auch  einigemaP)  auf 
Schriften  zu  verweisen,   in  denen   solche  Probleme  besprochen   und   gelöst 


^)  Im  jüngeren  Nachtrag  des  Ind.  Menag. 
steht  der  auf  unser  Buch  schlecht  passende 
Titel  nsQt  xoafxov  yevsasoig. 

'^)  PRANTL  in  der  Ausgabe  der  Schrift 
S.  80  ff.  weist  die  Unechtheit  derselben 
nach,  will  aber  nicht  gerade  den  Theo- 
phrast als  Autor  anerkennen;  es  hatte  auch 
der  Peripatetiker  Straten  über  die  Farben  ge- 
schrieben. 

^)  So  vermutet  Brandis  IT,  b,  1201;  da- 
gegen Zeller  IP*,  '2.  915. 

^)  An.  pr.  II,  27  p.  70^^  6:  rd  cff  cpvato- 


yrMfxovEiu  dvyaioy  ifftip ,  st  rig  ^i^iooiu 
(ifxa  ^sxaßd'kXsiv  xö  aaüfxa  xcd  riji^  xpv/7]i^, 
oaa  cpi'Oixd  eari  nuy^rjfxara. 

^)  R.  FöKSTEK,  De  Aristotelis  quae  fe- 
rimtur  physiognotnonicorum  indole  ac  con- 
dicione,  in  Philol.  Abh.  zu  Ehren  von  M. 
Hertz  S.  283  ff. 

6)  Beckmann  in  Ausg.  (1791)  p.  XVII, 
sqq.:  Westermann,  Paradoxogr.  XXV,  sqq.; 
ScHRADER,  Jahrb.  f.  Phil.  97,  217  ff. 

"')  Bonitz,  Index  Arist.   u.    nQoßXtjfxaTCi. 


410 


Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


waren.    Aber  unsere  Sammlung  enthält  neben  Aristotelischem  auch  manches 
Fremde  aus  Hippokrates,  Theophrast  und  Späteren.') 

Die  Mrjxccrixd  bilden  eine  spezielle  Art  von  Problemen;  das  Buch 
wird  in  den  beiden  Verzeichnissen  der  Schriften  des  Aristoteles  aufgeführt. 

^Av€fiMv  ^i'aeig  xal  TrQoarjyoQiai.  Das  Buch  bezeichnet  sich  als 
einen  Auszug  aus  des  Aristoteles  Schrift  ttsqI  arj/jisicov.  —  Von  der  Schrift 
7T€qI  TT^g  Tov  NsfXov  avaßäasMg  ist  nur  eine  lateinische  Übersetzung  aus 
dem  Arabischen  bekannt;  die  Abhandlung  hat  die  Form  der  Lösung  eines 
Problems,  rührt  aber  nicht  von  Aristoteles,  sondern  von  Theophrast  oder 
einem  Zeitgenossen  desselben  her.  2) 

Von  naturwissenschaftlichen  Schriften  des  Aristoteles  werden  ausser- 
dem genannt:  nsQi  vyieiag  xal  v6(fov,  welches  Buch  aber  bereits  zur  Zeit 
des  Alexander  Aphrodisiensis  verloren  war, 3)  ttsqI  tmv  dvaTo^wv,'^)  welches 
Werk  den  Alexandrinern  noch  in  7  B.  und  in  einem  Auszug  von  1  B.  vor- 
lag,^) ferner  tvsqI  TQocprg,  ^Omixcc  und  ^AatqoXoyixä. 

Werfen  wir  schliesslich  einen  Rückblick  auf  die  Gesamtheit  der  natur- 
wissenschaftlichen Werke,  so  machen  dieselben  den  grösseren  Teil  der 
aristotelischen  Schriften  aus,  und  zeigt  sich  in  ihnen  die  fruchtbarste  und 
erfolgreichste  Seite  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit  unseres  Philosophen. 
Wir  interessieren  uns  ja  als  Philologen  und  Philosophen  mehr  um  die 
Poetik,  Logik,  Politik,  aber  in  diesen  Disziplinen  wandelte  Aristoteles  alte 
Wege,  wenn  auch  mit  selbständigem  Geiste,  aber  in  der  Naturgeschichte 
und  Naturphilosophie  hatte  er  nur  unbedeutende  Vorgänger, 6)  so  dass  er 
in  ihnen  wesentlich  neue  Bahnen  der  Wissenschaft  erschloss.  Mit  einem 
bei  einem  Philosophen  doppelt  anerkennenswerten  Forschungssinn  hatte  er 
auch  für  das  Kleinste  in  der  Natur  ein  offenes  Auge'')  und  umfasste  er 
mit  seinem  Wissen  eine  geradezu  staunenswerte  Fülle  von  Thatsachen.  Er 
ist  Schöpfer  der  Naturlehre  geworden  und  hat  damit  die  in  spitzfindige 
Verstandesoperationen  sich  verlierende  Spekulation  auf  das  fruchtbare  Gebiet 
des  Thatsächlichen  gewiesen.  Er  verzichtete  freilich  nicht  auf  den  Ver- 
such eines  philosophischen  Begreifens  der  Natur  und  ist  damit  zu  Prin- 
zipien gekommen,  die  heutzutage  zum  grössten  Teil  als  veraltet  angesehen  j 
werden  müssen.  Aber  wenn  wir  auch  über  die  4  Elemente  und  ihre  be- 
griffliche Deduktion  hinausgekommen  sind  und  selbst  gegen  die  teleologische  1 
Auffassung  der  Naturerscheinungen  Zweifel  und  Einwendungen  erheben, 
so  wird  doch  die  aristotelische  Unterscheidung  der  Prinzipien  der  Form,  ' 
der  Materie,  des  Bewegenden  und  des  Zweckes  für  immer  eine  wichtige 
Etappe  auf  dem  Wege  zur  Erkenntnis  der  Natur  und  des  Kosmos  bilden. 

302.   Die  Metaphysika  in  13  (14)  B.  nehmen  dem  Inhalte  nach  die  ^ 


')  Prantl,  Über  die  Probl.  d.  Arist., 
Abhdl.  d.  b.  Ak.  VI,  341—77;  E.  Richter, 
De  Arist.  prob!.,  Bonn.  Diss.  1885;  vergl. 
Heitz,  Die  verlorenen  Schriften  des  Arist. 
103  ff. 

2)  Rose,  Arist.  pseudepigr.  p.  239 ;  Diels, 
Doxogr.  226  f. 

^)  Alex,  ad  Arist,  de  sensu  fol.  94.  Arist. 
selbst  stellt  sie  in  Aussicht  p.  464b,  32;  vgl. 
436  a,  17;  480  b,  23;  653  a,  8. 


^)  Öfters  von  Arist.  selbst  citiert;  siehe 
Ind.  Arist.  p.  104. 

^)  Ind.  Diog.  et  Menag. 

^)  Dass  er  jedoch  viel  den  Schriften  des 
Hippokrates  und  der  Ärzte  entnahm,  lehrt 
PoscHENRiEDER,  Die  naturwissenschaftlichen 
Schriften  des  Arist.  in  ihrem  Verhältnis  zu 
den  Büchern  der  hippokratischen  Sammlung, 
Bamberg  Progr.  1887. 

^)  Arist.  de  part.  animal.  I,  5;  p.  645  a  15. 


4.  Die  Philosophen,    d.  Aristoteles.  (§302.)  411 

oberste  Stelle  unter  den  philosophischen  Schriften  ein.  Denn  sie  bilden  die 
höchste  Stufe  der  Philosophie,  die  Ttgakrj  (pdoaocpia,  und  handeln  von  den 
obersten  Gründen  alles  Seienden,  des  beweglichen  wie  unbewegten.^)  Sie 
decken  sich  zugleich  mit  Theologie,  da  der  Volksglaube  mit  dem  Namen 
Gott  die  Vorstellung  des  obersten  Grundes  verbindet.  Das  Wort  Msra- 
(fvaixcc  findet  sich  bei  Aristoteles  selbst  nicht  und  scheint  diesem  Komplex 
von  Büchern  erst  von  den  Peripatetikern  gegeben  worden  zu  sein,  weil  sie 
denselben  ihre  Stelle  nach  den  Physika  anwiesen.  2)  Aristoteles  nahm  mit 
ihnen  im  gereiften  Alter  den  Gegenstand,  den  er  bereits  früher  in  dem 
populären  Werk  nsgl  (piloaocfiag  behandelt  hatte,  wieder  auf,  um  ihn  nach 
den  strengen  Grundsätzen  wissenschaftlicher  Beweisführung  und  gestützt 
auf  die  inzwischen  in  der  Physik  und  in  den  Büchern  vom  Himmel  ent- 
wickelten Sätze  durchzuführen.  Zur  vollen  Klarstellung  seiner  Gedanken 
und  zur  endgültigen  Überwindung  der  dem  menschlichen  Geiste  sich  gerade 
hier  entgegentürmenden  Schwierigkeiten  hat  er  es  indes  nicht  gebracht: 
weder  sachlich  noch  in  der  Form  genügt  seine  Metaphysik.  Das  erstere 
darzuthun  ist  Aufgabe  der  Geschichte  der  Philosophie;  es  genüge,  darauf 
hinzuweisen,  dass  die  Definition  der  rrgokrj  (filoaocfia  als  Wissen  vom 
Seienden  als  Seienden  [rot  ovTog  f^  ov)  Definition  geblieben,  nicht  Aus- 
gangspunkt für  die  nachfolgenden  Untersuchungen  geworden  ist, 3)  dass  der 
vovg  oder  die  Gottheit  als  die  den  Sternenhimmel  bewegende  Kraft  höchstens 
die  Bewegung  der  Sterne,  aber  nicht  die  Gebilde  des  Weltalls  und  das 
Werden  der  Dinge  erklärt,  endlich  dass  die  aus  der  Physik  herüberge- 
nommenen 4  Grundprinzipien:  vXr^,  s?6og,  t6  xirovv,  to  ov  svsxa,  mit  dem 
vovg  in  keine  rechte  Verbindung  gebracht,  noch  in  ihrer  Genesis  und  wechsel- 
seitigen Einwirkung  beleuchtet  sind.  Wo  es  so  an  der  Klärung  und  Be- 
herrschung der  Sache  fehlte,  konnte  auch  die  formale  Durchführung  und 
die  Zusammen  webung  der  Teile  zu  einem  Ganzen  nicht  gelingen,  i)  Gut 
hängen  zusammen  und  sorgfältig  durchgearbeitet  sind  nur  die  3  ersten 
Bücher  A  B  r,  welche  den  Weg  zur  Lösung  durch  Kritik  der  Vorgänger 
und  Besprechung  der  Aporien  ebnen  sollen  und  von  denen  namentlich  das 
erste  als  kritische  Rundschau  über  die  früheren  Philosopheme  mit  Recht 
hochgeschätzt  ist.  Die  eigentliche  Ausführung  enthalten  die  Bücher  E  Z 
H  0  I  A^  aber  so,  dass  wir  hier  überall  die  feilende  Hand,  ja  mehr,  das 
Ineinandergreifen   und   den   Abschluss    der   einzelnen  Untersuchungen   ver- 

')  Neben   dem  Beweglichen  und   Unbe-    !    auch  noch  die  2  letzten  Bücher  eine  getrennte 
wegten  [xd  xivovfxspa  u.  axivt^ra),  dem  Ver-       Stellung, 
gänglichen  und    Plwigen    {cp^^ccQtd  u.    dWia)    \  ^)  Natokp,   Thema   und  Disposition  der 


nimmt  Arist.  noch  die  durch  Absonderung 
von  der  Materie  gewonnenen  mathematischen 
Dinge  {tk  ev  dcpaiQEasi)  an  ;  s.  de  coelo  III, 
1  p.  299=»  16  und  Bonitz  zu  Met.  ^  2  p. 
982-^  27. 

^)  Im  Verzeichnis  des  Diogenes  fehlen 
die  Metaphj^sika  ganz,  vielleicht  bloss  infolge 
eines  Ausfalls;  der  Ind.  Menag.  hat  (xsta- 
(fvaixd  X  und  /usTacpvaixd  i.  das  arabische 
Verzeichnis  kennt  unsere  13  B.  Bei  den 
Alexandrinern  ist  das  4.  B.  unter  einem 
eigenen  Titel  tt8qI  tmv  7ioaa/(og  Isyo^ivMi/ 
aufgeführt;  wahrscheinlich  hatten  bei  ihnen 


Metaphysik,  in  Philos.  Monatshefte  XXIV, 
37—65  sucht  die  Schwierigkeit  zu  mindern 
durch  Streichung  der  Sätze  E  1  p.  1026  a, 
18  üiars  —  S^eoXoyixt]  und  xcd  rrjy  ri^ia)- 
Tcctfjy  —  yivog  sivai. 

^)  Das  Beste  darüber  gibt  Bonitz,  Arist. 
met.  II,  3—35.  Von  vorausgehenden  Ar- 
beiten hebe  ich  hervor  Ravaisson,  Essai  sur 
la  Metaphysique  (VAristote,  1837.  Meine 
eigenen  Ansichten  habe  ich  teils  in  Studia 
crit.  in  Arist.  libros  metaph.  1853,  teils  in 
meiner  Ausg.  1886  dargethan. 


412 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


missen.  Namentlicli  zeigen  sich  diese  Mängel  in  dem  Buche  A^  welches 
die  Krone  des  Ganzen,  die  Lehre  von  dem  vovc,  und  den  Göttern,  enthalten 
soll.  Das  Buch  J  behandelt  die  Vieldeutigkeit  der  in  der  Philosophie  zur 
Sprache  kommenden  Ausdrücke  und  bildet  ein  Buch  für  sich,  das  nicht 
unpassend  zwischen  r  und  E  gelegt,  aber  nicht  mit  denselben  organisch 
verbunden  ist.  Das  Buch  K  enthält  im  ersten  Teil  eine  gute  Zusammen- 
fassung der  Bücher  B  r  E,  im  zweiten  einen  weniger  genügenden  Abriss 
derjenigen  Kapitel  der  Physik,  welche  für  die  Metaphysik  von  Wert  sind; 
dasselbe  stellt  in  Verbindung  mit  A  und  A  einen  kürzeren  Kurs  über  Meta- 
physik dar,  und  scheint  von  einem  Schüler  aus  den  Werken  des  Meisters 
ausgezogen  und  nur  mit  einigen  eigenen  Zusätzen  versetzt  zu  sein.i)  Die 
beiden  letzten  Bücher  M  N  enthalten  eine  für  sich  bestehende  Kritik  der 
platonischen  Ideenlehre,  gehören  also  zum  Gedankenkreis  der  Metaphysik, 
waren  aber  um  so  weniger  bestimmt,  mit  den  anderen  Büchern  zu  einem 
Werke  vereinigt  zu  werden,  als  sie  ganze  Kapitel  mit  dem  Buche  Ä 
(990'>6  — 99P9  =  1078^32—1080^11)  bis  aufs  Wort  gemeinsam  haben.  Nicht 
in  die  Metaphysik  aufgenommen,  aber  zu  ihr  gehörig  ist  die  von  Neueren 
dem  Theophrast  zugeschriebene  Abhandlung  ttsqI  atö/uicov  yqapiimv.  die  mit 
der  Kritik  der  platonischen  Ideenlehre  zusammenhängt  und  eigentlich  im 
Anhang  der  Metaphysik  gedruckt  werden  sollte.  Mehr  Gunst  hat  bei  den 
alten  Aristotelikern  das  Büchlein  a  gefunden,  welches  nach  Vorlesungen 
des  Aristoteles  von  seinem  Schüler  Pasikles  herausgegeben,'^)  aber  sehr 
unpassend  zwischen  Ä  und  B  eingelegt  wurde.  Einen  vorzüglichen  Kom- 
mentar zur  Metaphysik  haben  wir  aus  dem  Altertum  von  Alexander  aus 
Aphrodisias. 

303.  Schriften  über  Ethik  und  Politik.  Der  Betrachtung  (d^ew- 
Qeiv)  der  objektiven  Welt  stellt  Aristoteles  das  subjektive  Handeln  gegen- 
über, indem  er  hier  selbst  wieder  zwischen  dem  vernunftgemässen  Handeln 
im  engeren  Sinn  [nQäTT^iv)  und  dem  künstlerischen  Schaffen  (ttoieTv),  zwi- 
schen Ethik  und  Ästhetik,  unterscheidet.^)  Der  praktischen  Philosophie 
gehört  zunächst  die  Sittenlehre  {rj^ixr^  (filoaoffia)  an;  öffentliche  Gestaltung 
findet  das  vernünftige  und  sittliche  Handeln  im  Staat,  und  so  bildet  die 
Politik  einen  Anhang  der  Ethik. 

'H^ixd  Nixo}.i(xxsia  in  10  B.,  'H^ixa  EvSijj^isia  in  7  B.  und 
^Hd^ixd  fxsyäXa  in  2  B.  enthalten  alle  in  gleicher  Weise  die  Grundsätze 
der  aristotelischen  Sittenlehre;  aber  sicher  hat  Aristoteles  nur  in  einem 
Werk  seine  Lehre  darlegen  wollen,  und  dieses  eine  Werk  ist  die  nach 
seinem  Sohne  Nikomachos,  vermutlich  dem  Herausgeber,  benannte  Ethik.] 
Die  Evöriiieia  sind  eine  an  die  Vorträge  des  Meisters  und  an  die  nikomachi- 
sehe  Ethik  sich  anschliessende  Bearbeitung  des  gleichen  Gegenstandes  durcl 
seinen   Schüler   Eudemos   von  Rhodos,^)   die   einige  Abschnitte   mit   dei 


^)  Auch  sprachliche  Gründe  sprechen 
gegen  die  Urheberschaft  des  Arist.;  vergl. 
meine  Ausg.  p.  218  Note.  Der  VeranstaUer 
des  Auszugs  fand  noch  nicht  Buch  J  ein- 
gelegt. 

'^)  Vgl.  Note  des  Cod.  J^  in  meiner  Ausg. 
p.  35.     Die  Einfügung   geschah  wohl  in  der 


Zeit  nach  Andronikos,  da  keine  Neuzählung 
der  13  Bücher  des  Kataloges  vorgenommen, 
sondern  das  neuhinzugetretene  Buch  mit  « 
llaTTop  bezeichnet  wurde. 

■')  Met.  ZI. 

'^)  Dieser  Schüler  des  Arist.,  der  den 
Meister  überlebte,   ist  verschieden   von  dem 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§  303.) 


413 


nikomachischen  Ethik  ganz  und  gar  gemein  hat,^)  in  den  meisten  hingegen 
eigene  Zusätze  und  Änderungen  enthält.  Die  'Hd^ixd  ^isyäXa,  welche  in 
sonderbarem  Widerspruch  zu  dem  Namen  den  kleinsten  Umfang  haben, 
sind  ein  jüngeres  Werk  der  peripate tischen  Schule,  in  welchem  die  beiden 
älteren  Ethiken  zu  einem  kleineren,  aber  alle  Punkte  umfassenden  Auszug 
zusammengearbeitet  sind;-)  wenn  sein  Verf.  gleichwohl  sich  p.  120P  25 
wansQ  €(fafi€v  iv  ToTg  ccvaXvTixoiq  mit  Aristoteles  identifiziert,  so  hat  dieses 
sein  Analogen  daran,  dass  Aristoteles  selbst  in  der  Metaphysik  mit  Xt'yo^isv 
sich  als  Angehörigen  des  platonischen  Kreises  bezeichnet.  Die  Ethika  sind 
von  unserem  Philosophen  weit  mehr  zur  Abrundung  gebracht  als  die  Meta- 
physika;  gleichwohl  erregt  ihre  Komposition  mehrfach  Anstösse.  Ob  die 
der  nikomachischen  und  eudemischen  Ethik  gemeinsamen  Bücher  dem 
ersten  oder  zweiten  Werke  ursprünglich  angehörten,  ist  eine  schwer  zu 
entscheidende  Frage.  ^)  Die  Bücher  VIII  und  IX,  welche  von  der  Freund- 
schaft handeln,  sind  locker  angereiht  und  bildeten  ehedem  eine  eigene 
Schrift  7T€qI  (piliag,  wie  eine  derartige  noch  in  den  alexandrinischen  Kata- 
logen aufgeführt  ist.  Das  gleiche  scheint  bei  dem  10.  Buch,  das  von  der 
Lust  und  Glückseligkeit  [tvSaißovia)  handelt,  der  Fall  zu  sein,  da  auch 
hier  die  alexandrinischen  Kataloge  ein  eigenes  Buch  nsql  rjSovijg  registrieren. 
In  dem  Inhalt  der  Lehre  zeigt  sich  insofern  ein  Abfall  von  Piaton,  als  die 
Untersuchung  über  die  eine  Wurzel  der  Sittlichkeit  sich  in  dem  Detail  der 
Einzeltugenden  verliert.^)  Aber  in  der  Schärfe  der  Begriffsbestimmung,  der 
Klarheit  der  Auffassung  hat  er  auch  hier  seine  Meisterschaft  bewährt. 
Er  geht  aus  von  dem  Begriffe  des  reinen  Guten  oder  der  Glückseligkeit 
(svdm/jiovia) ;  diese  findet  er  nicht  in  der  Lust,  auch  nicht  im  lleichtum 
und  in  äusseren  Gütern  des  Lebens,  sondern  in  derjenigen  denkenden  und 
handelnden  Thätigkeit,  durch  die  der  Mensch  die  ihm  als  Menschen  zukom- 
menden Aufgabe  erfüllt.^)  Die  Tugend  ist  ihm  eine  dauernde,  auf  Einsicht  und 
Übung  beruhende  Haltung  der  Seele  {^"^ig),  welche  die  rechte  Mitte  zwi- 
schen dem  zu  viel  [vnsQßolrD  und  dem  zu  wenig  (elXeiipig)  findet  und  auf 
solche  W^eise  die  Leidenschaften  und  Affekte  im  Menschen  beherrscht  und 
regelt.^')     In  Übereinstimmung  mit  der  Begriffsbestimmung  der  Eudämonie 


älteren  Mitschüler  Eudemos,  dem  der  Dialog 
Eudemos  gewidmet  war.  Das  Altertum  hatte 
auch  Ev&ijuov  uvaXvxixä  u.  cpvoixd,  die  noch 
Simplicius  las;  Eudemi  fragm.  ed.  L,  Spengel, 
Berol.  1866,  wo  aber  die  Ethika  ganz  ausser 
Betracht  gelassen  wird;  Eudemi  fragm.  in 
Mullach,  FPG.  III,  222—292. 

')  Nicom,  1.  V-YII  =  Eud.  1.  IV— VI. 

'^)  Dieses  Verhältnis  ist  klar  gestellt  von 
Spengel,  Über  die  unter  dem  Namen  des 
Arist.  erhaltenen  ethischen  Schriften,  Abh. 
d.  b.  Ak.  III,  1841 ;  dazu  Spengel,  Aristo- 
I  telische  Studien  I  in  Abh.  d.  b.  Ak.  X,  1863. 
Vorgl,  Ueberweg,  Grundriss  I',  195  f.; 
Zeller  11^  2.  101  f.  Über  die  Abschnitte 
der  Moralia  magna,  welche  in  den  beiden 
j  andern  Ethiken  nicht  stehen,  siehe  Susemihl 
in  den  Proleg.  seiner  Ausg.  der  ersten  Schrift. 
Bergk,  Gr.  Litt.  IV,  494  will  die  grosse  Ethik 
dem  Peripatetiker  Phanias  beilegen.   Einfluss 


der  Stoa  weist  nach  Zeller  ll\  2.  942. 

2)  Susemihl,  Über  die  nikomachische 
Ethik  des  Arist.,  in  Vhdl.  d.  35.  Philologen- 
vers. 1881  lässt  sie  in  der  Hauptmasse  von 
Arist.  stammen,  aber  aus  der  eudemischen 
Ethik  ergänzt  sein. 

■*)  Das  that  aber  Aristoteles  mit  Absicht,  wie 
die  Stelle  in  der  Politik  I,  13  p.  1260'-^  27  zeigt: 
noXvyaQ  afj.Eivov Xsyovaiv  ole'iaQix^fiovvxeg rag 
ccqsicig,  mqttsq  rogyiag,  xiov  oviTMg  oQil^ofitviou. 

5)  Eth.  Nie.  1,6;  vgl.  IX,  9  p.  1169^  29: 
7^  evJ'aifxoyUi  svtQysLcl  xig  iaxiy. 

^)  Eth.  Nie.  II,  5:  ?;  xov  ay^gconov  eXrj 
«V  e^ig,  cicp^  rjg  tlyK&og  ap&Qconog  yivsxKi 
xcd  dcp'  rjg  xo  iavxov  eqyop  ('aiodcöasi  .  .  . 
fieoöxrjg  rig  aQa  eaxiv  rj  dgext],  Gxo/c«JXiX}j 
ye  ovffcK  xov  fitaov.  Die  Definition  hat  grossen 
Nachklang  in  der  alten  Litteratur  gefunden, 
so  auch  bei  Horaz  ep.  1,  18.  9:  virtus  est 
medium  vitiorum  et  utrimque  reductum, 


414 


Crriechische  Litteraturgeschichte.     t.  Klassische  Periode. 


und  ganz  im  Geiste  des  Piaton  und  des  Altertums  überhaupt  unterscheidet 
er  des  weiteren  2  Arten  von  Tugenden,  die  dianoetischen  oder  geistigen 
und  die  praktischen  oder  ethischen  im  engeren  Sinn.  Die  Ausführung  und 
Charakterisierung  der  einzelnen  Bethätigungen  der  Tugend  des  Geistes  und 
des  praktischen  Handelns  nimmt  sodann  den  grösseren  Raum  seines 
Werkes  ein. 

Die  unechte  Schrift  tteqX  agsicov  xal  xaxim'  enthält  dürre  Definitionen 
der  einzelnen  Tugenden  und  Laster.^) 

304.  Die  IloXiTixä  in  8B.  haben  die  Ethik  zur  Voraussetzung;  am 
Schlüsse  der  nikomachischen  Ethik  ist  auf  den  Staat  hingewiesen,  durch 
den  die  Menschen  zur  Sittlichkeit  erzogen  werden  sollen,  womit  der  Zu- 
sammenhang der  Ethik  mit  der  Gesetzgebung  und  Politik  klar  ausgesprochen 
ist.  Die  Politika  selbst  handeln  einleitungsweise  im  ersten  Buch  von  der 
Grundlage  des  Staates,  dem  Haus  oder  der  Familie,  und  im  Anschluss 
daran,  von  der  Hausverwaltung  und  dem  Erwerb  [xQWaiiaTixrj).  Als  Teil 
des  Haushaltes  erscheinen  auch  die  Sklaven,  da  diesen  die  körperlichen 
Arbeiten  des  Hauses,  welche  der  freie  Grieche  als  seiner  unwürdig  be- 
trachete,^)  zuzufallen  pflegten.  Im  zweiten  Buch  unterzieht  sodann  unser  Autor 
nach  der  ihm  beliebten  Methode  die  Ansichten  der  Früheren,  der  Theoretiker 
wie  der  Gesetzgeber,  einer  kritischen  Betrachtung,  wobei  er  ausser  Phaleas 
von  Chalkedon  und  Hippodamos  von  Milet,^)  besonders  die  einschlägigen 
Werke  Piatons,  den  Staat  und  die  Gesetze,  in  den  Kreis  der  Untersuchung 
zieht.  Die  eigentliche  Aufgabe  löst  er  in  den  6  nächsten  Büchern,  und 
zwar  so,  dass  er  den  Unterschied  der  3  guten  Staatsformen,  bei  denen  die 
Herrschenden  das  Wohl  der  Gesamtheit  im  Auge  haben  [ßaaiXsia,  agiaro- 
xgaria,  noXirsia),  und  der  3  Ausartungen,  bei  denen  die  Herrschenden  von 
ihren  eigenen  Interessen  sich  leiten  lassen  {rvQavvig^  bXiyaqyia^  druioxqaxia)^ 
zum  Ausgangspunkt  nimmt.  Als  beste  Staatsform  gilt  ihm  diejenige,  in 
welcher  die  Besten  oder  die  durch  Tugend,  nicht  bloss  durch  Geburt  und 
Reichtum  Hervorragenden  die  Herrschaft  in  den  Händen  haben,  als  aller- 
beste die,  in  welcher  ein  einziger,  der  zugleich  allen  andern  an  Tugend 
und  Einsicht  überlegen  ist,  die  Herrschaft  führt.*)  Von  diesem  besten 
Staat  ist  in  den  Schlusskapiteln  des  3.  Buches  (III,  14 — 18)  und  in  den 
sich  daran  unmittelbar  anschliessenden  Büchern  VII  und  VIII  gehandelt. 5) 


0  Den  Aufsatz  hat  Ps.  Andronikos  in 
sein  kompiliertes  Buch  nsQi  nad^Mv  aufge- 
nommen, das  C.  ScHUCHHAKDT,  Andronici  JRho- 
dii  qui  fertur  UhelliTieQl  na&iüv  pars  altera  de 
virtutibus  et  vitiis,  Darmst.  1883  auf  Grund  eines 
guten  kritischen  Apparates  neu  edierthat;  frü- 
here Ausgabe  von  Mullach  FPG.  111,570—8. 
^  2)  Arist.  Pol.  VIII,  2  p.  1337 '^  6:  9?«- 
pSQou  ort  rijüv  roiovTiop  dsL  fisrexetp  oaa  rwy 
^qrjalfXMy  noiTJaet  xov  fxere/oyra  fxfj  ßdyav- 
aop.  ßdvavGov  d'tQyoy  eivca  Sei  rovro  ro- 
fxit,eiv  y.cd  jb)[vi]v  rciihi]P  xcd  ^i'c&iqoip,  6aca 
TTQog  rag  /Qrjaeig  x(d  rag  TiQu^Eig  rag  Tfjg 
aQSTTJg  (i^QrjGToi'  d7TEQyc!.t,ovTCii  ro  aiofxa 
TMV  iXsvO^tQMy  i]  irjp  xpr/r^v  xr/l.  Vgl.  p. 
1277=^  35. 


'^)  Von  Hippodamos,  der  von  Hause  aus 
ein  Baumeister  war  und  um  die  Mitte  des 
5.  Jahrhunderts  blühte,  hat  uns  Stobaios  einige 
pythagorisierende  Bruchstücke  erhalten;  s. 
C.  Fk.  Hermann,  De  Hippodamo  Milesio, 
Marburg  1841. 

^)  Ein  unbedingter  Lobpreiser  der  Monar- 
chie ist  also  Aristoteles  nicht,  noch  weniger  ein 
solcher  der  erblichen  Monarchie,  bei  der  seine 
Voraussetzungen  noch  weniger  leicht  ein- 
treffen. 

^)  Dass  in  den  Handschriften  die  Bücher 
VII  u.  VIII  an  falscher  Stelle  stehen  und  in 
der  angedeuteten  Weise  umgestellt  werden 
müssen,  hat  schon  im  16.  Jahrh.  der  Italiener 
Segni  erkannt,  und  ist  von  Conring  in  der 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§  304.) 


415 


Aber  die  Behandlung  des  Gegenstandes  ist  nicht  zum  Abschluss  gekommen ; 
besprochen  sind  nur  die  äusseren  Grundbedingungen  des  besten  Staates 
und  besonders  im  Hinblick  auf  Piaton  die  Erziehung  und  Bildung  der 
Staatsbürger.  Und  selbst  dieser  Teil  ist  unvollendet  geblieben  oder  viel- 
mehr unvollendet  auf  uns  gekommen;  behandelt  sind  nur  die  4  Gegenstände 
des  gewöhnlichen  Unterrichtes,  Grammatik,  Gymnastik,  Musik  und  Zeichnen  ;i) 
zu  den  höheren  Unterrichtsgegenständen,  Philosophie  und  Ästhetik,  ist  der 
Autor  nicht  gekommen.  Die  mittleren  3  Bücher  IV — VI  bilden  eine  Unter- 
suchung für  sich  und  handeln  von  den  übrigen  Staatsformen,  von  den 
Teilen  des  Staates  (Rat,  Beamten,  Gerichte)  und  deren  Aufgaben,  von  dem, 
was  den  Staat  erhält  und  ihn  zu  gründe  richtet.  Auch  hier  ist  die  Reihen- 
folge der  Bücher  nicht  in  Ordnung.  Nach  der  von  Aristoteles  selbst  IV,  2 
gegebenen  Disposition  und  nach  dem  Eingang  des  5.  Buches  sollte  man 
erwarten,  dass  das  5.  Buch  den  Schluss  bilde  und  demselben  das  in  den 
Handschriften  an  6.  Stelle  stehende  Buch  vorangehe.'-^)  Aber  da  in  dem 
6.  Buch  wiederholt  (p.  1316'>34,  1317^37,  1319^37)  auf  das  fünfte  Bezug 
genommen  ist,^)  so  hat  es  mir  doch  die  grössere  Wahrscheinlichkeit,  dass 
Aristoteles  jenes  6.  Buch,  in  welchem  nochmals  von  der  Demokratie  und 
Oligarchie  und  den  durch  Mischung  entstandenen  Schattierungen  jener  beiden 
Staatsformen  gehandelt  ist,  erst  nachträglich  verfasst  und  den  bereits  voll- 
endeten Büchern  IV — V  als  Ergänzung  angehängt  hat. 

Die  beste  Einrichtung  des  Staates  galt  dem  Aristoteles  als  eine  der 
würdigsten  Aufgaben  der  Philosophie,  wie  auch  seine  Schule,  mehr  als  selbst 
die  Stoa,  sich  mit  politischen  Fragen  abgegeben  hat.  Aber  zum  befriedi- 
genden Abschluss  hat  Aristoteles  sein  Hauptwerk,  unsere  Politik,  nicht 
gebracht;  es  fehlt  nicht  bloss  die  planmässige  Ordnung  in  der  Reihenfolge 
der  Bücher,*)  es  fehlt  auch  die  Krönung  des  Gebäudes,  indem  ohne  jed- 
weden Epilog  das  Werk  zu  Ende  geht,  mag  man  nun  die  überlieferte 
Ordnung  der  Bücher  beibehalten  oder  ein  anderes  Buch,  das  5.  oder  6., 
an  den  Schluss  stellen.  Auch  sonst  reisst  gar  oft  der  Faden  der  Unter- 
suchung  und   haben   die  Herausgeber  ihre  liebe  Not,   mit  allen  möglichen 


Einleitung  der  Übersetzung  des  Giphanius 
1647,  und  L.  Spengel,  Über  die  Politik  des 
Aristoteles,  Abb.  d.  b.  Ak.  V,  1847,  näher 
begründet  worden.  Die  jetzige  falsche  Ord- 
nung ist  vorausgesetzt  in  dem  Citat  VII,  4 
p.  1325b  34  tisqI  t«?  aXXctg  noXirsiag  rj^Tv 
T£d€i6Q7]Tca  TiQoTSQoy,  das  demnach  von  den 
Redaktoren  oder  einem  späteren  Gramma- 
tiker herrührt.  Vgl.  Susemihl,  Über  die 
Komposition  der  arist.  Politik,  in  Verhdl.  d. 
30.  Vers.  d.  Phil.  S.  17-29. 

')  BiEHL,  Die  Erziehungslehre  des  Ari- 
stoteles, Innsbruck  1875.  Das  Zeichnen  war 
nach  Plinius  N.  H.  35,  76  um  diese  Zeit 
durch  den  Makedonier  Pamphilos,  den  Lehrer 
des  Apelles,  unter  die  Unterrichtsgegenstände 
aufgenommen  worden. 

'^)  Dieses  Verhältnis  ist  aufgedeckt  von 
Barthelemy  de  St.  Hilaire  in  seiner  Ausg. 
1837  und  festgehalten  von  L.  Spengel  a.  0.  u. 
Arist.  Stud.  II,  Oncken,  Staatslehre  des  Arist. 


I,  98  ff.  Vgl.  Bendixen  in  den  Jahresbe- 
richten der  Philol.  XIII,  264  ff.,  XIV,  332  ff., 
XVI,  465  ff.  und  Susemihl  in  der  griech.- 
deutsch.  Ausg.  Einl.  4  f.  u.  58  f. 

^)  Beachte  auch,  dass  die  Definition  der 
doppelten  Art  des  laop  im  5.  B.  p.  1301 '^  30 
gegeben  und  im  6.  B.  p.  1317^  4  als  ge- 
geben vorausgesetzt  wird. 

^)  Ich  vermute,  dass  Arist.  nur  mehrere, 
ursprünglich  für  sich  bestehende  Traktate, 
wie  tisqI  oixopofXLccg  (B.  I),  ttsqI  clqiaToxQCi- 
Tiag  (VII,  4 — VIII),  ti€qI  rcoy  vnaQ/ovadjt^ 
nolneiwu  (B.  IV — V,  mit  dem  Nachtrag  von 
B.  VI),  und  die  Anfänge  einer  zusammen- 
fassenden Darstellung  (I,  1.  1;  II;  III;  VII, 
1 — 3)  hinterlassen  hat.  Die  Zusammenfas- 
sung der  Teile  scheint  Theophrast  besorgt 
zu  haben,  da  einige  denselben  geradezu  für 
den  Autor  des  Werkes  ausgaben;  s.  Ilesychius 
ind.  Uhr.  Arist.:  ■nohTixrjg  ((XQoiiGEcog  [iog\ 
f'j  &eocp^(<aTov. 


416 


Griechische  Litteraturgeschichte.     1.  Klassische  Periode. 


Hausmitteln  der  Kritik  einen  einigermassen  befriedigenden  Text  herzu- 
stellen. Aber  gleichwohl  ist  das  Werk  eines  der  bedeutendsten  und  inter- 
essantesten, die  uns  das  Altertum  erhalten  hat;  namentlich  machen  die 
zahlreichen  Angaben  über  die  Einrichtungen  der  buntgestalteten  Staatswesen 
des  Altertums  das  Buch  zu  einer  Hauptquelle  für  den  Historiker  und 
Altertumsforscher.  Der  Gegensatz  zu  Piaton  tritt  eben  besonders  hier  von 
seiner  guten  Seite  uns  entgegen,  indem  der  Autor  ideologische  Träumereien 
grundsätzlich  ablehnt  und  immer  auf  das  Thatsächliche  und  Mögliche  den 
Blick  gerichtet  hält.  Freilich  hinderte  dieser  Realismus  ihn  auch,  über  die 
Beschränktheiten  und  Vorurteile  des  Altertums  hinauszukommen:  er  ver- 
teidigt nicht  bloss  die  Sklaverei,  er  sucht  sie  auch  physiologisch  durch 
Annahme  einer  niederen  Naturanlage  dieser  unglücklichen  Geschöpfe  zu 
begründen;^)  vor  dem  Handwerk  und  der  Arbeit  überhaupt  hat  er  keinen 
rechten  Respekt,  indem  er  den  Körper  und  die  Seele  des  Freien  von  ihr 
nicht  besudelt  sehen  möchte; 2)  um  dem  Übel  der  Übervölkerung  vorzu- 
beugen, hat  er  Worte  der  Entschuldigung  für  die  Abtreibung  der  Leibes- 
frucht und  die  Unnatur  der  kretischen  Knabenliebe. ^)  Auf  der  anderen  Seite 
verkennt  er  doch  wieder  darin,  dass  er  eine  unumschränkte  Gewalt  nach 
Piatons  Vorgang  dem  Guten  zuweist,  die  naturgemässe  Berechtigung  der 
einzelnen  Bürger,  an  der  Ordnung  des  Gemeinwesens  mit  teil  zu  nehmen.^) 
Für  die  Abfassungszeit  des  Werkes  gibt  einen  Wink,  dass  die  Ermordung  des 
Königs  Philipp  (338)  erwähnt  ist  (p.  1311'^  1),  die  Einnahme  Babylons  aber 
durch  Alexander  und  die  Invasion  Kretas  durch  Agis  IL  (332)  nicht  in 
Betracht  gezogen  sind  (p.  1276^  28  und  1272-^  22).'^)  Sicherlich  ist  der 
Staat  des  Aristoteles  nicht  nach  dem  Muster  des  Weltreiches  Alexanders 
eingerichtet,  schweben  dem  Autor  vielmehr  durchweg,  namentlich  in  dem 
Kapitel  von  der  Grösse  des  besten  Staates  (VII,  4  u.  5),  die  Verhältnisse 
der  kleinen  Gemeinwesen  der  Griechen  vor  Augen.  ^■) 

Die  Staatslehre  hatte  Aristoteles  schon  früher  in  dem  populären  Dialog 
IloXnixög  behandelt,  auf  den  sich  Cicero  de  fin.  V,  4  und  ad  Quint.  fr.  3,  5 
bezieht.  Es  hatte  aber  derselbe  ausserdem  in  einem  grossartigen  Sammel- 
werk, JloXiTelai  betitelt,  welches  die  Beschreibung  von  nicht  weniger  als 
158  Staatsverfassungen  enthielt,  sich  das  sachliche  Substrat  für  seine 
theoretischen   Spekulationen    verschafft.     Jenes   Sammelwerk,    welches    zur 


^)  Pol.  I,  2;  damit  hängt  die  Ansicht 
von  der  Gesetzmässigkeit  des  Krieges  gegen 
Barbaren  zusammen,  worüber  I,  8  p.  1256'^ 
27  :  ifi  7ioXEfny.fi  det /Qija&ai  nqog  rs  r(<  d^rjQLcc 
xal  XMv  dyS^Qüintüy,  '6a oi  nscpvxoreg  i<Q/sa^aL 
fxrj  d^sXovaiv,  16g  cpvosi  dixcaov  ovra  tovtov 
Tov  Ti6Xefj,ov. 

2)  Vgl.  die  oben  schon  angeführte  Stelle 
p.  1337'^  G  und  p.  1255^  35:  oaoig  siovoia 
fxij  avtolg  xay.onad^sTy,  inirQonog  Xafxßavsi 
Ti^v  /Qr]aTiy.i]y  rifXTji^,  avTol  <fe  TToXi.tevopTm 
i]  cpiXoaocfovai. 

•')  Vgl.  p.  Vi^h^  31  u.  1272^  22;  leider 
fehlt  die  an  letzter  Stelle  versprochene  Aus- 
führung. 

"*)  Nach  Aristoteles  wäre  die  absolute  Mo- 


narchie Louis  XIV,  die  beste  Staatsverfassung 
gewesen;  denn  auch  dieser  hatte  gesagt: 
nous  devons  considerer  les  Mens  de  nos  su- 
jets  plus  que  h  notre  proine  und  c'est  Ja 
volonte  de  Dieu,  que  quiconque  est  ne  sujet_ 
oheisse  sans  discernement. 

^)  Der  Kranzprozess  des  Demosthenes 
und  Aischines  hatte  ebenfalls  noch  nicht 
stattgefunden,  da  es  nach  ihm  nicht  heissen 
konnte  p.  1299''*^  29:  ov  ydg  tjoj  xgiaig  ye- 
yov£v  dfxcpiGßr]TovvTix)v  tteqI  rov  ovöfxciiog  sc. 
ccQXV^  x«t  STTifieXsLCig. 

'^)  Vgl.  p.  1327^  31:    t6  'EXXtjyeoy  ;'fVo?| 
iXev&SQoy    rs    diaTsXei  xcd  fxdXiaxa  ttoXitsv- 
ofuei'oy  xcd  (fvydfusyoy   uQ/eiy   TidyTtor,  fiidg^ 
Tvy^dvop  7ToXireU<g. 


I 


4.  Die  Philosophen,    d.  Aristoteles.  (§  305.)  "  417 

reichhaltigsten  Fundgrube  für  die  Grammatiker  und  Historiker  wurde,  i) 
ist  leider  nicht  auf  uns  gekommen;  doch  haben  wir  von  ihm  und  dem 
verwandten  kleineren  Werke  Ncfxiiia  noch  zahlreiche  und  ausgedehnte 
Fragmente,  die  neuerdings  noch  einen  Zuwachs  aus  ägyptischen  Papyri  über 
die  ältere  Yerfassungsgeschichte  Athens  erhalten  haben.  ^) 

Die  Oixovofjiixd  in  3  B.  sind  unecht.  Das  zweite  Buch  enthält  eine 
Reihe  von  Beispielen,  wie  sich  Staaten  und  Private  aus  Geldverlegenheiten 
halfen,  und  rührt  sicher  nicht  von  Aristoteles  selbst,  sondern  von  einem 
jüngeren  Glied  der  peripatetischen  Schule  her.  Aber  auch  das  erste  Buch, 
von  dem  im  griechischen  Original  nur  Bruchstücke  existieren,  wird  von 
Philodemos  ttsqI  xaxicov  xai  ccqexwv  col.  7  als  Werk  des  Theophrast  citiert 
und  ist  nach  Susemihl,  dem  neuesten  Herausgeber  der  Ökonomik,  um 
250—200  V.  Chr.  entstanden;  das  3.  Buch,  das  den  Spezialtitel  vöiioi  ccr- 
Sqog  xal  yaixsxrjg  hatte,  ist  nur  in  lateinischen  Übersetzungen  erhalten.  3) 
Die  echte  Lehre  des  Aristoteles  über  das  Hauswesen  enthält  das  1.  Buch 
der  Politik. 

305.  Die  Schriften  über  Poetik  und  Rhetorik.  Rhetorik  und 
Poetik  spielten  seit  Piaton  eine  grosse  Rolle  in  den  Untersuchungen  der 
Philosophen;  die  Rhetorik,  weil  sie  in  das  Grenzgebiet  der  Philosophie  fiel, 
die  Poetik,  weil  sie  ebenso  wie  die  Musik  die  Aufmerksamkeit  des  Gesetz- 
gebers und  Staatsmannes  in  Anspruch  nahm.^)  Die  Stellung  des  Piaton 
und  Aristoteles  zu  diesen  Künsten  ist  eine  grundverschiedene:  jener  hat  sie 
verdammt  und  aus  dem  Idealstaat  ausgeschlossen,  dieser  hat  sie  in  ihrem 
Wesen  begriffen  und  an  ihre  richtige  Stelle  gewiesen. 

Von  der  Poetik  in  2  B.  ist  nur  das  erste  Buch  erhalten.  Dasselbe 
handelt  von  der  Tragödie  und  dem  Epos;  das  zweite  Buch  war  der  Komödie 
gewidmet.^)  Das  kleine  Büchlein,  das  nur  durch  Zufall  als  Anhang  einer 
Sammlung  rhetorischer  Schriften  im  Cod.  Paris.  1741  uns  erhalten  ist,  hat 
in  der  neueren  Zeit  mehr  Beachtung  gefunden  als  irgend  eine  der  philo- 
sophischen Schriften  des  Aristoteles.  Es  verdiente  eine  solche  Wertschätzung, 
da  Aristoteles  hier  mit  bewunderungswürdigem  Kunstverständnis  und  ge- 
stützt auf  ausgedehnteste  Kenntnis  der  poetischen  Litteratur  in  kurzen 
Sätzen  für  alle  Zeiten  das  Wesen  der  Poesie  und  die  Hauptgesetze  der 
1  tragischen  Kunst  festgestellt  hat.^)  Ich  erinnere  an  die  berühmte  Defini- 
I  tion  der  Tragödie  im  6.  Kapitel,')  an  das  nicht  minder  wichtige  12.  Kapitel 


')  Plutarch,  Non  posse  suav.  10  be- 
zeichnet die  Politeiai  des  Aristoteles  neben  den 
Geschichtswerken  des  Herodot  und Xenophon 
und  der  Erdbeschreibung  des  Eudoxos  als 
die  anziehendste  Lektüre.  Von  den  Auszügen 
des  Herakleides  wird   später  die  Rede  sein. 

^)  DiELS,  Über  die  Berliner  Fragmente 
der  'A^t^vaiiov  noXiieicc,  Abh.  d.  Berl.  Ak. 
1885;  der  aristotelische  Ursprung  des  Pa- 
pyrusfragments ward  zuerst  mit  glänzendem 
Scharfsinn  erkannt  von  Bekgk,  Rh.  M.  36. 
87  ff. ;  vgl.  WiLCKEN,  Herm.  23  (1 888)  S.  446  ff. 

^)  Spengel,  Arist.  Stud.  III,  65  ff.  Auch 
GöTTLiNG  in  seiner  Ausg.  verwirft  die  Echt- 
heit des  2.  Buches. 

')  Nach  Polit.  VIII,  7  p.  1341 '>  39  scheint 


geradezu  die  Poetik  zu  dem  von  der  Er- 
ziehung der  künftigen  Bürger  handelnden 
Teile  der  Politik  gehört  zu  haben;  vgl.  p. 
1336'^  25. 

^)  J.  Bernays,  Zwei  Abhandlungen  über 
die  arist.  Theorie  des  Drama,  Berl.  1880. 

^)  Wenn  Arist.  das  Wesen  der  Poesie 
und  aller  Künste  in  der  Nachahmung  (f^l- 
^y]aLg)  findet,  so  baut  er  auch  hierin  auf 
Piaton  (de  rep.  III  p.  277,  Phaedr.  p.  44) 
weiter,  Jaefriedigt  aber  deshalb  nicht  voll- 
ständig, weil  er  sich  zu  einseitig  auf  einzelne 
bestimmte  Künste  und  Arten  der  Poesie, 
wie  Malerei,  Plastik,  Drama,  Dithyrambus 
stützt.  ^ 

')  Siehe  oben  §  127.  - 


Ilaudbuch  der  klass.  Altertumswissenscbalt.  VII.    2,  Aufl.  2? 


II 


418 


Griechische  Litteraturgeschichte.    1.  Klassische  Periode. 


Über  die  Teile  der  Tragödie,  an  die  Lehre  von  der  Einheit  der  Handlang 
und  von  dem  episodischen  Charakter  der  homerischen  Komposition  (c.  23),  an 
die  Unterscheidung  des  Wesens  der  tragischen  und  epischen  Poesie  (c.  26). 
Doch  weist  auch  dieses  Werk,  das  man  das  erste  Buch  über  Ästhetik 
nennen  kann,  viele  Spuren  wiederholter  Überarbeitung  und  nachträglicher 
Zusätze  auf,  so  dass  sogar  Ritter  in  seiner  Ausgabe  die  Echtheit  desselben 
zu  verdächtigen  suchte  und  viele  Gelehrte  in  die  Verwerfung  ganzer  Kapitel, 
wie  auch  des  eben  gerühmten  zwölften,  einstimmten.  ^  Die  historische 
Grundlage  für  die  Theorie  der  Poetik  hatte  sich  Aristoteles  durch  eingehende 
litterarhistorische  Studien  erworben;  von  diesen  war  eine  Frucht  das  ver- 
loren gegangene,  im  Altertum  aber  vielbenützte  Buch  über  die  Didaskalien.^) 
Abgefasst  ist  die  Poetik  nach  der  Politik,  da  in  dieser  p.  134 P  40  der 
Philosoph  von  der  Katharsis  später  in  der  Poetik  genauer  zu  handeln  ver- 
spricht. 

306.  Die  Rhetorik  [Ts'xvr]  Qrjrogixrj)  umfasst  3  Bücher.  Die  beiden 
ersten  behandeln  unter  Anlehnung  an  die  Dialektik^)  das  Wesen  des  red- 
nerischen Beweises  {iv^v^rnia)  und  die  Hauptsätze  {tötioi)  desselben;  das 
dritte,  weitaus  interessanteste,  das  ursprünglich  ein  Buch  für  sich  bildete,^) 
gilt  der  sprachlichen  und  stilistischen  Seite  der  Rhetorik  und  berührt  sich 
vielfach  mit  den  Schlusskapiteln  der  Poetik.  Dasselbe  hat  für  uns  Philologen 
und  Grammatiker  ein  besonderes  Interesse  dadurch,  dass  wir  aus  ihm  die 
Anfänge  der  Grammatik  und  die  ersten  Termini  technici  derselben,  wie 
aqd^Qov,  avvd€ap.og,  nsQioSog^  x6fji[bia  kennen  lernen.  Bezüglich  der  Ab- 
fassungszeit der  Rhetorik  herrschte  schon  im  Altertum  Streit,  wahr- 
scheinlich weil  man  wusste,  dass  Aristoteles  schon  bei  seinem  ersten  oder 
zweiten  Aufenthalt  in  Athen  über  Rhetorik  Vorträge  gehalten  hatte.  Gegner 
des  Demosthenes  wollten  behaupten,  dass  der  grosse  Redner  das  beste  aus 
Aristoteles  gelernt  habe;  diesen  gegenüber  wies  der  Rhetor  Dionysios  im 
Brief  an  Ammaios  nach,  dass  Aristoteles  erst  nach  den  grossen  Reden  des 
Demosthenes  seine  Rhetorik  geschrieben  habe.  Die  Sache  hat  ihre  Richtig- 
keit;^) übrigens  ist  es  auffällig,  dass  Aristoteles  den  Demosthenes  so  wenig 
berücksichtigt,  was  wohl  doch  daher  stammt,  dass  die  Grundlinien  seiner 
Lehre  aus  früherer  Zeit  stammen,  in  der  Isokrates  noch  ganz  das  Feld  der 
Beredsamkeit  beherrschte. 

Ts'xvrjg  rr^g  QsoSsxrov  avvayiüyr^^  als  0€o6txTsicc  in  Rhet.  III,  9  p.  1410^  2 
citiert,   enthielt  nach  Valerius  Maximus  VIII,  14  Vorträge  des  Aristoteles 


^)  Zu  dieser  Hyperkritik  Hessen  sich 
viele  Gelehrte  hinreissen,  weil  ihre  Aristo- 
telesstudien nicht  über  dieses  einzige  Büch- 
lein hinausgingen;  wer  in  seinem  Aristoteles 
bewanderter  ist,  weiss,  wie  wenig  von  seinen 
Werken  übrig  bliebe,  wenn  mangelnder  Zu- 
sammenhang zur  Athetese  berechtigte. 

'^)  Über  Anlage  und  Geschicke  der  Didas- 
kalien  siehe  Richtek,  Prol.  ad  Arist.  Vesp. 
p.  13-29. 

^)  Gleich  im  Eingang  der  Rhetorik  heisst 
es:  '^  QijTOQixij  iarip  uvriaTQocpog  TJj  diaXsx- 
Tix^.     Daher    wird    sie    T,    2    definiert    als 


dvi'af^ig   ttsqI   exdaxov   &eiJiiQrjaca  ro  ev^exö- 

■*)  Im  Ind.  Diog.  wird  aufgeführt  neql 
Xe^EMg  ß'  und  Te^^'^]?  QijroQixijg  ß',  im  Ver- 
zeichnis des  Ptolemaios  ist  bereits  die  Rhe- 
torik mit  3  B.  aufgezählt.  Die  von  Sauppe 
u.  a.  angezweifelte  Echtheit  des  3.  Buches 
verteidigt  Diels,  Über  das  3.  Buch  der  arist. 
Rhetorik,  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1887. 

^)  Hauptbeweisstelle  II,  24  p.  1401b,  33: 
(vg  6  Jrj^dt^rjg  trjp  Ji]fxood^Evovg  nohrsLay 
7j('<vru)v  rioy  xkxwu  citrlap. 


4.  Die  Philosophen,     d.  Aristoteles.  (§  SOG -308.) 


419 


aus  früherer   Zeit,   welche  derselbe  dem  Theodektes   aus   Phaselos,    einem 
Isokrateer,  zur  Herausgabe  überlassen  hatte.  ^) 

307.  Unecht  ist  die  Rhetorik  an  Alexander,  der  ähnlich  wie  dem 
untergeschobenen  Buche  tisqI  xoaßov  ein  unechter  Brief  an  Alexander  voraus- 
geht. Das  unmittelbar  aus  der  Praxis  der  Redner  hervorgegangene  Buch, 
das  für  Würdigung  der  Kunst  der  Redner  namentlich  an  der  Hand  der 
Spengelschen  Ausgabe  von  einziger  Wichtigkeit  ist,  weicht  weit  von  dem 
philosophischen  Gehalt  der  echten  Rhetorik  des  Aristoteles  ab.  Durch  Ver- 
gleichung  des  Buches  mit  der  Angabe  des  Quintilian  von  den  2  Gattungen 
und  den  7  Arten  der  Rhetorik  des  Anaximenes^)  hat  schon  Victorius  er- 
kannt und  L.  Spengel  in  seiner  Ausgabe  (1844)^)  erhärtet,  dass  dasselbe 
von  Anaximenes,  dem  vielseitigen  Litteraten,  herrührt,  den  wir  bereits 
oben  §  239  als  Historiker  und  Epiker  kennen  gelernt  haben. 

308.  Gesamtcharakter  und  Lehre  des  Aristoteles.  Fassen  wir 
zum  Schluss  noch  die  Gesamtheit  der  Schriften  des  Aristoteles  ins  Auge, 
so  muss  uns  in  ihnen  vor  allem  die  an  Universalität  grenzende  Vielseitig- 
keit des  Mannes  in  Staunen  setzen:  in  dem  Reiche  der  Natur  war  er  ebenso 
zu  Hause,  wie  in  dem  der  Litteratur  und  des  Geistes,  und  nicht  bloss  be- 
trieb er  die  mannigfachsten  Disziplinen,  wie  Rhetorik,  Poetik,  Mechanik, 
Zoologie,  Botanik,  er  verfügte  auch  in  jeder  derselben  über  eine  erstaun- 
liche Fülle  von  Einzelkenntnissen.  Piaton  nannte  ihn  den  grossen  Leser, 
und  wahrlich  er  muss  unendlich  viele  Reden,  Dramen,  Geschichtswerke, 
philosophische  Schriften  gelesen  haben;  aber  daneben  hatte  er  auch  ein 
offenes  und  geübtes  Auge  für  die  Schöpfungen  der  Natur,  auch  die  kleinsten 
und  scheinbar  unbedeutendsten.  Während  aber  sonst  durch  solches  Viel- 
wissen das  Licht  des  ordnenden  und  kombinierenden  Verstandes  verdunkelt 
zu  werden  pflegt,  verband  Aristoteles  mit  der  Fülle  des  Wissens  eine  sel- 
tene Schärfe  des  Urteils  und  eine  überaus  glückliche  Anlage  zur  konstruk- 
tiven Spekulation.  Ja  es  überwog  bei  ihm,  wenn  wir  seine  Leistungen 
mit  dem  heutigen  Masstab  der  Wissenschaft  beurteilen,  die  von  der  Schule 
des  Piaton  und  der  Sophisten  auf  ihn  übergegangene  Neigung  zur  speku- 
lativen Betrachtung  so,  dass  er,  der  der  Begründer  der  Naturwissenschaften 
war,  gleichwohl  im  Mittelalter  zum  Vorbild  dürrsten  Wortkrams  und  leerer 
Begriffsspalterei  werden  konnte.  Was  er  aber  nicht  oder  nur  in  geringem 
Grade  hatte,  war  das  Vermögen  der  Abrundung  und  künstlerischen  Gestal- 

Es  trat  das  zunächst  in  der  Sprache   und  dem  Stil  hervor:  Aristo- 


tung 


')  Quintil.  II,  15:  a  quo  non  dissentit 
Theodectes,  sive  ipsius  id  opus  est  sive  uf 
creditum  est  Aristoteles;  vergl.  Rose,  Arist. 
pseud.  135  ff.  Der  Epikureer  Philodemos  er- 
wähnt und  benützte  rctg  rex^ag  rag  'Jqiazo- 
rfAovg,  s.  Usener,  Epicurea  p.  401. 

2)  Quint.  III,  4,  9:  Anaximenes  iudi- 
cialem  et  eontionalem  generales  j^ci^tes  esse 
voluit,  Septem  autem  species  hortandi,  de- 
hortandi.  laudandi,  vitup>erandi,  accusandi, 
defendendi,  exquirendi  ==  Rhet.  ad  Alex. 
I,  1 :  ^vo  (tqIcc  codd.,  (fvo  aber  Syrian  ad 
Hermog.  IV,  60)  ye'ft]  T(Sv  TTohiixajy  eiol 
koyoiy,  To  fxay  örj^rjyoqixöv,  t6  6s  6ixc<yix6y, 


eidt]  de  xovxmv  inra,  TTQozQsnTixoy,  clno- 
TQenrtxoy,  iyxwfiiaaTixoy,  xpsxrixöy,  xccrtj- 
yoQixop,  dnoXoyijTixoy,  s^Ezaazixöv. 

^)  Seine  These  verteidigt  Spengel,  Phil. 
18,  604  tf.  gegen  Campe,  der  in  Jahrb.  f. 
Phil.  45,  59  ff.  u.  Philol.  9,  106  ff.  das  Buch 
in  die  römische  Kaiserzeit  setzen  wollte. 
Dasselbe  hat  nur  einzelne  Zusätze  oder  Inter- 
polationen aus  späterer  Zeit  erhalten,  wie 
gleich  im  Eingang  to  de  inideixzixou  und  p. 
53,  21  xazd  zic  TTQoyi^^vua^uaza.  Gegen 
Spengel  erklärt  sich  neuerdings  Susemihl, 
Jahrber.  d.  Alt.  XIII,  1.  1  f. 


27 


420 


Griechische  Literaturgeschichte.     I.  Klassische  Periode. 


teles  hatte  zwar,  wie  das  namentlich  die  Poetik  und  Rhetorik  zeigt,  ein 
feines  Verständnis  für  poetische  Schönheit  und  rednerischen  Schmuck,  er 
dichtete  auch  Elegien  und  Oden  und  schrieb  überzeugende  Reden  und 
Briefe,  aber  seine  Rede  hat  keine  Anmut  und  keinen  Schwung,  und  seine 
Darlegungen  entbehren  des  fesselnden  Aufbaus  und  des  krönenden  Ab- 
schlusses.^) Der  letzte  Mangel  ist  aber  nicht  bloss  in  Fehlern  des  Stils  zu 
suchen,  erliegt  tiefer,  erliegt  darin,  dass  Aristoteles  in  seinem  Denken  bezüg- 
lich der  obersten  Begriffe  nicht  zur  vollen  Klarheit  mit  sich  selbst  gekommen 
war.  Es  ist  gewiss  die  Unzulänglichkeit  unseres  philologischen  Vermögens 
nicht  allein  schuld,  wenn  wir  über  den  vovg  TioirjTixog  und  Tcccd^7]Tix6g,  die 
xd^agaig  uad^vjiiidTMv,  die  zwei  Arten  des  Zweckes  nicht  völlig  ins  Reine 
kommen.  Aber  wenn  nun  auch  Aristoteles  zu  keinem  befriedigenden  Abschluss 
in  der  philosophischen  Spekulation  gekommen  ist,  der  Weg,  den  er  ein- 
schlug, die  liis&oSog,  war  vortrefflich :  er  geht  erst  zur  Entwicklung  seiner 
eigenen  Gedanken,  nachdem  er  die  Versuche  der  Früheren  einer  unbefangenen 
Kritik  unterzogen  hat;  wir  verdanken  diesem  Verfahren  die  vielen  Auf- 
schlüsse über  die  älteren  Philosopheme.  Er  sucht  sich  überall  den  Weg 
zu  ebnen  durch  Wegräumung  der  entgegenstehenden  Hindernisse,  er  beginnt 
daher  ganz  gewöhnlich  seine  Darstellung  mit  Aufstellung  von  Aporien  und 
deren  Lösung.  Er  steigt  sodann  in  allem,  und  das  hatte  er  von  seinem 
Vater,  dem  naturwissenschaftlich  gebildeten  Arzte,  gelernt,  von  dem  Ein- 
zelnen und  Thatsächlichen  zum  Allgemeinen  und  zur  Idee  auf,  und  ver- 
schmäht dabei,  wie  er  de  partibus  anim.  I,  5  so  hübsch  auseinandersetzt, 
auch  das  Unscheinbarste  nicht,  weil  die  Erkenntnis  des  Grundes  auch  beim 
Kleinsten  lauterste  Freude  dem  wahren  Forscher  bereite. 

Bei  dieser  Richtung  seiner  Forschung  ist  es  erklärlich,  dass  die  Er- 
folge derselben  zumeist  auf  dem  Gebiete  der  Einzelwissenschaften  liegen. 
Die  Philosophie,  die  zuvor  als  Inbegriff  aller  spekulativen  Thätigkeit  galt 
und  die  Keime  der  Naturkunde,  Mathematik,  Astronomie,  Sprachlehre  in 
sich  trug,  verlor  durch  ihn  jenen  allgemeinen  Charakter  und  trat  in  ver- 
schiedene Disziplinen  auseinander.  Er  schrieb  nicht  bloss  eigene  Bücher 
über  Logik,  Psychologie,  Ethik,  er  hat  auch  durch  seine  Rhetorik  und  Tier- 
geschichte den  Ausbau  der  von  der  gemeinsamen  Mutter  sich  loslösenden 
SpezialWissenschaften  inauguriert.  In  der  eigentlichen  Philosophie  bekämpfte 
er  mit  Erfolg  die  transcendentale  Lehre  Piatons,  indem  er  mit  schlagenden 
Gründen  nachwies,  dass  die  Ideen  nicht  ein  gesondertes  Leben  für  sich 
führen,  sondern  nur  in  den  Dingen  selbst  als  deren  wesenhafter  Inhalt 
Existenz  haben.  Indem  er  sodann  die  von  ihm  neuerdachten  Begriffe 
dvvaßig  (Anlage  etwas  sein  zu  können)  und  svreXsxsia  (Verwirklichung  der 
Anlage)  zu  Hilfe  nahm,  Hess  er  die  Materie  durch  die  Form  zur  Verwirk- 
lichung des  ihr  vorgesetzten  Seins  {c6  ti  tjv  eivai)  kommen.  Damit  traten 
bei  ihm  Stoff  und  Form,  Materie  und  Geist  in  ein  natürliches,  sich  gegen- 
seitig bedingendes  Verhältnis.     Damit  war  auch  zugleich  dem  Guten  seine] 


^)  Freilich  mögen  manche  Nachlässig- 
keiten des  Stils  daher  rühren,  dass  Aristo- 
teles die  erhaltenen  Werke  nicht  selbst  zur 
Herausgabe  vorbereitet  hat,  da  in  einzelnen 
gefeilteren  Partien,  wie  Metaph.  I,  der  Hiatus 


und  die  rasche  Wiederkehr  desselben  Wortes 
mehr  gemieden  sind;  vgl,  §  297.  Über 
seinen  schlichten,  metapherlosen  Stil  urteilt 
gut  Longin  in  Rhet.  gr.  Sp.  I,  325. 


4.  Die  Philosophen,    d.  Aristoteles,  (§  309.) 


421 


passende  Stellung  in  dem  Ganzen  der  Welt  gegeben.  Das  Gute  steht  nämlich 
dem  Aristoteles  nicht  wie  den  pythagoreisierenden  Akademikern  als  oberste 
Stufe  des  Seins  ausserhalb  der  Dinge;  das  Gute  ist  ihm  vielmehr  der  Zweck 
(iro  Ol)  €V€xa),  der  sich  dadurch  verwirklicht,  dass  die  Anlage  sich  zu  dem, 
was  sie  zu  werden  geschaffen  ist,  entwickelt.  Dadurch  erwuchs  unserem 
Philosophen  aber  auch  die  schwierige  Aufgabe,  das  Gute  oder  Zweckmässige  in 
der  Welt  nachzuweisen  (Teleologie) ;  er  versuchte  das  in  einzelnen  Fällen, 
setzte  aber  im  allgemeinen  mehr  das  Gute  voraus,  als  dass  er  die  These 
selbst  und  die  damit  zusammenhängende  Frage  nach  dem  Zufall  einer  selb- 
ständigen Prüfung  unterzogen  hätte.  0 

Die  Unzulänglichkeit  der  platonischen  Ideenlehre  zur  Erklärung  der 
empirischen  Welt  erkannte  Aristoteles  zumeist  in  dem  Mangel  einer  be- 
wegenden Kraft,  da  den  Ideen  selbst,  namentlich  wenn  sie  für  sich  bestün- 
den, eine  solche  Kraft  nicht  innewohnen  könne.  Den  Mangel  hat  er  richtig 
erkannt,  auch  hat  er  im  Einzelleben,  wie  in  der  Zeugung,  die  Bedeutung 
jenes  dritten  Faktors  gut  nachgewiesen;  aber  sein  oberster  Beweger  (t6 
TTQMTov  xivovr,  primiis  mofor),  der  die  Bewegung  der  Sternenwelt  bewirkende 
göttliche  Nus,  hat  weder  die  Eigenschaften  eines  Gottes  noch  eines  denken- 
den Geistes.  Wenn  daher  ein  neuerer  Philosoph  den  Kernpunkt  der  ari- 
stotelischen Philosophie  in  dem  Bestreben,  die  sokratisch-platonische  Be- 
griffsphilosophie zu  einer  die  Erscheinungen  erklärenden  Theorie  umzubilden, 
gefunden  hat,  so  ist  das  richtig,  nur  darf  man  in  dem  Streben  nicht  auch 
schon  ein  Erreichen  des  Zieles  sehen.  Gross  war  Aristoteles  in  der  Auf- 
stellung und  Scheidung  von  Begriffen,  und  viele  derselben,  wie  Potenz  und 
Aktualität,  Materie  und  Form,  Accidenz  und  Substanz  leben  noch  in  unserer 
Zeit  fort,  aber  mit  der  Scheidung  von  Begriffen  sind  noch  nicht  die  Grund- 
elemente der  Dinge  und  die  Gesetze  der  Bewegung  gefunden.  Zutreffend 
sodann  ist  die  Polemik  des  Aristoteles  gegen  die  transcendente  Ideenlehre 
Piatons.  Aber  indem  er  so  eine  Seite  der  platonischen  Philosophie  erfolg- 
reich bekämpfte  und  wesentlich  zur  Ernüchterung  der  wissenschaftlichen 
Forschung  beitrug,  vergab  er  in  [der  Ethik  und  Staatslehre  der  Hoheit 
der  Ideen  ihr  unveräusserliches  Recht;  befangen  in  den  Vorurteilen  der 
realen  Wirklichkeit  (Realismus)  hat  er  selbst  unnatürliche  Verhältnisse, 
wie  die  Sklaverei,  nicht  bloss  als  thatsächlich  hingenommen,  sondern  sogar 
als  Naturgesetz  zu  begründen  gesucht. 

Fassen  wir  schliesslich  unser  Urteil  über  das  Verhältnis  der  beiden 
grössten  Philosophen  des  Altertums  zusammen,  so  hat  Aristoteles  mit 
seinem  Sinn  für  das  Reale  und  Mögliche  im  einzelnen  vieles  richtiger  er- 
fasst,  gewährt  uns  aber  seine  Philosophie  als  Ganzes  bei  dem  ungenügenden 
Ausbau  seiner  obersten  Prinzipien  weniger  Befriedigung  als  der  harmonisch 
ausgeführte,  wenn  auch  auf  einseitiger  Grundlage  errichtete  Kunstbau  des 
platonischen  Idealismus. 

309.  Ein  grosser  Denker  und  Forscher  wie  Aristoteles  konnte  nicht 
verfehlen  einen  mächtigen  Einfluss  auf  Mit-  und  Nachwelt  zu  üben.  Er 
sammelte  einen  grossen  Kreis  von  Schülern  um  sich  und  wurde  Begründer 


^)  Dass  Gott  alles  zum  Guten  erschaffen 
habe,  war  ein  von  Sokrates  (Xen.  Mem.  I,  4 


u.  IV,  3)  überkommener  Satz,  der  allen  So- 
kratikern  wie  ein  Vernunftsaxiom  feststund 


422 


Griechische  Litteraturgeschichte.    I.  Klassische  Periode. 


einer  eigenen  Schule,  welche  sich  von  den  Spaziergängen  (nsginaToi)  des 
Lykeion,  in  denen  wandelnd  der  Meister  seine  Lehre  vortrug,  die  peripate- 
tische  nannte.  Sein  nächster  Nachfolger  war  Theophrast  aus  Lesbos,  den 
er  sterbend  vor  Eudemos  aus  Rhodos  zur  Nachfolge  dadurch  empfohlen 
haben  soll,  dass  er  von  den  Weinen,  die  man  ihm  zur  Stärkung  reichte, 
den  rhodischen  für  stark,  den  lesbischen  aber  für  süsser  erklärte  (Gellius 
XIII,  5).  Dieser  ebenso  wie  Eudemos  i)  und  sein  Sohn  Nikomachos  be- 
sorgten nicht  bloss  die  Herausgabe  seiner  Werke,  sondern  schlössen  sich 
auch  in  der  Lehre  und  Methode  eng  an  ihren  Meister  an.  Aber  über  seine 
Schule  hinaus  hat  Aristoteles  Jahrhunderte,  ja  Jahrtausende  lang  bestimmend 
auf  das  philosophische  Denken  und  die  Entwicklung  der  Wissenschaft  ein- 
gewirkt. 

Das  gelehrte  Studium  und  die  Kommentierung  der  aristotelischen 
Werke  begann  mit  der  Auffindung  und  Veröffentlichung  seiner  Gesamt- 
schriften durch  den  Peripatetiker  Andronikos^)  in  der  Zeit  nach  Sulla. 
Die  Beiträge  zur  Erklärung  erreichten  dann  seit  dem  3.  Jahrhundert  nach 
und  nach  einen  solchen  Umfang,  dass  Aristoteles  selbst  von  ihnen  förmlich 
verschüttet  wurde  und  ein  richtigeres  Verständnis  des  Philosophen  erst 
dann  wieder  eintrat,  als  man  die  weitläufigen  Kommentare  zur  Seite  zu 
werfen  und  zum  Texte  des  Autors  selbst  zurückzukehren  begann.  Die 
Erläuterung  nahmen  zunächst  die  griechischen  Peripatetiker  in  die  Hand. 
Im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  verpflanzte  dann  Boetius  die  gelehrte  Bearbeitung 
nach  Latium  und  dem  Abendland.  Im  Mittelalter  beteiligten  sich  byzan- 
tinische Griechen,  Araber  und  lateinschreibende  Scholastiker  an  der  Arbeit. 
Schon  im  Altertum  war  durch  die  Lebensgeschichte  Alexanders  von  Ps. 
Kallisthenes  der  Philosoph  Aristoteles  mit  seinem  königlichen  Zögling  Ale- 
xander in  das  Gewebe  romanhafter  Wundererzählungen  verwickelt  worden. 
Im  Mittelalter  wurden  diese  Beziehungen  infolge  des  phantastischen  Zuges 
der  Zeit  noch  mehr  ins  Romanhafte  und  Wunderbare  gezogen.  In  dieser 
Atmosphäre  entstanden  mehrere  dem  Aristoteles  untergeschobene,  zum  Teil 
aus  dem  Arabischen  übersetzte  lateinische  Werke,  darunter  die  ehedem  oft 
gedruckten  Secreta  secretorum,  in  denen  Aristoteles  als  der  Erfinder  aller 
möglichen  Geheimnisse  der  Heilkunst  und  Lebensweisheit  erscheint.  Schon 
früher  hatte  man  dem  grossen  Philosophen  den  Physiologus  angedichtet 
und  zirkulierten  von  ihm  mystische  Theologumena.'^)  Beim  Wiedererwachen 
der  Wissenschaften  wurde  der  echte  Aristoteles  zur  Bekämpfung  des  fal- 
schen der  Scholastik  eifrig  hervorgeholt,  so  dass  im  16.  Jahrhundert  seine 
Werke  und  die  alten  Kommentare  derselben  wiederholt  in  rascher  Folge 
hintereinander  ediert  wurden.    Dann  erkaltete  das  Studium  des  Philosophen, 


')  Die  Fragmente  des  Eudemos  sind  ge- 
sammelt von  L.  SpetsGel,  Eudemi  Rhodii 
fragmenta  Berolini  1866;  vgl.  Zeller  IP, 
2.  869  ff.  Gross  war  das  Ansehen  des  Eu- 
demos als  Physiker  und  Historiker  der  Astro- 
logie und  Mathematik. 

2)  Andronikos  verfasste  nebst  einer 
Schrift  über  die  Ordnung  der  Schriften  des 
Arist.   auch  Kommentare   zur  Ethik,  Physik 


und  zu  den  Kategorien.  Über  eine  Para- 
phrase der  nikomachischen  Ethik  unter  dem 
falschen  Namen  des  Andronikos  s.  Stahr, 
Aristot.  I,  131  ff.  u.  II,  262. 

^)  Macrobius,  Saturn.  I,  18.  1 :  nam 
Aristoteles  qui  theologumena  scripsit,  wo 
andere  Aristocles  statt  Aristoteles  lesen;  vgl. 
§  559  extr. 


4.  Die  Philosophen,    d.  Aristoteles.  (§  309.)  423 

bis   dasselbe  in   unserem  Jahrhundert  durch   Trendelenburg,  Spengel  u.  a. 
von  neuem  wieder  belebt  wurde. 

Erläuternde  Schriften:  Dieselben  zerfallen  in  Aufzeichnungen  der  Schriften  («v«7(>«qp«t, 
indices),  in  Kommentare  [vnofÄvrj^uara,  commentarii),  und  Sinnumschreibungen  {nciQacpqccaeig). 
Von  den  ersten,  den  Katalogen  des  Hermippos,  Andronikos,  Ptolemaios,  ist  oben  §  294 
gehandelt.  Mit  Inhaltsangaben  verbunden  wird  des  Peripatetikers  Nikolaos  Damaskenos 
d^EMQia  x(iip  'jQLdxoxelovg  gewesen  sein,  von  der  ein  Scholion  zu  Theophrasts  Metaph.  p.  323 
Br.  Kenntnis  gibt. 

Der  bedeutendste  Kommentator  war  Alexander  Aphrodisiensis,  der  unter 
Septimius  Severus  lebte  (s.  Philoponos  ad  Anal.  pr.  fol.  33'^)  und  nicht  bloss  treffliche 
Kommentare  zu  Aristoteles,  von  denen  uns  die  zu  Analytika  pr.,  Topika,  (unecht 
die  zu  Sophist,  el.),  Meteorologika,  de  sensu,  Metaphysik  erhalten  sind,  sondern  auch  nach 
Weise  der  älteren  Peripatetiker  selbständige  Schriften  nsql  ipv/T]?,  negt  siixaQ^iyrjg,  cpvai- 
xwy  xccl  ^r^ixüji/  anoQiMv  xal  Xvaseoi^  ßißX.  ö",  nQoßXrjfiarci  [Alexandri  Aphrod.  scripta  minora 
ed.  Bruns  in  Suppl.  Aristot.  11)  verfasste.  Vorgänger  Alexanders  von  Aphrodisias  waren 
Alexander  von  Aigai,  Lehrer  des  Nero,  der  die  Kategorien  und  die  Bücher  de  caelo 
kommentierte;  Boethos,  der  Kommentare  zu  den  Kategorien  schrieb;  Adrastos  von  Aphro- 
disias (Adrantos,  verschrieben  bei  Ath.  673 e),  der  neQL  rijg  rd^sMg  raju  ^AQiorori'kovg 
avyyQC4/ufj.chü)i/  (s.  Simpl.  ad  categ.  fol.  4)  schrieb;  Aspasios  (um  110  n.  Chr.),  der  die 
Ethik  kommentierte;  Herminos,  Lehrer  des  Alexander  Aphrod.  Der  hervorragendste 
Exeget  der  letzten  Zeit  des  Altertums  war  Simplicius,  ein  Schüler  des  Ammonios  im 
6.  Jahrh. ;  seine  durch  Sachkenntnis  und  gelehrte  Berücksichtigung  der  älteren,  nun  meisten- 
teils verloren  gegangenen  Litteratur  ausgezeichneten  Kommentare  zu  Physik,  de  caelo,  de 
anima  sind  erhalten.  Andere  Kommentatoren  des  untergehenden  Altertums  und  begin- 
nenden Mittelalteis  sind  Joannes  Philoponos,  gleichfalls  Schüler  des  Ammonios,  der 
sich  mit  Philosophie  und  Grammatik  abgab,  und  von  dem  wir  Kommentare  zu  Analytik, 
Physik,  Meteorologie,  de  gen.  anim.,  de  gen.  et  corrupt.,  de  anim,,  Metaphysik  besitzen; 
Porphyrios  (3.  Jahrb.),  der  eine,  wiederum  durch  Hermeias  eingeleitete  Eiaayojyt]  stg 
Tcig  xcizrjyoQLctg  verfasste;  Dexippos  (4.  Jahrb.),  von  dem  uns  'AnoQua  xal  Xi'aeig  sig  rag 
'AQiaroTsXovg  xaTtjyoQtag  erhalten  sind;  ferner  die  Kommentatoren  der  logischen  Schriften 
Syrianos,  Lehrer  des  Proklos  (kommentierte  von  der  Metaphysik  1.  II.  XII.  XIII),  Am- 
monios, Sohn  des  Hermeias,  Olympiodoros,  Zeitgenosse  des  Simplicius,  David  der 
Armenier  (um  500  n.  Chr.),  Stephanos  (um  ßlO),  der  auch  ein  astronomisches  Lehrbuch 
verfasste  (siehe  Usenek,  De  Stejikano  Alexandrino,  Bonn  1880);  dazu  kommt  Eustratios, 
der  im  12,  Jahrh.  auf  Grund  der  alten  Kommentare  des  Aspasios  die  Ethik  kommentierte. 

Die  langweilige  Litteratur  der  Paraphrasen  wird  eröffnet  durch  Them  istios  (um  400), 
der  Paraphrasen  zu  Anal.  pr.  (unecht  ist  die  zu  Anal,  post.),  Physik,  de  anima.  Parva  Naturalia 
verfasste  (herausgegeben  von  Spengel,  Themistii  puraphrases,  Lips.  1856,  2  vol.).  In  seine 
Fusstapfen  trat  im  Mittelalter  Sophonias,  der  im  Eingang  seiner  Paraphrase  der  Ana- 
lytik den  Themistios  und  Psellos  als  seine  Vorgänger  bezeichnet  und  den  Val.  Rose, 
Herm.  II,  212  in  die  Wende  des  13.  und  14.  Jahrh.  setzt.  Unter  dem  falschen  Namen  des 
Andronikos  oder  Heliodoros  von  Prusa  (über  die  Fälschung  s.  Cohn,  Berl.  Phil.  Woch. 
1889  S.  1419)  geht  eine  Paraphrase  der  nikomachischen  Ethik.  Siehe  im  allgemeinen 
Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  617  ff. 

Ausgabe  der  Scholia  in  Aristotelem  (meist  im  Auszug)  in  dem  4.  Band  der  Berl. 
akad.  Ausgabe  von  Brandts.  —  Eine  neue  vollständige  Ausgabe  Commentaria  in  Aristo- 
telem graeca,  in  25  vol.  von  der  preuss.  Akad.  unter  der  Leitung  von  Torstrik  und  nach 
dessen  Tod  von  Diels  vorbereitet,  ist  unter  Mitwirkung  von  Wallies,  Vitelli,  Busse, 
Hayduck,  Heylbut  im  Erscheinen.  Von  den  lat.  Kommentaren  des  Boetius  ist  erschienen: 
Comment.  in  librum  Aristotelis  ttsqI  8QfX7]vsLag  rec.  Meiser,  in  Bibl.  Teubn.  2  vol. 

Die  Übersetzungen  ins  Syrische,  Arabische,  Lateinische  haben  ihre  Hauptbedeutung 
darin,  dass  einige  Schriften  nur  durch  sie  uns  überkommen  sind,  wie  die  Bücher  neQi 
cfvxMv  durch  eine  arabische,  die  Kommentare  des  Themistios  zu  Metaph.  A  und  de  caelo 
durch  hebräische  Übersetzungen.  Über  die  Thätigkeit  der  Araber  im  Übersetzen  und  Kom- 
mentieren des  Aristoteles  s.  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  II,  307  ff.,  Klamroth  ZDMG.  41,  439. 
Die  latein.  Übersetzungen  beginnen  mit  dem  13.  Jahrh.;  einige  von  ihnen,  wie  die  zur 
Rhetorik  und  Politik,  haben  die  Bedeutung  von  Handschriften,  namentlich  wegen  der  wort- 
getreuen Wiedergabe  des  griech.  Originals.  Der  bedeutendste  Übersetzer  war  der  Domini- 
kanermönch Wilhelm  von  Moerbecke  (um  1260),  der  durch  Thomas  von  Aquin  die 
Anregung  erhielt.  Die  Problemata  sind  übersetzt  von  Barth  olomaeus  Messanius,  Rat 
des  Königs  Manfred  von  Sikilien  (1258-66).  Näheres  geben  Jourdain,  Recherches  sur 
Voricfine  des  traductions  latines  d' Aristot.,  Par.  1819,  ed.  II  1843,  übersetzt  von  Stahr 
1831;  Prantl,  Gesch.  der  Log.  II,  99  ff.  u.  III,  3  ff. ;  v.  Hertling,  Zur  Gesch.  d.  aristot. 
Politik  im  Mittelalter,  Rh.  M.  39,  446-457. 


424  Griechische  Litteraturgeschichte.     I.  Klassische  Periode 

Codices:  ein  kritischer  Apparat  wurde  beschafft  durch  Imm.  Bekker  in  der  von  der 
preuss.  Akad.  ins  Leben  gerufenen  Gesamtausg.  d.  Arist.,  Berol.  1831 — 70.  Ergänzt, 
namentlich  durch  Ausbeutung  der  alten  Kommentare,  teilweise  auch  berichtigt  wurde  der- 
selbe durch  mehrere,  unten  anzuführende  Spezialausgaben  und  durch  die  in  der  Bibl.  Teubn. 
erscheinende  Gesamtausg.  Die  massgebenden  Codd.  sind  in  den  einzelnen  Schriften  ver- 
schieden; ich  nenne  die  besten:  Paris  1741  s.  XI  (^^),  einzige  Textesquelle  für  die  Poetik, 
hauptsächlichste  für  die  Rhetorik;  Paris  1853  s.  XII  (E),  Hauptquelle  für  Physik,  de  caelo, 
de  gen.,  de  an.,  Metaphysik;  Laurent.  87,  12  s.  XII  (A^),  neben  E  Hauptquelle  für  Meta- 
physik, mit  Resten  stichometrischer  Angaben  (s.  Christ,  Sitz.  d.  b.  Ak.  1885  S.  405  ff.) ; 
Marc.  201  s.  X  (B)  und  Urbin.  35  (A),  wichtigste  Codd.  zu  dem  Organon.  Über  12  Pa- 
limpsestblätter  des  Vatic.  1298  s.  X  zur  Politik  s.  Heylbut,  Rh.  M.  42,  102  ff.,  über  einige 
Papyrusblätter  zu  den  Politien  oben  S.  417  An.  2. 

Ausgaben:  ed.  princ.  ap.  Aldum  1495 — 8;  ed.  Bipont.  besorgt  von  Buhle,  1791 
bis  1800,  5  vol.  (blieb  unvollendet);  ed.  acad.  reg.  boruss.,  Berol.  1831—70,  5  vol.  4" 
(nach  ihr  wird  citiert;  die  ersten  2  Bde.,  besorgt  von  Imm.  Bekker,  enthalten  dengriech. 
Text.,  der  3.  Bd.  die  lateinischen  Übersetzungen  von  Pacius,  Argyropylus,  Bessario 
etc.,  der  4.  die  Scholien,  besorgt  von  Brandis,  der  5.  die  Fragmente  nach  der  Rezension 
von  Val.  Rose  und  den  Index  Aristotelicus  von  Bonitz);  ed.  Didotiana,  besorgt  von 
DÜBNER,  Bussemaker,  Heitz,  Paris  1848—74,  5  vol.;  Textesausg.  der  Bibl.  Teubn.  mit 
krit.  Apparat,  besorgt  von  Biehl,  Christ,  Dittmeyer,  Prantl,  Römer,  Rose,  Süsemihl,  noch 
im  Erscheinen.  —  Griech.  und  Deutsch  mit  sacherklärenden  Anmerkungen,  Leipzig  bei 
Engelmann,  besorgt  von  Prantl  (Physik),  Süsemihl  (Politik,  Poetik)  u.  a. 

Hauptsächlichste  Spezialausgaben:  Organon  rec.  comm.  Waitz,  Lips.  1844 — 6,  2  vol.  — 
Meteorologica  rec.  et  comm.  Ideler,  1834 — 6,  2  vol.  -  Arist.  über  die  Farben  erl.  von 
Prantl,  Münch.  1849  —  de  anim.  histor.  rec.  comm.  J.  G.  Schneider,  Lips.  1812,  4  vol.; 
Tiergeschichte  von  Aubert  u.  Wimmer,  Leipz.  1868  —  de  anima  rec.  comm.  illustr.  Tren- 
DELENBURG,  Jena  1833,  ed.  II  cur.  Belger  1877;  rec.  Torstrik,  Berol.  1862.  —  Metaphys. 
mit  Übers,  u.  Kommentar  von  Schw^egler,  Tüb.  1847,  4  Bde.;  rec.  et  enarr.  Bonitz,  Bonn 
1848,  2  vol.,  Hauptausg.  —  Eth.  Nicomachea  rec.  comm.  Ramsauer,  Lips.  1878.  —  Politica 
cum  vetusta  translatione  ed.  Süsemihl,  Lips.  1872;  mit  sacherklärenden  Anm.  von  Süsemihl 
in  Bibl.  Engelm.  1879.  —  Oekonom.  ed.  Göttling,  Jena  1830  —  de  arte  poet.  ed.  ann. 
Tyrwhitt,  Oxon.  1794;  ed.  comm.  G.  Hermann,  Lips.  1802;  rec.  Vahlen  ed.  III,  Lips. 
1885;  mit  sacherklärenden  Anm.  von  Süsemihl,  ed.  II  in  Bibl.  Engelm.  —  Bhetorica  ed. 
comm.  ViCTORius,  Flor.  1648  u.  1679;  ann.  L.  Spengel,  Lips.  1867,  2  vol. 


I 


Zweite  Abteilung. 

Nachklassische  Litteratur  des  Hellenismus. 

A.  Alexandrinisclies  Zeitalter. 
1.  Allgemeine  Charakteristik. 

310.  Mit  dem  Untergang  der  Freiheit  und  Selbständigkeit  der  grie- 
chischen Staaten  war  noch  nicht  das  geistige  Leben  und  die  Litteratur  der 
Griechen  zu  Grabe  getragen;  aber  dem  freien,  selbständigen  Denken  und 
Dichten  war  seit  der  Schlacht  von  Chäronea  die  eigentliche  Lebensader 
unterbunden.  1)  Was  von  da  an  die  Griechen  im  Reiche  des  Geistes  noch 
schufen,  hauchte  nicht  mehr  jene  frohe,  ungebundene  Schaffenslust,  welche 
den  Werken  der  klassischen  Zeit  ihren  unvergänglichen  Reiz  verliehen 
hatte.  Die  geistige  Kraft  des  Volkes,  gelähmt  und  gebrochen,  begnügte 
sich  im  wesentlichen  damit,  die  grossen  Muster  der  Vergangenheit  im  kleinen 
nachzuahmen  und  den  herrlichen  Schatz  der  klassischen  Litteratur  durch 
Sammeln  und  Erläutern  dem  allgemeinen  Verständnis  näher  zu  bringen. 
Die  Gelehrsamkeit,  die  mühsam  erworbene,  auf  kleine  Kreise  beschränkte, 
nicht  auf  das  ganze  Volk  wirkende,  trat  an  die  Stelle  des  von  den  freien 
Gemeinden  getragenen,  mit  den  Festen  des  Volkes  und  der  Öffentlichkeit 
des  politischen  Lebens  verbundenen  Schaffens  und  Dichtens.  Der  Baum 
der  griechischen  Litteratur,  der  einst  so  herrlich  erblühte  und  so  üppige 
Schösslinge  trieb,  war  alt  und  welk  geworden,  so  dass  es  hohe  Zeit  war, 
wenigstens  die  Früchte,  welche  er  in  früheren,  glücklicheren  Zeiten  gereift 
hatte,  einzuheimsen.  Wenn  hie  und  da  noch  ein  grünes  Reis  an  ihm 
emporschoss,  wenn  in  der  Philosophie,  der  Komödie,  der  bukolischen  Poesie 
die  alte  Triebkraft  noch  nicht  völlig  abgestorben  war,  so  verrieten  doch 
diese  späten  Schösslinge  nichts  von  der  Urwüchsigkeit  der  alten  Sprossen 
und  gediehen  obendrein  nur  da,  wo,  wie  in  Athen  und  Syrakus,  der  Boden 
seit  alter  Zeit  vorbereitet  war. 


')  Bergk,  Kl.  Sehr.  II,  533  ff.  lässt  !  beginnen.  Wir  halten  uns  nicht  an  ein 
unsere  Periode  erst  mit  dem  J.  300  oder  bestimmtes  Jahr,  gehen  aber  im  allgemeinen 
mit    der   Begründung    der    Diadochcnrciche   j   von  dem  Tode  Alexanders  aus. 


426  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

Aber  der  Verlust  der  politischen  Freiheit  und  die  dadurch  hervor- 
gerufene Erlahmung  der  Schaffenskraft  des  alten  Griechenlands  bildete  nur 
ein  Moment  in  der  Litteratur  des  alexandrinischen  Zeitalters;  ein  anderes, 
nicht  minder  wichtiges  lag  in  der  Ausdehnung  der  griechischen  Kultur 
über  ihre  alten  natürlichen  Grenzen,  die  mit  Alexander  begann  und  in  den 
hellenistischen  Reichen,  welche  aus  dem  Weltreich  des  grossen  Makedoniers 
hervorgingen,  immer  weitere  Kreise  zog.  Denn  Alexander  hat  nicht  bloss 
die  alten  Reiche  der  Perser  und  Ägyptier  zertrümmert,  er  hat  auch,  indem 
er  die  Fackel  hellenischen  Geistes  vorantrug,  die  weiten  Länder  der  abge- 
storbenen Despotien  zu  neuem  Leben  im  Glänze  des  Hellenentums  erweckt. 
In  Makedonien,  Ägypten,  Syrien,  Kleinasien  entstanden  hellenistische  Reiche, 
deren  Könige  und  Generale  Griechen  oder  doch  Halbgriechen  waren,  deren 
Kraft  in  der  Überlegenheit  der  griechischen  Kultur  ihre  Wurzel  hatte,  in 
denen  sich  vom  Hofe  aus  die  griechische  Sprache  über  die  breiten  Massen 
des  Volkes  verbreitete.  Das  hatte  natürlich  seinen  grossen  Einfluss  nach 
verschiedenen  Seiten.  Einesteils  ward  damit  der  geistige  Horizont  der 
Griechen  bedeutend  erweitert;  in  Masse  flössen  den  Naturforschern  Berichte 
über  seltene  Erscheinungen  in  der  Tier-  und  Pflanzenwelt  zu;  in  neue 
Länder  und  Meere  drangen  wissbegierige  Reisende  vor  und  überraschten 
ihre  Landsleute  mit  den  Beschreibungen  neuerschlossener  Erdteile.  Ward 
mit  den  zahlreichen  Büchern  über  Wunderdinge  (tvsqI  ^avjjiaaicov)  auch  zu- 
nächst nur  der  Neugierde  der  leichtgläubigen  Menge  gehuldigt,  so  ent- 
wickelte sich  doch  däneben  auch  nach  und  nach  der  ernste  Bau  natur- 
wissenschaftlicher, mathematischer  und  geographischer  Wissenschaft.  An 
eigentlichen  Geistesprodukten  fanden  die  Griechen  in  den  Ländern  der  älteren 
Kunst  nichts,  was  sich  mit  ihrer  eigenen  Poesie,  Mythologie  und  Geschichts- 
schreibung messen  konnte;  aber  nichts  desto  weniger  drangen  fremde  Götter- 
gestalten in  den  hellenischen  Olymp  ein  und  mischten  sich  griechische 
Bräuche  mit  orientalischen.  Die  starre  Unterscheidung  von  Hellenen  und 
Barbaren  geriet  ins  Wanken,  noch  ehe  Eratosthenes  förmlich  erklärte,  dass 
dieselbe  auf  einer  kurzsichtigen  Überhebung  der  Griechen  beruhe,  da  viele 
der  Hellenen  schlecht  seien  und  es  unter  den  sogenannten  Barbaren  Leute 
von  feiner  Bildung,  wie  die  Inder  und  Arianer,  und  von  überlegener  poli- 
tischer Tüchtigkeit,  wie  die  Römer  und  Karthager,  gebe.^  Ihren  beredten 
Ausdruck  fand  jene  erweiterte  kosmopolitische  Auffassung  der  Verhältnisse 
in  dem  Historiker  Polybios  und  mehr  noch  in  den  Lehren  der  Stoa. 

311.  Hat  so  die  Ausdehnung  der  hellenistischen  Kultur  zur  Bereiche- 
rung der  Wissenschaft  und  Erweiterung  des  Gesichtskreises  fördernd  bei- 
getragen, so  litt  auf  der  anderen  Seite  unter  jenen  fremden  Einflüssen  die 
Reinheit  des  hellenischen  Geistes  und  die  Keuschheit  der  griechischen 
Sprache.  Die  vielen,  welche  griechisch  reden  und  schreiben  mussten,  ohne 
dass  sie  die  Kenntnis  der  griechischen  Sprache  mit  der  Muttermilch  ein- 
gesogen hatten,  überschwemmten  die  Sprache  mit  Solökismen,  und  auch 
die  geborenen  Griechen  mischten,  nachdem  einmal  die  strenge  Norm  ge- 
fallen war  und  Athens  massgebender  Einfluss  aufgehört  hatte,  aus  der 
laxen  Umgangssprache  Wortformen,    Wörter   und  Konstruktionen  ein,    die 

^)  PJratosthenes  bei  Strabon  p.  66. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter,     1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§  311—318.)     427 

man  bisher  von  der  Schriftsprache  ferne  gehalten  hatte.  So  machte  in  der 
Prosa  der  Historiker,  Philosophen  und  selbst  der  Grammatiker  der  reine 
Attikismus  der  Nachlässigkeit  des  Gemeingriechischen  {Sicclsxtog  xoivi'j) 
Platz.  In  der  Poesie  ward  strenger  und  länger  auf  Korrektheit  und  Schön- 
heit des  Ausdrucks  gesehen,  begegnen  uns  sogar  noch  Gedichte  in  dorischem, 
äolischem  und  ionischem  Dialekt;  aber  das  waren  nur  in  seltenen  Fällen 
die  Mundarten,  welche  die  Dichter  selbst  redeten;  meistens  handelte  es 
sich  dabei  nur  um  affektierte  Nachbildungen  und  dürre  Früchte  der  Schul- 
weisheit. Kurz,  in  allen  Gebieten  trat  auf  der  einen  Seite  Fehlerhaftigkeit 
und  Nachlässigkeit,  auf  der  anderen  Künstelei  und  Spielerei  an  die  Stelle 
natürlicher  Grazie. 

312.  Eine  weitere  natürliche  Folge  der  Errichtung  hellenistischer 
Reiche  war  es,  dass  der  Schwerpunkt  der  griechischen  Litteratur  von  den 
politischen  Zentren  des  alten  Griechenlands  in  die  neuen  Hauptstädte  der 
halbgriechischen  Staaten  verlegt  wurde.  Zwar  blühte  im  Anfang  unserer 
Periode  noch  in  Syrakus  Poesie  und  Geschichtsschreibung  und  behauptete 
Athen  zu  allen  Zeiten,  dank  seinen  Philosophenschulen  und  den  Nach- 
wirkungen alten  Ruhms,  eine  angesehene  Stelle  im  griechischen  Geistes- 
leben. Aber  Sikilien  ging  mit  dem  Ende  des  3.  Jahrhunderts  an  die  Römer 
verloren,  und  in  Athen  flössen  die  materiellen  Mittel,  deren  auch  die  Kunst 
und  Litteratur  nicht  entraten  kann,  von  Jahr  zu  Jahr  dürftiger.  Hingegen 
erfreuten  sich  in  Alexandria,  Antiochia,  Pella  und  Pergamon  die  Dichter, 
Gelehrten  und  Künstler  der  freigebigsten  Unterstützung  gebildeter  und 
ruhmbegieriger  Könige.  Diese  Unterstützungen  förderten  die  Wissenschaft 
und  veredelten  das  Leben  und  dürfen  von  uns  um  so  weniger  verkannt 
werden,  als  wir  ihnen  zumeist  die  Erhaltung  der  kostbaren  Schätze  der 
alten  Litteratur  verdanken;  aber  die  Wissenschaft  und  Litteratur  gerieten 
dadurch  in  ein  persönliches  Abhängigkeitsverhältnis,  das  die  Hoheit  ihrer 
Stellung  um  so  mehr  beeinträchtigen  musste,  als  es  unter  den  Herrschern 
nicht  an  grausamen  und  wollüstigen  Despoten  fehlte.  Keine  fürstliche 
Gunst  aber  vermochte  die  Impulse  zu  ersetzen,  welche  in  der  alten  Zeit 
der  Beifall  und  die  Preise  eines  freien,  kunst-  und  redeliebenden  Bürger- 
tums auf  Dichter  und  Redner  geübt  hatten.  Freilich  wussten  ja  auch  im 
freien  Griechenland  Aristophanes  und  Demosthenes  über  die  Gunstbuhlerei 
der  Demagogen  zu  klagen,  aber  wenn  auch  das  Zugefallenreden  {tu  xccqi- 
^ea^ai  T(p  Srjjjro)  jener  Zeiten  dem  Gemeinwesen  nicht  weniger  geschadet 
hatte,  so  entbehrte  es  doch  der  erniedrigenden  Hässlichkeit  persönlicher 
Schmeichelei  und  verleumderischen  Intrigantentums. 

313.  Hauptsitz  und  gewissermassen  Vorort  der  hellenischen  Gelehrten- 
litteratur  war  Alexandria,  welche  Stadt  der  ganzen  Periode  den  Namen 
gegeben  hat.  Von  Alexander  am  Meere,  an  einem  Arme  der  Nilmündung 
angelegt,  •)  wies  sie  schon  durch  die  Lage  das  neugegründete  Reich  auf 
Griechenland  hin.  Die  Ptolemäer  selbst,  die  Herrscher  des  neuen  Reiches, 
sahen  alsbald  ein,  dass  sie  in  einem  Land  von  uralter  Kultur  zum  Schutze 
ihrer   eigenen  Herrschaft   der   erstarrten  Weisheit   einheimischer  Gelehrten 

')  Kiepert,   Zur  Topographie   des  alten    1    den  Ausgrabungen  von  Mahmud  Bey;  Couat, 
Alexandria,  Berl.  1872,  mit  einem  Plan  nach    j    La  x>oesie  Alcxandrine,  Paris  1882  p.  1—27. 


428 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


die  Pflege  hellenischer  Bildung  entgegensetzen  müssten.  Sie  knüpften  dabei 
an  die  alten  Institutionen  des  Landes  an,  in  welchem  seit  unvordenklichen 
Zeiten  die  bevorzugte  Klasse  der  Priester  einem  beschaulich  gelehrten 
Leben  oblag.  ^)  Den  Grund  zu  den  neuen  wissenschaftlichen  Instituten  legte 
schon  der  erste  Ptolemäer,  Sohn  des  Lagos,  der  den  gelehrten  Peripatetiker 
Demetrios  von  Phaleron  nach  Alexandria  zog  und  nach  dessen  Ratschlägen 
mit  der  Gründung  grossartiger  Büchersammlungen  und  stiller  Musensitze 
begann.  In  die  Fusstapfen  seines  Vaters  trat  Ptolemaios  Philadelphos 
(284 — 247),  der,  weniger  durch  kriegerische  Verwicklungen  in  Anspruch 
genommen,  die  reichen  Hilfsmittel  des  Landes  ganz  den  friedlichen  Be- 
strebungen zuwenden  konnte  und  als  der  eigentliche  Vater  der  wissen- 
schaftlichen Schöpfungen  des  Museums  und  der  beiden  Bibliotheken  galt.  2) 
Gleiche  Liebe  für  die  Wissenschaft  bethätigte  sein  Nachfolger  Ptolemaios 
Euergetes  (247 — 221),  indem  er  insbesondere  den  mathematischen  und  geo- 
graphischen Forschungen  seine  freigebige  Unterstützung  lieh.  Nicht  gleiches 
Lob  verdienten  als  Regenten  die  nachfolgenden  Ptolemäer,  Ptolemaios 
Philopator  (221—204),  Ptolemaios  Epiphanes  (204—181),  Ptolemaios  Philo- 
metor  (181  — 146),  Ptolemaios  Physkon  (146 — 117),  doch  hielten  auch  sie 
an  dem  Vermächtnis  ihrer  Väter,  der  Pflege  wissenschaftlicher  Bestrebungen, 
fest,  und  liebte  es  namentlich  Ptolemaios  Physkon,  der  im  übrigen  ein 
grausames  Regiment  führte,  sich  mit  seinem  gelehrten  Hofhalt  an  der 
Besprechung  kritischer  und  litterarischer  Streitfragen  zu  beteiligen. 

314.  Bibliotheken  wurden  in  Alexandria  zwei  gegründet, 2)  eine  in 
Verbindung  mit  dem  Museum  beim  königlichen  Schloss,  und  eine  andere 
beim  Serapistempel  (Serapeum)  im  Quartier  Rhakotis.  Ihrer  Bereicherung, 
Ordnung,  Katalogisierung  galten  vorzugsweise  die  Bemühungen  der  Könige 
und  Gelehrten.  Mit  Ehrlichkeit  und  Treue  nahm  man  es  dabei  nicht  allzu 
genau;  so  entlieh  Ptolemaios  Euergetes  von  Athen  gegen  ein  Depositum 
von  15  Talenten  das  Staatsexemplar  der  3  grossen  Tragiker,  um  davon 
Abschriften  für  die  Bibliothek  machen  zu  lassen,  behielt  aber,  nachdem  er 
die  Abschriften  gemacht,  das  Original  für  sich  und  schickte  den  Athenern 
nur  eine  Abschrift  zurück.'^)  Die  Herstellung  von  Repertorien,  in  denen 
Autor,  Titel,  Zeilenzahl  genau  angegeben  waren,  bildete  eine  Hauptaufgabe 
der  Bibliothekare."^)  Natürlich  galt  es  dabei  nicht  einfach  zu  registrieren, 
sondern  auch  zu  prüfen,  zumal  infolge  der  hohen  Angebote  der  Könige  sich  die 
Zahl  der  untergeschobenen  Schriften  mehrte.*^)  Die  Stelle  eines  Vorstandes  der 


'}  Aristot.  met.  I,  1 :  n€Qi  AXyvmov  al 
fxaS^7]^uaTixccl  ttqmtop  ri^vai  avpearrjaau  '  ixsc 
ydq  dcpeid^f]  o^oldl^siv  ro  tiov  IsQewv  eS^yog. 

2)  Atli.  203  e  mit  Bezug  auf  unseren 
Ptolemaios:  nsgl  de  ßißXLtoy  nl'^&ovg  xal 
ßi,ßhoS^7]X(x)i'  xataoxsvrjg  xal  rijg  sig  ro  Mov- 
GBiov  awayoyyrjg  zi  JsT  xal  Xeysiv  näai  rov- 
riov  oPTiov  xazd  fxvrj^rjv ;  Syncellus  p.  271: 
fxvQiddag  ßißXiüjy  i  dneS^ETo  xaxd  jijy  ^JXe- 
^dvdQSiav  SU  rarg  xm^  avrov  avatdaaig  ßtßXio- 
^tjxatg.  Tzetzes  gibt  die  Bücherzahl  bei 
einer  zwischen  Ol.  123  und  135  vorgenom- 
menen Schätzung  auf  42,800  in  der  äusseren, 
und  490,000   in   der  inneren  Bibliothek,  zu- 


sammen 532,800  Rollen  an;  s.  Ritschl,  Die 
alexandrinischen  Bibliotheken,  Opusc.  I,  8  ff. 

""')  Ritschl,  Die  alexandrinischen  Biblio- 
theken in  Opusc.  I,  1  —  112;  Parthey,  Das 
alexandrin.  Museum,  Berl.  1838;  Klippel, 
Über  das  alexandrin,  Museum,  Gott.  1838; 
Demetriades.  IffzoQixou  doxi^iov  rvou  'JXs- 
^av^QELMV  ßißhod^rjxöiv,  Leipz.  1871;  Couat, 
Le  musee  d'  Alexandrie,  Annales  de  Bor 
deaux,  I,  1879  S.  7-28. 

4)  Galen  t.  XVII  p.  607  K. 

^)  BiRT,  Das  antike  Buchwesen  S.  485  ff. 

^)  Galen  in  Hippocr.  de  nat.  hom.  I,  42 
t.  XV    p.  105  K.:    la^ßdvsip    (f'    aQ^a^evoiV 


A.  Alexandriuisches  Zeitalter.    1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§  314.)      429 


Bibliothek  galt  als  die  höchste  in  der  Gelehrtenhierarchie  Alexandriens.  Die 
gefeiertsten  Gelehrten,  Zenodot,  Kallimachos,  Eratosthenes,  Apollonios,  Aristo- 
phanes,  Aristarch  versahen  hintereinander  das  Amt  eines  Bibliothekars,  i) 
Der  Verwertung  der  Schätze  der  Bibliothek  durch  Herstellung  kritisch 
gesichteter  Textesausgaben  [ix^dasig,  diogMasig)  und  Erläuterung  schwie- 
riger Stellen  (vTrofjivrjfxaTa)  waren  vorzugsweise  die  Bemühungen  der  Ge- 
lehrten zugewendet.  Daneben  lebten  dieselben  dem  Unterricht  und  der 
Prinzenerziehung.-)  Die  Aufgabe  des  Unterrichtens  führte  dann  von  selbst 
zur  Abfassung  grammatischer  Lehrbücher  und  zur  Auswahl  lesenswerter 
klassischer  Dichter  in  massgebenden  Verzeichnissen  {xavovsg).^)  Die  alte 
Vorstellung,  als  ob  die  Grammatiker  Aristophanes  und  Aristarch  in  speziellen 
W^erken  einen  solchen  Kanon  aufgestellt  und  begründet  hätten,  haben 
zwar  neuere  Untersuchungen  als  irrig  erwiesen;^)  aber  die  ästhetische  Be- 
urteilung {xQiaig)^)  und  in  Verbindung  damit  die  Auswahl  der  empfehlens- 
wertesten Dichter  und  Autoren  ging  doch  von  Alexandria  und  dem  Gram- 
matiker Aristophanes  von  Byzanz  aus.  Nach  anderer  Richtung  wurde  die 
Thätigkeit  der  Gelehrten  für  Übersetzung  fremder  Schriften  ins  Griechische 
in  Anspruch  genommen.  Teils  verlangten  die  Griechen  aus  Wissbegierde 
die  heiligen  Bücher  und  Überlieferungen  anderer  Völker,  namentlich  der 
Ägyptier,  Juden,  Babylonier  kennen  zu  lernen,  teils  führte  das  Zusammen- 
strömen der  verschiedenartigsten  Menschen  in  der  Weltstadt  Alexandria 
zum  gegenseitigen  Austausch  der  Sprachen.^)  Eine  besondere  Rolle  spielten 


fiia&oy  Tcoy  xofiitiörroyv  avxoTg  avyyQafXfxa 
nccXciiov  xivog  dvögog,  ovTcog  rjdt]  7io}.Xc(  xpev- 
ö'cog  snoyQÜcfopTsg  exofxiCoy.  Vgl.  M.  H.  E. 
Meier,  Opusc.  I,  78  ff. 

^)  Über  die  Zeit  der  Bibliothekare  bei 
RiTscHL  I,  72  f.  und  Seemann,  De  primis 
sex  bihliothecae  Alexandrinae  custodibus, 
Essen  1859.  Annähernd  lässt  sich  die  Zeit 
der  einzelnen  Bibliothekare  dahin  bestimmen: 
Zenodot  285—260,  Kallimachos  260-235, 
Eratosthenes  235—204,  Apollonios  204—200, 
Aristophanes  200—185,  Aristarch  185-150. 

^)  Als  Prinzenerzieher  bezeichnet  Suidas 
speziell  den  Zenodot  und  Aristarch. 

^)  Quintil.  X,  1.  54:  Äpollonius  in  or- 
dinem  a  grammaticis  datum  non  venu,  quia 
Aristarchus  atque  Aristophanes  neminem 
sui  temporis  in  numerum  redegerunt;  vgl. 
I,  4.  3.  Erhalten  sind  uns  2  nur  zum  Teil 
übereinstimmende  Verzeichnisse  der  besten 
Schriftsteller  der  einzelnen  Redegattungen, 
eins  von  Montfaucon  aus  der  Bibl.  Coislin. 
veröffentlichtes,  und  ein  anderes  von  Gramer, 
An.  Par.  IV,  197  aus  der  Bibl.  Bodleiana 
ans  Licht  gezogenes,  beide  abgedruckt  bei 
Steffen,  De  canone  qui  dicitur  Aristophcmis 
et  Aristarchi,  Leipzig  1876.  Ausserdem 
kommen  in  Betracht  die  rhetorischen  Schriften 
des  Dionysios  Halic,  das  10.  Buch  Quinti- 
lians,  Velleius  I,  16,  Proklos'  Chrestomathie 
und  Tzetzes'  Proleg.  zu  Lykophrons  Alexandra. 
Der  von  Montfaucon  veröffentlichte  Kanon 
lautet;   tjsqI  noitjTioy  '  <inidy>  noitjrccl  nivxe' 


^'Ojur]Qog,  "Hfflodog,  JlELffccy&Qog,  Tlavvaaig,  ^Avti- 
f^cc/og  /lafißLXol  rgstg  '  Iifxo)yLÖ7]g,  'jQ/iXo/og, 
'InTKoyu^  .  TgayM^onoiol  nevis  '  Jia/vXog,  ^'o- 
cpOTcXfjg,  Et>Qi7iiö'f]g,'I(oy/J/ciL6g  .  KiofxcodoTiotol 
ccQ/alag  inrd  •  'Enix^^Qf^og,  KqaxTyog,  EvnoXig, 
^jQiaxocpdyijg,  4>6QSXQäxr]g,  KQcht]g,  nXcacop  • 
fj.£<Jr]g  x(ofX(x)&lag  dvo  '  'JyxKfdyrjg,  "AXe^tg  6 
QovQiog  '  yeicg  XMfXM^lag  neyxe  '  Me'yayJ'Qog, 
4>iXiTi7TL^r}g,  Ji(piXogy  ^iXi^^itty,  'jnoXXodiOQog  . 
'EXeyeiioy  noirjxcd  XEOoaQsg  '  KaXXTvog,  M'i^- 
veQfj,og,  4>iXrjxag,  KaXXi/aaxog  .  Avqixol  iyyea' 
'AXx^udy,  ^AXxacog,  luncpo},  Ixtial/ofiog,  Uiv- 
ddQog,  BaxxvXidi]g,  ^'Ißvxog,  Uyaxgeioy,  Iifiix)- 
y'i^rjg  .  'PtjXOQsg  cTex«  •  J7]fxood^ey^]g,  Avaiag, 
YnsQeidijg,  'laoxgdxrjg,  Aia/ip7]g,  Avxovqyog, 
'laaXog,  'Ayxicpioy,  'Aydoxiö'tjg,  AsiyaQ/og  . 
'laxoQixol  ^exa  •  0ovxv&ldf]g,  HQodoxog,  Seyo- 
Cpöjy,  'PiXiGxog,  Geono/nnog,  ^'Ecpogog,  ' Aya- 
^ifxeyf]g,  KaXXiad^aytjg,  'EXXdyixog,  JToXvßiog. 

^)  Die  übertriebeaen  Vorstellungen,  von 
denen  Ruhnken,  Hist.  crit.  oratorum  grae- 
corum  ausging,  wurden  stark  reduziert  von 
Bernhardt,  Wissenschaftliche  Syntax  der 
griech.  Sprache  S.  31  und  Ferd.  Ranke,  De 
Aristophanis  vita  p.  104  ff. 

-')  -Mit  dem  technischen  Ausdruck  XQiaig 
X(oy  noLrjjbidxMy,  womit  die  Alten  einen  Teil 
der  grammatischen  Aufgaben  bezeichneten, 
hängen  die  Wörter  iyxQiyeiy  und  ixxgiysiy 
(Suidas  unter  JelyccQxog.  Phot.  cod.  Ol)  zu- 
sammen. 

^')  Syncelhis  p.  271  von  Ptolemaios 
Philadelphos:    ndyiojy  'EXh]viüy   re  xcd  X«A- 


430 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


dabei  die  Juden,  welche  seit  alters  viel  in  Ägypten  verkehrten,  und  auf 
deren  Anhänglichkeit  die  Ptolemäer  wegen  der  unaufhörlichen  Streitig- 
keiten mit  Syrien  grossen  Wert  legten.^)  So  entstand  unter  Ptolemaios 
Philadelphos  die  Bibelübersetzung  der  sogenannten  Siebenzig,^)  und  ent- 
wickelte sich,  indem  die  Juden  Alexandriens  griechisch  zu  reden  und  griechi- 
sche Bildung  in  sich  aufzunehmen  begannen,  eine  spezielle  Gattung  jüdisch- 
hellenistischer Bildung.  Dieselbe  hat  ihre  grosse  Rückwirkung  auf  die 
griechische  Welt  erst  in  der  folgenden  Epoche  durch  den  alexandrinischen 
Philosophen  Philon  geübt;  aber  auch  schon  in  unserer  Periode  suchten  die 
hellenistischen  Juden  in  ihrer  rührigen  und  eingebildeten  Art  allerlei  Ver- 
bindungsfäden  anzuknüpfen. 3)  Insbesondere  war  es  der  jüdische  Peripatetiker 
Aristobulos  (um  150  v.  Chr.),  der  in  seinem  Kommentar  zum  Pentateuch, 
um  die  Anfänge  der  hellenischen  Weisheit  auf  die  Bibel  zurückzuleiten, 
sich  nicht  scheute,  dem  Orpheus,  Linos  und  Hesiod  eine  Masse  erdichteter 
Verse  unterzuschieben.  4) 

315.  Aber  nicht  bloss  Aufgaben  stellten  die  Könige  Ägyptens  den 
Gelehrten,  sie  suchten  ihnen  auch  eine  sorgenfreie  Stellung  zu  gewähren, 
damit  dieselben  ganz  der  Wissenschaft  leben  könnten.  Einzelnen  hervor- 
ragenden Gelehrten  bewilligten  sie  Jahresgehalte  {(TvvTa^sig).^)  Dieselben 
waren  mitunter  sehr  freigebig  bemessen;  so  bezog  Panaretos  von  Ptole- 
maios Euergetes  einen  solchen  von  12  Talenten,  ß)  Den  Bedürfnissen 
einer  grösseren  Zahl  war  im  Musenhaus  {MovasToi')  vorgesehen,'^)  einem 
weitläufigen,  um  den  Tempel  der  Musen  gruppierten  Gebäudekomplex 
bei  dem  königlichen  Palast,  in  welchem  die  Gelehrten  zu  gemeinsamen 
wissenschaftlichen  Besprechungen  zusammenkamen  und  freier  Verpflegung 
{rj  ev  iiovasuf)  aiT\](ng)  sich  erfreuten.^)  Diese  grossen  wissenschaftlichen 
Institute,  die  Bibliotheken  und  das  Museum,  überdauerten  die  Herrschaft 
der  Ptolemäer;  zwar  ging  unter  Cäsar  ein  grosser  Teil  der  inneren  Biblio- 
thek in   Flammen    auf,    aber    der  Verlust  wurde    durch   Überführung   der 


(falcoy  Aiyvnritoy  re  xal  PM^cdoii'  rag  ßißXovg 
Gv'kXe'^t'i^evog  xal  fxsracfQdaag  rag  dXko- 
yXioaaovg  sig  rrjv  EXXdda  yXiuaaai^  [xvQiddag 
ßLß?d(Jüy  i    dned^sxo. 

^)  Strabon  bei  losephus  Ant.  lud.  14,  7: 
iv  Atyvnro)  xaroixia  rcop  'lovdaiajy  eazip 
dnodedeiyutv^]  X^Q^  xcd  Ttjg  tmp  'JXe^ar- 
(fgetüf  TToXfw?  dcpojQiaro  fxeya  fxsQog  no  eS^pei 
rovzh). 

''')  Euseb.  ad  Ol.  124:  Tlzole^alog  6  ^i- 
XddsXcpog  Tovg  x«t'  Jiyvmou  ai'/^aXcorovg 
^lovifaiovg  vno  UTolsfxaiov  rov  natQog  avxov 
yevo^xtvovg  i^svxHgovg  dvrjxsv  .  .  .  rag  'lov- 
daicoy  yQacpdg  ex  jfjg  'EßQaiwp  (poivfjg  elg 
xrjv  ^EXXdda  fxeraßlrid^rjvav  ianovdaas  dt« 
XMV  ißdofxijxopra  cfi'o  naQ^  'Eßgaioig  oocpüjv, 
EV  <f>dQ(p  rfj  p7Ja(ü  JlQ(or€(t}g  ev  oß'  oXxoig 
ttvrovg  dnoxXeloag,  xal  ev  raig  xard  rrjv 
' AXs^dv^Qeiav  xaraaxevaa&eloaig  avrw  ßißXio- 
■d^ijxaig  dnix^ero  fxerd  rcSv  dXXajv  nXeiarcov 
dno  exdarr]g  noXeoog  qjOQoXoyrjaag  nayroiMv 
ßißXiwv.  Ähnlich  Epiphanios  bei  Lagarde, 
Symmicta  II,  155  f.  Kritische  Ausgabe  der 
Septuaginta  von  Tischendorf-Nestle,   Vetus 


Testamentum  graece  iuxta  LXX  interpretes, 
Lips.  1887;  der  Ecciesiasticus  ist  uns  nur 
durch  die  Septuaginta  erhalten,  da  der 
hebräische  Text  verloren  gegangen  ist. 

s)  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  IIP,  2.  242  ff. 

^)  Valckenaer,  Diatrihe  de  Aristohulo 
Judaeo,  ed.  Luzac,  LB.  1806;  vgl.  Phocyl- 
lidea  oben  §  89  und  Zeller,  Philos.  d.  Gr. 
IIF,  2.  258  f.  Bergk,  Gr.  Lit.  IV,  534  hält 
die  durch  Clemens  u.  Eusebios  uns  erhaltenen 
Fragmente  für  die  Fälschung  eines  jüngeren, 
aber  noch  vor  Philon  lebenden  Litteraten. 
Die  Zeit  des  Aristobulos  fiel  unter  Ptolemaios 
Philometor. 

^)  Nach  Ath.  494a  zahlte  Ptolemaios 
Philadelphos  5  Gelehrten  (Soter,  Sosigenes, 
Bion,  Apollonios,  Dion)  Jahresgehalte. 

6)  Ath.  552  c. 

7\  Klippel  a    0 

«)  Timon  bei  Ath.  22  d;  Strabon  p.  793. 
In  einem  Epigramm  der  Memnonstatue  CIG. 
4748  =  Kaibel  ep.  gr.  1009  nennt  sich  ein 
'jQsTog  "^OfxrjQixog  noirjrrjg  ex  Movaeiov. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§  315—316.)      431 


pergamenischen  Bibliothek  nach  Alexandria  und  durch  neue  Abschriften 
wieder  ersetzt,  und  der  Ruhm  der  alexandrinischen  Gelehrsamkeit  erhielt 
sich  auch  noch  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  römischen  Kaiserzeit.  Erst 
durch  wiederholte  Brände  und  den  Bürgerkrieg  unter  Aurelian,  zuletzt 
gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  durch  die  Streitigkeiten  der  Christen  und 
Griechen  unter  Theodosius  ging  die  alte  Herrlichkeit  gänzlich  unter. 

316.  Mit  Alexandria  wetteiferte  seit  dem  Ende  des  3.  Jahrhunderts 
in  der  Förderung  der  Wissenschaft  und  Kunst  Pergamon,  die  Hauptstadt 
des  Reiches  der  Attaliden.  Begründet  war  der  Ruhm  von  Pergamon  durch 
Attalos  I.  (241  —  197),  der  die  Gallier,  welche  jahrzehntelang  weit  und 
breit  die  hellenischen  Staaten  gebrandschatzt  hatten,  in  entscheidenden 
Kämpfen  niederwarf  und  dann  in  Pergamon  eine  neue  Stätte  hellenischer 
Bildung  aufrichtete.  Das  Vermächtnis  des  Vaters  ehrten  die  beiden  Söhne 
Eumenes  IL  (197—159)  und  Attalus  IL  Philadelphos  (159-138);  auch 
nachdem  der  in  thatenlose  Schwermut  versunkene  Attalus  III.  sein  Reich 
den  Römern  vermacht  hatte  (133),  behauptete  Pergamon  noch  bis  in  den 
Beginn  der  römischen  Kaiserzeit  hinein  sein  Ansehen  als  Sitz  der  Gelehr- 
samkeit und  Kunstpflege.  9  Die  wissenschaftlichen  Anstalten  Pergamons 
waren  im  wesentlichen  denen  Alexandriens  nachgebildet.  Die  Hauptsache 
war  auch  hier  die  Bibliothek,'^)  die  200,000  Bände  umfasste,  als  sie  von 
Antonius  der  Kleopatra  geschenkt  und  nach  Alexandria  gebracht  wurde.  •^) 
Der  Eifer  der  Könige,  sie  zu  vermehren,  hatte  unter  Eumenes  IL,  als  die 
Ptolemäer  aus  Eifersucht  die  Ausfuhr  des  Papyrus  untersagten,  zur  Ein- 
führung des  Pergamentes  geführt.^)  Den  Gelehrten,  unter  denen  Krates 
eine  hervorragende  Stellung  einnahm,  lag  die  Anlage  von  Katalogen  ob, 
die  neben  denen  der  alexandrinischen  Bibliothek  eine  Hauptquelle  der 
Litterarhistoriker  bildeten.-^)  Auch  für  naturwissenschaftliche  Sammlungen 
sorgten  die  pergamenischen  Könige:  im  Vorhofe  der  Königsburg  war  ein 
vielbewunderter  Erdglobus  aufgestellt;  der  König  Attalus  I.  hatte  selbst 
ein  geographisches  Buch  hinterlassen. ß)  Die  Richtung  der  Studien  war  in 
Pergamon  nicht  ganz  die  gleiche  wie  in  Alexandria.  Zwar  überwogen  auch 
hier  die  Beschäftigungen  mit  Grammatik  und  Dichtererklärung,  aber  ohne 
dass  daraus  Männer  vom  Scharfsinn  eines  Aristarch  oder  der  Gelehrsamkeit 
eines  Eratosthenes  hervorgegangen  wären.  Aber  im  übrigen  wehte  in  der 
Hauptstadt  Mysiens  ein  freierer  Geist  als  in  Alexandria,  das  sich  dem  dumpfen 


^)  Wegener,  De  aula  Attalica  artium- 
que  fautrice,  Ilaun.  1836. 

2)  Die  Räume  derselben  sind  jetzt  wieder 
aufgedeckt  worden;  s.  Conze,  Die  perga- 
menische  Bibliothek,  Stzb.  d.  pr.  Ak.  1884 
S.  1259-70;  sie  bildete  einen  Anhang  zum 
Tempel  der  Athena  Polias;  vgl.  Tkendelen- 
BURG  in  Baumeister's  Denkm.  II,  1222. 

^)  Plut.  Anton.  58:  Kcdoviaiog  de  Kai- 
aciQog  ercci'Qog  sri  xcd  xavra  roHy  eig  K^so- 
TidiQav  6yxX')]^u((T(oy  ' Jfxwpio)  TJQOvcpSQS  /cc- 
QiaaaO^cti  fxsp  ((vrfj  rag  ix  ihgycciuov  ßißXio- 
i^ijxccg,  EP  (dg  eXxoai  ^vQiddeg  ßißXlwy  anXccip 

^)  Plinius  N.  H.  XllI,  21 :  chartam  Äle- 


xandri  Magni  victoria  repertam  auctor  est 
M.  Varro  condita  in  Aecjypto  Alexandria 
. . .  mox  aemulatione  circa  bibliothecas  recfum 
Ptolemaei  et  Eumenis  supprimente  Chartas 
Ptolemaeo  idem  Varro  memhranas  Pergami 
tradit  repertas.  Die  Richtigkeit  dieser  An- 
gabc wird  bestritten  oder  doch  beschränkt 
von  BiRT,  Das  antike  Buchwesen  S.  52  ff. 

^)  Dionys.  de  Dinarcho  1 :  ((^a  de  oqmp 
ovdep  ciXQißeg  ovre  KaXXi^a^op  ovre  rovg 
ex  JJeQydfxov  yQCiUfxarixovg  -negl  avroi~)  yQc'c- 
xpavrag.  Vgl.  Brzoska,  De  canone  dccem 
oratorum  aitic,  Breslau  1883  p.  50  ff. 

c)  Strab.  p.  003. 


432  Griechische  Litteratnrgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

Einfluss  ägyptischen  Priestertums  nie  ganz  entziehen  konnte.  Die  Attaliden 
unterhielten  engere  Beziehungen  zu  Athen  und  entnahmen  von  dort  die 
Liebe  zur  Kunst  und  die  Neigung  zu  philosophischen  und  rhetorischen 
Studien.  Die  Weihgeschenke  des  Attalos  auf  der  Akropolis  von  Athen 
und  der  grosse  Altar  auf  der  Burg  in  Pergamon  zeugen  heutzutag  noch 
von  dem  kunstliebenden  Sinn  der  Pergamener,  und  zur  glänzenden  Blüte 
der  Beredsamkeit  in  Rom  hat  auch  Pergamon  sein  Seh erf lein  beigesteuert. 
Denn  Pergamon  begünstigte  im  Gegensatz  zu  Alexandria  die  Studien  der 
Rhetorik  und  ästhetischen  Kritik,  und  durch  pergamenische  Grammatiker 
und  Rhetoren  wurden  die  gleichen  Studien  in  Rom  geweckt,  i) 

317.  Schon  ehe  Pergamon  in  die  Arena  der  Konkurrenz  eintrat, 
wetteiferten  andere  Residenzstädte  der  Diadochenreiche  mit  Alexandria. 
Antiochia  in  Syrien,  die  Hauptstadt  des  Reiches  der  Seleukiden,  ward 
von  ihrem  Gründer  Antiochos  d.  Gr.  (224—187)  mit  Bibliothek,  Theater, 
Zirkus  und  Kunstwerken  ausgestattet.  Der  Bibliothek  stand  der  kenntnis- 
reiche und  formgewandte  Dichter  Euphorien  aus  Chalkis  vor,  den  Antiochos 
um  220  nach  Antiochia  berufen  hatte.  Auch  der  Dichter  Hegesianax  und 
Aratos  weilten  eine  Zeitlang  an  dem  Hofe  der  syrischen  Könige.  Aber 
freier  Geist  und  freie  Wissenschaft  konnten  in  der  Umgebung  der  despoti- 
schen Regenten  Syriens  nicht  gedeihen.  Antiochia  hat  durch  die  erste 
Philosophenverfolgung  eine  traurige  Berühmtheit  erlangt;  der  famose  Erlass, 
womit  Antiochos,  man  weiss  nicht  welcher,  die  Jugendverderber  aus  Stadt 
und  Land  verwies,  ist  uns  noch  bei  Athenaios  p.  547  erhalten.  Von  der 
Launenhaftigkeit  am  fürstlichen  Hofe  zeugt  auch  die  Anekdote  bei  Lukian, 
pro  imag.  5,  wonach  Stratonike,  die  Gemahlin  des  Seleukos,  die  infolge  einer 
Krankheit  kahlköpfig  geworden  war,  einen  Preis  für  das  beste  Lobgedicht 
auf  ihr  Haar  aussetzte. 

Auch  der  kunstliebende  König  Antigenes  Gonatas  von  Makedonien 
(275  —  239)  machte  seine  Residenz  Pella  zum  Sammelplatz  von  Dichtern 
und  Philosophen.  Insbesondere  lebten  längere  Zeit  in  Makedonien  Aratos 
und  Alexander  Aetolus,  und  pflegte  der  König  freundschaftliche  Beziehungen 
zu  den  Stoikern  Zenon  und  Persaios.  Eine  dauernde  Bedeutung  gewann 
aber  Pella  für  die  Entwicklung  der  Litteratur  und  Gelehrsamkeit  nicht. 

Auch  einzelne  Freistaaten  haben  in  unserer  Epoche  den  Ruhm  gesucht, 
als  Pflegestätten  der  Bildung  und  Gelehrsamkeit  gepriesen  zu  werden,  so 
ausser  Athen  noch  besonders  Rhodos,  dessen  berühmte  Männer  Strabon 
p.  655  aufzählt,  und  Tarsos  in  Kilikien,  dem  derselbe  Strabon  p.  673  ob 
der  Sorge  für  philosophische  und  enkyklopädische  Bildung  das  glänzendste 
Zeugnis  ausstellt.  Sikilien  und  Syrakus  blieben  auch  in  unserer  Periode 
hinter  ihrem  alten  litterarischen  und  künstlerischen  Rufe  nicht  zurück, 
aber  ihre  Kultur  begann  früh  unter  den  Füssen  des  rohen  Eroberers  zer- 
treten zu  werden. 

318.  Ein  Hauptcharakterzug  der  Litteratur  unserer  Periode  ist  die 
Neigung  zur  Polymathie,  der  sich  nicht  bloss  die  eigentlichen  Grammatiker, 
sondern  auch  die  Philosophen  zuwandten.  Da  so  die  Forderung  der  Genialität 
und  Formvollendung   zurücktrat  und   das   stoffliche  Interesse   sich  in   den 


1)  Brzoska  a.  0.  75  ff. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  317—320.)  433 

Vordergrund  drängte,  so  konnten  auch  untergeordnete  Geister,  wenn  sie 
nur  den  nötigen  Fleiss  mitbrachten,  an  der  Lösung  der  gestellten  Aufgaben 
in  Grammatik,  Litteraturgeschichte,  Altertumswissenschaft,  Mathematik 
mitarbeiten.  Forscher  und  Arbeiter  erzeugte  auf  diese  Weise  das  Zeitalter 
in  Masse,  hervorragende  Schriftsteller  kaum  einen.  Ganze  Gebiete  der 
Litteratur  blieben  brach  liegen,  wie  die  Beredsamkeit,  oder  fanden  nur 
wenige  Bearbeiter  von  Bedeutung,  wie  die  Geschichtsschreibung.  In  jenem  Zug 
zur  stofflichen  Vielwisserei  war  es  auch  begründet,  dass  die  Prosa  sich 
immer  mehr  breit  machte  und  die  Poesie  in  den  Hintergrund  drängte. 
Doch  gilt  das  letztere  mehr  von  den  2  letzten  Jahrhunderten  unseres  Zeit- 
alters. Im  3.  Jahrhundert  oder  im  Beginne  der  Diadochenzeit  ward  die 
Kunst  der  Versifikation  noch  hoch  gehalten,  so  dass  auch  Gelehrte  und 
Bibliothekare,  wie  Kallimachos,  ApoUonios,  Eratosthenes  Verse  schmiedeten 
und  in  den  litterarhistorischen  Aufzeichnungen  zugleich  als  yquiiiiaTixoC 
und  irtoTcoioi  oder  slsysionoioi  aufgeführt  werden.  Und  wenn  auch  das 
meiste  in  der  alexandrinischen  Poesie  unnatürlich  und  ungeniessbar  war, 
so  dass  wir  den  Verlust  desselben  nicht  besonders  zu  beklagen  haben,  so 
hat  doch  auch  dieses  Zeitalter  einige  köstliche  Früchte  gereift,  wie  ins- 
besondere in  der  Gattung  des  Idylls  und  der  Elegie,  um  von  den  geist- 
reichen Schöpfungen  der  neuen  Komödie,  die  doch  auch  zum  grössten  Teil 
in  unsere  Periode  hereinragen,  ganz  zu  schweigen. 

2.  Die  Poesie.  0 

319.  In  der  klassischen  Zeit  hatten  sich  die  Dichter  streng  nach  den 
Gattungen  der  Poesie  geschieden.  Jetzt,  wo  nicht  mehr  die  poetische  Ader 
und  die  göttliche  Begeisterung  den  Dichter  machten,  wo  das  Dichten  zur 
Kunst,  zur  Gewandtheit  in  der  Versifikation  herabgesunken  war,  fielen 
auch  jene  Schranken  und  wandelten  nicht  bloss  Jugenderzieher  und  Gram- 
matiker in  dem  Haine  der  Musen,  sondern  versuchte  sich  auch  ganz  in 
der  Regel  ein  und  derselbe  Versifikator  im  Epos  zugleich  und  in  der  Elegie, 
manchmal  auch  noch  im  Drama.  Unter  solchen  Umständen  möchte  man 
leicht  bei  Aufzählung  der  Dichter  unserer  Periode  von  den  Gattungen  der 
Poesie  ganz  absehen  und  sich  lediglich  an  die  zeitliche  Folge  halten. 
Gleichwohl  habe  ich  der  Übersichtlichkeit  halber  die  Scheidung  nach  Dicht- 
gattungen beibehalten  und  dabei  die  einzelnen  Dichter  da  eingereiht,  wo 
das  Schwergewicht  ihrer  Leistungen  zu  liegen  schien.  ^)  Zugleich  aber 
erlaubte  ich  mir,  an  derselben  Stelle,  um  das  Bild  nicht  zu  zerstreuen, 
alles  das  anzuführen,  was  der  betreffende  in  anderen  Spielarten  der  Poesie 
oder  auch  auf  dem  Gebiete  der  gelehrten  Forschung  geleistet  hat. 

a.  Die  Eleg'ie  und  das  Epig'ramm.^) 

320.  Im  Vordergrund  des  poetischen  Schaffens  unserer  Periode  stund 


')  Meineke,  Analccta  Alexandrina,  Be-  1  unter  Befolgung   eines  Winkes   meines   lle- 

rol.  1843.  --  CouAT,  La  poesie  Alexandrwe  !  censenten  (Crusius)  im  Centr.  Bl.  die  Elegie 

souslestrois 2)'i'e')tiiers  Ptolemees,  Var.  1882. —  vorangestellt. 

Gercke,   Alexandrinische    Studien,    Rh.    M.  i  ^)  Härtung,  Die  griechischen  Elegiker, 

42/44  (übersubtil).  j  Leipz.    1859,    2  Bde.     Die   Fragmente   auch 

'^)  Ich  habe   nur   in   der  neuen  Auflage  \  bei  Bergk  PLG.  und  Anth.  lyr. 

Uandbuch  der  klass.  Altovtxiuiswisscnscbaft.    VII.  2.  Aufl.                                                             28 


434  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


die  Elegie  und  das  damit  verwandte  Epigramm.  Beide  Dichtungsarten 
stammten  aus  der  klassischen  Zeit,  nahmen  aber  in  unserer  Periode  einen 
speziellen  Charakter  an.  Das  hatte  seinen  Hauptgrund  darin,  dass  das 
elegische  Distichon  zur  fast  einzigen  Form  des  lyrischen  Gedankenausdrucks 
gewählt  worden  war.  Die  verschlungenen  Formen  der  attischen  Dithyramben 
und  dorischen  Oden  hatten  nur  Reiz,  wenn  ihnen  durch  die  Modulationen 
des  Gesangs  Leben  und  Seele  eingehaucht  wurde.  Wer  die  Gedichte  nur 
lesen  wollte,  dem  entschwand,  wie  wir  das  ja  selbst  erfahren,  das  Ver- 
ständnis für  die  Schönheit  und  Kunst  jener  Perioden.  In  unserem  Zeitalter 
aber  wollte  man  die  Gedichte  lesend  geniessen;  was  war  also  natürlicher, 
als  dass  auch  die  Dichter  sich  nicht  mehr  den  Zwang  solch  schwieriger 
Kompositionen  anthaten,  sondern  eine  einfache,  leicht  verständliche  Form 
des  Verses  und  Rhythmus  wählten?  Dazu  empfahl  sich  vor  andern  das 
elegische  Distichon,  das  sich  über  die  Einfachheit  der  ständigen  Wiederkehr 
des  gleichen  Verses  erhob  und  doch  dem  melodischen  Satz  eine  gefällige, 
jedem  ins  Ohr  gehende  Abrundung  gab.  Es  zu  wählen,  lag  um  so  näher, 
als  der  Grundton  der  lyrischen  Empfindungen  unserer  Zeit  die  Erotik  war, 
die  mit  der  Abnahme  des  Interesses  für  die  öffentlichen  Angelegenheiten 
wuchs  und  durch  die  den  fürstlichen  Frauen  erwiesenen  Huldigungen  bei 
den  Höfen  in  besonderer  Gunst  stund.  ^  Die  Beliebtheit  der  Elegie,  des 
romantischen  Liebesliedes  und  der  Erzählung  in  engem  Rahmen,  ging  Hand 
in  Hand  mit  der  Abneigung  gegen  die  langweiligen,  weitschweifigen  Epen;  2) 
man  wollte  ein  kleineres,  geschlossenes  Ganze  und  kehrte  in  der  Erzählung 
von  Mythen  und  Liebesabenteuern  wieder  zur  balladenartigen  Form  des 
alten  Heldenliedes  zurück.  Der  Mangel  des  Umfangs  sollte  aufgewogen 
werden  durch  die  Neuheit  der  Erfindung  und  mehr  noch  durch  die  Sauber- 
keit und  Feile  der  Form.^)  Sorgfältiges  Studium  und  einiger  Geschmack 
schienen  die  dichterische  Ader  und  göttliche  Begeisterung  ersetzen  zu  können. 
Dichtkunst  und  Gelehrsamkeit  fanden  sich  auf  solche  Weise  ganz  gewöhn- 
lich in  einer  Person  zusammen;  der  lateinische  Ausdruck  doctus  poeta  ent- 
sprach recht  eigentlich  der  Auffassung  der  Alexandriner  von  der  Aufgabe 
des  Dichters.  Immerhin  aber  waren  die  Leistungen  derselben  auf  dem 
Gebiete  der  Elegie  nicht  gering;  bei  den  römischen  Elegikern  fanden  sie 
überschwengliche  Anerkennung,  Kallimachos  und  Philetas  waren  diesen 
hochgefeierte  Namen.*)  Leider  hat  sich  im  Original  nur  weniges  erhalten 
und  sind  wir  genötigt  die  alexandrinische  Elegie  zumeist  aus  den  Nach- 
ahmungen der  römischen  Elegiker,  vornehmlich  Catulls,  kennen  zu  lernen. 
321.   Philetas,^)   Sohn   des  Telephos  aus   Kos  (daher  Cous  poetd),^) 


^)  RoHDE,  Griech.  Roman  59  ff.;  Couat, 
La  poesie  Älexandrine  p.  24.  Ausser  den 
Königinnen  waren  es  die  königlichen  Curti- 
sanen,  denen  Paläste  und  Denkmale  in  Ale- 
xandria errichtet  waren. 

'')  Vgl.  Kallimachos  in  Anth.  XII,  43, 
und  unten  S.  437  An.  5. 

^)  Bezeichnend   ist  das  Distichon  Ovids 
Am.  I,  15  über  den  Hauptvertreter  der  Elegie; 
Battiades  semper  toto  cantahitur  orbe: 
Qiiatnvis  ingenio  non  valet   arte  valef. 


^j  Quint.  X,  58:  elegiae  princeps  ha- 
betur Callimaclms,  secundas  confessione 
plurimorum  Philetas  occupavü.  Ähnlich 
Properz  III,  1.  1;  Ovid  Ars  am.  III,  329; 
Proclus  ehrest.  242,  21  W. 

•^)  Bach,  Philetae  Hermesianactis  Pha- 
noclis  rell.,  Halis  1829. 

^)  Rhodier  nennt  ihn  der  Schol.  Theoer. 

7,  40. 


A.  Alexandriuisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  321—324.) 


435 


lebte  unter  Alexander  d.  Gr.  und  Ptolemaios  L,  welch  letzterer  ihm  die 
Erziehung  seines  Sohnes  übertrug.  Auch  Theokrit  verehrte  ihn  als  seinen 
Lehrer,  1)  und  ebenso  wird  der  Grammatiker  Zenodot  von  Suidas  als  sein 
Schüler  bezeichnet.  Er  selbst  war  Dichter  und  Gelehrter  zugleich ;  ^)  dabei 
war  er  durch  Studieren  und  Nachdenken  so  abgemagert,  dass  Witzbolde 
ihm  nachsagten,  er  trage  Blei  in  den  Schuhen,  um  vom  Winde  nicht  davon 
geweht  zu  werden.  •'^)  Hinterlassen  hat  er  nach  Suidas  Elegien  und  Epi- 
gramme, wozu  noch  ein  in  fortlaufenden  Hexametern  geschriebenes  Epyllion 
Hermes  (Liebesabenteuer  des  Odysseus  mit  des  Aolus  Tochter  Polymele) 
kam.  Die  Elegien  waren  meist  erotischer  Natur;  seine  Geliebte  Bittis  stellt 
Ovid  Trist.  I,  6.  1  neben  die  Lyde  des  Antimachos.  Von  dem  grossen 
Ansehen,  dessen  er  sich  erfreute,  zeugt  die  Statue,  welche  ihm  seine  Lands- 
leute in  Kos  errichteten. 4)  Erhalten  haben  sich  von  ihm  nur  dürftige 
Fragmente. 

322.  Hermesianax  aus  Kolophon  war  ein  jüngerer  Freund  des  Phi- 
letas.'"»)  Seine  Elegien  umfassten  3  Bücher  und  galten  zumeist  dem  Preis 
seines  Liebchens  Leontion,  enthielten  aber  auch  andere  erotische  Erzäh- 
lungen. Aus  dem  3.  Buch  ist  uns  eine  grosse  Elegie  bei  Athen.  597  er- 
halten, in  welcher  er  die  Dichter,  welche  vor  ihm  ihre  Muse  geliebten  Frauen 
und  Mädchen  geweiht  hatten,  in  anmutigen  Versen  aufzählt.  Auffällig  sind 
darin  die  vielen  litterarischen  Fabeleien,  w^elche  von  da  den  Weg  in  die 
Bücher  der  Grammatiker  nahmen.  So  wird,  um  von  Orpheus  und  seiner 
aus  dem  Hades  zurückgeholten  Geliebten  Agriope  zu  schweigen,  dem  Ana- 
kreon  ein  Liebesverhältnis  zur  Sappho  angedichtet  und  aus  dem  Buchtitel 
'Hotat  eine  Geliebte  Eoie  des  Hesiod  herausgelesen. 

323.  Phanokles,  dessen  Zeit  sich  nicht  näher  bestimmen  lässt, 
dichtete  einen  Elegienkranz,  "Egcorsg  rj  xaloi  betitelt,  in  welchem  er  dem 
Geschmack  seiner  Zeit  folgend,  die  Liebe  zu  schönen  Knaben  an  Beispielen 
aus  der  Götter-  und  Heroenwelt  besang.  Die  einzelnen  Abschnitte  des- 
selben waren  ähnlich  wie  bei  Hesiod  in  den  Eöen  durch  die  Formel  »]  ojg 
miteinander  verknüpft.  Eine  Elegie  von  der  Liebe  des  Orpheus  zum  jugend- 
lichen Kaiais  und  der  Ermordung  des  thrakischen  Sängers  durch  die  eifer- 
süchtigen Frauen  ist  uns  durch  Stobaios  Floril.  64  erhalten. 

324.  Kallimachos  (um  310 — um  235),^)  der  gefeierteste  unter  den 
griechischen  Elegikern,  stammte  aus  der  dorischen  Kolonie  Kyrene.  Sein 
Geschlecht  führte  er  auf  Battos,  den  Gründer  von  Kyrene,  zurück;  sein 
Grossvater  hatte  in   der  Vaterstadt  das  Amt  eines   Strategen   bekleidet.^) 


1)  Theoer.  7,  40. 

^)  Strab.  p.  657:  ^ilriTccg  noi7]T7]g  iifxa 
xftt  TCQixixog;  seine  grammatischen  Studien 
betrafen  insbesondere  Homer. 

3)  Ath.  552  b  11.  Aelian  V.  H.  IX,  4. 

4)  Hermesianax  bei  Ath.  598  f. 

^)  Schol.  Nicandri  Ther.  3 :  6  'Egfiriadva^ 
oitog  (fiXog  tm  ^'iXtjta  y.al  ypiüQifxog  rjv  ' 
tüvTM  &e  xit  llsQGtxd  ysyQamca  xccl  rcc  sig 
AeovTiov  rrjy  EQiofxipi]v.  Aber  in  der  Elegie 
bei  Ath.  498  f  ist  Philetas  schon  als  tot  ge- 
dacht.    CouAT,   La  imcsie  Alex.  35   u.   57 


lässt  Philetas  340—336,  Hermesianax  330— 
326  geboren  sein. 

^)  Eine  Vita  bei  Suidas;  Hecker,  Com- 
ment.  CalUmacheae,  Groning.  1842;  über  die 
Lebenszeit  Ritschl,  Opusc.  1,  72  und  Keil 
ebenda  p.  234  6,  der  Ol.  121  und  139  als 
wahrscheinlichste  Grenzen  des  Lebens  unseres 
Kallimachos  angibt. 

"')  Suidas:  KaXXifxa/og  viog  IktiTov  X(d 
Msadr/uag  {Meycai^uag  corr.  Hcmsterhusius): 
Procl.  ehrest.  240,  22  W.:  KaXkLuaxog  6 
Ik'aiov.     Das  Strategenamt   des  Grossvaters 


436 


Qriecliisclie  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Nachdem  er  in  Athen  zusammen  mit  Aratos  seine  Studien  gemacht  hatte,  ^) 
begann  er  zu  Alexandria,  in  der  Vorstadt  Eleusis  seine  Lehrthätigkeit  als 
Grammatiker.  Von  Ptolemaios  Philadelphos  zur  Stellung  eines  Vorstandes 
der  Bibliothek  erhoben,  2)  wusste  er  sich  auch  noch  bei  dessen  Nachfolger, 
Ptolemaios  Euergetes^)  in  Gunst  zu  erhalten.  Mit  ausgedehnter  Gelehr- 
samkeit verband  er  poetische  Neigung:  abhold  der  weitschichtigen  Dich- 
tungsart des  Apollonios  ,*)  wandte  er  sich  der  Pflege  des  witzigen 
Epigramms  und  der  erotischen  Elegie  mit  Vorliebe  zu.  Hinterlassen  hatte 
er  über  800  Bücher,  von  denen  uns  Suidas  ein  nicht  ganz  vollständiges 
Verzeichnis  gegeben  hat.^) 

Von  seinen  Schriften  in  Prosa,  um  diese  zuerst  abzuthun,  waren  am 
bedeutendsten  seine  Jlivaxsg  tmv  iv  näajj  naidsia  diaXaixxpdvToov  xai  cov 
avvsyqaipav  in  120  B.,^)  von  denen  der  Iliva^  tcov  xaxd  xQovovg  xal  an 
ccQX^^  y^vo^xtvcov  diSccaxäXMV  (sc.  TQccycodiMv,  xMjii(n6i(iov,  Si&VQccfxßmv)  nur  ein 
Teil  war,'^)  Es  enthielt  jenes  grossartig  angelegte  Werk  ein  Repertorium 
der  hervorragenden  Vertreter  der  einzelnen  Litteraturgattungen  mit  genauer 
Angabe  ihrer  Werke  nach  Titel,  Seitenzahl,  Abfassungszeit. ^)  Ausserdem 
verfasste  er  in  Prosa  Sammlungen  von  Glossen  oder  lokalen  Ausdrücken^) 
und  Gedenkblätter  (vnoiivrjiiaraY^)  über  Wundererscheinungen  und  Merk- 
würdigkeiten der  Geschichte,  Geographie,  Mythologie.'^) 

In  den  gelehrten,  umfangreichen  Prosawerken  beruhte  die  eigentliche 
Bedeutung  und  der  nachhaltige  Einfluss  des  Kallimachos,  aber  den  Glanz 
des  Namens  verdankte  er  seinen  dichterischen  Schöpfungen,  wiewohl  ihm  die 
Innigkeit  des  Gefühls  und  der  Schwung  der  Begeisterung,  die  zumeist  den 
Dichter  machen,  ebenso  wie  seinen  anderen  Zeitgenossen  abgingen.  Unter 
seinen  Dichtungen  nahmen  die  Elegien  die  erste  Stelle  ein,   so  dass  Quin- 


deutet  der  Dichter  selbst  Anth.  VII,  525  an. 
Strabon  p.  837:  Xsysrca  de  1]  Kvqrivr]  xiia^a 
Bihrov,  TiQoyovov  de  rovroy  mvrov  cpdoxei 
KaX'klfxiixog,  Von  sich  selbst  sagt  Kalli- 
machos Anth.  VII,  415 :  ev  fA.kv  doidtji^  eidorog, 
ey  (f'  olVw  y.ciLQia  üvyysldGai. 

^)  RoHDE,  Gr.  Roman  99  f. 

2)  Nach  Gellius  N.  A.  17,  21  scheint 
dieses  bald  nach  Beginn  des  1.  punischen 
Krieges  (264)  gewesen  zu  sein. 

^)  Zu  Ehren  von  dessen  Gattin  dichtete 
er  das  Haar  der  Berenike,  das  die  Königin 
bei  der  siegreichen  Heimkehr  ihres  Gatten 
vom  syrischen  Feldzug  der  Aphrodite  ge- 
weiht hatte. 

^)  Von  Kallimachos  stammt  das  ge- 
flügelte Wort:  fxeya  ßißXioy  fisya  x«xoV, 
Vgl.  fr.  165:  //»ycT'  rm'  i^usv  dicpccre  /usya 
\po(pEovaay  aoidrjv. 

•')  ScHNEiDEK,  Callira.  II,  19  ff.;  Daub,  De 
Suid.  biogr.,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI,  462  ff. 

ß)  Statt  ()x'  wollte  Hecker,  Phil.  V,  433 
y.d'  =  24  schreiben. 

')  Als  andere  Spezialtitel  werden  ver- 
mutet 7rtV«|  inoTTOKoy  xcd  tmv  Ioitimu  non]- 
Tioy,  Tiiv.  poy,oyQCi(pojy,  niv.  (f^loaöcfoji'.  tili'. 
laro^ixüii',  nip.  (jrjTOQixioy,   tiiv.  TiayTodarnov 


avyyQcc^fxaTixiv.  Über  die  ^rjTOQixd  und  ihre 
oberflächliche  Abfassung  s.  Rehdantz  bei 
Schäfer,  Dem.  III,  2.  317  ff. 

*^)  Wachsmuth,  Die  pinakographische 
Thätigkeit  des  Callimachus,  Phil.  16,  653  ff".; 
Daub  a.  0.  420  f.  Unterrichtend  ist  das 
Fragment  bei  Ath.  244  a:  KaX?Ufxa/og  ev  im 
T(t)v  ncivrodcmcüv  nlvaxt  ygacpayv  ovroig  ' 
deTnva  oaoi  eyqaxpav  •  XaiQeqxiJiv  KvQtjßiiovi, 
5<\9^'  i^ijg  rrjv  {(Q/rjv  v7Te&t]xe  „eneid?]  ^uov 
■noXXüxig  eneaieiXctg'-'  ajl^iov  roe.  Vergl.  R. 
Volkmann,  Conim.  phil.  Bonn.  p.  717  ff. 

^)  Der  Gesamttitel  war  ^^vixai  ovojua- 
aUa,  Abteilungen  davon  negi  ave'^cov,  //- 
t9v(ov,  oQveiüv,  fif]Viüv  TTQOcrrjyoQLai  xar^  eS^vog 
xal  TToXeig. 

'^)  Die  oft  erwähnten  vno^vrj^caa  des 
Zenodot  (nicht  des  Ephesiers)  waren  davon 
eine  Epitome;  s.  Schneider,  Callim.  II,  354. 

^^)  Spezialtitel  waren  Ktiaeig  vtjgwv  xal 
TToXecov,  BccQßccQixd  vo^ifxa,  negl  dycovojv. 
Das  letzte  Buch  benützte  in  Hadrians  Zeit 
Oinomaos,  woraus  Reste  in  Euseb.  praep. 
ev.  V,  34.  Vgl.  LÜBBERT,  De  Pindari  poetae 
et  Hieronis  regis  amicitia  p.  XV  sqq.  Schnei- 
der wollte  auch  dieses  Buch  in  das  poetische 
Werk  Alna  unterbringen. 


A.  Alexaudrinisches  Zeitalter.     2.  Die  Poesie.  (§  324.) 


437 


tilian  X,  58  ihn  geradezu  elegiae  principcm  nennt.  Die  meisten  derselben 
stunden  zusammen  in  den  Ahia.  Im  Eingang  dieses  aus  4  B.  bestehenden 
Werkes  erzählte  er,  wie  er  von  Kyrene  nach  dem  Helikon  getragen  und 
dort  von  den  Musen  in  die  Geheimnisse  der  Mythenwelt  eingeweiht  worden 
sei.i)  Den  Namen  hatte  dasselbe  davon,  dass  es  der  Dichter  bei  jeder 
Erzählung  darauf  absah,  den  Grund  des  Vorfalls  oder  des  an  die  Mythe 
geknüpften  Gebrauches  anzugeben.  2)  Die  Aitia  begründeten  den  Ruhm  des 
Kallimachos  als  Elegiker,  enthielten  aber  zugleich  so  viele  dunkle,  erklä- 
rungsbedürftige Stellen,  dass  sie  Clemens  Alex,  ström.  V,  676  einen  Turn- 
platz [yviiväaiov)  der  Grammatiker  nannte.^)  Von  anderen  gelegentlich 
gedichteten  Elegien  war  am  berühmtesten  das  Haar  der  Berenike,  gedichtet 
246  zu  Ehren  der  Königin  Berenike,  die  beim  Feldzuge  ihres  jungen  Ge- 
mahles Ptolemaios  Euergetes  gegen  Syrien  ihr  Haar  der  Göttin  Aphrodite 
geweiht  hatte;  erhalten  ist  uns  diese  Elegie  bekanntlich  durch  die  klassische 
Übersetzung  des  Catull  c.  %Q.  Andere  Gelegenheitselegien  der  Art  waren 
die  Hochzeit  der  Arsinoe,  der  Preis  des  Sosibios  u.  a. 

Durch  die  Nachahmung  des  Ovid  bekannt  ist  das  satirische  Gedicht 
Ibis  in  Distichen,  worin  der  Autor  in  dunklen  Anspielungen  seinen  Rivalen 
Apollonios  verspottete.  4)  Beide  stunden  sich  gegenseitig  an  dem  Hofe  des 
Ptolemaios  im  Wege  und  gaben  durch  geringschätzige  Herabsetzung  der 
Werke  des  andern  der  Zunft  der  Gelehrten  das  böse  Beispiel  giftiger  Be- 
fehdung. Kallimachos  sprach  unverhohlen  sein  Missfallen  über  den  breiten 
Strom  der  Argonautika  des  Apollonios  aus.-^)  Darauf  antwortete  Apollonios 
mit  dem  bissigen  Epigramm  (Anth.  XI,  275): 

KaXh/idxov  ro  xccÖ^aq^xa^  t6  Traiynov,  6   '^vXivog  vovg 
aiTtog,  6  YQÜipag  Äiria  KaXXifiaxog. 
Die  Replik  dagegen  gab  Kallimachos  mit  der  Ibis,   in  welcher  er  den  Ri- 
valen mit  dem  unreinen,  in  seinem  eigenen  Unrat  wühlenden  Tier  auf  eine 
Stufe  stellte. 

Vielgefeiert  war  neben  den  Elegien  des  Kallimachos  sein  Epyllion 
Hekale,  ein  idyllisches  Gedicht  voll  rührender  Treuherzigkeit  von  der 
gutmütigen  Alten  Hekale,  welche  den  Theseus,  als  er  zur  Bezwingung  des 
Stieres  nach  Marathon  kam,  gastlich  in  ihre  Hütte  aufnahm.^)  Striche  des 
liebreizenden  Gedichtes  hat  Ovid  in  seine  hübsche  Erzählung  von  Phi- 
lemon  und  Baucis  (Met.  8,  610  ff.)  übertragen. 


^)  Daher  nennt  sie  Properz  III,  33.  30: 
inflati  somnia  Callimachi. 

^)  Nach  Schneiders  zweifelhafter  Ver- 
mutung handelte  das  1.  Buch  der  Aitia  von 
den  Wettkämpfen,  das  2.  von  den  Städte- 
gründungen im  Anschluss  an  die  Argonauten- 
sage, das  3.  von  den  Erfindungen,  das  4. 
von  den  Opfern.  Dagegen  Einwendungen 
von  RoHDE,  Gr.  Rom.  86.  Über  einzelne 
Elegien  der  Aitia:  Dilthey,  De  Callimachi 
Cydippa,  Lips.  1863;  Knaack,  Analecta  Ale- 
xandrina, Greifsw.  1880,  u.  Callimachea, 
Stettin  Progr.  1887. 

^)  Über  die  Kommentare  des  Theon 
und  Epaphroditos  s.  Schneider,  Callim.  II,  37. 


"*)  Ovid.  1  bis  55:  nunc  quo  Battiades 
inimicum  devovet  Ihin,  hoc  ego  devoveo  ieque 
tuosque  modo. 

^)  Callim.  epigr.  28:  e/^((Iq(o  to  noirjfxct 
rd  xvx'kixov  etc.;  hymn.  in  Apoll.  II,  106: 
ovx  (iyccfxca  rov  doi^ov  og  orV  oaa  növtog 
(cei^si.  Darauf  geantwortet  von  Apollonios 
Argon.  III,  932.  Über  den  Geschmacksstreifc 
beider  Gercke,  Alexandrinische  Studien,  Rh. 
M.  44,  127  ff. 

'^)  Das  Gedicht  ist  als  xoqevtöv  snog  ge- 
priesen in  dem  Epigramm  Anth.  IX,  545; 
die  Fragmente  zusammengeordnet  von  Näke, 
Rh.  M.  II,  509  ff.  =  Opusc.  II. 


438 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Ausserdem  dichtete  unser  Autor  lamben  und  Lieder  (iäiißovg  xal  ixslrj). 
Die  letzteren  waren  durch  die  Eleganz  und  Mannigfaltigkeit  ihrer  Form 
berühmt;  zu  ihnen  gehörten  wohl  auch  die  Galliamben,  die  der  begeisterte 
Verehrer  des  Kallimachos,  Catull  n.  63  ins  Lateinische  übertrug,  ij  Suidas 
zählt  auch  noch  Satyrdramen,  Tragödien  und  Komödien  unter  den  Werken 
des  Kallimachos  auf;  aber  das  ist  wahrscheinlich  ein  Irrtum;  wenigstens 
weiss  von  ihnen  das  ganze  übrige  Altertum  nichts. 

Vollständig  erhalten  sind  uns  6  Hymnen  und  64  Epigramme.  Die 
letzteren,  welche  durch  die  Anthologie  auf  uns  gekommen  sind,  enthalten 
teils  Aufschriften  für  wirkliche  oder  fingierte  Grabdenkmale  2)  und  Weih- 
geschenke, teils  Titel  und  Inhaltsanzeichen  von  Büchern,  teils  kurze  Er- 
güsse der  Liebe,  Trauer,  Eifersucht;  sie  atmen  nicht  die  sentimentale 
Weichheit  der  Epigramme  des  Poseidonios,  zeichnen  sich  aber  vor  ihnen 
durch  Witz  und  geistreiches  Wortspiel  aus.  —  Die  Erhaltung  der  Hymnen 
verdanken  wir  einem  Grammatiker  des  beginnenden  Mittelalters,  welcher 
die  homerischen  und  orphischen  Hymnen  mit  denen  unseres  Meisters  zu 
einem  Sammelbande  vereinigte.  Von  denselben  sind  fünf  in  der  typischen 
Form  des  Hexameters  gedichtet,  einer,  der  fünfte,  in  Distichen,  was  mit 
dessen  Inhalt  zusammenhängt.  Denn  dieser  5.  Hymnus  auf  das  Bad  der 
Pallas  und  die  Blendung  des  Teiresias,  der  mit  sterblichem  Auge  die  Göttin 
im  Bade  geschaut  hatte,  könnte,  von  der  Einleitung  abgesehen,  ebensogut 
unter  den  erotischen  Elegien  oder  unter  den  Aitia  stehen.  Von  den  übrigen 
gilt  der  1.  der  Geburt  des  Zeus,  der  2.  dem  apollinischen  Feste  der  Karneen 
in  Kyrene,  der  3.  dem  Preis  der  Artemis,  der  4.  der  Verherrlichung  von 
Dolos,  der  Geburtsstätte  der  Letoiden,  der  6.  der  Demeter  und  dem  von 
Ptolemaios  Philadelphos  gestifteten  Korbfest.  ^)  In  den  4  ersten  schloss 
sich  Kallimachos  im  Dialekt  den  homerischen  Hymnen  an,  in  den  beiden 
letzten  gebrauchte  er,  wie  später  sein  Landsmann  Synesios,  den  dorischen 
Dialekt  seiner  Heimat  Kyrene;  durchweg  aber  trägt  er  eine  dunkle,  glossen- 
reiche Sprache  und  übel  angebrachte  Gelehrsamkeit  zur  Schau.  Dazu 
stimmt  der  schwerfällige  Versbau,  indem  die  zahlreichen  Ausgänge  auf 
2  Spondeen  stark  von  den  zierlichen  und  schlanken  Versen  der  Epigramme 
abstechen.  In  der  Anordnung  der  Gedanken  hat  man  neuerdings  die 
Siebengliederung  des  terpandrischen  Nomos  wiederfinden  wollen;  am  ehesten 
ist  dieselbe  in  dem  2.  Hymnus,  dem  auf  Apoll,  durchführbar.*)  Die  ganze 
Hymnenpoesie  des  Kallimachos  aber  ist  aus  dem  Bestreben  der  Ptolemäer, 
die  alten  Götterfeste  wieder  zu  Ehren  zu  bringen  und  mit  erhöhtem  Glänze 


^)  WiLAMOwiTZ,  Herrn.  14,  194  fF.  Über 
Fabeln  des  Kallimachos  in  Choliamben  siehe 
Bergk,  Kl.  Sehr.  II,  552  f.  u.  560  f.  Horaz 
Od.  I,  3.  8  gibt  2  asklepiadeische  Verse  des 
Kallim.  fr.  114  wieder. 

'^)  Darunter  auch  die  Aufschrift  für  sein 
eigenes  Grab 
ßccrriddeb)   naqu   aijfxa   cfiqeig  nö^a,  sv  fxsv 

eidorog,  ev  d"  olVw  xcclqicc  avyysXciaai. 
Das  Epigramm  43  wurde  unlängst  in  einem 
Haus  des  Esquilin  aufgefunden,  worüber 
Kaibel,  Herrn.  10,  1  ff. 


^)  Dieses  besagt  ein  altes  Scholion  zum 
1.  Vers.  CouAT,  La  poesie  Alex.  223  ff.  denkt 
hingegen,  gestützt  auf  den  dorischen  Dialekt 
des  Hymnus,  an  eine  Theorie  zum  karischen 
Triopion.  Die  Bestrafung  des  Erisiclithon 
durch  unersättlichen  Hunger  ist  nachgeahmt 
von  Ovid  Metam.  VII,  738  ff. 

*)  Käsebiek,  Progr.  von  Brandenburg 
a./H.  1873;  Lübbekt,  De  Pindari  studiis 
Terpandreis,  Bonn  1887;  Crusius,  Wochen- 
schrift f.  Phil.  1885  N.  41,  Vhdl.  d.  39.  Vers, 
d.  Phil.  S.  262  ff. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.     3.  Die  Poesie.  (325—326.)  439 

zu  feiern,  hervorgegangen;  sie  lässt  sich  in  dieser  Beziehung  dem  Carmen 
saeculare  des  Horaz  vergleichen,  das  ja  auch  durch  eine  ähnliche  Strömung 
der  Politik  unter  Kaiser  Augustus  veranlasst  war.  Auch  darin  war  die 
Poesie  des  Kallimachos  Vorbild  für  die  römischen  Dichter  des  augusteischen 
Zeitalters,  dass  er  mit  dem  Preise  der  Gottheit  manchmal  direkt,  öfters 
versteckt  die  Verherrlichung  seiner  königlichen  Gönner  zu  verbinden  liebte.  0 

Scholien:  im  Altertum  kommentierten  The on  und  Epaph  roditos  die  Aitia,  Archi- 
bios  Apolloniu  die  Epigramme;  Nikanor  schrieb  ttsqI  oriyfxrjg  rrjg  nagd  KaXXifxd/ia. 
Mari  an  OS  unter  dem  Kaiser  Anastasios  verfasste  eine  Metaphrase  der  Hekale,  Aitia, 
Hymnen  und  Epigramme  in  lamben  (Suidas).  Erhalten  sind  uns  dürftige  Scholien  zu  den 
Hymnen,  worüber  Reinecke,  De  schol.  Callim.  (Diss.  Hai.  IX),  1887.  —  Die  Hymnen  haben 
dieselbe  handschriftliche  Grundlage  wie  die  homerischen,  worüber  oben  §  42 ;  der  von 
Aurispa  1423  aufgefundene,  inzwischen  verloren  gegangene  Archetypus  hatte  schon  viele 
Lücken  und  schwere  Korruptelen.  —  Gesamtausg.  mit  Fragmenten  von  J.  A.  Ernesti,  LB. 
1761,  2  vol.  auf  Grundlage  der  berühmten  Fragmentensammlung  vouBentley;  und  von  0. 
Schneider,  Callimachea,  Lips.  1870—3,  2  vol.  —  Kritische  Spezialausgabe  der  Hymnen 
von  Meineke,  Berl.  1861;  von  Wilamowitz,  Berl.  1882.  —  Couat,  Remarques  sur  la  date 
et  la  compostion  des  hymnes  de  Callimaque  in  Ann.  pour  Vencour.  1878  p.  68 — 117. 

Schüler  des  Kallimachos  im  grammatisch-historischen  Fach  waren  Hermippos  der 
Kallimacheer,  von  dem  unten  §391  gehandelt  ist,  und  Philostephanos  aus  Kyrene, 
aus  dessen  zahlreichen  Schriften  negl  noXeiou,  negl  p^aiou  etc.  die  Fragmente  gesammelt 
sind  von  Müller,  FHG.  IH,  28—34. 

325.  An  die  Hymnen  des  Kallimachos  möge  sich  die  Erwähnung  des 
schwungvollen  Hymnus  des  Stoikers  Kleanthes  auf  Zeus  (bei  Stobäus 
Ecl.  I,  2.  12)  und  der  religiösen  Gedichte  des  dorischen  Lokaldichters 
Tsyllos  anschliessen.  Von  dem  letzteren  haben  wir  erst  in  neuester  Zeit 
durch  die  Ausgrabungen  des  Asklepiosheiligtums  in  Epidauros  Kenntnis 
erhalten.  In  Stein  eingegraben  fanden  sich  dort  von  Isyllos  ein  hexamet- 
risches Gedicht,  worin  er  von  seiner  Grossthat,  der  Anregung  eines  Bitt- 
ganges zu  Ehren  des  Apollon  und  Asklepios,  in  holprigen  Versen  und  unge- 
lenker Rede  Kunde  gibt,  ein  Päan  auf  die  Heilgötter  Apollon  und  Asklepios 
in  78  frei  gebauten  lonikern,  worin  er  in  wesentlicher  Übereinstimmung 
mit  Hesiod  fr.  125  und  Pindar  Pyth.  HI  die  Geburt  des  Asklepios  von  der 
thessalischen  Königstochter  Aigla  oder  Koronis  erzählt,  endlich  ein  Dank- 
gedicht in  23  Hexametern  auf  die  Rettung  Spartas  und  des  jungen  Dich- 
ters selbst  durch  den  Heilgott  und  Schirmer  Asklepios.  Nach  dem  letzten 
Gedicht  war  Isyllos  noch  ein  Knabe,  als  Philipp  nach  dem  Sieg  bei  Chä- 
ronea  sich  gegen  Sparta  wandte;  seine  Blüte  setzt  danach  Wilamowitz,  der 
dem  Dichter  im  9.  Hefte  der  Phil.  Unt.  eine  gelehrte  Besprechung  widmet, 
um  die  Zeit  von  280. 

Ähnlicher  Art  sind  die  Päane,  welche  unlängst  am  Abhang  der  Akro- 
polis  in  Athen  und  in  der  ägyptischen  Stadt  Ptolemais  gefunden  wurden. 2) 
Bloss  den  Namen  des  priesterlichen  Dichters,  Gorgos,  ohne  seine  Oden 
hat  uns  ein  Epigramm  aus  dem  Heiligtum  des  klarischen  Apoll  aufbewahrt.^) 

326.  Alexander  Aetolus,^  so  zubenannt  nach  seiner  Heimat  Pleu- 


')  Vgl.  hymn.  1,  86  ff.;  4,  IGl  ff.;  2,  26  |  2)  giß^e  CIA. III,  1  n.  171  ^^  u.  171^  und 

u.  68.     Wichtig   ist   daher   auch   die  Ermit-  [  unten  §  406. 

telung  der  Zeit,  in  der  die  einzelnen  Gedichte  ■')  Bull,  de  corr.  hell.  X,  514. 

geschrieben  sind,  die  sich  besonders  Couat,  i  ')  Meineke,  Alexander  Aetolus,  in  An. 


Im  poesie  Alex.  200  ff.  und  Gercke,  Alex. 
Stud..  Rh.  M.  42  (1887)  S.  624  ff.  angelegen 
sein  Hessen. 


AI.  215  ff. ;  Fragmentensammlung  von  Capell- 
MANN,  Bonn  1830. 


440 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


ron  in  Aetolien,')  blühte  um  280  und  war  ein  vielseitiger  Gelehrter  und 
Dichter.  In  der  alexandrinischen  Bibliothek  besorgte  er  die  Ordnung  der 
Tragödien  und  Satyrdramen;  als  selbständiger  Dichter  von  Tragödien  hatte 
er  die  Ehre,  dem  alexandrinischen  Siebengestirn  zugezählt  zu  werden.  Auf 
uns  gekommen  sind  grosse  Fragmente  der  Elegien  ^ÄTToXkMv^)  und  Movaai. 
In  der  ersten  erzählt  er  in  gesuchter  Sprache  die  Geschichte  von  der  ver- 
brecherischen Liebe  der  Gattin  des  Neliden  Phobios,  welche  den  keuschen 
Antheus  in  einen  Brunnenschacht  hinabstürzte.^)  Wie  die  anderen  alexan- 
drinischen Dichter  suchte  auch  er  eine  Kunst  im  Gebrauch  verschiedenster 
Metra;  dass  er  dabei  kein  rechtes  Verständnis  vom  Wesen  der  metrischen 
Form  hatte,  beweisen  die  anapästischen  Tetrameter,  mit  denen  er  eine  im 
übrigen  treffliche  Charakteristik  des  Euripides  gab  (Gellius  N.  A.  XV,  20). 

Eratosthenes',  des  grossen  Geographen,  gemütvolle  Elegie  'HQiyovr] 
wird  unten  zur  Sprache  kommen;  ebenso  die  Elegien  des  Epikers  Eu- 
phorien. 

327.  Parthenios  aus  Nikäa,'*)  der  jüngste  Elegiker  unserer  Periode, 
spielte  eine  nicht  unwichtige  Rolle  als  Vermittler  der  alexandrinischen  und 
römischen  Bildung.  Im  mithridatischen  Krieg  kam  er  als  Kriegsgefangener 
nach  Rom  (72  v.  Chr.);  später  treffen  wir  ihn  in  Neapel,  wo  Vergil  sich 
seines  Unterrichtes  erfreute.  Suidas  bezeichnet  ihn  als  Verfasser  von 
Elegien  und  verschiedenen  Dichtungen ;  besonders  scheint  er  die  weiche  und 
wehmütige  Art  der  Trauerelegie  geliebt  zu  haben:  dem  Andenken  seiner 
Gattin  Arete  widmete  er  ein  elegisches  Gedicht  in  3  B.;=^)  auf  die  elegische 
Dichterin  Archelais,  seinen  Freund  Bias  und  einen  gewissen  Auxithemis 
dichtete  er  Trauerelegien  {€7TixrjS€ia);  einem  unbekannten  Freund  gab  er 
in  einem  poetischen  Geleitbrief  {vfjivog  ngoTTs^mixög)  fromme  Wünsche  auf 
die  Reise  mit.  Ausserdem  werden  von  ihm  erwähnt  die  Elegien  'AcpQodiTrj, 
JrjXog,  KQivayoQcxg,^)  und  die  Epyllien  MsTafiioQCfojasig,  ^H^axXrjg,  MvTTcorog, 
Das  letzte  Gedicht  ahmten  von  den  Lateinern  Sueius  und  Ps.  Vergilius  in 
dem  Idyll  Moretum  nach;  nach  einer  seiner  Metamorphosen  ist  auch  das 
vermeintliche  Jugendepyllion  Vergils,  die  Ciris,  gedichtet.  Erzählungen  un- 
glücklicher Liebe  scheinen  eine  Spezialität  von  ihm  gewesen  zu  sein;  aus- 
drücklich rühmt  er  sich,  Erot.  11,  die  rührende  Geschichte  von  Byblis  und 
Kaunos  in  Hexametern  behandelt  zu  haben.  Auf  uns  gekommen  ist  eine 
Sammlung  'Eqonind  Ttad^rjiiaTa  in  Prosa,  worin  er  für  seinen  Freund,  den 
römischen  Elegiker  Cornelius  Gallus,  zum  praktischen  Gebrauch  eine  Reihe 
von  Fällen  unglücklicher  Liebe  aus  verschiedenen  Dichtern  und  Historikern 
zusammenstellte. 


')  Der  Zuname  ist  gegeben  zur  Unter- 
scheidung von  Alexander  Ephesius. 

^)  Die  Fragmente  sind  uns  erhalten  in 
Parthenius  Erot.  14. 

^)  Aus  einem  didaktischen  Gedichte 
über  Planeten  und  Sterne  stehen  mehrere 
Hexameter  bei  Theon  Smyrnaeus  p,  139  ff. 
ed  Hill. 

^)  Nach  andern  bei  Suidas  von  Myrlea; 
vgl.  Meineke,  An.  AI.  255  ff.  In  der  metri- 
schen   Inschrift    eines    Denkmals,    das    ihm 


Kaiser  Hadrian  setzte  (Kaibel  epigr.  gr.  1089), 
heisst  er  aazog  ^Jna^siag. 

^)  Diese  Elegien  auf  seine  Gattin  Arete 
müssen  besonders  berühmt  gewesen  sein, 
da  ihrer  besonders  Hadrian  auf  der  erwähn- 
ten Inschrift  gedenkt. 

^)  Wahrscheinlich,  wie  Meineke  ver- 
mutet, der  berühmte  Epigrammatiker  Krina- 
goras,  dem  der  gemütreiche  Parthenios  in 
Freundschaft  verbunden  war. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.     2.  Die  Poesie.  (§  328—329.) 


441 


328.  Das  Epigramm.  Die  gelehrte  und  geistreiche  Richtung  der 
Zeit  kam  hauptsächlich  der  Pflege  des  Epigramms  zu  gute  und  gab  dem- 
selben eine  weit  über  seine  ursprüngliche  Stellung  hinausgehende  Bedeutung. 
Das  Epigramm  sollte  ursprünglich,  wie  der  Name  besagt,  als  Aufschrift 
für  ein  Grabdenkmal,  i)  dann  auch  einen  Tempel  oder  ein  sonstiges  Weih- 
geschenk dienen,  und  diesem  Zwecke  entsprechen  auch  die  meisten  Epi- 
gramme der  klassischen  Zeit,  namentlich  die  des  Hauptepigrammatikers 
Simonides.  In  der  alexandrinischen  Periode  aber  wurde  das  Epigramm  zur 
beliebten  Form  für  den  kurzen,  bündigen  Ausdruck  eines  Urteils  über  Dichter, 
Kunstwerke,  Künstler,  zum  Begleitschreiben  für  Geschenke  und  Liebesgaben, 
zum  witzigen  und  satirischen  Spiel  der  Gebildeten  und  Gelehrten,  das  sich 
auch  diejenigen  erlaubten,  welche  sonst  auf  den  Ruhm  eines  Dichters  keinen 
Anspruch  erhoben.  Diese  kleinen,  meist  nur  1  bis  3  Distichen  füllenden 
Gedichte  2)  vergleichen  sich  den  Gemmen  oder  geschnittenen  Steinen,-^)  welche 
gleichfalls  in  der  klassischen  Zeit  gegenüber  den  öffentlichen  Bauten  und 
Denkmalen  zurückgetreten  waren,  nunmehr  aber  bei  dem  starken  Hervor- 
treten des  privaten  Lebens  und  Luxus  ein  besonders  gangbares  Erzeugnis 
der  Kunst  und  des  Kunstgewerbes  wurden.  Der  Zusammenhang  der  Kunst- 
richtung und  der  Blüte  des  Epigramms  in  der  alexandrinischen  Periode 
drückte  sich  auch  äusserlich  darin  aus,  dass  auf  die  Idealstatuen,  die  man 
damals  den  litterarischen  Grössen  der  Vergangenheit  zu  setzen  liebte,  ganz 
gewöhnlich  Verse  zeitgenössischer  Epigrammatiker  gesetzt  wurden.^)  Die 
Feinheit  des  Urteils  und  der  geistreiche  Witz  erforderten  auch  eine  be- 
sondere Feile  der  Form  und  des  Verses;  durchweg  sind  die  Hexameter  des 
Epigramms  mit  mehr  Grazie  als  die  des  zeitgenössischen  Epos  gebaut. 
Über  dem  Geschick  des  Epigramms  waltete  ein  günstigerer  Stern  als  über 
den  übrigen  Gattungen  der  alexandrinischen  Poesie.  Eben  weil  sie  so  klein 
waren  und  dadurch  leicht  in  ihrer  Vereinzelung  verloren  gehen  konnten, 
hat  man  frühe  angefangen,  sie  in  Blumenlesen  zusammenzufassen.  Um 
80  V.  Chr.  vereinigte  so  die  besten  derselben  der  Kyniker  und  Epigram- 
matiker Meleager  aus  Gadara^)  zu  einem  alphabetisch  geordneten  Kranz 
[aTt(favoQ),  welcher  ebenso  wie  der  im  Beginne  der  römischen  Kaiserzeit 
zusammengestellte  Kranz  des  Philippos  Aufnahme  in  die  uns  erhaltene 
Anthologie  des  Konstantinos  Kephalas  fand. 

329.  Wir    zählen     die     hauptsächlichsten    Epigrammatiker     unserer 
Epoche  auf:  ^) 

Anyte  aus  Tegea  blühte  um  290;^)  ihre  Landsleute  ehrten  sie  durch 


0  Vgl.  §  83. 

^)  Kyprianos,  Anth.  IX,  369  nennt  das 
schönste  Epigramm  das  aus  2  Distichen  be- 
stehende. 

3)  Vgl.  Anth.  IX,  752. 

^)  Von  einem  Epigramm  auf  der  Sappho- 
statue  des  Silanion  spricht  Cicero,  Verr.  IV, 
57.  126;  vgl.  Theoer.  epigr.  16  u.  17,  CIG. 
3555. 

^)  Über  die  Zeit  dos  Meleager  bemerkt 
ein  Scholion  der  Anthologie:  ijxfxaCev  inl 
lehvxov  Tov  eo^fiiov,  worüber  Jacobs  Anth. 


t.  VI  p.  XXXVI  sqq. 

^)  Catalogus  j^oetarum  epigrammati- 
corum  VOR  Jacobs  in  Anth.  gr.  tom.  XIII; 
Hänel,  De  epigr ammatis  graeci  historia, 
Bresl.  1852. 

')  Auf  Ol.  120  führt  die  Lebenszeit 
der  beiden  Künstler,  welche  nach  Tatian 
adv.  Graecos  52  ihr  Standbild  fertigten; 
sichereren  Anhaltspunkt  böte  das  Epigramm 
Anth.  VII,  492  auf  die  'S  Jungfrauen  von 
Milet,  welche  beim  Einfall  der  Gallier  den 
freigewählten  Tod    starben,    wenn   nicht  die 


442 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Errichtung  einer  Statue,  welche  die  Künstler  Euthykrates  und  Kephisodotos 
anfertigten.  Sie  heisst  bei  Stephanos  Byz.  fusXoTToiog  und  wird  von  Anti- 
pater,  Anth.  IX,  26  als  weiblicher  Homer  gepriesen;  aber  wir  haben  von 
ihr  weder  Epen  noch  Lieder,  sondern  nur  22  Epigramme,  meistens  Auf- 
schriften für  Weihgeschenke,  Quellen  und  heilige  Orte,  alle  von  einer  Fein- 
heit des  Gedankens  und  der  Form,  dass  wir  das  hohe  Ansehen  der  Dichterin 
bei  der  Mit-  und  Nachwelt  begreifen. 

Andere  Dichterinnen  von  Epigrammen  aus  jener  Zeit  waren  Myro 
(oder  Moiro)  aus  Byzanz,  Mutter  des  Tragikers  Homeros, 9  Nossis  aus 
dem  italischen  Lokris,  die  sich  der  Sappho  zur  Seite  zu  stellen  erkühnte,  2) 
Hedyle  aus  Attika,  deren  Mutter,  Moschine,  gleichfalls  Dichterin  war. 

Simmias  (oder  Simias)  aus  Rhodos^)  wird  von  Strabon  p.  655  Gram- 
matiker genannt, 4)  machte  sich  aber  mehr  als  gewandter  Versifikator  und 
geschmackvoller  Dichter  von  Epigrammen  bekannt.  Suidas  erwähnt  von 
ihm  4  Bücher  gemischter  Gedichte;  eine  Kuriosität  sind  seine  durch  die 
Anthologie  uns  erhaltenen  Spielereien,  welche  die  Form  von  einem  Flügel, 
Ei  oder  Beil  haben. ^)  Sein  von  Stephanos  Byz.  unter  ^AixvxXai  citiertes  Ge- 
dicht Mrjvsg  war  vielleicht  das  Vorbild  für  Ovids  Fasten.  Über  seine  Zeit 
gibt  das  Zeugnis  des  Hephästion  c.  9,  das  ihn  als  Vorgänger  des  Philiskos, 
eines  Dichters  der  tragischen  Pleias,  bezeichnet,  beiläufigen  Aufschluss. 
Auf  den  Anfang  der  alexandrinischen  Periode  weist  auch  die  Mannig- 
faltigkeit seiner  Metra  hin,  da  sich  schon  von  Kallimachos  an  die  Dichter 
immer  mehr  auf  einige  wenige  Versmasse  beschränkten. 

Asklepiades  aus  Samos,^)  von  Theokrit  7,  40  als  sein  Lehrer  und 
Meister  gepriesen,  läuft  in  Zartheit  der  Empfindung  und  Schönheit  der  Form 
leicht  allen  Epigrammendichtern  den  Rang  ab.  Nur  wenige  seiner  Epigramme 
sind  als  wirkliche  Aufschriften  gedacht;  andere  gelten  dem  Preise  der  von 
ihm  verehrten  Dichter  Hesiod,  Antimachos,  Erinna;  weitaus  die  meisten 
sind  erotischer  Natur  und  hauchen  die  ganze  Weichheit  eines  schmachtenden, 
verliebten  Dichterherzens;  sie  gehören  zu  den  schönsten  Blüten  der  Liebes- 
poesie der  Alten,  zeugen  aber  auch  zugleich  von  der  leichten  Weise,  mit 
der  man  damals  die  Liebe  und  das  Leben  überhaupt  nahm;  die  niedlichen 
Schilderungen  des  kleinen  Gottes  mit  Flügel  und  Pfeil  gemahnen  an  die 
lieblichen  Eroten  von  Tanagra  und  die  Wandgemälde  Pompeji's. 

Poseidippos,  durch  den  Beinamen  ö  iTiLyQap.iJiaTOQycc(fog  von  dem 
gleichnamigen  Komiker  Athens  unterschieden,  blühte  um  270,  gleich- 
zeitig mit  Asklepiades,  mit  dem  er  auch  öfters  in  der  Anspielung  auf 
die    gleichen    Hetären     zusammentrifft.      Der    erotische    Ton    seiner    Epi- 


Anyte  dieses  Epigrammes  als  Mytilenäerin 
bezeichnet  wäre. 

')  Von  Moiro  steht  auch  ein  episches 
F'ragment  von  der  Geburt  des  Zeus  bei  Ath. 
491a;  nach  Parthenios  c.  27  hatte  sie  auch 
Elegien  unter  dem  Titel  'JQcd  gedichtet, 

2)  Anth.  VII,  718.  Ihre  Zeit  ist  be- 
stimmt durch  Erwähnung  des  Komödien- 
dichters Rhinthon. 

'0  Daneben  kommt  ein  Epigrammatiker 
Simmias  Thebanus  vor. 


^)  Zu  seiner  grammatischen  Thätigkeit 
gehört  eine  Sammlung  von  Glossen.  Über 
sein  Epos  ' Anollayv  s.  Düntzer,  Fragm.  d. 
ep.  Poesie  II,  4  f. 

^)  Häberlin,  Carmina  figurata  graeca, 
Hann.  1887. 

6)  IixeXl&ag  wird  er,  wohl  nach  dem 
Vater,  genannt  von  Theokrit  VII,  40  und  von 
Meleagros  Anth.  IV,  1.  46.  Über  einen  an- 
deren Asklepiades  s.  Jacobs,  Anth.  t.  XIII 
p.  864. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.     2.  Poesie.  (§  330.) 


443 


gramme  erhält  eine  kräftigere  Beimischung  durch  den  Preis  des  Weins 
und  der  Flasche,  i)  Geistreich  ist  die  Gegenüberstellung  der  Freuden  und 
Leiden  der  verschiedenen  Lebensstellungen  (Anth.  IX,  359.  360).  Zu  den 
Epigrammen  auf  Dichter  gesellen  sich  bei  ihm  solche  auf  berühmte  Kunst- 
werke, wie  auf  den  Alexander  und  Kairos  des  Lysipp  (Anth.  IV,  119.  275). 2) 
Auch  ein  episches  Gedicht  'Aaomia   und  Elegien  werden  von  ihm  erwähnt. 

Leonidas  von  Tarent^)  aus  der  gleichen  Zeit^)  ward,  selbst  ein 
armer,  heimatloser  Schlucker  (Anth.  VI,  300),  der  Dichter  der  kleinen, 
armen  Leute,  indem  er  den  Maurern,  Weberinnen,  Jägern,  Flötenspielerinnen, 
wenn  sie  am  Lebensabend  ihr  Werkzeug  an  einen  Baum  der  Gottheit  auf- 
hingen, Epigramme  als  Weihinschriften  dichtete,  auch  in  Versen  polizei- 
liche Anordnungen  zur  Warnung  schrieb,  damit  nicht  mutwillige  Jungen 
mit  Steinen  die  Früchte  herunterschlügen,  oder  die  Mäuse  seinen  arm- 
seligen Brotkorb  zernagten.  Da  sich  der  Dichter  fast  durchweg-^)  in  der 
Sphäre  des  niedrigen  Lebens  bewegte,  so  findet  sich  bei  ihm  eine  Unmasse 
gemeiner,  sonst  nicht  vorkommender  Wörter;  staunenswert  ist  dabei  nur, 
wie  leicht  die  neuen  Wörter  der  formgewandte  Dichter  in  den  Vers  zu 
bringen  wusste. 

Ausserdem  nahm  Meleager,  wie  er  selbst  in  dem  geschmackvollen 
Proömium  seiner  Epigrammensammlung  angibt,  noch  von  ein  paar  Dutzend 
anderer  Dichter  Blumen  in  seinen  Kranz  auf.  Darunter  waren  ausser 
Theokrit,  Kallimachos,  Rhianos,  Euphorien  noch  folgende,  sonst  nicht  näher 
bekannte  Epigrammatiker:  Demodokos  aus  Leros,  der  vor  Aristoteles 
lebte  nach  dem  Zeugnis  des  Philosophen  in  Eth.  Nie.  VII,  9,  Antagoras 
aus  Rhodos,  der  sich  längere  Zeit  an  dem  Hofe  des  Antigenes  Gonatas 
aufhielt,^)  Hedylos,  Sohn  der  Hedyle  unter  Ptolemaios  Philadelphos,  Dios- 
korides,  jüngerer  Zeitgenosse  des  Komödien  dich  ters  Machon  in  Alexandria,^) 
Nikias,  Arzt  und  Freund  des  Theokrit,  Mnasalkas  und  dessen  Rivale 
Theodoridas,  Zeitgenossen  des  Dichters  Euphorien,  Alkaios  von  Mes- 
senien,  Epigrammatiker  und  Epikureer  aus  der  Zeit  des  Königs  Philippos  III., 
Diotimos  von  Adramyttion  und  Phaidimos  aus  Bisanthe,  von  denen  auch 
Epyllien  über  die  Thaten  des  Herakles  existierten,^)  Antipater  aus  Sidon, 
den  Cicero  de  erat.  III,  50  als  poetischen  Improvisator  preist  und  der  eine 
Reihe    poetischer    Grabepigramme    auf  alte   Dichter    verfasst    hat;    ferner 


')  Zwei  neue  Epigramme  des  Poseidippos 
wurden  aus  einem  Papyrus  ans  Licht  gezogen 
von  Weil,  worüber  Blass,  Rh.  M.  35,  90  ff. 

'^)  Die  Epigramme  überhaupt  bilden  auf 
solche  Weise  eine  wichtige  Quelle  für 
Litteratur-  und  Kunstgeschichte.  Für  das 
34.  u.  35.  Buch  des  Plinius  hat  dieses  0. 
Jahn,  Berichte  d.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  1850 
S.  118 — 125,  und  Benndokf,  De  anth.  gr. 
epigrammatis  quae  ad  artcm  spectant,  Lips. 
1862  nachgewiesen.  Dass  auch  bei  Cicero 
de  inv.  II,  1.  1  über  Zcuxis'  Helena  unter 
den  muUi  poetae  Epigrammatiker  zu  ver- 
stehen seien,  bemerkt  Uklichs,  Über  griech, 
Kunstschriftsteller  S,  40. 

^)  Verschieden  von  dem  Epigrammatiker 
ist  Julius  Leonidas  Alexandrinus    aus  Neros 


Zeit. 

^)  Die  Zeit  wird  bestimmt  durch  An- 
spielungen auf  Pyrrhus  und  ein  Epigramm 
auf  Arat  in  Anth.  IX,  25.  Auf  etwas  ältere 
Zeit  könnte  ein  Epigramm  Anth.  V,  206  hin- 
weisen, wo  die  Töchter  des  Antigenides, 
des  berühmten  Flötenbläsers,  ihre  musikali- 
schen Instrumente  den  Musen  weihen. 

'')  Wir  haben  jedoch  von  ihm  auch  einige 
hübsche  Epigramme  auf  Dichter  und  Kunst- 
werke. 

^)  Antagoras  hatte  auch  ein  Epos  The- 
bais  gedichtet. 


I,  310. 


')  Anth.  VII,  708. 

^)  Vgl.  WiLAMOwiTz,  Euripides  Herakles 


444  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratnr. 

Archelaos  aus  dem  ägyptischen  Chersones,  Nikainetos  aus  Samos, 
Hermodoros  aus  Syrien,  Simonides  aus  Magnesia  u.  a.  Meleagros, 
der  Ordner  des  Kranzes,  von  dem  Athenaios  auch  die  parodischen  Gedichte 
^i\a7r6(fior,  Aexi^ov  xal  (paxrjg  avyxQiaiq^  Xaqirsg  anführt,  spendete  selbst 
zu  seiner  Anthologie  an  130  hübsche  Epigramme,  meist  erotischen  Inhaltes; 
besonderer  Anerkennung  erfreute  sich  in  alter  und  neuer  Zeit  sein  Früh- 
lingsgedicht in  Hexametern. 

Ein  Denkmal  der  am  pergamenischen  Hofe  blühenden  Verskunst 
bilden  die  19  Epigramme  des  3.  Buches  der  Anthologia  Palatina.  Dieselben 
stunden  unter  den  Reliefen  im  Tempel  der  Apollonis,  der  Mutter  des 
Attalos  und  Eumenes,  zu  Kyzikus  und  verdanken  ihre  Erhaltung  dem 
frommen  Sinn,  der  sich  in  jenen  Reliefen  aussprach.  Sie  stellten  nämlich 
alle,  wie  die  beigegebene  Beschreibung  in  Prosa  noch  deutlicher  ausspricht, 
Beispiele  aufopferungsvoller  Mutterliebe  dar,  darunter  auch  schon  eine 
römische  Legende,  die  Befreiung  der  Servilia  von  den  Misshandlungen  des 
Amulius  durch  Remus  und  Romulus. 

Die  Anthologia  Palatina  rührt  von  Konstantinos  Kephalas  her,  der  im 
J.  917  Protopapas  des  kaiserlichen  Palastes  war.  Als  seine  Quellen  gibt  er  selbst  die 
Sammlungen  des  Meleagros,  Philippos,  Agathias  an  deren  Proömien  er  im  4.  Buche 
mitteilt;  doch  gehen  auf  diese  nur  die  Bücher  4  —  7  und  9 — 11  zurück.  Der  Inhalt  der 
ganzen,  aus  15  B.  bestehenden  Anthologie  ist  folgender:  1.  B.  XQiaxiavci  smyQ.,  2.  B.  Xqi- 
(TTodojQov  noirjrov  @t]ßuiov  (5.  Jahih.)  extpQuaig  jwv  tiyaXfA.c'czMv  xiov  etg  to  ^rj^iöaiov  yv^u- 
vuaiop  Tov  iniyaXovjueyov  ZEv'^lmiov,  3.  B.  eniyQ.  iv  Kv^ixw  stg  xov  vaov  ' Ano'kX(Mv[6oq  rfjg 
fjirjTQog  'JiräXov  xcd  Evfzipovg,  4.  B.  rd  TTQOoifxict  rcoy  diacpoQiov  dvO^oloylayv,  MeXedygov, 
4>iU7T7iov,  ^ Aya&iov,  5.  B.  intyq.  igoDTixa,  6.  B.  sniyq.  dyad^rjfiarixd,  7.  B.  intyQ.  emxvfxßicc, 
8.  B.  ETiiyg.  FgtjyoQiov  tov  d^soXöyov,  ursprünglich  als  Ergänzung  des  7.  B.  gedacht,  9.  B. 
iniyQ.  intdeiXTixd,  10.  B.  iniyQ.  iJQOTQsmixd,  11.  B.  iniyq.  avfxnonxd  xal  axconrixd, 
12.  B.  lTQdra,rog  rov  laQ^iavov  fuovaa  ncadixrj,  13.  B.  intyq.  diacpoQMv  fietgioy,  die  im 
3.  Jahrh.  v.  Chr.  von  einem  unbekannten  Grammatiker  zusammengestellt  waren,  14.  B. 
dQii^fxi]Tixd,  airlyfjcaa,  yqlcfoi.  15.  B.  ffv/nfxixTcc.  Diese  Anthologie  ist  uns  erhalten  in  dem 
Cod.  Palat.  s.  XI,  der  am  Schluss  noch  die  Anacreontea  enthält  und  ehedem  nach  einem 
alten  Inhaltsverzeichnis  auch  noch  den  Nonnos  umfasste..  Der  Cod.  gelangte  1623  durch 
Schenkung  nach  Rom,  von  wo  er  1797,  in  2  Teile  auseinandergenommen,  nach  Paris  kam. 
Nach  dem  Pariser  Frieden  kam  der  vordere  Teil  (B.  1 — 12)  wieder  nach  Heidelberg  zu- 
rück, der  zweite  verblieb  in  Paris,  nur  ein  photographisches  Facsimile  findet  sich  jetzt 
auch  in  Heidelberg,  Bekannt  wurde  der  Cod.  zuerst  durch  Salmasius,  der  ihn  1607  in 
Heidelberg  abschrieb.  Zuvor  kannte  man  nur  die  Anthologia  Planudea  in  7  Abt,  (ed. 
princ.  1494;  beste  Ausg,  von  Bosch,  Utrecht  1795—1810,  mit  den  meisterhaften  Über- 
setzungen von  Hugo  Grotius),  welche  im  14,  Jahrh,  der  Mönch  Planudes  veranstaltet  hatte. 
Dieselbe  ist  auch  nach  dem  Bekanntwerden  der  Anth,  Palat,  noch  nicht  wertlos,  da  sie< 
nicht  bloss  an  vielen  Stellen  bessere  Lesarten  hat,  sondern  auch  mehrere  Epigramme  ent- 
hält, die  dort  fehlen.  Von  einem  dritten  Florilegium,  dem  des  Thessalos  aus  der  Zeit 
Leo  X,  (886  —  912),  erhalten  in  einer  Pariser  und  Florentiner  Handschrift,  gibt  Schneide-! 
WIN,  Progymnasmata  in  anth.  gvaec,  Gott,  1855  Nachricht.  Vgl,  Finslee,  Krit,  Unt,  zur 
Gesch,  d,  gr.  Anth.,  Zürich  1876;  Wolters,  l)e  epigraiumatum  graecorum  anthologiis, 
Halis  1882  u,  Rh.  M,  38,  97  —  119;  Dilthey,  De  epigr.  graec.  syllogis  quibusdam  minori' 
hus,  Ind.  Gotting  1887. 

Ausgaben:  Anth.  vet.  poet.  graec.  ed.  Brünck,  Argent.  1776;  Anth.  graec.  ex  rec. 
Bruncldi,  indices  et  comment.  adi.  Fr,  Jacobs,  Lips,  1794-1814,  12  vol.;  kleinere  Ausgabe 
in  3  vol,,  Lips,  1813—7,  —  Neubearbeitung  von  Dübner,  Par.  1864;  von  Cougny,  Par,  1890, 
3  Bde.  —  Delectus  ptoetarum  anthologiae  graecae  von  Jacobs,  Gotha  1826;  von  Meineke, 
Berl,  1842,  —  Hecker,  Comment.  crh.  de  anth.  gr.  ed.  II,  LB,  1852.  —  Herder,  Acht 
Bücher  Blumen  aus  der  griech.  Anthologie,  in  sehr  freier  Übersetzung,  worin  unbekannte 
PJigennamen  weggelassen  oder  durch  andere  ersetzt  sind. 

Eine  Ergänzung  dieser  handschriftlichen  Anthologie  bilden:  Appendix  epigranimatum 
apud  scriptores  veteres  et  in  marmoribus  servatorum  von  Jacobs  ed.  min.  II  745—880, 
Avozu  eine  ergänzungbedürftige  Nachlese  von  Welcker,  Sylloge  epigr.  graecorum,  ed,  II, 
Bonn  1829;  Epigrammata  graeca  ex  lapidibus  collecta  ed.  Kaibel,  Berl.  1878,  wozu  Er- 
gänzungen   von   Allen,    Greec   versification   in  inscriptions,  Boston  1888;    Epigrammata 


A.  Alestandrinisches  Zeitalter.     2.  Die  Poesie.  (§  330—331.) 


445 


graeca  in  Aegypto  reperta  coli.  Puchstein,  in  Diss.  Argent.  IV,  1 — 78;  Preger,  De  epi- 
grammatis  graecis,  Monachii  1889  als  Vorläufer  einer  neuen  Sammlung  der  in  alten  Autoren 
erhaltenen  Epigramme. 

330.  Ausser  Idyllen,  Elegien  und  Epigrammen  ist  von  lyrischen  Ge- 
dichten in  unserem  Zeitalter  nichts  nennenswertes  produziert  worden.  Es 
begegnen  noch  ein  paar  Tändeleien  in  bizarren  Formen,  mit  denen  die  Ver- 
fasser von  Tiaiyvia  und  SicKfoqa  TToirjßaTa  i)  ihre  Fertigkeit  in  der  Versi- 
fikation  und  im  metrischen  Spiel  darthun  wollten.  So  gab  sich  Simmias 
aus  Rhodos  die  undankbare  Mühe,  Gedichte  in  der  Form  eines  Flügels, 
Eis,  Beiles  zu  dichten  und  fand  damit  so  grossen  Beifall,  dass  nach  seinem 
Beispiele  andere  eine  Hirtenpfeife  oder  einen  Altar  dichteten. 2)  Auch  sonst 
erwuchs  die  kunstvollere  Form  nicht  der  Situation  und  der  Natur  des 
Liedes,  sondern  dem  launenhaften  Spiel  der  Versifikatoren,  wie  wenn  Pha- 
laikos  Anth.  III,  6  eine  Grabschrift  in  Hendekasyllaben,  Kallimachos  die 
Votivinschrift  eines  Tempels  in  Asynarteten  dichtete. 2)  Gleichwohl  haben 
die  Metriker  viele  lyrische  Metra,  wie  das  Asclepiadeum,  Phalaeceum, 
Simmiacum,  Callimacheum  nach  alexandrinischen  Dichtern  benannt;^)  auch 
die  ionischen  Sotadeen  und  die  mit  der  Verbreitung  des  Kultus  der  Kybele 
und  des  Priapus  zusammenhängenden  Priapeia  haben  nach  Gedichten  unserer 
Periode  ihren  Namen  erhalten.  —  Erhalten  ist  aus  dem  Ende  unserer  Periode 
durch  StobäusFlor.  7,  13  die  sapphische  Ode  der  Melinno  auf  die  ewige  Stadt 
Rom,  entstanden  zur  Zeit  als  Rom  alle  anderen  Städte  des  Erdkreises  in 
Schatten  stellte,  nicht  lange  vor  der  Regierung  des  Kaisers  Augustus.'^) 


b.  Die  bukolische  Poesie. 

331.  Die  bukolische  Poesie  hatte  in  volkstümlichen  Weisen  ihren  Ur- 
sprung. ^^)  Wie  das  liederfrohe  Volk  der  Hellenen  in  den  Weingegenden 
den  Gott  der  Rebe  feierte,  so  begingen  die  Bauern  in  getreidereichen 
Ländern  zu  Ehren  der  Artemis  festliche  Umzüge.  Solche  Feste  gab  es  in 
Lakedämon  und  in  Sikilien.  In  Syrakus  waren  die  Bauern  vermummt, 
ähnlich  wie  die  Winzer  an  den  Bakchosfesten ;  ihre  Lieder  waren  voll  von 
allerlei  Scherz  und  schlössen  mit  dem  frommen  Spruch: 

dt'^ai  Tccv  dya^dv  Tv^^av^  öt^ai  idv  vyieiav^ 
dv  ^6Q0jH€v  Ttagd  Tag  ^€0v,  a  xekrjcfaro  tivcc. 


')  Carmina  figurata  graeca  ed.  Haeber- 
LTN,  ed.  II,  Hannov.  1887;  erhalten  sind  uns 
dieselben  im  13.  Buch  der  Anthologie. 

^)  Die  Syrinx  wird  demTheokrit  bei- 
gelegt, der  Altar  dem  Dosiadas  aus  Kreta, 
dessen  Blüte  Wilamowitz,  De  Lycoph.  Alex, 
p.  13  auf  285-270  setzt. 

^)  Auch    diese    erhalten   in   Anth.  XIII. 
^)  Beispiele  nach  dem  Metriker  Hephä- 
stion sind: 
Xcd()\  (ö  xQVGoxiqtag  ßaßdxra  fxrjXtav 

Phalaikos. 
^cdfxovEg  evvfj.v6xarov  4>otß6  re  xal  Zev  didv- 

jxiov  ysvÜQxct  Kallimachos. 

loi^   axvyvov    MeXavinnov    cpövov    id   nuxqo- 

cpöpojy  eQiS^ot  Simmias. 

jr]   x^f^oyln    juvaiixa  J?jfj,t]TQl   t€    xal    'PeQoe- 

(fövri  xal  KXvfxevM  ja  Ja>()«     Philiskos. 


Wahrscheinlich  war  demnach  auch  Arche- 
bulos,  von  dem  das  Archebidcum  metrum 
benannt  ist,   ein  alexandrinischer  Dichter. 

^)  So  BiRT,  De  urhis  Bomae  nomine, 
Ind.  lect.  Marb.  1888  p.  XII.  Welcker,  Kl. 
Sehr.  II,  160  ff.  hatte  die  Ode  in  die  Zeit 
nach  Besiegung  des  Königs  Philipp  von 
Makedonien,  um  195  v.  Chr.  gesetzt.  Sto- 
baios  selbst  macht  die  Melinno  zu  einer  alten 
lesbischen  Dichterin. 

^)  l'rolegomena  zu  Theokrit  tteqI  xrjg 
EvQeaeiog  xtoy  ßovxoXixcjy,  Probus  im  P]ingang 
zu  Vergils  Georgica,  Diomedes  p.  48G  K.  — 
G.  Hermann,  De  arte  poesis  Graecorum 
hucolicae,  1849;  Welcker,  Über  den  Ur- 
sprung des  Hirtenliedes,  Kl.  Sehr.  I,  402  ff.; 
A.  Pritsche,  De  poeiis  Graecorum  hucolicis, 
Gissae  1844. 


446 


Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


Mehr  aber  als  diese  volkstümlichen  Artemisfeste  gab  das  Leben  der  Hirten 
auf  entlegenen,  quellenreichen  Triften  mit  dem  Fernblick  auf  die  blaue  See 
Anstoss  zur  Entwicklung  der  ländlichen  Poesie.  Hier  erschallte  die  Schalmei 
des  Hirten,  hier  belebten  sich  im  stillen  Verkehr  mit  der  Natur  die 
Schluchten  und  Gewässer  mit  Nymphen,  Kyklopen  und  anderen  Natur- 
göttern. 9  Besonders  Sikilien  und  ünteritalien  mit  ihren  grossartigen  Natur- 
schönheiten und  ihrer  witzigen  Bevölkerung  waren  der  Entfaltung  der 
bukolischen  Muse  günstig.  Schon  Stesichoros  sang  das  romantische  Lied 
von  der  schönen  Kalyke  und  feierte  den  Haupthelden  der  Hirtenpoesie, 
den  schönen  Daphnis.^)  Er  ward  daher  von  einigen  geradezu  als  der  Er- 
finder der  bukolischen  Poesie  angesehen.^)  Andere  nannten  als  solchen 
einen  gewissen  Diomos,  von  dem  wir  nur  wissen,  dass  er  vor  Epicharm 
lebte,  der  seiner  in  zwei  Stücken  gedachte.'^) 

332.  Bukolisch  ward  die  Hirtenpoesie  a  potiore  parte  genannt;  denn 
thatsächlich  spielten  in  derselben  nicht  bloss  Rinderhirten  {ßovxöXoi)  eine 
Rolle,  sondern  ebenso  gut  Geissbuben  {ccIjiöXoi)  und  Hirten  überhaupt.  Ja 
sogar  über  die  Grenze  des  Hirtenlebens  ging  dieselbe  hinaus,  indem  z.  B. 
in  dem  10.  Idyll  des  Theokrit  Schnitter  die  sprechenden  Personen  abgeben. 
Die  Form  des  Hirtenliedes  war  ein  Gemisch  von  Erzählung  und  Dramatik, 
weshalb  die  alten  Grammatiker  demselben  den  gemischten  Charakter  bei- 
legten.^) Der  dramatische  Dialog  scheint  aus  der  alten  Weise  des  Wechsel- 
und  Wettgesangs  der  Hirten  entsprungen  zu  sein.  Der  herrschende  Vers 
war  der  daktylische  Hexameter,  welcher  der  einfachen  Schlichtheit  des 
Volksliedes  entsprechend,  sich  ohne  Abwechselung  wiederholte.  Doch  näherte 
sich  das  Hirtenlied  dadurch  der  kunstvolleren  Form  der  Lyrik,  dass  in  der 
Regel  mehrere  Verse,  teils  durch  den  Refrain,^)  teils  bloss  durch  den  Sinn 
zu  grösseren  Gruppen  oder  Strophen  verbunden  waren.  Auch  der  Hexa- 
meter ward  von  den  Bukolikern  anders  als  von  den  Epikern  gebaut.  Die 
Eigentümlichkeit  des  bukolischen  Verses  besteht  in  dem  regelmässigen  Ein- 
schnitt nach  dem  4.  Fuss,  der  sogenannten  bukolischen  Cäsur,  die  wahr- 
scheinlich mit  einer  alten  Melodieweise  zusammenhängt.  Wenn  Vergil  in 
seinen  Eklogen  jenen  Einschnitt  vernachlässigte,  so  bestätigt  dieses  nur 
die  Beobachtung,  dass  der  römische  Dichter  die  Hirtenlieder  Sikiliens  nur 
aus  Büchern,  nicht  aus  dem  Munde  des  Volkes  kannte."^)  Die  einzelnen 
Gedichte  der  bukolischen  Poesie  pflegen  wir  Idyllen  zu  nennen.  Das  ist 
nicht  ganz  in  dem  antiken  Sprachgebrauch  begründet;  denn  in  dem  ange- 
gebenen Sinne  gebrauchten  die  Alten  dSidXiov  ßovxoXixov,  nicht  sldvkliov 


^)  Schon  bei  Homer  in  der  Ilias  I  525 
spielen  Hirten  auf  der  Syrinx,  und  schon 
in  der  Odyssee  treffen  wir  ausser  dem  ein- 
äugigen Kyklopen  die  Nv/urpai  dyQovofxoL 
im  Gefolge  der  Artemis,  Od.  C  105. 

2)  Vgl.  Diodor  IV,  84:  fxvx^oXoyovai  Se 
xov  Jc'icpviv  (pvGSi  dicccpoQio  TTQog  Ei^ueXeiccy 
y,exoQ'>]yr}y.evop  i^svQsTy  ro  ßovxohxop  nobjfxa 
ycd  fj.t'kog,  o  f^s/Q^  ^^^  ^^^  xard  rrjv  Zi- 
XE%L(tv  Tvy/cipsi  ^iafXEvop  EP  dno&o/fj. 

^)  Aelian  V.  H.  X,  18:  IxrjalxoQov  ys 
TOP  IfxsQKiop  xrjg  xoicwTt]g  fxeXojioitag  vnt'c^- 


iaa&av.     Vgl.  oben  §  110. 

^)  Nach  Ath.  619  a  dichtete  er  einen 
sogenannten  ßovxohccGfxog. 

^)  Proleg.  zu  Theokrit  c.  8. 

^)  Der  alte  Refrain  ficcxQcd  ö'Qvsg  lo 
Mspdkxcc  wird  von  Ath.  619  d  eine  Sang- 
weise, pofiiop,  genannt. 

')  Auf  der  anderen  Seite  aber  hat  Ver- 
gil die  Verbindung  mehrerer  Hexameter  zu 
einer  Art  von  Strophe  aus  seinem  Vorbild 
herübergenommen. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  332—334.) 


447 


allein.^)  Das  Wort  dSvXXiov  ist  Diminutiv  von  siSog^  bedeutete  aber  nicht 
ein  niedliches  Bild  des  Landlebens,  sondern  ein  kleines  zum  Gesang  be- 
stimmtes Gedicht.  EI'Stj  wurden  nämlich  die  grossen  lyrischen  Gedichte 
Pindars  genannt,  weil  über  jedes  die  Tonart  (dSog  aQfxoviag),  in  der  das- 
selbe gesungen  werden  sollte,  geschrieben  war;  von  jenem  siSog  aber  ist 
HÖvXXiov  das  Diminutiv. 2)  Der  Form  des  griechischen  Wortes  entspricht 
im  deutschen  das  Neutrum,  das  Idyll,  nicht  das  Femininum,  die  Idylle,  wie 
man  sich  in  Deutschland  irrtümlich  nach  der  Analogie  verwandter  Wörter 
zu  sagen  gewöhnt  hat. 

333.  Zur  Blüte  kam  die  bukolische  Poesie  erst  im  alexandrinischen 
Zeitalter.  Das  war  nicht  Zufall,  das  war  im  Charakter  der  Zeit  begründet. 
Die  Welt  war  überfeinert  geworden;  die  konventionellen  Formen  des  Städte- 
lebens beengten  den  natürlichen  Menschen;  die  Üppigkeit  der  Mahlzeiten 
und  der  Luxus  der  Kleidung  gereichten  ihm  mehr  zum  Überdruss  als  zum 
Genuss,  er  sehnte  sich  aus  der  x^tmosphäre  der  Stadt  wieder  hinaus  in  die 
freie  Natur  und  zu  dem  einfachen  Leben  der  Hirten  und  Landleute.  Dieser 
Reaktion  gegen  die  Unnatur  des  Stadt-  und  Hoflebens  verdankt  die  buko- 
lische Poesie  ihre  Blüte,  ähnlich  wie  sich  die  Idyllendichtung  Gessners  und 
die  Dorfgeschichten  Auerbachs  im  Gegensatz  zur  überfeinerten  Kultur  ihrer 
Zeit  entwickelten.  Auf  solche  Weise  war  es  unserer  Epoche,  die  sonst 
nur  von  Nachahmung  und  affektierter  Empfindung  lebte,  vorbehalten,  eine 
neue  köstliche  Frucht  am  goldnen  Baume  der  Poesie  zu  zeitigen.  Sind  der 
bukolischen  Dichter  auch  nur  wenige,  und  wenige  auch  nur  ihrer  Gedichte, 
so  haben  wir  doch  in  dem  wenigen  wahre  echte  Poesie,  die  den  Vergleich 
mit  den  Blüten  der  klassischen  Zeit  nicht  zu  scheuen  braucht. 

334.  Theokrit^)  ist  der  erste  und  hauptsächlichste  Vertreter  der 
bukolischen  Poesie.  Sein  Leben  ist  leider  stark  in  Dunkel  gehüllt;  über 
Herkunft,  Vaterland,  ja  selbst  Namen'*)  wird  gestritten.  Nach  dem  alten 
Epigramm  Anth.  IX,  434"')  stammte  er  aus  Syrakus^)  und  war  der  Sohn 
des  Praxagoras  und  der  Philine;')  aber  der  Lexikograph  Suidas  berichtet, 


')  Idyllia  werden  kleinere,  nicht  dem 
Hirtenleben  angehörende  Gedichte  genannt 
von  dem  jüngeren  Plinius  ep.  IV,  14.  9  und 
von  Ausonius. 

^)  Dieses  begründete  ich  in  einem  Vor- 
trag über  den  Namen  Idyll,  in  den  Verh.  d, 
Philol.  Vers,  in  Würzburg  1868  S.  49  ff. 

^)  Quellen:  rivog  Gsoxqitov  in  den  Scho- 
lien,    ein  Artikel    des  Suidas,    ein  altes  Epi- 
gramm in  Anth.  IX,  434: 
JXXog    6    XTog,    eyoj    de    Osoxqitos,    og    zdd^ 

eyQtixpa, 

eig  (<n6  nJüv  Tiollixiv  sifxl  ZvQccxoaioov, 
vlog    llQa^ayoQcco    nsQixXsiTrjg    je    ^iXiPtjg, 

fÄOvaccv  t) '  od^velap  ov  jiv  icpsXxvaufX'rjv. 
Aus  neuerer  Zeit:  Hauler,  De  Theocriti 
rita  et  carminihus,  Frib.  1855;  Brinker, 
De  Theocriti  vita  carminibusque  suhditiciis, 
I-ips.  1884.  Vgl.  Hiller,  Jahrb.  f.  Alt.  1883 
S.  24  ff.;  Holm,  Geschichte  Siciliens  im  Alter- 
I  tum  II,  299—324,  und  vor  allem  Gercke, 
I  Alexandrinische  Studien,  Rh.  M.  42. 


^)  Aus  dem  Feyog  erfahren  wir,  dass 
einige  Moschos  als  seinen  ursprünglichen 
Namen  ausgaben;  das  scheint  aber  nur  daher 
zu  rühren,  dass  einige  seiner  Gedichte  von 
andern  dem  Moschos  beigelegt  wurden. 

^)  Aus  dem  Eingang  des  Epigramms, 
in  dem  an  einen  gleichnamigen  Rhetor  Theo- 
kritos  von  Chios  aus  der  Schule  des  Iso- 
krates  angeknüpft  ist,  vermute  ich,  dass  der 
Epigrammatiker  jünger  als  der  Litterar- 
historiker  Demetrios  Magnes  war,  von  dessen 
Schrift  ne()l  o^iüvvfxiop  iioir]Xitip  xal  dvyyQu- 
(pE(ov  er  ausgegangen  zu  sein  scheint. 

^)  Auch  Ath.  284a  nennt  den  Theokrit 
Syrakusaner. 

')  Aus  Id.  11,  7;  IG,  8;  28,  17  kann 
nicht  geschlossen  werden,  dass  Syrakus  die 
Vaterstadt  unseres  Dichters  war;  eher  kann 
der  Dialekt  seiner  Idyllen,  seine  frühe  Be- 
kanntschaft mit  dem  sikilischen  Mimographen 
Sopliron  und  der  geographische  Hintergrund 
der    meisten    seiner   Gedichte   für    die    alte 


448 


Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


dass  andere  ihn  für  einen  Koer  ausgaben,  und  er  selbst  nennt  sich  im 
7.  Idyll  ^ifiix'^örjv,  wonach  man  in  Simichides,  der  nach  dem  Zeugnis  der 
Scholien  zu  Id.  7,  21  von  Orchomenos  nach  Zerstörung  der  Stadt  durch 
die  Thebaner  (367)  nach  Kos  ausgewandert  war,  wenn  nicht  den  Vater, 
so  doch  den  Ahnen  unseres  Dichters  suchen  möchte.  ^)  Auch  vom  östlichen 
Griechenland  aus,  von  Orchomenos,  richtete  er  seine  Anfrage  an  Hieron, 
den  Herrscher  von  Syrakus  (16,  106),  wobei  er  auffälliger  Weise  gar  keine 
Andeutung  macht,  dass  Syrakus  seine  Vaterstadt  und  Hieron  der  Führer 
seiner  Landsleute  sei. 2)  Aber  wenn  es  auch  trotzdem  wahrscheinlich  bleibt, 
dass  unser  Dichter  Sikilien  zur  Heimat  hatte,  so  treffen  wir  ihn  doch  jeden- 
falls als  angehenden  Dichter  zuerst  im  östlichen  Griechenland.  Dort  haben 
ihn  der  Elegiker  Philetas  und  der  Epigrammatiker  Asklepiades,  welche 
beide  die  alte  Biographie,  vermutlich  auf  Grund  der  eigenen  Worte  des 
Dichters  7,  30  ff.,  als  seine  Lehrer  bezeichnet,  in  die  Poesie  eingeführt; 
dort  knüpfte  er  die  Bande  enger  Freundschaft  mit  dem  Arzt  Nikias  von 
Milet  und  dem  Dichter  Aratos  von  Soloi,  die  er  beide  wiederholt  in  seinen 
Dichtungen  preist;^)  dorthin  endlich  versetzt  uns  eines  seiner  ältesten  Ge- 
dichte, das  schon  erwähnte  7.  Idyll  Thalysia,  dessen  Scene  die  alten  Aus- 
leger nach  der  Insel  Kos  verlegten.'*)  Eines  der  ältesten  aber  nannte  ich 
dieses  Idyll,  da  in  demselben  der  Dichter  V.  103  auf  den  im  J.  276  von 
Arat  zu  Ehren  des  Antigones  Gonatas  gedichteten  Hymnus  auf  Pan  an- 
spielt, so  dass  es  auch  selbst  um  die  gleiche  Zeit,  bald  nach  276,  gedichtet 
sein  muss. 

Die  weiteren  Lebensgeschicke  unseres  Theokrit  sind  mit  den  Höfen 
von  Syrakus  und  Alexandria  verknüpft.  Mit  dem  16.  Gedicht,  XägiTsg  1] 
^li'Qcov  betitelt, •''')  bietet  er  sich  dem  Hieron,  dem  Herrscher  von  Syrakus, 
als  Herold  seiner  Ruhmesthaten  an.  Im  Eingang  desselben  klagt  er,  dass 
seinen  Charitinnen  bisher  überall  im  Osten  [yXavxdv  vn  ^Hco)  das  traurige 
Los  geworden  sei,  mit  leeren  Händen  abgewiesen  zu  werden.  Auf  wen 
damit  angespielt  sei,  ob  auf  Antigenes  Gonatas,  wie  Häberlin  meint,  oder 


ÜberHeferung,  dass  Theokrit  ein  Syrakusaner 
von  Geburt  gewesen  sei,   verwertet  werden. 

^)  Andere  wollten  nach  den  Scholien 
zu  7,  21,  wegen  des  Widerstreites  mit  der  an- 
deren Angabe,  dass  Praxagoras  der  Vater 
des  Dichters  gewesen  sei,  das  Wort  Zi-^i- 
/tcf?y?  von  oifÄog  herleiten.  Noch  gesuchter 
ist  die  von  Häberlin,  Carm.  figur.  p.  51 
aufgestellte  Etymologie  von  Zifxiag^  nach 
dessen  Vorbild  Theokrit  die  Syrinx  gedich- 
tet habe. 

2)  Aus  der  Teilnahme,  mit  der  er  16, 
88  ff.  die  Zerstörung  des  schönen  Landes 
durch  die  Punier  beweint,  scheint  indes 
doch  etwas  Heimatsliebe  zu  klingen. 

^)  Der  Frau  des  Arat  brachte  er  bei 
einem  späteren  Besuch  in  Milet  eine  Spindel 
und  dazu  das  schöne,  Spindel  {rjlaxchi])  be- 
titelte Gedicht.  Dem  Arat  widmete  er  sein 
6.  Idyll  und  bezeugte  demselben  7,  98  und 
17,  1  seine  bewundernde  Freundschaft. 

■*)  Diese    Angabe    der    Scholien    wurde 


von  G.  Hermann,  Opusc.  V,  78  ff.  bestritten, 
hauptsächlich  deshalb,  weil  der  im  Eingang 
des  7.  Idylls  erwähnte  "AXeig  mit  dem  Flüss- 
chen Haieis  bei  Velia  in  Lukanien,  das  der 
Dichter  5,  123  anführt,  identisch  sei.  Jetzt 
ist  inschriftlich  auf  Kos  ein  dä/uog  xmv 
^A'Asvj'lojp  nachgewiesen,  worüber  Paton, 
Class.  Rev.  II,  265  und  daraus  Hiller, 
Jahresb.  d.  Alt.  LIV  (1888),  S.  189. 

^)  Eine  Anspielung  auf  diesen  Titel  fand 
mit    glücklichem    Scharfsinn    Gercke,    Ale- 
xandrinische  Studien,  Rh.  M.  42,  610  in  dem 
32.  Epigramm  des  Kallimachos 
OfV    '6xv    fxoL    Ti^ovrov    xsveai    /SQsg,    aXkd 

Ms  y  171716 

jU7]  "keye  TiQog  Xagircdv  xovfxop  opeiqov  i/uoi. 
Aber  dass  dieses  Epigramm  mit  Zerwürfnissen 
des  Theokrit  am  Hofe  Alexandriens  um  270  2GC 
zusammenhänge,  ist  eine  sehr  unsichere  Ver- 
mutung, gegen  die  sich  mit  Recht  Vahlen, 
Ind.  lect.  Berol.  1889  p.  30  erklärt  hat. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  834.) 


449 


auf  die  Könige  von  Ägypten,  wie  Bücheier  mit  den  meisten  Auslegern  ver- 
mutet,^) hängt  von  der  Abfassungszeit  jenes  Gedichtes  und  von  dessen 
Verhältnis  zu  dem  folgenden  Gedicht  der  Sammlung,  dem  Preislied  auf 
Ptolemaios  Philadelphos  (iyxoöiiiov  slq  ntoXsiiaiov)  ab.^)  In  diesem  Hymnus 
preist  nämlich  unser  Dichter  in  überschwenglichen  Worten  die  Freigebig- 
keit des  ägyptischen  Königs,  offenbar  in  der  Absicht,  auch  auf  sich  den 
Goldregen  des  fürstlichen  Gönners  der  Dichter  zu  lenken.  3)  Auch  hielt 
sich  Theokrit  zweifellos  eine  Zeit  lang  an  den  Höfen  beider  Fürsten  auf: 
nach  Syrakus  weist  die  ganze  Richtung  seiner  sikilischen  Hirtenpoesie, 
weist  auch  das  Andenken,  das  er  seinen  Landsleuten  auch  auf  fremdem 
Boden  in  den  Idyllen  14  und  15  wahrt;  in  Alexandria  spielen  die  Adonia- 
zusen  (id.  15),  in  Ägypten  ist  auch  das  14.  Idyll  geschrieben,  in  welchem 
er  Söldner  für  das  Heer  des  Ptolemaios  wirbt;  zum  Ruhme  des  ägyptischen 
Herrscherhauses  hatte  er  auch  das  nicht  erhaltene,  aber  von  Athen.  284  a 
angeführte  Lobgedicht  auf  Berenike,  die  Mutter  des  Philadelphos,  gedichtet. 
Es  fragt  sich  also  nur,  ist  zuerst  Theokrit  in  Syrakus  am  Hofe  des  Hieron 
gewesen  und  von  da  erst  nach  Ägypten  gegangen,  vielleicht  um  später 
wieder  nach  Sikilien  zurückzukehren,  oder  hat  er  sich  zuerst  nach  Ale- 
xandria gewendet  und  ist  dann  später  erst,  als  sich  sein  Verhältnis  zu 
Ptolemaios  zerschlug,  nach  Syrakus  an  den  Hof  des  Hieron  gewandert. 
Das  hängt  davon  ab,  ob  das  17.  Idyll  vor  dem  16.,  oder  umgekehrt  das 
16.  vor  dem  17.  abgefasst  ist.  Sicher  lässt  sich  das  nun  leider  nicht  ent- 
scheiden. Das  17.  Gedicht  auf  Ptolemaios  kann  allerdings  nicht  vor  der 
Geschwisterehe  des  Ptolemaios  II.  und  der  Arsinoe  geschrieben  sein,  da 
in  demselben  auf  die  Liebe  des  Königs  zu  seiner  Schwestergattin  angespielt 
ist;  aber  das  Datum  jener  Ehe  ist  nicht  urkundlich  bezeugt  und  kann  nur 
im  allgemeinen  zwischen  276  und  270  gesetzt  werden.^)  Das  16.  Gedicht 
an  Hieron  aber  enthält  zwar  auch  einen  deutlichen  Hinweis  auf  ein  ge- 
schichtliches Ereignis,  die  Besiegung  der  Karthager  in  Sikilien  durch  die 
griechischen  Bewohner  der  Insel  und  Hieron,  den  Schirmherrn  der  Syra- 
kusaner;^)  aber  während  die  meisten  Erklärer  dabei  an  die  dem  Ausbruch 
des  1.  punischen  Krieges  unmittelbar  vorausgehenden  Händel  der  Mamer- 
tiner  (266)  denken,  erinnert  eine  beachtenswerte  Stimme  daran, ^)  dass  in 
dem  Gedichte  Hieron  al^ur/Tag,  nicht  ßaaiXsvg  heisse  (16,  103),  und  dass 
derselbe  schon  in  seinem  Strategement  im  Jahre  274  glänzende  Lorbeeren 
im  Krieg  mit  den  Puniern  errungen  habe.  Eine  Entscheidung  ist,  wie 
gesagt,  sehr  schwer;  aber  doch  etwas  einfacher,  deucht  mich,  schliessen  sich 


^)  Häberlin,  Carm.  fig.  34;  Büchelee, 
Rh.  M.  30,  55  ff. 

^)  Die  Ansicht  eines  gewissen  Munatius, 
dass  das  Lobgedicht  dem  Ptolemaios  Philo- 
])ator,  nicht  Philadelphos.  gelte,  ist  schon  in 
der  alten  Hypothesis  mit  chronologischen 
Gründen  zurückgewiesen. 

^)  Schon  zuvor  hatte  sich  Theokrit  7,  93 
mit  feiner  Schmeichelei  dem  Ptolemaios  em- 
pfohlen, 

'*)  So  bestimmt  die  Zeit  Gercke,  Rh.  M. 
42,  270  ff. ;  genauer  mit  neuem  Material  setzt 
Haudbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  YII.    i 


WiEDEMANN,  Phil.  N.  F.  I,  81  die  Ehe  vor  273. 
^)  Wie  grosse  Erwartungen  man  damals 
von    Hieron    hegte,    zeigen    besonders    die 
Verse  85  f. : 

i/r^Qoiig  ix  vtlaoio   yaxic  ne^ipsiey  clvdyy.a 
2^aQd6vt,ov    xccrd    xvjua    (fiXiav    ^Öqov  tlyyiX- 

Xovisg. 
^)  Vahlen,  Über  Theokrits  Hieron,  Mo- 
natsber.  d.  Berl.  Ak.  1884  S.  823  ff.,  dem 
Häberlin,  Carm.  fig.  57  beistimmt;  dagegen 
Beloch,  .Thrb.  f.  Phil.  131,  3()()  f.  u.  Gekcke, 
Rh.  M.  42,  270  ff.  u.  001  ff. 
Aufl.  29 


450 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


die  Ereignisse  zusammen,  wenn  wir  annehmen,  dass  Theokrit  um  273  von 
Kos  aus,  wo  wir  ihn  im  Jahre  276  zurückliessen,  nach  Alexandria  gegangen 
und  266  über  Orchomenos  wieder  nach  seiner  Heimatinsel  Sikilien  zurück- 
gekehrt sei.     Über  die  letzten  Tage  des  Dichters  oder  nur  bis  wie  lange 
er  gelebt  hat,  lässt  sich  nichts  sagen.    Die  Worte  Ovids,  Ibis  547 
ütque  Syracosio  praestricta  fauce  poetae, 
sie  animae  laqueo  sit  via  clausa  tuae 
hat  man  ehedem  auf  Theokrit  gedeutet  und  den   liebenswürdigen  Dichter 
von  dem   argwöhnischen  Tyrannen   Hieron   erdrosselt  werden   lassen;    die 
Deutung  ist  möglich,  aber  durchaus  unsicher. 

335.  Als  Werke  des  Theokrit  werden  von  Suidas  aufgezählt:  ßovxo- 
hxdy  JlgoiTidsg,  ilTiideg^^)  v^ivoi,  rjQMirai,  sTTtxrjSeia  jii&'krj,^)  iXsyeTai^  la^ßoi, 
€TiiyQo:fif.iaTa.  Von  diesen  ist  das  meiste  verloren  gegangen;  auf  uns  ge- 
kommen ist  eine  Blumenlese  von  31  Gedichten,^)  zu  denen  aus  der  Antho- 
logie noch  25  Epigramme  und  die  Fistula,  ein  Gedicht  in  der  Gestalt  einer 
Hirtenpfeife  {(TVQiy'^),^)  kommen.  Die  eigentlichen  Perlen  der  Sammlung 
sind  die  bukolischen  Gedichte,^)  welche  der  Grammatiker  Artemidor  gegen 
Ende  des  1.  Jahrhunderts  v.  Chr.  mit  den  verwandten  Gedichten  des  Bion 
und  Moschos  zu  einer  Gesamtausgabe  vereinigte,  welcher  der  metrische 
Titel  vorgesetzt  war: 

BovxoXixal  MoTaai  ajiOQaSsq  noxä,  vvv  J'a/ta  Tcaaai 
ivTi  fiiäg  fiidvSQag,  svtI  f^iiäg  dyeXag. 

Nach  dem  römischen  Grammatiker  Servius  in  der  Einleitung  zu  den 
Eklogen  Vergils  zählte  man  ehedem  nur  10  Idyllen,  also  gerade  so  viele 
als  Vergil  nach  dem  Beispiel  Theokrits  gedichtet  hat.^)  Mit  diesen  10 
bukolischen  Gedichten  berühren  sich  zumeist  in  der  dialogischen  Form  und 
dem  dorischen  Dialekt  die  (^aQfiaxsvTQtai  (2.)  und  ^Adcovidl^ovacci  (15.),^) 
welche,  wie  die  Scholien  uns  lehren,  den  Mimen  des  Sophron  nachgebildet 
sind.  Auch  den  Fischern  (22.)  diente  ein  Stück  des  Sophron,  0vvvo&rjQag, 
zum  Vorbild.  Unter  den  anderen  Gedichten  der  Sammlung  sind  noch 
mehrere,   welche  zu  dem  Landleben  und  zur  bukolischen  Poesie  in  Beziehung 


^)  Den  gleichen  Titel  ^EXril^sg  finden  wir 
bei  Kallimachos  wieder;  vgl.  Birt,  Elpides, 
Marb.  1881,  wonach  das  21.  Idyll,  die  Fischer, 
zu  dem  Buche  ^E^nideg  gehört  haben  soll. 

'^)  Unsicher  ist,  ob  inixfj&eia  fxs'kT]  zu- 
sammenzufassen oder  in  2  Titel  zu  tren- 
nen ist. 

^)  Die  besten  und  ältesten  Handschriften 
enthalten  nur  eine  kleinere  Zahl  von  Ge- 
dichten; die  Gedichte  Jiogxovqoi,  'HQaxXrjg 
'tksovTO(p6pog,  Msyc'cQCi,  liovxoXiaxog,  JXieig, 
KrjQLoxXemrjg,  ^Jduiyi&og  ennäcpiog,  elg  v^xqov 
' Adtoyidcc ,  'EQaaiTjg,  eni&aXd^iog  'J^iXXeiog 
bilden  eine  eigene  Sammlung  (Sylloge  4>), 
in  der  nur  die  JioaxovQoi,  Bovxokiaxog  und 
"^AXiEig  als  theokritisch  bezeugt  sind;  über- 
dies weichen  die  verschiedenen  Klassen  von 
Handschriften  in  der  Ordnung  der  Gedichte 
von  einander  ab;  s.  Ahrens,  Über  einige 
alte  Sammlungen  der  theokriteischen  Ge- 
dichte, in  Phil.  33,  385  ff.;    dazu   Birt,  Das 


antike  Buchwesen  S.  389 — 401;  Hiller,  Bei- 
träge zur  Texteskritik  der  Bukoliker,  1888. 
Inhaltsangaben  gibt  es  bloss  zu  den  18  ersten 
Gedichten. 

•*)  Über  diese  s.  Häberlin,  Carm.  fig. 
40  ff. 

^)  Das  7.  Idyll  ist,  wie  wir  oben  sahen, 
bald  nach  276  gedichtet;  die  übrigen  bukoli- 
schen Gedichte  scheinen  nach  den  oben  er- 
örterten Lebensverhältnissen  der  späteren 
Lebenszeit  des  Dichters  anzugehören. 

^)  Zu  diesen  10  bukolischen  Idyllen  ge- 
hörten nicht  die  Trankmischerinnen  (2.), 
weshalb  dieselben  in  2  Codices,  Ambros.  222 
u.  Medic.  37,  nicht  unter  den  Idyllen  an 
2.  Stelle,  sondern  nach  den  Idyllen  an  13. 
oder  14.  Stelle  stehen.  —  Über  die  Nach- 
ahmung des  Theokrit  durch  Vergil  s.  Rib- 
beck, Gesch.  d.  röm.  Dicht.  II,  16  ff. 

^)  ^ A&wpiccCovaai  war  auch  der  Titel  einer 
Komödie  des  Philetairos, 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  335—336.)  451 

stehen,  wie  die  anmutige  Erzählung  von  dem  schönen  Hylas,  den  die 
Nymphen  in  den  Quell  hinabziehen  (14.),  das  nette  Ständchen,  welches  die 
Mädchen  den  Neuvermählten  Helena  und  Menelaos  darbringen  (18.),  die 
Gedichte  vom  abgewiesenen  Freier  (20.),  vom  Honigdieb  (19.),  vom  Doppel- 
tod des  verschmähten  Liebhabers  und  der  hartherzigen  Geliebten  (23.),  auf 
den  toten  Adonis  (30.),  das  Liebesgeplauder  (27.).  Aber  unter  diesen  sind 
die  4  letzten  unecht^)  und  des  liebenswürdigen  Dichters  unwürdig.  Theo- 
krit  verschmäht  es  zwar  nicht,  auch  die  derbe  Seite  der  Hirtennatur  zu 
zeichnen,  aber  nie  steigt  er  zu  jener  nackten  Gemeinheit  herab,  welche  aus 
dem  27.  Gedichte  spricht.  Sehr  gut  steht  noch  unserem  feinfühligen,  sen- 
timentalen Dichter  der  weiche  Rhythmus  und  die  zarte  Sprache  der  3  äoli- 
schen  Gedichte  an,  der  Spindel  {r^laxarrj)  und  der  beiden  Liebeslieder 
{7Tai6ixd)j  von  denen  das  letzte  erst  in  unseren  Jahren  aus  einer  Mailänder 
Handschrift  ans  Licht  gezogen  wurde.  Von  weit  geringerem  Wert  sind 
die  epischen  Gedichte  auf  die  Dioskuren,  die  bacchantischen  Kadmostöchter, 
den  jungen  Herakles,  2)  den  löwenwürgenden  Herakles.  Von  diesen  hat  das 
letztere  nicht  den  Theokrit  zum  Verfasser;  die  anderen  sind  spielende  Ver- 
suche aus  der  Jugendzeit  des  Dichters,  noch  ehe  er  in  dem  Idyll  diejenige 
Gattung  der  Poesie  fand,  zu  der  ihn  die  Natur  geschaffen  hatte.  Endlich 
stehen  noch  in  der  Sammlung  die  Lobgedichte  {iyxMHio)  auf  Ptolemaios  (16.) 
und  Hieron  (17.),  welche  Gelegenheitsgedichte  waren  und  wegen  ihrer  Be- 
deutung für  das  Leben  des  Dichters  in  einer  Sammlung  seiner  Werke  nicht 
fehlen  durften. 

336.  Kunstcharakter.  Theokrit  ist  Naturdichter  und  Kunstdichter 
zugleich ;  diese  beiden  Seiten  treten  in  allen  seinen  Gedichten  hervor.  Er  lässt 
seine  Hirten  die  Sprache  des  Volkes,  die  mildere  Doris  der  Syrakusaner,^)  reden; 
er  ist  damit  der  Natur  treu  geblieben  und  hat  die  Gespreiztheit  des  Vergil, 
dessen  Hirten  die  hochtönende  Kunstsprache  der  Stadt  reden,  glücklich  ver- 
mieden. Aber  daneben  wendet  er  in  anderen  Gedichten  den  äolischen  und  epi- 
schen Dialekt  an,  deren  Kenntnis  er  nicht  mit  der  Muttermilch  eingesogen, 
sondern  künstlich  aus  Büchern  gelernt  hatte,*)  so  dass  man  die  Vermutung 
nicht  abweisen  kann,  er  habe  auch  sein  Dorisch  nicht  ganz  aus  dem  Munde 
der  Landleute  Sikiliens,  sondern  zum  Teil  aus  den  Mimen  des  Sophron 
und  den  Komödien  des  Epicharm  gelernt.  Ebenso  hat  in  den  Gedanken 
und  dem  Gesprächston  Theokrit  vortrefflich  die  derbe  Natürlichkeit  des 
Hirtenvolkes  wiedergegeben;  seine  Hirten  haben  Fleisch  und  Blut,  sind 
keine  verkleideten  Städter  wie  die  des  Vergil  und  keine  zahmen  Moralisten 
wie  die  Gessners;  dabei  hat  er  mit  feinem  Sinn  in  den  Neckereien  und 
Wettgesängen  der  Hirten  an  volkstümliche  Sitten  und  Gebräuche  ange- 
knüpft.    Aber  so  ganz  fehlt  doch  auch  bei  ihm  nicht  die  Anspielung  und 


^)  Der  Kr]QioxXtnrr]g,  'EQaartjg,  stg  vsxqov 
'Ji^oivida  sind  gar  nicht  als  theokritisch  be- 
zeugt; vgl.  S.  450  An.  3. 

2)  Der  fragmentarische  Charakter  dieses 
Gedichtes  zeigt  sich  auch  darin,  dass  es 
eines  rechten  Anfangs  und  Schlusses  entbehrt. 

")  Die  Doris  mitior  des  Theokrit  bildet 
bei   den    Grammatikern    den    Gegensatz   zur 


Doris  sererior  der  Lakedämonier. 

*)  Bei  solchen  Nachbildungen  blieben 
auch  nicht  Missverständnisse  aus,  wie  wenn 
Theokrit  12,  28  oixsiovai  nach  der  falschen 
Analogie  dos  homerischen  TeXeiovot  bildet, 
wiewohl  diese  Form  sich  bei  Homer  nur  bei 
den  Denominativen  der  Neutra  auf  oq  findet. 


29^ 


452 


Griechisclie  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Allegorie.  Die  Adoniazusen  enthalten  den  ausgesuchtesten  Lobpreis  der 
königlichen  Veranstalter  des  Festes;  in  dem  14.  Idyll  versteckt  sich  unter 
der  Maske  des  Werbers  für  den  Kriegsdienst  des  Ptolemaios  die  vom 
Preise  seines  Gönners  überfliessende  Person  des  Dichters,  i)  Endlich  auch 
in  der  Vortragsweise  ist  den  Idyllen  eine  gewisse  Zwitternatur  aufgeprägt: 
sie  waren  zum  Singen  bestimmt,  und  dem  hätte  am  besten  die  Strophen- 
bildung der  Lyriker  entsprochen;  Theokrit  aber  wählte  die  epische  Form 
des  gleichen  wiederkehrenden  Verses  und  näherte  sich  nur  dadurch  den 
Lyrikern,  dass  er  in  der  Regel  eine  gleiche  Anzahl  von  Hexametern  zu  je 
einem  Satze  verband.  2)  Damit  erhielt  er  eine  Art  Strophe,  aber  für  den 
Gesang  und  die  Wiederholung  der  gleichen  Melodie  war  dieselbe  doch  wenig 
geeignet,  weil  die  Struktur  oder  die  Ordnung  der  Längen  und  Kürzen  nicht 
die  gleiche  in  den  sich  entsprechenden  Versen  war.  Und  wiewohl  der 
Dichter  auf  solche  Weise  im  Versbau  nicht  an  Gleichheit  der  Silbenzahl 
gebunden  war,  floss  ihm  doch  der  Vers  nicht  leicht,  und  erlaubte  er  sich 
oft  dem  Metrum  zulieb  von  der  natürlichen  W^ortstellung  in  sinnstörender 
Weise  abzugehen.^)  Aber  zwei  Eigenschaften  sind  es,  die  den  Theokrit 
trotz  dieser  Mängel  zu  einem  der  lieblichsten,  anmutigsten  Dichter  machen, 
die  verständnisinnige,  schwärmerische  Hingabe  an  die  Natur  und  das  her- 
vorragende Talent  anschaulicher  Schilderung.  Die  erstere  Eigenschaft  zeigt 
er  nicht  bloss  in  den  bukolischen  Idyllen,  auch  im  Enkomion  auf  Hieron 
Hess  er  sich  die  Gelegenheit  nicht  entgehen,  den  Segen  des  Friedens  durch 
Hinweis  auf  die  blühenden  Saatfluren,  die  blökenden  Schafherden  und  das 
liebliche  Summen  der  Zikaden  (16,  90 — 96)  zu  preisen.  Man  wird  nicht 
fehl  gehen,  wenn  man  die  innige  Freundschaft  des  Dichters  mit  dem  Arzte 
Nikias  auf  ihre  geistige  Verwandtschaft  und  ihre  gemeinsame  Liebe  zur 
Natur  zurückführt.  Die  Beschreibung  spielt  in  den  Gedichten  des  Theokrit 
fast  eine  zu  grosse  Rolle,  indem  derselbe  nicht  mehr  wie  Homer  mit  ein 
paar  Strichen  etwas  schildert  und  die  Beschaffenheit  einer  Sache  aus  ihrer 
Wirkung  erkennen  lässt,  sondern  mit  Vorliebe  bei  der  Zeichnung  des  ein- 
zelnen verweilt,  wie  des  geschnitzten  Bechers,  den  der  Geisshirt  dem  Thyrsis 
zum  Preise  aussetzt  (1,  27 — 56),  und  des  Faustkampfes  zwischen  dem  Dios- 
kuren  Polydeukes  und  dem  Unhold  Amykos  (22,  80—120).  Dabei  tritt 
überall  die  Neigung  für  das  Genremässige  und  Niedliche  in  der  Natur  wie 
im  Leben  hervor,  was  an  die  gleiche  Richtung  in  der  Kunst  des  ale- 
xandrinischen  Zeitalters  und  die  hübschen  Terrakotten  von  Tanagra  er- 
innert.*)   Ist  in  der  Beschreibung  von  Scenen  und  Gegenständen  ein  Über- 


^)  Unter  dem  Geisshirt  Tityros  versteckt 
sich  nach  einer  Vermutung  Meineke's  Ale- 
xandros  Aitolos,  dessen  Vater  Satyros  hiess. 
Ausserdem  vermutet  Häberlin  hinter  dem 
schönen  Jüngling  Ageanax  den  Dichter  Her- 
mesianax  und  findet  Gercke  in  seinen  Ale- 
xandrinischen  Studien  versteckte  Ausfälle 
gegen  Dichterrivalen  in  Masse. 

'^)  Siehe  oben  §  329.  Der  Refrain  (ver- 
sus intercalaris)  ist  zu  Hilfe  genommen  1, 
64  ff.  und  2,  17  ff.  Die  Strophenbildung 
durch  den  Sinn  und  den  Personenwechsel 
liegt  offen  zu  Tag   in   dem  Wettgesang  des 


Baitos  und  Milon  im  10.  und  des  Daphnis 
und  Menalkas  im  8.  Idyll.  Die  Strophen- 
bildung ist  überall  angedeutet  in  der  Aus- 
gabe von  Ahiens;  vgl.  Köchly,  Carminum 
Theocriti  in  strophas  restitutorum  specimen, 
Turici  1858. 

^)  Die  ärgste  Wortverstellung  findet  sich 
29,  3:  xtjyoj  fxev  xd  (pQsviov  igeu)  xeai^ 
iy  |M»'/w  und  29,  32:  xai  fxoi  jioQaf^ei^co 
avviQav  ßcToAa»?  oid^sv. 

'')  Brunn,  Die  griechischen  Bukoliker, 
u.  die  bildende  Kunst,  in  Stzb.  d.  b.  Ak.  1879, 
1,  1-21. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  337.)  453 

mass  zu  tadeln,  so  muss  man  hingegen  ganz  des  Lobes  voll  sein  in 
Anerkennung  der  lebenswarmen  Charakterzeichnungen,  die  dem  Dichter 
ebenso  bei  den  Hirten  und  Bauern  des  Landes,  wie  bei  den  neugierigen 
Festfeierinnen  der  Stadt  gelang.  Hier  machte  sich  zumeist  die  Kunst  des 
Sikiliers  in  mimischer  Nachahmung  und  der  Einfluss  des  Mimendichters 
Sophron  geltend. 

Scholien:  Die  Gedichte  des  Theokrit  waren  seit  der  Zeit  des  Cicero  Gegenstand 
eifrigen  Studiums  der  Grammatiker,  insbesondere  des  Artemidor,  Theon,  Amarantes,  Ni- 
kanor,  Munatius  und  zuletzt  des  Eratosthenes  aus  der  Zeit  des  Justinian.  Aus  dem  späten 
Mittelalter  stammen  die  wertlosen  Scholia  recentiora  des  Moschopulos,  Maximus  Planudes 
und  Demetrios  Triklinios.     Über  alle  diese  handelt  Ahrens  im  2.  Bde.  seiner  Ausgabe. 

Von  den  Handschriften  ist  keine  älter  als  das  13.  .Tahrh.  Dieselben  gehen  auf  ver- 
schiedene Stämme  zurück,  ohne  dass  bis  jetzt  die  Aufstellung  eines  Stammbaumes  gelungen 
wäre.  Die  besten  sind:  Ambros.  222  (k)  s.  XIII,  Vatic.  915  (m)  s.  XIII,  Vatic.  913  (h) 
s.  XIII,  Medic.  37  (p)  s.  XIV,  Ambros.  75  (c)  s.  XV;  für  Sylloge  *  (s.  S.  450  An.  3)  Vatic. 
1824/25,  Paris.  2832.  Einen  kritischen  Apparat  bieten  die  Ausgaben  von  Gaisford,  Ahrens 
und  am  besten  Ziegler. 

Ausgaben:  von  Dan.  Heinsius  1603  mit  eleganter  Übersetzung  in  lat.  Versen;  cum 
commentariis  Valckenarii,  Beunckii,  Toupii,  Berol.  1810,  2  vol.  —  Poetae  gr,  min.  ed. 
Gaisford,  Oxonii  1821  vol.  II  und  IV.  —  Bucolicorum  graecorum  reliquiae  ed.  Ahrens, 
Lips.  1855,  2  tom.  —  Theocriti  reliquiae  cum  animadv.  ed.  Kiessling,  Lips.  1819.  — 
Theocriti  carmina,  tertium  ed.  Zieglek,  Tubing.  1879.  —  Theoer.  Bion  et  Moschus  ex 
recogn.  Meinekii,  ed.  III.  1856,  mit  scharfsinniger  Textesrekonstitution.  —  Theocriti  idyllia 
commentariis  criticis  atque  exegeticis  instr.  Arm.  Fritzsche,  ed.  alt.  Lips.  1870;  erklärende 
Ausgabe  von  Fritzsche,  3.  Aufl.  1881  besorgt  von  Hiller.  —  Hiller,  Beiträge  zur  Textes- 
kritik der  Bukoliker,  mit  dem  Texte  der  Sylloge  *,  Lips.  1888.  —  Lexicon  Theocriteum 
compos.  Kumpel,  Leipz.  1879.  —  Morsbach,  Über  den  Dialekt  Theokrits  in  Curtius  Studien 
X,  1  —  38.  —  Kunst,  De  Theoer.  versu  heroico,  in  Dissert.  phil.  Vindob.  I,  1  —  124. 

337.  Bion  aus  Smyrna  war  Zeitgenosse  und  Nachahmer  des  Theokrit. 
Über  seine  Lebensverhältnisse  klärt  uns  zumeist  sein  Verehrer  Moschos  im 
3.  Idyll  auf.  Danach  lebte  auch  er  eine  Zeitlang  in  Sikilien,  starb  aber 
noch  vor  Theokrit  an  Gift,  das  ihm  seine  Feinde  beigebracht  hatten.  Von 
ihm  sind  uns  erhalten  ein  von  weichlicher  Empfindung  überströmender 
'E7TiTd(fiog  'ASau'idog  und  17  kleinere  Gedichte.  Der  Epitaphios  des  Bion 
steht  mit  den  Adoniazusen  des  Theokrit  in  engem  Zusammenhang,  da  sich 
beide  Gedichte  auf  das  unter  Ptolemaios  Philadelphos  mit  besonderem  Glänze 
gefeierte  Adonisfest  beziehen.  An  dem  2.  Tage  des  Festes  nämlich  ward 
die  Wiedervereinigung  des  Adonis  mit  Aphrodite  gefeiert  und  auf  diesen 
Abschnitt  des  Festes  beziehen  sich  die  'Adwvia^ovaai  des  Theokrit.  Am 
ersten  Tage  hingegen  ward  die  Todesfeier  des  auf  der  Jagd  von  einem 
Eber  verwundeten  Lieblings  der  Göttin  begangen,  und  für  diese  war  das 
Gedicht  des  Bion  bestimmt.  Dieses  wie  die  andern  Gedichte  des  Bion  sind 
reich  an  sprachlichen  Schönheiten  und  Tiefe  der  Empfindung,  aber  es  mangelt 
ihnen  die  Kraft  und  die  Naturwahrheit  der  theokritischen  Muse.  Das  Über- 
mass  von  Sentimentalität  und  erschlaffender  Weichheit  zeigt  sich  auch  in 
dem  Versbau,  indem  der  Dichter  mit  Vorliebe  Versausgänge  auf  2  Spondeen, 
V    wie  MQvovTai,  SaxqvovTi,  anwendet. 

Moschos  aus  Syrakus  wird  von  Suidas  Bekannter  des  Aristarch  (Aoi- 
aiccQxov  yvMQipog)  genannt  und  muss  demnach  um  150  v.  Chr.  seine  Blüte 
gehabt  haben.  •)    Erhalten  haben  sich  von  ihm  ausser  einigen  Kleinigkeiten 

^)  Die  Zeit  des  Moschos  möglichst  an  \  Leiirer  gewesen  sei.  Bücheler,  Rh.  M.  30, 
die  des  Aristarch  zu  rücken,  nötigt  die  eigene  i  30  ff.  setzt  den  Epitaphios  unseres  Moschos 
Angabe  des  Dichters  (3,  101),  dass  Bion  sein   j   in  die  Zeit  des  Bundesgenossenkrieges. 


454 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


2  längere  Gedichte,  der  schon  erwähnte,  von  Ahrens  und  andern  für  unecht 
erklärte  'EittTacfiog  Mocrxov,  und  die  Evgamrj,  an  deren  Inhalt  und  Darstel- 
lung das  64.  Gedicht  des  Catull  von  der  Verlassung  der  Ariadne  anklingt.  ^) 
Artig  ist  auch  das  Gedichtchen  "EQcog  dgarcsTi^g,   ein   poetischer   Steckbrief 
auf  den  entlaufenen  Eros.  2) 

c.  Das  Kunstepos  und  das  Lehrgedicht. 
338.  Das  Epos  kam  im  alexandrinischen  Zeitalter  am  schlechtesten 
weg.  Vom  eigentlichen  Epos,  dem  volksmässigen  Heldengedicht,  konnte 
selbstverständlich  in  einer  Zeit,  wo  es  keine  Volkshelden  gab  und  die  ton- 
angebenden Gelehrten,  losgelöst  vom  Volk,  eine  Gesellschaft  für  sich  bil- 
deten, keine  Rede  sein.  Zwar  zogen  die  Könige  jener  Zeit,  wie  später  in 
Rom  die  Kaiser,  Dichter  an  ihren  Hof,  die  ihre  kriegerischen  Thaten  in 
epischen  Gedichten  verherrlichen  sollten;  aber  die  Epen  des  Choirilos  aus 
lasos  auf  Alexander  d.  Gr.,^)  des  Simonides  Magnes  auf  Antiochos  d.  Gr., 
des  Leschides  auf  Eumenes,  des  Musaios  Ephesios  auf  Eumenes  und 
Attalos  drangen  nicht  in  das  Volk  und  sind  spurlos  zu  grund  gegangen. 
Einen  schwachen  Ersatz  bot  das  mit  mehr  Liebe  und  Erfolg  gepflegte 
Kunstepos;  dasselbe  knüpfte  an  die  letzten  Ausläufer  des  Epos  der  klassi- 
schen Zeit  an  und  besang  von  neuem  die  alten  Sagen  von  den  Argonauten, 
den  Sieben  von  Theben,  von  Perseus,  Herakles,^)  den  Städtegründungen. •'^) 
Doch  wärmten  die  Dichter  nicht  einfach  den  alten  Kohl  auf,  sondern  zogen 
auch  neue  Stoffe,  wie  Rhianos  die  Heldenthaten  des  Aristomenes,  in  den 
Kreis  der  Poesie  und  flochten,  dem  Zuge  der  Zeit  folgend,  mit  Vorliebe 
erotische  Liebesabenteuer  in  die  alten  Überlieferungen  ein.  Auch  historische 
Partien  der  Geschichte  wurden  poetisch  verherrlicht,  wie  der  leuktrische 
Krieg  der  Thebaner  und  Lakedämonier  durch  Hegemon  aus  Alexandria 
Troas,  die  sikilische  Geschichte  durch  Polykritos,  und  gegen  Ende  unserer 
Periode  der  mithridatische  und  kimbrische  Krieg  durch  den  aus  Ciceros  Reden 
bekannter  gewordenen  Dichter  Archias  aus  Antiochia.  Am  meisten  Boden 
gewann  das  Lehrgedicht  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Astronomie, 
Geographie,  Mythologie,  Jagd  und  Naturkunde.  Anfangs  hielt  man  für 
dasselbe  die  alte,  durch  Hesiod  typisch  gewordene  Form  des  daktylischen 
Hexameters  bei;^)  seit  Apollodor  machte  demselben  der  iambische  Trimeter 
den  Rang  streitig. 


^)  Benützt  ist  dasselbe  auch  von  Horaz 
Od.  3,  27,  worüber  Lessing,  Vademecum 
für  Lange. 

2)  Bion  und  Moschos  wurden  von  Arte- 
midor  mit  Theokrit  zu  einer  Sammlung  ver- 
bunden; daher  auch  ihre  Überlieferung  und 
ihre  Herausgabe  Hand  in  Hand  geht  mit 
der  des  Theokrit. 

^)  Über  die  einzelnen  Dichter  geben 
Auskunft  die  Artikel  des  Suidas,  ferner 
DüNTZER,  Die  Fragmente  der  epischen  Poesie 
der  Griechen,  2.  Bd. 

^)  Antagoras  schrieb  eine  Thebais, 
Rhianos  eine  Herakleia,  Theolykos  Bax- 
Xixd  env],  Musaios  eine  Perseis.  Epylh'en 
der  Art  sind  uns  mehrere  in  der  Auswahl 
theokritischer  Gedichte  erhalten.     Die  beste 


Vorstellung  gibt  uns  das  Epyllion  des  Catull 
(64)  von  der  Hochzeit  des  Peleus  und  der 
Thetis,  dem  wohl  ein  alexandrinisches  Ori- 
ginal zum  Vorbild  diente. 

^)  Verse  aus  einer  anonymen  Aeaßov 
xTiaig  citiert  Parthenios  Erot.  21.  Apol- 
lonios  dichtete  Kglasig  'Podov,  Kavyov, 
^JXs^av^QELag ,  Philon  negl  IsQoaoXvfiioy, 
Theodotos  nsgl  'lov&aiuyy,  Rhianos  -^/wt- 
X«,  'HXtaxd,  Osaaahxci,  Meaarjviaxci,  Nikan- 
der  ®r]ßmxd,  Demosthenes  Bi&vyiaxd, 
Gt]ßa'LXC(,  Phaistos  Aaxs&ctifxovixcc,  Maxs- 
doyixd. 

^)  Auch  dem  Inhalt  nach  lehnte  sich 
an  Hesiod  Nikainetos  in  dem  Frauen- 
katalog an. 


I 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§338—339.) 


455 


339.  Aratos,^)  der  Hauptvertreter  des  alexandrinischen  Lehrgedichtes, 
entstammte  einer  vornehmen  Familie  des  kilikischen  Soloi.^)  Seine  höhere 
Ausbildung  erhielt  er  in  Athen.  Der  Grammatiker  Menekrates  und  die 
Philosophen  Timon  und  Menedemos  werden  seine  Lehrer  genannt,  mit  dem 
Stoiker  Zenon  und  dessen  Schüler  Persaios  war  er  befreundet.  Um  276 
folgte  er  einer  Einladung  des  Königs  Antigenes  Gonatas  an  den  Hof  von 
Pella.3)  Hochgeehrt  von  den  Königen  Antigenes  und  Antiochos  L,  stand 
er  zugleich  mit  den  bedeutendsten  Dichtern  seiner  Zeit,  insbesondere  mit 
Theokrit,  Kallimachos  und  Alexander  Aetolus  in  freundschaftlichem  Ver- 
kehr.*) Seinen  Ruhm  bei  der  Nachwelt')  verdankt  er  dem  uns  erhaltenen 
astronomischen  Lehrgedicht  ^mvö^sva  in  1154  Hexametern.  Ausserdem 
hatte  man  von  ihm  einen  Hymnus  auf  Pan,  mit  dem  er  sich  bei  Antigenes 
eingeführt  hatte, ^)  ein  Lehrgedicht  über  giftige  Pflanzen,'')  eine  Sammlung 
kleinerer  Gedichte  (td  xard  Xsjttov),^)  eine  kritische  Bearbeitung  der  Odyssee, 
Briefe  u.  a.^)  Die  Briefe  galten  jedoch  als  unecht  und  als  Machwerk  eines 
gewissen  Sabirius  Pollio.^^)  Sein  Hauptwerk,  die  Phainomena,  verfasste  er 
im  Auftrag  seines  Gönners,  des  Königs  Antigenes.  Dem  Gedicht  legte  er 
ein  in  Prosa  geschriebenes  Werk  des  Eudoxos  zu  grund,^^)  um  durch  den 
Reiz  der  metrischen  Form  der  Lehre  des  berühmten  Astronomen  weitere 
Verbreitung  zu  sichern.  Das  Hauptgedicht  zählt  die  Himmelserscheinungen 
oder  die  Bewegungen  der  Gestirne  auf.  Ein  Anhang  (933 — 1154)  handelt 
nach  Theophrast  von  den  Wetterzeichen  {jiQoyvMasig  Sid  ariixsioov)]  derselbe 


^j  Über  Arat  haben  wir  ausser  einem 
Artikel  des  Suidas  4  ausführliche  griechische 
und  1  lateinische  Biographie,  gedruckt  in 
Westekmakn's  Biogr.  graec.  52  tf.  Arat  war 
etwas  jünger  als  Kallimachos  nach  der  Vita: 
yrjqaiio  ö'i  tm  KvQrjva'iM  insßäXXero  '  vgl. 
RiTSCHL,  Opusc.  I,  72. 

2)  Dieselbe  Stadt  Soloi  brachte  um  die- 
selbe Zeit  den  Dichter  Kastorion  hervor, 
von  dem  uns  Athen,  p.  455  ein  sehr  gekünsteltes 
Gedicht  auf  Pan,  und  p.  542,  wenn  die  Än- 
derung des  überlieferten  Namens  I'iQOiv  rich- 
tig ist,  einen  Dithyrambus  auf  Demetrius 
Phalereus  mitteilt. 

^)  Suidas  gibt  als  hervorragende  Epoche 
seines  Lebens  Ol.  124  an,  die  Vitae  I  u.  IV 
Ol.  125;  vgl.  UsENER,  Rh.  M.  29,  42;  Koepke, 
De  Ärati  Solensis  aetate,  Guben  1867. 

*)  Das   schmeichelhafte   Epigramm    des 
Kallimachos,  Anth.  IX,  507,    auf  sein  Lehr- 
gedicht lautet: 
Haiodov    ToV    (ieiofin  xal  6  rgonog  '   ov  rou 

ta^utov,  fl'kV  öxptio  fit]  ro  /ush/QoTcaoy 
XMv    e7iiix)v    6    loksvg    anefxuiazo    '    ^ai()ers 

Xsnrai 

()r]Gieg,    Jq  rov  avvTovog  uyQvnvb], 
Theokrit  widmete  ihm  das  0.  Idyll;  des  Ver- 
kehrs mit  Antagoras  und  Alexander  Aetolus 
gedenkt  die  Vita. 

^)  Kallimachos  in  dem  erwähnten  Epi- 
gramm; rtolemaios  Append.  cpigr.  70: 


JIüpB^'  'Hyjpiava^    rs   xal  "Egfimnog   rd  xccz^ 

reiQea  xccl  ttoXXoI  ravta  tu  (pcavofXEva 
ßiß'Aoig    EyxaxEx^evio    '    dnoöxonioi    cf'    dcpd- 

fxaQXov, 

dlXd  roXETiToXoyov  axrjmQOP  jQctxogexsi. 
Ovid  Metam.  I,  15.  16:  cum  sole  et  luna 
semper  Äratits  erit.  Maximus  Tyrius  or.  30 
nennt  ihn  gar  noirjxtji^  ovdey  ddo^oxsQOP  xov 
'OfXTjQov.  Vgl.  Cic.  de  orat.  I,  16.  In  Soli 
wurde  dem  Dichter  ein  Denkmal  gesetzt 
(Mela  I,  13);  sein  Bild  setzten  die  Solenser 
auf  ihre  Münzen. 

^)  Dem  Pan  glaubte  nämlich  Antigonos 
seinen  Sieg  über  die  Gallier  bei  Lysimachia 
zu  verdanken  (277).  Aus  gleichem  Anlass 
hatte  auch  Kastorion  einen  Hymnus  auf  Pan 
gedichtet;  s.  Häbeelin,  Carmina  figur.  gr.  56. 

0  Vgl.  Meineke,  Anal.  Alex.  384. 

")  AQCiXog  iv  xoTg  x(cxic  Xsiixöv  bei  Strabo 
p.  486;  aus  Catalepta  entstand  durch  Miss- 
verstand Catalecta  Vergili,  wie  Bergk,  Rh. 
M.  20,  291  nachwies. 

•')  Ein  ausführliches,  aber  doch  nicht 
vollständiges  Verzeichnis  gibt  Suidas;  die 
Vita  II  nennt  4  Hauptwerke:  'JcdQixal  dvvü- 
fxsig,  Kavovog  xccTccTOfXjj,  4>cnv6^evc( ,  tisqI 
dy{(xo}.rjg.  Das  letzte  legten  andere  dem 
Ilegesianax  bei;  vgl.  Buhle,  De  Arati  So- 
lensis  scrijitis,  in  Ausg.  II,  449  ff. 

'»)  Vita  I,  101;  vergl.  Bentley,  p]pist. 
Phaler.  71. 

' ')  CouAT,  Jja  poesie  Alex.  p.  483  f. 


456 


Griechische  Literaturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur, 


hat  jetzt  den  Titel  JioarjfisTai;  i)  Cicero,  der  das  Werkchen  ins  Lateinische 
übersetzte,  gab  ihm  die  Aufschrift  Prognostica.  Die  Verse  sind  fliessend, 
bewegen  sich  aber  meist  in  homerischen  Wendungen,  nicht  ohne  einige 
Sprach  Verstösse,  die  den  Nachahmer  verraten.  2)  Im  Ton  des  Lehrgedichtes 
war  dem  Arat  Hesiod  Vorbild;  von  ihm  hat  er  auch  die  Einlage  von  Epi- 
soden, wie  die  von  dem  goldenen  Zeitalter  unter  dem  Zepter  der  Dike 
(96—136),  genommen.  Die  Beliebtheit  des  metrischen  Lehrgedichtes  bei 
den  Alten  und  die  Aufmerksamkeit,  welche  die  Gebildeten  im  Altertum  den 
Naturerscheinungen  und  dem  Sternenhimmel  zuwandten,  verschafften  dem 
Gedicht  einen  ausserordentlichen  Erfolg.  Zahlreiche  Gelehrte,  Mathematiker 
wie  Grammatiker,^)  schrieben  Kommentare  zu  demselben;  von  den  Römern 
haben  Varro  Atacinus,  Cicero,  Germanicus,  Avien  um  die  Wette  Über- 
setzungen desselben  geliefert.  Den  Kopf  des  Dichters  selbst  setzten  neben 
dem  seines  Landsmannes  Chrysippos  die  dankbaren  Bürger  von  Soloi,  dem 
späteren  Pompeiopolis,  auf  ihre  Stadtmünzen.*) 

Ausgabe  mit  den  lateinischen  Übersetzungen  und  den  alten  Scholien  von  Buhle, 
Lips.  1793,  2  Bde.;  von  Halma  Par.  1822;  mit  kritischem  Apparat  u.  Scholien  von  Imm. 
Bekker,  Berol.  1828.  Eine  neue  kritische  Ausg.  bereitet  E.  Maass  vor,  der  im  Herm.  19, 
92  ff.  von  seinen  Hilfsmitteln  vorläufige  Anzeige  gegeben  hat.  Danach  beruhen  Text  und 
Scholien  auf  der  Überlieferung  des  Cod.  Marcianus  476,  den  der  Diakon  Niketas  s.  XI 
geschrieben  hat,  und  geht  dieser  selbst  auf  eine  kommentierte  und  mit  kritischen  Zeichen 
versehene  Recensio  des  Mathematikers  Theon  zurück.  —  Die  von  Theon  herrührenden 
Scholien  nehmen  auf  Plutarch  und  einen  älteren  Erklärer  Sporos  Bezug.  Von  einer  Para- 
phrase, die  teils  dem  Empedokles,  teils  dem  Theon  zugeschrieben  wird,  gibt  Notiz  Maass, 
Phil.  Unt.  VI,  140.  Von  selbständigen  Kommentaren  sind  erhalten:  Hipparchos  Tw// 
^jQchov  xal  Evdo^oi^  (patvofxsPMv  6^t]y7](T6ig  8  B.  (gedruckt  in  Petavius  Uranologium, 
Paris  1630  p.  171  ff.),  in  denen  der  berühmte  Mathematiker  mit  selbständigem  Urteil  die 
Irrtümer  seiner  beiden  Vorgänger,  namentlich  die  des  Arat,  berichtigt  gegenüber  einem 
rhodischen  Grammatiker  Attalos,  der  überall  den  Dichter  in  Schutz  genommen  hatte; 
ferner  Geminus  (oder  Poseidonios)  EiactyMyr]  elg  rd  cpaivofxeva;  Achilles  Tatios  TIqo- 
Xsyouevci  elg  rd  ^jQdzov  (paivo^sva;  Leontios  tteqI  xaraaxsvijg  ^ Agarslov  a(palQag. 

340.  Apollonios^)  (um  280— um  200), 6)  Sohn  des  Silleus,  gewöhnlich 
der  Rhodier  von  seinem  späteren  Aufenthalt  auf  der  Insel  Rhodos  genannt, 
ist  der  bedeutendste  unter  den  alexandrinischen  Epikern.  Seine  Vaterstadt 
war  nach  den  einen  Alexandria,  nach  den  andern  Naukratis.')  In  seinen 
Studien  schloss  er  sich  der  Richtung  des  Kallimachos  an,  welche  Poesie 
mit  Gelehrsamkeit  vereinigte ;  Suidas  nennt  ihn  geradezu  einen  Schüler  des 
Kallimachos.^)     Aber  beide  vertrugen  sich  aus  Eifersucht   schlecht,   indem 


')  Grauebt,  Rh.  M.  a.  F.  I,  336  ff.  lehrt, 
dass  Jioaf]fA€iM  nicht  Jtoarjfj^sTa  zu  schreiben 
ist.  Derselbe  meint,  dass  ehedem  zwischen 
den  beiden  Teilen  noch  ein  Abschnitt  nsgl 
xcivovog  gestanden  habe;  dagegen  Böckh, 
Ges.  Schrift.  IV,  301  ff. 

^)  So  ist  "icpi  V.  588  als  Dativ,  Innöia 
V.  664  als  Genetiv  gebraucht;  s.  Loebe,  De 
elocutione  Arati,  Hai.  1864. 

^)  Ein  Verzeichnis  rviiv  risgl  rov  noirjrov 
GvvTKS;afXBv(x)v  stcht  in  Vat.  191  u.  381,  wo- 
rüber Maass,  Herm.  16,  385  und  Boehme, 
Rh.  M.  42,  307  ff. 

•*)  Visconti,  Iconogr.  gr.  I  p  .93,  III  p.  395 ; 
Bükchnee,  Griech.  Münzen  mit  Bildnissen 
historischer  Privatpersonen,  Zeitschrift  f.  Nu- 


mismatik IX,  118. 

^)  Aus  dem  Altertum  ein  Artikel  des 
Suidas  und  2  dürftige  Vitae;  aus  neuerer 
Zeit  Weichert,  Über  das  Leben  und  das 
Gedicht  des  Apollonius  von  Rhodus,  Meissen 
1821. 

6)  Gercke,  Rh.  M.  44,  252  setzt  die 
Geburt  des  Apollonios  auf  296/2  hinauf. 

^)  ^  JXs^av^QBvg  heisst  er  bei  Suidas  und 
Strabon  p.  655,  NavxQazLTrjg  bei  Ath.  p.  283  d 
u.  Aelian  H.  A.  XV,  23,  wahrscheinlich  weil 
er  von  den  Bürgern  der  griechischen  Ko- 
lonie Naukratis,  deren  Gründung  er  besungen 
hatte,  mit  dem  Bürgerrecht  beschenkt  worden 
war. 

^)  Dieses  bestreitet  Gercke,  Rh.  M.  44, 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2.  Die  Poesie.  (§  340—341.)  457 

der  ältere  Kallimachos  das  dickleibige  Epos  des  jüngeren  Genossen  ver- 
spottete und  Apollonios  die  Schuld  des  Zwistes  dem  Dichter  der  Aitia  bei- 
mass.i)  Infolge  der  Zerwürfnisse  verliess  Apollonios  Ägypten  und  wandte 
sich  nach  Rhodos,  wo  er  von  den  bildungliebenden  Bürgern  der  blühenden 
Insel  mit  offenen  Armen  aufgenommen  wurde.  Später  aber  kehrte  er 
wieder  nach  Alexandria  zurück;  das  wird  nach  dem  Tod  des  Kallimachos 
unter  Ptolemaios  Euergetes  (247  —  221)  gewesen  sein,  unter  dessen  Regie- 
rung Suidas  unseren  Apollonios  gelebt  haben  lässt.  Erst  in  höherem 
Lebensalter  ward  er  als  Nachfolger  des  Eratosthenes  zum  Leiter  der  Bib- 
liothek bestellt.  2) 

Die  gelehrte  Thätigkeit  unseres  Apollonios  war  nicht  bedeutend;  auf 
seine  Schrift  TiQog  Zi]v6Sotov  wird  in  den  Homerscholien  öfters  Rücksicht 
genommen;'^)  sein  Buch  über  Archilochos,  das  auch  auf  sachliche  Erklä- 
rungen einging,  citiert  Athenaios  p.  451  d.  Grösser  war  sein  Ansehen  als 
Dichter,  und  zwar  wandte  er  sich  hier  ganz  der  Gattung  des  gelehrten 
Kunstepos  zu.  Von  den  epischen  Gedichten  auf  die  Gründung  verschiedener 
Städte  seiner  alten  und  neuen  Heimat,  wie  Alexandreia,  Naukratis,  Kaunos, 
Rhodos,  Knidos,  haben  sich  nur  ein  paar  Hexameter  erhalten.  Auch  das 
Gedicht  über  Kanopos,  das  in  Choliamben  geschrieben  war,  ist  bis  auf 
wenige  durch  Stephanos  Byz.  erhaltene  Verse  verloren  gegangen.  Aber 
sein  berühmtestes  Werk,  die  'ÄQyovavrixd  in  4  B.,  ist  vollständig  mit  alten 
Schollen  auf  uns  gekommen.  Dasselbe  hat  Apollonios  als  junger  Mann  in 
Alexandria  zu  dichten  begonnen,  dann  aber,  als  er  damit  in  den  massgeben- 
den Kreisen  der  Gelehrtenstadt  keinen  Anklang  fand,  in  Rhodos  umge- 
arbeitet und  in  zweiter  verbesserter  Gestalt  herausgegeben.^) 

341.  Der  Inhalt  der  Argonautika  ist  in  dem  Titel  ausgesprochen. 
Der  Stoff  war  gut  gewählt,  weil  er  noch  nicht  durch  einen  berühmten 
Dichter  bearbeitet  war'')  und  dem  Interesse  der  Zeit  für  wunderbare  Dinge 
und  fabelhafte  Ortlichkeiten  entgegen  kam.  Erzählt  ist  er  in  4  Büchern, 
also  in  so  vielen  als  dramatische  Stücke  von  einem  Tragiker  an  einem 
Festspieltag  aufgeführt  wurden;  darin  wird  man  den  Einfluss  des  Aristoteles 
erkennen  dürfen,  der  Poet.  24  für  das  Epos  einen  kleineren,  der  Zahl  der 
an  einem  Tag  aufzuführenden  Tragödien  entsprechenden  Umfang  verlangte. 
Die  beiden  ersten  Bücher,   welche  den  Anlass  des   Zuges,   die  Ausrüstung 


240  fF.,  und  lässt  eine  treffliche,  nur  zu  sehr 
ns  Schwarze  gemalte  Charakteristik  des 
Apollonios  im  Gegensatz  zu  Theokrit  und 
Kallimachos  folgen. 

0  Anth.  XI,  275;    vergl.  S.  437. 

'-)  Ol.  144/5  nach  Ritschl,  Opusc.  I,  73; 
das  ist  vielleicht  zu  spät  angesetzt,  aber 
schwerlich  wird  Apollonios  schon  unter  Ptole- 
maios Euergetes  Bibliothekar  geworden  sein. 
Ein  Ehrenbegräbnis  erhielt  Apollonios  nach 
der  Vita  neben  Kallimachos,  vermutlich  ep 
ßccaiXsinig,  s.  Merkel,  Proleg.  p.  XIV. 

^)  Die  Stellen  zusammengestellt  von 
Merkel.  Proleg.  I,  4. 

^)  Lesarten  der  TiQoex&oatg   sind  in  den 


wähnt,  wonach  der  Dichter  in  der  2.  Be- 
arbeitung teils  anstössige  Formen,  wie  ßsiofica 
entfernt,  teils  magere  Schilderungen  durch 
neue  Verse  erweitert  hat.  Die  auf  die  Zeug- 
nisse einer  doppelten  Ausgabe  gebauten  An- 
nahmen Gerhard's,  Lect.  Apoll.,  wies  in 
engere  Grenzen  Merkel,  Prol.  p.  XLVI  sqq. ; 
vgl.  Linde,  De  diversis  recensiowibus  Äjwll. 
Argon.  Gott.  Diss.  1885. 

^)  Aus  älterer  Zeit  stammen  die  Argo- 
nautika des  Epimcnides,  von  denen  Diog. 
I,  10  als  Inhalt  angibt:  '.-iQyoiig  yavntjyUcr 
T6  xccl  läaovo^  sig  KöX^ovc:  (<7inn?.oiw.  en)j 
6500.  Bei  Homer  Od.  f^  70  heisst  bekannt- 
lich die  Argo  \4QyM  ndai  ^fXovaa,  aber  von 


Scheuen    zu    1,   285.    515.   543.  725  etc.    er-      jenen  alten  Liedern  hat  sich  nichts  erhalten 


458 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


des  Schiffes  und  die  Fährlichkeiten  der  Hinfahrt  umfassen,  hängen  enger 
zusammen  und  sind  durch  ein  Proömium  eingeleitet,  welches  sich  nur  auf 
diese  beiden  ersten  Bücher  bezieht.  Der  Dichter  erzählt  in  ihnen  mit  epi- 
scher Breite  die  allbekannten,  auch  durch  die  Kunst  verherrlichten  Sagen 
von  der  Landung  auf  der  Insel  Lemnos,  dem  Verschwinden  des  schönen, 
von  der  Nymphe  in  den  Quell  hinabgezogenen  Jünglings  Hylas,  den  Ring- 
kampf des  Polydeukes  mit  dem  Riesen  Amykos,  die  Erlösung  des  blinden 
Greises  Phineus  von  der  Plage  der  Harpyien,  die  Fahrt  durch  die  zusammen- 
schlagenden Felsen  u.  a.  i)  Im  3.  Buch  hebt  der  Dichter  gewissermassen 
von  neuem  an,  indem  er  die  Erato,  die  Muse  des  Tanzes  und  der  Liebes- 
poesie, anruft,  um  die  Bezwingung  der  Königstochter  Medea  durch  die 
Pfeile  des  Eros  und  den  dadurch  ermöglichten  Sieg  des  lasen  in  den  ihm 
von  Actes  auferlegten  Kämpfen  zu  besingen.  In  diesem  Teile  seines  Ge- 
dichtes ist  Apollonios  entschieden  am  glücklichsten,  indem  er,  nicht  er- 
drückt durch  die  Massenhaftigkeit  des  Stoffes,  desto  liebevoller  auf  die 
Ausmalung  des  Widerstreites  der  die  Seele  der  Medea  erfüllenden  Gefühle 
eingeht.  2)  Der  vierte  und  längste  Gesang  schildert  die  phantastisch  ausge- 
schmückte und  doch  phantasielos  erzählte  Heimkehr  der  Helden  durch  das 
schwarze  Meer,  die  Flüsse  Ister,  Eridanos,  Rhodanos,  das  sardische  Meer, 
die  Syrten,  endlich  an  Kreta  vorbei  in  den  pagaseischen  Busen.  2)  Hier 
drängt  allzusehr  ein  Ereignis  das  andere,  und  tritt  in  aufdringlicher  Weise 
das  Bestreben  des  Gelehrten  hervor,  dunkle  Sagen  in  sein  Gedicht  herein- 
zuziehen und  nach  dem  Muster  der  Aitia  des  Kallimachos  den  Grund  der 
damals  noch  bestehenden  Gebräuche  zu  erklären.^) 

Das  Gedicht  hat  im  Altertum  trotz  der  Ungunst,  der  es  anfangs  bei 
den  Kallimacheern  begegnete,  viel  Beifall  und  Bewunderung  gefunden: 
zwei  lateinische  Dichter,  Varro  Atacinus  und  Valerius  Flaccus,  ahmten  das- 
selbe in  freier  Übertragung  nach;  zahlreiche  Grammatiker  (Chares,^)  Eire- 
naios,  Lukillos,  Sophokles,  Theon)  schrieben  gelehrte  Kommentare  dazu; 
die  Kyklographen  oder  Fabelsammler  benutzten  es  als  Hauptquelle  für  die 
Mythen  des  Argonautenzugs;  Künstler,  wie  der  Verfertiger  der  Ficoroni- 
schen  Cista,  entnahmen  aus  ihm  Motive  der  Darstellung;  noch  im  Anfang 
des  Mittelalters  verfertigte  der  Versifikator  Marianos  von  ihm  eine  Meta- 
phrase in  lamben.  Das  Ansehen  war  nicht  ganz  unverdient;  Apollonios 
hatte  sich  als  gelehrter  Dichter  durch  fleissiges  Studium  der  alten  Mythen 
und  Dichter  für  seine  Aufgabe  sorgfältig  vorbereitet,^)  er   zeigt  eine  voll- 


^)  Scenen  der  Argonautika  sind  dar- 
gestellt auf  der  ficoronischen  Cista,  der  Talos- 
vase,  kampanischen  Wandgemälden  mit  der 
Hylasdarstellung,  Sarkophagen  mit  den  Käm- 
pfen in  Kolchis. 

^)  Manches  daraus  hat  Ovid  in  seinen 
Metamorphosen  7,  86  ff.  glücklich  nach- 
geahmt. 

^)  Apollonios  ist  in  dieser  Partie  teil- 
weise dem  Timaios  (bei  Diodor  IV,  56)  ge- 
folgt, der  nachdem  die  Früheren  die  Argo- 
nauten um  Libyen  hatten  irren  lassen,  die 
Irrfahrten  in  den  Westen  und  Norden  Europas 
verlegte.     Auch    sonst  hat  Apollonios  vieles 


geneuert,  so,  dass  er  die  Argonauten  auf  der 
Hinfahrt  nach  Lemnos  gelangen  liess,  wäh- 
rend Pindar  P.  IV,  251  dieses  Abenteuer 
auf  der  Rückfahrt  hatte  geschehen  lassen; 
näheres  über  diese  Punkte  Max  Gkoegek, 
De  Argonauticarum  fahularum  historia, 
Vratisl.  Diss.  1889. 

^)  Kallimachos  hatte  selbst  im  2.  Buch 
seiner  Aitia  einen  Abschnitt  'Jgyovg  oixtafioi. 

°)  Chares,  der  über  die  Geschichten  der 
Argonautika  schrieb,  war  nach  Schol.  zu  II, 
1052  ein  Schüler  des  Apollonios. 

6)  Über  die  Nachahmung  älterer  Dichter, 
wie  z.  B.    des  Kleon    (I,    623),   Promathidas 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    2,  Die  Poesie.  (§  342.) 


459 


ständige  Herrschaft  über  die  epische  Sprache  Homers  und  bietet  doch  viele 
neue  Wendungen,  Bilder  und  Gleichnisse;^)  er  versteht  sich  meisterlich  auf 
Schilderung  von  Ortlichkeiten  und  Ausmalung  von  Seelenzuständen.  Aber 
den  Lichtseiten  stehen  grössere  Schattenseiten  gegenüber:  sein  Gedicht 
ermangelt  vor  allem  des  einheitlichen  Mittelpunktes,  so  dass  es  sich  in 
eine  Menge  mehr  äusserlich  zusammengereihter  als  innerlich  zusammen- 
hängender Scenen  auflöst.  Wie  wir  im  Anfang  über  die  Person  des  Pelias 
schlecht  aufgeklärt  werden,  so  verläuft  am  Schluss  die  Handlung  vollständig 
im  Sand,  indem  sogar  die  Hochzeit  des  lason  und  der  Medea,  welche  das 
Ganze  einigermassen  hätte  abrunden  können,  mitten  in  das  4.  Buch  hinein- 
verlegt wird.  Von  den  Helden  bekommen  wir  kein  leibhaftiges,  greifbares 
Bild,  sondern  nur  mythologische  Notizen,  welche  mehr  dem  Grammatiker 
als  dem  Dichter  Ehre  machen.  Lediglich  grammatische  Exkurse  sind  der 
Katalog  der  Teilnehmer  an  der  Fahrt  (I,  21  —  227)  und  die  Beschreibung 
der  Stickereien  des  Mantels  des  Jason  (I,  730 — 767);  die  plastische  Natur- 
wahrheit Homers  verkehrt  sich  in  traumhafte  Romantik  und  lyrische  Sen- 
timentalität. 

Die  Codd.  bilden  2  Familien :  die  eine  repräsentiert  durch  den  berühmten  Laurent.  XXXIT, 
9  s.  X,  der  auch  den  Aischylos  und  Sophokles  enthält,  die  andere  durch  Guelferbytanus 
s.  XIII.  Ein  auserlesener  kritischer  Apparat  mit  testimonia  grammaticorum  in  Ausg.  von 
Merkel,  Lips.  1854.  —  Scholien  beigeschrieben  im  cod.  Laur.  mit  der  Unterschrift 
nccQKXsLtaL  rd  a^ölia  ix  tmp  AovxlXXov  TaQQctlov  xal  I^ocpoxXfovg  xal  Gicovog  sind  nach 
neuer  Kollation  von  Keil  im  2.  Bde.  der  Merkel 'sehen  Ausg.  herausgegeben.  Vollständiger 
lag  der  Auszug  den  Urhebern  des  Et.  M.  vor,  worüber  Merkel  Prol.  p.  LXVII.  —  Aus- 
gaben: rec.  annot.  schol.  add.  Wellauer,  Lips.  1828,  2Bde. ;  emend.  appar.  crit.  et  proleg. 
adiec.  R.  Merkel,  Lips.  1854.  —  Michaelis,  De  Apollonii  Rhodii  fragmentis,  Halle  1875. 

34-2.  Rhianos^)  aus  Kreta,  der  aus  einem  Turnplatzwächter  und 
Sklaven  ein  Grammatiker  und  Dichter  w^urde,  blühte  in  der  2.  Hälfte  des 
3.  Jahrhunderts.  Wenn  er  bei  Suidas  ein  Zeitgenosse  des  Eratosthenes 
heisst,  so  scheint  das  darauf  hinzuweisen,  dass  er  eine  Zeitlang  in  Ale- 
xandria lebte  und  mit  Eratosthenes  in  Verbindung  stund.  Aus  seinen  gram- 
matischen Studien  ist  die  Diorthose  der  Ilias  und  Odyssee  hervorgegangen, 
über  die  uns  noch  ziemlich  zahlreiche  Zeugnisse  in  den  Homerscholien  vor- 
liegen. Seine  Gedichte  gehörten,  von  den  Epigrammen  abgesehen,  dem 
gelehrten  Kunstepos  an.  Ausser  einer  Herakleia,  in  der  die  Geschicke  des 
Halbgottes  von  seiner  Geburt  bis  zu  seiner  Aufnahme  in  den  Olymp  er- 
zählt waren,  dichtete  er  OsacfccXixd,  'Axaixcc,  'Hhaxd,  Msaarjviaxd.  Am  be- 
rühmtesten war  das  letzte  Gedicht,  in  welchem  er  den  2.  raessenischen 
Krieg  erzählte;  glücklich  ahmte  er  in  demselben  den  Homer  nicht  bloss  in 
der  Diktion,  sondern  auch  in  einzelnen  Scenen  und  in  der  Komposition  des 
Ganzen  nach.  Pausanias,  der  in  der  Beschreibung  Messeniens  wesentlich 
dem  Rhianos  folgt,  sagt  IV,  16.  3  von  dem  Haupthelden  jenes  Krieges, 
Aristomenes,  dass  derselbe  bei  Rhianos  keine  geringere  Rolle  als  Achill 
in  der  Ilias  des  Homer  gespielt  habe.  3)     Erhalten  ist  uns   durch   Stobäus 


(II,  911),  Antiraachos  (IV,  156)  geben  die 
Scholien  manche  belehrende  Winke;  vergl. 
Stender,  De  Argonautarum  exx>editione, 
Kiel  1874. 

')  Wie  wenn  er  IV,  903  ff.  die  Lockungen 
der  Sirenen  durch  das  Saitenspiel  des  Orpheus 
vereitelt  werden  lässt,  oder  im  Sprachschatz 


aus  Hipponax  (II,  127)  und  den  Lokaldia- 
lekten (II,  1172)  neue  Worte  heranzieht. 

'^)  Dürftiger  Artikel  des  Suidas;  Meineke, 
Rhianus  Cretensis,  in  An.  AI.  171  ff,;  May- 
HOFF,  De  lihiani  Cretensis  studns  Homericis, 
Progr.  Dresden  1870. 

^)  Von  Athen,  599^  wird  noch  ein  zweiter 


460 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Flor.  IV,  34  ein  grösseres  Fragment,  man  weiss  nicht  aus  welchem  Ge- 
dicht, das  in  einfacher  Diktion  und  in  untadeligen  Versen  die  Verkehrt- 
heiten der  Menschen  beklagt.  Die  Epigramme  bewegen  sich  in  gewöhn- 
lichen Geleisen  und  sind  meistens  erotischer  Natur. 

313.  Euphorion  aus  Chalkis,^)  der  ebenso  gut  zu  den  Elegikern 
wie  zu  den  Epikern  gestellt  werden  kann,  gehört  derselben  Zeit  an,  aber 
die  Orte  seiner  Thätigkeit  waren  verschieden.  Athen  galt  ihm  als  zweite 
Heimat;  nach  Syrien  wurde  er  im  späteren  Lebensalter  von  Antiochos  d.  Gr. 
berufen  und  zum  Vorstand  der  dortigen  Bibliothek  gemacht.  Von  Natur 
war  er  hässlich,  von  gelber  Farbe,  dünnen  Beinen,  dickem  Leib,  in  der 
Liebe  unmässig  und  cynisch;  sein  grosses  Vermögen  erwarb  er  sich  durch 
die  einer  reichen  Frau  erwiesene  Gunst.  2)  Seine  epischen  Gedichte  waren 
^HaioSog,  Moifioma,  Xiliädsg  in  5  B.  Von  dem  ersten  ist  uns  nichts  näheres 
überliefert,  die  beiden  andern  waren  von  sehr  mannigfachem  Inhalt,  so  dass 
die  einzelnen  Abschnitte  besondere  Titel  hatten.  Die  Moiponia  enthielt 
in  loser  Form  bunte  Mythen  aus  der  Geschichte  Attikas  und  war  von  dem 
alten  Namen  der  Landschaft  Moiliorria  benannt.  Die  Chiliades  weisen 
schon  im  Titel,  den  im  Mittelalter  wieder  Tzetzes  für  seine  bunte  Mythen- 
sammlung wählte,  auf  die  Mannigfaltigkeit  des  Inhalts  hin;  das  5.  Buch 
handelte  speziell  von  den  tausendjährigen  Orakelsprüchen. 3)  In  den  Elegien 
fand  Euphorion  einen  Verehrer  und  Nachahmer  an  dem  römischen  Elegiker 
Cornelius  Gallus,  der  dieselben  auch  ins  Lateinische  übersetzte. 4)  Eine 
Satire  nach  Art  der  Ibis  des  Kallimachos  scheinen  die  'A^al  rj  noxrjQioxXsTTTrig 
gewesen  zu  sein.^)  Ob  er  auch  in  Prosa  ein  antiquarisches  Werk  ^Yno- 
fxvtiaaTa  laTOQixd  geschrieben  habe,  oder  ob  dasselbe  ein  Auszug  aus  seinen 
epischen  Gedichten  gewesen  sei,  ist  strittig.  Wie  Kallimachos  und  Lyko- 
phron,  so  gehörte  auch  Euphorion  zu  den  dunklen  Autoren,  welche  die 
Erklärungskunst  der  Grammatiker  herausforderten ;  ^)  an  Lykophron  hat  er 
sich  insbesondere  in  der  Mythenbehandlung  und  noch  mehr  in  der  glossen- 
reichen Art  der  Sprache  angelehnt.'^) 

344.  Nikandros  aus  Kolophon,^)  neben  Arat  als  der  bedeutendste  Lehr- 
dichter unsrer  Periode  von  Cicero  de  or.  1, 16  gepriesen,  blühte  im  2.  Jahrhundert 
unter  Attalos  III.,  ^)  den  er  im  Proömium  eines  Gedichtes  nach  der  genealogischen 


Verfasser  von  fVr?;  Meaarjviavf'c  erwähnt,  dei' 
Alexandriner  Aischylos,  der  auch  eine  Tra- 
gödie 'Jfx(pttQvioy  gedichtet  hatte;  vgl.  Kohl- 
mann, Qunestiones  Messeniacae,  Bonn  1866. 

')  Artikel  des  Suidas;  Meineke,  De 
Euphorionis  Chaicidensis  vita  et  scriptis, 
in  Anal.  Alex.  3  ff.,  wo  auch  die  Fragmente 
gesammelt  sind ;  die  prosaischen  Fragmente 
bei  Müller,  FHG.  III,  71—73.  Durch  den 
Beinamen  6  XaXxidevg  wurde  er  unterschie- 
den von  dem  Euphorion  aus  Chersonesos  (dem 
ägyptischen),  einem  Dichter  von  Priapeia^ 
worüber  Meineke,  An.  AI.  341  ff. 

'^)  Ausser  Suidas  hierüber  Plutarch,  De 
tranq.  anim.  p.  472  d. 

■')  Vgl.  Ed.  Thrämer,  Herrn.  25  (1890) 
55  ff. 

^)  Über   die    Benützung    durch    Ovid  s. 


Rohde,  Griech.  Roman  128. 

^)  G.  ScHULTZE,  Euphorionea,  Strassb. 
Diss.  1888,  lässt  die  ^Aqcü  einen  Teil  der  Chi- 
liades bilden. 

^)  Darüber  Clemens  Alex.  Strom.  V,  676. 

^)  Vgl.  Knaack,  Euphorionea,  Jhrb.  f. 
Phil.  137  (1888)  145  ff. 

^)  Ein  Artikel  des  Suidas;  ein  Abriss 
ttsqI  yivovg  ISixäv^QOv  vor  den  Scholien.  — 
Volkmann,  De  Nicandri  Colophonii  vita  ei 
scriptis,  Halis  1852,  und  Phil.  XV  (1860j 
304  ff. ;  0.  Schneider  in  Proleg.  der  Ausg.  — 
Plaehn,  De  Nicandro  aUisque  poetis  graecis 
ab  Ovidio  in  Metatnorphosibiis  conscrihendi^ 
adhihitis,  Halle  1882. 

•')  Attalos  III.  nennt  ausdrücklich  die 
Vita,  wonach  0.  Schneider  bei  Suidas  schreibt: 
aaxd  xoy  veou^' AxraXov  rjyovv  rov  TeXevrcdov 


A.  Alexaudrinisclies  Zeitalter.     2.  Die  Poesie.  (§843—344.) 


461 


Manierseiner  Zeit  als  Teuthraniden  und  Sprossen  des  Herakles  anredete.  Wegen 
seines  längeren  Aufenthaltes  in  Ätolien  und  seines  lehrreichen  Spezialwerkes 
über  Atollen  ward  er  von  einigen  geradezu  für  einen  Atelier  ausgegeben. 
Aber  er  bezeichnet  sich  selbst  (Ther.  958)  als  Kolophonier  und  bekleidete 
ein  in  seiner  Familie  erbliches  Priesteramt  des  Apoll  im  benachbarten 
Klares.^)  Er  heisst  bei  Suidas  Grammatiker,  Dichter  und  Arzt;  auch  die  Art 
seiner  litterarischen  Thätigkeit  war  ausserordentlich  mannigfaltig.  In  Prosa 
war  die  Sammlung  von  Glossen  geschrieben,  ebenso  die  'läcrscov  avvayioyrj^ 
vielleicht  auch  die  Aho)hxd,^)  Srjßaixä,  KaXocpcoviaxä  und  das  Buch  rcfgl 
XQTjiyTrjQian'  navToiMv.  Aber  sein  Hauptansehen  verdankte  er  seinen  mytho- 
logischen und  didaktischen  Epen.  Sein  bedeutendstes  Werk  waren  die 
^Etsqoiov^svu  in  5  B.,  die  verwandter  Natur  mit  den  KaTaarsgiai^ioi  des 
Eratosthenes  waren  und  von  Verwandlungen  in  Tiere  und  Pflanzen  erzähl- 
ten. Es  waren  aber  diese  Verwandlungsmythen  hervorgegangen  aus  dem 
poetischen  Natursinn  der  Griechen,  denen,  wie  Schiller  in  den  Göttern 
Griechenlands  so  einzig  schön  ausgeführt  hat,  alles  in  der  Natur  eines 
Gottes  Spur  zu  tragen  schien.  Viele  jener  Vorstellungen  hatten  seit  Hesiod 
durch  Epiker  und  Dramatiker  poetische  Gestaltung  erhalten,  Nikander  band 
sie  in  der  alexandrinischen  Zeit  zu  duftigen  Sträussen  in  5  Bücher  zu- 
sammen. Ovid  benützte  dieselben  mit  genialer  Kunst  in  seinen  Metamor- 
phosen; in  einen  prosaischen  Auszug  sind  sie  von  Antonius  Liberalis  ge- 
bracht. Von  den  eigentlichen  Lehrgedichten  sind  uns  ganz  verloren  ge- 
gangen die  FsMQyixd  mit  den  dazu  gehörigen  MshaaovQyixcc,  auf  die  Cicero 
de  erat.  I,  16  anspielt,  und  die  Vergil  nach  Quintilian  X,  L  56  nachgeahmt 
hat.^)  Erhalten  sind  uns  ausser  einigen  Epigrammen  die  OrjQiaxd  in  958 
Hexametern,  worin  Mittel  gegen  den  Biss  giftiger  Tiere,  und  die  'AXe'^i- 
(fccQ^axa  in  630  Versen,  worin  solche  gegen  Vergiftung  durch  Speisen  auf- 
geführt sind.  In  der  Sache  folgte  unser  Dichter  dem  Arzte  Apollodor, 
einem  Schüler  Demokrits,  in  der  Form  verstand  er  es  nicht  den  trocknen 
Stoff  durch  poetische  Digressionen  und  ansprechende  Bilder  zu  beleben.  Es 
gehörte  die  ganze  Vorliebe  der  Alten  für  das  Lehrgedicht  dazu,  um  einem 
so  prosaischen  Stoff  Versifikatoren  und  deren  Versen  Leser  zuzuführen. 
Gleichwohl  stund  Nikander  hoch  in  Ehren  und  übte  auf  die  lateinischen 
Dichter,  wie  Macer,  Vergil,  Ovid,  grossen  Einfluss;  aber  dieselben  waren 
nicht  blosse  Übersetzer,  sie  haben  vielmehr  an  Anmut  und  Gefälligkeit  der 
Darstellung  ihr  griechisches  Vorbild  weit  übertroffen. 

Hauptausg.  mit  kritischem  Apparat,  Scholien  und  erschöpfenden  Proleg.  von  0. 
Schneider,  Nicandrea,  Lips.  1856  (die  Scholien  bearbeitet  von  H.  Keil);  massgebend,  aber 
lückenhaft  ist  der  cod.  Paris.  1849  s.  X.  Ältere  wertvolle  Ausg.  von  J.  G.  Schneider, 
Hai.  1792,  Lips.  1816.  ~  Die  Scholien  sind  aus  den  älteren  Kommentaren  des  Diphilos, 
Pamphilos,  Theon  und  Plutarch  geflossen.  Aus  unbestimmter  Zeit  stammt  die  Meta- 
phrase eines  gewissen  Euteknios. 


!j<ot'>    Tov   TKXarovlxrjv.     Die   Synchronisten 

(setzten    ihn   ungenau   gleichzeitig   mit  Arat 

lund    Theokrit,    oder    unter   Ptolemaeus   V., 

iweshalb  Volkmann  für  Attalos  I.  eintritt. 

')  Vgl.  BuRESCH,  Klares  34  if. 

2)  In  Prosa  lässt   0.  Schneider  die  Ae- 

tolika  geschrieben  sein ;    Bedenken  dagegen 

erregt  die  durchsichtige  hexametrische  Form 


von  Fragm.  5. 

^)  Die  grossen  durch  Athenaios  erhal- 
tenen Fragmente  bewegen  sich  so  in  bota- 
nischer Gelehrsamkeit,  dass  sie  zum  ein- 
schmeichelnden Ton  der  Georgika  Vergils 
wenig  stimmen.  Erwähnt  werden  ausserdem 
von  unserem  Autor '0(jc/«xtf,  Oiruixii,  (^)ijiicc'iy.<(, 


462 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litter atui^. 


345.  Neoptolemos  aus  Parion  in  Bithynien  ist  den  Freunden  des  Horaz 
bekannt  durch  die  Bemerkung  des  Scholiasten  Porphyrie  zur  Ars  poetica: 
congessif  sc.  Iloratius  praecepta  Neoptolemi  tov  IlaQiavov  de  arte  poetica. 
Meineke,  de  Neoptolemo  Pariano,  in  Anal.  Alex.  p.  360  hat  die  Vermutung 
aufgestellt,  dass  damit  das  in  Hexametern  geschriebene  Buch  jieqI  aaTslai^mv 
gemeint  sei.  Ausserdem  werden  von  demselben  die  Epen  Jiovvaiäg  und 
^EQix^oviäg  angeführt.  Mehr  bekannt  war  der  versifizierende  Grammatiker 
durch  ein  glossematisches  Werk  in  Prosa,  nach  dem  er  bei  Strabon  p.  589 
den  Beinamen  yX(ßaöoyQ(x(fog,  hat.  Seiner  Richtung  nach  gehörte  derselbe 
der  pergamenischen  Schule  an,  wie  denn  auch  seine  Vaterstadt  gute  Be- 
ziehungen mit  den  Attaliden  unterhielt. 

Andere  Verfasser  didaktischer  Gedichte  waren  Eratosthenes  und 
Apollo dor OS,  über  deren  poetische  Werke  unten  im  Zusammenhang  mit 
ihrer  gelehrten  Thätigkeit  gehandelt  werden  soll;  ferner  Menekrates, 
dessen  Gedicht  vom  Landbau  Varro,  de  re  rust.  I,  1  unter  seinen  Quellen 
aufführt;  Numenios  und  Pankrates,  deren  ^AhsvTixd  öfters  Athenaios 
citiert;  Boios,  dessen  'Ogvi^oyoria  dem  römischen  Dichter  Aemilius  Macer 
zur  Vorlage  diente,  Alexander  aus  Ephesos  mit  dem  Beinamen  Lychnos 
aus  der  Zeit  Ciceros,  der  Phainomena  und  ein  geographisches  Lehrgedicht 
schrieb.  ^) 

d.  Dramatische  und  parodische  Poesie. 

346.  In  der  dramatischen  Poesie  ist,  von  der  neuen  attischen  Komödie 
abgesehen,  in  unserer  Periode  wenig  und  nichts  dauerndes  geleistet  worden. 
Was  zunächst  die  Tragödie  anbelangt,^)  so  richtete  Ptolemaios  Philadelphos 
nach  Alexanders  Beispiel  mit  fürstlicher  Pracht  dramatische  Wettkämpfe 
in  Alexandria  ein,  und  sprachen  die  Hoflitteraten  mit  Bezug  auf  einen 
Ol.  124  =  284/1  V.  Chr.  veranstalteten  Agon  dramatischer  Spiele,  von 
einer  zweiten  Blüte  und  einem  neuen  Siebengestirn  tragischer  Dichter.-^) 
Die  Sterne  dieser  Pleias  waren:  Lykophron  aus  Chalkis, *)  Alexander 
aus  Atollen, 5)  Dionysiades  aus  Tarsos,^)  Homeros  aus  Byzanz,^)  Sosi- 
phanes  aus  Syrakus,  Sositheos  aus  Alexandria  Troas,^)  Philiskos  aus 
Kerkyra.^)     Ihr  Glanz   ist  mit  ihrem  Tode  erblichen;    ihre  Tragödien  sind 


^)  Strab.  p.  642:  'A'ki^av&Qog  ^tjtmq  6 
Av/i^og  TiQoaayoQevx^eig  .  .  .  awey^axpeu  laro- 
QLav  xcd  €717]  yMiehnsy,  ep  oig  za  re  ovqcIvlu 
^laxL&BTca  y.cd  rag  tjneiQovg  yEdiyQacpel  x«^' 
EyMaxt]v  exöovg  7ioi7]/ua  '  vgl.  Meineke,  Anal. 
Alex.  p.  371  ff. 

-')  Welckek,  Griech.Trag.S.  1238-1331. 

^)  Theokrit.  17,  112:  oi'de  Jlmvvoov  rig 
fivrJQ  IsQovg  xar  dyiovag  |  Xxsr  iniarcifxspog 
TiiyvQay  dvccfxiXxpai  ccoiddu  I  w  ov  ^iorivav 
icvrd'^LOp  (onaae  ra/yag.  Suidas  setzt,  wahr- 
scheinlich nach  dem  Chronographen  Apollo- 
dor,  und  dieser  nach  der  gelegentlichen 
Notiz  irgend  eines  Historikers  die  Blüte  aller 
Dichter  der  Pleias  auf  Ol.  124. 

"*)  Suidas  zählt  von  Lykophron  20  Tra- 
güdientitel  auf,  nach  Tzetzes  zu  Lykophron 
schrieb    er  40   oder   56  Stücke.     Fragmente 


bei  Nauck  TGF.^  p.  817f. 

^)  Von  Alexander  Aetolus  wird  in  den 
Scholien  zu  11.  ^"  86  ein  Drama,  vermutlich 
ein  Satyrspiel,  ^AGtQayaXiaxcd  erwähnt. 

^)  Tarsos  ist  als  Heimat  angegeben  von 
Strabo  p.  675,  das  kilikische  Mallos  von  Suidas. 

^)  Seine  Mutter  war  die  Dichterin  Myro; 
von  einer  ihm  errichteten  Statue  handelt 
Anth.  II,  407;  über  ein  Epos  EvQvnvXaia 
Welcker,  Gr.  Trag.  1252. 

^)  Suidas :  Zwair^eog  I^vQccxovaiog  ij  ^A&rj- 
vccTog,  f^aXXou  de  ^AXe^ai^dgeiig  rrjg  TQmxrjg 
AXe'^avdQeiag.  Er  wird  als  Erneuerer  des 
Satyrspiels  von  Dioskorides  Anth.  VII,  707 
gepriesen;  von  seinem  Satyrdrama  Jcicpvig 
ist  uns  ein  längeres  Bruchstück  erhalten. 

^)  Nach  ihm  benannt  ist  das  4>di(Txeioi/ 
fzerQoy,  ein   choriambischer  Hexameter.   Als 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    Ö.  Die  Poesie.  (§  345  —347.) 


463 


bis  auf  wenige  Titel  und  spärliche  Fragmente  verschollen.  Auch  aus  Ol.  145 
oder  200  v.  Chr.  erfahren  wir  durch  eine  orchomenische  Festinschrift  CIG. 
1584  von  den  Tragödiendichtern  Sophokles  aus  Athen  ^  und  Dorotheos 
aus  Tarent,  sowie  einem  Dichter  von  Satyrdramen  Aminias;^)  aber  ihre 
Werke  teilten  das  gleiche  Los,  rasch  vergessen  und  in  den  Wind  zerstoben 
zu  werden.  Daneben  brachte  man  die  erprobten  Stücke  der  alten  Meister 
wieder  und  wieder  auf  die  Bühne.  In  den  Scholien  des  Euripides  ist  uns 
darüber  manche  Andeutung  erhalten.  So  lesen  wir  zu  Eur.  Or.  58,  dass, 
während  bei  Euripides  einfach  im  Prolog  der  Eintritt  der  rückkehrenden 
Helena  erzählt  wird,  in  Alexandria  die  Heimkehr  mit  grossem  Pomp  unter 
Vorführung  der  Beute  als  stumme  Scene  dargestellt  wurde.  Auch  kam 
bereits  in  unserer  Periode  die  Unsitte  auf,  nicht  mehr  ganze  Tragödien, 
sondern  nur  einzelne  Kraftstellen  auf  die  Bühne  zu  bringen.^) 

347.  Von  Lykophron  hat  sich  ein  Gedicht  Kassandra  oder  Alexandra 
in  1474  iambischen  Trimetern  erhalten.  Ihr  Verfasser  zählte,  wie  wir 
eben  sahen,  zur  alexandrinischen  Pleias  und  war  zugleich  von  Ptolemaios 
Philadelphos  mit  der  Ordnung  der  die  Komödien  umfassenden  Abteilung 
der  Bibliothek  betraut  worden.^)  Die  Alexandra,  welche  der  Dichter  noch 
während  seines  Aufenthaltes  in  Chalkis  abfasste,  ^)  enthält  in  dunklen 
Versen  die  Weissagung  der  troianischen  Königstochter  Kassandra  von  dem 
Untergang  der  Stadt  und  den  späteren  Schicksalen  der  troianischen  und 
achivischen  Helden  in  Verbindung  mit  der  Gründung  von  Städten  am 
Mittelmeer.  Eingeflochten  sind  auch  Verse  (1226 — 80  und  1446—51), 
welche  sich  auf  die  Niederlassung  des  Aeneas  in  Latium  und  die  Welt- 
stellung des  römischen  Reiches  beziehen,  Dinge,  welche  kaum  damals  in 
Griechenland  bekannt  sein  konnten. <5)  Niebuhr,  Kl.  Schrift.  I,  438  flf.,  ver- 
mutete daher,  dass  das  Gedicht  dem  Lykophron  untergeschoben  sei  und 
thatsächlich  erst  aus  der  Zeit  des  Flaminius,  auf  dessen  beutereichen  Feld- 
zug der  Vers  1450  anspielt,')  stamme.  Einfacher  ist  die  schon  in  den 
Scholien  zu  V.  1226  aufgestellte  Lösung,  wonach  bloss  die  beanstandeten 
Verse  von  einem  jüngeren  Interpolator  herstammen.  Das  abstruse  Ge- 
dicht mit  seiner  barocken  Sprache  und  seinen  versteckten  Anspielungen 
ist  nicht,  wie  es  verdiente,  unbeachtet  geblieben,  sondern  hat  schon  im 
Altertum  viele  und  ausführliche  Erläuterungen  gefanden.     In  neuerer  Zeit 


Dionysospriester  fungierte  er  bei  dem  grossen 
Aufzug  {no^nri)  unter  Ptolemaios  Philadel- 
phos, nach  Ath.  198  c. 

^)  Suidas:  locpoxX'i^g  'Axhrjpalog  rgayixog 
xat  XvQixog,  cinoyovog  xov  naXaiov  '  yayope 
tTf  x«r«  Tiqv  Tlkeicfifa. 

^)  Ausserdem  dichteten  noch  Tragödien 
Aiantides  und  Euphronios,  die  von 
andern  nach  Schol.  Heph.  c.  9  statt  Diony- 
siades  und  Sosiphanes  zur  Pleias  gerechnet 
wurden,  ferner  Kleainetos,  Zeitgenosse  des 
Alexis,  xAischylos  aus  Alexandria,  Klei- 
sthenes,  erwähnt  in  einer  teischen  Inschrift 
CIG.  3105,  Euphantos  aus  Olynth  (Diog. 
II,  110).  Ptolemaios  Philopator,  der 
einen  Adonis  dichtete. 

^)  Die    Fortdauer    dramatischer    Spiele 


bezeugen  die  neuaufgefundenen  delphischen 
Inschriften  über  die  Agone  an  denSoterien; 
s.  Wescher  u.  Foucart,  Inscriptions  de  Del- 
phes  N.  5  u.  6. 

*)  Strecker,  De  Lycophrone,  Euphronio, 
Eratosthene  coviicorum  interpretihus,  Greifs- 
walde Diss.  1884. 

^)  WiLAMOWiTZ,  De  Lycophronis  Ale- 
xandra, Ind.  lect.  Gryph.  1884. 

ß)  Irmisch,  Leipz.  Stud.  VIII,  281  will 
dieses  glaublich  machen,  indem  er  sich  auf 
die  Gesandtschaft  bezieht,  mit  der  Ptole- 
maios den  Römern  zum  Sieg  bei  Benevent 
gratulierte. 

^)  Abenteuerlich  ist  die  Deutung  von 
Wilamowitz  auf  den  Perser  Artabazus. 


464  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


noch  hat  ihm  Jos.  Scaliger  die  Ehre  einer  Übersetzung  erwiesen  (1584)  und 
hat  es  Reinhard  in  der  Prophezeiung  vom  Untergang  Magdeburgs  nachgeahmt. 

Scholien  des  Theon  (unter  Tiberius)  werden  öfters  von  Stephanos  Byz.  angeführt. 
Erhalten  haben  sich  ältere  Scholien  im  cod.  Marc.  476  s.  XI;  byzantinische  Paraphrasen 
teilt  ScHEEK  in  der  Ausg.  mit.  Aus  dem  Mittelalter  stammt  der  weitschichtige,  die  älteren 
Scholien  verwässernde  Kommentar  von  Is.  Tzetzes.  —  Ausgaben:  rec.  Bachmann,  Lips. 
1830;  rec.  Scheer,  Berol.  1881  mit  auserlesenem  kritischen  Apparat;  ed.  Kinkel  in  Bibl. 
Teubn.  1880. 

Ein  ähnliches  Kuriosum  ist  die  'E^ccyioyij  oder  der  Auszug  der  Juden  in  269  iam- 
bischen  Trimetern,  verfasst  von  dem  Juden  Ezechiel.  Erhalten  ist  uns  der  trockene  Dia- 
log, der  sich  Tragödie  nennt,  durch  die  Kirchenväter  Clemens  Alex,  ström.  I,  149  und 
Eusebius,  praep.  ev.  IX,  28.  Neuestens  abgedruckt  ist  derselbe  mit  dem  Kgiardg  nda/ojy 
von  DüBNEE,  Paris  1847. 

348.  Im  Lustspiel  leistete  unsere  Periode  das  Meiste  und  Beste,  da 
ihr  wesentlich  die  Blüte  der  neuen  attischen  Komödie  angehört.  Über 
diese  haben  wir  bereits  oben  im  Zusammenhang  mit  der  klassischen  Poesie 
Athens  behandelt;  dort  erwähnten  wir  auch  bereits,  dass  Menander  und 
Philemon  Einladungen  von  den  fürstlichen  Höfen  Kyrenes  und  Alexandrias 
erhielten.  Geradezu  Alexandria  gehörte  an  Machon  aus  Sikyon,  der  in 
der  ägyptischen  Hauptstadt  lebte  und  Lehrer  des  Grammatikers  Aristo- 
phanes  Byz.  wurde.  ^  Von  den  Komödien,  die  er  dort  aufführen  Hess, 
kennen  wir  zwei  Titel,  Ayvoia  und  'EttkttoXij.  Ausserdem  schrieb  er  in 
iambischen  Trimetern  XgeTai^  d.  i.  Brauchbare  Dinge,  in  denen  Anekdoten 
aus  der  histoire  scandaleuse  der  Diadochenhöfe  in  gewandter  Sprache  zum 
besten  gegeben  waren.-)  Auch  manche  der  oben  genannten  Tragiker  mögen 
zugleich  Komödien  für  Alexandria  geschrieben  haben;  Kallimachos  und 
Timon  werden  ausdrücklich  als  Verfasser  von  Tragödien,  Komödien  und 
Satyrdramen  aufgeführt. 

Eine  Besonderheit  Alexandriens  war  das  Automatentheater,  das  die 
berühmtesten  Mechaniker  Ägyptens  einrichteten.  Von  Heron  aus  Alexandria 
ist  uns  die  Beschreibung  eines  solchen  Dramas,  die  von  Lykophron  be- 
handelte Fabel  des  Nauplios  darstellend,  erhalten.^) 

349.  In  ünteritalien  kam  in  unserer  Periode  die  aus  dem  Mimus 
hervorgegangene  Poesie  der  Phlyaken  oder  Spassmacher  zur  besonderen 
Blüte.'*)  Namentlich  war  es  das  üppige  Tarent,^)  wo  man  sich  im  Theater 
an  derartigen  Spielen  teils  ernsteren,  teils  ausgelassenen  Inhaltes  erfreute. 
Über  die  reine  Posse  der  Spassmacher  {yslanonoioi  und  O^avpLaronoioi) 
erhoben  sich  die  llaQOTQaycoöia  und  {.layo^Sia,  von  denen  die  erstere  dem 
Charakter  der  Tragödie,  die  zweite  dem  der  Komödie  sich  näherte.^)  In 
die  Litteratur  eingetreten  ist  diese  Gattung  des  volkstümlichen  Spieles 
durch   Rhinthon   aus  Tarent,'^)  den  Begründer  der  Hilarotragodia.^)     Er 


0  Ath.  241  f  u.  664a. 

2)  Ath.  577  hat  uns  solche  Erzählungen 
von  den  Hetären  Leaina  und  Lamia  erhalten. 

^)  Pkou,  Les  theatres  d'  automates  en 
Grece  au  11^  siede  avant  Vere  chretienne, 
apres  les  AvTofxaxoTioüxd  d'  Heron  d'  Ale- 
xandre, Paris  1881  in  Memoires  presentees 
ä  Vacad.  t.  IX. 

^)  0.  Jahn,  Proleg.  in  Persium  p.  84 
sqq.;  Bernhardt,  Gr.  Litt.  II,  2.  535  ff. ; 
Sommerbrodt,     De    phlyacographia    Grae- 


coruni,  Vratisl.  1875. 

■')  Strabon  p.  280  sagt,  dass  es  in  Tarent 
mehr  Feier-  als  Werktage  gab. 

^)  Vgl.  Aristoxenos,  der  berühmte  Mu- 
siker aus  Tarent,  bei  Ath.  621. 

'')  In  dem  Epigramm  der  Nossis  Anth. 
Yll,  414  heisst  er  Syrakusaner,  so  dass  er 
wahrscheinlich  in  der  einen  Stadt  geboren 
ist,  in  der  anderen  gelebt  hat. 

^)  Suidas:  Vivxhiov  TaQavjiPO(;  X(0(utx6c;, 
«QX't]yog  lkcc()orQ«yo}<fic<g. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.     2,  Die  Poesie.  (§  348-350.) 


465 


war  von  niederer  Herkunft,  Sohn  eines  Töpfers,  i)  und  blühte  zur  Zeit  des 
ersten  Ptolemaios.  Dramen  von  heiterernster  Natur  hinterliess  er  48;  als 
Titel  werden  genannt  ^AfJKpiTQvcov^  ^HgaxXfjg,  ^Icfiysveia,  'OqeaTTiq^  TrjXscpog. 
Die  Heroen-  und  Göttermythen  waren  also  auch  hier  die  unerschöpfliche 
Fundgrube  des  dramatischen  Spieles.  Von  der  Weise,  wie  die  unter- 
italischen Dichter  denselben  behandelten,  kann  uns  der  Amphitruo  des 
Plautus  eine  Vorstellung  geben,  wenn  auch  nicht  feststeht,  dass  das  er- 
götzliche Stück  gerade  dem  Rhinthon  nachgebildet  ist.  2)  Nach  einer  durch 
Lydus  uns  erhaltenen  Notiz  hat  Rhinthon  auch  eines  seiner  Stücke  in 
Hexametern  geschrieben.  3)  —  Ausser  Rhinthon  werden  als  Phlyakendichter 
genannt  Blaisos  aus  Kampanien,  Skiras  und  Sopater.  Dramatisches 
Leben  hatten  auch  die  neckenden  Scherze  des  Herondas,  vermutlich  eines 
Zeitgenossen  des  Theokrit,  der  in  seinen  Mimiamben  aus  dem  Leben  ge- 
griffene Scenen  in  hinkenden  Spottiamben  darstellte. 

350.  Zu  den  verschiedenen  Arten  des  dramatischen  Spieles  kamen 
noch  zahlreiche  Aufführungen  mehr  musikalischer  Natur  von  Kitharoden 
und  Auloden,  welche  bei  keiner  Fest  Versammlung  fehlten  und  zum  grössten 
Teil  beliebte  Musikstücke,  Dithyramben  und  Nomen  der  älteren  Zeit  von 
neuem  zu  Gehör  brachten.  Zur  Entfaltung  des  Glanzes  dienten  zumeist 
die  religiösen  Aufzüge  (rvofXTvai),  welche  zu  Ehren  der  Götter,  mehr  aber 
noch  zur  Schaustellung  des  Luxus  an  den  Höfen  und  Götterfesten  auf- 
geführt wurden.  Von  einem  besonders  grossartigen  Aufzug  der  Art,  der 
in  Alexandria  unter  Ptolemaios  Philadelphos  stattfand,  hat  uns  Athenaios 
V,  25—35  eine  anschauliche  Beschreibung  geliefert.'^)  Auf  solche  Weise 
nahmen  im  dritten  Jahrhundert,  wiewohl  es  an  schöpferischen  Leistungen 
im  Drama  und  den  verwandten  Künsten  sehr  fehlte,  doch  die  Feste  mit 
dramatischen  und  musikalischen  Aufführungen  eine  ausserordentliche  Aus- 
dehnung.^) Das  führte  zur  Umgestaltung  der  alten  gymnischen  Spiele  in 
musische  und  zur  Einführung  neuer  Festspiele,  wie  der  Olympien  im 
pierischen  Dion,  der  Soterien  in  Delphi,  der  Charitesien  in  Orchomenos, 
der  Lysimachien  in  Aphrodisias,  sowie  zur  Erbauung  von  Theatern  und 
Odeen  alier  Orte  Griechenlands  und  der  Diadochenreiche.  Das  hatte  auch 
die  Begründung  von  Genossenschaften  dionysischer  Künstler  {(tvvo^oi  röov 
nsql  Jiovvaov)  zur  Folge,  ^)  in  denen  Schauspieler,  Rhapsoden,  Musiker  zur 
Förderung  ihrer  Interessen  und  zur  leichteren  Inscenierung  von  Dramen 
und  Festspielen  sich  vereinten. 


^)  Die  Töpferei  war,  wie  die  neuen  Ausgra- 
bungen zeigen,  ein  Hauptgewerbe  von  Tarent. 

'^)  Lydus  de  magistr.  I,  40  erwähnt  unter 
den  Formen  der  römischen  Komödie  auch 
die  XM/uMdlcc  "^Piv&cdvixtj,  die  er  dann  einfach 
mit  t}  i^MTixij  (ob  elwdVx?;?)  erklärt.  Völker, 
Mhintonis  fragmenta,  Leipz.  1887,  dazu  die 
Besprechung  von  Crusius,  Woch.  f.  klass. 
Phil.  1889  n.  11. 

^)  Lydus  de  mag.  I,  41 :  e^afxaTQoig 
syQaxl's  TTQMTog  xiOfiMdlay.  Die  Fragmente 
weisen  iambische  Trimeter  auf,  aber  an  dem 
Zeugnis  des  Lydus  muss  etwas  wahres  sein, 
da  er  im   weiteren  Verlauf  die  Satiren    des 

Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.    2. 


Lucilius   auf   die  metrische  Form  des  Rhin- 
thon zurückführt. 

^)  Kamp,  De  PtolemaiiPhiladelpJiipompa 
hacchica,  Bonn  1864. 

^)  Reisch,  De  musicis  Graecorum  cer- 
taminibus,  Wien  1886,  S.  105  f. 

ß)  FoucART,  De  collegiis  scenicorum  ar- 
tificum  apud  Graecos,  Paris  1873;  Lueders, 
Die  dionysischen  Künstler,  Berl.  1873;  H. 
Sauppe,  De  collegio  artißcum  scaenicorum 
Ind.  Gott.  1876;  A.  Müller,  Griecli.  Bühnen- 
alt. 392  ff.  Diese  rs/yTrca  oder  Jiovvao- 
xoXccxeg  sind  schon  erwähnt  von  Arist.  Rhet. 
111,  2  und  Demosthenes  19,  192. 
Aufl.  30 


466 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


351.  Ein  Seitenstück  zur  Komödie  bildete  in  unserem  Zeitalter  die 
von  nicht  geringen  Talenten  gepflegte  parodische  und  skeptische  Poesie, i) 
zu  der  auch  die  ionischen  Sotadeen  und  die  launigen  Schilderungen  von 
Gastereien  gehörten.  Die  Parodie  hatte  bei  den  Griechen  in  der  klassischen 
Zeit  an  den  Dichter  x«t'  s^oxrjv,  an  Homer,  angeknüpft  und  von  diesem 
auch  die  Form  des  Hexameters  entlehnt.  Auf  den  Margites  und  die 
Batrachomyomachia  folgte  dann  in  der  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges 
der  Hauptvertreter  der  Parodie,  Hegemon  aus  Thasos,  von  dem  bereits 
oben  §  184  die  Rede  war.  In  unserer  Periode  war  die  um  sich  greifende 
Skepsis  und  der  die  Satire  herausfordernde  Hang  zum  Luxus  dieser  Gattung 
von  Spottpoesie,  die  wie  ein  Sauerteig  alle  Richtungen  und  Anschauungen 
des  Lebens  durchdrang,  besonders  günstig.  Sie  behielt  zwar  auch  jetzt 
noch  die  alte  Form  des  Hexameters  bei,  nahm  aber  auch  neue  Vers- 
formen hinzu. 

352.  Sotades  aus  Maronea^)  ist  der  Hauptrepräsentant  der  lasciven 
Possenreisserpoesie  in  ionischen  Versen  {xivai6oX6yog).  Seine  Zeit  bestimmt 
sich  aus  seinem  Zerwürfnis  mit  dem  König  Ptolemaios  Philadelphos.  Athe- 
naios  p.  620  erzählt  darüber,  Sotades  habe,  wie  die  Hofnarren  des  Mittel- 
alters, in  Alexandria  bei  Ptolemaios  über  den  König  Lysimachos,  in  An- 
tiochia  bei  Lysimachos  über  Ptolemaios  seine  schlechten  Witze  gemacht, 
habe  aber  besonders  den  Ptolemaios  durch  den  beissenden  Vers  über  seine 
Schwestergattin  Arsinoe 

elg  ovx  dairjv  TQVfiah'r^v  t6  xsvtqov  mÖ^sTq 
gereizt.  Darauf  sei  er  von  Patroklos,  einem  Befehlshaber  des  Königs,  auf 
der  Insel  Kaunos  gepackt  und  in  einem  bleiernen  Fass  ins  Meer  gesenkt 
worden.  Die  Kinädenpoesie  knüpfte  zunächst  an  die  Trinklieder  des  loniers 
Pythermos^)  und  die  unzüchtigen  Tänze  der  alten  lonier  (motus  ionici)  an. 
Solche  Tänze  führten  gewiss  damals  schon,  wie  später  zu  Petrons  Zeiten,'^) 
gemeine,  unflätige  Possenreisser  [xivaidoi)  auf  öff'entlichen  Plätzen  oder  bei 
Weingelagen  zur  Belustigung  des  Volkes  und  der  Zechgenossen  auf.  Dazu 
dichteten  nun  die  Poeten  Alexandriens,  da  zu  allen  Zeiten  bei  den  Griechen 
Tanz  mit  Gesang  beliebter  als  blosser  Tanz  war,  entsprechende  Texte 
im  künstlich  nachgeahmten  ionischen  Dialekt,  aber  im  Ton  und  Ideenkreis 
der  gemeinen  Gegenwart.^)  Sotades  war  nicht  der  erste,  der  diese  Gattung 
pflegte;  schon  vor  ihm  hatten  Alexander  Aetolus,  Pyres  aus  Milet  und 
Alexes  solche  ionische  Lieder  gedichtet;*^)  aber  er  galt  als  Hauptvertreter 
der  Gattung,    und   nach   ihm   ist   das   herrschende  Metrum  dieser  Gesänge 


^)  Weland,  De  praecipuis  parodiai'um 
Homeri  scriptorihus,  Gott.  1833. 

^)  Suidas:  Itütu^rjg  Kqrjg  ij  MaQ(av'n^]g. 
y^^.  Ath.  620,  der  aus  den  Biographen  des 
Dichters,  Karystios  und  Apollonios,  dem  Sohne 
des  Sotades,  schöpfte. 

^)  Über  Pythermos  als  Dichter  von 
Skolien  und  Erfinder  der  den  Sitten  der 
lonier  angepassten  ionischen  Musik  aus  der 
Zeit  des  lambographen  Hipponax  siehe  Ath. 
625  c. 

'^)  Strab.  p.  648:  »y^le  ^e  ZMrudtjg  usv 
TiQcijTog  Tov  xipaidoXoyeh',  tTJSiTu  \-1'Ae^c(i'dQog 


6  JitioXog '  (xXX'  ovtoi  fxsu  ep  xjjlXm  koyo),  fU€T(< 
fis^ovg  de  Avaig  xccl  exi  TJQÖrsQog  rovrov  6 
2:iuog.     Vg\.  Meineke,  An.  AI.  244  f. 

5)  Petron  c.  23;  vgl.  Horaz  Od.  III,  Q, 
21  und  meine  Metrik^  S.  488  ff. 

^)  Ath,  620 e:  6  ÖE  ^Iw^ixog  löyog  tu 
2wr«cFov  ymI  xd  tiqo  tovtov  'liovixu  xalov- 
y,Evc(  7ioii]fxc<Tcc  'JXe^dydQov  je  tov  JiiioXov 
xal  üvQfjTog   rov    Milrjoiov    xal   ^AXe^ov  xal 

CilliJiV      TOlOVriOy     TTOirjliOV     TlQOCpEQETai.       Als 

solche  andere  werden  von  Suidas  in  dem 
Artikel  über  Sotades  genannt  Theodoros, 
Timocharidas,  Xenarchos. 


A.  Alexaudrinisches  Zeitalter.     3.  Die  Poesie.  (§  351—354.)  467 

Sotadeum  metrum  genannt.  Als  Titel  einzelner  seiner  Gedichte  werden 
genannt  slg  ''AiSov  xazccßaaig^  ngirinog^  elg  BtXsaTixrjv  (Geliebte  des  Königs 
Ptolemaios),  'A^aa^oh'.  Die  Fragmente  sind  gesammelt  und  hergestellt  von 
G.  Hermann,  Eiern,  doctr.  metr.  p.  445  ff.  Sind  dieselben  auch  nur  los- 
gerissene Trümmer,  so  zeigen  sie  doch,  dass  Sotades,  weit  entfernt  nur 
schlechte  Witze  zu  reissen  auch  eine  Fülle  hübscher  Sentenzen  in  seine 
Spässe  zu  verflechten  wusste.  Ennius  hat  diese  ionischen  Schwanke  und 
Plaudereien  unter  dem  Namen  Sota  ins  Lateinische  übertragen. 

353.  Timon  aus  Fhlius  i)  (um  315  —  226)  war  seiner  Bildung  und 
Geistesrichtung  nach  Philosoph;  in  der  Jugend  hörte  er  den  Eristiker 
Stilpon  in  Megara,  nachher  warf  er  sich  ganz  dem  Skeptiker  Pyrrhon  in 
die  Arme;  seine  späteren  Lebensjahre  brachte  er  in  Chalkedon  als  Lehrer 
und  dann  von  ca.  278  an  in  Athen  zu.  Von  Natur  zwar  einäugig,  aber 
sonst  kräftig  gebaut,  brachte  er  es  durch  Enthaltsamkeit  und  Geistesruhe, 
indem  er  fern  von  dem  Geräusche  der  Welt  der  Einsamkeit  und  dem 
Gartenbau  lebte,  zum  Alter  von  nahezu  90  Jahren.  Seine  Schriften,  von 
denen  uns  Diogenes  IX,  110  ein  nicht  ganz  vollständiges  Verzeichnis  über- 
liefert hat,  waren  sehr  mannigfaltig;  es  waren  darunter  solche  in  Prosa 
und  solche  in  Versen.  Unter  den  letzteren  befanden  sich  60  Tragödien 
und  Satyrdramen,  die  wahrscheinlich  nicht  zur  Aufführung  auf  der  Bühne, 
sondern  zum  Lesen  bestimmt,  mehr  nur  Dialoge  in  iambischen  Trimetern 
waren,  ferner  Xoyoi  xivmSoi  und  eine  Elegie  ^IvSaXpioi  d.  i.  Gedanken  Vor- 
stellungen, von  der  uns  ein  paar  an  Pyrrhon  gerichtete  Distichen  erhalten 
sind.  Am  berühmtesten  waren  seine  2ilXoi  in  3  B.,  von  denen  nach  dem 
Kommentar  des  Apollonides  (unter  Tiberius)  bei  Diog.  IX,  111  das  1.  Buch 
die  Form  der  Erzählung,  die  beiden  andern  die  eines  Dialoges  in  der  Unter- 
welt 2)  hatten.  Hauptträger  des  Dialoges  war  der  alte  Sillograph  Xeno- 
phanes,  der  die  Lauge  des  Spottes  über  die  dogmatischen  Philosophen  der 
alten  und  neuen  Zeit  ausgoss.  Das  Gedicht  war  in  daktylischen  Hexametern 
geschrieben  und  wendete  Verse  und  Phrasen  des  Homer  zur  Verspottung 
der  Dogmatiker  an,  wie  gleich  der  Anfang  lautete 

EansTs  vvv  jxoi  oaoi  7ioXvTj:Qäyj.iov8g  iars  ao(fi(STai, 
Von   dem   witzigen,    durch   beissende  Urteile   ausgezeichneten  Werke   sind 
uns  nicht  wenige  Fragmente  erhalten,  die  in  unserer  Zeit  Wachsmüth  mit 
ingeniöser  Kombination  in  das  ehemalige  Gefüge  des  Werkes  einzuordnen 
versucht  hat. 

354.  In  die  Fusstapfen  des  Timon  traten  die  Kyniker,  welche  zu  jeder 
Zeit  durch  Freimut  vor  den  anderen  Philosophen  sich  auszeichneten  und 
in  ihrer  volkstümlichen  Weise  es  besonders  liebten  durch  leise  Ummodelung 
von  Versen  des  populärsten  aller  Dichter  witzig  und  beissend  zugleich  zu 
sein.  Ein  paar  Hexameter  aus  den  Sillen  des  K  rat  es  und  Bion  sind  uns 
noch  erhalten.  Mit  diesen  im  Inhalt,  nicht  in  der  Form  verwandt  waren 
die  Schriften  des  Kynikers  Menippos,  der  gleichfalls  noch  in  dem  3.  Jahr- 


^)  Diog.  IX,  109  112;  Wachsmüth, 
Sillogr.  graeci  in  fasc.  II  des  Corpusculum 
poesis  epicae  ludihundae,  Bibl.  Teubn.  1885. 

-)  Die    gleiche    Form    eines    Gesprächs 


im  Orciis  haben  selbständig  Schiller  und 
Goethe  in  den  Xenien  332  —  413  angewandt, 
worüber  Wachsmüth  p.  40. 


10= 


468 


Griechische  Literaturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


hundert  gelebt  zu  haben  scheint.^)  Dieser  schrieb  in  einer  aus  Prosa  und 
Versen  gemischten  Sprache,  indem  er  seine  in  gewöhnlicher  Rede  geschrie- 
benen Angriffe  auf  die  Philosophensekten,  besonders  die  Epikureer,  mit 
parodischen  Versen  durchflocht.  Den  Menippos  hat  bekanntlich  später  in 
Rom  Varro  Reatinus  in  seinen  Saturae  Menippeae  nachgeahmt.  2)  Bei  den 
Griechen  fand  er  nicht  bloss  an  Lukian,  sondern  schon  früher  an  dem 
Epigrammatiker  Meleager,  seinem  Landsmann,  Bewunderer  und  Nachahmer. •'^) 
Es  waren  somit,  worauf  Wachsmuth  aufmerksam  macht,  die  3  griechischen 
Satiriker,  Menippos,  Meleager,  Lukian,  nicht  Griechen,  sondern  Syrer  oder 
Semiten. 

355,  Eine  besondere  Art  von  Parodie  waren  die  Jsijiva^  heitere,  den 
Mund  wässerig  machende  Beschreibungen  von  leckeren  Mahlzeiten,  gewürzt 
mit  witzig  gewendeten  Versen  aus  Homer;  sie  blühte  vornehmlich  in  der 
Zeit  der  neuen  Komödie  und  berührte  sich  mit  ähnlichen  Schilderungen 
auf  der  damaligen  Bühne.  Erhalten  sind  uns  von  dieser  Litteratur,  die 
seit  Alexander  viele  und  reiche  Blüten  trieb,  ziemlich  umfangreiche  Reste 
durch  Athenaios,  der  ganze  Seiten  aus  jenen  Dichtungen  seinem  eigenen 
Sophistenmahl  einverleibt  hat.  Die  Hauptvertreter  dieser  Gattung  waren 
Archestratos  aus  Gela,  aus  der  Zeit  des  Aristoteles,  dessen  Gedicht 
'H6v7Td^€ia,  welches  später  Ennius  unter  dem  Titel  Heduphagetica  ins 
Lateinische  übertrug,  eine  gastronomische  Rundreise  enthielt;  Matron  aus 
Pitana,  der  gleichfalls  zu  Alexanders  Zeiten  lebte  und  dessen  durch  Athe- 
naios IV,  134 — 7  uns  erhaltenes  Gedicht  Jetnvov  'Jinxoi'  mit  dem  paro- 
dischen Vers  anhob  Jelnvcc  ^loi  tvvsns^  Movaa,  TioXvtQocfa  xal  fxdXa  noXXcc, 
Timachides  aus  Rhodos,  der  ein  kulinarisches  Gedicht  von  nicht  weniger 
als  11  Rhapsodien  schrieb  (Ath.  I,  5  a),  daneben  aber  auch  Euripides,  Ari- 
stophanes,  Menander  kommentierte;  ferner  Numenios  aus  Heraklea  u.  a. 

Brandt,  Corpusculum  pocsis  ejncae  graecae  ludibundae,  t.  I.,  Bibl.  Teubn.  1888, 
wo  auch  die  dürftigen  Reste  des  zur  Zeit  König  Philipps  lebenden  Paroden  Euboios  aus 
Paros  und  seines  glücklicheren  Rivalen  Boiotos  gesammelt  sind.  —  Archesirati  Syracusii 
stve  Gelensis  reUquiae  rec.  W.  Ribbeck,  Berl.  1877. 

3.  Die  Prosa. 


a.  Die  Geschichtschreibung". 4) 

356.  Den  Mittelpunkt  der  prosaischen  Litteratur  unserer  Periode  bilden 
die  Studien  der  Grammatik  und  gelehrten  Erudition.  Diese  zogen  auch 
vieles  von  dem,  was  der  Geschichte  angehört,  in  ihren  Kreis,  so  dass 
man  zweifeln  kann,  ob  man  Männer,  wie  Dikäarch,  Eratosthenes,  Apol- 
lodor,  die  vorzugsweise  das  Gebiet  der  historischen  Philologie  anbauten, 
unter  den  Historikern  oder,  wie  wir  vorziehen,  unter  den  Grammatikern 
behandeln    soll.     Überhaupt   herrschte   in   der   historischen    Schriftstellerei 


1)  Früher  setzte  man  auf  Grund  des 
Zeugnisses  bei  Diog.  VI,  99  den  Menippos 
gleichzeitig  mit  dem  Epigrammatiker  Melea- 
ger, also  um  80  v.  Chr.  Die  Stelle  ist  richtiger 
gedeutet  von  Maass  bei  Wachsmuth,  p.  79. 

'^)  Meleager   in   Anth.  VII,   417  u.  418. 


^)  Im  Geist  der  Parodien  des  Menippos 
und  Timon  ist  auch  geschrieben  Horati  sat. 


II,  5. 

')  Über 
oben  §  211. 


die    litterarischen    Hilfsmittel 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreibung.  (§355—357.)  469 


unseres  Zeitalters  eine  ungemeine  Regsamkeit;  aber  der  Masse  der  Produk- 
tionen entsprach  nicht  ihr  innerer  Wert:  unter  den  Hunderten  von  Histo- 
rikern begegnet  uns  nur  ein  Autor  von  entschiedenem  Talent  und  selb- 
ständigem Geist,  Polybios;  ihn  sparen  wir  uns  zum  Schluss  auf  und 
durchwandern  zuerst  das  Trümmerfeld  der  kleinen,  fragmentarischen  Lit- 
teratur. 

Unter  den  Geschichtsschreibern  der  Diadochenzeit  steht  voran 
Hieronymos  von  Kardia,  Historiker  und  Feldherr  zugleich.  Anfangs 
stund  er  im  Lager  des  Eumenes;  nach  dessen  Vernichtung  kam  er  bei 
Antigonos,  dann  bei  dessen  Sohn  Demetrios,  und  zuletzt  bei  Antigenes 
Gonatas  in  Ehre  und  Gunst.  Ein  Mann  von  ungewöhnlicher  Gesundheit, 
erreichte  er  mit  ungeschwächten  Sinnen  ein  Alter  von  104  Jahren,  i)  Sein 
Werk  ^lazoQiai  tmv  öiadoxMv  begann  mit  der  glänzenden  Leichenbestattung 
Alexanders  und  ging  bis  auf  den  Krieg  des  Pyrrhos  in  Italien  herab.  Den 
letzten  Abschnitt,  der  zuerst  die  Griechen  mit  Rom  und  dessen  älteren 
Geschichte  bekannt  machte,  benützte  Plutarch  im  Leben  des  Pyrrhos. 
Pausanias  I,  9.  8  wirft  ihm  gehässige  Anfeindung  aller  Könige  mit  Aus- 
nahme des  Antigonos  Gonatas  vor.  Fragmente  bei  Müller,  FHG.  H, 
450—461. 

Duris  aus  Samos,  Schüler  des  Theophrast,^)  der  als  Knabe  einen 
Sieg  im  Faustkampf  zu  Olympia  errang  ^)  und  später  Herrscher  von  Samos 
wurde, ^)  ist  Verfasser  eines  umfangreichen  Geschieh ts Werkes,  ^latogiai,  nach 
seinen  Teilen  auch  ^E?.Xrjvixd  und  MaxsSovixd  betitelt,  das  mit  der  Ge- 
schichte nach  der  Schlacht  von  Leuktra  begann  (Diod.  XV,  60)  und  min- 
destens bis  281  oder  den  Tod  des  Lysimachos  herab  ging;  dasselbe  bildete 
später  eine  Hauptquelle  des  Diodor.^)  Ausserdem  schrieb  Duris  eine  Lokal- 
geschichte seiner  Heimatinsel,  2aiiiMv  mqoi,  ein  Leben  des  Tj^rannen  Aga- 
thokles  von  Syrakus,  Schriften  ttsqI  dyoh'on',^)  tisqI  ^(oyQdcfMv,  tisqI  toqsv- 
Tixrjg,'^)  TtsQi  TQayfoSiag.     Fragmente  bei  Müller,  FHG.  H,  466 — 88. 

Andere  Historiker  der  Diadochenzeit  waren  Nymphis  von  Heraklea, 
der  eine  allgemeine  Geschichte  in  24  B.  bis  auf  Ptolemaios  HL  und  eine 
Spezialgeschichte  von  Heraklea  schrieb;  Demetrios  von  Byzanz,  der  nach 
Diogenes  V,  83  den  Einfall  der  Gallier  in  Asien  und  die  Kämpfe  des  An- 
tiochos  und  Ptolemaios  behandelte;  Herakleides  von  Kyme,  der  seine 
Persika  noch  ehe  das  persische  Reich  über  den  Haufen  geworfen  war,  zu 
schreiben  begonnen  hatte.  ^) 

357.  Sikilien,  unerreicht  von  den  Waffen  der  Makedonier,  fuhr  auch 
nach  dem  Untergang  der  hellenischen  Freiheit  fort,  eine  bedeutende  Rolle 
in  der  Geschichte  und  Litteratur  zu  spielen.     Die   thatenreiche   Regierung 


^)  Ps.  Lucian,  Macrob.  22. 

2)  Ath.  128  a. 

^)  Das  von  Hippias  gefertigte  Bild  des 
Siegers  sah  noch  Paus.  VI,  13,  5;  über  die 
Heilung  der  stark  verderbten  Stelle  siehe 
LüBBERT,  De  Pindari  et  Hieronis  amicitia, 
Bonn.  Ind.  1886  p.  XXIV. 

*)  Pausanias  a.  0.  und  Suidas  unter 
Lynkeus,  dem  Bruder  des  Duris. 

^^  Haake,  De  Duride  Diodori  auctore, 


Bonn  1874;  Rosiger,  De  Duride  Diodori 
et  Plutarchi  auctore,  Gott.  1874;  Rössler, 
De  Daride  Diodori,  Hieronymo  Duridis 
auctore,  Gott.  1876. 

6)  In  dieser  Gattung  von  Schriftstellerei 
folgten  ihm  dann  Kallimachos,  Ister,  Kleo- 
phanes,  Theodoros  aus  Hierapolis. 

')  Urlichs,  Griech.  Kunstschriftsteller 
S.  21  f. 

8)  Vgl.  RüHL,  Jahrb.  f.  Phil.  137,  121  f 


470 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


des  verwegenen  und  rücksichtslosen  Tyrannen  Agathokles  (317 — 289)  fand 
ihre  Darstellung  ausser  durch  Duris  und  Antandros,  den  Bruder  des 
Tyrannen,  durch  Kallias  aus  Syrakus,  der  die  Geschichte  des  Agathokles 
in  24  B.  schrieb.  Diodor  XXI,  17  ergeht  sich  in  heftigen  Ausdrücken  über 
dessen  Wahrheitsfälschung  zu  Gunsten  des  gottlosen  Tyrannen.  Fragmente 
bei  Müller,  FHG.  II,  382  f. 

Timaios  (um  352 — 256)  aus  Tauromenion  in  Sikilien,  der  berühm- 
teste unter  den  Historikern  Sikiliens,  war  der  Sohn  des  Andromachos,  des 
Gründers  und  Herrschers  von  Tauromenion.  Von  Agathokles  entweder 
gleich  bei  seinem  Regierungsantritt  (317)  oder  vor  seinem  Feldzug  gegen 
Karthago  (310)  verjagt,  brachte  er  50  Jahre  in  Athen  zu.^)  Hier  wurde 
er  durch  den  Isokrateer  Philiskos,  als  dessen  Schüler  ihn  Suidas  bezeichnet, 
in  die  Rhetorik  eingeführt.  Als  Greis  kehrte  er  nochmals  nach  Sikilien 
zurück  und  starb  in  dem  hohen  Alter  von  96  Jahren  um  256.  Seinen 
Ruhm  verdankte  er  seiner  umfangreichen  Geschichte  {laroQiai)  Sikiliens,  die 
mit  der  ältesten  Zeit  begann  und  bis  zum  Jahre  264  reichte,  2)  sich  aber 
nicht  auf  Sikilien  beschränkte,  sondern  auch  die  Geschichte  Italiens  und 
Karthagos  umfasste  und  in  zahlreichen  Digressionen  auch  auf  die  Verhält- 
nisse Griechenlands  einging.  2)  Das  Werk  hatte  38  B.*)  und  scheint  in  den 
einzelnen  Abschnitten  eigene  Überschriften  gehabt  zu  haben;  angehängt 
waren  5  B.  über  Agathokles,  welche  nach  Diodor  XXI,  1,  den  Schluss  des 
Werkes  ausmachten.  Auch  die  Geschichte  des  Pyrrhos  bildete  nach  Dio- 
nysios  Arch.  I,  6  und  Cicero  ad  fam.  V,  12.  2  ein  Buch  für  sich.  Ausser- 
dem verfasste  Timaios  einen  chronologischen  Abriss  'OXviiniovTxai  yJtoi  Xqo- 
vixd  7iQa'§idia.^)  Die  Schriften  unseres  Historikers  waren  im  Studierzimmer 
geschrieben  und  Hessen,  was  den  wiederholten  Tadel  des  Polybios  hervor- 
rief,^) das  sachliche  Urteil  des  praktischen  Staatsmannes  vermissen.  Aber 
derselbe  hatte  die  Quellen  mit  grossem  Fleisse  zusammen  gesucht,  auch 
die  Inschriften  der  Säulen  und  Tempel  verwertet  (Polyb.  XII,  11)  und  selbst 
die  Urkunden  der  Karthager  und  Phönizier  studiert.  In  der  Benützung 
der  Quellen  war  er  von  blindem  Glauben  weit  entfernt,  umgekehrt  nur  zu 
sehr  geneigt,  seine  Vorgänger  Lügen  zu  strafen  und  die  Tyrannen  und 
Könige  von  der  schlechten  Seite  aufzufassen.  Das  zog  ihm  scharfe  Zu- 
rechtweisungen von  Seite  des  Polybios  zu  und  rief  die  Gegenschriften  [avTi- 
YQCKpai)  von  Polemon  und  Istros  hervor.  Der  letztere  hing  ihm  den  Spott- 
namen 'EniTiixaioQ  'Tadler  an.  Aber  doch  auch  Polybios  (XII,  10  f.)  Hess 
ihm  die  Ehre,  die  Chronologie  berichtigt  und  die  wahre  Zeit  vieler  Städte- 
gründungen erwiesen  zu   haben.')     Er  reduzierte   nach  jenem  Zeugnis  die 


')  Nach  seinem  eigenen  Zeugnis  bei 
Polyb.  XII,  25.  Die  Zeit  seiner  Vertreibung 
wird  geschlossen  aus  Diodor  XIX,  8  u.  XX,  4. 

2)  An  diesen  Schluss  knüpfte  später  so- 
dann Polyb.  I,  5  an. 

^)  Ausdrücklich  indes  sagt  von  ihm  Po- 
lyb. XII,  23 :  imeQ  'irayutg  ^ovov  xccl  lixeXiag 
nqayfxarevofJLSvog. 

4)  "krf  statt  ti  schreibt  Gutschmid  bei 
Flach  im  Artikel  des  8uidas,  indem  er  zu 
gleich   nach  Ruhnken's  Vorschlag   den  Pas- 


sus avlXoyrjv  qrjtoQiXMP  acpoQfJiiov  ßißXtcc  ^ij 
als  fremden  Zusatz  einschliesst  und  ^hcdixa 
xcd  Iixshxä  als  Spezialtitel  desselben  Werkes 
fasst.  Über  die  Anordnung  des  Stoffes  siehe 
Beloch,  Die  Ökonomie  der  Geschichte  des 
Timaios,  Jahrb.  f.  Phil.  123,  S.  697  ff. 

'"}  Vgl.  Censoiinus  De  die  nat.  21. 

6)  Polyb.  XII,  3  -28. 

^)  Die  Gründung  Roms  setzte  er  indes 
irrig  38  Jahre  vor  die  1.  Olympiade,  gleich- 
zeitig mit  der  Karthagos. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreibung.  (§  358.)  471 


Ephoren  Spartas,  die  Archonten  Athens  und  die  Priesterinnen  von  Argos 
auf  Olympiaden  und  setzte  so  an  Stelle  der  lokalen  Zeitangaben  die  all- 
gemeine Zeitrechnung  nach  Olympiaden.  Seinen  Stil  tadelt  Dionysios,  de 
Dinarch.  8  als  frostig  und  gesucht;  auch  Pseudo-Longin,  de  sublim.  4  ist 
nicht  gut  auf  ihn  zu  sprechen;  aber  Cicero,  Brut.  95,  325  und  de  orat.  II, 
14.  58,  der  schon  wegen  seiner  Beziehungen  zu  Verres  und  Sikilien  den 
Timaios  fleissig  las,  fand  an  der  überströmenden  Fülle  seiner  Darstellung 
Gefallen.  Fragmente  bei  MIjller,  FHG.  I,  193  —  233;  Charakteristik  von 
Chr.  Clasen,  Historisch-kritische  Untersuchungen  über  Timaios  von  Tauro- 
menion,  Kiel  1883. 

358.  Hellenische  Geschichte.  Unter  Alexander  und  seinen  näch- 
sten Nachfolgern  war  das  zur  Ohnmacht  herabgesunkene  Hellas  fast  ganz 
vom  Schauplatz  der  Geschichte  verschwunden.  Seit  dem  3.  Jahrhundert 
erhob  es  sich  wieder  zu  grösserer  Bedeutung,  indem  namentlich  die  noch 
unverbrauchten  Kräfte  der  Atelier  und  Achäer  zu  Macht  gelangten.  Seit 
der  Zeit  fand  auch  die  hellenische  Geschichte  wieder   eifrige  Bearbeiter. 

Diyllos  aus  Athen  schrieb  eine  allgemeine  Geschichte  in  27  Büchern 
und  in  mehreren  Abschnitten  (awra^eig).^)  Das  Werk  begann  mit  dem 
phokischen  Krieg  und  reichte  bis  296  herab.  Eine  Fortsetzung  fand  das- 
selbe an  Psaon  aus  Platää,  dessen  Geschichte  30  B.  umfasste  (Diod.  XXI, 
5).     Fragmente  bei  Müller,  FHG.  II,  360  f.  u.  HI,  198. 

Phylarchos  nach  den  einen  aus  Athen,  nach  den  andern  aus  Ägyp- 
ten, setzte  in  seinen  28  Büchern  ^laToqiarv  die  Werke  des  Hieronymos  und 
Duris  fort,  indem  er  nach  Suidas  die  Zeit  vom  Zuge  des  Pj^rrhos  gegen 
den  Peloponnes  bis  zum  Tode  des  spartanischen  Königs  Kleomenes  (220) 
behandelte.  Über  seine  Glaubwürdigkeit  fällen  Polybios  II,  56  und  Plu- 
tarch  Them.  32  ein  ziemlich  abfälliges  Urteil;  er  war  ein  bewundernder 
Anhänger  des  Kleomenes,  bis  zur  Ungerechtigkeit  gegen  Arat,  und  liebte 
theatralische,  auf  Rührung  berechnete  Darstellungen;  besonders  hob  er 
Frauentugend  und  Frauenheldenmut  hervor.  Nach  Suidas  schrieb  er  auch 
über  Erfindungen  und  über  mythologische  Gegenstände  (juvO^ixrjv  iTnioiirjv), 
woraus  uns  manches  durch  Parthenios  erhalten  ist.  Fragmente  bei  Müller 
FHG.  I,  334—358. 

Menodotos  von  Perinth  wird  von  Diodor  XXVI,  4  zu  Ol.  104,  4 
=  217/6  V.  Chr.  als  Verfasser  von  ^EXXv^vixal  TTQay/^iarsiai  in  15  B.  erwähnt; 
er  scheint  also  den  Psaon  oder  Phylarchos  fortgesetzt  zu  haben.  Derselbe 
hatte  auch  ein  periegetisches  Buch  ttsqI  tctjv  xard  rrjv  ^ajj.ov  evSo^wv  ge- 
schrieben.    Fragmente  bei  Müller  FHG.  III,  103 — 105. 

Neanthes  von  Kyzikos  lebte,  da  er  nach  Suidas  ebenso  wie  Timaios 
Schüler  des  Philiskos  war,  im  3.  Jahrhundert.  Ausser  rhetorischen  Schrif- 
ten und  einer  allgemeinen  hellenischen  Geschichte  schrieb  er  eine  Spezial- 
geschichte  seiner  Heimatstadt  und  der  Regierung  Attalos  I.  (241  — 197). 
Am  meisten  Ansehen  aber  verschaffte  er  sich  durch  seine  Biographien  be- 


1)  Diod.  XVI,  14  gibt  27;  XXI,  5  hin- 
gegen 26  B.  an.  Der  erste  Abschnitt  reichte 
bis  zur  Belagerung  von  Ferinth,  mit  der  das 


Werk  des  Ephoros  schloss.  Rühl,  Jahrb.  f. 
Phil.  137,  128  ff.  nimmt  3  avvTaieig  zu  je 
9  Büchern  an. 


472 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II,  Nachklassische  Litteratur. 


rühmter  Männer  (ttsqI  svöö^mv  av6Q(ov).    Fragmente  bei  Müller  FHG.  III, 
2-11. 

Aratos  von  Sikyon  (gest.  213),  der  berühmte  Feldherr  des  achäischen 
Bundes,  machte  Geschichte  und  schrieb  Geschichte.  Seine  Denkwürdig- 
keiten [vnoiivrjiiaTa)  in  mehr  als  30  B.^)  reichten  nach  Polyb.  I,  3  und 
IV,  2  bis  zum  sogenannten  Bundesgenossenkrieg  (220).  Nachlässig  in  der 
Form, 2)  beanspruchten  dieselben  nur  ein  sachliches  Interesse;  benützt  hat 
sie  Plutarch  im  Leben  des  Arat  und  Kleomenes.  Fragmente  bei  Müller 
FHG.  III,  21—23. 

359.  Spezialgeschichten.  In  demselben  Grad,  in  dem  den  Grie- 
chen die  Fähigkeit  zur  würdigen  Auffassung  grosser  geschichtlicher  Ereig- 
nisse abzugehen  begann,  wuchs  die  Neigung  für  das  Detail  und  den  per- 
sönlichen Klatsch.  Daraus  entstanden  zunächst  die  Biographien,  die  litte- 
rarischen Porträte,  welche  mit  der  Vervollkommnung  der  Porträte  in  der 
Kunst  Hand  in  Hand  gingen.  Es  gibt  eine  ganze  Reihe  biographischer 
Schriftsteller,  meist  aus  der  Schule  der  Peripatetiker,  wie  Dikaiarchos, 
Aristoxenos,  Phanias,  Klearchos,  Hermippos,  Idomeneus  von  Lampsakos, 
Antigonos  von  Karystos.  Da  aber  die  meisten  Biographien  dieser  Männer 
Persönlichkeiten  der  Litteratur  und  Philosophie  betrafen,  so  verschieben 
wir  ihre  Besprechung  auf  den  Abschnitt  über  die  Grammatiker. 3)  Von  den 
viel  gelesenen  Biographien  des  Neanthes  ist  bereits  oben  gesprochen  worden. 

Verwandter  Art  war  die  Litteratur  von  Memoiren  {vnoiivrjiiaTa).^) 
Auch  hier  waren  es  die  Peripatetiker,  die  zuerst  mit  derartigen  Büchern 
hervortraten.  Schon  von  Theophrast  gab  es  vTtoinvrjfiovsvfAaTa,  aber  der 
Hauptvertreter  dieser  Gattung  von  Schriftstellerei  war  ein  anderer  Aristo- 
teliker,  Hieronymos  von  Rhodos,  dessen  ^laTOQixd  iTrofjivr^f^iava  ebenso 
wie  seine  Bücher  ttsqI  Troirjrwv  {ttsqI  xi^agcoScov  und  tQayojdonoioov)  häufig 
von  Athenaios  und  Diogenes  angeführt  werden.^)  Von  Feldherren  und 
Staatsmännern  schrieben  Demetrios  und  Arat  Memoiren,  von  Königen 
der  Schüler  Aristarchs,  Ptolemaios  Euergetes  11.;^)  von  ähnlicher  Art 
scheinen  die  ÄTaxra  des  Marsyas  von  Pella  gewesen  zu  sein. 

Eine  dritte  Art  von  historischer  Speziallitteratur,  gleichfalls  von  Ari- 
stoteles und  seiner  Schule  gefördert,  betraf  die  Einrichtungen  und  Geschichte 
der  einzelnen  Städte  und  Landschaften;  voran  stehen  in  dieser  Sparte  die 
Werke  über  Attika. 

360.  ^At^iSec,'^)  hiessen  die  auf  Sage,   Geschichte,   Litteratur,  Topo-    ' 
graphie  bezüglichen  Darstellungen  von  Attika.     In  annalistischer,  chronik-   i ) 


^)  Seine  nolvßiß'kog  laxoQiu  vnsQ  td  X 
ßißXia  e/ovaa  ist  erwähnt  in  der  Biographie 
des  Dichters  Arat. 

2)  Flut.  Arat.  3. 

^)  Selbst  Biographien  von  Hetären  er- 
schienen die  einen  über  die  anderen,  worüber 
man  näheres  bei  Athen.  XIII  p.  583  nach- 
lesen kann.  Spassgeschichten  (laioQiai  xm- 
fiLxal)  schrieb  Protogenides  unter  Antio- 
chos  Epiphanes;  vgl.  0.  Schneider,  Nicand. 
Proleg.  15  f. 

*)  KöPKE,  De  hypomnematis  graeeis, 
pars  I  ßerl.  1842,  pars  II  Brandenburg  1863. 


^)  Sein  Urteil  über  Isokrates  ist  uns  er- 
halten durch  Dionys.  Hai.,  Isoer.  13  und 
Cicero,  Orat.  56,  189.  Ob  die  geographischen 
Notizen  aus  Hieronymos  bei  Strabon  unseren 
Hieronymos  oder  den  aus  Kardia  angehen, 
ist  zweifelhaft.  Die  Fragmente  gesammelt 
von  Hiller,  Hieronymi  Bkodii  Peripatetici 
fragm.,  in  Satura  philol.  Herrn.  Saupino 
ohlata,  Berl.  1879  p.  85-118. 

6)  Müller,  FHG.  III,  186—9. 

')  Müller,  FHG.  I  prol.  p.  LXXXII-XCI 
und  I,  359-427. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreibung.  (§  359—360.)  473 


artiger  Aufzählung,  ohne  rhetorischen  Aufputz  führten  dieselben  mit  reichem 
Detail  die  Ereignisse  vor.  Für  die  Kenntnis  der  attischen  Einrichtungen 
und  der  inneren  Geschichte  Athens  waren  sie  von  ausserordentlicher  Be- 
deutung, empfahlen  sich  aber  weniger  durch  die  Kunst  der  Darstellung, 
weshalb  Dionysios,  Arch.  I,  8  von  seinem  einseitig  rhetorischen  Standpunkt 
aus  verächtlich  auf  sie  herabsieht.  Das  Vorbild  zu  denselben  hatte  Hel- 
lanikos  gegeben,  aber  die  Atthiden  im  eigentlichen  Sinn  beginnen  erst  mit 
der  Zeit  des  Demosthenes  und  fanden  ihre  Blüte  in  der  alexandrinischen 
Zeit.  Die  einzelnen,  zum  Teil  noch  der  vorausgehenden  Periode  angehörigen 
Autoren  sind:  Kleitode  mos,  von  Pausanias  X,  15.  5  der  älteste  der 
Atthidenschreiber  genannt;  Androtion,  Schüler  des  Isokrates,  gegen  den 
Demosthenes  in  der  uns  noch  erhaltenen  Rede  auftrat;  Phanodemos,  der 
neben  einer  Atthis  auch  eine  Lokalgeschichte  der  Insel  Ikos,  einer  der 
Kykladen,  schrieb;  Demon,  Verfasser  einer  Atthis  und  von  Schriften  tt^^^ 
TvaQoifxmv  und  ttsqI  ^vamvA) 

Philochoros,  Sohn  des  Kyknos,  war  der  bedeutendste  der  Atthiden- 
schreiber; er  lebte  in  der  Diadochenzeit  und  fiel  als  Parteigänger  des  Pto- 
lemaios  Philadelphos  nach  der  Einnahme  Athens  durch  Antigenes  Gonatas 
(261).  Seine  Studien  galten  vorzüglich  der  Geschichte  Attikas,  ausserdem 
den  Mythen,  Festen,  Opfern,  zu  denen  er  durch  seine  Stellung  als  Seher 
und  Opferbeschauer  besondere  Beziehungen  hatte.  Seine  Atthis  in  17  B. 
umfasste  die  ganze  Geschichte  Attikas  von  der  ältesten  Zeit  bis  auf  261 
V.  Chr.  In  den  Anfängen  summarisch,  weitläufig  in  der  Zeitgeschichte  hielt 
er  sich  durchgehends  an  den  chronologischen  Faden,  indem  er  die  Ereig- 
nisse anfangs  nach  Königen,  später  nach  Archonten  ordnete.  Von  der 
Gediegenheit  seiner  Forschungen  geben  die  wörtlichen  Anführungen  bei 
Dionysios  einen  sehr  vorteilhaften  Begriff.  Von  dem  umfangreichen  Werk 
machte  er  selbst  einen  Auszug;  ^)  einen  zweiten  Auszug,  den  Suidas  an- 
führt, verfertigte  Asinius  Pollio  von  Tralles.  Mit  der  Atthis  standen  Spezial- 
untersuchungen über  die  attische  Tetrapolis,  die  Gründung  von  Salamis, 
eine  Sammlung  attischer  Inschriften,  chronologische  Zusammenstellungen 
der  attischen  Archonten  und  der  Olympiaden  in  Zusammenhang.  Auf  den 
Kultus  bezogen  sich  seine  Bücher  nsql  laavTixrjg^  tisqI  ^vaicov,  ttsqI  twv 
'Ad^rjVTiai  ayü)vot)v,  wahrscheinlich  auch  die  Jrjhaxd  und  'HnsiQcoTixd.  Die 
Durchforschung  der  Mythen  und  Feste  führten  ihn  auch  zu  litterarhistori- 
schen  Arbeiten  über  die  Mythen  des  Sophokles,  über  Euripides  und  Alkman. 
Erwähnt  ist  in  den  Scholien  zu  Eurip.  Hec.  3  ein  Brief  ttsqI  rgayoidicov  an 
den  älteren  Asklepiades,  den  Verfasser  der  TgayoiSov^sva.  Fragmente  ge- 
sammelt bei  Müller,  FHG.  I,  384—417  und  IV,  646—8.  Böckh,  Über 
den  Plan  der  Atthis  des  Philochoros  1832,  jetzt  in  Ges.  Sehr.  V,  397  ff. 
—  In  spätere  Zeit  fällt  die  Zusammenstellung  der  früheren  Atthiden  von 
Istros,  auf  den  wir  unten  zurückkommen  werden. 3) 


^)  In  weiterem  Umfang  gehört  zur  Klasse 
der  Atthidenschreiber  auch  Andren  aus 
Halikarnass,  der  in  dem  umfangreichen  Werke 
Zvyyivsiat  auch  attische  Verhältnisse  be- 
rührt hatte;  die  Fragmente  bei  Müller, 
FHG.  II,  34G  ff. 


^)  Daneben  führt  Suidas  eine  Epitome 
xiig  JioyvüLoi'  n^ayfiazeiag  an,  worüber 
ScHENKL,  Jahrber.   f.  Alt.  XL  1.  235. 

^)  Von  Spezialschriften  über  einzelne 
Geschlechter  Attikas  erwähnt  der  Lexiko- 
graph   Harpokration :     Meli  ton     negl     tiHv 


474 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


361.  Nach  dem  Muster  der  Atthiden  wurden  zahlreiche  Spezialge- 
schichteii  von  anderen  Landschaften  und  Städten  verfasst.  Bereits  oben 
haben  wir  des  Duris  ^S2qoi  2a^iwv,  des  Neanthes  ^Qqoi  Kv^ixrjvoh',  des 
Nymphis  Geschichte  von  Heraklea  erwähnt,  i)  Ausserdem  sind  uns  durch 
gelegentliche  Citate  bekannt  die  ^ixvoDvixd  des  Menaichmos,  der  unter 
den  Diadochen  lebte  und  nach  Suidas  auch  eine  Geschichte  Alexanders 
schrieb; 2)  die  MsyaQixä  des  Dieuchidas,  der  zur  Zeit  der  älteren  Atthiden- 
schreiber  lebte, ^)  die  ^AQyokixd  des  D  einlas,  der  vor  Agatharchides,  wahr- 
scheinlich zur  Zeit  des  Aratos  schrieb;  die  'HnsiQMTixä  des  Proxenos,  die 
08(yaahxä  des  Kineas,  die  Mihjaiaxd  des  Lykos  und  Maiandrios  (oder 
Leandrios),  die  Na^iaxd  des  Andriskos,  die  Evßoixä  des  Aristoteles,  die 
yisaßiaxd  des  Myrsilos,  die  Jrjhaxd  des  Antikleides, ^)  die  TQonxd  des 
Hegesianax  oder  Kephalion  (Ath.  393 d),  das  Buch  des  Peripatetikers 
Phanias  über  die  Prytanen  seiner  Heimatstadt  Eresos,  die  Boiwxixd  des 
Aristophanes ,  auf  die  Plutarch  de  malign.  Herod.  p.  864c  u.  867c  bezug 
nimmt,  die  erythräische  Geschichte  von  Apollodoros  aus  Erythrä,^)  die 
von  Polybios  XVI,  14  gerühmten  Spezialgeschichten  der  Insel  Rhodos  von 
Zenon  und  Antisthenes,  der  Krieg  des  Königs  Philipp  mit  Byzanz  von 
Leon  dem  Byzantier.^)  Wahrscheinlich  gehörte  unserer  Zeit  auch  Diony- 
sios  von  Chalkis  an,  der  eine  allgemeine  Städtegründungsgeschichte  (o  rag 
xviaeig  Tcov  nöXswv  yqdxpag)  in  5  B.  geschrieben  hatte  und  den  Ps.  Skym- 
nos  in  V.  115  f.  als  einen  seiner  Hauptgewährsmänner  preist. 

Vor  andern  aber  verdienen  auf  diesem  Gebiet  hervorgehoben  zu 
werden  die  Forschungen  des  Lakoniers  Sosibios.  Derselbe  gehörte  den 
Kreisen  der  Alexandriner  an;  schon  unter  Ptolemaios  Soter  war  er  nach 
Alexandria  gekommen,^)  erlebte  aber  seine  Blüte  erst  unter  Ptolemaios 
Philadelphos.^)  Von  seiner  Geschicklichkeit  im  Lösen  schwieriger  Fragen 
erhielt  er  den  Beinamen  o  XvTixog.^)  Die  Studien  über  die  Altertümer 
seiner  Heimat  legte  er  in  dem  Buche  tisqI  tmv  iv  Aaxedmpiovi  ^vaiMv  und 
in  dem  weitläufigen  Kommentar  zu  dem  altspartanischen  Dichter  Alkman 
nieder.  Von  einem  weiteren  Gesichtskreis  ging  er  in  dem  chronologischen 
Buch  Xqövoov  dvccyQacfrj  aus,  das  sich  mit  den  obengenannten  Xgovixd  des 
Timaios  berührt  zu  haben  scheint  (Müller  FHG.  II,  625 — 630). 

Wie  Sosibios  die  antiquarische  Spezialforschung  mit  der  Dichtererklä- 


Jx^rjfijai  ysvMv,  Drakon  negi  ysvixiv,  das 
E.  M.  429,  26  Theodoros  nsgl  Kyjqvxmv 
ysfovg,  siehe  Töpffer,  Attische  Genealogie, 
Berl.  1889,  S.  1  An. 

^)  In  die  Lokalgeschichte  schlagen  auch 
die  Schriften  der  Periegeten  Polemon,  Hege- 
sander. Sokrates  ein,  von  denen  im  Abschnitt 
von  der  grammatischen  Gelehrsamkeit  gehan- 
delt wird. 

2)  Seine  Itxvooyixd  citiert  Ath.  471  d  u. 
Schol.  Pind.  N.  IX,  20;  aus  ihnen  schöpfte 
Paus.  5,  6-6,  7 ;  vgl.  Lübbert,  De  Adrasti 
regno  Sicyonio,  Ind.  Bonn.  1884. 

3)  WiLAMOWiTz,  Phil.  Unt.  V,  240  f. 

'*)  Derselbe  Antikleides  aus  Athen  hatte 
eine  Alexandergeschichte  und  ein  mytholo- 
gisches   Buch    NooToi,   von   dem   Ath.  384  d 


ein  78.  Buch  erwähnt,  geschrieben;  s.  Mül- 
ler, Script.  Alex.  M.  p.  147. 

^)  Vgl.  Maass,  De  sibyllarum  indicibiis, 
p.  27  ff.., 

^)  Über  die  Verwechselung  dieses  Leon 
mit  dem  Leon  von  Alabanda  und  dem  Peri- 
patetiker  Leon   s.  Müller,    FHG.    II,  328  f. 

')  Plut.  Isis  et  Osir.  28. 

^)  Dass  er  mit  dem  Sosibios,  auf  den 
Kallimachos  ein  elegisches  Siegeslied  schrieb, 
identisch  sei,  bezweifelt  0.  Schneider,  Callim. 
H,  220. 

^)  Die  von  Athen.  493  c  mitgeteilte  Lö- 
sung der  vermeintlichen  Schwierigkeit  im 
homerischen  Vers  A  635  lässt  uns  nicht  hoch 
von  dieser  Kunst  denken. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreibung.  (§  361—362.)  475 


rung  verband,  so  noch  mehr  Demetrios  aus  Skepsis,  der  nach  Strabon 
p.  609  in  der  Zeit  des  Aristarch  und  Krates  um  150  lebte.  ^)  Derselbe 
verfasste,  zum  Teil  auf  den  Arbeiten  seiner  Vorgängerin,  der  gelehrten 
Alexandrinerin  Hestiaia,  fussend,^)  einen  Tgoiixog  Siäxoaiiog  in  30  B.,^) 
worin  er  hauptsächlich  die  Lage  der  von  Homer  genannten  Orte  der  troi- 
schen  Landschaft  zu  bestimmen  suchte.  Er  ist  in  unserer  Zeit  viel  ge- 
nannt worden,  da  er,  vielleicht  infolge  der  Eifersucht  der  Bewohner  von 
Skepsis  gegen  die  von  Neuilion  die  Identität  der  Lage  der  homerischen 
Ilios  und  der  von  Lysimachos  neugegründeten  Stadt  bestritt  und  die  Homer- 
forscher lange  ins  Irre  führte,  bis  in  unserer  Zeit  Schliemann  mit  Spaten 
und  Schaufel  die  lang  verhüllte  Wahrheit  ans  Licht  brachte.^) 

362.  Im  Anschluss  an  die  hellenische  Spezialgeschichte,  die  auf  die 
alten  Mythen  und  die  in  Stein  und  Erz  geschriebenen  Urkunden  haupt- 
sächlich Rücksicht  nahm,  erwähne  ich  hier  noch  einige  auf  den  Mythus  und 
die  Steinurkunden  bezügliche  Arbeiten. 

Euhemeros  von  Messene,^)  Vertrauter  des  Königs  Kassander  (gest. 
297),  ist  der  Urheber  einer  neuen  rationalistischen  Deutung  der  alten  My- 
then, wonach  nicht  bloss  die  Heroen,  sondern  auch  die  Götter  ursprünglich 
geschichtliche  und  dann  wegen  ihrer  Verdienste  in  den  Olymp  versetzte 
Personen  sein  sollten.  Diese  seine  Theorie  hatte  er  in  einem  Buche,  ^leqd 
dvayQa(frj  betitelt,  in  romanhafter  Weise  vorgetragen:  er  wollte  darin  auf 
einer  Fahrt  von  Arabien  in  den  Okean  nach  einer  Insel  Panchaia  gekommen 
sein,  wo  er  auf  einer  Säule  die  Geschichte  des  Uranos,  Kronos  und  Zeus 
gefunden  habe.^)  Jene  Methode  der  Mythendeutung,  welche  ihrem  Autor 
den  Vorwurf  eines  Atheisten  eintrug,  fand  bei  den  Zeitgenossen  und  den 
Späteren  vielen  Anklang;    Ennius  hat  sie  unter  den  Römern  eingebürgert. 

Palaiphatos  ist  Verfasser  einer  von  Westermann  in  die  Sammlung 
griechischer  Mythographen  aufgenommenen  Schrift  über  unglaubliche  Dinge 
[ttsqI  dniaTwv),'^)  Dieselbe  ist  ganz  im  Geiste  des  euhemerischen  Ratio- 
nalismus geschrieben,  indem  ihr  Verfasser  für  alle  Mythen  einen  natür- 
lichen Erklärungsgrund  zu  ermitteln  sucht.  ^)  Die  Sprache  ist  schlicht  und 
einförmig,  der  Ton  trocken,  die  Begründung  zum  Teil  flach  und  verfehlt, 
wie  wenn  der  Mythus,  dass  Lynkeus  auch  die  Dinge  unter  der  Erde  sehe, 
darauf  zurückgeführt  wird,  dass  derselbe  ein  Bergmann  gewesen  sei  und 
mit  seinem  Grubenlicht  das  Silber  und  Erz  in  der  Erde  entdeckt  habe. 
Auf  der  anderen  Seite  begegnen  uns  aber  auch  geistreiche  und  zutreff'ende 


^)  Nach  Strabon,  der  ihn  sehr  oft  zum 
Zeugen  nimmt,  lebte  er  vor  Apollodor,  der 
ihn  in  seinem  Kommentar  zum  Schiffskatalog 
stark  benützte,  und  nicht  vor  Neanthes, 
gegen  den  er  polemisierte;  s.  Strab.  I  p.  45. 

2)  gtrab.  XIII  p,  599. 

3)  Strab.  XIII  p.  609. 

^)  Schliemann,  Ilios  200  ff.  u.  761  ff.;  M. 
Haupt,  Opusc.  II,  58  flF.;  Gaede,  Demctrii 
Sceiisii  quae  supersunt,  Greifsw.  Diss.  1880. 

^)  Messene  ist  als  seine  Vaterstadt  ange- 
geben von  Euseb.  praep.  ev.  II,  2,  52,  Plut. 
de  Is.  et  Osir.  23,  Lactantius  de  fals.  rel.  I, 
11;  BEQymog  heisst  er  bei  Strabon  p.  47  u. 


104,  infolge  der  Verwechselung  mit  Antipha- 
nes  von  Berga;  K(pog  bei  Ath.  658  e;  Argen- 
tinus  bei  Arnob.  adv.  gent.  IV,  15. 

^)  Euseb.  praep,  ev.  II,  2,  52  nach  Dio- 
dor  V,  46.  Vgl.  Lobeck,  Aglaoph.  987  f.; 
RoHDE,  Griech.  Rom.  S.  220  ff. 

')  Über  die  verschiedenen  Recensionen 
der  Schrift  und  die  Unzulänglichkeit  der 
Ausgabe  von  Westcrmann  handelt  unter 
Hinweis  auf  den  Cod.  Par.  854  Fröiinek, 
rhilol.  Suppl.  V,  34  ff.  und  Boyson,  Philol. 
42,  300  ff. 

^)  Davon  hat  die  Schrift  bei  Suidas  den 
Titel  ^vüsig  rtJv  fxvd^ixujg  eiQ^j^tviov. 


476 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Deutungen  wie  z.  B.  dass  die  Bildwerke  des  Daidalos  sich  wie  lebende 
Wesen  bewegen,  weil  er  zuerst  Statuen  mit  auseinander  gehenden  Beinen 
gebildet  habe.  Wahrscheinlich  war  unser  Palaiphatos,  der  ein  Zeitgenosse 
des  Euhemeros  gewesen  zu  sein  scheint,^)  auch  Verfasser  einer  Spezial- 
schrift  über  die  troische  Landschaft  (TQmxa).^) 

Krater  OS,  wahrscheinlich  der  von  Phlegon,  Mir.  32  erwähnte  Halb- 
bruder des  makedonischen  Königs  Antigonos  Gonatas,  machte  in  richtiger 
Erkenntnis  der  Wichtigkeit  der  Inschriften  für  die  geschichtliche  Forschung 
eine  Sammlung  von  Volksbeschlüssen  {avvaywyrj  if)rj(pi(//iidTMv),  die  eine 
reiche  Fundgrube  der  Späteren,  namentlich  des  Harpokration  bildete.^) 
Über  die  verwandten  Arbeiten  des  Periegeten  Polemon  werden  wir  in 
dem  nächsten  Abschnitt  handeln. 

Die  parische  Marmorchronik,  auf  der  Insel  Paros  gefunden  und 
1627  nach  England  gebracht,  ist  verfasst  unter  dem  attischen  Archon 
Diognetos  Ol.  129,  1  =  264/3  oder  129,  2  =  263/2,  von  welchem  Jahre 
rückwärts  die  Datierungen  zählen.  Der  anonyme  Verfasser,  der  wesentlich 
attischen  Quellen,  vielleicht  auch  dem  Timaios  folgte,  gibt  im  Eingang  selber 
an,  dass  er  eine  chronologische  Geschichtstafel  von  Kekrops  bis  auf  den  Archon 
Diognetos  habe  geben  wollen.  In  die  Tafel  nahm  er  nicht  bloss  die  poli- 
tischen Ereignisse,  sondern  auch  die  Gründung  der  Agone,  die  Lebenszeit 
der  Dichter,  die  Erfindungen  und  ähnliches  auf,  aber  weder  in  wünschens- 
werter Vollständigkeit  noch  mit  der  erforderlichen  Kritik.  Gleichwohl  ist 
die  Chronik,  die  leider  am  Schlüsse  verstümmelt  und  zum  Teil  nicht  mehr 
leserlich  ist,  eine  der  wichtigsten  Urkunden  für  die  alte  Chronologie  und 
Geschichte.     Neueste  Ausgabe  von  Flach,  Tübingen  1884. 

363.  Fremdländische  Geschichte  und  Völkerkunde  ward  in 
unserer  Periode,  wo  das  Hellenische  die  Sprache  der  Gebildeten  des  ganzen 
Erdkreises  geworden  war,  Gegenstand  der  Forschung  und  Darstellung  so- 
wohl von  selten  der  Griechen,  welche  Gelegenheit  hatten  die  Gebräuche 
und  Geschichte  fremder  Länder  kennen  zu  lernen,  als  auch  von  seiten  ein- 
heimischer Priester  und  Gelehrten,  welche  die  hellenische  Welt  mit  den 
Institutionen  und  der  Vergangenheit  ihres  Volkes  bekannt  machen  wollten. 

Berosos,  Priester  des  Bei  in  Babylon,  schrieb  XaXSaixd  oder  Baßv- 
Xon'iaxä  in  3  B.*)  Er  selbst  sagt  von  sich  bei  Synkellos  p.  28  B.,  dass 
er  unter  Alexander,  dem  Sohne  Philipps,  gelebt  habe;  sein  Geschichtswerk 
widmete  er  dem  Antiochos  Soter.  Von  eitlem  Stolz  auf  das  hohe  Alter 
seines  Volkes  und  der  einheimischen  Aufzeichnungen  erfüllt,   fing  er  seine 


')  Suidas  zählt  3  Palaiphatoi  auf  und 
bemerkt,  dass  die  Schrift  nsgl  dnioiMv  in 
5  B.  von  den  einen  dem  unter  Artaxerxes 
lebenden  Palaiphatos  aus  Paros,  von  den 
andern  einem  jüngeren  Palaiphatos  aus  Athen 
zugeschrieben  werde.  Gutschmid  in  Flach's 
Ausg.  des  Hesychius  nimmt  an,  dass  diese 
beiden  Palaiphatoi  eine  Person  seien.  Das 
Buch  selbst  scheint  uns  nur  in  einem  Aus- 
zug vorzuliegen. 

2)  Fragmente  bei  Müllek,  FHG.  II,  338  f. 

•^)  Fragmente    gesammelt    bei   Müller, 


FHG.  II,  617—622;  Krech,  De  Crateri  xpt](p. 
avy.  Berl.  1887.  Dass  sich  Krateros  vor 
Aufnahme  von  Fälschungen  nicht  hütete, 
zeigt  die  Urkunde  über  den  Kimonischen 
Frieden  bei  Plut.  Cim.  12. 

'*)  Tatian.  adv.  Graec.  58:  Bt]Q(oa6g  ccvrjQ 
BaßvXwriog,  Ieqsvs  tov  nciQ^  avxoTg  B7JX0V  x«r' 
^ jii^cii^^Qov  ysyoi^iog  'Jpn6/(o  t(o  /ust^  avioif 
rgiTM  rrjv  XaXdaiMf  laToqiav  ey  XQial  ßißUoig 
ovPTcc^cig  xcd  td  tteqI  tmv  ßaaikecop  exO^sfxsvog, 
tc(pr]y8Lrai  xrA. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,   a)  Geschichtschreibung.  (§  363.)   477 


Geschichte  mit  dem  fabelhaften  Urwesen  Oannes  an  und  führte  sie  bis  auf 
Darius  herab.  Dieselbe  erregte  bei  den  Juden  und  Christen  besonderes 
Interesse  durch  die  mit  der  Bibel  übereinstimmenden,  jetzt  auch  durch  die 
Keilinschriften  bestätigten  Mythen  von  der  Sintflut,  dem  Turmbau,  den 
Zügen  des  Nabuchodonosar  u.  a.  Infolgedessen  ist  uns  auch  das  Meiste 
aus  ihr  durch  die  jüdischen  und  christlichen  Schriftsteller  Josephos,  Euse- 
bios  und  Synkellos  erhalten,  deren  Nachrichten  freilich  nicht  direkt  aus 
Berosos,  sondern  aus  Alexander  Polyhistor  und  Apollodor  geschöpft  sind. 
Fragmente  bei  Müller  FHG.  II,  495— 510. 0 

Manetho,^)  ägyptischer  Erzpriester  unter  den  beiden  ersten  Ptole- 
mäern,  der  bei  der  Einführung  des  Serapiskultus  in  Ägypten  eine  Haupt- 
rolle spielte  (Flut.  De  Iside  28),  hat  mit  seinem  Hauptwerk^)  Älyvmiaxd 
in  3  B.  den  Zweck  verfolgt,  die  herrschende  Klasse  mit  dem  Glauben  und 
der  Geschichte  des  von  ihnen  eroberten  Landes  bekannt  zu  machen.  Das- 
selbe umfasste  die  mythische  Vorzeit  und  die  Geschichte  der  31  ersten 
Dynastien  bis  auf  Alexander.  Ihre  hohe  Bedeutung  als  urkundliche  Dar- 
stellung der  Geschichte  des  merkwürdigen  Landes  gegenüber  der  auf  der 
Mitteilung  von  andern  beruhenden  Erzählung  des  Herodot  wurde  alsbald 
erkannt;  erst  in  unserer  Zeit  ist  durch  Entzifferung  der  Hieroglyphen  eine 
teilweise  Kontrolle  der  Angaben  des  Buches  ermöglicht  worden.  Die  Dar- 
stellung der  ägyptischen  Geschichte  im  1.  Buch  des  Diodor  geht  wesent- 
lich, sei  es  nun  direkt  oder  durch  Vermittelung  des  Hekataios,  auf  Manetho 
zurück.^)  Länger  als  das  geschichtliche  Werk  des  Manetho  erhielt  sich 
dessen  Heiliges  Buch  {tsQa  ßißXog),  das  Tacitus  und  Plutarch  benützten  und 
dem  die  Römer  der  Kaiserzeit  bei  ihrer  Vorliebe  für  orientalische  und 
ägyptische  Kulte  grösseres  Interesse  entgegenbrachten.  Auch  dieses  hat 
Diodor  ausgeschrieben,  so  dass  Eusebius  die  Darstellung  des  Diodor  als 
einen  Auszug  aus  Manetho  bezeichnet.'')  Fragmente  bei  Müller  FPIG.  II, 
511-616.6) 

Neben  Manetho  war  Hekataios  aus  Teos  oder  Abdera  eine  Haupt- 
quelle der  ägyptischen  Geschichte.  Der  vielgereiste  Mann  hatte  unter  dem 
ersten  Ptolemäer  auch  Ägypten  besucht  und  seine  diesbezüglichen  Erkun- 
digungen in  den  AiyvnTiaxd  niedergelegt.')  Fragmente  bei  Müller  FHG. 
n,  384—396. 


^)  HoMMEL,  Das  neuaufgefundene  Ori- 
ginal der  Dynastienliste  des  Berosos,  Ztschr. 
f.  Keilschrift  II  Heft, 2. 

2)  Manthoth  im  Ägyptischen  so  viel  als 
datus  a  Totli. 

^)  Unter  seinem  Namen  ging  auch  ein 
astrolologisches  Buch  Sotheos,  dessen  Un- 
echtheit  Müller  FHG.  II,  512  erwiesen  hat. 
Einen  Teil  der  ägyptischen  Priesterlehre  ent- 
hielten die  4'voioloyixd. 

^)  Krall,  Manetho  u.  Diodor,  Stzb.  d. 
östr.  Ak.  1880  (B.  96)  237—84,  der  aus 
Diodor  I,  9G-  8  nachweist,  dass  Manetho 
ein  Agyptier  durch  und  durch  war  und  be- 
reits den  Orpheus,  Homer,  Solon,  Pythagoras, 
Piaton  ihren  Landsleuten  von  Ägypten  reli- 


giöse Einrichtungen,  Gesetze,  Weisheit  brin- 
gen Hess. 

^)  Eus.  praep.  ev.  III,  2:  yQucpsi  de  tieql 

^7]fX6P(Og    (ff    JlO&MQOg. 

^)  GuTSCHMiD,  De  verum  AegyjH.  scrip- 
torihus,  im  Phil.  X,  522—42  u.  6G3-70, 
jetzt  Kleine  Sehr.  I,  35  ff,;  Böckh,  Manetho 
und  die  Hundssternperiode,  Berl,  1845;  Un- 
GER,  Chronologie  des  Manetho,  Berl,  1867; 
H,  V.  Pessl,  Das  chronologische  System  Ma- 
nethos,  Leipz.  1878. 

')  Den  Manetho  weist  als  Gewährsmann 
des  Hekataios  nach  0,  Gruppe,  Die  griech. 
Kulte  u,  Mythen  I,  424  ff.  Gegen  die  Ver- 
dächtigung der  Echtheit  der  Fragmente  von 


478 


Griechisclie  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Megasthenes,  Verfasser  von  ^IvSixa,  lebte  unter  Seleukos  Nikator 
und  war  dem  Befehlshaber  von  Arachosia  beigegeben,  in  dessen  Auftrag 
er  mehrere  Gesandtschaftsreisen  an  den  indischen  König  Sandrokottos 
(Chandraguptas)  unternahm.  Seine  Indika  in  4  B.  waren  mehr  ethnogra- 
phischen als  historischen  Inhaltes  und  gaben  äusserst  interessante  Nach- 
richten über  die  Geographie,  Flora  und  Fauna  Indiens,  über  das  indische 
Kastenwesen  und  sonstige  Sitten  der  Inder.  Ihr  Autor  schöpfte  nicht  wie 
Berosos  und  Manetho  aus  einheimischen  Originalschriften,  sondern  war  auf 
die  Berichte  der  Brahmanen  angewiesen ;  aber  er  hatte  doch  mit  eigenen 
Augen  Land  und  Leute  gesehen  und  hatte  so  vor  Herodot  und  den  älteren 
Historikern  der  Griechen  einen  grossen  Vorsprung.  Leider  aber  litt  er 
stark  an  den  Fehlern  der  Historiker  seiner  Zeit,  an  der  Vorliebe  für  das 
Fabelhafte  und  an  dem  Bestreben  griechische  und  fremde  Mythen  zu  amal- 
gamieren.  So  hat  er  die  Sage  von  dem  Zug  des  Gottes  Dionysos  nach 
Indien  aufgebracht  und  hatte  die  Unverschämtheit,  diese  Mythe  den  Ein- 
geborenen, die  von  jenem  Gott  den  Übergang  ihres  Landes  zur  gesitteten 
Lebensweise  abgeleitet  haben  sollten,  in  den  Mund  zu  legen.  Den  Inhalt  der 
Indika  gibt  Diodor  II,  85 — 42  im  Auszug  wieder.  Dazu  kommen  zahlreiche 
Fragmente  bei  Strabon  und  Arrian,  gesammelt  und  geordnet  von  Schwan- 
beck, Megasthenis  Indica  (1846),  und  von  Müller  FHG.  II,  397  bis  439.9 

Pytheas,  der  Massiliote,  erschloss  den  Griechen  den  Nordwesten  wie 
Megasthenes  den  Osten  der  alten  Welt.  Er  hatte  gegen  Ende  des  4.  Jahr- 
hunderts, ausgerüstet  mit  guten  mathematischen  Kenntnissen,  auf  Schiffen 
phönikischer  Seefahrer  zweimal  die  kühne  Reise  von  Gades  in  den  west- 
lichen Okean  bis  nach  den  brittischen  Inseln  und  darüber  hinaus  nach  Thule 
gewagt.  Seinen  Landsleuten  machte  er  von  diesen  bisher  ganz  unbekannten 
Gegenden  in  seinem  Buche  tvsqI  Mxsavov  Mitteilungen,  welche  von  Seiten 
der  späteren  Autoren,  namentlich  von  Polybios  und  Strabon,  nachdem  in- 
zwischen durch  die  Unternehmungen  der  Römer  genauere  Kenntnis  von 
den  westlichen  Ländern  erlangt  war,  übermässige  Anfechtungen  erfahren 
haben.  Die  Reste  seines  Buches,  das  wir  nur  aus  den  Entgegnungen  der 
Späteren  und  die  Wahres  mit  Falschem  mischende  Ora  maritima  des  Avien 
kennen,  beanspruchen  als  älteste  Nachrichten  über  den  westlichen  Teil 
unseres  Kontinents  unser  besonderes  Interesse.  Sie  gehören  aber  in  noch 
höherem  Grad  als  die  des  Megasthenes  der  Geographie  und  Ethnographie 
an.  Beleuchtet  sind  sie  am  eingehendsten  von  Müllenhoff,  Deutsche  Alter- 
tumskunde I,  211—497.^) 

Über  Rom  hatten  bereits  Hieronymos  von  Kardia  und  Timaios  Nach- 
richt gegeben.  Noch  ehe  dann  aber  Polybios  den  engen  Gesichtskreis  seiner 
Landsleute    überwindend    eine    grossartige    Auffassung    der    aufgehenden 


Manetho  und  Berosos  durch  E.  Havef  wendet 
sich  Gelzer,  Jahresber.  d.  Alt.  IV,  1.  74. 
Vergl.  Ed.  Schwartz,  Rh.  M.  40,  223  fF. 

^)  Über  seinen  Zeitgenossen  Patrokles, 
den  Strabon  wegen  seiner  Wahrheitstreue 
höher  schätzt,  siehe  oben  §  240.  Nach  Me- 
gasthenes schrieb  Daimachos  'Ifdixd,  wo- 
rüber Müller  FHG.  II,  440—2. 


2)  Die  auf  Avien  bezüglichen  Aufstellun- 
gen Müllenhoffs  sind  von  mir  zurückgewiesen 
in  Jhrb.  f.  Phil.  1871  S.  707  ff.;  meine  eigenen 
Ansichten  über  die  östrymnischen  Inseln  und 
die  Kassiteriden  (Avien  und  die  ältesten  Nach- 
richten über  Iberien  und  die  Westküste  Euro- 
pas, Abhdl.  d.  b.  Ak.  XI,  1)  berichtigte  Unger, 
Uh.  M.  38,  157  ff. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,   a)  Geschichtschreibung.  (§  364.)    479 


Weltmacht  in  seinen  Schriften  verbreitete,  hatten  die  Kämpfe  der  Punier 
griechischen  Historikern  Stoff  zu  historischen  Darstellungen  geliefert.  Die- 
jenigen, von  denen  uns  Kunde,  wenn  auch  nur  spärliche,  zugekommen  ist, 
waren:  Philin os  von  Akragas,  den  Polybios  I,  14  neben  Fabius  als  Haupt- 
quelle des  ersten  punischen  Krieges  bezeichnet,  Silenos  von  Kaiakte  und 
Sosilos,  welche  beide  im  Lager  des  Hannibal  gewesen  waren  und  eine 
parteiisch  gefärbte  Darstellung  des  zweiten  punischen  Krieges  gaben, i) 
Di 0 kies  von  Peparethos,  der  eine  'PMfujg  xricsig  schrieb  und  dem  zumeist 
Fabius  Pictor  folgte. 2)  Auch  die  Annalen  des  Fabius  Pictor  und  Cincius 
Alimentus  waren  ursprünglich  in  griechischer  Sprache  abgefasst. 

364-.  Polybios  (um  205  bis  um  123) 3)  ist  der  einzige  namhafte  Histo- 
riker unserer  Periode,  der  einzige  zugleich,  von  dem  uns  etwas  namhaftes 
erhalten  ist.  Er  stammte  aus  Megalopolis  und  war  der  Sohn  des  Lykortas, 
eines  mit  Philopoimen  engbefreundeten  Strategen  des  achäischen  Bundes. 
Diese  seine  Abkunft  und  noch  mehr  seine  eminente  Begabung  bahnten  ihm 
früh  den  Weg  zu  hervorragender  Stellung  in  seiner  Heimat.  Noch  als 
Jüngling  erhielt  er  die  Ehrenaufgabe,  die  Asche  des  Philopoimen  in  seine 
Heimat  überzuführen;^)  als  junger  Mann  ward  er  181  zu  einer  diplomati- 
schen Sendung  an  den  Hof  von  Alexandria  ausersehen ;  ^)  im  Jahre  169 
bekleidete  er  das  Amt  eines  Hipparchen  im  achäischen  Bunde.  ^)  Drei  Jahre 
später  nach  der  Besiegung  des  Perseus  war  er  unter  den  1000  edlen 
Achäern,  welche  als  Geiseln  nach  Rom  übergeführt  und  IG  Jahre  daselbst 
zurückgehalten  wurden.  Als  Gegner  der  Römer,  wenigstens  als  einer,  der 
sich  der  Umarmung  Roms  erwehren  wollte  und  einer  zuwartenden  Neu- 
tralität das  Wort  redete,  war  er  nach  Rom  gekommen;  es  erging  ihm 
nicht,  wie  so  vielen  in  Boccaccios  Zeit,  die  aus  dem  Besuche  Roms  die 
Verachtung  der  römischen  Zustände  mit  in  ihre  Heimat  zurückbrachten; 
umgekehrt  durch  den  Anblick  des  römischen  Staatswesens  und  den  intimen 
Verkehr  mit  den  römischen  Grossen  wurde  er  ein  enthusiastischer  Bewun- 
derer Roms')  und  ein  Hauptanwalt  der  römischen  Weltherrschaft.  Insbe- 
sondere trat  er  zu.  dem  Hause  des  Aemilius  Paulus  in  enge  freundschaft- 
liche Beziehungen  und  begleitete  den  jungen  Scipio  auf  seinen  Feldzügen 
gegen  die  Keltiberer  und  Karthager.  Auf  solche  Weise  lernte  er  das 
Räderwerk  der  römischen  Politik  aus  unmittelbarer  Nähe  kennen  und  er- 
warb sich  zugleich  jene  ausgedehnten  geographischen  Kenntnisse,    die  ihm 


')  Sehr  wegwerfend  urteilt  über  Sosilos, 
den  Lehrer   des  Hannibal   im   Griechischen, 


Frag- 


Polybios  III,  20.     Silenos,   dem  Colins  Anti 
pater    folgte,    hatte    überdies    Sikelika    ver- 
fasst,    welche    Athen.    542a    citiert. 
mente  bei  Müller  FHG.  III,  99—102. 

'^)  Vgl.  Plutarch  Romul.  3.  Die  Frag- 
mente des  Diokles  gesammelt  von  Müller 
FHG.  HI,  74-79. 

^)  Suidas  u.  Jlolvßiog.  W.  Henzen, 
Quaest.  Pohjb.  de  vita,  BeÄ.  184:0;  Werner, 
I)e  Pohjhii  vita  et  itinerihus,  Berl.  1877. 
Sein  Geburtsjahr  ergibt  sich  beiläufig  daraus, 
dass  er  181,  als  er  zum  Gesandten  erwählt 
wurde,    vEUiieqog  Ttjg  xccid  lovg  ro^ovg  rjXi- 


xiag  war  (Pol.  24,  6),  nach  seiner  eigenen 
Angabe  29,  24  aber  das  30.  Lebensjahr  den 
Zugang  zu  den  öffentlichen  Amtern  eröffnete. 

4)  Plut.  Philop.  20. 

^)  Pol.  24,  6.  Die  Gesandtschaft  kam 
nachträglich  nicht  zustand;  aber  Polybios 
muss  nach  seinem  eigenen  Zeugnis  34,  14 
später  unter  Ptolemaios  Physkon,  also  nach 
146,  wahrscheinlich  136  mit  Scipio,  in  Ägypten 
gewesen  sein, 

«)  Pol.  28,  6.  ^ 

^)  Er  pries  nicht  bloss  den  römischen 
Soldaten  und  das  römische  Staatsregiment, 
er  lobte  auch  ihre  Ehrlichkeit  und  LTnbestech- 
lichkeit  (6,  56  u.  32,  8). 


480  Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 

später  bei  Abfassung  seines  Geschichtswerkes  zu  statten  kamen.  ^  Im  Jahre 
150  ward  ihm  mit  seinen  Genossen  nach  17 jährigem  Exil  freie  Rückkehr 
nach  seiner  Heimat  gewährt.  Aber  später  kehrte  er  noch  zweimal  nach 
Rom  zurück;  im  3.  punischen  Krieg  und  im  Feldzug  gegen  Numantia 
befand  er  sich  im  Gefolge  seines  Freundes,  des  römischen  Feldherrn  Scipio.^) 
In  den  Verwicklungen  Roms  mit  Griechenland  ward  er  von  den  Römern 
vielfach  zu  politischen  und  militärischen  Sendungen  verwendet;  dabei  be- 
nützte er  seine  Verbindungen  mit  den  römischen  Grossen,  um  bei  den 
Römern  als  Vermittler  für  seine  besiegten  Landsleute  aufzutreten  und  eine 
schonende  Behandlung  derselben  zu  erwirken.^)  In  dankbarer  Anerkennung 
seiner  Verdienste  ward  er  deshalb  von  vielen  griechischen  Staaten  mit 
Ehren  überhäuft:  die  Basis  eines  Ehrendenkmals  mit  der  Inschrift  r^  jioXig 
rj  'HXsimv  UoXvßiov  Avxoqtcc  MsyaXoTToXiTrjv  ward  neuerdings  in  Olympia 
aufgefunden;^)  in  Megalopolis  sah  Pausanias  VIII,  30  auf  dem  Markte  von 
ihm  eine  Ehrensäule  mit  einer  Inschrift  in  Versen,  die  seine  Bemühungen 
für  die  Erhaltung  griechischer  Städte  und  seine  gesetzgeberische  Thätigkeit 
priesen.  Den  Tod  fand  er  noch  körperlich  und  geistig  rüstig  in  dem  hohen 
Alter  von  82  Jahren;^)  er  war  bei  einem  Ritt  vom  Pferd  gefallen  und 
starb  infolge  dieses  Unfalls  um  123. 

365.  Das  Hauptwerk  des  Polybios  waren  seine  ^Iai:oQiai  in  40  B.;  er 
selbst  spricht  ausserdem  10,  21  von  einer  besonderen  Schrift  über  Philo- 
poimen  in  3  B.  und  von  Kommentaren  über  Taktik,  ß)  Nach  Geminus, 
Isag.  in  Arat.  13  hat  er  auch  ein  geographisches  Werk  nsQi  Tr^g  tcsqI  t6v 
iarjfxsQivov  oixrjasMg  geschrieben,  vielleicht  aber  war  dasselbe  nur  ein  Teil 
des  ganz  der  Geographie  gewidmeten  34.  Buches  seiner  Historien ;  '^)  auch 
das  Buch  über  den  numantinischen  Krieg,  das  Cicero  ad  fam.  V,  12  er- 
wähnt, war  vermutlich  nur  ein  gesondert  herausgegebener  Abschnitt  der 
Historien.  Über  die  Anlage  seines  Hauptwerkes  spricht  er  sich  selbst  im 
Proömium  1,  1 — 5,  sodann  im  Eingang  des  3.  Buches  und  im  Epilog  (39, 
19)  ausführlich  aus.  Danach  sollten  die  2  ersten  Bücher  die  Einleitung 
{TzqoTTaQaaxsvri)  bilden  und  die  Geschichte  Roms  und  Karthagos  von  264 — 221 
oder  von  dem  Zeitpunkt,  wo  die  Geschichte  des  Timaios  aufhörte,  bis  zum 
2.  punischen  Krieg  enthalten.  Mit  Ol.  124  begann  sein  eigentliches  Werk; 
dasselbe  war  eine  allgemeine  Zeitgeschichte  {rwv  xad^olov  Ttgayiiärcov  1,  4; 


^)  PJinius  H.  N.  V,  9:  Scipione  Aemi- 
liano  res  in  Africa  gerente  Polyhius  anna- 
lium  conditor  ab  eo  accepta  classe  scrutandi 
illius  orhis  gratia  circumvectus.  Der  Reise, 
die  er  151/150  in  Scipios  Begleitung  machte, 
dürften  aber  mehrere  eigentliche  Forschungs- 
reisen in  die  Gegenden  Galliens  voraus- 
gegangen sein. 

2)  Pol.  39,  6;  Diodor  32,  8;  Ammianus 
Marc.  24,  2. 

3)  Pol.  39,  14-17;  mit  Bezug  darauf 
sagt  er  3,  5  von  seiner  Thätigkeit  während 
dieser  Zeit:  ruii'  nXsiaroiyv  fxrj  fiorov  avxon- 
ry]g  «AA'  loy  fxev  avveQyog  wv  de  xal  /si- 
Qiatijg  yeyovEvui. 

^)  DiTTENBERGEK,  Syll.  243;  von  anderen 
Ehrendenkmalen  s.  Paus.  VIII,  9.  1;  30.  8; 


37.  2;  44.  5;  48.  8;  vgl.  Pol.  39.  16.  Eine 
von  Milchhöfer  auf  dem  Boden  des  alten 
Kleitor  gefundene  und  trotz  des  zu  jugend- 
lichen Aussehens  auf  Polybios  gedeutete 
Reliefstele  findet  sich  in  Mitteil.  d.  arch.  Inst, 
in  Athen  Band  6. 

5)  Ps.  Luc.  Macrob.  22;  Ungee,  Philol. 
41,  614  f.  setzt  seinen  Tod  nicht  lange  vor 
119,  da  er  nach  3,  39  die  Vollendung  der 
Heerstrasse  von  den  Pyrenäen  zur  Rhone- 
mündung erlebt  habe. 

^)  Pol.  9.  20:  '^^iv  iy  roTg  ttsqI  Tag 
rassig  vnofj.yrjfA.aaiv  dxQißeazsQov  dsdTJXcorca. 
Dieselben  erwähnt  auch  Arrian  Tact.  1  und 
Aelian  Tact.  I,  3.  19. 

0  Max  Schmidt,  Jahrb.  f.  Phil.  125, 
113. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreibung.  (§  365—366.)  481 


2,  2;  6,  6),  die  Vorkommnisse  in  Griechenland,  Asien,  Italien,  Libyen  gleich- 
massig  umfassend.  Zur  Einheit  sollte  diese  reiche  Mannigfaltigkeit  ver- 
bunden werden  durch  den  leitenden  Grundgedanken,  wie  die  verschiedenen 
Staaten  der  damals  bekannten  Welt  allmählich  unter  die  eine  römische 
Herrschaft  gekommen  seien.  ^)  Diese  Ausdehnung  des  römischen  Reiches 
war  zustande  gekommen  in  den  Kriegen  mit  Hannibal,  Philipp  und  An- 
tiochus  in  den  Jahren  220  —  168  und  wurde  von  unserem  Historiker  dar- 
gestellt in  den  Büchern  3  bis  30.  Dazu  fügte  derselbe  dann  später  noch, 
indem  er,  wie  er  3,  4  sagt,  gleichsam  einen  neuen  Anlauf  nahm,  die  Ge- 
schichte von  168 — 146,  in  welchem  Zeitraum  sich  die  Weltherrschaft  der 
Römer  befestigte  und  sich  als  notwendig  und  segensreich  erwies.  Den 
ersten  Teil  verfasste  er  schon  in  Rom  vor  150;  an  den  zweiten  scheint  er 
erst  später  um  132  gegangen  zu  sein;  doch  benützte  er  nicht  bloss  dazu 
ältere,  unmittelbar  nach  den  Ereignissen  abgefasste  Tagebücher,  sondern 
schuf  auch  durch  spätere  Einfügungen  die  beiden  Teile  so  zu  einem  Ganzen 
um,  dass  die  Fugen  der  Zusammenfügung  kaum  mehr  erkennbar  sind.'^) 

Auf  uns  gekommen  sind  von  dem  Werke  die  5  ersten  Bücher  voll- 
ständig, 3)  sodann  umfangreiche  Auslesen  (ixloyai)  aus  den  ersten  18  Büchern, 
erhalten  in  einem  Codex  von  Urbino,  endlich  Reste  aus  dem  grossen  Ex- 
zerptenwerk des  Konstantinos  Porphyrogennetos.  Da  wir  hier  zum  ersten- 
mal auf  dieses  Werk  zu  sprechen  kommen,  später  aber  noch  öfters  auf 
dasselbe  zurückkommen  werden,  so  seien  hier  gleich  einige  Notizen  über 
die  Anlage  desselben  eingelegt.  Der  byzantinische  Kaiser  Konstantinos 
(912 — 959)  hatte  in  einer  Zeit,  wo  man  aus  dem  damals  noch  weit  grösseren 
Umfang  der  klassischen  Litteratur  das  Lesenswerte  auszulesen  und  zu  prak- 
tischen Zwecken  zusammenzustellen  liebte,  aus  18  historischen  Werken, 
darunter  aus  Polybios^  Diodor,  Dionysios  Halik.,  Josephos,  Appian,  Dio 
Cassius,  Nikolaos  Damaskenos,  Dexippos,  Eunapios,  Zosimos,  Prokopios,*) 
Auszüge  unter  53  Titeln  anfertigen  lassen.  Von  diesen  Titeln  sind  fünf, 
Tt8Ql  TiQsaßsioov,  TisQi  ccQSTrjg  xul  xaxiag,  nsgl  yvMfXcov,  ttsqI  ijiißovXihv^  tvsqI 
TTohoQxiMv  nach  und  nach  bruchstückweise  aus  dem  Dunkel  der  Bibliotheken 
ans  Licht  gezogen  worden;  dieselben  enthalten  umfangreiche  Fragmente 
aus  den  genannten  Historikern  in  wörtlichen  Anführungen,  darunter  auch 
aus  Polybios. 

366.  Charakteristik.  In  der  Auffassung  und  Behandlung  der  Ge- 
schichte vertritt  Polybios  eine  neue  Richtung,  die  der  pragmatischen  Geschichts- 
schreibung. 5)    Abhold  der  rhetorischen  Phrase,  scharf  in  der  Begriffsbestim- 


^)  Pol.  3,  3:  TTMs  xal  nore  xccl  &id  rl 
nccpzcc  rd  yvMQi^o^spa  fisQf]  xrjg  oixoi\u8Pt]g 
vno  xrju  xujv  'Pojjua.iwp  i^vvafxiv  iyevero. 

2)  Nissen,  Die  Ökonomie  der  Geschichte 
des  Polybius,  Rh.  M.  2G,  241  ff.  R.  Thommen, 
Abfassungszeit  der  Geschichten  des  Polybius, 
in  Herrn.  20,  196  ff.  Dagegen  erweist  ein- 
schränkend Haetstein,  Philol.  45,  715  ff., 
dass  vor  146  Polybius  nur  die  2  ersten  Bücher 
publiziert  hatte  und  dieselben  später  dann  ohne 
Veränderung   in   das   Gesamtwerk  aufnahm. 

")  Dass  gerade  5  Bücher  erhalten  sind, 
wird  hier  wie  bei  Diodor  und  Livius  mit  der 
Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.    2. 


zur  Zeit  der  Pergamenthandschriften  erfolgten 
Einteilung  des  Gesamtwerkes  in  Pentaden 
und  Dekaden  zusammenhängen. 

^)  Die  andern,  Petrus  Patricius,  Geor- 
gios  Monachos  (Synkellos),  Joannes  aus  An- 
tiochia,  Joannes  Malalas,  Priskos,  Malchos, 
Menander,  Theophylaktos  gehören  der  byzan- 
tinischen Zeit  an. 

'-')  ÜLRici,  Charakteristik  59--64  und 
208-221;  P.  La-Roche,  Charakteristik  des 
Polybios,  Leipzig  1857;  Markhausek,  Der 
Geschichtsschreiber  Polybius,  seine  Welt- 
anschauung und  Staatslehre,  München  1858; 

Aufl.  31 


482 


Griechische  Litter aturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litter atui*. 


mung,  ^)  konsequent  im  Denken  war  er  überall  bemüht,  in  das  Wesen  der  Dinge 
zu  dringen  und  die  Gründe  der  Handlungen  und  Ereignisse  zu  erforschen.  Als 
letzter  Grund  galt  ihm  die  Staatsordnung,  wie  er  6,  1  mit  klaren  Worten 
sagt:  fisyiaTf^v  alriav  i^yrjTsov  iv  ccttcivti  ngäy^iaxi  xal  TCQog  svtvxiav  xal 
TovvavTiov  T}]v  Ti;g  nokiTsiag  avdTaaiv.  Dabei  erkannte  er  die  Abhängigkeit 
der  Menschen  von  der  physischen  Beschaffenheit  des  Landes  wohl  an,  verlangte 
aber  zugleich  Korrektur  dieser  Einflüsse  durch  die  staatlichen  Einrich- 
tungen. 2)  Die  Religion  hatte  ihm  keine  Bedeutung  an  und  für  sich,  son- 
dern nur  als  Mittel,  die  Menge  und  diejenigen,  welche  der  reinen  Weisheit 
sich  nicht  zugänglich  zeigen,  in  Zucht  und  Ordnung  zu  halten:  wäre  es 
möglich,  sagt  er  6,  56,  einen  Staat  aus  Weisen  zusammenzubringen,  so 
bedürfte  man  des  Hilfsmittels  religiöser  Einschüchterung  {dsiaidai^ovia)  gar 
nicht.  ^)  Für  die  veredelnde  Kraft  der  Poesie  und  der  geistigen  Genüsse 
hatte  ohnehin  der  praktische  Mann,  der  überhaupt  mehr  schon  Römer  als 
Hellene  war,  kein  rechtes  Verständnis.^)  Neben  der  Macht  der  staatlichen 
Einrichtungen  und  der  Thatkraft  des  einzelnen  wies  er  allerdings  auch  der 
Tyche  oder  Fortuna,  die  ihm  an  die  Stelle  der  alten  Götter  getreten  war, 
notgedrungen  einen  Platz  an,^)  aber  sie  galt  ihm  als  eine  unheimliche  Macht, 
deren  Grenzen  einzuengen  ihm  eine  Hauptaufgabe  wie  des  willensstarken 
Menschen  so  auch  des  einsichtsvollen  Historikers  zu  sein  schien.^)  Indem 
er  so  mit  der  höheren  Anschauung  eines  Philosophen  der  stoischen  Richtung 
die  Aufgabe  des  Geschichtschreibers  erfasste ')  und  die  Geschichte  zu  einer 
Lehrmeisterin  der  Menschen  überhaupt  und  der  Staatsmänner  insbesondere 
zu  machen  suchte,  forschte  er  überall  nach  den  Gründen  und  leitenden 
Motiven  und  wandte  der  Schilderung  der  staatlichen  Einrichtungen  eine 
besondere  Aufmerksamkeit  zu.  Gleich  im  Anfang  stellt  er  die  Frage,  durch 
welche  Art  der  Staatsverfassung  die  Römer  Herrn  der  Welt  geworden  seien 
(1,  1),  und  widmet  dann  fast  das  ganze  6.  Buch  der  Darstellung  des  römi- 
schen Staatswesens  und  dieses  mit  einer  Einsicht  und  Genauigkeit,  dass  man 
etwas  besseres  über  die  römischen  Altertümer  und  die  Wandlungen  der 
Staatsverfassungen  nicht  finden  kann.  In  ähnlicher  Weise  verfährt  er  auch 
bei  anderen  Staaten,'^)  und  wenn  er  auch  manchmal  etwas  aufdringlich 
in  den  Belehrungen  und  Zurechtweisungen  ist,  so  folgt  man  doch  gern 
einem  Führer,  welcher  der  geschichtlichen  Auffassung  eine  grössere  Ver- 
tiefung und  einen  weiteren,  über  die  Enge  der  griechischen  Heimat  hinaus- 
reichenden Horizont  gegeben  hat.^) 


RüD.  V.  ScALA,  Die  Studien  des  Polybios, 
Stuttg.  1890,  2  Bde. 

')  Vgl,  die  Unterscheidung  von  aiiUxi, 
TtQocpuaFAg,  ((Q/m  -nQayfxc'aiov  3,  6  u.  32,  8. 

^)  Diese  Idee  ist  durchgeführt  an  den 
Arkadiern  4,  21. 

^)  Scharf  zieht  er  37,  9  gegen  diejenigen 
zu  Feld,  welche  in  Dingen,  die  von  des 
Menschen  eigener  Thätigkeit  abhängen,  auf 
die  Götter  die  Schuld  schieben  und  von  ihnen, 
statt  von  sich  Hilfe  erwarten;  vgl.  3,  4. 

■*)  Seine  Abneigung  gegen  den  Idealismus 
spricht  sich  in  seiner  Beurteilung  des  pla- 
tonischen  Idealstaates   G,  47  aus:   w?   «V  ft 


T(ji}v  ccyaXfUKriov  rig  fV  TiQoS^sfiEPog  tovto 
avyxQLVoi  roTg  Ct^ac  xcclnsnyvfiepoig  ap^gdaiv. 

^)  Pol.  29,  21.  F.  Baue,  De  Tycliae  in 
pragmatica  Poh/hü  historia,  Tub.  1860. 

^)  Pol,  2,  38;  daher  bewundert  er  die 
Römer  zumeist  weil  sie  durch  die  Schläge 
des  Schicksals  sich  nicht  niederschmettern 
Hessen. 

^)  Den  gleichen  Gesichtspunkt  eignete 
sich  Cicero  de  or.  II,  15  an. 

8)  Über  die  Achäer  2,  38. 

^)  Diese  Wandlung  der  Anschauungstand 
wohl  in  Verbindung  mit  der  Wandlung  der 
Dinge,  der  Unterwerfung  Griechenlands  und 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,    a)  Geschichtschreibung.  (§  366.)  483 

Auch  nach  einer  anderen  Seite  erweiterte  Polybios  das  Gesichtsfeld 
der  Historie,  indem  er  die  Beschaffenheit  des  Landes  und  die  allgemeinen 
Kulturverhältnisse  mit  in  die  Betrachtung  zog.  Die  Geographie  sah  er  als 
historische  Hilfswissenschaft  an,  ohne  welche  die  Erkenntnis  der  Ursachen 
und  das  Verständnis  der  kriegerischen  Unternehmungen  unvollständig  bleibe. 
Er  hatte  sich  daher  durch  ausgedehnte  Reisen  für  sein  Geschichtswerk 
vorbereitet,  hatte  Libyen,  Iberien,  Gallien  und  das  äussere  Meer  besucht  ^) 
und  sogar,  um  den  Zug  des  Hannibal  zu  verstehen,  eine  damals  mit  ganz 
anderen  Beschwerden  als  heutzutag  verbundene  Reise  über  die  Alpen  ge- 
macht. 2)  Später  um  136  hatte  er  dann  die  Gelegenheit  ergriffen,  um  mit 
Scipio  Ägypten  zu  besuchen  und  diese  Reise  nach  Kleinasien  und  Thrakien 
auszudehnen.  So  gibt  er  denn  in  seiner  Geschichte  eine  ausführliche  Be- 
schreibung von  Italien  (2,  14 — 17)  und  vom  schwarzen  Meer  (4,  39 — 44) 
und  widmete  das  ganze  34.  Buch  der  Erörterung  geographischer  Fragen.^) 
Dabei  geht  er  über  die  Figuration  des  Landes  weit  hinaus  und  gibt  uns 
auch  über  die  Lebensverhältnisse,  wie  über  die  Preise  der  Lebensmittel 
in  Oberitalien,  schätzenswerte  Aufschlüsse.'^)  In  diesen  wie  in  allen 
anderen  Dingen  ist  nun  zugleich  Polybios  —  und  das  gibt  seiner  Geschichte 
den  Hauptwert  —  ein  strenger  Kritiker.  Ein  aufgeklärter  Geist  steht  er 
weit  über  den  Vorurteilen  der  Menge  und  entstellt  nicht  wie  Livius  seine 
Geschichte  durch  abergläubische  Mitteilung  von  Wundern  und  Zeichen. 
Am  liebsten  suchte  er  selbst  an  Ort  und  Stelle  Aufschluss  über  zweifel- 
hafte Dinge  zu  erhalten  oder  von  den  Originalurkunden,  wie  den  römisch- 
karthagischen Verträgen  (3,  22 — 28)  Einsicht  zu  gewinnen.  Wo  er  auf 
Berichte  anderer  angewiesen  war,  übte  er  strenge  Kritik,^)  ging  er  sogar 
nicht  selten  in  seinem  verwerfenden  Urteil  über  das  richtige  Mass  hinaus. 
Belehrend  ist  sein  Exkurs  über  die  epizephyrischen  Lokrer  (12,  5 — 16), 
in  welchem  er  die  Angaben  des  Aristoteles  gegen  die  Tadelsucht  des 
Timaios  in  Schutz  nimmt;  entschieden  zu  hart  ist  seine  Polemik  gegen 
Pytheas  (34,  5  und  10). 

Stil.  Die  schwächste  Seite  des  Geschichtswerkes  unseres  Historikers 
ist  die  sprachliche  Darstellung.  Er  war  nicht  in  Attika  geboren,  noch  in  den 
Rhetorenschulen  Athens  gebildet  worden;  er  hatte  einen  grossen  Teil  seines 
Lebens  in  der  Fremde,  wo  nur  selten  ein  griechischer  Klang  sein  Ohr  traf, 
zugebracht;  er  verschmähte  grundsätzlich  rhetorische  Zieraten  und  die 
Schminke  der  Rede.  Seine  Vernachlässigung  der  sprachlichen  Form  fand 
daher  scharfen  Tadel  bei  Dionysios,  der  von  seinem  beschränkt  attikistischen 
Standpunkt  aus  den  Polybios  zu   denjenigen  Schriftstellern  zählt,  die  ganz 


der  Resignation  in  die  neue  Lage.  Bei  Ti- 
maios schlug  die  nationale  Ader  des  Griechen 
noch  kräftig. 

')  Pol.  3,  59. 

2)  Pol.  3,  48. 

^)  Max  Schmidt,  De  Polyhii  geographia, 
Berl.  1875;  weiteres  bei  Schenkl,  Jahrber. 
d.  Alt.  XI,  1.  231  ff. 

*)  Pol.  2,  15;  34,  10.  Nissen,  Ital. 
Landeskunde  I,  12  urteilt  darüber:  Seine 
Stärke  ruht  nicht  in  der  Förderung  der  all- 


gemeinen Probleme  der  Erdkunde,  sondern  in 
der  Behandlung  der  historischen  Landschaft. 
^)  Vgl.  3,  20 :  TjQog  ^sp  ovp  Toiavja 
T(av  avyyQafx^uärcju,  ota  yQucpSL  XctiQsag  xcd 
^^üiaiXog,  ov&€i^  ccv  d'toi  nXsou  XiysLv  '  ov  yccQ 
laroQiag  aXXd  xovQSccxrjg  y.cd  7iapd7Jfj.ov  XaXiag 
ifxoi  ye  &oxovaL  rd^ty  sxsty  x(u  iSvi'ccfÄir.  Vgl. 
Valeton,  De  Vohjbii  fontihus  et  auctoritate, 
Utr.  1879;  Ad.  v.  Breska,  Unters,  über  die 
Quellen  des  Polyb.  im  3.  Buche,  Berl.  1880. 


31 


484 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


durchzulesen  man  niemand  zumuten  könne.  ^)  Im  übrigen  kann  man  dem- 
selben Klarheit  und  Bestimmtheit  des  Ausdrucks  nicht  absprechen;  in  der 
Vermeidung  des  Hiatus  Hess  er  sich  sogar  eine  geradezu  ängstliche  Sorgfalt 
angelegen  sein.  2)  Seine  Sprache  ist  die  gemeingriechische  (xoivrj),  mit  wel- 
chem Ausdruck  der  Gegensatz  zum  Attischen  und  der  Mangel  dialektischer 
Färbung  angedeutet  werden  sollte.  Sie  ist  charakterisiert  durch  den  Ge- 
brauch einer  Menge  von  Wörtern  und  Wortbedeutungen,  die  sich  bei  den 
Attikern  nicht  finden,  die  aber  zum  Teil  der  Begriffssphäre  der  neuen 
Philosophie  angehören,  zum  Teil  in  den  Staatsurkunden  wiederkehren  3)  und 
demnach  dem  Kanzleistile  eigentümlich  gewesen  zu  sein  scheinen.  Mehr 
aber  drückt  sich  ihre  Eigentümlichkeit  in  der  Wort-  und  Satzbildung  aus, 
vor  allem  in  der  ausgedehnteren  Anwendung  von  Nomina  abstracta,  in  den 
zahlreichen  Neubildungen  von  abgeleiteten  Zeitwörtern  [jislexi^iß^  (fOQoXoya'a), 
(fvvoQt'co,  xaxo7TQay^aov6(o  etc.),  im  Gebrauch  von  Adverbien  statt  präpo- 
sitioneller  Wendungen  {Tragado^cog  statt  TcaQcc  66'^av,  vovvsx^Q,  Sidaaxa- 
hxMg  etc.),  endlich  in  dem  Umsichgreifen  der  die  alten  Yerba  umschrei- 
benden Phrasen  mit  noieiad^ai  und  yiyvea^ai.  Durch  alles  dies  bekommt 
die  Sprache  einen  eigentümlichen  Charakter,  der  denjenigen,  welcher  von 
Piaton  und  Demosthenes  kommt,  fremdartig  anmutet.^)  Bei  solchen  aber, 
welche  sich  nicht  vom  Klange  der  Sprache  leiten  Hessen,  fand  Polybios 
und  seine  gereifte  Auffassung  der  Verhältnisse  grossen  Beifall.  Nament- 
lich waren  es  die  Stoiker  und  die  Römer,  welche  ihm  ihre  Bewunderung 
zollten.  Der  Stoiker  und  Historiograph  Poseidonios  trat  in  seine  Fusstapfen; 
Brutus,  der  ihn  vor  der  Schlacht  von  Pharsalos  las,  machte  einen  Auszug 
aus  ihm;^)  von  Livius  zwar,  der  ebenso  wie  Diodor  ihn  überall  benützte 
und  ausschrieb,^)  wird  er  mit  einem  schillernden  Ausdruck  Jiaudqiiaquam 
spernendus  auctor  (30,  45)  genannt,  aber  Cicero,  de  rep.  II,  14  nennt  ihn 
rückhaltslos  Folyhium  nostrum  quo  nemo  fuit  in  exquirendis  temporihus 
diligentior. 

Cod.  Primarius  Vatic.  124  membr.  s.  XI.  Die  Exzerpte  zu  1— XVIII  in  cod.  Urbinas 
102,  zuerst  publiziert  von  Ursinus  (1582).  Exe.  negl  riQsaßsiiot^  in  cod.  Urb.  et  codd. 
Monac.  185  u.  267,  publ.  v.  Höschel  (1603),  ttsqI  aQsrijg  xcd  xaxiag  in  cod.  Peirescianus 
(jetzt  in  Tour),  zuerst  von  Valesius  veröffentlicht  (1634),  negl  yviofxixiv  in  cod.  Vat.  rescr. 
73,  publiziert  von  Angelo  Mai  in  Script,  vet.  nov.  coli.  II  (1827),  nsgl  intßovh(oy  in  cod. 
Escorial.,  publ.  von  Feder  (1855)  und  Müller,  FHG.  11  p.  V  sqq.,  nsgl  nolioQxiütp  aus  cod. 
Athous  (jetzt  in  Paris),  publ.  von  Wescher,  PoUorcetique  des  Grecs  (1868). 

Ausgaben  von  Casaubonus,  Paris  1609;  von  Schweighäuser  mit  Kommentar,  8  Bde., 
Lips.  1789 — 95;  von  I.  Bekker,  Berl.  1844,  2  Bde.;  von  L.  Dindorf,  neubearbeitet  von 
Büttner- Wobst  in  Bibl.  Teubn.  1882,  dazu  Jahrb.  f.  Phil.  1884  S.  111—122;  von  Hultsch, 


^)  Dionys.  de  comp.  verb.  4:  roaccvrag 
(Jv^TCi^etg    xciTslmov,    oiag    ot'^eig    vno^evei 

'^)  Aus  diesem  Streben  sind  manche 
Unrichtigkeiten  des  Sprachgebrauchs,  wie 
V718Q  für  neQL  vor  Vokalen  zu  erklären. 

^)  Jerusalem,  Die  Inschrift  von  Sestos 
(ein  langes  Ehrendekret  aus  der  Zeit  von 
120)    und  Polybios,   Wien.  Stud.   1,  32—58. 

*)  Lüttge,  De  Polybii  elocutione,  Nord- 
hausen Progr.  1863;  Stich,  De  Polybii  di- 
cendi  genere,  Acta  Erlang.  11,  141-211; 
Kälker,    De    elocutione    Polybiana,    Leipz. 


Stud.  III,  217—302;  Götzeler,  De  Polybi 
elocutione,  Würzb.  1887.  Krebs,  Die  Prä- 
positionen bei  Polybius,  in  Schanz  Beitr , 
1,  1882.  Vgl.  ScHENKL,  Jahrber.  d.  Alt. 
XI,  1.  233  ff. 

^)  Suidas  u.  BQovrog:  eyQaxpev  ETiiGTo'kag 
xal  Tiou  UoXvßiov  rov  laroQixov  ßißXcjy  em- 
xo^'^v.  Vgl.  Plut.  Brut.  4.  Suidas  erwähnt 
auch  von  Skylax  eine  ^ AyTiyqacpi]  nQog  xrjp 
JloXvßlov   laZOQLCCP.  I 

^)  Die  Litteratur  darüber  bei  Schäfer, 
Quellenkunde  11 2,  32. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,   a)  Geschichtschreibung.  (§  367.)  485 

Berl.  (1867)  2.  Aufl.   1888    mit  'bestem   kritischen    Apparat.  --  Lexikon    Polybianum  von 
Schweighäuser,  separater  Nachdruck,  Oxon.  1822, 

367.  Die  Zeit  nach  Polybios  hat  keine  hervorragende  Historiker  mehr 
hervorgebracht,  am  wenigsten  griechische  Nationalhistoriker.  Es  begegnen 
uns  nur  noch  Darstellungen  römischer  Geschichte  in  griechischer  Sprache 
und  kompendiarische  Zusammenfassungen  der  allgemeinen  Weltgeschichte. 
In  letzterer  Richtung  war  der  namhafteste  Schriftsteller  Apollodor,  der 
um  144  vier  Bücher  Xqovixä  in  iambischen  Trimetern  schrieb.  Eine  Neu- 
bearbeitung und  Fortsetzung  erhielt  dieses  vielbenützte,  von  Cornelius  Nepos 
ins  Lateinische  übertragene  Kompendium  durch  Kastor,  Schwiegersohn 
des  von  Cicero  verteidigten  Königs  Deiotarus,  dessen  XQovixd  in  6  B.  bis 
auf  61  V.  Chr.  herabgingen. i) 

Unter  den  eigentlichen  Geschichtschreibern  ragte  Poseidonios 
(128—45)2)  hervor,  der  aus  Apameia  in  Syrien  stammte,  aber  Rhodos,  wo 
er  eine  berühmte  Schule  gründete,  zur  zweiten  Heimat  hatte.  Von  Hause 
aus  Philosoph  und  zwar  Stoiker,  warf  er  sich  doch,  dem  enkyklopädischen 
Charakter  der  Zeit  folgend,  mit  Vorliebe  auf  historische  und  naturwissen- 
schaftliche Studien.  Mit  den  bedeutendsten  Männern  seiner  Zeit  war  er 
persönlich  befreundet;  im  Jahre  87  kam  er  als  Gesandter  nach  Rom,  78  war 
Cicero  sein  Hörer  in  Rhodos,  später  besuchte  ihn  dort  zweimal,  im  J.  67 
und  62,  Pompeius.  Ausserdem  hatte  er  von  lebhaftem  Interesse  für  Völker- 
kunde und  Naturkenntnis  getrieben,  ausgedehnte  Reisen  gemacht  und  kannte 
nicht  bloss  Italien,  sondern  auch  Gallien  und  Spanien  aus  eigener  An- 
schauung. In  Gades,  dem  grossen  Handelsemporium  des  Westens,  weilte 
er  30  Tage,^)  um  von  dort  aus  Erkundigungen  über  den  Okean  und  die 
umliegenden  Länder  einzuziehen.  So  allseitig  vorbereitet  schrieb  er  sein 
grosses  Geschichtswerk  {laiQQiai)  in  52  B.  Dasselbe  sollte  eine  Fort- 
setzung des  Polybios  sein  und  umfasste  die  Zeit  von  145— 82."^)  Es  war 
namentlich  ausgezeichnet  durch  den  Reichtum  an  geographischen  und 
ethnographischen  Nachrichten.  Ausserdem  verfasste  er  ein  eigenes  Buch 
7T8Qi  wxsavov  und  ein  physikalisches  Werk  MsrsMQoXoyixd,  welches  der 
Astronom  Geminus  in  einen  Auszug  brachte.^)  Arrian  im  Eingang  seiner 
Taktik  führt  ihn  auch  als  Verfasser  von  Taxtixd  an,  wie  uns  ein  solches 
Werk  von  seinem  Schüler  Asklepiodotos  auch  wirklich  erhalten  ist.*')     Von 


^)  Nach  Suidas  war  der  Rhetor  Kastor 
aus  Rhodos  und  der  aus  Galatien  1  Person; 
s.  Gelzer,  lul.  Africanus  II,  70  if.  Derselbe 
hiess  cpLXoQojfxaiog,  wie  auch  Herodes  auf 
einer  attischen  Inschrift  CIA.  III  550  zu- 
benannt ist.  Über  eine  ihm  fälschhch  zu- 
geschriebene rhetorische  Schrift  s.  §  549. 

■^)  Über  ihn  ein  Artikel  des  Suidas;  viele 
gelegentliche  Zeugnisse  bei  Strabon.  —  Bake, 
Posidonü  Bhodii  reliquiae  doctrinae.  LB. 
1810;  ScHÜHLEiN,  Studien  zuPosidonius  Rho- 
dius,  Freisinger  Progr.  1886;  Unger,  Phil. 
41,  630  ff.;  Müllenhoff,  Deutsche  Altertums- 
kunde II,  126  ff,  -  Über  einen  älteren  Hi- 
storiker Poseidonios  aus  der  Zeit  des  Make- 
donerkönigs  Perseus  s.  Müller,  FHG.  II [, 
172, 


3)  Um  90  V,  Chr.;  s.  Strab.  p.  130;  Mül- 
lenhoff, a.  0,  128. 

*)  Die  Angabe  des  Suidas  eujg  rov  no- 
Xe^ov  rov  Kvqtjpcüxov  xcd  UroXsfxaiov  ver- 
wirft Arnold,  Jahrb,  f.  Phil,  Suppl.  XIII, 
75  -  150,  weil  uns  Fragmente  aus  der  Zeit 
bis  zur  Diktatur  Sullas  erhalten  sind,  Müllen- 
hoff a,  0.  nimmt  seine  Zuflucht  zur  An- 
nahme einer  späteren  Fortsetzung  des  ur- 
sprünglich nur  bis  zum  Jahre  99  reichenden 
Werkes. 

^)  Das  erhellt  aus  Simplicius  zu  Arist. 
phys.  p.  291,  21-292,  29  ed.  Diels. 

•*)  Auch  ein  anderer  Schüler  des  Posei- 
donios Athenodoros  aus  Tarsos  gab  sich 
mit  historischen  Studien  ab;  s,  Müller,  FHG. 
III,  485—8. 


486 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


seinen  philosophischen  Schriften  finden  sich  namentlich  die  negl  dsMv 
und  nsQi  fiavTixrjg  in  den  entsprechenden  Büchern  Ciceros  benützt.  Die 
Fragmente  bei  Bake,  Posidonii  RJiodii  reliquiae ;  Müller,  FHG.  III,  245 — 296. 
Ausserdem  verdienen  noch  genannt  zu  werden  Theophanes  von 
Mytilene,  der  den  Pompeius  auf  seinen  Feldzügen  begleitete  und  eine  Ge- 
schichte des  mithridatischen  Krieges,  vielleicht  auch  ein  Buch  über  Malerei 
schrieb, 9  Metrodoros  aus  Skepsis  (gest.  70  v.Chr.),  der  aus  einem  Philo- 
sophen ein  Politiker  geworden  war  und  in  seinen  Historien  die  zeitgenös- 
sische Geschichte  der  Könige  Mithridates  und  Tigranes  behandelte,^)  Tima- 
genes  aus  Alexandria,  der  nachSuidas  unter  Pompeius  als  Kriegsgefangener 
nach  Rom  kam  (55)  und  dessen  blendende  Darstellung  der  Geschichte 
Alexanders  bei  den  Späteren,  wie  insbesondere  auch  bei  Curtius,  in  grossem 
Ansehen  stund. ^) 

368.  Die  Geographie  blieb  auch  im  alexandrinischen  Zeitalter  noch 
wesentlich  mit  Geschichte  und  grammatischer  Gelehrsamkeit  verbunden, 
weshalb  wir  die  meisten  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  Länder-  und  Völker- 
kunde, wie  des  Dikäarch,  Eratosthenes,  Pytheas,  Apollodor,  unter  anderen 
Kapiteln  unterzubringen  uns  erlauben  durften.  Hier  bleiben  uns  noch  einige 
speziell  geographische  Bücher  zu  besprechen  übrig.'*) 

Hanno ^)  ist  Verfasser  der  Beschreibung  einer  um  500  v.  Chr.  zum 
Zweck  der  Kolonisation  unternommenen  Rekognitionsfahrt  an  der  West- 
küste Afrikas.  Das  Original  ward  zu  Karthago  im  Tempel  des  Saturn 
aufbewahrt;  auf  uns  gekommen  ist  eine  in  der  Zeit  der  punischen  Kriege 
gemachte  griechische  Übersetzung,  die  leider  vor  dem  Schluss  abbricht. 
Der  interessante  Periplus  hat  auch  in  der  Darwintheorie  eine  Rolle  gespielt, 
da  er  c.  18  die  merkwürdige  Kunde  von  den  haarigen  Gorillamenschen  an 
der  Westküste  Afrikas  enthält.     Ausg.  in  Müller's,  GGM.  I,  1 — 14. 

Eudoxos  war  der  Verfasser  einer  IIsQioSog  yrjg  in  mindestens  8  B., 
der  auch  eine  Karte  {Ttiva'^)  beigegeben  war.^)  Das  Werk  war  hoch- 
berühmt sowohl  wegen  des  Reichtums  seines  Inhaltes  als  wegen  der  an- 
ziehenden Form  seiner  Darstellung.^)  Als  Verfasser  galt  schon  im  Alter- 
tum der  berühmte  Arzt  und  Astronom  Eudoxos  von  Knidos,  der  grosse 
Reisen  unternommen  hatte  und  im  späteren  Lebensalter  in  die  Akademie 
Piatons  eingetreten  war.     Aber  da  in  demselben  die  östlichen  Galater  er- 


')  Müller,  FHG.  III,  312—6;  Arnold, 
Untersuchungen  über  Theophanes  u.  Posido- 
nius,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIII,  79-150; 
Fabricius,  Theophanes  und  Dellius  als  Quel- 
len des  Strabo,  Strassb.  1888. 

2)  Müller,  FHG.  III,  203—5. 

^)  Näheres  über  seine  beissende  Zunge 
bei  Schäfer,  Quellenkunde  11^  89  ff.  Die 
Fragmente  bei  Müller,  FHG.  III,  317-323; 
ebenda  p.  324—7  die  Fragmente  der  gleich- 
zeitigen Historiker  Ariston  des  Peripateti- 
kers  und  des  Rhodiers  Sokrates. 

^)  Die  hauptsächlichsten  Nachrichten 
über  die  Geographen  jener  Zeit  verdanken 
"wir  der  Einleitung  des  Marcianus  in  die  Epi- 


tome  des  Menippos,  bei  Müller,  Geogr. 
graec.  min.  I  p.  565  f. 

^)  Plinius  H.  N.  II,  169:  Hanno  Car- 
tliaginis  yotentia  florente  circumvectus  a 
Gadibus  ad  finem,  Arabiae  navigationem 
eam  prodidit  scripto,  sicut  ad  extera  Eu- 
ropae  noscenda  eodem  tempore  Himilco. 
Vgh  V,  8.  Unger,  Philol.  Suppl.  4,  197  ff. 
u.  Rh.  Mus.  38,  182  sucht  zu  beweisen,  dass 
erst  zwischen  390  und  370  der  Periplus  ver- 
fasst  sei. 

^)  Schol.  in  Dionys.  perieg.  in  Müller's 
Geogr.  gr.  H,  428,  9  u.  15. 

^)  Plut.  Ne  Buav.  quid,  c.  10;  Philostr. 
Vit.  soph.   p.  5,  4  K.;    Aeneas  Theophr.  72. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreibung.  (§  368.)  487 


wähnt  waren')  und  sein  Verfasser  120  Jahre  vor  Geminus  lebte, 2)  so  hat 
derselbe  nicht  vor  280  v.  Chr.  geschrieben  und  kann  nicht  mit  jenem 
berühmten  Eudoxos  aus  Knidos  identisch  sein.  Wahrscheinlich  war  er  eine 
Person  mit  dem  Historiographen  Eudoxos  aus  Rhodos.^) 

Timosthenes  aus  Rhodos,  Befehlshaber  der  Flotte  des  zweiten  Pto- 
lemäus,  war  Verfasser  eines  von  Eratosthenes  stark  benützten,  von  Strabon 
abfällig  beurteilten  Werkes  res  gl  Xiixsvmv  in  10  B.,  von  dem  der  Verfasser 
selbst  einen  doppelten  Auszug  {sTiiTofirj  und  azadiaryfxog)  in  je  1  Buche 
gemacht  hatte. ^) 

Mnaseas  aus  Paträ,  angeblicher  Schüler  des  Eratosthenes,  schrieb 
eine,  mindestens  8  B.  umfassende  Periegese,  deren  Teile  unter  den  Titeln 
EvQMTTrp  ^Aaiccy  Aißi)}]  citiert  werden.  Der  Verfasser  war  ein  Anhänger 
des  Euhemeros  und  behandelte  Mythen  wie  historische  Thatsachen.  Frag- 
mente bei  Müller,  FHG.  III,  149—158. 

Hipparchos  von  Nikäa  (um  130),  der  bahnbrechende  Astronom  und 
Mathematiker,  hat  sich  auch  um  die  mathematische  Geographie  in  Be- 
kämpfung und  Verbesserung  des  eratosthenischen  Systems  grosse  Verdienste 
erworben.  Wir  kennen  dieselben  nur  aus  den  Anführungen  bei  Späteren, 
namentlich  bei  Strabon.^) 

Agatharchides  von  Knidos,  um  250  geboren,  schrieb  in  hohem  Alter 
unter  Ptolemaios  VI.  für  seinen  königlichen  Zögling  ein  Buch  tisqI  rrjg 
sQvd^qäg  ^akdaarjg.  Ein  Vorgänger  Strabons,  verband  er  geographische 
Studien  mit  historischen;  sein  umfangreiches  Hauptwerk  'lazoQixd  be- 
handelte in  10  B.  die  Geschichte  Asiens,  in  48  die  Europas.  Auszüge 
daraus  gibt  Photios  cod.  213  und  250.  Fragmente  bei  Müller,  FHG.  III, 
190—197  und  GGM.  I,  111—195. 

Artemidoros  aus  Ephesos  um  100  v.  Chr.  verfasste  nach  ausge- 
dehnten Reisen  eine  von  Strabon,  Plinius,  Pausanias,^)  Agathemeros  fleissig 
benützte  Geographie  in  11  B.,  von  der  eine  ganz  dürftige  Epitome  (Müller, 
GGM.  I,  574 — 6)  auf  uns  gekommen  ist.') 

Skymnos  aus  Chios  wird  nach  einer  Vermutung  von  Holstein  und 
Is.  Voss^)  als  Verfasser  eines  anonym  auf  uns  gekommenen,  am  Schlüsse 
verstümmelten  Abrisses  der  Geographie  der  3  Erdteile  ausgegeben.  Der 
Abriss   ist  in  iambischen  Trimetern   nach   dem   Vorbild  des  Apollodor  ge- 


')  Aelian  H.  A.  17,  19. 

2)  Geminus,  Isag.  in  Arat.  Phaen.  6. 

^)  Dieses  Verhältnis  ist  klar  gelegt  von 
Brandes,  Über  das  Zeitalter  des  Astronomen 
Geminos  und  des  Geographen  Eudoxos,  in 
Jahns  Arch.  13  ßd.  (1847)  S.  199—230,  wo 
zum  Schluss  auch  die  Fragmente  gesammelt 
sind.  Nur  eine  schwache  Seite  hat  die 
Untersuchung  in  dem  Ansatz  des  Geminus 
auf  140  V.  Chr.,  der  zu  hoch  gegriffen  ist, 
wenn  Geminus  einen  Auszug  aus  des  Posi- 
donios  Meteorologika  anfertigte.  Über  den 
Rhodier  Eudoxos  siehe  Rohde,  Gr.  Rom. 
263  Anm.  3. 

^)  Siehe  Marcian  in  Müller's  GGM.  I, 
566;  E.  A.  Wagner,  Die  Erdbeschreibung  des 
Timosthenes  von  Rhodos,  Leipz.  1888.     Mehr 


das  Historische  war  berücksichtigt  von  M  e  n  e  - 
krates,  einem  Schüler  des  Philosophen  Xeno- 
krates,  in  seinen  Kzioeiq  und  IIsQLodog  iXXrj- 
anovriaxi],  s.  Müller,  FHG.  H  342 — 5. 

°)  Bekger,  Die  geographischen  Frag- 
mente des  Hipparch,  Leipz.  1869. 

^)  Paus.  V,  5.  9  meint  unseren  Arte- 
midor  mit  axovaccg  dp^Qog  ^EcpEaiov  Xeyco 
roV  Xoyop,  s.  Enmann,  Jahrb.  f.  Phil.  1884 
S.  510.  Nach  Kalkmann,  Pausanias  S.  159  ff. 
hat  Pausanias  den  Artemidor  nicht  direkt 
benützt. 

'^)  Vgl.  Marcian  bei  Müller,  Geogr.  gr. 
min.  I  p.  CXXXI. 

^)  Bezweifelt  wird  diese  Vermutung  von 
Müller,  Geogr.  gr.  min.  I  p.  LXXIV.  sq. 


488  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

schrieben  und  einem  König  von  Bithynien,  Nikomedes  mit  Namen,  ge- 
widmet; ob  darunter  Nikomedes  IL  (147  —  95)  oder  III.  (95  —  75)  gemeint 
sei,  ist  strittig.  0 

b.  Die  Philosophie.  2) 

369.  Auch  in  der  Philosophie  hatte  die  griechische  Spekulation  mit 
Piaton  und  Aristoteles  ihren  Höhepunkt  erreicht.  Deshalb  hörte  aber  doch 
die  Philosophie  noch  nicht  auf,  einen  wichtigen  Faktor  in  dem  Leben  und 
der  Litteratur  der  Griechen  zu  bilden.  Umgekehrt  pulsierte  seit  dem  Unter- 
gang der  politischen  Freiheit  das  geistige  Leben  von  Hellas  zumeist  in 
den  Philosophenschulen.  Aber  es  war  weniger  das  spekulative  Denken 
und  Schaffen,  das  in  den  Sekten  der  Akademie,  des  Peripatos,  der  Stoa, 
des  Gartens  blühte;  der  unbefangenen  Forschung  stand  viel  eher  gerade 
die  Geschlossenheit  und  gegenseitige  Feindschaft  der  Schulen  hindernd  im 
Wege.  Dagegen  war  es  in  einer  Zeit  der  allgemeinen  Auflösung  des  Götter- 
glaubens vorzüglich  die  Philosophie,  welche  dem  sittlichen  Handeln  der 
Menschen  Kraft  und  Richtung  gab.  Die  Philosophie  trat  auf  solche  Weise 
über  den  engen  Kreis  der  Denker  von  Beruf  hinaus  und  ward  gewisser- 
massen  die  Religion  der  Gebildeten.  Viele  der  namhaftesten  Dichter  und 
Historiker  nahmen  zugleich  Stellung  zur  Philosophie.  Der  Komiker  Me- 
nander  neigte  zu  Epikur,  der  Epiker  Arat  zur  Stoa,  die  Satiriker  Meleager 
und  Menippos  bekannten  sich  als  Kyniker,  Poseidonios  kann  ebensogut  den 
Historikern  als  den  Philosophen  zugezählt  werden.  Und  über  Hellas  hinaus 
übte  die  Philosophie  ihre  Macht  auf  die  Gebildeten  der  neugegründeten 
Reiche.  Von  dem  Herrscher  Makedoniens  Antigonos  Gonatas  ist  es  be- 
kannt, dass  er  der  stoischen  Philosophie  anhing  und  mit  Stoikern,  wie 
Persaios  und  Zenon,  intim  zu  verkehren  liebte.  Besonders  aber  unter  den 
Römern  schieden  sich  seit  der  ersten  Berührung  mit  griechischer  Litteratur 
die  Gebildeten  unter  den  Staatsmännern  und  Schriftstellern  nach  ihrer  Stel- 
lung zu  den  verschiedenen  Philosophenschulen ;  speziell  die  Stoa  bildete  als 
Glaubensbekenntnis  der  charakterfesten  Verteidiger  des  oligarchischen  Frei- 
staates eine  grosse  politische  Macht. 

Auch  auf  die  Richtung  des  Stils  übte  die  Philosophie  Einfluss.  Es 
war  nicht  bloss  der  Verlust  der  Freiheit  und  die  Einschnürung  des  öffent- 
lichen Lebens,  was  die  Beredsamkeit  nach  Alexander  in  den  Hintergrund 
drängte,  auch  der  nüchterne  Wahrheitssinn  der  Philosophen  trat  dem  Wort- 
gepränge der  Rhetorik  feindlich  entgegen.  Hatte  schon  Aristoteles  einen 
nackten,  lediglich  dem  Ausdruck  des  Gedankens  dienenden  Stil  ausgebildet, 
so  vernachlässigten  jetzt  die  Philosophen  geradezu  die  Feile  des  Ausdrucks 
und  bekämpften  die  phrasenhaften  Schlagwörter  der  Rhetorik.  3)  Da  zu- 
gleich die  Philosophie  eine  stärkere  Richtung  auf  das  Ethische  nahm,  so 
wurden  die  Zierereien  der  Rhetoren  durch  die  Kernsprüche  der  Philosophen 


^)  Unger,  Fhilol.  41,  613.  Ausg.  in 
Müller,  GGM.  l,  196—237. 

'^)  Die  allgemeine  Litteratur  s.  oben  §  273. 

^)  Daher  der  scharfe  Tadel  des  Rhetors 
Dionysios  de  comp.  4   über  die  Stilvernach- 


lässigung des  Stoikers  Chrysippos.  Die  An- 
schauungen des  Chrysippos  und  seiner  Kon- 
sorten spricht  Seneca  ep.  100,  3  aus:  oratio 
solUcita  philosoplmm  non  decet. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,  b)  Philosophie.  (§  369-370.)     489 


und  die  Moralpredigten  der  Kyniker  abgelöst.  Von  den  letzteren  geben 
uns  die  durch  Stobäus  erhaltenen  Reste  der  Erbauungsreden  des  Kynikers 
Tel  es  (gegen  Ende  des  3.  Jahrhunderts)  nsQl  tov  ixrj  sivai  rsXog  rjdovrjv, 
nsgl  avxaQxsiag,  ttsqI  (fvy^g  einen  Begriff.  ^)  Verwandter  Art,  nur  mit  mehr 
Salz  durchlau  cht  waren  die  Sermonen  (ßia%Qißai)  des  Bion  von  Bory- 
sthenis  (3.  Jahrhundert) 2)  und  des  Kynikers  Menippos,  die  später  in 
den  Satiren  der  Römer  und  den  Dialogen  des  Lukian  von  neuem  auflebten. 
B70.  Philosophenschulen.  Man  charakterisiert  die  Philosophie 
unserer  Periode  als  Sektenphilosophie,  weil  sich  in  ihr  die  verschiedenen 
Richtungen  schärfer  voneinander  sonderten  und  in  geschlossenen  Schulen 
(aiQf-asig)  sich  entgegentraten.  Es  hing  diese  Spaltung  mit  der  Verengerung 
des  wissenschaftlichen  Horizontes  und  der  Popularisierung  der  Philosophie 
zusammen;  denn  je  mehr  sich  das  Interesse  um  wenige  Fragen  der  Ethik 
und  der  Wissensmöglichkeit  konzentrierte,  desto  schärfer  traten  die  Gegen- 
sätze hervor,  und  je  mehr  unselbständige  Anhänger  sich  um  die  hervor- 
ragenden Lehrer  scharten,  um  so  grösser  wurde  das  Kampfgeschrei.  Alle 
die  verschiedenen  Systeme  fanden  ihre  Ausbildung  und  hatten  ihre  Ver- 
tretung in  Athen. •'^)  Die  Häupter  der  Schulen  zwar  stammten  zum  grossen 
Teil  von  auswärts,  Zenon  aus  der  phönikischen  Stadt  Kition  in  Kypern, 
Chrysippos  aus  Soloi  in  Kilikien,  Metrodoros  aus  Lampsakos;  aber  in  Athen 
lehrten  sie,  und  Athen  war  der  Sammelpunkt  ihrer  Anhänger.  Erst  gegen 
Ende  unserer  Periode  wurden  auch  andere  Städte,  wie  Rhodos,  Tarsos,  Rom 
Sitze  von  philosophischen  Zweigschulen.  In  Pergamon  und  Alexandria 
konnte  wohl  Gelehrsamkeit  und  eine  höfische  Kunstpoesie  gedeihen,  aber 
für  die  Freiheit  des  Denkens  war  allein  das  eigentliche  Griechenland  der 
fruchtbare  Boden.  In  Athen  hatten  nur  zeitweise  die  Philosophen  Anfech- 
tungen zu  erfahren,  indem  im  Jahre  306/5  Sophokles  ein  Gesetz  ein- 
brachte,*) das  die  Verjagung  der  Philosophen  aus  Athen  bezweckte. 
Aber  das  Gesetz  scheiterte  an  dem  Einfluss  des  Theophrast,  und  von  da 
an  bildete  bis  auf  Justinian  Athen  eine  Freistätte  der  verschiedensten  phi- 
losophischen Lehren.  Die  Anhänger  der  einzelnen  Schulhäupter  bildeten 
hier  geschlossene  Vereine,  an  deren  Spitze  in  regelmässiger  Folge  [SiaSoxr]) 
ein  Vorstand  als  Nachfolger  des  Stifters  stund.  Die  Mitglieder  fanden  sich 
täglich  zum  Studium  und  Vortrag,  ausserdem  jeden  Monat  einmal  zu  einem 
gemeinsamen  Mahle  zusammen.  Für  ein  gemeinsames  Heim  war  bei  den 
meisten  durch  die  Stiftung  eines  mit  Bibliothek  und  wissenschaftlichen 
Sammlungen  ausgestatteten  Platzes  gesorgt,  in  welchem  der  Satz  xoivd  rd 
Twv  (fiXwv  seine  volle  Geltung  hatte.  Religiöse  Weihe  hatte  dieser  Sammel- 
platz und  damit  die  ganze  Genossenschaft  dadurch,   dass  sich  daselbst  die 


^)  WiLAMOWiTz,  Der  kynische  Prediger 
Teles,  Phil.  Unt.  IV,  292  ff.  —  Teletis  re- 
liquiae  ed.  0.  Hense,  Freib.  i.  Br.  1889. 

■^)  Hense  1.  J.  prol.  XLV  sqq.  Horaz  ep. 
II,  2.  60:  Bioneis  sermonihus  et  sale  nigro, 
wozu  der  Scholiast  Ps.  Acron  bemerkt:  sunt 
autem  disputationes  Bionis  philosophi,  qui- 
hus  stultitiam  vulgi  arguit,  cui  paene  con~ 
xcntiunt  carmina  Ijuciliana.  Ric.  Heinze, 
])c  Horatio  Bionis  imitatore,  Diss.  Bonn  1889. 


^)  ZuMPT,  Bestand  der  philosophischen 
Schulen  in  Athen  und  die  Succession  der 
Scholarchen,  in  Abh.  d.  Berl.  Akad.  1844; 
WiLAMOwiTZ,  Die  Philosophenschulen  und 
die  Politik.  Phil.  Unters.  IV,  178—234  und 
2ß3 291 

4)  Ath.  810e.  Unger,  Jhrb.  f.  Phil.  135 
(1887)  S.  755  erklärt  sich  für  d.  J.  315, 
indem  er  unter  dem  dort  erwähnten  Deme- 
trios  den  Phalereer  versteht. 


490  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

Bilder  teils  der  Musen,   teils   der  als  Heroen   im   frommen  Andenken  der 
Jünger  fortlebenden  Stifter  der  Schule  befanden. 

371.  Unter  den  verschiedenen  Schulen  stelle  ich  voran  die  Akademie; 
sie  war  die  älteste  und  hatte  seit  ihrem  Gründer  Piaton  eine  ununterbro- 
chene Nachfolge.')  In  unserer  Periode  nahm  ihre  Lehre  durch  Arkesi- 
laos  (315 — 241)  und  Karneades  (214—129)  eine  andere  Richtung,  die 
man  als  die  der  mittleren  Akademie  zu  bezeichnen  pflegt.  Der  erstere, 
angeregt  vermutlich  durch  den  Skeptiker  Pyrrhon  aus  Elis,  trat  gegen  den 
Dogmatismus  der  Stoa  auf,  indem  er  an  die  Stelle  der  Gewissheit  des 
Wissens  die  blosse  Wahrscheinlichkeit  {Tri^avoTrjg)  setzte  und  demgemäss 
in  allen  Fragen  mit  der  Zustimmung  zurückzuhalten  {sTtt'xsiv)  und  die  Sache 
nach  zwei  Seiten  zu  erwägen  {in  utramque  partem  disputare)  empfahl.  Er 
selbst  hatte  aus  lauter  Zweifel,  wie  man  sagte,  nichts  geschrieben.  2)  Darin 
war  ihm  auch  sein  einflussreicherer  Nachfolger  Karneades  ähnlich,  von 
dem  nach  Diogenes  6,  62  nur  einige  Briefe  an  Ariarathes,  König  von 
Kappadokien,  existierten.  Derselbe  war  indes  nicht  bloss  ein  gewandter 
Dialektiker  im  Streit  mit  den  Stoikern,  sondern  übte  auch  durch  die  Ge- 
sandtschaft, welche  er  zugleich  mit  dem  Stoiker  Diogenes  und  dem  Peri- 
patetiker  Kritolaos  im  Jahre  156/5  nach  Rom  unternahm,  grossen  Einfluss 
auf  die  Entwicklung  der  philosophischen  Studien  in  Rom.  3)  Zur  alten 
Lehre  der  Akademie  lenkten  wieder  im  1.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeit- 
rechnung Philon  von  Larissa  und  Antiochos  von  Askalon  zurück,  indem 
sie  zugleich  in  eklektischer  Weise  das  Gemeinsame  der  verschiedenen 
Schulen  aufsuchten  und  die  Schärfe  der  Polemik  zu  mildern  suchten.  Hörer 
des  letzteren  war  im  Winter  79/8  Cicero,  der  uns  in  seinen  Academica  zu- 
meist über  diese  Wandlungen  der  Akademie  Aufschluss  gibt. 

Die  Peripatetiker  verehrten  als  ihr  Haupt  den  Aristoteles,  aber  die 
Schule,  ein  Garten  mit  Altar,  Bildern  der  Musen,  Weihgeschenken  und 
Hallen  (TisqiJiaroi)  stiftete  erst  sein  Schüler  Theophrast.  Einer  von  dessen 
Nachfolgern,  Lykon  aus  Troas,  entfaltete  während  seiner  fast  halbhundert- 
jährigen Vorstandtschaft  (270 — 226)  in  der  Ausstattung  der  Räume  und 
der  Veranstaltung  von  Symposien  einen  übertriebenen  Luxus,*)  aber  bei 
dem  Mangel  gesicherter  Revenuen  kam  die  Schule  früh  herunter  und  hatte 
in  den  letzten  Zeiten  unserer  Periode  nur  noch  eine  ideelle  Kontinuität. 
In  der  Lehre  hielten  sich  die  Peripatetiker  strenger  an  die  Grundsätze 
ihres  Meisters  und  Stifters;  nur  Straten,  der  Nachfolger  Theophrasts, 
warf  den  reinen,  bewegungslosen  Geist  (vovq)  ganz  über  Bord  und  nahm 
nur  die  Natur  als  schöpferische  Kraft  des  Seienden  an,  wovon  er  den  Bei- 
namen 0  (fvaixog  erhielt.  Im  übrigen  gewann  bei  den  Peripatetikern  die 
Neigung  zur  Spezialisierung  der  Wissenschaft  und  zur  Pflege  der  histori- 
schen  Forschung  immer    mehr   die  Überhand.^)     Wie    keine    der   übrigen 


1)  Siehe  §  291. 

^}  Diog.  4,  30:  (ficc  ro  tisql  Tiävjiov  ine- 
/sip    ovde   ßißliop,  cpuai   riveq,    avveyQcixpEv. 

^1  Grossen  Anklang  fand  allerdings  ge- 
rade bei  den  besten,  willensstarken  Römern 
jenes    Schwanken     zwischen    2    Meinungen 


nicht,  ebensowenig  wie  die  nagado^og  svgs- 
ailoyia  der  skeptischen  Akademiker  bei  dem 
Stoiker  Polybios  12,  26. 

4)  Ath.    547  d    nach    dem    Bericht    des 
Antigonos  Karystios. 

5)  Vgl.  §  309  u.  378-384. 


■ 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,   b)  Philosophie.  (§  371 -372.)    491 


Schulen  hat  die  peripatetische  auch  ausserhalb  Athens  in  Alexandrien  An- 
hänger und  namhafte  Vertreter,  wie  Hermippos  und  Satyros,  gefunden. 

372.  Den  grössten  Einfluss  hatte  unter  den  philosophischen  Schulen 
die  Stoa,  so  benannt  nach  der  mit  Gemälden  des  Polygnot  geschmückten 
Halle  ((TTod  TToixihj),  in  welcher  der  Begründer  der  Schule,  Zenon  von 
Kition  in  Kypern  (um  345 — 265)^)  zu  lehren  pflegte.  Derselbe  war  aus- 
gegangen von  der  Lehre  des  Kynikers  Krates,  hatte  sich  aber  ein  eigenes, 
über  den  beschränkten  Gesichtskreis  der  Kyniker  hinausgehendes  System 
gebildet.  Ein  eigenes  Heim  scheint  er  für  seine  Schule  nicht  gestiftet  zu 
haben.  2)  Unter  seinen  zahlreichen  Schülern  waren  am  berühmtesten  sein 
Landsmann  Persaios,  der  Lehrer  und  Freund  des  Königs  Antigonos  Go- 
natas  von  Makedonien,  Aristo n  von  Chios,  der  populäre  Morallehrer, 
der  von  seiner  einschmeichelnden  Redegabe  den  Beinamen  Sirene  er- 
hielt, Kleanthes  aus  Assos,  Nachfolger  des  Zenon  im  Scholiarchat.  Lit- 
terarischer Begründer  und  Hauptvertreter  der  Stoa  wurde  Chrysippos 
aus  Soloi  in  Kilikien  (um  280  bis  207),^)  der  seinem  Lehrer  Kleanthes 
in  der  Vorstandschaft  der  Schule  folgte  und  in  zahlreichen  Schriften  alle 
Seiten  der  stoischen  Lehre  darstellte.^)  Seinem  Ansehen  und  seiner  Gelehr- 
samkeit gegenüber  traten  die  jüngeren  Stoiker  Diogenes  der  Babylonier 
und  Antipater  von  Tarsos  zurück.  Zu  neuer  Blüte  gelangte  die  Stoa 
durch  Panaitios  (170 — 100), '')  der  in  Rom  mit  den  bedeutendsten  Staats- 
männern seiner  Zeit,  Laelius  und  Scipio  Africanus,  in  vertrautem  Umgang 
lebte  und  dadurch,  dass  er  zwischen  Gut  und  Schlecht  das  Schickliche 
(iTQoarjxov)  einschob  und  überhaupt  sich  gegen  die  Ansichten  anderer  Schulen 
empfänglicher  zeigte,  <^)  die  doktrinäre  Starrheit  der  älteren  Stoa  durch- 
brach. Gegen  Ende  unseres  Zeitraums  nahm  durch  den  Einfluss  der  stoischen 
Pergamener  auch  die  Stoa  eine  Wendung  zur  gelehrten  Polyhistorie.  Haupt- 
vertreter dieser  Richtung  war  Poseidonios,  der  durch  seine  vielseitige 
Gelehrsamkeit  die  Aufmerksamkeit  des  Pompeius  und  Cicero  auf  sich  zog.'') 

Ihre  welthistorische  Bedeutung  und  ihren  Einfluss  auf  die  Zeitgenossen 
verdankte  die  Stoa  der  Strenge  ihrer  sittlichen  Grundsätze  und  dem  kosmo- 
politischen Charakter  ihrer  Lehre.  In  derselben  gingen  sie  von  dem  Ideal 
des  Weisen  aus,  welcher  dadurch,  dass  er  die  Vernunft  zur  Herrschaft 
erhebe  und  nach  ihrer  Weisung  (avyxaTäd^^aig)  die  Affekte  (ncc^rj)  regele, 
das  menschliche  Handeln  in  Einklang  mit  der  Natur  ((pv(ng)  und  der  in 
der  Natur  verbreiteten  Weltvernunft  bringe.     Ausgeprägt   haben  sie  diese 


^)  Über  die  unsichere  Überlieferung  der 
Lebenszeit  s.  Zeller  IIP,  1.  27  f.  In  dem 
Brief  an  Antigonos  (Diog.  YII,  8),  dessen 
Echtheit  Zeller  anzweifelt,  bezeichnet  er  sich 
als  achtzigjährig. 

'^)  Über  seine  Schriften,  von  denen  uns 
nur  triimmerhafte  Reste  erhalten  sind,  s. 
Wachsmuth,  De  Zenone  et  Cleanthe,  Ind. 
Gott.  1874. 

^)  Apollodor  bei  Diog.  7,  184  und  Suidas 
lässt  ihn  73  Jahre  alt  Ol.  143  sterben.  Nach 
Diog.  7,  183  rühmte  man  von  ihm: 

si  (j,i]  yccQ  rjv  XQvatnnog,   ovx  «V  tjy  aroa. 
Von  seinen  Schriften  werde  ich  unten  §  376 


handeln. 

^)  Als  litterarischer  Vertreter  der  Stoa 
erscheint  er  bei  Horatius  sat.  I,  3.  126:  non 
nosti,  quid  pater,  inquit,  Chrysippus  dicat? 

'')  So  bestimmt  die  Zeit  Unger,  Philol. 
41,  625. 

^)  Cic.  de  fin.  IV,  28.  79 :  semper  liabuit 
in  ore  Platonein,  Aristotelem,  Xenocratem, 
Theophrastum,  Dicaearchum.  Vgl.  Zeller 
III  =\  1.  560  fr. 

^)  In  Pergamon  ward  diese  gelehrte 
Richtung  durch  Krates,  in  Rom  durch 
Varro  vertreten. 


492 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


erhabene,  mit  strenger  Konsequenz  durchgeführte  Ethik  in  den  weltberühm- 
ten, wenn  auch  von  Spöttern  teilweise  als  paradox  verschrieenen  Sätzen:  i) 
TsXog  sivai  t6  ofioXoyovfxsvMg  tf  (fvasi  ^rjv  [naturae  convenienter  vivere)  ' 
aya^d  sivai  zag  agszäg,  xaxd  6^  xd  h avTia,  nävxa  xdXXa  dSidcfoqa '  ndvx' 
si  noisTv  Tov  aog)6v,  tov  (focpov  slvm  judrov  TtXovaiov  xal  sXevd^sQOv'^)  %o 
Sixaiov  (fv(f€i  elvai  xal  (xt]  ^sdst'^)  rtdvTag  dvd^QCOTVOvg  sivai  SrjfxoTag  xal 
TToXkag^  6va  Sa  ßiov  xal  xocTf^iov.^)  Daneben  aber  haben  sie  doch  auch  die 
beiden  anderen  Teile  der  Philosophie,  die  Physik  und  Logik,  nicht  ganz 
vernachlässigt.  In  der  ersteren  schlössen  sie  sich  mit  der  Lehre  vom 
Feuer,  aus  dem  die  Welt  mit  Einschluss  des  körperlich  gedachten  Geistes 
entstehe  und  in  das  sie  sich  durch  Ausströmung  (exTivgcoaig)  wieder  auf- 
löse, an  Heraklit  an;  über  ihn  gingen  sie  hinaus  mit  der  pantheistischen 
Annahme  einer  alles  beherrschenden  und  nach  festen  Gesetzen  {xa^'  sißag- 
füsvrjv)  sich  bewegenden  Weltvernunft.  Damit  hängt  der  breite  Raum  zu- 
sammen, den  in  ihrer  Philosophie  die  religiösen  Fragen  über  das  Dasein 
Gottes,  das  Walten  der  göttlichen  Vorsehung,  die  Mantik  und  die  allego- 
rische Auslegung  des  Volksglaubens  einnahmen."')  In  der  Logik  verfolgten 
sie  mit  der  Richtung  auf  positive  Wissensmöglichkeit  die  verschiedenen 
Stufen  des  menschlichen  Erkennens:  die  sinnliche  Wahrnehmung,  die  Vor- 
stellung vermittelst  des  von  der  Seele  erfassten  und  derselben  sich  ein- 
prägenden Bildes  {(favxaaia  xaTahjrmxrj,  comprehensio),  die  allgemeinen, 
teils  von  vornherein  in  dem  Menschengeist  schlummernden  {xoival  evvoiai 
oder  7TQolrjip€ig,  communis  consensiis),  teils  erst  durch  Nachdenken  und 
Schlussfolge  gewonnenen  Gedanken  und  Sätze.  Mit  der  Logik  und  Dia- 
lektik verbanden  sie  das  Studium  der  Grammatik,  indem  sie  die  Wörter 
als  Zeichen  der  Vorstellungen  ansahen.^) 

373.  Den  Gegensatz  zu  den  Stoikern  bildeten  die  Epikureer:  hatten 
sich  jene  an  die  Kyniker  und  Heraklit  angeschlossen,  so  diese  an  die 
kyrenaische  Schule  und  Demokrit,  indem  sie  einerseits  in  ihren  ethischen 
Anschauungen  von  dem  Hedonismus  des  Aristipp  ausgingen,  anderseits  in 
der  Lehre  von  der  Weltentstehung  und  der  durch  Abbilder  der  Dinge 
[imagines)  erregten  Sinneswahrnehmung  die  Atomenlehre  Demokrits  wieder 
aufnahmen;  hatten  jene  die  Lebensaufgabe  in  die  Tugend  und  das  natur- 
gemässe  Leben  gesetzt,  so  fanden  diese  das  Lebensglück  in  der  Lust  {rjSovrj), 
die  sie  von  der  Befriedigung  sinnlicher  Triebe  nicht  trennten;  hatten  jene 


*)  Cicero,  Paradoxa  Stoicorum,  Plutarch, 
^Oti  naQadoHrsQa  ol  ItmixoI  twv  -noirjtMV 
"keyovaiv.  Die  einzelnen  Belegstellen  bei 
Ritter-Pkellek,  Hist.  phil.  c.  413. 415. 420—1. 

2)  Ins  Lächerliche  gezogen  durch  Herein- 
ziehung des  sutor  sapiens  durch  Horaz,  sat. 
T,  3.  124  ff. 

3)  Horaz  sat.  I,  3.  111  stellt  entgegen 
die  Lehre  des  Epikur:  iura  inventa  metu 
iniusti  fateare  necessest,  nee  natura  potest 
iusto  secernere  iniquum. 

^)  Wenn  hervorragende  Stoiker  in  Rom 
Republikaner  waren,  so  kann  man  doch  nicht 
sagen,  dass  die  republikanische  Staatsform 
von  den  Stoikern  gepredigt  wurde  oder  auch 


nur  eine  Konsequenz  ihrer  Lehre  war;  wohl 
aber  hat  der  Epikureismus  mit  der  Verherr- 
lichung des  gemächlichen  Privatlebens  dem 
Despotismus  der  römischen  Kaiserzeit  in  die 
Hände  gearbeitet. 

^)  Näheres  unten  bei  Apollodor,  Hera« 
kleitos,  Cornutus;  vgl.  Zeller  IIP,  1.  309  ff. 

6)  Diog.  7,  41;  Cic.  de  fin.  II,  6.  17; 
Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  401  ff.;  R.  Schmidt, 
Stoicorum  grammatica,  Halle  1839.  Die  4 
Kategorien  der  Stoiker,  x6  vnoxeijueyoy,  rd 
notoy,  ro  rnog  e/ov,  i6  rrgög  n  nujg  h/ov 
scheinen  den  Redeteilen  ovofxa,  nQoarjyoQicc, 
Qfj/ncc,  üvvösoixog  entsprochen  zu  haben. 


I 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  b)  Philosophie.  (§  373—374.)    493 

die  Beteiligung  am  politischen  Leben  als  Pflicht  des  Weisen  hingestellt,  so 
befürchteten  diese  von  den  Geschäften  und  den  Stürmen  des  öffentlichen 
Lebens  eine  Störung  der  Seelenruhe  (araQu^ia);  hatten  jene  der  Ver- 
nunft das  Zepter  in  die  Hand  gegeben  und  die  vernunftgemässe  Weltord- 
nung mit  dem  Gottesbegriff  identificiert,  so  erhoben  diese  gleich  im  Anfang 
ihrer  Kosmogonie  mit  der  Lehre  von  der  Deklination  der  Atome  den  Zu- 
fall oder  die  Tvxt]  zur  herrschenden  Macht  ^)  und  zogen  sich  bezüglich  des 
Gottesglaubens  auf  den  skeptischen  Satz  zurück,  dass  es  entweder  gar 
keine  Götter  gebe  oder  dass  doch  dieselben  sich  um  die  menschlichen  Dinge 
nicht  kümmern.  2)  Im  übrigen  waren  die  Epikureer  wie  die  Stoiker  Dog- 
matiker,  welche  auf  die  Unfehlbarkeit  ihrer  Lehre  pochten  und  ihre  An- 
hänger auf  gewisse  Hauptsätze  gleichsam  verpflichteten,  dabei  in  gleicher 
Weise  der  Ethik  und  den  Fragen  des  praktischen  Handelns  vor  der  theo- 
retischen Forschung  den  entschiedenen  Vorzug  gaben.  Der  tiefere  Grund 
ihres  Unterschiedes  ging  auf  die  Gegensätze  des  heiteren,  menschenfreund- 
lichen, aber  auf  der  Oberfläche  verharrenden  lonismus  und  des  kosmo- 
politischen, von  orientalischen  Elementen  durchtränkten  Hellenismus  zurück. 
Unter  den  Begründern  und  Lehrern  der  Stoa  waren  auffällig  viele  Männer  aus 
dem  Osten,  ihre  Schulen  waren  allwärts  in  den  hellenischen  Reichen  ver- 
treten; der  Epikureismus  hingegen  hatte  seine  eigentliche  Stätte  in  Athen,  er 
reflektierte  die  Feinheit  und  Freiheit  des  attischen  Privatlebens  und  galt  daher 
auch  später  den  Christen  als  der  Inbegriff  des  griechisch-heidnischen  Geistes. 

Begründer  der  epikureischen  Schule  war  Epikur  (341 — 270),  der  zu- 
gleich auch  für  ein  sicheres  Heim  der  Schule  sorgte,  indem  er  in  seinem 
Testament  den  zwischen  der  Stadt  und  der  Akademie  gelegenen  Garten 
(xrJTiog)  seinen  natürlichen  Erben  mit  der  Auflage  vermachte,  denselben 
seinem  Schüler  Hermarchos  und  dessen  Nachfolgern  in  der  Schule  zum 
Gebrauche  zu  überlassen.  Freund  und  Lehrgenosse  des  Epikur  war  Me- 
trodoros  aus  Lampsakos,  der  aber  noch  vor  dem  Tode  des  Stifters  der 
Schule  starb.  Ein  anderer  jüngerer  Genosse,  den  wir  aus  den  Gegen- 
schriften des  Plutarch  näher  kennen, 3)  war  Kolotes  aus  der  gleichen  Stadt, 
der  in  aggressiver  Weise  die  Lehre  des  Meisters  gegen  dessen  Gegner  ver- 
teidigte. Auch  die  epikureische  Lehre  hat  sich  wie  die  stoische  nicht  bloss  nach 
Rom  verbreitet,  wo  sie  an  dem  Dichter  Lucretius  Carus  einen  begeisterten 
Anhänger  fand,  sondern  auch  noch  im  3.  und  4.  Jahrhundert  unserer  Zeit- 
rechnung dem  Ansturm  der  christlichen  Schriftsteller  hartnäckigen  Wider- 
stand geleistet.  Aber  trotz  dieser  langen  Zeit  ihres  Bestehens  hat  die 
epikureische  Philosophie  nur  einen  sehr  geringen  Ausbau  und  fast  gar  keine 
Weiterentwicklung  erfahren;  mehr  wie  die  Stoiker  blieben  die  Epikureer 
einfach  bei  den  kanonischen  Sätzen  ihres  vergötterten  Meisters  stehen. 

374".  Neben  diesen  4  grossen  Schulen  erhielten  sich  noch  aus  früherer 
Zeit  die  Kyniker,^)  die  zwar  keine  geschlossene  Schule  bildeten,  aber  mit 


^)  Damit  hängt  die  immer  mehr  um  sich 
greifende  Verehrung  der  Tv^t]  oder  Fortuna 
zusammen. 

'^)  Im  IG.  und  17.  Jahrhundert  erwach- 
ten wieder  unter  den  philosophisch  angeleg- 
ten    Philologen     die     gleichen     Gegensätze. 


Hauptvertreter  derselben  waren  Lipsius,  Ma- 
nuductio  ad  Stoicam  'pliilosopliiavi,  Ant- 
werpen 1(504.  und  Gassendi,  De  vita  mori' 
bus  et  doctrina  Epicuri,  LB.  1647. 

•')  Vgl.  unten  §  481. 

4)  Siehe  oben  §  278  u.  3G9. 


494 


Griecliische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


ihrer  kernigen  Moral  und  ihrer  drastischen  Sprache  grossen  Einfluss  auf 
die  einfachen  Leute  aus  dem  Volke  übten.  Der  geistreichste  Vertreter  der- 
selben war  Krates,  Zeitgenosse  des  Theophrast,  aus  einem  vornehmen 
Geschlechte  Thebens,  der  den  ererbten  Reichtum  verschmähend  sich  nach 
Athen  wandte,  um  ein  eifriger  Anhänger  des  Kynikers  Diogenes  zu  wer- 
den. ^)  Dabei  besass  er  ebenso  die  Kraft  eindringlicher  Rede  wie  die  Kunst 
poetischen  Spieles.  Von  seinen  beissenden  lamben  und  seinen  Scherzen  in 
fliessenden  Hexametern  (8Trrj)  und  Distichen  ist  uns  noch  mancher  hübsche 
Rest  erhalten.  2)  Die  Echtheit  der  36  meist  ganz  kurzen,  an  Freunde  und 
Freundinnen  gerichteten  Briefe  unterliegt  schweren  Bedenken.^)  Aus  der 
kynischen  Schule  gingen  auch  die  schon  oben  erwähnten  Moralpredigten 
und  witzigen  Satiren  des  Teles,  Bion  und  Menippos  hervor. 

Im  Gegensatz  zu  den  dogmatischen  Schulen  gewannen  schon  in  unserem 
Zeitraum  steigenden  Einfluss  die  S  k  e  p  t  i k  e  r.  Hauptvertreter  des  älteren  Skep- 
tizismus waren  Pyrrhon  aus  Elis  (um  365 — 275)  und  Timon  der  Sillograph 
aus  Phlius,  welche  beide  zugleich  in  dem  Verzicht  auf  sicheres  Wissen  eine 
Quelle  der  Gemütsruhe  und  Glückseligkeit  fanden.  Neuen  Aufschwung  nahm 
die  Opposition  gegen  die  von  den  Stoikern  ebenso  wie  von  den  Epikureern 
vorausgesetzte  Möglichkeit  sicheren  Wissens  durch  Ainesidemos  aus  dem 
kretischen  Knossos,  der  in  der  Zeit  Ciceros  lebte  und  dessen  Einwände 
sich  der  jüdische  Philosoph  Philon  in  der  Schrift  über  die  Trunkenheit 
(rtsQi  (i&d^rjg)  c.  41 — 48  aneignete.^) 

375.  Die  Zahl  der  Philosophen  unserer  Periode  war  gross,  ihr  Ein- 
fluss auf  das  geistige  Leben  der  Zeit  hochbedeutsam;  auch  ihre  Systeme 
lassen  sich  noch  ziemlich  vollständig  rekonstruieren,  aber  in  der  Litteratur- 
geschichte können  sie  keinen  bedeutenden  Platz  beanspruchen.  Viele  der- 
selben waren  geradezu  illiterati;  Diogenes  prooem.  16  hebt  insbesondere 
von  Stilpon  aus  Megara,  Pyrrhon  aus  Elis,  Menedemos  aus  Eretria  und 
Karneades  dem  Akademiker  hervor,  dass  sie  nichts  geschrieben  haben.  Von 
dem  Stoiker  Ariston  hielt  man  nur  einige  Briefe  für  echt;  von  dem  Kyniker 
Diogenes  zählt  zwar  Diogenes  6,  80  mehrere  Schriften  auf,  fügt  aber  hinzu, 
dass  die  bedeutendsten  Kritiker  dieselben  entweder  alle  oder  zum  grössten 
Teil  für  unecht  erklärten.  Diese  alle  haben  also  in  einer  Geschichte  der 
litterae  keine  Stelle.  Aber  auch  diejenigen,  welche  ihre  Lehre  in  Schriften 
niederlegten,  und  darunter  waren  einige,  wie  der  Stoiker  Chrysippos,  die 
sehr  viel  schrieben,  und  andere,  wie  der  stoische  Eklektiker  Panaitios,  die 
durch  glänzende  Darstellungsgabe  hervorragten,  kommen  hier  wenig  in 
Betracht,  teils  weil  ihre  Schriften,  wie  die  der  meisten  Peripatetiker,  auf 
einem  anderen  Gebiete  liegen,  teils  und  hauptsächlich  weil  sich  von  ihnen 
fast  so  gut  wie  nichts  erhalten  hat.  Ich  begnüge  mich  daher  im  Folgenden 
damit,  die  wenigen  Philosophen  zu  besprechen,  von  denen  ganze  Bücher  oder 
doch  erhebliche  Bruchstücke  auf  uns  gekommen  sind. 


')  Diog.  Laert.  VI,  85-93. 
2)  Bergk    PLG.      Vielverbreitet    waren 
nach  Diogenes  die  witzigen  Verse: 
TLx^si  ^((ys'iQix)  fxväg  dtx\    iccTQÖ)  ^Qa/fi-^v, 
xoXaxL  rdlapTci  nivTE,  avfißovXio  xunyoy, 
loQyr]  raXcivrov,  cpiXoaocpio  TQiuißolov. 


^)  Angeführt  sind  die  Briefe  schon  bei 
Diog.  VI,  98,  der  auch  Tragödien  von  ihm 
anführt;  Ausgabe  in  Hercher  Epist.  gr. 
208—217. 

^)  Siehe  v.  Arnim,  Philo  und  Aenesidem, 
in  Phil.  Unt.  H.  11,  S.  53-100. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,    b)  Philosophie.  (§  375.)      495 


Theophrastos  (um  372 — 287)^)  aus  Eresos  in  Lesbos,  ward  nach 
seines  Lehrers  Aristoteles  Tod  Vorsteher  der  peripatetischen  Schule  (322 
bis  287), 2)  die  unter  seiner  34jährigen  Leitung  zu  grosser  Blüte  gelangte. 
Die  Blüte  der  Schule  war  wesentlich  das  Werk  ihres  Vorstandes,  der  bei 
der  Bürgerschaft  Athens  sowohl  als  bei  den  auswärtigen  Fürsten  Kassander 
und  Ptolemaios  in  hoher  Achtung  stund.  Seinem  Ansehen  ward  die  An- 
nullierung des  Gesetzes  des  Sophokles  (306/5)  verdankt,  das  unter  Androh- 
ung von  Todesstrafe  die  Errichtung  und  Leitung  einer  Philosophenschule 
von  der  Genehmigung  des  Senates  und  Volkes  abhängig  machte. 3)  In  der 
Lehre  trat  Theophrast  genau  in  die  Fusstapfen  seines  Meisters;  er  hielt 
wie  jener  Vorträge  über  Philosophie,  Naturlehre  und  Rhetorik^)  und  gab 
auch  den  meisten  seiner  Schriften  den  gleichen  Titel, ^)  wie  'Avalvrixa, 
Tomxd,  (J^vaixd,  Msracfvaixd^  IIoXiTixd,  Jlgoßkrj^aaTa,  offenbar  weil  seine 
Vorlesungskurse  die  gleichen  waren  und  seine  Schriften  ebenso  wie  die  des 
Aristoteles  zum  grossen  Teil  die  Bedeutung  von  Kollegienheften  hatten. 
Die  Kunst  anziehender  populärer  Darstellung  zeigte  er  in  den  ethischen 
Schriften  ttsqI  evSaifxoviag,  KaXXia^svrjg  r]  ttsqI  jr&v^ovg,  ttsqI  (fikiag  u.  a., 
in  denen  er  von  der  Strenge  rigoroser  Tugendlehre  abging  und  auch  den 
höheren  Lebensgenüssen  ihr  Recht  Hess;  aus  seinem  Kallisthenes  erwähnt 
Cicero  Tusc.  V,  9  den  Ausspruch:  vitam  regit  fortmia  non  sapienüa.  Er- 
halten sind  uns  von  ihm: 

TleQl  (fVTCüv  latoQiag  9  B.  und  ttsqI  (fVTMv  ahiMv  6  B.  Die  beiden 
Werke  unterscheiden  sich  in  ähnlicher  Weise  voneinander,  wie  die  be- 
schreibenden und  spekulativen  Bücher  des  Aristoteles  über  Tiergeschichte;*^) 
während  aber  in  der  Tiergeschichte  das  Ansehen  des  Aristoteles  sich  auch 
nach  seinem  Tode  ungeschmälert  erhielt,  ward  er  in  dem  Gebiete  der 
Pflanzenkunde  von  seinem  Schüler  in  Schatten  gestellt,  so  dass  des  letz- 
teren Schriften  über  Botanik  sich  erhalten  haben,  die  des  erster en  früh 
verschollen  sind.'') 


0  Diog.  V,  36—57.  99  Jahre  erreichte 
er  nach  dem  Proömium  der  XaQaxirJQsg,  an 
welcher  Angabe  Meier,  Opusc.  II,  193  fest- 
hält. Wir  halten  uns  an  Diog.  V,  40  u.  58, 
der  ihn  85  Jahre  alt  werden  und  Ol.  123 
gestorben  sein  lässt. 

'^)  Die  Anekdote  über  seine  Wahl  siehe 


^)  Diog.  V,  38:  locpoxh'ovg  rov  ^Jfxcfi- 
xXsUfov  po^ov  siGsvsyxoPTog,  fxt]^eva  nJÜv 
(piXoGocpcop  a^oh^jq  dcpriysToxhai,  uy  fxrj  rrj 
ßovXfj  xal  IM  dijfxu)  do^p  .  sl  de  fxrj,  d^ävatov 
Bivca  T?;V  ^rj^lcip  ....  top  vofxov  fxsy  lixvQov 
tnoh]aciy  ^A&rjvaloi,  jou  de  locpoxlea  nevze 
rccXdpToig  iCrjf^icDacty  xitd^odop  T£  toTg  cpiXo- 
Gocpoig  expYjfpiaciVTo,  i'ya  xal  &e6(pQa(Trog  xa- 
riXS^oi  xal  ev  roTg  o/noloLg  eh]. 

^)  Unter  den  Schriften  des  Theophrast 
befand  sich  auch  eine  negl  QrjTOQixrjg  und 
neQi  Xt'^e(x)g,  s.  M.  Schmidt,  De  Theophrasto 
rhetore,  Halle  1839.  Von  der  göttlichen 
Kunst  seiner  Rede  soll  er  auch  den  Namen 
&e6(pQa(nog  erhalten  haben,  während  er  von 


Hause  aus  den  unverständlichen  Namen 
TvQxa^og  hatte;  s.  Cic.  Orat.  19,  62;  Quint. 
XI,  83;  Strabon  XIII  p.  618.  Dinarch  und 
Demetrios  aus  Phaleron  werden  Schüler  des 
Theophrast  genannt,  so  dass  er  wie  Aristo- 
teles früh  mit  rhetorischen  Vorträgen  hervor- 
getreten sein  muss. 

^)  Das  Verzeichnis  der  Schriften  bei 
Diog.  V,  42 — 50;  dasselbe  rührt  wahrschein- 
lich von  Hermippos  her,  neben  dem  noch 
ein  zweites  von  Andronikos  existierte,  wie 
das  Scholion  am  Schluss  der  Metaphysik 
des  Theophrast  lehrt.  Das  erhaltene  Ver- 
zeichnis ist  zerlegt  und  mit  den  anderen  Zeug- 
nissen zusammengestellt  von  Usener,  Anal. 
Theophrastea,  Lips.  1858  und  Rh.  M.  16, 
259  ff.  u.  470  ff. 

6)  Siehe  oben  §  300. 

"')  OsK.  Richter,  Die  botanischen  Schrif- 
ten des  Theophrast,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl. 
VII,  449—539  nimmt  die  Exaktheit  der  Be- 
obachtungen Theophrasts  in  Schutz. 


496 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


IlsQi  Xi^cov,  Fragment  eines  grösseren  Werkes  über  Mineralogie,  das 
speziell  von  den  geschnittenen  Steinen  handelt  und  für  unsere  Kenntnis  von 
der  Steinbearbeitung  der  Alten  von  hervorragender  Bedeutung  ist.^) 

XagaxTTjQsg,  kurze  Charakterschilderungen,  die  ins  Gebiet  der  Ethik, 
zugleich  aber  auch  in  das  der  Poetik  einschlagen.  Das  grosse  Interesse, 
das  von  jeher  dieses  Büchlein  erweckte,  gründet  sich  darauf,  dass  Theo- 
phrast,  der  Freund  des  Menander,  seine  feinen  Charakterzeichnungen  nicht 
nach  dem  Leben,  sondern  nach  der  Bühne  oder  neuen  Komödie  entwarf, 
so  dass  dieselben,  wie  zuerst  Casaubonus  in  seinem  berühmten  Kommentar 
der  Schrift  dargethan  hat  (1592),  für  das  Verständnis  der  neuen  attischen 
Komödien,  sowie  des  Plautus  und  Terenz  von  hoher  Bedeutung  sind. 2) 
Nach  dem  Proömium  hätte  Theophrast  ausser  unserem  Büchlein,  das  lauter 
lächerliche  oder  tadelnswerte  Charaktere  enthält,  auch  noch  in  einem  zweiten 
Buch  von  den  guten  Eigenschaften  gehandelt;  aber  die  Echtheit  des  Pro- 
ömiums  unterliegt  trotz  der  Verteidigungsversuche  Meiers,  Opusc.  II,  190  ff., 
den  schwersten  Bedenken.  Das  Büchlein  selbst  liegt  uns  in  einer  wenig 
geordneten  Fassung  vor  und  scheint  überdies  in  dem  ersteren  Teil  uns  nur 
auszugsweise  erhalten  zu  sein. 3) 

IIsqI  ala&i]as(x)v  xal  aia^ijrm',  ein  Bruchstück  aus  der  Geschichte  der 
Physik  {^vaixMv  So^ai),  das  uns  eine  Vorstellung  von  der  Methode  des 
Theophrast  gibt,  der  ähnlich,  nur  einlässiger  wie  Aristoteles  seiner  eigenen 
Lehre  einen  historischen  Abriss  der  Entwicklung  der  betreffenden  Disziplin 
und  eine  Kritik  der  früheren  Systeme  vorausschickte.^)  Im  Zusammen- 
hang mit  unserem  Fragment  steht  die  Metaphrase  des  Neuplatonikers  Pris- 
cian  t:mv  Osocfgac^Tov  negl  al(T^rja£oog  xal  (pavTaaiag..^) 

MeTa^vaixd,  Bruchstück  der  Metaphysik,  welches  die  Aporien  bezüg- 
lich der  obersten  Gründe  des  Seins  enthält  und  somit  auf  einer  Linie  mit 
dem  2.  Buche  der  aristotelischen  Metaphysik  steht.  Dasselbe  ist  von  Brandis 
zusammen  mit  der  Metaphysik  des  Aristoteles  (Berl.  1823)  herausgegeben 
worden. 

Ausserdem  sind  noch  viele  kleinere  Fragmente  von  verschiedenem 
Inhalt,  wie  Tregl  uvQÖg,  tusqI  odfucov,  ttsqI  arsf^iMV,  ttsqI  (Srji^isioijv  vSdrcov  xal 
nvsvixccTwv  xal  yf^siimvoav  xal  avöiwv,^)  ttsqI  xottmv,  ttsqI  ISqcotcov,  tvsqI 
X6i7ioipv%iag,  auf  uns  gekommen.  Aus  den  ^vaixal  öö'^ai  haben  viele  Sätze 
ihren  Weg  zu  den  Doxographen  gefunden;  ebenso  ist  aus  den  historischen 
Vorstudien  zur  Politik  [rcokiTixa  rd  rrgog  rovg  xaiQovg  4  B.,  vo^oi  und 
vöiiiixa  ßaqßaqixd)  vieles   auf  die   Späteren,    namentlich   Plutarch   überge- 


')  Über  den  xvctpog  dieser  Schrift  siehe 
Helbig,  Hom.  Ep.  79  ff. 

2)  Verwandten  Inhalts  war  die  Schrift 
718QI  xm^oi^iag,  von  der  ein  Bruchstück  bei 
Ath.  261  d. 

^)  Erhalten  sind  c.  1  —  15  in  den  alten 
Pariser  Codd.  J  u.  B,  c.  16  —  30  vollständig 
nur  im  Palatino-Vaticanus,  und  Exzerpte  in 
anderen  Codd.,  wie  dem  Monac.  Vgl.  Gom- 
PERZ,  Über  die  Charaktere  Theophrast's,  Stzb. 
d.  Wien.  Ak.  1888,  dagegen  Ribbeck,  Rh. 
M.  44  (1880)  S.  305  ff. 


*)  UsENER,  Anal.  Theophr.  27  f.;  Diels, 
Doxogr.  graec.  p.  91  ff. 

^)  Prisciani  Lydi  quae  exiant  ed.  By- 
WATER  in  Suppl.  Aristot.  I,  2,  Berl.  1886. 
Die  4>va(y.ior  ifo^cci  selbst  reichten  bis  auf 
Sokrates  und  hatten  16  B.,  woneben  Dio- 
genes eine  Epitome  in  1  Buch  anführt. 

^)  Über  dieses  aus  Theophrast  und  Eu- 
doxos  gezogene  Exzerpt,  das  eine  Quelle 
des  Arat  war  (s.  S.  385),  handelt  lo.  Boehme, 
De  Theophrasti  quae  feruntur  tisqI  a7;ijeUoy 
excerptis,  Hamburg  1884. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,   b)  Philosophie.  (§  376—377.)     497 


gangen ;  i)  in  ähnlicher  Weise  lebte  bei  den  frommen  Schriftstellern  der 
Kaiserzeit,  insbesondere  dem  Neuplatoniker  Porphyrios  wieder  das  An- 
denken an  Theophrasts  Schrift  von  der  Frömmigkeit  (ttsqI  svasßsiag)  auf.  2) 
Ausg.:  ed.  princ.  Venet.  1497;  vermehrte  Ausg.  von  I.  G.  Schneider,  Lips.  1818; 
kritische  Textausg.  von  Wimmer  in  Bibl.  Teubn.  1862  und  Paris  1866.  —  Spezialausg.  der 
XciQaxrrJQEg  mit  Kommentar  von  Casaübonus,  LB.  1592;  von  Koraes,  Par.  1799;  von 
Petersen,  Lips.  1859;  von  Ussing,  Haun.  1868;  von  Jebb,  Lond.;  dazu  M.  H.  E.  Meier,  Oow- 
mentationes  Theophrasteae  V,  in  Opusc.  II.  190—262;  s.  oben  §  202  An.  —  Diels,  Theo- 
pJirastea,    Berl.   Progr.  1883  über  die  handschriftliche  Überlieferung. 

376.  Schriften  der  Stoiker.  Die  Schriften  der  Stoa,  so  zahlreich 
sie  waren,  sind  doch  früh  aus  den  Bibliotheken  und  dem  Buch  verkehr  ver- 
schwunden;^) daran  war  wesentlich  das  verhältnismässig  frühe  Verschwin- 
den der  stoischen  Philosophen  von  dem  Schauplatz  der  Weltgeschichte  und 
der  Mangel  an  klassischen,  auch  in  der  Form  vollendeten  Werken  der 
Stoa  schuld.  Durch  die  Chrestomathie  des  Stobaios  ist  uns  von  Klean- 
thes  ein  Hymnus  auf  Zeus  erhalten.^)  —  Von  dem  betriebsamen  und 
schreibseligen  Chrysippos  sind  nur  Fragmente  und  Nachahmungen  auf 
uns  gekommen.^)  Die  Schriftstellerei  desselben  betraf  nicht  bloss  die 
3  Teile  der  eigentlichen  Philosophie,  Logik,  Physik,  Ethik,  sondern  auch 
die  Grammatik  und  Dichtererklärung.  Viele  Stellen  aus  seinen  Werken 
hat  Plutarch  in  seine  gegen  die  Lehre  der  Stoa  gerichteten  Bücher  tvsqI 
Tcov  xoivoov  svvoiMv  uud  ttsqI  ^tcjoixmv  svttVTicofiaTMv  wörtlich  herüber- 
genommen; das  gefeierte  Buch  über  die  Vorsehung  {tvsqI  nqovoiag)  ist 
später  von  Aelian  in  seinem  gleichnamigen,  freilich  gleichfalls  nur  bruch- 
stückweise erhaltenen  Buche  stark  benützt  worden;  mit  besonderer  Aner- 
kennung erwähnt  wiederholt  Athenaios  im  Sophistenmahl  das  anziehende 
Buch  tisqI  xaXov  xal  rj6ovrjg,  —  Panaitios,  der  Freund  des  Laelius,  war  der 
Verfasser  des  berühmten  Werkes  ttsqI  tov  xad^rjxovrog,  das  Cicero  seinen 
3  Büchern  de  officiis  zu  gründe  legte.  —  Über  Poseidonios  habe  ich,  da  sein 
Schwergewicht  in  ein  anderes  Gebiet  fällt,  bereits  oben  §  367  unter  den 
Historikern  gehandelt;  ebenso  werde  ich  auf  Apollodor  und  sein  Buch  Ttfgl 
&6MV  in  anderem  Zusammenhang  zurückkommen.  Von  der  jüngeren  Ent- 
wicklung der  stoischen  Lehre  steht  vieles  in  den  Schriften  des  alexandrini- 
schen  Juden  Philo,   was  an   seiner  Stelle  zur  Besprechung  kommen  wird. 

377.  Epikuros  (341— 2 70) 6)  stammte  aus  dem  attischen  Demos 
Gargettos,  verlebte  aber  seine  Jugend  in  Samos,  wohin  sein  Vater  als 
Kleruche  gegangen  war.  Der  Vater  war  einfacher  Schulmeister  [ygaf^if^aTO' 
SiddaxaXog)  in  Samos;  der  Sohn  trat  als  höherer  Lehrer  anfangs  in  Myti- 


^)  DüMMLER,  Zu  den  historischen  Ar- 
beiten der  ältesten  Peripatetiker,  Rh,  M.  42, 
179  ff. 

2)  Jak.  Bernays,  Theophrastos  Schrift 
über  Frömmigkeit,  ein  Beitrag  zur  Religions- 
geschichte, Berl.  1866. 

^)  Simplicius  in  ^Arist.  categ.  49  ^  16: 
TTKQCi  rolg  2Yft>txor?,  loy  i(p^  rjfXiou  xal  r]  61- 
(^ccaxaXlcc  xcd  rd  nXeiffrct  xixiv  avyyQa^^ccroii/ 
ini'kt'koLnBv. 

')  Vgl.  oben  §  340. 

^)  Baguet,  De  Chrysippi  vita  doctvina 
et  reliquiis,  Annal.  Lovan.  IV,  1822;  Gkrcke, 
Handbuch  der  klass.  Altertumswissenschaft.  VII.    2. 


Chrysippea,  in  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIV, 
649—780  gibt  die  Fragmente  von  tieql  tiqo- 
voiaq  u.  nsQL  elfxciqfiEvrjg.  Der  Schriften 
waren  so  viele,  dass  dem  Abschreiber  des 
Diogenes  die  Geduld  ausging  und  er  den 
Schlussteil  des  Bücherkataloges  des  Chry- 
sippos wegliess.  Sein  ausdrucksvoller  Kopf 
auf  einer  Münze  von  Pompeiopolis  oder  Soli;  s. 
BüRCHNER,  Griechische  Münzen  mit  Bildnissen 
historischer  Privatpersonen,  Zeitschr.  f.  Nu- 
mism.  9,  127  tab.  IV,  13. 

^)  Diog.  X  und  ein  Artikel  des  Suidas; 
vgl.  UsENER,  Epicurea  p.  404  f. 
Aufl.  32 


498 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


lene  und  Lampsakos,  seit  306  in  Athen  auf,  wo  er  eine  eigene  Schule 
gründete.  In  der  Philosophie  war  er  von  Demokrit  ausgegangen,  in  dessen 
Weisheit  ihn  der  Demokriteer  Nausiphanes  eingeführt  hatte.  Sein  eigenes 
philosophisches  System  entwickelte  er  in  zahlreichen  Schriften;  man  hatte 
an  300  Rollen  von  ihm.^)  Stilistische  Vollendung  und  sorgfältige  Durch- 
arbeitung wurde  keiner  derselben  nachgerühmt; 2)  Epikur  schrieb  eben  zu 
rasch  und  zu  viel.  Die  hauptsächlichsten  seiner  Schriften  zählt  Diogenes 
X,  27  auf;  obenan  stund  das  Werk  nsql  (fvascog  in  37  B.,  von  welchem 
uns  nicht  unbedeutende  Bruchstücke  durch  die  herkulanischen  Rollen  aus 
der  Bibliothek  eines  Epikureers  erhalten  sind.^)  Ausserdem  haben  wir  von 
Epikur  3  grössere  Briefe  an  Herodotos,  Pythokles,^)  Menoikeus,  die  uns 
Diogenes  im  10.  B.  zusammen  mit  mehreren  Sätzen  der  nvqiai  So^ai  über- 
liefert hat.^)     Epicurea  ed.  Usener,  Lips.  1887. 

Durch  die  herkulanischen  Rollen  sind  uns  ausserdem  von  epikureischen 
Schriften  bekannt  geworden  das  Büchlein  TieQi  aXoyov  xaTa(fQovrj<T€(üg  des 
Poly Stratos  (die  Reste  entziffert  von  Gomperz,  Herm.  11,  398  ff.)  und 
mehrere,  teils  philosophische,  teils  rhetorische  Abhandlungen  des  Philo- 
demos  aus  Gadara.  Der  letztere,  Hausfreund  des  Piso  (Konsul  58  v.  Chr.), 
war  früher  schon  durch  Cicero  bekannt,  der  ihn  de  fin.  II,  35  doctissimimi 
viruni  nennt  und  in  der  Rede  gegen  Piso  c.  29  von  ihm  rühmt,  dass  er 
ein  Mann  sei  non  philosoplüa  solurn,  sed  etiam  ceteris  studiis^  qiiae  fere  Epi- 
cureos  ncgiegere  dicunt^  perpoUtus.^)  In  unserer  Zeit  sind  von  ihm  aus  der 
Bibliothek  eines  Epikureers  in  Herculanum  eine  Reihe  von  Büchern,  wenn 
auch  meist  nur  bruchstückweise  ans  Licht  gezogen  worden,  die  unsere 
Kenntnis  der  epikureischen  Philosophie  bereichert,  den  Ruhm  ihres  Ver- 
fassers aber  gerade  nicht  besonders  erhöht  haben.  Das  interessanteste  der- 
selben ist  das  Buch  ttsqI  evaeßsiag,  das  inhaltlich  mit  Cicero  de  nat.  deor. 
I,  10.  25  —  15.  41  übereinstimmt,  und  das  man  früher,  verleitet  durch 
Cic.  ep.  ad.  Attic.  XIII,  39  und  auf  grund  falscher  Lesung  des  verblichenen 
Titels  für  das  Werk  des  Epikureers  Phaidros  ttsqI  d^suyv  ausgegeben  hatte. '^) 
Ausserdem  kamen  von  ihm  allerlei  Kleinigkeiten  von  Schriften  über  Ethik, '^) 


')  Diog.  X,  26, 

2)  Cic.  de  nat.  deor.  T,  26;  Sext.  Empir. 
adv.  math.  I,  1. 

2)  Epicuri  fragm.  de  natura  ex  t.  II 
vol.  Herc.  ed.  Orelli,  Lips,  1818;  Gomperz, 
Neue  Bruchstücke  Epikurs,  Sitzb,  d.  Wien, 
Ak.  1876,  S.  87  ff.;  Herrn,  V,  386  ff.;  Wien, 
Stud,  I,  27  ff.;  CoMPARETTi,  Framm.  ined. 
di  Epicuro,  Riv.  di  phil.  VII,  401  ff,  und 
Mus.  di  ant.  I,  67  ff.,  angeblich  aus  der 
ethischen  Schrift  nsgi  alQeascov  xcd  cpvy<oy, 
was  UsENER,  Epicurea  p,  LI  zweifelhaft 
macht.  Unlängst  wurden  neue  Funde  von 
Epicurea  in  der  Vaticana  gemacht, 

^)  Nach  Usener's  Nachweisen  p,  XXXIX 
ist  dieser  2.  Brief  unecht  und  aus  Epikurs 
Büchern  tisql  cpvaeoig  kompiliert, 

^)  Über  Auszüge  aus  den  vielgelesenen 
Briefen  Epikurs  haben  wir  eine  Notiz  in  den 
Hercul.  vol.  bei  Usener  p.  132,  1.  Unter 
den  Briefen  Epikurs  M'ar  auch  einer  an  seinen 


Landsmann  Idomeneus  aus  Lampsakos  ge- 
richtet (Diog.  X,  22),  von  dessen  historischen 
Schriften  tieqI  ziop  ItoxQatixuJy  und  nsgl 
(^t]fxayioy(Sv  Müller  FHG.  II,  489—494  die 
Fragmente  gesammelt  hat, 

^)  Von  seinem  Ansehen  zeugt  auch 
Horaz  Sat.  I,  2,  121, 

^)  Phaedri  Epicurei  de  nat.  deor.  fragm. 
ed.  Petersen.  Hamb,  1833;  L.  Spengel,  Abh. 
d.  b.  Ak.X,  127-67;  Gomperz,  Herkulanische 
Studien,  Leipz.  1866,  Den  Phaidros  hält  für 
die  gemeinsame  Quelle  des  Cicero  und  Philo- 
demos  Diels,  Doxogr.  graec.  121  ff. 

^)  Fhüodemi  7T€qI  jcccxkoi^  lib,  X  ed,  H, 
Sauppe,  Lips.  1853;  neuerdings  herausgeg. 
von  UssiNG  in  der  Ausgabe  von  Theophrasts 
Charakteren,  Haun.  1868;  Philod.  negl  oQyijg 
ed,  Gomperz,  Lips.  1864;  Philod,  ttsqI  &ai'(i- 
Tov  lib.  quart.  ed,  Mekler,  in  Stzb.  d.  Wien. 
Ak.  1.-85  (B.  110)  S.  305-54. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,   c)  Gelehrte  Litteratur,  (§  378,)    490 


Oekonomik,^)  Rhetorik, 2)  Musik, 3)  Dichtkunst,-^)  Homer, ^)  sowie  von  einem 
Abriss  über  die  Philosophenschulen  und  ihre  Lehrsätze^)  zum  Vorschein. 
Über  seine  Epigramme  s.  §  404.  —  Dem  Kirchenvater  Eusebios  verdanken 
wir  mehrere  Abschnitte  aus  den  Schriften  des  Epikureers  Diogenianos, 
eines  heftigen  Gegners  des  Stoa,  gesammelt  von  Gercke,  Jhrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XIV,  748-55.7) 

Kebes  nennt  sich  der  Verfasser  eines  früher  viel  gelesenen  Buches, 
TTiva^  oder  Gemälde  betitelt,  das  eine  allegorische  Darstellung  des  Lebens 
im  platonisch-pythagoreischen  Geiste  gibt.^)  Dem  Verfasser  desselben 
werden  von  Suidas  auch  noch  zwei  Dialoge  ^EßSoixrj  und  ^qvvixog  zu- 
gewiesen. Dass  derselbe  nicht  mit  dem  Sokratiker  Kebes  aus  Theben 
identisch  sei,  zeigt  schon  die  Erwähnung  der  Peripatetiker  in  dem  Pinax 
c.  13.  Auf  der  anderen  Seite  muss  derselbe  geraume  Zeit  vor  Lukian  ge- 
lebt haben,  da  derselbe,  Rhet.  praec.  6  und  De  merc.  cond.  42  von  Kebes 
als  einem  allgemein  bekannten  Autor  spricht.  Ein  Kyniker  Kebes  aus 
Kyzikus  wird  von  Athenaios  p.  156d  erwähnt;  ob  derselbe  aber  mit  dem 
Verfasser  unseres  Büchleins  identisch  sei,  dafür  fehlen  bestimmte  Anzeichen.^) 
Eher  hat  ein  anonymer  Autor  aus  dem  1.  Jahrh.  n.  Chr.  nur  die  Maske 
des  aus  Piaton  allbekannten  Kebes  aus  Theben  angenommen.  ^<^) 

c.  Grammatische  und  g-elehrte  Litteratur. 

378.  Dem  Charakter  unserer  Periode  entsprechend  stand  die  gelehrte 
Litteratur  im  Vordergrund  der  litterarischen  Thätigkeit.  Von  dieser  werde 
ich  diejenigen  Werke,  welche  den  Fachwissenschaften,  Mathematik,  Astro- 
nomie, Medizin  angehören,  einem  eigenen  Abschnitt  am  Schlüsse  des  Werkes 
vorbehalten  und  hier  nur  das  behandeln,  was  dem  Gebiete  der  Grammatik 
angehört.  Damit  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  dass  den  Grammatikern  die 
erste  und  massgebende  Stelle  unter  den  Gelehrten  unserer  Periode  gebühre. 
Umgekehrt  sind  die  grössten  Entdeckungen  und  die  wertvollsten  Arbeiten 
an  die  Namen  eines  Euklid,  Hipparch,  Archimedes  geknüpft,  und  verdanken 
unter  den  Grammatikern  mehrere  der  bedeutendsten,  wie  Eratosthenes  und 
Apollodor,  den  Ruhm  bei  der  Nachwelt  nicht  ihren  grammatischen  Schriften, 
sondern  ihren  Untersuchungen  über  Erdvermessung  und  Chronologie.^^)  Aber 


^)  Mit  Aristoteles  Oekonomik  heraus- 
gegeben von  GöTTLiNG  1830;  mit  dem  10.  B. 
TiEQi  y.axiojp  von  Härtung,  Leipz.  1857. 

2j  Herausgegeben  von  L.  Spengel  in 
Abb.  d.  b.  Ak.  t.  HI. 

^)  Ed.  Kempke  in  Bibl.  Teub.  1884. 

^)  Philod.  negl  noirjfMccKoy  ed.  Dübner, 
Paris  1840;  Philippson,  De  PMlodemi  lihro 
qid  est  ttsqI  arjfxeiwy  xal  arjfiecujGscoy,  Berol. 
1881 ;  das  2.  Buch  hergestellt  von  Hausrath, 
Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XVII,  213—76. 

^)  Vgl.  §  38. 

^)  Diog.  X,  3:  4>tX6df]fxog  6  'EmxovQeiog 
iy  TW  &6X(hio  Tfjg  rwp  (piXoffocftoi'  avPTcc^so)?. 
\  Das  Verzeichnis  der  Akademiker  aus  den 
Herkul.  Rollen  publizierte  Bücheler,  Ind. 
Gryph.  1869/70,  das  der  Stoiker  Comparetti, 
Riv.  di  philol.  Ill;  vgl.  Wilamowitz,  Phil. 
Unt.  IV,  109. 


')  Über  andere  Epikureer,  wie  Kolotes, 
Hermarchos,  Metrodoros,  Karneiskos,  von 
deren  Schriften  uns  Fetzen  in  den  herkula- 
nischen  Rollen  erhalten  sind,  siehe  den 
sorgfältigen  Index  von  Usener,  Epicurea 
am  Schluss. 

^)  Neueste  Ausg.  von  Fr.  Kraus,  Wien 
1882. 

^)  Diesen  Kebes  nimmt  Sittl,  Gr.  Litt. 
11,  276  als  Verfasser  an. 

^^)  C.  Praechter,  Cebeiis  tabula  quanam 
aetate  conscripta  esse  videatur,  Marb.  1885. 
Von  der  Beliebtheit  des  Büchleins  zeugt  ein 
Relieffragment,  nach  einem  Berliner  Kupfer- 
stich herausgegeben  von  K.  Müller,  Archäol. 
Zeitung  1884  S.  115  if. 

^^)  Mit  Recht  klagt  Danaldson,  Hist.  of. 
gr.  lit.  1,  335:  ü  is  only  to  he  rcgretted, 
that  ive  have  so  often  saved  from  the  ruins 

32* 


500 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


in  dem  Plane  dieses  Werkes  liegt  es,  dass  von  den  Mathematikern  unserer 
Periode  erst  weiter  unten  im  Zusammenhang  mit  verwandten  Erscheinungen 
gehandelt  wird. 

Unter  Grammatik  verstand  man  im  Altertum  nicht  bloss  die  sprach- 
liche Analyse  und  Texteskritik,  sondern  auch  die  taroQia  oder  die  Unter- 
suchung über  die  Mythen  und  sachlichen  Verhältnisse.')  Beide  Rich- 
tungen der  philologischen  Thätigkeit  hingen  in  Alexandria  auf  das 
engste  zusammen,  indem  einerseits  bei  dem  Studium  der  Autoren  die 
Kritik  der  Lesarten  und  die  Erklärung  der  sachlichen  Beziehungen  in  glei- 
cher Weise  berücksichtigt  und  anderseits  auch  die  von  der  Texteserklärung 
losgelöste,  selbständige  Behandlung  von  Fragen  der  Mythologie,  Staats- 
altertümer, Topographie,  Litteratur-  und  Kulturgeschichte  von  den  Gelehrten 
in  den  Kreis  ihrer  Studien  gezogen  wurde.  Es  waren  aber  nicht  die 
Grammatiker  allein,  welche  sich  mit  der  grammatischen  Erudition  in  diesem 
weiten  Umfange  abgaben,  auch  viele,  die  sich  Philosophen  nannten  und 
einer  philosophischen  Schule  angehörten,  beschäftigten  sich  mit  den  Auf- 
gaben der  Gelehrsamkeit.  Insbesondere  waren  es  die  Peripatetiker,  welche 
von  ihrem  Lehrmeister  Aristoteles  die  Richtung  auf  die  historische  und  ge- 
lehrte Forschung  ererbt  hatten.  Die  Thätigkeit  auf  dem  Felde  der  sprach- 
lichen und  historischen  Grammatik  war  ebenso  emsig  als  erfolgreich;  nicht 
bloss  die  Schätze  der  Bibliothek  wurden  auf  das  eifrigste  von  den  Gelehrten 
ausgebeutet,  auch  die  Zeugnisse  auf  Stein  und  Erz  wurden  von  ihnen  ge- 
sammelt und  die  Hilfsmittel  der  Technik  für  Vervollkommnung  der  geo- 
graphischen und  mathematischen  Kenntnisse  verwertet.  Leider  haben  sich 
nur  wenige  und  nur  kleine  Denkmale  der  gelehrten  Betriebsamkeit  unserer 
Periode  erhalten;  das  meiste  lernen  wir  aus  den  Auszügen  und  Kompila- 
tionen kennen,  welche  auf  Grund  der  grossartigen  Arbeiten  der  Alexandriner 
die  nachfolgenden  Generationen  veranstalteten.  Um  das  massenhafte  Ma- 
terial zu  bewältigen  könnte  es  am  einfachsten  scheinen,  die  Namen  der 
Gelehrten  einfach  nach  dem  Alphabet  aufzuführen;  wir  haben  uns  aber  doch 
bemüht,  den  reichen  Stoff  in  Absätze  zu  gliedern  und  dabei  die  Richtungen, 
Orte  und  Zeiten  zur  Geltung  zu  bringen. 

Ein  Corpus  grammaticorum  graec.  im  engeren  Sinn  ward  1823  von  Dindorf  mit 
unzureichenden  Hilfsmitteln  begonnen  und  wird  jetzt  unter  der  Leitung  von  Uhlig  unter 
Mitwirkung  von  Bölte,  Cohn,  Egenolff,  Hilgard,  Ludwich,  R.  Schneider,  R.  Scholl, 
Studemund  ins  Werk  gesetzt.  —  Gräfenhahn,  Gesch.  d.  klass.  Philol.  im  Altertum,  Bonn 
1843;  4  Bde.;  Lersch,  Die  Sprachphilosophie  der  Alten,  Bonn  1841,  3  Teile;  H.  Stein- 
thal, Gesch.  d.  Sprachwissenschaft  bei  den  Griechen  u.  Römern,  Berl.  1863 :  La  Roche, 
Homer.  Textkritik,  Leipz.  1866. 

371).    Unter  den  Philosophen,  welche  sich  mit  Grammatik  beschäftigten, 

steht  Herakleides  Pontikos  von  Heraklea  am  Pontus  voran.     Derselbe 

hörte  zuerst   in  Athen   Piaton,   der  ihn   nach  Suidas   während   seiner  Ab- 


of  ihe  library  the  residts  of  scholastic  in- 
dustry  instead  of  the  efforts  of  origincd 
genius,  lohish  have  left  their  impress  on  the 
intellectual  world. 

^)  Sext.  Empir.  adv.  gramm.  p.  619, 
16  B. :  ri]?  yQafj.fxctrLxrjg  ro  fxiv  bgtlv  Ioto- 
Qixov,  ro  08  TS/i^txop,  ro  (fe  I^icÜtsqov  .  .  . 
iatoQixdv  de  'önov  tisqI  nQoaioTJMy  olovel 
i^^eiioy   T£    x(d    livd^Qionivioi'  xcd  rjQOjixoJv  ^l- 


ddaxovoip  rj  tieqI  roncou  dirjyovvrca  xa&unsQ 
oQüjy  rj  nozafxoüv  rj  tieql  nXaa/ucncoi^  xcd 
fxvd^cou  nagcididouaiy  rj  et  xi  xrjg  avzrjg  ideag 
soz'lv.  Vgl.  Dionysios  Thrax  im  Eingang  der 
re/t^t]  yQafj,fxciTix7J ,  Choiroboskos,  Prol.  in 
Theod.  p.  104,  29  Hilg.,  Lehrs,  De  vocahtdis 
cpiXoXoyog  yQafXfxaiixog  xQiXLXÖg,  Anhang  zu 
Herodiani  scripta  tria,  Berl.  1857. 


!' 


A.  Aloxaudrinisches  Zeitalter.   3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  379—380.)  501 


Wesenheit  in  Sikilien  zu  seinem  Stellvertreter  aufstellte,  schloss  sich  aber 
später  an  Aristoteles  an,  mit  dem  er  die  Neigung  für  Polyhistorie  und  ge- 
lehrte Forschungen  teilte.  Seine  zahlreichen,  zum  Teil  in  dialogischer  Form 
geschriebenen  Bücher  werden  von  Diogenes  V,  86  eingeteilt  in  r^^ixä,  (fvaixä^ 
yQajiifiiaTixd  xal  ^ovaixä^  grjroQixa,  laTOQixa.^)  Während  aber  seine  philo- 
sophischen Werke  früh  in  Vergessenheit  kamen,  erhielten  sich  lange  seine 
biographischen  und  grammatischen  Schriften.  Mit  Unrecht  wurden  ehedem 
die  ^AXXriyoQiai  'Ofir^xcci  unserem  Herakleides,  statt  ihrem  rechten  Verfasser 
Herakleitos  zugeschrieben.  Auch  die  erhaltenen  Exzerpte  €x  tmv  ^HgaxXsiSov 
jT€qI  TioXiTsiMv  sluö.  usLch  Schneidcwiu's  Nachweisen  ^)  eine  unechte,  viel- 
leicht von  dem  Grammatiker  Herakleides  Lembos  herrührende  Kompilation 
aus  den  Politien  des  Aristoteles.  Der  Stil  unseres  gelehrten  Philosophen 
wird  von  Diogenes  gerühmt;  Cicero  de  nat.  deor.  I,  13  und  Plutarch,  Cam. 
c.  22  tadeln  an  ihm  die  Neigung  zum  Fabelhaften;  in  die  Litteratur- 
geschichte  hat  er  die  Fabeln  über  die  angeblichen  Vorgänger  Homers, 
Amphion,  Lines,  Philammon  etc.  eingeführt.-^)  Die  Fragmente  gesammelt 
bei  MüLLEK,  FHG.  II,  197  —  207,    die  des  Heraclides  Lembos  III  167—171. 

Chamaileon,  Landsmann  und  Rivale  des  Herakleides,  den  er  be- 
schuldigte ihm  seine  Ideen  über  Homer  und  Hesiod  gestohlen  zu  haben, "i) 
war  einer  jener  Peripatetiker,  die  sich  mit  Vorliebe  den  litterarhistorischen 
Forschungen  zuwandten.  Erwähnt  werden  von  ihm  Schriften  über  Homer, 
Hesiod,  Stesichoros,  Sappho,  Anakreon,  Lasos,  Pindaros,  Simonides,  Thespis, 
Aischylos,  ttsqI  aarvQcov  oder  die  Anfänge  der  Tragödie,  und  ein  umfang- 
reiches Werk  über  die  alte  Komödie,  von  dem  Athen,  p.  406 e  ein  6.  Buch 
citiert.  Daneben  hören  wir  von  einer  Mahnrede  {nQOTQsnTixog  Xoyog)  zum 
Studium  der  Philosophie  und  einer  von  andern  dem  Theophrast  zugeschrie- 
benen Schrift  ti8qI  rj6ovrjg,  von  der  die  Abhandlung  ttsqI  jjLsO^riq  nur  ein  Teil 
gewesen  zu  sein  scheint.  In  seinen  litterarhistorischen  Arbeiten  liebte  er 
weniger  die  nüchterne  Wahrheit  als  die  poetische  Ausschmückung;  wie 
damals  die  Bildhauer  die  Idealporträte  des  Homer,  Anakreon  und  anderer 
Grössen  der  Litteratur  schufen,  so  gefielen  sich  auch  die  Litterarhistoriker 
vom  Schlage  des  Chamaileon  darin,  den  grossen  Männern  der  Vergangen- 
heit allerlei  ideale  Züge  und  geistreiche  Aussprüche  anzudichten.^) 

380.  Dikaiarchos  aus  Messene  in  Sikilien,  der  mit  Aristoxenes  aus 
Tarent  Hörer  des  Aristoteles  war,  wandte  sich  ganz  der  historischen  und 
geographischen  Forschung  zu.  Auf  Grund  einer  Reihe  von  Höhenmessungen, 
von    denen  Suidas    die    xaTai^isT^rjcfsig    tmv    sv    IlirXoTrovvrjafo  ogorr  anführt, 


^)  Manche  der  aufgezählten  Schriften 
mögen  nicht  ihm,  sondern  einem  der  jüngeren 
Gelehrten  gleichen  Namens,  dem  Herakleides 
Kallatianos,  mit  dem  Beinamen  6  "kefxßog, 
der  nach  Suidas  unter  Ptolemaios  VI.  Philo- 
metor  lebte,  oder  dem  Herakleides,  der  über 
Inseln  und  Städte  schrieb,  oder  dem  Didy- 
meer  Herakleides  Pontikos  aus  dem  1.  Jabrh. 
n.  Chr.  angehören.  Eine  Ausscheidung  ver- 
suchten ÜNGER,  Rh.  M.  38,  489  ff.  und 
SfiHRADER,  Heraclidea  im  Philol.  44,  236 — 61. 
Dagegen  hält  Cohn,  De  Heraclide  Pontico 
eiymologiarum  scriptore  antiquissimo  (1884) 


daran  fest,  dass  auch  das  Buch  nsgl  ovo- 
{Äihiov  und  die  Citate  im  Etym.  Orionis 
unserem  alten  Herakleides  zu  vindizieren 
seien.  —  Über  Tragödien  des  Herakleides  s. 
§  135.  —  F.  Schmidt,  De  Her aclidae  Pont, 
dialogis  dei^erditis,  Bresl.  1867. 

''^)  HeracUdis  2mlitiarum  quae  extantf 
rec.  ScHNEiDEWiN,  Gott.  1847. 

■')  S.  Bergk,  Gr.  Litt.  I,  404  f. 

4)  Diog.  V,  92. 

^)  KöPKE,  De  Chamaeleonte  Heracleota, 
Berol.  1856. 


»02 


Griechische  Litteraturgeschichte,     H.  Nachklassische  Litteratur. 


entwarf  er  eine  Beschreibung  der  Erde,  die  er  durch  beigegebene  Tafeln 
erläuterte.  ^)  Sein  bedeutendstes,  vielgelesenes  Werk  war  der  Biog  ^EXXdSog  in 
3  B.,  der  erste  Versuch  einer  Kulturgeschichte,  in  welcher  von  den  An- 
fängen der  Geschichte,  dem  goldenen  Zeitalter,  ausgegangen  und  dann  die 
Entwicklung  des  griechischen  Lebens  bis  auf  Alexander  verfolgt  war,  so 
zwar,  dass  neben  der  Staatenbildung  auch  die  Musik,  die  Spiele  und  Dichter 
Berücksichtigung  fanden.  Wohl  Vorarbeiten  zu  diesem  auch  in  der  Form 
vollendeten  Werke  waren  die  Schriften  tc8qI  ^ovaixMv  aya)va)v,  ynod^äaeic, 
TMV  2o(poxXsovg  xal  EvQiniSov  fxvd^o^v^^)  noXiTsiai  JlsXXrjvaicov  Koqiv^iorv 
'Ad-rjvaicov.  Mit  der  Sammlung  von  Politien  hing  der  Dialog  TQmoXnixog 
zusammen,  in  welchem  Dikäarch  als  Vorläufer  Ciceros  die  aus  Monarchie, 
Aristokratie  und  Demokratie  gemischte  Verfassung  als  sein  Ideal  aufstellte 
und  in  der  Staatseinrichtung  Spartas  verwirklicht  fand.  3)  Andere  von 
Cicero  hochgeschätzte  Dialoge  waren  der  KoQiv^iaxög  und  Aeaßiaxög^  von 
denen  jeder  wie  der  berühmte  Dialog  des  Aristoteles  txeqI  (filoaotpiag  in 
3  Bücher  eingeteilt  war.^)  Für  Geschichte  der  Litteratur  waren  bedeutsam 
seine  von  den  Späteren  vielfach  ausgebeuteten  Lebensbeschreibungen;  an- 
geführt werden  Bücher  über  die  sieben  Weisen,  über  Pythagoras,  Piaton, 
Alkaios;  schwerlich  aber  berechtigen  uns  die  aus  Dikäarch  angeführten 
Nachrichten  über  Homer,  Sophokles,  Euripides,  Aristophanes,  demselben 
auch  spezielle  Biographien  dieser  Dichter  beizulegen;  sie  können  recht 
wohl  aus  seinem  Hauptwerk  vom  Leben  Griechenlands  oder  aus  seinem 
Buch  über  die  dionysischen  Wettkämpfe  herrühren.  Bei  allem  dem  war 
Dikäarch  kein  blosser  Stubengelehrter,  er  gab  vielmehr  ausdrücklich  dem 
praktischen  Leben  vor  dem  theoretischen  den  Vorzug.^)  Auch  als  Redner 
trat  er  in  Olympia  und  an  den  Panathenäen  auf  und  heisst  deshalb  bei 
Suidas  (fjMaocpog  xal  qtjtwq  xal  yso^iexQrjg.  Erhalten  haben  sich  von  ihm 
nur  wenige  Fragmente.  Eine  Zeitlang  glaubte  man  auch  noch  grössere 
Reste  aus  den  Werken  des  Dikäarch  in  einer  in  iambischen  Trimetern 
abgefassten  Beschreibung  Griechenlands  {ävayQacpK]  ^ElXäSog)  zu  haben;  ^) 
aber  dieselbe  rührt,  wie  Lehrs  Rh.  M.  2,  354  mit  glänzendem  Scharfsinn  aus 
den  Anfangsbuchstaben  der  ersten  23  Verse  erschlossen  hat,  von  Dionysios, 
Sohn  des  Kalliphon,  her.  Ebensowenig  ist  Dikäarch  der  Verfasser  der  3  län- 
geren, in  dem  Cod.  Paris.  443  erhaltenen  Bruchstücke  einer  Periegese  Griechen- 
lands, welche  vielmehr  nach  einem  Citat  des  Apollonios,  Mirab.  19  zu  dem 
Werk  des  Herakleides  Kretikos')  nsql  rcoy  iv  tf]  ^EXXäöi  ttöXscov  gehörten.^) 


1)  Cic.  ad  Att.  VI,  2. 

^)  ScHRADER,  Quaestionum  iieripatet. 
part.  Hamb.  1884  macht  wahrscheinlich, 
dass  dieselben  einen  Teil  des  Buches  ttsqI 
JiovvaiaxMP  dyiövMV  bildeten. 

^)  OsANN,  Beitr.  zur  röm.  und  griech. 
Litt.  II,  9  ff. 

^)  Cic.  Tusc.  disp.  I,  3L  76:  acerrime 
autem  deliciae  meae  Dicaearchus  contra 
lianc  immortalitatetn  disseruit;  is  enim  tres 
libros  scripsit  qui  Leshiaci  vocantur  quod 
Mitylenis  sermo  habetur,  in  quibus  vult 
effjcere  animos  esse  mortales;  über  den  Ko- 
rinthiakos  ebenda  I,  10.  21. 


^)  Cic.  ad  Att.  II,  16,  wozu  stimmt  Plut. 
an  seni  s.  26. 

^)  Text  bei  Müller^  Geogr.  graec.  min. 
I,  238-43. 

^)  Seit  Olearius  schreibt  man  xQuixög; 
ob  mit  Recht  ist  zweifelhaft.  Die  verwandte 
Schrift  tisqI  vrjawv  wird  von  Harpokration 
u.  ItQvfxr]  dem  Herakleides  oder  Philoste- 
phanos,  von  Stephanos  Byz.  u.  ^Oliagog  dem 
Herakleides  Pontikos  zugeschrieben. 

^)  Müller,  Geogr.  graec.  min.  I  praef. 
LH;  vgl.  Wachsmuth,  Stadt  Athen  I,  44; 
Unger,  Rh.  M.  38,  484  setzt  die  Fragmente 
Ol.  147,  1  ^  192/1  V.  Chr, 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  381—382.)  503 


Die  Fragmente  gesammelt  und  besprochen  von  Fuhr,  Dicaearchi  quae  supersunt, 
Darmstadt  1841;  Müller,  FHG.  II,  225—253;  GGM.  I,  97-110  u.  238-243. 

381.  Aristoxenos  entstammte  einer  musikalischen  Familie  ausTarent, 
wanderte  aber  zeitig  nach  dem  griechischen  Festland  aus,  wo  er  in  Man- 
tinea  seine  Ausbildung  fand.  In  die  Musik  wurde  er  durch  seinen  Vater 
Spintharos,  den  Erythräer  Lampros  und  den  Pythagoreer  Xenophilos  ein- 
geführt. In  der  Philosophie  hatte  er  den  Aristoteles  zum  Lehrer  und  zeich- 
nete sich  so  vor  seinen  Genossen  aus,  dass  er  auf  die  Nachfolge  in  der  Vor- 
standschaft der  Schule  sicher  rechnete  und,  als  ihm  Theophrast  vorgezogen 
wurde,  auf  seinen  toten  Lehrer  bitter  schmähte.  Seine  schriftstellerische 
Thätigkeit  galt  in  erster  Linie  der  Musik,  wovon  er  auch  den  Beinamen 
6  iLiovaixog  erhielt;  ein  Anhänger  der  strengen  alten  Richtung  vereinigte 
er  praktische  Tüchtigkeit  mit  theoretischer  Einsicht.  Auf  uns  gekommen 
sind  3  Bücher  über  Harmonik  («(>;(«/'  und  arotx^ta  dgi^orixa),  leider  in  stark 
überarbeiteter  Gestalt,  und  wertvolle  Bruchstücke  der  Qvd^iiixd  aToixeta. 
Nur  aus  gelegentlichen  Anführungen  haben  wir  Kenntnis  von  seinen 
Schriften  ttsqI  inovaixrjg  und  7T6qI  f^islorcouag  (beide  in  wenigstens  4  B.) 
und  von  den  Einzelabhandlungen  nsQv  fLUTaßoXcov,  negl  aidcov  xal  oQydvcov, 
TTfQi  avhjTÖov,  jTSQi  TQayixtjg  oQxijf^soog.  Grossen  Ansehens  erfreuten  sich 
auch  seine  Biographien,  in  welcher  Litteraturgattung  er  selbst  den  Dikäarch 
in  Schatten  stellte,  so  dass  er  vom  Kirchenvater  Hieronymus  geradezu  als 
Begründer  derselben  angeführt  wird.^)  Zunächst  waren  es  Philosophen  und 
Italiker,  mit  deren  Leben  er  die  Griechen  bekannt  machte,  Pythagoras, 
Archytas,  Xenophilos,  Telestes,  Sokrates,  Piaton;  aber  auch  über  die  Tra- 
giker, speziell  über  Sophokles  handelte  er  in  dem  Buche  ttsqI  TQayuidonoiwv. 
Endlich  ist  Aristoxenos  auch  in  der  Memoiren-  und  Miszellenlitteratur  den 
Alexandrinern  vorangegangen;  doch  haben  sich  von  seinen  imoiivri^ara 
laTOQixd  und  aviiiiixTa  avjiiTroTixd  nur  wenige  Bruchstücke  erhalten. 

Die  Fragmente  gesammelt  bei  Müller,  FHG.  II,  269-292;  vgl.  Zeller,  Gesch.  d.  gr. 
Phil.  11,^  2.  881  ff.  —  Die  harmonischen  Fragmente  von  Aristoxenus,  griechisch  u.  deutsch 
von  F.  Marquard,  Berl.  1868.  —  Westphal,  Aristoxenus'  von  Tarent  Melik  u.  Rhythmik 
des  klassischen  Hellenentums  1883,  dazu  die  kundige  Besprechung  von  v.  Jan  in  Wochen- 
schr.  f.  klass.  Phil.  1884  Nr.  24,  —  Westphal,  Die  Musik  des  griech.  Altertums  nach  den 
alten  Quellen  neubearbeitet,  Leipz.  1883.  —  Westphal,  Die  Fragmente  u.  Lehrsätze  der 
griech.  Rhythmiker,  Leipz.  1861,  und  im  Anhang  zum  1.  Band  der  Metrik  der  Griechen 
2.  Aufl. 

382.  Phanias  (v.  1.  Phainias)  aus  Eresos  in  Lesbos  wird  in  dem 
Leben  des  Aristoteles  2)  neben  Theophrast,  Eudemos,  Klytos,  Aristoxenos 
und  Dikaiarchos  als  unmittelbarer  Schüler  des  Aristoteles  aufgeführt.  Auch 
er  ererbte  von  seinem  Lehrer  die  Neigung  zu  antiquarischen  und  litterar- 
historischen  Forschungen.  Ein  Buch  von  ihm  galt  den  Einrichtungen  seiner 
Heimat,  ttsqI  nqvTäveMv  ^Egsafarr,  andere,  wie  ttsqI  ^coxQaTixcov,  718qI  TToirjTcov, 
nqog  Tovg  (TocpiaTag,  den  litterarischen  Fragen.  Die  Fragmente,  gesammmelt 
bei  Müller  FHG.  II,  291  —  301,  lassen  uns  in  ihm  einen  sorgfältigen,  auch 
auf  die  Chronologie  genau  eingehenden  Spezialforscher  erkennen,  aber  kri- 


^)  Hieronymus,  Proleg.  ad  Dextrum  im 
Buch  De  viris  illustribus:  Hortaris  me, 
Dexter,  ut  Tranquillum  sequens  ecclesiasti- 
cos  scriptores  in  ordinem  digeram  .  .  .  fe- 
cerunt  hoc  idem   apud  Graecos  Hermippus 


peripateticus,  Antigonus  Carystius,  Satyrus 
doctiis  vir,  et  longe  omnmm  doctissimus 
Aristoxenus  musicus.  Vgl.  Plutarch,  Non 
posse  suar.  c.  10. 

2)  Vita  Marciana  c  9. 


, 


504 


Griechische  Lifcteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


tisches  Urteil  verrät  sein  Bericht  über  das  Wunder  des  Fischregens  bei 
Athen.  333  a  nicht. 

Dem  gleichen  Kreis  der  Litterarhistoriker  unter  den  Peripatetikern 
gehörte  ausser  Hieronymos  von  Rhodos,  von  dem  wir  bereits  oben  §  359 
gesprochen,  noch  Klearchos  von  Soli  in  Kypern  an,  dessen  Bioi  in  min- 
destens 8  Büchern  eine  Hauptquelle  des  Athenaios  bildeten.  Dieselben 
waren  indes  nicht  Lebensbeschreibungen  berühmter  Männer,  sondern  Schil- 
derungen der  Lebensweise  verschiedener  Menschenklassen,  wie  der  Para- 
siten, Schlemmer,  Spartaner,  Perser,  Lyder.  Den  Schmeichlern  hatte  er 
ein  eigenes  Buch  gewidmet,  das  er  nach  einem  Musterexemplar  dieser  Sorte 
von  Menschen  FfQ-yi^iog  taufte.  Beide  Werke  waren  in  dialogischer  Form 
geschrieben.  Ausserdem  schrieb  er  über  Freundschaft,  über  Bildung,  über 
den  Schlaf,  handelte  von  den  Wassertieren,  sammelte  Sprichwörter,  Rätsel 
und  Liebesgeschichten,  indem  er  den  von  Aristoteles  gepflegten  Sinn  für 
historische  und  naturwissenschaftliche  Forschung  noch  mehr  ins  Detail  ver- 
folgte.    Fragmente  bei  Müller  FHG.  II,  302—327. 

383.  Demetrios  von  Phaleron  {(PaXrjQsvg),^)  Schüler  und  Freund  des 
Theophrast,  bildet  gewissermassen  die  Brücke  zwischen  Athen  und  Alexan- 
dria, Philosophie  und  Grammatik.  Von  Kasander  10  Jahre  lang  (317  bis 
307)  an  die  Spitze  von  Athen  gestellt,  fand  er  nach  seinem  Sturze  freund- 
liche Aufnahme  bei  Ptolemaios  Soter  in  Alexandrien,  wo  er  den  Grund  zur 
Bibliothek  legte  und  nach  einem  thatenreichen  Leben  an  dem  Bisse  einer 
Schlange  starb  (nach  285).  Als  praktischer  Staatsmann  war  er  gleich  aus- 
gezeichnet wie  als  Gelehrter,  dazu  von  der  Natur  ausgerüstet  mit  schöner 
Gestalt  und  mit  der  Gabe  einnehmender  Rede.  Seine  Schriften  sind  auf- 
gezählt von  Diogenes  V,  80;  unter  denselben  befinden  sich  ausser  Reden, 
historischen,  rhetorischen,  popularphilosophischen '-)  Abhandlungen  auch 
Sammlungen  äsopischer  Fabeln  (XoyMv  ÄlaMitsiMv  (Tvvaycoyai)  und  denk- 
würdiger Sprüche,  insonderheit  von  den  sogenannten  sieben  Weisen.  2)  Von 
seinen  historischen  Schriften  waren  am  berühmtesten  das  chronologische 
Verzeichnis  der  attischen  Archonten,  der  Rechenschaftsbericht  über  seine 
zehnjährige  Verwaltung  Athens  {vTioiivr>ixaTa  nsQl  xT^g  öexasTsiagY)  und  die 
halb  theoretischen,  halb  praktischen  Broschüren  über  die  Gesetzgebung  und 
die  Verfassungen  Athens  (tisqI  zvjg  'AO^rjvrjai  vop^od^eaiag  in  5  B.  und  tisqI 
T(jöv  ^A^rjvrjai  noXirsmv  in  2  B.).  —  Als  rhetorische  Schrift  führt  Diogenes 
von  ihm  eine  QrjzoQixrj  in  2  B.  an;^)  aber  das  unter  seinem  Namen  erhaltene 
Buch  tcsqI  €Qjji7jv€iag,  worin  über  den  rednerischen  Ausdruck,  über  Perioden- 
bau, Hiatus,  Stilarten,  Figuren  gehandelt  ist,  kann  nicht  von  ihm  geschrieben 
sein,  da  darin  Bezugnahmen  auf  spätere  Zeitverhältnisse  vorkommen <^)  und: 


^)  Diog.  V,  75  und  Suidas  u.  Jt]fuijrQiog. 
Asklepiades  6  rov  'Jqslov  hatte  ein  eigenes 
Buch  über  ihn  geschrieben,  s.  Ath.  567  d. 

2)  Das  Buch  tisqI  rv/rjg  ist  gepriesen 
von  Polybios  29,  21  und  ausgeschrieben  von 
I'lutarch  in  der  Trostrede  an  Apollonios. 

^)  Brunco,  De  dictis  VII  sapientium  a 
Demetrio  Phal.  collectis  Acta  sem.  Erl.  III, 
299-398:  vgl.  §88. 

4)  Polybios    XII,    13.  9    fällt    über    das 


Buch  ein  hartes  Urteil. 

^)  Jtj^rjTQioq  6  ^aXrjQSvg  sv  tm  tteqI 
()7]roQ(,xi]g  ist  citiert  von  Philodemos  in  Vol. 
IIerc.2  III,  145. 

^)  So  noQ(fVQai  TiXareua  c.  108,  IcorddTjg 
c.  189,  'jQTE^üiv  c.  223,  ra^agevg  c.  237. 
Das  Scholion  zu  Aristophanes  Nub.  400  /«^<? 
iOTiv  ix  ari/ov  zov  dXXorQLov.  log  tcpt]  Jio- 
vvaiog  6  'AXixciQvaaasvg  ev  tm  negl  8Qfi7]ve'LC(g 
(c.  150)    ist    ohne    Bedeutung,    da    dasselbe 


i 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  384—385.)   505 


einmal  sogar  (c.  289)  Demetrios  der  Phalereer  selbst  citiert  wird.  Muret 
und  andere  nach  ihm  ^)  haben  daher  an  eine  Verwechselung  des  Peripa- 
tetikers  Demetrios  mit  dem  Sophisten  Demetrios  von  Alexandrien  gedacht, 
der  unter  Hadrian  lebte  und  nach  Diogenes  V,  84  Verfasser  von  xs^vca 
QijTOQixai'  war.  Die  scharfsinnige  Vermutung  geht  dabei  von  der  Voraus- 
setzung aus,  dass  unter  dem  c.  237  citierten  FadccQsvg  der  Sophist  Theo- 
doros  aus  Gadara,  der  Lehrer  des  Kaisers  Tiberius,  gemeint  sei;  ihr  steht 
aber  der  Charakter  der  rhetorischan  und  grammatischen  Theorie  des  Büch- 
leins im  Wege,  welche  eher  auf  die  Zeit  vor  Cicero  und  Dionysios  Thrax 
hinweist.  —  Gar  nichts  hat  mit  unserem  Peripatetiker  die  von  Clemens 
Alex,  ström.  I,  21  angeführte  Schrift  eines  Demetrios  7T€qI  tmv  sv  'lovSaia 
ßaaiXsMv  zu  thun;  die  Unechtheit  derselben  hat  Cobet  Aoyioq  ^EQj^irjg  I, 
278  ff.  erwiesen. 

Ostermann,  De  Demetrii  vita,  rebus  gestU  et  scriptorum  reliqxiiis,  Hersfeld  1847, 
Fulda  1857;  Müllek,  FHG.  II  362—369.  —  Die  rhetorische  Schrift  tisqI  eQ^rjveiccg  bei 
Spengel,  Rhet.  gr.  III,  259-328. 

384.  Praxiphanes,^)  Hörer  und  Freund  des  Theophrast,  wird  in 
den  Schollen  zu  Dionysios  Thrax  bei  Bekker,  An.  gr.  p.  729  und  Cramer, 
An.  Ox.  p.  311  als  derjenige  bezeichnet,  der  mit  Aristoteles  den  Grund  zur 
wissenschaftlichen  Grammatik  gelegt  habe.  Aber  weder  von  seiner  Gram- 
matik, noch  von  seinen  für  die  Litteraturgeschichte  wichtigen  Dialogen 
nsQi  TiotTjixdTcov  und  tisqI  laTogfag  '^)  haben  sich  mehr  als  vereinzelte  Citate 
erhalten. 

Auch  von  den  eigentlichen  Grammatikern  werden  einige  wie  Her- 
mippos  und  Satyros  gelegentlich  einmal  Peripatetiker  genannt,  wie  ähnlich 
die  Grammatiker  Krates  und  Apollodor  nebenbei  auch  Stoiker  heissen.  Aber 
wenn  dieselben  auch  in  ihrer  Lebensanschauung  zu  jenen  philosophischen 
Schulen  irgendwie  Stellung  genommen  haben,  so  waren  sie  doch  in  ihren 
Schriften  und  Studien  so  rein  der  grammatischen  Richtung  ergeben,  dass 
sie  besser  in  dem  folgenden  Abschnitt  ihren  Platz  finden. 

385.  Die  Stoiker  griffen  nach  einer  anderen  Richtung  als  die  Peripa- 
tetiker in  die  gelehrten  und  grammatischen  Studien  ein.'^  Während  jene, 
angeregt  von  Aristoteles,  die  Litteraturgeschichte  pflegten  und  insbesondere 
das  Leben  der  alten  Philosophen  und  Dichter  zum  Gegenstand  ihrer  For- 
schung machten,  trugen  die  Stoiker,  welche  von  Hause  aus  die  Logik  und 
Dialektik  zum  Mittelpunkt  ihrer  Philosophie  wählten,  hauptsächlich  zum 
Ausbau  des  grammatischen  Systems  bei.  Die  Unterscheidung  der  Redeteile 
(^sQTj  Xöyov),  der  Casus  (TiTwaeig),  der  Aussageformen  (xatriyoQ}]iiaTa)  ist 
wesentlich   ihr  Werk,   so   dass   der   römische    Polyhistor  Varro   wiederholt 


i 


nicht  alt  ist,  sondern  von  Musurus  herrührt, 
memoriae  error e  Dionysium  Halicarnassen- 
sem  nominante,  wie  Dindorf  in  der  Ausg. 
bemerkt. 

1)  Walz,  Rhet.  gr.  IX  p.  VIII.  Neuer- 
dings hat  Hammer,  Demetrius  tisqi  EQ^^vEiag, 
München  1883,  den  Rhetor  Demetrius  Syrus, 
den  Cicero  im  J.  78  zu  Athen  hörte  (Cic. 
Brutus  315)  als  Verfasser  aufzustellen  ver- 
sucht; seine  Ansicht  modifiziert  derselbe  Ge- 
lehrte in  Jahrber.  d.  Alt.  XIV,  1.97. 


2)  Pkeller,  De  Praxiphane  Peripatetico 
int  er  antiquissimos  grammaticos  nohili,  Dor- 
pat  1842  =  Ausg.  Aufsätze  S.  94  ff. 

2)  TlQa^Kpdrfjg  ii^  zm  Tie^mio  ttsql 
7T0ii][fj.a\r(av  ist  citiert  von  Philodemos  in 
Vol.  Herc.''  II,  170;  vergl.  Marcellinus  im 
Leben  des  Thukydides  c.  29;  Hirzel,  Herrn. 
13,  46  ff. 

'*)  R.  Schmidt,  Stoicomm  grammatica , 
Halis  1839;  Striller,  De  Stoicomm  studiis 
rhetoricis,  Bresl.  Abhdl.  I,  2,  1886. 


m 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


die  Arbeiten  der  Stoiker  denen  der  speziellen  Grammatiker  gegenüberstellt.^) 
Die  zum  System  der  Sprachlehre  gehörigen  Begriffsbestimmungen  haben 
dann  in  weiterer  Folge  die  Stoiker  in  den  Streit  über  Anomalie  und  Ana- 
logie gezogen,  an  dem  sich  namentlich  Chrysippos  zu  Gunsten  der  Anomalie 
beteiligte.  2)  Ausserdem  betrieben  sie,  deren  Forschung  überall  auf  den 
Grund  des  Seienden  gerichtet  war,  mit  Eifer  etymologische  Studien,  indem 
sie  mit  verständigem  Sinn  in  der  Begriffsbestimmung  von  derjenigen  Be- 
deutung ausgingen,  welche  die  Natur  in  den  Kern  (eTv/iiov)  des  Wortes 
gelegt  habe.  Freilich  sind  es  meist  verkehrte  Spielereien  und  verfehlte 
Versuche  allegorischer  Deutung  der  Götternamen  und  alten  Mythen,  an  die 
der  Name  der  Stoa  geknüpft  ist.^)  Hervorragt  unter  den  Stoikern  durch 
seine  grammatischen  Studien  Chrysippos  aus  Soli  (280 — 207),*)  unter 
dessen  zahlreichen  Schriften  sich  auf  Grammatik  bezogen  die  Bücher  negl 
T^g  avcofiaXiccg,  tcsqv  sTVjnoXoyDCMV,  ntgii  tmv  tov  Xoyov  fj^egcov,  neQi  tmv 
7T6VTS  TTTwaecov,  tcsqI  (fvvTcc^scog,  nsQl  TtaQoijjiiwv.  Auch  in  den  Scholien  zu 
Pindar  geschieht  oft  seines  Kommentars  zu  den  Epinikien  Erwähnung. 
Seiner  Verteidigung  der  Anomalie  lag  eine  unbefangene  Betrachtung  der 
Spracherscheinungen  zu  grund,  wenn  er  auch  darüber  das  Gesetzmässige  in 
der  Formenbildung  zu  sehr  übersah.  Neben  Chrysippos  nennt  Varro  de 
ling.  lat.  VI,  2  den  Antipater  als  Etymologen;  es  ist  darunter  wohl 
Antipater  von  Tarsos,  der  Lehrer  des  Panaitios,  verstanden,  der  auch  in 
den  Scholien  des  Dionysios  Thrax  neben  Chrysippos  genannt  wird  und  zu 
den  5  Redeteilen  des  Chrysippos  (orofia,  nqoarjyo^jia^  Q^jf^^^  avvösa^oQ,  äqd^Qov) 
noch  als  sechsten  das  Participium  oder  die  iieaöxrig  fügte.  Spätere  Stoiker 
haben  auch  litterarhistorische  Untersuchungen  angestellt;  so  Apollonios 
aus  Tyrus,  von  dem  Strabon  p.  757  ein  Verzeichnis  der  Philosophen  seit 
Zenon  anführt  und  von  dessen  Schrift  über  die  philosophischen  Frauen 
Sopater  einen  Auszug  machte;  ferner  Athenodoros  aus  Tarsos,  Schüler 
des  Poseidonios,  der  unter  den  Lehrern  des  Kaisers  Oktavian  genannt  wird 
und  Schriften  gemischten  Inhaltes,  wie  nsQirtaxoi^  tisqI  arcovSrjg  xal  naidiäq 
verfasste.  ^) 

386.  Die  eigentliche  Grammatik  hatte  ihre  Hauptblüte  in  Alexandria 
und  Pergamon;*^)  daneben  stellte  aber  auch  Athen  und  später  Rom  einzelne  | 
tüchtige  Gelehrte.  Die  nackte  und  dürre  Grammatik,  die  es  lediglich  auf 
Gelehrsamkeit  und  Scharfsinn  absah,  machte  sich  erst  im  zweiten  und  letzten 
Jahrhundert  v.  Chr.  breit;  in  den  ersten  Zeiten  nach  Alexander  wollten  die 
Grammatiker  noch  als  Männer  von  Geschmack  und  poetischem  Talent  gelten, 
so  dass  viele  unter  ihnen  auch  als  Dichter  glänzten  oder  durch  anziehend 
geschriebene  Denkwürdigkeiten  sich  hervorthaten.  Viele  der  Grammatiker 
haben  wir  daher  bereits  oben   unter   anderen  Titeln   behandelt,   wie  Kalli- 


^)  Varro  de  ling.  lat.  V,  9 :  non  solum  ad 
Aristophanis  lucernam,  sed  etiam  ad  Cle- 
anthis  lucuhrain. 

2)  Dem  Chrysipp  stand  Aristarch  als 
Verteidiger  der  Analogie  gegenüber,  worüber 
uns  hauptsächlich  Varro  de  ling.  lat.  unter- 
richtet. 

■')  Derart  waren  des  Zenon  TiQoßXijfxccTa 


'Ofit]Q(xä  in  5  B.,  die  der  Grammatiker  Ari- 
starch bekämpfte;  s.  Diog.  VII.  4  und  Dio 
Chrys.  or.  55  p.  275  R. 

^)  Christos  Aronis,  XQvainnog  yQafXfjia- 
Tixog,  .Tena  1885.  Über  Chrysipp's  andere 
Schriften  siehe  §  376. 

5)  Müller  FHG.  III,  485-8. 

6)  Vgl.  oben  §  313-317. 


I 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  386—388.)  507 


maclios,   Apollonios  Rhodios,    Philoclioros,    Sosibios.     Hier   lassen   wir   die 
übrigen  Grammatiker,  soweit  möglich  in  zeitlicher  Ordnung  folgen. 

387.  Zenodotos  aus  Ephesos  (gest.  um  260),  Schüler  des  Philetas, 
war  der  erste  alexandrinische  Grammatiker  und  Bibliothekar,  i)  Er  lebte 
nach  Suidas  unter  Ptolemaios  L;  seine  Thätigkeit  zog  sich  aber  auch  noch 
in  die  Zeit  des  Ptolemaios  Philadelphos  hinein.  Als  Bibliothekar  teilte  er 
sich  mit  Alexander  Aetolus  und  Lykophron  so  in  die  Aufgabe  der  Ordnung 
der  Bücherschätze,  dass  Alexander  die  Tragödien,  Lykophron  die  Komödien, 
er  selbst  Homer  und  die  übrigen  Dichter  übernahm.  Wie  er  in  dieser 
Beziehung  die  Grundlage  für  die  Arbeiten  der  Späteren  schuf,  so  hat  er 
auch  mit  seiner  kritischen  Ausgabe  {^i6Q^(o(rig)  des  Homer  den  Reigen  der 
alexandrinischen  Kritiker  eröffnet.  Was  er  darin  geleistet,  erfahren  wir 
fast  nur  aus  den  Entgegnungen,  die  sein  überlegener  Nachfolger  Aristarch 
gegen  einzelne  seiner  Aufstellungen  richtete.  Aber  wenn  er  auch  von  dem 
Vorwurf  der  Willkür  und  ungenauen  Sprachkenntnis  2)  nicht  ganz  freizu- 
sprechen ist,  so  ist  er  doch  gleich  im  Anfang  den  richtigen  Weg  gegangen : 
er  hat  durch  Vergleichung  von  Handschriften  den  Boden  für  die  kritische 
Textesrecension  gelegt,  er  hat  sich  für  Entdeckung  von  Interpolationen  und 
Schäden  der  Überlieferung  das  Auge  offen  gehalten,  er  hat  durch  Anlegung 
eines  Glossars  sich  den  Einblick  in  den  speziellen  Sprachschatz  des  Homer 
verschafft.  Auch  machte  er  wie  fast  alle  Gelehrte  jener  Zeit  Verse,  aber 
von  denselben  hat  sich  nichts,  nicht  einmal  eine  Andeutung  ihres  Inhaltes 
erhalten.  3) 

Als  Schüler  des  Zenodot  werden  ausser  Aristophanes  von  Byzanz 
genannt  die  Grammatiker  Theophilos  und  Agathokles,  welch  letzterer  selbst 
wieder  Lehrer  des  Hellanikos,  des  bekannten  Chorizonten,  war.^) 

388.  Eratosthenes  (um  276  —  194)^),  Sohn  des  Aglaos,  war  der 
vielseitigste  und  bedeutendste  unter  den  Gelehrten  Alexandriens,  der  dem 
Namen  Philologos,  den  er  zuerst  sich  beilegte,*^)  alle  Ehre  machte.  Ge- 
boren in  Kyrene  um  275  v.  Chr.  erhielt  er  seine  erste  Ausbildung  in  der 
Grammatik  durch  Lysanias  und  Kallimachos;  später  wandte  er  sich  nach 
Athen,  w^o  der  Stoiker  Ariston  aus  Chios  und  der  Akademiker  Arkesilaos 
Einfluss    auf    seine    philosophische    Lebensanschauung    gewannen.'^)      Lang 


^)  Im  plautinischen  Scholion  wird  Zeno- 
dot nicht  als  Bibliothekar  angeführt,  wohl 
aber  von  Suidas;  vgl.^  Coüat,  La  xtoesie 
Alexandrine  p.  30  f.  Über  seine  Lebenszeit 
s.  RiTSCHL,  Opusc.  I,  QQ,  der  sein  Leben 
bis  zum  Tode  des  Ptolemaios  Philadelphos 
herabreichen  lässt,  wodurch  aber  für  die 
Thätigkeit  des  Kallimachos  als  Bibliothekar 
zu  wenig  Raum  bliebe ;  vergleiche  ausserdem 
Gellius  N.  k.  17,  21. 

^)  So  nahm  er  Komparativformen  auf 
tw  statt  iMv  an  und  Hess  die  Verbalendung 
auf  (itc<i  auch  für  den  Singular  gelten. 

^)  DüNTZEE,  De  Zenodoti  studiis  Home- 
ricis,  Gotting.  1848;  Römer,  Über  die  Homer- 
recension  des  Zenodot,  in  Abh.  d.  b.  Ak. 
1885.  Zenodots  Tageberechnung  der  Ilias 
ist  herausgegeben  von  Lachmann  im  Anhang 


der  Betrachtungen  über  Homers  Ilias,  Ztjyo- 
dÖTov  di<x(poQcc  cpMvrjg,  wahrscheinlich  aus 
dem  Glossenwerk  stammend,  von  Studemund, 
Anecd.  gr.  p.  103  u.  287  ff. 

*)  Nach  Suidas  u.  IlroXs^cdog  6  imfherrjg 
war  letzterer  Schüler  des  Hellanikos,  dieser 
des  Agathokles  und  dieser  des  Zenodot. 

^)  Nach  Suidas  war  er  geboren  Ol.  126 
(276/2  V.  Chr.)  und  starb  80  (82  nach  Luc. 
Macrob.  27)  Jahre  alt. 

^)  SuETON,  De  gramm.,  iW.  10:  phüologi 
appellationem  assiiiupsisse  videtur  Ateius, 
quia  sicut  Eratosthenes,  qui  piimus  hoc 
cognomen  sihi  vindicavit,  multiiüici  variaque 
doctrina  censehatur. 

^)  Strab.  p.  15:  fxeaog  tjy  toi~  rs  ßov- 
Xo^evov  cpiloGocfeTv  x(d  tov  furj  r^aQQovyroc 
iy/eiQiCst^y  iavxdy  eig  T?]y  vtiöüj^eoiv.   Lucian, 


508  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

indes  scheint  dort  sein  Aufenthalt  nicht  gewesen  zu  sein,  indem  ihn  bald 
Ptolemaios  III.  Euergetes  nach  Alexandrien  berief,  wo  er  Nachfolger  des 
Kallimachos  in  der  Vorstandschaft  der  Bibliothek  wurde  und  von  den 
Königen  des  Landes  freigebig  unterstützt  seinen  grossen  geographischen 
und  mathematischen  Untersuchungen  obliegen  konnte.  In  hohem  Alter 
drohte  ihm  völlige  Erblindung,  weshalb  er  82  (nach  Suidas  80)  Jahre 
alt  durch  Enthaltung  von  Nahrung  seinem  Leben  ein  Ende  setzte.  Nach 
vielen  Richtungen  wissenschaftlich  thätig  und  zugleich  in  Prosa  und  in 
Versen  schreibend  erhielt  er  unter  Anspielung  auf  eine  Stelle  im  ps.  pla- 
tonischen Dialog  Anterastai  p.  135  den  Beinamen  BrJTa^)  oder  nsvrad^Xov: 
in  den  einzelnen  Gebieten  nämlich  müsse  er  sich  mit  der  2.  Stelle  begnügen, 
in  der  Poesie  gegenüber  Kallimachos,  in  der  Philosophie  gegenüber  Arke- 
silaos,  in  der  Mathematik  gegenüber  Hipparch,  in  allem  zusammen  aber 
werde  er  von  keinem  überflügelt.  Wahrhaft  bahnbrechend  waren  seine 
wissenschaftlichen  Erfolge  auf  dem  Felde  der  Geographie.  Hier  legte  er 
durch  trigonometrische  Messungen  den  Grund  zur  Anlage  eines  Erdnetzes 
und  verwertete  die  Entdeckungsberichte  des  Hanno,  Pytheas,  Nearch,  um 
eine  richtigere  Vorstellung  von  dem  Umfang  und  der  Gestalt  der  Erde  zu 
gewinnen.  Sein  Hauptwerk  waren  die  FfwyQa^ixd  in  3  B.,  über  deren 
Anlage  uns  zumeist  die  Polemik  des  Strabon  unterrichtet.  Im  1.  Buch 
gab  er  einen  kritischen  Überblick  über  die  Geschichte  der  Geographie  von 
ihren  ersten  Anfängen  bei  Homer  bis  auf  die  Geschichtsschreiber  Alexan- 
ders. Im  zweiten  Buch  entwickelte  er  seine  eigenen  Anschauungen  von 
der  Kugelgestalt  der  Erde  und  suchte  auf  Grund  der  Messung  des  Meridian- 
bogens  von  Alexandria  bis  Syene  die  Grösse  derselben  zu  bestimmen.  Im 
dritten  behandelte  er  die  chronographische  und  politische  Erdbeschreibung 
auf  Grund  einer  von  ihm  entworfenen  Karte.  —  Nebst  der  Geographie  war 
es  die  Chronologie,  in  der  er  mit  ausgedehnter  Gelehrsamkeit  bahnbrechende 
Untersuchungen  anstellte.  Er  war  der  Schöpfer  dieser  Wissenschaft,  die 
später  Apollodor  in  eine  anziehende  metrische  Form  brachte.  Von  ihm 
rührt  die  durch  Clemens  Alex.  I,  21  uns  erhaltene  Tafel  von  den  Epochen 
der  Geschichte  her;  in  weiser  Beschränkung  begann  er  die  erste  derselben 
mit  der  Eroberung  Troias,  indem  er  die  ältere  mythische  Zeit  ganz  aus- 
schloss.  Ob  auch  die  durch  Eusebios  uns  erhaltenen  ägyptischen  Königs- 
listen auf  dieses  Werk  des  Eratosthenes  zurückgehen,  ist  zweifelhaft. 2)  — 
In  das  Gebiet  der  Grammatik  gehörte  das  grosse  Werk  ttsqI  äqxaiaq 
xM/KpSiag  in  mindestens  12  B.,  in  dem  über  Didaskalien,  historische  An- 
spielungen, Masken,  schwierige  Stellen  mit  Gelehrsamkeit  gehandelt  war, 
und  von  dem  wahrscheinlich  das  ^xsvoqjoQixöv,  das  Pollux  im  Eingang  des 
10.  Buches  seines  Onomastikon  erwähnt,  einen  Teil  bildete.  Auch  mit  rein 
mathematischen  Problemen  beschäftigte  sich  Eratosthenes,  wie  mit  der  Ver- 
doppelung  des   Würfels    in    einem    noch   erhaltenen   Briefe   an   den   König 


Macrob.  27  :  ^EQaroOxi^Evrjg  6  ^^y)Mov  Kvgrjpcciog, 
op  ov  uovov  yQctfx/uacixoy  uXXd  xcd  noiijrrju 
UV  rig  ovofxaaeie  xai  cpLloaocpov  xal  ysM^sxQrjv. 
^)  Ps.  Longin  de  subl.  34.  In  ähnlicher 
Spielerei  nannten  die  Grammatiken  den  Ari- 
starcheer  Satyros  Zrjra  und  den  Aesop  ©lyr«, 


s.  Photios  Bibl.  p.  151b,  21. 

'^)  Niese,  Die  Chronographie  des  Era- 
tosthenes, Herrn.  23,  92 — 102,  bestreitet 
dieses,  indem  er  dem  Werke,  von  dem  kein 
Buchcitat  existiert,  nur  einen  massigen  Um- 
fang gibt. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  388—389.)     509 


Ptolemaios,  ebenso  als  zweiter  Piaton,  wie  man  ihn  ehrend  nannte,  mit 
philosophischen  Fragen,  die  er  wie  sein  Vorbild  in  dialogischer  Form  be- 
handelte. 

Lebend  in  einer  Zeit,  in  der  die  Gelehrsamkeit  sich  noch  nicht  mit 
Trockenheit  der  Gedanken  und  Kunstlosigkeit  der  Form  identifizierte, 
pflegte  Eratosthenes  auch  den  Garten  der  Poesie.  Stoff  bot  ihm  dazu  die 
Astronomie  und  der  bestirnte  Himmel,  der  sich  damals  mit  wundervollen 
Gebilden  der  poetischen  Phantasie  belebte.  Sein  hauptsächlichstes  astro- 
nomisches Lehrgedicht  war  der  'EQf.irjg,  von  dem  sich  ein  längeres  Frag- 
ment, welches  die  Einteilung  der  Erde  in  5  Zonen  enthält,  gerettet  hat. 
Mit  den  Sternbildern  hing  das  Gedicht  'HQiyovr]  zusammen,  ein  noir^^aTiov 
did  ndvTcov  dfXM^rjTov^  wie  es  Ps.  Longin  c.  33  nennt,  in  welchem  die 
rührende  Sage  von  dem  Tode  des  Ikarios  und  der  Treue  seines  Hundes 
erzählt  war.  Vermutlich  hatte  auch  die  ^AvreQivvg,  in  welcher  die  Sage 
vom  Tode  Hesiods  vorkam,  zu  den  Sternen  und  Verwandlungen  Bezug. 
Mit  diesen  poetischen  Schöpfungen  berühren  sich  im  Inhalt  die  uns  noch 
erhaltenen  KaraaTs^KTinoi,^)  in  denen  die  einzelnen  Sternbilder  in  Verbin- 
dung mit  den  Fabeln  der  Dichter  in  prosaischer  Rede  aufgezählt  sind. 
Dieselben  bildeten  im  Altertum  schon  eine  Hauptquelle  der  späteren  Fabel- 
schriftsteller, insbesondere  des  Hygin,^)  sind  aber  nur  in  der  Form  eines 
Auszugs  auf  uns  gekommen,  in  dem  obendrein  dem  Arat  zulieb  die  ur- 
sprüngliche Ordnung  geändert  ist.^) 

Eratosthenes  war  so  eine  der  ersten  Grössen  der  alexandrinischen 
Zeit,  ein  Mann  von  Scharfsinn,  Geschmack  und  ausgebreitetster  Gelehrsam- 
keit. Er  verdiente  den  Namen  Philologos,  den  er  sich  im  Gegensatz  zu 
den  Grammatikern  mit  ihrem  beschränkten  Gesichtskreis  beilegte.  Wir 
bezeichnen  ihn  nach  unserer  Sprechweise  als  den  ersten  grossen  Polyhistor. 
Wenn  man  aber  sonst  leicht  von  den  Polyhistoren  den  Ausspruch  des 
Heraklit  TroXvfjia^rjirj  voov  ov  öidäaxei  anzuwenden  veranlasst  wird,  so 
muss  man  umgekehrt  von  Eratosthenes  bekennen,  dass  er  sich  bei  aller 
Gelehrsamkeit  durch  Feinheit  des  Urteils  und  poetisches  Verständnis  aus- 
zeichnete. Er  zeigte  dieses  unter  anderem  in  der  Homererklärung,  bei  der 
er  gegenüber  den  prosaischen  Naturen,  welche  in  den  Schilderungen  der 
Schlachten  und  in  den  Irrfahrten  des  Odysseus  peinlich  genaue  Bericht- 
erstattungen wirklicher  Ereignisse  finden  wollten,  an  dem  goldenen  Satze 
festhielt  on  TTOirjrrjg  nag  CTOxä^sTai  xpvxaywyiag^   ov  SiSaaxaXiag.^) 

Eratostlieniea  compos.  Bernhardt,  Berol.  1822.  —  Die  geographischen  Fragmente 
des  Eratosthenes  von  Hugo  Berger,  Leipz.  1880.  —  Eratosthenis  carminum  rell.  dispos. 
Hiller,  Lips.  1872.  —  Maass,  De  Eratosthenis  Erigona,  Phil.  Unt.  VI,  59—138.  —  Era- 
tosthenis catasterismorum  reliquiae  reo.  C.  Robert,  Berol.  1878. 

389.   Antigenes  von  Karystos^)  in  Euböa,  davon  öfters  schlechtweg 


^)  KcaaÄoyoi  heissen  dieselben  bei  Schol. 
zu  Hom.  X,  29:  laio^ei  'EQcaoad^evrjg  sv  ro?g 
iavrov  xuraXoyoig. 

''-)  Die  Meinung  Bernhardys,  dass  unsere 
KaTaoT£Qiafj,oL  nur  eine  Übersetzung  der  Fa- 
beln des  Hygin  seien,  ist  widerlegt  von 
BuRSiAN  in  Jhrb.  f.  Phil.  1866  S.  765. 

^)  Dieses  ist  nachgewiesen  von  Robert 
in  den  Proleg.  seiner  Ausgabe  der  Kaiaaie- 


QKTfioi  p,  33  f.  Die  Echtheit  bezweifelt 
Maass,  Analecta  Eratosthenica  (Phil.  Unt. 
VI,  Berl.  1883);  dagegen  Böhme,  Rh.  M. 
42,  286  ff. 

-*)  Strabon  p.  7. 

^)  Köpke,  De  Antigono  Carystio,  Ber. 
1862;  WiLAMowiTZ,  Antigenes  von  Karystos, 
Phil.  Unt.  IV,  Berl.  1881. 


510  Griechisclie  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

(  KaQvüTiog  genannt,  hatte  seine  Bildung  in  Eretria  bei  dem  Philosophen 
Menedemos  erhalten  und  war  dann  in  die  Kreise  der  Philosophen  und 
Künstler  Athens  eingetreten.  Von  König  Attalos  I.  nach  Pergamon  be- 
rufen, ward  er  einer  der  hervorragendsten  Vertreter  der  älteren  perga- 
menischen  Schule.  Seine  Lebenszeit  reicht  über  226  herab.  Das  Haupt- 
werk desselben  waren  die  Bioi  (fiXoaöifmv,  dessen  einzelne  Abschnitte  unter 
besonderen  Titeln,  wie  iv  to)  Zrjvcovog  ßiM,  iv  t^)  MsvsSriiiov  ßioy,  sv  to) 
nsQi  IJiQQMvog  etc.  citiert  werden.  Ein  Hauptvorzug  dieser  Biographien 
vor  ähnlichen  litterarhistorischen  Büchern  bestand  darin,  dass  sie  aus  dem 
vollen  Leben  geschöpft  waren,  indem  ihr  Verfasser  die  Philosophen,  deren 
Leben  er  schrieb,  aus  persönlichem  Umgang  kannte,  nicht  auf  Fabeln  und 
blosses  Hörensagen  angewiesen  war.  Verwandter  Natur  waren  die  '/cro- 
Qtxd  v7toiivrjjj.aTa,  in  denen  unter  anderm  nach  Athen.  61  Oe  von  der  Philo- 
sophenvertreibung durch  König  Lysimachos  erzählt  war.  Ob  unser  Anti- 
genes auch  ein  Buch  über  Kunst,  speziell  über  Toreutik  und  Maler  ^)  ge- 
schrieben hat,  gegen  das  Polemon  polemisierte,  oder  mit  anderen  Worten, 
ob  der  Schriftsteller  Antigonos  und  der  Künstler  Antigenes  eine  und  die- 
selbe Person  sei,  wird  bezweifelt. 2)  Auf  uns  gekommen  ist  eine  Sammlung 
von  Wundergeschichten  {IctTogicov  naqaSo^oiv  avvayißyrj),  die  in  191  Para- 
graphen wunderbare  Erscheinungen  meist  aus  dem  Naturreich  in  Verbin- 
dung mit  mythologischen  Erzählungen  enthält.  Die  Sammlung  in  einfacher, 
aber  korrekter  Sprache  stützt  sich  auf  eine  umfassende  Lektüre,  so  dass 
neben  Herodot  und  Homer,  der  hier  schon  0  Troirjzrjg  schlechthin  heisst, 
Ktesias,  Aristoteles,  Eudoxos,  Timaios  u.  a.  berücksichtigt  sind.  Der 
grössere  Teil  aber  ist  nur  eine  Auslese  (sxkoyrj)  aus  der  Tiergeschichte  des 
Aristoteles  und  der  Wundersammlung  des  Kallimachos.  Ausgabe  von  Keller, 
Beruni  naütralium  scriptores  graec.  min.  I,  1 — 42. 

390.  Istros  aus  Kyrene,  nach  andern  aus  Makedonien  oder  Paphos, 
war  Sklave  von  Geburt,  wurde  dann  Schüler  des  Kallimachos  und  schrieb 
wie  sein  Herr  und  Meister  in  Prosa  und  Vers.  Seine  litterarische  Betrieb- 
samkeit war  hauptsächlich  der  historischen  Philologie  zugewandt,  so  dass 
ihn  Plutarch,  Alex.  46,  geradezu  einen  Historiker  nennt.  Sein  Hauptwerk 
waren  die  Attika,  wovon  Athen,  p.  557a  ein  14.  Buch  anführt;  wenn  Har- 
pokration  unter  sTTsvsyxstv  und  ^soiviov  dasselbe  unter  dem  Titel  away^y)] 
TÖ)v  'At^iScüv  citiert,  so  lässt  sich  daraus  entnehmen,  dass  in  demselben  die 
früheren  Werke  ähnlichen  Inhaltes  2)  benützt  und  zusammengefasst  waren. 
Ausserdem  schrieb  er  ^Hhaxd,  'ÄQyohxd,  av^iiixTa  virof.ivr'jjiiaTa,  ÄlyimTi(ü%' 
diroixiai,,  nsql  JlToXsi^idiSog,  jtsqI  dyah'cov.  Litterarhistorischen  Inhalts  waren 
seine  MsXoTioioi.  Gegen  den  Historiker  Timaios,  dem  er  den  Spitznamen 
Epitimaios  gab,  polemisierte  er  in  einer  eigenen  Schrift.^)  Die  Fragmente  | 
sind   gesammelt  bei   Müller,  FHG.  I,  418  —  427,    speziell  besprochen   von 


')  Plinius  im  Index  auctorum  1.  XXXIV   1   Zenobios  V,  82.     Auch  eine  Schrift  nsQi  Xe- 


und  XXXV,  68;  Diog.  VII,  187. 

^)  WiLAMOWiTZ  geht  von  der  Identität 
beider  aus;  Bedenken  erhebt  Urlichs,  Über 
griech.  Kunstschriftsteller,  Würzb.  1887  S,  34. 
Ausdrücklich  hat  der  Bildhauer  Antigonos  den 
Beinamen  Karystios  bei  dem  Parömiographen 


^eioq  von  einem  Antigonos  Karystios  wird  bei 
Athen.  88  a  u.  297  a  erwähnt,  worüber  Wila- 
MOWITZ  S.   174. 

3)  Vgl.  oben  §  360. 

■*)  Ath.  272  b  "iGTQog  sv  rcag  UQog  'Ettj- 
Tificiioy  dvTiyQCicpmg. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§390— 393.)  511 

Wellmann,  De  Isfro  CalUmachio,  Greifsw.  1886.  —  Von  dem  Kalli- 
macheer  Ister  verschieden  ist  Ister  von  Kallatis,  den  Stephanos  unt.  Kd?.- 
lang  als  Verfasser  eines  Buches  über  Tragödie  anführt  und  der  vermutlich 
einer  späteren  Zeit  angehört;  auf  besagtes  Buch  sind  die  Notizen  im  Leben 
des  Sophokles  zurückzuführen. 

391.  Hermippos  aus  Smyrna,  Kallimacheer  genannt  im  Gegensatz 
zu  dem  unter  Hadrian  lebenden  Hermippos  Berytios,  schrieb  im  Anschluss 
an  die  Pinakes  seines  Lehrers  Biographien  berühmter  Männer  {Bioi  tmv 
SV  naideia  diaXajj^ijjdvTMr).  Die  einzelnen  Abschnitte  jenes  Werkes  werden 
unter  besonderen  Titeln  angeführt,  wie  ttsqI  tcov  inid  aocpcov,  ttsqI  JIqw- 
TccyoQOV,  tisq]  '^iTTTCcovccxTog,  ttsqI  roQyiov,  7T8qI  laoxQdrovg,  nsQi  TCOV  ^lao- 
xqdrovg  (la^rjZMv  (in  mindestens  3  B.),  ttsq!  ^AQiazoTsXovg,  jisqI  OsoifQaarov,^) 
ti8qI  XQvaiTCTcov,^)  einer  davon  hat  sich  im  Verzeichnis  der  akademischen 
Philosophen  der  herkulanischen  Rollen  erhalten:  ttsqI  tcov  dno  (fiXoao(fictg 
HC  TVQQavviSag  xal  dwccCTsiag  fxed^saTijxoTcov.  Die  biographischen  Arbeiten 
des  Hermippos,  welche  ähnlich  wie  die  des  Istros  die  Überlieferungen  der 
Früheren  vereinigten  und  abschlössen,  wurden  viel  von  den  Späteren  be- 
nützt. Eine  Stellung  für  sich  behauptete  die  Schrift  über  die  Gesetzgeber 
(nsgl  rojnoO^sTcov),  von  der  bei  Athen.  619  b  ein  6.  Buch  citiert  wird.  Ob 
der  Hermippos,  welcher  nach  dem  Biographen  des  Arat  Phainomena  schrieb 
und  in  Trimetern  auch  von  Asklepios  und  seinen  Kindern  handelte  (Schol. 
Arist.  Plut.  701),  mit  dem  Kallimacheer  Hermippos  oder  überhaupt  mit  einem 
unserer  zwei  Hermippoi  identisch  sei,  ist  zweifelhaft.  Fragmente  bei  Müller, 
FHG.  III,  35-54. 

392.  Satyros,  der  Peripatetiker,  verschieden  von  dem  Aristarcheer 
2dTV()og  0  C^Ta,  blühte  um  200,  sicher  vor  Ptolemaios  Philometor,  unter 
dem  Herakleides  o  Xefxßog  sein  Werk  in  einen  Auszug  brachte.^)  Seine  Bioi 
bewegten  sich  ganz  im  Fahrwasser  der  peripatetischen  Schule,  mit  welcher 
er  auch  die  kritiklose  Aufnahme  von  Anekdoten  teilte.  Die  meisten  der- 
selben galten  berühmten  Philosophen  und  Dichtern;  doch  schrieb  er  auch 
ein  Leben  Philipps.  Von  dem  Ansehen  und  Umfang  des  biographischen 
Werkes,  von  welchem  Diogenes  VI,  80  ein  4.  Buch  citiert,  zeugt  der  Um- 
stand, dass  der  Grammatiker  Herakleides  von  ihm  eine  Epitome  veran- 
staltete. Der  Titel  seines  zweiten  Werkes  tvsqI  xaqaxTrjQwv  verrät  den 
Nachahmer  des  Theophrast.     Fragmente  bei  Müller,  FHG.  III,  159—166. 

393.  Polemon  war  in  einem  Dorfe  der  Landschaft  Ilion  geboren, 
wovon  er  bei  Suidas  den  Zunamen  6  'Ihsvg  hat.  Im  Verfolge  seiner  topo- 
graphischen und  kunstgeschichtlichen  Studien  durchwanderte  er  ganz  Hellas, 
Vorderasien,  Sikilien  und  Italien,  indem  er  sich  in  den  Hauptorten  Griechen- 
lands zum  eingehenden  Studium  förmlich  niederliess.  Infolge  dessen  erhielt 
er  von  Delphi  die  Proxenie  (176  v.  Chr.)^)  und  wurde  von  Athen  und 
anderen  Städten  ^)  mit  Verleihung  des  Bürgerrechtes  ausgezeichnet,  so  dass 

-)  Über  das  von  Hermippos  ausgehende  j            ^)  Darüber  Diog.  VIII,  40.  IX,  20, 

Verzeichnis  der  Werke    des  Aristoteles  und  i            '^)  Wescher-Foucart,  Inscr.  de  Belplies, 

Theophrast  s.  S.  495  An.  5.  n.   18  v.  260:   llolefxcDv  Mih]alov  'iXisvg. 

^)  Da  Chrysipp  208/5  starb,  so  schliesst  ^)  Im  Artikel    des   Suidas   ist   zwischen 

man  daraus,  dass  Hermippos  noch  dieses  Jahr  ^JSijyrjai  nohroyQfccfrjSELg  und  t)>o  xal  EXhc- 

überlebte.  i    6ix6q  insyQt'iifeio  durch  Homoioteleutie  aus- 


512 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


scherzend  Athenaios  234  d  von  ihm  sagt  d're  ^ä^jaog,  drs  2ixvo)viog,  m' 
'A^7]vccTog  ovoßa^ö^isvog  xaiQsi.  Nach  Alexandria  ward  er  durch  Ptolemaios 
Epiphanes  gezogen.^)  Seinen  Hauptruhm  erwarb  er  sich  als  Perieget,  wo- 
von er  auch  den  Beinamen  TTeQirjyrjzrjg  oder  arrj^-oxonag  erhielt.  Voran- 
gegangen war  ihm  in  diesem  Zweige  der  Forschung  Diodor  von  Athen, 2) 
aber  erst  er  erhob  die  Periegese  zu  ihrer  grossen  Bedeutung,  indem  er  auf 
das  sorgfältigste  an  Ort  und  Stelle  die  Kunstwerke  und  sonstigen  Merk- 
würdigkeiten untersuchte  und  die  Weihinschriften  und  Grabepigramme  zur 
Aufhellung  der  Kunst-  und  Kulturverhältnisse  heranzog.^)  Von  seinen 
Schriften  nennt  Suidas  in  einem  verworrenen  Artikel  nur  wenige:  TtsQirjyrjaig 
'Ih'ov,  Tcc  TTQog  ^Aöcciov  xal  ^Avriyovov,  xriasig  tcov  iv  ^Mxidi  ttoXsmv,  xTiaeig 
Tcov  iv  JIovTo)  nöXsoov^  ttsqI  tcov  iv  AuxeSai^iovi.  Wie  es  damals  Brauch 
war,  legte  er  seine  Studien  in  Spezialschriften  nieder;  aber  die  von  Suidas 
angeführten  waren  nicht  die  bedeutendsten;  bedeutender  waren  die  Schriften 
nsQl  TTJg  ^A&T'Vr^aiv  dxQOTioXswg  in  4  B.,*)  ttsqI  tcov  iv  ^ixvcovi  mvccxon',  ttsqI 
TCOV  iv  Jf:X(foTg  &rj(favQcov,  rtsql  tcov  xaTci  noXsig  imyQaiiixarcov.  Ausserdem 
kannte  das  Altertum  von  Polemon  ein  Buch  über  Wunderdinge.  Briefe, 
darunter  einen  an  König  Attalos,  und  eine  Reihe  von  Streitschriften  {ccvti- 
ygacpai),  insbesondere  gegen  Timaios,  Neanthes,  Anaxandrides,  und  in  kunst- 
geschichtlichen Fragen  gegen  Adaios  und  Antigenes;  dem  Eratosthenes 
wies  er  solche  Fehler  in  der  Beschreibung  Athens  nach,  dass  es  scheine, 
er  habe  Athen  gar  nicht  gesehen.^)  Bestritten  war  die  Echtheit  des  BX- 
Xadixög  sc.  Xoyog,^)  der  vielleicht  nur  deshalb  dem  Polemon  zugeschrieben 
ward,  weil  er  aus  dessen  Werken  zusammengestellt  war;  wie  sich  aber 
diese  Schrift  zu  der  von  Suidas  erwähnten  xoaiiixr]  7T€Qirjy7j(ng  rjzoi  yaco- 
yqaffia  und  zu  den  von  andern')  angeführten  ^EkXrjvixal  taTOQim  verhielt, 
ist  unklar.  Hauptwerk  von  Pkellek,  Polemonis  periegetae  fragm.^  Lips. 
1838;  die  Fragmente  auch  bei  Müller,  FHG.  III,  108—148;  vgl.  Bencker, 
der  Anteil  der  Periegese  an  der  Kunstschriftstellerei  der  Alten,  Diss. 
München  1890. 

Von  Gelehrten  ähnlicher  Richtung  habe  ich  schon  gelegentlich  Diodor, 
Adaios,  Antigenes  genannt;  ich  füge  hier  noch  an:  Kallixenos  aus  Rhodos, 
der  zur  Zeit  des  Ptolemaios  Philadelphos  ein  Buch  über  Alexandria  schrieb 
und  dessen  Verzeichnis  berühmter  Maler  und  Bildhauer  der  Sophist  Sopater 
in  seine  Chrestomathie  (Phot.  cod.  161)  aufnahm,  Heliodoros  aus  Athen 
(2.  Jahrb.),   dessen   Bücher   über   die  Akropolis    und   die  Dreifüsse  (Weih- 


gefallen xal  Ev  {(XXatg  nokXaig  rfjg  EXlä^og 
noXsai. 

')  Athen.  552b.  Suidas  setzt  den  Po- 
lemon unter  Ptolemaios  Epiphanes  und  gleich- 
zeitig mit  dem  Grammatiker  Aristophanes 
von  Byzanz. 

'^}  Derselbe  schrieb  vor  308,  s.  Preller, 
Polemon,  S.  170  ff.  Fragmente  bei  Müller 
FHG.  II,  353  ff. 

^)  Muster  ist  der  Artikel  nciQdaiTog  bei 
Ath.  234  d. 

^)  Strab.  p.  396:  UoXtfxMv  6  7T€Qif]y7]ri]g 
TSTTccQa  ßiß)ü(c  avviyQCixpe  neql  rwy  dva- 
^fjfidriov  TÜiv  iv  ((XQonoXec.     Die  Schrift  ent- 


hielt mehr  als  der  Titel  besagte,  indem  sie 
auch  andere  Punkte  der  Stadtperiegese  be- 
handelte, worüber  Kalkmann,  Pausanias 
S.  59  ff. 

5)  Strab.  p.  15. 

ß)  Daher  Ath.  479  u.  606:  noXe^oiP  rj 
6  noiijaag  zov  BniyQacfö^Evov  'EXXccdixov. 

')  Schol.  Aristid.  III,  321  ed.  Dind.  und 
lulius  Afric,  bei  Eusebius  praep.  ev.  X,  10.  15. 
Vielleicht  ist  eine  Erwähnung  dieses  Sammel- 
buches alter  Mythen  auch  zu  suchen  in 
Schol.  II.  r  242  7)  iaxoQLCi  nagd  xoTg  IloXe- 
ixiorloig  rj  roTg  xvxXixoTg. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  394.)     51; 


geschenke)  Athens  eine  Hauptquelle  des  älteren  Plinius  bildeten,  Anaxan- 
drides,  älterer  Zeitgenosse  des  Polemon,  der  über  das  Orakel  von  Delphi 
und  die  geraubten  Weihgeschenke  des  Orakels  schrieb,^)  Mnaseas  aus 
Patara,  Schüler  des  Eratosthenes,  der  eine  Sammlung  delphischer  Orakel- 
sprüche veranstaltete,  Hegesander  von  Delphi  aus  der  Zeit  des  Königs 
Perseus,  in  dessen  Memoiren  die  Bildsäulen  und  sonstigen  Kunstwerke 
seiner  Vaterstadt  eine  hervorragende  Stelle  einnahmen,^)  Sokrates  aus 
Argos,  dessen  mythenreiche  Periegese  der  Landschaft  Argos  in  den  Schollen 
zu  Pindar  und  Euripides  und  von  Plutarch  de  mul.  virt.  4  herangezogen 
ist.  Fragmente  bei  Müller,  FHG.  HI,  55—66;  106-7;  149—158;  IV, 
412—422;  496-9. 

394.  Aristophanes  (um  262 — 185)  war  als  Sohn  des  Söldnerführers 
Apelles  in  Byzanz  am  Hellespont  geboren  (daher  Byzantius  genannt),  kam 
aber  schon  in  frühen  Jahren,  unter  Ptolemaios  Philadelphos,  nach  Ale- 
xandria, ^)  wo  er  Schüler  des  Zenodot  und  Kallimachos  wurde.  ^)  Von  den 
Königen  Ägyptens  hochgeehrt,  bekleidete  er  als  Nachfolger  des  Apollonios 
Rhodios  und  als  Vorgänger  des  Aristarch  das  angesehene  Amt  eines  Bib- 
liothekars.^) Von  einem  Versuch  zum  König  Eumenes  von  Pergamon  über- 
zugehen, ward  er  mit  Gewalt  zurückgehalten.  Hochbejahrt  starb  er  77  Jahre 
alt  am  Harnzwang  um  185.  Aristophanes  hiess  Grammatiker  und  war 
dieses  im  eigentlichen,  zugleich  aber  auch  im  eminenten  Sinne.  Seine 
Studien  galten  fast  ausschliesslich  der  Sprache,  Litteratur  und  Texteskritik; 
selbst  sein  scheinbar  historisches  Buch  über  die  Hetären,'')  sowie  seine 
Schriften  über  die  Masken  und  sprichwörtlichen  Ausdrücke  hingen  mit 
seinen  Studien  über  die  attische  Komödie  zusammen.  Für  die  Litteratur- 
geschichte  bedeutsam  waren  seine  Ergänzungen  und  Berichtigungen  der 
Pinakes  des  Kallimachos,*^)  womit  zugleich  die  Ordnung  der  Werke  einzelner 
Schriftsteller,  wie  des  Philosophen  Piaton,'')  und  die  Auswahl  der  muster- 
gültigen Autoren  in  den  einzelnen  Zweigen  der  Litteratur,  der  sogenannte 
Kanon  der  Alexandriner  in  Zusammenhang  stund. ^)  Zur  Textesbearbeitung 
(6i6Q^o)aig)  und  Herausgabe  (sxdoaig)  wählte  er,  der  Richtung  seiner  Zeit 
und  der  eigenen  poetischen  Neigung  folgend,  nicht  die  Redner  und  Histo- 
riker, sondern  die  Dichter.  Unserem  Imm.  Bekker  vergleichbar,  hat  er 
eine  Unmasse  von  Ausgaben  besorgt,   geschätzt   waren   insbesondere   seine 


')  Weniger,  De  Anaxandrida  Polemone 
Hegesandro,  Beil.  1865. 

^)  Suidas:  yeyovs  tfe  xaru  irjv  Q^u<^  (?i"^ 
V.  1.)  ökvjLiTiiu&a  ßaatXevoyrog  IIzoXeiAcäov  rov 
4'i'A(((fEXg)ov  xcd  rov  fusr^  «rroV  rov  ^i'Aond- 
TOQog  {(fiersirs  de  f^e/Qi  UTo'kffxaiov  tov 
^iloTiuTOQoq  xal  rov  fASi^  cnzöy  ßaailevaavjog 
eorr.  Bernliardy).  Über  den  verworrenen  Ar- 
tikel s.  RiTscHL,  Alex.  Bibl.,  p.  79  =  Opnsc. 
I,  G4,  und  dagegen  Rohde,  Kli.  M.  33,  168. 

^)  Suidas:  (xax^ijiiqg  Kc<XXifX('c/ot>  xccl  7.7]- 
vo&OTOv,  «AA«  TOV  fi€y  rt'og,  tov  de  ncag 
i^^xovoe.  Ausserdem  gibt  Suidas  den  Dio- 
nysios  lambos,  der  neQi  diaXtxiojy  geschrieben 
hatte,  und  den  Knphronis  aus  Korinth  oder 
Sikyon    als   seine  Lehrer  an.     Athen.  241  f. 

Haudbuch  der  klass.  Altcvlumswissoiisohalt.  VH.     i 


u.  664a  nennt  auch  den  Komiker  Machon 
seinen  Lehrer. 

"*)  Die  Antrittszeit  des  Amtes  scheint 
von  Suidas  mit  ytyovE  6e  y.aid  rij)/  (>,wtF' 
öX.  bezeichnet  zu  sein,  danach  wurde  er  um 
204/200  Bibliothekar;  er  war  bei  dem  An- 
tritt des  Amtes  nach  Suidas  62  Jahre  alt. 

^)  Das  Buch  ist  oft  citiert  von  Athcnaios. 

^)  Ath.  408  f.  führt  an  to  jjQog  rot^g 
KaXh/uu^ov  nivaxag  und  p.  33(5  e  ui'((yQ(((fij 

<^QC<fI('(TlOl'. 

')  Siehe  S.  373  An.  2.  Auch  mit  der 
Naturgeschichte  des  Aristoteles  hatte  er  sich 
beschäftigt. 

**)  Siehe  §  314  und  vgl.  das  Epigramm 
des  Aelian  CIG.  1085,  llf. 

AuH.  33 


514 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Textesrecensionen  des  Homer  und  der  Lyriker.  Eingehend  beschäftigte  er 
sich  auch  mit  der  attischen  Komödie,  auf  die  ihn  sein  Freund,  der  Dichter 
Machon,  hingewiesen  haben  wird.  Zu  den  Dramen  der  Tragiker  lieferte 
er  Einleitungen  (viroO^tasig),  in  denen  er  über  die  Fabel,  die  Aufführung, 
den  ästhetischen  Wert  der  einzelnen  Stücke  handelte.')  Von  diesen  sowohl 
als  von  den  Kommentaren,  namentlich  zu  Euripides,  sind  uns  noch  Reste 
in  unseren  Schollen  erhalten. 2)  Auch  von  den  Lyrikern,  speziell  von 
Alkaios,  Anakreon,  Pindar  besorgte  er  kritische  Ausgaben  unter  besonderer 
Berücksichtigung  der  Vers-  und  Strophenabteilung. ^)  Von  seinen  lexikali- 
schen Sammlungen  werden  die  'Attixcü  X<<^8ig,  AaxMvixcd  yXcoaaai  und  die 
Spezialschriften  tt^qI  ovonaaiag  r^hxiMv,  ttsqI  avyysvMv  bvo}.iäTün>  namhaft 
gemacht.  Einen  unbedeutenden  Rest  der  Xb'itig  hat  in  unserer  Zeit  Miller, 
Melanges  427 — 34  aus  einer  Handschrift  des  Berges  Athos  ans  Licht  ge- 
zogen.^) Auf  unseren  Grammatiker  geht  auch  die  Einführung  kritischer 
und  prosodischer  Zeichen  zurück.^)  Die  ersten  sollten  in  einer  Zeit,  wo 
man  mit  dem  Schreibmaterial  sparen  musste,  dazu  dienen,  um  in  Kürze 
am  Rand  Andeutungen  über  Unechtheit,  Eigentümlichkeiten  in  Sprache  und 
Mythus,  Anfang  und  Schluss  der  Perioden  oder  Strophen  zu  geben.  Die 
prosodischen  Zeichen  für  Accent,  Spiritus,  Quantität  sind  von  Aristophanes 
nicht  neu  erfunden,  auch  nicht  mit  der  gleichen  Konsequenz  wie  in  unseren 
Drucken  durchgeführt,  aber  doch  häufiger  als  vordem  zur  Unterscheidung 
ähnlich  aussehender  Wörter,  wie  avt'iQ  und  «r/;^,  angewendet  worden.^) 
Die  grossartige  Gelehrsamkeit  unseres  Kritikers  hat  den  Sammelwerken  der 
Späteren  und  den  Schollen  der  Dichter  ihr  reichstes  Material  geliefert;  aus 
ihnen  müssen  wir  heutzutage  die  spärlichen  Reste  der  fruchtbaren  Thätig- 
keit  des  vielseitigen  Gelehrten  zusammenlesen. 

Nauck,  Äristophanis  Byzantii  grammatici  Alexandrini  fragmenta,  Haus  1848,  dazu 
WiLAMOWiTZ,  Eur.  Herakl.  I,  137 — 53;  Trendelenburg,  Grammaticoriim  graec.  de  arte 
tragica  i^idiciorum  reliquiae,  Bonn  1867;  H.  Schrader,  De  notatione  critica  a  veteribus 
grammaticis  in  poetis  scaenicis  adhihUa,  Bonn  1863. 

Der  bedeutendste  Nachfolger  des  Aristophanes  war  Aristarch;  aber 
der  ist  seine  eigenen  Wege  gegangen,  hingegen  haben  sich  seine  Schüler 
im  engeren  Sinn,  ol  ^Agiazocfareioi,  enger  an  ihr  Vorbild  angeschlossen  und 
nicht  bloss  die  Richtung  der  von  ihm  angebahnten  Studien,  sondern  auch 
die  von  ihm  eingeführten  Zeichen  beibehalten.  Die  namhaftesten  unter  ihnen 
waren:  Artemidoros  aus  dem  1.  Jahrhundert  v.  Chr.,')  von  dem  Athenaios 
Xk"^€ig  oipccQTVTixäg  anführt  und  der  eine  Sammelausgabe  der  Bukoliker  be- 
sorgte, Kallistratos,  der  sich  mit  Homer,  Pindar  und  den  Dramatikern 
beschäftigte  und  von  dem  Athenaios  ^vjHfxixTa  in  mindestens  7  B.  und  ein 


I 


')  Siehe  §  7. 

2)  Siehe  §  134  An. 

^)  Dionys.  de  comp.  22:  xioXa  tTe  /us 
(^a^ai,  vvi'l  'keysiv  ov/  otg  'jQiaio(fc'(i^r]g  rj  xiov 
icXXmp  Tig  ^ETQiy.Mv  (fisxoafirjae  rdg  iodccg. 

'*)  Vgl.  CoHN,  De  Aristophane  Byz.  et 
Suetonio  Tranquillo  Eustatldi  auctoribus, 
Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIl,  285  ff.;  Fresenius, 
De  Xs^scoi^  Aristoj)1ianearum  et  Suctonia- 
narum  excerptis  Byzantinis,  Wiesbaden 
1875.     Von  der  Exaktheit  des  Aristophanes 


in  seinen  vollständigen  Werken  kann  uns 
der  Artikel  über  die  Namen  der  jungen  Tiere 
bei  Aelian  A.  H.  VII,  47  einen  Begriff  geben. 

^)  Bezeugt  von  Ps.  Arkadios  p.  186. 

^)  Vgl.  Lentz,  Herodiani  rell.  I,  praef. 
XXXVII 

')  Vgl.  Sehol.  Aristoph.  Vesp.  1239; 
Ahrens,  Bucol.  gr.  11  p.  XXXVII.  Verschie- 
den von  dem  Grammatiker  ist  der  Geograph 
Artemidoros  aus  Ephesos. 


A.  AI exandrinisches  Zeitalter.    3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§395.)     515 

Buch  nsQi  haiQMv  anführt,^)  Diodoros,  von  dem  italische  Glossen  citiert 
werden,  der  also  in  der  Zeit  gelebt  haben  wird,  wo  die  griechischen  Ge- 
lehrten mit  Rom  nähere  Fühlung  bekamen. 

395.  Aristarchos  (um  222  — 150),  der  berühmte  Schüler  und  Nach- 
folger des  Aristophanes,  stammte  aus  Samothrake,  war  aber  gleichfalls  frühe 
nach  Alexandria  übergesiedelt. 2)  Seine  Blüte  setzt  Suidas  in  Ol.  156  unter 
Ptolemaios  Philometor  (181  — 146),  dessen  Sohn  er  erzog.  Als  durch  den  Streit 
des  Königs  mit  seinem  Bruder  Ptolemaios  Physkon  das  Verhältnis  sich  trübte, 
verliess  er  Ägypten  und  starb  72  Jahre  alt  in  Rhodos  an  der  Wassersucht, 
indem  er  selbst  durch  Enthaltung  von  Nahrung  sein  Ende  beschleunigte. 
Aristarch  beschränkte  sich  noch  mehr  als  sein  Vorgänger  Aristophanes  auf 
das  spezielle  Gebiet  der  Grammatik  und  insbesondere  der  Texteskritik, 
handhabte  aber  diese  Kunst  mit  einer  solchen  Meisterschaft,  dass  er  den 
Höhepunkt  der  grammatischen  Studien  Alexandriens  bezeichnet.  Seine 
Überlegenheit  beruhte  weniger  auf  dem  Umfang  des  Wissens  als  auf  der 
Schärfe  des  Urteils  und  der  Feinheit  der  Divinationsgabe.  Damit  verband 
er  als  anregender,  imponierender  Lehrer  eine  wunderbare  Anziehungskraft, 
so  dass  aus  seiner  Schule  an  40  Grammatiker  hervorgingen"^)  und  seine 
Autorität  auch  noch  bei  den  nachfolgenden  Geschlechtern  obenan  stund.  In 
der  grammatischen  Theorie  vertrat  er  gegenüber  dem  Stoiker  Chrysippos 
den  Standpunkt  der  Analogie  oder  der  regelmässigen  Formbildung,  in  der 
Exegese  ging  er  unter  Ablehnung  aller  nicht  zur  Sache  gehörigen  Gelehr- 
samkeit von  dem  Grundsatze  aus,  dass  man  jeden  Autor  zunächst  aus  sich 
selbst  erklären  müsse,  in  der  Kritik  war  er  ebenso  weit  von  denkfauler 
Vertrauensseligkeit  als  von  leichtfertiger  Änderungssucht  entfernt.  Diese 
Prinzipien  verteidigte  er  mit  schneidiger  Entschiedenheit  gegen  seine  Wider- 
sacher, was  zu  heftigen  litterarischen  Fehden  und  namentlich  zu  scharfer 
Feindschaft  gegen  die  von  Krates  geleitete  Schule  von  Pergamon  führte. 
Berichtigte  Textesausgaben  mit  kritischen  Zeichen'^)  besorgte  er  von  zahl- 
reichen Autoren,  insbesondere  von  Homer,  Hesiod,  Archilochos,  Alkaios, 
Pindar.  Die  Zahl  der  kritischen  Kommentare  {vTioiivrßKXTo)^  die  sich  auch 
auf  Autoren  bezog,  von  denen  er  keine  Ausgaben  veranstaltete,  betrug 
gegen  800,  wie  Suidas  angibt.  Von  litterar  historischen  Büchern  hören  wir 
nichts,  aber  auch  hier  bereitete  er  der  späteren  Forschung  den  Boden  durch 
Aussonderung  des  Unechten  und  strenge  Scheidung  der  Perioden  in  Bezug 
auf  Sprachgebrauch  und  Mythus.  Einblick  in  seine  kritische  Methode  ge- 
winnen wir  besonders  aus  den  Scholien  zu  Homer. 

K.  Lehrs,  De  Aristarchi  studiis  Homericis,  Lips.  1833,  ed.  II,  18G5,  ed.  III.  1882; 
A.  Ludwich,  Aristarchs  Hom.  Textkritik,  Leipzig  1885,  2  Bde. 

Unter  den   zahlreichen    Schülern  Aristarchs'"*)  werden  wir  die   bedeu- 


^)  R.  ScuMiDT,  De  Callistrato  Äristo- 
phaneo,  in  Nauck's  Buch  De  Äristoph.  Byz. 

'-)  Suidas :  ^JQiaraQ^og ' Als^avi^QEvg  &tGsi, 
Trj  Je  (fvoei  2«^o.9()«|,  najQog  'Jqigtüqxov, 
yeyovE  ^e  xcnd  rijy  Qi-g'  oXvfATiUiöct  inl  llio- 
Xsfxaiov  rov  4'iXofA7JTOQog,  ov  yMt  rdv  viov 
sna'iöex^aev  ....  lucif^rjTtjg  dt  yiyovsu  ' Jqioto- 
cpupovg  xov  yQfififimixov.  Sein  Porträt  ver- 
mutet in  einer  Büste  des  kapitolinischen 
Museums  (Ann.    de    Inst.    1841  tab.O.)    von 


Marx,  Ind.  Rost.  1889. 

^)  Suidas:  juccx^7jTcd  de  avrov  yQaufxctxi- 
xol  tisqI  rovg  fx    eytvovro. 

^)  Unter  den  kritischen  Zeichen  ist  am 
bekanntesten  der  Obelos  (~)  zum  Zeichen 
der  Uncchtheit  (daher  oßskiCsii'  =  d^sTsTy  = 
für  unecht  erklären);  über  die  übrigen  s. 
Reiffekscheid,  Suetoni  reih,  p.   141  ff. 

•')  A.  Blau,  De  Aristarchi  discijwlis, 
Jena  1883;  Sengebuscii,  llom.  diss.,  I,  30  sqq. 


16 


Griechische  Litteraturgeschichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 


tendsten,  Apollodor  und  Dionysios  Thrax,  erst  nacliher  in  besonderen  Kapiteln 
behandeln.  Hier  seien  nur  kurz  angeführt:  Ammonios,  Nachfolger  des 
Aristarch  in  der  Vorstandschaft  der  Schule,  der  unter  anderm  über  die 
homerischen  Wörter  bei  Piaton  schrieb,^)  Poseidonios,  Vorleser  Aristarchs, 
der  mehrere  Mal  in  den  Scholien  zu  Homer  angeführt  wird,  Aristodemos 
aus  Elis,  Verfasser  von  Kommentaren  zu  Pindar,^)  Ptolemaios  Pin- 
darion, der  von  Ptolemaios  aus  Askalon,  welcher  in  Rom  lehrte,  und  von 
Ptolemaios  Epithetes,  einem  oftgenannten  Gegner  Aristarchs,  zu  unter- 
scheiden ist,  Parmeniskos,  der  mit  der  Schrift  ngog  KQazrjTa  den  Streit 
des  Schulhauptes  gegen  die  Pergamener  fortsetzte  und  auch  unter  den  Kom- 
mentatoren Arats  genannt  wird,  Satyros  6  ^rjra  genannt  von  seiner  Fin- 
digkeit im  Aufwerfen  und  Lösen  von  Fragen  {^rjzrjasig).^)  Die  Schule  des 
Grammatikers  Aristarch  erhielt  sich  ähnlich  wie  die  der  Philosophen  Jahr- 
hunderte lang  über  den  Tod  des  Meisters  hinaus.  Hervorragende  Ari- 
starcheer  der  jüngeren  Generationen  waren:  Didymos  zur  Zeit  des  Cicero 
und  Augustus,  dem  ich  gleich  nachher  einen  eigenen  Artikel  widmen  wei  de, 
Aristonikos,  ein  Zeitgenosse  Strabons,^)  dessen  exakte  Erläuterungen  der 
von  Aristarch  zu  Homer  gesetzten  Zeichen  uns  im  wesentlichen  erhalten 
sind^)  und  der  nach  Photios  p.  104  b  40  auch  eine  Schrift  über  das  Museum 
zu  Alexandria  schrieb,  Seleukos  der  Homeriker  zur  Zeit  des  Kaisers 
Tiberius,  welcher  ausser  über  Homer  auch  rcfQi  tmv  naq'  ^AXs'^avSQsvah 
naQoiiLimv,  negl  ^eah',  tt^qI  '^ElhjVKffiov,  yXwaaaL  schrieb,^)  ferner  Diony- 
sodoros,  Chairis,  Dionysios  Sidonios  u.  a. 

396.  Krates  aus  Mallos  in  Kilikien  war  ein  Hauptgegner  des  Ari- 
starch und  zugleich  ein  Hauptvertreter  der  pergamenischen  Schule.  Mehr 
Gelehrter  und  Philosoph  (er  heisst  (fihjaocpog  ^Tanxog  bei  Suidas)  als  Gram- 
matiker und  Kritiker  suchte  er  in  der  Erklärung  der  Autoren,  namentlich 
des  Homer,  zu  sehr  Allegorien  und  versteckte  Bezugnahmen.  An  Gelehr- 
samkeit und  Umblick  Hess  er  es  dabei  nicht  fehlen,  indem  er  z.  B.  unter 
Heranziehung  der  Reiseberichte  des  Pytheas  die  Stelle  der  Odyssee  x  86 
iyyvg  yccQ  vvxTog  if  xal  Tjßatog  dai  xbXsv&oi  auf  die  kurzen  Nächte  des 
Nordens  bezog  und  im  Gegensatz  zu  Eratosthenes  und  Aristarch  die  Irr- 
fahrten des  Odysseus  in  das  äussere  Meer  verlegte.')  Auch  in  der  gram- 
matischen Theorie  stellte  er  sich  als  Gegner  des  Aristarch  auf  Seite  der 
Anomalie.  Verdienstlicher  waren  seine  Bemühungen  für  Bereicherung  und 
Katalogisierung  der   pergamenischen   Bibliothek,    wenn   auch   die  Kataloge 


')  Ps.  Longin  de  subl.  13,  3.  Über  die 
Schrift  des  Ammonios  tisqI  rov  fxrj  ysyopsvca 
nXeiovag  ixdöasig  Tijg  'jiQiaTC(Q/€ioi'  (^logO^io- 
asüig,  siehe  Ludwich.  Aristarch  T,  49. 

^)  Schol.  ad  Find.  N.  7,  L  Über 
die  verschiedenen  Aristodemoi  aus  Nysa, 
Elis,  Theben  s.  Müller  FHG.  III,  307-311; 
ein  'jQKTTodtjfiog  6  Nvaraijg,  der  Beziehungen 
zu  Rom  hatte,  ist  erwähnt  in  der  von  Sittl, 
Stzb.  d.  b.  Ak.  1888.  II,  S.  275  herausge- 
gebenen Homervita. 

')  Schol.  ad  Hom    a  216. 

')  Strab.  p.  38;  vgl.  §  37. 

^)  Siehe  oben  S.  49. 


^)  Die  von  Athenaios    citierten  ylMaaai 
des  Seleukos   werden    vornehmlich  die  «AA« 
Gvju^uixrci  des  Suidas  gewesen  sein.     Ein  Se- 
leukos   ttsqI    ßiwu    wird    von    Harpokration  f, 
citiert;  denselben  will  Meier,  Opusc.  II,  152 
u.  159    von    dem   Homeriker    unterscheiden.  : 
Vgl.    M.   Schmidt,    Seleucus   der   Homeriker  ! 
und  seine  Namensverwandten,  Philol.  8,436  fF. 
Die  Fragmente   bei   Müller  FHG.  III,  500. 
Bapp,  Comm.  Ribbeck.  258  fF.    weisst   nach, 
dass    die  Abschnitte    des  Athenaios,   welche 
sympotischen  oder  verwandten  Inhalt  haben, 
aus  Seleukos  ü:enommen  sind. 

7)  Gellius^XIV,  6  u.  Seneca,  ep.  88. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  396.)     517 


der  Pergamener  nicht  ausschliesslich  sein  Werk  waren.  Mit  diesen  hingen 
seine  ästhetischen  Beurteilungen  der  Autoren  zusammen,  wovon  uns  ein 
poetisches  Denkmal  in  einem  Epigramm  der  Anthologie  XI,  218  erhalten 
ist.  1)  Eine  reiche  Quelle  für  die  Späteren  bildete  sein  glossographisches 
Werk  7T8qI  'ÄTTixrjg  SiaXexrov,  von  dem  Athenaios  p.  497 e  ein  5.  Buch 
anführt.  Auch  um  Förderung  der  Erdkunde  bemühte  er  sich  im  Wetteifer 
mit  den  Alexandrinern,  indem  er  im  Hofe  des  pergamenischen  Museums 
einen  Erdglobus  aufstellte.^)  Von  grösstem  Einfluss  für  die  Entwick- 
lung der  Grammatik  in  Rom  war  sein  Aufenthalt  in  der  Hauptstadt  des 
römischen  Reiches  im  Jahre  167,  wovon  Sueton  de  gramm.  2  berichtet: 
Grates  Mallota  Aristarchi  aequalis  missus  ad  senatum  ah  Attalo  rege  . . .  cum 
regione  Falatii  prolapsiis  m  cloacae  foramen  cnis  fregisset,  per  omne  lega- 
tionis  simid  et  valetudinis  temims  pliirimas  acroasis  subinde  fecit  assidueque 
disscniit  ac  nostris  exemplo  fuit  ad  imitandmn. 

C.  Wachsmuth,  De  Cratete  Mallota,  Lips.  1860. 

Zu  den  aus  der  pergamenischen  Schule  des  Krates  hervorgegangenen 
jüngeren  Gelehrten  gehören  Zenodot  aus  Mallos, 3)  der  gegen  die  Athe- 
tesen  Aristarchs  schrieb,  Demetrios  Ixion,  der  gleichfalls  gegen  Aristarch 
polemisierte,  aber  auch  Teile  der  grammatischen  Techne  behandelte,  Hero- 
dikos  aus  Babylon,  dessen  Kwfxmöoviieva  öfters  Athenaios  anführt,*)  Ale- 
xander Polyhistor,  von  dem  ich  unten  genauer  handeln  werde,  Arte- 
mon  von  Pergamon,  der  einen  Kommentar  zu  den  auf  Sikilien  bezüglichen 
Siegesliedern  Pindars  schrieb  und  der  vielleicht  eine  Person  mit  dem  Kla- 
zomenier  Artemon,  dem  Verfasser  einer  Schrift  über  Homer  und  der  '^qoi 
KXa^onaviwVj  war.^)  In  den  Kreis  der  Pergamener  gehören  auch  die  beiden, 
von  Suidas  in  einem  konfusen  Artikel  durcheinander  geworfenen  Gramma- 
tiker Asklepiades.^)  Der  erstere  gehörte  der  älteren  Zeit  an  und  scheint 
unter  Attalos  I.  und  Eumenes  II.  gelebt  zu  haben ;  der  zweite,  nach  seiner 
Heimat  Myrleaner  zubenannt,  lebte  nach  Dionysios  Thrax ')  in  der  Zeit  des 
Pompeius  und  war  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller;  angeführt  werden 
von  ihm  üayrodaTrä,  ferner  AlyviiTiaxd,  BiÜ^vviaxd,  TovQdrjTaviag  TtsQirjrjfrig 
und  das  umfangreiche  aus  mindestens  11  Büchern  bestehende  Werk  negl 
YQai^iliiaiixüyv,^)  auf  das  in  letzter  Linie  viele  litterarhistorische  Artikel  des  Suidas 
zurückgehen.^)  Scholien  haben  sich  von  ihm  zu  Homer  und  Pindar  erhalten,  ^o) 


^)  Vgl.  Brzoska,  De  canone  decem  orat. 
att.  p.  58. 

■-)  Müller,  Geogr.  gr.  min.  II,  428.  11 
u.  471.  17.  Vol.  Herc.  X^^  147  erwähnt  von 
Grates  rcl  tisqI  xrjg  Gcpcagonoiiag,  was  Usener, 
Epicurea,  p,  410  auf  einen  Kommentar  des 
Arat  bezieht. 

3)  Zrji^odorog  ^Ake^ccpdQSi^g  heisst  er  bei 
Suidas,  vermutlich  weil  er  in  Alexandria 
lehrte. 

•*)  C.  Schmidt,  De  Herodico  Crateteo, 
Elbinger  Progr.  1886;  dass  er  vor  DidymOvS 
lebte,  der  ihn  benützte,  bemerkt  mit  Recht 
Schönemann,  Rh.  M.  42,  468. 

'-)  Müller  FHG.  IV,  341 ;  Unger,  Philo!. 
41,  650.  Die  /(»rtrf«  (pÖQfiiy^  P.  I,  1  er- 
klärt   er   mit   der  Fabel,    Hieron   habe    dem 


Pindar  eine  goldene  Leier  versprochen;  da- 
mit zeigt  er  sich  als  einen  homo  piisilU 
animi. 

^)  Verschieden  von  diesen  sind  der  oben 
§  239  erwähnte  Asklepiades  von  Tragilos, 
und  ein  versifizierender  Asklepiades,  von  dem 
TzETZES,  Chil.  IV,  198  einen  hinkenden  iam- 
bischen  Trimeter  anführt. 

')  Vgl.  Athen.  489  a. 

^)  Etym.,  M.  u.  dixQov. 

"')  Lehrs,  De  Asclepiade  Myrleano,  in 
Herodiani  scripta  tria,  p.  428 — 448.  Vgl. 
Daub,  De  Said,  biogr.,  Jhrb.  f.  Phil.  S.  XI, 
457  ff.  Die  Fragmente  bei  Müller  FHG. 
HI,  298-306. 

'")  Vgl.  Werfer,  Acta  philol.  Monac. 
II,  538. 


i 


518 


Griechische  Literaturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


397.  Apollodoros,  Sohn  des  Asklepiades  aus  Athen,  war  zugleich 
Schüler  des  Grammatikers  Aristarch  und  der  stoischen  Philosophen  Diogenes 
und  Panaitios.  Ohne  als  kritischer  Forscher  den  älteren  Gelehrten  Ale- 
xandriens  nahe  zu  kommen,  hat  er  gleichwohl  durch  das  Geschick  zusammen- 
fassender Darstellung,  teilweise  auch  durch  die  Kunst  der  Versifikation 
seinen  Schriften  einen  grossen  Leserkreis  verschafft.  Seine  Studien  galten 
vorzugsweise  der  historischen  Seite  der  Philologie;  von  den  Schriften  neQi 
2(6(fQovog,  ti8qI  'EmxäQixov,  ttsqI  STVfioXoyicov,  neql  tmi'  ^Ad^Tjvr^aiv  ^TaigiSan', 
ttsqI  vsmv,  negl  yrjg,  ttsqI  ^scov,  Xqovixcc  sind  es  in  aufsteigendem  Grad  die 
letzteren,  welche  Beachtung  und  Nachahmung  fanden.  Die  Schrift  TieQi 
vsMv  war  ein  ausführlicher  sachlicher  Kommentar  des  homerischen  Schiff- 
kataloges  in  12  B.;  gegründet  war  derselbe  auf  die  Vorarbeiten  des  Era- 
tosthenes  und  Demetrios  von  Skepsis,  für  Strabon  bildete  er  eine  Haupt- 
quelle. ^)  Kompendiarischer  Natur  war  seine  allgemeine  Geographie,  y?^? 
TieQioöoQ  oder  TTSQirjrjaig  betitelt,  in  iambischen  Trimetern.^)  Von  derselben 
werden  2  Bücher  citiert;  von  der  allgemeinen  Verbreitung  des  handlichen 
Kompendiums  zeugen  die  häufigen  Citate  bei  Stephanos  von  Byzanz,  der 
indes  nicht  den  Apollodor  selbst,  sondern  einen  von  dem  Grammatiker 
Epaphroditos  angefertigten  Auszug  benützte.")  Grossartiger  angelegt  war 
das  Werk  ttsq!  ^swv  in  24  B.,  worin  der  Verfasser  seine  stoischen  An- 
schauungen über  die  Natur  des  Mythus  entwickelte.  Die  Fragmente  zeigen, 
mit  welch  umfassender  Gelehrsamkeit  er  seine  Sätze  gestützt,  zugleich  aber 
auch,  wie  wenig  er  sich  über  die  etymologischen  Spielereien  der  Stoiker 
erhoben  hat.')  Am  meisten  Namen  verschafften  unserem  Grammatiker  seine 
in  iambischen  Trimetern  abgefassten  Xqovixd  in  4  B.'')  Dieselben  waren 
dem  König  Attalos  IL  von  Pergamon  gewidmet  und  behandelten  nach  der 
Angabe  des  Ps.  Skymnos  V.  22  ff.^)  in  chronologischer  Ordnung,  mit  den 
Troicis  beginnend,  die  Ereignisse,  nicht  bloss  die  staatlichen,  sondern  auch 
die  litterarhistorischen  von  1040  Jahren,  also  bis  auf  144  v.  Chr.  oder  bis 
auf  die  Unterwerfung  von  Makedonien  und  Achäa.'^)  Auch  ins  Lateinische 
wurde  das  durch  Reichtum  und  Genauigkeit  ausgezeichnete  Buch  durch 
Cornelius  Nepos  übertragen,  worauf  sich  Catull  in  seinem  Widmungsgedicht 


^)  Niese,  Apollodors  Kommentar  zum 
Schiffskatalog  als  Quelle  Strabos,  Rh,  M. 
32,  267  fF. 

2)  Es  war  der  laxe  Trimeter  der  Ko- 
miker, welchen  Apollodor  für  das  Lehrgedicht 
einführte  (s.  Ps.  Skymnos  V.  34  und  Suidas 
u.  'Anoll.),  nachdem  früher  der  daktylische 
Hexameter  herrschend  gewesen  war;  der 
Griff  war  entschieden  glücklich,  da  der  Hexa- 
meter für  diese  halbprosaische  Dichtungs- 
gattung zu  feierlich  klang. 

2)  Steph.  Byz.  u.  Jvfxrj.  Vergl.  Niese, 
Rh.  M.  32,  276. 

"*)  RoB.  MüNZEL,  De  Apollodori  negl 
{^EMv  lihris,  Bonn  1883. 

^)  Die  lateinische  Bearbeitung  des  Nepos 
hatte  nur  3  B. 

®)  Derselbe  nennt  zwar  den  Apollodor 
nicht  mit  Namen,  kennzeichnet  ihn  aber  deut- 


lich; ich  setze  die  wichtigen  Verse  gleich  her: 

xoTg   ev  nsQydfAO) 
ßaoiXsvüvv,  MP  rj  ^6ia  xal   rsd^vrjxöriov 
naQcl  nCcaip  tjfiiy  C<^aa  diu   napzog  jus'yei, 
TMP  ^Attvxmp  Tig  yprjaiMP  rs  cpiXo'koylov, 
yeyoviog  axovarrjg  Jioyepovg  rov  I^tcoixov, 
avysffxoXccxojg   de   noXvv  ^jQiarccQ/M   /qovov, 
ovvETa^ai^    and  Ttjg   TQCo'Cxrjg  dXioffscog 
/QovoyQa(fiav  atot/ovaau  d/Q('  tov  vvu  ßiov 
ett]  de  xeaaaQCiXovra  ngog  tolg  /iXioig 
ioQiGfXEvoyg  i^ed^STo  xtX. 
Vgl.  Müller  FHG.  I,  praef.  XLIII;    Unger, 
Philol.   41,    602—651;    Diels,   Untersuchun- 
gen  über    Apollodors    Chronika,   Rh.   M.  31 
(1876),  1  ff .  _ 

')  Schwierigkeit  machen  mehrere  Frag- 
mente, Avelche  Verhältnisse  vor  und  nach  den 
gegebenen  Endpunkten  berühren.  Siehe  Diels, 
Rh.  M.  31,  54  und  oben  §  367. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur.  (§  397 — 398.)  519 


an  Nepos  mit  den  Worten   bezieht:    ausus    es  unus  Italorum    onme  aevom 
tribus  explicarc  chartis  doctis  Juppiter  et  laboriosis. 

Fragmente  gesammelt  von  Müller,  FHG.  I,  428—469;  über  die  fälschlich  den  Namen 
dos  Apollodor  tragende  Btßho&ijxt]  siehe  unten. 

398.  Dionysios  Thrax,  Schüler  des  Aristarch,  hat  in  der  Geschichte 
der  Philologie  einen  Namen  als  Verfasser  der  ersten  griechischen  Gram- 
matik (Täxvrj  yQanfiatixij).  Derselbe  hatte  in  Alexandrien  den  Aristarch 
gehört,  war  aber  dann  nach  Rhodos  übergesiedelt,^)  wo  er  Lehrer  des 
älteren  Tyrannio  wurde.  Seine  Grammatik  war  als  reife  Frucht  aus  den 
kritischen  Studien  der  Alexandriner  und  der  begriffspaltenden  Dialektik  der 
Philosophen  hervorgegangen.  Die  älteren  und  berühmteren  Grammatiker 
hatten  sich  wesentlich  mit  dem,  was  man  den  empirischen  Teil  unserer 
Wissenschaft  nennt,  abgegeben;  aber  die  Kritik  und  Texterklärung  hatten 
allmählich  zur  Unterscheidung  der  Redeteile  und  zu  Regeln  über  die  Ab- 
wandlung der  Nomina  und  Verba  geführt.  Grössere  Klarheit  kam  in  diese 
Regeln  durch  den  Streit  über  Analogie  und  Anomalie,  der  zwischen  den 
Aristarcheern  auf  der  einen  Seite,  Krates  und  Chr3^sippos  auf  der  anderen 
geführt  wurde.  Die  Philosophen  aber  und  vorzüglich  die  Stoiker,  welche 
durch  die  Beschäftigung  mit  der  Logik  auf  die  Zergliederung  der  Sprache 
geführt  wurden,  drückten  der  heranwachsenden  grammatischen  Theorie  ihren 
Stempel  dadurch  auf,  dass  sie  nach  der  Methode  der  Dialektik  überall  zu- 
erst auf  Feststellung  des  Begriffs  (ogog)  und  dann  auf  die  Angabe  und 
Erklärung  der  begleitenden  Eigenschaften  (f«  (TVfißfßrjxöia,  xd  nccQenofxeva) 
drangen.  Durch  das  Ziisammen wirken  der  Grammatiker  und  Philosophen 
erhielt  so  die  griechische  Grammatik  eine  ungleich  höhere  Vollendung  als 
die  indische;  die  Inder  sind  aber  die  einzigen  neben  den  Griechen,  welche 
die  Sprachlehre  selbständig  ausgebildet  haben.  Die  Grammatik  des  Dio- 
nysios Thrax,  ein  Büchlein  von  ganz  massigem  Umfang,  beginnt  mit  der 
Definition  der  Grammatik  und  ihrer  Teile  (arapwö'/c,  f'^t'jyr^aig,  ylwaaMv 
xal  laxo^iMV  dnödoaig,  srv^wXoyia^  dvakoyiag  exXoyixSixög^  xqiaig  noirnidTon'), 
geht  dann  zur  Lehre  vom  Accent  [lövog],  der  Interpunktion  {(Tttyinrj),  den 
Lauten  und  Silben  {aToi%£Ta  xal  avXXaßccf)  über,  um  schliesslich  in  ihrem 
Hauptteil,  ausgehend  von  den  verschiedenen  Redeteilen  (oro/*of,  gf^ixa,  ^uf- 
To/?;,  aQO^Qov,  dvTMvvfiia,  nqüö^saig,  sTTi'QQrjiiia,  avvdeaiiog)  die  Deklination 
und  Konjugation  abzuwandeln;  von  einer  Syntax  oder  gar  Stillehre  ist  noch 
keine  Rede.  Dass  Dionysios  Verfasser  des  Büchleins  sei,  ist  allerdings 
schon  im  Altertum  bezweifelt  worden,'-^)  und  Neuere  haben  gar  die  Ab- 
fassung desselben  in  die  Zeit  nach  Konstantin  herabrücken  wollen;^)  aber 
dasselbe  lag  schon  den  grossen  Grammatikern  der  Kaiserzeit,  Apollonios 
und  Herodian,  und  dem  römischen  Grammatiker  Remmius  Palämon,  der 
unter  Nero  ein  ähnliches  Kompendium  für  die  Lateiner  schuf,  in  seiner 
heutigen  Gestalt  vor;  es  kann  höchstens  nur  von  einigen  unbedeutenden 
Zusätzen  die  Rede  sein. 4)  Weitläufig  kommentiert  wurde  dasselbe,  ähnlich 
wie  die  Schulbücher  des  Arat,  Donat   und  Hermogenes,   von  den   späteren 


')  Ath.  489  a  und  Strab.  p.  655. 

'-*)  Bekker  An.  gr.  p.  672. 

3)  GöTTLiNG  zu  Theodosius. 

■*)  Vgl.  M.  Schmidt,    I'hilol.  VII  (1852), 


360  ff.,  VIII  (1853),  231  ff.,  510  ff.  Hoersciiel- 
MANN,  De  Dionys.  Thrac.  interpretibus,  Leipz. 
1874,  p.  77  ff. 


520  Griechische  Litter aturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur, 

Grammatikern,  wie  Choiroboskos  oder  Heliodor,  Melampus  oder  Diomedes 
(nach  6.  Jahrb.),  Stephanos  (7.  Jahrb.),  Porphyrios;  i)  im  Beginn  des  Mittel- 
alters widerfuhr  ihm  auch  die  Ehre  ins  Armenische  und  Syrische  übertragen 
zu  werden. 

Zuerst  ediert  wurde  die  Grammatik  von  Fabricius  in  Bibl.  gr.  t.  VII;  mit  Scholien 
von  Imm.  Bekker  in  An.  gr.  t.  II,  Berl.  1816.  Hauptausgabe  von  ühlig,  Lips.  1883,  mit 
Benützung  der  besten  Codices  (Monac.  Victorii  n.  310  und  Leid.  76)  und  der  alten  Über- 
setzungen; dazu  Nacliträge  von  Egenolff,  Jahrber.  d.  Alt.  XIV,  1.  116  ff.  —  Hoebschel- 
MANN,  De  Dionijsii  Thracis  interpretibus,  Lips.  1874;  Hilgard,  De  artis  gramm.  ab  Dio- 
nysio  Thrace  compositae  interpretibus  veteribus,  Heidelb.   1880. 

399.  Alexander  Polyhistor,  geboren  in  Milet  oder  Myndos,  einem 
Städtchen  Kariens,^)  gehörte  der  grammatischen  Schule  von  Pergamon  an. 
Als  Kriegsgefangener  nach  Rom  übergeführt,  ward  er  von  Cornelius  Sulla 
in  Freiheit  gesetzt^)  und  begleitete  später  den  Triumvir  Crassus  auf  seinen 
Feldzügen.  ^)  Er  starb  hochbejahrt  bei  einer  Feuersbrunst  in  Laurentum; 
einer  seiner  jüngeren  Schüler  war  der  unter  Augustus  blühende  Gram- 
matiker Hygin.'^)  Ein  Mann  von  ungewöhnlicher  Vielseitigkeit  schrieb  er 
unzählige  Werke  {ßißh'a  aqi^ixov  xgeizTO)  Suidas),  die  aber  mehr  auf  wüster 
Kompilation  als  auf  kritischer  Forschung  beruhten.  Die  meisten  seiner 
Schriften  gehörten  der  geographisch-historischen  Periegese  an,  so  die  7r«- 
hxd,  yiißvxd,  Aiyvmiaxä,  Ivdixä^  KQijtixd,  ttsqI  Kagiag.  nsqi  (pQvyiag,  TXfQl 
T/agXaYorfag,  TTfQirrXovc  itjg  eQV^Qag  ^aXd(T<rtjg,  neQi  tmv  naq  'Akxiidvi 
TOTiixcog  iaTOQtjiLi(-vo)r,  Xakdaixä,  ttsq)  lovdaiojr,  neql  %ov  sv  JeX(foig  XQ^J^^^t 
Qi'ov,^)  negl  ^r/on'  lötoQiag.  Von  dem  Buche  über  die  Juden  sind  uns  mehrere 
interessante  Bruchstücke  bei  Eusebios  erhalten.  Sein  Kompendium  der 
Nachfolge  in  den  Philosophenschulen  benützte  Diogenes;  über  eine  Samm- 
lung von  Wundergeschichten,  in  der  den  fabelhaften  Berichten  aus  der 
Tier-  und  Pflanzenwelt  durch  Angabe  der  Zeugen  der  Schein  der  Wahr- 
haftigkeit gegeben  war,')  referiert  Photios  cod.  188.  Auch  von  einer  rein 
grammatischen  Schrift  unseres  Alexander  hören  wir  durch  Ps.  Herodian.^) 

Fragmente  gesammelt  bei  Müller,  FHG.  III,  206 — 244.  —  Hulleman,  De  Com. 
Alexandro  Folyhistore  in  Mise,  philol.,  Utrecht  1849:  Freudenthal,  Hell.  Stud.  1,  u.  2. 
Heft  bespricht  die  Fragmente  bei  Eusebios. 

400.  Demetrios  aus  Magnesia,")  älterer  Zeitgenosse  des  Cicero  und 
Freund  des  Attikus,  hatte  für  die  Litteraturgeschichte  eine  grosse  Bedeu- 
tung als  Verfasser  des  Buches  ttsqI  6fXMvvßo)i'  tioitjtmv  xai  avyyQacpäaiv.    Da 


')  Derselbe  ist  schwerlich  mit  dem  Neu- 
platoniker  Porphyrios  identisch. 

2)  Suidas  nennt  ihn  einen  Milesier,  viel- 
leicht weil  Milet  die  bedeutendste  Stadt  der 
Gegend  war.  Plutarch,  Aelian,  Diogenes 
citieren  ihn  immer  als  Alexander  Myndius 
oder  Alexander  schlechthin.  Vgl.  Schol.  ad 
Apoll.  Rhod.  I,  925:  sari  xai  xsQa6yt]Gog  Ka- 
QLug,  iv&£v  T^v  \4X£^ai'd()og  6  tisqI  KccQiccg 
yquipag. 

^)  Suidas:   ^JXe^ap&qog  Kogyijhog,    ^lon 


Peripatetiker  Alexander  vermutet.  Von  sei- 
nem Adoptivvater  erhielt  er  auch  den  Namen 
Cornelius  Alexander. 

^)  Sueton  de  gramm.  ill.  20. 

^)  Dass  darauf  Paus.  X,  12  zurückgeht, 
weisst  Maass,  De  sibyllai'um  indicibus,  p.  12 
ff.  nach. 

')  Einen  Begriff  davon  gibt  die  von 
Ath,  221  angeführte  Stelle  über  das  von  den 
Soldaten  des  Marius  im  jugurthinischen  Krieg 
beobachtete  Vorkommen  von  Gorgonen. 

^)  Ps.  Herodian  Philet.  am  Schluss:  xra 


y.al  avioJ    nai^ciycoyog  iyeveio.     Die  Angabe  |  ' J'ke^dp&Qio  no  KoQt'yXuo   (ro3  y.cDfj.iy.o)  codd., 

Avird  berichtigt  von  UnCxER,  Phil.  47  (1889),  |  em.  ßtuäemund)  ffvyysyQUTTTat  avyiayfiaTioi', 

177   ff.  fV  (p  -noXka  xovxoig  GvfAcpsQETui. 

^)  Plut.    Grass.    3,    an    welcher    Stelle  j  ^)  Scheufrleek,  De  Demetrio  Magnete. 

ÜNGER    a.    0.    einen    anderen    unbekannten  i  LB.  1858. 


A.  Alexandrinisches  Zeitalter.  3.  Die  Prosa,  c)  Gelehrte  Litteratur,  (§  399—401.)   521 


es  nämlich  mit  der  Zeit  eine  Unmasse  von  Dionysioi,  Demetrioi,  Ptolemaioi 
in  der  Litteratur  gab,  so  stellte  es  sich  Demetrios  in  jenem  Buche  zur  Auf- 
gabe, die  verschiedenen  Dichter  und  Gelehrten  gleichen  Namens  voneinander 
zu  unterscheiden.  Wie  er  dieses  that,  erhellt  noch  deutlich  aus  einem 
längeren  Artikel  desselben  bei  Dionysios  Halic.  de  Dinarcho  c.  1.  Das 
Werk  ist  viel  von  den  Späteren,  wie  Diogenes,  Plutarch,  Athenaios,  be- 
nützt worden,^)  woraus  sich  erklärt,  dass  das  Verzeichnis  der  homonymen 
Autoren  in  unseren  Litteraturgeschichten  von  Cicero  an  aufhört,  oder  doch 
spärlicher  wird.  Eine  ähnliche  Aufgabe  stellte  sich  Demetrios  auch  in  dem 
seltener  angeführten  Buche  tt^qI  (Tvvo)rvfjicov  noXswv. 

Zeitgenossen  des  Demetrios  Magnes  und  Alexander  Polyhistor  waren 
die  beiden  Grammatiker  Tyrannio,  von  denen  der  ältere  unter  Pompeius 
in  Rom  lehrte,'^)  der  jüngere  als  Kriegsgefangener  nach  Rom  kam  und  von 
der  Terentia,  der  Gattin  Ciceros,  freigelassen  wurde, ^)  ferner  der  Rhodier 
Aristokles,  den  Strabon  p.  655  als  einen  Gelehrten  seiner  Zeit  bezeichnet 
und  dessen  gelehrtes  Werk  über  die  äusseren  Verhältnisse  der  Dichtkunst, 
über  Chöre  und  Wettkämpfe,  eine  Hauptquelle  des  Didymos  und  der  Spä- 
teren war.')  Vermutlich  gehörte  der  gleichen  Zeit  der  Grammatiker  Zenon 
aus  Myndos  an,  von  dem  es  auch  Epigramme  gab  (Diog.  7,  35)  und  der 
wie  sein  Landsmann  Alexander  die  historische  Seite  der  Grammatik  kul- 
tivierte; ein  4.  Buch  tmv  evO^vrwv  [sO^vixmv  em.  Preger)  ist  von  ihm  erwähnt 
in  Cramers  An.  Ox.  III,  350. 

401.  Didymos  aus  Alexandria  lebte  in  der  Zeit  des  Antonius  und 
Cicero,  bis  in  die  Regierungszeit  des  Kaisers  Augustus  hinein.-^)  Seine  Be- 
deutung bestund  darin ,  dass  er  einesteils  in  zahlreichen  Schriften  die 
Arbeiten  der  Früheren  zusammenfasste,  andernteils  die  Verpflanzung  der 
gelehrten  Studien  von  den  Glanzpunkten  der  hellenistischen  Reiche  nach 
der  Hauptstadt  des  römischen  Weltreiches  inaugurierte.  Mit  eisernem  Fleisse, 
der  ihm  den  Beinamen  XaXTikvr&Qog  eintrug,  schrieb  er  eine  Unmasse  von 
Büchern  zusammen,  angeblich  mehr  als  3500,^)  so  dass  er  zuletzt  seine 
eigenen  Kinder  nicht  mehr  kannte  und  mit  beissendem  Spott  ßißXioXäd^ag 
genannt  wurde.  Seine  meisten  Bücher  waren  Kommentare,  mit  denen  er 
fast  alle  Dichterautoren  versah.  Die  erhaltenen  Scholien  zu  Homer,  Pindar, 
Sophokles,  Euripides,  Aristophanes  gehen  zum  grossen  Teil  auf  ihn  zurück. 
Die  Zeitgenossen  werden  aus  ihnen  wenig  neues  gelernt  haben;  für  uns 
haben  sie  den  hohen  Wert,  dass  wir  aus  ihnen  fast  allein  Näheres  über 
die  gelehrten  Forschungen  der  Alexandriner,  namentlich  des  Aristarch  er- 


^)  Dass  auch  Suidas  oder  Hesychios  Mil. 
den  Demetrios  direkt  benützt  habe,  bestreitet 
mit  Recht  Daub  de  8uid.  biogr.,  Jhrb.  f. 
Phil.  Suppl.  XI,  470  ff.      ^ 

^)  Suidas u.  Jioyvatog^JXs^fii'd()evg  6)()«|: 
e^f]yijaccTo  TxiQavvinovv  tm  ttqotsqco,  og  iao- 
(flaxevosy  iy'VaJfjr}  ini  Iloumjiov  rov  fieyäXov. 

^)  Über  ihn  ein  ausführlicher  Artikel  des 
Suidas;  von  seinen  zahlreichen  Werken  {ueQi 
xijq  'OjurjQtx^g  TiQoauxflag,  ttsqI  Tioy  fiSQcoi' 
Tov  Xöyov,  ttsqI  rijg  'Poj^ua'tXTJg  (fiuXexrov  oti 
Boxlv  ix  rrjg'KX'krjVixrjg  xcd  ovx  ccvx^iyevrjg  etc.) 


hat  die  Fragmente  gesammelt  Planer,  Ve 
Tyrannione  qrammatico,  Berl.  1852. 

^)  BAPr^  Leipz.  Stud.  VIII,  87—107  be- 
leuchtet das  Verhältnis  von  Didymos  zu  Ari- 
stokles. Bei  Ath.  (520  d  ist  nach  Rohdes 
Vermutung  ^ AQioroxlrjg  aus  'JQiaro^syog  ver- 
derbt. 

^)  Suidas:  JiJt\uog  Jidvuov  tuqi/ottmXov, 
yQcif.i^caix6g^ jQiaruQ/siog.  'J'ks'^avr^QEiK,  ys- 
yofojg  inl  ' Jvjmi^Iov  xccl  Kixe^oji'og  xcd  6Mg 
AvyovGTov. 

«)  Suidas,  Ath.  139  c,  Seneca  ep.  88,  37. 


522  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

fahren.  Didymos  war  eben  ein  Mann  von  stupendem  Fleiss,  aber  von  ge- 
ringer Urteilskraft  und  zweifelhafter  Verlässigkeit,  so  dass  uns  z.  B.  bei 
Homer  die  kurzen  Notizen  des  Aristonikos  über  die  Textesrecension  des 
Aristarch  ein  ungleich  besserer  Führer  sind  als  die  breiten  Noten  des  Di- 
dymos. Bei  den  Römern  freilich,  welche  die  ganze  Gelehrsamkeit  der 
Alexandriner  nur  durch  ihn  kannten,  galt  er  als  grammaücomm  facile 
eyiidiüsslmus  omnimnque  quique  slnt  quique  fuerint  instructissimus  (Macrob. 
Sat.  V,  18).  Eine  nicht  minder  ergiebige  Fundgrube  für  die  späteren 
Grammatiker  der  Kaiserzeit  waren  die  lexikalischen  Sammlungen  unseres 
Didymos,  welche  sich  nicht  bloss  auf  die  Dichter,  sondern  auch  auf  die 
Historiker  und  Redner  erstreckten  und  nach  Schriftstellern  und  Litteratur- 
gattungen  angelegt  waren ;  ^)  erwähnt  werden  unter  andern  Xt"^€ig  TQayixm, 
xMiiuxai',  ^InnoxQätovg.  Leider  sind  die  in  jenen  Werken  aufgehäuften 
Schätze  nur  in  sehr  verkürzter,  zum  Teil  entstellter  Gestalt  durch  die 
Mittelstufe  des  Diogenian  und  Hesychios  auf  uns  gekommen.  Tn  das  Ge- 
biet der  grammatischen  Techne  gehörten  die  Bücher  neQl  oQd^oyqaffiaq  und 
TieQl  Tia^Mv.  Für  die  Litteraturgeschichte  von  Bedeutung  war  sein  Buch 
ti8qI  ttoujtmv,  oder  wie  es  mit  dem  genaueren  Spezialtitel  citiert  wird,  irfQi 
IvQixMv  TioiijTcöv,  in  welclicm  von  den  einzelnen  Gattungen  der  Poesie, 
Hymnus,  Elegie,  Päan,  und  den  Hauptvertretern  derselben  gehandelt  war. 
Die  Sätze  und  Angaben  desselben  gingen  zumeist  in  die  litterarhistorischen 
Bücher  der  Späteren,  wie  insbesondere  des  Proklos  über,  und  scheinen  auch 
die  ähnlichen  Werke  des  Dionysios  von  Phaseiis-)  und  des  Schwindlers 
Lobon  hervorgerufen  zu  haben.  Litterarhistorische  Fragen  waren  neben 
anderen  berührt  in  den  2i\aTio(naxä,  die  wegen  ihres  gemischten  Inhaltes 
auch  ^i'ßiLuxTa  Messen  und  gewiss  auch  dem  Athenaios  für  sein  Sophisten- 
mahl reiche  Ausbeute  gegeben  haben.  Didymos  selbst  hat  dabei  haupt- 
sächlich die  sorgfältigen  Untersuchungen  des  Rhodiers  Aristokles  benützt. 
Endlich  schrieb  derselbe  noch  über  manche  andere  Dinge,  wie  über  Sprich- 
wörter {TTsgl  TcaQoi^iiMv),  wunderbare  Geschichten  {^ievij  laTogia),  die  Ge- 
setzestafeln des  Selon  {ti8qI  tmv  a^övcov  tmv  ^öhovog  dvtiyQaifi]  nqog  'A(S- 
xXrjTvMijv)  und  eine  Streitschrift  gegen  Ciceros  Bücher  de  republica. 

Die  Fragmente  gesammelt  von  M.  Schmidt,  Didymi  Clialcenteri  fragm.,  Lips.  1854.  — 
Akth.  Ludwich,  Aristarchs  Homerische  Textkritik  nach  den  Fragmenten  des  Didymos, 
Leipzig  1885.  —  Wilamowitz,  Eur.  Herakl.  I,  157  ff. 


^)  Nabek  ad    Phot.  lex.  I,  9  nimmt  an,    1  ^)  Citieit  wird  desscnBuch  tisql  noitjTiop 

dass   erst    der  Schüler  des  Didymos,  Theon,    |    im  Leben  des  Nikander.  Schon  einer  früheren 


aus  den  verschiedenen  Xe^sig  seines  Lehrers 
ein  alphabetisch  geordnetes  Lexikon  angelegt 
habe.  Das  dmch  Millek,  Mel.  399-40(3 
bekannt  gewordene  Lex.  Platonicum  hat 
nicht  unseren  Didymos,  sondern  den  Aka- 
demiker Didymos  Areios  zum  Verfasser. 


Zeit  gehört  Amphikrates  an,  dessen  Buch 
7T€qI  Ev^o^tDv  av^QMv  Athen.  576c  citiert; 
denn  diesen  scheint  mit  Recht  Müller  FHG. 
IV,  1300  mit  dem  gleichnamigen  Rhetor  bei 
Plutarch,  Luculi.  22  zu  identifizieren. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§  402.)     523 


B.  Römische  Periode 

V  0  11    A  u  g  11  s  t  n  s    bis    Konstantin. 


1.  Allgemeine  Charakteristik. 

102.  Die  Eroberung  Korinths  durch  Mummius  und  die  Unterwerfung 
der  hellenistischen  Königreiche  brachten  Rom  in  nähere  Berührung  mit 
Griechenland.  Die  Hellenen  unterlagen  zum  zweitenmal  der  Gewalt  fremder 
Waffen  und  verloren  damit  den  Rest  der  Freiheit,  den  sie  sich  nach  den 
Siegen  Philipps  und  Alexanders  noch  gewahrt  hatten.  Aber  die  Überlegen- 
heit der  geistigen  Kultur  erwies  sich  doch  stärker  als  die  physische  Über- 
macht, und  mit  Recht  konnte  der  venusinische  Dichter  sagen:  Graecia  capta 
ferum  vicforeni  ccpü  et  artes  intulit  agresti  Latio.  Wie  dieses  Verhältnis 
entscheidend  auf  die  Entwicklung  Roms  und  der  lateinischen  Litteratur  ein- 
wirkte, dieses  darzuthun  ist  hier  nicht  der  Ort.  Hier  interressiert  uns  das 
Fortleben  des  griechischen  Geisteslebens  in  dem  römischen  Reich  und  der 
Einfluss,  den  ihrerseits  die  gewaltigen  Hilfsmittel  Roms  auf  die  griechische 
Litteratur  geübt  haben.  Die  Griechen  hatten  einst  unter  Alexander  und 
seinen  Nachfolgern  die  fremden  Länder  Asiens  und  Ägyptens  vollständig 
mit  ihrer  Kultur  durchsättigt  und  die  Barbarenreiche  hellenisiert:  einen 
solchen  Einfluss  vermochten  sie  nicht  mehr  gegenüber  Rom  auszuüben. 
Dafür  waren  sie  dieses  Mal  die  Besiegten,  nicht  die  Sieger,  dafür  war 
auch  die  staatliche  Organisation  Roms  zu  fest  und  zu  gewaltig.  Die  Über- 
legenheit derselben  fand  gleich  von  vornherein  bei  den  Einsichtsvollen 
unter  den  Griechen,  wie  Polybios,  Strabon,  Dionysios,  unbedingte  Anerken- 
nung.^) Auch  ersparte  das  Siegesbewusstsein  der  Römer  den  um  ihre 
Gunst  buhlenden  Griechen  nicht  die  demütigende  Stellung  unterwürfiger 
Diener  {Graeculi).  Zwar  drangen  griechische  Ausdrücke  in  die  lateinische 
Sprache  ein,  und  mischte  nicht  bloss  Lucilius  griechische  Wörter  unter 
lateinische,  sondern  schrieben  auch  die  ältesten  Historiker'-)  und  auch  später 
noch  Sulla,  Cornutus,  Germanicus  ihre  Memoiren,  philosophischen  Aufsätze 
und  poetischen  Scherze  in  griechischer  Sprache.  Aber  das  waren  nur  ver- 
einzelte Fälle;  die  lateinische  Sprache  bewahrte  im  grossen  Ganzen  ihre 
keusche    Reinheit   ebenso    wie    die    griechische, '^)    und    die    besten    Römer 


')  Dionys.  De  erat.  ant.  3:  cciiia  d"  olfiai 
xal  c(Q^r]  rrjg  roaaihrjg  fxeraßoX^g  syersro 
ri  ndvxtav  XQarova«  Pai/u?],  ngog  btwirjv 
dpayxdCovaa  rdg  oXag  nöXeig  ccnoßlenEiv, 
X(d  ravTrjg  r'  ((virjg  ol  dvyadTEvoi'Tsg  xai' 
üqexrjv  xcd  dno  xov  XQCcrlaTov  rd  xoivcc 
^loixovvxeg,  Evncd^evxoi  ttccw  xal  yeyycdot 
tccg  XQiaeig  yevofxevoi. 

'^)  Dass  Q.  Fabius  und  L.  Cincius  ihre 
Historien  ursprünglich  in  griechischer  Sprache 
schrieben,  bezeugt  Dien.  Hai.  Ant.  I,  (J;  das 
Gleiche   berichtet   von   Aul.  Albinus  (Consul 


151)  Macrobius  zugleich  mit  der  schlagenden 
Erwiderung  des  kernfesten  Römers  Cato,  Sa- 
turn, praef.  14:  Nam  sum,  inquit  sc.  Al- 
binus y  hämo  MomanuSy  natiis  in  Latio,  et 
eJoquium  fjraeciun  a  nohis  ulicnissimum  est; 
ideoque  veniam  gratiamque  mcdae  existi- 
mationis,  si  quid  esset  erratum,  post^ilavit. 
Ea  cum  legisset  M.  Cato:  ne  tu,  inquit, 
Aide  nimium  nugator  es,  cum  mahiisti  cid- 
pajii  deprecari  quam  culjja  racare. 

•^)  Einzelne  technische  Ausdrücke  waren 
schon  mit  Polybios  in  die  griechische  Sprache 


524 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratnr. 


schrieben  vor  wie  nach  in  ihrem  vaterländischen  Idiom.  Hingegen  ge- 
wannen griechische  Lehrer,  Grammatiker  und  Philosophen,  in  Rom  steigenden 
Einfluss,  und  verlegten  hervorragende  Gelehrte,  wie  Didymos,  Dionysios, 
Strabon,  verlockt  durch  die  glänzenden  Aussichten,  die  ihnen  in  der  reichen 
Weltstadt  mit  ihren  grossen  Hilfsmitteln  ^)  und  ihrer  bildungsdurstigen 
Gesellschaft  winkten,  ihren  Wohnsitz  von  Alexandria  und  Kleinasien  nach 
Rom.  Besonders  günstig  gestalteten  sich  die  Verhältnisse  für  griechische 
Gelehrte  und  Dichter  unter  den  Kaisern,  von  denen  gleich  die  ersten, 
Augustus  und  Tiberius,  griechische  Philosophen  in  ihrer  Umgebung  zu 
haben  und  mit  griechischen  Tischgenossen  gelehrte  Gespräche  zu  führen 
liebten.^)  In  weiterem  Verlauf  unterstützten  dann  auch  die  Kaiser  mit 
Mitteln  des  Reichs  wissenschaftliche  und  künstlerische  Bestrebungen  in 
Griechenland  selbst,  indem  Hadrian  Tempel  und  Hallen  in  Athen  und  andern 
Orten  Griechenlands  aufführen  Hess,  die  Antonine  teils  selbst  Lehrstühle  der 
Beredsamkeit  und  Philosophie  in  Athen  und  anderwärts  stifteten,  teils  mit 
ihrem  Beispiele  reiche  Griechen  zu  gleich  freigebiger  Unterstützung  von 
Litteratur  und  Kunst  anspornten.  Rom  trat  so  an  die  Stelle  der  Haupt- 
städte der  Diadochenreiche  und  die  römischen  Kaiser  an  die  der  Ptolemäer 
und  Attaliden.  Wir  beginnen  daher  mit  Augustus  oder  mit  der  Einnahme 
Alexandrias  und  der  Unterwerfung  des  letzten  Diadochenreiches  einen  neuen 
Abschnitt  in  der  griechischen  Litteraturgeschichte.  Diese  dritte  Periode 
ist  von  der  zweiten  nicht  durch  eine  so  grosse  Kluft  wie  die  zweite  von 
der  ersten  geschieden.  Besonders  im  Anfang  trat  fast  nur  ein  Wechsel 
der  Orte  und  Persönlichkeiten  ein;  denn  die  Grammatiker  Tryphon  und 
Heliodor  trieben  dasselbe  in  Rom,  was  Aristarch  und  Aristophanes  in 
Alexandria  getrieben  hatten,  und  die  alten  gelehrten  Institute  der  ägypti- 
schen Hauptstadt  sorgten  vor  wie  nach  für  einen  tüchtigen  Nachwuchs  von 
Lehrern  und  Gelehrten,  nur  dass  die  Sitze  und  Freiplätze  der  römische 
Kaiser,  nicht  mehr  der  König  aus  dem  Hause  der  Ptolemäer  verlieh.  Ein 
tiefer  greifender  Unterschied  in  der  ganzen  Richtung  des  geistigen  Lebens 
trat  erst  mit  dem  Aufblühen  der  Sophistik  unter  Hadrian  und  den  Antoninen 
ein,  so  dass  es  sogar  zweckmässiger  scheinen  könnte,  die  neue  Periode 
erst  mit  dem  Auftreten  der  Sophistik  zu  beginnen.  Wir  thun  dieses  nicht, 
weil  doch  das  Eingreifen  des  römischen  Reiches  einen  grösseren  Faktor  in 
der  geschichtlichen  Gesamtentwickelung  ausmachte  als  das  Eintreten  einer 
neuen  Richtung  in  der  Litteratur,  tragen  aber  doch  dem  bezeichneten  Ver- 
hältnis insofern  Rechnung,  als  wir  in  der  Prosa  die  Hauptschriftsteller  vor 
Hadrian  dem  Abschnitt  über  Sophistik  voranschicken.  Zugleich  haben  wir, 
um  das  richtige  Verhältnis  schon  in  den  Überschriften  anzuzeigen,  die 
römische  Periode  nicht  auf  eine  Linie  mit  der  klassischen  gestellt,  sondern 


eingedrungen;  vergl.  Immisch,  De  fjlossis 
lexici  Hesychiani  Italicis,  Leipz.  Stud.  VIII, 
267—378. 

')  Schon  Lucullus  hatte  viele  Bücher 
nach  Rom  gebracht  (Plut.  Luc.  42);  Sulla 
verpflanzte  die  mit  philosophischen  Werken 
bestens  ausgestattete  Bibliothek  des  Apelli- 
kon  nach  Rom  (Strabon  p.  609).  Die  von 
Augustus    gegründete    Bibl.    Palatina    hatte 


eine  griechische  Abteilung  und  einen  grie- 
chischen Bibliothekar.  Diodor  I,  4  rühmt 
tioifxoxärag  xal  nlsiatag  äcpoQfxdg  ycofxtjg. 
2)  Sueton  Aug.  89:  magistro  usus  Apol- 
lodoro  Pergameno^  deinde  eruditione  etiam 
varia  rephtus  per  Arei  p>Jiilosophi  filiomm- 
qiie  eins  Dionysi  et  Nicanoris  contubernium. 
Vgl.  Suet.  Tib.  56;  Claud.  42.  Vergl.  Fkied- 
LÄNDEE,   Sittengeschichte   Roms,  III,  275  ff. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    2.  Die  Poesie.  (§  403—404.)         525 

das  alexandrinische  und  römisclie  Zeitalter  nur  als  Phasen  der  hellenisti- 
schen Entwicklungsstufe  im  Gegensatz  zur  klassischen  Litteratur  der  Griechen 
bezeichnet. 

403.  Wie  lange  dehnen  wir  unsere  Periode  aus?  Das  ist  eine  schwer 
zu  entscheidende  Sache.  Am  leichtesten  wäre  es,  dieselbe  einfach  bis  zum 
Schlüsse  des  Altertums  oder  bis  zur  Regierung  Justinians  reichen  zu  lassen. 
Aber  ein  Zeitraum  von  mehr  als  500  Jahren  ist  zu  gross  und  würde  die 
zur  selben  Zeit  lebenden  Vertreter  verschiedener  Litteraturgattungen  zu 
weit  auseinanderrücken.  Den  Redner  Dion  erst  nach  Zosimos  oder  den 
Epigrammatiker  Agathias  vor  Strabon  und  Plutarch  zu  behandeln,  geht 
doch  nicht  an.  Auch  ist  in  der  That  mit  der  Gründung  eines  oströmischen, 
wesentlich  griechischen  Reiches  und  mit  dem  Übertritt  des  Kaisers  Kon- 
stantin zum  Christentum  eine  starke  Änderung  im  Charakter  der  Litteratur 
eingetreten,  so  dass  sich  auch  in  dieser  Beziehung  eine  Sonderung  der  Zeit 
vor  und  nach  Konstantin  empfiehlt.  Aber  auf  der  anderen  Seite  bezeichnet 
in  mehreren  Zweigen  der  Litteratur  die  Regierung  des  Konstantin  keinen 
merklichen,  eine  Trennung  rechtfertigenden  Einschnitt.  Wer  wollte  z,  B. 
den  Origenes  von  Eusebios  oder  die  Romane  vor  Konstantin  von  denen 
des  untergehenden  Altertums  scheiden?  Ausserdem  tritt  in  anderen  Zweigen, 
wie  in  der  Philosophie,  der  Umschlag  nicht  erst  mit  Konstantin,  sondern 
bereits  im  3.  Jahrhundert  mit  dem  Aufkommen  der  mystisch-religiösen 
Richtung  des  Neuplatonismus  ein.  Endlich  ist  es  bei  mehreren  Schriften, 
namentlich  bei  grammatischen  Kompendien  und  versifizierten  Lehrbüchern 
sehr  schwer  zu  bestimmen,  wann  sie  entstanden  sind,  ob  noch  im  3.  Jahr- 
hundert oder  erst  gegen  Ende  des  Altertums.  Unter  solchen  Umständen 
haben  wir  wohl  2  Teile  der  römischen  Periode  unterschieden,  aber  keine 
scharfe  Grenze  gezogen  und  z.  B.  den  Roman  insgesamt  in  die  2.  Abteilung 
verwiesen,  unbekümmert  darum,  dass  die  Anfänge  dieses  Zweiges  der 
Litteratur  schon  in  die  Zeit  vor  Konstantin  fallen. 


2.  Die  Poesie. 

404.  Die  Schöpfungen  im  Reiche  der  Poesie  sind  die  Gradmesser  des 
höheren  geistigen  Lebens  einer  Nation.  Waren  dieselben  schon  in  dem 
alexandrinischen  Zeitalter  immer  mehr  gesunken,  so  sanken  dieselben  in 
unserer  Zeit  fast  auf  den  Nullpunkt  herab.  Wir  treten  in  die  Zeit  der 
Prosa  ein  und  haben  der  Poesie  nur  wenige  Blätter  zu  widmen.  Die  her- 
vorragendste Stelle  behauptete  in  derselben,  namentlich  in  dem  Beginne 
des  Kaiserreichs,  das  Epigramm.  Es  sind  uns  durch  die  Anthologie 
hübsche  und  geistreiche  Spiele  von  teils  griechischen,  teils  römischen 
Dichtern  erhalten,  welche  denen  der  alexandrinischen  Zeit  nicht  viel  nach- 
stehen, zum  grössten  Teil  aber  doch  nur  die  alten  Themata  von  neuem 
variieren.  Nur  in  der  Neigung  zum  witzelnden  Spottepigramm  finden  wir 
eine  neue,  mit  besonderem  Glück  verfolgte  Richtung,  die  uns  daran  er- 
innert, dass  wir  es  mit  den  Zeitgenossen  des  Martial  zu  thun  haben.  Die 
Kunst  des  Spottepigramms  veranlasste  dann  auch  eine  Erweiterung  der 
metrischen  Form;    neben  dem  elegischen  Distichon  finden  wir  jetzt  häufig, 


526 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


geradeso  wie  bei  Martial,  iambische  Trimeter  und  Skazonten  verwandt, 
beide  gebaut  nach  der  strengen  Norm  der  lambographen.  In  die  Antho- 
logie sind  die  Epigramme  unserer  Periode  vornehmlich  durch  Philippos 
gekommen,  der  dem  Kranze  des  Meleager  einen  neuen  zur  Seite  setzte.') 
In  dem  Proömium  hebt  derselbe  als  diejenigen  Dichter,  aus  deneu  er  die 
Blumen  gesammelt,  folgende  hervor:  2)  Antipater  von  Thessalonike  aus 
der  Zeit  des  Augustus,^)  Krinagoras,  den  Strabon  p.  617  unter  den  zeit- 
genössischen Dichtern  Mytilenes  anführt  und  der  durch  seine  poetischen 
Spenden  in  besonderer  Gunst  an  dem  kaiserlichen  Hofe  des  Augustus  stund, ^) 
Antiphilos  von  Byzanz,  dessen  Zeit  durch  das  Epigramm  auf  den  von 
Agrippa  angelegten  Damm  von  Puteoli  (Anth.  VII,  379)  bestimmt  wird, 
Tullius  Laureas,  Freigelassener  des  Redners  Tullius  Cicero,  Philodemos, 
der  mit  dem  bekannten  Epikureer  aus  Ciceros  Zeit  eine  Person  zu  sein 
scheint,  Zenas  von  Sardes,  Zeitgenosse  des  Mithridates,  den  Strabon  p.  628 
als  Verfasser  von  Gedichten  und  historischen  Werken  anführt,  Bianor  aus 
Bithynien,  dessen  Zeit  durch  das  Epigramm  auf  das  Erdbeben  vom  Jahre 
16  n.Chr.  (Anth.  IX,  423)  bestimmt  wird,  Antigonos  aus  Karystos,  der 
mit  dem  berühmten  Biographen  der  pergamenischen  Epoche  nicht  ver- 
wechselt werden  darf,^)  Diodoros  von  Tarsos,  der  wohl  eine  Person  mit 
dem  von  Strabon  p.  675  als  Grammatiker  angeführten  Diodoros  ist,  endlich 
Euenos,^)  Antiphanes,  Automedon,')  Parmenion.  Natürlich  hat  auch 
Philippos  aus  Thessalonike^)  geradeso  gut  wie  vordem  Meleager  eigene 
Dichtungen  seinem  Kranze  einverleibt;  unter  seinem  Namen  sind  über  80 
zierliche  Epigramme  teils  in  elegischem,  teils  in  iambischem  Versmass  auf 
uns  gekommen,  darunter  auch  das  berüchtigte  auf  die  wortklaubenden 
Grammatiker,  die  Kinder  des  Momos  (XI,  321).  Nach  dem  Epigramm  auf 
die  Bienen,  welche  in  die  Trophäen  von  Aktion  ihre  Waben  bauen  (VI,  236), 
und  einem  andern  auf  den  Damm  von  Puteoli  (IX,  708)  möchte  man  den 
Verfasser  unter  Augustus  oder  Tiberius  setzen.^)  Aber  auf  spätere  Zeit, 
auf  die  2.  Hälfte  des  1.  Jahrhunderts,  scheinen  viele  der  Epigramme  hin- 
zuweisen, die  man  für  Blätter  aus  dem  Kranz  unseres  Philippos  auszu- 
geben  pflegt.     Vielleicht   aber   sind    in    die  Anthologie   des  Kephalas  auch 


^)  Infolgedessen  sind  in  der  Anthologie 
die  Epigramme  dieser  Periode  mit  den  ver- 
wandten Epigrammen  des  Kranzes  des  Me- 
leager (s.  §  343)  verbunden;  beide  Kränze 
waren  alphabetisch  geordnet;  s.  Passow, 
De  vestigiis  coronarum  Meleagri  et  Fhilippi 
in  Anthologia  Constantini  Ceph.,  Opusc.  c.  IX. 

2)  Näheres  bei  Jacobs,  Catalogus  j)oe- 
tarum  epigrammaticorum  t.  XIII. 

^)  Nach  einem  seiner  Epigramme,  Anth. 
9,  3  hat  ein  römischer  Schüler  die  in  ovidi- 
sche  Handschriften  als  Lückenbüsser  einge- 
schobene Elegie  vom  Nussbaum  gedichtet, 
worüber  Ribbeck,  Gesch.  d.  rom.  Dicht.  II, 
362. 

^)  Nähere  Kenntnis  über  Krinagoras 
brachten  mehrere  neuerdings  aufgefundene 
Inschriften  von  Mytilene,  wonach  unser 
Dichter  29  u.  27  v.  Chr.  an  Ehrengesandt- 
schaften   von    Mytilene    an    den    römischen 


Kaiser  Augustus  beteiligt  war;  s.  Cichorius, 
Rom  u.  Mytilene,  Leipz.  1888,  S.  47- Gl: 
die  Epigramme  gesammelt  von  Rubensohn, 
Crinagorae  epigrammata,  Berl.  1888. 

'")  Derselbe  Antigonos  hatte  ein  Idyllion 
^AvxinarQog  und  ^AIXoiojgek;  gedichtet;  siehe 
WiLAMowiTz,   Phil.   Unt.    IV,   169   und  339. 

'')  In  der  Anthologie  erscheinen  3  Euenoi, 
einer  aus  Athen  (IX,  602),  einer  aus  Sikilien 
(IX,  62),  einer  aus  Askalon  (IX,  75);  an- 
geführt wird  ein  Euenos  von  Arrian,  Epict. 
IV,  9  und  Artemidor  I,  5. 

^)  Es  gab  2  Epigrammatiker  des  Namens    , 
Automedon,    einen    Atolier   (VII,   534)    und 
einen    Kyzikener   (XI,   46);    einer   derselben 
feiert  den  zur  Zeit  Nervas  lebenden  Redner 
Niketes  (X,  23K 

^)  Ein  Philippos  aus  Karystos  ist  Ver- 
fasser von  dem  Epigramm  VII,  394. 

«)  Jacobs,  Anth.  VII  p.  XLIV. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     2.  Die  Poesie.  (§405—406.) 


527 


aus  späteren  Blutenlesen,  wiewohl  der  Herausgeber  darüber  schweigt,  Epi- 
gramme gekommen,  so  dass  man  aus  den  jüngeren  Spielereien  nicht  auf 
eine  spätere  Lebenszeit  des  Philippos  zu  schliessen  berechtigt  ist. 

Ausser  den  von  Philippos  ausdrücklich  genannten  Dichtern  begegnen 
in  der  Anthologie  noch  folgende  Epigrammatiker  der  römischen  Periode: 
Archias,  vielleicht  derselbe,  den  Cicero  verteidigte,  der  indes  seinen  Haupt- 
ruhm den  epischen  Gedichten  auf  den  kimbrischen  und  mithridatischen  Krieg 
verdankte,  Theophanes  der  Geschichtschreiber  des  Pompeius,  Julius 
Polyän,  der  mit  dem  gleichnamigen  Sophisten  aus  Cäsars  Zeit  identisch 
zu  sein  scheint,  Alpheios  von  Mytilene  und  Thallos  von  Milet,  beide 
aus  der  Zeit  des  Augustus,  Leonidas  aus  Alexandria  unter  Nero,  Erykios 
von  Kyzikos  oder  Thessalien,  vermutlich  aus  der  gleichen  Zeit,  ferner 
Cäsar  Germanicus,  Lollius  Bassus  (unter  Tiberius),  Gätulicus  (unter 
Caligula),')  Lucilius,  der  nach  Anth.  10,  572  unter  Nero  2  Bücher  Epi- 
gramme schrieb,  M.  Argentarius,'^)  Geminus,  Traianus,  Hadrianus, 
Ammianus  (Zeitgenosse  des  Sophisten  Polemon),  Fronte  aus  Emesa 
(Rhetor  unter  Severus  nach  Suidas),  endlich  mehrere  Dichter  von  Spott- 
epigrammen, wie  Lukian,^)  Niko machos  (Zeitgenosse  des  Plutarch), 
Philon  aus  Biblos  unter  Hadrian,  Antiochos,^)  Apollinarios."^) 

405.  Straten  von  Sardes  veranstaltete  unter  Hadrian  oder  bald 
nachher  ^)  unter  dem  Titel  Movacc  naidixrj  eine  Sammlung  von  Epigrammen 
auf  schöne  Knaben,  von  welchen  einen  grossen  Teil  der  Sammler  selbst 
gedichtet  hatte.  Stösst  uns  in  denselben  auch  oft  das  nackte  Bekenntnis 
sinnlicher,  jedes  idealen  Zuges  barer  Liebe  ab,  so  muss  man  doch  dem 
Dichter  die  Ehre  grosser  Formgewandtheit  lassen.  Auch  werden  trotz  des 
gemeinen  Untergrundes  einzelne  Gedanken  dieses  Musenspiels,  wie  ^'vxfjg 
saxlv  8Q0)g  dxovt]  (12,  18)  oder  xaiQog  sgoni  (piXog  (12,31)  ihre  Geltung  und 
ihren  Reiz  behalten.  —  Ähnliche  Sammlungen  von  Epigrammen  waren 
in  der  Kaiserzeit  noch  mehrere  entstanden:  Laertius  Diogenes  schrieb 
ein  Buch  JlaixiisrQov  auf  berühmte  Männer,  aus  dem  er  selbst  mehrere 
Verse  in  seinen  Philosophenbiographien  anführt;  ein  gewisser  Aristoteles 
dichtete  einen  zum  grossen  Teil  erhaltenen  und  von  Ausonius  übersetzten 
Peplos  von  Epitaphien  auf  die  Helden  von  Troia;  Diogenianos  aus  Hera- 
klea  verfasste  unter  Hadrian  ein  ^Ar^oXoyiov  imyQai.incccmv.  —  Von  einer 
gewissen  Julia  Balbilla,  Hofdame  der  Sabina,  der  Gemahlin  Hadrians, 
sind  uns  mehrere  Epigramme  erhalten,  welche  auf  den  Schenkeln  und  Füssen 
der  Memnonstatue  in  Oberägypten  eingegraben  sind,  darunter  5  in  äolischem 
Dialekt  (Kaibel  ep.  gr.  988—92). 

400.  Von  anderen  lyrischen  Versuchen  sind  3  Hymnen  mitsamt  den 
Noten  der  Melodie  auf  uns  gekommen,')  einer  auf  die  Nemesis  von  Meso- 


')  Vermutlich  derselbe,  den  Martial.  ]. 
init.  u.  Plinius  ep.  III,  5  erwähnen. 

'^)  Vielleicht  identisch  mit  dem  Rhetor 
Argentarius  in  Senecas  Suasorien. 

^)  Es  sind  33  Epigramme;  ob  ihr  Ver- 
fasser eine  Person  mit  dem  berühmten  Sati- 
riker sei,  ist  strittig. 

*)  Vielleicht  identisch  mit  dem  Sophisten 
Antiochos  aus  Aigai,    bekannt   aus  Fhilostr. 


Vit.  soph.  II,  4. 

'")  Zweifelhaft  ist,  ob  derselbe  identisch 
mit  dem  Freunde  des  Libanios  sei. 

^)  Diogenes  V,  65  führt  einen  Straton 
noi/ijirjv  iniyQa/LtfudTCDy  an;  ein  Epigramm 
XI,  17  geht  auf  Kapito,  den  Leibarzt  des 
Hadrian;  s.  Jacobs,  Anth.  gr.  VI  p.XLVIsqq. 

^)  Bellekmann,  Die  Hymnen  des  Dio 
nysiiis  Alexandrinus  und  Mesomedes,  Berlin 


»28 


Griechische  Litteraturgeächichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 


med  es,  einem  Freigelassenen  des  Hadrian,i)  und  zwei  auf  Helios  und  die 
Muse  von  einem  sonst  nicht  näher  bekannten  Dionysios  aus  Alexandria. 
Poetische  Spielereien,  die  sich  in  der  Zeit  des  Hadrian  einer  besonderen 
Beliebtheit  erfreuten,  waren  die  Anakreontea,  gefällige,  in  tändelnden 
Dimetern  gedichtete  Nachahmungen  von  Liebesliedern  des  Anakreon.  Sie 
sind  den  Epigrammen  verwandt  und  auch  mit  diesen  durch  dieselbe  Hand- 
schrift auf  uns  gekommen. 2)  Die  8  Bücher  Plaudereien  {kt'axcci)  des  Gram- 
matikers Herakleides  Pontikos  in  Hendekasyllaben  hatten  nur  die 
Form  lyrischer  Gedichte,  behandelten  aber  einen  möglichst  unpoetischen 
Stoff,  nämlich  Streitfragen  der  Grammatiker.  2) 

In  den  letzten  Jahren  ist  ein  Päan  an  den  Heilgott  Asklepios  hinzu- 
gekommen, der  sich  auf  einer  Inschrift  der  ägyptischen  Stadt  Ptolemais 
aus  der  Zeit  des  Kaisers  Trajan  gefunden  hat.^)  Ob  derselbe  auch  erst 
in  dieser  Zeit  gedichtet  wurde,  ist  nicht  ausgemacht,  da  er  wohl  Verse 
enthält,  die  sich  auf  Ägypten  und  Ptolemais  beziehen  und  also  auch  nur 
hier  entstanden  sein  können,  aber  keine  Beziehung  auf  den  Kaiser  oder 
den  kaiserlichen  Statthalter  durchblicken  lässt.  Aber  immerhin  ist  der- 
selbe durch  seine  metrische  Form,  die  nichts  gleiches  in  der  Litteratur 
nach  Alexander  hat,'^)  hochinteressant.  Ein  ganz  ähnlicher  Päan  des  eiSog 
xard  SccxTvXov  und  ein  in  leichten  vierfüssigen  Logaöden  gedichteter,  welche 
beide  gleichfalls  nach  der  Form  der  Buchstaben  aus  der  römischen  Zeit 
stammen,  haben  sich  in  dem  Bezirk  des  Asklepiosheiligtums  von  Athen 
gefunden;^)  leider  aber  sind  die  einzelnen  Zeilen  des  ersteren  stark  am 
Ende  verstümmelt;')  als  Dichter  desselben  nennt  sich  ein  gewisser  Maxs- 
dloviogl,  der  aber  jedenfalls  von  dem  viel  späteren,  unten  §  535  zu  er- 
wähnenden Epigrammatiker  Makedonios  verschieden  ist. 

407.  An  dramatischen  Schöpfungen  hat  die  römische  Periode  noch 
w^eniger  als  an  Ija^ischen  hervorgebracht.  Mit  dem  Beginn  der  Blütezeit 
der  Sophistik  nahm  obendrein  die  Prunkrede  zum  Ersatz  des  Dramas  den 
Charakter   öffentlicher  Aufführung  an.     Ganz  verödet  indes  war  die  Bühne 


1840;  auch  abgedruckt  im  Anhang  von 
Westphal's  Metrik  I  \  W±  ff. 

^)  Suidas  nennt  ihn  Lyriker  und  führt 
von  ihm  neben  didcpoQa  fieh]  ein  Lobgedicht 
auf  Antinous  an. 

'^)  Siehe  oben  §  104. 

^)  Suidas:  eygaxps  fxszQM  Zancpixio  rJToi 
4>c(Xc<xsuo  ßißXia  y  övoeQfj.rjvsvici  xcd  nollrjy 
Ttjp  anoQiay  e/ovTct  nQoßtillofxtyioy  ^^]Tt]- 
f^ärcoy,  linva  Xej^^?  ixuXsaey. 

•^)  Rev.  archeol.  t.  XIII  (1889)  p.  70. 

^)  Die  Verse  sind  in  der  Inschrift  nicht 
abgeteilt  und  lassen  vermuten,  dass  ebenso- 
wenig bei  Pindar  und  den  anderen  chori- 
schen Lyrikern  die  Verse  und  Kola  ehedem 
abgeteilt  waren. 

c)  Veröffentlicht  im  Athenaion  VI  (1877) 
p.  14  u.  CIA.  3,  1,  n.  171^^  u.  171^  Vier 
Päaiie,  darunter  der  alte  des  Ariphron  (s. 
§  114)  sind  zusammengeschrieben  auf  einem 
jetzt  in  Kassel  befindlichen  Stein  CIA.  III,  171. 

^)  Der  Fortgang  des  Rhythmus  über  die 


Zeile  ist  auf  dem  Stein  durch  Einrücken 
bezeichnet,  w^as  an  das  sxzi&ivca  und  eia- 
tix^ircti  der  Heliodorscholien  zu  Aristophanes 
erinnert;  vgl.  Thiemann,  Heliodori  colom. 
Aristoph.  p.  VI.  Dieses  hat  darin  seinen  tie- 
feren Grund,  dass  die  einzelnen  rhythmischen 
Sätze  des  Päan  über  den  Umfang  eines  Verses 
(ailxog)  hinaus  zu  grossen  Perioden  {nEQio- 
^og)  angewachsen  sind.  In  wechselnden 
Rhythmen  sind  auch  gedichtet  die  Ode  auf 
das  Apolloorakel  in  Pisidien  bei  Kaibel, 
Epigr.  gr.  n.  1040,  besser  nach  neuer  Ab- 
schrift bei  Sterrett,  The  Wolf  expedition 
in  Asia  minor,  Boston  1888,  t.  I  p.  312.  das 
von  BuRESCH,  Klares,  Leipz.  1889  veröffent- 
lichte Orakel  des  klarischen  Apoll,  gefunden 
auf  einem  Stein  der  lydischen  Stadt  Kaisareia 
Troketta,  und  das  wahrscheinlich  gleichfalls 
von  Klares  kommende  Orakel  der  thrakischen 
Stadt  Kallipolis  bei  Kaibel,  Ep.  gr.  n.  1034, 
vorbessert  bei  Buresch,  Klares  S.  81. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     2.  Die  Poesie,  (§  407—408.) 


►20 


noch  nicht;  aber  es  waren  grösstenteils  nur  Kraftstellen  aus  alten  Tragödien 
oder  Gesangsarien,  welche  man  in  den  Theatern  zu  hören  bekam. ^)  Nur 
wenige  Dichter  brachten  neue  Dramen  auf  die  Bretter  und  keines  der- 
selben hat  die  Zeit  überlebt.  Wir  stellen  die  wenigen  dürftigen  Nachrichten 
kurz  zusammen. 

Von  Philistion,2)  einem  Dichter  biologischer  Komödien^)  oder  Mimen, 
die  sich  lange  in  Ansehen  erhielten,  sind  einzelne  Verse  in  der  avyxQiaig 
Msv(xvSqov  xal  (t>iXic>Ti(ßvog  auf  uns  gekommen.  Der  Jude  Nikolaos,  der 
von  Herodes  als  Gesandter  an  Cäsar  Octavianus  abgeschickt  wurde  und 
als  Aristoteliker  eine  Rolle  in  der  Litteratur  spielte,  hat  in  seiner  Jugend 
auch  Tragödien  und  Komödien  geschrieben.^)  Von  dem  älteren  Philo- 
stratos  führt  Suidas  43  Tragödien  und  14  Komödien  an,  wie  auch  von 
andern  Sophisten,  Skopelianos,  Niketes,^)  Isagoras,  und  von  dem 
Kyniker  Oinomaos^)  Tragödien  genannt  werden.  Einen  hohen  Begriff 
werden  wir  uns  freilich  von  denselben  nicht  machen  dürfen;  was  die  Zeit 
in  dieser  Gattung  zu  leisten  vermochte,  zeigen  uns  am  besten  die  rhetori- 
schen Tragödien  des  Seneca;  wahrscheinlich  waren  aber  die  griechischen 
Tragödien  nicht  einmal  das,  sondern  nur  Monologe  oder  dramatische  De- 
klamationen (QTjasig)  nach  Art  der  Kassandra  des  Lykophron  und  der 
Tragodopodagra  des  Lukian.  Immer  mehr  überwucherte  eben  in  der  römi- 
schen Kaiserzeit  der  Pantomimus  die  übrigen  Arten  des  theatralischen 
Spieles;')  Lukian  im  Leben  des  Demonax  c.  27  sagt  ganz  unverblümt: 
T(o   Jiovvc^o)  t6  fiih'  TToieTv  xo)jj,o)6iag  rj  TQCcyoiSiccg  ixXbXeincai, 

408.  Auch  das  Epos  und  die  mit  ihm  verwandten  Dichtungsarten 
wurden  durch  die  Sophistik  erdrückt.  Es  war  nur  das  Lehrgedicht  und 
die  mit  den  rhetorischen  Vorübungen  {rrQoyvftvddi^iaTa)  zusammenhängende 
Fabel,  welche  sich  einiger  Pflege  erfreuten. 


^)  Die  Chrys.  or.  19  p.  487  R:  r^g  rgayo)- 
&iag  rd  fxkv  la/rgd  ojg  eoixs  fxivei,  Xayio  öe 
TU  uiixßsTcc  '  xttl  rovrioy  fusQt]  ^le^iaaiv  iv 
roTg  '^eaTQoig,  t(c  cTe  fxaXaxcoTSQCi  i$€QQvt]X6 
T«  nsQt  rd  fxdXt],  Solche  Teile  von  Tragödien 
werden  diejenigen  gewesen  sein,  welche 
Nero  nach  Suet.  Ner.  21  recitierte,  und  ebenso 
wird  man  über  die  bei  den  Gasfgelagen 
nach  Flut.  Sympos.  VII,  8.  3  u.  4  vorgetra- 
genen Komödien  urteilen  müssen.  Dass  auch 
noch  ganze  Tragödien,  namentlich  von  Eu- 
ripides,  aufgeführt  worden  seien,  sucht  P. 
Schulze.  Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887),  117  ff. 
zu  erweisen.  Plotin  III,  2.  15  spricht  von 
der  Bühne  und  den  die  Rollen  wechseln- 
den Schauspielern  so,  dass  er  noch  wirkliche 
Aufführungen  vor  Augen  gehabt  zu  haben 
scheint. 

'^)  Über  Philistion  ein  verwirrter  Artikel 
des  Suidas;  über  sein  Ansehen  Jahn,  Prolegg. 
in  Persium  XC,  und  Studemund,  Menandri 
et  Fhilütionis  comparatio,  Ind.  lect.  Vrat. 
1887.  Der  letztere  setzt  nach  metrischen  An- 
haltspunkten die  Vergleichung  des  Menandor 
und  Philistion  in  das  Ö.  Jahrb.;   vgl.  S.  270 


An.  11.  In  der  Zeit  des  Hadrian  ist  aus  dem 
gleichen  Bestreben,  grosse  Dichter  in  einem 
Wettstreit  zusammenzuführen,  der  dycoi^ 
'OiwiJQov  xal  'Hatööov  entstanden. 

^)  Auf  einer  metrischen  Grabinschrift 
von  Larnaka  in  Kypern  aus  dem  3.  Jahrb. 
n.  Chr.  (publiziert  von  Oberhummek,  Sitzb.  d. 
b.  Ak.  1888,  I,  311)  erscheint  ein  mimischer 
Schauspieler  'Jyad^oxlEwv  ßio'Aoyog,  ein  4'Xd- 
ßiog  J?,6^c(i'ö'Qog  '0^eiö'i]g  aus  Nikomedia  im 
Theater  von  Trallos  bei  Waddington,  Vo- 
yage  archeol.  1652 '\ 

4)  Welcker,  Gr.  Trag.  1322  f. 

^)  Welcher  a.  0.  Von  Philostr.  Vit. 
soph.  II,  11  wird  ^laayoQag  6  Trjg  TQuyoxflug 
noi7]T7Jg  genannt. 

6)  Julian  or.  VII,  210  stellt  die  Tra- 
gödien der  Kyniker  Diogenes,  Philiskos, 
Oinomaos  nebeneinander. 

^)  Nach  Dio  Chrys.  or.  32  u.  Aristides 
or.  50  diente  das  Theater  in  Alexandria 
nur  dem  Pantomimus  und  der  Posse.  Ähn- 
lich sagt  Libanios,  hsqI  xioy  oQ^tjoTtüy  p. 
391  R.,  dass  die  Tänzer  an  die  Stelle  der 
Tragödienschreiber  getreten  seien. 


Handbuch  der  klass,  Altcrlumswissenschat't.  VII.    2,  Auf], 


34 


530 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Babrios,  wahrscheinlich  von  syrischer  Abkunft, ^  ist  Verfasser  einer 
erst  nach  und  nach  vollständiger  ans  Licht  gezogenen  Sammlung  äsopischer 
Fabeln  iiivO^iaixßoi  Alacmsioi).  Dieselbe  umfasst  in  alphabetischer  Ordnung 
[xaTce  aToixsTov)  123  Fabeln  in  2  Büchern, 2)  bricht  aber  mitten  im  Buch- 
staben 0  ab.  Der  Verfasser  redet  in  dem  Proömium  des  ersten  Buches 
und  in  Fabel  74  einen  gewissen  Branchos  an,  den  er  im  Proömium  des 
zweiten  Buches  Sohn  des  Königs  Alexander  nennt.  Der  Name  Branchos 
führt  uns  nach  dem  Orient;  wessen  Königs  Sohn  aber  derselbe  gewesen 
sei,  ist  zweifelhaft,  da  es  mehrere  Könige  mit  dem  Namen  Alexander  gab. 
In  Betracht  gezogen  wurden  von  Keller  ^)  der  Seleukide  Alexander  I.  Balas 
(150 — 147  V.  Chr.),  von  Bergk  der  von  Antigonos  vergiftete  Alexander 
Ätolus  aus  dem  3.  Jahrhundert  v.  Chr.^),  von  Lachmann'')  der  von  Ves- 
pasian  zum  Herrn  von  Issias  und  Kilikien  erhobene  Alexander  aus  dem 
Stamme  des  Herodes,  von  Boissonade  und  Crusius^')  endlich  der  römische 
Kaiser  Alexander  Severus  (222 — 235  n.  Chr.).  Der  weite  Spielraum,  der 
damit  gegeben  scheint,  engt  sich  insofern  ein,  als  andere  Umstände  den 
Babrios  in  die  Zeit  der  ersten  Periode  der  Sophistik  zu  setzen  nötigen.  Einer- 
seits nämlich  berücksichtigten  und  benützten  den  Babrios  bereits  im  3.  und 
4.  Jahrhundert  der  Grammatiker  Dositheus  (Interpret.  1.  III  p.  37  ed.  Boeckh) 
und  die  römischen  Dichter  Ausonius  und  Avian;^)  anderseits  folgt  Babrios 
im  Bau  der  Choliamben  Regeln,  die  durch  den  Charakter  der  lateinischen 
Sprache  hervorgerufen  und  erst  aus  der  römischen  Poesie  in  die  griechische 
eingedrungen  waren. ^)     Den  Stoff  nahm  unser  Dichter  wesentlich  aus  den 


^)  Vgl.  Babr.  prooem.  des  2.  Buches, 
und  fab.  57;  dass  er  den  Gentilnamen  Va- 
lerius  gehabt  habe  und  demnacli  römischer 
Bürger  gewesen  sei,  dafür  bietet  die  hand- 
schriftliche Überlieferung  keine  festen  An- 
haltspunkte. 

'^)  Die  Angabe  des  Suidas,  der  unserem 
Babrios  10  B.  Choliamben  zuschreibt,  scheint 
auf  einem  Irrtum  zu  beruhen;  bereits  Avianus 
in  Poet.  lat.  min.  V,  34  ed.  Bahr,  erwähnt 
nur  2  Volumina.  Vielleicht  liegt  eine  Ver- 
wechselung mit  der  (^exu^vSia  des  Niko- 
stratos  vor,  welche  Hermogenes  nsQi  iJ'sioy 
II,  12.  3  und  Suidas  s.  v.  Nixoctq.  erwähnen. 
Das  2.  Buch  beginnt  mit  dem  Buchstaben  M. 

3)  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  IV,  388  f.;  auf 
derselben  Seite  stehen  Gutschmid,  Jahrb.  f. 
Phil.  87  (1863),  323  und  Männel,  Philol. 
29    169  ff. 

^)  Kl*.  Schrift.  II,  547  ff. 

^)  In  seiner  Ausg.  p.  XII. 

^)  Ceusius,  De  Babrii  aetate,  Leipz. 
Stud.  II  (1879),  127—248;  ihm  stimmen  bei 
Rutherford  in  der  Einleitung  seiner  Aus- 
gabe, Ficus,  De  Babrii  vita  capita  tria, 
1889. 

')  Ausonius  ep.  16  erwähnt  die  Aesopia 
trimetria  eines  gewissen  Titianus;  Avianus, 
der  Fabeldichter,  dessen  Lebenszeit  von  der 
neueren  Forschung  in  die  2.  Hälfte  des  4. 
Jahrhunderts  gesetzt  wird ,  sagt  in  dem 
Widmungsbrief   an  Theodosius:   (xuas    (seil. 


Aesopi  fahulas)  graccis  iamhis  Bahrius  re- 
petens  in  duo  volumina  coartavit,  Phaedrus 
etiam  portem  aliquam  quinque  in  libellos 
resolvit. 

^)  Dieselben  bestehen  in  der  zuerst  von 
Ahrens,  De  crasi  et  aphaeresi  p.  31  be- 
obachteten Betonung  der  vorletzten  Verssilbe 
und  in  der  Vermeidung  der  Auflösung  einer 
solchen  Länge  in  2  Kürzen,  durch  welche  die 
vorletzte  Silbe  eines  auf  2  Kürzen  endigen- 
den drei-  oder  mehrsilbigen  Wortes  den 
Accent  erhielte.  Denn  beide  Regeln  ent- 
sprechen den  Betonungsgesetzen  der  latei- 
nischen Sprache:  namentlich  ist  die  letztere 
schon  von  den  alten  römischen  Komikern 
regelmässig  beobachtet  worden.  Deutsch- 
mann, De  poesis  Graecorum  rhytlimicae 
primordiis,  Malmedy  1883,  will  die  Betonung 
der  vorletzten  Silbe  lediglich  auf  rhythmische 
Gründe  zurückführen.  —  Wichtig  in  unserer 
Frage  ist  auch  dies,  dass  sich  Babrios  im 
Proömium  des  2.  Buches  auf  die  Neuheit 
seines  Unternehmens  [vsri  fiovarj)  etwas  zu 
gute  thut  und  von  Nachahmerei  spricht,  die 
seine  Art  gefunden  habe.  Aber  deshalb 
brauchen  wir  doch  nicht  mit  Bergk  bis  über 
Kallimachos,  der  allerdings  bereits  einzelne 
Fabeln  in  Choliamben  gedichtet  hatte,  hinauf 
zu  gehen.  Auf  der  anderen  Seite  aber  macht 
die  Anführung  dreier  choliambischer  Verse 
in  dem  Homerlexikon  des  Apollonios  u. 
(isiö's,  auch  wenn  dieselben  nicht  von  Babrios 


B.  Römische  Periode  vor  Itonstantin.     2.  Die  Poesie.  (§409.)  531 

älteren  Sammlungen  äsopischer  und  libyscher  Fabeln,  ^  so  dass  sein  eigenes 
Verdienst  nur  in  der  metrischen  Formgebung  besteht.  Was  neues,  sei  es 
von  ihm  selbst,  sei  es  von  anderen,  zum  alten  Fabelschatz  zugefügt  wurde, 
wie  die  Fabel  von  dem  lügenhaften  Araber  (157),  von  dem  lüderlichen  Ehe- 
paar (116), 2)  vom  Esel  der  Kybelepriester  (126),  hält  keinen  Vergleich  mit 
den  hübschen,  alten  Fabeln  des  Äsop  aus.  Aber  die  Form  ist  dem  Babrios 
sehr  gut  gelungen:  der  leichte  Ton  der  Umgangssprache  entspricht  trefflich 
dem  Wesen  der  Fabel;  die  Verse  sind  korrekt  und  elegant  gebaut;  die 
Wahl  des  Choliamb,  der  zwischen  der  Ungebundenheit  der  Prosa  und  der 
Strenge  der  geradlaufenden  Verse  die  Mitte  hält,  ist  dem  populären  Cha- 
rakter der  Sprache  bestens  angepasst.  Auch  erfreuten  sich  die  Fabeln  des 
Babrios  grosser  Popularität  in  den  nachfolgenden  Jahrhunderten,  so  dass 
man  die  alten  Fabeln  nur  noch  in  der  von  ihm  ihnen  gegebenen  Form  las. 
Aber  es  hat  lang  gedauert,  bis  man  den  populären  Fabeldichter  wieder- 
gewann. In  die  Neuzeit  hatten  sich  nämlich  zunächst  aus  dem  Mittelalter 
nur  Fabelsammlungen  in  Prosa  gerettet.  In  ihnen  und  den  zahlreichen 
Citaten  bei  Suidas  erkannte  zuerst  der  Engländer  Tyrwhitt,  de  Babrio  1776, 
die  Spuren  des  choliambischen  Gefüges,  so  dass  er  aus  der  prosaischen 
Paraphrase  wieder  eine  Reihe  von  Versen  herauslas.  Das  Original  selbst, 
zwar  nicht  von  allen,  aber  doch  von  123  Fabeln,  entdeckte  1843  der  Grieche 
Minas  in  einer  Pergamenthandschrift  des  Berges  Athos,  die  sich  jetzt  im 
brittischen  Museum  (Cod.  gr.  22087)  befindet.  Später,  im  Jahre  1857,  trat 
derselbe  Minas,  ähnlich  wie  er  es  bei  dem  christlichen  Buche  Hermas 
machte,'')  mit  der  angeblichen  Kopie  einer  zweiten  Handschrift  des  Athos 
mit  weiteren  95  Fabeln  in  Choliamben  auf;  dieselbe  erwies  sich  aber, 
hauptsächlich  durch  das  Versmass,  als  eine  plumpe  Fälschung.  Dagegen 
gelang  es  neuerdings  Pius  Knöll,  aus  dem  Cod.  Vatic.  777  noch  mehrere 
neue  Fabeln  des  Babrios  ans  Licht  zu  ziehen. 
j  Ed.  princ.   von  Boissonade,  Paris    1844;    ed.  Lachmannus  et  amici,    Berl.   1845;    ed. 

ScHNEiDKWiN,  Lips.  1853;  rec.  Gitlbauer,  Wien  1882;  loith  introductory  dissertaiions  and 
lexicon  ed.  Rutherford.  London  1883.  --  Ficus,  Über  den  Bau  des  griecli.  Choliambus, 
insbesondere  über  den  des  babrianischen  Mythiambus,  in  Rossbaeh's  Metr.-^  808 — 848. 

409.  Oppianos  aus  Korykos  in  Kilikien  lebte  vor  Athenaios,  der 
ihn  p.  13  b  citiert,  unter  M.  Aurel.^)  Sein  Vater,  ein  reicher  und  ange- 
sehener Bürger  seiner  Heimatstadt,  war  in  Ungnade  gefallen,  weil  er  beim 
Durchzug  des  Kaisers  Verus  sich  der  Huldigung  seines  kaiserlichen  Herrn 
entzogen  hatte,  und  wurde  zur  Strafe  dafür  auf  die  Insel  Melite  im  adriati- 
schen  Meere  verbannt.  Der  Sohn  begleitete  den  Vater  in  die  Verbannung, 
kam  aber  nach  dem  Tode  des  Verus  (169)  bei  dem  Kaiser  M.  Aurel  so  in  Gunst, 
dass  derselbe  ihm  zulieb  die  Begnadigung  des  Vaters  verfügte  und  ihn  selbst 
königlich  belohnte,  indem  er  ihm,  wie  man  sagte,  für  jeden  Vers  ein  Goldstück 


herrühren,  es  unwahrscheinlich,  dass  der  Fir-  ]  ^)  Vgl.  unten  §  600. 

finder  dieser  neuen  Dichtungsart  nach  Apol-  i  ^)  ^w\d^2is:07nn«pdg  ysyovMg  inl  McIqxov 

lonios  gelebt  habe.  1  'Avroivivov.  In  die  Vita,  gedruckt  bei  Wester- 

^)  Siehe  Proömium  des  2,  B.  und  vergl.  i  mann,  Biogr.  gr.  63,  ist  durch  Verwechselung 


§  96  u.  383. 


des  Mitregenten  Verus  (gest.  169)   mit  dem 


^)  Diese  milesische  Erzählung  findet  sich       Kaiser   Severus   (193 — 211)   Verwirrung   ge- 


auoh  bei  Apuleius,  Metam.  9,26;  s.  Crusius, 
Philol.   47  (1889)  S.  448. 


kommen;    s.  HunoLrn,    Leipz.   Stud.   VIT,  6. 


532 


Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


schenkte.  Aber  der  hochgefeierte  Dichter  starb  bald  darauf  in  der  Blüte 
des  Lebens  im  30.  Lebensjahre;  sein  Andenken  ehrten  seine  Mitbürger 
durch  ein  Standbild.  Seinen  Ruhm  verdankte  er  dem  uns  noch  erhaltenen 
Lehrgedicht  vom  Fischfang,  Halieutika  in  5  B.,  das  er  dem  Kaiser  M.  Aurel 
und  dessen  Sohn  Commodus  widmete.  Dem  Gedicht  fehlt  es  nicht  an  Glätte 
des  Versbaus  und  Schmuck  der  Rhetorik,  aber  das  hohe  Ansehen  desselben 
bleibt  uns  doch  unverständlich.  Demselben  Oppian  werden  ausserdem  vom 
Verfasser  der  Vita  als  Jugendarbeiten  KvvrjysTixd  und  'r^svrixä  beigelegt, 
von  denen  die  ersten  in  4  BJ)  uns  erhalten  sind,  aber  nicht  dem  Verfasser 
der  Halieutika  angehören.  Denn  abgesehen  von  ihrem  geringeren  poetischen 
Gehalt  gibt  sich  ihr  Verfasser  dadurch  deutlich  als  einen  verschiedenen 
Dichter  kund,  dass  er  2,  123  u.  156  Apamea  in  Syrien  als  seine  Heimat 
bezeichnet.  Sein  Gedicht  widmete  er  dem  Kaiser  Caracalla,  so  dass  das- 
selbe erst  nach  211  geschrieben  sein  kann.  Auch  der  Versbau  weicht  in 
einigen  Kleinigkeiten,  wie  in  der  Zulassung  iambischer  Wörter  vor  der 
Hauptcäsur,  von  der  Eleganz  der  Halieutika  ab.^)  Die  Ixeutika,  vom  Vogel- 
fang mit  Leimruten,  sind  verloren  gegangen;  auf  uns  gekommen  ist  die 
Metaphrase  eines  gleichbetitelten  Lehrgedichtes  in  3.  B.  von  Dionysios, 
wahrscheinlich  demselben,  der  nach  Suidas  auch  AiO^iaxä  geschrieben  hatte. 
Ausg.  von  RiTTERSHUsius,  LB.  1597  mit  Kommentar;  von  J.  G.  Schneider,  Argent. 
1786,  mit  kurzen  Noten,  Lips.  1813;  von  F.  S.  Lehes  in  den  Poet.  buc.  et  didact.,  Paris 
1846  mit  der  Metaphrase  der  Ixeutika,  die  unter  dem  Titel  tjeql  oQvi&oiv  auch  bei  Gramer 
An,  Par.  I,  21  ff.  steht.  —  M.  Miller,  Oppians  des  Jüngeren  Gedicht  von  der  Jagd,  Am- 
bergcr  Progr.  1885. 

410.  Unbedeutend  sind  die  Reste,  die  uns  von  anderen  didaktischen 
Gedichten  dieser  Periode  erhalten  sind,  nämlich  Verse  aus  den  'IraXixd 
^säiiara  des  Hello dor  über  die  Heilquellen  von  Puteoli,  OrjQiaxd  von 
Andromachos,  Oberarzt  unter  Nero,  in  167  elegischen  Distichen,  ein 
Abschnitt  der  'lazQixä  des  Markellos  aus  Side  unter  den  Antoninen,  ein 
am  Anfang  und  Schluss  verstümmeltes  Lehrgedicht  ttsqI  6vvdiJ.€wg  twv 
(fVTwv  in  215  Hexametern,  ein  aus  verschiedenen  Teilen  zusammengestop- 
peltes, in  seinem  Grundstock  (1.  H,  HI,  VI)  auf  die  Zeit  des  Alexander 
Severus  zurückreichendes  astrologisches  Lehrgedicht  'AnoTsksoiiaTixä  in  6  B. 
unter  dem  Namen  des  Man  et  ho.  Das  wichtigste  der  erhaltenen  Lehr- 
gedichte, die  Periegese  des  Dionysios,  ist  in  unserer  Periode,  unter 
Hadrian  entstanden,  wird  aber  von  uns,  da  es  hauptsächlich  stoffliches  In- 
teresse hat,  erst  unten  in  dem  Abschnitt  über  Geographie  besprochen  werden. 

Die  genannten  Lehrgedichte  zusammen  mit  den  astrologischen  Fragmenten  des 
Dorotheos  nsql  luuy  xaraQ/ivf,  Annubion  tisqI  f^o'iQag  loQoaxonovat]?  (in  Distichen)  und 
Max  im  US  gedruckt  in  Poetae  buc.  et  didact.  von  F.  S.  Lehrs  und  Arn.  Köchly,  Paris 
1846  u,  1857.  Die  UTToreho/uaiixa  des  Manetho  sind  herausgegeben  von  Köchly,  Lips. 
1857.  Das  Gedicht  über  die  Pflanzenkräfte  ist  mit  neuen  Hilfsmitteln  bearbeitet  von  M. 
Haupt,  Opusc.  II,  475  ff.;  Marcelli  Siüetae  medici  fragm.  rec.  Max  Schneider,  in  Comm. 
Ribbeck.  p.  115-31. 

411.  Im  erzählenden  Epos  hat  unsere  Periode  nichts  hervorgebracht, 
was  die  Zeit  überdauert  hätte.     Es  werden   uns   nur  mehrere  Namen  von 


^)  Die  Vita  spricht  von  5  B.;  Suidas 
stimmt  in  der  Angabe  von  4  B.  mit  unserem 
Texte  überein. 

^)  Lehbs,    Quaest.   ep.   diss.   V  de  Ha- 


lieuticorum   et  Cynegeticorum  discrepaniia; 
W.  Meyer,    Zur  Gesch.    des   griech.   u.   lat.  ■! 
Hexameters,  Sitzb.  d.  b.  Ak.  1886  S.  985  f.  l\ 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,   a)  Diodoros.  (§  410—413.)   533 

Dichtern  und  Gedichten  genannt,  die  wir  in  Kürze  zusammenstellen  wollen: 
eine  Gigantomachie  dichtete  der  Sophist  Skopelianos  unter  Trajan,  eine 
Alexandrias  in  24  B.  ein  gewisser  Arrianos,  der,  verschieden  von  dem 
Historiker,  auch  die  Georgika  des  Vergil  übersetzte;  i)  einen  Gegenhomer 
(Avd^oiiTjQog)  in  24  B.  schrieb  der  Grammatiker  Ptolemaios  aus  Alexandria, 
Metamorphosen  und  eine  'Ihdg  XemoyQän^iaTog,  von  der  jeder  Gesang  je 
einen  Buchstaben  nicht  enthielt, 2)  Nestor  aus  Laranda  unter  Alexander 
Severus,  ^HQwixal  d^eoyaiiiai  in  60  B.  dessen  Sohn  Peisandros,  Baaaaqixd 
oder  Jiovvaiaxd  nebst  andern  mythologischen  Epen  Soterichos  unter 
Diokletian.  3) 

3.  Die  Prosa. 

412.  Wie  schon  oben  bemerkt  und  in  dem  ganzen  Charakter  der 
Zeit  begründet  ist,  steht  die  Prosa  in  dem  Vordergrund  der  Litteratur 
unserer  Periode.  Im  allgemeinen  entfernte  sich  dieselbe  von  dem  Zuge 
gelehrter  Polyhistorie,  welche  den  Werken  der  alexandrinischen  Zeit  das 
Gepräge  gegeben  hatte,  und  wandte  wieder  der  Form  der  Darstellung  er- 
höhte Aufmerksamkeit  zu.  Das  steht  in  Zusammenhang  mit  den  rhetorischen 
Studien,  welche  gleich  im  Beginne  unserer  Zeit  sorgsame  Pflege  durch  her- 
vorragende Schriftsteller  gefunden  hatten  und  seit  dem  2.  Jahrhundert  in 
den  Werken  der  Sophistik  ihren  schöpferischen  Ausdruck  fanden.  Mit 
ihnen  waren  aber  auch  die  natürlichen  Grenzscheiden  der  zwei  Haupt- 
gattungen der  Litteratur  verrückt  worden.  Auf  der  einen  Seite  wurde  der 
Vers  zur  Darstellung  des  trockensten  Lehrstoffes  missbraucht,  und  auf  der 
anderen  verirrte  sich  die  Prosa  in  das  Gebiet  der  Poesie,  indem  sie  teils 
dem  Preise  der  Götter,  teils  der  Erzählung  freierfundener  Mythen,  teils 
dem  Ausdruck  satirischen  Witzes  diente.  Noch  mehr  aber  mischten  sich 
innerhalb  der  Prosa  die  verschiedenen  Spielarten  derselben.  Dionysios  von 
Halikarnass  verfasste  zugleich  historische  und  rhetorische  Werke,  Plutarch 
schrieb  nicht  bloss  über  philosophische,  historische  und  rhetorische  Themata, 
sondern  gab  auch  seinen  historischen  Biographien  eine  philosophische  Ten- 
denz. Infolge  dessen  geht  es  nicht  wohl  an,  auch  in  unserer  Periode  die 
Scheidung  der  Prosa  nach  ihren  Gattungen  strenge  durchzuführen.  Ich 
werde  mir  daher  unter  grösserer  Beachtung  der  zeitlichen  Folge  einen 
freieren  Gang  einzuschlagen  erlauben,  aber  doch  so,  dass  ich  in  der  Haupt- 
sache zuerst  die  Historiker  und  Geographen,  sodann  die  Philosophen  und 
Sophisten  und  zuletzt  die  Rhetoren  und  Grammatiker  behandele. 

a)  Historische  Schriftsteller  aus  der  Zeit  vor  100  n.  Chr. 

413.  Diodor,"^)  geboren  in  Agyrion,  einem  Städtchen  Sikiliens,  ver- 
fasste  unter  Augustus   eine   allgemeine   Geschichte   in    40  B.  vom   Anfang 


^)  Arrianos    ist    auch    Verfasser    eines 
Epigramms  auf  die  Sphinx  in  Memphis  (CIG. 


^)  Fragmente  bei  Düntzer,  Fragm.  der 
ep.    Poesie    11,    99  tf.     In    die    Alexanderge- 


4700  =  ^Kaibel  ep.  gr.  1015).  I    schichte    des   Fs.  Kallisthenes   (I,  33  u.  45) 
^)  Über  die  noch  grössere  Künstelei  der       sind  Verse  (Choliambcn)  eingestreut,  welche 

l^^opsephie  der  Distichen  in  den  P^pigrammen  '    der  Herausgeber  C.  Müller  auf  des  Soterichos 
(los  Alexandriners  Leonidas  s.  Stadtmüller,       Epos  'JXs^aytfQiaxoy  zurückführen  möchte. 
Zur  Anthologia  Palatina,   Jhrb.  f.  Phil.  1889  '*)  Ein  kurzer  Artikel  des  Suidas;  Diodor 

8.  709.  ^  ,    I,   1-5. 


534 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


der  Dinge  bis  auf  Cäsars  Kriege  mit  den  Galliern.*)  In  dem  Proömium  des 
Werkes  (I,  1—5)  spricht  er  sich  selbst  über  die  Anlage  desselben  und  über 
seine  Vorstudien  aus:  30  Jahre  hatte  er  auf  die  Ausarbeitung  verwendet,  hatte 
grosse  Reisen  unternommen, 2)  sich  zur  griechischen  Muttersprache  auch 
noch  die  Kenntnis  des  Lateinischen  angeeignet,  in  Rom  fleissig  die  reichen 
Hilfsmittel  der  Bibliotheken  und  Archive  studiert.  Von  hohen  Vorstellungen 
über  den  Beruf  des  Historikers  und  den  Wert  einer  allgemeinen  Geschichte 
erfüllt,  hat  er  doch  in  der  Ausführung  weniger  geleistet,  als  er  in  der 
glänzenden  Einleitung  seines  Werkes  verspricht.  Sein  bewundertes  Vor- 
bild war  ihm  Ephoros;  über  ihn  ging  er  nach  zwei  Richtungen  hinaus: 
einerseits  fügte  er  zur  griechischen  Geschichte  die  römische,  anderseits  zog 
er  auch  die  mythische  Vorzeit  in  den  Bereich  seiner  Darstellung.^)  War 
das  erste  in  den  natürlichen  Verhältnissen,  der  Lebenszeit  des  Verfassers, 
begründet,  so  war  das  zweite  durch  den  Einfluss  des  Euhemeros,  der  in 
den  Göttermythen  einen  Niederschlag  historischer  Ereignisse  sah,  veranlasst. 
Eine  Universalgeschichte  sollte  sein  Werk  aber  nicht  bloss  dem  zeitlichen 
Umfang  nach  sein,  er  suchte  ihr  auch  einen  allgemeinen  Charakter  dadurch 
zu  geben,  dass  er  neben  den  Ereignissen  und  Handlungen  den  geographi- 
schen Verhältnissen  und  den  Sitten  der  Völker  seine  Aufmerksamkeit  zu- 
wandte und  ausser  den  politischen  Persönlichkeiten  auch  die  Dichter,  Schrift- 
steller, Künstler  beachtete.^)  Der  Plan  wäre  somit  gut  gewesen;  wenn 
aber  trotzdem  das  Werk  so  wenig  befriedigt,  so  liegt  der  Grund  teils  in 
dem  geistigen  Unvermögen  des  Autors,  teils  in  der  Anlage  und  Disposition 
seiner  Geschichte.  Diodor  war  grossgezogen  in  den  Rhetorenschulen  und 
Bibliotheken,  nicht  im  Feld  und  im  praktischen  Leben;  so  entbehrte  er  des 
politischen  Scharfblickes  in  der  Auffassung  der  staatlichen  Kämpfe  und 
der  leitenden  Persönlichkeiten.  Er  war  ein  frommgläubiger  Mann,  der  fest- 
haltend an  dem  alten  Volksglauben  das  Walten  der  Gottheit  in  den  Er- 
folgen der  Gottesfürchtigen  und  dem  Unglück  der  Ruchlosen  suchte,^)  aber 
er  besass  nichts  von  jener  kritischen  Schärfe,  welche  das  Wahre  vom 
Falschen  zu  scheiden  und  die  Thatsachen  auf  ihre  wirklichen  Gründe  zurück- 
zuführen lehrt.  Vollends  war  er  nicht  der  Mann,  ein  Prinzip  streng  durch- 
zuführen oder  gar  eine  Weltgeschichte  im  Geiste  eines  Weltbürgers  zu 
schreiben.  Er  bezeichnet  zwar  die  Gesamtheit  der  Völker  als  eine  grosse 
Gemeinde  {ttoIic),^)  aber  er  hat  keine  Ahnung  von  einer  fortschreitenden 
Entwicklung  des  Menschengeschlechtes;  er  merkt  die  Blüte  der  Dithyramben- 
dichter Philoxenos,  Timotheos,  Telestes  und  Polyeidos  an  (14,  46),  aber 
von  Aischylos  und  selbst  von  Aristophanes  erfahren  wir  nichts.  Zu  dem 
Mangel  an  Kritik,  weitsehendem  Blick  und  praktischer  Erfahrung  kam 
aber  noch  eine  ganz  verfehlte  Anlage.  Diodor  befolgt  in  dem  grössten 
Teil  seines  Werkes  die  annalistische  Methode,  indem  er  den  einzelnen  Ab- 


')  Nach  5,  21  hat  er  noch  den  Zug 
Cäsars  nach  Britannien  beschrieben. 

2)  Ägypten  hatte  er  um  die  180.  Olym- 
piade besucht  (1,  44). 

^)  Diod.  4,  1. 

^)  So  versucht  er  12,  1  eine  Schilderung 
des  perikleischen  Zeitalters. 


^)  Einfältiger  Weise  lässt  er  den  König 
Philipp  die  Stimmen  derPhoker  wegen  seiner 
Frömmigkeit  erhalten  (14,  76). 

^)  Das  war  stoische  Auffassung;  siehe 
BüsoLT,  Diodors  Verhältnis  zum  Stoicismus, 
Jahrb.  f.  Phil.  139  (1889)   S.  297-315. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,   a)  Diodoros.  (§  413—414.)  535 


schnitten  die  Bezeichnung  des  Jahrs  nach  Olympiaden,  attischen  Archonten 
und  römischen  Konsuln  vorausschickt.  Es  liegt  von  vornherein  in  dieser 
Bezeichnung  eine  Ungenauigkeit,  indem  sich  bekanntlich  der  Amtsantritt 
der  Archonten  und  Konsuln  nicht  genau  deckt.  ^  Aber  abgesehen  davon, 
ist  für  eine  Universalgeschichte  eine  Jahresepoche  zu  klein;  stossen  wir 
uns  schon  bei  Thukydides  öfter  an  der  Zerreissung  der  Darstellung  durch 
den  Sommer-  oder  Winterschluss,  so  wird  vollends  bei  Diodor  unsere  Nach- 
sicht auf  harte  Probe  gestellt,  wenn  wir  alle  fünf,  sechs  Kapitel  von 
Griechenland  nach  Sikilien,  Makedonien,  Rom  gezerrt  werden.  Diodor  lobt 
es  zwar  an  Ephoros,  dass  derselbe  in  den  einzelnen  Büchern  die  Erzählung 
um  einen  Mittelpunkt  gruppiert  habe,'^)  aber  ihm  selbst  gelingt  dieses  nur 
in  einzelnen  Partien,  wie  in  dem  5.  Buch  und  in  der  Geschichte  Alexanders; 
meistens  macht  ihm  jene  verkehrte  Anlage  einen  Strich  durch  die  Rech- 
nung, so  dass  er  zu  allgemeinen  Betrachtungen  fast  nur  in  den  Einleitungen 
der  einzelnen  Bücher  und  in  den  Nachrufen  grosser  Männer  kommt.  In 
diese  Unzukömmlichkeiten  geriet  er  aber  hauptsächlich  deshalb,  weil  er 
nicht  selbständig  seinen  Plan  entwarf,  sondern  in  der  ganzen  Anlage  von 
der  Chronik  des  Apollodor  abhängig  war."^)  Er  hat  gewissermassen  nur 
die  kurzen  chronologischen  Register  seines  Vorgängers  mit  ausführlichen 
Exzerpten  aus  historischen  Spezialwerken  ausgefüllt.  Passend  heisst  daher 
auch  sein  Werk  ßißho^rjxrj,  d.  i.  ein  Buch,  in  dem  man  alle  möglichen 
historischen  Werke,  wenn  auch  nur  in  Exzerpten  zusammenfindet.^) 

414.  Einteilung  des  Werkes.  Über  die  Einteilung  des  Werkes 
spricht  sich  der  Verfasser  selbst  im  Proömium  (I,  4  f.)  aus.^)  Demnach 
ist  dem  Ganzen  eine  aqiaioXoyia  oder  eine  Darstellung  der  alten  mythischen 
Zeiten  in  6  B.  vorangeschickt.  Von  diesen  behandeln  die  3  ersten  nach 
einer  kurzen  Einleitung  die  Vorgeschichte  der  Barbaren,  der  Agyptier 
(B.  1),  der  Assyrier,  Meder,  Indier,  Skythen,  Hyperboreer,  Araber  (B.  2), 
der  Äthiopier,  Afrer,  Atlanteer  (B.  3).  Die  3  übrigen  Bücher  gelten  der 
mythischen  Vorzeit  der  Griechen,  das  5.  speziell  den  Inselbewohnern.  Von 
diesen  6  Büchern  sind  uns  die  5  ersten  vollständig  erhalten;^)  von  dem 
sechsten,  das  die  Göttergeschichte  nach  dem  historischen  Deutungssystem 
des  Euhemeros  enthielt,  haben  wir  nur  spärliche  Reste.  Die  eigentliche 
Geschichte  will  Diodor  wieder  in  2  Teile  zerlegt  wissen,  in  einen  älteren, 
der  die  Zeit  von  den  Troicis  bis  zu  Alexanders  Tod  umfasst  (B.  7 — 17), 
und  einen  jüngeren,  der  von  da  bis  zu  Cäsars  gallischen  Kriegen  reicht 
(B.  18—40).     Von  diesen   historischen  Teilen   ist   die  2.  Dekade  (11—20), 


')  Unger,  Die  Jahrepoche  des  Diodor, 
Phil.  39,  305  ff.;  40,  48  ff".;  41,  78  ff.  Die 
Nachlässigkeit  Diodors  bot  dem  Scliarfsiiin 
Ungers  die  Möglichkeit,  die  Quellen  Diodors 
zu  scheiden.  Über  chronologische  Fehler 
Diodors  steht  die  ältere  Litteratur  bei  Voss, 
De  hist.  212  und  die  Berichtigungen  Clinton's 
in  Dindorf's    ed.    min.    111   praef.  XXX   bis 

XXX  vin. 

'^)  5,  1 :  TtJr  yuQ  ßlßXcoy  kxdox7]v  ne- 
notrjxe  neQie/sn^  xard  ya'vog  rag  7iQ('<^€ig. 

^)  Diese  Abhängigkeit  gesteht  er  selber 
I,  5  zu. 


^)  Den  Titel  erwähnt  rühmend  ein  Geistes- 
verwandter unseres  Autors,  Plinius  H.  N. 
prooem.  25. 

^)  Eine  nützliche  Oeconomia  historiae 
Diodori  gibt  der  5.  Band  der  grossen  Din- 
dorf'schen  Ausgabe. 

^)  Dass  uns  gerade  die  5,  nicht  die  6 
ersten  Bücher  erhalten  sind,  muss  daher 
kommen,  dass  das  Werk  in  der  Zeit  der 
Pergamentbände  geradeso  wie  das  des  Livius 
nach  Dekaden  und  Ilalbdekaden  abgeschrie- 
ben wurde;  vgl.  S.  481  An.  3. 


536 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


mit  dem  Zug  des  Xerxes  beginnend  und  bis  zu  dem  Kriege  gegen  Anti- 
genes reichend,  vollständig  auf  uns  gekommen J)  Im  übrigen  sind  wir  auf 
Exzerpte  und  chrestomathische  Auslesen  angewiesen.  Solche  sind:  1)  die 
Eclogae  Hoeschelianae,  dürftige  Exzerpte  der  Bücher  21—26,  veröffentlicht 
aus  einer  jetzt  verloren  gegangenen  Handschrift  von  dem  Augsburger 
Humanisten  Höschel  (1603),  2)  die  Exzerpte  des  Photios  zu  den  Büchern 
31 — 40  mit  einigen  vollständig  ausgehobenen  Partien,  darunter  das  interes- 
sante, in  antisemitischem  Geiste  geschriebene  Kapitel  über  die  Juden  (34,  3), 
3)  Teile  aus  den  3  Rubriken  des  konstantinischen  Exzerptenwerkes  nEQi 
TTQfaßfiMv,  TvsQi  ccQSTr^Q  xai  x«xmc,  TieQi  yrwjncov,  4)  Fragmente  aus  gelegent- 
lichen Citaten,  namentlich  aus  Eusebios  und  den  Byzantinern  Synkellos, 
Tzetzes,  Eustathios.  ^) 

415.  Stil  und  Quellen.  Die  Bedeutung  der  Bibliothek  des  Diodor 
besteht  wesentlich  in  ihrem  Inhalt.  Dass  ihr  Verfasser  der  Aufgabe  eines 
kritischen  Historikers  nicht  gewachsen  war,  zeigt  jedes  Blatt.  ^)  Auch  sein 
Stil  hat  nichts  originelles  und  nichts  anziehendes.  Photios  zwar  lobt  die 
Sprache  und  rühmt  an  ihr  die  schlichte  Klarheit,  welche  zwischen  der 
Affektiertheit  der  Attikisten  und  der  Fehlerhaftigkeit  der  Vulgärsprache 
eine  glückliche  Mitte  halte. "^y  Aber  aus  diesem  günstigen  Urteil  spricht 
die  Vorliebe  des  Mittelalters  für  das  Vorbild  der  byzantinischen  Chronisten;^) 
in  der  That  ist  der  Stil  des  Diodor  eintönig,  ermüdend  durch  die  Wieder- 
kehr gleicher  Übergangsformeln,  anstössig  durch  die  ungriechische  Häufung 
von  abstrakten  Wörtern.^')  Aber  wenn  der  Autor  nicht  durch  sich  und 
seine  Kunst  anzieht,  so  nimmt  er  dagegen  in  hohem  Grad  durch  die  Fülle 
des  Inhalts  unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch;  seine  Bibliothek  bietet 
uns  Ersatz  für  den  Verlust  der  grossen  historischen  Werke  der  voran- 
gegangenen Zeit;  von  vielen  Historikern  und  ihren  Büchern  haben  wir 
überhaupt  nur  durch  ihn  Kenntnis.  Von  einem  solchen  Werk,  das  fast 
ganz  aus  Exzerpten  zusammengesetzt  ist,^)  würden  wir  heutzutage  erwarten. 


^)  Lücken  weist  die  handschriftliche 
Überlieferung  im  13.,  17.  u.  18.  Buch  auf; 
ein  vollständigeres  Exemplar  setzen  die  den 
einzelnen  Büchern  vorausgehenden  Inhalts- 
angaben voraus. 

2)  Die  Unechtheit  der  von  Wesseling 
in  seine  Ausgabe  aufgenommenen  65  Briefe 
ist  jetzt  allgemein  anerkannt  und  sind  die- 
selben als  moderne  Fälschung  aus  den 
neueren  Ausgaben  ganz  verschwunden. 

^)  MtJLLER,  Geogr.  gr.  min.  I,  174  weist 
als  besonderes  Zeichen  kritikloser  Nachlässig- 
keit nach,  dass  Diodor  3,  40  ein  TTQotiQt]- 
xcifiev  arglos  aus  seiner  Quelle,  dem  Agathar- 
chides,  herübergenommen  hat,  ohne  dass  er 
auch  selbst  die  betreffende  Nachricht  im 
Vorausgehenden  gegeben  hatte, 

■*)  Phot,  p  35a,  6:  xi/Qrjrca  cfQCiasi 
auffSL  TS  y.cd  ((}(6^\{jm  y.id  IotoqUc  fxäXiaTa 
nQSTTov(T7]f  y.cd  ^ijrs  tue;  wg  uv  e'inoi  rig  liav 
v-neQt]TTiy.iG^tvc<q  ycd  aQ/aioTQonovg  ^tojyioi' 
avi^räSsig,  fJ7]Ts  n()6g  Ttjt^  xa(}(i)juih]fi&i't]t' 
vevMV    napTshog    dXXd    roT    jueao)  twv  koycoy 


J(CiQ(iXZrjQl    /CCLQOJU. 

^)  Euseb.  Praep,  ev.  I,  6.  9:  6  Iixeh- 
(vTTjg  Jio^ioQog,  yyioQCfjiüJTCiTog  (cvrJQ  roTg 
'EXXrjycoy  Xoyiiüichoig,  Justinus  Martyr  ad  Gr, 
c,  26:  ii'^o^orarog  tvHv  loroQioyQucpMv,  Ma- 
lalas,  Chron,  83:  Jio&oDQog  6  aocpajTarog. 

^)  Daneben  aber  ist  Hiatus  vermieden; 
s.  Kalk  ER,  De  hiatu  in  lihris  Dioäori, 
Leipz.  Stud.  III,  303  ff,  -  Mängel  der  Dik- 
tion einzelner  Bücher  entschuldigt  Diodor 
40,  21  mit  zu  frühzeitiger  Herausgabe:  tmv 
ßißXiü)}''  Tivsg  TiQo  Tov  d'ioQx9(Ox^7]^'aL  xcd  xriv 
dxQißt]  GvvriXsiav  laßeiv  xXaneTüca  TTQoeSedö- 

YQCicpfi. 

"')  Heyne,  De  fontibus  et  auctorihus 
historiarum  Diodori  (1872),  abgedruckt  im 
5,  Bande  der  Dindorf'schen  Ausg.;  Vol- 
QUARDSEN,  Über  die  Quellen  der  griechischen 
u.  sikilischen  Gesch.  bei  Diodor  XI — XVI; 
Nissen,  Kritische  Untersuchungen  über  die 
Quellen  der  4.  u.  5.  Dekade  des  Livius, 
Berl.  1863,     Unger,  Die  Quellen  Diodors  für 


« 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   a)  Diodoro».  (§  415.)  537 


dass  unter  den  einzelnen  Abschnitten  regelmässig  die  Quelle  angemerkt  sei. 
Diodor  thut  dieses  nicht;  er  wollte  offenbar  den  Schein  vermeiden,  als  ob 
sein  Werk  auf  einer  so  niederen  Stufe  stehe.  Er  hat  daher  nur  selten  wie 
2,  32  und  3,  67,  wo  er  in  indirekter  Rede  die  Angaben  des  Ktesias  und 
Dionysios  referiert,  seine  Quelle  ausdrücklich  genannt.  Im  übrigen  lässt 
er  uns  nur  erraten,  woher  er  seine  Weisheit  geschöpft  habe,  hat  uns  aber 
dazu  einen  guten  Fingerzeig  gegeben,  indem  er  von  den  benützten  Histo- 
rikern an  zukommender  Stelle  anmerkt,  mit  welchem  Jahre  ihre  Annalen 
begonnen  und  mit  welchem  sie  geendigt  haben.  ^  Es  hat  sich  aber  unser 
Historiker  im  allgemeinen  in  dem  geschichtlichen  und  chronologischen  Teile 
hauptsächlich  an  Apollodor  und  Ephoros,  in  dem  geographischen  an  Aga- 
tharchides  und  Artemidor  gehalten.  In  den  einzelnen  Abschnitten  folgt  er 
seinen  speziellen  Quellen,  so  in  der  griechischen  Mythologie  dem  Kyklo- 
graphen  Dionysios,^)  in  der  ägyptischen  Geschichte  dem  Manetho  und 
Hekataios  von  Milet,'')  in  der  persischen  dem  Ktesias,'^)  in  der  griechischen 
neben  Herodot  und  Ephoros  dem  Theopomp, 5)  in  der  Geschichte  Alexanders 
dem  Klitarch,^)  in  den  Diadochenkämpfen  dem  Duris.'^)  In  der  mit  sicht- 
licher Vorliebe  und  Ausführlichkeit  behandelten  Geschichte  seiner  Heimat- 
insel Sikilien  verfügte  er  über  ein  sehr  reiches  Quellenmaterial,  hielt  sich 
aber  doch  hauptsächlich  an  Philistos  und  Timaios.^)  Bezüglich  seiner 
Quellen  in  der  römischen  Geschichte  urteilt  ein  massgebender  Kenner, 
Mommsen,  Herm.  5,  274:  die  Fasten  Diodors  sind  die  ältesten  und  glaub- 
würdigsten.^) 

Codd.  sind  wie  bei  Livius  verschieden  zu  den  einzelnen  Abteilungen:  für  B.  I— V 
sind  massgebend  Vindob.  79  membr.  s.  XI  und  Vatic.  130  s.  XII;  für  B.  XI — XV  Paris. 
1G64  bomb.  s.  XIV;  für  B.  XVI-XX  Paris.  1665  membr.  XII;  für  B.  XI-XX  Laur.  70, 
12  chart.  s.  XIV.  Der  alte  Cod.  in  Patmos  von  B.  XI-  XVI,  von  dem  Bergmann,  Diodori 
bist.  Hb.  XI,  1  — 12  ex  cod.  Patmio  ed.  Bergmann,  Berl.  1867,  Notiz  gab,  wird  jetzt  heran- 
gezogen von  Vogel. 

Ausgaben:  Zuerst  erschienen  in  lat.  Übersetzung  die  ersten  5  B.  von  Poggio, 
1472;  erste  vollständige  Ausg.  im  griechischen  Originaltext  von  Stephanus,  Paris  1559; 
cum  suis  aliorumque  annot.  ed.  Wesseling,  Arastel.  1746,  2  t.  in  fol.,   Hauptausgabe;    ex 


die  Diadochengeschichte,  Sitzb.  d.  b.  Ak. 
1878,  1,  368  fr.  Andere  Quellenlitteratur  bei 
Schäfer,  Quellenk.  IP,  87. 

^)  Zunächst  indes  sind  diese  Angaben, 
wie  Volquaedsen  S.  12  nachweist,  aus  der 
Chronik  des  Apollodor  geflossen.  Daher 
sind  dieselben  nur  mit  Vorsicht  für  die 
Quellenforschung  zu  benützen,  da  z.  B.  von 
Thukydides  und  der  hellenischen  Geschichte 
des  Xenophon  Anfang  und  Schluss  genau  an- 
gemerkt (12,  37;  13,  42;  15,  76  u.  89),  in 
den  betreffenden  Abschnitten  aber  vielfach 
abweichende  Darstellungen  gegeben  sind. 

'')  Citiert  ist  derselbe  III,  52  u.  67. 

"'')  S.  §  363.  Dabei  war  Diodor  so  un- 
verschämt, sich  selbst  die  sorgsame  Prüfung 
der  hieroglyphischen  Urkunden  (c<yc<yQccq)cci) 
beizulegen  (1,  69),  während  er  selbst  dos 
Ägyptischen  unkundig  war  und  nur  der  kri- 
tischen Übersetzung  des  Manetho  folgte;  s. 
Krall,  Manetho  u.  Diodor,  Stzb.  d.  östr.  Ak. 
1880  (B.  96)  237-84. 

4)  Ktesias   ist  citiert  II,  .32  u.  XVI,  46, 


aber  nach  Jacoby,  Rh.  M.  30,  555  ff.  nur 
indirekt  benützt. 

••)  Theopomp  ist  citiert  XIII,  42  u.  XVI, 
3,  ausserdem  Anaximenes  XV,  89,  Kalli- 
sthenes  IV.  I  u.  XVI,  14,  DemophilosXVI,  14. 

^)  Diod.  II,  7  und  Wesseling  zu  XVII, 
75;  ausserdem  ist  angeführt  Marsyas  XX,  50. 

^)  Diod.  XV,  60;  Rosiger,  Be  Duride 
Samio  Diodori  Siculi  et  Plutarchi  auctore, 
Gott.  1874;  s.  oben  S.  469  An.   5. 

8)  Citiert  sind  Timaios  V,  1;  XIII,  90 
u.  109;  XX,  89;  XXI,  12;  Philinos  XIII,  103 
u.  XV,  89;  ausserdem  Antiochos  XII,  71; 
Diyllos  XVI,  14;  Hermcias  XV,  37;  Kallias 
und  Antandros  XXI,  12. 

^)  In  einer  Einzelfrago  nachgewiesen 
von  Kaerst,  Die  römischen  Nachrichten 
Diodors  und  die  konsularische  Provinzver- 
teilung, Philol.  48,  306  ff.  Von  griechischen 
Quollen  benützte  Diodo»'  in  der  römischen 
Geschichte  dcu  Menodotos  und  Sosilos  XXVI. 
3,  ferner  den  Polybios  und  Poseidonios. 


538 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


reo.  L.  DiNDORFii  mit  Sammelanmerk.,   Lips.  1828-31,  5  vol.     Die   Textesausg.   von  Din- 
i)OKF  in  Bibl.  Teubn.  erscheint  in  neuer  Bearbeitung  von  Vogel. 

416.  Dionysios  aus  Halikarnass,  Sohn  des  Alexander  und  ver- 
schieden von  dem  Musiker  Dionysios  aus  Halikarnass  unter  Hadrian,  war 
Rhetor  und  Geschichtschreiber  unter  Augustus.  Nach  seinen  eigenen  An- 
gaben, Arch.  1,  7,  war  er  nach  Beendigung  des  Bürgerkrieges  im  J.  30 
V.  Chr.  nach  Rom  gekommen  und  hatte  in  den  22  Jahren,  die  er  daselbst 
zubrachte,  die  lateinische  Sprache  gelernt  und  mit  römischen  Grossen 
mannigfache  Beziehungen  angeknüpft.  Die  Kreise,  in  denen  er  verkehrte 
und  in  die  er  durch  seinen  Freund,  den  Rhetor  Cn.  Pompeius  Geminus, 
eingeführt  wurde,  gehörten  zu  den  Parteigängern  des  Senates  und  der  alten 
Aristokratie,  woher  die  republikanischen  Ideen  stammen,  die  sein  Geschichts- 
werk durchziehen.  Insbesondere  zählte  er  den  Rufus  Melitius  ^  und  Aelius 
Tubero^)  zu  seinen  Gönnern.  Zur  Hauptaufgabe  stellte  er  sich  während 
seines  römischen  Aufenthaltes  die  Ausarbeitung  eines  Werkes  über  römische 
Geschichte;  daneben  gab  er  Unterricht  in  der  Rhetorik  und  versäumte  es 
nicht  in  seinen  Schriften  auf  die  Notwendigkeit  der  Ergänzung  der  theo- 
retischen Lehren  durch  die  Übungen  der  Schule,  natürlich  seiner  Schule, 
aufmerksam  zu  machen.^)  Ob  er  nach  Vollendung  seines  Geschichtswerkes 
im  J.  8  V.  Chr.  noch  länger  in  Rom  geblieben  ist  und  wie  lange  er  den 
Abschluss  seines  Hauptwerkes  überlebt  hat,  darüber  fehlen  uns  Nach- 
richten. Sein  litterarischer  Nachlass  besteht  aus  jenem  Geschichtswerk 
und  aus  rhetorischen  Schriften,  die  aus  seiner  Lehrthätigkeit  hervor- 
gegangen sind. 

417.  Die  'Po)f.ia'ixrj  a^y^aioXoyia  (anüquitates  Romanae)  in  20  B. 
ist  das  hauptsächlichste  historische  Werk  unseres  Autors,  das  sich  derselbe 
gewissermassen  zur  Lebensaufgabe  gestellt  hatte.  Daneben  hatte  er  ein 
tabellarisches  Buch  tieqI  xQoron'  geschrieben,  in  welchem  er  die  römische 
Zeitrechnung  auf  die  griechische  des  Eratosthenes  reduzierte;*)  dasselbe 
wurde  auch  noch  von  christlichen  Schriftstellern,  wie  Clemens  Alexandrinus, 
häufig  benützt.  In  dem  Hauptwerk  stellte  er  die  römische  Geschichte  von 
ihren  Anfängen  bis  auf  den  Beginn  der  punischen  Kriege  (266)  dar.  Er 
wollte  also  mit  ihm  eine  Ergänzung  des  polybischen  Geschieh ts Werkes  nach 
rückwärts  liefern;  er  that  es,  weil  er  noch  von  keinem  griechischen  Schrift- 
steller die  ältere  Geschichte  Roms  in  genügender  Weise  dargestellt  fand.^) 
Er  gedachte  so  zugleich  den  Römern  für  die  Wohlthaten,  die  er  während 
seines  römischen  Aufenthaltes  empfangen  hatte,  den  Tribut  des  Dankes  zu 
erstatten. 6)  Von  den  20  Büchern  ist  uns  die  1.  Dekade  (1—10)  und  dazu 
durch  eine  andere  jüngere  Klasse  von  Handschriften  das  11.  B.,  welches 
die  Geschichte  der  Decemvirn  zu  Ende  führt,  erhalten.    Von  den  9  letzten 


')  Dion.  de  comp.  verb.  1  p.  6  Seh. 

2)  Thuc.  iud.  ]. 

3)  Dion.  de  comp.  20  p.  284  Seh.;  rliet. 
10,  19. 

^)  Nach  der  Andeutung,  die  er  Arch.  I, 
74  von  dem  Inhalt  dieses  Buches  gibt,  war 
dasselbe  nicht  identisch  mit  der  ovi'oxlng 
der  römischen  Archäologie  in  5  B.,  die  Pho- 
tios    cod.  84   las.     Diese   letztere   soll   nach 


Photios  von  Dionysios  selbst  herrühren. 
Krüger,  Comm.  hist.  et  crit.  p.  262  hält  das 
Buch  -nsQi  XQÖrMv  für  eine  Überarbeitung  des 
Über  annalis  des  Attikus. 

^)  Arch.  I,  4  u.  5. 

6)  In  der  eitlen  Weise  eines  echten 
Graeculus  vindizierte  er  den  Römern  auch 
die  Ehre,  Griechen  zu  sein,  Arch.  I,  5. 


B.  Bömisclie  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,   a)  Dionysios.  (§  417—418.)  539 


Büchern  haben  wir  nur  Fragmente  aus  dem  Exzerptenwerk  des  Konstan- 
tinus  Porphyrogennetus  und  eine  von  Angelo  Mai  in  einer  Mailänder  Hand- 
schrift aufgefundene  Epitome.  In  der  Durchführung  seiner  Aufgabe  steht 
Dionysios  durchweg  auf  dem  Standpunkt  eines  griechischen  Rhetors^)  Wie 
ein  panegyrischer  Redner  sucht  er  gleich  bei  der  Wahl  des  Stoffes  nach 
einem  würdigen,  dankenswerten  Thema;  ^)  die  Geschichte  selbst  ist  ihm 
Philosophie  in  Beispielen, 3)  und  auf  Beispiele,  die  der  Gesetzgeber,  Staats- 
mann, Redner  gebrauchen  könne,  hat  er  es  überall  abgesehen.^)  Mit  dem 
lieblichen  Köder  fliessender  Reden,  ebenso  reich  an  Worten  als  arm  an 
Gedanken,  sucht  er  die  Darstellung  auch  von  Zeiten  zu  beleben,  wo  der 
wortkarge  Römer  kaum  so  viele  Worte  sprach,  als  Dionysios  ihm  Sätze 
unterlegt.  Überhaupt  gelten  ihm  der  rhetorische  Aufputz  der  Darstellung 
und  der  Wohlklang  der  Perioden  als  eine  Hauptaufgabe;  sie  zumeist  sollten 
sein  Werk  über  die  ungeniessbaren  Historien  des  Phylarchos,  Duris  und 
Polybios  erheben.-^)  Ausserdem  macht  er  in  seiner  pragmatischen  Auf- 
fassung die  Geschichte  zur  Lehrerin  der  Moral  und  Richterin  menschlicher 
Thaten ;  durch  sie  soll  der  Leser  in  der  Frömmigkeit  und  im  alten  Glauben 
bestärkt  und  vor  der  Gottlosigkeit  der  atheistischen  Philosophen  bewahrt 
werden.^)  Dabei  ist  aber  nichts  von  dem  animus  Romanus  und  dem  Geiste 
der  alten  Zeit  in  den  griechischen  Rhetor  gefahren.  Die  Verhältnisse  Roms 
betrachtet  er  mit  der  griechischen  Brille  und  färbt  die  Darstellung  der 
alten  Institutionen  nach  den  römischen  Einrichtungen  seiner  Zeit,  von  denen 
er  obendrein  doch  nur  eine  kärgliche  Anschauung  gewonnen  hatte.  Auch 
Livius  war  aus  der  Schule  der  Rhetoren  hervorgegangen,  aber  er  war  ein 
Römer  und  seine  kraftvolle  Darstellung  und  seine  markigen  Reden  lassen 
weit  die  geschwätzigen  Tiraden  des  Griechen  hinter  sich.  Im  übrigen  be- 
nützte Dionysios  gute  Quellen,  über  die  er  sich  selbst  eingehend  in  dem 
Proömium  1,  6  f.  ausspricht.  Von  griechischen  Historikern  zog  er  den 
Hieronymos  von  Kardia,  den  Timaios  und  Polybios  heran;  hauptsächliche 
Führer  aber  waren  ihm  die  römischen  Historiker  und  Annalisten.  Durch 
ihre  Benützung,  insbesondere  durch  die  des  Cato  im  1.  Buch,  hat  seine 
Archäologie  auch  für  die  kritische  Geschichtsforschung  Wert  erhalten,  so 
sehr  auch  im  übrigen  seit  Niebuhrs  einschneidender  Kritik  der  Glaube  an 
die  Verlässigkeit  seiner  Berichte  geschwunden  ist.  Auffällig  ist  es,  dass 
das  Werk  bei  den  Späteren  so  wenig  Beachtung  fand,  dass  insbesondere 
Livius  es  nicht  der  Mühe  wert  fand,  dasselbe  auch  nur  einmal  zu  erwähnen. 
418.    In    den  rhetorischen   Schriften')    des  Dionysios  finden   wir 


^)  Ulrici,  Charasteristik  227  ff.;  Liers, 
Die  Theorie  der  Geschichtschreibung  des 
Dionys  von  Halikarnass,  Waldenburger  Pro- 
gramm 1886. 

2)  Arch.  I,  1  u.  2.  In  dem  Brief  an 
Pompeius  1,  3  macht  er  dem  Thukydides 
die  schlechte  Wahl  des  Stoffes  {ixXoyt]  vno- 
d-eaEojg)  zum  Vorwurf. 

•*)  Rhet.  II,  1 :  latoQia  (ftXoaocpta  eazip 
ix  -naQa^siyfulreDv. 

4)  Arch.  V,  56  u.  75;  XI,  1.  Nach  Thuc. 
iud.  2  hatte  er  eine  eigene  Schrift  geschrieben 
xmeQ  lijg  nohiiySjg  (piloooffiicg.     Man  denke 


an  die  Exempla  des  Nepos. 

^)  De  comp.  verb.  4  p.  64  Seh. 

•^)  Arch.  II,  68;  VIII,  56. 

')  Blass,  De  Dionysii  Halicarnassensis 
scriptis  rhetoricis,  Bonn  1863.  Ob  die  rhe- 
torischen Schriften  alle  vor  seine  römische 
Geschichte  fallen,  ist  nicht  ausgemacht;  nach 
dem  Schlüsse  des  Buches  über  Demosth.  c.  58 
iui^  (J(ö!^fj  To  (hcifxoyioi^  i)^ug  und  der  ähn- 
lichen Wendung  in  der  Schrift  de  comj). 
verb.  p.  14  Seh.  möchte  man  glauben,  dass 
er  dieselben  im  Alter  geschrieben  habe. 


640 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


den  Autor  auf  seinem  eigensten  Gebiet,  und  hier  gewährt  er  uns  auch 
ungleich  grössere  Befriedigung.')  Er  zeigt  sich  hier  als  Anhänger  des 
guten  Geschmacks  der  attischen  Beredsamkeit  und  als  Gegner  des  über- 
fliessenden  Schwulstes  der  Asianer.  Die  Reden  der  Attiker  und  die  Ge- 
schichtswerke der  klassischen  Zeit  hatte  er  sorgfältig  studiert''^)  und  die 
in  den  Katalogen  der  alexandrinischen  und  pergamenischen  Bibliothek  nieder- 
gelegten litterarhistorischen  Hilfsmittel  ebenso  fleissig  wie  die  Werke  des 
Demetrios  Magnes  und  der  pergamenischen  Rhetoren  durchgearbeitet.  Aber 
sein  eigenes  Können  war  auch  hier  nicht  gross;  nicht  bloss  sind  seine  Reden 
in  der  römischen  Archäologie  zum  grossen  Teile  nur  aus  demosthenischen 
und  xenophontischen  Reminiszenzen  zusammengeflickt,  auch  in  der  Theorie 
der  Rede  wurde  er  von  den  römischen  Rhetoren  Cornificius  und  Cicero 
weit  überholt;  nur  in  dem  litterarhistorischen  Detail  und  in  der  ästhetischen 
Beurteilung  zeigt  er  exakte  Gelehrsamkeit  und  geschultes  Urteil.  Da  man 
ihn  als  den  Hauptvertreter  der  stilistischen  Rhetorik  ansah,  so  hat  man 
ihm  später  auch  manche  fremde  Werke  untergeschoben.^)  Die  einzelnen 
Schriften  sind  folgende: 

Tt%vi]  QTjTOQixTj  in  11  Abschnitten;  dieselbe  ist  kein  vollständiges 
Lehrbuch  der  Rhetorik,  sondern  eine  Sammlung  von  4  auf  die  rhetorische 
Theorie  bezüglichen  Aufsätzen.  Der  erste  an  einen  gewissen  Echekrates 
gerichtete  Aufsatz  (c.  1  —  7)  enthält  die  Topik  der  epideiktischen  Rede, 
insbesondere  eine  Anleitung  zum  Reden  bei  öffentlichen  Festversammlungen 
[TravrjyvQetg).  Der  2.  Abschnitt  (c.  8  u.  9)  umfasst  zwei  selbständige  Ab- 
handlungen über  die  Verstellungsrede  {Xoyog  iaxTq^axia^ävog^  oratio  figurata), 
wofür  die  Reden  des  Agamemnon  und  Diomedes  im  2.  und  9.  Gesang  der 
Ilias  als  Muster  herhalten  müssen.  Der  3.  Abschnitt  (c.  10)  handelt  von 
den  Stilfehlern  (7rAry/,t/*6Ary/x«i^«),  woran  sich  ein  Kapitel  über  die  Stilprüfung 
[xQi'aig)  anschliesst.  Das  ganze  Buch  ist  skizzenhaft  angelegt  und  des 
Dionysios  unwürdig;  ob  indes  alle  Teile  denselben  Rhetor  zum  Verfasser 
haben,  ist  sehr  zweifelhaft.  Im  1.  Abschnitt  c.  2,  9  wird  auf  Nikostratos, 
der  unter  den  Antoninen  lebte,  Bezug  genommen,  so  dass  dieser  nicht  vor 
dem  Schluss  des  2.  Jahrhunderts  geschrieben  sein  kann.^) 

IIsqI  avvd^saeüK  ovoikxtmv  {de  composiUone  verborum)  ist  die  reifste 
Schrift  unseres  Autors  und  behandelt  ein  von  den  Alten  mehr  als  von  uns 
beachtetes  Kapitel  der  Stillehre.  Dionysios  geht  in  derselben  davon  aus, 
dass  man  in  der  ästhetischen  Beurteilung  über  das  blosse  Fühlen  hinaus- 
kommen  und  die  Gründe,   warum    eine  Rede   oder  ein  Gedicht  schön  oder 


^)  Ein  Anonymus  bei  Spengel,  Rhet.  gr. 
I,  460.  26  nennt  ihn  yMvöva  rijg  nsQt  qtjto- 
Qixr]v  fX£XsT7]g. 

'^)  Am  meisten  tritt  die  Gediegenheit 
seiner  Studien  in  der  Abhandlung  über  Di- 
narch  hervor,  wo  er  keine  Vorarbeiten  hatte. 

^)  Vgl.  unten  §  499  über  Ps.  Longin 
TiSQL  txpovg. 

'*)  Auf  die  Zeit  der  gefestigten  Kaiser- 
herrschaft führt  auch  1,  7  von  dem  Preis 
der  Könige  als  Friedensschirmer,  Bursian, 
Über  den  Pihetor  Menandros,  Abh.  d.  b.  Ak. 


XVI,  26,  weist  im  Menander  p.  399,  12  Sp. 
eine  Bezugnahme  auf  unsere  Techne  c.  2 
nach,  so  dass  also  dieselbe  jedenfalls  vor 
Menander  oder  vor  250  zu  setzen  sei.  Der 
Verweis  auf  eine  noch  anzustellende  Unter- 
suchung n€Qi  fiiurjOEiog  (10,  19)  spricht  dafür, 
dass  die  3.  Abhandlung,  wenn  nicht  von 
Dionysios  selbst,  so  doch  aus  seiner  Schule 
stammt.  Quintil.  III,  1.  16  und  andere  bei 
Walz,  Rhet.  gr.  III,  611;  V,  213;  VI,  17; 
VII,  15  bezeugen,  dass  ein  rhetoiisches  Lehr- 
buch unseres  Dionysios  ehedem  in  Umlauf  war. 


I 


B.  Kömische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   a)  Dionysios.  (§  418.)    541 


schlecht  sei,  sich  zum  Bewusstsein  bringen  müsse.  Die  Gründe  aber  sollen 
hauptsächlich  in  der  Wahl  {ixXoyrj)  und  in  der  Zusammenfügung  {avvO^eaig) 
der  Wörter  zu  suchen  sein.  Die  Zusammenfügung  nun  behandelt  der  Autor 
in  unserm  Buch  unter  steter  Vorführung  von  Beispielen  aus  Dichtern  und 
Prosaikern  in  der  Art,  dass  er  auf  den  Zusammenstoss  der  Laute,  den 
rhetorischen  Rhythmus,  die  Stilunterschiede  (Ai'^'/g  avarr^Qa,  ylacfVQa,  xoivrj) 
Rücksicht  nimmt  und  hochinteressante  Bemerkungen  über  Periodenbau, 
Metra,  musikalische  Kompositionen  ^  einflicht.  2)  Einen  Wink  über  die  Ab- 
fassungszeit scheint  die  Verweisung  in  dem  Buche  über  Thukyd.  c.  49  und 
50  auf  unsere  Schrift  zu  bieten,  aber  die  Beweiskraft  dieses  Zeugnisses 
wird  dadurch  geschwächt,  dass  umgekehrt  in  unserer  Schrift  c.  11  die 
Untersuchung  über  die  Stilcharaktere  noch  als  ausstehend  bezeichnet  wird.^) 

JIsQL  pipriascjog  war  eine  Schrift  in  3  Büchern,  deren  Inhalt  Dionysios 
selbst  im  Brief  an  Pompeius  c.  3  skizziert.  Danach  handelte  das  1.  Buch 
von  der  Nachahmung  und  ihrer  Bedeutung  im  allgemeinen;  das  2.  von  den 
Dichtern,  Philosophen,  Historiographen,  Rednern,  die  vornehmlich  nachge- 
ahmt zu  werden  verdienten;  das  3.  von  der  Weise,  wie  man  die  Muster- 
autoren nachahmen  solle.  Das  wichtigste  Buch  war  natürlich  das  2.,  das 
sich  im  wesentlichen  mit  dem  berühmten  10.  Buch  der  Institutiones  oratoriae 
des  Quintilian  deckte.  Den  Plan  desselben  legt  Dionysios  in  der  Einleitung 
der  Schrift  über  Thukydides  dar;  näheres  über  den  Abschnitt  von  den 
nachzuahmenden  Historikern  erfahren  wir  aus  dem  Brief  an  Pompeius 
c.  3 — 6,  über  den  Inhalt  des  ganzen  Buches  aus  dem  Auszug,  twv  aq^miov 
xQiaig  betitelt,  den  im  4.  Jahrhundert  ein  platonisierender  Rhetor  ange- 
fertigt hat. 

IIsqI  tmv  ccQxcciMV  ^TjTOQMv  V TT 0 f^ivrj fj. aT iM i^ioi  stehen  mit  der 
zuvor  genannten  Schrift  in  Zusammenhang;'*)  sie  geben  eine  spezielle  Be- 
sprechung der  hervorragendsten  attischen  Redner,  wobei  ein  kurzer  Lebens- 
abriss  vorausgeschickt  und  dann  auf  die  Reden  und  den  Stil  derselben  im 
Detail  eingegangen  ist.  Nach  der  an  Ammaios  gerichteten  Einleitung 
sollten  von  der  älteren  Generation  Lysias,  Isokrates,  Isaios,  von  der  jüngeren 
Demosthenes,  Hypereides,  Aischines  besprochen  werden;  aber  nur  der  erste 
Teil  ist  auf  uns  gekommen,  vielleicht  auch  allein  von  dem  Autor  ausge- 
führt worden.-^)  Demselben  angehängt  ist  eine  Charakteristik  des  Deinar- 
chos,  den  unser  Rhetor  von  seinen  Vorgängern  allzusehr  vernachlässigt  fand. 

Die  Schrift  ttsqI  Tr^g  XsxTixrjg  Jrjf^ioaO^tvovg  6€iv6Tt]tog  {de  ad- 
mirahili  vi  dicendi  in  JDemostheneY)  muss  uns  als  teilweiser  Ersatz  für  den 


^)  Das  11.  Kapitel  enthält  eine  Um- 
schreibung der  Melodie  der  Parodos  des 
euripideischen  Orestes. 

■'^)  Die  Behandlung  der  Lehre  tieql  ix- 
koyrjg  rtJov  6vofj.äzMv  verspricht  er  De  comp. 
14  Seh.  im  nächsten  Jahr  zu  geben;  erhalten 
ist  uns  von  derselben  nichts. 

^)  Blass  a.  0.  8  f.  hilft  sich  mit  der 
Annahme,  dass  die  Schrift  über  Thukyd.  da- 
mals schon  geschrieben,  aber  noch  nicht 
publiziert  gewesen  sei;  vergl.  Rössler,  Dion, 
Hai.   Script,    rhet.   p.   4  sq.,   und   Ebekhard, 


Jahrber.  d.  Alt.  IV,  1.  206. 

■*)  Herausgegeben  indes  war  die  voraus- 
gegangene Schrift  noch  nicht,  da  sie  Dio- 
nysios in  Dem.  iud.  in.  als  noch  unvollendet 
[f(rEh]g)  bezeichnet;  vgl.  Blass  p.  20. 

•'')  Aus  dem  Eingang  des  Buches  über 
Dinarch  schliesst  Blass  p.  11,  dass  Dionysios 
den  Plan  auch  ausgeführt  habe. 

^)  Der  Titel  ist  in  den  Handschriften 
zugleich  mit  dem  Anfang  der  Schrift  weg- 
gefallen; er  beruht  auf  Ergänzung  aus  dem 
Inhalt. 


►42 


Griecliische  Litteraturgescliiciite.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Verlust  des  zweiten  Teils  der  vorgenannten  Schrift  gelten.  Es  wird  darin 
Bemosthenes  als  das  non  plus  ultra  von  einem  Redner  hingestellt  mit  ver- 
ständnisreicher Besprechung  einzelner  Stellen,  aber  in  einem  etwas  über- 
schwenglichen Tone.  Auch  diese  Schrift  ist  an  Ammaios  gerichtet;  der 
Verfasser  verspricht  am  Schlüsse  derselben  noch  eine  zweite  Schrift  über 
die  Geschicklichkeit  des  Demosthenes  in  Behandlung  der  Sache  (Tiegl  Trjg 
TTQaYjuccTixTjg  ÖEivcTv^roq)  nachfolgen  zu  lassen,  wenn  Gott  ihm  noch  das  Leben 
schenke;  aber  zur  Ausführung  dieses  Planes  ist  es  nicht  gekommen. 

TlsQi  Tov  &ovxvöidov  xccQaxxrjQog  ist  an  Aelius  Tubero,  den  be- 
rühmten römischen  Rechtsgelehrten  und  Historiker,  gerichtet  und  hat  das 
Werk  tieqI  jiUfirjcTSMg  zur  Voraussetzung.  Die  neue  Schrift  gibt  eine  ein- 
gehende, aber  in  der  Hauptsache  ungerechte  Charakteristik  des  Thukydides. 
Das  gut  geschriebene  Buch  muss  man  lesen  nicht  bloss  des  Thukydides 
willen,  sondern  auch  um  das  Geschichtswerk  des  Dionysios  selbst  richtig 
aufzufassen. 

Ergänzungen  und  Antworten  auf  die  Anfeindungen,  welche  die  Ur- 
teile des  Dionysios  hervorgerufen  hatten,  enthalten  die  übrigen  kleineren 
Schriften  unseres  Autors.  In  dem  Brief  an  Ammaios  nimmt  er  seinen 
Demosthenes  vor  dem  Vorwurf  der  Peripatetiker,  dass  derselbe  das  beste 
dem  Aristoteles  verdanke,  durch  den  Nachweis  in  Schutz,  dass  die  Rhe- 
torik des  Aristoteles  nach  den  Reden  des  Demosthenes  abgefasst  sei.  In 
dem  Brief  an  Pompeius  hält  er  sein  Urteil  über  die  stilistische  Inferiorität 
des  Piaton  gegenüber  dem  Demosthenes  aufrecht  und  spricht  sich  nochmals 
über  den  Stil  der  Haupthistoriker  Herodot,  Thukydides,  Xenophon,  Philistos, 
Theopomp  und  ihr  Verhältnis  zu  einander  aus.  Im  2.  Brief  an  Ammaios 
kommt  er  auf  sein  Urteil  über  Thukydides  zurück  und  gibt  auf  Verlangen 
seines  Freundes  eine  spezielle  Besprechung  der  Stileigentümlichkeiten  (16im- 
ILiara)  des  Historikers.')  Von  dem  verlorenen  Buch  ttsqI  o';^?y/tazrw)'  gibt 
Quint.  IX,  3.  89  Zeugnis;  vgl.  Demosth.  iud.  39. 

Codices:  über  die  handschriftliche  Überlieferung  der  rhetorischen  Schriften  handeln 
ITsENER,  Ind.  Bonn.  1878;  Sadee,  De  Dionys.  Script,  rhet.  quaestiones  criticae,  Argent. 
1878;  ScHENKL,  Wien.  Stud.  II,  21  —  32;  der  wichtigste  Cod.  ist  der  Parisinus  1741.  — 
Von  der  Archäologie  sind  die  besten  Codd.  ein  Urbinas  s.  X  und  ein  Chisianus  s.  X,  ver- 
wertet in  der  Ausg.  von  Kiessling.  Wertvolle  Beiträge  zur  Kritik  von  Cobet,  Observ. 
crit.  ad  Dionys.  Halic.  LB.  1877. 

Gesamtausgabe  von  Sylbueg,  Frankf.  158G,  2  vol.;  von  Eeiske,  cum  not.  var., 
Lips.  1774,  6  vol.  —  Spezialausg.  der  römischen  Archäologie  von  Kiessling  in  Bibl.  Teubn., 
neubeaibeitet  von  Jacoby;  des  Buches  De  compos.  verb.  von  Schäfek,  Lips.  1808;  von 
Göllee,  Jen.  1815;  der  kritischen  Schriften  von  Gros,  Exam.  crit.  de  Denys  d'Halic, 
Par.  1826;  der  Historiographika  von  C.  G.  Krüger,  Hai.  1823;  der  epist.  crit.  von  Her- 
werden, Gron.  1861;  Rössler,  Dion.  Hol.  scriptorum  rhetoricorum  frac/m.  collegit,  disposuit, 
praefatus  est,  Lips.  1873;  Usener,  Dion.  Hai.  de  imiiatione  lihrorum  rell.  epnstulaeqiie^ 
duae  criticae,  ed.  Usener,  Bonn  1889.  —  Jacoby,  Act.  Lips.  I,  287  ff.  und  Philol.  36,  129  ff. 
u.  37,  325  ff.  berichtet  über  die  Kritik  und  den  Sprachgebrauch  der  Archäologie.  —  Ammon, 
De  Dion.  Hai.  scriptorum  rhetoricorum  fontibus,  Münch.  1889,  Progr.  d.  Wilh.  Gymn. 

419.   Mit   Dionysios   wird   in   der  Regel 2)   Cäcilius   von    Kalaktc,' 


^)  Dass  er  dieselben  wesentlich  aus  äl- 
teren Scholien  zu  Thukydides  zusammen- 
gerafft habe,  erweist  Usener,  Dionys.  Hai. 
ad  Ammaeum  epist.,  Bonn  1889. 

2)  Quintil.  III,  1;  IX,  3;  Ps.,.  Plut.  de 
decem  erat,  fast  auf  jeder  Seite.     Über  Kca- 


TÜhog  ein  guter  Artikel  des  Suidas,  wonach 
einige  behaupteten,  derselbe  stamme  von 
einer  Sklavenfamilie  ab  und  sei  jüdischen 
Glaubens  gewesen.  Fragmente  gesammelt 
von  BuRCKHARDT,  Bascl  1863. 


B.  Eömische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   a)  Bionysios.  (§  419-421.)     543 

Schüler  des  pergamenisclien  Rhetors  Apollodoros,  verbunden,  den  Dionysios 
selbst  im  Brief  an  Pompeius  c.  3  seinen  lieben  Freund  nennt.  Er  hat 
neben  jenem  hauptsächlich  zur  Belebung  der  rhetorischen  Studien  in  Rom 
und  der  Forschungen  über  die  attischen  Redner  beigetragen.  Eine  Haupt- 
schrift von  ihm  handelte  von  dem  Stilcharakter  der  10  attischen  Redner 
(tisqI  tov  x^Qf^^^^jQog  Toh'  dexa  QrjTOQMr),  woraus  man  sieht,  dass  er  bereits 
den  Kanon  der  10  attischen  Redner  kannte;  doch  hat  er  denselben  nicht 
zuerst  aufgestellt,  sondern  von  seinem  Lehrer  Apollodor  herübergenommen.  ^) 
Auf  den  Forschungen  jenes  Buches  basiert  hauptsächlich  die  ps.  plutarchische 
Schrift  von  den  10  Rednern.  Eine  andere  namhafte  Abhandlung  unseres 
Cäcilius  handelte  von  dem  Erhabenen  im  Stil  {ttsqI  vipovg),  gegen  welche 
das  gleichbetitelte  Buch  des  Ps.  Longin  gerichtet  ist.  Von  seiner  Neigung 
die  Vorzüge  verwandter  Männer  gegeneinander  abzuwägen,  zeugen  die  ver- 
lorenen Schriften  über  Demosthenes  und  Aischines,  Demosthenes  und  Cicero. 
Unter  den  übrigen  von  Suidas  angeführten  Schriften  unseres  Rhetors  war 
die  'Exkoyi]  X&'^scov  xata  aToixelov  (wahrscheinlich  nur  von  den  Rednern), 
deren  wahrer  Titel  KaXXiQQtjfnoavrrj  war,'^)  von  besonderer  Wichtigkeit  für 
die  mit  ihr  beginnende  Litteratur  der  attischen  Rednerlexika.  Auch  ein 
historisches  Werk  über  die  Sklavenkriege  wird  von  ihm  angeführt.^) 

420.  Jüdische  Historiker.  Die  Juden  hatten  seit  Alexander  einen 
immer  steigenden  Einfluss  in  der  hellenischen  Welt  gewonnen.  Namentlich 
hatte  Alexandria  eine  grosse  Judenkolonie  und  interessierten  sich  die  Könige 
Ägyptens  schon  aus  politischen  Gründen  lebhaft  für  die  Geschichte  und 
Sitten  des  rührigen,  durch  Glaubensstärke  mächtigen  Volkes.  So  wurde 
schon  unter  Ptolemaios  Philadelphos  das  alte  Testament  durch  die  soge- 
nannten Siebzig  ins  Griechische  übersetzt  und  spann  der  jüdische  Philosoph 
Aristobulos  um  160  v.  Chr.  ein  ganzes  Gewebe  von  Truglehren  über 
den  Ursprung  hellenischer  Weisheit  aus  orientalischer  und  speziell  jüdischer 
Quelle.'^)  Mit  der  Geschichte  der  Juden  wurden  die  Griechen  in  jener  Zeit 
bekannt  gemacht  durch  Demetrios,  der  in  der  Mitte  des  3.  Jahrhunderts 
eine  jüdische  Chronik  verfasste,  und  Eupolemos,  der  im  2.  Jahrhundert 
über  die  Könige  von  Judäa  schrieb. ■''•)  Nach  dem  Untergang  der  hellenisti- 
schen Reiche  wanderten  mit  den  Grammatikern  und  Gelehrten  auch  Juden 
nach  Italien  und  Rom,  so  dass  unter  Cicero  und  August  bereits  die  Juden 
in  Rom  eine  einflussreiche  Kolonie  bildeten.  Unter  Vespasian  und  Titus 
kamen  dazu  die  Aufstände  der  Juden,  die  in  Rom  viel  von  den  Juden 
reden  machten  und  die  auch  den  römischen  Historiker  Tacitus  zu  einem 
eigenen  Exkurs  über  die  Juden  in  dem  5.  Buch  seiner  Historien  veran- 
lassten. Aus  dieser  Zeitströmung  ist  nun  auch  die  Geschichtschreibung 
des  Josephos,    des   bedeutendsten   Historikers   der  Juden,   hervorgegangen. 

421.  Josephos,^)   nachmals  Flavius  Josephus   genannt,   war  um  37 


^)  S.  oben  §  243.  gemeinen  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V,  489  ff. 

'^)  RoHDE,  Griecli.  Rom.  326.  ^)  Über  beide  Fkeudentiial,  Hell.  Stud. 

T,  105. 

^)  Die  Hauptnachrichten  verdanken  wir 
der  Selbstbiographie  des  Autors,  neben  wel- 
cher der  daraus  gezogene  Artikel  des  Suidas 


=')  MüllerFHG.  III,  330-3.  Zeitgenosse 
von  ihm  war  dei-  Historiker  Lysimachos 
von  Alexandria,  worüber  Müller  FHG.  III, 
334-342. 

'*)  S.  oben  S.  429  f.;    vergleiche  im  all- 


nicht  in  Betracht  kommt.   Wichtig  ist  ausser- 


544 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


n.  Chr.  geboren  und  stammte  aus  einem  vornehmen  jüdischen  Priesterge- 
schlecht; mütterlicherseits  war  er  sogar  mit  dem  königlichen  Haus  der 
Makkabäer  verwandt.  Zusammen  mit  seinem  Bruder  Matthias  in  Jerusalem 
sorgfältig  erzogen,  entwickelte  er  früh  ungewöhnliche  Geistesanlagen.  Von 
den  3  Sekten  der  damaligen  Juden,  den  Pharisäern,  Sadduzäern  und  Essäern, 
zog  ihn  die  erste,  die  der  Stoa  der  Griechen  gleichgestellt  wurde,  am  meisten 
an.  Nach  Rom  kam  er  zum  erstenmal  im  Jahre  63,  um  einige  seiner 
Landsleute  bei  dem  Kaiser  zu  verteidigen;  er  erwirkte  deren  Freilassung 
durch  Vermittlung  der  Poppäa,  der  bekannten  Gemahlin  des  Kaisers  Nero, 
deren  Vertrauen  er  zu  gewinnen  wusste.  Bei  dem  Ausbruch  des  Auf- 
standes der  Juden  nahm  er  anfangs  eine  zweideutige  Haltung  an;  dann 
liess  er  sich  zum  Befehlshaber  erwählen,  schloss  aber,  als  er  nach  dem 
Falle  von  Jotapata  in  Kriegsgefangenschaft  geraten  war,  seinen  Frieden  mit 
Vespasian,  dessen  Gunst  er  sich  dadurch  erworben  haben  soll,  dass  er  ihm  die 
zukünftige  Kaiserkrone  weissagte.  Von  der  Einnahme  der  Hauptstadt  Jeru- 
salem war  er  im  Lager  des  Titus  Augenzeuge.  Später  lebte  er  unter  den 
Kaisern  Vespasian,  Titus  und  Domitian  in  Rom,  mit  der  Abfassung  seiner 
Geschichtswerke  beschäftigt.  Dieselben  schrieb  er  auf  Anregung  seines 
Freundes  Epaphroditos,  eines  angesehenen  griechischen  Grammatikers,  um 
die  Hellenen  über  sein  Volk  aufzuklären;  sie  erfreuten  sich  schon  bei 
seinen  Zeitgenossen  eines  ausserordentlichen  Ansehens,  so  dass  sie,  wie 
Eusebios  in  der  Kirchengeschichte  3,  9  bezeugt,  in  der  öffentlichen  Biblio- 
thek mitsamt  seiner  Büste  aufgestellt  wurden.  Sein  interessantestes  und 
bestdurchgearbeitetes  Werk  ist  der  jüdische  Krieg  {ttsqI  tov  ^lovöaixov 
noXt}.iov)  in  7  B.,  das  er,  wie  er  selbst  in  der  Streitschrift  gegen  Apion 
I,  9  bemerkt,  anfangs  in  seiner  Muttersprache  geschrieben  und  dann  grie- 
chischen Litteraten  zum  Übersetzen  ins  Griechische  übergeben  hatte.  Hier 
erzählt  er  Selbsterlebtes  mit  Wärme  und  Sachkenntnis.  Das  Werk  wurde 
im  4.  Jahrhundert  ins  Lateinische  übersetzt  und  kursierte  im  lateinischen 
Abendland  unter  dem  entstellten  Namen  Hegesippus  d.  i.  Joseppus.i)  — 
Das  umfangreichere  spätere  Werk  ist  die  'lovSai'xij  aqiaioXoyia  in  20  B.,^) 
welche  mit  der  Erschaffung  der  Welt  an  der  Hand  der  Bücher  Moses  be- 
ginnt und  bis  auf  Nero  herabgeht.  Merkwürdig  ist  darin  die  Stelle  18,  3 
über  Jesus,  da  sie  das  älteste  Zeugnis  über  den  Stifter  unserer  Religion 
enthält;  doch  ist  dort  nur  ganz  nebenbei  von  dem  weisen  Manne  Jesus  die 
Rede,  so  dass  man  sieht,  wie  Josephos  noch  keine  Ahnung  von  der  welt- 
historischen Mission  desselben  hatte;  überdies  ist  die  Stelle  durch  stark 
Interpolationen  von  späterer  christlicher  Hand  entstellt.^)    Im  übrigen  geben 


dem  das  Zeugnis  des  Eusebios,  Hist.  eccl. 
3.  9:  fidkiara  ö'e  xiiiv  y.ax^  exeTpo  xaiQov 
^lov^alixiv  ov  TiaQu  fxovoLg  rotg  ofxoE&veaiv 
ctX'kd  xai  TiciQK  "^Piofxaioig  ysyovev  ävrJQ  inido- 
iöraxog,  log  avTop  ^Iv  dvad^taei  ur(^qiäi^rog 
ini  irjg  Pw/uuiMy  TifA,^]drjvcii  noXscog,  rovg  ^i 
anov^aoS^tyiag  civno  "koyovg  ßißXio&'t]X7]g 
dS^iiodijvca. 

^)  Als  Verfasser  der  lateinischen  Über- 
setzung ward  früher  Ambrosius  angenommen; 
dass    es   vielmehr   ein    getaufter   Jude    war, 


beweist   Vogel,   De  Hegesippo   qui   dicitur 
Joseplii  inteiyrete,  Erlang.  1881. 

2)  Der  Name  ist  gebildet  nach  det 
'Pcofxcüxi]  (<Q/caoXoyia  des  Dionysios;  heraus 
gegeben  ward  das  Werk  93/4  n.  Chr. 

^)  los.  lud.  arch.  18,  3:  yivexca  de  xanl 
Tovxov  TOV  ^Qovov  ^Ifjoovg ,  oocpog  dl'lJQ  ' 
[et  ys  (iv^qa  avrov  Xeyeiv  XQV\  V^  }'^^Q  "^^^Q^'' 
do^uiv  eqyiou  noirji^g  [(^i^doxalog  dv^QWTiioy 
Tüiv  rjdovfi  rclXijdrj  de/ofuevcov]  xcd  noX'/.ovg 
fj.6v  ^lovdciiovg,  noX'/.ovg  cFe  x(d  tov  'E'Ähjiiy.oi 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   a)  Josephus.  (§421  —  422.)     545 

der  jüdischen  Archäologie  ein  besonderes  Interesse  die  vielen  Aktenstücke, 
die  darin  über  die  Beziehung  der  Juden  zum  römischen  Senate  mitgeteilt 
werden.^)  Dem  Reichtum  des  Inhaltes  entspricht  nicht  die  Feile  der  Form, 
indem  namentlich  die  letzten  Bücher  die  sorgfältige  Durcharbeitung  nur  zu 
sehr  vermissen  lassen.'^)  —  Ein  persönliches  Pendant  zu  den  besprochenen 
beiden  Werken  bildet  die  Selbstbiographie  des  Historikers  {(l>Xaov"iov  'Iw- 
aijTTov  ßiog).  —  Eine  allgemeinere  Bedeutung  haben  die  2  Bücher  gegen 
Apion  (xatd  'Aniüivog).  Es  sind  dieselben  erst  nach  der  Archäologie  unter 
Domitian  im  Jahre  94/5  geschrieben  und  enthalten  eine  apologetische  Ant- 
wort auf  die  Anklagen,  welche  der  damals  bereits  verstorbene  •'^)  Gram- 
matiker Apion  aus  Alexandria  gelegentlich  einer  Gesandtschaft  an  den 
Kaiser  Caligula  gegen  die  Juden  vorgebracht  hatte.  Die  Schrift  enthält 
interessante  Mitteilungen  aus  Berosos,  Manetho  und  anderen  orientalischen 
Hellenisten.  Der  Verfasser  verteidigt  darin  sehr  geschickt  die  Sache  der 
Juden,  indem  er  sich  auf  das  höhere  Alter  der  biblischen  Urkunden  beruft 
und  die  Schönfärberei  der  griechischen  Historiker  rügt.  —  Ein  fremdartiges 
Gepräge  trägt  die  Rede  dg  Maxxaßaiovg  i]  ttsqI  avToxgaroQog  Xoyiapiov^ 
worin  an  der  Hand  der  jüdischen  Geschichte,  besonders  der  Makkabäer, 
gezeigt  ist,  dass  die  Vernunft  die  Herrschaft  über  die  Leidenschaft  hat.'^) 
Kommentierte  Ausgabe  von  Havercamp,  LB.  1726.  —  Textesausg.  von  Imm.  Bekkek 
in  der  Bibl.  Teubn.,  neubearbeitet  von  Naber.  -  Kritische  Ausgabe  mit  handschriftlichem 
Apparat  von  Niese,  Berlin,  im  Erscheinen.  —  Böttger,  Topographisch-Historisches  Lexikon 
zu  Josephus,  Leipz.  1879. 

422.  Durch  Josephos  zumeist  lernen  wir  noch  andere  hellenisierende 
Geschichtschreiber  fremder  Nationen  kennen.  Die  namhaftesten  sind: 
Dies,  der  die  alten  Chroniken  der  Phönizier  verarbeitete;  Chairemon, 
Stoiker  aus  der  Zeit  Neros,  der  über  die  heiligen  Schriften  {isqcc  yQai^ifjiaTa) 
der  Agyptier  schrieb;^)  Menander  aus  Ephesos,  der  eine  Geschichte  hel- 
lenischer und  barbarischer  Könige  nach  einheimischen  Quellen  zusammen- 
stellte; Just  US  von  Tiberias,  der  eine  Chronik  von  Moses  bis  zum  Tode 
Agrippas  verfasste.    Über  die  Übersetzung  der  phönizischen  Geschichte  des 


inrjycfysTo  '  [6  Xgcarng  ovrog  tjp]  ymI  avrdi^ 
iydsUei  tujp  tiqmzmu  avÖQiiip  naQ^  rj^lv 
GKcvQcp  inn er I ^urjxoT og  üiXurov  ovx  inav- 
aavxo  ol  t6  ngioroy  aviov  uyunriGavTeg  ' 
\£cp(iy7]  y(CQ  civxo7g  xq'ltijp  t/wv  T^f^igav  ndhv 

Cw^,      TMP     d^eiiOP     TTQOCpfJTMP     TCiVTci      T£      Xcd 

i'.Xka  ^vQLii  x^avfiuaia  nsQi  avxov  eiqtixöxmv] 
EiaexL  TS  vvu  jmv  XQiaxiccyMy  [«tto  xovde 
ujiojLiaafxeycoy]  ovx  ineXme  xo  (pvXov.  Den 
Namen  XQiaxog  kennt  unser  Autor  auch 
Arch.  20,  9:  'Avavog  naQccyayojy  eig  ccvxu 
(sc.  avytdQLOp)  TOP  (((^ek(p6p  'h]aov  xov  Äf- 
yoiutpov  Xqlotov  '  'Idxojßog  opo^a  uvtm  '  xal 
ripug  tT£Qovg  tJ?  7i«Q«pofXf]aupxo}p  X(iXt]yoQLap 
7ioit]Gdjuepog  nagsdioxsp  wg  "kevof^yjGo^ipovg. 
Diese  letzte  Stelle  hatte  Origenes  c.  Cels. 
I,  35  im  Auge,  wenn  er  schrieb  'k6at]7Toc 
xa'ixoi  ye  umaxdip-  X(o  'irjoov  ojg  /Qiaxu),  die 
erste  im  Kommentar  zu  Matth.  13.  Ausser- 
dem hat  losephos  18,  5  auch  noch  des  Täu- 
fers Joannes  Erwähnung  gethan. 

Handbuch  der  klasa.  Altertimiswissenschaft.  VII.    ü 


')  RiTSCHL,  Römische  8enatskonsulte  bei 
Josephus  in  Opusc.  V,  114  ff. ;  Mendelssohn, 
Senati  consulta  Homanorum  quae  sunt  in 
Josephi  Äntiquitatibus,  Acta  Lips.  V,  87 — 288. 

^)  Eine  sorgfältigere  Redaktion  des  Jü- 
dischen Kiieges  zeigt  sich  auch  in  der 
grösseren  Seltenheit  des  Hiatus,  worüber 
Krebs,  Die  Präpositionsadverbien  in  der 
späteren  historischen  (jräzität,  Münch.  1884. 

■')  Jos.  c.  Ap.  II,  13. 

•*)  Freudenthal,  Die  Fl.  Josephos  bei- 
gelegte Schrift  Über  die  Herrschaft  der  Ver- 
nunft, eine  Predigt  aus  dem  ersten  nach- 
christlichen Jahrhundert,  Breslau  18G9;  Ae3i. 
WoLscHT,  De  Ps.  losephi  oratione  tje^I 
avToxQuxoQog  XoyiofxoiK  Marb.  1881. 

'')  Müller  FHG.  lil,  495-9;  0.  Gruppe, 
Die  griech.  Kulte  und  Mythen  I,  433—9. 
Eine  Stelle  der  Aiyviixiaxu  des  Chairemon 
hat  Psellos  übermittelt,  publiziert  von  Sathas, 
Bull,  de  corr.  hell.  I,  121  ff. 
Auü.  35 


546 


Griechische  Litteraturgeschichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 


Sanchuniathon  durch  den  Grammatiker  Herennios  Philon  werden  wir 
unten  in  dem  Abschnitt  von  den  Grammatikern  handeln. 


b.  Plutarch  (um  46  bis  um  120). 

423.  Plutarch,')  geboren  um  46  n.  Chr. 2)  entstammte  einer  ange- 
sehenen wohlhabenden  Familie  von  Chäronea  in  Böotien;^)  er  war  also 
Landsmann  des  Hesiod  und  Pindar,  denen  er  mit  gemütvollem  Lokalpatrio- 
tismus eine  besondere  Aufmerksamkeit  in  seinen  Schriften  widmete.  Seine 
höhere  Ausbildung  erhielt  er  in  Athen,  wo  er  sich  dem  akademischen  Phi- 
losophen Ammonios  anschloss,  den  er  im  Jahre  66,  als  Nero  Griechenland 
und  Delphi  besuchte,  als  Schüler  hörte. '^j  Alexandria,  die  alte  Stätte  der 
Gelehrsamkeit,  lernte  er  nur  durch  einen  flüchtigen  Aufenthalt  von  wenigen 
Monaten  kennen.^)  In  die  Physik  und  Naturwissenschaften  ward  er  durch 
den  Arzt  Onesikrates  eingeführt.^)  Dass  er  sich  auch  mit  der  Rhetorik  in 
seiner  Jugend  beschäftigte,  ersieht  man  aus  seinen  rhetorischen  Jugend- 
schriften über  das  Glück  Roms,  über  den  Vorzug  des  Wassers  oder  Feuers 
u.  ä.  Doch  gab  er  sich  nur  in  der  Jugend  infolge  des  damaligen  Unter- 
richtsganges mit  der  Kunst  der  Schönrederei  ab;  im  späteren  Leben  trat 
er  als  Anhänger  Piatons  in  entschiedenen  Gegensatz  zur  sophistischen  Rich- 
tung seines  Jahrhunderts.  Nach  der  Metropole  der  damaligen  Welt,  nach 
Rom,  kam  er  mehrmals,  zum  erstenmal  als  junger  Mann  unter  Kaiser 
Vespasian  als  Abgesandter  seiner  Heimat.')  Mit  hervorragenden  Römern, 
wie  Sossius  Senecio,  Mestrius  Florus,  Junius  Arulenus  Rusticus,  Saturninus 
knüpfte  er  dauernde  Verbindungen  an.  Auch  bei  dem  kaiserlichen  Hof 
gewann  er  durch  seine  vielseitige  Bildung  und  sein  humanes  Wesen  grossen 
Einfluss.  Nach  Suidas  hat  ihn  Trajan  mit  der  Würde  eines  Konsularen 
ausgezeichnet  und  die  Statthalter  Achäas  angewiesen,  sich  in  der  Verwal- 
tung der  Provinz  an  seine  Ratschläge  zu  halten.^)  Dass  ihm  auch  die 
Gunst  des  hellenenfreundlichen  Kaisers  Hadrian  nicht  fehlte,  lässt  sich  er- 
warten,-*) wiewohl  die  Angabe,  dass  der  Kaiser  Hadrian  sein  Zögling  ge- 
wesen sei,  erst  im  Mittelalter  aufgekommen  ist.  1^)  Aber  trotz  der  ihm  in 
Rom  zu  teil  gewordenen  Auszeichnungen  blieb  er  zeitlebens  seinem  Heimat- 


^)  Ein  magerer  Artikel  des  Suidas: 
Westermann,  De  Flut,  vita  et  scriptis, 
Lips.  1855;  Volkmann,  Leben,  Schriften  und 
Philosophie  des  Plutarch,  Berl.  1869;  Graux 
in  Einleitung  der  Ausg.  von  Plut.  vit.  Dem. 
p.  I-XVIII. 

2)  MoMMSEN,  Herm.  IV,  295  fF.  setzt 
seine  Geburt  46-48;  die  Zeit  wird  dadurch 
bestimmt,  dass  er  66,  als  Nero  in  Griechen- 
land weilte,  studierender  Jüngling  war, 

^)  Ein  Inschriftstein  von  Chäronea  GIG. 
1627  nennt  ZeS^xov  Klav^iop  JvroßovXoy 
ofimvvfxov   TM    naxQl  t/.roy  dno  IIXovtuq/ov. 

-*)  Plut  de  Et  c.  1,  Vit.  Titi  12,  vit.  Anton. 
8«;  Phot.  Bibl.  400b,  5:  moviaQxog,  ojg 
«r'ro?  xuy  to)  naQoyn  7TC(QakhjX(p  xal  ii^ 
uXXoig  cpfjoly,  snl  Nt'Qcoi'og  7]v. 

5)  Plut.  Quaest.  conv.  V,  5.  1. 

6)  Plut.  de  mus.  1  u.  43. 

'}  Plut.,  Polit.  praec.  c.  20  p.  816  d. 


^)  Suidas:  fiETa^ovg  ccvzm  Tquicivog  (ob 
verschrieben  für  ^A^QUivogT)  ifjg  rtvy  vnuroyv 
a^Utg  TiQoasTcc^s  fx^]^8va  riov  xard  ttjv  ^lXXv~ 
QL&a  (damals  vielmehr  U/atay)  aQ/öviuiv 
TJCKQE^  rijg  avTov   yvwfxrjg    ci    ^lanQcljieo&ca. 

^)  Auf  eine  Auszeichnung  durch  Hadrian 
geht  Eusebios  zu  dem  Jahre  119:  TlXovrccQxog 
XaiQiovevg  cpiXöaocpog  stuxqottevslv  'EXXädog 
xaTEani&r]  yi]Qai6g.  Ze^rog  cpiX6ao(fog  xal 
'Jyui^oßovXog  xal  Oipo^aog  iyi^coQiCsTo.  Bei 
Hieronymus  und  in  der  armenischen  Über- 
setzung sind  die  2  Sätze  zusammengezogen 
zu:  Pliitarchus  Chaeroneus  et  Sextus  et 
Ägathobuliis  et  Oenomaus  phüosophi  in- 
signes  habentur. 

'^)  Im  Mittelalter  kursierte  eine  apogryphe 
Schrift  De  institutione  principis  epistoJa  ad 
Traianum;  vergl.  Schaarschmidt,  Johannes 
Saresberiensis,  Leipz.  1862  S.  123  f. 


« 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,   b)  Plutarch.  (§  423-425.)     547 


land  und  insbesondere  der  Stadt  Chäronea  in  patriotischer  Treue  zugetlian. 
Dort  verwaltete  er  das  Amt  eines  Bauaufsehers  ^)  und  Archen, 2)  vielleicht 
auch  das  eines  Boiotarchen.  Mit  der  Priesterschaft  in  Delphi  unterhielt 
er,  wie  ehedem  Pindar,  intime  Beziehungen,  von  der  Stadt  Athen  wurde  er 
durch  Verleihung  des  Ehrenbürgerrechtes  ausgezeichnet.  Im  häuslichen  und 
gesellschaftlichen  Leben  bewährte  er  die  hohe  sittliche  Gesinnung,  die  er  in 
seinen  Schriften  predigte.  Er  war  in  glücklicher  Ehe  mit  Timoxena  ver- 
heiratet, aus  welcher  Verbindung  ihm  in  jener  kinder-  und  ehelosen  Zeit 
4  Söhne  und  1  Tochter  erblühten;  er  lebte  mit  seinen  Brüdern  und  Mit- 
bürgern in  schönster  Harmonie,  und  unterhielt  mit  zahlreichen  Römern  und 
Griechen  herzliche  Freundschaft  und  Geselligkeit.  Einen  grossen  Teil  aber 
seiner  Zeit  widmete  er  der  Unterweisung  seiner  Söhne  und  anderer  junger 
Leute,  jedoch  ohne  deshalb  eine  förmliche  Schide  zu  gründen.  Von  den 
freien  Vorträgen  und  den  Gesprächen,  die  er  mit  seinen  Schülern  und  An- 
hängern hielt,  sind  uns  die  Aufzeichnungen  in  seinen  Schriften  erhalten. 
So  erreichte  er  unter  angenehmen  Verhältnissen  und  bei  gesunder  Lebens- 
weise ein  hohes,  mit  Ehren  geschmücktes  Alter.  Aus  Eusebios  sehen  wir, 
dass  er  noch  das  3.  Regierungsjahr  des  Kaisers  Hadrian  erlebte;  nicht 
lange  danach,  jedenfalls  vor  dem  Tode  Hadrians,  hat  er  das  Zeitliche 
gesegnet. 

4:24-.  Die  Schriften  des  Plutarch  sind  zum  grösseren  Teil  uns  noch 
erhalten;  sie  sind  überaus  zahlreich  und  zeugen  von  einer  ungewöhnlichen 
Fruchtbarkeit  und  Vielseitigkeit  unseres  Autors.  Dass  trotzdem  nicht 
wenige  verloren  gegangen  sind,  ersieht  man  aus  dem  vollständigen  Katalog 
des  Lamprias,  eines  angeblichen  Sohnes  des  Plutarch,  der  nicht  weniger 
als  210  Nummern  von  Schriften  Plutarchs  aufweist.^)  Aber  auch  manches 
fremde,  herrenlose  Gut  hat  sich  schon  im  Altertum  in  die  Sammlung  ein- 
geschlichen. 4)  Die  Schriften  zerfallen  in  2  Hauptklassen,  in  die  Biographien 
oder  historischen  Werke  und  in  die  philosophisch-litterarischen  Abhand- 
lungen, welche  unter  dem  Titel  'Hdixä  oder  Moralia  zusammengefasst  zu 
werden  pflegen.  Auch  eine  poetische  Schrift  7Tf:Ql  C^nojy  aXoyon'  noi)]%ix6g 
führt  der  Lampriaskatalog  an,  von  der  Reste  0.  Crusius,  Rhein.  Mus.  39, 
581  in  dem  Protreptikos  des  Galen  nachgewiesen  hat. 

425.  Historische  Werke.  Parallelbiographien  {Bioi  TraQaXXt^Xoi) 
sind  uns  46  (2  X  23)  erhalten,  nämlich  von  Theseus  und  Romulus,  Lykurgos 
und  Numa,  Solon  und  Valerius  Publicola,  Themistokles  und  Camillus,  Peri- 
kles  und  Fabius  Maximus,  Alkibiades  und  Marcius  Coriolanus,  Timoleon 
und  Aemilius  Paulus,  Pelopidas  und  Marcellus,  Aristides  und  Cato  maior, 
Philopoimen  und  Quintius  Flamininus,  Pyrrhos  und  Marius,  Lysandros  und 


')  Plut.  de  rep.  ger.  15. 

2)  Plut.  Quaest.  conv.  II,  10;  VI,  8. 

^)  Dieser  Katalog  wurde  zuerst  von 
HöscHEL  im  16.  Jahrh.  aus  einer  Florentiner 
Hdsclir.  bekannt  gemacht.  Neuerdings  wurde 
derselbe  genauer  untersucht  von  Wachs - 
ML'TH,  Über  den  Katalog  der  plut.  Schriften 
von  dem  sogenannten  Lamprias,  in  Philol. 
18,  577  fF.,  und  Treu,  Der  sogen.  Lampiias- 
katalog    der    riutarchschriften,    Waidenburg 


1873. 

■*)  Ob  dabei  die  Konfundierung  unseres 
Plutarch  mit  dem  jüngeren  Plutarch,  einem 
Neuplatoniker  des  5.  Jahrhunderts,  mitgewirkt 
habe,  lassen  wir  dahingcstel't.  Leichter 
würde  sich  die  Vermischung  von  Kchtem 
und  Unechtem  erklären,  wenn  die  Vermutung 
von  WiLAMowiTz,  Ind.  Gott.  p.  27,  dass  Plu- 
tarch seine  Schriften  teilweise  unter  fremdem 
Namen  herausgegeben  habe,  sich  bestätigte. 

35* 


548  Griechische  Litteraturgeschichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 

Sulla,  Kimon  und  Lucullus,  Nikias  und  Crassus,  Eumenes  und  Sartorius, 
Agesilaos  und  Pompeius,  Alexander  und  Cäsar,  Phokion  und  Cato  maior, 
Agis  und  Kleomenes,  Tiberius  und  Caius  Gracchus,  Demosthenes  und  Cicero, 
Demetrios  Poliorketes  und  Antonius,  Dion  und  Brutus.  Dazu  kommen  noch 
die  4  einzeln  stehenden  Lebensbeschreibungen  des  Artaxerxes,  Aratos,  Galba 
und  Otho;i)  mehrere  andere,  wie  die  des  Epaminondas,  Leonidas,  des 
älteren  und  jüngeren  Scipio  sind  verloren  gegangen.  Die  in  den  Hand- 
schriften und  Ausgaben  eingehaltene,  im  wesentlichen  der  chronologischen 
Folge  entsprechende  Ordnung  rührt  nicht  von  Plutarch  her  und  steht  nicht 
mit  der  Abfassungszeit  der  einzelnen  Biographien  im  Einklang.  So  sind 
z.  B.  die  in  die  mythologische  Vorgeschichte  hinaufreichenden  Lebens- 
beschreibungen des  Theseus  und  Romulus,  welche  in  unseren  Ausgaben  den 
Reigen  eröffnen,  nach  des  Verfassers  eigenem  Zeugnis  ^)  zuletzt  geschrieben 
worden.  Ebenso  wissen  wir  durch  den  Autor  selbst,  dass  die  Lebens- 
beschreibungen des  Demosthenes  und  Cicero  das  5., 3)  die  des  Perikles  und 
Fabius  das  10.,^)  die  des  Dion  und  Brutus  das  12.  Buch  der  Parallel- 
biographien bildeten.^)  Ausserdem  zeigen  die  Proömien,  welche  einzelnen 
Biographien  (Demosth.,  Perikl.,  Demetr.,  Thes.)  vorausgeschickt  sind,  in 
anderen  gänzlich  fehlen,  dass  der  Verfasser  regelmässig  mehrere  Doppel- 
paare von  Biographien  zu  grösseren  Gruppen  oder  Büchern  vereint  zu  sehen 
wünschte,  während  auf  der  anderen  Seite  die  Widmung  an  Sossius  Senecio, 
welche  den  Biographien  des  Demosthenes,  Dion,  Theseus  vorgesetzt  ist,  es 
wahrscheinlich  macht,  dass  er  sämtliche  Lebensbeschreibungen  um  dieselbe 
Zeit  geschrieben  hat  und  als  ein  Ganzes  angesehen  wissen  wollte.^) 

Die  Verbindung  von  je  2  Lebensbeschreibungen,  eines  Griechen  und 
eines  Römers,  entsprang  einem  alten,  schon  aus  Cornelius  Nepos  erkenn- 
baren Brauch  der  Biographen;  sie  passte  trefflich  zur  Lebensstellung  des 
Plutarch,  der  an  der  grossen  Vergangenheit  seines  Volkes  mit  ganzer  Seele 
hing,  aber  auch  die  überlegene  Kraft  des  römischen  Staatswesens  willig 
anerkannte,  der  mit  Griechen  und  Römern  in  gleicher  Weise  befreundet 
war  und  zur  griechischen  Muttersprache  auch  die  lateinische  hinzugelernt 
hatte.'')  Bei  den  meisten  Paaren  liegt  der  Grund  der  Zusammenstellung 
auf  der  Hand,  wie  wenn  die  grössten  Redner,  Demosthenes  und  Cicero, 8) 
die  ältesten  Gesetzgeber,  Lykurg  und  Numa,  die  bedeutendsten  Feldherren, 
Alexander  und  Cäsar,  miteinander  verbunden  werden.  Übrigens  hat  Plu- 
tarch bei  19  Paaren^)  am  Schluss  in  einer  eigenen  Vergleichung  (avyxQKTig) 
die  gemeinsamen  Seiten  und  die  kleineren  Verschiedenheiten  der  zusammen- 


')  Über  diese  sogenannten  Kaiserbio- 
grapliien,  welche  Plutarch  als  junger  Mann 
unter  Domitian  schrieb,  siehe  Mommsen, 
Herrn.  4,  295  ff. 

2)  Thes.  1. 

3)  Dem.  3. 

4)  Pericl.  2. 

5)  Dion.  2. 

^)  Die  Abfassungszeit  suchen  näher  zu 
bestimmen  Michaelis,  De  ordine  vitarum 
parall.  Flutarchi,  ßerol.  1875;  Muhl,  Plu- 
tarchische  Studien,  Augsb.  1885;  Graux  in 
Einleit.  zu  Vit.  Dem.;  vgl.  Schekkl,  Jahrb.  d. 


Alt.  XII,  1.  180  ff. 

'j  Freilich  erlernte  er  erst  spät  (s.  Vit. 
Dem.  2)  und  unvollkommen  die  lateinische 
Sprache.  Irrtümer  des  Plutarch  aus  man- 
gelnder Kenntnis  des  Latein  weist  nach}| 
SiCKiNGER,  De  linguae  latinae  apud  Plutar- 
clmm  reliquiis  et  vestigiis,  Freib.  Diss.  1883. 

^)  Beide  Redner  wurden  schon  ver- 
glichen von  Cäcilius;  s.  §  419. 

'-•)  Die  Vergleichung  fehlt  bei  Theraist. 
und  Camill.,  Pyrrhos  und  Marius,  Alex,  und 
Cäsar,  Phokion  und  Cato. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     b)  Plutarch.  (§  426.)     549 


gestellten  Männer  dargelegt.  Der  Gesichtspunkt  des  Biographen  ist  überall 
nicht  der  eines  historischen  Forschers,  der  die  Thatsachen  kritisch  zu  er- 
mitteln und  urkundlich  zu  belegen  bemüht  ist,  sondern  der  eines  philoso- 
phischen Charaktermalers,  der  vor  allem  das  volle  Bild  der  Persönlichkeit 
festzustellen  sich  bestrebt  und  durch  den  Spiegel  der  Geschichte  seine 
Leser  zur  Tugend  und  praktischen  Tüchtigkeit  erziehen  will.^)  Daher  die 
vielen  Züge  aus  dem  Privatleben,  die  anmutigen  Scherze  und  witzigen 
Aussprüche, 2)  das  Übermass  ethischer  Betrachtungen,  der  Schmuck  der 
Dichtercitate,  über  welchen  Vorzügen  die  historische  Kritik  und  die  poli- 
tische Auffassung  zu  kurz  kommen. 3)  Das  Material  zu  seinen  Lebens- 
beschreibungen hat  Plutarch  sich  aus  einer  sehr  umfangreichen  Lektüre 
griechischer,  zum  Teil  auch  lateinischer  Historiker  beschafft. '^)  Die  Genauig- 
keit in  der  Benützung  der  Quellen  können  wir  nach  dem  grossen  Schiff- 
bruch, den  die  griechische  Litteratur  erlitten  hat,  nur  zum  kleinsten  Teile 
kontrollieren;  aber  Unbefangenheit  und  Nüchternheit  des  Urteils  war  nicht 
die  starke  Seite  unseres  Autors;  dazu  war  er  zu  sehr  Optimist  und  zu  sehr 
Freund  von  schönen  Anekdoten  und  moralischen  Betrachtungen.  Aber  sehen 
wir  von  dem  Mangel  kritischer  Quellenforschung  ab  und  lassen  wir  neben 
dem  Geist  und  Verstand  auch  dem  Herz  und  Gemüt  ihr  Recht,  so  bilden 
die  Biographien  des  Plutarch  die  anziehendste  und  belehrendste  Lektüre; 
sie  fanden  schon  im  Altertum  bewundernde  Leser  und  Verehrer;  sie  haben 
in  unserer  Zeit  Dichtern  und  Künstlern  reicheren  Stoff  als  irgend  ein 
anderes  historisches  Werk  des  Altertums  geliefert;^)  sie  haben  allwärts  den 
Anstoss  zu  ähnlichen  Biographien  gegeben,  so  dass  jetzt  fast  keine  Nation 
ihres  Plutarchs  entbehrt. 

426.  Gewissermassen  einen  Anhang  zu  den  Biographien  bilden  die 
'A7io(pS^€yjnaTa  ßaaiXswv  xal  arQatijyMv^  denen  ein  Widmungsbrief 
an  den  Kaiser  Trajan  vorausgeht.  Der  Brief  ist  gefälscht;  auch  die  Aus- 
sprüche, welche  mit  den  Biographien  nicht  ganz  übereinstimmen,  rühren 
in  der  überlieferten  Form  schwerlich  von  Plutarch  her,  wiewohl  wir  aus 
der  Schrift  De  coh.  ira  c.  9  erfahren,  dass  sich  derselbe  mit  der  Sammlung 
solcher  Aussprüche  abgegeben  hatte. ß)    Noch  ungeschickter  und  entschieden 


')  Vit.  Tim.  1 :  i^ol  fxsv  rrjg  tiou  ßiMV 
cKipaaS^ai  ^ep  yQafprjg  awaßr)  &l'  eregov?, 
enifiEVEiv  &s  xcci  cpilo/toQsTv  tjdr]  xal  dt' 
i^avTov ,  waneQ  ev  iaonxQM  rij  IgioqUc 
TiEiQMfievov  a^oiaytTHog  xoofÄEiP  xal  dcfo- 
fxoiovp  TTQog  rag  exeIvmp  aQEzdg  top  ßiop, 
vgl.  Pericl.,  Nie.  1. 

•^)  Alex.  1 :  oilzE  ydg  larogiag  yQc'ccpo/LiEP, 
dXXd  ßlovg,  ovTE  raig  ETXKfaPEaTdjaig  riQd^EOi 
ndptojg  EPEGxi  ^rjXoiOig  dqEzrjg  rj  xaxiag, 
d}.Xd  TTQayfxa  ßQcc/v  no'k'kdxig  xal  (jtjfxa  xal 
Tiai&id  rig  EfxcpaaiP  rjS^ovg  EnoirjGE  judXXop 
ij  /nd/ai  fxvQiöpEXQOi  xal  TJaQard^Eig  al 
(jiEyiOTai  xal  noXioQxlai  tioXemp. 

3)  Grcard  de  la  morale  de  Tlut.:  c'cst 
la  verite  morale  non  la  verite  historiqtie 
guHl  porirsiiü,  Vune  n'est  iiour  lui  que  le 
moyen,  Vautre  est  le  hut. 

■*)  Die  Litteratur  über  die  Quellen  des 
Plutarch  ist  bis  ins  Ungemessene  angewach- 


sen. Ich  begnüge  mich  anzuführen:  Heeren, 
De  fontibus  et  auctoritate  vitaruin  im.raU. 
Plut.,  Gott.  1820;  M.  Haug,  Die  Quellen 
Plutarchs  in  den  Lebensbeschreibungen  der 
Griechen  (Erstlingsarbeit  des  berühmten  Orien- 
talisten). Tüb.  1854;  Peter,  Die  Quellen  Plu- 
tarchs in  den  Biographien  der  Römer,  Halle 
1865;  die  Benützung  des  Sueton  De  viris 
illustr.  weist  für  das  Leben  Ciceros  nach 
GuDEMAN  Tr ansäet,  of  the  amer.  jihü.  assoc. 
XX  (1889)  139-58.  -  Im  übrigen  s.  Michae- 
lis, Jahresb.  d.  philol.  Vereins  in  Ztschr, 
f.  Gymn.  1877,  1879,  1883. 

•'•)  Shakespeare  entnahm  aus  Plutarch 
die  Fabel  zum  Coriolan  und  Julius  Cäsar; 
Jean  Paul  nannte  den  Plutarch  den  biogra- 
phischen Shakespeare  der  Weltgeschichte. 

«)  Volkmann,    Leben    Plut.    I,    215  ff. 
C.  Schmidt,  De  apophtliefimatum  quae  Pin 
tarchi  nomme  fertintiir  collectionüms,  Greih'w. 


550 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


unecht  ist  die  Kompilation  der  sich  daran  anschliessenden  kleinen  Samm- 
lungen, 'ATro(fd^€yjnaTa  Aaxoövixä^  ^Ano(fi}tyixaTa  yiaxaivwv,  Td  naXaid  tmv 
AaxeSainoviMv  iniTr^Ssvi^iara.  Mit  der  Geschichtschreibung  berühren  sich 
ferner  die  Besprechungen  seltsamer  Gebräuche  bei  den  Römern  und  Grie- 
chen [al'tia  'Pwiiicäxd,  quaestiones  Rom.,  und  ahia  ^EXXrjvixd,  quaestiones 
gr.),  zu  denen  dem  Plutarch  hauptsächlich  Varro,  Aristoteles,  Juba  das 
Material  geliefert  hatten,  i)  die  Beispielsammlung  Fvvaixwv  agsrai,^}  und  die 
rhetorischen  Deklamationen  TioTtQov  ^AO^rjraToi,  xazd  nöXsixov  rj  xazd  aocpiav 
€vSo'^6t€qoi,  7T&qI  ZTjg  ^AXs^dvÖQov  Tvxtjg  rj  dqeTYjg^  nsql  rrjg  '^Poyfjiaicov  rvxrjg 
i]  aQSTrjg.  Eine  plumpe  Fälschung  sind  die  sogenannten  Parallela  minora 
[(TvvayMyrj  laroQiMv  naqaXXiXMv  '^ElX}jvixö)v  xal  '^Pwiaaixwv),  deren  Verfasser 
ebenso  wie  der  des  gleichfalls  unechten  Buches  IIsqI  uora^cov  mit  erlogenen 
Citaten  aus  sonst  nicht  bekannten  Autoren  und  Schriften   um   sich  wirft.  ^) 

427.  Die  Moralia  oder  philosophischen  Schriften.  Die  Moralia 
haben  ihren  Namen  a  potiore  parte,  indem  der  grössere  Teil  der  83  unter 
jenem  Titel  zusammengestellten  Schriften  sich  auf  ethische  Fragen  bezieht. 
Aber  der  Inhalt  derselben  ist  ein  viel  reicherer;  neben  ethischen  Fragen 
werden  religiöse,  politische,  litterarische,  physikalische  behandelt.  Auch 
die  Form  ist  nicht  durchweg  die  gleiche;  im  allgemeinen  aber  überwiegt 
die  dialogische  Einkleidung,  welche  Plutarch  von  Piaton  herübergenommen 
hatte,  freilich  ohne  auch  nur  annähernd  sein  Vorbild  zu  erreichen. 

Voran  stehen  in  der  Sammlung  wegen  ihres  einführenden  Charakters 
die  Schriften  ttsqI  naiScov  dyo)yfjg,  TiMg  det  t6v  veov  noirjixdxMV  dxoveiv, 
718qI  tov  dxovsiw  In  der  letzteren  gibt  Plutarch  einem  jungen  Mann  Ni- 
kander,  der  eben  die  Toga  virilis  angelegt  hatte  und  sich  zu  philosophischen 
Studien  anschickte,  beherzigenswerte  Anweisungen  über  die  vernünftige 
Benützung  der  Freiheit  und  das  erfolgreiche  Anhören  von  Vorträgen.  In 
der  mittleren  weicht  Plutarch  von  Piaton  insofern  ab,  als  er  nicht  geradezu 
die  Dichterlektüre  abweist;  aber  auch  er  lässt  die  Poesie  nicht  voll  zu 
ihrem  Recht  kommen,  indem  er  sie  nur  als  Vorstufe  der  philosophischen 
Studien  gelten  lässt.  Die  Schrift  über  Erziehung  rührt  nach  Wyttenbachs 
Nachweis  nicht  von  Plutarch  her,  enthält  aber  viele  treffliche  Grundsätze 
und  drastische  Aussprüche  eines  erfahrenen  Schulmannes. 

4-28.  Von  den  philosophischen  Schriften  sind  mehrere  der  Erklärung 
schwieriger  Stellen  in  den  Dialogen  Piatons  gewidmet,  so  die  IlXatwvixd 
^TjTTjfxaTa  und  das  lückenhaft  erhaltene  Buch  IIsqI  Tijg  sv  Tifxaio)  ipvxo- 
yoviag.  Man  kann  diesen  nicht  nachrühmen,  dass  sie  eine  gesunde  Rich- 
tung der  Interpretation  vertreten;  vielmehr  leistet  der  Verfasser  Grossesj 
im  Unterlegen  und  im  Suchen  nach  nicht  beabsichtigten  Dingen,  wie  wennj 


Diss.  1879;  der  letztere  weist  nach,  dass  die 
Apophthegmata  eine  Kompilation  aus  Plu- 
tarchs  Schriften  sind  und  bereits  dem  Aelian 
vorlagen. 

')  Thilo,  De  Varrone  Plut.  quaest. 
vom.  auctorc,  Bonn,  1853;  A.  Barth.  De 
Tuhae  'nfioiorrjoip  a  Plut.  expressis  in  quae- 
stionihus  Homanis,  Göttingen  1876;  Dümmler, 
Rh.  M.  42,  189  ff. 


-)  Die  Echtheit  gegen  Cobet's  Bedenkei 
verteidigt   von  Dinse,   De  lihello  Plut.  yvv,^ 
fiQsiccl  inscripto,  Berl.  1863. 

3)  Hercher  in  der  Ausg.  de  fluviis^ 
Benützt  sind  die  Parall.  min.,  wenn  auch 
nur  indirekt  von  Clem.  Alex.  Protr.  27  und 
Strom.  I,  334,  worüber  C.  Müller,  Geogr. 
gr.  min.  II  p.  LIIl  und  Hiller,  Herm.  21, 
126  tf. 


1 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,   b)  Plutarch.  (§  427—429.)     551 


er  Quaest.  Plat.  II  aus  den  Worten  des  Timaios  tC  6rj  noxs  t6v  avondtM 
^sov  Tiateqa  tmv  ixävtcov  xal  TioLrjTj'jV  TXQoasiTTsv;  absolut  einen  tiefsinnigen 
Unterschied  von  naTTjQ  und  Tvoirjzrjg  herausinterpretieren  will.')  Andere 
Schriften  verwandter  Art  dienen  der  Polemik  gegen  die  Stoiker  und  Epi- 
kureer. So  weist  er  den  ersteren  den  Widerstreit  ihrer  Meinungen  mit 
den  Sätzen  des  gesunden  Menschenverstandes  nach  in  den  Schriften  Ilegl 
2t(x)ixwv  €vavTi(jt)jiiäTa)v  (über  die  Widersprüche  in  der  Lehre  der  Stoa), 
'Oti  naqado'^ötsQa  ol  ^Tonxol  rcov  Ttoirjzcov  Xb'yovcfi^  JJtql  tcov  xoiVMV  swomv 
TiQog  Tovg  ^Twixovg  (über  die  Paradoxa  oder  t«  Tiagd  rag  xoirdg  iv- 
voiag).  Heftiger  kämpft  er  gegen  die  den  Menschen  erniedrigende  Moral 
und  die  Unverfrorenheit  der  Epikureer  in  den  Dialogen  ÜQog  KoXakrjv  und 
^'Ozi,  ovS^  ^rjv  eaxiv  ijdtwg  xax'  ^Enixovqov,  die  beide  an  eine  Schrift  des 
Epikureers  Kolotes  Oti  xard  rd  tcov  uXXmv  (fiXo(s6(fo)v  döy^xata  ovöt  ^rjv 
eativ  anknüpfen.  Gleichfalls  gegen  Epikur  ist  die  kleine  Schrift  El  xaXcog 
siQTjTai  t6  Xd^€  ßicoaag  und  die  verstümmelt  erhaltene  Satire  FQvXXog^)  ge- 
richtet. Die  letzte  Klasse  von  Schriften  dienen  uns  zugleich  als  Ersatz 
für  den  fast  gänzlichen  Verlust  der  Originalschriften  der  Stoiker  und  Epi- 
kureer, indem  Plutarch  viele  Stellen  aus  Chrysipp,  Epikur  u.  a.  wörtlich 
anführt.  Besonders  hat  das  Buch  gegen  Kolotes,  in  welchem  der  Verfasser 
die  Angriffe  jenes  Epikureers  auf  die  älteren  Philosophen  unter  Berufung 
auf  Stellen  des  Heraklit,  Demokrit,  Parmenides,  Empedokles  widerlegt,  eine 
hervorragende  Bedeutung  für  die  Geschichte  der   griechischen   Philosophie. 

429.  In  selbständigerem  Gedankengang  hat  Plutarch  mit  Vorliebe 
Fragen  der  Ethik  behandelt,  und  zwar  auf  Grund  der  Psychologie,  der  er 
selbst  ein  eigenes,  bis  auf  Bruchstücke  verloren  gegangenes  Werk  gewidmet 
hatte.  Dem  Gebiet  der  Ethik  gehören  von  den  erhaltenen  Schriften  fol- 
gende an:  Jlwg  av  rig  ai'a^otzo  iavrov  nQoxomovzog  in  dgezf],  IJcog  dv  iig 
vtt'  ex^QMv  wcfeXotro,  JIsqI  7ToXv(fiXiag,  UfQl  tvxtjg^  ü^qI  dQsrrjg  xal  xaxiag, 
'On  Sidaxzr]  rj  aQSTij,  Ilsgl  ir^g  Vj^ixi^g  dQSTTjg,  TIsqI  doQyr^aiag^  IltQl  ev&v- 
fjiiag,  El  avrdgxtjg  rj  xaxi'a  nqog  xaxodai^oviav,  IIÖtsqov  %d  ttjg  ipvx^jg  ^j  tjd 
Tov  aM^xazog  rtd^rj  xsiqova^  IIsqI  döoXscTXiccg,  U^qI  7T()kvjTQaYf.ioavrrjg,  IIsQi 
(fiXoTiXovziag,  IleQi  Sv^MTiiccg^  JJsqI  (fO^ovov  xal  f^uaovg,  IIsqI  zov  eavzov 
enaivelv  dvsmxf&ovcog.^)  Die  meisten  dieser  Schriften  zeigen  uns  Plutarch 
so  zu  sagen  als  Seelenarzt:  sie  sind  wohlgemeinte  Predigten,  anziehend 
durch  die  Fülle  der  Beispiele  und  Dichtercitate,  auch  reich  an  trefflichen 
Anweisungen  und  feinen  Beobachtungen;  schwerlich  aber  werden  sie  wirk- 
lich viele  Leser  bekehrt  und  so  den  leitenden  Grundgedanken  des  Philo- 
sophen, dass  die  Tugend  lehrbar  sei,  bestätigt  haben.  Solche  Aufsätze 
waren  seit  Krantor  und  Theophrast  an  der  Tagesordnung  bei  den  Aka- 
demikern und  Peripatetikern,  wie  man  aus  den  Katalogen  ihrer  Schriften 
sieht;  erhalten    sind   uns  ähnliche  von  dem  römischen  Philosophen  Seneca. 

Durch  bestimmte  Anlässe  hervorgerufen  sind  die  3  Trostreden  (rraga- 


^)  Aus  der  7.  Untersuchung  geht  hervor, 
dass  in  jener  Zeit  die  Stelle  des  Phaidros 
p.  240  d  noch  nicht  durch  ein  Glossem  ver- 
unstaltet war. 

'^)  Unpassend    ist    der    landläufige  Titel 


TieQi     lov     tu     ciXoya    Xoyio    ^()ijax9((i,    wie 
UsENER,  Kpicurea  p.  LXX  nachweist 

^)  Unecht  ist  die  moralische  Schrift 
77f()/  TOV  fiij  ('feTv  (hd'el^eoihci ,  worüber 
Heinze,  riut.  Unters.,  Berlin  1872. 


552 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


f^ivO^rjTixoi),  von  denen  die  eine  an  seine  eigene,  durch  den  Tod  ihrer  Tochter 
schwer  niedergebeugte  Gattin,  die  zweite  an  einen  durch  politische  Umtriebe 
aus  seiner  Heimat  verjagten  Freund,  die  dritte  an  den  um  seinen  früh- 
verstorbenen Sohn  trauernden  Apollonios  gerichtet  ist.  Die  letzte  vielge- 
priesene Schrift  unterscheidet  sich  von  den  beiden  andern  dadurch,  dass 
sie  sich  fast  nur  in  Allgemeinheiten  bewegt  und  von  ungewöhnlich  langen 
Citaten  aus  Dichtern  und  Philosophen  förmlich  strotzt,  auch  öfters  die  Sorg- 
falt des  Plutarch  in  der  Vermeidung  des  Hiatus  vermissen  lässt.  Es  wurde 
dieselbe  deshalb  von  Wyttenbach  dem  jungen  Plutarch  zugeschrieben,  von 
Volkmann  dem  Plutarch  vollständig  abgesprochen.  ^)  Geschöpft  hat  der 
Verfasser,  mag  es  nun  Plutarch  oder  ein  anderer  gewesen  sein,  aus  dem 
gefeierten  Buch  des  Akademikers  Krantor  über  die  Trauer  [tt^qI  nsvO-ovg).^) 
430.  Die  Ethik  stand  bei  unserem  konservativen  Autor  in  engster 
Beziehung  zur  Religion,  und  so  hat  er  nicht  bloss  im  Leben  als  Priester  in 
Chäronea  und  Delphi  der  Religion  gedient,  sondern  auch  in  seinen  Schriften 
den  Glauben  und  Kultus  zu  läutern  und  mit  der  philosophischen  Einsicht 
in  Einklang  zu  bringen  gesucht.  Mit  seiner  Bekämpfung  des  Aberglaubens 
in  der  Schrift  IleQl  ^siaiSaifxovfag,  sowie  mit  seiner  Stellungnahme  gegen 
den  Atheismus  der  Epikureer  und  den  pragmatischen  Rationalismus  der 
Euhemeristen  wird  man  sich  leicht  einverstanden  erklären;  aber  was  er 
selbst  jenen  gegenüberstellt,  die  Dämonenlehre,  die  Mantik,  die  allegorische 
Erklärung,  vermag  ebensowenig  zu  befriedigen.  Die  schwankende  Unklar- 
heit des  Theosophen  zeigt  sich  zumeist  in  dem  Dialoge  IJsqI  Ton>  sxXskoi- 
TtoTMv  Y^Qi^aTriQiMv^^)  in  welchem  indes  der  Erklärungsgrund  des  Platonikers 
Ammonios  (c.  8)  von  hohem  Interesse  ist,  indem  danach  die  Abnahme  der 
Orakelstätten  mit  der  Abnahme  der  Bevölkerung  zusammenhing,  die  so 
gross  war,  dass  ganz  Hellas  damals  kaum  mehr  als  3000  Hopliten  stellen 
konnte,  so  viel  als  einst  das  einzige  Megara  zur  Schlacht  nach  Platää  ent- 
sendet hatte.  Unbedeutender  ist  die  Schrift  JIsqI  tov  iii)  xqav  efi/^ieroa 
vvv  TTiv  Hvd^iav.  Auch  mehr  salbungsreich  als  zutreffend  ist  die  in  dem 
Buche  Tltql  TOV  d  sv  JsltfoXc,  vorgetragene  Erklärung  der  Inschrift  E  über 
dem  delphischen  Tempel,  die  als  d  gedeutet  und  als  Ausruf  des  in  An- 
dacht versunkenen  und  seiner  Nichtigkeit  bewusst  gewordenen  Menschen 
gefasst  wird.  Der  Versuch  einer  Mythendeutung  ist  am  sorgfältigsten 
durchgeführt  in  der  Schrift  über  Isis  und  Osiris,  ohne  dass  indessen  auch 
hier  dem  Autor  eine  befriedigende  Erklärung  des  wunderbar  verschlungenen 
Mythus  gelungen  sei.  Am  höchsten  steht  entschieden  der  durch  Tiefe  der 
Gedanken  und  Reichtum  des  Inhaltes  gleich  ausgezeichnete  Dialog  über  die 
späte  Bestrafung  der  Gottlosen  {neqi  tmy  vno  tov  ^siov  ßoaötMg  tiixmqov- 
libvon'),  der  ähnlich  wie  die  Politeia  des  Piaton  mit  einer  phantastischen 
Schilderung  des  Jenseits  abschliesst.^)  Doch  ist  auch  in  ihm  philosophisch 
haltbar  fast  nur  der   beiläufige  Satz,    dass  der  Schlechte   nicht   erst  eines 


^)  Volkmann,  De  consolatiune  ad  Aj)ol- 
lonium,  .lauer  1867.  Einen  weiteren  Grund 
für  die  Verwerfung  leitet  Fuhr,  Rh.  M.  33, 
590  aus  dem  Gebrauch  vom  rs  xai  ab. 

'•^j  M.  H.  E.  Meier,  De  Crantore  Solensi, 
Opusc.  II,  267  f. 


^)  Die  Schrift  ist  zu  seinen  Zwecken 
ausgelDeutet  von  Eusebios  Praep.  evang.  V, 
16  flf. 

■*)  Von  der  Benützung  des  alexandrini- 
schen  Dichters  Euphorien  in  dieser  Schrift 
s.  Thrämee,  Herrn.  25  (1890)  55-61. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,    b)  Plutarch.  (§  430—432.)     553 

bestrafenden  Gottes  bedürfe,  da  ihm  das  böse  Gewissen  und  das  zerrüttete 
Leben  Strafe  genug  sei  (c.  11).  Zu  den  tbeosophischen  Schriften  im 
weiteren  Umfang  gehört  auch  noch  der  Dialog  über  das  Daimonion  des 
Sokrates,  in  dem  der  philosophische  Kern  von  der  scenischen  Einkleidung, 
die  uns  nach  Theben  in  die  Versammlung  der  Verschwörer  vor  der  Be- 
freiung der  Kadmea  versetzt,  ganz  überwuchert  ist.  Schwerlich  echt  ist 
das  Buch  vom  Schicksal  {7T8qI  sl/ijiaQfjif-vrjg),  da  dasselbe  sich  fast  ganz  in 
aristotelischer  Terminologie  bewegt  und  daher  eher  von  einem  späten  Peri- 
patetiker  herrührt.^) 

481.  In  der  Physik  hatte  Plutarch  an  seinem  Vorbild  Piaton  wenig 
Anhalt;  hier  lehnte  er  sich  mehr  an  Aristoteles,  teilweise  auch  an  die 
Stoiker  an.  Übrigens  hat  er  auch  in  der  Physik  nichts  nennenswertes  ge- 
leistet; am  bedeutendsten  noch  ist  der  Dialog  über  das  Gesicht  im  Mond 
[ttsqI  tov  siJL(faivon£Vov  nqodwTcov  xm  xvxXo)  rrjg  (XsXr^vr^g),  weniger  wegen 
der  mythischen  Erzählung  eines  von  der  Insel  des  Kronos  heimgekehrten 
Fremdlings  (c.  26  ff.)  als  wegen  der  Nachricht  von  der  grossen  Entdeckung 
des  Astronomen  Aristarch  von  Samos  (c.  6),  der  ein  Vorläufer  des  Koper- 
nikus,  bereits  den  Satz  aufgestellt  hatte,  dass  die  Erde  sich  zugleich  um 
ihre  eigene  Achse  und  um  die  Sonne  in  der  Ekliptik  drehe.  Anziehend 
durch  gemütreiches  Eingehen  auf  das  Seelenleben  der  Tierwelt  und  die 
scharfe  'Verurteilung  der  tierquälenden  Wollüstlinge  sind  die  Schriften 
IIotSQa  TWV^(no)V  (fQOVifioneQa  rd  x8Q(Taia  tj  rd  hvvöqa^  IJsqi  (TceQxo(fayfag 
"köyoi  ß'.  Ausserdem  gehören  in  das  Gebiet  der  Physik  die  Abhandlungen 
neq]  TOV  TTQo'nov  ipvxQffv,  ÜÖTeQov  vSojq  rj  nvQ  xorjdiiiMteQov^  und  die  Ahiai 
(fv(rixaf,  in  denen  ähnlich  wie  in  den  römischen  und  griechischen  Fragen 
einzelne  naturwissenschaftliche  Probleme  aufgeworfen  und  dann  in  Kürze 
erklärt  werden. 

432.  Mehr  auf  seinem  Felde  bewegt  sich  Plutarch  in  den  politischen 
Schriften.  Denn  getreu  der  Lehre  der  Akademie  verwarf  er  den  epikurei- 
schen Grundsatz  A«i!>6  ßiwaccg  und  hielt  sich  und  seine  Freunde  verpflichtet, 
an  den  Staatsgeschäften  teilzunehmen.  Von  den  hieher  gehörigen  Büchern 
sind  mehrere  Gelegenheitsschriften;  so  gleich  das  beste,  IloXiiixd  ncxqay- 
yt'X/^iccTa,  worin  er  einem  jungen  Mann  aus  Sardes,  Menemachos,  praktische 
Anleitungen  zur  politischen  Thätigkeit  gibt.  Ebenso  ist  die  kleine  Schrift 
El  7TQ&c>ßvThQ(o  noXiTsvTtov  aus  einem  äusseren  Anlass  hervorgegangen, 
indem  Plutarch  seinen  Freund  Euphanes  aus  Athen  von  dem  Entschlüsse 
abzubringen  sucht,  seine  Stelle  als  Vorsitzender  des  Areopag  und  Mitglied 
des  Amphiktionenbundes  wegen  vorgerückten  Alters  niederzulegen.  Mehr 
allgemeiner  theoretischer  Natur  ist  das  fragmentarisch  erhaltene  Buch  IhQi 
f^iovaQxiccg  xal  Si]fioxQaiiag  xal  ohyaQxiocg,  worin  er  im  Sinne  Piatons  und 
unter  Anlehnung  an  die  realen  Verhältnisse  seiner  Zeit  der  Monarchie  den 
Vorzug  vor  den  anderen  Staatsverfassungen  gibt.  Dazu  kommen  mehrere 
kleinere  Schriften,  wie  IJ^qI  lov  oii  fidkiaia  toTg  i]ysii6ai  Stt  %6v  mloaut^ov 

')  Vergleiche    besonders    p.    571c    und  i  soligen  Autor    wenig  stimmt.     Vorgl.  Volk- 

Arist.  met.  p.  102()b,  23.     Auffällig  ist  auch  ,  mann,  Leben  Plut.  I,  14ii  If..    u.    Fuim,    Hb. 

der  Eingang,    der   von    einer  Zurückhaltung  ^  M.  33,  590. 

im  Schreiben  spricht,    "was   zu   dem    schreib-  ! 


554 


Griechische  Literaturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


StaXt'yeaO^ai,  und  JlQog  ryef^iova  ccTtaiSevtov.  Den  Standpunkt  eines  prak- 
tisch thätigen  Bürgers  vertritt  auch  der  mit  rhetorischem  Scliwung  ge- 
schriebene, leider  nur  bruchstückweise  erhaltene  Vortrag  üötsqov  ^A^rjvaToi 
xaid  n6Xej.iov  rj  xard  ao(fiuv  svÖo^otsqoi. 

433.  Die  Wurzeln  des  Staates  bilden  die  Familie  und  die  Gesellschaft; 
das  erkannte  richtig  unser  Plutarch,  und  wie  er  selbst  im  Leben  ein  aus- 
gezeichneter Vater,  Gatte,  Sohn  und  Bruder  war,  so  trat  er  auch  mit  der 
Feder  warm  für  diese  Tugenden  ein.  Es  gehören  hieher  die  Schriften 
IIsqI  TTjg  elg  t«  sxyovcc  (fiXoavoQyiccg  (Fragment  eines  Auszuges),  IIsqI  (fiXa- 
dsX(fiac,  Uwq  av  Tig  Siaxqivoi  tov  xöXaxa  rov  (piXov,  'EQcoTixog,  Fa^iixa 
naqayythiaTu.  Die  trefflichen  Lehren  der  letztgenannten  Schrift  sind  einem 
neu  vermählten,  dem  Autor  befreundeten  Paare  gewidmet.  Der  interessante 
Dialog  Erotikos,  gehalten  bei  dem  Feste  des  Eros  in  Thespiä,  ist,  wie  schon 
der  Name  andeutet,  eine  Nachahmung  des  platonischen  Phaidros;  er  dient 
der  Verherrlichung  der  Gattenliebe  im  Gegensatz  zu  der  Unnatur  der 
Päderastie  und  schliesst  mit  der  rührenden  Erzählung  von  der  treuen  Liebe 
der  Gattin  des  Sabinus,  durch  deren  Hinrichtung  der  Kaiser  Vespasian  sein 
Andenken  bei  der  Nachwelt  befleckt  hat.^) 

434.  Philosophie  paarte  sich  seit  Aristoteles  mit  Philologie  und  litte- 
rarischer Kritik;  kein  Schriftsteller  aber  war  in  den  Dichtern  gleich  belesen, 
wie  Plutarch.  So  hat  er  denn  nicht  bloss  alle  seine  Schriften  mi£  Citaten 
aus  Dichtern  gewürzt,  sondern  auch  der  Exegese  und  litterarischen  Unter- 
suchung eigene  Schriften  gewidmet.  Kommentare  schrieb  er  zu  Hesiod, 
Arat  und  Nikander,  von  denen  uns  in  den  Scholien  der  betreffenden  Dichter 
dürftige  Reste  erhalten  sind.  Einzelne  litterarische  Fragen  behandelt  er  in 
den  uns  noch  erhaltenen  Schriften  IIsqI  trjg  'HqoSotov  xaxoijO^^iag,^)  Ivy- 
xqixsig  'AQi(yTo(fdvovg  xal  MsrdrÖQov,  JJtQi  juiovaixrjg.  Seine  Voreingenommen- 
heit gegen  Herodot  erklärt  sich  aus  Herodots  Parteinahme  für  Athen  gegen 
Theben,  seine  Vorliebe  für  den  feinen  gesitteten  Menander  gegenüber  dem 
genialen,  über  die  Stränge  schlagenden  Aristophanes  aus  der  Abneigung 
gegen  alle  Ausschreitungen  der  Freiheit.  Von  grosser  Wichtigkeit  für  die 
Geschichte  der  Musik  und  Metrik  ist  der  Dialog  IJegl  fjiovaixfjg,^)  haupt- 
sächlich dadurch,  dass  der  damals  noch  junge  Plutarch  ganze  Partien  aus 
den  besten  Autoren  dieses  Faches,  dem  Aristoxenos  und  Herakleides, 
herübergenommen  hat. 

435.  Die  Palme  möchte  man  leicht  demjenigen  Werke  des  Plutarch 
reichen,  in  dem  er  die  ganze  Vielseitigkeit  seiner  Studien  in  der  unter- 
haltendsten und  anmutigsten  Weise  dargelegt  hat,  ich  meine  die  ^v^noaiaxd. 
Das  Werk  umfasst  9  Bücher,  von  denen  jedes  10,  das  letzte  15  Probleme  i 


')  Einer  der  Sprecher  im  Erotikos  ist 
Autobulos,  der  so  von  seinem  Vater  spricht, 
als  wäre  derselbe  Plutarch  selbst,  weshalb 
Gkaf,  Plutarchisches  in  Comm.  Ribbeck.  p.  70 
den  jungen  Plutarch,  den  Bruder  des  Auto- 
bulos zum  Verfasser  des  Dialoges  machen 
will.  Einen  Anhang  zum  Erotikos  bilden  die 
"Eqmzlxcu  ö'irjyTJaetc:,  über  deren  Unechtheit 
Volkmann,  Leben  Flut.  I,  126  ff.   handelt. 

'^)  Mehrere    Widersprüche   mit   anderen 


Schriften  des  Plutarch  Hessen  an  der  Echt-j 
heit  des  Buches  zweifeln;  dagegen  G.  Lah- 
MEYER,  De  libelli  Plutarchei  qui  de  malig-l 
nitate  Herodoti  inscribitur  et  auctoritate  et\ 
auctore,  Gott.  1848,  und  Holzapfel,  PhiloKJ 
42,  23  ff. 

2)  Die    Echtheit    der    Schrift    wird    an- 
gezweifelt;   auch    der  Gebrauch    von   rs  xai^ 
spricht    nach   Fuhr,    Rh.  M.  33,  590    gegen 
die  Echtheit. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,    b)  Plutarch.  {§  433-436.)     555 

enthält.  Entstanden  ist  dasselbe  aus  der  schönen  geselligen  Sitte  der  Hel- 
lenen bei  Tisch  inter  pocula  über  verschiedene  Gegenstände  sich  zu  unter- 
halten. Die  Scene  wechselt  in  unseren  Tischgesprächen  fast  bei  jedem 
Problem  und  führt  uns  bald  nach  Athen,  bald  nach  Rom,  bald  an  den  gast- 
lichen Tisch  des  Autors  und  seiner  Freunde,  bald  zu  der  Feier  eines  Festes 
oder  musischen  Sieges.  Noch  mannigfaltiger  ist  der  Inhalt  der  Gespräche: 
neben  Gesprächen,  die  zu  dem  Mahle  direkt  in  Beziehung  stehen,  wie  über 
die  Bekränzung  beim  Mahle  (III,  1),  über  die  bessere  Verdaulichkeit  ge- 
mischter Nahrung  (IV,  1),  über  die  geeignetste  Wahl  der  Unterhaltungen 
bei  Tisch  (VII,  8),  begegnen  uns  Gespräche  über  die  Enthaltsamkeit  der 
Juden  vom  Schweinefleisch  (IV,  5),  über  die  Zahl  der  Musen  (IX,  14),  über 
die  3  Arten  des  Tanzes  (IX,  6),  über  das  Okulieren  der  Bäume  (II,  6), 
über  das  Epitheton  dyXacxa()Tiog  bei  Homer  (V,  8),  und  das  alles  in  der 
unterhaltendsten  Weise  mit  reichsten  und  bestangebrachten  Reminiszenzen 
aus  Dichtern  und  Prosaikern.  Die  einzelnen  Gespräche  fallen  in  weitaus- 
einanderliegende  Zeiten,  sind  aber  von  Plutarch  nach  früheren  Aufzeich- 
nungen rasch  hintereinander  zu  dem  erhaltenen  Corpus  zusammengestellt 
worden.  Später  hat  viele  von  ihnen  Macrobius  in  seine  Saturnalia  herüber- 
genommen, indem  er  sich  dabei  manche  Zusätze  erlaubte,  die  für  Leser, 
welche  weniger  belesen  als  die  Kreise  des  Plutarch  waren,  notwendig 
schienen.^)  —  Angehängt  ist  diesen  Tischgesprächen  das  unechte  ^vixnöaiov 
TMv  smd  (piXoaoipcov,  das  uns  ein  Gastmahl  bei  Periander  in  Korinth  vor- 
führt, an  dem  die  7  Weisen  Griechenlands  und  ausserdem  der  Fabeldichter 
Asop,  zwei  Frauen  und  andere  Gäste  teilnehmen.  Das  Werk  ist  anziehend 
durch  die  geschickte  Hereinziehung  der  Sprüche  und  Anekdoten,  die  von 
den  7  Weisen  in  Umlauf  waren,  und  die  vielen  schönen  Erzählungen,  wie 
von  der  Rettung  des  Meisters  der  Töne  Arion,  erweist  sich  aber,  von  sprach- 
lichen Indicien  abgesehen,  schon  durch  die  obscönen  Anzüglichkeiten  und 
koketten  Schilderungen  als  Werk  nicht  des  Plutarch,  sondern  eines  sophi- 
stischen Romanschreibers.  2) 

436.  Entschieden  unecht,  zum  Teil  aber  hochbedeutsam  sind  noch 
mehrere  andere  dem  Plutarch  angehängte  Schriften,  nämlich:  Das  Leben 
der  10  Redner,  das  hauptsächlich  auf  den  Forschungen  des  Rhetors  Cäci- 

I  lius  fusst,  aber  in  wichtigen  Dingen  von  der  Darstellung  des  Plutarch  im 
Leben  des  Demosthenes  abweicht,^)  Das  Leben  Homers,  das  mit  den 
Zeugnissen  von  Plutarchs  echter  Schrift  über  Homer  nicht  übereinstimmt,*) 
die  5  Bücher  von   den    Lehrsätzen   der   Philosophen  {ttsqI  imv  dqsa- 

1  xovTMv  (ftXoa6(foig,  (fvaixwv  doyixdxwv  sTTiiofxrj),  die  aus  dem  umfangreichen 


^)  E.  Graf,  Plutarchisches,  Entstelmngs- 
weise  der  iSymposiaca,  in  Comm.  Ribbeck. 
■  w     70. 

'^)  Volkmann,  Leben  Plut.  I,  188  ff.  sucht 
nachzuweisen,  dass  der  pseudonymc  Ver- 
fasser den  Porphyrios  benutzt  habe ;  für  die 
Echtheit  tritt  Muhl,  Plut.  Stud.  27  ff.  ein : 
gegen  dieselbe  G.  Herrmann,  Quaest.  crit. 
de  Flut.  Moralibus,  Halae  1875.  Vergl. 
Fuhr,  Rh.  M.  33,  5'Jl. 


^)  A.  ScHÄFßR,  De  lihro  X  orat.,  Dresden 
1844;  dagegen  Seeliger,  De  Dionysio  IHu- 
tarchi  auctore,  Budissae  1877.  Der  Wert 
des  Büchleins  wird  noch  erhöht  durch  den 
Anhang  inschriftlichcr  Belege. 

')  Vgl.  §  19,  Das  Büchlein  neQt  rov 
ßinv  y.cd  rrjg  nottjaeiog  '0^i]qov  ist  eine  elende 
Kompilation  aus  dem  Buche  des  Dioskurides 
über  die  Sitten  bei  Homer. 


556 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Werke  des  Philosophen  Aetios  kompiliert  sind,')  die  Schrift  von  den 
Flüssen,  gleichen  Kalibers  mit  der  unverschämten  Fälschung  der  Parallela 
minora,2)  eine  Sammlung  von  Sprichwörtern  (nfgl  tmv  naq'  'AXe^av- 
Sqevai  TtagoifiiMv),  deren  Inhalt  deutlich  auf  einen  alexandrinischen  Ver- 
fasser hinweist,^)  eine  unbedeutende  Zusammenstellung  von  Versmassen 
[ttsqX  fi^TQan),  endlich  ein  Buch  ttsqI  evysvsiag,  welches  von  einem  Fälscher 
der  Renaissance  aus  Stellen  des  Stobaios  zusammengestoppelt  ist. 

437.  Fassen  wir  zum  Schluss  die  Schriftstellerei  und  Philosophie 
unseres  Autors  zusammen,  so  war  Plutarch  einer  der  gebildetsten,  liebens- 
würdigsten, fruchtbarsten  Schriftsteller  der  Kaiserzeit,  der  mit  seiner  kolos- 
salen Belesenheit  uns  einen  wertvollen  Ersatz  für  die  vielen  und  grossen 
Verluste  bietet,  welche  die  griechische  Litteratur  der  klassischen  wie  ale- 
xandrinischen Zeit  erlitten  hat.  Aber  er  war  nicht  bloss  ein  ausgezeich- 
neter Kenner  der  klassischen  Litteratur  und  Geschichte,  er  hatte  auch  den 
Geist  echter  Humanität  und  hellenischer  Bildung  in  sich  aufgenommen  und 
in  Wort  und  That  zur  Geltung  gebracht.  Zu  feiner  Bildung  und  edler 
Sittlichkeit  gesellte  sich  bei  ihm  noch  strenges  Masshalten  in  Lob  und 
Tadel,  gemütliche  Treuherzigkeit  und  optimistische  Auffassung  aller  Ver- 
hältnisse, was  alles  zusammen  die  Lektüre  seiner  Werke  zu  einer  ebenso 
anziehenden  als  erhebenden  macht.  Aber  deshalb  war  doch  Plutarch  noch 
kein  Hellene  der  perikleischen  Epoche.  Die  spiessbürgerlichen  Verhältnisse 
seiner  Zeit  und  der  optimistische  Quietismus  seiner  Natur  Hessen  keine 
hochstrebende  Plane  und  flammende  Freiheitsgedanken  in  ihm  aufkommen. 
Die  Einseitigkeit  der  ethischen  Auffassung  verschloss  ihm  das  Verständnis 
für  fessellose  Originalität  in  Kunst  und  Poesie;  das  konservative  Festhalten 
an  dem  Überlieferten  trübte  die  Klarheit  seines  Geistes.^)  So  vermissen 
wir  an  Plutarch  wie  die  Folgerichtigkeit  des  Denkens,  so  auch  die  Kraft 
schöpferischer  Gedanken  und  können  ihn  weder  als  einen  kritischen  Histo- 
riker, noch  als  bahnbrechenden  Philosophen,  noch  endlich  als  guten  Gram- 
matiker preisen.  Auch  in  der  Form  und  in  dem  Stil  nämlich  ist  er  keines- 
wegs über  allen  Tadel  erhaben.  In  der  Sprache  vermeidet  er  zwar  mit 
Sorgfalt  den  Hiatus  und  belebt  durch  treffende  Reminiszenzen  die  Dar- 
stellung; aber  die  Dichtercitate  sind  zu  häufig,  der  weitschweifige  Satzbau 
ermangelt  der  durchsichtigen  Klarheit  und  Rundung,  die  vielen  Abstrakta 
geben  der  Rede  ein  unattisches  Gepräge.  Die  Phrasenziererei  und  gesuchten 
Antithesen  der  Rhetoren  hat  er  mit  Recht  abgelehnt,  aber  die  sprach- 
reinigenden Bestrebungen  der  Attikisten  hat  er  nur  zu  seinem  eigenen 
Nachteil  vernachlässigt.  5)  Darf  man  ihn  auch  den  Klassiker  der  römischen 
Kaiserzeit  nennen,  so  blieb  er  doch  hinter  der  ungeschminkten  Grazie  und 
der  schöpferischen  Originalität  der  klassischen  Zeit  w^eit  zurück. 


^)  DiELS,  Doxographi  graec.  p.  48. 
2)  Die     Fälschung     Dachgewiesen 


von 


Hercher  in  seiner  Ausgabe  der  Schrift. 

■')  0.  Crusius,  Ind.  lect.,  Tüb.  1887 
nimmt  eine  Überarbeitung  einer  alexan- 
drinischen Sammlung  durch  Plutarch  an. 

'*)  Plut.  Erot.  p.  756  b,  1 :  aQxeT  i)  tk'ctqio^ 
xal  naXaid  niarig,  rjg  ovx  eotiv  EineTv  oi'd"' 
uvsvQsTv  TEXjUTJQioy  svuQytoreQov. 


^)  Index  graecitatis  von  Wyttenbach* 
im  Anhang  der  Ausg.  der  Moralia.  Treff-" 
liehe  Monographie  von  Stegmann,  Über  den 
Gebrauch  der  Negationen  bei  Plutarch, 
Geesteniünde  Progr.  1882;  der  ganz  seltene 
Gebrauch  von  te  y.td  bei  Plutarch  wird  für 
die  Echtheitsfrage  verwertet  von  Führ,  Rh. 
M.  33,  584—91,  ebenso  der  Hiatus  von 
Volkmann,  Leben  Plutarchs. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,   c)  Arrian.  (§  437    438.)     557 

Codices:  Dieselben  sind  nicht  die  gleichen  zu  allen  Schriften.  In  den  Biographien 
beruht  der  kritische  Apparat  von  Sintenis  auf  Sangerman,  319  s.  X  (J),  Palatinus  283 
s.  XI,  Paris.  1671 — 6,  Barocc.  137;  einen  besseren  Zwillingsbruder  zu  Paris.  1676  entdeckte 
Hercher  in  dem  Seidenstettner  Codex  (!S),  eine  neue  Quelle  Graux  in  dem  Madrit.  55 
s.  XIV.  —  Über  die  handschriftliche  Grundlage  der  Moralia  brachte  die  beste  Beiehrung 
Treu,  Zur  Gesch.  d.  Überlieferung  von  Plut.  Moralia,  Breslauer  Progr.  1877  u.  1884,  wo- 
nach die  wichtigsten  Codices  sind  Vindob.  73,  woraus  Riccard.  45  abgeschrieben,  Ambros. 
C  195  (daraus  floss  die  Aldina),  Paris.  1671  u.  1756,  Heidelb.  153,  Marcian.  250.  - 
Eine  syrische  Übersetzung  von  ttsql  uoQytjalag  publizierte  Lagarde,  Analecta  Syriaca, 
Lips.  1858. 

Ausgaben:  ed.  princ.  apud  Aldum  1509  —  19,  besorgt  von  dem  Kreter  Dukas;  ed. 
Xylander,  Venet.  1560 — 70  mit  trefflichen  Emendationen ;  ed.  Reiske,  Lips.  1774—82. 
In  der  Pariser  Ausg.  bei  Didot  (1846-55)  besorgte  Döhner  die  Vitae,  Dübner  die  Mo- 
ralia. —  Spezialausgaben  der  Vitae  von  Koraes,  Par.  1809  -14  in  6  Bde.;  mit  kritischem 
Apparat  von  Sintenis,  Lips.  1839 — 46;  ausgewählte  Biographien  mit  deutschen  Anmerk. 
von  Siefert-Blass  bei  Teubner,  von  Sintenis-Führ  bei  Weidmann;  Demosth.  u.  Cicero  von 
Graux,  Paris  1881.  — Moralia  ed.  Wyttenbach  mit  Animadv.  in  Moral.,  Lips.  1796-1834, 
5  vol.  u.  3  vol.;  neue  kritische  Ausg.  von  Bernardakes  in  Bibl.  Teubn.  im  Erscheinen.  — 
Plut.  Moral,  selecta  (Erotic.  und  Erot.  narr.)  ed.  Winckelmann,  Turici  1836.  —  Über  Isis 
u.  Osiris,,  von  Parthey,  Berlin  1850.  —  negi  noxay.oii'  rec.  Hercher,  Lips.  1851,  rec.  C. 
Müller  in  Geogr.  gr,  min.  —  TIsqI  /novaixijg  rec.  Volkmann,  Lips.  1856;  Westphal,  Plu- 
tarch  über  die  Musik,  Breslau  1865.  —  Ein  syrisch  erhaltenes  Fragment  des  Ps.  Plutarch 
nsol  ci(iy7]a€o)g  herausgegeben  von  Gildemeister-Bücheler,  Rh.  M.  27,  520  ff. 

c.  Die  Historiker  der  g-riechischen  Wiederg-eburt. 

438.  Arrian, 0  mit  dem  vollen  Namen  Flavius  Arrianus  aus  Niko- 
media  in  Bithynien  ist  ein  Hauptvertreter  der  griechischen  Renaissance 
unter  Hadrian.  In  seinem  Leben  und  in  seinen  Schriften  bildete  er  eine 
treue  Kopie  des  Xenophon:^)  wie  jener  den  Philosophen  Sokrates  als  seinen 
Lehrer  verehrte,  so  er  den  Philosophen  Epiktet;  wie  jener  sich  nicht  die 
philosophische  Spekulation,  sondern  die  praktische  Thätigkeit  zur  Lebens- 
aufgabe stellte,  so  auch  er,  indem  er,  nachdem  er  als  Jüngling  den  Epiktet 
gehört  hatte,  ^)  in  den  praktischen  Dienst  des  Staatestrat.  Im  Jahre  130  unter 
Hadrian  zur  Würde  eines  Consul  suffectus  erhoben,  stand  er  6  Jahre  lang 
(131 — 7)  als  Legatus  Augusti  pro  praetore  der  Verwaltung  der  Provinz 
Kappadokien  vor.'*)  Im  Jahre  147  treffen  wir  ihn  als  Archen  in  Athen, ^) 
ebenda  zu  Anfang  der  siebziger  Jahre  an  der  Spitze  einer  Prytanenliste.^) 
Athen  hatte  er  sich  eben  in  dem  zweiten  Teile  seines  Lebens  zur  zweiten 
Heimat  erkoren,  um  auch  in  diesem  Punkt  seinem  geliebten  Xenophon  zu 
gleichen.  Das  Priesteramt  der  Demeter  und  Persephone,  dessen  er  in  seiner 
bithynischen  Geschichte  gedacht  hatte,  ^)  verwaltete   er   offenbar   in   seiner 


')  Ein  Artikel  des  Suidas;  Lukian,  Alex. 
2  u.  55;  Photios  cod.  58  u.  91  —  3.  Cassius 
Dio  hatte  nach  Suidas  ein  Leben  des  Arrian 
geschrieben.  Kritische  Untersuchung  über 
das  Leben  Arrians  von  Nissen,  Die  Abfas- 
sungszeit von  Arrians  Anabasis,  Rh.  M.  43 
(1888)  230—57.  Derselbe  setzt  die  Geburt 
Arrians  90—95  n.  Chr. 

■^)  Davon  heisst  er  ytog  ZEvoffwv  bei 
Suidas  und  Photios  cod.  58,  p.  17  b,  15;  vgl. 
Arrian  Cyneg.  1,  4:  o^coyvfuiog  de  wv  Bevo- 
(fiiirii  x(d  Tiökewg  ci]g  ((VTtjg  X(d  ü^ucpl  tccvtic 
i'.nn  t/eov  ianovihixojg,  xvvrjyiaia  X(d  aiQu- 
Djyiui^  xui  aocfUcy. 


^)  Schwerlich  hörte  er  den  Epiktet  in 
Rom,  wahrscheinlich  in  Nikopolis,  wohin  sich 
Epiktet  nach  der  Philosoplienvei  treibung 
des  Domitian  (94)  von  Rom  aus  begab. 

■*)  Das  Konsulat  ist  bezeugt  durch  Ziegel- 
stempel nach  BoKGHESi  Oevres  IV,  157,  die 
Verwaltung  Kappadokiens  durch  eine  In- 
schrift von  Nikomedia  in  'Flhjvixog  fxtJXA. 
III,  253  n.  5,  wo  er  voTKtQ/tjg  KanTictdoxiug 
heisst. 

•>)  CIA.,  3  n.  1110. 

6)  CIA.,  3  n.  1032. 

"')  Auch  in  der  Inschrift  von  Nikomedia 
heisst    er    leQtvg  JijfujiQog    x(d   lliQatifüi'i^g. 


558 


Griechische  Literaturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


früheren  Lebenszeit.  Zur  Zeit  der  bald  nach  180  abgefassten  lukianischen 
Schrift  Alexandros  war  er  nach  c.  2  nicht  mehr  am  Leben. 

Die  schriftstellerische  Thätigkeit  Arrians  ist  geradeso  mannigfaltig 
wie  die  Xenophons:  er  schrieb  philosophische,  historische,  militärische 
Schriften.  Die  philosophischen  waren  dem  Andenken  seines  Lehrers  geweiht; 
es  waren  die  JiazQißal  ^Etcixttjtov  in  8  B.,  von  denen  die  4  ersten 
sich  erhalten  haben,')  und  das  'EyxsiQidiov  'Etvixttjtov,  ein  leicht  fass- 
liches Kompendium  der  Moral,  das  zusammen  mit  dem  Kommentar  des 
Simplicius  auf  uns  gekommen  ist.  2) 

Von  den  historischen  Werken  ist  das  bedeutendste  die  ^Ävdßaaig 
'AXs^ävÖQov  in  7  B.  Der  Titel  wie  die  Zahl  der  Bücher  ist  dem  Xeno- 
phon  nachgebildet.  Das  Werk  enthält  aber  nicht  bloss  den  Zug  Alexanders 
gegen  das  Perserreich,  sondern  eine  vollständige  Geschichte  des  bewun- 
derten Königs  von  dem  Antritt  der  Regierung  bis  zu  seinem  Tod.  Die 
Erzählung  verrät  schon  in  ihrer  schmucklosen  Einfachheit  den  wahrheit- 
liebenden Geschichtsforscher  und  unterscheidet  sich  dadurch  vorteilhaft  von 
der  rhetorisch  aufgeputzten  Darstellung  des  Curtius.  Die  Hauptquellen, 
die  Arrian  benützte  und  getreu  wiedergab,  waren  nach  seiner  eigenen  An- 
gabe in  dem,  Proömium  Ptolemaios  und  Aristobulos,  von  denen  er  selbst 
hinwiederum  dem  ersteren  als  dem  nüchterneren  und  sachkundigeren  Ge- 
währsmann den  Vorzug  gab.^)  Ausserdem  zog  er  an  einzelnen  Stellen 
auch  den  Klitarch,  Megasthenes,  Nearch  und  Hieronymos  heran.  Mit  Selbst- 
vertrauen verweist  er  denjenigen,  der  sich  wundere,  wie  er  nach  so  be- 
deutenden Autoren  eine  neue  Geschichte  Alexanders  zu  schreiben  habe  unter- 
nehmen können,  auf  die  Lektüre  des  Werkes  selbst.  Ganz  befriedigt  wird 
es  aber  schwerlich  jemand  aus  der  Hand  legen;  in  der  Zeichnung  Alexan- 
ders ist  der  Verfasser  zu  nachsichtig  gegen  dessen  tyrannische  Natur  gewesen; 
in  dem  Glauben  an  Vorzeichen  und  Wunder  übertrifft  er  noch  die  Leicht- 
gläubigkeit Xenophons.  —  Der  Anabasis  schliesst  sich  die  'Ivdixri  in  ionischem 
Dialekte  an,  deren  Abfassung  Arrian  schon  zur  Zeit,  als  er  die  Anabasis 
schrieb,  plante.^)  Das  Buch  ist  mehr  geographischen  als  historischen  Inhaltes; 
den  Stoff  dazu  bot  dem  Verfasser  das  Studium  der  Alexandergeschichte. 
Neben  den  dort  benützten  Autoren  war  ihm  hier  noch  besonders  Eratosthenes 
zur  Hand.^)  Beide  Schriften  hat  Arrian  im  gereiften  Alter  in  den  Jahren 
166  u.  168  verfasst.^) 


')  Siehe  unten  Epiktet. 

''')  Identisch  mit  den  JiazQißai  sind 
offenbar  die  Jicds^sig  JEpicteti  ab  Arriano 
digestae,  von  denen  Gellius  XIX,  1.  14  das 
5.  Buch  anführt;  ebenderselbe  nennt  sie  I, 
2.  6  dissertationes  Epicteti  digestae  ah 
Arriano,  ähnlich  auch  XVII,  19.  2.  Auf 
die  von  Photios  cod.  58  erwähnten  'OfiiXUa 
'EnixrtJTov  in  12  B.  ist  kein  rechter  Verlass, 
da  wir  von  diesen  sonst  nichts  hören  und 
Photios  neben  ihnen  nur  noch  die  /ficagißal, 
nicht  auch  das  'Ey/siQidioy  erwähnt;  viel- 
leicht liegt  in  der  Buchzahl  eine  Verwechse- 
lung mit  den  12  B.  Selbstbetrachtungen  des 
Kaisers  M.  Aiuel  vor. 


^)  Vergl.  Anab.  V,  14.  5;    VI,   2.  4.     - 
Hauptuntersuchung    von    Alf.    Schöne,    De 


verum  Alexandri  Magni  scriptoribus,  m- 
2)rimis  Arriani  et  Plutarchi  fontibus,  Lips. 
1870,  und  Fkänkel,  Die  Quellen  der  Ale 
xanderhistoriker,  Biesl.  1883 
scHMiD,  Gesch.  Irans,  Tüb.  1888  S.  73, 
Schöne  stellt  die  paradoxe  Meinung  auf,  das 
Arrian  den  Ptolemaios  und  Aristobulos  nicht 
selbst,  sondern  nur  Überarbeitungen  der 
selben  gelesen  habe. 

^)  Anab.  V,  5.  1 :    vnsQ  ^Iv^mv  iöia  //0I 
y£yQcci}f£iai. 

•')  Anab.  ebenda. 

^)  Aus    Lukian,   g^gen    den   Anab.  VII, 


'1 
I 


n 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,     c)  Arrian.  (§  438.)     559 


Verloren  gegangen  ist  bis  auf  einzelne  Bruchstücke  die  Geschichte  nach 
Alexander  {tu  ^st'  'AXs^avöqov  in  10  B.);  ein  Auszug  derselben  steht  bei 
Photios  cod.  92.^)  Geschrieben  hatte  ausserdem  Arrian  Lebensbeschrei- 
bungen des  Timoleon  und  Dion,^)  eine  Geschichte  Bithyniens  {Bi^vviaxa 
in  8  B.)  von  den  mythischen  Zeiten  bis  auf  den  letzten  König  Bithyniens 
Nikomedes  III.  (85  v.  Chr.),^)  eine  Darstellung  der  Partherkriege  unter 
Trajan  (HccQd^ixd  in  17  B.),*)  eine  Geschichte  der  Alanen  CAXavixrj).  Aber 
alle  diese  Werke  sind  untergegangen  bis  auf  einen  kleinen  Abschnitt  des 
letztgenannten  Buches,  betitelt  Aufmarsch  der  römischen  Truppen  gegen  die 
Alanen  {sxra'^ig  xcct'  ^AXavah').  Derselbe  ist  trotz  seiner  Kürze  von  grosser 
Wichtigkeit  für  unsere  Kenntnis  der  Militärverhältnisse  jener  Zeit,  da  er 
von  den  Legionen  und  Truppenteilen,  die  damals  in  Asien  ihr  Standquartier 
hatten,  genaue  Angaben  enthält. 

Von  geographischen  Werken  des  Arrian  ist  ausser  der  bereits  er- 
wähnten 'ivSixrj  noch  ein  Periplus  des  Pontus  euxinus  auf  uns  ge- 
kommen. In  demselben  erstattet  der  militärische  Autor  an  den  Kaiser 
Hadrian  Bericht  über  die  Befahrung  der  Küste  des  schwarzen  Meeres,  die 
er  als  Proprätor  in  den  Jahren  131 — 2  vorgenommen  hatte.  —  Mit  diesem 
Periplus  des  schwarzen  Meeres  war  seit  alters  wegen  des  verwandten  In- 
haltes verbunden  ein  Periplus  des  roten  Meeres  {nsQiTiXovg  irjg  eQvO^qäg 
^aXaTTfjg),  der  die  Fahrt  durch  das  rote  Meer  um  Südarabien  herum  nach 
Vorderindien  bis  zum  Kap  Komorin  beschreibt  und  anhangsweise  auch  noch 
über  Ostindien,  den  Ganges  und  die  ferneren  Länder  Asiens  vom  Hören- 
sagen berichtet.  Aber  dieser  Periplus  hat  einen  ganz  anderen,  merkantilen 
Charakter,  weshalb  besonders  auf  die  Häfen,  in  denen  die  Kaufschiffe  an- 
legen konnten,  und  die  Pflanzen  und  Waren,  die  an  den  einzelnen  Orten 
zu  kaufen  waren,  Rücksicht  genommen  ist.  Auch  weicht  die  einförmige, 
vulgäre  Sprache  stark  von  dem  eleganten  Atticismus  des  echten  Arrian  ab. 
Geschrieben  ist  derselbe  von  einem  ägyptischen  Kaufmann  zur  Zeit  des 
älteren  Plinius,  noch  vor  Herausgabe  von  dessen  Naturgeschichte  im 
Jahre  77. 5) 

Auch  eine  Taktik  {vi^xvri  raxTixrj)  des  Arrian  ist  uns  erhalten;  die- 
selbe ist  geschrieben  im  Jahre  136  im  20.  Regierungsjahr  des  Kaisers 
Hadrian  (c.  44)  und  berührt  sich  infolge  der  gleichen  Benützung  des 
Asklepiodotos    vielfach    mit   der   unter  Trajan    verfassten  Taktik  eines  ge- 


30,  1  gerichtet  ist,  nachgewiesen  von  Nissen, 
Rh.  M.  43,  242  ff.,  der  eine  Herausgabe  der 
Anabasis  in  2  Teilen,  B.  1 — 3  und  B.  4—7, 
wahrscheinlich  macht. 

^)  Der  Auszug,  der  uns  für  die  ver- 
lorenen Werke  der  Diadochengeschichte  Er- 
satz bieten  muss,  unifasst  nur  2  Jahre  und 
bricht  mitten  in  den  Kriegsvorbereitungen 
des  Antipater  gegen  Kumenes  ab,  woraus 
ich  schliesse,  dass  das  Werk  mehr  als  10  B. 
hatte  und  dass  dasselbe  dem  Thotios  nicht 
mehr  vollständig  vorlag.  Hauptquelle  des 
Arrian  war  hier  Hieronymos  von  Kardia.  — 
Ausser  dem  Auszug  hat  neuestens  ein  grös- 
seres Fragment  im  cod.  rescr.  Vatic.  gr.  4U5 


entdeckt  und  publiziert  Reizenstf.tn,  Arriani 
TMv  /uei'  UXe'^av&Qoy  lihri  septimi  fraqm., 
in  Breslauer  Pliilol.  Abb.  Bd.  III. 

'^)  Es  waren  diese  nach  I'hot.  p.  73  b,  5 
Jugendarbeiten.  Nach  Lukian,  Alex.  2  schrieb 
er   auch    das  Leben    des  Räubers  Tilliboros. 

^)  Darüber  Phot  cod.  93 ;  die  Bithyniaka 
sind  nach  der  Anabasis  geschrieben. 

•*)  Notiz  darüber  bei  Phot.  cod.  58;  ge- 
schrieben war  sie  vor  der  Anabasis;  vergl. 
Nissen,  Rh.  M.  43,  249  f. 

''')  Dieses  ist  erwiesen  von  Dillmann, 
Monatsb.  d.  Berl.  Ak.  1879  S.  413  ff.  und 
weiter  ausgotührt  von  B.  pAinMCius  in  der 
Einleitung  seiner  Ausgabe. 


►60 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


wissen  Aeliaii.i)  Endlich  schrieb  unser  Arrian  eine  Schrift  von  der  Jagd 
{xvvrjY^]tix6g),  worin  er  eine  Ergänzung  zu  der  gleichnamigen  Schrift  des 
Xenophon  liefern  wollte. 

In  der  Schreibart  folgte  Arrian  der  Richtung  der  Grammatiker  und 
Rhetoren  seiner  Zeit,  welche  die  Rückkehr  von  den  metapherreichen  Schnör- 
keln der  Asianer  und  den  Nachlässigkeiten  der  Vulgärsprache  zur  Korrekt- 
heit und  Einfachheit  der  alten  klassischen  Muster  predigten.  Durch  deren 
Bemühungen  lebte  allerdings  wieder  die  Schönheit  der  attischen  Sprache 
auf;  aber  die  Reaktion  gegen  die  seit  Polybios  herrschende  gemeingriechische 
Sprache  {xotTtj)  hatte  auch  ihre  Schattenseiten;  sie  war  eine  gekünstelte 
und  gewaltsame,  sie  störte  den  natürlichen  Gang  der  Dinge  und  bewirkte 
eine  unnatürliche  Entfremdung  der  Sprache  der  Gebildeten  von  der  des 
Volkes,  an  der  noch  heutzutage  die  Entwicklung  der  hellenischen  Nation 
und  Sprache  leidet.  Arrian  gehörte  mit  Lukian  und  Dion  zu  denjenigen, 
welchen  die  künstliche  Wiederbelebung  der  alten  Sprache  am  besten  ge- 
lang; aber  auch  ihm  kamen  unwillkürlich  Fehler  gegen  den  attischen  Ge- 
brauch der  Modi  und  der  Präpositionen  in  die  Feder,  welche  erst  die 
schärfere  Beobachtung  der  modernen  Sprachforscher  aufgedeckt  hat.  Haupt- 
vorbild war  ihm  Xenophon,  daneben  auch  Thukydides  und  Herodot;  den 
letzten  ahmte  er  in  der  Indike  auch  im  Dialekt  nach. 2) 

Codices  für  Anab.  u.  Ind.:  Paris.  1753  u.  1683,  für  Cyneg.  u.  Peripl.  Palat.  398, 
für  Tact.  u.  Alan.  Laur.  55,  4,  für  Epict.  Bodl.  251.  Kritischer  Apparat  in  der  Gesamt- 
ausg.  von  Dübner  u.  C.  Müller,  Par.  1846,  und  von  Hercher,  Arriani  scripta  min.  der 
Bibl.  Teubn.,  neubesorgt  von  Eberhard.  —  Spezialausg.  der  Anabasis  von  Krüger,  Berl. 
1835 — 48,  2  vol.  (ed.  min.  in  usum  schol.  1851);  erklärende  Ausg.  mit  Karte  von  Sintenis 
bei  Weidmann,  von  Abickt  bei  Teubner.  —  Ejpicteteae  philosophiae  monumenta  ed.  Schweig- 
häuser, Lips.  1799,  5  vol.  —  Geographica  in  Müller,  GGM.  I,  257—401.  --  Der  Periplus 
des  erythräischen  Meeres  von  Fabricius,  Leipz.  1883. 

439.  Appian^)  aus  Alexandria  kam  unter  Hadrian  nach  Rom,  wo 
er  anfangs  als  Sachwalter  auftrat,  bis  er  durch  Vermittelung  seines  Freundes 
Fronto^)  die  ansehnliche  Stellung  eines  Prokurators,  man  weiss  nicht  ob 
in  Ägypten  oder  sonstwo,  erhielt.  Sein  Geschichtswerk  'Pco^t«ixa  schrieb 
er  um  160  n.  Chr.  Dass  wir  keine  bestimmtere  Angabe  machen  können, 
daran  ist  er  selbst  schuld,  da  er  in  seiner  Abneigung  gegen  Zahlen  im 
Proömium  seines  Werkes  nur  sagt,  dass  das  römische  Reich  nunmehr  bei 
900,  und  die  Kaiserherrschaft  bei  200  Jahre  bestehe.^)  Das  Werk  hatte 
24  B.,  und  scheint  vom  Verfasser  nicht  zum  beabsichtigten  Abschluss  ge- 
bracht worden  zu  sein,  da  er  an  2  Stellen  (Bell.  civ.  II,  18  und  V,  65) 
eine  IlaQO^ixri  ygacfifj   in  Aussicht  stellt,   die  schwerlich   ein   eigenes  Werk 


^)  R,  Förster,  Herm.  12,  426  ff.  gegen 
KöcHLY,  De  lihris  taciicis  qui  Arriani  et 
Aeliani  feruniur,  Turici  1851. 

^)  Henz,  Ärrianus  quatenus  imitator 
XenopJiontis  sit,  Rostock  1879;  E.  Meyer, 
De  Arriano  Thucydideo,  Rostock  1877; 
Grundmann,  Quid  in  elocutione  Arriani 
Herodoto  deheatur,  Berl.  Stud.  II,  177—268; 
BöHNER,  De  Arriani  dicendi  cjenere,  in  Acta 
sem.  Erlang.  IV,  1—57.  Vgl.  Schenkl, 
Jahrb.  d.  Alt.  XI,  1.  180  ff. 

^)  Phot.    cod.   57;    Suidas    u.   'JmiLapog. 


Appian,  Prooem.  15:  xlg  ds  wV  xavza  avve- 
ygaipcc,  noXXol  fiep  Xaccoi  xal  avxdg  ttqos- 
(fTjya,  ociCpiaxsQOv  d^einsTu  "Jnniayog  ^J'As- 
^apdQevg  ig  tu  ngcora  tjxmp  iv  rfj  Tjccigith, 
X(d  dly.aig  ev  'Potif^rj  avvayoQSvoag  inl  rioi 
ßaaiXiiov  ^'J&Qiayov  xcd  ^Jvxiopivov^,  ^^XQ\ 
fUE  G(p(x)v  STTiXQonsveiP  rj^idiaciv. 

^)  Fronte  ep.  ad  Antonin.  9;  griechische^ 
Briefwechsel  des  Appian  und  Fronto  bei 
Fronto  ed.  Naber  p.  244—251. 

•')  Prooem.  c.  7  u.  9. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  c)  Appian,  Dion.  (§  439—440.)     5G1 


bilden,  sondern  in  dem  letzten  Teil  der  ^Pw^ia'ixä  neben  den  Jaxixä  Platz 
haben  sollte.  Die  Anlage  des  Werkes,  über  die  sich  der  Autor  im  Proö- 
mium  ausführlich  äussert,  ist  einem  selbständigen  und  guten  Gedanken  ent- 
sprungen. Appian  hatte  eingesehen,  dass  durch  die  annalistische  Methode 
seiner  Vorgänger  das  Zusammengehörige  vielfach  zerrissen  werde,  und 
suchte  daher  nach  einer  besseren  Gruppierung  der  Ereignisse;  diese  fand 
er  in  dem  Gedanken  einer  Darstellung,  wie  die  einzelnen  Teile  des  römi- 
schen Weltreiches  allmählich  zum  Reiche  gekommen  seien.  Seine  'Pwfiaixd 
bestunden  daher  ähnlich  wie  die  Historien  des  Ephoros,  den  er  sich  zum 
Vorbild  nahm,  aus  einzelnen  Spezialgeschichten  mit  besonderen  Titeln. 
Sie  umfassten  die  ganze  römische  Geschichte  bis  auf  die  Gegenwart,  da 
das  1.  B.  die  Königszeit,  die  2  letzten  die  Unternehmungen  Traians  gegen 
die  Geten  und  Araber  enthielten.  Vollständig  auf  uns  gekommen  sind  von 
dem  vielgliederigen  Werke  nur  die  Ißr^Qixrj  (B.  6  des  Gesamt werkes), 
'Avvißaixr]  (B.  7),  yiißvxr)  (B.  8),  ^VQiaxrj  (B.  11),  MiO^QidciTsiog  (B.  12), 
^iXXvQixij  (2.  Teil  von  B.  9),  'E^nfvlia  (Bürgerkriege)  in  5  Büchern  (B.  13 — 17). 
Ausserdem  haben  wir  noch  zahlreiche  Fragmente,  umfangreichere  vom  Ab- 
schnitt über  Makedonien  (B.  9)  und  vom  letzten  Buch.  Alle  Teile  haben 
wesentlich  nur  ein  stoffliches  Interesse;  kritische  Quellenforschung  ging 
über  den  Horizont  Appians;  selbst  in  allbekannten  geographischen  Dingen, 
wie  über  den  Lauf  des  Iberus  (Iber.  c.  6),  liess  er  sich  grosse  Irrtümer  zu 
schulden  kommen.  Seine  Darstellung  erhebt  sich  nirgends  zu  höherem 
Schwung,  sein  Stil  bewegt  sich  in  dem  Alltagston  der  gewöhnlichen  Rede 
und  wimmelt  von  Latinismen. 

Ausg.  von  ScHWEiGHÄusEE,  Lips,  1785,  3  vol.  —  Krit.  Ausg.  von  Mendelssohn,  Lips. 
1881,  2  vol.;  der  Text  beruht  hauptsächlich  auf  Vat.  141.  —  Kkatt,  De  A])inani  elocu- 
tione,  Baden  1886.  —  Götzeler,  Quaestiones  in  Appiani  et  Pohjhii  dicencU  genus.  Würzb. 
1890.  —  Weitere  Litteratur  bei  Schenkl,  Jahrb.  d.  Alt.  XI,  1.  170-80. 

440.  Dion  (um  150  bis  um  235), ^)  mit  dem  vollständigen  Namen 
Cassius  Dio  Cocceianus,^)  der  bedeutendste  griechische  Historiker  der  Kaiser- 
zeit, stammte  aus  einer  vornehmen  Familie  von  Nikäa  in  Bithynien.  Einer 
seiner  Ahnen  war  der  berühmte  Redner  Dion  Chrysostomos;  sein  Vater 
Apronianus  bekleidete  unter  M.  Aurel  die  Statthalterschaft  von  Dalmatien 
und  von  Kilikien.^)  Er  selbst  kam  180  nach  Rom  und  stieg  auf  der  Beamten- 
leiter bis  zum  Prätor  (193)*)  und  zweimaligen  Konsul  empor.  Unter  Ma- 
crinus  verwaltete  er  als  Präfekt  Pergamon  und  Smyrna;'')  nach  dem 
Regierungsantritt  des  Alexander  Severus  (222)  ward  er  als  Prokonsul  in 
die  Provinz  Afrika  und  später  nach  Dalmatien  und  Oberpannonien  ab- 
geordnet.^) Nach  seinem  2.  Konsulat  (229)  ')  zog  er  sich  wegen  Kränklich- 
keit^) von  den  Staatsgeschäften  zurück  und  verbrachte  den  Rest  seines 
Lebens  in  seiner  Heimat. 


^)  Phot.  cod.  71;  Suidas  u.  J'lmv;  die 
Hauptangaben  enthalten  dio  Bücher  des  Dion 
selbst,  Einzellitteratur  bei  Schäfeu,  Quellen- 
kunde 11^  150  ff. 

'•^)  Cocceianus  hiess  er  mit  Rücksicht 
auf  seinen  Grossvater  (?)  Dion  Chrysostomos, 
der  sich  zu  Khren  seines  CJöiinors  Coccoius 
Norva  jenes  Cognomcn  beigelegt  hatte. 

Uündbuch  der  klass.  Altcrtumswisscuscbal't  VII.     ^ 


3)  Dio  49,  30 :  (19,  1 ;  72,  7. 

4)  Dio  73,  12. 
">)  Dio  79,  7. 

«)  Dio  80,  1  u.  4. 

')  Dio  80,  4  u.  CIL.  III,    r»r,87;    das    1, 
Konsulatsjahr  ist  uns  nicht  überliefert. 
**)  Dio  80.  4:  -noih^i'  uQQMajtu. 


Aufl. 


30 


►62 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Zur  Geschichtschreibung  entschloss  sich  Dion  schon  in  frühen  Jahren: 
nach  seinen  eigenen  Mitteilungen  (72,  23)  trat  er  zuerst  mit  einer  Schrift 
über  Träume  und  Wahrzeichen  ^)  hervor  und  Hess  sich  dann,  als  er  auf  die 
Widmung  eine  freundliche  und  aufmunternde  Antwort  von  Severus  erhalten 
hatte,  durch  die  Stimme  seines  Innern,  des  Daimonion  wie  er  sagt,  be- 
stimmen, die  Geschichte  des  Kaisers  Commodus  zu  schreiben.  Da  er  mit 
dieser  den  ausnehmenden  Beifall  des  Kaisers  Septimius  Severus  fand,  so  fasste 
er  den  Plan  einer  allgemeinen  römischen  Geschichte  und  zog  sich,  so  oft  es 
ihm  seine  amtlichen  Geschäfte  erlaubten,  in  die  Stille  von  Kapua  zurück,  um 
dort  den  Vorbereitungen  und  der  Ausführung  seines  grossen  Unternehmens 
zu  leben.  2)  10  Jahre  (201  —  210)  verwandte  er  auf  die  Sammlung  des 
Materials;  in  den  nachfolgenden  12  Jahren  (211 — 222)  kam  er  mit  der 
Ausarbeitung  bis  zum  72.  Buche;  den  Rest  muss  er  unter  Alexander  Se- 
verus vollendet  haben.  Von  den  beiden  anderen  Schriften,  welche  Suidas 
ihm  beilegt,  wird  die  Geschichte  des  Traian  {rd  xard  TQaiavov)  nur  ein 
getrennt  ausgegebener  Teil  der  römischen  Geschichte  und  die  Biographie 
seines  Landsmannes  Arrian  eine  Jugendarbeit  oder  eine  nebenbei  geschriebene 
Gelegenheitsschrift  gewesen  sein.  Die  'Pwft«ix/J  laroQia  hatte  80  Bücher 
und  umfasste  die  ganze  römische  Geschichte  von  der  Ankunft  des  Aeneas 
bis  zur  Regierung  des  Alexander  Severus,  genauer  bis  zum  Jahre  229. 
Erhalten  sind  uns  von  dem  grossen,  in  Dekaden  und  Pentaden  zerfallenden 
Werk  die  Bücher  36—60,  welche  die  Geschichte  von  68  v.  Chr.  bis  47  n. 
Chr.  enthalten,  also  gerade  derjenigen  Zeit,  in  welcher  sich  die  wichtigsten 
politischen  Umgestaltungen  vollzogen  und  über  die  uns  zeitgenössische  Ge- 
schichtschreiber abgehen.  Für  die  folgende  Zeit  sind  wir  auf  den  Auszug 
des  loannes  Xiphilinos  angewiesen,  der  im  11.  Jahrhundert  eine  Epi- 
tome  der  römischen  Geschichte  des  Dion  verfasste,  in  seinem  Exemplar 
des  Dion  aber  bereits  bei  Buch  70  eine  grosse  Lücke  vorfand,  durch  welche 
die  Regierung  des  Antoninus  Pius  und  die  ersten  Regierungsjahre  des  Marc. 
Aurel  bis  zum  Jahre  172  ausgefallen  sind.  Nur  die  Bücher  78  und  79 
sind  uns  noch  in  fortlaufendem  Texte,  wenn  auch  vorn  und  hinten  ver- 
stümmelt, auf  12  Pergamentblättern  des  Cod.  Vatic.  1288  erhalten.  Für 
die  ältere  Zeit  bietet  teilweisen  Ersatz  der  byzantinische  Geschichtsschreiber 
Zonaras,  welcher  in  seiner  sitiToinrj  lavogicov  die  römische  Geschichte  wesent- 
lich nach  Dion  erzählt.  Zahlreiche  und,  was  von  besonderem  Werte,  un- 
beschnittene Reste  enthält  das  konstantinische  Exzerptenwerk.  Endlich 
gehen  die  Epitomatoren  des  Mittelalters  in  ihren  Erzählungen  aus  dei 
römischen  Geschichte  zum  grössten  Teil  direkt  oder  indirekt  auf  unserei 
Dion  zurück.*^) 

Auch  von  dem  Werke  des  Dion  liegt  der  Hauptwert  in  der  stofflichei 


^)  Es  ist  das  wohl  dieselbe,  die  Suidas 
unter  dem  Namen  ev6(ha  aufzählt. 

^)  Dio  IQ,  2:  Kunvrji',  ii'  fi,  oauxig  uv 
iv  rfj  Iralla  oi'xco,  diuya)  .  .  .  h'a  a/o'/.rjf 
u7j6  Tioy  (lany.ixji^  7iQayu(hü)y  iiy(x)v  ruvra 
yQ('cipaifii. 

^)  Dieses  gilt  nicht  bloss  von  Xiphilinos 
und  Zonaras,  sondern  auch  von  Leo  gram- 
maticus,  den  Salmasischen  Exzerpten  (Ckamer, 


An.  Par.  t.  II),  dem  Anonymus  nsgl  avprcl- 
^ecog  (Bekker,  An.  gr.  117  ff.),  den  Eklogen 
eines  byzantinischen  Grammatikers  in  Cod 
Paris,  suppl.  607  (publiziert  von  Treu 
Ohlau  Progr.  1880),  den  Pianudeischen  E» 
zerpten  (mitgeteilt  von  Haupt,  Herrn.  14, 
36  ff.  u.  431  ff.).  Vgl.  SoTiRiADES,  Zur  Kritil 
des  loannes  von  Antiochia,  Jahrb.  f.  Phil| 
Suppl.  XVI. 


I 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     c)  Herodian.  (§  441.)     5G3 

Seite;  er  liefert  die  reichhaltigste  und  umfangreichste  Darstellung  der 
römischen  Geschichte  und  ist  namentlich  für  die  Kaiserzeit  und  die  Zeit 
des  Niedergangs  der  römischen  Republik  eine  Quelle  ersten  Ranges.  Seine 
Geschichte  interessiert  nicht  bloss  den  Historiker,  sondern  auch  den  Er- 
klärer Cäsars,  Ciceros,  Horaz':  aus  ihm  lernt  er  den  gallischen  Krieg  von 
einer  anderen  Seite  kennen,  erfährt  er  die  Gegenrede  des  Antonius  auf  die 
Philippica  des  Cicero,  wird  er  über  den  geschichtlichen  Hintergrund  der 
Verse  des  venusinischen  Dichters  unterrichtet.  Aber  der  Inhalt  ist  es  doch 
nicht  allein,  was  uns  das  Studium  Dions  wertvoll  macht;  der  Verfasser  be- 
sitzt auch  ein  grosses  Talent  anschaulicher  Schilderung  und  lebensvoller, 
von  militärischer  und  politischer  Sachkenntnis  zeugenden  Darstellung; ')  an 
seinem  Stil  erkennt  man  die  reife  Frucht  der  attikistischen  Studien  der 
Sophistenzeit:  er  ist  kein  affektierter  Nachahmer,  aber  in  Syntax  und  Wort- 
bildung ist  er  zur  Korrektheit  und  Schönheit  der  guten  Zeit  zurückgekehrt, 
selbst  ganze  Sätze  und  Schilderungen  hat  er  aus  seinen  attischen  Vorbildern 
in  seine  Darstellung  herübergenommen. 2)  Den  Thukydides,  der  ihm  Vor- 
bild war,  hat  er  zwar  nicht  erreicht,  aber  er  ist  ihm  in  der  Gedrängtheit 
der  Darstellung,  in  der  Sachlichkeit  der  Berichte,  in  dem  Gedankenreichtum 
der  Reden  und  Staatsdokumente  nahe  gekommen.  Auf  der  andern  Seite 
erkennt  man  den  Verfall  der  alten  Kunst  und  Urteilsgradheit  auch  bei 
Dion  an  der  abergläubischen  Beobachtung  von  Wundern  und  Wahrsagungen, 
an  der  sittlichen  Laxheit,  mit  welcher  er  die  despotischen  Willkürakte 
der  Kaiser  ohne  ein  Wort  des  Tadels  hinnimmt,  endlich  an  dem  Mangel 
psychologischen  Verständnisses  in  der  Schilderung  der  handelnden  Per- 
sonen. Von  dem  Freimut  und  der  aufflammenden  Entrüstung  des  Tacitus 
ist  vollends  bei  Dion  keine  Spur;  selbst  dem  Byzantiner  Xiphilinos  war 
manchmal  bei  seinem  Autor  die  unterwürfige  Verleugnung  des  Mannesmutes 
zu  arg. 

Cod.  Mediceus  70,  8;  Marcianus  395.  Näheres  Boissevain,  De  codicihus  Dionis, 
Mnem.  XITI,  311-45. 

Hauptausgaben  von  Reimarus,  Hamburg  1750 — 2,  2  vol.  fol.;  von  Imm,  Bekker, 
Lips.  1849,  2  vol.;  cum  not.  var.  von  Dindorf,  Lips.  18G3 — 5,  4  vol.  Eine  neue  Ausg. 
mit  kritischem  Apparat  für  die  Bibl.  Teubn.  bereitet  Melber  vor. 

441.  Herodian 3)  aus  Syrien,  verschieden  von  dem  Grammatiker 
Herodian,  gehört  dem  3.  Jahrhundert  an  und  hat  sich  wie  Arrian  und  Dion 
in  praktischer  Amtsthätigkeit  Kenntnis  der  von  ihm  erzählten  Zeitgeschichte 
erworben;  aber  eine  hervorragende  Stellung  im  Staate  nahm  er  nicht  ein; 
er  spricht  nur  von  kaiserlichen  und  öffentlichen  Diensten  [imrjQeafai  ßaai- 
hxal  xal  Srjfiiöaicci  I  2,  5),  die  er  bekleidet  habe;  ihn  mit  dem  Tl.  Claudins 
llcrodianus  Jegatus  xyrovlnciac  Siciliac  (Inscr.  lat.  5604  bei  Orelli-Henzen)  zu 
identifizieren,  sind  wir  nicht  berechtigt.  Sein  Geschichtswerk  Tt]g  f(fT(c 
\Mc\qxoi'  ßaaiXtiag  iaioQtai  in  8  B.  umfasst  die  50  Jahre  von  dem  Tode 
iM.  Aureis  bis  zum  Regierungsantritt  Gordian's  Hl.  (180 — 238)  und  erzählt 
in   redseliger   Breite   und   unter    ständigen   Reflexionen  jene   traurige    Zeit 


iH  ')  So  ist  für  die  kaiserl.  Staatsordnung 
iHeinzig  Avichtig  die  Programmrede,  welche 
lipDion  42,  14—  40  dem  Mäccn  in  den  Mund  legt. 

2)  Diese    Schattenseite    des    Dion,    die    1    dimio  rcrum  Rom.  scriptore,\\ov\x\.J)'\s^.\'6^\. 
Inatürlich     die     hisfoiischo    Treue    dessel))en    | 

30* 


bedeutend    schmälert,    wird    klargelegt   von 
Melber. 

•')  Phot.  cod.  90;   Kreutzer,  De  Hern- 


564 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


der  Palastrevolutionen  und  Militärdiktaturen.  Ganz  in  der  Betrachtung 
des  äusseren  Ganges  der  Kaisergeschichte  aufgehend,  hat  er  kein  Auge 
für  die  innere  Entwicklung  und  die  sozialen  Bewegungen,  so  dass  wir  z. 
B.  von  dem  Umsichgreifen  des  Christentums  und  von  der  Ausdehnung  des 
römischen  Bürgerrechtes  unter  Caracalla  durch  ihn  nichts  erfahren.  Er 
legt  wohl  durchweg  die  Gesinnung  eines  ehrenvollen  Mannes,  der  die  Tugend 
achtet  und  die  Treulosigkeit  verabscheut,  an  den  Tag,  aber  es  mangelt 
ihm  ganz  und  gar  der  tiefere  Blick,  der  mitten  in  der  Fäulnis  der  herr- 
schenden Klassen  die  Anzeichen  einer  nahenden  besseren  Zeit  erkennt. 
Gleichwohl  hat  seine  Geschichte  viele  Leser  und  Nachahmer  gefunden,  die 
Scriptores  historiae  Augustae  haben  sie  benützt  und  citiert,  Joannes  An- 
tiochenus  hat  ganze  Abschnitte  aus  ihr  ausgezogen. 

Herodian  ist  zuerst  durch  die  lateinische  Übersetzung  des  Politianus  (1493)  be- 
kanntgeworden. —  Hauptausgabe  mit  kritischem  Apparat  von  Mendelssohn.  Lips.  1883.  — 
Ausg.  mit  weitläufigem  Kommentar  von  Irmisch,  Lips,  1789,  5  vol.  —  Unbedeutend  und 
des  giossen  Namens  unwürdig  ist  die  Ausg.  von  F.  A.  Wolf,  Halis  1792. 


d.   Chronographen  und  historische  Sammler. 

442.  Was  sonst  unsere  Periode  an  Historikern  hervorgebracht  hat, 
gehört  zum  grössten  Teil  der  Klasse  der  Chronographen,  Lokalhistoriker 
und  Anekdotensammler  an.  Von  den  Chronographen  oder  Verfassern  sum- 
marischer Abrisse  der  Geschichte  ist  uns  nichts  vollständig  erhalten,  wes- 
halb ich  mich  auf  eine  kurze  Aufzählung  der  Namen  und  Bücher  be- 
schränken kann. 

Nikolaos  von  Damaskos,  Vertrauter  des  Königs  Herodes  und  Lehrer 
der  Kinder  des  Antonius  und  der  Kleopatra,  war  peripatetischer  Philosoph, \) 
beschäftigte  sich  aber  auch,  der  Richtung  jener  Schule  entsprechend,  mit 
historischen  Studien.  Seine  Weltgeschichte  in  144  B.^)  begann  mit  den 
Assyrern  und  Modern  und  reichte  bis  auf  die  Gegenwart.  Auslesen  aus 
den  7  ersten  Büchern  fanden  Aufnahme  in  das  Exzerptenwerk  des  Kon- 
stantinos, ebenso  Stellen  aus  seinem  Buch  über  das  Leben  und  die  Er- 
ziehung des  Kaisers  Augustus,  und  aus  seiner  Selbstbiographie.^)  Frag- 
mente bei  Müller  FHG.  III,  343-464,  und  bei  Dindorf  HGM.  I,  1  —  153. 

Ph legen  aus  Tralles,  Freigelassener  des  Kaisers  Hadrian,'*)  schrieb 
ein  vielgelesenes  Kompendium  der  Geschichte,  ^OXvuniccdeg  betitelt,  von  der 
1.  bis  zur  229.  Olympiade  in  16  B.  Von  demselben  sind  uns  mehrere 
Kapitel  durch  Pliotios  und  Synkellos  erhalten.  Vollständig  sind  seine 
kleineren  Schriften   ttsqI    Üccv^iaaiMv^)   und   nsQi   i^iaxQoßiMv^)   auf  uns  ge- 


')  Zeller,  Gesch.  d.  gr.  Phil.  IIP,  1. 
029.  Über  sein  Kompendium  der  aristo- 
telischen Philosophie  s.  Diels,  Doxogr.  84 
An.  1  lind  oben  §  309;  ferner  §  301  über 
seine  mutmassliche  Autorschaft  an  dem  ps.- 
aristotelischen  Buch  tteql  xoa^ov. 

2)  So  viele  Bücher  bei  Ath.  '249  a;  Suidas 
gibt  nur  80  B.  an. 

^)  Auch  eine  aiwuyioyrj  nccQaJ'o^ioi^  iS^ooi^, 
sowie  Tragödien  und  Komödien  schrieb  er; 
von  letzteren  ein  Fragment  bei  Stobaios 
Flor.  14,  7. 


^)  Nach  Suidas  gaben  ihn  andere  irr- 
tümlich für  einen  Freigelassenen  des  Au- 
gustus aus, 

^)  Dieselben  sind  aufgenommen  in  Westek- 
mann's  Paradoxogr,  gr,;  aus  dem  1,  Kapitel 
entnahm  Goethe  den  Stoff  zu  seiner  Braut  von 
Korinth, 

^)  Dieselbe    ist   eine    dürre    Aufzählung 
der  Leute,    welche   über    100  Jahre   alt   ge- 
worden waren,  nach  den  Censuslisten;  über  I 
die  Verwandtschaft    des  Büchleins   mit  dem 
gleichbetitelten  des  Ps,  Lukian  siehe  §  489. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,    d)  Chronographen.  (§  442.)     565 

kominen.')  Auch  eine  periegetische  Schrift  verfasste  er  nfgl  roh'  naQcc 
'Po)/iiai'oig  10710)1'  xal  d)v  fTTixixhjvzai  ovofxccTMv.  Fragmente  bei  Müller 
FHG.  III,  602-624. 

Kephalion,  Rhetor  und  Historiker  unter  Hadrian,  ahmte  den  Herodot 
nach  und  schrieb  in  ionischem  Dialekt  TlartoSaTTai  IcfroQi'ai  bis  auf  Ale- 
xander in  9  nach  den  Musen  benannten  Büchern.  Fragmente  bei  Müller 
FHG.  III,  626—631. 

Amyntianus  war  Verfasser  einer  an  Antoninus  Pius  gerichteten 
Geschichte  Alexanders  d.  Gr.,  über  die  Photios  Cod.  131  in  abfälliger 
Weise  berichtet.  Derselbe  hatte  nach  Photios  auch  Bi'oi  TTagäXXrjXoi,  wie 
des  Dionysios  und  Domitian,  des  Philippos  und  Augustus,  geschrieben.  In 
den  Scholien  zu  Pindar  Ol.  3,  52  wird  von  ihm  auch  eine  Schrift  über 
Elephanten  angeführt. 

Charax,  Priester  und  Philosoph  aus  Pergamon,  über  dessen  Zeit 
schon  Suidas  nichts  bestimmtes  wusste,  wird  von  Müller  FHG.  III,  636 
mit  dem  Charax  bei  M.  Aurel  VIII,  25  identifiziert.  Derselbe  war  Ver- 
fasser von  ^EXXrjVixd,  'iraXixä,  XQorixä,  welche  besonders  eingehend  die 
mythische  Zeit  behandelten  und  häufig  von  Stephanos  Byz.  sowie  von  den 
Byzantinern  Lydos  und  Eustathios  angeführt  werden.  Fragmente  bei 
Müller  FHG.  III,  636-645. 

Dexippus,  mit  vollem  Namen  Tl.  ^Egswiog  /ItS^nrnoq  TlroXf-iiaiov 
EQfieiog^'^)  war  eine  der  glänzendsten  Gestalten  des  niedergehenden  Griechen- 
tums (um  210—273).  Durch  historische  und  rhetorische  Studien  vielseitig 
in  Anspruch  genommen,  verabsäumte  er  doch  nicht  die  Pflichten  des 
Bürgers.  Er  bekleidete  die  Amter  eines  ccqxoiv  ßaaiX^vg  und  aQxoiv  inM- 
rvfiog  in  seiner  Vaterstadt  Athen,  und  als  dieselbe  im  Jahre  267  von  den 
Goten  schwer  bedrängt  wurde,  wusste  er  durch  beredte  Worte  seine  Mit- 
bürger zur  tapferen  Gegenwehr  zu  entflammen.  Schon  zuvor  hatten  ihm 
die  Bürger  zum  Lohn  für  seine  Verdienste  um  die  Stadt  die  höchsten 
Ehren  erwiesen  und  ihm  ein  Standbild  gesetzt,  dessen  Basis  mit  der  In- 
schrift noch  erhalten  ist.  Seine  historischen  Werke  waren:  Td  /mid  'AXt- 
'^avÖQov  in  4  B.,  2xvOixd  (von  den  Gotenkriegen  im  3.  Jahrhundert),  Xqo- 
nxd  in  12  B.  bis  auf  Kaiser  Claudius  II  (270).  Die  gedrängte  Darstellung 
verschaffte  seinen  Werken  grosse  Verbreitung  bei  den  Zeitgenossen  und 
Nachkommen.  Von  den  Chronika  schrieb  im  4.  Jahrhundert  Eunapios  eine 
Fortsetzung,  in  der  er  eingangs  eine  Charakteristik  seines  Vorgängers  gibt. 
Verschieden  von  dem  Historiker  war  der  Philosoph  Dexippos,  von  dem 
ein  Kommentar  zu  den  Kategorien  des  Aristoteles  auf  uns  gekommen  ist. 
Derselbe  lebte  nach  seinen  eigenen  Worten  in  der  Einleitung  des  Kom- 
mentars nach  dem  Neuplatoniker  lamblichos  im  4.  Jahrhundert. 

Fragmente  bei  Müller,  FHG.  III,  666—687;   Dindorf,  HGM.  I,  165     200;    Böhme, 


')  Ruidas    führt    von  Plilcgon    noch    an:  I  säule    CIG.    380  =  CIA.    III,    716  =  Kaihcl, 

txffQuaig  lixeliKc:,  rif^l   iwr  TiciQu  'PM/uaiatg  v\).  gr.  n.  878  und  die  kleineren  Insclirit'ten 

toQTojy.  {  CIA.    III,    714,  717,    70'';    s.  DiTTENUKiUii:«, 

2)  Ausser    dem    Artikel    des  Suidas    be-  j  Die  attische  Panathenaidenära,  in  Coninient. 

lehren  uns  Photios  cod.  82  und  mehrere  In-  in  hon.  Momms.  245—53,  und  Busse,  Herrn. 

Schriften,    namentlich    die    grosse    in    Prosa  j  23  (1888)  S.  402     \). 

und  Vers  abgefassto  Aufschrift  seiner  ?]hren-  | 


56G  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

Dexippi  fragin.,  in  Commcnt.  pliil,  Ten.  11,  1—88,  —  Die  ed.  princ.  des  aristotelischen 
Kommentars  besorgte  L.  Spengel,  München  1859;  eine  neue  Bearbeitung  Busse  in  Com- 
nient.  in  Arist.  t.  IV,  2,  Berl.  1889. 

Auf  die  durch  den  Kirchenvater  Eusebios  erhaltene  'OXv^7rMo)v  dva- 
YQccifi]  des  Presbyter  Julius  Africanus  werde  ich  unten  bei  Eusebios 
zurückkommen. 

4:43.  Die  Lokal-  und  Spezialgeschichte,  die  bei  den  Gelehrten 
des  alexandrinischen  Zeitalters  in  besonderer  Blüte  gestanden  war,  fand 
auch  in  unserer  Zeit  noch  in  den  Kreisen  der  Grammatiker  und  Gelehrten 
manche  Liebhaber.  Verfasser  von  Spezialgeschichten  über  Italien,  Make- 
donien, Böotien,  Arkadien,  Galatien,  Afrika,  zählt  in  Unmasse  Ps.  Plutarch 
in  dem  Buche  tisqI  7TaQalhjXo)v  iXXtjrixcov  xal  Qw}icäaMv  auf.  Da  aber  die 
Treue  und  Verlässigkeit  jenes  Schreibers  sehr  zweifelhaft  ist,  so  übergehe 
ich  die  Namen  und  Buchtitel  jener  Schrift  und  führe  nur  einige  Lokal- 
schriftsteller an,  von  denen  wir  sichere  Kunde  haben: 

Hippost ratos  o  to.  ttsqI  ^ixsh'ag  ysveaXoyMv  behandelte  in  seinen 
Sikelika^)  die  ältere  Geschichte  Sikiliens  und  die  in  Sikilien  zu  Ansehen 
und  Herrschaft  gelangten  Geschlechter.  Er  war  eine  Hauptquelle  der 
Pindarscholiasten  und  gehörte  wahrscheinlich  noch  der  vorausgehenden  Pe- 
riode an,  da  die  betreffenden  Schollen  (zu  0.  2,  8  und  16;  P.  6,  4;  N.  2,  1) 
auf  Didymos  zurückzugehen  scheinen. 2)  Jedenfalls  lebte  er  vor  Hadrian, 
da  Phlegon,  Mirab.  30  eine  Schrift  über  Minos  von  ihm  citiert.  Fragmente 
bei  Müller  FHG.  HI,  432—3. 

Ein  verwandtes  Werk  des  Polemon,  über  die  wunderbaren  Flüsse 
Sikiliens,  wird  von  Macrobius,  Saturn.  V,   19  angeführt.-'*) 

Memnon  aus  Heraklea,  der  sicher  nach  Cäsar,  vermutlich  in  der 
hadrianischen  Zeit  lebte,  war  Verfasser  der  gerühmten  Spezialgeschichte 
des  pontischen  Heraklea  in  mehr  als  16  B.  Wir  kennen  das  Werk  aus 
dem  Auszug,  welchen  Photios  cod.  224  von  den  Büchern  9 — 16  (von  363  —46 
V.  Chr.)  gemacht  hat.'*) 

444.  Von  historischen  Sammelschriften  ist  uns  das  Buch  des 
Polyän  (noXvairog)  über  Kriegslisten  erhalten.  Derselbe  blühte  in  Rom 
unter  M.  Aurelius  und  L.  Verus  und  widmete  diesen  Kaisern  die  bis 
auf  eine  Lücke  im  6.  und  am  Ende  des  7.  Buches  erhaltenen  iTgarrj- 
yr'jfiaTa  in  8  Büchern.  Die  von  Suidas  erwähnten  Schriften  desselben 
Autors  über  Theben  und  über  Taktik  sind  spurlos  verloren  gegangen. 
In  dem  erhaltenen  Werk  gibt  der  Verfasser  mit  der  Feder  mehr  eines 
witzigen  Rhetors^)  als  eines  kritischen  Historikers  oder  erfahrenen  Kriegs- 
mannes  eine  Zusammenstellung  von  900  Kriegslisten.  Mit  Vorliebe  ver- 
weilt er  bei  Beispielen  der  griechischen  Geschichte;  des  Lateins  we- 
niger kundig,*^)  hat  er  mit  Schilderungen  römischer  Kriegslisten  nur 
einen  Teil  des  8.  Buches  gefüllt.     Die  Geschichte   der   letzten   2  Jahrhun- 

^)  i.  n  7.  Buch  angeführt  in  Schol.  Find,   j  ^)  Im  Proömium  des  8.  Buches  sagt  er 


0.  2,  8. 

^)  Schol.    Theoer.    6,    40:    (og    ol   tjsqI 
InnöoTQcaov  ui^ciqjcdvovoiy. 

^)   Über    den  gleichfalls  von    Macrobius 
angeführten  Kallias  siehe  §  357. 
'  4)  Vgl.  Müller  FHG.  Ill,  525. 


selber  von  sich:    nQocciQeasi   ßiov    xcd  Xoyov 
^lyMvixov  /QOj^Evog. 

6)  Den  lateinischen  Verfasser  von  Kriegs 
listen,    den    Frontin,    hat    er   nicht   benütztj 
auch    Cäsars    Kommentare     des     gallischen' 
Krieges  sah  er  zu  8,  23  nicht  ein. 


1 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   e)  Geographen.  (§  443—445.)     567 

derte  seit  Augustus  ging  bei  ihm  fast  ganz  leer  aus,  wahrscheinlicli  weil 
hier  dem  rasch  arbeitenden  Jünger  der  Sophistenschule  keine  leicht  zu- 
gänglichen ^Vorlagen  zu  Gebote  stunden.  Der  Anordnung  des  reichen  Stoffes 
liegt  kein  klarer,  konsequent  festgehaltener  Plan  zu  grund,  doch  lassen 
sich  immerhin  für  einzelne  Bücher  leitende  Gesichtspunkte  erkennen.  So 
ist  das  4.  Buch  ganz  den  Kriegskünsten  der  Makedonier,  seiner  Landsleute, 
gewidmet;  in  dem  siebenten  stehen  die  Strategemata  der  Barbaren,  in  dem 
ersten  Teil  (c.  1—25)  des  achten  die  der  Römer,  im  zweiten  die  der  Frauen, 
im  sechsten  sind  die  Kriegslisten  ganzer  Volksstämme  und  Städte  zusammen- 
gestellt. Grosse  Mühe  hat  dem  Verfasser  die  Arbeit  sicher  nicht  gekostet; 
er  scheint  das  Material  wesentlich  nur  aus  älteren  Sammlungen  und  aus 
den  gangbarsten  Universalgeschichten  von  Ephoros  und  Nikolaos  zusammen- 
gebracht zu  haben;  wie  weit  er  darüber  hinaus  auch  die  grossen  Spezial- 
werke  der  griechischen  und  sikilischen  Geschichte  einsah,  ist  strittig.  Von 
seiner  Gedankenlosigkeit  zeugen  die  zahlreichen  Dubletten,  indem  er  oft 
eine  Kriegslist,  weil  er  sie  in  verschiedenen  Quellen  verschieden  dargestellt 
fand,  für  zwei  ausgab;  bedenklich  sind  auch  seine  Verwechselungen  gleich- 
namiger, aber  verschiedener  Männer,  wie  des  makedonischen  Königs  Per- 
dikkas  und  des  gleichnamigen  Kampfgenossen  Alexanders  (IV,  10).  So  ent- 
hält das  Werk,  wie  Niebuhr,  Kl.  Sehr.  I,  454  treffend  bemerkte,  einen  Schatz 
wichtiger  Nachrichten,  der  zur  Verwertung  aber  strenger  Sichtung  bedarf. 

Hauptcodex  ist  der  Laurent.  50,  1;  ausserdem  eine  brauchbare  Epitome  in  Laur. 
55,  4.  —  Ausgabe  mit  Noten  von  Casaubonus,  LB.  1589.  Textesausg.  in  Bibl.  Teubn.  von 
WöLFFLiN,  neubearbeitet  von  Melber.  —  Sorgfältige  Quellenuntersuchung  von  Melber, 
Über  Quellen  und  Wert  der-  Strategemensammlung  Polyäns,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIV, 
417 — 688,  und  von  Knott,  De  fiele  et  fontibus  Volyaeni,  Lips.  1883,  welch'  letzterer  den 
Kreis  der  selbstgelesenen  Quellenwerke  des  Polyän  auf  ein  Minimum  reduziert. 

e.  Die  Geographen. 

445.  Die  Erdkunde  hat  in  der  römischen  Zeit  an  und  für  sich  infolge 
der  Erweiterung  der  römischen  Herrschaft  und  der  wissenschaftlichen  Ver- 
messung des  ausgedehnten  Reiches  bedeutende  Fortschritte  gemacht;  die 
Hauptbedeutung  aber  unserer  Periode  für  die  geographische  Wissenschaft 
besteht  darin,  dass  uns  aus  ihr  umfassende  Werke  auch  erhalten  sind.  Unter 
diesen  nimmt  die  erste  Stelle  die  Geographie  des  Strabon  ein. 

Strabon  (um  (33  v.  Chr.  bis  19  n.  Chr.)  ^)  hatte  wie  sein  Vorgänger  Aga- 
tharchides  geographische  Studien  mit  historischen  verbunden  und  war  auf 
beiden  Gebieten  schriftstellerisch  hervorgetreten;  die  Geographie  selbst  be- 
zeichnet er  im  Eingang  seines  geographischen  Werkes  nur  als  einen  Teil  der 
Philosophie,  womit  es  in  Einklang  steht,  dass  er  von  Suidas  und  Stephanos 
Byz.  u.  Uficcasia  als  stoischer  Philosoph  aufgeführt  wird.  Geboren  war  er  zu 
Amaseia,  einer  Stadt  der  Provinz  Pontos,  aus  einer  vornehmen  griechischen 
Familie.  Als  elüngling  hörte  er  in  Nysa  am  Mäander  den  Grammatiker  Aristo- 
demos,  Sohn  des  Aristarcheers  Menekrates;'^)  mit  dem  PeripatetikerXenarchos-') 


^)  Ein  Artikel  des  Suidas;  Hasenmüller, 
De  S'trdbonis  vitd,  Bonn  18()3;  Niese,  Beitr. 
zur  (jleoi^raphic  Strabos,  Herrn.  13,  33  ff.  u. 
Rh.  M.  38,  T)!!?  ff.,  42,  UU\)  {\.  Auf  CH  v.  Chr. 
setzt  das  (Jeburtsjahr  P.  Meyer,  Leipzig.  IStud. 


IL  47  ff. 

'^)  Strab.    p.   (150:    '.iQKTTo^/jfjov    (ht/Xov- 

rrj  Nt'orj. 

^)   Wenn  JStrabon  trotzdem  JStoiker  heisst, 


568 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


und  dem  Grammatiker  Tyrannion,  die  er  ebenfalls  gehört  hatte/)  scheint 
er  erst  in  Rom,  kurz  vor  des  letzteren  Tod  (26  v.  Chr.)  2)  zusammen- 
gekommen zu  sein.  Nach  Rom  reiste  er  fast  zur  selben  Zeit  wie  der  Rhetor 
Dionysios,  bald  nach  Beilegung  der  Bürgerkriege  im  Jahre  29;  den  Weg 
dahin  nahm  er  über  die  Kykladen  und  Korinth.-^)  Bald  darauf  aber  (26) 
verliess  er  wieder  Rom,  um  im  Gefolge  des  Aelius  Gallus,  den  Augustus 
im  Jahre  24  zum  Befehlshaber  der  Expedition  gegen  die  Araber  aufgestellt 
hatte,  Ägypten  von  Alexandria  bis  Philä  zu  bereisen. *)  Nach  dem  unglück- 
lichen Ausgang  des  Feldzugs  kehrte  er  nach  Rom  zurück;  über  weitere 
Reisen,  die  er  später  von  Rom  aus  unternahm,  fehlen  uns  bestimmte  Angaben; 
er  selbst  sagt  p.  117  nur  im  allgemeinen,  er  habe  die  Erde  von  Armenien 
bis  Sardinien  und  vom  Euxinus  bis  zu  den  Grenzen  Aethiopiens  besucht. 
Sein  Leben  erstreckte  sich  bis  in  die  Regierungszeit  des  Tiberius  hinein; 
er  überlebte  nicht  bloss  den  Sturz  der  Marbod,  sondern  auch  den  Tod  des 
Königs  Juba  von  Mauretanien.'^) 

446.  Das  frühere  Werk  des  Strabon,  worauf  er  in  seiner  Geographie 
wiederholt  (p.  13.  70.  515)  Rücksicht  nimmt,  hatte  den  Titel  'FTro/n^^'/mr« 
l(TTOQix(x  und  umfasste  43  oder  47  Bücher.  Dieselben  behandelten  in  zwei 
Abschnitten  die  Zeit  vor  und  nach  Polybios,^^)  die  erstere  nur  in  allgemeinen 
Umrissen,  die  letztere  in  grosser  Ausführlichkeit.  Das  Werk  ging  bis  auf 
die  Gegenwart,  sicher  bis  zum  Jahre  38  v.  Chr.  herab.  Den  Verlust  des- 
selben müssen  wir  doppelt  beklagen,  nachdem  auch  die  einschlägigen  Partien 
der  römischen  Geschichte  des  Livius  verloren  gegangen  sind.')  Als  Quellen 
benützte  er  wesentlich  die  gleichen  Bücher  wie  in  der  Geographie,  vor- 
nehmlich also  die  Geschichtswerke  des  Poseidonios,  Apollodoros,  Theophanes. 

Das  erhaltene  Werk,  die  rfoyyQcccpixd  in  17  B.,  behandelt  in  B.  1  und  2 
die  physikalisch-mathematische  Geographie,  in  B.  3 — 10  die  Geographie 
Europas,  in  B.  11  — 16  die  Asiens,  in  B.  17  die  Afrikas.  Das  Ganze  ent- 
hält die  Frucht  langjähriger  Studien  und  ist  erst  allmählich  unter  Tiberius 
gereift  und  ans  Licht  getreten;  zum  vollständigen  Abschluss  scheint  das- 
selbe nicht  gekommen  zu  sein.^)     Das  4.  Buch   und   somit   wenigstens  die 


so  muss  dieses  daher  kommen,  dass  er  sich 
in  seinen  Anschauungen  am  meisten  dem 
Stoiker  Poseidonios  anschloss,  auf  den  er  ja 
auch  beständig  in  seiner  Geographie  zurück- 
kommt. 

')  Strab.  p.  548  u.  070,  wo  er  beides- 
mal  den  Ausdruck  ijyQoaauf^sx^a   gebraucht. 

'^)  Suidas  Jässt  ihn  sterben  6X.  Qiif  ev 
7(0  y  hei,  wo  statt  des  verderbten  i  Flach  n 
geschrieben  hat. 

'•')  Strab.  p.  118.  879.  485.  Nach  seiner 
Aussage  p.  381  über  das  Gemälde  des  Ari- 
stides  im  Demetertcmpel  müsste  er  schon  vor 
81,  wo  nach  Dion  50,  10  jener  Tempel  ab- 
branntCj  in  Rom  gewesen  sein. 

■*)  Strab.  p.  806  u.  816;  vgl.  Schröter, 
De  Strahonis  itinerihus,  Lips.  Diss.  1874; 
P.  Meyer,  Straboniana,  Grimma  Progr.  1890. 

■')  Strab.  p.  290  und  p.  828. 

^)  Suidas  in  dem  Artikel  nolvßiog :  eygccipe 
tff  xal   IiQußiov  TU  ^U8T((   JloXvßioi'  EP  loyoig 


/Liy.  Nach  Strabon  p.  515  war  das  6.  Buch 
der  Hypomnemata  das  2.  rwr  juerd  UoXvßiov, 
woraus  sich,  wenn  r«  ^ueto.  Ilokvßioy  43  B. 
umfassten,  für  das  Ganze  47  B.  ergeben. 
Vor  Strabon  war  schon  aus  der  benachbarten 
kleinasiatischen  Stadt  Aniisus  ein  Historiker 
hervorgegangen,  der  von  Strabon  oft  an- 
geführte Hypsikrates. 

')  Die  Fragmente  bei  Müller  FHG.  III, 
490 — 4.  Interessant  ist  darunter  eine  durch 
losephus,  Ant.  lud.  14,  7  uns  erhaltene  Notiz 
über  die  Juden:  juctQTVQeT  IrQÜßiov  .  .  .  uvxtj 
ö'e  (sc.  ij  TMP  'lovd(ii(x)v  ardaig)  sig  näoav 
TTohi'  ij^^]  nccQehjXvy^Ei  xal  töjiop  ovx  eotiv 
evqeTv  jrjg  oixov^uE'i'tjg,  6g  ov  TiaQaÖEifEy.Tca 
rovTo  t6  (pvlov  fj.7]6"'  inixQccrehca  vn'  ca'rov. 
Über  die  Aufnahme  des  jüdischen  Jahve 
unter  die  altgriechischen  Götter  unter  dem 
Namen  ^t(ui)  s.  Buresch,  Klares  S.  48  ff. 

*^)  Metneke,  Vind.  Strab.  p.  81 :  ita  enim 
existiino,    geoijraphumena    sua    Straboticm 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     e)  Geographen.  (§  446.)      569 


4  ersten  Bücher  wurden  nach  dem  ausdrücklichen  Zeugnis  des  Autors  p.  206 
im  Jahre  18  n.  Chr.  veröffentlicht;  i)  aber  das  17.  Buch,  in  welchem  p.  828 
der  Tod  des  Königs  Juba  und  der  Regierungsantritt  seines  Sohnes  Ptole- 
maios  erwähnt  ist,  führt  uns  noch  etwas  weiter  herab.-')  Über  seine  Vor- 
studien und  Quellen  hat  er  sich  p.  117  f.  im  allgemeinen  ausgesprochen. 
Danach  hatte  er  selbst  die  Empfindung,  dass  er  für  einen  Geographen  oder 
Beschreiber  der  Erde  eigentlich  zu  wenig  von  der  Erde  gesehen  habe.  Er 
entschuldigt  sich  wegen  dieses  Mangels  zunächst  damit,  dass  auch  die  früheren 
Verfasser  geographischer  Werke  in  dieser  Beziehung  nichts  vor  ihm  voraus 
hätten;  er  versichert  aber  des  weitern  dann,  dass  er  sich  über  Länder, 
welche  zu  sehen  ihm  selbst  nicht  vergönnt  gewesen  sei,  bei  andern,  die 
sie  gesehen  und  darüber  geschrieben  hätten,  sorgfältig  erkundigt  habe. 
Jene  andern  ^)  waren  aber  ausser  seinen  nächsten  Gewährsmännern,  den 
Geographen  Eratosthenes  und  Artemidoros,  der  Grammatiker  Apollodor 
aus  Athen,  dem  er  hauptsächlich  in  der  Geographie  Griechenlands  folgte,^) 
Apollodoros  aus  Artemita  in  Assyrien,  Geschichtschreiber  der  Parther- 
kriege, den  er  p.  118  als  seine  Hauptquelle  für  die  Länder  Hyrkanien  und 
Baktrien  bezeichnet,  Megasthenes,  Nearch  und  Onesikritos,  aus  denen  er 
ganze  Seiten  über  die  Völker  und  Bewohner  Indiens  ausschrieb,-'')  Theo- 
phanes  aus  Milet,  dessen  Geschichte  der  Feldzüge  des  Pompeius  ihm  in  der 
Geographie  Armeniens  und  anderer  Teile  Kleinasiens  Führerin  war,^)  Po- 
lybios  und  Poseidonios,  die  er  in  allen  Teilen  seines  Werkes  mit  Vorliebe 
berücksichtigt,  denen  er  aber  insbesondere  die  Kenntnis  von  Spanien  und 
dem  Keltenland  verdankte,^)  endlich  Antiochos,  dessen  alte  Nachrichten  über 
Sikilien  und  Unteritalien  er  von  neuem  zu  Ansehen  brachte.  Römische  Autoren 
hat  er,  vielleicht  weil  er  der  lateinischen  Sprache  doch  nicht  so  ganz 
mächtig  war,  weit  weniger  benützt.  Er  kennt  zwar,  was  ja  auch  selbst- 
verständlich war,  die  Reichsvermessungen  des  Agrippa,^)  und  erwähnt 
ausser  Cicero  auch  einmal  die  Kommentare  Cäsars  vom  gallischen  Krieg 
(p.  177),  die  Annalen  des  Coelius  Antipater  (p.  230),  die  Historien  des 
Asinius  (p.  193),  das  Geschichtswerk  des  Dellius  über  den  Feldzug  des 
Antonius    gegen    die  Parther  (p.  523),    drückt   sich   aber  im  übrigen  sehr 


imperfecta  reliqimsc  neque  ad  cam  compo- 
silionis  speciem  ahsoluta,  quam  ipse  animo 
praeformatam  hahuit. 

^)  Nach  der  angeführten  Stelle  p.  206 
Avnr  es  damals  dcis  133.  Jahr,  seit  die  Alpen- 
völker durch  Drusiis  und  Tiberius  unter- 
worfen worden  waren  (15  v.  Chr.),  was  uns 
eben  auf  das  J.  18  n.  Chr.  führt.  Dazu 
stinjmen  auch  die  Angaben  im  G.  Buch  p.  288. 

2)  Der  Tod  des  Juba  ist  auf  23  n.  Chr. 
gesetzt  von  Müller,  Niunism.  de  V  ancienne 
Afrique  III,  113  ff".  Die  Dichtigkeit  dieses 
Ansatzes  bestreitet  Niese,  Herrn.  13,  35.  in- 
dem er  den  Juba  früher  sterben  lässt,  so  dass 
das  ganze  AVerk  des  Strabon  in  den  Jahren 
18  und   19  n.  Chr.  niedergeschrieben  sei. 

•')  Heeren.  De  fontd)iif<  (leoifraphiae 
Strahonis,  Clott.  1823  genügt  dem  lieutigcn 
Standpunkt  der  (Quellenforschung  nicht  mehr. 

4)  Niese,  Rli.  M.  32,  2(17  iW'u.  Herrn.  13, 


42  weist  nach,  dass  Strabon  von  Griechen- 
land nur  Korinth  aus  eigener  Anschauung 
kannte  und  das  meiste  in  B.  8—10,  zum 
Teil  auch  in  12  — 14  dem  Kommentar  des 
Apollodor  zum  homerischen  Schiftskatalog 
entnahm. 

5)  A.  Miller,  Die  Alexandergeschichte 
nach  Strabo,  Würzburg  1882. 

^)  Neumann,  Strabons  Landeskunde  von 
Kaukasien,  in  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  Xlll, 
319-54;  Fabricius,  Theophanes  von  Myti- 
lene  und  Q.  Dellius  als  Quellen  der  Geo- 
graphie Strabons,  Strassb.  1888,  Hauptwerk. 

')  Zimmermann,  Quibuft aiictoribus  Strabo 
in  libro  tertio  usus  sit,  Halle  1883  und  Herm. 
23,  103—30;  Wilkens,  De  Strabonis  verum, 
(hdticarum  fonfibus,  Marl).   1880. 

'^)  Strab.  p.  208:  die  Thaten  des  Agrippa 
zu  erwähnen,  benutzt  ohnehin  Strabon  jede 
Gelegenheit. 


570 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


unbestimmt  über  seine  Gewährsmänner  in  der  römischen  Geschichte  aus. 
Übrigens  darf  man  auf  der  anderen  Seite  aus  Strabons  Citaten  noch  nicht 
sofort  schliessen,  dass  er  die  citierten  Bücher  auch  selbst  gelesen  habe: 
den  Pytheas,  Sosikrates,  Demetrios  von  Skepsis  und  selbst  den  Eudoxos 
scheint  er  nur  aus  den  Werken  anderer,  besonders  seiner  Hauptgewährs- 
niänner,  Apollodor,  Polybios,  Artemidor,  gekannt  zu  haben. 

Strabon  galt  den  Alten,  wenn  er  auch  erst  spät  zur  allgemeinen  An- 
erkennung kam,^)  als  der  Geograph  xar'  s'^oxr'jv,  und  sein  Werk  bezeichnet 
am  deutlichsten  den  Standpunkt,  welchen  die  Geographie  im  Altertum  ein- 
nahm. Von  den  Anforderungen,  die  wir  heutzutag  an  eine  Erdkunde 
stellen,  ist  dasselbe  freilich  weit  entfernt:  Strabon  war  wohl  ein  unterrichteter, 
vielseitig  gebildeter  Mann;  er  war  auch  ein  aufgeklärter  Kopf  und  hatte 
Sinn  für  landschaftliche  Beobachtung;  aber  er  fasste  einerseits,  wie  er  gleich 
in  dem  Proömium  kundgibt,  die  Geographie  allzusehr  von  dem  Gesichtspunkt 
der  praktischen  Nützlichkeit  auf,  und  verrät  anderseits  überall  mehr  den  Buch- 
gelehrten, als  den  wissenschaftlichen  Naturbeobachter.  Leser,  die  bei  den  mo- 
dernen Geographen  in  die  Schule  gegangen  sind,  werden  namentlich  an  den 
vielen  und  langen  Exkursen  über  Homerinterpretation  Anstoss  nehmen.  Die 
hängen  nun  freilich  damit  zusammen,  dass  die  geographische  Wissenschaft 
der  Alten  sich  an  der  Homerexegese  der  Grammatiker  emporgerankt  hat; 
aber  Strabons  Geographie  Griechenlands  sieht  geradezu  wie  ein  Kommentar 
zu  Homer  aus  und  ist  in  der  That  in  mehreren  Partien  wesentlich  aus  den 
Kommentaren  des  Grammatikers  Apollodor  zu  dem  homerischen  Schiffs- 
katalog hervorgegangen.  Ebenso  vermissen  wir  bei  Indien  und  dem  öst- 
lichen Asien  eigene  Beobachtungen  und  Erkundigungen  bei  neueren  Rei- 
senden, für  deren  Mangel  uns  die  massenhaften  Notizen  aus  den  Geschichts- 
schreibern Alexanders  einen  nur  ungenügenden  Ersatz  bieten.  Kurz  die  ganze 
Geographie  Strabons  trägt  eine  historische  Färbung  und  zeigt  uns  mehr  den 
Untergrund  der  Vergangenheit  als  das  Licht  der  Gegenwart.^)  Aber  immerhin 
hat  er  eine  Fülle  wichtiger,  speziell  für  uns  Philologen  wichtiger  Nachrichten 
mannigfachster  Art  zusammengetragen  und  danken  die  Litterarhistoriker  es 
ihm  noch  besonders,  dass  er  bei  den  einzelnen  Städten  die  berühmten  Männer, 
welche  aus  denselben  hervorgegangen  waren,  anzumerken  nicht  versäumt  hat. 

Im  Stil  und  sprachlichen  Ausdruck  trat  Strabon  ganz  in  die  Fuss- 
stapfen  seines  hochgepriesenen  Vorgängers  Polybios:  wie  jener  so  ver- 
schmähte auch  er  die  rhetorischen  Schnörkel  und  befleissigte  sich  eines 
einfachen,  sachgemässen  Stils.  Nur  bei  der  Beschreibung  der  Länder  liebt 
er  es,  wie  es  scheint,  nach  dem  Vorbild  des  Artemidor,  die  geographische 
Figuration  durch  Bilder  zu  erläutern.  So  vergleicht  er  Europa  mit  einem 
von  Westen  nach  Osten  ausgestreckten  Tierfell  (p.  137),  Sikilien  mit  einem 
Dreieck  (p.  265),^)  die  Pelopsinsel  mit  einem  Platanenblatt  (p.  335).  In 
dem  Wortgebrauch  und  der  Grammatik   zeigt  er  keine  Spur  von  der  atti- 


')  Pliiiius  nimmt  auf  Strabon  nirgends 
Rücksicht. 

2)  Auf  der  anderen  Seite  bemerkt  er 
selbst  richtig  p.  177:  oou  ^ep  (fvaixcog 
öio'jQiaiui  (hi  Xeyeiy  xov  yscoyQäcpoi'  y.ccl  oacc 
ex^yixdjg,    oxap    fi    xul   fxyrjfxijg    ti^ia,    '6oa  cT' 


ol  rjysuöysg  ngog  rovg  xaiQovg  noXiTSvöfisPot 
(fiazdirovat  noixlXwg,  ccqxsT  xav  hv  XBcpaka'm 
rig  sinrj. 

^)  Dabei  missbrauchte  er  die  Etymologie 
des  Namens  &qivc<x'ic(,  der  eben  nicht  auf 
TQiu  uxQci  £/ovaa  gedeutet  werden  darf. 


Il 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     e)  Ptolemäus.  (§  447.)     571 

kistischen  Richtung:  er  ist  wie  Polybios  ein  Vertreter  der  ungeschminkten, 
halbnachlässigen  xotvrj,  namentlich  hat  er  eine  Menge  von  Verbis  auf  eo), 
gebildet  von  zusammengesetzten  Nomina,  Vv^ie  svavdQk'o),  svoifie'oj,  yqaniia- 
TO(fOQ&'o)^  to7ToyQa(ff-o),  (fiXo^svi-o),  in  die  griechische  Schriftsprache  eingeführt; 
aber  auch  vor  falschen  Formen,  wie  namentlich  dem  oft  gebrauchten  Aorist 
sysvriO^Tiv  =■  sysvöfjirjr,  und  vor  anstössigen  Hiaten  hat  er  sich  nicht  gehütet. 
Daneben  hielt  er  alles  auf  Reinerhaltung  des  griechischen  Idioms  vor  fremden 
Eindringlingen.  Die  römischen  Amtsnamen  prociirator,  legatus,  iudex 
mussten  sich  ebenso  wie  die  lateinischen  Wörter  aqiiaeductus,  sinus  eine 
griechische  Ummodelung  gefallen  lassen.  Das  that  er  aber  nicht  aus  be- 
schränktem Nationaldünkel,  wiewohl  er  in  dem  Glauben  an  die  griechischen 
Kolonisationssagen  sehr  weit  ging  und  selbst  das  etrurische  Caere  aus  dem 
Zuruf  /«r^jf  zu  erklären  keinen  Anstand  nahm  (p.  220);  denn  im  übrigen 
ergriff  er  gern  die  Gelegenheit,  die  politische  Überlegenheit  Roms  und 
dessen  Verdienste  um  Strassenbauten  (p.  235)  und  um  Einführung  einer 
gerechten  Verwaltung  (p.  797)  zu  preisen. 

Codd.:  Die  Textesgeschichte  und  handschriftliche  Überlieferung  ist  klargelegt  von 
Kramer  in  der  Praefatio  seiner  krit.  Ausg.  1844.  Die  Codd.  sind  stark  verderbt;  der 
beste,  Paris.  1397  {J)  membran.  enthält  nur  die  9  ersten  B.;  alle  17  B.  enthält  Par.  1393 
bombyc,  aber  auch  er  mit  Lücken,  besonders  der  grossen  im  7.  B.;  einige  ergänzende 
Pergamentblätter  entdeckte  neuerdings  Cozza  in  einem  Palimpsest  von  Grottaferrata,  wo- 
rüber CoBET,  Mneni.  4,  48  ff.  —  Ausserdem  haben  wir  alte  Inhaltsangaben  (xscpdXaicc)  und  Epi- 
tomen;  darunter  sind  die  bedeutendsten  Kpit.  Palatina  in  einem  Heidelberger  Pergamentcod. 
398  s.  X,  Epit.  Vaticana  in  Cod.  482  bombyc.  s.  XI V^,  beide  wichtig  für  Ergänzung  der  Lücken. 
Ohne  Bedeutung  sind  die  Eclogae  des  Georgios  Gemistos  Plethon  in  einem  cod.  Ven.  379. 

Ausgaben:  Der  Text  erschien  zuerst  in  latein.  Übersetzung  von  Guarino  1470.  — 
Ed.  princ.  gr.  apud  Aldunr  151G  aus  schlechter  Hdschr.  --  Ausg.  mit  Kommentar  von 
Casaubonus,  Par.  1620  (nach  ihr  sind  die  Seiten  gezählt)  —  ed.  Koraes,  Par.  1815, 
3  vol.;  dazu  kommentierte  Übeisetzung,  herausgegeben  von  Letronne,  1819,  5  Bde.  — 
Kritische  Hauptausg.  von  KRAM4i;K,  Berol.  1844  -  52,  3  vol.  —  Textesausg  von  Meineke 
in  Bibl.  Teubn.  —  Ausg.  von  Car.  Müller,  mit  15  Karten,  Paris  1858.  —  Karolides, 
iTQußayyog  ysioyQccg)ixiop  rn  i€ql  MixQtig  \4oLug,  Athen  1889.  -  Exccrpta  ex  Stra- 
hone  ed.  C.  Müller  in  Geogr.  gr.  min.  II,  529—  636.  —  Übersetzung  mit  erklär.  Anm.  von 
Groskurd,  dem  kenntnisreichen  Bewunderer  des  Autors,  Berl.   1831—4. 

447.  Claudius  Ptolemäus  von  Alexandria,  der  nach  Suidas  zur  Zeit 
M.  Aureis  (161  — 180)  lebte,  ist  uns  der  Hauptvertreter  der  geographisch- 
astronomischen  Studien,  wie  sie  in  Alexandria  seit  Gründung  der  Stadt 
unter  Anlehnung  an  die  altägyptische  Priesterweisheit  betrieben  wurden. 
Dieselben  blieben,  gestützt  durch  feste  Organisation  und  ständige  Hilfs- 
mittel, von  dem  Wechsel  der  Herrschaft  und  des  Zeitgeistes  unberührt:  im 
Anfang  der  alexandrinischen  Periode  steht  Eratosthenes  mit  seinen  bahn- 
brechenden Beobachtungen,  am  Ende  des  Altertums  bewährten  Theon  und 
Pappos  den  alten  Ruhm  der  alexandrinischen  Schule,  in  der  Zeit  der 
Antonine  ist  es  unser  Ptolemäus,  der  von  der  fortschreitenden  Entwicklung 
der  astronomischen  und  geographischen  Studien  Alexandrias  Zeugnis  gibt. 
Seine  in  erster  Linie  die  Astronomie,  dann  auch  die  Geographie  und  Har- 
monik betreffenden  Schriften  sind  uns  zum  grössten  Teil  noch  im  griechi- 
schen Original  erhalten,  waren  aber  im  lateinischen  Abendland,  ähnlich 
wie  die    des  Aristoteles,    schon   seit   der   Zeit    Kaisers    Friedrich  IL,    noch 

»jehe  sie  im  Original  gelesen  wurden,  durch  lateinische,  nach  dem  Arabischen 

1 1  gemachte  Übersetzungen  bekannt  geworden. 

Von  den  astronomischen  Werken  ist  das  hauptsächlichste  die  MtyäXii 


572  Griechische  Litteratiirgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

avvtcc^iQ  Tjjg  adTQovoiiiaq  in  13  B,,  die  im  Altertum  von  Theon  und 
Pappos  kommentiert  und  im  9.  Jahihundeit  unter  dem  Titel  Tabrir  al 
magcstld  (woraus  entstellt  „Abnagest")  ins  Arabische  übersetzt  wurde.  In 
demselben  legt  Ptolemäus,  auf  den  Beobachtungen  und  Schriften  früherer 
Forscher,  insbesondere  des  Hipparch  und  Menelaos,  fussend,  das  ganze 
System  der  Astronomie  dar.  Da  dasselbe  auf  der  Annahme,  dass  sich  die 
Gestirne  um  die  Erde  drehen,  beruht,  so  nennt  man  davon  dieses  System 
das  ptolemäische  im  Gegensatz  zu  dem  kopernikanischen,  welches  letztere 
bereits  im  Altertum  Aristarch,  der  Lehrer  Hipparchs,  aufgestellt  hatte. 
Diesem  astronomischen  Hauptwerk  sind  die  gleichfalls  von  Theon  kommen- 
tierten Handtafeln  zur  Kalenderberechnung  [ttqöx^iqoi  xavövsq)  entnommen. 

Der  Kavwv  ßaaiXfiwv,  ein  mit  astronomischen  Berechnungen  zusammen- 
hängendes Verzeichnis  der  Könige  von  Nabonassar  bis  Augustus,  ist  uns  durch 
seine  Aufnahme  in  die  Chronographie  des  Georgios  Synkellos  erhalten.  Kleinere 
astronomische  Schriften  sind  cpccaeiq  anXavMv  daTSQMv,  vrtoO^saeig  rcov  nXa- 
vo^iibVMv,  n€Qi  avalr^fxuaTog  (von  der  Sonnenuhr),  anXwc^ig  sTiKfaveiag  acfaiQag, 
von  denen  die  beiden  letzten  nur  durch  die  Araber  auf  uns  gekommen 
sind.  —  Dem  Ptolemaios  untergeschoben  ist  die  TsTgdßißXog  seil.  ovvTa'^ig 
(Quadripartitum),  eine  Sammlung  astrologischer  Sätze  in  4  B.,  die  den 
Namen  des  grossen  Astronomen  davon  erhielt,  dass  sie  sich  zum  Teil, 
aber  nur  zum  kleinen  Teil,  auf  Aussprüche  desselben  stützt. 

Die  rewyQa(fix}]  v(frjyrj(ng  (Anleitung  zum  Kartenzeichnen)  in  8  B. 
ist  das  wichtigste  Handbuch  der  alten  Geographie,  an  welchem  sich  bis  in 
die  neuere  Zeit  hinein  die  geographische  Wissenschaft  und  die  Kunst  des 
Kartenzeichnens  emporgearbeitet  hat.  Es  beruht  ganz  auf  mathematischer 
Grundlage,  auf  Berechnung  der  Grösse  der  Erdkugel  und  Bestimmung  der 
Lage  der  Hauptorte  nach  ihrer  geographischen  Länge  und  Breite.  Voraus- 
gesetzt wird  in  ihm  die  Vorlage  von  Karten,  in  deren  Netz  die  damals 
bekannte  Erde  vom  10.  Grad  südlicher  bis  zum  60.  Grad  nördlicher  Breite 
und  von  den  westlichsten  Inseln  Europas  bis  nach  Java  und  Sumatra  im 
Osten  eingezeichnet  war.  Der  Hauptteil  des  Werkes,  B.  2 — 7,  besteht  nur 
in  Tabellen  über  die  Lage  der  eingezeichneten  Orte  nach  Graden  der 
Länge  und  Breite.  Im  Entwurf  der  Karten  war  dem  Ptolemäus  vorge- 
arbeitet von  Marines  aus  Tyros,  dessen  Verdienste  um  die  Chartographie 
er  I,  6  gebührendes  Lob  spendet.  Übrigens  würde  man  sehr  irren,  wenn 
man  nun  glaubte,  dass  Ptolemäus  oder  sein  Vorgänger  von  allen  jenen 
Orten,  deren  Lage  er  angibt,  die  Länge  und  Breite  auch  wirklich  mathe- 
matisch gemessen  habe.  Vielmehr  liegen  nur  wenigen  seiner  Ortsbestim- 
mungen wirkliche  Messungen  zu  Grund;  von  den  meisten  Orten  gibt  er 
nur  die  Grade  an,  in  welche  dieselben  auf  seinen  Karten  eingezeichnet 
waren.  Das  muss  man  namentlich  bezüglich  der  zahlreichen  Städte  Ger- 
maniens  festhalten,  von  denen  wahrscheinlich  keine  einzige  mit  mathema- 
tischen Mitteln  bestimmt  war.  Dem  Texte  sind  in  den  Handschriften  auch 
Karten  (27)  beigefügt;  dieselben  rühren  von  Agathodaimon  aus  Alexandria, 
einem  Gelehrten  des  beginnenden  Mittelalters,  her.  ^) 

')  In  den  Handschriften  selbst  heisst  es:    I    ßißXiwv  oxtm  ri]y  oiy.ovfxh'r]v  naaay 'Jycci^o- 
ix    XMv    K'Aav^lov    Uio^s^cdov    yecoyQacptxoh'    \    dcdfAioy  'J'Ae^avÖQevg  vnervnwoev. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Bie  Prosa,     e)  Dionysios.  (§  448.) 


573 


Die  ^ÄQi^iovixd  in  3  B.  handeln  von  den  Intervallenverhältnissen  der 
Musik  mit  steter  Berücksichtigung  der  Lehre  des  Aristoxenos  und  der 
Pythagoreer.  Das  3.  Buch,  dessen  Schluss  nach  einer  alten  Beischrift  von 
einem  gewissen  Gregoras  ergänzt  worden  ist,  bespricht  in  mystischer 
Sprache  die  Ähnlichkeit  der  Tonarten  und  Intervalle  mit  den  Zuständen  der 
Seele  und  den  Bewegungen  der  Himmelskörper.^) 

Von  der  Optik  {omixrj  TiQayfxaTsia)  sind  nur  die  Bücher  II — IV  und 
diese  nur  durch  die  lateinische  nach  dem  Arabischen  gemachte  Übersetzung 
des  Siziliers  Eugenius  auf  uns  gekommen.^)  Gänzlich  verloren  gegangen 
sind  die  von  Suidas  aufgeführten  3  Bücher  Mechanik  und  die  von  Sim- 
plicius  citierten  Schriften  nsgl  fiisTQrjaewg,  ttsqI  ^onrjg,  azoiy^da.  Das  Gebiet 
der  Philosophie  streift  das  erhaltene  Büchlein  nsQi  xqittjqiov  xal  7]y€i.iovixoi, 
das  im  Geiste  der  stoischen  Schule,  zu  der  sich  auch  sonst  unser  Mathe- 
matiker im  wesentlichen  bekennt,  geschrieben  ist.'^) 

Von  der  Geographie  ist  die  Ausgabe  von  Wilbekg-Grashof,  Essen  1838-45  un- 
vollendet geblieben.  Im  Erscheinen  ist  die  Ausgabe  von  C.  Müller  cum  adnotatinnünis 
indicibus  tahulis,  bei  Didot  in  Paris.  —  Berühmt  ist  die  latein.  Übersetzung  mit  50  Karten 
von  Willibald  Pirkheymee,  Strassb.  1525.  —  Sonderausg.  der  Germania  von  Sickler, 
Kassel,  1834. 

Ptolem.  Syntax,  ed.  Halma,  Par.  181G,  2  Bde.;  von  demselben  Gelehrten  der  Kom- 
mentar des  Theon  zum  1.  Buch,  Par.  1821.  -  AVa'wV  ßaaiXsiuji^,  cpua etg  dnXayioy,  vno- 
^easig  xal  nXaywfxepuiy  ('<QX^^  ed.  Halma,  Par.  1820.  —  ^äaeig  cmXavoUv  aaTigtav  xal  avvu- 
yiDyrj  enLorjfxaaKov  rec,  Wachsmuth  in  Lydus  de  ost.  et  calendaria  graeca,  Lips.  1803.  — 
TeiQc'ißtßXo?  ed.  Camerarius,  Nürnb.  1534;  mit  latein.  Übers,  von  Melanchthon,  Basel 
1535.  —  Harmonica  ed.  Wallis  Oxford  1682  in  Op.  math.  t.  III  —  Optika  ed.  Govi,  Turin 
1885,  zusammen  mit  dem  Kommentar  des  Porphyrios.  —  TIeqI  xqltijqlov  xal  rjys^o- 
vixov  ed.  Hanow,  Küstrin  1870. 

448.  Dionysios  der  Perieget  ist  der  sonst  nicht  näher  bekannte 
Verfasser  der  IJsQi/jyrjaig  ir^g  olxoviiu'vtjg  in  1187  Hexametern.  Schon  die 
Alten  ^)  waren  darüber  im  Unklaren,  wem  von  den  vielen  Dionysioi  sie 
das  vielgelesene  Buch  zuschreiben  sollten,  ob  dem  Epiker  Dionysios  aus 
Korinth  oder  dem  Historiker  Dionysios  aus  Milet  oder  dem  Dionysios 
aus  Rhodos  oder  endlich,  dem  Dionysios  aus  Alexandria,  der  von  Nero 
bis  Trajan  in  Rom  als  Bibliothekar  und  kaiserlicher  Sekretär  in  ein- 
flussreicher Stellung  lebte. ^)  Einen  Fingerzeig  zur  Bestimmung  der  Le- 
benszeit geben  die  Verse  1051  und  258  von  der  Besiegung  der  Par- 
ther und  der  Demütigung  der  Nasamonen,  welche  auf  die  Regierung 
des  Vespasian  und  Domitian  hinweisen;^')  ein  direktes  Zeugnis,  dass  das 
Werk  unter  Hadrian  geschrieben  wurde,  enthält  das  neuerdings  von 
Leue    entdeckte   Akrostichon."^)      In   der   Anlage    des   Gedichtes    trat   Dio- 


^)  Verwandter  Art  wird  die  Schrift  ttsqI 
Graiixi^g  (corrige:  tisqI  nsQiGTazix^g)  noiVjaeiog 
ü;ewesen  sein,  aus  welcher  der  Anonymus  in 
HoissoNADE,  Anecd.  IV,  458 e  einen  Satz 
anführt. 

'^)  Nachweise  von  Martin,  Boncompa(jni 
BuUetmo  IV,  464  ff. 

^)  Schon  der  Stoiker  Poseidonios  hatte 
eine  Schrift  tisqI  xQirrjQiov  geschrieben;  s. 
Diog.  7,  54. 

■*)  Siehe  den  Artikel  des  Suidas.  Besser 
unterrichtet  ist  der  alte  Scholiast  p.  427  ed. 
Müll.  (vgl.   rü'og  Jiovvaiov    jov    7i€Qi7]yi]Tov 


von  Rühl  publiziert  Rh.  M.  29,  81):  Jto- 
vvaiog  6  n6QLT]yt]Tt]g  yiyovey  viog  Jiovvaiov 
^J'As^ay&QEcog  '  yeyoi^e  di  inl  jmv  ^IhouaixMV 
)(q6i'iov  fuerd  Avyovaroi'  Kaiaa^a  ij  in'  aviov  ' 
(ftQoyrai  tfe  avTov  xal  a),Xa  (TvyyQäuuaia, 
Aidiaxd  TS  xal  \)QVL(^iaxd   xal   UaaaaQixd. 

^')  MÜLLER,  Geogr.  min.  H  p.  XV— XXI I. 

c)  Unger,  Jahrb.  f.  Phil.  1882  S.  44!)  ff. 
entgegen  Tycho  Mommsen  (Dionysios  der 
Periegete,  Frankf.  1879),  der  wegen  V.  920 
\ivii6xoio  ya7a  bis  auf  92  —  8-'^  v.  Chr.  zurück- 
gohon  wollte. 

^)  Leüe,  Piniol.  42,  175  fi'.  hat  von  Very 


574  Griechische  Litteraturgeschichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 

nysios  in  die  Fusstapfen  des  Alexander  aus  Ephesos,  der  in  Cäsars 
Zeit  ein  astronomisches  und  geographisches  Lehrgedicht  in  Hexametern 
geschrieben  hatte.  Seinem  Buch  wurde  ebenso  wie  den  Phainomena  des 
Arat  die  Auszeichnung  zu  teil,  dem  Schulunterricht  zu  Grunde  gelegt  zu 
werden.  Infolge  dessen  wurde  dasselbe  in  den  folgenden  Jahrhunderten 
um  die  Wette  übersetzt  und  kommentiert.  Lateinische  Übersetzungen  haben 
wir  zwei,  eine  von  Avien  und  eine  andere,  kürzere  von  Priscian.  Von  Er- 
läuterungen sind  ausser  einer  Paraphrase  und  dem  weitläufigen  Kommentar 
des  Eustathios  gelehrte  alte  Schollen  aus  dem  4.  oder  5.  Jahrhundert  auf 
uns  gekommen. 

Ausgabe  mit  den  alten  Kommentaren  und  Noten  von  Bernhakdy,  Lips.  1820  ;  von 
C.  Müller  in  Geogr.  gr.  min.  t.  II  p.  102 — 457.  —  Beiträge  zur  Paraphrase  gibt  Ludwich, 
Aristarch.  II,  553  ff. 

44-9.  Ein  Dionysios^)  ist  auch  Verfasser  des  ^AvdnXovg  BoairoQov, 
von  dem  uns  das  einleitende  Kapitel  im  Originaltext,  das  übrige  in  einer 
lateinischen  Übersetzung  vorliegt.  Die  letztere  fertigte  im  16.  Jahrhundert 
der  französische  Gelehrte  Gilles  in  Konstantinopel  nach  einer  inzwischen 
verloren  gegangenen  Handschrift  an.  Die  Schrift  stammt,  nach  dem  ge- 
spreizten Stil  zu  urteilen,  aus  der  Zeit  der  Sophisten  und  wird  von  Müller, 
der  dieselbe  im  2.  Bande  der  Geogr.  gr.  min.  p.  1  — 101  neu  herausgab,  in 
den  Anfang  des  3.  Jahrhunderts  gesetzt. 

450.  Von  Isidor  aus  Charax  am  Tigris,  der  gleichzeitig  mit  Strabon 
unter  Augustus  lebte  und  von  Plinius  dem  Älteren  als  geographische  Quelle 
benützt  wurde,  haben  wir  ^ra^fxol  üagO^ixot,  nackte,  hauptsächlich  die  Ent- 
fernungen berücksichtigende  Exzerpte  einer  Periegese  des  parthischen  Reiches, 
neben  der  Isidor  auch  noch  ein  allgemeineres  Werk  über  die  Masse  des 
Erdkreises  geschrieben  hatte.  Ausgabe  von  Müller,  Geogr.  min.  I,  244  bis 
56;  dazu  die  Erläuterungen  p.  LXXX,  sqq. 

Ahnlicher  Art  ist  der  2Ta6icc(S{.i6Q  TjToi  nsqinXovg  Trjg  ^isydkrig  S^aXäaar^q 
(bei  Müller,  Geogr.  min.  I,  427 — 514),  den  ein  anonymer  Autor  nach  einer 
alexandrinischen  Quelle  ^)  in  byzantinischer  Zeit  zusammengestellt  hat. 
Müller  preist  das  Buch  als  ein  opus  lacertmi  qiiidem  sed  xrretiosissimiwi ; 
es  enthält  die  reichste  und  sorgfältigste  Küstenbeschreibung  des  mittel- 
ländischen Meeres  und  bietet  ungleich  verlässigere  Angaben  als  selbst 
Ptolemaios.  Die  letztgenannten  Werke  und  der  ganze  Aufschwung  der 
geographischen  Studien  im  Beginne  der  Kaiserzeit  steht  in  Verbindung 
mit  der  Vermessung  des  römischen  Reiches  und  der  Aufnahme  einer 
Reichskarte,  welche  Kaiser  Augustus  unter  Leitung  des  Agrippa  ver- 
anstaltet hatte.     Über  die  einschlägigen  Schriften  des  Arrian  s.  §  438. 

451.  Pausanias   heisst  der  Verfasser  der  für  Archäologie  und  My- 


109  und  513  an  2  Akrosticha  entdeckt,  wo- 
nach der  Verfasser  aus  Alexandria  {Jiovvaiov 
XMv  ifzog  4>dQov)  stammt  und  unter  Hadrian 
{inl  'A^Qiavov)  schrieb.  Trotzdem  hält  Unger, 
Jahrb.  f.  Phil.  135  (1887)  S.  53  ff.  an  seiner 
Meinung,    dass    die   Schrift   unter   Domitian 


strat  erklärt. 

')  Suidas:  Jiovvaioq  Bvt,dvTiog  inonorog  ' 
nsQtt]yt]Giv  rov  eV  toJ  Bogtioqü)  c<yc<rrkov, 
nsQi  ^Qt^viov.  Der  Artikel  scheint  eine  Lücke 
nach  inonoiog  zu  haben. 

'^)  Dieses  wird  daraus  geschlossen,  dass 


abgefasst    sei,    fest,    indem    er  den  Hadrian    i    der  Periplus  von  Alexandria  ausgeht.  Näheres 
des  Akrostichons  für  einen  römischen  Magi-    j    bei  Krumbacher  im  Abriss    der  byzant.  Lit. 


3.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,    e)  Pausanias.  (§449—451.)     575 

thologie  einzig  wichtigen  IIsQi/jyijCfig  rrjg  '^EXXaSog  in  10  B.  Das  Buch  ent- 
hält eine  Beschreibung  von  Hellas  oder  doch  des  grösseren  Teiles  von 
Hellas  in  Form  einer  Rundreise.  Es  beginnt  mit  Attika,  speziell  mit 
Sunion,  indem  der  Verfasser  über  das  ägäische  Meer  nach  dem  Festland 
Griechenlands  kommt.  Von  Attika  geht  es  weiter  über  Korinth  nach  dem 
Peloponnes,  und  zwar  auf  derselben  Route,  welche  auch  jetzt  noch  die 
Touristen  zu  nehmen  pflegen,  von  Argos  nach  Lakonien,  Messenien,  Elis, 
Achaia.  Und  wie  heutzutag  die  Reisenden  von  Athen  aus,  wenn  Zeit  und 
Geld  reicht,  noch  eine  zweite  Rundreise  nach  den  Hauptstätten  des  mitt- 
leren Griechenlands  zu  unternehmen  lieben,  so  schildert  uns  auch  Pausanias 
noch  in  einem  zweiten  Umgang  die  Landschaften  von  Böotien  und  Phokis 
mit  den  Hauptstädten  Theben  und  Delphi.  Die  übrigen,  für  die  Kunst- 
geschichte weniger  interessanten  und  von  den  Reisenden  schon  damals 
weniger  besuchten  Teile  des  westlichen  und  nördlichen  Hellas  lässt  er 
ausser  Betracht.  Demnach  hat  das  1.  Buch  den  Titel  'Arzixd,  das  2.  Ko- 
Qivdiaxd,  unter  welchem  Titel  zugleich  Argos,  Mykenä,  Tiryns,  Epidauros 
mitinbegriffen  sind,  das  3.  yiaxonixd,  das  4.  Msacrrjviaxä,  das  5.  und  6. 
^Hhaxd,  das  7.  'Axcüxct,  das  8.  'AqxuSixcc^  das  9.  Boimtixcc^  das  10.  (I^wxixd. 
Geschrieben  ist  das  Werk  unter  den  Antoninen,  nach  Hadrian,  auf  dessen 
Bauten  wiederholt  Bezug  genommen  ist;  speziell  das  5.  Buch  fällt  in  das 
Jahr  173,  wie  die  Stelle  V,  I.  2  zeigt,  wonach  damals  217  Jahre  seit  Wieder- 
herstellung von  Korinth  verflossen  waren. 

In  der  Periegese  nimmt  der  Autor  gleich  unsern  Förster  und  Burck- 
hardt  vorzüglich  auf  die  Kunstdenkmale,  die  Bauten,  Statuen  und  Gemälde 
Rücksicht.  Mit  Vorliebe  geht  er  dabei  auf  die  Werke  der  alten  Zeit  und 
die  Weihgeschenke  der  Tempel  ein,  was  schon  in  der  hervorragenden  Be- 
deutung der  alten  Kunst  und  in  der  Vorliebe  der  Sophisten  für  die  alte 
Herrlichkeit  Griechenlands  begründet  ist,^)  aber  doch  seinen  speziellen 
Grund  in  der  Beschaff'enheit  der  Quellen  unseres  Autors  gehabt  zu  haben 
scheint.  Auf  die  Neuzeit  hat  derselbe  wenig  Bezug  genommen,  ausser  wo 
er  Gelegenheit  fand  die  Verdienste  der  letzten  Kaiser,  des  Hadrian  und 
Antonin,  hervorzuheben.  Von  den  Orten  zu  reden,  wo  man  Unterkunft 
und  leibliche  Stärkung  finden  könne,  hat  er  unter  seiner  Würde  gehalten; 
auch  fehlten  damals  noch  mehr  wie  heutzutag  die  Hotels  und  Restaurants 
in  Griechenland.  Die  Landschaften,  von  denen  er  erzählt,  hat  er  unzweifel- 
haft auch  gesehen;  er  war  ja  ein  Freund  des  Reisens,  hatte  Italien,  Sar- 
dinien, Korsika,  Arabien  und  selbst  das  Orakel  des  Juppiter  Ammon  be- 
[j  sucht 2)  und  war  in  Syrien  wie  zu  Haus.^)  Aber  berichtet  er  nun  auch 
alles,  was  er  uns  von  Weihgeschenken,  Kunstwerken,  Kultgebräuchen  er- 
zählt, auf  Grund  eigener  Beobachtungen?  kam  er  nicht  bloss  auf  seinen 
Reisen  nach  Athen  und  Olympia,  sondern  hat  er  auch  alle  Erkundigungen 


\  I  ')  Brunn,  Pausanias  und  seine  Ankläger, 

Ijin    Jaiirb.    f.    Phil.  1884  S.  23  IT.,    wo    auch 

t   hervorgehoben    ist,    dass  Pausanias    massen- 

f  haft    die    alten    Epiker,     sehr    selten     den    1   X,  17;  IX,  28.  3;  IX,  VI  1 

l  Dichter    der  Neuzeit,   Kuripides,    citiert.     Zu  '^)  Paus.  VI,  2.  7;  VIII,  20.  2;  29.3. 

i  vergleichen   ist  das  ähnliche  Verhältnis  des 


Panathenaikos  desRhetors  Aristeides,  worüber 
unten  S.  000. 

'')  Paus.  V,  12.  G;  VIII,  17.  4;  IX,  21.1; 


576 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


über  Bräuche  und  Sagen  selber  eingezogen,  alle  Inschriften  von  den  Steinen 
selber  abgelesen?  Der  Glaube  an  eine  solche  Sorgfalt  und  Genauigkeit  des 
Pausanias  ist  in  unserer  Zeit  durch  die  archäologischen  Forschungen  und 
Ausgrabungen  stark  erschüttert  worden.  Zwar  haben  viele  seiner  Angaben, 
wie  von  den  Gräbern  auf  dem  Marktplatz  von  Mykenä  ^)  eine  glänzende 
Bestätigung  erhalten,  aber  zugleich  hat  sich  herausgestellt,  dass  er  viele 
und  bedeutende  Denkmale,  die  zu  seiner  Zeit  noch  bestanden  und  dem 
Reisenden  in  die  Augen  fallen  mussten,  mit  völligem  Stillschweigen  über- 
geht, wenn  der  Ursprung  derselben  der  Zeit  nach  150  v.  Chr.  angehört. 
Nur  bis  dahin  z.  B.  reichen  seine  Angaben  über  Weihgeschenke  mit  In- 
schriften von  olympischen  Siegern,  während  die  epigraphischen  Funde 
unserer  Tage  zahlreiche  Siegesweihgeschenke  aus  jüngerer  Zeit  mitten  unter 
jenen  älteren  aufweisen.'^)  Das  lässt  sich  aus  der  Vorliebe  des  Periegeten 
für  die  alte  Zeit  nicht  zur  Genüge  erklären. 3)  Wenn  ihm  der  Faden  so 
plötzlich  ausgeht,  ohne  dass  das  Verstummen  mit  einer  einschneidenden 
W^endung  in  der  Kunst  zusammenfällt,  wenn  er  aus  der  früheren  Zeit  auch 
vieles  Unbedeutende  und  Mittelmässige  erwähnt,  aus  der  späteren  Zeit  aber 
selbst  das  kolossale  Monument  des  Agrippa  am  Aufgang  zur  Akropolis  in 
Athen  mit  Stillschweigen  übergeht,  so  muss  das  mit  den  Schriftquellen 
unseres  Autors  zusammenhängen,  die  eben  nur  bis  zu  jener  Grenzscheide 
ergiebig  flössen. '•)  Mit  andern  Worten,  Pausanias  hat  wohl  die  beschrie- 
benen Landschaften  Griechenlands  besucht,  aber  seine  Periegese  hat  er  erst 
nach  seiner  Rückkehr  geschrieben  und  sich  dabei  weniger  an  seine  Notizen 
und  dasjenige,  was  er  bei  seinem  flüchtigen  Besuch  mit  eigenen  Augen 
beobachtet  und  aufgezeichnet  hatte,  gehalten  als  an  den  reichlicheren  Stoff, 
den  ihm  die  damals  landläufigen,  enkyklopädischen  Handbücher  über  My- 
thologie und  Litteratur  und  seine  schriftlichen  Spezialquellen  boten.  Diese 
waren  aber  die  durch  zweite  und  dritte  Hand  gegangenen  Schriften  des 
Periegeten  Polemon,  des  Spezialhistorikers  Istros  und  des  Geographen 
Artemidor,  die  er  indes  nicht  ausdrücklich  mit  Namen  nennt, ^)  ebensowenig 
wie  den  gelehrten  Grammatiker,  dem  er  die  ausführlichen  und  interessanten 
Nachrichten    über    die    Geschichte    Sardiniens    und   Korsikas    (X,  17)    ent- 


')  Diese  Königsgräber  aufzudecken  ist 
unserem  grossen  Landsmann  Schliemann  nur 
an  der  Hand  des  Paus.   IT,  16.  7   gelungen. 

2)  G.  Hirschfeld,  Arch.  Zeit.  1882  S. 
97 — 130;  Einwendungen  dagegen  von  Schu- 
bart, Jahrb.  f.  Phil.  1883  S.  469  ff. 

^)  Diese  finden  wir  in  ähnlicher  Weise 
auch  bei  dem  zeitgenössischen  Rhetor  Ari- 
stides,  der  in  seinem  Lob  auf  Athen  mit  der 
Schlacht  von  Chäronea  abbricht;  s.  §  472. 

^)  Diese  Anschauung  ist  hauptsächlich 
zur  Geltung  gebracht  worden  durch  Wila- 
MowiTZ,  der  sich  im  Herm.  XII,  346  folgender- 
massen  äussert:  Das  erklärt  sich  nur  durch 
die  Annahme,  dass  Pausanias  eine  alte  Vor- 
lage gedankenlos  ausschreibt,  einzeln  mit 
den  Reminiszenzen  eigener  Anschauung, 
durchgehends  mit  denen  anderer  Lektüre 
versetzt   und  schliesslich   mit    dem   Rokoko- 


mäntelchen  sophistischer  acpeksia  und  kin- 
discher Herodotimitation  umkleidet.  Näheres 
bei  Hirt,  De  fontibiis  Pausaniae  in  Eliacis, 
Greifsw.  Diss.  1878;  Kalkmann,  Pausanias 
der  Peiieget,  Untersuchungen  über  seine 
Schriftstellerei  und  seine  Quellen,  Berl.  1880; 
dagegen  Gurlitt,  Pausanias,  Graz  1890,  und 
Bencker,  Anteil  der  Periegese  an  der  Kunst- 
schriftstellerei  (1890),  der  S.  68  so  weit  geht 
zu  behaupten,  dass  Pausanias  von  Polemon 
ganz  unabhängig  sei. 

^)  Angedeutet  ist  Artemidor  mit  (d'^Q 
y^cfaoiog  V,  5.  9;  Polemon  steckt  unter  den 
oaoi  fxvrjfxrjp  tjsqI  tov  leQov  7isnob]vT(a  VIII, 
10.  2  und  unter  den  noh'riQayfioi'tjacansg 
anov^ll  ig  rovg  nhloTag  V,  20.  2.  Schon 
Preller,  Polemonis  fragm.  p.  181  wunderte 
sich,  dass  Pausanias  den  Polemon  nirgends 
nennt. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   f)  Die  Philosophie.  (§  452.)     577 

nommen  hat.  In  dem  Bericht  über  die  mythische  Vorgeschichte  Messeniens 
folgte  er  speziell  dem  Dichter  Rhianos  und  dem  Lokalhistoriker  Myron 
von  Priene.  ^) 

Wer  war  nun  dieser  Pausanias,  und  woher  stammte  er?  Fragen  wir 
ihn  selbst,  so  bezeichnet  er  V,  13.  7  IliXonog  dt  xal  TavräXov  rr^g  naq' 
r^pXv  ivoixi]a€wg  öTj^isia  tri  xal  ig  toSs  XsiTrarac  Asien  und  speziell  die 
Gegend  am  Sipylos  als  seine  Heimat.  2)  Nun  wird  von  Philostratos  im 
Leben  der  Sophisten  II,  13  ein  in  seiner  Zeit  hochangesehener  Sophist 
Pausanias  genannt,  der  Schüler  des  Herodes  Attikos  und  Lehrer  des 
Aspasios  war,  der  also  der  Lebenszeit  nach  recht  wohl  unsere  Periegese 
geschrieben  haben  könnte.  Aber  dieser  Pausanias  stammte  aus  Cäsarea, 
nicht  aus  Vorderasien,  und  Suidas  erwähnt  von  ihm  Problemata  und  ein 
Buch  über  Syntax,  aber  keine  Periegese.  Ausserdem  passt  der  nachlässige, 
zum  Teil  inkorrekte  Stil  der  Periegese  2)  wenig  zu  einem  Sophisten,  der 
den  Lehrstuhl  der  Beredsamkeit  in  Athen  inne  hatte.  Mit  Recht  haben 
sich  daher  Kayser  und  Siebeiis  9  gegen  die  Identität  des  Sophisten  Pau- 
sanias und  des  Verfassers  unserer  Periegese  erklärt.  Schwerer  ist  eine 
Entscheidung  darüber  zu  treffen,  ob  unser  Perieget,  wie  sein  Herausgeber 
Schubart  unter  Berufung  auf  VIII,  43.  4  annahm,  mit  dem  Historiker 
Pausanias,^)  der  eine  Geschichte  von  Antiochia  schrieb,  identifiziert  werden 
dürfe.  Der  letztere  stammte  freilich  auch  nicht  aus  Magnesia  am  Sipylus, 
sondern  aus  Antiochia  in  Syrien;  aber  sonst  stimmt  die  abergläubische  Art 
beider  Autoren  sehr  miteinander  überein,  und  spricht  für  ihre  Identität 
namentlich  der  Umstand,  dass  der  Geograph  Stephanos  von  Byzanz  die 
Schriften  beider,  die  JIsQirjyijaig  und  die  Kriaig  ^AiTioxsiag,  unterschiedslos 
unter  dem  einfachen  Namen  Pausanias  anführt.  Sind  sie  identisch,  dann 
muss  man  annehmen,  dass  unser  Perieget  wohl  aus  Antiochia  stammte, 
aber  später  seinen  Wohnsitz  in  Magnesia  oder  einer  benachbarten  Stadt 
Vorderasiens  aufschlug.^) 

Pausan.  ed.  et  adnot.  Siebelis,  Lips.  1822,  5  vol.;  ad  codd.  fidem  rec.  Schubart 
et  Walz,  Lips.  1838  mit  krit.  Apparat;  rec.  Schübaet  in  Bibl.  Teubn.,  2  vol.  —  Spezialausg. 
Pausaniae  descrij^tio  arcis  Athen,  ed.  0.  Jahn,  neubesorgt  von  Michaelis,  Bonn  18G0.  — 
Die  Periegese  von  Olympia  erläutert  von  Flasch,  in  Baumeister's  Denkmälern  des  klass. 
Alt.  S.  IGOG  ff. 

f.  Die  Philosophie. 

452.  Philosophen  dem  Namen  nach  gab  es  in  der  römischen  Zeit 
genug,  aber  sehr  klein  war  die  Zahl  derjenigen,  welche  wirklich  den  Auf- 
gaben der   Philosophie  ihre  Thätigkeit   zuwandten,    und    noch   kleiner   die 


')  Paus.  V,  6.  1 ;  vgl.  Pfundtner,  Die 
liistorischen  Quellen  des  Pausanias,  Jahrb. 
f.  Phil.  18G9  S.  441  fF.;  Kohlmann,  Quaesti- 
vm  Messeniacae,  Bonn  18GG. 

'')  Dazu  vergl.  I,  24.  8;  VIH,  17.  3. 

^)  Pausanias  gebraucht  oliyov  (teoy  statt 
(Alyov  &e?v,  oTToacc  t/si  ig,  rd  ig  =  q^iant  ä; 
vgl.  Böckh,  De  Pausaniae  stilo  Äsiano,  in 
(Jcs.  Sehr.  IV,  208  ff. 

«)  Kayser  ad  Phil.  Vit.  soph.  p.  357; 
SiRBELTs  in  der  Praef.    der  Ausg.  des  Paus, 

■'')  Derselbe  heisst  ü  aotfiöjujog  /(fofo- 
liamlbuch  der  klass.  Altertumswisscuscbaft.   VII.    2.  Aufl.  37 


YQucfog  bei  Malalas  p.  15G,  21  u.  IGl,  G  in 
Dindorf's  Hist.  gr.  min.,  wo  auch  p.  154  -  1G4 
die  Fragmente  desselben  gesammelt  sind. 
Bei  Constantinus  Porph.  de  Ihem.  I  p.  17 
scheint  ovrs  llavaatiag  6  JuiAaaxiji'dg  aus 
]lavaavicig  ^o  'Jmio/Fvg  ovis  NixöXuog^  6 
Jtt^aax.  verstümmelt  zu  sein. 

®)  Vgl.  Kalkmann  a.  0.  S.  11  Anni. 
Eine  Prüfung  der  Frage  der  Identität  vom 
sprachlichen  Standpunkt  wäre  sehr  wün- 
schenswert. 


578 


Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


derjenigen,  welche  über  das  Niveau  populärer  Sittenlehre  emporsteigend  die 
schwierigeren  Fragen  des  philosophischen  Erkennens  zu  lösen  auch  nur  ver- 
suchten. Dadurch,  dass  die  eklektische  Richtung  der  Philosophie  immer 
mehr  Boden  gewann,  ward  wohl  die  Schärfe  der  alten  Gegensätze  gemil- 
dert, erlahmte  aber  auch  zugleich  die  Energie  eigener  philosophischer  Spe- 
kulation. Die  wenigen,  welche  überhaupt  noch  der  Frage  nach  den  obersten 
Prinzipien  näher  traten,  warfen  sich  entweder  dem  bequemen  Zweifel  an 
der  Möglichkeit  sicheren  Erkennens  in  die  Arme  oder  erhofften,  indem  sie 
die  Wege  einer  ungriechischen  Philosophie  wandelten,  statt  von  der  eigenen 
Forschung,  von  der  vermittelnden  Offenbarung  göttlicher  Weisheit  die 
Lösung  der  Rätsel.  Im  übrigen  aber  sank  in  den  weiten  Kreisen  der  Ge- 
bildeten die  Philosophie  auf  das  Niveau  hausbackener  Verständigkeit  herab, 
so  dass  sie  den  Charakter  hochstrebender  Forschung  über  die  obersten 
Prinzipien  des  Seins  und  Thuns  immer  mehr  verlor  und  statt  dessen  das 
leichte  Gewand  allgemeinen  enkyklopädischen  Wissens  annahm.  Es  nannten 
sich  daher  auch  in  unserer  Zeit  ganz  gewöhnlich  Historiker,  Geographen,  Ärzte 
und  sonstige  Gelehrte  Philosophen,  aber  ohne  dass  sie  sich  mit  philosophi- 
schen Fragen  ernstlich  und  in  selbständiger  Weise  beschäftigten.  Zur  Ab- 
nahme der  philosophischen  Denkkraft  trat  dann  aber  seit  Hadrian  noch  die 
Rivalität  einer  jungen  Kunst  hinzu,  welche  die  alternde  Philosophie  in 
den  Hintergrund  drängte  und  geradezu  den  Glanz  ihres  Namens  in  An- 
spruch nahm,')  das  war  die  üppige,  geräuschvolle  Sophistik.  Es  bestanden 
zwar  noch  in  Athen  und  anderen  Städten  neben  dem  Rhetorstuhl  {^Qovoq 
QYjTOQixög)  die  alten  Lehrstühle  der  Philosophie  und  ihrer  verschiedenen 
Sekten  (mQtcrsig)  fort;  2)  aber  dadurch,  dass  die  Sophisten  philosophische 
Themata  behandelten  und  durch  den  Glanz  der  Darstellung  eines  höheren 
Ansehens  sich  erfreuten,  sank  der  Einfluss  der  Philosophie  und  minderte 
sich  das  Interesse  für  reinphilosophische  Spekulation.  Die  Philosophen  von 
Profession  beschränkten  sich  fast  einzig  darauf,  die  Lehren  der  alten  Schulen 
und  Meister  fortzupflanzen,  und  sie  wurden  dabei  um  so  einseitiger  und 
unfruchtbarer,  je  mehr  sie  durch  die  Stiftungen  ihrer  Schulhäupter  und  die 
nach  Sekten  geschiedenen  Lehrstühle  gewissermassen  auf  ein  bestimmtes 
Glaubensbekenntnis  verpflichtet  waren.  Thätiger  griffen  in  die  Litteratur 
diejenigen  ein,  welche  sich  mit  Forschungen  über  die  Geschichte  der  Phi- 
losophie und  mit  Erklärung  der  philosophischen  Schriften  der  klassischen 
Zeit  abgaben;  es  waren  namentlich  die  Peripatetiker  und  Platoniker,  in 
welchen  sich  diese  philologische  Ader  regte.  Im  übrigen  hat  es  der  Phi- 
losophie an  äusserer  Förderung  nicht  gefehlt;  neben  den  reichen  Stiftungen 
der  alten  Schulen  und  den  guten  Dotationen  der  neugegründeten  Lehrstühle 
kam  derselben  auch  die  Gunst  der  Kaiser  zu  statten.  Augustus  hielt  den 
Stoiker  Athenodoros,  seinen  Lehrer,  hoch  in  Ehren,  und  erklärte  ostentativ 


^)  Philostr.  vit.  sopli.  I  pro!.:  aocfioxaq 
OL  nuXaiol  eTiotvö^al^ov  ot'  }x6vov  tmv  {)i]töq(x)v 
roi^g  vTiEQ(f(x}vovvTi(g  je  xal  XajUTiQovg,  dX^cc 
xal  xmv  q)t).oa6cf(x)v  jovg  (Jvp  evqoUc  EQfxi]- 
vEvoinag.  Favorinus  lieisst  bei  GelJius  regel- 
mässig pliilosoplius,  bei  Lukian,  Dem.  12 
ao^iazrjg.     Vgl.  Rohde,  Gr.  Rom.  320  f. 


2)  Luc.  Eun.  3:  GvinETuxTm  ix  ßaailEiog 
f^iOx^ocpoQtcc  rig  oij  tpavXi]  y.azcl  ysp^]  To?g 
cpiloGocfoig,  Irotiixo'ig  ^eyto  xai  JJlcawvLXoJg 
y.(d  'EnLxovQEioig  ETI  xcd  roTg  ix  rov  tteqi- 
TTf'cTov.  ZuMPT,  über  den  Bestand  der  philo- 
sophischen Schulen  in  Athen.  Abh.  d.  ßerl. 
Ak.  1844. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,  f)  Die  Philosophie.  (§453.)     579 


nach  der  Niederwerfung  des  Aufstandes  in  Alexandria,  dass  er  nur  dem 
Philosophen  Areios  zulieb  den  Bürgern  ihren  Übermut  verzeihe;  ^)  Titus 
verkehrte  intim  mit  dem  Philosophen  Musonius,  Nerva  und  Trajan  mit  Dion 
Chrysostomos,2)  M.  Aurel  mit  Rusticus;  selbst  der  finstere  Tiberius  hatte 
gern  den  Platoniker  Thrasylos  um  sich.^)  Auf  der  anderen  Seite  blieben 
freilich  auch  die  gewaltsamen  Reaktionen  des  römischen  Kaisertums  gegen 
den  Freimut  der  Stoiker  und  die  zersetzenden  Tendenzen  der  fremden  Phi- 
losophie nicht  aus.  Nachdem  schon  Nero  bei  Gelegenheit  der  Verschwörung 
des  Piso  gegen  die  Philosophen,  insbesondere  Seneca  und  Musonius,  gewütet 
hatte,  folgte  eine  zweimalige  Vertreibung  der  Philosophen  aus  Italien,  zu- 
erst unter  Vespasian,  dann  unter  Domitian.  Aber  diese  Verfolgungen  waren 
von  keiner  nachhaltigen  Wirkung:  die  Philosophen  kamen  wieder  oder  zogen 
sich  nur  von  Rom  zu  ihren  alten  Sitzen  in  Griechenland  und  Kleinasien  zurück. 

Die  erhaltenen  Schriften  tragen  fast  durchweg  den  Charakter  eklek- 
tischer Popularphilosophie;  am  besten  noch  ist  die  Lehre  der  Stoa  ver- 
treten. Plutarch  bekennt  sich  zwar  als  Akademiker,  aber  die  Akademie 
selbst  war  schon  seit  Cicero  und  Philon  eklektische  Popularphilosophie 
geworden.  Die  Zahl  und  der  Wert  der  erhaltenen  Bücher  sind  zu  unbe- 
deutend, um  eine  Gliederung  in  besondere  Abschnitte  zu  fordern.  Wir 
werden  daher  mit  einer  einfachen  Aufzählung  der  einzelnen  philosophischen 
Schriftsteiler  uns  begnügen,  indem  wir  die  Vertreter  der  neupythagoreischen, 
judaisierenden,  stoischen,  sophistischen,  skeptischen,  historisch-biographischen 
Richtung  nacheinander  besprechen. 

453.  Q.  Sextius-(geb.  um  70  v.  Chr.)  war  Begründer  einer  um  die 
Zeit  von  Christi  Geburt  aufkommenden  Sekte  von  Neupythagoreern,  welche 
die  Reinheit  des  sittlichen  Lebens  und  die  Beherrschung  der  sinnlichen 
Begierden  als  Hauptaufgabe  der  Philosophie  betrachteten.  Anhänger  derselben 
war  unter  andern  Sotion  aus  Alexandria  und  dessen  Schüler  Seneca.  Die  An- 
schauungen dieser  Neupythagoreer  sind  niedergelegt  in  kurzen  Sentenzen 
(yvo^iai),  die  in  ihrer  sittlichen  Strenge  sich  vielfach  mit  dem  Christentum 
berühren,  aber  auch  viele  Interpolationen  in  späterer  Zeit  erfahren  haben. 
Unter  dem  Namen  Sextus,  hinter  dem  man  unseren  Neupythagoreer  Sextius 
vermutet  hat,  fand  Origenes  c.  Cels.  8,  30  eine  Sammlung  von  Sentenzen  vor, 
von  der  uns  Reste  in  lateinischer  (von  Rufinus)  und  syrischer  Überarbeitung 
erhalten  sind. 4)  Ahnlicher  Art  sind  die  moralischen  Sprüche  und  Vergleichungen 
des  Secundus  des  Schweigsamen  (unter  Trajan),'')  des  Demophilos,  Demo- 
krates^)  und  eines  gewissen  Eusebios."^)  Auch  die  goldenen  Worte  (/(»rG'a  tTr?^) 


^)  Plut.  Anton.  88;  Cassius  Die  51.  (1; 
Themist.  or.  V  p.  75;  VllI,  129;  X,  155; 
XIII,  212. 

'^)  Suidas  u.  Jicoi^  und  die  angefühlten 
Stollen  des  Themistios. 

•')  ßuct.  Aug.  14  u.  62;  Tac.  ann.  VI, 
20.  Die  Fragmente  des  Thrasylos  bei  Müller 
FHG.  III,  501-5. 

**)  Gildemeister,  Sexti  sent.  schreibt  die 
Rcntonzon  einem  Sextus  (nicht  Soxtius)  aus 
ungewisser  Zeit  zu  und  weist  das  griechische, 
a])er  unvollständige  Original  in  den  J't'iofjca 
Gu(fiu}'   nach,    welche  Uoissonade,  Anccd.  1, 


127-134  aus  dem  Cod.  Paris.  1G30  heraus- 
gab. Über  christliche  Bestandteile  in  jenen 
Sprüchen  und  die  Schwierigkeit  einen  Kern 
von  Gnomen  der  Sextier  herauszufinden  s. 
Zeller  IIP,  1.  078  f. 

■')  Von  Secundus  hat  Tischendorf  einen 
iSloc  auf  einem  Pai>yrusblatt  in  Ägypten  ge- 
funden,   worüber   !Sal'ppe,  Philol.  18,  523  ff". 

^)  Des  Demokrates  Sprüche  sind  in 
ionischem  Dialekt  geschrieben. 

^)  Auch  die  durch  Stobaios  erhaltenen 
Fragmente  des  Kusebios  .sind  in  ionischem 
Diak'kt  geschrieben.    Unsicher  ist  dieVermu- 

*>  '^  * 


580 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


des  Pytliagoras,  des  Gründers  der  Schule,  die  weisen  Sprüche  seiner  an- 
geblichen Frau  Theano  und  die  grösstenteils  durch  Stobaios  uns  erhaltenen 
Sätze  des  Pythagoreers  Archytas  sind  in  den  Kreisen  der  Neupythagoreer 
entstanden,  wenn  in  dieselben  auch  Aussprüche  aus  sehr  verschiedener  Zeit 
Aufnahme  gefunden  haben. 

Den  Namen  eines  alten  Schülers  des  Pythagoras,  des  Okellus  Lu- 
canus, von  dem  uns  auch  Stobäus  ecl.  phys.  I,  13  einen  Satz  in  dorischem 
Dialekt  erhalten  hat,  trägt  die  Schrift  von  der  Natur  des  Universums  [tisqI 
TijQ  Tov  navTog  (fvaaoog).  Das  Buch  zerfällt  in  4  Kapitel,  von  denen  die 
3  ersten  die  alten  Probleme  von  der  Ewigkeit  und  ünvergänglichkeit  des 
Kosmos,  von  dem  Unterschied  der  bleibenden  Substanz  und  der  veränder- 
lichen Eigenschaften,  vom  Bestehen  der  Teile  der  Welt,  des  Himmels,  der  Erde 
und  des  Menschengeschlechtes,  von  der  Zeiten  Anfang  her,  in  summarischer, 
hauptsächlich  auf  Aristoteles  fussender  Beweisführung  behandeln.  Das 
4.  Kapitel  gibt  einen  moralisierenden  Abschluss,  indem  es  der  geschlecht- 
lichen Verbindung  der  Menschen  die  Erhaltung  des  Geschlechtes  durch 
Zeugung  kräftiger  Kinder  zur  kosmischen  und  sittlichen  Aufgabe  stellt. 
Von  einem  hohen  Alter  der  Schrift  kann  keine  Rede  sein;  sie  ist  in  den 
Kreisen  der  späteren  Peripatetiker  entstanden  und  erinnert  speziell  an  des 
Nikolaos  Damaskenos  Buch  ti^qI  tov  nrnrog.  Citiert  wird  Okellos  bereits 
in  dem  unter  die  Werke  des  Philon  aufgenommenen  Buche  über  die  Ünver- 
gänglichkeit der  Welt;  0  da  aber  die  Echtheit  dieses  Buches  zweifelhaft  ist,  so 
lässt  sich  daraus  kein  sicherer  Schluss  auf  die  Lebenszeit  des  Okellus  ziehen. 

Okelli,  Opuscula  Graecorum  veterum  sententiosa  et  moralia,  Lips.  1821,  2  Bde.; 
Pytliagoreorum  aliorumque  phüosoplioriim  similitudines  et  sententiae,  in  Mullach.  FPG.  I, 
485  ff.,  11,  1  ff.,  Ill,  1  ff .  —  Sexti  sententiarum  recensiones  ea:/ii6eif  Gildemeister,  Bonn  1873  — 
llv&ccyoQov  XQvau  tn7]  ed.  Nauck,  im  Anhang  des  lamblichos,  Petersb.  1884;  dazu  der 
Kommentar  des  Hierokles  in  Mullach  FPG.  I,  416  ff.  -  Bachmann,  Das  Leben  und  die 
Sentenzen  des  Philosophen  Secundus  des  Schweigsamen,  Halle  1887;  Derselbe,  die  Philo- 
sophie des  Neopythagoreers  Secundus,  mit  Nachweis  äthiopischer  und  lateinischer  Über- 
setzungen, Berl.  1888.  —  Sprüche  der  Theano  in  syrischer  Übersetzung  herausgegeben  von 
Sachau,  Inedita  syridca,  Wien  1870;  ebenda  eine  Vita  des  Philosophen  Secundus,  die  auch 
in  äthiopischer  und  ai  abischer  Übersetzung  existiert.  —  ^OxiX'kov  tov  Asvxavov  tieqI  jrjq 
TOV  nayiog  cpvosuig  in  Mullach  FPG.  I,  388—406. 

454.    Apollonios  aus  Tyana  in  Kappadokien,    dessen  Leben   uns  in 

romanhafter  Ausschmückung  von  Philostratos  beschrieben  ist,^)  gehörte  zu 

den  abenteuerlichen  Grosssprechern    und  Wunderthätern   des   hellenisierten 

Orients,    welche   in   der   römischen  Kaiserzeit  massenhaft   auftauchten   und 

sich  den  Namen  von    Philosophen   und   Pythagoreern   beilegten.     Er  lebte 

unter  Nero   und  Domitian   in   Rom,    hatte    aber   auf  ausgedehnten   Reisen 


tung  von  Mullach  FPG.  III,  5,  dass  derselbe 
mit  dem  von  Eunapios,  vit.  soph.  p.  48  f.  er- 
wähnten Platoniker  Eusebios  aus  Myndos 
identisch  sei. 

^)    Philon     71£qI     U(fy^C(QOlfig     XOOfAOV    c.    3 

p.  489  M.:  tvioi  de  y.al  jQiaToith]  rijg  d6^7jg 
evQSTiqv  "ksyovGiv,  ulld  xcd  nuv  UvxtayoQeiior 
jivdg  '  syoj  cTe  y.(d  Oxt'XXov  ovyyqu^fAUTi 
Aevxttvov  yivog  iniyQacpo^tvM  tisqI  Ttjg  rov 
Tittvxoi  (piiascog  it^eiv/oh',  fV  a  uyti'yToy  xcd 
äcpdciQToy  ovx  dnecpcdi'STo  fÄÖvov,  d'Aluxcd 
cJV'  dnodel^ecoy  xareaxevctCs  xov  xoGfioy  elvca. 
Über    die  Stellung   der  Frage   von    der  Ün- 


vergänglichkeit der  Welt  in  der  Lehre  des 
Neuplatonismus  vergleiche  Sallustius  TieQi 
^EHüv  xcd  xöofxov  c.   17. 

2)  Benützt  hat  Philostratos  die  älteren 
Memoiren  des  Damis  aus  Ninus,  der  den 
Apollonios  auf  seinen  Wanderungen  begleitet 
hatte,  ferner  ein  Buch  des  Maximus  aus 
Aigai,  das  die  Wunderthaten  des  Apollonios 
im  Asklepiostempel  zu  Aigai  in  Kilikien  ent- 
hielt, und  die  Biographie  des  Apollonios  von 
Moiragenes  in  4  B,  Ein  Athener  Moira- 
genes  kommt  vor  bei  Plut.  Quaest.  conv. 
IV,  6. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f)  Die  Philosophen.  (§454^455.)  581 


auch  Fühlung  mit  den  orientalischen  Theosophemen  der  Magier,  Brahmanen, 
Gymnosophen,  vielleicht  auch  der  Christen  gewonnen.  Suidas  erwähnt  von 
ihm  TeksToi  tj  negl  ^vaiwv,  Sia^rjxrj,  xQ^J^I^^'y  67ii(SToXai\  JIvü^ayoQov  ßiog. 
Erhalten  haben  sich  unter  seinem  Namen  über  100  meist  kurze,  aber  an 
Kernsprüchen  reiche  Briefe  (Epist.  gr.  ed.  Herch.  p.  110 — 130),  die  uns  den 
Mann  von  einer  viel  besseren  Seite  als  das  Buch  des  Philostratos  erkennen 
lassen.  Aber  die  Echtheit  dieser  Briefe  ist  sehr  fraglich,  zumal  die  von 
Stobaios  aus  Briefen  des  Apollonios  angeführten  Stellen  sich  in  den  uns 
erhaltenen  nicht  finden,  so  dass  jedenfalls  Stobaios  noch  andere  Briefe 
unseres  Philosophen  gehabt  haben  müsste.^)  Philosophische  Briefe  waren 
aber  in  jener  Zeit  der  Gedankenseichtheit  eine  sehr  beliebte  Form,  sich 
über  philosophische  Dinge,  namentlich  moralische  Fragen  auszusprechen; 
wir  lernen  diese  Richtung,  die  von  Epikur  an  datiert,  besser  noch  als  aus 
den  Schriften  der  Griechen  aus  den  Briefen  des  stoischen  Staatsmannes 
Seneca  kennen. 

455.  Philon  aus  Alexandria, 2)  der  im  Jahre  39  n.  Chr.  als  Vertreter 
der  jüdischen  Gemeinde  von  Alexandria  eine  Gesandtschaft  nach  Rom  an  den 
Kaiser  Gaius  Caligula  ausführte, 3)  ist  der  Hauptvertreter  der  hellenistisch- 
jüdischen Philosophie.  Ein  Verehrer  Piatons  ^)  und  ein  Freund  der  Stoa 
wurzelte  er  doch  mit  seinen  Lebensanschauungen  in  dem  Judentum  und  im 
Glauben  an  die  heiligen  Bücher  seines  Volkes. ^^)  Als  Schriftsteller  war  er 
ungewöhnlich  fruchtbar  und  hat  zahlreiche,  zum  grösseren  Teil  uns  noch 
erhaltene,  aber  erst  nach  und  nach  ans  Licht  gezogene  Schriften  hinter- 
lassen.^) Einige  derselben  sind  geschichtlich-biographischer  Natur,  wie  das 
Leben  des  Abraham,  Joseph,  Moses;  andere  beziehen  sich  auf  die  Zeit- 
verhältnisse und  die  Stellung  des  Autors  zu  denselben,  wie  die  von  der 
Gesandtschaft  an  Gaius  und  von  dem  Statthalter  Flaccus;^)  die  Mehrzahl 
derselben  behandelt  Fragen  der  Philosophie,  insbesondere  der  Ethik,  teils 
von  einem  allgemeineren  Standpunkt,  wie  über  die  Tapferkeit  (tisqI  aidgiag), 
über  die  Menschenliebe  {TceQi  (fiXarO^QcoTitag),  über  die  Trunksucht  [TieQl 
/iu'^rjg),^)  teils  im  engeren  Anschluss   an   die  jüdischen  Sitten  und  Gesetze, 


')  Die  Echtheit  der  Briefe,  bestreitet 
Kayser,  Praef.  ad  vit.  Apoll,  p.  5;  ihm 
stimmt  im  wesentlichen  bei  Westermann, 
De  epist.  Script,  praec.  II,  22. 

2)  Ein  Artikel  von  Suidas  über  ^iXiop 
'lovö'a?og,  aus  neuerer  Zeit  von  Steinhart  in 
Pauly's  Kealencyklopädie  des  klass.  Alt. 

')  Joseph.  Arch.  iud.  XVlll,  8.  1 ;  Philo 
nsQi  TiQeaßeiccg  nQog  ruiop ;  Euseb,  Hist. 
eccl.  11,  5.  1. 

"*)  Sprichwörtlich  sagte  man  nach  Suidas: 
ij  UXchtav  (piXoopiCsi  y  ^'ihoi^  n^arojyiCet. 

^)  Ziegler,  Über  Entstehung  der  ale- 
xandrinisclien  Philosophie,  Vhdl.  d.  »?<).  Vors. 
<1.  Phil.  S.  33-42,  wo  namentlich  auf  den 
Zusammenhang  der  Lehre  Philons  mit  dem 
pseudosalomonischen  Buch  der  Weisheit  hin- 
gewiesen ist. 

^)  Unvollständig  ist  das  Schriftenver- 
zeichnis bei  Suidas  und  Euscbios,  Hist.  eccl. 
II,  18;    doch  enthält  dasselbe  mehrere  Schrif- 


ten, die  nicht  auf  uns  gekommen  sind.  Das 
Schriftenverzeichnis  in  Fabricius  Bibl.  gr. 
IV,  728  f.  hat  später  noch  wesentliche  Er- 
gänzungen durch  den  Fund  armenischer 
Übersetzungen  und  einzelner  Originaltexte 
erfahren.  Auch  Hexameter  auä  einem  Ge- 
dicht des  Philon  über  Jerusalem  citiert 
Euseb.  praep.  ev.  IX,  20  und  37. 

^)  Beide  Schrifton  bilden  nur  einen  Teil 
der  5  Bücher  über  die  Stellung  der  Juden 
unter  Gaius. 

^)  Veranlasst  wurde  die  Schrift  ttsqI 
juef^jjg  duich  den  allegorischen  Kommentar 
zur  Erzählung  der  dlcnesis  von  Noahs  Wein- 
bau; vorausgeschickt  ist  ihr  p.  350  ed.  M. 
eine  Darstellung  der  griechischen  Erörterun- 
gen über  das  CtJTtjfxcc  aroCtg,  si  fi£(^va8^rj(seT((i 
ö  aocfog.  das  für  die  (leschichtc  der  stoischen 
Philosophie  v.  Arnim,  Quellenstudien  zu  Philo, 
Phil.  llnt.  XI  (1888)  101-140,  verwertet. 


KQ.9 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


wie  über  die  Zehngebote  (ti^qI  tmv  Stxa  Xoyfcov),  über  die  Spezialgesetze 
(TTeQi  Twr  €v  sTSei  ro^wr),  über  die  Beschneidung  {ttsqI  TrsQiToi^irjg);  andere 
endlich  enthalten  allegorische  Deutungen  der  heiligen  Schriften  der  Juden, 
wie  die  lo^aojr  ifQcoy  dXhiyoqim  zu  Genes.  II,  1  —  3,  III,  19,  tisqI  yiydvTO)v 
zu  Genes.  VI,  1 — 3,  on  arQ^mov  t6  ^sTov  zu  Genes.  VI,  4 — 13.  i) 

Durchweg  vertritt  Philon  in  seinen  Schriften  eine  synkretistische 
Richtung,  indem  er  teils  Moses  in  Piatons  Sprache  sokratische  und  stoische 
Weisheit  vortragen  lässt,  teils  die  Lehren  der  griechischen  Philosophen, 
eines  Heraklit,  Piaton,  Zenon,  aus  mosaischen  Quellen  ableitet.  Neu  ist 
bei  ihm  die  Lehre  von  dem  Logos,  welcher  als  Mittler  zwischen  Gott  und 
Welt  den  Menschen  die  Gebote  und  Offenbarungen  Gottes  überbringt, 
welcher  der  Gottheit  als  Eigenschaft  der  denkenden  Weisheit  innewohnt 
und  zugleich  durch  die  sinnlich  wahrnehmbare  Welt  als  die  in  ihr  sich 
offenbarende  göttliche  Vernunft  verbreitet  ist.  2)  Mit  diesen  Sätzen  und  der 
damit  zusammenhängenden  Lehre  von  den  Engeln  und  Dämonen  3)  ragte 
Philon  in  eine  neue  Welt  hinein  und  beeinflusste  in  nachhaltiger  Weise 
die  philosophischen  Anschauungen  der  Gnostiker  und  christlichen  Kirchen- 
lehrer. Aber  eben  deshalb  fällt  auch  eine  eingehendere  Betrachtung  der 
Werke  und  Ideen  Philons  ausserhalb  der  Grenzen  unserer  Aufgabe. 

Untergeschoben  wurde  unserem  Autor  die  lehrreiche  Schrift  über  die 
Unvergänglichkeit  der  Welt  [ttsqI  d^iyaqaiaq,  xocri^iov),^)  worin  dieses  von 
Aristoteles  angeregte  Thema  unter  Berücksichtigung  des  auf-  und  abwogen- 
den Schulstreites  der  Peripatetiker  und  Stoiker  behandelt  ist.  Bestritten 
ist  auch  die  Echtheit  des  interessanten  Buches  von  dem  beschaulichen 
Leben  der  Therapeuten  {rregl  tov  ßiov  ^swqtjtixov)/^)  das  also  nicht  mehr  so 
leicht  als  historische  Quelle  benützt  werden  darf,  um  das  christliche  Mönch- 
tum  und  Einzelheiten  des  kirchlichen  Ritus  der  Christen  aus  der  Lebens- 
und Kultusweise  jüdischer  Sekten  Ägyptens  abzuleiten. ß) 

Codices:   Laurent.    10,    20   s.  XIII;    Vaticanus    381;    Monacens.    (olim   August.)    459 


^)  Zu  gründe  gelegt  ist  die  griechische 
Übersetzung  der  Septuaginta,  in  der  Philon 
besser  als  im  hebräischen  Urtext  bewan- 
dert ist. 

2)  Heinze,  Die  Lehre  vom  Logos  in  der 
griechischen  Philosophie,  Oldenburg  1872, 
S.  204  ff.  Ausgegangen  ist  offenbar  Philon 
in  seiner  mysteriösen,  keineswegs  zur  kon- 
sequenten Klarheit  entwickelten  Lehre  von 
der  Vieldeutigkeit  des  griechischen  Wortes 
^oyog,  das  die  3  Bedeutungen  hatte:  1)  ge- 
äusserte Rede,  2)  innere  Vernunft,  3)  Ver- 
hältnis der  Teile  eines  Ganzen   zu  einander. 

^)  Diese  Lehre  von  den  Dämonen,  die 
zwischen  der  Gottheit  und  den  Menschen 
vermitteln,  hat  ihre  Quelle  in  Platon  selbst; 
vergleiche  besonders  Symposion  c.  23:  to 
diatiovioy  fASiaiv  ion  Oeov  rs  xcd  ^pr]Tov 
.  .  .  6lu  tovxo  naffc'c  iazip  rj  o^iXia  xcd  rj 
did/KexTog  ^eoTg  TiQog  dpx^Qconovg.  Von  der 
Aufnahme  derselben  in  die  synkretistische 
Philosophie  der  römischen  Kaiserzeit  zeugt 
besonders  Augustin,  de  civit.  dei  IX,  19: 
nonnulU   istüviim   ut   itu  dicam  daemonico- 


larum,  in  quibus  et  Labeo  est,  eosdem  per- 
hibent  ab  aliis  angelos  dici,  quos  ipsi  dae- 
mones  7iuncupant. 

*)  Echt  kann  die  Schrift  nicht  sein, 
weil  sie  mit  Philons  Glauben  an  die  biblische 
Erzählung  von  der  Erschaffung  der  Welt 
(s.  ttsqI  trjg  Miovaewg  xoofioTioiiug)  in  Wider- 
streit steht;  s.  Bernays,  Abhdl.  d.  Berl.  Ak. 
1876  u.  Ges.  Abhdl.  I,  283-90;  v.  Aknim, 
Über  die  pseudo-philonische  Schrift  nsQi 
dcp&aQolag  xoofxov,  in  Phil,  Unt.  XI,   1  —  52. 

^j  Lucius,  Die  Therapeuten  und  ihre 
Stellung  in  der  Geschichte  der  Askese, 
Strassb.  1879,  weist  die  Schrift  einem  christ- 
lichen Verfasser  des  3.  Jahrhunderts  zu. 
Des  weiteren  beweist  Ohle,  Die  Essäer  dos 
Philon,  in  Jhrb.  f.  prot.  Theol.  XIII  (1887) 
S.  288—394,  dass  auch  in  der  Schrift,  Der 
Weise  ist  der  wahrhaft  Freie,  die  §§12  u.  13 
von  christlicher  Hand  zugesetzt  sind. 

^)  Dass  indes  schon  seit  der  Mitte  des 
2,  Jahrhunderts  v.  Chr.  die  Essener  eine 
solche  asketische  Ordensgemeinde  bildeten, 
gilt  als  ausgemacht. 


II 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f)  Die  Philosophen.  (§456— 457.)  583 


und  113.  —  P]d.  princ.  von  Tüknebus,  Par.  1552;  vollständiger  von  Mangey,  Lond.  1742, 
2  vol.  und  von  Pfeiffer,  Erlang.  1795,  5  vol.  Neue  Funde  von  armenischen  Über- 
setzungen aus  einer  galizischen  (gefunden  von  Zohrab  1791)  und  einer  konstantinopolitaner 
Handschrift,  publiziert  von  Aucher,  Venet.  1822;  neue  griech.  Texte  de  virtute  eiusqiie 
])artibiis,  de  festo  Cophini,  de  parentihtis  colendis  von  Ang.  Mai  in  der  Ambrosiana  und 
Vaticana  gefunden  und  publiziert  Mediol.  1816/18  und  in  Script,  class.  t.  IV,  Rom.  1830. 
Vollständigste  Gesamtausg.  von  C.  E.  Richter,  Lips.  1828 — 30,  8  vol.  Danach  wurden 
noch  neue  Philonea  von  Tisghendorf,  Lips.  1868  und  von  Harris  (aus  des  Damaskenos 
Parallela),  Cambridge  1886  ans  Licht  gezogen.  —  P]inze]ausgabe  von  Phüonis  Alexandrini 
libeUus  de  opificio  mundi  ed  L.  Cohn,  Vratisl.  1889  als  specimen  novae  editionis  operum 
Fhilonis.  —  Für  weitere  Kreise  empfiehlt  sich  die  Chrestomathia  Philoniana  von  Dahl, 
Hamburg  1800,  2  Bde.  -  Erläuterungsschriften  von  Gfrörer,  Philo  und  die  alexandrini- 
sche  Theosophie,  2.  Aufl.  Stuttg.  1835;  Ueberweg,  Gesch.  d.  Phil.  l\  296  ff.;  Zeller,  Gesch. 
d.  gr.  Philos.  ni,=^  2.  338  ff. 

456.  Die  Sektenphilosophen,  welche  in  der  alexandrinischen  Periode 
eine  so  geräuschvolle  litterarische  Thätigkeit  entfaltet  hatten,  sind  in  der 
römischen  Zeit,  als  das  Interesse  für  die  philosophischen  Klopffechtereien 
der  sich  gegenseitig  befehdenden  Systeme  erlahmt  war,  allmählich  still 
und  schweigsam  geworden.  Die  Epikureer  haben  nur  hier  und  da  noch- 
mals ihre  Stimme  gegen  den  hereinbrechenden  religiösen  Wunderglauben 
erhoben; ')  die  Kyniker  verlegten  sich  mehr  auf  das  Poltern  und  ostentatives 
Scheinheiligtum  als  auf  litterarische  Thätigkeit;  am  meisten  sind  noch  die 
Stoiker,  an  deren  Tugendlehre  sich  die  Besten  der  Zeit  klammerten,  in  die 
Arena  des  litterarischen  Wettkampfes  getreten.  Von  ihnen  wollen  wir  auf 
den  folgenden  Seiten  im  einzelnen  handeln. 

L.  Annaeus  Cornutus  aus  Leptis  in  Afrika  war  Lehrer  des  römi- 
schen Satirikers  Persius  und  wurde  zugleich  mit  Musonius  Kufus  von  Nero 
aus  Rom  verwiesen.  Auf  uns  gekommen  ist  von  seinen  in  griechischer 
Sprache  geschriebenen  Werken  die  ^EmdQoixri  lojv  xard  Tt^v  ^EXkrjvixt^v 
^eoXoyiav  naQaSsSoiitvMv^  eine  früher  überschätzte  Kompilation  nach  den 
grösseren  Werken  der  älteren  Stoa,^)  insbesondere  des  Kleanthes  nnd 
Apollodor,^)  die  uns  mit  den  allegorisierenden  etymologischen  Träumereien 
der  stoischen  Mythenerklärung  bekannt  macht.  ^) 

4:57.  C.  Musonius  Rufus  aus  Volsinii  in  Etrurien,  ein  charakter- 
fester Stoiker,  der  durch  Nero  wegen  der  angeblichen  Beteiligung  an  der 
Verschwörung  des  Piso  nach  der  Felseninsel  Gyaros  verbannt  wurde,"') 
später  aber  unter  Galba  wieder  nach  Rom  zurückkehrte,  schrieb  gleichfalls 
seine  philosophischen  Untersuchungen  in  griechischer  Sprache  und  dieses 
in  einer  an  Xenophon  erinnernden  Eleganz.  Suidas  führt  von  ihm  philo- 
sophische Reden  und  Briefe  an.  Von  den  Briefen  ist  einer  an  Pankratides 
erhalten    (Epist.  gr.  ed.  Herch.   p.  401  —  4),    w^orin    er    seinen    Freund    zur 


')  Über  Celsus,  den  Verfasser  des  gegen 
die  Christen  gerichteten  \lXrji}i]g  Xoyog  siehe 
unten  unter  Lukian  und  Origenes. 

'^)  OsANN  in  seiner  Ausg.  p.  XXXIX  sqq. 
Cornutus  selbst  am  Schlüsse  seines  Buches: 

To?g  TiQSoßvtiQoiq  (piXo(T6(fotg  efAov  vvv  im- 
TSTfiirjjLiet^wg  ccvid  71«q«(^ovp«l  ooi  ßovh](^ti'Tog. 

^)  MüNZEL,  JJe  Äpollodori  tieqI  O^euji^ 
lihro  p.  25-  30. 

"•)  Ausgabe  von  Osann,  Gott.  1844;  von 
C.  Lakg,  Lips.  1881.     Des  Cornutus  unwür- 


dig ist  der  seinen  Namen  tragende  Persius- 
konimentar;  s.  0.  Jahn.  Proleg.  in  Persium 
p.  CXIII  sqq.  Krst  aus  dem  s])aten  Mittel- 
alter stammen  die  sogenannten  Disticha  Cor- 
nuti,  neu  herausgegeben  von  Liebl,  Progr. 
Straubing  1888. 

•')  Tacitus  ann.  XV,  71 :  Virginium  et 
Musoniuni  liufiun  cldritudo  uoiniius  cxpuUt; 
num  Vir(jinius  tindia  iavcnum  cloquodia, 
3Iusonius  ]traccej)iis  sapientiac  fovchat.  Dazu 
Tac.  bist.  lU,  81  u.  Dio  XVI,  13;  vgl.  §  473. 


584 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Unterweisung  seiner  Söhne  in  der  Philosophie  ermahnt.  Ausserdem  sind 
durch  Stobaios  höchst  wertvolle  Bruchstücke  der  Uuo^ivrjf^iovsvfxara  Mov- 
acorfov  Tov  cpiXo^öcpov  von  Pollio  auf  uns  gekommen,  i) 

458.  Epiktetos  aus  Hierapolis  in  Phrygien,  von  Geburt  Sklave, 2) 
wie  sein  älterer  Landsmann  Aesop,  war  Schüler  des  Musonius  Rufus  und 
wirkte  zuerst  in  Rom  als  hochangesehener  Sittenlehrer  der  Stoa.  Durch 
Domitian  bei  der  grossen  Philosophenvertreibung  des  Jahres  94  aus  Italien 
verjagt,  schlug  er  seinen  Sitz  zu  Nikopolis  in  Epirus  auf,  wo  er  einen 
grossen  Kreis  begeisterter  Zuhörer  um  sich  sammelte  und  bis  ins  2.  Jahr- 
hundert hinein  thätig  blieb;  sicher  lebte  er  noch  unter  Trajan,  aber  auch 
noch  Hadrian  soll  mit  ihm  vertraulich  verkehrt  haben  (Spartian,  Hadr.  16). 
Seine  Philosophie  beschränkte  sich  wesentlich  auf  die  Sittenlehre,  die  er  im 
Geiste  der  Stoa  auf  Grundlage  der  Selbstbeherrschung  aufbaute,  in  der  er 
aber  auch  Verkünder  einer  reineren,  von  den  Schranken  der  Nationalität 
und  Geburt  losgelösten  und  zur  Anerkennung  der  allgemeinen  Menschen- 
rechte sich  erhebenden  Sittlichkeit  wurde.  Die  Probleme  der  Logik  und 
und  Physik  lässt  er  als  überflüssige  oder  doch  untergeordnete  Fragen  bei 
Seite;  hingegen  verbindet  sich  bei  ihm  die  Pflichtenlehre  eng  mit  der  Lehre 
von  einem  allweisen  und  allgütigen  Gott,  dem  die  Seele  des  Menschen  ver- 
wandt sei.  Sein  Hauptsittengesetz  lautete  dvt'xov  xal  arci^ov,  auf  der  Fahne 
seiner  Philosophie  stund  geschrieben  laigeTov  saii  %o  tov  cfiloadcpov  axoXewv. 
Seine  Sätze  sind  uns  vornehmlich  in  den  Aufzeichnungen  des  Arrian  {6ta- 
TQißal  ^Etuhh'itov  und  syxsiqiSiov)  erhalten,  denen  in  den  Ausgaben  die  bei 
Stobaios  u.  a.  sich  findenden  Sentenzen  und  Aussprüche  angehängt  sind.*^) 
In  der  Lehre  und  noch  mehr  in  der  Form  knüpfte  Epiktet  an  die  Dia- 
tribai  des  Bion  Borysthenites  (s.  §  369)  an:  wie  jener  so  ging  auch  er 
über  die  engherzigen  Systeme  der  Schulweisheit  hinaus  und  liebte  in  der 
Darlegung  der  sittlichen  Grundsätze  der  Humanität  die  zwanglose  Form 
der  Unterhaltung;  die  Verwandtschaft  beider  drückt  sich  schon  in  der 
Gleichheit  des  Titels  aus. 

Vliilosojjhiae  Epicteteae  monumenta  ed.  Schwetghäuser,  Lips.  1799;  vgl.  oben  §  441 
Über  die  aus  einer  Sammkmg  von  dnocp&eyfxnza  stammenden  Sentenzen  (71)  s.  H,  Schenkl, 
Die  epiktetischen  Fragmente,  eine  Untersuchung  zur  Überlieferungsgeschichte  der  griech. 
Florilegien,  Stzb.  d.  Wien.  Ak.  115  (1888)  443—546;  R.  Asmus,  Quaestiones  Ejjicteteae, 
Freib.  1888. 

459.  Marcus  Aurelius,  der  Philosoph  auf  dem  Thron  (161  — 180), 
war  durch  seinen  Lehrer  lunius  Rusticus  in  das  Studium  des  Epiktet  ein- 


')  Suidas  u.  TToXf'w*^  denkt  dabei  ver- 
kehrter Weise  an  Asinius  Pollio.  Dass  viel- 
mehr L.  Claudius  Pollio  zu  verstehen  sei, 
schloss  NiEuwLAND  bei  Peerlkamp  p.  51 
aus  Plinius  ep.  VII,  31.  5:  Musonii  Bassi 
memoriam  tarn  grata  praedicatione  prorogat 
et  extendit  sc.  Claudius  Pollio,  ut  librum 
de  vita  eius  ediderit,  wo  indes  jetzt  Keil 
nach  der  besten  handschriftlichen  Über- 
lieferung Anni  Bassi  liest.  Da  bei  Stobaios 
Anth.  II,  15.  46  ein  Aovxiog  als  Verfasser 
der  'Jno^vrj^ovehf^ccxa  angegeben  ist,  so 
denkt  Eohde,  Lukians  Schrift  Aovxiog  S.  28  f. 
an    den    Philosophen    Lucius    bei    Philostr. 


vit.  soph.  p.  64,  20.  Ausgabe:  C.  Musonii 
Rufi  rell.  ed.  Peerlkamp,  Harlem  1822.  Über 
Benützung  durch  Clemens  Alex.  s.  Wend- 
land, Quaest.  Muson.,  Berl.  1886. 

-)  Sein  Herr  war  der  Grammatiker 
Epaphroditos  aus  Chäronea,  der  Freund  des 
Josephos.  Ein  Epigramm  auf  Epiktet  steht 
Anth.  VII,  676,  worin  er  als  ^ovlog  und 
aojfi'  avÜ7ir]Qog  bezeichnet  wird. 

^)  Ein  Pov(fog  ix  tiov  'Enixxrjxov  ttsqI 
(piXlccg  wird  citiert  bei  Stob.  Flor.  19,  13. 
Ausserdem  gehen  die  Selbstbetrachtungen 
des  Marc.  Aurel  auf  Epiktet  zurück. 


B.  Römische  Pe riode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f)  Die  Philosophie.  (§  458 — 460.)  585 

geführt  worden.  Während  seiner  Regierung  schrieb  er  in  Mussestimden  die 
uns  erhaltenan  Selbstbetrachtungen  {rd  elg  iavvöi'  in  12  B.),  die  in  apho- 
ristischer Form  ein  erhebendes  Bild  philosophischen  Seelenadels  enthalten. 
Auch  er  weist  wie  Epiktet  die  rein  theoretischen  Untersuchungen  als  schwer 
lösbar  und  wenig  fruchtbar  ab  und  findet  das  Schwergewicht  der  Philosophie 
in  der  Bildung  des  Charakters  und  der  Beruhigung  des  Gemütes.  Lebend 
in  einer  Zeit  des  Egoismus  und  der  sittlichen  Fäulnis  betrachtet  er  das 
Leben  mit  einem  tiefen  Anflug  von  Melancholie.  Die  Welt  des  Körpers  ist 
ihm  ein  unbeständiger  Fluss,  die  der  Seele  Traum  und  Wahn,  das  Leben 
selbst  Krieg  und  Wanderschaft  in  der  Fremde  (II,  17).  Ausser  dem  grie- 
chischen Buche  sind  uns  von  unserem  Kaiser  auch  mehrere  lateinische  Briefe 
in  den  Werken  des  Fronto  erhalten. 

Oinomaos  aus  Gadara,  ein  Kyniker  des  2.  Jahrhunderts,  zog  nach 
Art  seiner  älteren  Zunftgenossen  Menippos  und  Meleagros  mit  rückhalts- 
losem Freimut  gegen  den  Mythenglauben  und  den  damals  üppig  blühenden 
Orakelhunibug  zu  Feld.  Seine  Schrift  ForjTMv  g^wQa,  von  der  uns  der 
Kirchenvater  Eusebios,  Praep.  ev.  V,  19 — 36  einen  längeren  Abschnitt  er- 
halten hat,  nennt  Jak.  Bernays  (Lukian  und  die  Kyniker  S.  35)  die  leben- 
digst geschriebene  Prosaschrift  des  2.  Jahrhunderts,  i) 

Neueste  Ausgabe  des  Marcus  Aurelius  von  Stich  1882  in  Bibl.  Teubn.  —  Saarmann, 
De  Oenomao  Gadarensi,  Diss.  1887,  wozu  die  abfällige  Kritik  von  Bukesch,  Klaros  S.  63  ff. 

460.  Wie  oben  schon  bemerkt,  nahm  im  2.  Jahrhundert  die  Sophistik 
die  Maske  der  Philosophie  an.  Wie  in  Piatons  Zeit  erhoben  auch  jetzt  die 
Sophisten  den  Anspruch  die  Vertreter  der  eigentlichen  Lebensweisheit  zu 
sein.  Aber  doch  nur  einige  von  ihnen  haben  sich  näher  mit  Philosophie 
beschäftigt  und  haben  über  philosophische  Dinge  in  ihrer  Art  geschrieben. 
Zu  diesen  gehören  vornehmlich  ausser  Dion  Chrysostomos,  den  wir  unten 
unter  den  Sophisten  behandeln  werden,  Favorinus  und  Maximus  Tyrius. 

Favorinus^)  aus  Arelate  in  Gallien,  von  Geburt,  wie  man  sagte, 
Androgyn,  war  der  gelehrteste  und  angesehenste  Sophist  und  Philosoph  der 
hadrianischen  Zeit.  Seine  ausgebreitete  Gelehrsamkeit  und  seine  weniger 
folgerichtige  als  vermittelnde  Art  zu  philosophieren  lernen  wir  zumeist  aus 
seinem  Bewunderer,  dem  römischen  Grammatiker  Gellius,  kennen.  Ver- 
dankte er  auch  sein  Ansehen  zumeist  seinen  gutgesetzten  und  mit  klang- 
voller Stimme  gesprochenen  Vorträgen,  so  hat  er  doch  auch  durch  zahl- 
reiche Schriften  seinen  Namen  auf  die  nächsten  Generationen  vererbt. 
Dieselben  waren  ähnlich  wie  die  seines  befreundeten  Zeitgenossen  Plutarch^) 
teils  philosophischen,  teils  historischen  und  grammatischen  Inhaltes.  Eine 
Fundgrube  mannigfacher  Gelehrsamkeit  bildete  für  die  Späteren,  insbesondere 
für  Diogenes,  sein  Miscellanenwerk  UccvroSanr]  vXij  aus  mindestens  acht 
Büchern.  Verwandten  Inhaltes  waren  seine  'ATtoiivriiiovevixata^  die  gleich- 
falls öfters  von  Diogenes  citiert  werden,  und  der  von  dem  Geographen 
Stephanos  u.  'Porrflg  erwähnte  Auszug  aus  den  Historien  der  Pamphile. 
Von   seinen    philosophischen   Schriften    erwähnen  Gellius  XI,  5  und  Suidas 

,  ')  Suidas    unter    Oh'ouaog    erwähnt  von  I  ^)  l'hiJostr.  vit.  sopli.   l,  8   mit   den  Kr- 

|ihm  noch  tt^qI  xvi'ktuov  {r;  xvi'oc:  avTotfon^Uc).  '  läuterungcn  Kayseks  p.  181  ff. 
\noXiTEU(.  TJ8()(   XTjQ  x«»'/'  "()f4i]()oi^    (p(Xo(JO(piag,  •')  Vgl.  riutarch  Sympos.   VIII,   10. 

ItjsqI   KQurrjTog  x(d   ./loyt'yovg.  I 


586  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

in  dem  einschlagenden  Artikel:  IIvQQMveiot  tqotxoi  in  10  B.,  neQi  Trjg  ^O^itjqov 
(fiko(yo(fi'ag,  TTfQl  ^wxQacovg  xal  Trjg  xaz'  aviov  sganLxrjg  rty^vrig^  ttsqI  IlXd- 
rwrog^  negl  rr^g  Siahrjg  Torr  (fiXoaocfMV  u.   aJ) 

Die  Fragmente  sind  gesammelt  von  Makres,  De  Favorini  Ärelatinensis  vita  studiis 
scriptis,  Utr.  1852;  Müller  FHG.  III,  577—585.  —  Fr.  Nitzsche,  De  Favorino  Arelatensi 
im  Rh.  M.  13,  642  ff.  Aus  seiner  von  Suidas  erwähnten  Gnomensammlung  hat  neuerdings 
Freudenthal,  Rh.  M.  35,  416  ff.  aus  einem  Cod.  Paris.  1168  einige  Reste  mitgeteilt. 

461.  Maximus  Tyrius,  den  man  wie  den  Favorinus  ebensogut  den 
Sophisten  wie  den  Philosophen  zuzählen  könnte,  lebte  nach  Suidas  unter 
Kaiser  Commodus;  schon  von  Eusebios  ward  er  mit  dem  Stoiker  Maximus 
verwechselt,  den  der  Kaiser  M.  Aurelius  zu  seinem  Lehrer  hatte.  Erhalten 
sind  uns  von  unserem  eklektischen  Platoniker  41  Aufsätze,  SiaX^^eig  ge- 
nannt,^) deren  Erhaltung  wir  nur  dem  Zufall  verdanken,  da  ihr  innerer 
Gehalt  keineswegs  ein  so  bevorzugtes  Geschick  verdiente.  Es  sind  kurze 
Vorträge  populärer  Natur  meist  über  abgedroschene  Themata,  wie  7tsqi 
TjSovrjg,  TTiQi  sQdnog,  ti  TtXog  (fiXodocfiag,  si  eünv  ayad^ov  ccyad^oi  {xsX^ov, 
Ti  To  Saifxoviov  ^MXQccTovg.  Selbst  die  Aufsätze  sl  ^soTg  dydXfxaTa  ISQvn-ov 
(or.  8)  und  d  av{.ißccXXetai  rrgog  aQSTijv  id  iyxvxXia  fxad^rjpiaTa  (or.  37),  die 
etwas  mehr  versprechen  und  unseren  Autor  als  einen  vielgereisten  Mann 
und  begeisterten  Freund  der  Musik  erkennen  lassen,  erheben  sich  nicht 
viel  über  das  Niveau  allgemeiner  Reflexionen.  Auch  die  Form  der  Unter- 
redungen ist  nicht  sonderlich  zu  rühmen;  überall  werden,  meist  zur  Unzeit, 
Verse  aus  Homer  eingelegt,-'^)  hie  und  da  auch  solche  aus  Sappho,  wie 
namentlich  im  24.  Aufsatz,  wo  die  Erotik  des  Sokrates  durch  überein- 
stimmende Stellen  aus  Piaton  und  der  lesbischen  Dichterin  beleuchtet  wird. 
Geschmacklos  im  Stil  ist  namentlich  die  Masslosigkeit  in  der  Anwendung 
der  Anaphora  und  Epimone;  hielten  gute  Redner  darauf  nicht  leicht  mehr 
als  3  synonyme  Ausdrücke  zu   gebrauchen,   so   kann   sich  Maximus  mit  6 

und  10  nicht  genug  thun. 

Ausg.  ex.  rec.  Davisii  cum  adn.  Marklandi,  cur.  Reiske,  Lips.  1774;  ed.  Dübner, 
Par.  1840. 

462.  Sextus  Empiricus  Hess  die  Lehre  der  alten  Skeptiker,  des 
Pyrrhon  aus  Elis  und  Ainesidemos  aus  Knossos,  wieder  aufleben.  Über 
die  Persönlichkeit  und  Lebenszeit  desselben  ermangeln  wir  sicherer  An- 
gaben. Aus  Diogenes  IX,  116,  der  ihn  unter  den  letzten  Skeptikern  auf- 
führt, ersehen  wir  nur,  dass  er  kurz  vor  Diogenes  lebte,  Schüler  des  Hero- 
dotos  aus  Tarsos  und  Lehrer  des  Saturninus  war.  Da  auf  der  anderen 
Seite  Galen  ihn  nirgends  erwähnt,  wiewohl  er  oft  Gelegenheit  dazu  gehabt 
hätte,  so  wird  er  nicht  vor  Galen,  aber  vielleicht  noch  vor  dessen  Ableben, 
um  180 — 200,  geschrieben  haben.  Suidas  konfundiert  ihn  mit  dem  Neffen 
des  Plutarch  und  Lehrer  des  M.  Aurel,  Sextus  aus  Chäronea,  sowie  mit 
dem  christlichen  Historiker  Sextus  Africanus;  denn  wenn  er  den  Verfasser 
der  nvQQMveia  Libyer  nennt,  so  steht  dem  die  erhaltene  Stelle  des  Sextus, 


')  Neuere    haben    dem  Favorin    die  Ko-    |    t?;?  jiQwrrjg  i-niörjfiiag. 
rinthische   Rede,    welche    unter    den   Reden    j  ^)  Den  Homer  hat  Maximus  immer  auf 


Dions  steht,  zuweisen  wollen;  worüber  unten 
§  470. 

''^)  Die  ersten  6  Vorträge  haben  die  ge- 
sonderte Überschrift  tmv  eV   Vtä^ß  ^uili'ieoiv 


den  Lippen,  gleichwohl  ist  er  so  urteilslos 
in  der  30.  Unterredung  dem  Homer  den 
Arat  als  7iot7]Trjy  oi'cFfv  aöo^öregoi^  gegen- 
über zu  stellen. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f)  Die  Philosophie.  §461—463)  587 


Pyrrh.  III,  213  entgegen,  wo  sich  der  Verfasser  ausdrücklich  als  Griechen 
bezeichnet  und  die  Griechen  den  thrakischen  und  libyschen  Barbaren  gegen- 
überstellt. Seines  Berufes  war  unser  Philosoph  ein  Arzt  der  empirischen 
Richtung,  wovon  er  auch  den  Beinamen  o  sfjLTrtiQixög  erhalten  hat.  In  seiner 
Jugend  hatte  er  auch  über  medizinische  Dinge  geschrieben;  er  selbst  er- 
wähnt Log.  I,  202  seine  'larQixd  v/roijivrjfjiaTa,  von  denen  die  'Ei^iTteiQixd 
vnofjivrji.iaTa  (citiert  adv.  gramm.  61)  nicht  verschieden  gewesen  sein  werden. 
Hinterlassen  hat  er:  1)  JIvQQoh'€ioi  vTioTVTiwo^sig  in  3  B.,^)  in  welchen  er 
die  Lehre  des  Pyrrhon,  des  Begründers  der  Skepsis,  in  den  Hauptumrissen 
(sr  TVTTfo  oder  vnoTVTiMaei)  darlegt,  2)  2x€TtTixä  in  10  (11)  B.,^)  in  denen 
er  die  zweifelnden  Einwände  gegen  die  Sätze  der  einzelnen  Wissenschaften 
entwickelt.  Von  diesen  10  Büchern  sind  nach  der  überlieferten  und  bis  auf 
Bekker  auch  in  den  Ausgaben  befolgten  Ordnung,  die  aber  dem  zeitlichen 
Verhältnis  der  Abfassung  nicht  entspricht,  die  5  ersten  Bücher  gegen  die 
Vertreter  der  enkyklopädischen  Disziplinen  {TCQog  ^la^rjfuaTixovg),  nämlich 
Grammatik,  Rhetorik,  Geometrie,  Arithmetik,  Astrologie,  Musik  gerichtet, 
die  5  letzten  gegen  die  dogmatischen  Philosophen  {TtQog  ^oyinaTixovg),  und 
zwar  gegen  die  3  Hauptteile  der  dogmatischen  Philosophie,  Logik,  Physik, 
Ethik.  Die  beiden  Schriften  sind  mit  logischer  Schärfe,  aber  in  trockener, 
nur  durch  häufige  Dichtercitate  unterbrochenen  Sprache  geschrieben.  Ihr 
Hauptwert  besteht  in  der  reichen  Belehrung,  die  sie  uns  über  die  genannten 
9  Disziplinen  und  ihre  Hauptvertreter  bieten.  In  den  Handschriften  und 
älteren  Ausgaben  stehen  nach  jenen  2  echten  Schriften  noch  5  ethische 
Deklamationen  3)  in  dorischem  Dialekt.  Dieselben  rühren  aber  von  einem 
Stoiker  her  und  gehören  w^ahrscheinlich  dem  Sextus  von  Chäronea,  dem 
Neffen  Plutarch's  an. 

Sexti  Emp.  oi)era  cum  versione  et  notis  ed.  Fabricius  Lips.  1718,  ed.  11.  1842; 
kritische  Ausg.  von  Imm.  Bekker,  Berl.  1842;  die  ethischen  Aufsätze  stehen  in  Opusc.  graec. 
sentent.  ed.  Oeelli,  II,  210  ff.  -  Pappenheim,  De  Sext.  Empirici  lihrorum  numero  et 
ordine,  Berl.  1874;  von  ebendemselben  Übersetzung  mit  Erläuterungen  in  Kirchmanns 
Philosoph.  Bibl.,  Leipz.  1877. 

463.  Auch  andere  Arzte  in  der  Zeit  des  Hadrian  und  der  Antonine 
liebten  es  mit  philosophischen  Fragen  sich  abzugeben;  neben  Sextus  Em- 
piricus  war  ein  Hauptvertreter  dieser  Richtung  der  vielseitige  und  schreib- 
selige Arzt  Galen,  auf  den  wir  unten  bei  den  Spezialwissenschaften  zurück- 
kommen werden.  Diesem  Galen  wird  in  den  Handschriften  auch  ein  viel- 
verbreitetes Kompendium  der  Geschichte  der  Philosophie  (rahjvov  neQl 
(fiXoaoifov  IcTOQtag)   zugeschrieben,   das   aber   erst  gegen  Ende   des  Alter- 


^)  Ähnlich  lautete  der  Titel  des  Haupt- 
werkes, welches  Ainesidemos  schi'ieb,  näm- 
lich IlvQQ(x)veiwi'  Xöyojt^  ßiß'Aia  oxtm  nach 
Diog.  IX,  116;  über  deren  Benützung  durch 
Sextus  s.  DiELs,  Doxogr.  209  if. 

2)  Gewöhnlich  wird  dieses  Werk  mit 
dem  Titel  adv.  mathem.  citiert,  aber  dieser 
Titel  kommt  nur  dem  1.  Teil  des  AVcrkes  zu. 
Der  Titel  Ixethixü,  wofür  Haas,  Über  die 
Schriften  des  Sext.  J]mpirikus  (Progr.  von 
Burghausen  1883)  S.  10  'Ynofii'i^fiaru  axsn- 
Tiyu  nach  den  Andeutungen  dos  Autors  selbst 
(Geom.  HG,  Mus.  52  etc.)   vorschlägt,  findet 


sich  nicht  in  den  Handschriften,  wohl  aber 
bei  Suidas  u.  Diogenes  IX,  116.  Bekker 
betitelt  das  Werk  nach  Math.  35  'Aviif^Qt]- 
Tixci  Die  Ausgaben  deuten  durch  Über- 
schriften 11  B.  an;  wenn  Suidas  u.  Diog. 
nur  10  B.  angeben,  so  beruht  dieses  wahr- 
scheinlich darauf,  dass  der  kleine  Abschnitt 
gegen  die  Arithmetiker  mit  dem  verwandten 
gegen  die  Geometer  zu  1  Buch  verbunden 
wurde. 

^)  Suidas  fand  sie  schon  vereint  vor, 
wenn  er  dem  Sextus  Chaeronous  beilegt 
tjOixu  €'y  nv^()Qt6i'ei(cy,  axcnuxu. 


588  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

tums  entstanden  ist  und  dadurch,  dass  die  Mediziner  es  als  Leitfaden  für 
die  Einführung  in  die  Philosophie  gebrauchten,  unter  die  Werke  des  Galen 
gekommen  zu  sein  scheint.^) 

Über  die  philosophischen  Erklärer  des  Piaton  und  Aristoteles, 
über  Thrasylos,  Adrastos,  Aspasios,  Alexander  Aphrodisiensis,  Theon  haben 
wir  bereits  oben  bei  den  Philosophen,  deren  Erklärung  sie  ihre  Thätigkeit 
zuwandten,  gesprochen;  der  akademische  Eklektiker  Plutarch  hat  in  an- 
derem  Zusammenhang   §  423  ff.    seine   gesonderte   Besprechung   gefunden. 

464.  Laertius  Diogenes,  oder  wie  andere  sagen  Diogenes  Laertius, 
d.  i.  Diogenes  von  Laerte  einer  Stadt  Kilikiens,^)  nimmt  unter  den  Histo- 
rikern der  Philosophie  die  erste  Stelle  ein,  freilich  wesentlich  nur  dadurch, 
dass  uns  sein  Hauptwerk  Bioi  (fUoaocpMv,  genauer  Bioi  xal  yvwijiai,  tmv  €v 
(fiXoao(fia  €vSoxiii7j(fdvTO)v  in  10  Büchern  auch  erhalten  ist.  Von  den  Lebens- 
verhältnissen und  der  schriftstellerischen  Thätigkeit  des  Verfassers  wissen 
wir  nichts,  ausser  dass  er  neben  dem  erhaltenen  Werk  auch  noch  Epi- 
gramme in  verschiedenen  Versmassen  '■^)  auf  berühmte  Männer  geschrieben 
hat.  Selbst  über  seine  Lebenszeit  ermangeln  wir  eines  ausdrücklichen 
Zeugnisses;  mit  Bestimmtheit  können  wir  nur  sagen,  dass  er  nach  Sextus 
Empiricus,  den  er  IX,  116  nennt,  und  vor  Stephanus  von  Byzanz,  der  ihn 
citiert,  gelebt  haben  muss.  Am  wahrscheinlichsten  ist  es,  dass  er  vor  dem 
Aufblühen  des  Neuplatonismus,  unter  Alexander  Severus  und  seinen  nächsten 
Nachfolgern  geschrieben  hat.  Ein  selbständiger  Denker  und  philosophischer 
Kopf  war  er  nicht;  er  hat  nicht  einmal  zu  einer  der  bestehenden  philo- 
sophischen Sekten  bestimmte  Stellung  genommen,  es  bricht  nur  hie  und 
da  seine  Hinneigung  zur  Lehre  des  Epikur  durch;  er  hatte  in  erster  Linie 
nur  Sinn  für  die  litterarische  Seite  der  Philosophie,  insbesondere  für  den 
Anekdotenkram  und  das  Privatleben  der  Philosophen.  Dem  erhaltenen 
Werk  ist  wahrscheinlich  ursprünglich  ein  Widmungsbrief  an  eine  hohe 
Dame,  eine  Freundin  der  platonischen  Philosophie,  vorangegangen.*)  Im 
Proömium  führt  er  die  Anfänge  der  Philosophie  auf  die  Magier,  Chaldäer, 
Gymnosophisten  und  Druiden  zurück.  Sodann  behandelt  er  in  B.  I — II,  4 
die  ältesten  griechischen  Philosophen  und  Weltweisen  bis  auf  Anaxagoras 
und  Archelaos,  in  B.  II,  5 — IV  Sokrates  und  die  Sokratiker,  in  B.  V  Ari- 
stoteles und  die  Peripatetiker,  in  B.  VI  Antisthenes  und  die  Kyniker,  in 
B.  VII  die  Stoiker  von  Zenon  bis  auf  Chrysippos,  in  B.  VIII  Pythagoras 
und  die  Pythagoreer  mit  Einschluss  des  Empedokles  und  des  Mathematikers 
Eudoxos,  in  B.  IX  Heraklit,  die  Eleaten  und  Skeptiker,  in  B.  X  Epikur, 
dem  er  wie  Piaton  ein  ganzes  Buch  widmete. 

Das  Werk,  wichtig  und  interessant  durch  die  Fülle  von  biographischen 
und    litterarischen  Nachrichten,    ist   es    weniger    durch    das  Verdienst  des 


')  Bearbeitet  ist  dasselbe  von  Diels, 
Doxogr.  gr.  p.  597—648;  vgl.  p.  258. 

■^)  Die  Lesart  schwankt  in  den  Hand- 
schriften des  Diogenes   selbst  und  in  Steph 


denen  Versmassen  begegnet  uns  bei  dem 
Lateiner  Terentianus  Maurus,  einem  Zeit- 
genossen unseres  Diogenes. 

4)  Vgl.   III,   47    u.   X,   20;   unter  jener 


Byz.    239,    15    M.    zwischen    Aaegriog    Jio-  Dame  haben  die  einen  die  Arria,  die  Freundin 

yivYjq  u.  Jioyevrjq  AccsQtiog;  in  Steph.  G95,  7,  des  Galen,  andere  die  Kaiserin  Julia  Domna, 

steht  Jioyevri?  6  AaeQxievg.  die  Gönnerin  des  Philostratos,  vermutet. 

^)  Die    gleiche  Spielerei    mit    verschie-  i 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  f  Die  Philosophie.  (§464— 465.)  589 

Verfassers,  als  durch  die  Studien  seiner  kritiklos  ausgeschriebenen  Vor- 
gänger, i)  Es  steht  so  Diogenes  auf  einer  Stufe  mit  Alian  und  Athenaios; 
er  stimmt  aber  auch  darin  mit  jenen  überein,  dass  er,  um  sich  den  Schein 
grosser  Gelehrsamkeit  zu  geben,  mit  Citaten  von  Werken  um  sich  wirft, 
die  er  nie  gesehen  und  die  er  nur  aus  den  von  ihm  ausgeschriebenen  Kom- 
pendien kannte.  Die  richtige  Erkenntnis  dieses  Verhältnisses  ist  besonders 
in  neuerer  Zeit  durchgedrungen, 2)  wenn  auch  die  bestimmte  Ermittelung 
des  Autors,  den  Diogenes  unmittelbar  ausschrieb,  nicht  gelungen  ist.  Vor- 
gelegen haben  zunächst  dem  Diogenes  ein  kompendiöses  Buch  von  den 
Successionen  {Siaöoxoci)  in  den  einzelnen  Philosophenschulen,  eine  Samm- 
lung der  Lehrsätze  {döy^taTa)  der  einzelnen  Sekten,  eine  Sammlung  von 
philosophischen  Aussprüchen  {dnoifd^ky^aTa)  berühmter  Männer.  Von  den 
bedeutenderen  Werken,  die  er  als  seine  Quellen  citiert,  kannte  er  aus 
eigener  Lektüre  die  'EmdQOßtj  (fiXoaögan'  des  Magnesiers  Diokles,  eines 
Zeitgenossen  Ciceros,  und  die  TlaitodaTu]  laioQia  des  Favorinus.  Aber 
in  diese  seine  Quellen  war  vieles  übergegangen  aus  den  älteren  litterar- 
historischen  Werken  des  Hermippos,  Antigonos  von  Karystos,  Apollodor,^) 
Demetrios  Magnes  und  ausserdem  aus  einigen  Spezialwerken  der  Philo- 
sophengeschichte. Die  Erinnerungen  an  die  grossen  Philosophen  hatten 
sich  nämlich  zunächst  durch  die  Traditionen  der  Philosophenschulen  er- 
halten, welche  in  den  Testamenten  und  Bibliotheken  ihrer  Stifter  einen 
festen  Rückhalt  hatten.  Aus  jenen  Schulen  waren  auch  Darstellungen  des 
Lebens  und  der  Lehre  der  Stifter  und  einzelner  hervorragender  Glieder  der 
Schule  hervorgegangen,  wie  der  Epikureer  Apollodoros  über  das  Leben  des 
Epikur  (Diog.  X,  3),  der  Platoniker  Speusippos  über  Piaton  (Diog.  III,  2), 
der  Peripatetiker  Hermippos  über  Aristoteles  (Diog.  V,  1)  geschrieben  hatte. 
Eine  zusammenhängende  Darstellung  brachten  die  Jiccöoxcu  (fiXoaö(fun\  die 
seit  dem  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  aufgekommen  zu  sein  scheinen  und  sich 
dann  durch  die  ganze  Folgezeit  hindurchzogen.  Als  Verfasser  solcher 
Jiaöoxai  werden  genannt  Sotion  (um  200  v.  Chr.),  dessen  umfangreiches, 
aus  mindestens  33  Büchern  bestehendes  Werk  Herakleides  Lembos  um 
150  V.  Chr.  in  einen  Auszug  brachte,  ferner  Nikias  aus  Nikäa,  der  nur 
bei  Athenaios  vorkommt,  und  zwar  zweimal  (p.  162d  und  505b)  so  mit  Sotion 
verbunden,  dass  Athenaios  die  Kenntnis  des  Sotion  nur  aus  Nikias  geschöpft 
zu  haben  scheint,  sodann  Sosikrates  aus  Rhodos,  dessen  Buch  die  hand- 
liche Form  eines  Kompendiums  hatte,*)  endlich  die  Kompilatoren  Alexander 
Polyhistor,  Diokles,  Philodemos,  Antisthenes,  Hippobotos. 


')  Als  auf  ein  Zeichen  seines  Unver- 
standes sei  auf  das  Verzeichnis  der  Werke  des 
Aristoteles  verwiesen,  das  er  nach  den  alten 
alexandrinischcn  Katalogen  gab,  während 
doch  schon  längst  die  Schriften  des  Aristo- 
teles vollständiger  durch  Andronikos  ediert 
worden  waren.  Die  Nachlässigkeit  des  Dio- 
,i;('nes  und  seiner  Abschreiher  im  Zusamnien- 
Itinion  ihrer  Exzerpte  und  Vorlagen  beleuchtet 
l'sKNER,  Kpicurea  XXI  sqq. 

''')  Fr.  Nietzsche,  De  Lncrtii  fontibus, 
im  Rh.  M.  25,  «)8'2  ff.;  24,  181  ff. ;  25,  181  ff., 
wo  Favorinus  und  Diokles  als  Hauptquellen  an- 


genommen sind ;  Maass.  De  hiograpJiis  graecis 
quaesiiones  sciectue,  in  Phil.  Unt.  H.  III,  der 
alles  auf  Favorinus  zurückführen  will,  und  dem 
Rudolph,  Leipz.  Stud.  VII,  12(1  ff.  beipflichtet; 
dagegen  WiLAMowiTz  in  der  vorausgeschickten 
Epistola  und  in  rhu.  Unt. IV,  330—349;  vgl. 
Freudenthal,  Hell.  Stud.  III  exe.  4. 

•^)  Ausser  den  älteren  litterarhistorischen 
Werken  benützte  Diogenes  auch  noch  das 
Buch  des  Argivcrs  Lobon  7ie(>l  nonjnor, 
den  Htller,  Rh.  M.  XXXIII,  518-539  als 
einen   Hauptfälscher  enthirvt  hat. 

')  Ein  3.  Buch  citiert  Ath.   1G3  f.;  nach 


590 


Griechisclie  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Ed.  princ.  Basil,  1533;  cum  adnot.  variorum  (Menagii  al.)  ed.  Meibomius,  Amstelod. 
1692;  ed.  Hüebi5er  et  Jacobitz,  Lips.  1833,  4  vol.;  ex  italicis  codicibus  nunc  ^jnwritw  ex 
cussis  reo.  Cobet,  Paris  1850  u   1802.    Eine  Ausgabe  mit  ausreichendem   kritischen  Apparat 
gehört  noch  zu  den  desideria  philologorum;  über  die  wichtigsten  Handschriften  s.  Wachs- 
MUTH,  Sillogr.  gr.  51  tf,  und  Usener,  Epicurea  prol.  VI  sqq. 

465.  Wir  schliessen  an  Diogenes  dasjenige  an,  was  uns  von  alten 
Doxographen  oder  von  Sammlern  der  philosophischen  Lehrsätze  erhalten 
ist.  Neben  der  Nachfolge  in  den  einzelnen  Philosophenschulen  waren  es 
die  charakteristischen  und  unterscheidenden  Lehrsätze  (Jo/ftar«,  J6^«/, 
ccQbaxovTo),  welche  die  philosophisch  gebildeten  Gelehrten  der  alexandrini- 
schen  und  römischen  Zeit  interessierten.  Die  Peripatetiker  hatten  diese 
Richtung  philosophischer  Geschichtsforschung  angeregt.  Schon  Aristoteles 
hatte  in  mehreren  Werken,  besonders  in  der  Metaphysik  und  in  den  Büchern 
von  der  Seele,  der  eigenen  Spekulation  einen  historisch-kritischen  Abriss 
der  früheren  Anschauungen  vorausgeschickt.  In  seine  Fusstapfen  trat 
Theophrast  mit  seinen  18  Büchern  ^vaiycdrv  So'^mv.  Von  den  Stoikern 
hat  der  zu  historischen  Forschungen  sich  hinneigende  Poseidonios  ähnliche 
Zusammenstellungen  gemacht,  aus  denen  Cicero  und  Seneca  schöpften. 
Näheres  wissen  wir  von  den  Sammlern  der  Kaiserzeit:  Areios  Didymos, 
ein  eklektischer  Stoiker  aus  Alexandria,  schrieb  im  Beginne  unserer  Zeit- 
rechnung eine  Epitome  der  ethischen  und  physikalischen  Lehren  des  Piaton, 
Aristoteles  und  der  Stoa;  dieselbe  war  eine  Hauptquelle  des  Stobaios; 
einige  Abschnitte  daraus  hat  uns  der  Kirchenvater  Eusebios  erhalten. 
Aetios  um  100  n.  Chr.  ist  der  Vater  des  umfangreichen  Werkes  über  die 
Sätze  der  Naturlehre,  von  dem  uns  unter  dem  Namen  des  Plutarch  der 
wichtige  und  vielbenützte  Auszug  nsQi  tmv  uQtanovTwv  (j^^iXoaöqoig  (fvaixwv 
doyf^iaion'  und  ausserdem  vieles  durch  Stobaios  und  den  christlichen  Bischof 
Theodoretos  erhalten  ist. 

DiELs,  Doxographi  graeci,  Berol.  1879,  wo  p.  265 — 65G  unter  dem  Titel  Doxo- 
cjrupliorwn  graeeorum  reliqniae  die  Reste  dieser  Litteratur  herausgegeben  sind.  —  Theo- 
doreti  'E'/.h]i'ix(i)y  nadij^udtoiv  d^EQanevxiy.rj  rec.  Gaisford,  Oxon.   1839. 


g".  Die  Sophistik. 

466.  Die  alten  Rhetoren  haben  3  Perioden  der  Beredsamkeit  unter- 
schieden, eine  der  alten  Staatsmänner  Athens,  eine  zweite  der  sogenannten 
10  attischen  Redner,  und  eine  dritte  der  sophistischen  Rhetoren  Asiens  zur 
Zeit  der  römischen  Kaiser.^)  Diese  3.  Periode  geht  auf  Dionysios  und 
Cäcilius  zurück,  die  unter  Augustus  das  Studium    der   attischen  Redner  in 


Rom  eingeführt  hatten. 


Denn  dieser  Zweig  der  griechischen  Litteratur  fand 


wie  kein  zweiter  Beifall  bei  den  Römern,  welche  in  den  stürmischen  Zeiten 
des  untergehenden  Freistaates  die  Schlagfertigkeit  der  Rede  als  Haupthebel 


ebendemselben  p.  2Gle,  263f,  561  e  und  Stra- 
bon  p.  474  schrieb  er  auch  KQt]rLX((;  unter 
den  berühmten  Rhodiern  nennt  ihn  Strabon 
p.  655  nicht,  woraus  man  schJiessen  möchte, 
dass  er  nach  Strabon  gelebt  habe. 

1)  Proleg.  in  Arist.  Panath.  JII,  737: 
TQsTg  (poQal  QrjToQMu  ysyovaaiv,  mv  t]  fxev 
TiQüirt]  uyQa(piog  e^sysp,  rjg  iarl  Qe/uiaTo- 
xXijg   xccl    lleQixktjg   xal  ol  xai^   ixeifovg  ^/j- 


roQsg,  fj  de  dei'tSQcc  iyyQctcpMg  e'As)'ey,  ?;?!J 
eail  JrjfxooS^svrjg  xal  Jta/ivijg  xal  ^iGoxQc'arig 
xal  avp  avToig  ij  TiQarrof^evr]  twv  (njioQCJi' 
dsxag  '  xal  avrat  al  dvo  (poQal  ev  ^J&ijvuig 
ysyovaaiv,  r)  6e  rv/tj  xal  rrj  'Jala  rovTiov 
dooQsTrai  cpoQuv,  tqltjji^  ovaav  EniGTrjfxiji', 
rjg  iarl  UolE^mv,  "H^cucT?^?  xal  \4QioTEidi]g 
xal  oX  xaid   joviovg   Toi>g   ^Qovovg   yEyovaoi 

()tJTOQEg. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  g)  Die  Sophistik.  (§465 — 4G6.)     591 


politischen  Einflusses  ansahen  und  auch  nachher  noch  der  auf  die  Waffen 
gestützten  Gewalt  der  Kaiser  die  Macht  der  Rede  im  Senat  und  vor  Ge- 
richt entgegenstellten.  Aber  wenn  auch  so  die  griechische  Beredsamkeit 
von  vornherein  in  Rom  Verständnis  und  Beifall  fand,  so  musste  sie  sich 
doch,  so  lange  den  Griechen  im  öffentlichen  Leben  der  Mund  verschlossen 
blieb,  in  den  engen  Grenzen  der  Theorie  und  der  Schule  halten.  Erst  als 
das  Griechentum  grössere  Bedeutung  im  römischen  Reiche  gewann  und 
einzelne  Griechen  zu  einflussreichen  Stellungen  bei  Hof  und  in  der  Staats- 
verwaltung gelangten,  trat  auch  die  griechische  Beredsamkeit  aus  dem 
Dunkel  der  Schule  allmählich  mehr  in  das  Licht  der  Öffentlichkeit,  so  dass 
die  grossen  Vorbilder  der  Vergangenheit  nicht  mehr  bloss  gelesen  und 
kommentiert,  sondern  auch  nachgebildet  wurden.  Das  geschah  in  steigendem 
Grade  seit  der  Regierung  des  Kaisers  Nero,  der  ohne  von  echtgriechischem 
Geiste  durchdrungen  zu  sein,  doch  den  Glanz  griechischer  Bildung  mehr 
als  die  Strenge  des  Römertums  liebte.  Den  Höhepunkt  aber  erreichte  diese 
Richtung  im  2.  Jahrhundert  unter  Hadrian  und  den  Antoninen,  die  ihre 
Vorliebe  für  griechische  Bildung  überall  zur  Schau  trugen,  in  Athen  und 
den  griechischen  Städten  Kleinasiens  Lehrstühle  für  Philosophie  und  Rhe- 
torik errichteten  und  selbst  griechisch  zu  schreiben  sich  bemühten. ')  Damit 
wuchsen  den  Griechen  wieder  die  Flügel;  zwar  die  alte  Freiheit  und  Selbst- 
ständigkeit wieder  zu  gewinnen,  dazu  machten  sie  nirgends  einen  Anlauf; 
sie  erkannten  willig  die  Oberherrlichkeit  der  Römer  an,  aber  sie  pochten 
um  so  mehr  auf  ihre  Überlegenheit  in  geistiger  Bildung  {naidsia)  und  priesen 
Athen  und  die  alten  Städte  Griechenlands  als  die  geistigen  Nährmütter 
aller  im  römischen  Reiche  vereinigten  Völker.'^)  Natürlich  wurden  solche 
Ansprüche  am  liebsten  da  gehört,  wo  in  der  Bevölkerung  das  griechische 
Element  überwog  und  Schulen  griechischer  Weisheit  blühten;  das  waren 
aber  ausser  Athen,  der  alten  Burg  griechischer  Bildung,  die  hellenischen 
Städte  Kleinasiens,  Smyrna,  Ephesos,  Rhodos,  Pergamon,  Antiochia.  Nach 
verschiedenen  Seiten  erstand  hier  das  Griechentum  zu  neuem  Leben:  die 
nationalen  Götterfesto  wurden  wieder  in  altem  Glänze  gefeiert,^)  neue  Tempel 
und  Odeen  erhoben  sich,  geschmückt  mit  den  Bildwerken  archaisierender 
Künstler;  nicht  nur  Theater  und  Gymnasien  thaten  sich  wieder  auf,  auch 
zur  Unterweisung  in  der  Weisheit  drängte  sich  wieder  wie  zur  Zeit  des 
Piaton   und   Isokrates   eine   lernbegierige  Jugend   um    die  Lehrkanzeln   be- 


')  Vgl.  Beknhaedy,  Innere  Gesch.  der 
gr.  Litt.  509  ff.;  Rohde,  Griecli.  Sophistik 
iler  Kaiserzeit  in  Griech.  Roman  288  ff.; 
'iREGOKOvius,  Der  Kaiser  Hadrian,  3  Aufl. 
S.  307  ff.  und  842  ff.  Als  philosophischen 
Schriftsteller  haben  wir  ij  459  M.  Aurelius 
kennen  gelernt;  auch  Hadrian  schrieb  nach 
Cassius  Dio  69,  3  TieC«  y-<(i^  ^^  eneai  Tiottj- 
fAKia  7ittfTo&(ini'(,  seine  fieXtrca  erwähnt  Pho- 
tios  cod.  100,  seine  yAtxu/uvcii  im  Geiste  des 
Antimachos.  Spartianus,  vit.  Hadr.  14. 

'^)  Aristid.  Panath.  p.  183  Jebb:  //  vrv 
'■i'XV  yV^  ^^  ^■^^'^  yiuXunrjg  (sc.  'l*(i)fiaio)y) 
(ii'x   ilvcdvercti    rag  'JSijfag   jurj    ovx  ii'  dida- 


^)  In  Attika  wurden  wieder  die  grossen 
Dionysien,  die  Eleusinien  und  Panatlieniien 
begangen;  nach  den  letzteren,  die  i.  J.  12(>/7 
Herodes  Attikos  in  glänzendster  Weise  er- 
neuerte, wurde  sogar  eine  neue  Jalneszäh- 
lung  eingeführt;  s.  Dittenberger,  Die  atti- 
sche I'anathenaidenära,  in  Comnient.  in  hon. 
Momms.  242  —  53.  Auch  die  Nationalspiele 
in  Olympia,  Delphi,  auf  dem  Isthmus  und  in 
Nemea  gelangten  wieder  zu  grösserem  Glänze, 
wobei  sich  Hadrian  eine  Verschiebung  der 
Zeit  und  des  Ortes  erlaubte,  indem  er  die 
Nemeen  in  den  Winter  nach  Argos,  der  Haupt- 
stadt der  Landschaft,  verlegte;  s.  Paus.  XVf, 
Ui.  4. 


592 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


rühmter  Schulhäupter,  i)  Die  Litteratur  aber,  in  der  diese  neue  Richtung 
hellenischer  Renaissance  ihren  entsprechenden  Ausdruck  fand,  war  die 
Sophistik.^) 

467.  Der  Name  Sophist  ist  uns  schon  aus  der  sokratischen  Zeit  und 
aus  den  Dialogen  Piatons  bekannt;  dort  bezeichnete  man  damit  nicht  bloss 
die  mit  dem  Schein  der  Weisheit  prunkenden  Afterphilosophen,  sondern 
auch  Männer  wie  Gorgias  und  Thrasymachos,  welche  weniger  auf  ihr  philo- 
sophisches Wissen  als  auf  ihre  Kunst  im  Reden  stolz  waren  und  teils  als 
Lehrer  der  Beredsamkeit  teils  als  wandernde  Festredner  auftraten.^)  An 
diese  zweite  Art  von  Sophisten  knüpfte  die  neue  Sophistik  der  römischen 
Kaiserzeit  an;*)  denn  auch  sie  ging  aus  den  Übungen  der  Rhetorenschulen 
hervor  und  suchte  in  den  Vorträgen  der  Wanderredner  ihren  Glanz.  Ihren 
Ursprung  aus  dem  Schatten  der  Schule  verriet  sie  darin,  dass  der  grössere 
Teil  ihrer  Reden  nicht  Fragen  des  öffentlichen  Lebens  betraf,  sondern  sich 
im  Kreise  fingierter  Schulthemata  bewegte.  Aber  mit  dem  stillen  Leben 
in  der  Schule  gab  sich  die  eitle,  prunkliebende  Sophistik  nicht  zufrieden; 
sie  suchte  und  fand  Gelegenheit  zur  Entfaltung  ihrer  Kunst  in  der  Öffent- 
lichkeit. Zwar  das  eigentliche  Feld  der  rednerischen  Thätigkeit,  die  poli- 
tische Beratung  war  derselben  so  gut  wie  ganz  entzogen,  und  auch  zu 
den  Gerichtsverhandlungen  war  ihr  der  Zugang,  wenn  nicht  geradezu  ver- 
sperrt, so  doch  erschwert.^)  Das  kaiserliche  militärische  Regiment  liebte 
eben  nicht  die  Aufregung  politischer  Reden  und  schloss  aus  den  Sitzungen 
des  kaiserlichen  Rates  die  Öffentlichkeit  aus.  Aber  bei  dem  Empfang  der 
Kaiser  und  kaiserlichen  Statthalter,  bei  der  Einweihung  von  Tempeln  und 
Odeen,  bei  den  öffentlichen  Festen  und  Leichenfeiern  glänzte  der  Sophist  im 
festlichen  Talar^)  mit  dem  auserlesensten  Schmuck  seiner  Kunst,  und  auch 
ohne  solchen  äusseren  Anlass  fand  sich  überall  in  jenen  Zeiten  des  müssigen 
Schöngeistertums  zu  den  populären  Erörterungen  philosophischer  und  lit- 
terarischer Fragen  ein  Kreis  beifallspendender  Zuhörer  zusammen.') 


^)  Ein  vom  Kaiser  besoldeter  Lehrstuhl 
der  Rhetorik  (6  «Vco  d^göi/og)  gab  es  seit 
Vespasian  (Suet.  vit.  Vesp.  18)  in  Rom,  seit 
Antoninus  Pius  in  Athen  (Capitol.  vit.  Ant.  11) 
und  bald  auch  in  andern  Städten.  Daneben 
statteten  die  Gemeinden  Lehrstühle  der  Rhe- 
torik und  Philosophie  mit  Privilegien  und 
Gehalten  aus.  Über  ihre  Zahl  unterrichtet 
der  Codicill  des  Antoninus  Pius  bei  Mode- 
stinus  Dig.  XXVII,  1.  0:  fd  fLiSf  iXäTtovg 
noleig  ^vvavTca  neure  taxQovg  uxslsTg  t^Siv 
xcd  TQsTg  aocfiotccg  xccl  ygcc^^arixotg  jovg 
Xoovg,  al  de  fxeiCovg  nokeig  diy.a  icnQovg  y.ai 
(itJTOQag  7i£VT8  y.cd  yQccjLifxurixovg  Tovg  l'aovg. 
Vgl.  RoHDE,  Gr.  Rom.  801  ff. 

^)  Bezeichnend  ist  der  Ausspruch  Lu- 
kians  Rhet.  praec.  1 :  ro  asfxporuiov  xcd  ndv- 
ii^ov  01^0 fxa  <TO(fiaTtjg. 

^)  Plat.  ^Tim.  p.  19e:  t6  de  rcJr  oog)i- 
GTüiu  yivog  av  noXkioy  fxsv  ^oycoy  xcd  y.aluiv 
uVkbiv  ^äV  sf^nsiQoy  rjyov^ai,  cpoßovuca  ds 
jut]  7i(og  are  TiXap7]Tdy  oV  x«r«  noXeig  olxijaeig 
T€  idiag  ovdufxij    dioixtjxog   äoTo^oi'  iifxa  cpi- 


Xoa6(p(oy  (cpdQcoy  ß  xcd  noXuiXMy. 

^)  Dion    Chrys.    unterscheidet    or.    XIL 
p.  372  R.    noch   ()7JT0QCig  und   aotpiarcig,  ge-| 
braucht  aber  meistens  schon  beide  Ausdruck« 
promiscue.     Der  Name  aocpiairjg   erhielt  dei 
Vorzug,    weil  (njrwQ   bei    den  Griechen    dei 
Staatsredner  und  Staatsmann  bezeichnete. 

^)  Ganz   ausgeschlossen   waren   die   Soi 
phisten  aus  den  Gerichtssälen  nicht,  wie  maaj 
aus    dem    Beispiel    des   Niketes,    Theodotos, 
Apollonios   bei  Philostr.   vit.  soph.  I,  19.  1; 
21.  3;  II,  2:  20.  1;  32.  4  und  Dion.  or.  VII  , 
p.  229  f.  ersieht.  l| 

^)  Siehe  LucianRhet.  praec.  15;  Philostr, 
vit.  soph.  I,  25.  2;  II,  10.  2;  Synes.  Diou 
p.  34  R.  Später  wurde  der  TQißiov  cpoivixovg 
die  privilegierte  Uniform  der  Sophisten  in 
Athen.;  s.  Olympiodor  in  FUG.  IV,  03  f. 
Daher  stammt  wohl  der  rote  Talar  der  Pro- 
fessoren der  Jurisprudenz. 

')  Von  1000  Zuhörern  eines  Sophisten 
erzählt  Arrian,  P]pict.  III,  23. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  g)  Die  Sophistik.  (§  467—468.)     593 

468.  Damit  war  auch  schon  Geist  und  Richtung  dieser  neuen  Litteratur- 
periode  bestimmt.  Auf  sachliche  Belehrung  kam  es  den  Sophisten  wenig 
an,  alles  Gewicht  legten  sie  auf  Schönheit  der  Sprache  und  geistreiche 
Wendungen,  auf  den  Prunk  gelehrter  Bildung  und  die  Schlagfertigkeit  im 
Reden  aus  dem  Stegreif  («rzocr;^^ Jm^^B-).  Die  Zuhörer  wollten  nicht  durch 
den  Redner  aufgeklärt  und  überzeugt,  sondern  nur  in  einen  Rausch  der 
Begeisterung  versetzt  werden.  Von  den  drei  alten  Gattungen  der  Rede 
kam  nur  die  eine,  die  epideiktische  Prunkrede  in  ihren  verschiedenen  Spiel- 
arten [Xoyoi  nay'tjyvQiHoi',  auixcccfioi,  sntxr'^dsioi,  €yxMf.ua,  7TQoa(fcüvrj(T€ig)  zur 
Geltung  im  öffentlichen  Leben:  daneben  machten  sich  die  Übungsreden 
(^asXi-Tm)  in  der  Schule  und  die  Causerien  {^akai)  in  den  Unterhaltungs- 
sälen breit.')  Für  die  formale  Bildung  war  diese  Übung  im  Reden  und 
im  Nachahmen  der  alten  klassischen  Muster  von  grossem  Einfluss;  ihre 
Bedeutung  machte  sich  nicht  bloss  in  den  Reden  und  Deklamationen,  son- 
dern auch  in  allen  anderen  Zweigen  der  Litteratur  geltend;  sie  bewirkte 
die  Rückkehr  zum  Attikismus  und  nährte  die  grammatischen  Studien  der 
Attikisten;  sie  drängte  die  Nachlässigkeit  des  Stils,  die  in  den  Schriften 
der  Sektenphilosophen  und  der  gelehrten  Sammler  eingerissen  war,  erfolg- 
reich zurück;  sie  weckte  und  belebte  das  Studium  der  klassischen  Meister. 
Aber  man  darf  darüber  nicht  die  Kehrseite  des  Bildes  übersehen;  die  ganze 
Richtung  der  Litteratur  ward  eine  gekünstelte,  unnatürliche;  hiess  es  einst 
von  der  echten  Beredsamkeit  pecfus  est  qiiod  disertiim  facit,  so  redete  sich 
jetzt  der  Redner  förmlich  in  eine  affektierte  Begeisterung  hinein.  Die  Rede 
wurde  unwahr  und  geriet  sachlich  und  sprachlich  in  eine  gespreizte  Über- 
schwenglichkeit, bei  der  Gemüt  und  Herz  leer  ausgingen.  Sie  verfiel  um 
so  mehr  dieser  falschen  Richtung,  als  sie  sich  an  die  Stelle  nicht  bloss 
der  Philosophie,  sondern  auch  der  Poesie  zu  setzen  suchte.  Die  Sprache 
der  Prosa  bekam  so  eine  unnatürliche  poetische  Färbung,  die  einfache 
Grazie  der  klassischen  Zeit  ward  in  einer  Unmasse  von  Metaphern  und 
Neubildungen  ertränkt.  Schlimmer  war  eine  andere  Schattenseite  der 
Sophistik:  dadurch  dass  dieselbe  den  rednerischen  Tiraden  zulieb  die 
Sachlichkeit  des  Inhaltes  hintansetzte,  ja  geradezu  Mangel  an  Exaktheit 
des  Wissens  zur  Schau  trug^  ist  sie  innerlich  leer  und  hohl  geworden  und 

I  hat  der  Kritiklosigkeit   und  dem  Aberglauben  der  Zeit  Vorschub  geleistet. 

i  Mag  mancher  gedächtnisstarke  Gelehrte  mit  Zahlen  und  Eigennamen  uns 
übermässig    belästigen,    mehr    doch    lernen    wir   von    ihm    als    von    jenen 

I  Sophisten,  welche  überall  der  Nennung  von  Zahlen  und  Namen  durch  af- 
fektierte Umschreibungen    aus   dem    Wege    gingen    oder    die  Bestimmtheit 

,  der  Zahl  durch  hinzugesetztes  oi'iuu  wieder  verwischten.-)  Um  ja  nicht 
die  Reinheit  des  griechischen  Sprachgewandes  zu  beflecken,  hat  ein  Haupt- 
repräsentant der  Sophistik,  Aristides,  in  seiner  Lobrede  auf  Rom  keinen 
einzigen  römischen  Namen  gebraucht.  Infolgedessen  tragen  die  Schriften 
der  Sophisten  so  ausserordentlich  wenig  zur  Bereicherung   unseres  histori- 

')  Kine    reiche    Materialsammlung   des    1    tT'etV    M^Qonrjv   Taixi'iQMv,    oi/uai     Je   xal    t^ 
Tioibens    der   Sophisten    gab    der    belesene    |    eine  ^^jviov  avjöHei'  en'ui  nXoth^,  II,  415  oldcc 


.lesuit    Lud.    Cresolli,     'J heatrtini     reterum       de  xccl  yluxioyixdg   iivicg    ÖQXV^^f^    >f«t    tq((- 
rhetoriiiii  oraforiun  (Icdamatornm,  Vrv.  l(\20.  .       .    .    . 

'^)  Vgl.  Aiistid.  t.  II.  p.  346  ed.  Jebb.:  tcf)j 


yixüq  y  ireQuc,  F\uaeXei((g  oifiut  xaXov/ueruc;. 
}  audbuch  ilcr  klass.  Altortuuiswisscnschaft.  VII.    2.  Aufl.  38 


594  Griechische  Litteraturgeschichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 


sehen  und  archäologischen  Wissens  bei,  infolgedessen  kamen  aber  auch 
ihre  Zeitgenossen  immer  mehr  von  der  Schärfe  des  Denkens  und  der  Ge- 
nauigkeit der  Beobachtung  ab  und  warfen  sich  statt  dessen  der  schwär- 
merischen Ekstase  und  dem  fremden  Aberglauben  in  die  Arme.  Kurzum  die 
Sophistik  gab  das  preis,  was  das  klassische  Altertum  gross  gemacht  hatte, 
„die  edle  Einfalt  und  stille  Grösse." 

469.  Die  Sophistik  hat  zwei  Glanzzeiten  gehabt,  eine  ältere  unter 
Hadrian  und  den  Antoninen  und  eine  jüngere  unter  Julian  und  dessen 
Nachfolgern.  Beide  haben  ihre  Geschichtschreiber  gefunden,  die  ältere  an 
Philostratos,  die  jüngere  an  Eunapios.i)  Ihre  Biographien  müssen  uns  für 
die  grossen  Verluste,  welche  die  Litteratur  an  wirklichen  Reden  erlitten 
hat,  Ersatz  bieten.  Denn  von  den  meisten  Sophisten  ist  gar  nichts  auf 
uns  gekommen,  und  selbst  die  gefeiertesten  unter  ihnen  sind  für  uns  blosse 
Namen.  In  den  Kanon  wurden  von  den  Sophisten  10,  also  gerade  so  viele 
wie  attische  Redner  aufgenommen,  nämlich  Dion  Chrysostomos,  Nikostratos, 
Polemon,  Herodes  Attikos,  Philostratos,  Aristides,  und  wahrscheinlich  noch 
Libanios,  Themistios,  Himerios,  Eunapios.-)  Ehe  wir  uns  zu  diesen  wenden, 
müssen  wir  noch  ein  paar  Worte  von  den  Vorläufern  der  Sophistik  sagen. 

Den  x^nstoss  zur  Entwicklung  der  Sophistik  gab,  wie  wir  oben  be- 
reits bemerkt  haben,  das  unter  Augustus  von  Dionysios  und  Cäcilius  neu- 
belebte Studium  der  attischen  Redner.  Aber  als  den  eigentlichen  Wieder- 
erwecker  der  Sophistik  bezeichnet  Philostratos  im  Leben  der  Sophisten  I,  19 
den  Niketes  aus  Smyrna,  der  in  der  Zeit  des  Xerva  blühte.  Bezeichnend 
ist  dessen  Herkunft  aus  dem  asiatischen  Smyrna,  da  sich  darin  der  enge 
Zusammenhang  der  Sophistik  mit  der  asianischen  Beredsamkeit  des  Hege- 
sias  und  seiner  Schule  kundgibt.''^)  Ihm  ging  noch  voraus  Lesbonax  aus 
Mytilene,  der  ein  Zeitgenosse  des  Pompeius  war^)  und  sich  ausserordent- 
lichen Ansehens  bei  seinen  Zeitgenossen  erfreute.  Von  ihm  las  Photios 
cod.  74  noch  10  Reden:  auf  uns  gekommen  sind  3  kleine  Deklamationen, 
welche  nach  dem  Muster  der  olynthischen  Reden  des  Demosthenes  Auffor- 
derungen zum  Krieg  gegen  die  Thebaner  in  phrasenreicher  Sprache  enthalten. 

470.  Dion,")  der  von  seinem  Gönner,  dem  Kaiser  Nerva,  den  Bei- 
namen Cocceianus,   und   von   seiner  Beredsamkeit   den   Ehrennamen  Chrv- 


^)  Den  Philostratos  imd  Eunapios  be- 
nützte Siiidas  oder  dessen  Gewährsmann 
Hesychios.  der  aber  daneben  noch  andere 
Hilfsmittel  gehabt  haben  mnss,  wie  man  aus 
den  Artikeln  '.-/omrf/cf/^c    und  lue'oios    sieht. 

'-)  Über  diesen  zweiten  ßeduerkanon 
s.  Suidas  u.  yixoaTQarog.  Schob  zu  Lucian 
de  Salt.  09,  Philostratos  vit.  soph.  II.  1.  14. 
Anthol.  YII.  573. 

3)  RoHDE,  Eh.  M.  41.  ITC.  Unser  So- 
phist scheint  eine  Person  zu  sein  mit  Nicetes 
Sacerdos  bei  Tac.  Pial.  15  n.  Plinins  Ep, 
VI,  G. 

"*)  Von  diesem  Lesbonax  heisst  es  bei 
Suidas  ^Isaßiöfu^  Mvnki^yaiog  cfi/.öaog^oc,  )'S- 
yoywi;  inl  --/r/orTTor.  nccrtjo  JJorra/dJ/oc  tov 
(fiXoaöcfov.  Die  Zeitangabe  kann  nicht  ganz 
richtig  sein,  da  nach  Inschriften,  welche  un- 
längst Cichorius  in  Mytilene  fand  (^Kom  und 


Mytilene.  Leipz.  1S88'.  Potamon.  der  Sohn 
unseres  Lesbonax,  im  J.  29  v.  Chr.  als  Mit- 
glied einer  Gesandtschaft  nach  Rom  kam. 
Damit  modifiziert  sich  das  Resultat  der  Unter- 
suchung, welches  Rohde.  Gr.  Rom.  841  f. 
über  die  verschiedenen  Lesbonax  anstellte. 
Die  Mytileueer  ehrten  ihren  verdienten  Mit- 
bürger durch  die  ^lünzaufschriften  ^Isaßiora^ 
cfiXöaocfog  und  ^leoßtoyu'^  iiQiog  reo;  (Mionnet 
descr.  des  monn.   116  suppl,  84  u.  85). 

'")  Philostr.  vit.  soph.  I,  7:  Synesios 
Jiiüy:  Suidas  u.  Jüoy:  Phot.  cod.  209.  Em- 
PEKius,  Opusc.  phil.  et  hi.st.  102 — 10:  Burck- 
HAKDT.  "Wert  des  Dio  Chrys.  für  die  Kenntnis 
seiner  Zeit,  treftlicher  Aufsatz  in  Schweiz. 
Mus.  IV,  97  —  191;  P.  Hagex.  (^iHaestiones 
Dioneae,  Kiel  1887.  W.  Schmid.  Atticismus 
1.  72 — 191.  wo  speziell  von  der  Spiache 
unseres  Rhetors  gehandelt  ist. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  g)  Die  Sophistik.  (§4(39— 470.)     595 

sostomos  (Goldmund)  erhielt,')  ward  um  die  Mitte  des  1.  Jahrluiiiderts  in 
Prusa,  einer  Stadt  Bithyniens,  von  angesehenen  Eltern  geboren.  Schon 
unter  Vespasian  zu  Ehren  gelangt  und  nach  Rom  gezogen,  geriet  er  bei 
dem  argwöhnischen  Kaiser  Domitian  wegen  seiner  Verbindung  mit  einem 
vornehmen,  von  dem  grausamen  Despoten  hingerichteten  Römer-)  in  Ver- 
dacht und  wurde  infolge  dessen  aus  Rom  verbannt.  Dem  Wanderungstrieb 
seiner  Zeit  folgend  zog  er  hierauf  nach  dem  Rate  des  delphischen  Orakels 
zu  den  Xordgestaden  des  schwarzen  Meeres  ins  Land  der  Geten,  wovon 
er  uns  selbst  Näheres  in  seiner  borysthenischen  Rede  erzählt.  Aber  nach 
dem  Sturze  des  Tyrannen  wurde  er  von  Nerva  nach  Rom  zurückgerufen 
und  erfreute  sich  nach  dem  frühen  Tode  dieses  seines  kaiserlichen  Freundes 
auch  von  Seiten  des  Kaisers  Trajan  hoher  Auszeichnungen.  Doch  blieb  er 
nicht  ständig  in  Rom,  sondern  kehrte  schon  in  den  ersten  Regierungs- 
jahren des  Trajan  nach  seiner  Heimatstadt  Prusa  zurück,  für  die  er  manche 
Vorrechte  von  dem  Kaiser  auswirkte  und  die  er  selbst  mit  Hallen  und 
Wasserleitungen  versorgte.^)  Von  Prusa  kam  er  als  Wanderredner  auch 
nach  vielen  anderen  Städten  Kleinasiens  und  Ägyptens.  Über  die  Zeit 
seines  Todes  ist  nichts  bekannt. 

Dion  wird  v^on  seinem  Biographen  in  die  Klasse  jener  Sophisten  ge- 
stellt, welche  die  Kunst  der  Rede  mit  dem  Studium  der  Philosophie  ver- 
banden. In  der  That  war  er  fast  mehr  Philosoph  als  Rhetor  und  eiferte 
selbst  nicht  selten  gegen  die  charakterlose  Marktschreierei  der  Sophisten.^) 
Seine  philosophischen  Anschauungen  wurzelten  in  der  Tugendlehre  der 
Kyniker  und  erhoben  sich,  der  Zeit  voraneilend,  bis  zur  Anerkennung  der 
allgemeinen  Menschenrechte.^)  Die  von  ihm  verfassten  Reden,  von  denen 
80,  oder  da  die  korinthische  (37.)  fälschlich  ihm  untergeschoben  ist,^)  79 
auf  uns  gekommen  sind.")  haben  meist  auch  die  Form  von  Reden;  einige 
kleinere  und  untergeordnete  sind  dialogisch  abgefasst,  darunter  die  Peri- 
phrase des  Prologes  von  Euripides'  Philoktet.^)  Verloren  gegangen  ist  uns 
leider  das  Geschichtswerk  Ferixcc,    zu  dem  Dion   in    seiner  Verbannung  an 


^)  Der   Beiname    findet  sich  noch  nicht  Reden    des    Dion    geraten.      Dass   sie   nicht 

bei    Philostratos ;    er    scheint    unserem  Dion  von    ihm  herrührt,    beweist    schon   der  ganz 

erst  später  im  Gegensatz  zu  dem  Historiker  abweichende  Stil,     Emperius,  De  or.  Corin- 

Dion  gegeben  worden  zu  sein.  thiaca  falso  Dioni  Chrys.  adscripta  (Opusc. 

^)  Nach  einer  Vermutung  von  Emperius,  p.  18—41)  hat  sie  dem  berühmten  Polyhistor 

De  ex'ilio  Dionis.    war    es    Flavius  Sal)inus,  Favorinus   zuweisen    M-ollen,    wozu   gut    der 

der  im  J.  82  hingerichtet  wurde.  gelehrte  Inhalt  der  Rede,  insbesondere  aber 

'^)  Or.  40  p.   175  und    or.  45  p.  203  ff. ;  die    Erwähnung    der    Kelten    als    Landsleuto 

die  letztere  Rede  hat  nach  ihrem  Inhalt  den  des  Redners  stimmt.     Dem  Urteil  Emperius' 

Titel    (cno'/.oytauoc    oncoc     aa/i^xe    TiQog    rt]y  tritt  bei  Maass,  Philol.  Unters.  IIF,  13o — 130 

nuroi^a.     Über  seine  Neider  s.  or.  40  p.  1(32  unter    Widerlegung    der    von    Markes,    De 

und  Plinius  ep.  X,  85  u.  80.  Favorini    Arelatensis   vita    studiis   scripfis 

■*)  Or.  11  p.  309:  xuxoöaluoi'Eg  aocfiami.   |    (Utrecht  1853)  erhobenen  Einwände. 

^)  Or.  15  tieqI    dovXeUcg  y.al  s'/.eix9eQi(ig,    j  ")  Verloren    gegangen    sind    die    Reden 

or.    7    p.  270:    xod't]    tö    dy&Qionii'ov   yivog  gegen  Domitian,    die   er   or.  45  in.   erwähnt 

«77«»'  tyiiuoy  X(u  otuönuoi'  vnd  tov  (fvaavrog  und    ein  von  Synesios  angeführter  xl'iiTÜxov 

^£ov    T((vT(c   ay]ueui   xcd    avu^oXcc    e/oy   rov  Inaiyog. 

iifxday'^ui    dixaiiog   x(d    Xoyoy    xai    sunsiQlay  ^)  Or.  59 ;    in  Verse  zurückübersetzt  ist 

X€dojy  TS  x(d  (cia/Qojy  ye'yors)'.  der  Prolog  von  Bothe;  einige  Verse  heraus- 

^)  Die  Corinthiaca  behandelt  einen  ahn-   ;    gelesen    von    Nauck,    Trag,    graec.    fnigui. 

liehen  Gegenstand   wie  die  Rhodiaca  und  ist  p.  484. 
wahrscheinlich    auf    diese    Weise   unter    die 


1 


38= 


596 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Ort  und  Stelle  das  Material  gesammelt  hatte.')  Unter  den  erhaltenen 
Reden  verdienen  an  Umfang  und  innerem  Wert  vor  andern  folgende  nam- 
haft gemacht  zu  werden:  die  Borysthenica,  in  der  uns  der  Autor  höchst 
interessante  Nachrichten  von  der  Bedrängnis  der  griechischen  Kolonien  des 
Pontus  durch  die  Skythen  und  von  dem  Fortleben  des  Homerkultus  in  jenem 
äussersten  Winkel  des  Hellenentums  gibt;  die  Olympica,  in  welcher  er  dem 
Pheidias  eine  recht  hübsche  Erklärung  seiner  Zeusstatue  in  den  Mund  legt; 
die  Rhodiaca,  in  der  er  gegen  die  Unsitte,  alte  Statuen  durch  veränderte 
Aufschrift  zu  Ehrendenkmalen  berühmter  Männer  der  Gegenwart  umzu- 
gestalten eifert;  die  Alexandrina,  eine  heftige  Kapuzinade  gegen  die  im 
Taumel  eines  genusssüchtigen  Lebens  aufgehende  Bevölkerung  der  volk- 
reichen Stadt  Alexandria.  Auch  die  übrigen  Städtereden  an  die  Bewohner 
von  Prusa,  Tarsos,  Kelainai,  Nikomedia,  Nikäa,  Apamea  sind  für  die  Kennt- 
nis der  Zeit  Trajans  wichtig  und  zeugen  von  der  wachsenden  Autonomie 
der  griechischen  Freistädte,  zugleich  aber  auch  von  ihrer  Rivalität  und 
ihrem  sittlichen  Zerfall.  Besonders  sorgfältig  ausgearbeitet  sind  die  4  Reden 
über  die  Königsherrschaft  [ttsqI  ßaaiXeiccg),  alle  für  Trajan  bestimmt  und 
zum  Teil  auch  an  denselben  gerichtet;  das  Herrscherideal,  das  er  hier  ent- 
wirft und  dem  Kaiser  vorhält,  basiert  auf  der  Überzeugung,  dass  von  den 
verschiedenen  Staatsformen  die  monarchische  die  beste  sei,  und  geht  von 
der  Anschauung  aus,  dass  der  Kaiser  hier  auf  Erden  die  Hoheit  und  den 
Vatersinn  des  Zeus  im  Himmel  repräsentiere.  In  den  philosophischen  Reden 
und  Dialogen  war  Dion  Vorläufer  Lukians,  indem  er  es  liebte  einfache 
Moral  unter  der  Maske  des  Sokrates  und  Diogenes  zu  predigen. 2)  Als 
Kind  seiner  allegorisierenden  Zeit  erscheint  er  in  seinen  mythologischen 
Aufsätzen.  Darin  verlieren  die  Heroen  unter  der  euhemeristischen  Deutung 
ganz  ihren  poetischen  Glanz;  insbesondere  kann  uns  die  Rede  an  die  Hier, 
worin  umständlich  nachgewiesen  wird,  dass  Homer  gelogen  habe  und  Ilion 
nicht  erobert  worden  sei,^)  als  ein  Musterstück  jenes  flachen,  jedes  poeti- 
schen Verständnisses  entbehrenden  Rationalismus  gelten.^)  In  das  Gebiet 
der  Litterargeschichte  und  des  Unterrichtes  gehören  2  Aufsätze  über  die 
Übung  im  Reden  (18.),  und  über  die  Darstellung  des  Philoktet  bei  den 
grossen  Tragikern  Aischylos,  Sophokles,  Euripides  (52.).  Den  letzteren  haben 
wir  bereits  oben  §  159  verwertet;  der  erstere  berührt  sich  mit  dem  10.  Buch 
des  Quintilian,  kann  sich  aber  mit  demselben  weder  an  Feinheit  der  Cha- 
rakteristik noch  an  Reichtum  der  Beispiele  messen.  Einen  hervorragenden 
Rang  in  der  Litteratur  nimmt  endlich  der  Euboikos  ein,  ein  liebliches  Idyll 
von  dem  unschuldsvollen  Leben  zweier  Jägerfamilien  an  der  waldbewach- 
senen Küste  Euböas,  wohin  Dion  durch  einen  Schiffbruch  verschlagen  war. 


^)  Angeführt  sind  die  rsrixd  vonPhilostr. 
vit.  soph.  I,  7,  benützt  von  lordanes,  dem 
lateinischen  Historiker  der  Goten. 

2)  Die  13.  Rede  nach  Antisthenes,  s. 
§  278;  vgl.  Weber,  De  Dione  Cynicorum 
sectatore. 

^)  Er  scheint  darin  dem  sophistischen 
Grammatiker  Daphidas  (für  eine  Person 
mit  Daphitas  (um  250  v.  Chr.)  hält  diesen 
WiLAMOwiTz  Ind.  Gott.  1889  p.  11  f.)  gefolgt 


zusein,  von  dem  Suidas  sagt:  ysyqcccfojq  tjsqI 
OfÄTjQov  xal  TijgTJOLfjaecog  avrov  ort  sxpevaccjo  ' 
^JO^jvctioi  yciQ  ovx  iaiQchsvaay  in^    iXioy. 

■*)  Besonders  zeigt  die  Stelle  or.  11  p. 
365  R,,  wo  zur  Bekräftigung  des  Hauptsatzes 
die  schwankende  Chronologie  der  Schlacht 
von  Salamis  und  Platää  herangezogen  wird, 
dass  Dion  und  die  stoischen  Aufklärer  Ge- 
schichte und  Sage,  Prosa  und  Poesie  nicht 
zu  unterscheiden  vermochten. 


■ 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,   g)  Die  Sophistik.  (§  471.)     597 


Dem  Bilde  der  Sittenreinheit  und  der  Geisteseinfalt  des  Landlebens  ist 
wirkungsvoll  die  Schilderung  von  der  Stadt  mit  ihren  Bordellen,  Syko- 
phanten  und  herumlungernden  Proletariern  entgegengesetzt;  doch  thut  es 
dem  Werte  der  Schrift  Abbruch,  dass  sie  sich  schliesslich  in  zwar  ver- 
ständige, aber  zu  weit  gesponnene  Reflexionen  über  die  Schädlichkeit  des 
Zudrangs  der  Leute  zu  den  Städten  ergeht. 

Dion  wurde  von  Philostratos  und  den  Kunstrichtern  der  Sophistik 
nicht  unter  die  ersten  Grössen  der  sophistischen  Beredsamkeit  gezählt;  dazu 
fehlte  ihm  die  glänzende  Phrase;  dazu  hatte  er  zu  viel  philosophischen 
Inhalt  und  ungeschminkte  Naturwahrheit.  Doch  ist  er  auch  als  Stilist  durch- 
aus nicht  zu  verachten ;  er  hatte  sich  die  klare  Einfachheit  des  Xenophon  zum 
Vorbild  genommen  ^  und  dieselbe  in  den  eingelegten  Erzählungen  und 
Fabeln  auch  glücklich  erreicht.  Als  einer  der  ersten  Vertreter  der  attiki- 
sierenden  Richtung  hat  er  die  Sprache  von  dem  Kehricht  der  Vulgärsprache 
gereinigt,  aber  auch,  entgegen  dem  natürlichen  Gang  der  Entwicklung, 
wieder  alte  längst  abgestorbene  Formen,  wie  den  Dual,  einzuführen  gesucht. 
Ausser  Xenophon  hat  er  besonders  Piaton  im  Sprachschatz  nachgeahmt.  2) 
Ein  Fehler  seiner  Komposition  sind  die  überlangen  Proömien,  anstössig  auch 
ist  der  häufige,  aus  Piaton  genommene  Ausgang  auf  einen  Mythus.  Ge- 
rühmt werden  von  Philostratos  am  Stil  unseres  Dion  die  Bilder  {dxovsg), 
die  von  aufmerksamer  Naturbeobachtung  zeugen,  aber  nur  in  einigen  Reden, 
wie  in  dem  Eingang  der  olympischen,  häufiger  vorkommen. 

Ausgaben:  Dionis  Chrysostomi  orationes  ex  reo.  Reiskii,  Lipsiae  1784,  von  Reiske's 
Frau  besorgt;  mit  kritischem  Apparat  von  Emperius,  Brunsv.  1884;  Textesausgabe  von  L. 
DiNDORF,  in  Bibl.  Teubn.,  mit  einer  längeren,  für  den  Sprachgebrauch  der  späteren  Rhetoren 
wichtigen  Präfatio. 

471.  Aelius  Aristides  (117 — 185), 2)  mit  dem  Zunamen  Theodoros, 
war  im  Jahre  117  zu  Hadrianoi  in  Mysien  als  Sohn  des  Priesters  Eudaimon 
geboren."^)  In  die  Sophistik  wurde  er  durch  die  berühmtesten  Lehrer  seiner 
Zeit,  Aristokles  in  Pergamon,  Herodes  Attikos  in  Athen,  Polemon  in  Smyrna 
eingeführt.  In  der  Grammatik  und  Litteratur  hatte  er  den  Alexander  von 
Kotyaion  zum  Lehrer,  dem  er  selber  in  der  erhaltenen  Grabrede  ein  ehren- 
des Denkmal  gesetzt  hat.  Teils  zu  seiner  Ausbildung,  teils  in  Ausübung 
seiner  Kunst  kam  er  viel  in  der  Welt  herum,  durchwanderte  Ägypten  bis 
hinauf  zu  den  Katarakten,  Hess  sich  in  Athen,  bei  den  isthmischen  Spielen  und 
in  verschiedensten  Städten  Asiens  hören,  sah  die  Hauptstadt  des  Reichs  und 
hielt  in  Rom  Vorträge  (i.  J.  160).  Seinen  Hauptsitz  aber  hatte  er  in  Smyrna, 
um  welche  Stadt  er  sich  hohe  Verdienste  erwarb.  Denn  als  dieselbe  im 
Jahre  178  durch  ein  fürchterliches  Erdbeben  zu  einem  Trümmerhaufen 
geworden  war,  erwirkte  er  durch  seine  Fürsprache,  dass  die  Kaiser  M. 
Aurelius  und  L.  Commodus   sich   der   unglücklichen    Stadt   annahmen    und 


^)  Der  Rhetor  Menander  bei  Spengel, 
Rhet.  gr,  TII,  390  stellt  als  Muster  der  laroQia 
unlrj  y.cil  «(jpeÄry?  neben  Xenophon  denNikostra- 
tos,  Dion  Chrysostonios  und  Philostratos  auf. 

'^)  ScHMiD,  Atticisnnis  I.  141  ff. 

^)  Philostr.  vit.  soph.  11,  9 ;  Sopatcr 
Proleg.  ad.  Panathen.;  Suidas  u.  'jQiareid\g. 
Massontus,  CoUectmiea  hi.storica  ad  Ari- 
stidis  vitam,  abgedruckt  im  ?>.  Bd.  der  Ausg. 


von  Dindorf;  Waddington,  Vie  du  rheteur 
Aristide,  in  Mem.  de  VAcad.  des  inscr.  t. 
XXVI,  1867;  Herm.  Baumgart,  Aelius  Ari- 
stides als  Repräsentant  der  sophistischen 
Rhetorik  des  2.  Jahrhunderts  der  Kaiserzeit, 
Leipz.  1874. 

"*)  Die  Jahreszahl  nach  der  Berechnung 
von  Letronne.  Jiccherches  pour  scrrir  ä 
Vliist.  de  VEgypte. 


.98 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II,  Nachklassische  Litteratur. 


dieselbe  wieder  aufbauten.  Die  dankbaren  Bürger  ehrten  die  Verdienste 
des  einflussreichen  Rhetors  durch  eine  eherne  Statue  auf  dem  Markte,  der 
wir  die  Erhaltung  des  Bildes  unseres  Autors  verdanken.')  Eine  grosse 
Rolle  spielt  in  seinem  Leben  und  seinen  Reden  eine  schwere  Krankheit, 
die  ihn  um  160  ergriff  und  an  der  er  13  Jahre  lang  zu  leiden  hatte.  Er 
starb  nach  Philostratos  zwischen  seinem  60.  und  70.  Lebensjahr,  wahr- 
scheinlich im  Jahre  185. 

Seine  Hauptbedeutung  hatte  Aristides  als  Redner;  der  Thätigkeit 
eines  Lehrers  der  Rhetorik  lag  er  zwar  auch  ob,  und  es  ist  uns  sogar  unter 
seinem  Namen  eine  theoretische  Schrift  über  die  politische  und  schlichte 
Rede  erhalten,  2)  aber  einen  besonderen  Erfolg  hatte  er  als  Lehrer  nicht. 
Man  machte  ihm  geradezu  den  Vorwurf,  dass  er  es  sich  zu  wenig  ange- 
legen sein  Hess,  Schüler  an  sich  zu  ziehen  und  für  das  Studium  der  rheto- 
rischen Kunst  zu  gewinnen. 3)  Auch  von  Versen  spricht  er,  die  er  ge- 
schmiedet habe  und  deren  Kunde  bis  nach  Ägypten  gedrungen  sei;*)  aber 
schon  die  Alten  hielten  dieselben  nicht  der  Erwähnung  wert,  und  wir 
werden  den  Verlust  der  frostigen  Muse  des  asianischen  Rhetors  noch  leichter 
als  den  der  Verse  Ciceros  verschmerzen.  Der  eigentliche  Ruhm  des  Ari- 
stides gründete  sich  auf  seine  Reden  und  von  diesen  sind  55,  so  ziemlich 
alles,  was  das  Altertum  kannte,  auf  uns  gekommen.  Nicht  alle  sind  Reden 
im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes;  mehrere  sind  Sendbriefe,  wie  der  Brief 
über  Smyrna  an  die  römischen  Kaiser,  und  die  schöne  Gedächtnisrede  auf 
den  Grammatiker  Alexander,  welche  an  den  Rat  und  das  Volk  der  Kotyäer 
gerichtet  ist.  Ausserdem  wollen  die  meisten  seiner  Reden  gar  nicht,  was 
doch  Aufgabe  jeder  echten  Rede  sein  sollte,  auf  den  Willen  und  die  Ent- 
schliessung  der  Zuhörer  einwirken,  sondern  sind  lediglich  theoretische  Vor- 
träge oder  Erörterungen  in  der  Form  von  Reden. 

4:12.  Gewisser massen  sein  Programm  entwickelt  Aristides  in  den  2 
Reden  nQog  IlXäiwra  jisqI  QijTOQixt^g,  mit  denen  noch  die  Rede  an  Capito 
zu  verbinden  ist,  in  der  er  seine  Angriffe  auf  den  grossen  Philosophen 
rechtfertigt.  Zunächst  knüpft  er  in  seiner  Polemik  an  den  Gorgias  des 
Piaton  an,  indem  er  die  geringschätzige  Meinung,  die  dort  Piaton  von  der 
Afterweisheit  der  Rhetoren  ausspricht,  mit  allen  Mitteln  seiner  Kunst  be- 
kämpft. Aber  so  viel  Emphase  auch  der  Rhetor  aufwendet  und  so  sehr 
er  sich  auch  bemüht,   die  Vorwürfe  des  Philosophen   auf  die  Ausartungen 


^)  Die  Statue  befindet  sich  im  Vatikan ; 
der  Kopf  ist  von  uns  nach  Visconti  Iconogr. 
(fr.  I  pl.  31  in  der  angehängten  Tafel  repro- 
duziert. 

')  Des  Aristides  Te/vai  ()i]TOQix(d  tj 
tisqI  noliiixov  Xoyov  yMl  u(peXovg  Xoyov  be- 
rühren sich  durchweg  mit  der  Lehre  des 
etwas  jüngeren  Hermogenes  und  sind  in 
nachlässigem  Stile  geschrieben,  so  dass  sie 
L.  Spengel,  Rhet.  gr.  t.  II  p.  XIX  mit  Recht 
dem  gefeierten  Redner  absprach  und  einem 
späteren  Kompilator  zuwies.  Dagegen  hat 
sich  Baumgart  S.  139  ff.  erklärt,  indem  er 
die  Schrift  für  eine  Art  Kollegienheft  aus- 
gab   und   in   Hermogenes   II,    267  Sp.    eine 


Bezugnahme  auf  Aristides  fand.  Baumgart's 
Darlegung  hat  Volkmann  überzeugt,  so  dass 
derselbe  in  der  zweiten  Auflage  seiner  Rhe- 
torik der  Griechen  und  Römer  S.  553  seinen 
Einspruch  gegen  die  Echtheit  der  Schrift 
zurückzog. 

^)  Auf  die  Vorwürfe  antwortete  er  ohne 
besonderes  Glück  in  der  Rede  ngog  lovg 
airi(ü/uepovg  öxi  jutj  ^uF.XerMrj.  Auf  sein  leeres 
Auditorium  gehen  die  Spottverse  in  der  Ausg. 
Dindorfs  III,  p.  741  ^ 

/a'iQSJ  'jQiarei^ov  rov  ()rjroQog  eixcl  /ua9^i]t((i, 
rtoGccgeg  ol  roJ'/oi  xcd  rgia  ovxpsXia. 
4)  Ar  ist.  1,  310  Jebb. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   g)  Die  Sophistik.  (§  472.)     599 


der  Redekunst  abzuwälzen,  so  hat  er  doch  den  Kern  der  platonischen  Lehre 
nicht  erkannt:  seine  eigenen  Reden  beweisen  am  besten,  dass  es  den  So- 
phisten weniger  um  das  Wesen  der  Sache  als  um  hohles  Phrasengeklingel 
zu  thun  war.  ^)  —  An  die  Schule  erinnern  am  meisten  von  seinen  Reden 
diejenigen,  welche  Themata  aus  der  Geschichte  der  Vergangenheit  behandeln. 
Dahin  gehören  die  Gegenreden  über  die  Expedition  nach  Sikilien  (tisqI  tov 
TripTTeiv  ßoTj^siav  roTg  iv  ^ixslia),  über  den  Frieden  mit  Lakedämon  {vntq 
trjg  TiQog  AaxtSccipioviovg  HQfjvrjg),  über  das  Bündnis,  das  die  Athener  den 
Thebanern  antrugen,  als  Philipp  von  den  letzteren  den  Durchzug  gegen 
Attika  verlangte.  Gar  zu  5  Reden  gab  eine  einzige  Situation  den  Stoff, 
nämlich  die  Stellung  der  Athener  zu  den  Lakedämoniern  und  Thebanern 
nach  der  Schlacht  von  Leuktra.'-^)  Sehr  fällt  von  der  wenn  auch  nur  er- 
künstelten, doch  immerhin  an  Demosthenes  erinnernden  Kraft  dieser  Reden 
die  läppische  Gesandtschaftsrede  an  Achill  ab.  Ein  noch  ungünstigeres 
Urteil  haben  die  zwei  an  die  Leptinea  des  Demosthenes  anknüpfenden 
Deklamationen  Tigog  Jrjfxoa^t'rrjr'  negl  aralsiag  und  nqdg  A67itivi]v  vTitq 
avsXsiag  erweckt;  aber  diese  beiden  Deklamationen  gehören  nicht  dem  Ari- 
stides,  werden  auch  nicht  in  den  Handschriften  dem  Aristides  zugeschrieben, 
sondern  sind  ihm  nur  auf  Grund  einer  Stelle  der  Rede  gegen  Capito  p.  315 
beigelegt  worden.^)  Die  ganze  Art  aber,  Situationen  der  geschichtlichen 
Vergangenheit  zum  Ausgangspunkt  von  Schulreden  zu  wählen,  hängt  mit 
der  rhetorischen  Färbung  der  Geschichtswerke  jener  Zeit  zusammen  und 
hat  in  den  lateinischen  Deklamationen  des  Quintilian  ihr  Seitenstück. 

Von  den  Reden,  welche  wirklich  gehalten  wurden,  haben  am  meisten 
Leser  und  Bewunderer  gefunden  der  Panathenaikos  und  die  Lobrede  auf 
Rom.  Die  letztere,  'Pw/tryg  syaMimov,  gehalten  160,  ergeht  sich  in  über- 
schwenglicher Lobpreisung  der  Stadt  und  in  bewundernder  Anerkennung 
der  römischen  Staatsordnung,  in  der  die  Vorzüge  der  Demokratie,  Aristo- 
kratie und  Monarchie  vereinigt  seien.  Der  Panathenaikos  ist  eine  Nach- 
ahmung der  gleichnamigen  Rede  des  Isokrates  und  sollte,  wie  der  Schluss 
sagt,  der  Burggöttin  an  ihrem  Feste  statt  des  Peplos  dargebracht  werden. 
Bei  ihrer  grossen  Ausdehnung  konnte  sie  schwerlich  auf  einmal  gesprochen 
werden,  sondern  wurde  wahrscheinlich,  wie  Reiske  vermutete,  in  2  Ab- 
teilungen vorgetragen.^)  Mit  Benützung  älterer  Werke,  namentlich  des 
Ephoros  und  platonischen  Menexenos  ■')  hat  hier  der  Redner  ein  glänzendes 


')  Auf  diese  Rede  scheint  anzuspielen 
Lukian,  Bis  accus.  1^4:  Ivnsl  (sc.  ^iccloyog) 
(wröv,  oii  fxrj  xd  y'/.i<T/Qcc  exsTvcc  xal  '/.enid 
xui^rjfjica  TiQog  aviot^  a^uixQoXoyovjusiwg  .... 
ei  Y]  ()f]TOQi,xr]  nohrtXTJg  fioQiov  sidcoXoy,  xo- 
laxelag  tö  TtTCiQiov. 

'^)  In  der  Hypothesis  zu  den  Xoyoi  Asvx- 
XQixoL  heisst  es:  (}avfu'iL,oyrai  de  tkcpv  inl 
Te  rfi  öeivöir^zi  xcd  ro?g  ini/e(Q?jfA((aii\  Noch 
Lionaido  Bruno  soll  sich  dieselben  in  seiner 
hindatio  Florentinae  urbis  zum  Vorbild  ge- 
nommen haben. 

■^)  H.  Ed.  FosS;  Declamationes  cluas 
Lrptincas  von  esse  ah  Aristide  scviptas, 
Altenb.    Trosr.    1841.     Das    Thema    war   in 


den  Rhetorcnschulen  beliebt;  auch  Lollianus 
schrieb  nach  Philostratos  vit.  soph.  1,  23 
gegen  die  Leptinea  des  Demosthenes.  Vgl. 
oben  §  256. 

^)  Die  2.  Rede  scheint  p.  147  ed.  Jebb.  mit 
OQW  fxev  ovv  begonnen  zu  haben.  Nach  den 
Schollen  p.  739  Dind.  zerfiel  die  Rede  in  4 
Teile. 

'•')  Hauuy,  Quibns  fontihus  usus  sit  Ari- 
stides in  l\uK(ilicn(UCO,  Augsb.  1888;  die 
Angabe  des  Sopater  in  den  Schollen  t.  III 
p.  739  Dind.,  dass  Aristides  direkt  den  He- 
rodot,  l'hukydides.  Xon()])hon,  Theopomp  be- 
nutzt ha))e,  beruht  auf  Irrtum. 


600 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Bild  von  der  Schönheit  der  Stadt  und  ihrer  grossen  Vergangenheit  ent- 
worfen; mit  der  Schlacht  von  Chäronea  bricht  die  Herrlichkeit  und  damit 
auch  die  Lobrede  ab;')  von  der  Gegenwart  wird  nur  rühmend  hervor- 
gehoben, dass  die  Athener  die  Führer  in  der  Bildung  und  in  jeglicher  Weis- 
heit geblieben  seien.  Wie  weit  aber  in  dieser  Glanzrede  die  Übertreibung 
und  Abgeschmacktheit  der  Sophistik  geht,  dafür  genüge  das  eine  Beispiel, 
dass  von  den  ionischen  Kolonien  in  Kleinasien  gesagt  wird,  sie  hätten  den 
Überschuss  der  Mutterstadt  an  gesunder  Luftmischung  mit  nach  Asien  ge- 
nommen.-) In  gleicher  Weise  bildet  die  Verherrlichung  Athens  und  seiner 
Geschichte  den  Grundton  der  grossen  Rede  virt-Q  twv  TfitäQon',  die  unter 
Bekämpfung  der  Stelle  des  platonischen  Gorgias  p.  515  d  eine  Rechtfertigung 
oder  vielmehr  eine  Lobpreisung  der  4  grossen  Staatsmänner  Athens,  The- 
mistokles,  Miltiades,  Perikles,  Kimon,  enthält.^)  Unter  den  übrigen  Reden 
zeichnet  sich  durch  stilistische  Vollendung  die  Trostrede  an  die  von  einem 
fürchterlichen  Erdbeben  heimgesuchten  Rhodier  (Podiaxög)  aus. 

Eine  eigentümliche  Stellung  nehmen  die  heiligen  und  die  Götterreden 
ein.  Die  heiligen  Reden  (IsqoI  Xoyoi),  5  an  der  Zahl,  drehen  sich  alle  um 
die  langwierige  Krankheit  des  Autors  und  die  an  den  Mesmerismus  ge- 
mahnenden Wunderkuren,  durch  die  er  nach  dreizehnjährigem  Siechtum 
endlich  Heilung  fand.  Sie  geben  uns  ein  merkmürdiges,  aber  wenig  er- 
freuliches Bild  von  dem  Aberglauben  jener  Zeit  und  von  dem  Unwesen, 
das  die  Asklepiospriester  mit  den  Träumen  und  Hallucinationen  der  kranken 
Menschheit  trieben.  Indes  steht  bei  Aristides  im  Hintergrund  all  dieser 
Visionen  seine  eigene  masslose  Eitelkeit,  da  ihm  in  den  Träumen  vorzugs- 
weise Kaiser  und  Götter  erscheinen,  die  ihn  in  der  Rede  das  hauptsäch- 
lichste Heilmittel  suchen  heissen  und  ihm  seinen  Ruhm  in  den  schmeichel- 
haftesten Wendungen  vorausverkünden. ^)  Erfreulicher  sind  die  Götterreden 
oder  Predigten  (praedicationes)  auf  Zeus,  Athene,  Poseidon,  Dionysos,  Hera- 
kles, Asklepios,  Sarapis,  von  denen  die  auf  Poseidon  bei  den  isthmischen 
Spielen  wirklich  gehalten  wurde,  und  die  auf  den  Asklepios  in  der  Ein- 
weihungsrede des  Asklepios-Tempel  in  Kyzikus  ein  Seitenstück  hat.  Dieselben 
sind  an  die  Stelle  der  poetischen  Hymnen  und  Prosodien  der  klassischen  Zeit 
getreten,  sind  aber  nicht  ein  Ausfluss  echter  Frömmigkeit  und  tiefer  Reli- 
giosität,^') sondern  verraten  überall  die  Neigung  der  Zeit,  durch  allegorische 
Deutungen  die  alten  Mythen  der  Griechen  sich  mundgerecht  zu  machen  und 
mit  den  religiösen  Vorstellungen   anderer  Völker   in  Einklang   zu  bringen. 

Charakteristik.    Ein  Hauptzug  in  dem  Wesen  des  Aristides  besteht 


')  Das  erinnert  an  die  Weise  des  Pau- 
sanias;  vgl.  S.  576. 

'^)  p.  100  Jebb. :  Toaavzr}  d^  iarly  ij  ttsqlov- 
aicc  rijg  evrv^iag,  mote  xcd  nov  cIaXmv  yerwv 
cd  ravT7]g  unotxoi  nokeig  cd  rrji/  pvp  ^iMfiai^ 
t/ov<jca  clgioxcc  y.sxQc^aSai.  doy.ovoiv,  wo7I6q 
ciXko  Ti  TMv  oixor^sp  fxexeihjCpvTca. 

^)  Über  das  Ansehen  dieser  Rede  s.  Synes. 
Dio  p.  18  R. :  ^AQiOTeidi]v  6  nQog  TllcaMva 
Xoyog  v^sQ  rojy  xeooc'cQiov  nolvv  ixrjQv'^ev  iv 
To7g'El'k'r]oiv.  A,  Haas,  De  fontihus  Aelii 
Aristidis  in  componenda  declamatione  vneq 


Tioy  TEtTccQOir^  Gryph.  1884. 

^)  Besonders  in  der  4.  Rede  p.  331. 
RiTTEKSHAiN,  Der  medizin.  Wunderglauben 
und  die  Inkubation  im  Altertum,  Berl.  1878, 
erklärt  den  Aristides  für  zeitweilig  verrückt. 
Den  Weg  der  Suggestion  durch  hypnotischen 
Schlaf  erweist  experimentell  du  Prel,  Mo- 
derner Tempelschlaf,  in  Sphinx  Jan.  Febr. 
Heft  1890. 

°)  Viel  zu  günstig  urteilt  Welckek.  Kl 
Sehr.  HI.  138  f. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   g)  Die  Sophistik.  (§  472.)     gOl 


in  der  Liebe  zur  Selbstberäuclierung  und  in  der  grenzenlosen  Einbildung 
auf  seine  Kunst.  Die  Rede  ist  ihm  der  Inbegriff  aller  Weisheit,  das  grösste 
Gut,  das  ihm  so  viel  gilt  wie  anderen  Macht,  Kinder,  Eltern.^)  Aber  das 
Wort  'köyoc,  fasst  er  nicht  nach  seinem  tieferen  geistigen  Inhalt,  sondern 
lediglich  von  der  Seite  der  formalen  Redegewandtheit.  Daher  seine  Gering- 
schätzung der  Philosophie,  daher  die  Hohlheit  und  Inhaltlosigkeit  seiner 
Reden.  Die  Kunst  des  Schilderns  in  schwungvollen  Perioden  und  Bildern 
besass  er  allerdings  in  hohem  Grade,  aber  wir  erhalten  aus  seinen  zahl- 
reichen Schilderungen  von  Städten,  Landschaften,  Tempeln  kein  anschau- 
liches Bild  des  Gegenstandes.  Die  Akropolis  von  Pergamon,  deren  Umrisse 
und  Kunstwerke  heutzutage  in  klaren  Linien  unserem  geistigen  Auge  vor- 
schweben, weiss  er  nicht  anders  zu  schildern  als  mit  der  allgemeinen  Phrase 
axQOTtoXig  fihv  avTTj  TO(TavTrj  t6  ntysd^og  uoqqmO^v  ccüTQämovcya  drrd  rrdcfrjg 
Hdo^ov,  M(T7t€Q  xoivTj  Tiq  xoQvcfi]  Tov  s^vovg.  Die  Fertigkeit  aus  dem  Steg- 
reif zu  reden  verschmäht  er;  er  liebte  die  gefeilte,  sauber  ausgearbeitete 
Rede.  Als  der  Kaiser  Marcus,  so  erzählt  uns  Philostratos  im  Leben  des 
Aristides,  ihn  fragte,  wann  er  ihn  hören  könne,  antwortete  er,  stelle  heute 
das  Thema  und  morgen  kannst  Du  mich  hören:  ov  y^Q  ^^l^^v  rcov  iiiovv- 
TO)v,  dXXd  Twv  dxQißovvTMv.  Ihm  so  wenig  wie  dem  Isokrates,  mit  dem  er 
auch  die  Überschätzung  der  Redekunst  teilt,  war  die  gefällige  Leichtigkeit 
der  vom  Munde  fliessenden  Rede  eigen;  dafür  strebte  er  der  Redegewalt 
des  Demosthenes  nach,^)  blieb  aber  hinter  dessen  von  wahrem  Zorn  er- 
füllter Wuchtigkeit  der  Sprache  himmelweit  zurück.  Was  seinem  Stile  aus 
jener  Nachahmung  geblieben  ist,  das  ist  die  Verschlungenheit  des  Perioden- 
baues und  die  Dunkelheit  des  Ausdrucks,  so  dass  Reiske  von  ihm  sagt:^) 
scriptorum  graecorum  quotquot  legi  post  oratorem  Hmcydiclem  tmtis  Aristides 
est  omnimn  intellectu  difficillimus  cum  propter  incredihilem  argtimentafionnm 
et  crehritatem  et  siibtiUtatem  tum  propter  graecitatis  exquisitam  clegantiam. 
Den  Zeitgenossen*)  und  den  nächstnachfolgenden  Geschlechtern  imponierte 
der  erborgte  Schein  tiefer  Gelehrsamkeit  und  die  täuschende  Subtilität  ge- 
drungener Beweisführung  so  sehr,  dass  seine  Reden  viel  in  den  Schulen 
gelesen  wurden  •^)  und  angesehene  Rhetoren,  wie  Metrophanes  ^)  und  Sopater 
von  Apamea,   seine  Werke,   namentlich  den   Panathenaikos   und   die   Rede 


')  11,421  Jebb:  ifxol  de  Xöyotndaag  ngoat]- 
yoQiag  ymI  näoag  dvydjuetg  t/ovai  •  xcd  y<xQ 
7i((?(h(g  xcd  yopecg  xtd  nQci^etg  re  xcd  c(vct- 
Tjccvasig  xal  ncii/icc  id^s^utjp  roihovg.  I,  37: 
ei  yccQ  oiiv  oXotg  ^ep  xFQdog  ccyO^Qojno)  tov 
ßlov  xcd  ajansQsl  xecfccXciioy  rj  Tiegl  rovg 
Xoyovg  (^iccTQißrj,  tmv  ös  'koyiou  ol  tisqI  Tovg 
xf^eovg  ccvccyxaiöxaroi  .  .  ovre  T(o  O^sco  xc(XXioiv 
XfiQig,  oifiai,  jijg  inl  TtJj/  loyiou  ovre  roTg 
Xoyoig  e/oijuev  ccv  eig  ön  xQeTnoy  x()t]<jcd- 
fisOci.  II  44:  XEirÜQMv  ovtmi^  ^uoQiojy  Ttjg 
tlQexrjg  anavccc  dicc  (trjzoQix^g  iienob]rcii. 

^)  1,  325  Jebb.  träumt  ihm,  der  Gott  habe 
über  seine  Rede  das  Urteil  gefällt:  nccQijlxkeg 
rjfjiTv  1(0  c'(Sio')fuc(Ti  ZOP  J)juoa(h'in]. 

'j  In  der  prciefatio  bei  Dindorf  t.  III 
p.  788. 

'*)  Sehr    anerkennend    nitciltc   über   ihn 


der  Attikist  Phrynichos  bei  Photios  Cod.  158. 
p.  101a,  18  Bekk. 

•'')  Siehe  die  von  Jebb  gesammelten 
Veterum  et  recentiorum  de  Aristide  iudicia 
et  testimonia  in  Dindorf's  Ausgabe  t.  III 
p.  772,  und  überdies  das  Urteil  des  Longin 
in  Rhet.  gr.  I,  325.  22  Sp.:  J?/,ao(7t^eV»;c  &sii'(uc(- 
zog  tüV  er  zcdg  ccyzL&iaeaii^  ovx  ccel  zfj  zt/vtj 
i^^tvEi,  ctW  ccvxög  yivezca  te/vt]  TToXXdxig, 
(üaavzo)g  xcd  \lQiffxsl(Tf]g  und  p.  32C.  30:  r/;r 
TiXsnvdaccaav  tjeqi  xrjv  'Aoiciv  IxXvaiv  clifx- 
zijffazo  \iQt(Txei(^ijg  "  (rvi'e/<6g  yÜQ  &(Tii  xcd 
{)t(oy  xcd  niihirög. 

^)  Des  Metrophanes  vnojut'tjucc  eig  ' .Iqi- 
ax6i(ft]i^  erwähnt  Suidas;  auf  Sopater,  dessen 
Namen  p.  757,  24  Dind.  ausdrücklich  ge- 
nannt i.st,  geht  der  (Innulstock  unserer  Scho- 
lien  zurück. 


i 


602 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


vTTtQ  Twv  TSTTccQMv  kommentierten.  Erst  nach  und  nach  hat  in  der  Neu- 
zeit eine  nüchternere,  wahrheitsgemässere  Beurteilung  Platz  gegriffen,  so 
dass  jetzt  Aristides  eher  unterschätzt  wie  überschätzt  wird. 

Hauptsaiisg. :  Aristides  ex  reo.  G.  Dindorfii,  Lips,  1829  in  3  Bänden  mit  kritischem 
Apparat  und  den  Noten  der  früheren  Bearbeiter  Cantor  (1566),  Jebb  (1722)  und  Reiske; 
der  3.  Band  enthält  auch  die  Scholien.  Ergänzungen  zu  diesen  weist  aus  Cod.  Marc.  423 
nach  WiLAMOwiTz,  De  Mhesi  scholiis,  Greifsw.  1877.  —  Dareste,  Quam  utüitatem  conferat 
ad  historiam  sui  temporis  ilhistrandam  Aristides  rhetor,  Paris  1844,  —  Über  die  Sprache  des 
Aristides  handelt  W.  Schmid,  Der  Atticismus  in  seinen  Hauptvertretern,  2.  Bd.,  Stuttg.  1889. 

473.  Philostratoi.^)  Der  Sophisten  dieses  Namens,  die  alle  von  der 
Insel  Lemnos  stammten  (Ar'i^ivioi),  nennt  Suidas  drei. 2)  Der  älteste  war 
Philostratos,  Sohn  des  Verus,  der  unter  Nero  lebte,  den  aber  der  Verfasser 
der  Bioi  aocfiaxMv  nicht  erwähnt,  weil  er  vor  die  Zeit  des  erneuten  Auf- 
schwungs der  Sophistik  fiel.  Von  seinen  zahlreichen  Schriften  ist  nur  eine, 
der  Dialog  Ns'qmv,  und  diese  an  fremder  Stelle,  unter  den  Schriften  Lukians, 
auf  uns  gekommen.^)  Der  Dialog  enthält  ein  Gespräch  des  Lemniers  Mene- 
krates  mit  dem  verbannten  Philosophen  Musonius  Rufus  über  die  von  dem 
Kaiser  Nero  geplante  Durchstechung  des  Isthmus  von  Korinth  und  die  bei 
dieser  Gelegenheit  von  dem  Despoten  verübten  Greuel. 

Der  mittlere  Philostratos,  Enkel  (Urenkel?)  des  Verus,  nennt  sich  selbst 
im  Eingang  der  Sophistenbiographien  Flavios  Philostratos*)  und  wird  von  Euse- 
bios  in  seiner  Gegenschrift  wiederholt  Athener  genannt.'')  Nach  Suidas  lehrte 
er  zuerst  in  Athen,  später  in  Rom  und  blühte  unter  Alexander  Severus 
(222-235)  bis  in  die  Zeit  des  Philippus  (244—9)  hinein.  Seine  Studienjahre 
fielen  nach  seiner  eigenen  Angabe  noch  in  die  Regierungszeit  des  Septimius 
Severus  (193 — 211),  so  dass  wir  seine  Geburt  nicht  weit  über  das  Jahr  170 
hinaufrücken  dürfen.  Er  ist  der  Verfasser  der  Geschichte  des  Apollonios,  der 
Lebensbeschreibungen  der  Sophisten,  des  Gymnastikos  und  der  erotischen  Briefe. 

Der  dritte  Philostratos,  Sohn  des  Nervianus  und  Schwiegersohn  des 
mittleren  Philostratos,  wird  von  dem  letzteren  in  den  Sophistenbiographien 
regelmässig  unter  dem  Zunamen  Lemnios  angeführt.  Seine  Lebenszeit  be- 
stimmt sich  dadurch,  dass  ihn  als  jungen  Mann  von  24  Jahren  der  Kaiser 
Caracalla  (211 — 7)  mit  der  Steuerfreiheit  auszeichnete. <^)  Beigelegt  werden 
ihm  von  Suidas  Eixorsg,  IlavaO^rjvfxixog,  Tgcüixog  (ob  '^HQon'xög?),  IlaQäffQaaig 
Trjg  'Ofii'jQov  ftö'TT/'Joc,')  MeXsTm.  Nach  Bergks  Urteil  gehören  ihm  unter  den 
erhaltenen  Schriften  die  älteren  Eixöveg  und  der  Heroikos  an.^) 


^)  Suidas  u.  'PüiÖGZQcaog.  Bergk,  Die 
Philostrate,  Fünf  Abhdl.  S.  173  -  181. 

^)  Einen  Sophisten  Philostratos  Aigyp- 
tios  aus  der  Zeit  der  Kleopatra  erwähnt 
Philostr.  vit.  soph.  I,  5. 

^)  Dass  der  ältere  Philostratos  Verfasser 
des  Dialoges  ist,  hat  Kayser  erkannt;  auf 
ihn  ist  Vit.  Apoll.  V,  19  angespielt. 

*)  Ein  L.  Flavius  Philostratus  aus  dem 
Demos  Steiria  wird  in  einem  Ephebenver- 
zeichnis  CIA.  III,  1202  als  Archen  des  Jahres 
254/5  oder  257/9  oder  262/3  bezeugt. 

^)  ^Jx^tjpaTog   4>i'k6aTQaxog  wird  von  Eu- 
sebios   in   Hierocl.    p.  371,  13:373,  5;   400, 
29  K.  der  Verfasser  der  Geschichte  des  Apol 
lonios  oder  der  mittlere  Philostratos  genannt. 


Irrtümlicher  Weise  aber  hat  bei  Eunapios,  Vit. 
soph.  init.,  und  Synesios,  Dion  p.  35  a  und 
Insomn.  p.  155b  der  Verfasser  der  Sophisten- 
biographien den  Beinamen  Lemnius.  Der 
Verf.  der  Briefe  heisst  in  den  Handschriften 
i'i'koaxQ. '  Jx^rjvcdog,  dieser  selbst  aber  bezeich- 
net im  70.  Brief  Lemnos  als  seine  Heimat. 

e)  Philostr.  vit.  soph    p.  122,  20. 

"')  Diese  letzte  Angabe  ist  schon  inso- 
fern ungenau,  als  die  Schildbeschreibung 
nicht  ein  eigenes  Buch  ist,  sondern  das  10. 
Kapitel  der  Elx6v8g  bildet. 

^)  Nach  einem  Scholion  in  Kayser's 
Ausg.  der  B'ioi  aocp.  p.  XXVIII  und  nach 
Menander  in  Rhet.  gr.  HI,  390,  2  Sp. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa.  g)Die  Sophistik.  (§  473—475.)     603 

Ein  vierter,  von  Suidas  gar  nicht  erwähnter  Philostratos,  der  den 
dritten  zum  Grossvater  mütterlicherseits  hatte  und  demnach  erst  im  4.  Jahr- 
hundert gelebt  haben  kann,  hat  die  zweiten  Elxoveg  nach  dem  Muster  der 
ersten  verfasst. 

474.  Das  Leben  des  Apollonios  von  Tyana  {rd  fg  tdv  Tvavia 
^AnoXlwviov)  in  8  B.  ist  von  Philostratos  auf  Wunsch  der  schöngeistigen 
Kaiserin  Julia  Domna  (gest.  217)  verfasst.  Das  Leben  des  Helden  unseres 
Romans  lag  damals  bereits  um  100  Jahre  zurück,  so  dass  desto  leichter 
der  merkwürdige  Mann  in  dem  Glorienschein  eines  Heiligen  und  Wunder- 
thäters  glänzen  konnte.  Benützt  hat  Philostratos  die  älteren  Darstellungen 
des  Lebens  und  der  Wunderthaten  des  Apollonios, ')  hauptsächlich  aber 
Hess  er  sich  von  seinem  eigenen  Hang  zum  Wunderbaren  leiten,  ohne  da- 
mit eine  besondere  Nebenabsicht  zu  verbinden.  Nicht  unwahrscheinlich 
jedoch  ist  es,  dass  seine  Auftraggeberin,  die  Kaiserin  Julia,  zugleich  mit 
dem  Leben  jenes  Wunderthäters  ein  Gegenstück  zu  den  biblischen  Erzäh- 
lungen vom  Leben  Christi  geliefert  zu  sehen  wünschte.-)  Jedenfalls  haben 
die  Späteren  dasselbe  gegen  die  Lehren  und  den  Glauben  der  Christen  aus- 
gespielt. Wir  wissen  das  bestimmt  von  Hierokles,  der  von  Diokletian  in 
Bithynien  zum  Richter  über  die  Christen  gesetzt,  eine  gegen  das  Christen- 
tum gerichtete  Schrift,  loyog  cfilaXi^Otjg,  herausgab,  gegen  die  wieder 
Eusebios,  der  Kirchenvater,  in  einer  uns  noch  erhaltenen,  hinter  Philo- 
stratos abgedruckten  Schrift  polemisierte.-^) 

In  ähnlichem  Geiste  wie  das  Leben  des  Apollonios  ist  der  Heroikos 
geschrieben.^)  Derselbe  enthält  das  Gespräch  eines  nicht  ungebildeten, 
aber  im  Aberglauben  befangenen  Winzers  des  thrakischen  Chersones,  der 
von  dem  dort  verehrten  Heros  Protesilaos  des  wiederholten  Besuches  und 
vertrauten  Umgangs  gewürdigt  wurde,  mit  einem  phönikischen  Seefahrer, 
der  an  der  Küste  angelegt  hatte,  um  günstigen  Fahrwind  abzuwarten.  Der 
Winzer  erzählt  auf  die  Fragen  des  Schiffmanns  im  wesentlichen  Anschluss 
an  Homer  und  die  Kykliker,  was  er  aus  dem  Munde  des  Protesilaos  über 
die  troischen  Helden,  über  Protesilaos  selbst,  dann  über  Palamedes,  Odys- 
seus,  Hektor,  Achill  u.  a.  erfahren  haben  wollte.  Der  Autor  wollte  damit 
eine  von  poetischen  Phantasien  losgelöste,  in  dem  dann  zurückbleibenden 
Kern  aber  als  wahr  festzuhaltende  Schilderung  der  Heroen  geben  und  auf 
solche  Weise  den  frommen  Heroenkultus  der  Altvordern  zu  neuem  An- 
sehen bringen. 

475.  Die  Bioi  aoifiarwv  in  2  B.^)  sind  dem  Konsul  Antonius  Gor- 


')  Vgl.  oben  §  457. 

'^)  Dieses  wird  angenommen  von  dem 
berühmten  Tübinger  Tlieologen  Baur,  Apol- 
lonios und  Christus,  in  der  Tüb.  Zeitschr.  f. 
'i'hcol.  1832,  jetzt  in  drei  Abhandl.  S.  1--.227, 
vgl.  Jacobs  in  der  Einleitung  seiner  Über- 
setzung, Stuttg.  1829;  Ed.  Müller,  War  Apol- 
lv)nius  von  Tyana  ein  Weiser  oder  ein  Be- 
trüger oder  ein  Schwärmer  und  Fanatiker? 
Breslau  18G1;  Iw.  Müller,  Commcntatio 
qua  de  Phüostrati  in  comj)onenda  memoria 
ApoUonii    Tynnensis   fide  quaeritvr,   OnoJdi 


^)  Gegen  Hierokles  wendete  sich  auch 
Lactantius  Inst.  div.  V,  3. 

^)  Jacobs  in  der  Einleitung  seiner  Über- 
setzung weist  den  Dialog  der  Jugendzeit  des 
mittleren  Philostratos  zn,  Bekgk  a.  0.  legt 
ihn  nach  dem  Zeugnis  des  Suidas  dem  dritten 
Philostratos  bei.  Eine  annähernde  Zeitbestim- 
mung ist  darin  gegeben,  dass  p.  1U4K.  auf 
den  unter  Hadrian  entstandenen  \/;'(o»'7/(t<o(Ioi; 
x(d  OfuTJQov  hingewiesen  und  p.  147  der  Athlet 
Ilelix,  der  sich  im  J.  219  beiden  Spielen  des 
Heliogabal  auszeichnete,  erwähnt  ist. 


1858  et  Landavii  1859— 00.  |  •)  Suidas  spricht  von  4  B, 


004  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

dianus  gewidmet  und  in  der  nächsten  Zeit  nach  229  abgefasst.  i)  Das 
Ganze  zerfällt  in  3  ungleiche  Teile.  Der  erste  handelt  von  den  philoso- 
phisch gebildeten  Männern,  die  wegen  der  auf  die  Schönheit  der  Sprache 
verwandten  Sorgfalt  unter  die  Rhetoren  aufgenommen  zu  werden  verdienten, 
wie  Eudoxos,  Leon,  Karneades,  Dion;  der  zweite  umfasst  die  Sophisten 
der  älteren  Zeit,  von  Gorgias  und  Protagoras  an  bis  auf  Isokrates  und 
Aischines;  der  dritte  hauptsächlichste  Teil  enthält  die  Biographien  der  be- 
rühmten Sophisten  der  Gegenwart.  Eröffnet  wird  diese  neue  Periode  der 
Sophistik  mit  Niketes  aus  Smyrna,  der  in  der  Zeit  des  Nerva  blühte,  und 
herabgeführt  bis  auf  Aspasios  unter  Alexander  Severus;  nicht  mehr  erwähnt 
sind  Apsines  der  Phönikier  und  Philostratos  der  Lemnier,  weil  mit  diesen  der 
Verfasser  durch  zu  enge  persönliche  Freundschaft  verbunden  zu  sein  erklärt. 
Die  Biographien  sind  in  leichtem  Feuilletonstil  geschrieben,  enthalten  viele 
interessante  Notizen  und  Anekdoten,  gehen  auch  auf  die  Charakteristik  des 
Stiles  der  einzelnen  Sophisten  ein,  lassen  aber  eine  nähere  Bezeichnung 
der  Werke  der  Redner  vermissen  und  noch  mehr  ein  gesundes  Urteil  über 
den  eigentlichen  Wert  und  die  innere  Bedeutung  der  hochgepriesenen  So- 
phisten. 

476.  Der  rv^ivaaTixog  oder  die  Abhandlung  von  der  Gymnastik 
wird  von  Suidas  unter  die  Werke  des  älteren  Philostratos  gestellt.  Da 
aber  in  demselben  der  Athlet  Helix  erwähnt  ist  (p.  287,  26  K.),  der  nach 
Cassius  Dio  79,  10  bei  den  von  Heliogabal  219  gegebenen  Spielen  sich  aus- 
zeichnete, 2)  so  hat  Kayser  mit  Recht  ihn  dem  mittleren  Philostratos  zu- 
gewiesen. Geleitet  wird  der  Verfasser  von  dem  Streben,  in  dem  verzärtelten, 
durch  Luxus  und  Prasserei  herabgekommenen  Geschlecht  wieder  die  Lust 
zu  den  gymnischen  Spielen  zu  wecken  und  zur  rechten  Übung  der  Gym- 
nastik anzuleiten.  Wird  dadurch  schon  bei  allen  Freunden  der  Turnerei 
lebhaftes  Interesse  für  die  Schrift  erweckt,  so  wird  dasselbe  noch  gesteigert 
durch  die  vielen  wichtigen  Nachrichten,  die  uns  der  Verfasser  von  der 
Geschichte  der  olympischen  Spiele  und  den  verschiedenen  Arten  der  Gym- 
nastik gibt.  Dabei  sieht  man,  was  die  Pflege  dieser  Übungen  und  der 
Anblick  der  nackten  Jünglinge  für  die  Schärfung  des  Auges  hellenischer 
Künstler  und  Kunstfreunde  vermochte;  lebte  sonst  unser  Sophist  in  dem 
Schatten  der  Schule  und  der  trüben  Atmosphäre  mystischen  Wahnglaubens, 
so  weiss  er  hier  mit  staunenswerter  Exaktheit  die  körperlichen  Eigen- 
schaften zu  schildern,  welche  für  den  Läufer,  Ringer,  Boxer,  Pankratiasten 
erforderlich  waren  und  durch  jene  Übungen  gefördert  wurden.  Das  Büch- 
lein, von  dem  man  ehedem  nur  Fragmente  und  Auszüge  hatte,  ist  erst  in 
neuester  Zeit  durch  eine  von  dem  Griechen  Minas  entdeckte  Handschrift 
vollständig  bekannt  geworden. 

Briefe  des  mittleren  Philostratos  erwähnt  Suidas,  und  von  ihnen  sind 
78,  meist  ganz  kleine,  auf  uns  gekommen.  Der  letzte  an  die  Kaiserin  Julia 
ist  litterarischen  Inhaltes  und  enthält  sehr  interessante  Bemerkungen  über 
den  Einfluss  des  Sophisten  Gorgias;  die  übrigen  hallen  von  Liebesgetändel 

^)  Dieses  folgt  daraus,  dass  Goidian  in    |  2)  Cassius  Dio  79,  10  nennt  ihn  freilich 

dem  Widmungsbrief  als  Prokonsul  angeredet    j    Ji'QTJhog  JY'M^,  aber  an  der   Identität   "vvird 
wird;  s.  Rudolph,  Leipz.  Stud.  VII,  5.  |   nicht  zu  zweifeln  sein. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa.  g)Die  Sophistik.  (§476    477.)     605 

wieder    und    wollen    nicht    recht  zu  dem  strengen  Urteil  des  Gymnastikos 
über  die  entnervende  Wirkung  der  Liebe  passen.^) 

477.  Die  Eixdvsg  (Imagines)  des  dritten  Philostratos  repräsentieren  eine 
besondere  Litteraturgattung  der  Sophistik.  Dieselbe  betrachtete  nämlich 
als  formales  Bildungsmittel  die  Übung  in  der  Beschreibung  und  nahm  da- 
her die  sx(fQaaig  mit  unter  die  Progymnasmata  auf.  Insbesondere  aber 
gefielen  sich  die  Sophisten  darin,  Nachahmungen  der  Natur,  das  ist  Ge- 
mälde und  Werke  der  Plastik,  zu  beschreiben  und  so  in  einer  Zeit  des  er- 
neuten Kunstaufschwungs  dem  Gefallen  an  Schöpfungen  des  Meisseis  und 
Pinsels  als  redegewandte  Führer  zu  dienen.  Zuerst,  soweit  wir  nach- 
weisen können,  schrieb  der  Rhetor  Nikostratos  aus  Makedonien,  der 
nach  Suidas  unter  M.  Aurel  lebte,  solche  Gemäldebeschreibungen.  Aber 
auch  Lukian,  Polemon,  Apuleius,  Heliodor,  Himerios,^)  verstanden  sich  auf 
diese  elegante  Kunst.  Erhalten  nun  ist  uns  von  Philostratos,  dem  dritten, 
die  schon  im  Altertum  wegen  der  Reinheit  und  Anmut  der  Sprache  hoch- 
gepriesene ^)  Beschreibung  einer  Gallerie  von  34  Bildern  in  Neapel.  Bei 
der  geringen  Zahl  von  erhaltenen  Werken  der  Malerei  gewinnt  dieser  ge- 
schmackvolle Führer  einer  untergegangenen  Pinakothek  doppeltes  Inter- 
esse, das  noch  durch  die  kritische  Frage  erhöht  wird,  inwieweit  Philostratos 
als  treuer  Erklärer  wirklicher  Gemälde  oder  als  genialer  Erfinder  künst- 
lerischer Situationen  anzusehen  ist.  Gegen  Friederichs,  der  dem  Buche 
jeden  kunstgeschichtlichen  Wert  absprechen  wollte,  hat  Brunn  die  Überein- 
stimmung der  Schilderung  mit  erhaltenen  Vasen  und  Sarkophagen  kenntnis- 
voU  nachgewiesen.*) 

Eine  zweite  Serie  von  Elxorsg  schrieb  der  jüngere  Philostratos,  der  sich 
selbst  in  der  Einleitung  als  Enkel  des  Verfassers  der  ersten  Gemälde  oder  des 
dritten  Philostratos  bezeichnet.  Lange  nicht  mit  dem  Geschick  seines  Gross- 
vaters und  ohne  den  gleichen  Eindruck  wahrheitsgetreuer  Schilderung  zu  hinter- 
lassen, beschreibt  derselbe  einem  fingierten  Schüler  alte  Kunstwerke,  auf  die 
er  zufällig  gestossen  sein  will.'')  Der  Schluss  des  Buches  ist  verloren  gegangen, 
so  dass  dasselbe  mitten  in  der  Beschreibung  des  17.  Gemäldes  abbricht.  Das 
10.  Bild,  IIvQQog  rj  Mvaoi  überschrieben,  scheint  von  seiner  Hauptdarstellung 
auch  den  Titel  uagäc/gccaig  rijg  '^Ofju'jQov  daniöog  gehabt  zu  haben,  unter  dem 
es  als  ein  eigenes  Werk  neben  den  Ehövtg  von  Suidas  angeführt  wird. 


^)  Geradezu  der  sinnliche  Kitzel  ist  als 
Zweck  der  Liebespoesie  hingestellt  im  68. 
Brief:  oi  iQojiixol  ro)y  noirjruiv  äyux^ij  äxQo- 
uaig  xtd  i^cjQoig  "  7]  yuQ  ivvovoia  icoy  roi- 
loi^de  7J    oi:x  STJi^tjasi  ae    inpQo^iaiuyv  rj  ay«- 

'-)  Polemon  bei  Athen.  XI,  p.  484  c;  Lu- 
kian de  domo;  Apuleius  Florid.  c.  15;  He- 
liodor V,  14;  Achill.  Tat.  V,  2.  4;  Himer. 
or.  XXV;  Aelian  fr.  99. 

•')  Philostr.  iun.  p.  390,  9  K.:  eanorffa- 
iitai    tiq     yQ((q)ixTJg    t()yu)y    ey.CfQuaig    XMfxio 

ÖitlOyx'^flÜ)     TS     y.cd     IU}]TQ07T('(T0QI    XUiV    ((TTlXOjg 

T/;c  yh6rir]g  e/ovaa  <J^i;V  iÖqu  t£  7iQ0i]yuti'tj 
x(ci  röi'O).  Moschopulos  schrieb  eine  'Kxloyt] 
Tixiy   ovo^üioiv    uTTtxcöi'    ix/8)'£?a«    (C7i6    lijg 


re/yoXoylag  rioy  sixoviov  rov  ^iXootqutov. 

'^)  K  Friederichs,  Die  Philostiatischen 
Bilder,  ein  Beitrag  zur  Charakteristik  der 
alten  Kunst,  Erlangen  1800,  und  schon  vor 
ihm  Passow,  Verm.  Schrift.  S.  223  ff. ;  H. 
Brunn,  Die  Philostr.  Gemälde  gegen  Frie- 
derichs verteidigt,  in  Jahrb.  f.  Ph.  Suppl.  IV 
177  303  u.  Jahrb.  f.  Phil.  1871  S.  1  -  33.  81  - 
105.  Einen  vermittelnden  Standpunkt  vertritt 
Matz,  De Philostrdtornni  hi  (Icscrihoidis  imn- 
gmibus  fide,  Bonnae  18(17.  Der  Plan  ^^■oimari- 
scher  Kunstfreunde  eine  Folge  philostratischer 
Gemälde  in  Kupferstichen  herauszugeben,  gab 
Goethe  Anlass  zu  einem  Aufsatz  über  Phi- 
lostrats (;emälde,  Ges.  W.  Bd.  39. 

••)  Philostr.  p.  391,  G. 


G06 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur, 


Den  Eixövsg  der  Philostrate  pflegen  in  den  Ausgaben  wegen  des  ver- 
wandten Inhaltes  die  'ExcfQäaeig  des  Kallistratos  angehängt  zu  sein. 
Dieselben  geben  ohne  Einleitung  in  affektierter  Sprache  die  Beschreibung 
von  10  Werken  in  Stein  oder  Erz,  wobei  meistens  auch  der  Schöpfer  des 
Werkes  angegeben  ist.^)  Der  Exeget  bleibt  nicht  bei  Griechenland  stehen; 
er  beschreibt  auch  die  Statue  des  Memnon  in  Äthiopien  und  eine  Gruppe 
von  Nymphen  am  Indus. 

Ausgaben:  Phüostratorum  quae  super  sunt  rec.  et  notis  illustr.  Olearius,  Lips.  1709; 
ed.  Kayser,  mit  krit.  Apparat  in  Bibl.  Teubn.,  nach  der  gewöhnhch  citiert  wird;  ed. 
Westermann,  Par.  1849;  mit  kritischen  Vorarbeiten  zu  einer  neuen  Ausgabe  ist  Stürm  in 
Freiburg  beschäftigt.  —  Spezialausg.  der  Vitae  soph.  mit  inhaltreichem  Kommentar  von 
Kayser,  Heidelb.   1838.  —  Imagines  rec.  Jacobs  mit  Observationen  Welcker's  Leipz.  1825. 

478.  Die  übrigen  von  Philostratos  hervorgehobenen  Sophisten  unseres 
Zeitraums  waren:  Isaios,^)  Skopelianos,^)  Dionysios  von  Milet,  Lol- 
lianos,  Theodotos  von  Athen,  Aristokles,  Antiochos  von  Aigai, 
Alexander  Peloplaton/)  Adrianos  von  Tyrus,'*)  Antiochos  von  Kilikien, 
Hippodromos  aus  Thessalien,  Nikostratos  aus  Makedonien,  Pausanias 
aus  Kappadokien,  Ptolemaios  von  Naukratis,  Herodes  Attikos  und 
Antonius  Polemon.  Von  ihnen  war  der  gefeierteste  Herodes  Attikos, ß) 
der  von  den  Kaisern  zu  den  höchsten  Ehren  erhoben  wurde  und  seine 
Reichtümer  in  wahrhaft  fürstlicher  Munificenz  zum  Schmucke  Athens  ver- 
wendete. Im  Jahre  143  erhielt  er  das  Konsulat;  sein  verschwenderisch  ein- 
gerichteter Landsitz  in  Kephissia  war,  wie  ehedem  das  Haus  des  Kallias, 
der  Sammelplatz  der  Sophisten  und  Litteraten.  Neben  ihm  erfreute  sich 
Antonius  Polemon,  geboren  um  85  n.  Chr.,  als  Haupt  der  älteren  Rhc- 
torenschule  von  Smyrna  und  gewandter  Stegreifredner  ganz  besonderen 
Ansehens  und  Beifalls.  Bei  der  Einweihung  des  von  Hadrian  ausgebauten 
Olympieion  in  Athen  hatte  er  die  Ehre,  die  Festrede  zu  halten.  Auf  uns 
gekommen  sind  die  Deklamationen  des  Polemon  auf  die  Marathonskämpfer 
Kynegeiros  und  Kallimachos,')  und  des  Herodes  Attikos  Rede  ttsqI  noXi- 
Tsiag  oder  über  das  Bündnis  der  Böoter  mit  den  Peloponnesiern  gegen  den 
König  Archelaos  von  Makedonien  im  Jahre  405.^)  Dieselben  sind  blutarme 
Geburten  der  Sophistik,  zusammengestoppelt  aus  Reminiscenzen  des  De- 
mosthenes,  ohne  Mark  und  Bein. 


')  Die  Beschreibung  von  Kunstwerken 
fand  auch  noch  bei  Späteren  Anklang  und 
Nachahmung.  So  hat  Kayser  in  Philostr. 
de  gymn.  Turici  1840  ey.cpQÜGEig  christHcher 
Bilder  publiziert  von  einem  gewissen  Markos 
Eugenikos  aus  der  Zeit  des  Konzils  von 
Florenz. 

2)  Die  Nachrichten  über  die  einzelnen 
Sophisten  hat  Kayser  in  dem  Kommentar 
der  Bioi  ao(fiaTwv  zusammengestellt.  Über 
Isaios  s.  ausser  Philostratos  den  Brief  des 
jüngeren  Plinius  II,  3. 

^)  Den  Freunden  des  Weins  empfahl 
sich  seine  Rede  vti^q  dfXTiiXwi^  die  gegen 
Domitians  Verordnung  gerichtet  war. 

■*)  Den  Grund  des  Spottnamens  gibt 
Philostr.  vit.  soph.  II,  5.  3.  Über  Aristokles, 
der  aus  einem  Philosophen  ein  Rhetor  wurde, 


spricht  Synesios,  Dion  p.  12  R. 

^)  Nikostratos  ward  in  den  Kanon  auf- 
genommen, worüber  §  469. 

^)  FüLLES,  De  Ti.  Cl.  Attiei  Heroäis 
vita,  Bonn  1864;  Schmid,  Atticismus  I,  192  ff. 

^)  Polemo  ed.  Hinck,  Lips.  1873;  über 
seinen  Stil  Schmid  a.  0.  p.  47  ff.  Ausserdem 
halte  Polemon  eine  bei  Zeitgenossen  und 
Nachkommen  vielbeachtete  Physiognomik  ge- 
schrieben, welche  uns  in  einem  Polemons 
Namen  tragenden  Auszug  überliefert  ist;  s. 
R.  Förster,  De  Polemonis  iihysiognomicis, 
Kieler  Ind.  lect.  1886,  und  Val.  Rose,  Anecd. 
gr.  I,  25  u.  59  ff. 

^)  Die  kurze  Rede  abgedruckt  im  5.  Band 
von  Bekker's  Orat.  att.,  neubearbeitet  von 
Hass,  De  Htrodis  Attiei  oratione  tisqI  tjo- 
hxeiag,  Kiel  1880. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  g)  Die  Sophistik.  (§  478—479.)     607 


Eine  Vorstellung,  wie  die  Lehren  der  Redekünstler  in  die  Praxis  des 
politischen  Lebens  übergingen,  gewähren  die  zahlreichen  Ehrendekrete,  Erlasse 
und  Briefe,  welche  uns  inschriftlich  aus  der  Kaiserzeit  erhalten  sind.  Von 
einem  gewissen  Opramoas,  einem  freigebigen  und  hochgestellten  Lykier  aus 
der  Zeit  Hadrians,  sind  allein  an  60  Urkunden  jenes  Schlages  auf  uns  gekommen, 
welche  der  eitle  Mann  an  den  Wänden  seines  Grabdenkmals  in  Rhodiapolis 
hatte  einmeisseln  lassen  und  welche  unlängst  Petersen  und  Luhthan,  Reisen 
in  Kleinasien,  Wien  1888,  II,  76  ff.  veröffentlicht  haben. 

479.  Claudius  Aelianus^)  war  in  Präneste  bei  Rom  geboren,  wes- 
halb er  sich  wiederholt^)  als  Römer  bezeichnet.  In  die  griechische  Litteratur 
ward  er  durch  den  Sophisten  Pausanias  eingeführt  und  eignete  sich  unter 
dessen  Leitung  so  sehr  die  Herrschaft  über  das  fremde  Idiom  an,  dass 
man  ihm  das  allerdings  übertriebene  Kompliment  machte,  er  spreche  attisch 
wie  einer  der  mitten  in  Attika  geboren  sei.^)  Aber  weder  strebte  er  nach 
politischen  Ehren,  noch  widmete  er  sich  der  sophistischen  Deklamation, 
sondern  suchte  seinen  Ruhm  lediglich  in  der  fleissigen  Schriftstellerei  über 
kleine,  aber  seiner  wissenschaftlichen  Neigung  entsprechende  Dinge.  Er 
erreichte  ein  Alter  von  über  60  Jahren,  rühmte  sich  aber  trotzdem,  nie 
über  die  Grenzen  Italiens  hinausgekommen  zu  sein  oder  nur  ein  Schiff  be- 
stiegen zu  haben. ^)  Das  kann  indes  nicht  ganz  richtig  sein,  da  er  in  der 
Tiergeschichte  XI,  40  ausdrücklich  erwähnt,  dass  er  in  Alexandria  im  Zeus- 
park ein  Rind  mit  5  Füssen  gesehen  habe.^'>)  Seine  Zeit  bestimmt  sich  da- 
durch, dass  er  ein  Zeitgenosse  des  Lemniers  Philostratos  war  und  noch 
vor  dem  Tod  des  Verfassers  der  Sophistenbiographien  starb.  Ein  noch 
bestimmteres  Anzeichen  liegt  in  der  Anekdote,^)  dass  als  er  eine  An- 
klageschrift gegen  Gynnis,  worunter  offenbar  der  weibische  Heliogabal  zu 
verstehen  ist,  dem  Philostratos  vorlas,  dieser  ihm  beissend  sagte:  iOav- 
l^ia^or  av  d  ^oh'iog  xairjYOQtjCTccg.  Danach  muss  er  also  jedenfalls  jenen 
Kaiser  (gest.  222)  überlebt  haben.  In  seiner  Geistesrichtung  war  Aelian 
ein  echtes  Kind  seiner  Zeit.  Auf  den  Stil  und  die  sophistische  Redekunst 
legte  er  allen  W^ert;')  es  fehlte  ihm  auch  nicht  an  Belesenheit  und  sau- 
berem Fleiss,  aber  er  holte  sein  Wissen  aus  Büchern,  nicht  aus  selbstän- 
diger Beobachtung  und  entbehrte  nicht  bloss  der  Fähigkeit  eines  streng 
systematischen  Denkens,  sondern  war  auch  ganz  in  dem  kritiklosen  Myste- 
rien- und  Wunderglauben  seines  Jahrhunderts  befangen.'')  Dabei  kannte 
er  aber  recht  wohl  den  Leserkreis,  auf  den  er  spekulierte:  Leuten,  welche 
gerne  von  Wundern  hörten  und  die  strenge  Zucht  systematischen  Denkens 


')  Ein  Artikel  des  Suidas  und  Philostr. 
Vit.  sopli.  II,  'M. 

2)  Var.  bist.  II,  38;    XII,   25;   XIV,  45. 

■^)  Philostr.  vit  soph.  II,  31:  iJTTixtCft^ 
diansQ  ol  ev  Trj  ^eaoyida  ' AürjruToi.  Aber 
in  seinen  Schriften  begegnen  doch  viele 
Fehler  gegen  die  Reinheit  der  griechischen 
Sprache,  wie  uianeQ  ovv,  y.al  ovv  xal,  uXku 
im  Nachsatz:  s.  Index  (fvaecitaiis  in  Jacobs 
Ausg.  der  Tiergeschichte. 

*)  Philostr.  Vit.  soph.  II,  ^1. 

•')  Früher   wollten    deshalb    bedeutende 


Gelehrte,  wie  Valckenaer,  dem  Sophisten 
Aelian  die  Tiergeschichte  absprechen. 

'')  Philostr.  a.  0. 

^)  Tm  Epilog  der  Naturgeschichte  sagt 
er:  örKog  df  ccihu  sinoi'  xcu  (t?V  oao)  növM, 
ro  t'  £vysi'6g  T)jg  Xt^eiog  6no?oy  y.cd  Ti]<;  avv- 
x^ijx^jg  riöy   j"    öi'nuünoi^    x«i    nov  Övouhtmv 

xQtTidc;,  elüoi'Tui  exeTi'ot. 

**)  Daszeigt  sich  besonders  in  den  Hosten 
seines  Buches  über  die  Vorsehung. 


G08 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


scheuten,  bot  er  mit  seinen  bunten  Geschichten  eine  anziehende  und 
unterhaltende  Lektüre.^)  Auch  im  Mittelalter  waren  seine  Bücher  viel 
gelesen;  Konstantinos  Porph3TOgennetos  veranstaltete  aus  ihm  natur- 
geschichtliche Exzerpte,  Suidas  citiert  kaum  einen  anderen  Schriftsteller 
öfter  als  ihn,  Philes  hat  ihn  im  14.  Jahrhundert  in  Verse  gebracht. 

Das  Hauptwerk  des  Aelian  hat  den  Titel  ttsqI  ^ojwv  ISiorrjToq 
(de  natura  animaJium),  Eingeleitet  durch  ein  Proömium  und  geschlossen 
durch  einen  Epilog,  enthält  dasselbe  in  17  B.  bunte  Erzählungen  aus  dem 
Tierleben.  In  ihnen  berücksichtigt  der  Verfasser  hauptsächlich  die  Seelen- 
eigenschaften der  Tiere,  die  Gelehrigkeit  der  Elephanten,  die  Treue  der 
Hunde,  die  Geschicklichkeit  der  Bienen,  die  Geilheit  der  Lippfische,  und 
liebt  es  dabei  den  Menschen  so  nebenher  aus  der  Tierwelt  einen  moralischen 
Spiegel  vorzuhalten.  Geschrieben  ist  das  Buch,  wie  aus  Var.  Hist.  10,  1 
hervorgeht,  nach  Dions  Geschichte  Caracallas;  ^)  einen  unmittelbaren  Vor- 
gänger hatte  Aelian  an  Demostratos,  einer  Autorität  in  Fragen  der 
Fischerei,  deren  er  15,  19  mit  besonderer  Hochachtung  gedenkt. 

Weniger  sorgfältig  ausgearbeitet  und  schlechter  erhalten  ist  das  Werk 
üoixiXr^  laroQia  (varia  hisforia)  in  14  B.,  wovon  die  ersten  15  Kapitel 
naturgeschichtliche  Gegenstände  behandeln,  alles  übrige  der  Geschichte  der 
Menschen  angehört.  Wir  besitzen  dasselbe  nur  in  einem  Auszug,^)  wie 
schon  das  oti  im  Anfang  vieler  Artikel  zeigt. ^)  Daraus  erklärt  sich  der 
Mangel  einer  Einleitung  und  die  grosse  Verschiedenheit  in  der  Grösse  der 
einzelnen  Bücher  und  Erzählungen.^)  Das  Material  hat  auch  hierzu  Aelian 
aus  den  Wundergeschichten  und  einer  kritiklosen  Lektüre  des  Ktesias, 
Theophrast,  Theopomp,  Timaios  zusammengebracht.^) 

Von  ähnlichem  Gehalt  waren  auch  die  unter  sich  zusammenhängenden 
Schriften  7T8qI  ngoroiag  und  n8Qi  Ü^eiMv  svaQyeiMv,  von  denen  uns  zahl- 
reiche Fragmente  durch  Suidas  erhalten  sind.  Dieselben  basierten  auf  dem 
Buch  des  Stoikers  Chrysippos  über  die  Vorsehung')  und  waren  gegen  die 
Gottesleugner,  insbesondere  gegen  die  Epikureer  gerichtet.  Im  Gegensatz 
zu  Lukians  Zsvg  TQay(i)d6g  suchten  sie  das  Eingreifen  der  Gottheit  in  Be- 
strafung der  Missethäter  und  Belohnung  der  Gerechten  an  Beispielen  der 
Geschichte  nachzuweisen.  —  Unter  Aelians  Namen  sind  auch  20  Bauern- 
briefe {dyQoixixal  enia%oXai)  auf  uns  gekommen;    dieselben   sind  erotischen 


^)  Epilog  der  Naturgeschichte:  xio  noi- 
xtXoi  rijg  äyccyi^cuasiog  ro  F.cpoXxdv  dt]Qiov  xal 
Trjv  ex  Twy  o/uoiiou  ß^s'Avyfxiav  dnodidQuaxcoy 
olovEi  Isi^iovd  Jiya  rj  atifpavov  wQcaov  ix 
rrjg  noXv/Qolug  w?  dvS^eocfoQMy  ziov  ^ioojv 
rojy  ho'kImv  io7Jd7]y  cTffV  zrji^ö^e  vcpiivul  re  xcd 
d\cmM^ca  T)]u  avyyQacptjy. 

2)  Rudolph,  Leipz.  Stud.  VII,  8  ff. 

^)  Hekchek,  De  Aeliani  varia  liistoria 
Rudolstadt  1857,  und  in  der  Praefatio  der 
Pariser  Ausg.,  wo  nachgewiesen  ist,  dass 
uns  viele  Kapitel  bei  Stobaios  und  Suidas 
vollständiger  erhalten  sind.  Ungewiss  ist, 
worauf  das  Citat  bei  Stephanos  Byz.  u.  XeQ- 
QÖvrjGog  '  Jlliavdg  iy  ß'  laroQixijg  ö'LaXs^siog 
geht. 

^}  Auf  Aelian  selbst  will  dieses  ort  zu- 


rückführen Rudolph  a.  0.  p.  100  f. 

^)  Die  Bücher  X  u.  XI  füllen  nur  we- 
nige Seiten;  die  breitausgeführte  Erzählung 
von  der  schönen  Aspasia  XII,  1  steht  in  kei- 
nem Verhältnis  zu  den  vielen  ganz  kurzen 
Anekdoten. 

ß)  Siehe  Index  autorum  der  Ausg.,  und 
Rudolph,  De  fontibus  quibus  Aelianus  in 
Varia  liistoria  componenda  usus  sit,  Leipz. 
Stud.  VII,  18  ff.  Viele  Quellenschriften,  die 
Aelian  anführt,  hat  er  nicht  im  Original  ge- 
lesen; nach  A.  H.  XVII,  37  scheint  er  nicht 
einmal  Aristophanes  Wolken  gelesen  zu  haben. 
Eine  Hauptquelle  war  ihm  Favorinus'  Ucw- 
zo&cmij  laTOQiu,  aus  der  er  die  Namen  der 
primären  Quellen  entnahm. 

"')  Chrysipp  ist  citiert  fr.  81. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,    g)  Die  Sophistik.  (§  480.      G09 


Inhaltes  und  der  idyllischen  Poesie  verwandt,  passen  aber  mit  ihrer  ele- 
ganten Form  und  ihrem  feinen  Witz  mehr  für  einen  attischen  Sophisten 
als  einen  römischen  Anekdotenschreiber.  ^)  —  Endlich  werden  unserm  Aelian 
die  Distichen  auf  Homer  und  Menander  zugeschrieben  (CIG.  6092  u.  G083 
=  Kaibel  epigr.  gr.  1084—5),  die  in  Rom  im  Hause  eines  Aelian  den 
Hermen  des  Homer  und  Menander  beigeschrieben  waren. 

Der  Text  des  Aelian  ist  durch  2  Handschriftenfamilien  auf  uns  gekommen;  Haupt- 
vertreter der  älteren  Familie  ist  ein  Vaticanus,  jetzt  in  Paris.  —  Ed.  princ.  von  Conr. 
Gessnek,  Zürich  1556;  kritische  Ausgabe  von  R.  Herchek,  Par.  1858  und  in  Bibl.  Teubn. 
1864.  —  Spezialausg.  der  Hist.  anim.  cum  priorum  et  suis  animadv.  ed.  J.  Gr.  Schneider, 
Lips.  1784;  ad  fidem  codicuvi  restit.  et  annot.  illustr.  Fr.  Jacobs.  —  Var  hist.  ed.  Peri- 
zoNius,  LB.  1701. 

480,  Paradoxographen.  An  Aelian  mögen  sich  die  übrigen  Anek- 
dotenschreiber, deren  Schriften  Westermann  zu  einem  Corpus  paradoxo- 
graphorum  vereinigt  hat,^)  anreihen.  Die  Litteratur  der  Wundergeschichten 
geht  auf  die  alexandrinische  Zeit  zurück,  aus  der  wir  bereits  die  Samm- 
lungen von  Kallimachos  und  Antigonos  kennen  gelernt  haben. •^)  In  unsere 
Periode  fallen:  Apollo nios,  dessen  ^laroQiai  ^aviiäaiai  uns  in  ver- 
stümmelter und  gekürzter  Form  vorliegen;^)  Phlegon  von  Tralles  aus 
der  Zeit  Hadrians,  dessen  historisches  Handbuch  bereits  oben  §  442  be- 
sprochen wurde;  Ps.  Sotion,  mit  dem  wahren  Namen Isigonos,  Verfasser 
eines  mageren  Verzeichnisses  tmv  anoQäörjV  tcsqI  noTa{.mv  xal  xQrjvoyr  xal 
Xi/iivcüv  naQaSo^oXoyovix&vmv;^)  Adamantios,  Sophist  des  3.  Jahrhunderts, 
von  dem  uns  eine  von  Val.  Rose  herausgegebene  Schrift  über  die  Winde 
erhalten  ist.^)  Einer  späteren  Zeit  gehört  das  Büchlein  des  Philon  Byzan- 
tius  tcsqI  twv  8m d  ^saficcTMv  an,  das  Rohden  nach  den  Anzeichen  des 
streng  vermiedenen  Hiatus  der  2.  Periode   der   sophistischen  Beredsamkeit, 

genauer  dem  Anfang  des  6.  Jahrhunderts  zuweist. 

Paradoxographi  graec.  ed.  Westermann,  Braunschweig  1839.  —  Val.  Rose,  Anec- 
dota  graeca,  Berl.  1864,  2  Bde.  —  Rohden,  De  mundi  miraculis,  Bonn  1875. 


^)  Suidas  erwähnt  uyQoixixal  inKnoXui 
von  den  Sophisten  Zonaios  und  Meleser- 
mos;  erhalten  sind  uns  solche  im  3.  B.  des 
Alkiphron.  Die  Echtheit  unserer  Sammlung 
sucht  zu  verteidigen  Hercher  in  der  Pariser 
Ausg.  praef.  X;  aber  der  Verfasser  bezeichnet 
sich  deutlich  in  dem  letzten  Brief  mit  ov 
yc(Q  io^sv  ovTE  Aißveg  ovrs  Avdol  «^Ä'  \4dr]- 
vctloi  }'E(x)QyoL  als  Athener. 

2)  Dazu  ergänzend  Keller,  Herum  natu- 
ralium  scriptores  graeci  minores,  Lips.  1867 
in  Bibl.  Teubn. 

^)  Westermann  in  der  Vorrede  seiner 
Ausgabe  gibt  ein  Verzeichnis  sämtlicher 
Paradoxographen.  Ausser  Kallimachos  und 
Antigones  schrieben  unter  Ptolemaios  Phi- 
ladelphos  Archelaos  und  Aristokles  in 
Versen  über  wunderbare  Dinge  (Aelian  A. 
H.  XI,  4;  Antigen,  c.  19).  Um  dieselbe 
Zeit  schrieben  Nymphodoros  tisqI  rioy  ey 
I^ixelia  S^ra\uaCofi8i'üJi/  und  in  ähnlichem  Ton 
Lykos  aus  Rhegium;  Fragmente  bei  Müller 
FHG.II,372--381.  Dem  Aristoteles  unter- 
geschoben ward  die  Schrift  nfQt  rhcvfjaatiDi' 
KxovauÜTioi'.  Auch  das  romanhafte  Buch 
Ilaudbuch  der  klass.  Altertumswisaeuscbaft.  VII. 


des  Hekataios  aus  Abdera  über  die  Hyper- 
boreer, und  des  Jambulos  über  eine  fabel- 
hafte Insel  des  indischen  Ozeans  gehörten  in 
das  gleiche  Gebiet. 

^)  Der  Anfang  des  Buches  scheint  ver- 
loren gegangen  zu  sein;  Phlegon  c.  11  u.  13 
citiert  Angaben  des  Apollonios,  welche  in 
unseren  51  Kapiteln  nicht  enthalten  sind. 
Auf  einen  Auszug  weist  der  ganz  verschie- 
dene Umfang  der  einzelnen  Kapitel. 

^)  TIsqI  iMv  TiaQu^o^Mv  notafAioi^  hatte 
schon  Philostephanos,  der  Schüler  des 
Kallimachos,  geschrieben;  s.  Ath.  331d.  So- 
tion als  Verfasser  von  Georgika  kommt 
öfters  in  den  Geoponika  vor,  worüber  Ge- 
MOLL,  Geoponika  p.  193 — 9. 

^)  Unsere  Schrift  ist  vor  Phlegon  ge- 
schrieben, wenn  Westermann  c.  35  4>utx)ioi' 
(f7jai  mit  Recht  in  ^PXiyiov  (pifai  verbessert 
hat.  Rose,  Anecd.  gr.  Berl.  1864  p.  10  be- 
weist, dass  die  Schrift  von  Isigonos  von 
Nicaea  herrührt,  der  im  1.  .lahrh.  v.  Clir. 
lebte  und  bereits  von  Varro  benützt  wurde. 
Die  Schrift  steht  neben  verwandten  im  cod. 
Laurent.  56,  1. 

Aufl.  39 


ßlQ  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

481.  Artemidoros,  der  Traumdeuter,  kann  auch  noch  zu  den  Wunder- 
schriftstellern im  weiteren  Sinne  gerechnet  werden.  Derselbe  ist  Verfasser 
der  uns  erhaltenen  'OveiQoxQinxä  in  5  Büchern  mit  einem  Anhang  von  Bei- 
spielen erfüllter  Träume  (ovsiqmv  anoßäaeiq).  Suidas  nennt  ausserdem  von 
ihm  Olcövoaxonixä  und  X^iQoaxoTiixcc.  Er  stammte  aus  Ephesos,  nannte 
sich  aber  Daldianos  von  der  Stadt  Daldis  in  Lydien,  wo  er  seinen  Wohn- 
sitz gehabt  zu  haben  scheint;  sein  Leben  fiel  in  die  Zeit  des  Hadrian. 
Das  uns  erhaltene,  elegant  geschriebene  Buch  gibt  mit  ernster  Miene  eine 
förmliche  Theorie  der  Traumdeuterei,  lässt  aber  doch  für  Verlegenheiten 
allerlei  Hinterpförtchen  offen,  indem  z.  B.,  wenn  einem  träumt,  dass  ihm 
Ameisen  in  das  Ohr  kriechen,  dieses  für  den  Sophisten  glückverkündend 
ist,  für  andere  Menschen  aber  nahen  Tod  bedeutet.  Wichtiger  als  durch 
den  Humbug  der  Traumdeuterei  ist  das  Buch  durch  die  Citate  und  ge- 
lehrten Notizen,  die  der  belesene  Schriftsteller  seiner  Darstellung  einflichi. 
In  ähnlichem  Fahrwasser  bewegen  sich  die  Orakel  des  Astram psychos, 
die  sich  vielfach  mit  den  lateinischen  Sortes  Sangallenses  (ed.  Winnefeld, 
Bonn  1887)  berühren. 

Artemidor  rec.  Hercher,  Lips.  1864  auf  Grundlage  des  cod.  Laur.  87  und  Marc. 
268.  —  Ästrampsychi  oraculorum  decades  CHI  ed.  Hercher,  Berl.  1863,  Programm  des 
Joachimsthaler  Gymn. 

482.  Athenaios  aus  Naukratis  in  Ägypten  ist  Verfasser  des  So- 
phistenmahles (dfiTTroaocfiaTai)  in  15  B.,  das  bis  auf  den  Schluss  und  die 
ersten  Bücher  (B.  1,  2  und  Anfang  von  3),  die  wir  nur  im  Auszug  haben, 
unversehrt  auf  uns  gekommen  ist.  Von  der  Person  des  Verfassers  be- 
merkt Suidas  bloss:  'A^r'jraiog  NavxQarfTijg  yQajUfiaiixog,  Y8yovcoQ  stcI  toov 
Xq6vo)v  Mäqxov.  Auch  aus  anderen  Quellen  erfahren  wir  nichts  näheres 
über  ihn;  wir  ersehen  aber  aus  seinem  Werke,  dass  er  ein  Mann  von 
grosser  Belesenheit  und  glücklichem  Gedächtnis  war,  der  ob  seines  mannig- 
faltigen Wissens  und  seines  mitteilsamen  Wesens  gern  in  der  Tischgesell- 
schaft der  vornehmen  Welt  Roms  gesehen  wurde.  Von  seinen  früheren 
Arbeiten  erwähnter  selbst  eine  Spezialuntersuchung  über  den  Seefisch  ^gärra 
(p.  329  d)  und  eine  Schrift  über  die  Könige  Syriens  (p.  21  la).^)  Der  reiche 
Inhalt  seines  Hauptwerkes  ist  in  die  Form  von  Tischgesprächen  bei  einem 
Gastmahl  des  Larensis  gekleidet,  und  zwar  so,  dass  Athenaios,  der  selbst 
unter  den  Tischgenossen  gewesen  war,  seinem  Freunde  Timokrates  erzählt, 
was  bei  jenem  Mahle  geschehen  oder  vielmehr  gesprochen  worden  sei. 
Wer  erkennt  hier  nicht  sofort,  auch  wenn  nicht  das  ^r'jlfo  nXarMvixn)  bei- 
gefügt wäre,  die  Einkleidung  des  platonischen  Gastmahls  wieder?  Aber 
während  dort  dramatisches  Leben  herrscht  und  die  Tischgespräche  von 
einem  Umfange  sind,  dass  sie  auch  wirklich  so  gehalten  sein  konnten,  ver- 
liert Athenaios  oft  ganze  Bücher  hindurch  die  Scenerie  aus  dem  Auge  und 
pfercht  eine  solche  Unmasse  von  Dingen  in  den  Rahmen  eines  Gastmahles, 
dass  wir  die  ganze  Einkleidung  als  eine  unglückliche,  völlig  missglückte 
Nachahmung    betrachten    müssen.     Der    Gastgeber    also    ist   Larensis,    ein 


^)  Eine   dritte   Schrift   deutet  er   an   p. 
155  a:  ort  tfe  x«l  ol  Ivdo^oi  xcd   ol  i]y8u6ysg 


ey  (cXkoig  £iQijx((fJ€y.  M 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  g)  Die  Sophistik.  (§481—482.)     ßH 

hochgestellter,  in  beiden  Sprachen  bewanderter  Römer,  i)  den  der  Kaiser 
M.  Aurel  -)  zum  Pontifex  gemacht  hatte,  so  dass  wir  unwillkürlich  bei  den 
vielen  Schüsseln  des  Mahles  an  die  berühmten  coenae  pontificimi  erinnert 
werden.  Geladen  waren  29  Gäste  aus  verschiedenen  Lebensstellungen,  doch 
alle  durch  ihre  Bildung  des  Ehrentitels  aocfiarai  würdig.  Da  waren  die 
Juristen,  die  Dichter,  die  Grammatiker,  die  Philosophen,  Rhetoren,  Arzte, 
Musiker  vertreten;  aber  die  meisten,  wie  z.  B.  auch  der  Arzt  Galen,  spielen 
die  Rolle  stummer  Personen,  in  den  Vordergrund  des  Gesprächs  treten 
hauptsächlich  der  Rechtslehrte  Masurius,  der  im  ganzen  5.  Buch  allein 
das  Wort  führt,  der  Kyniker  Kynulkos,  der  mit  seinen  Polterreden  auf  die 
Üppigkeit  und  die  Hetärenpoesie  die  lustige  Person  des  Gespräches  abgibt, 
und  der  Rhetor  Ulpian  aus  Tyrus,  der  den  Spitznamen  KeirovxsiTog  führt. 
Über  die  Zeit,  in  welcher  das  Gastmahl  gehalten  wurde,  scheint  die  Stelle 
p.  686c,  welche  Schweighäuser  auf  den  im  Jahre  226  erfolgten  Tod  des 
berühmten  Juristen  Ulpian  bezog,  ein  Anzeichen  zu  enthalten.  Aber  die 
Voraussetzung,  dass  der  Jurist  Ulpian  und  der  gleichnamige  Sprecher 
unseres  Buches  eine  Person  seien,  gründet  sich  nur  auf  die  Gemeinsamkeit 
des  Namens  und  der  Vaterstadt  Tyrus,  wird  aber  dadurch  hinfällig,  dass  der 
Jurist  gewaltsam  ermordet  wurde,  unser  Tischgenosse  aber  eines  ruhigen 
Todes  starb  (p.  686c).  Von  einer  so  weit  herabgehenden  Jahreszahl  also 
müssen  wir  absehen  und  uns  darauf  beschränken,  anzunehmen,  dass  das 
Gastmahl  in  die  nächste  Zeit  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Commodus  (192) 
fiel.  Denn  die  höhnende  Bemerkung  über  jenen  Kaiser  p.  537  f.  hätte 
Athenaios  nicht  zu  dessen  Lebzeiten  zu  machen  gewagt. 

Das  Sophistenmahl  ist  eines  der  inhaltreichsten  Bücher,  das  für  uns 
nach  den  grossen  Verlusten  der  Litteratur  der  neuen  Komödie  und  der 
alexandrinischen  Periode  von  unschätzbarem  Werte  ist.  Man  hat  es  ein 
Lexikon,  gekleidet  in  die  Form  von  Tischgesprächen,  genannt,  und  in  der 
That  verraten  einige  Abschnitte,  wie  die  von  den  Fischen  (B.  9),  von  den 
Trinkgefässen  (B.  11),  von  den  Kuchen  (B.  14),  von  den  Früchten,  Salben, 
Kränzen  schon  durch  die  alphabetische  Aufzählung  den  lexikalischen  Ur- 
sprung. Aber  auch  sonst  versteckt  sich  gewiss  oft  hinter  dem  prunkenden 
Schein  ausgedehntester  Belesenheit  nur  die  wohlfeile  Arbeit  des  Exzerpierens 
gelehrter  Artikel  der  Lexika  des  Didymos  und  Pamphilos.  Selbst  die  mit 
der  Maske  eines  gewiegten  Kritikers  zum  Überdruss  oft  zugefügte  Be- 
merkung d  yrrjaiov  to  ßißh'or  scheint  zum  grossen  Teil  nur  das  kritische 
Urteil  jener  Lexikographen  und  der  von  ihnen  ausgezogenen  Grammatiker, 
nicht  das  eigene  des  Verfassers  zu  enthalten.^)  Aber  immerhin  bietet  das 
Werk  eine  staunenswerte  Fülle  gelehrter  Bemerkungen   und   gehörte   sein 


^)  Mit  Laiensis  und  nicht  mit  Laurentius  |  in  den  Artikel  des  Suidas  gekommen.  Ein 
muss,  wie  mich  Dittenberger  belehrte,  das  P.  Livius  Larensis  pontif.  minor  kommt  vor 
griechische.//«()»;t'(rto?wieder  gegeben  werden.       auf   einer  Ära    des    vatikanischen  Museums 

CIL.  VI,  212G,  vgl.  Dessau,  Herrn.  25  (1S90) 
156  ff. 

•'')  So  kommt  es,  dass  das  Buch  7ie()l 
fisOi]g  p.  427  c  dem  Theophrast,  p.  401  a  dem 
Chamaileon    zugeschrieben    werden    koiiiilo. 


Als  seinen  Ahnen  bezeichnet  Larensis  p.  IGOc. 
den  berühmten  Polyhistor  Varro. 

'^)  Athen.    I  p.  2c:    Xt'yetö'    uvroy   xcd 

xmd    Tov     Tnh'j'    uqiütov     ^-iaaiXfcoc:    Muqxov. 
Daraus  ist  wohl  das  tVn  noy  /()6fioi^  M(((>y.oi> 


39  = 


612 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


Verfasser   zu  jener  Klasse   vielleseiider  und   gedächtnisstarker  Philologen, 
wie  sie  das  Altertum  zahlreicher  als  die  Neuzeit  hervorgebracht  hat. 

Athenaios  hat  mit  seinem  Sophistenmahl  nichts  neues  geschaffen,  er 
hatte  zahlreiche  Vorgänger,  die  er  fleissig  benützte.  Seit  Piaton  und  Xeno- 
phon  mit  ihren  Symposien  vorangegangen  waren,  waren  ähnliche  Werke 
in  Masse  gefolgt.  Nach  Piaton  schrieb  zunächst  Epikur  ein  Gastmahl, 
das  Athen.  V,  12  einer  sehr  abfälligen  Kritik  unterzieht,  0  sodann  Per- 
saios,  dessen  2v/.i7totixoI  SiäXoyoi  aus  den  Erinnerungen  des  Megarikers 
Stilpon  und  des  Stoikers  Zenon  zusammengesetzt  waren.  Gemischten  In- 
haltes waren  die  ^vfiifiixTa  avimoTixä  des  Aristoxenos,  die  sich  Plutarch 
in  seinen  ^v^rroaiaxd  jiQoßXrji^iaTa  zum  Vorbilde  nahm.  Dem  speziellen 
Gebiete  der  Grammatik  und  Philologie  gehörten  die  2vp.noaiaxd  avfxixixTa 
des  Didymos^)  und  das  ^vfinoaiov  des  Herodian  an.  Dazu  kamen  zahl- 
reiche Symposien  in  Versen,  wie  die  ^HSvTtdl}£ia''^)  des  Archestratos,  eines 
Zeitgenossen  des  jüngeren  Dionysios,  die  11  Bücher  Jsittvmv  des  Rhodiers 
Timachidas,*)  die  parodischen  Gastmahle  des  Matron,^)  Hegemon,^)  Nume- 
nios,')  Herakleides  aus  Tarent.^)  Reichen  Stoff  zu  den  Gesprächen  über 
den  materiellen  Teil  des  Mahles  boten  dem  Athenaios  ausserdem  die 
poetischen  und  prosaischen  Verfasser  von  ^Ahevnxä,^)  'OipaQTVTixä,^^) 
OtjQiaxd,  1 1)  sowie  die  Schriften  der  Philosophen  über  die  Lust  (ttsqI  rj6ovt]g) 
in  denen  auch  der  Genüsse  des  Mahles  gedacht  war.  i-)  Mehr  aber  als  die 
Fische,  Brühen,  Weine,  Salben  interessieren  uns  die  7iaQo\f,i^iaxa^  die  No- 
tizen über  Musik,  Lieder,  Tänze,  Spiele,  Hetären,  Parasiten  und  die  Anek- 
doten, die  sich  an  dieselben  knüpfen;  wer  hat  nun  dazu  unserem  Athenaios 
den  Stoff  geliefert?  zur  Beantwortung  dieser  Frage  lieferte  der  reiche  Index 
von  Schweighäuser  nur  das  Material;  die  Antwort  selbst  gaben  neuere 
Spezialuntersuchungen,!^)  indem  sie  die  Lexikographen  Didymos,  Tryphon 
und  Pamphilos,  das  Sammelbuch  des  Favorin,!*)  das  Buch  des  Dioskorides 
über  das  Leben  der  Heroen  bei  Homer  als  Hauptquellen  des  Athenaios 
nachwiesen. 


^)  Die  Fragmente  bei  Usener,  Epicurea 
p.  115  ff.  , 

2)  M.  Schmidt,  Didymi  fragm.  p.  308  sq. 

^)  So  betitelte  das  Werk  Kallimachos; 
Chrysippos  nennt  es  raoxQovouicc,  Klearchos 
Jeinpoloyicc,  andere  ^OiponoiTcc  s.  Atli.  4e; 
witzig  heisst  der  Verfasser  selbst  bei  AHi. 
310  a  0  TMi'  oxpocpdyoiu  Haioö'og. 

■*)  Ath.  5a;  nach  der  Fassung  dieser 
Stelle  scheint  aber  Athenaios  von  dem  Buche 
nur  durch  andere  Kenntnis  gehabt  zu  haben. 

^)  Ein  grosses  Stück  daraus  bei  Ath, 
134-137. 

e)  Ath.  5  b. 

^)  Das  Werk  des  Numenios  heisst  p.  5a 
JeiTjyoy,  p.  13b  ^JhsvTixu. 

^)  Von  ihm  ist  angeführt  ein  Iv^nooiov 
p.  G4a,  67  e  u.  a. 

•')  Aufgezählt  sind  dieselben  bei  Ath. 
p.  13b. 

^^)  Aufgeführt  p.  51(5  c. 

^')   Besonders   häufig    berief   sich   Athe 
naios  auf  den  Dichter  Nikauder. 


^2)  Das  Buch  des  Chrysipp  neQi  xaXov 
xcd  rjdoyijg  erwähnt  Athenaios  oft  mit  be- 
sonderer Anerkennung,  so  p,  565  a:  /cägo) 
ndpv  TM  ccv^qI  dici  TS  xi]v  noXvfXcc^iccy  xcd 
Ti]y  rov  ij&ovg  eTiisiy.eiav. 

^^)  RoHDE,  De  Pollucis  fontibus,  Lips. 
1870;  Bapp,  De  fontibus  quibus  Aihenaeus 
in  rebus  musicis  hjricisque  enarrandis  usus 
Sit,  in  Leipz.  Stud.  VIII,  86—160;  Beiträge 
zur  Quellenkunde  des  Athenaeus,  in  Comm. 
Ribbeck.  253—65.  Schon  Lentz,  Herod.  techn. 
rell.  praef.  p.  CLXI  hatte  bemerkt:  Athe- 
naeum,  qui  diu  tamquam  vastae  eruditionis 
exemplar  adinirationi  fuit,  Pamphilum  ita 
exscripsisse,  ut  eins  copiis  tamquam  suis  se 
iactaret,  scriptores  a  Pampliilo  in  testiuw- 
nium  vocatos  quasi  ipse  legisset  afferens 
nemini  non  notum  est. 

^^)  Das  Sammelwerk  desFavorinus  wollte« 
zur  Hauptquelle  erheben  Rudolph,  De  fon- 
tibus Aeliani,  in  Leipz.  Stud.  VII,  109,  da- 
gegen Bapp,  Leipz.  St.  VIII,  151. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     h)  Lukianos.  (§  483.)     613 


Alle  Hdschr.  des  Ath.  gehen  auf  einen  Archetypus,  den  cod.  Marcianus  ^  zurück; 
daneben  existiert  noch  eine  Kpitorae  im  cod.  Laur.  üO,  2  u.  Paris.  3056,  die  aus  einem 
dem  A  verwandten  Codex  ausgezogen  ist,  s.  Kaibel,  Ind.  lect.  Rost.  1883  u.  Wissowa, 
De  Athenaei  epüome,  in  Comment.  in  Jionorem  Reifferscheidii.  —  Erste  bedeutende  Aus- 
gabe von  Is.  Casaubonus,  Genev.  1597,  nach  deien  Seiten  citiert  wird;  mit  den  Anmer- 
kungen der  Früheren  von  Schweighäuser,  Argent.  1801— 7,  14  vol.;  recogn.  Meineke  in 
Bibl.  Teubn.  1858,  3  vol.,  wovon  die  neue  Auflage  von  Kaibel  besorgt  wird. 

h.  Lukianos. 

483.  Wenn  ich  im  Anscliluss  an  die  Sophisten  von  Lukian  handele, 
so  bedarf  dieses  der  Entschuldigung.  Denn  Lukian  ragt  nicht  bloss  turm- 
hoch über  die  Sophisten  gewöhnlichen  Schlages  hervor,  er  hat  auch  wie 
kein  zweiter  die  Schattenseiten  der  in  dem  trügerischen  Glänze  einer  er- 
logenen Bedeutung  sich  sonnenden  Sophistik  durchschaut  und  gegeisselt. 
Aber  gleichwohl  gehört  derselbe  seinem  Bildungsgang  und  sozusagen  seiner 
Profession  nach  der  Klasse  der  Sophisten  an.') 

Leben  Lukians.  Lukian-')  war  in  Samosata,  der  Hauptstadt  der 
syrischen  Landschaft  Kommagene,  um  125  geboren^)  und  erreichte  seine 
Blüte  unter  den  Antoninen.  Seine  Eltern  waren  wenig  bemittelt  und  be- 
rieten daher,  als  der  Knabe  herangewachsen  war,  in  einem  Familienrat, 
ob  sie  denselben  studieren  lassen  oder  seinem  Onkel,  einem  tüchtigen  Bild- 
hauer, in  die  Lehre  geben  sollten.  Die  Erwägung,  dass  das  Studieren 
[TiaiSeia)  viel  Zeit  und  namentlich  viel  Geld  koste  und  ohne  hohe  Protek- 
tionen doch  nicht  leicht  zu  einem  auskömmlichen  Dasein  führe,  bestimmten 
sie  dem  ehrsamen  Handwerk  den  Vorzug  zu  geben,  zumal  der  Kleine  schon 
bei  dem  Spielen  mit  Wachsfiguren  ein  ungewöhnliches  Talent  für  die  Kunst 
an  den  Tag  gelegt  hatte.  Aber  da  der  Lehrling  das  Unglück  hatte,  gleich 
in  den  ersten  Tagen  durch  einen  zu  kräftig  geführten  Hammerschlag  einen 
Marmorblock  zu  zerschlagen  und  dafür  von  seinem  Meister  den  Riemen  2u 
schmecken  bekam,  so  lief  er  wieder  zu  seinen  Eltern  und  weigerte  sich 
hartnäckig,  in  die  Lehre  zurückzukehren.  Es  waren  ihm  nämlich  im 
Traume  die  Techne  und  die  Paideia  erschienen,  und  es  hatte  die  letztere 
mit  so  glänzenden  Vorspiegelungen  die  erstere  aus  dem  Felde  geschlagen, 
dass  er  sich  fest  entschloss,  dem  Weg  der  Bildung  zu  folgen  und  sich  zu 
dem,  was  damals  als  höchstes  Ziel  der  Bildung  galt,  zu  einem  Rhetor  aus- 
zubilden. Das  alles  hat  er  uns  selbst  in  dem  Buche  „Der  Traum"  aller- 
liebst erzählt.  Von  weiterer  Bedeutung  sind  uns  aber  diese  Mitteilungen 
aus  der  Jugendzeit  des  Lukian,  da  sie  uns  das  feine  Urteil,  welches  der- 
selbe in  Kunstfragen  bewährt,  begreifen  lassen.*) 

Zuerst  nun  trat  unser  junger  Semite,  nachdem  er  erst  die  griechische 
Sprache   erlernt'^)   und   bei   einem    Rhetor,    wir  wissen   nicht  wem,    in   die 


*)  Er  nennt  sich  selbst  Bis  accus.  14 
(>7]T0QCi  ZvQov,  c.   25   'AoyoyQucpov  IVQOV. 

■^)  Von  fiukian  gilt  das  horazische  omnis 
rotiva  pateat  velnti  descripta  tabclla  vita 
srnis.  Ausser  seinen  Schriften  belehren :  Jacob, 
Cliarakteristik  Lukians  von  Samosata,  Hamb. 
1832;  C.  Fr.  Hermann,  Zur  Charakteri.stik 
liukians,  in  Ges.  Sehr.,  Gott.  1849. 

■^)  Suidas  u.  ylovxicct'og:  ytyove  öe  enl 
Tov  KaiauQog  TQcacci'fw  xcd    inixeivic.     Aber 


da  Lukian  in  dem  Dialog  Bis  accus.  32,  der 
zwischen  102  —105  geschrieben  ist,  sich  einen 
Vierziger  nennt,  so  kann  er  kaum  vor  120, 
eher  erst  125  geboren  sein;  s.  Roiide,  Rh. 
M.  33,  174  f.  und  Daub,  Stud.  zu  Suidas 
S.  63  f. 

')  Welcher.  Alte  Denkm.  I,  420;  Blüm- 
ner Archäologische  Studien  zu  Lukianos, 
Bresl.  1807. 

•"')  Bis   accus.    23:    eyio    roviovl    xofiidrj 


ßl4  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Schule  gegangen  war,  in  derjenigen  Gattung  der  Beredsamkeit  auf,  welche 
damals  als  die  erste,  d.  i.  unterste  Stufe  galt,  in  der  gerichtlichen,  und 
zwar  nach  einer  Notiz  des  Suidas  in  Antiochia,  dem  Sitz  der  Behörden  der 
Provinz  Syrien.  Lange  aber  scheint  er  das  Amt  eines  Sachwalters  nicht 
geführt  zu  haben,  da  er  dasselbe  in  demjenigen  Dialoge,  in  dem  er 
von  seinem  weiteren  Bildungsgang  erzählt,  in  dem  Jlg  xaTrjyoQovjiAsvog 
nicht  einmal  einer  Erwähnung  würdigt.  Vielmehr  wandte  er  sich 
bald  derjenigen  Richtung  der  Rhetorik  zu,  welche  am  meisten  damals 
Ruhm  und  Gewinn  versprach,  der  epideiktischen  oder  sophistischen.  Ein- 
geführt wurde  er  in  dieselbe  in  lonien,  vermutlich  in  Smyrna,  wo  damals 
der  Sophist  Polemon  eine  mächtige  Anziehungskraft  ausübte.  Er  zog  dann 
selbst  als  Wanderredner  durch  Kleinasien,  Griechenland,  Makedonien,  Italien 
und  Gallien,^)  um  bei  Festversammlungen,  wie  wiederholt  in  Olympia,^) 
oder  bei  anderen  Gelegenheiten  sich  hören  zu  lassen.  In  diese  Art  von 
Thätigkeit  schlagen  von  den  erhaltenen  Schriften  unseres  Autors  mehrere 
sophistische  Deklamationen  ein,  wie  über  den  Tyrannenmörder,  über  Pha- 
laris,  über  den  Enterbten  ('ATJüxrjQVTToiufvog),  das  Lob  der  Mücke,  der  Streit 
der  Buchstaben  (Jixtj  (fMvi]svTMv) ;  ^)  doch  fühlt  man  in  den  meisten  der- 
selben schon  den  Satiriker  heraus,  wie  namentlich  in  dem  zweiten  Phalaris, 
wo  der  Delphier  als  Vertreter  des  Satzes  von  der  Kirche  mit  dem  guten 
Magen  unbedenklich  die  Geschenke  des  grausamen  Tyrannen  anzunehmen  rät. 
484.  Aber  so  glänzende  Erfolge  er  auch  als  Rhetor  erntete,  lange 
hielt  ihn  doch  diese  Beschäftigung  nicht  fest;  er  erkannte  zu  bald  die  Hohl- 
heit der  geschminkten  Buhlerin^)  und  wandte  sich  von  ihr  ab,  um  etwas 
Höheres  und  Grösseres  in  den  Lehren  der  Weisheit  zu  suchen.  Von  ent- 
scheidender Bedeutung  für  diese  Umkehr  war  der  Besuch  des  Platonikers 
Nigrinus  in  Rom,  wie  er  uns  selbst,  noch  ganz  hingerissen  von  der  edlen 
Gestalt  dieses  echten  Weisen,  in  dem  gleichnamigen  Dialoge  erzählt.  Be- 
zeichnend ist  es  dabei,  dass  gleich  von  vornherein  unseren  Autor  nicht  die 
einfache  Tugendlehre  anzog,  sondern  die  damit  verbundene  Geringschätzung 
des  eitlen,  lächerlichen  Treibens  der  Mehrzahl  der  Menschen.^)  Ihm  sagte 
eben  nicht  die  pathetische  Rolle  eines  stoischen  Tugendpredigers  zu,  sondern 
die  anheiternde  Art  eines  geistreichen  Satirikers.  Durchdrungen  also  von 
der  Erkenntnis  des  Scheinwissens  der  Sophistik  und  erfüllt  von  einem 
höheren,  in  der  Philosophie  wurzelnden  Streben  gab  er  das  Wanderleben] 
auf  und  verlegte  seinen  Sitz  nach  Athen,  der  Stadt  des  Geistes  und  dei 
feinen  Bildung.  Zugleich  änderte  er  die  Form  seiner  Schriftstellerei:  an 
die  Stelle  langer,  in  wohlgesetzten  Perioden  sich  bewegenden  Reden  traten 


fXELQCixiop  ovrct,  ßciQßagop  ert  xrjp  cp(x)P7]v 
xccl  ^ovop  ov/l  xdv^vp  it'dedvxorct  ig  rov 
'Agovqioi^  tqottov  71£qI  xrjv  ^liovlau  evQovaa 
n'kut^ofjiEvov  8Ti  x(d  '6t(  /QTjaaito  eaviM  ovx 
eidoTcc  TiaQCilußovoa  Encädevaa. 

')  Alex.  56,  Bis  accus.  27,  Apol.  15,  de 
electro  2. 

2)  Peregr.  24,  Alex.  7. 

^)  Es  ist  der  Streit  des  Sigma  gegen 
das  Tau  vor  dem  Gerichtshof  der  Vokale, 
indem  sich  das  Sigma  über  die  Gewaltthätig- 


keit  beklagt,  mit  der  es  durch  das  Tau  in 
jener  Zeit  des  affektierten  Attikismus  aus 
einer  Menge  von  Wörtern,  wie  orjfxegov, 
a^dlaaaa,  05(j(7«At«  verdrängt  worden  sei.  Ein 
feiner  Juwel  ist  auch  die  Deklamation  fiv'iag 
eyxoifiiov,  die  gleichfalls  aus  dieser  Zeit 
stammt. 

^)  Bis  accus.  31. 

^)  Nigr.  14  u.  59.  Seine  Bekehrung  zur 
Philosophie  und  seine  baldige  Enttäuschung 
auch  in  dieser  Disziplin  erzählt  er  Piscator  29  f. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     h)  Lukianos.  (§484.)     (315 


kurze,  Scherz  und  Witz  atmende  Dialoge.  Der  Dialog  war  zwar  seit  Alters 
in  der  Philosophie,  speziell  in  der  Akademie,  zu  Haus,  aber  Lukian  nahm 
ihm  den  erhabenen  Ernst  und  die  spitzfindige  Dialektik  und  belebte  ihn 
mit  dem  Witz  und  Geist  der  Komödie.  So  konnte  er  von  sich  rühmen, 
dass  er  eine  neue  Gattung  in  die  Litteratur  eingeführt  habe,^)  wiewohl  er 
insofern  in  dem  Fahrwasser  der  Sophistik  blieb,  als  er  seine  Dialoge  zu- 
nächst zum  Vortrage  bestimmte  und  dieselben  erst  nachträglich  durch  Ab- 
schriften in  die  Öffentlichkeit  brachte. 2)  Seine  Glanzzeit  als  Satiriker  und 
Dialogschreiber  erreichte  er  unter  M.  Aurel  und  Commodus;  speziell  in  die 
ersten  Regierungsjahre  des  M.  Aurel,  zwischen  162  und  165,  fällt  der 
witzige  Dialog  J'ig  xatrjyoQoviJ^svog,^)  in  dem  er  die  neue  Form  seiner  Schrift- 
stellerei,  durch  die  er  damals  bereits  zu  Ansehen  und  Ruhm  gelangt  war, 
geistvoll  verteidigt. 

Aber  auch  das  Leben  eines  Dialogschreibers  führte  Lukian  nicht  bis 
zu  seinem  Ende  fort.  Wie  es  bei  uns  vorkommt,  dass  ein  Arzt,  nachdem 
er  sich  zu  früh  zur  Ruhe  gesetzt,  später  nochmals  die  Praxis  aufgreift, 
so  kehrte  auch  Lukian,  nachdem  er  bereits  alt  geworden, 4)  von  neuem 
zur  Stellung  eines  Schönredners  zurück.^)  In  geistreicher  Weise  leitet 
er  diese  Rückkehr  durch  den  Prolog  (TTQoXahä)  Herakles  ein.^)  Zu 
den  Reden  aus  dieser  Zeit  scheinen  der  Dionysos,  Zeuxis,  Herodotos, 
Elektron,  Prometheus  in  Reden,  das  Lob  des  Vaterlandes,  Wahre  Ge- 
schichten zu  gehören.  Später  knüpfte  er  mit  den  Mächtigen  des  Reiches 
Verbindungen  an,  welche  für  seine  letzten  Lebensgeschicke  von  entscheiden- 
der Bedeutung  waren.  Er  nämlich,  der  vordem  in  der  Schrift  IIsqI  twv 
im  lua^m  avvövTwv  in  so  grellen  Farben  das  bedauernswerte  Los  der  Ge- 
bildeten, die  bei  anderen  in  Lohn  stehen,  geschildert  hatte,  opferte  schliess- 
lich selbst  seine  Selbständigkeit  und  nahm  im  Alter,  ähnlich  wie  sein  römi- 
scher Geistesverwandter  Juvenal,  einen  gutbezahlten  Posten  in  Ägypten  an. 
In  seiner  Verteidigung'^)  rechtfertigt  er  diesen  seinen  Schritt,  indem  er  auf 
den  grossen  Unterschied  einer  privaten  Hofmeisterstelle  und  eines  öffent- 
lichen Amtes  hinweist.  Dort  in  Ägypten  endete  er  auch  sein  Leben,  ohne 
nochmals  nach  seinem  geliebten  Athen  zurückgekehrt  zu  sein.  Suidas  lässt 
ihn  ähnlich  wie  den  Euripides  von  Hunden  zerrissen  werden;  das  war 
wahrscheinlich  nur  eine  später  missverstandene  Allegorie,  bei  der  unter  den 
xmsg  die  Kyniker,  die  bitteren  Feinde  des  Lukian,  verstanden  waren. 


')  Proni.  in  vcrbis  3, 

'-)  Lukian,  Pisc  G;  vgl.  Rohde,  Griech. 
Roman  S.  805. 

^)  Diese  Zeitbestimmung  ergibt  sich  aus 
c.  2,  wo  auf  den  Paitheikrieg  angespielt 
ist,  der  mit  dem  Triumphzug  der  Kaiser  im 
Jahr  165  abschloss. 

^)  Dionys.  6,  Hercul.  7,  Pro  lapsu  inter 
Salut.  1 . 

^)  Thimme,  Quaestionum  Lucianearum 
Cdpita  quattuor,  Halle  1884  p.  1  ff.  widerlegt 
die  früher  verbreitete  Annahme  einer  zweiten 
Rundreise  und  nimmt  bloss  eine  Wieder- 
aufnahme der  Recitationen  an. 

')  Ilerc.  7:  ifxol  (fi  rji'ixa  neQt  ii]g  devQo 


TTaQodov  TCivirjg  iaxo7TovfX}]y  TJQog  iucivröv, 
£i  fxot  xu'Mog  €X£t  r}]Xiy.(ods  optl  xai  ndXca 
rcjy  87n6ei^£iov  rrejiavfxivip  av&ig  vneQ  ifxccv- 
lov  \{jrj(foi'  (hifävta  rooovioig  (fixccarcag.  Eine 
Recitation  hielt  er  des  Jahres  darauf,  zu 
welcher  der  Jiovvaog  die  Prolalia  bildete, 
wie  der  Verfasser  am  Schlüsse  derselben 
andeutet.  Dass  beide  Einleitungen  zu  den  2 
Büchern  der  'JXiji^TJg  iaioQia  gehörten,  ist 
eine  speziose  Vermutung  Thimme's  Jhrb.  f. 
Phil.  137  (1888)  S.  502  ff.  Die  nQoXahai 
vergleichen  sich  den  Prooimia  der  alten 
Rhapsoden  und  den  einleitenden  Trimetern 
des  loannes  Gazaeus  und  Paulus  Silentiarius. 
')  Apolog.   11. 


GIG 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


485.  Schriften  Lukians.  Erhalten  sind  uns  unter  Lukians  Namen 
82  Schriften,  darunter  manche  zweifelhafte  und  unechte.^)  Sie  sind  alle 
von  massigem  Umfang  und  zum  grösseren  Teil  in  dialogische  Form  ge- 
kleidet. Neben  Schriften  in  Prosa  befinden  sich  darunter  2  dramatische 
Scherze  in  Versen,  ^Qxvttovc  und  TQayoiSoTrodäyQa,'^)  und  53  elegante  witzige 
Epigramme,  welche  in  die  Anthologie  Aufnahme  fanden.  Die  Schriften 
nach  der  zeitlichen  Folge  zu  ordnen,  wäre  schier  unmöglich;  denn  nur  von 
wenigen,  wie  von  ^Egfionpog  (um  1G5),^)  Jig  xaTiqyoQoviievoQ  und  Eixoveg 
(1G2 — 165),  Jlwg  Sei  laTogiav  avyyQacfsiv  (bald  nach  1G5),  Totengespräche 
und  IleQsyQivog  (1G7),*)  EinoT'xog  (bald  nach  17G),"^)  ^AXt-'^avdQog  (bald  nach 
180), '^)  ^AnoXoyia  und  IleQl  tov  ev  nqoaccyoQevasi  TTiccicffxaTog  (während  des 
ägyptischen  Aufenthaltes)  können  wir  die  Abfassungszeit  mit  Sicherheit 
angeben.  Bei  andern  vermögen  wir  nur  das  gegenseitige  Verhältnis  zu 
ermitteln,  wie  dass  der  Nigrinus  die  erste  Periode  der  sophistischen  Bered- 
samkeit abschloss,  dass  vor  der  Schrift  Jig  xaxriyoQov^svog  sich  Lukian 
bereits  durch  seine  kleineren  Dialoge  einen  Namen  gemacht  hatte,  dass  die 
jQani-Tai  nach  dem  Peregrinus  fallen,  weil  daselbst  c.  7  der  Verbrennung  des- 
selben gedacht  ist,  dass  die  Prolaliai  Herakles  und  Dionysos  dem  vorgerückten 
Alter  unseres  Autors  angehören.  Bei  vielen  andern  ist  uns  nicht  einmal 
eine  relative  Zeitbestimmung  möglich,  und  da  nun  auch  in  den  Hand- 
schriften und  älteren  Ausgaben  ein  irgend  vernünftiges  Prinzip  der  Anord- 
nung nicht  zu  erkennen  ist,^)  so  haben  Imm.  Bekker,  Sommerbrodt  u.  a. 
eine  Neuordnung  nach  stilistischen  und  sachlichen  Gesichtspunkten  ver- 
sucht,^) an  die  ich  mich  im  wesentlichen  halten  werde. 

486.  Die  Deklamationen  bilden  den  geringsten  Teil  der  lukiani- 
schen  Schriften;  sie  hängen  mit  der  Thätigkeit  ihres  Autors  als  Wander- 
redner zusammen  und  sind  zum  grössten  Teil  bereits  in  seinem  Lebens- 
abriss  §  483  von  uns  angeführt  worden.  Zu  den  dort  schon  erwähnten, 
TvQccvroxxovog,  'Anoxr^qvTTo^iivog,  (I^aXagig,  Mviag  syxwfjiior,  z/fxi^  (fwvrjtvTMV^ 
füge  ich  hier  noch  einige  andere,   die  er  in  Athen  oder  bei  kürzeren,   von 


^)  Nicht  erbalten  ist  uns  das  im  Demo- 
nax  c.  1  erwähnte  Buch  über  den  Böotier 
Sostratos. 

^}  Eine  Komödie  'Sixvnovg  des  Akakios, 
eines  Freundes  des  Rhetors  Libanios,  ist  er- 
wähnt in  des  letzteren  Briefen  n.  1380; 
diesem  will  Sievers,  Leben  des  Libanius  S. 
138,  unsere  Humoreske  zuschreiben.  Die 
gute  metrische  Form  unserer  beiden  zu- 
sammengehörigen Stücke  'Sixvnovg  und  Uo- 
ddygct,  über  welche  Friedrichsmeier,  De 
Luciani  re  metrica  Kiel  1889  gehandelt  hat, 
ist  dieser  Hypothese  nicht  günstig.  Sehr 
unsicher  aber  ist  es,  ob  die  in  der  Antho- 
logie erhaltenen  Epigramme  des  Lukianos 
wirklich  von  unserem  sophistischen  Satiriker 
herrühren. 

^)  Nach  Hermot.  13  war  er  damals  40 
Jahre  alt. 

^)  Dieses  Jahr  ist  ermittelt  von  Nissen, 
Rh.  M.  43  (1888),  255. 

^)  Eun.  3  bezieht  sich  auf  eine  Vakanz 


der  im  J.  176  gegründeten  philosophischen 
Lehrkanzel. 

^)  Alex.  48  ist  geschrieben  nach  dem 
Tode  des  Kaisers  M.  Aurel. 

^)  In  Bezug  auf  die  Folge  der  Schriften 
weichen  die  Codices  stark  von  einander 
ab;  hier  die  ursprünglich  den  Handschriften 
zu  grund  liegende,  von  Lukian  oder  dem 
Herausgeber  seiner  Werke  beabsichtigte  Ord- 
nung wiederzufinden,  wäre  eine  lohnende 
Sache,  deren  Lösung  ich  von  einem  jungen 
Freunde  Dr.  Th.  Preger  erwarte. 

^)  Imm.  Bekker,  Über  die  Reihenfolge 
der  Schriften  des  Lukian,  Monatsber.  der 
Berl.  Ak.  1851  S.  359-365;  Sommerbrodt 
in  Proleg.  seiner  Ausgabe  ausgewählter 
Schriften  Lukians;  A.  Planck,  Quaest.  Lu- 
cianeae,  Tubing.  1850;  Fr.  Fritzsche  in  der 
grossen  Ausg.  III,  2  p.  LXIX  ff.;  P.  Vogt, 
De  Lncianilibellorum pristino ordine,  x>art.  I, 
Marburg  1889. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   h)  Lukianos.  (§485—487.)     617 

Athen  aus  unternommenen  Reisen  gebalten  zu  haben  scheint,  nämlich: 
^HqödoTog  rj  'Astimv,  worin  von  der  Vorlesung  der  Historien  des  Herodot 
und  der  Ausstellung  eines  Gemäldes  des  Aetion  in  Olympia  gehandelt  ist, 
Zev^ig,  der  von  der  Schilderung  der  Hippokentauren  des  Malers  Zeuxis 
seinen  Namen  hat,  IJegl  tov  oi'xov,  eine  geschmackvolle  und  kunstverstän- 
dige Beschreibung  eines  schönen,  mit  Gemälden  ausgerüsteten  Sales,  ferner 
jiQjiioviSrjg,  ^xv&r^g  rj  Jiqö'isvog.  Auf  seine  Thätigkeit  als  sophistischer  Redner 
haben  auch  Bezug  das  'Evvttviov,  in  dem  er  mit  Stolz  auf  seine  Erfolge  als 
epideiktischer  Redner  hinweist,  und  der  IlQOfxrjS^evg  si  iv  löyoig,  worin  er 
das  ihm  beigelegte  ehrende  Beiwort  IJQOfxrj^svg  sv  Xöyoig  auf  seine  Findig- 
keit in  der  Ausbildung  neuer  Litteraturformen  deutet. 

487.  Die  Dialoge  zerfallen  zeitlich  und  inhaltlich  in  mehrere  Klassen. 
Die  eine,  die  ältere,  umfasst  die  meistens  kleineren  Dialoge,  die  den  Götter- 
glauben, die  Philosophensekten,  die  Marktschreierei  der  Sophisten,  die 
Schwächen  und  Verkehrtheiten  der  Menschen  überhaupt  lächerlich  machen 
und  mehr  launig  und  scherzhaft  als  bitter  und  verletzend  sind.  Unter 
ihnen  nehmen  den  ersten  und  grössten  Platz  die  Götter dialoge  ein, 
welche  ähnlich  wie  einst  die  Komödien  des  Epicharm  und  die  Hilaro- 
tragödien  des  Rhinthon  lustige  Scenen  aus  der  Götterwelt  vorführen,  jedoch 
so,  dass  neben  dem  Gefallen  an  den  scherzhaften  Seiten  des  alten  Mythus 
die  Absicht  der  Verspottung  des  Götterglaubens  durchblickt.  Dahin  gehören: 
ÜQOiiri^evg  rj  Kavxaaog,  /liäXoyoi  {Jcwr,  'ErccXioi  Siäloyoi,  NsxQixol  Jt«Ao/o/> ') 
KarärcXovg.  Mit  den  letzteren  verwandt  sind  die  geistreichen,  vielgelesenen 
Dialoge  Charon  und  Menippos.  In  dem  ersteren  kommt  der  Fährmann 
Charon  aus  der  Unterwelt  herauf,  um  von  dem  auf  den  Ossa  und  Olymp 
getürmten  Parnass  Heerschau  über  die  Menschen  und  ihre  Thorheiten  zu 
halten.  Jm  Menippos  erzählt  der  gleichnamige  Philosoph,  dessen  witzige 
Art  wie  dem  Römer  Varro  in  seinen  Saturae  Menippeae,  so  auch  unserem 
Satiriker  zum  Vorbild  diente,  was  er  drunten  in  der  Unterwelt  gesehen 
hatte.  An  den  Menippos  schliesst  sich  der  Ikaromenippos  an,  in  welchem 
jener  Philosoph,  nachdem  er  sich  nach  Ikaros'  Beispiel  Flügel  angelegt  hat, 
zum  Mond  und  weiter  zum  Himmel  auffliegt,  um  mit  eigenen  Augen  von 
dem  Treiben  der  Selene  und  des  Zeus  Kenntnis  zu  nehmen.'^)  Spielen  in 
diesen  Dialogen  die  Götter  und  Heroen  mehr  nur  eine  burleske  Rolle,  so 
wird  in  dem  Zevg  xQayoidög^)  und  Zevg  fAf/%o,afi'og  direkt  der  Götter- 
glaube angegriffen.  In  dem  zweiten  der  genannten  Dialoge  muss  sich  Zeus 
von  einem  Epikureer  in  der  Gestalt  eines  Kynikers  {Kvviaxog)  über  die 
logische  Ungereimtheit  der  gleichzeitigen  Annahme  eines  allbeherrschenden 
Schicksals  und  der  freien  Willensmacht  der  Götter  examinieren  und  ad 
absurdum  führen  lassen.  Im  Juppiter  tragoedus  wird  uns  in  grossartiger 
Scenerie  die  Disputation  des  Epikureers  Damis  und  des  Stoikers  Timokles 
vorgeführt,    in    der    der  Epikureer   seinen   Satz,    dass   es    keine  Vorsehung 

')  Dass  dieselben  KU)  oder  anfaiig   167  1  in  den  Wintcn-  180;  um  10  - 15  Jahre  früher 

in  Athen  geschrieben  sind,    beweist  Nissen,  Jenni,  Beiträge  zu  Lucian,  Fraucnfeld  1S7(). 

lih.   M.  43,  244  f.  j             =*)  Der    Name    XQayonUg   konuut    daher, 

^)  Die  Kehtheit  des  Dialogs  wird  in  Ab-  [  dass  in  dem  Dialoge  die  (Jötter  ähnlich  wie 

rode  gestellt    von  Fk.  Jacoks;    seine  Abfas-  in    der   Tragödie    teilweise    in    pathetischen 

sungszcit  setzt  Fritzsche,  Ausg.  II,  1  p.  159  ,  Versen  sprechen. 


618 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


gebe,  so  siegreich  durchführt,  dass  sich  zuletzt  die  Götter  mit  dem  Tröste 
begnügen  müssen,  es  werde  doch  trotzdem  die  Zahl  der  Frommgläubigen 
noch  immer  gross  genug  bleiben.^)  Die  Göttermaschinerie  liegt  auch  dem 
interessanten  Dialog  Jlg  xarrjyoQovfxevog  zu  grund;  doch  bildet  in  ihm 
den  Hauptinhalt  die  Verteidigung  des  Lukian  selbst  gegen  die  Anklagen 
der  Rhetorik  und  des  philosophischen  Dialogs,  die  beide  behaupten,  von 
dem  syrischen  Rhetor  verlassen  und  misshandelt  zu  sein.  Ahnliches  gilt 
von  dem  hübschen,  auch  unter  die  Schullesestücke  aufgenommenen  Dialoge 
Timon,  der  von  dem  Menschenhasser  Timon  den  Namen  hat,  welcher, 
nachdem  er  durch  seine  Freigebigkeit  in  bittere  Not  geraten  war,  von 
Hermes  wieder  mit  dem  Funde  eines  grossen  Goldklumpen  beglückt  wird, 
nunmehr  aber  den  Schatz  für  sich  behält  und  die  Schmarotzer,  als  sie  sich 
jetzt  wieder  nahen,  mit  der  Hacke  von  sich  abwehrt.  Weit  stehen  hinter 
diesen  Dialogen  der  Blütezeit  Lukians  die  Saturnalien  (rd  nqog  Kqovov) 
zurück,  die  offenbar  einer  späteren  Zeit  der  welkenden  Kraft  unseres  Autors 
angehören. 

Eine  andere  Reihe  bilden  diejenigen  Dialoge,  welche  sich  mit  der 
Philosophie  oder  vielmehr  mit  den  menschlichen  Vertretern  der  göttlichen 
Weisheit  beschäftigen.  Von  Nigrinus  und  Demonax  2)  abgesehen,  erscheinen 
die  Lehrer  der  Weisheit  bei  Lukian  als  wahre  Karikaturen.  Seine  Philo- 
sophen führen  nur  den  Namen  Tugend  und  Weisheit  im  Mund,  sind  aber 
innerlich  von  Habgier,  Streitsucht,  Sinnlichkeit  erfüllt.  Fast  in  jedem 
Dialog  ergreift  er  die  Gelegenheit,  um  über  diese  Afterphilosophen  die 
Schale  des  Spottes  auszugiessen.  Geistreich  besonders  ist  der  Einfall  der 
Philosophenversteigerung  {Bimv  ngacrig),  des  Fangs  der  Philosophen  mit 
dem  Goldköter  (Ahevg),  und  die  Parodie  des  Philosophengastmahls,  ^v/j,- 
noaiov  ij  Aanid^ai  betitelt,  weil  es  bei  dem  Mahl  zu  einer  förmlichen 
Keilerei  zwischen  den  Vertretern  der  verschiedenen  Philosophenschulen 
kommt. ^)  Verwandter  Art  ist  der  Parasit,  in  welchem  mit  der  Maske 
philosophischen  Ernstes  bewiesen  wird,  dass  das  Schmarotzerleben  eine 
Kunst  sei.  Gehaltvoller  und  ernster  ist  der  Hermotimus,  vom  Verfasser 
nach  c.  13  im  40.  Lebensjahr  geschrieben,  der  mit  dem  positiven  Resultate 
schliesst,  dass  der  Weise  nicht  einseitig  und  blindlings  den  Lehren  einer 
Schule  anhängen  dürfe,  und  dass  keine  Philosophie  etwas  tauge,  deren 
Prediger  nicht  durch  makellose  Sittlichkeit  selbst  sich  auszeichnen.  Einen 
bitteren  Beigeschmack  hat  der  Kynikos,  dessen  Hauptsätze,  wie  dass  es 
Thorheit,  nicht  Weisheit  sei,  die  Güter,  welche  die  Mutter  Natur  uns 
gegeben,  nicht  zu  benützen,  ebensogut  gegen  die  christlichen  Bettelorden 
gerichtet  sein  könnten.^) 

Die  Zeit  des  ausgelassenen  Witzes  und  der  heiteren  Laune  geht  für 
jeden  Menschen  vorüber;  auch  in  Lukian  sprudelte  nicht  immer  der  heitere 
Humor,    er  ward  mit  den  Jahren  ernster  und  zugleich  infolge  ungerechter 


')  Den  entgegengesetzten,  frommgläu- 
bigen  Standpunkt  vertrat  Aelian  in  seinem 
Buche  neql  TiQovolug. 

'■^)  Die  Echtheit  des  Demonax  ist  wieder- 
holt, wie  von  Bekker  und  Bernays,  bezwei- 
felt  worden,    und    allerdings   ist   die  Schrift 


skizzenhaft  und  unbedeutend. 

^)  Über  die  Verwandtschaft  mit  Alki- 
phron  3,  55  s.  Kock,  Rh.  M.  43,  40  ff. 

*)  Die  Unechtheit  des  Kynikos  erweist 
Fritzsche  in  der  Ausg.  II,  2.  235  ff. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     h)  Lukianos.  (§  488.)     619 

Anfeindungen  bitterer,  so  dass  er  nicht  mehr  mit  den  lächerlichen  Seiten 
des  Menschen  im  allgemeinen  zu  spielen,  sondern  gegen  bestimmte  Persön- 
lichkeiten die  Pfeile  seines  Spottes  zu  richten  liebte.  In  diese  Kategorie 
gehört  die  Mehrzahl  der  Dialoge,  in  denen  unser  Autor  selbst  unter  dem 
Namen  Lykinos ')  Hauptträger  des  Dialoges  ist.  Unter  den  Schriften  dieser 
Art  sind  der  Pseudosophist^)  und  Lexiphanes  Pasquillen  auf  beschränkte 
Grammatiker  und  Attikisten.  Schärfer  und  beissender  noch  ist  der  um 
dieselbe  Zeit  geschriebene  Eunuchos,  der  den  Wettstreit  des  Diokles  und 
des  Eunuchen  Bagoas  um  den  erledigten  Lehrstuhl  der  peripatetischen  Phi- 
losophie enthält.  Gleich  giftigen  Ton  hauchen  die  Drapetai,  ausgerissene 
Sklaven,  welche  das  edle  Weib  Philosophia  entführen,  und  der  Philopseu- 
des,  unter  welchem  Titel  der  abergläubische  Lügenphilosoph  Eukrates  an 
den  Pranger  gestellt  ist. 

In  eine  andere  Sphäre  menschlicher  Schwäche  führen  uns  die  ^Etai- 
Qiicol  diäXoyoi,  die  durch  die  Nacktheit  des  Hetärenlebens  Anstoss  erregen, 
aber  für  die  Sittengeschichte  des  Altertums  von  hohem  Interesse  sind. 
Ohne  satirischen  Beigeschmack  und  teilweise  der  dialogischen  Form  ent- 
kleidet ist  die  Schrift  vom  Tanz  {TreQi  cQxrjasMc),  in  der  Lukian,  seine 
syrische  Herkunft  nicht  verleugnend,  sich  zum  Verteidiger  des  Theaters  und 
Pantomimus  aufwirft.  In  dialogischer  Form  wird  die  griechische  Gym- 
nastik verherrlicht  in  dem  Anacharsis,  und  der  edle  Freundschaftssinn 
der  Skythen  im  Toxaris.  Ein  Muster  ausgesuchter  Schmeichelei  sind  die 
Elxövsg^  geschrieben  zur  Zeit  der  Partherkriege  zum  Preise  der  schönen 
Smyrnäerin  Panthea,  der  Geliebten  des  Kaisers  Verus,  und  die  Verteidigung 
dieses  überschwenglichen,  durch  den  Vergleich  mit  W^erken  der  Kunst  be- 
lebten Lobes  in  dem  Dialog  ^Yntq  twv  sIxövmv. 

488.  In  die  Form  von  Briefen  kleidete  Lukian  mehrere  Schriften  des 
gereiften  Alters,  die  teils  durch  bestimmte  Anlässe  hervorgerufen,  teils 
gegen  ganz  bestimmte  Persönlichkeiten  gerichtet  waren.  Von  einigen  der- 
selben, wie  von  dem  Hofmeister  und  der  Apologie,  haben  wir  bereits  im 
Lebensabriss  unseres  Schriftstellers  gesprochen.  Das  Buch  Jlcog  J^T  lato- 
Qiav  avyyQcc(fsiv  war  veranlasst  durch  den  im  Jahre  165  beendeten  Krieg 
der  Römer  mit  den  Parthern  und  richtet  sich  gegen  die  unberufenen  Ge- 
schichtschreiber, welche  jenen  Krieg  nach  Art  des  Herodot  oder  Thukydides 
zu  beschreiben  unternahmen.*^)  Ehedem  übermässig  bewundert,  findet  das- 
selbe heutzutag  eine  kühlere  Beurteilung:  es  enthält  nichts,  was  sich  über 
die  alltäglichsten  Gemeinplätze  erhebe.  Der  Peregrinos,  geschrieben  im 
Jahre  166,  gibt  eine  von  Verachtung  diktierte  Schilderung  des  Kynikers 
Peregrinus,  der  sich  nach  einem  abenteuerlichen  Leben  in  Olympia  frei- 
willig unter  grossem  Spektakel  dem  Flammentod  weihte.^)     Der  Alexan- 


')  AvxTvoq  sollte  in  jener  attikisierenden 
Zeit  die  echtgriechische  Form  für  das  la- 
teinisch-barbarische Aovxiarog  sein. 

'^)  Bezüglich  der  Abfassungszeit  fällt  ins 
Gewicht,  dass  Lukian,  Pseudosoph.  5  seinen 
Aufenthalt  in  Ägypten  erwähnt. 

0  Vgl.  MüLLKR  FHd.  \\{,  G4(5-655; 
ebenda  p.  (J-")!)     ♦ili'i  (li(^  Fragmente  der  UrtQ- 


4)  J.  Beknays,  Lukian  und  die  Kyniker, 
Berl.  1879,  worin  nachgewiesen  ist,  dass 
Lukian  die  Schrift  zunächst  gegen  den  über- 
lebenden Kyniker  Theagenes  gerichtet  hat, 
den  Bernays  unter  Berufung  auf  Galen  X 
p.  100  ed.  K.  und  Gellius  XII,  11  in  gün- 
stigeres Licht  zu  rücken  sucht.  Fntgeg- 
nungen  von  Vaiilen,  Ind.  lect.  Berol.  188'2/;j 


Oixä  des  Asinius  (^uadratus.  1    s.  Bbuns,  Kh.  M.  42,  1. 


620 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


dros  oder  der  Lügenprophet  {^^svSofiarTig)  enthält  eine  Lebensbeschreibung 
des  grossen  Schwindlers  und  religiösen  Betrügers  Alexander,  welche  Lukian 
für  den  befreundeten  Epikureer  Celsus ')  mit  sittlicher  Entrüstung  bald  nach 
dem  Tode  des  Kaisers  M.  Aurel  geschrieben  hat.  Der  Rednerlehrer 
(Pr^TOQMv  SiödaxaXog)  ist  die  giftigste  Persiflage  unter  Lukians  Werken; 
sie  entwirft  ein  wahres  Zerrbild  von  einem  Professor  der  Rhetorik,  hinter 
dem  man  offenbar  eine  bestimmte  Persönlichkeit  suchen  muss.  Man  hat 
auf  den  auch  im  Lexiphanes  verspotteten  Litteraten  Pollux  geraten, 2)  wohl 
mit  Recht,  doch  macht  einige  Schwierigkeit  die  Zeit,  da  Pollux  erst  von 
Commodus  zum  Professor  der  Rhetorik  in  Athen  ernannt  wurde.  ^)  Ähn- 
licher Art  sind  die  im  Geiste  des  Archilochos  ^)  geschriebenen  Satiren 
^}€vSoXoYi(STrig  und  JlQog  top  drcaidsvTov,  von  denen  die  erste  gegen 
den  Sophisten  Timarchos,  die  zweite  gegen  einen  anonymen  Bibliomanen 
gerichtet  ist.-^) 

Mit  der  Romanschriftstellerei  befassen  sich  die  ^AXij^sTg  taxoQiai 
in  2  B.,  die  eine  beissende  Satire  auf  die  Aufschneidereien  der  Roman- 
schreiber und  speziell  auf  die  phantastischen  Reiseabenteuer  des  „Land 
über  Thule"  enthalten.  Ein  Roman  selbst  ist  der  Aovxiog  r]  ovog^  der 
ein  vielverhandeltes  Thema  der  philologischen  Echtheitskritik  bildet.  Nach 
dem  Patriarchen  Photios  cod.  129  hatte  nämlich  ein  gewisser  Lucius  aus 
Paträ  denselben  Stoff  in  seinen  Metamorphosen  behandelt,  und  stimmt  der 
Esel  des  Lukian  mit  den  2  ersten  Büchern  jenes  Lucius  fast  ganz  überein, 
nur  dass  der  letztere  die  Verwandlungsgeschichten  mit  heiligem  Ernste 
erzählt,  aus  dem  Esel  des  Lukian  aber  der  ungläubige  Schalk  heraus- 
schaut. Dieselbe  Geschichte  ist  uns  dann  in  wesentlicher  Übereinstimmung 
mit  Lukian  in  den  Metamorphosen  des  Apuleius  erhalten,  so  dass  es  sich 
nun  fragt,  wer  von  den  dreien  der  erste  war  und  wen  die  anderen  be- 
nützt haben.  Rohde*^  hat  die  Frage  dahin  beantwortet,  dass  zuerst  Lucius 
die  Verwandlungsgeschichten  in  gläubigem  Ernst  erzählt,  Lukian  dann  in 
seinem  Esel  eine  boshafte  Satire  auf  jene  albernen  Abenteuer  geschrieben, 
und  Apuleius  schliesslich  sich  in  seiner  Wiedererzählung  trotz  des  ab- 
weichenden Titels  an  den  Esel  Lukians  gehalten  habe;  aber  damit  sind 
die  Bedenken  nicht  beseitigt,  welche  gegen  die  Echtheit  des  lukianischen 
Esels  namentlich  von  Seite  der  Sprache  erhoben  wurden.') 

489.  Dem  Lukian  ist  es  ähnlich  wie  anderen  grossen  Schriftstellern 
des  Altertums  gegangen,  dass  seine  Art  Nachahmer  fand  und  dass  die  in 
seinem  Geiste  geschriebenen  Nachahmungen  unter  seine  echten  Werke  ge-: 


^)  Dieser  Epikureer  Celsus,  der  ein  Buch 
über  die  religiösen  Schwindler  (z«t«  fzdycoy) 
geschrieben  hatte  und  gegen  den  sich  auch 
der  Arzt  Galen  in  einem  Brief  riQog  KiXaov 
^EnixovQSiop  wandte,  ist  wahrscheinlich  mit 
dem  gleichnamigen  Verfasser  des  ^ Alrjf^rjg 
Xöyog,  gegen  den  der  Kirchenvater  Origenes 
in  einem  noch  erhaltenen  Werke  polemisiert, 
identisch;  vgl.  Buresch,  Klares  p.  63  und 
unten  §  609.  Über  den  Alexander  s.  Zellee, 
Vorträge  u.  Abhandl.,  2.  Samml. 

'^)  So  schon  die  Schollen  und  von  den 
Neueren    C.    Fr.    Ranke,    Pollux    und    Lu- 


cian,  Quedlinb.  1831,  und  C.  Fr.  Hermann, 
Zur  Charakteristik  Lucians,  Ges.  Abh.  S. 
209  f. 

^)  Philostr.  vit.  soph.  11,  12;  auf  frü- 
here Zeit  scheint  hinzuweisen  cap.  26  der 
Schrift  des  Lukian. 

■*)  Luc.  Pseudolog.  c.  2. 

^)  Eine  Gegenrede,  eine  Bekämpfung 
des  Tanzes  schrieben  die  Rhetoren  Aristeides 
und  Libanios. 

^)  RoHDE,  Über  Lucians  Schrift  Aovxios 
ij   oyog,    Leipz.    1869    und   Rh.    M.   40,   93. 

^)  C.    BuERGER,     De    Lucio    Patrensi, 


i| 


I 


B.  Römische  Periode -vor  Konstantin.    3.  Die  Prosa,     h)  Lukianos.  (§  489— 490.)     621 


rieten.  Zufällig,  wie  es  scheint,  kamen  unter  seine  Schriften  zwei  fremde 
Dialoge,  ^AXxvmv  und  Ni-Qorv,  von  denen  der  zweite  von  dem  älteren  Philo- 
stratos,')  der  erste  von  dem  Akademiker  Leon'^)  herrührt.  Als  unecht 
werden  dann  fast  allgemein  anerkannt:  ^doiraiQig,  eine  Verhöhnung  der 
christlichen  Lehre  in  schwerfällig  überladenem  Stil  aus  dem  10.  Jahrhundert 
unserer  Ära;^)  MaxQoßioi,  eine  trockene  Aufzählung  langlebender  Griechen 
aus  der  Zeit  des  Tiberius,  womit  die  römischen  Maxqößioi  des  Phlegon  von 
Tralles  zusammenhängen;*)  JIsqI  Tijg  :2vQhjg  ^sov  und  IIsqI  aaiQoXoyh^g, 
geistlose,  von  Lukians  Gesinnung  weit  abliegende,  in  ionischer  Mundart 
von  einem  abergläubischen  Menschen  geschriebene  Abhandlungen;  Jt^i^io- 
aO^svovg  iyxMixiov,  eine  überschwengliche  Lobrede  auf  den  grossen  Redner;^) 
'iTimag,  Beschreibung  von  einer  grossartigen  Badeanlage,  geschrieben  nach 
dem  Muster  ähnlicher  Schilderungen  Lukians,  aber  ohne  dessen  Geist,  ^) 
endlich  die  Schriften  UsqI  d^vamv,  TIsqI  n&v^ovg,  IUqI  tov  f.iY  Qadiwg  ni- 
aisvsiv  öiccßoXfi,  XaQiSrji^iog,  ''EQixntg.^)  Andere  sind  noch  weiter  gegangen 
und  haben  auch  den  Demonax,^)  Lukios  oder  Onos,  Kynikos,  Ikaromenip- 
pos,  und  selbst  den  Menippos,  Toxaris,  Peregrinos,^)  die  poetischen  Stücke, 
die  Epigramme  und  die  Podagratragödie  angezweifelt,  i'^) 

490.  Gesamtcharakter.  Um  zum  Schluss  noch  die  einzelnen  Züge  des 
Mannes  zusammenzufassen,  so  stehen  wir  nicht  an,  denLukian  den  geistreich- 
sten und  formgewandtesten  Schriftsteller  der  Kaiserzeit  zu  nennen.  In  einer 
Zeit  lebend,  in  der  das  Interesse  für  Verse  abgestorben  war,  ersetzt  er  uns  mit 
seinen  Dialogen  und  Satiren  die  lamben  und  Komödien  der  klassischen 
Periode.  ^  ^)  Schon  seine  vollendete  Beherrschung  der  attischen  Sprache  erregt 
billig  unsere  Bewunderung,  zumal  er  das  Griechische  nicht  mit  der  Muttermilch 
eingesogen  hatte. ^'^)  Leicht  und  schön  fliesst  ihm  die  Rede,  voll  Kraft,  wenn 
er  mit  scharfem  Pfeil  den  Gegner  verfolgt,  voll  Anmut  und  Grazie,  wenn 
er  ein  Bild  beschreibt  oder  eine  seiner  burlesken  Figuren  vorführt.    Dabei 


Bei].  Diss.  1887  nimmt  für  Lukian  nnd 
Apuleius  eine  gemeinsame  Quelle  an. 

1)  Vgl.  §  473. 

'')  Ath.  506c  und  Diog.  KI,  62;  veigl. 
§  289.   ,. 

^)  Über  die  Abfassungszeit  s.  Krum- 
bacher, Byz.  Lit. 

^)  C.  Fr.  Ranke,  Lucian  u.  Pollux,  S. 
16  ff.;  Westermann,  Paradox,  p.  XXXIX; 
Bergk,  Lukian  u.  Phlegon.  Z.  f.  A.  1849 
N.  23;  Bertolotto,  Rivista  XIV,  282—92. 
Übereinstimmt  Ps.  Lukian  c.  10  und  Phlegon 
p.  90,  3  f.  ed.  Kell.  Als  Quelle  citiert  Ps. 
Lukian  c.  22  den  Äpollodor;  dass  dieses 
nicht  ganz  zutrifft,  beweist  Rohue,  Rh.  M. 
36,  541  f. 

•''')  Grauert,    Histor.-philol.   Anal.  289  f. 

^)  Blümner,  Archäol.  Stud.  zu  Lucian 
S.  53  ff. 

^)  In  den  "E()t»jrf (,-.  einem  unflätigen  Mach- 
werk, ist  wie  in  Jtjfjooxf^t'yovg  syx.,  JlaxQi^og 
iyx.,  XccQi&tjfjog  der  Hiatus  abweichend  vom 
sonstigen  Gebrauch  des  Lucian  mit  pein- 
llicher  Sorgfalt  vennicMlen;  s.  Rohdkn,  J)(' 
Itnundi  mhacnlis,  Bonn  1875  p.  37. 


^)  Der  Demonax  ermangelt  jedenfalls 
der  letzten  Hand ;  Ummodelung  durch  christ- 
liche Hand  sucht  zu  erweisen  Schwarz,  Über 
Lukians  Demonax,  Ztschr.  f.  östr.  Gymn. 
1878  S.  501  ff.;  siehe  dagegen  Ziegeler, 
Jahrb.  f.  Phil.  1881  S.  327  ff'. 

'•*)  CoTERiLL,  Peregrinus  Proteus,  Edin- 
burg  1879;  dagegen  Wichmann,  Ztschr.  f. 
Gymn.  1880  S.  227  fi^. 

*")  Am  weitesten  ist  gegangen  Imm.  Bek- 
KER  in  seiner  Ausg.,  indem  er  28  Schriften 
als  unecht  ausschied.  Einen  konservativen 
Standpunkt  vertritt  Fr.  Fritzsciie  in  seiner 
Ausg.  III,  2  p.  LXV-LXXXl. 

")  KocK,  Lucian  u.  d.  Komödie,  Hh.  M. 
43,  29  ff",  weist  in  vielen  Gesprächen  Sce- 
nerion  u.  Verse  der  Komödie,  namentlich  der 
neueren,  nach. 

'-)  Du  Mesnil,  (ir((nini((iic<i  qnum  Jai- 
cianus  in  scriptis  suis  sccutiis  est  ratio  cum 
antiquorum  Atticorum.  ratione  comparatur, 
Stolpe  1867;  W.  Schmid,  Attikismus  1, 
221  ff. ;  Heller,  Absichtssätze  bei  Lukian 
Brrl.   18S0. 


622 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


versteht  er  es,  den  Stil  in  wundervoller  Weise  durch  eine  Fülle  sprich- 
wörtlicher Wendungen  und  ausgewählter  Reminiszenzen  aus  den  Dichtern 
und  den  besten  Rednern  zu  beleben.  Ein  besonderer  Reiz  der  Lektüre  des 
Lukian  besteht  daher  für  den  gebildeten  Leser  darin,  dass  er  überall  an 
Stellen  und  Scenen  seiner  Lieblinge,  bald  an  Demosthenes  Reden,  bald  an 
Aristophanes'  Komödien,  bald  an  Homer,  Pindar  und  Piaton  erinnert  wird,^) 
und  das  nicht  in  aufdringlicher  Weise,  sondern  so,  dass  er  sich  freut,  wenn 
er  die  Beziehungen  merkt,  aber  auch  nicht  im  Genüsse  gestört  wird,  wenn 
ihn  seine  Gelehrsamkeit  im  Stiche  lässt.^)  Mit  ausgebreiteter  Litteratur- 
kenntnis  verband  sodann  unser  Autor  ein  treffliches  Urteil  in  Kunstsachen, 
das  ihn  befähigte  seiner  Darstellung  durch  plastische  Schilderungen  eine 
Anschaulichkeit  zu  geben,  wie  wir  sie  grösser  selbst  nicht  bei  Piaton  finden. 
Aber  mehr  als  die  Form  muss  uns  für  Lukian  der  Inhalt  seiner  Schriften 
einnehmen;  er  lebte  in  einer  Zeit,  von  der  es  mehr  wie  von  einer  anderen 
galt  difficile  est  satiram  non  scrihere;  und  Lukian  hat  mit  einem  feineren 
und  gebildeteren  Auge  als  selbst  Juvenal  die  Schwächen  seiner  Zeit,  den 
Aberglauben,  das  Parasitentum,  die  Heuchelei  der  Philosophen,  die  Ge- 
schmacklosigkeit der  Grammatiker,  erkannt  und  teils  mit  heiterem  Scherz, 
teils  mit  bitterem  Spott  gezeichnet.  Das  that  er  aber  nicht  bloss  um  das 
Lachen  seiner  Zuhörer  und  Leser  zu  erregen,  es  leitete  ihn  auch  ein 
höheres  sittliches  Ziel.^)  Die  heitere  Klarheit  und  Schönheit  des  Hellenen- 
tums,  sagt  schön  ein  treif lieber  Kenner,^)  gegen  die  Dunkelmänner  und 
Heuchler  und  Halbbarbaren  zu  schützen,  war  der  Kern  seiner  Thätigkeit. 
Der  aufgehenden  Sonne  des  Christentums  stand  er  allerdings  feindlich 
gegenüber,  aber  dieses  nur,  weil  er  den  Kern  der  neuen,  welterlösenden 
Lehre  nicht  kannte  und  deshalb  dieselbe  nur  als  eine  Art  philosophischer 
Sekte  anschaute."')  Eher  verdient  er  einen  berechtigten  Vorwurf  darüber, 
dass  er  mit  den  Gaukelgestalten  der  alten  Mythologie  und  mit  den  Wahn- 
vorstellungen der  religiösen  Geheimbünde  zugleich  die  Gottesfurcht  und  den 
Glauben  an  die  Gottheit  selbst  untergrub.  Auch  zur  Höhe  allgemeiner 
Humanität  hat  er  sich  nicht  erhoben:  Sklave  sein  genügt  ihm,  um  zu 
einer  geringeren  Menschenklasse  zu  gehören.  In  dieser  Beziehung  sind  seine 
Angriffe  gegen  die  Kyniker  übertrieben  und  selbst  ungerecht.  Noch  weniger 
hat  er,  aufgezogen  in  der  Leichtfertigkeit  griechischen  Hetärenlebens,  die 
veredelnde  Wirkung  eines  gesitteten  Familienlebens  an  sich  erfahren  oder 
die  Notwendigkeit  strenger,  auch  auf  das  Geschlechtsleben  gerichteter 
Sittenordnung  erkannt.  Oft  erhält  man  den  Eindruck,  als  habe  Lukian 
gemeint,    die  Negation  des  Verkehrten  genüge,   um   die   geistigen   und  ge- 


^)  ScHWiDOP,  Observationes  Lucianeae, 
5  Königsberger  Progr.  1848 — 70;  E.  Zie- 
GELEK,  De  Luciano  poetarum  iudice  et  Imi- 
tator e.^  Gott.  1872.  Bkambs,  Citate  und  Re- 
miniszenzen bei  Lucian,  Eichstätt  1888. 

2)  Auch  an  Horaz  u.  Juvenal  finden  sich 
viele  Anklänge;  A.  Heinrich,  Lukian  u,  Ho- 
raz, Wien  1885,  will  direkte  Kenntnis  des 
Horaz  nachweisen.  Eine  Stelle  in  Haig  der 
laTOQLCiv  avyyQ.  60:  bv  jueao)  Ser&og,  sc.  6 
fÄvS^og,  roTg  oncog  «V  id^iXoiaiv  stxdaovai  tisqI 
((x'Tov  stimmt  auffällig  zu  Tacitus  Germania 


3,  klingt  aber   auch  an  Herodot  H,  123  an. 

^)  Nicht  gerecht  ist  der  Ausspruch  von 
LuzAC,  Lect.  Att.  186:  Samosatensis  seit  ioci 
seu  calumniae  nullius  famam  minuent. 

^)  Rohde,  Über  Lucians  Onos  S.  31. 

^)  Wegen  des  Peregrinus  ward  dem  Lu- 
kian im  vorigen  Jahrhundert  die  Aufmerk- 
samkeit zuteil,  auf  den  Index  lihrorum  x>ro- 
hihitorum  gesetzt  zu  werden.  Über  die  ver- 
schiedenen Ansichten  von  Lukians  Stellung 
zum  Christentum  siehe  Jacob,  Charakteristik 
Lukians  S.  155  ff. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.     3.  Die  Prosa,    i)  Die  Rhetorik.  (§491.)     623 

mütlichen  Bedürfnisse  der  Menschen  zu  befriedigen.^)  Aber  trotz  alledem 
hat  mit  Recht  der  feine  und  geistreiche  Spötter  von  Samosata  viele  Leser 
im  Altertum  und  bewundernde  Verehrer  in  der  neueren  Zeit  unter  den 
Philologen,  Dichtern  und  Künstlern  gefunden. 

Codices:  Einen  kritischen  Apparat  haben  die  Ausgaben  von  Jacobitz  und  Fritzsche, 
aber  ein  einfaches  Stemma  der  Handschriften  ist  noch  nicht  hergestellt;  jedenfalls  gehen 
dieselben  auf  2  Stämme  zurück.  Hervor  ragen:  Vindob.  123  (B)  s.  X  mit  Scholien,  Har- 
leianus  (E);  Vatic,  87  und  90;  vgl.  Rohde,  Über  Lukians  Onos  S.  43  ff.  u.  Phil.  Anz.  1872 
8.  489  f.;  Fritzsche  in  Ausg.  III,  1  p.  XVII;  Maass,  Mel.  Graux.  p.  759  ff.  Von  Scholien 
werden  unterschieden  Scholia  Galei  (aus  cod.  Paris.  2955)  und  Scholia  Vossiana,  gesammelt 
im  4.  Band  der  Ausgabe  von  Jacobitz;  neue  Notizen  aus  Florentiner  Handschr.  von  Vitelli, 
Spicil.  Florent,  p.  15  ff.,  aus  römischen  von  Rohde,  Rh.  M.  25,  548  ff.  —  Syrische  Über- 
setzung von  Lucian  ne^l  rov  fxrj  Qadiojg  niarsveip  publiziert  von  Sachau,  Inedita  Syriaca, 
Wien  1870. 

Ausgaben:  cum  versione  latina  et  notis  variorum  cur.  Hemsterhusius  et  Reitzius, 
1730 — 45;  annot.  Lehmann,  Berl.  1822 — 9,  9  Bde.;  rec,  Jacobitz,  Lips.  1880-41;  rec  Fr. 
Fritzsche  1882 — 5,  unvollendet;  Textesausg.  von  Jacobitz  in  Bibl.  Teubn.;  von  Sommer- 
BRODT  bei  Weidmann,  im  Erscheinen.  —  Ausgewählte  Schriften  mit  deutschen  x\nm.  von 
Jacobitz  bei  Teubner;  von  Sommerbrodt  bei  Weidmann.  Klassische  Übersetzung  mit 
Anm.  und  Erläut.  von  Wieland,  Leipz.  1788 — 99.  -  -  R,  Förster,  Lucian  in  der  Renais- 
sance, Rektoratsrede  Kiel  188G. 

i.  Die  Rhetorik.  2) 

491.  Mit  der  Pflege  der  Beredsamkeit  und  Sophistik  ging  Hand  in 
Hand  die  Ausbildung  der  Rhetorik  und  Stillebre.  Die  Anfänge  der  Rhetorik 
gehen  auf  die  klassische  Zeit  zurück;^)  die  grossen  Redner  Lysias,  Iso- 
krates  und  Isaios  gaben  zugleich  Unterricht  in  der  Redekunst,  und  noch 
der  klassischen  Periode  gehören  die  zwei  ältesten  Lehrbücher  der  Rhetorik 
an,  das  aus  der  lebendigen  Praxis  der  Redner  hervorgegangene  des  Ana- 
ximenes  und  das  von  philosophischem  Geist  durchdrungene  des  Aristo- 
teles. Einer  der  grossen  Redner  des  freien  Griechenlands,  Aischines,  ver- 
pflanzte die  rhetorische  Kunst  von  Attika  nach  Rhodos,  wo  sich  der  durch 
überströmende  Fülle  charakterisierte  asianische  Stil  der  Beredsamkeit  aus- 
bildete, als  dessen  eigentlicher  Begründer  Hegesias  aus  Magnesia  (um 
280  V.  Chr.)^)  genannt  wird.     Zu  Alexandria  fanden  in  der  Hofatmosphäre 

11  die  rhetorischen  Studien,  welche  von  ihrem  Ursprung  her  einen  republi- 
kanischen Beigeschmack  hatten,  wenig  Anklang;  auch  war  dort  die  ganze 
Richtung  der  gelehrten  Einzelforschung  der  Pflege  der  Beredsamkeit  un- 
günstig. Gegen  Ende  der  alexandrinischen  Periode  hat  in  Pergamon  und 
Kleinasien  die  Theorie  des  Stils  und  der  Rede  neue  Nahrung  erhalten,  so 
dass  sich  ähnlich  wie  in  der  Philosophie  und  Medizin,  so  auch  in  der  Rhe- 

1  torik  förmliche  Schulen  und  Sekten  (algkatiQ)  bildeten.  Die  Häupter  dieser 
Deklamatorenschulen,  Hermagoras  aus  Temnos,"')  Apollodoros  aus  Per- 


^)  J.  Bernays,  Lukian  und  die  Kyniker 
;  i  S.  42. 

^)  Sammelausgaben:  Hhetores  (jrueci, 
apud  Aldum  1508,  2  vol.;  bedeutend  ver- 
mehrt von  Walz.  Stuttg.  1832— G,  9  Bde.; 
eine  Auswahl  von  L.  Spengel  in  Bibl.  Teubn. 
185(5,  3  Bände.  --  Krläuterungsschrif'ten: 
Westkrmann,  Gesch.  d.  Beredsanik.,  T^eipz. 
1S33,  2  Bde.;    Volkmann,  Die  Rhetorik  der 


Alten,  akad.  Vortrag,  München  1842. 

■')  Über  die  Anfänge  und  den  Fortgang 
der  Rhetorik  steht  die  klassische  Stelle  bei 
Quintil.  in,  ],  8—18. 

•*)  Westermann,  Gesch.  d.  Ber.  I,  8ff. ; 
Rohde,  Rh.  M.  41,  172  tF. 

•')  Suidas  erwähnt  von  dem  Rhetor  Her- 
magoras rexi'cd  (yijxoQixtd  in  G  B.  (vgl.  Strabo 
p.  G21)  und  ausserdem  tisqI  icfQyaaiag,  7ie()i 


Griechen  u.  Römer,  2.  Aufl.  1885;  L.  Spen-    |    iiQhnoi'Tog.    -n&Ql    (foüneoK.    7IF()i    (t/i^uükdi' 
i-iKL,  Über  das  Studium  der  Rhetorik  bei  den    \    Derselbe  nmss  von  llernuigorais,  dem  Zuhörer 


624 


Griechischo  Litteraturgescliichie.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


gamon^)  und  Theodor os  aus  Gadara^)  kennen  wir  fast  nur  aus  den  An- 
führungen der  Lateiner, 3)  welche  wie  in  der  Kunst  der  Rede,  so  auch  in 
der  Theorie  rasch  die  Griechen  überflügelten.  Zuvor  schon  hatten  sich  die 
Philosophen,  nachdem  ihnen  Aristoteles  vorangegangen  war,  auch  mit  der 
Theorie  der  Rede  abgegeben,  so  dass  uns  nicht  bloss  von  Theophrast,  son- 
dern auch  von  Kleanthes,  Chrysippos*)  und  Epikur  Schriften  über  Rhetorik 
genannt  werden.  Aber  das  unter  dem  Namen  des  Demetrios  uns  erhaltene 
Buch  ti8qI  sQixrjVsiag  [de  elociiüone)  rührt  nicht  von  dem  berühmten  Peri- 
patetiker  Demetrios  aus  Phaleron  her,^)  und  die  Fragmente  der  Rhetorik  des 
Epikureers  Philodemos  sind  ohne  Bedeutung. 

492.  Im  Beginne  der  römischen  Kaiserzeit  wurden  die  rhetorischen 
Studien  von  neuem  belebt  und  in  die  Bahnen  ästhetischer  Kritik  geleitet 
durch  Dionysios  von  Halikarnass  und  Cäcilius  von  Kaiakte  in  Sikilien. 
Über  die  Schriften  und  die  Stellung  dieser  beiden  Männer  haben  wir  bereits 
oben  S.  539  ff.  in  anderem  Zusammenhang  gehandelt.  Die  Richtung  ihrer 
Studien  erhielt  in  der  nächstfolgenden  Zeit  eine  Ablenkung  auf  die  attische 
Lexikographie,  doch  so,  dass  daneben  auch  das  Gebiet  der  eigentlichen 
Theorie  unter  besonderer  Betonung  des  Stils  und  der  epideiktischen  Rede- 
gattung fleissig  kultiviert  ward.  Geleistet  aber  haben  die  rhetorischen 
Lehrmeister  der  Griechen,  eines  wie  grossen  Ansehens  sich  auch  einzelne 
von  ihnen  bei  ihren  Zeitgenossen  erfreuten,  nichts  grosses  und  nichts,  was 
sich  mit  den  Institutiones  oratoriae  des  Quintilian  messen  könnte.  Auf 
uns  gekommen  sind  teils  Bücher  über  die  Tt'x^t]  QijTOQixrj  im  allgemeinen, 
teils  solche  über  einzelne  Teile  derselben  (rcQOYVfiväcTjiiaTa,  ax^i^aara,  iStai 
Xoyov). 

493.  Die  Figurenlehre.  Das  bedeutendste  Werk  über  Figuren 
{(Sx^iiicc^cc)  war  das  des  jüngeren  Gorgias  in  4  B.,  welches  selbst  verloren 
gegangen  ist,  aber  seinem  Hauptinhalt  nach  uns  in  der  Figurenlehre  des 
Rutilius  Lupus  vorliegt.^)  Die  Zeit  des  Gorgias  bestimmt  sich  dadurch, 
dass  er  Lehrer  von  Ciceros  Sohn  war.  Der  auch  in  der  Überarbeitung  des 
Rutilius  hervortretende  Hauptvorzug  seines  Werkes  bestand  in  der  grossen 
Auswahl    trefflicher    Beispiele    aus    älteren    Rednern,    welche    bekanntlich 


des  Theodoros,  den  Quintilian  III  1,  18  noch 
sah,  verschieden  gewesen  sein.  Die  Zeit 
unseres  Hermagoras  bestimmt  sich  dadurch, 
dass  ihn  bereits  Cicero  Brut.  76,  263  u.  78, 
271  und  Cornificius  I,  2,  3  anführen  und 
dass  Poseidonios  nach  Plut.  Pomp,  42  gegen 
ihn  im  Jahre  62  vor  Pompeius  einen  Vor- 
trag hielt.  Danach  blühte  er  in  der  1.  Hälfte 
des  1 .  Jahrhunderts  v.  Chr.  Vgl.  Volkmann, 
Rhet.  S.  11  Anm.  Harnecker,  Jhrb.  f.  Phil. 
1885  S.  69  ff.  will  den  Rhetor  mit  dem 
stoischen  Philosophen  Hermagoras,  einem 
Schüler  des  Persaios,  identifizieren. 

1)  Hieronymus  setzt  ihn  Ol.  179,  1  =  63 
v.  Chr.;  Augustus  hörte  ihn  nach  Quintil. 
III,  1.  17  zu  Apollonia;  über  seine  Schule 
(AnolXo^ojQSioq  ((YQsaig)  s.  Strab.  p.  625. 
Über  die  Lehre  derselben  im  Gegensatz  zu 
der  des  Theodor  s.  Schanz,  Die  Apollodoreer 


und  die  Theodoreer,  Herm.  25  (1890)  36-54. 

'")  Über  Theodoros  ausser  Quint.  III,  1. 
17  ein  ausführlicher  Artikel  des  Suidas;  er 
war  Lehrer  des  Kaisers  Tiberius,  beschränkte 
sich  aber  nicht  auf  die  Theorie  der  Rhetorik, 
sondern  schrieb  auch  tisqI  iatoqiag.  tisqI  no- 
hreiag,  ttsql  xoiXt^g  IvQiag. 

^)  Ausser  den  Lateinern,  Cicero,  Quin- 
tilian, Seneca,  erwähnt  sie  auch  wiederholt 
der  Anonymus  tisqI  ^i]ioQiy.rjg  in  Rh.  gr.  I, 
425ff.  Sp. 

^)  Chrysippos  wird  neben  Aristoteles 
noch  berücksichtigt  von  dem  gelehrten  Anon. 
in  Spengels  Rh.  gr.  I,  454.  4. 

^)  Vgl.  §  383. 

6)  Quint.  IX,  2.  102:  Rutilius  Gorf/iam 
secutus,  non  illum  Leontinum,  seil  aliuvi 
sui  temporis,  cuius  quattuor  lihros  in  mniM 
(usum  coni.  Ahrens)  siiiim  iranstnlit. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,  i)  Die  Rhetorik.  (§492-494.)     625 

Ruhnkens  berühmte  Untersuchungen  über  die  Geschichte  der  griechischen 
Redner  hervorgerufen  haben. 

Massgebend  für  die  Folgezeit  wurde  der  Rhetor  Alexandros  Nu- 
meniu,  der  unter  Hadrian  ausser  einer  allgemeinen  Rhetorik  i)  ein  spezielles 
Buch  ntQi  TMV  Tjjg  Siavoiag  xal  Trjg  Xt'^swg  a%r^}xar(jov  schrieb,  das  aber  nur 
im  Auszug  auf  uns  gekommen  ist,  wie  die  lateinische  Bearbeitung  des 
Originals  durch  den  Rhetor  Aquila  erkennen  lässt.''^)  Auf  seinen  Schultern 
stehen  die  späteren  Bearbeiter  der  Figurenlehre:  Tiberios  neql  tmv  nagd 
Jriixoadtvsi  (fx^iiiiäTcov ,  der  nach  Apsines  lebte  und  vieles  ausCäcilius  herüber- 
genommen hat;^)  Phoibammon  ttsqI  cr/ry/i«rwi^  QrjTOQixcov,  der  jedenfalls  nach 
Athenaios,  den  er  p.  44,  11  Sp.  citiert,  geschrieben  hat,  und  wahrscheinlich 
Zeitgenosse  desSynesios  (ep.  143)  war;  Herodianos  TrsQlfrxrj^circov,  der,  ver- 
schieden von  dem  berühmten  Grammatiker  gleichen  Namens,  zwar  manche 
Notizen  ausgewählter  Gelehrsamkeit  aus  seinen  Vorlagen  gibt,  aber  doch  schon 
nach  Art  der  Späteren  sich  wesentlich  auf  die  vulgären  Beispiele  aus  Homer 
beschränkt,  endlich  Fol  ybios  aus  Sardes,'*)  Zonaios^)  und  mehrere  Anonymi. 

In  dem  verwandten  Gebiet  der  Tropenlehre  ist  das  bedeutendste  Buch 
das  des  Tryphon  ttsqI  tqottcov,  das  die  Grundlage  der  späteren  Kompila- 
tionen bildete.^)  Aber  dasselbe  ist  doch  immer  noch  zu  ungelehrt  und 
sprachlich  fehlerhaft,  als  dass  es  von  dem  gelehrten  alexandrinischen  Gram- 
matiker Tryphon  herrühren  könnte.  Da  aber  Suidas  unter  des  letzteren 
Schriften  auch  ein  Buch  ttsqI  tqottcoi'  erwähnt,  so  ist  möglicherweise  das 
uns  erhaltene  Büchlein  ein  Auszug  aus  demselben. 

494.  Die  Progymnasmata.  Eine  beliebte  Schulübung  jener  Zeit, 
die  sich  bis  in  das  Mittelalter  und  die  Renaissance  erhielt,  bestand  in  den 
sogenannten  Progymnasmaten.  Man  verstand  unter  denselben  Anfangs- 
übungen im  Ausarbeiten  von  Fabeln  [^vO^oi),'^)  Erzählungen  {Sn]yt'jij,aTa), 
Chrien  (xQsTai),^)  Gemeinplätzen  {totvoi  xoivoi),  Vergleichen  (avyxQicrstg),  Be- 
schreibungen (ex(f()ä(r€ig)  u.  a.  Das  bedeutendste,  was  aus  diesem  Gebiete 
auf  uns  gekommen  ist,  sind  die  leider  am  Schluss  verstümmelten  Progym- 
nasmata des  Theon  (Rhet.  gr.  II,  57 — 130  Sp.),  in  denen  die  einzelnen 
Übungen  unter  Heranziehung  auserlesener  Beispiele  der  Litteratur  mit  Ge- 
lehrsamkeit und  Geschmack  behandelt  sind,  Suidas  schreibt  dieselben  dem 
Ailios  Theon,  einem  Sophisten  aus  Alexandria,  zu,  von  dem  er  auch  Kom- 
mentare zu  Xenophon,  Isokrates  und  Demosthenes,  sowie  (njTOQixal  vnoO^f-asig 
und  ^rjTrjiiiccTa  tk^qI  avvra^swg  Xoyov  anführt.     Der  Gentilname  Ailios  führt 


')  Auf  diese  ist  öfter  von  dem  Anony- 
mus in  Spengels  Rhet.  gr.  I  p.  427,  13; 
431,  21  ff.  Bezug  genommen. 

^)  Stensloff,  Quihus  de  cansis  Äle- 
xanäri  Numeniu  liher  imtundus  sit  spuvius, 
Breslau  er  Diss.  1861. 

•')  Apsines  und  Cäcilius  sind  citiert  p. 
75,  15  u.  27  Sp. 

'')  Von  diesem  Polybios  existiert  auch 
ein  Traktat  über  Barbarismus  u.  Solökismus 
in  BoissoNADK,  Anecd.  111,  229  if.,  Nauck, 
Lex.  Vind.  283  ff. 

■'•)  Von  dem  Sophisten  Zonaios    erwähnt   '    drinischen   Komikers  Machon  s.  i^  34S 
Suidas   aucl»  Briefe,    worüber    unten.     Auch    \ 

Uauilbuch  der  klas«.  Altertuiiiswissonscliafl.  VII.     2.  Aiit'l,  40 


von  einem  Rhetor  Lesbonax  hat  Fragmente 
einer  Schrift  71£qI  ff^ij^dnoi^  Gramer,  An. 
Ox.  IV,  270  ff.  veröffentlicht. 

^)  Unter  den  späteren  Büchern  tisql 
TQoTKoi^  haben  wir  auch  eines  von  dem  be- 
kannten Grammatiker  Choiroboskos  und 
ein  anderes  von  einem  gewissen  Kokon- 
drios,  bei  Walz  VIII,  799-820  und  Spen- 
GEL  III,  230-243. 

')  Daher  die  JexafnOi«  des  Niko- 
s  trat  OS,  worüber  S.  530  An.  2. 

^)  Über  die  ältesten  Chrien  des  alexan- 


626 


Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


in  die  Zeit  des  Hadrian;  jedenfalls  lebte  Theon  nach  den  grossen  Lehr- 
meistern Herniagoras  und  Theodoros,  wie  er  selbst  p.  120,  18  bezeugt,  i) 
Unbedeutender  sind  die  Progymnasmata  des  gleich  näher  zu  behandelnden 
Rhetor  Hermogenes^)  und  seines  Nachtreters  Aphthonios,  welch  letz- 
terer die  Zahl  der  Progymnasmata  von  12  auf  14  erhöhte.  Aus  späterer 
Zeit  stammen  die  TtQoyi^ivdancxTa  des  Nikolaos  aus  Myra  in  Lykien  (um 
480)  3)  eines  Schülers  des  Proklos  und  jüngeren  Plutarch,  und  die  dirjyrjßccTa 
und  rjd^oTToiicci  des  Severus,  eines  römischen  Sophisten  aus  Alexandria,  der 
um  dieselbe  Zeit  wie  Nikolaos  in  Alexandria  thätig  war.'*) 

495.  Hermogenes  aus  Tarsos "•)  mit  dem  Beinamen  o  '^vctti'jq,  war 
ein  frühreifes  Wunderkind,  indem  er  schon  als  Jüngling  zu  solchem  An- 
sehen als  Redner  kam,  dass  der  Kaiser  M.  Aurel  ihn  des  Besuches  seiner 
Vorlesungen  würdigte.^)  Aber  zum  Manne  herangewachsen,  ging  er  früh- 
zeitig geistig  zurück,')  so  dass  der  Sophist  Antiochos  spottend  von  ihm 
sagte:  ovrog  '^EQßoytvrjg  6  iv  naial  ^tv  ysQMV,  ev  St  yi^qäaxovai  ruaig.  Gleich- 
wohl stand  er  bei  den  nachfolgenden  Geschlechtern  mit  seinen  in  frühen 
Jahren  geschriebenen  Büchern  in  solchem  Ansehen,  dass  er  bei  den  Byzan- 
tinern der  Techniker  schlechthin  hiess,  wie  Homer  der  Dichter  und  Demo- 
sthenes  der  Redner.  Aber  dieses  Ansehen  verdankte  er  nur  der  Beschränkt- 
heit seiner  Verehrer;  thatsächlich  war  er  ein  mittelmässiger  Kopf,  der  nur 
die  Kunst  besass,  für  Leute,  welche  ohne  grosse  Anstrengung  die  Haupt- 
sätze der  Rhetorik  sich  aneignen  wollten,  ein  handliches  Kompendium  zu 
schreiben.  Neue  Ideen  hat  er  in  die  Rhetorik  nicht  eingeführt;  gleichwohl 
haben  wir  von  vielen  Sätzen  der  rhetorischen  Theorie  nur  durch  ihn  Kenntnis. 
Unter  seinen  Büchern  stunden  in  der  Praxis  die  Progymnasmata  voran; 
sein  Hauptwerk  aber  ist  die  nj^rj  QijroQixrj.  Dieselbe  zerfällt  in  die  Lehre 
von  den  Rechtsfällen  {ttsqI  axäasorv,  Status  causae),  von  der  Erfindung  {ttsqI 
€VQta€(og,  inventio)  in  4  Abschnitten,  von  den  Stilarten  [neQi  ISsun')  in  2 
Abschnitten  mit  einem  Anhang  jt8qI  j^ifOoSov  SsivoTrjTog.  Am  wichtigsten 
ist  von  diesen  Teilen  der  über  die  Stilarten,  der  auch  von  praktischer 
Wichtigkeit  für  die  Gegenwart  ist,  da  eine  solche  Schulung  in  den  ver- 
schiedenen  Arten    des   Stils    unsere   Schulpraxis    noch    nicht   kennt. ^)     Die 


Lehrsätze   des   Hermogenes    haben    in    der   Folgezeit   kanonisches  Ansehen 


erhalten,    so   dass   dieselben,    namentlich  die   über  die  aräaeig,    massenhaf 
abgeschrieben  und  fleissigst  kommentiert  wurden. 


I 


^)  Verschieden  ist  nach  Suidas  der  Pro- 
gymnastiker  Theon  von  dem  Stoiker  Theon 
unter  Augustus,  der  auch  re/i^ca  ^t]TOQixai 
in  3  B.  schrieb  und  auf  den  sich  Quintil. 
III,  6.  48  u.  IX,  3.  77  bezieht.  Beide  hält 
für  identisch  Hoppichler,  De  Theone  Her- 
mogene  Aphthonioque  progyinnnsmaium 
scriptorihus,  Würzburg  1884.  —  Über  Aph- 
thonios s.  P.  Schäfer,  De  Aphthonio  so- 
p)hista,  Bresl,  1854. 

^)  Dieselben  sind  unter  dem  Titel  Prac- 
exercitamenta  von  Priscian  ins  Lateinische 
übersetzt. 

^)  Suidas  u.  A'txoP.«oc,  wo  von  ihm  auch  fis- 
'Adxca  ^tjioQixcä  angeführt  sind.  Gedruckt  sind 


die  Progymnasmata  bei  Walz   I,  266  -  420. 

^)  Suidas  u.  leßrjQog.  Vgl.  Damaskios 
bei  Photios  Bibl.  p.  343b,  6  und  Walz  I,  356. 

^)  Philostratos  vit.  soph.  II,  7;  aus  ihm 
schöpfte  Suidas.  Ein  älterer  Hermogenes 
hatte  über  Phrygien  geschrieben,  worüber 
Müller  FHG.  III,  523.  _■ 

«)  Cassius  Dion  LXXI,  1.  4.  * 

")  Suidas  übertreibt,  wenn  er  ihn  schon 
um  das  24.  Jahr  den  Verstand  verlieren  lässt. 
Philostratos,  seine  einzige  Quelle,  sagt  nur: 
ig  ös  iir&Qag  ijxMi/  acfrjQex^i]  rrjv  s'Hi'. 

^)  Über  die  verwandte  Schrift   des  Ari- 
stides  tisqI  nohziy.ov    xcd    (icpslovg   Xoyov  s.j 
S.  598  An.  2. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   i)  Die  Rhetorik.  (§  495    497.)     G27 


Zu  den  älteren  Kommentatoren,  die  uns  erhalten  sind,^  gehören:  Sy- 
rianos,  der  bekannte  Neuplatoniker  des  5.  Jahrhunderts,  Sopatros  der 
Jüngere,"^)  welcher  Lehrer  der  Beredsamkeit  in  Athen  war"^)  und  auch  eine 
selbständige  rhetorische  Schrift,  Siaiqsaig  ^rjTi^^aäzMVf^)  hinterlassen  hat, 
Markellinos,  der  wahrscheinlich  mit  dem  Verfasser  des  Lebens  des  Thu- 
kydides  identisch  ist  und  derselben  Zeit  wie  Sopater  oder  einer  etwas 
älteren  angehört,  Troilos  (um  400),  Lehrer  des  Kirchenhistorikers  So- 
krates,  von  dem  Walz  VI,  42 — 55  dürftige  Prolegomena  zur  Rhetorik  des 
Hermogenes  mitteilt.  Weitläufige  Kommentare  lieferte  dann  das  byzanti- 
nische Mittelalter;  handschriftlich  sind  von  demselben  erhalten  und  unver- 
dienter Weise  jetzt  auch  grösstenteils  durch  den  Druck  veröffentlicht:  die 
Schollen  des  Planudes  (um  1330),  des  Joannes  Doxopatres  aus  Sikilien 
(IL  Jahrb.), ^)  des  Gregorios  von  Korinth  (um  1150),^)  des  Georgios 
Diairetes  u.  a.  Auch  metrische  Erläuterungen  in  politischen  Versen 
schrieben  Tzetzes  und  Psellos,  publiziert  von  Walz  III,  670 — 703. 

4:96.  Noch  vor  Hermogenes  fällt  der  anonyme  Verfasser  der  Texri] 
Tov  nohrixov  Xöyov  (Rhet.  gr.  I,  427 — 460  Sp.),  welche  unter  den  rheto- 
rischen Schriften  der  Kaiserzeit  eine  hervorragende  Stelle  dadurch  einnimmt, 
dass  sie  auf  die  abweichenden  Definitionen  und  Lehrsätze  der  Vorgänger 
Rücksicht  nimmt.  Als  solche  erscheinen  ausser  Aristoteles  und  den  An- 
hängern des  Apollodor  vorzüglich  Theodoros,  Alexandres  Numeniu,  Zenon,') 
Neokles  und  Ilarpokration.  Es  dürfte  demnach  unser  Anonymus  kurz  vor 
Hermogenes  unter  Antoninus  Pius  geschrieben  haben. 

497.  Von  den  Technographen  nach  Hermogenes  ist  uns  näher  bekannt 
Apsines^)  aus  Gadara,  der  in  Athen  lehrte  und  unter  Kaiser  Maximinus 
(235  —  8)  die  Würde  eines  Konsul  bekleidete.  Derselbe  war  Freund  des 
mittleren  Philostratos  und  hinterliess  eine  rtxvri  qtjtoqixtj  (Rhet.  gr.  I,  329 
bis  424  Sp.),  die  kein  ausgebildetes  Lehrgebäude  der  Rhetorik  ist,  sondern 
nur  in  abgerissener  Form  einige  Punkte  der  gangbaren  Lehrbücher  ergänzt. 
Der  zweite  Teil  derselben  hat  den  speziellen  Titel  ttsqI  xiav  saxrjiiaTia^uvmv 


^)  Ein  älterer,  nicht  erhaltener  Kom- 
mentator war  Metrophanes  aus  Eukarpia 
in  Phrygien;  s.  Walz  IV,  294  und  Suidas 
u.   Mf]TQO(p(iyi]g. 

'■^j  Suidas  unterscheidet  den  Sophisten 
Sopatros.  der  bei  ihm  ^Anafxevg  rj  fxaXXor 
'jXe^ccpdQsiig  heisst,  von  dem  gleichnamigen 
Philosophen  aus  Apamea,  dem  Schüler  des 
lamblichos,  den  Kaiser  Konstantin  hinrichten 
liess, 

^)  So  sagt  er  selbst  bei  Walz  VIII,  55. 
5;  vermutlich  lebte  er  nach  Syrian  um  500; 
einige  schrieben  ihm  nach  Suidas  auch  die 
^xXoyrj  laroQUüv  zu,  von  der  uns  Photios  den 
Inhalt  angibt;  über  seine  Kommentare  zu 
Aristides  haben  wir  bereits  oben  S.  601  ge- 
sprochen, 

^)  Gedruckt  in  Walz,  Rhet.  gr.  t.  VIII. 

••)  In  den  Anfang  dos  11.  Jahrhunderts 
Hctzt  ihn  BuRSiAN,  Abh.  d.  b.  Ak.  XVI,  13, 
während  Walz  VI  p.  XI  unrichtig  bis  ins 
13.    Jahrhundert   hcrabgegangen    war.      Ex- 


zerpte des  Kommentars  zu  Hermogenes  nsQt 
evQtOEwg  gibt  Cramee,  An.  Ox.  IV,  155—09; 
seine  Scholien  zu  Aphthonios  stehen  bei  Walz 
t.  II.  Veröffentlicht  ist  der  Kommentar  zu 
Herm.  neqi  zioy  evQsasiüi^  von  Gramer,  An. 
Ox.  IV,  155—169,  die  Proleg.  zu  Hermog. 
von  Walz  VI,  1 — 32,  Von  einem  Kommen- 
tar zu  Hermogenes  tisqI  oruoeo)y  in  einem 
God.  Vind.  130  gibt  Notiz  R.  Förster,  Mel. 
Graux  p.  630, 

^)  Die  Mediceische  Handschrift  des  Gre- 
gor Corinthius  hat  Scholien,  aus  denen  inter- 
essante Inhaltsangaben  des  euripidcisclien 
Bellerophon  Welckek,  Gr,  Tr,  p.  777  f.  ans 
Licht  gezogen  hat. 

^)  YAn  Zenon  lebte  unter  den  Antoninen 
nach  Philostr.  vit.  soph.  II,  24. 

^)  Suidas  erwähnt  zwei  Sophisten  !\p- 
sines:  einen  ältoien  aus  Gadara.  und  einen 
jüngeren  aus  Athen;  Hammer,  De  Aj)shie 
rhetore,  Günzburg  Progr,  1870. 


40  = 


G28 


Griechische  Litteraturgeschichte.    IL  Nachklassische  Litteratur. 


TtQoßhjfjKXTcov,  welche  Art  von  Reden  seit  Dionysios  (s.  S.  540)  einen  Haupt- 
teil der  rhetorischen  Übungen  ausmachte. 

Minukianos,  der  unter  Gallien  (260  —  8)  lebte  und  nach  Suidas  eine 
T&'X^')j  Qi]TOQixr/  und  TTQoyvf.iväa{-iaTa  schrieb,  hat  ein  kleines  Bruchstück 
n€Qi  €7TixsiQi]fiäTcov,  vou  dcu  Beweisen,  hinterlassen,  das  nach  der  Über- 
schrift von  andern  seinem  Vater  Nikagoras  zugeschrieben  wurde. 

Ruf  US  aus  unbestimmter  Zeit  ist  Verfasser  des  kurzen  und  unbedeu- 
tenden Abrisses  der  Ti'xrt]  ^rjZOQtxi]  bei  Spengel  I,  463—9. 

498.  Menandros  aus  Laodikea  am  Lykos,  welcher  in  der  Zeit  nach 
Hermogenes  und  Minukianos  gelebt  haben  muss,  da  er  zu  diesen  nach  dem 
Zeugnis  des  Suidas  Kommentare  schrieb,  ist  uns  als  Verfasser  von  Schollen 
zu  Demosthenes  und  zu  dem  Panathenaikos  des  Aristides  bekannt  und 
wird  in  den  Handschriften  als  Autor  zweier  Traktate  über  Festreden  [tt^qI 
emSsixTixcov  Rhet.  gr.  HI,  329—466  Sp.)  genannt.  Von  diesen  ist  der 
erste  am  Schluss  und  der  zweite  am  Anfang  verstümmelt.  Beide  sind  in 
der  gleichen  Atmosphäre  der  mittleren  Sophistik,  etwa  um  270,^)  entstanden, 
können  aber  nicht  als  Teile  eines  Werkes  und  schwerlich  auch  nur  als 
Schriften  eines  Autors  gelten.-)  Da  der  erste  Traktat,  mit  dem  genauen 
Titel  SicciQeaig  rcov  sTiidsixTixMv,  im  cod.  Paris.  1741  die  Überschrift  trägt 
MsvävÖQov  QYjTOQog  rsvs^h'wv  {rj  Fsvs^h'ov  var.  lect.  der  gleichen  Hand), 
so  möchte  man  diesen  dem  Genethlios  aus  Petra  in  Palästina,  einem 
Schüler  des  Minukianos,  =^)  zuschreiben.  Bursian,  der  mit  reicheren  Hilfs- 
mitteln die  beiden  Schriften  neu  herausgegeben  und  die  litterarische  Kontro- 
verse geklärt  hat,  schreibt  umgekehrt  die  erste  Abhandlung  unserem  Me- 
nander  und  die  zweite  einem  anonymen,  aus  der  Troas  stammenden  Rhetor 
zu,  weil  in  der  letzteren  wiederholt  9  das  troische  Alexandria  als  Heimat 
des  Verfassers  bezeichnet  ist. 

499.  Longinos,  mit  dem  Gentilnamen  Cassius  und  dem  Ehrennamen 
Philologos,^)  war  einer  der  angesehensten  Rhetoren  des  3.  Jahrhunderts 
und  wird  von  Eunapios,  vit.  soph.  p.  456  a  2,  eine  ßißho^rjxrj  sfiipvxog  xcd 
TTSQiTiaTovv  jiiovcreiov  genannt.  Derselbe  hat  sich  als  Rhetor  wie  als  Phi- 
losoph einen  Namen  gemacht '^)  und  zählte  sogar  einen  namhaften  Philo- 
sophen, denNeuplatoniker  Porphyrios,  zu  seinen  Schülern.'')  Erlehrte  zu  Athen, 
ward  aber  in  die  politischen  Wirren  des  römischen  Kaiserreichs  gezogen  und 


^)  Bursian,  Der  Rhetor  Menandros  und 
seine  Schriften,  in  Abhdl.  d.  b.  Ak.  t.  XVI 
(1882)  S.  17  schliesst  aus  der  Erwähnung 
der  noXeig  KagnUci  p.  358,  27  Sp.,  dass  wir 
den  Menandros  von  Laodikea  oder  den  Ver- 
fasser des  1.  Traktats  in  die  Zeit  nach  Dio- 
kletian zu  setzen  haben. 

'')  Bursian  a.  0.  18  ff. 

^)  Suidas  u.  Tsvtithog  nennt  ihn  ausser- 
dem einen  Rivalen  des  Rhelor  Kallinikos, 
der  in  dem  2.  Traktat  p.  370,  14  u.  386,  30 
citiert  wird.  Nitzsche,  Der  Rhetor  Menan- 
dros und  die  Schollen  zu  Demosthenes,  Berl. 
Progr,  1883  weist  Übereinstimmungen  mit 
dem  Grundstock  der  Demosthenesscholien 
nach. 


^)  Am    bestimmtesten   p.  437,   10;   430, 
20.  30;  440,  10;  442,  1.  20;  444,  3.  38  in  der, 
Lobrede  auf  den  Apollo  Smintheus,  aber  auch 
sonst  p.  387,  6;  426,.  12.  23;  429,  1. 

^)  RuHNKEN,  Disputatio  de  vita  et  scrip- 
tis  Loncjini,  1776,  in  Opusc.  1,488-528. 

^)  Longin  heisst  (pilooocfog  bei  Suidas, 
bei  Vopiscus,  vit.  Aurel.  30  und  in  den 
Hephä.stionscholien.  Porphyrios,  vit  Plotini 
p.  XXX  K.  erwähnt  von  ihm  2  philosophische 
Schriften  ttsqI  {'(Q/diy  und  cpiAciQ/aiog:  ausser- 
dem schrieb  er  Kommentare  zum  Timaios 
u.  Phaidon.  Als  Philosoph  hatte  er  den 
Ammonios  und  Origenes  zu  Lehrern. 

^)  Suidas  u  AoyyTvog  und  PJunapios  a.  0. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  i)  DieEhetorik.  (§  498—499.)     629 


als  Anhänger  der  Zenobia  von  Kaiser  Aurelian  hingerichtet  (273).  Suidas 
erwähnt,  wie  gewöhnlich,  nur  einen  Teil  seiner  Schriften  mit  Namen  und 
zwar  nur  solche,  die  inzwischen  verloren  gegangen  sind  {anogri^ara  ^Ofjirj^ 
Qixd,  €1  (pLX6ao(fog'Ofjir]Qog,  TTQoßXrjfiaTcc  '^O/jh'jqov  xal  Xvasig,^)  ^Attixmv  Xs^ewv 
sxSöasig  ß');  gerade  die  bedeutendste,  die  philologischen  Unterhaltungen, 
von  der  er  den  Zunamen  Philologos  erhielt,  ist,  weil  sie  in  der  alphabetisch 
geordnetenen  Vorlage  des  Lexikographen  am  Schlüsse  stund,  nicht  erwähnt. 2) 
Erhalten  sind  uns  unter  seinem  Namen,  ausser  Prolegomena  zu  dem  Metriker 
Hephästion  und  einem  Brief  in  dem  von  Porphyrios  hinterlassenen  Leben  Plo- 
tins,  das  Bruchstück  einer  Rhetorik  (Rhet.  gr.  I,  299  —  320  Sp.)  und  das  be- 
rühmte Buch  TTSQi  vipovg  oder  vom  Erhabenen.  3)  Die  Rhetorik  handelt  in  Kürze 
von  den  Mitteln  der  Rede  {a(fOQiial  Xöyov),  der  Ökonomie,  dem  sprachlichen 
Ausdruck,  dem  Vortrag,  dem  Gedächtnis,  indem  der  Verfasser,  ohne  irgend- 
wie in  die  Tiefe  zu  gehen,  einem  Schüler  ermunternde  Anweisungen  zur 
Redekunst  gibt.  Dass  Longin  diese  Anleitung,  die  in  den  Handschriften 
mitten  in  die  Rhetorik  des  Apsines  hineingeschoben  ist,  verfasst  habe,  hat 
mit  glänzendem  Scharfsinn  Ruhnken  erkannt,  indem  er  auf  die  Identität 
eines  von  den  byzantinischen  Kommentatoren  des  Hermogenes  (bei  Walz 
V,  451  u.  VI,  119)  aus  Longinos  Philologos  citierten  Satzes  mit  einer  Stelle 
unseres  Abrisses  p.  310,  10 — 12  hinwies.^)  Auf  die  Rhetorik  lässt  Spengel 
in  den  Rhet.  gr.  I  325  — 8  höchst  wertvolle  Exzerpte  €x  tmv  Aoyyivov  folgen, 
welche  zuerst  Egger  aus  einer  Florentiner  Handschrift  (Laur.  24,  58)  heraus- 
gegeben hat,  die  aber  Spengel  selbst  dem  Longin  abspricht.  Dieselben  sind 
allerdings  nicht  aus  der  Rhetorik  unseres  Autors  exzerpiert,  enthalten  aber 
vielleicht  Auszüge  aus  dessen  (I>iX6Xoyoi  dfuXim.  Ihre  Zeit  bestimmt  sich 
daraus,  dass  sie  ausser  einem  Hinweis  auf  Longin'')  ein  Urteil  über  den 
Rhetor  Aristides  enthalten. 

Weit  interessanter  ist  die  zweite  Schrift  rtsgl  vif-iovg,  in  welcher  der 
Autor  zur  Ergänzung  und  Berichtigung  einer  ähnlichen  Abhandlung  des 
berühmten  Rhetors  Cäcilius^)  zuerst  das  Wesen  des  Erhabenen  feststellt 
und  dann  in  kenntnisreicher  Weise  die  Quellen  oder  Mittel  des  erhabenen 
Stils  nachweist.  Das  Hauptinteresse  aber  erregten  gleich  bei  dem  ersten 
Bekanntwerden  des  Buches  die  vielen  Citate  aus  klassischen  Autoren,  ins- 
besondere die  Einlage  eines  Gedichtes  der  Sappho  (c.  10).  Aber  auch  ab- 
gesehen davon  ist  die  Schrift  ein  wertvolles  Denkmal  der  von  den  Alten 
geübten  ästhetischen  Kritik  {xqiaig  Troirj^aaTcov),  welche  dieselben  als  einen 
Teil  der  Grammatik  und  zwar  als  den  vorzüglichsten  derselben  ansahen. 
Dieselbe  ist  vom  Verfasser  mit  ebenso  grosser  Feinheit  des  Urteils  als 
umfassender  Gelehrsamkeit  geübt:  er  zieht  Dichter  wie  Prosaiker,  Schrift- 


^)  Man  erkennt  daraus  den  Lehrer  des 
Porphyrios,  des  Verfassers  der  homerischen 
Probleme. 

'^)  Die  'PiXoAoyoi  <\ut^Ua  hatten  minde- 
stens 21  B.;  s.  Rhet.  gr.  VI,  225  u.  Vll, 
903  ed.  Walz. 

^)  Ob  die  von  Eusebios  benützten  Chro- 
nika  des  Cassius  Longinus  in  18  B.  von 
unserem  Longin  herrühren,  ist  zweifelhaft; 
s.  Müller,  FHG.  III,  088. 


4)  Näheres  bei  Walz  t.  IX  p.  XXIII  sq. 

")  p.  825,  7  Sp. :  ort  6 'J()iotoreXrig  xovg 
TJccvTci  ^ETdcpeQOvrccg  an'iyfxarcc  yQÜffeiv 
kleyev  '  d'io  Xtyovaiv  {Xtyei  emend.  Ruhnken) 
Aoyy7vog  anat^Uog  xe/Qtja&ca    xcd    rovro)  ra 

^)  Rothstein,  Cäcilius  von  Kaiakte  und 
die  Schrift  vom  Erhabenen,  Herrn.  23  (1888), 
1     20. 


630 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


steller  der  klassischen  wie  der  alexandrinischen  Zeit  heran;  unter  anderm 
gibt  er  auch  eine  geistvolle  Parallele  zwischen  Cicero  und  Demosthenes. 
Über  die  Person  und  die  Zeit  des  Verfassers  herrschte  schon  im  Altertum 
Zweifel;  das  ersieht  man  aus  der  Überschrift  Jiovvaiov  i]  yioyyirov  tc8qI 
iil^oiK.  Wahrscheinlich  lief  das  Buch  ehedem  anonym,  und  sind  beide 
Namen  geraten  und  dieses  falsch.  Auf  den  Dionysios  riet  man,  weil  man 
unberechtigter  Weise  die  Stelle  c.  39,  1  imlq  aw^taswg  sv  Svalv  anoy^QMv- 
rwg  anodeSwxÖTsq,  avvTäyiia(Si  auf  das  Buch  des  Dionysios  tvsqI  avvd^saewq 
ovoi^iccTon'  bezog.  Eher  könnte  mit  dem  2.  Namen,  Longin,  das  Richtige 
getroffen  sein:  der  ganze  Charakter  des  Buches  passt  trefflich  zu  dem  Bei- 
namen 6  xQiTiJcog,  den  man  dem  Cassius  Longinus  gab;^)  der  philosophische 
Charakter  des  1.  Kapitels  und  die  vielen  Citate  aus  Piaton  stimmen  gut  zur 
philosophischen  Richtung  unseres  Longin.  Aber  das  alles  reicht  zur  Be- 
gründung der  Vaterschaft  nicht  aus  und  vermag  nicht  die  entgegenstehen- 
den Bedenken  zu  entkräften.  Nicht  bloss  verrät  die  Sprache  und  der  fast 
triviale  Charakter  der  echten  Schriften  des  Longin  keine  Verwandtschaft 
mit  dem  vorzüglichen  Buche  vom  Erhabenen;  auch  der  Umstand,  dass  in 
dem  letzteren  die  Hauptrhetoren  der  antoninischen  Zeit,  Alexandres  Nu- 
meniu  und  Hermogenes,  vollständig  ignoriert  und  nur  Schriftsteller  aus  der 
Zeit  vor  Tiberius  angeführt  werden, 2)  verbietet  uns,  mit  dem  Verfasser  bis 
in  die  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  herabzugehen.  Wir  schliessen  uns  daher 
der  Meinung  der  Neueren •'^)  an,  dass  der  Verfasser  unseres  Buches  ein 
Anonymus  ist,  der  im  1.  Jahrhundert  bald  nach  Cäcilius  und  vor  Hermo- 
genes lebte. '^) 

Das  Buch  71€ql  vipovs  ist  erhalten  durch  den  cod.  Paris.  2036,  von  dem  alle  anderen 
Handschriften  abstammen.  Kommentierte  Ausg.  mit  den  Noten  der  Früheren  (Toup,  Ruhn- 
ken,  Larcher)  von  Rkiske  1809;  kritische  Ausg.  mit  Proleg.  von  0.  Jahn  (1867),  neu- 
bearbeitet von  Vahlen,  Bonnae  1887. 

k.  Die  Grammatik.^) 
500.  Die  grammatischen  Studien  waren  in  der  letzten  Zeit  der  römi- 
schen Republik  durch  Didymos,  Tyrannion,  Alexander  Polyhistor  und  andere 
von  den  alten  Sitzen  der  Gelehrsamkeit  nach  Rom  verpflanzt  worden.  Da- 
durch wurden  nicht  bloss  die  Römer  zur  Durchforschung  ihrer  eigenen 
Sprache  und  Litteratur  angeregt,  sondern  erblühten  auch  in  Rom  gram- 
matische Schulen  der  Griechen.  Daneben  blieben  Athen  und  in  noch  höherem 
Grade  Alexandria   und  Pergamon^)  mit   ihren   reichen   litterarischen  Hilfs- 


^)  Suidas  u.  4>Q6vxüip;  Photios  p.  492  a, 
29;  Eunapios  p.  456  a,  18. 

2)  Dass  auch  der  c.  13,  3  citierte  Am- 
monios,  der  die  Nachahmungen  Homers  bei 
Piaton  zusammengeschrieben  haben  soll,  nicht 
der  Neuplatoniker  Ammonios  sei,  sondern  der 
Aristarcheer,  dessen  Buch  ns^l  tcop  vno 
IJ'/.cn(x}i^og  fX£Ti]PsyjLi8P(jt}y  f|  'OfxrJQoi'  auch  in 
den  alten  Homerscholien  (A)  zu  II.  I,  540 
citiert  wird,  hat  Röper,  Phil.  I,  630  nach- 
gewiesen. 

^)  BüCHENAU,  De  scriptore  lihri  tisql 
i'ifjovg,  Marb.  1849,  denkt  an  die  Zeit  des 
Vespasian;  weiter  hinauf  geht  Martens,  De 
libello  7TSQL  vijjovg,  Bonn  1877,  der  die  Blüte 


unseres  Rhetors  unter  Tiberius  setzt.  Beach- 
tenswert ist,  dass  der  Verfasser  c.  9  Kennt- 
nis der  Genesis  zeigt;  s.  Bernays,  Ges.  Abh. 
I,  353  und  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V,  494 
und  551. 

*)  Wenn  ich  auf  einen  Namen  raten 
sollte,  so  würde  ich  am  ehesten  an  Theon 
denken,  der  ein  Buch  7T8qI  avpxd'^sixyg  Xöyov 
geschrieben  hatte. 

'-')  Über  die  Litteratur  im  allgemeinen 
s.  §  378. 

^)  Zahlreiche  Grammatiker  unserer  Pe- 
riode heissen  bei  Suidas  'J^e^aydQs^g.  Als 
Pergamener  werden  bezeichnet  Demetrios 
Ixion  und  Telephos. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§500—501.)  G31 

mitteln  treue  Pflegerinnen  der  philologischen  Gelehrsamkeit.  Auch  in  anderen 
Städten  Griechenlands  und  Kleinasiens,  wie  Smyrna,  Tarsos,  Berytos,  Byblos, 
führte  schon  der  Bildungs-  und  Unterrichtsgang  zur  Errichtung  und  Erhal- 
tung grammatischer  Schulen.  Aber  die  Zeit  der  grossen  Philologen  und 
selbständigen  Forscher  war  vorüber;  selbst  Apollonios  Dyskolos  und  Hero- 
dian,  welche  sich  des  meisten  Ansehens  unter  den  Grammatikern  unserer 
Periode  erfreuten,  und  deren  Sätze  die  Richtschnur  für  die  nachfolgenden 
Generationen  bildeten,  verarbeiteten  nur  dasjenige,  was  Aristarch  und  die 
Alexandriner  angelegt  hatten.  Dazu  kam,  dass  seit  Hadrian  das  steigende 
Ansehen  der  Sophistik  den  trocknen  Studien  der  Grammatik  hinderlich  in 
den  Weg  trat  und  höchstens  nur  in  stilistischem  Interesse  die  Richtung 
der  Attikisten  begünstigte.  Innerhalb  unserer  Periode  trat  ein  bestimmt 
ausgeprägter  Unterschied  zwischen  den  Grammatikern  vor  und  nach  Hadrian 
hervor:  im  Anfang  überwogen  noch  die  Empiriker,  die  teils  auf  den  ver- 
schiedensten Gebieten  der  grammatischen  Erudition  sich  bewegten,  teils  der 
Kritik  und  Erklärung  der  Autoren,  jetzt  nicht  mehr  der  alten,  sondern  auch 
der  alexandrinischen  ihre  Studien  zuwandten.  Von  dem  2.  Jahrhundert  an 
bekamen  die  Systematiker  die  Oberhand,  w^elche  sich  die  Ausbildung  des 
Lehrgebäudes  der  Grammatik  und  Metrik  und  die  Anlage  zusammenfassen- 
der Werke  über  Lexikographie  und  Litterarhistorie  angelegen  sein  Hessen. 
Dem  entsprechend  gehen  wir  in  dem  ersten  Abschnitt  von  den  einzelnen 
Grammatikern,  in  dem  zweiten  von  den  einzelnen  Disziplinen  aus. 

Gramtiiatiker  des  1.  Jahrhunderts. 

501.  Juba^)  war  nicht  der  König  unter  den  Grammatikern,  aber  ein 
Grammatiker  königlichen  Geblütes.  Nachdem  sein  Vater,  der  König  von 
Numidien  und  Mauritanien,  den  Waffen  der  Römer  unterlegen  war  (46  v. 
Chr.),  kam  er  selbst  als  junger  Mensch  nach  Rom  in  die  Kriegsgefangen- 
schaft, ward  aber  später  von  Oktavian  wieder  mit  einem  Teil  seines  väter- 
lichen Reiches  belehnt.  In  der  Gefangenschaft  hatte  er  sich  mit  den  Stu- 
dien befreundet,  so  dass  er  einer  der  gelehrtesten  Männer  seiner  Zeit 
wurde:  dTicevicov  laToqixohaTog  ßaailtwv  heisst  er  bei  Plutarch  im  Leben 
des  Sertorius  c.  9;  2)  die  Athener  setzten  ihm  im  Gymnasium  des  Ptole- 
maios  ein  Standbild,  das  noch  Pausanias  sah.^)  Seine  Studien  galten  vor- 
nehmlich der  historischen  und  antiquarischen  Seite  des  Altertums;  aus 
ihnen  gingen  seine  altrömische, ^)  libysche,  arabische,  assyrische  Geschichte 
hervor,  aus  ihnen  auch  sein  Buch  ^OinofÖTrjTeg,  in  welchem  er  an  der  Hand  des 
Varro  die  Ähnlichkeiten  römischer  Sitten  mit  denen  anderer  Völker  ver- 
zeichnete."^) Ein  Kapitel  der  Kunstgeschichte  behandelte  er  in  dem  Buch 
über  Malerei  und  Maler  (tt^qI  yga^ixi^g  xal  neq]  L,(oyQoi<joyv),  von  dem  bei 
Harpokration  ein  8.  Buch  citiert  wird.  Viel  benützt  von  den  Späteren 
wurde  seine  OecciQixij  iaioqta,  worin  von  den  musischen  Agonen,  Dichtern, 


')  Suidas  u.  'loßag.  über  das  Todesjahr 
des  Juba,  19  oder  23  n.  Chr.,  s.  S.  569  An.  2. 

-')  Ähnlich  Plut.  Cacs.  55,  Anton.  87: 
Plinius  H.  N.  V,  1.  IC;  Ath.  83b. 


ratet  war. 

*)  Als  uQ/cuo^-oyicc    citiert   von    Stepha- 
nos  Byz. 

•'')  Die   historisclien  Schriften    des   Juba 


"^)  Paus.  1,  17.  2;  bezüglich  des  Platzes  wurden  viel  benützt  von  Plutarch,  Appian 
war  von  Kinfluss,  dass  er  mit  einer  Tochter  |  und  Cassius  Dio,  worüber  Schäfer,  Quellen- 
der   Kleopatra,    Selene   mit   Namen,    verhei-  1   künde  11-,  95. 


G32 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratiir. 


Schauspielern,  Musikern  gehandelt  war.^)  In  seinen  philosophischen  Lieb- 
habereien neigte  er  sich  der  Sekte  der  Neupythagoreer  zii.''^)  Als  einen 
bahnbrechenden,  scharfsinnigen  Forscher  bewährte  sich  Juba  nirgends,  wohl 
aber,  wie  dieses  bei  Leuten  seines  Schlages  öfters  vorkommt,  als  einen 
unterrichteten  Mann  und  guten  Kompilator.  Die  Fragmente  gesammelt  bei 
Müller,  FHG.  III,  465—484. 

502.  Tryphon^)  aus  Alexandria  war  jüngerer  Zeitgenosse  des  Didy- 
mos  und  blühte  unter  August.  Treu  den  Traditionen  der  alexandrinischen 
Schule  beschäftigte  er  sich  vornehmlich  mit  dem  sprachlichen  Teil  der  Phi- 
lologie. Seine  bedeutendsten  Leistungen  lagen  auf  dem  Gebiet  der  Dialekt- 
forschung, der  lokalen  wie  der  litterarischen. 4)  Eine  reiche  Ausbeute 
für  die  Späteren  bildete  auch  sein  nach  Sachtiteln  angelegtes  Lexikon  ti^qI 
bvoiiaaiijov.  Von  seinem  Traktat  über  die  Hauche  (tvsqI  TTrsv/näTon')  ist  uns 
ein  elendes  Exzerpt  erhalten.^)  Ob  das  unter  Tryphons  Namen  überlieferte 
Buch  über  Tropen  von  unserem  Grammatiker  herrührt,  haben  wir  oben 
§  493  als  zweifelhaft  hingestellt.  Die  Fragmente  sind  gesammelt  von  Arte. 
V.  Velsen,  Berol.  1853,  vermehrt  von  Schwabe,  Dionys.  et  Pausan.  fr.  p.  69. 

503.  Theon,  Vorgänger  des  Apion  auf  dem  grammatischen  Lehr- 
stuhl Alexandriens,^)  wird  passend  der  Didymos  der  alexandrinischen  Dichter 
genannt,  insofern  er  für  die  Kritik  und  Exegese  des  Theokrit,  Apollonios, 
Kallimachos,  Lykophron  ähnliches  wie  Didymos  für  Homer  und  die  Dichter 
der  klassischen  Zeit  geleistet  hat.  Unsere  Schollen  zu  Apollonios  gehen 
teilweise  auf  ihn  zurück.  Nach  dem  Brief,  den  Hesychios  seinem  Glossar 
vorausschickt,  hat  er  auch  Glossen  zu  den  Tragikern  und  Komikern  ver- 
fasst,  wahrscheinlich  in  der  Art,  dass  er  die  einzelnen  Aeßeig  des  Didymos 
in  ein  alphabetisch  geordnetes  Gesamtlexikon  brachte.')  Die  Fragmente 
sind  gesammelt  von  C.  Giese,  De  Theone  grammatico  chiscpie  rcliqtdis, 
Münster  1867. 

504.  Pamphilos  aus  Alexandria, ^)  ein  Aristarcheer,  blühte  in  der 
Mitte  des  1.  Jahrhunderts.^)  Sein  Hauptwerk  war  ein  glossematisches 
Lexikon  ttsqI  yXoiaGMv  tjtoi  Xt^ewv  in  95  ß.,  das  später  unter  Hadrian  zu- 
erst von  Vestinus  und  dann  von  Diogenian  in  einen  Auszug  gebracht 
wurde. ^ö)  Der  Plan  des  reichhaltigen  Sammelwerkes  rührte  indes  nicht 
von  ihm,  sondern  von  Zopyrion  her,  der  auch  als  Verfasser  der  4  ersten 


^)  RoHDE,  De  Pollucis  fontibus  sucht 
in  dieser  Schrift  eine  Hauptquelle  des  Pol- 
lux,  was  Bapp,  Leipz.  Stud.  VIII,  110  ff.  in- 
sofern beschränkt,  als  er  zwischen  Juba 
und  Pollux  den  Lexikographen  Tryphon  ein- 
schiebt. 

^)  David  im  Comment.  in  Arist.  cat.  p. 
28^  bezeugt,  dass  lobates  pythagoreische 
Schriften  sammelte. 

^)  Suidas  u.  TQvcfwv.  Vgl.  Naber  ad 
Phot.  lex  L  75  ff. ;  Bapp,  Leipz.  Stud.  VIII,  108. 

^)  Einzelne  Titel  waren:  ttsql  rrjg  'EX- 
'Arjvixiv  (haXsxTov  xal  ' jQyslojv  xat  'PrjylvMv 
xcd  J(x)Qieiov  xcd  ZvQuxova'iwv,  tisqI  nXeovaa- 
fiov  tov  ev  rrj  Jio'Ai^i  ^laXixtM,  tieql  tmv 
iccQ^    'OfuiJQO)    diaXe'y.TOjy     xcd    2!ifAioi'i^rj    x(d 


Hiv^aQU)  xcd  'jXxfA.ciPi  xcd  Totg  ciXXoig  Xvql- 
xoTg. 

5)  In  Cod.  Matrit.  95  fol.  148-150;  s. 
Egenolff,  Orthoepische  Stud.  S.  26. 

^)  Suidas  u.  ^Jnicoy.  rjy  de  diä&o/og 
08Muog  rov  yQttfXfxcmxov,  was  wohl  auf  den 
Lehrstuhl  in  Alexandria  geht. 

')  So  stellt  das  Verhältnis  Nabek,  Phot. 
lex.  I,  9  dar. 

^)  Suidas  u.  U('(^cfilog  \4Xe^. :  s.  Weber, 
Philol.  Suppl.  III,  467  ff.;  Jul  Schoenemann, 
De  lexicocp-apMs  antiqiiis,  Hanuov.  1886. 

9)  Vgl.  Ath.  642 e. 

'")  Die  Epitome  des  Diogenian  umfasste 
bloss  5  B.,  sie  ist  uns  erhalten  im  Lexikon 
des  Hesychios. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§  502—505.)  633 

Bücher  genannt  wird.  Eine  Ergänzung  zu  dem  Lexikon,  gewissermassen 
selbst  ein  Lexikon  mit  sachlichen  Titeln,  war  das  Sammelwerk,  das  von 
seinem  bunten  Inhalt  den  Titel  AeifiMv  hatte  ^  und  in  dem  unter  anderm 
die  Fabeln  des  alten  Mythus  und  der  Verwandelungslitteratur  unter  sorg- 
fältiger Anführung  der  Quellen  behandelt  waren.-)  Ein  Werk  von  den 
Pflanzen  in  6  B.  führt  häufig  der  Arzt  Galen  an,^)  nicht  ohne  sich  über 
den  Grammatiker,  der  sich  um  die  sachlichen  Verhältnisse  wenig,  um  so 
mehr  aber  um  die  Namen  und  Ammenmärchen  kümmere,  zu  ereifern.  Ob 
dasselbe  einen  Teil  des  Asiiimv  bildete,  oder  zu  den  anderen,  von  Suidas 
aufgeführten  Spezialschriften  unseres  Grammatikers  gehörte,  ist  ungewiss. 
Die  Bücher  des  Pamphilos  wurden  wegen  ihres  gelehrten  Inhaltes  und  ihrer 
bequemen  Anordnung  wie  die  keines  andern  Gelehrten  von  Scholiasten  und 
Sammelschreibern  benutzt.^) 

Eine  Namensverwandte  und  Zeitgenossin  des  vorgenannten  Gramma- 
tikers war  die  gelehrte  Pamphila,"*)  die  unter  Nero  lebte  und  sich  eines 
ausserordentlichen  Rufes  erfreute.  Ihre  avf.ifuxTcc  lavoQixd  vTioi^ivrj^ata  in 
38  B.  waren  litterargeschichtliche  Lesefrüchte  der  verschiedensten  Art;  ein 
Kuriosum  des  Blaustrumpfs  war  das  Buch  ti8qI  a(fQoSia((i)v. 

505.  Apion  mit  dem  Beinamen  Möx^og^^)  Schüler  des  Apollonios 
Archibiu  und  Pflegesohn  des  Didymos,  war  Nachfolger  des  Theon  in  der 
Vorstandschaft  der  alexandrinischen  Schule,  führte  aber  im  übrigen  ein 
unstetes  Leben,  mehr  in  der  Art  eines  ruhmredigen  Rhetors  als  eines 
soliden  Grammatikers.'^)  Als  Führer  der  Antisemitenpartei  in  Alexandria 
führte  er  das  Wort  bei  einer  Gesandtschaft  an  den  Kaiser  Caligula;  auf 
seine  Beschuldigungen  antwortete  später  Josephos  in  der  uns  erhaltenen 
Schrift  xazd  ^AniMvog.^)  Geschichtlichen  Inhaltes  waren  die  lazoqia  xaz' 
t&voQ  und  die  Alyvicnaxä;  aus  den  letzteren  teilt  Gellius  5,  14  die  rüh- 
rende Erzählung  von  Androklos  und  dem  Löwen  mit.  Sein  auf  Aristarch 
fussendes  Homerglossar  war  zusammen  mit  dem  ähnlichen  Werke  des 
Herodor^)  eine  Hauptquelle  des  Hesychios   und   Eustathios;    dürftige  Aus- 


^)  Verwandt  waren  das  Sammelwerk /I«y-   j  ^)  Über  die  Benützung  dmcli  Athenaios 

To^ciTirj  vlrj  des  Favorin   und    die  Prata  des       s.  Bapp  in  Comment.  Ribbeck.  p.  253  — 8. 
Sueton;  vgl,  Reiffekscheid,  Suet.  rell.  p.  455,    |  ^)  Suidas:     Uafxcpi'kt]    'Eni^avQia     aorprj, 


der  aber  noch  den  Leimon  und  das  Lexikon 
unseres  Pamphilos  für  e  i  n  Werk  hielt. 

■-')  Vgl.  EuG.  Oder,  De  Antonino  Li- 
hcrali,  Bonnae  1886,  p.  46.  Indem  ich  das 
Lexikon  und  den  Leimon  für  verschiedene 
Bücher  halte,  setze  ich  bei  Suidas  tyQaipe 
'Asifxvijya  {ean  ife  TioixlXojf  TiSQio/rj),  7T8qI 
yXojoaoji^  tjtol  Xt^ewy  ßißXia  Cs  vor  tjsqI  ein 
Komma. 

')  Galen  t.  XI  p.  794,  2  ed.  Kühn:  ovzog 
(sc.  IU'(  fX(filog)  upy  t^  eyQaijJs  [i'^tyQaxps 
vulgo,  emcnd.  Lobeck)  ßißlin.  Zuvor  p.  793 
sagt  er  von  ihm:  fA'ijd^  iioQuxojg  rdg  ßorävag 
vnsQ  Ml'  d(i]ys?TC(i  fxrjxe  li^g  dvi'üfxsiog  uvrcoy 
TieneiQUfXBvog.    (("kld    xoTg    tjqo    ccvtov  ysyQa- 


y^vyciir]Q  ZüiirjQi^ov,  ov  leysica  eivca  x«l  xd 
ovvxäy^ciTCi,  log  Jiovvoiog  iv  xio  X  xrjg  ^uov- 
aixrjg  ioxogiag,  log  de  exsQoi  yeyQCKpaai,  i'w- 
xqctxi^a  xov  ciy&qog  avxrjg  '  laxoQixd  vno- 
fivrjfjLctxa  xxl.  Die  Fragmente  bei  Müller 
FHG.  III,  520-2.  ^ 

^)  Suidas  u.  'Jnicov.  Lehrs,  Quaest. 
epicaep.  1  —  34;  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V,  517. 

"')  Witzig  bemerkt  von  ihm  Plinius  H. 
N.  prooem.  25:  Tiherius  Caesar  cymlndum 
mundi  vocahat,  cum  proj)riae  famae  tiim- 
panum  potius  rideri  p)0sset. 

')  Vgl.  §  421. 

^)  Die  Lesart  schwankt  zwischen  Uqo- 
(fiÖQov  und  llho^ioQoiK  vgl.   La-Rocfie,  Ilom. 


\(poaiv  cmuoiv  «psv  ßccourov  TieTJiarsvxiog  ...       Textkr.  109  ff.,  uud  Naber,  Phot.  lex.  I,  119 

[l'iXrjOog    oi'oi^idnov  i(f'    txdarr]    ßoxdi^t]    7i()oa-    I    vgl.  S.  58   An.   2. 
'  n9eig. 


534  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Züge  desselben  stehen  im  Anhang  des  Etyni.  Gudianum  p.  601  ed.  Sturz. 
Die  Fragmente  sind  gesammelt  bei  Müller  FHG.  III,  506  —  516. 

506.  Heliodoros,^j  ein  geschmackvoller,  von  den  zeitgenössischen 
Dichtern  der  Anthologie^)  vielgenannter  Grammatiker,  blühte  unter  den 
Kaisern  der  julischen  Dynastie.  Er  war  als  Vorgänger  des  Hephästion 
Hauptbegründer  der  Metrik;  von  ihm  rührt  der  Stamm  der  metrischen 
Schollen  des  Aristophanes  her;^)  ausserdem  finden  sich  seine  Sätze  vielfach 
von  den  alten  Erklärern  des  metrischen  Handbuchs  des  Hephästion  ange- 
zogen. Durch  Juba  artigraphus,  der  sich  eng  an  ihn  anschloss,  ist  seine 
Theorie  auf  die  lateinischen  Metriker  übergegangen.^)  Als  seinen  Schüler 
bezeichnet  Suidas  den  Eirenaios  (Pacatus),  welcher  zu  den  hervorragenden 
Attikisten  der  hadrianischen  Zeit  gehörte. 

507.  Ptolemaios  Chennos  lebte  nach  Suidas  in  der  2.  Hälfte  des 
1.  Jahrhunderts  und  war  Verfasser  der  Sphinx,  eines  mythologisch-gram- 
matischen Dramas,  ferner  eines  Epos  'AvOoi^ujQog  in  24  Rhapsodien,  einer 
JlaQado'^og  laxoQia  und  einer  Kaiv)]  laioQi'a.-')  Die  letzte,  welche  Eustathios 
und  Tzetzes  viel  benützten,  hatte  6  Bücher  und  ist  uns  näher  aus  dem 
Auszug  des  Photios  cod.  190  bekannt.  Danach  verbreitete  sie  sich  über 
alle  möglichen  und  unmöglichen  Dinge  der  Fabelwelt  und  tischte  eine  Menge 
sonst  nicht  bekannter  Mythen  auf,  indem  als  Gewährsmänner  Schriftsteller 
aufgeführt  waren,  von  denen  wir  zum  grossen  Teil  sonst  nirgends  etwas 
zu  lesen  bekommen.  Hercher  in  dem  geistreichen  Aufsatz  über  die  Glaub- 
würdigkeit der  neuen  Geschichte  des  Ptolemaios  Chennos,*'')  stellt  diesen 
unseren  Ptolemaios  und  die  Verfasser  der  unter  Plutarchs  Namen  laufenden 
Parallela  minora  und  des  Buches  über  die  Flüsse  ^)  in  die  Klasse  jener  un- 
verschämten Aufschneider  und  Schwindler,  welche  von  neugierigen  Römern 
bei  Tisch  nach  einer  Mythe  gefragt,  nie  um  eine  Antwort  in  Verlegenheit 
waren,  sondern  in  Ermangelung  wirklichen  Wissens  mit  irgend  einem  fin- 
gierten Namen  aufwarteten.  Es  fällt  aber  das  Leben  unseres  Schwindlers 
in  dieselbe  Zeit,  in  der  ein  Dar  es  und  Diktys  sich  in  ihren  Erzählungen 
vom  troianischen  Krieg  auf  beschriebene  Cypressentafeln  beriefen,  welche 
sie  in  Gräbern  aus  der  Heroenzeit  gefunden  zu  haben  vorgaben. 

Andere  Grammatiker  aus  dem  Anfang  der  römischen  Kaiserzeit  waren: 
Philoxenos   aus  Alexandria,    der  unter  Tiberius  in  Rom   lehrte   und   sich 


^)  Der  Artikel  des  Suidas  über  ihn  ist 
leider  ausgefallen;  hat  Hermann  die  Stelle 
des  Priscian  p.  396  Kr.  richtig  emendiert, 
so  lebte  er  vor  Claudius  Didymus;  aber  mit 
dem  Heliodorus  Graecorum  longe  doctis- 
simus,  der  den  Horaz  auf  der  Reise  nach 
Brundisium  begleitete  (Sat.  I,  5.  2),  dürfte 
er  doch  nicht  identisch  sein.  Vgl.  Keil. 
Quaest.  gramm.  14  f.;  Wachsmuth,  Philol. 
XVI  (1860),  648  ff.;  0.  Hense,  Heliodorische 
Untersuchungen,  Leipz.  1870;  I.  Lipsiijs, 
Jhrb.  f.  Phil.  1860  S.  607  ff.;  über  seine 
Kolometrie  oder  Abteilung  der  Verse  bei 
Aristophanes  s.  §  198. 

■')  Anth.  XI,  134.  137.  138.  183.  256. 

^)  Thiemann,  Ileliodori  colometria  Ari- 


stophanea,  Hai.  1869. 

*)  0.  Hense,  De  Juba  artigi'ajyJio  in 
Acta  Lips.  t.  IV. 

^)  Vielleicht  war  unser  Ptolemaios  auch 
Verfasser  des  Buches  von  den  Schriften  des 
Aristoteles  s.  §  294. 

6)  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  I,  269-293; 
Widerspruch  erhob  gegen  Horchers  Annahme 
C.  Müller,  Geogr.  gr.  min.  11^  p.  LVII. 
Schon  dem  Photios  erschien  unser  Ptole- 
maios als  ovvayioyevg  ■  vmoxevog  xal  TiQog 
iikaCoi'eiai^  emorjfXEvog.  Auf  die  xai.vrj  loTOQLCi 
führt  Rose,  Anecd.  gr.  p.  14  auch  die  im 
cod.  Laur.  56,  1  erhaltenen  Sammlungen  von 
Wunderthaten  zurück. 

')  Vgl.  S.  489. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§  506-508.)  635 


besonders  mit  etymologischen  Forschungen  abgab;  ^)  Apollo nios  Archibiu, 
den  Suidas  Lehrer  des  Apion  nennt,  so  dass  er  schwerlich  V^erfasser  des  uns 
erhaltenen  Homerlexikons  sein  kann;  -)  Herakleon  aus  Ägypten,  angesehener 
Homererklärer;  Claudius  Didymus,  aus  dessen  Schrift  Tiegl  ttjg  naqd 
^Fwfiaioig  craXoYiccc^)  uns  ein  interessantes  Fragment  bei  dem  lateinischen 
Grammatiker  Priscian  de  figuris  numerorum  p.  396  erhalten  ist;^)  Doro- 
theos  aus  Askalon,  Lexikograph  zwischen  Tryphon  und  Apollonios  Dys- 
kolos;^)  Epaphroditos  aus  Chäronea,  Bibliothekar  unter  Nero  und  Nerva, 
intimer  Fi'eund  des  Geschichtschreibers  Josephos;  Eirenaios  oder  Minucius 
Facatus,  Schüler  des  Heliodor;^)  Alexion  Homererklärer;  Herakleides 
Milesios  (um  100),  Vorläufer  des  Herodian  und  Verfasser  einer  xa^oXixr] 
nQoa(oöia  und  eines  Buches  tisqI  övükXitwv  ^»^/larwr.') 

Grammatiker  des  2.  Jahrhnnderts. 

508.  Herennios  Philon^)  aus  Byblos  schrieb  ausser  einer  Geschichte 
des  Hadrian  und  einem  Buche  über  Anlage  von  Bibliotheken  {tisqI  xTt](Seo}q 
xal  sxXoyfjg  ßißh'wv  in  12  B.)^)  ein  berühmtes  litterarhistorisches  Werk 
TTSQi  7i6l€o)v  xal  ovg  exäarrj  aviwv  ivdo^ovg  ijVfiyxsv  in  30  B.  Dasselbe  war 
eine  Hauptquelle  der  späteren  Grammatiker  und  wurde  insbesondere  von 
Hesychios  Milesios  und  Stephanos  Byzantios  fleissig  benützt.  Wahrschein- 
lich war  er  auch  Verfasser  des  Buches  über  Synonymik,  von  dem  Am- 
monios  den  uns  erhaltenen  Auszug  machte.  Berühmter  noch  ist  unser 
Grammatiker  geworden  durch  die  Übersetzung  der  Phönikischen  Geschichte 
des  Sanchuniathon,  der  angeblich  in  vortroianischer  Zeit  eine  Geschichte 
Phönikiens  verfasst  hatte.  Von  dem  \.  Buch  dieser  Geschichte  hat  uns 
der  Kirchenvater  Eusebios,  Praep.  ev.  L  9  u.  10  und  IV,  16  denjenigen 
Abschnitt  mitgeteilt,  ^^)  der  sich  auf  die  Theogonie  und  die  Anfänge  der 
menschlichen  Geschichte  bezieht.  Derselbe  ist  äusserst  interessant,  rührt 
aber  gewiss  nicht  von  einem  so  alten  Autor  her;  vielmehr  scheint  Philon 
oder  dessen  Gewährsmann  hellenistisch  gefärbte  und  aus  jüngeren  Quellen 


^)  Kleist,  De  Philoxeni  studiis  etymo- 
I  Jogicis,  Greifswald  1865;  M.  Schmidt,  De 
I  Philoxeno  Alex.,  Philol.  IV  (1849),  G27  ff., 
VT  (1851),  660  ff. 

0  Vgl.  S.  58,  und  Meier,  Opusc.  II,  53  f. 
Aber  in  dem  Einleitungsbrief  des  Hesychios 
Alex,  wird  ausdrücklich  ^AnoXhovioq  6  rov 
\.f()/(,ßiov  als  Honierlexikograph  genannt. 

■')  In  dieser  Schrift  war  die  römische 
Sprache  als  eine  mit  dem  äolischen  Dialekt 
verwandte  Abart  der  griechischen  erwiesen 
jworden. 

^)  Derselbe  war  auch  Verfasser  einer 
musikalischen  Schrift  tjcqI  öiucfOQug. 

•'')  Vgl.  FiELiTZ,  De  comoedia  hipartita, 
i|p.  51. 

«)  M.  Haupt,  Opusc.  II,  434  ff. 

')  CoHN,  De  Heraclide  Milesio  gram- 
\mutico,  in  ßerl.  Stud.  I,  603  -718,  und  Frye, 
De  Heraclidae  Müesii  studiis  Ifomcricis, 
in  Leipz.  Stud.  VI,  93  ff.  Die  meisten  Frag- 
|mente    sind    uns    durch  Eustathios  erhalten. 

*")  Suidas  u.  'H'Amp  liv,Shog,    vgl.    Daub, 


De  Suidae  hiograpliis,  in  Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XI,  437  ff.  Niese,  De  fonübus  Ste- 
phani  p.  28  bestimmt  seine  Zeit  auf  64  -141 
n.  Chr.  Nicht  ganz  sicher  ist  die  Kombi- 
nation, die  ihn  mit  Herennius,  cons.  suff.  im 
Jahre  124,  in  Verbindung  bringt. 

^)  Daraus  ist  ein  9.  Buch,  das  von  me- 
dizinischen Schriften  handelte,  citiert  von 
Oreibasios  III,  687  ed.  Dar. 

^")  I,  9:  laroQei  de  xavtn  ^iccy/owidS^iov, 
ccvfJQ  naXcclrcnog  xal  xcHv  TQoSixiov  XQ^^^^ 
(og  (paai  TTQsaßvreQog,  öV  x«t  in''  äxQtßeiic  x(d 
(cXrjxheia  trjg  'PoifiXiXTJg  loroQucg  (cno(f£/&7]i'((i 
fXdQTVQovai  '  'PlXmv  Je  tovtov  Tiäaap  rrji^ 
avyyQCicpijv  6  livßhoc,  ov/  o  KßQcdog,  fxercc- 
ßaXvjv  üno  rijg  ^oivlxiov  yX(6aar]g  stjI  xrjv 
'ElX('(Jc<  (fioviqi'  i^ed(oxe  .  jHF\ui^t]Tcct  rovriot'  6 
x«^'  ij^uccg  T}]v  xa(f  i]u.MV  Tienoiy]fxevog 
avaxevtjr  d.  i.  IIo()(fi'(}(og.  Erwähnt  ist  der 
alte  Historiker  auch  bei  Athen.  12()-':  yiaQu 
roig  TU  4>oivixix(c  ax^yyeyqacpoat,  Iccy^ovriul 
\h(oi'C  X(ci   Mm/«"). 


636 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassiache  Litteratur. 


geschöpfte  Nachrichten   unter  dem  ehrwürdigen  Namen  des  Sanchuniathon 
in  die  Welt  geschickt  zu  haben.  ^) 

Hermippos,  Berytios  zubenannt  im  Gegensatz  zu  dem  Kallimacheer 
Hermippos,  war  ein  Schüler  des  ebengenannten  Philon  und  schrieb  ein 
gleichfalls  von  den  Späteren  vielfach  ausgebeutetes  Buch  tisqI  tmv  sv  nai- 
Ssin  öiaXaiiipdvTiüv  dovXtav. 

509.  Dionysios  aus  Halikarnass  unter  Hadrian  mit  dem  Beinamen 
Musikos  war  der  Verfasser  der  Movaixrj  laxoQia  in  36  B.  Von  der  Anlage 
dieses  bedeutenden  Werkes  geben  uns  einzelne  vollständig  aus  demselben 
ausgehobene  Artikel  des  Suidas,  wie  über  den  Grammatiker  Epaphroditos, 
und  das  Exzerpt  des  Rufus  bei  Photios  cod.  161  eine  annähernde  Vorstel- 
lung. Danach  hatte  der  Verfasser  das  Wort  fxovaix7^  im  weiteren  Sinne  ge- 
nommen, so  dass  er  in  der  Geschichte  derselben  nicht  bloss  die  Kitharöden 
und  Flötenspieler,   sondern   auch  die  Dramatiker  und  Epiker  behandelte.'^) 

Dieser  Dionysios  Musikos  war  vermutlich  eine  Person  ^)  mit  dem  Atti- 
kisten  Ailios  Dionysios,  dessen  Blüte  gleichfalls  von  Suidas  unter  Hadrian 
gesetzt  wird  und  der  nach  Photios  cod.  152  ein  attisches  Lexikon  in  5  B. 
und  in  2  Ausgaben  besorgte.  Derselbe  Photios  erwähnt  cod.  153  ein  ähn- 
liches Lexikon  des  Pausanias,  eines  Syrers  und  Zeitgenossen  des  Galen, '^)  und 
gibt  den  Rat,  die  3  Werke  zu  1  Lexikon  zu  verbinden.^)  Das  sind  die  viel- 
genannten Ae'^ixd  QrjtoQixä,  aus  denen  Eustathios  und  die  byzantinischen  Le- 
xikographen vornehmlich  ihre  Weisheit  schöpften. '0  Rhetorisch  hiessen  die- 
selben, weil  sie  einerseits  hauptsächlich  auf  den  Sprachgebrauch  der  attischen 
Redner  zurückgingen  und  anderseits  zunächst  zur  Heranbildung  künftiger 
Redner  dienen  sollten. 

510.  Nikanor,"^)  Sohn  des  Hermeias  aus  Alexandria,  blühte  unter 
Hadrian  und  beschäftigte  sich  hauptsächlich  mit  der  Interpunktionslehre, 
wovon  er  auch  den  Beinamen  Stigmatias  erhielt.  Seine  Hauptwerke  waren: 
Tiegl  TTjg  (niyf.irjg  zt^g  xaO^oXov  in  6  B.,  ttsqI  rrjg  ariyfirjg  Tijg  naq'  'O/iry^jo), 
Tisgl  aTiyfxfjg  TTjg  rragd  KaXXiiiä%(t)^  ttsqI  vavaTcc^^iiiov,  KwiUfnSovfisra.  Ob 
unser  Nikanor  mit  dem  von  Harpokration  unter  dxrj  erwähnten  Nixavcog  6 
nsql  ^exovoiiaaiwv  ysyqaifMg  identisch  sei,  ist  zweifelhaft,  da  dieser  eher 
einer  früheren  Zeit  angehörte. 

511.  Die  Grammatik  im  engeren  Sinne  erhielt  unter  Hadrian  und 
den  Antoninen,  nachdem  200  Jahre  zuvor  Dionysios  Thrax  den  Grund  ge- 


^)  Sancliuniathonis  Berytii  quae  fe- 
runtur  fragmenta  ed.  Orelli,  Lips.  1826. 
Der  vollständige  von  Wagenfeld  (1836)  an- 
geblich aus  einem  portugiesischen  Kloster 
hervorgezogene  Text  erwies  sich  als  unecht. 
Die  Fragmente  auch  in  Müller  FHG.  III, 
560 — 76.  Erläuterung  derselben  von  0.  Gruppe, 
Die  griech.  Kulte   und  Mythen  I,  350-^409. 

■'')  Vergl.  Daub,  De  Suidae  l)iograx>liis, 
Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI,  410  ff. 

3)  Ihre  Identität  stellt  in  Abrede  Meier, 
Opusc.  II,  63-82. 

4)  Meier,  Opusc.  II,  82  ff. 

^)  Diesen  Rat  hat  vermutlich  der  Verf. 
des  anonymen  ^eltxov  qi^toqlxop  des  Eusta- 
thios befolgt. 


6)  Naber  ad  Phot.  lex.  I,  24  ff.;  Rind- 
fleisch, De  Pausaniae  et  Aelii  Dionysii 
lexicis  rhetoricis,  Königsb.  1 866 ;  Th.  Schwartz, 
Aelii  Dionysii  Halic.  reih,  Utrecht  1877: 
über  die  Mängel  dieser  Fragmentensammlung 
s.  Egenolff,  Jahrber.  d.  Alt.  VII,  1.  100  ff; 
Heyden,  Quaest.  de  Aelio  Dionysio,  Leipz. 
Stud.  1885.  Neue  Sammlung  mit  umfang- 
reichen Prolegomena:  Aelii  Dionysii  et 
Pausaniae  Atticistarum  fragm.  coli.  Ebn. 
Schwabe,  Lips.  1890. 

"')  Suidas  u.  NixdvMQ,  und  dazu  Jak. 
Wackernagel,  Rh.  M.  31,  432  ff.  Fried- 
länder, Nicanoris  rell.  Regiom.  1850,  die 
Fragmente  zur  Odyssee  von  Carnuth,  Berl. 
1875. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§  509—512.)  637 


legt  hatte,  ihre  spezielle  Ausbildung  durch  Apolloiiios  und  Herodian. 
Beide  haben  fast  kanonisches  Ansehen  bei  den  späteren  Grammatikern  er- 
langt und  erfreuten  sich  unter  den  Gelehrten  der  römischen  Zeit  eines 
ähnlichen  Ansehens  wie  Aristophanes  und  Aristarch  bei  den  Alexandrinern.  >) 

Apollonios,2)  Dyskolos  von  seinem  mürrischen  Wesen  zubenannt, 
stammte  aus  Alexandria  und  brachte  auch  den  grössten  Teil  seines  Lebens 
in  Alexandria  zu.  In  Rom  weilte  er  nur  kurze  Zeit  unter  Antoninus  Pius. 
Er  hat  den  Ruhm,  das  grammatische  Lehrgebäude  {r^xvri  yQaßiianxiD  aus- 
gebaut zu  haben; 3)  doch  schrieb  er  keine  vollständige,  in  sich  geschlossene 
Grammatik,  sondern  behandelte  nur  in  Spezialschriften  einzelne  Teile  der- 
selben.-*) Am  bedeutendsten  waren  unter  denselben  das  'Ovouutixöv  (von 
der  Deklination  der  Nomina)"^)  und  das  ^PrjfxaTixov  (von  der  Konjugation 
der  Verba).  Auf  uns  gekommen  sind  die  kleineren  Abhandlungen:  ttsqI 
avTMvvniag  (Pronomen),  tisqI  €7TiQQrjjiidTcov  (Adverbia),  ttsqI  awöbaiiMv  (Kon- 
junktionen).^) In  allen  diesen  Spezialschriften  über  den  Gebrauch  und  die 
Beugung  der  Redeteile  (/t^'^^y  foT'  Xöyov)  steht  er  nicht  sowohl  auf  dem 
Standpunkt  des  schulmeisterlichen  Theoretikers,  der  allgemein  gültige  Regeln 
für  den  Schriftgebrauch  aufstellt,  als  auf  dem  des  historischen  Forschers, 
indem  er  die  bei  den  verschiedenen  Autoren  und  in  den  verschiedenen  Dia- 
lekten (JcoQfg,  'lag,  Äloh'g,  ^AtÜ^tg)  vorkommenden  Formen  nachweist.  Ausser 
der  Formenlehre  hat  aber  Apollonios  auch  schon  der  Syntax,  die  bei  Dio- 
nysios  Thrax  noch  ganz  beiseit  gelassen  war,  seine  Aufmerksamkeit  zuge- 
wandt; über  sie  handeln  die  4  uns  noch  erhaltenen  Bücher  ti8qI  avrxa^sMg, 
die  auch  heutzutag  noch  nicht  ganz  veraltet  sind,  wenn  sie  auch  weit 
hinter  den  Anforderungen,  die  wir  jetzt  an  eine  Syntax  stellen,  zurück- 
bleiben.''') Ob  auch  die  bereits  oben  §  480  berührte  Schrift  ^larogiai  ^av- 
liäaiai  unserem  Grammatiker  oder  einem  anderen  der  vielen  Apollonioi 
angehört,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Erste  Ausg.  der  grammat.  Schriften  von  Imm.  Bekker  in  Mus,  ant.  I  u.  Anecd.  gr. ; 
De  constr.  Berl.  1817;  neue  Bearbeitung  von  R.  Schneideu  und  Gust.  Uulig,  Lips.  im 
2,  Teil  des  Corpus  gramin.  graec,  im  Erscheinen. 

512.    Herodian  {Al'hog  ^Hgcodiavog,  6  Tsxvixog),  der  berühmte  Schüler 

des  berühmten   Vaters,    war  gleichfalls   in   Alexandria   geboren,    wanderte 


')  Dass  dieses  kanonische  Ansehen  über 
die  wirkliche  Bedeutung  der  iMänner  hinaus- 
ging, dass  sie  nicht  ihrer  Kraft,  sondern  der 
Schwäche  der  Nachfolger  ihre  Grosstellung 
verdankten,  hat  zutreffend  Wilamowitz,  Eur. 
Herakl.  T,  179  bemerkt;  übrigens  stunden 
sie  doch  weit  über  dem  Rhetor  Hermogenes, 
der  eine  ähnliche  kanonische  Autorität  in 
der  Rhetorik  erlangte. 

2)  Ausser  einem  Artikel  des  Suidas 
haben  wir  eine  ausführliche  Vita  des  Apol- 
lonios  bei    Flach,    Hesychius  Miles.  p.  243. 

■^)  Dem  Priscian,  der  ihm  und  Herodian 
hauptsächlich  folgt,  ist  er  XI,  1  maximus 
iiuctor  ariis  (irainmalicdc. 

•*)  Die  Zusammenordnung  der  einzelnen 
Schriften  versucht  Dronke,  Rh.  M.  11,  549  ff. 

•'')  Zu  dem  'Oyo/utdixöt^  schrieb  Zenohios 
bald  nach  Herodian  einen  Kommentar,  von 
dem    sich    viele    Reste    im   Et.    M.    finden, 


welche  G.  Schömann  in  einem  Danziger  Pro- 
gramm 1881  zusammengestellt  hat. 

^)  Dass  der  Schluss  des  Buches  ttsqI 
HVT(x}vviALag  abzutrennen  und  dem  Rhematikon 
zuzuweisen  ist,  hat  R.  Schneider,  Rh.  M.  24, 
592  bemerkt.  Auch  das  Buch  neQl  sniQQtj- 
[Xihiov  enthält  einen  fremdartigen,  zur  Syn- 
tax gehörigen  Zusatz. 

')  L.  Lange,  Das  System  der  Syntax 
des  Apollonios  Dyskolos,  Gott.  1852;  Egger, 
Apollonius  Dyscoh.  Par.  1854;  Dobias,  Über 
die  Syntax  des  Apollonios  Dyskolos  (russisch), 
besprochen  im  .lourn.  d.  Wiss.  f.  Volksauf- 
klärung 1883,  Sept.  113-8.  Nach  dem 
Vorbild  des  Apollonios  hat  auch  Priscian  in 
seinen  Inst,  grannn.  am  Schlus.so  2  Bücher 
über  Syntax  gegeben,  die  Planudes  (Bach- 
mann, An.  gr.  II,  105-1(!())  ins  Griechische 
rück  übersetzt  hat. 


638  Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 

aber  zeitig  nach  Rom  aus,  wo  er  sich  bei  dem  Kaiser  M.  Aurel  besonderer 
Gunst  und  Auszeichnung  erfreute.  Auf  Anregung  desselben  verfasste  er 
sein  Hauptwerk  über  Prosodie,  Ka^olixi]  nQOGmöia  in  21  B.,  wozu  die 
Spezialschriften  über  die  homerische  und  attische  Prosodie  ergänzend  hin- 
zutraten. Das  Hauptwerk  umfasste  in  den  ersten  19  Büchern  die  Regeln 
(xavöveg)  über  die  eigentliche  Prosodie  oder  die  Accente  {rüQoarndiai,  tövoi); 
das  20.  enthielt  die  Lehre  von  den  Zeiten  {xQovoi,  Quantität)  und  den 
Hauchen  {Tirtv^aaTa,  Spiritus);  das  21.  bildete  eine  Art  Anhang,  der  von 
der  Bedeutung  der  Accente  beim  fortlaufenden  Lesen,  insbesondere  von  den 
Enkliticis,  der  Diastole,  Synalöphe  handelte.  Herodian  ist  damit  der  eigent- 
liche Schöpfer  der  griechischen  Prosodik  geworden;  doch  steht  er  ganz  auf 
den  Schultern  der  grossen  alexandrinischen  Gelehrten  Aristarch  und  Try- 
phon  und  hat  eigentlich  nur  das  Verdienst,  die  Einzelbeobachtungen  jener 
Forscher  in  ein  umfassendes  System  gebracht  zu  haben,  i)  Das  Original- 
werk selbst  ist  uns  verloren  gegangen,  aber  wir  haben  mehrere  Auszüge 
daraus,  namentlich  den  des  Theodosios  oder  Arkadios,  auf  den  wir  unten 
zurückkommen  werden.  Ausserdem  schrieb  Herodian  zahlreiche  Bücher 
über  verschiedene  Teile  der  Grammatik,  wie  7is()l  Tra^cov,  nsqi  oQ^oyQacfiag, 
TtaQi  ovoj^iccTCü}',  nsQi  xXfcfscog  ovo^iärcüv^  tcsqI  QKjfjLcciwv,  ttsqI  (Tv^vyi(jor,  tisqI 
avTwrvi^iLMv,  ttsqI  emQQrjindTon',  ttsqI  Cx^/ictrorn',  7T€qI  TraQMVVj^iMV,  ttsqI  j^wvo- 
avXXdßon',  tüsqI  iJio^rjgovg  Xs^sMg.^)  Gleichfalls  grammatische  Dinge  betraf 
das  nach  dem  Muster  des  Didymos  geschriebene  ^vfirvöaiov  und  die  Schrift 
nsgl  yd/iiov  xal  (Tvjaßicoasayg.  Von  diesen  zahlreichen  Schriften  ist  nur  eine, 
und  zwar  eine  von  den  minder  bedeutenden,  ttsqI  ßovrjQovg  Xt^^scog,  oder 
über  singulare  ausserhalb  der  Analogie  stehende  Formen  vollständig  er- 
halten.^) Von  den  übrigen  haben  wir  nur  Überarbeitungen,  Auszüge  und 
Citate,  hauptsächlich  in  den  Homerscholien  und  bei  Stephanos  Byzantios.^) 
Das  Ansehen  des  Herodian  wie  seines  Vaters  Apollonios  war  bei  den 
Zeitgenossen  und  den  nachfolgenden  Generationen  ein  enormes,  bei  Licht 
besehen  waren  aber  ihre  Verdienste  um  die  Wissenschaft  nicht  weit  her: 
Gelehrsamkeit,  Exaktheit  und  Subtilität,  Haupteigenschaften  eines  Gramma- 
tikers, zeichneten  allerdings  auch  sie  aus;  aber  weder  waren  sie  schöpferisch 
und  damit  wahrhaft  fruchtbar,  noch  besassen  sie  eine  richtige  Einsicht  in 
das  Wesen  und  Leben  der  Sprache.  Namentlich  mit  seiner  Pathologie  und 
der  willkürlichen  Annahme  von  Einschaltungen  und  Pleonasmen  hat  Herodiai^ 
lange  Zeit  die  Forschung  auf  falsche  Bahnen  geleitet;  die  Wissenschaft" 
musste  sich  erst  wieder  von  der  Autorität  der  herodianischen  Schul- 
weisheit emanzipieren,  um  nicht  mehr  in  dem  c^  von  ovdsig  oder  gar  in  dem 
zweiten  y  von  yiyvoiiai  einen  blossen  Pleonasmus  zu  sehen.  Verhängnisvoll 
war    auch    das   Unvermögen    Herodians,    Stamm,    Ableitung,    Flexion   von 

il 


^)  Einen  untergeordneten  Vorgänger  hatte 
er  an  Herakleides  von  Milet,  von  dem  oben 
§  507  gesprochen  ist. 

^)  Das  Verzeichnis  bei  Lehrs,  Herodiani 
scripta  tria  p.  418  ff.,  und  Lentz,  Herod. 
rell.  I  praef.  XV  sqq. 

^)  Nach  dem  Muster  des  Herodian  be- 
handelte   denselben  Gegenstand    fürs   Latei- 


nische der  Grammatiker  Statilius  Maxi- 
mus, von  dessen  Schrift  De  singularibus 
positis  uns  Charisius  noch  zahlreiche  Reste 
erhalten  hat. 

^)  Über  andere  Reste  bei  Theodoretos, 
Philoponos,  Sergios  siehe  unten  im  letzten 
Teil  der  Litteraturgeschichte. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.   3.  Die  Prosa,   k)  Die  Grammatik.  (§  513.)     G39 


einander  zu  scheiden,  wodurch  es  kommen  konnte,  dass  er  tisqI  ^lov.  Xä'^. 
p.  45  D.  eöafirjv  für  einen  Aorist  med.  hielt  und  demnach  dieses  Wort 
unter  die  Klasse  der  vereinzelt  stehenden  Formen  aufnahm. 

Aug.  Lentz,  Herodiani  technici  reliquiae,  Lips.  1867,  3  vol.,  wo  mit  staunenswertem 
Fleisse  die  Reste  gesammelt  und  zur  Rekonstruktion  der  Lehre  des  einflussreichen  Ge- 
lehrten verwertet  sind.  Die  Schrift  TieQi  fioytJQovg  Xs^seog  zuerst  herausgegeben  von  Din- 
DORF,  Gramm,  gr.  I,  1 — 47,  Lips.  1823,  und  Lehrs,  Herodiani  scripta  tria,  Regiom.  1848, 
Berl.  1857.  —  Nachträge  zur  Ausgabe  von  Lentz  und  über  die  handschriftliche  Grundlage 
veröffentlichten  Arth.  Kopp,  Beiträge  zur  griech.  Exzerptenlitteratur  S.  121  ff.,  Hilgard, 
Excerpta  ex  libris  Herodiani  technici,  Heidelb.  1887;  Egenolff,  Rh.  M.  35,  98  ff.,  Jahres- 
ber.  d.  Alt.  XII,  1.  62  ff.;  dieselben  sollen  in  dem  grossen  Corpus  gramm.  graec.  einen 
Supplementband  zur  Ausgabe  von  Lentz  bilden.  --  Die  Lehre  des  Herodian  von  den  nudi] 
wurde  in  ihren  Grundlinien  frei  rekonstruiert  von  Lobeck,  Pathologiae  graeci  sermonis 
elementa,  Königsb.  1843. 

Von  den  unechten  Schriften  des  Herodian  sind  herausgegeben  der  Philetairos 
von  PiERSON-KocH  im  Anhang  der  Ausg.  des  Möris  p.  412  f.;  ttsql  rj^uHQjrjfiEvoDP  XQemv 
von  G.  Hermann  im  Anhang  zur  Schrift  De  emendanda  ratione  graecae  grammaticac  und 
Gramer  An.  Ox.  III,  246—262  (vgl.  Cohn,  Rh.  M.  43,  405  ff. ;  eine  vermehrte  Neuausgabe 
verspricht  das  Corpus  gramm.  gr.);  nsQi  ßaQßaQio^xov  xal  ooXoixiOfxov  von  Valckenaer  im 
Anhang  des  Ammonius  und  Gramer,  Anecd.  Ox.  III,  237 — 45;  die  ftcT^  des  Hexameters 
von  Studemund,  Jhrb.  f.  Phil.  1876,  S.  609  ff.;  TiaQsxßohd  rov  /nsydXov  ^rifxciTog  von  La- 
Roche,  Hom.  Textkrit.  p.  114  ft\     Über  die  ^EnifisQiafioi  u.  a.  s.  Lentz,  I  praef.  XV  sqq. 

Metriker. 

513.  Die  Metrik  ^)  hatte  sich  schon  bald  nach  Aristoxenos,  dem  musik- 
kundigen Peripatetiker,  als  eigene  Disziplin  von  ihrer  natiirlichen  Mutter, 
der  Musik,  losgelöst,  nicht  zu  ihrem  Vorteil.  In  den  Dienst  der  Grammatik 
trat  sie  bereits  in  Alexandria,  als  Aristophanes  und  seine  Genossen  kri- 
tische Ausgaben  der  Lyriker  und  Dramatiker  besorgten  und  dabei  auch  den 
Kontroversen  über  die  Versabteilung  {xoiAoixsTQia)  nicht  aus  dem  Wege 
gehen  konnten.  Ein  förmliches  System  der  Metrik  scheint  erst  in  der 
römischen  Periode  der  griechischen  Litteratur  aufgestellt  worden  zu  sein. 
Die  Anlage  jenes  Systems,  die  Aufstellung  von  8  Grundmassen  {i^uTQa 
TCQMTOTvna)  und  die  Ableitung  der  seltenen  Versmasse  aus  den  beiden  ge- 
bräuchlichsten, dem  daktylischen  Hexameter  und  iambischen  Trimeter,  lässt 
grosse  Ähnlichkeit  mit  der  Grammatik,  ihren  10  Redeteilen  und  ihrer  Ab- 
leitungstheorie {nqcxnÖTVTKx^  naQünvLia)  durchblicken.  Die  älteren  Formen 
und  technischen  Ausdrücke  desselben  können  aber  nur  teilweise  aus  den 
zerstreuten  Angaben  der  Scholien,  den  Schriften  des  Dionysios  Hali- 
carnassensis  und  den  lateinischen  Metrikern  rekonstruiert  werden.  Von 
griechischen  Grammatikern  aus  dem  Beginne  der  römischen  Kaiserzeit 
werden  als  Verfasser  von  Schriften  nsQi  fitTQon'  nur  erwähnt  Philoxenos 
und  Heliodor.2)  Erhalten  ist  uns  aus  dem  2.  Jahrhundert  das  Lehrgebäude 
des  Hephaistion. 

Hephaistion,   alexandrinischer  Grammatiker  unter  den  Antoninen, 3) 


')  Die  Liniamente  einer  Geschichte  der 
alten  Metrik  sind  entworfen  von  Westphal, 
Metrik  der  Griechen,  2.  Aufl.  (1867)  I,  1-174. 

'^)  Beide  blühten  im  1.  Jahrh.  der  Kaiser- 
|Zeit  nach  Augustus.  Ihnen  muss  aber  ein 
I älterer  Metriker,  vielleicht  ein  älterer  He- 
lliodor,  vorausgegangen  sein,  dessen  Theorie 
Dionysios  Halic.  de  comp.  verb.  und  Varro 
folgten.     Auch  die  Grammatik  des  Dionysios 


Thrax  enthält    bereits    einen  Abschnitt  über 
die  Versfüsse. 

^)  Capitolinus,  vit.  Veri  2  bezeichnet  den 
Ilephästion  als  Lehrer  des  Verus  und  Zeit- 
genossen des  llarpokration.  Suidas  nennt 
u.  Uro'lh^uioq  und  KnuffQÖötToc;  einen  He- 
phästion als  V^ater  des  Ptolemaios  Chennos, 
es  wird  dieses  vielleicht  der  Grossvatcr 
unseres  Hephästion  gewesen  sein.    Der  Vater 


640 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


war  älterer  Zeitgenosse  des  Athenaios,  der  ihn  p.  673  e  als  einen  gemeinen 
Plagiator  hinstellt.  Ausser  anderm  verfasste  er  ein  grosses  Werk  ntql 
{iu'TQMv  in  48  B.,  von  welchem  er  später  mehrere,  grössere  und  kleinere 
Auszüge  machte.  Von  diesen  ist  der  kleinste  in  1  B.  unter  dem  Titel 
syxeiQidiov  tisqI  ^utqcov  auf  uns  gekommen.')  In  einfacher,  präziser  Sprache 
sind  hier  nach  2  einleitenden  Kapiteln  über  Prosodie  die  einzelnen  Füsse 
und  Verse  vom  Standpunkt  des  Grammatikers  ohne  Bezugnahme  auf  die 
Geltung  der  Silben  im  Gesang  behandelt.  Angehängt  ist  der  speziellen 
Metrik  ein  interessantes  Schlusskapitel  7T8qI  Trou'jfjLaTog  oder  über  die  ver- 
schiedenen Arten  der  poetischen  Komposition,  in  doppelter  Fassung. 2)  Das 
metrische  Handbuch  unseres  Hephaistion  wurde  geradeso  wie  die  Grammatik 
des  Dionysios  Thrax  dem  Unterricht  in  der  Schule  zu  grund  gelegt  und 
infolgedessen  vielfach  kommentiert.  Auf  uns  gekommen  sind  Prolegomena 
unter  dem  Namen  des  Longinos,  Reste  der  Exegesis  des  Choiroboskos  und 
anonyme  Schollen  von  verschiedenem  Alter  und  Wert;  die  älteren  des  cod. 
Saibantianus,  in  denen  noch  Heliodor  und  das  grössere  Werk  des  Hephaistion 
benützt  sind,  haben  für  uns  fast  mehr  Wert  als  das  Handbuch  selbst. 

Hepliaestionis  Alex,  enchiridion  nsQt  jLieTQtoy  xcd  nonjfxdzojv  ed.  Gaisford  Oxon. 
1810,  iterum  1855,  2  tom.  —  ScHptores  metr.  gr.  ed.  Westphal  in  Bibl.  Teubn.  1860; 
der  1.  allein  erschienene  Band  enthält  den  Hephästion  mit  den  Scholien.  —  Scholia  Hc- 
phaestionea  altera  ed.  Hoerschelmann,  Dorpat  1882;  FswQyiov  lov  Xoiqoßoaxov  ihjyi]otg 
£ig  To  Tov  'HcfaiaxiMvog  iy/EigidLoy  und  Scholia  Hephaestionea  Amhrosiana  ed.  Studemund, 
An.  gr.  33ff. ;  Tractatus  Harleianus,  wahrscheinlich  von  Triklinios,  neubearbeitet  von 
Studemund  im  Ind.  Vrat.  1887/88.  —  Verwandten  Inhaltes  ist  der  Traktat  tisqI  zrjg  xiui/ 
noö'iop  opojuaaiag,  publiziert  von  Keil.  Anal.  Ambros.  1848,  und  Nauck,  Lex.  Vind.  253  -  67. 
Anderes  von  Studemund  in  Jhrb.  f,  Phil.  1876  S.  609  ff.  und  in  Anecd.  I,  211  ff.  —  Pseudo- 
Hephaestion  de  metris;  eine  Kompilation  des  14.  Jahrb.,  herausgegeben  von  Jacobsmühlen, 
Strassb.  1888,  in  Diss.  Argent.  X,  187-298. 

514.  Drakon  von  Stratonikeia,  der  vor  Apollonios  Dyskolos^)  lebte, 
hat  über  grammatische  und  metrische  Dinge  geschrieben.  Aber  keines  der 
von  Suidas  aufgezählten  Bücher  (negl  ixbTQMv,  ttsqI  (XaTVQwv,  tcsqI  tmv  lliv- 
dtxQov  iii€?.d)v,  ttsqI  tmv  ^aTKfovQ  fii-TQO)v,  ttsqI  zcov  'AXxaiov  fieXm')  ist  auf 
uns  gekommen.  Denn  die  unter  seinem  Namen  im  Cod.  Paris.  2675  er- 
haltene Schrift  TTSQI  (^uTQMv  TToiijTixcov  ist  eine  wertlose  Kompilation  des 
16.  Jahrhunderts.*)  Eher  darf  man  vermuten,  dass  die  metrischen  Scholien 
des  Pindar  in  ihrem  Grundstock  auf  Drakon  zurückgehen.  Ausgabe  des 
Draco  von  G.  Hermann,  Lips.  1812. 

515.  Aristides  Quintilianus,  über  dessen  Lebenszeit  uns  bestimmte 
Angaben  fehlen,  der  aber  wahrscheinlich  im  3.  Jahrhundert  zur  Zeit  der 
Neuplatoniker  lebte,  ^)  ist  Verfasser  des  uns  erhaltenen  und  von  Martianus 


unseres  Metrikers  hiess  nach  Tzetzes  (Gramer, 
An.  Ox.  III,  302)  Kek^sQog,  d.  i,  Celer;  siehe 
indes  Rh.  M.  25,  319. 

')  Longin,  Prol.  ad  Heph.  p.  88,  21  W.: 

jurj'  ßi,ß'/.ic(,  sL'^^  VGT6Q0P  insTS^usy  cwra  sig 
t'pdsxa,  &hc(  ndXiy  eig  tq'lcc,  eiicc  nliov  eig 
IV  rovToi>  TOV  iy^eiQü^iov. 

^)  Die  kürzere  Fassung  wird  in  den 
►Scholien  nicht  berücksichtigt  und  scheint 
von  einem  späteren  Metriker  mit  kleinen  Ab- 
änderungen aus  der  längeren  gezogen  zu  sein. 

^)  Vergl.  Apoll,  de  pron.  p.  20  b. 


'^)  Über  die  Unechtheit  s.  Lehrs,  Hero- 
dian  p.  402  ff.  -^  Voltz,  De  Helia  Monacho, 
Isaaco  Monacho,  Ps.  Dracone  (1886),  weist 
nach,  dass  das  Buch  erst  nach  1526  fabriziert 
wurde  unter  Zugrundelegung  des  gleich- 
namigen Buches  von  Isaacus  Monachus  (ed. 
Bachmann,  An.  gr.  II,  167—196).  Dass  der 
betreffende  Codex  von  Diassorinos,  einem 
Genossen  des  Fälschers  Palaiokappa,  ge- 
schrieben ist,  beweist  L.  Coiin,  Phil.  Abh. 
zu  Ehren  von  Hertz  S.  138  ff. 

■'')  Caesar,  De  Arisiidis  Quint.  imtsicae 
scriptoris  aetnie,  Ind.  Marb.  1882. 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§  514 — 517.)  G4 1 

Capella  teilweise  ins  Lateinische  übersetzten  Werkes  nsQi  ßovaixr^q  in  3  B. 
In  demselben  ist  noch  die  Verbindung  der  Metrik  mit  der  Musik  im  Geiste 
des  Aristoxenos  festgehalten,  aber  die  Klarheit  der  Darstellung  durch 
Hereinziehung  der  neuplatonischen  Träumereien  von  der  Übereinstimmung  der 
Intervallenverhältnisse  der  Musik  mit  der  Harmonie  des  Universums  getrübt. 
Hauptausg.  von  Alb.  Jahn  1882.  —  Das  System  klargelegt  von  Caesar,  Die  Grund- 
züge der  griech.  Rhythmik  im  Anschluss  an  Aristides,  Marburg  1882. 

Von  sonstigen  Büchern  über  Musik  sind  auf  uns  gekommen  das  rein 
theoretische  Werk  des  Ptolemaios  über  Harmonik,  das  wir  bereits  oben 
§  447  berührt  haben,  und  die  dürftigen  Einführungen  in  die  Musik  [elaa- 
yo^yal  ^lovaixai)  von  Alypios,  Nikomachos,  Bacchios,  Gaudentius  aus  den 
letzten  Jahrhunderten  des  Altertums.  Der  Zeit  vor  Ptolemaios  gehört 
an  Didymos  neQl  SiacfOQag  rrjg  JJv^ayoQstov  jÄOvaixfjg  nqog  ttjV  'Jqi(Tto'^6Vov, 
aus  welcher  Schrift  uns  einiges  in  dem  Kommentar  des  Porphyrios  zu 
Ptolemaios  erhalten  ist. 

Meibom,  Äntiquae  musicae  auetores  Septem,  Amstel.  1652;  Westphal,  Die  Frag- 
mente der  Rhythmiker  und  die  Musikreste  der  Griechen,  Anhang  zur  Metrik  der  Griechen, 
2.  Aufl.  1867.  Nachträge  aus  spanischen  Bibliotheken  von  Ruelle,  Etudes  sur  Vancienne 
musique  grecque,  Par.  1875. 

Lexikographen  und  Attikisten. 

516.  Die  x\nfänge  der  Lexikographie  gehen  bis  auf  die  ersten  Ale- 
xandriner zurück.  9  Schon  Philetas,  Zenodot,  Lykophron,  in  grösserem 
Stile  sodann  Aristophanes  von  Byzanz,  Krates  von  Mallos  und  ihre  Schüler 
hatten  seltene  Ausdrücke  der  Umgangssprache  (yXmaaai)  und  erklärungs- 
bedürftige Lesungen  (Xi'§eig)  der  Autoren  zusammengestellt  und  erläutert. 
Umfassende  Lexika  aber  brachten  erst  die  ersten  Zeiten  der  römischen 
Periode,  aus  der  wir  die  Arbeiten  des  Didymos,  Tryphon,  Pamphilos  an 
ihrer  Stelle  bereits  erwähnt  haben.  Jenen  Wörtersammlungen  waren  Unter- 
suchungen über  den  Ursprung  (t6  stv/iiov)  der  einzelnen  Wörter  zur  Seite 
getreten,  welche  die  Stoiker  Chrysipp  und  Apollodor  angeregt  und  unter  den 
Grammatikern  vornehmlich  Philoxenos  weiter  verfolgt  hatten.  Die  lexikalischen 
und  etymologischen  Werke  der  älteren  Zeit  sind,  von  einigen  Speziallexicis  ab- 
gesehen, nicht  auf  uns  gekommen;  aber  auf  den  verlorengegangenen  grös- 
seren Werken  beruhen  die  Lexika,  welche  auf  unsere  Zeit  sich  gerettet  haben. 

517.  Die  Attikisten. 2)  Attische  Wörter,  d.  i.  solche,  welche  bei 
attischen  Autoren  in  Gebrauch  waren,  hatten  schon  ältere  Grammatiker, 
wie  Philemon  der  Athener,^)  Ister  der  Kallimacheer ,  Aristophanes  und 
Krates,  später  im  Beginne  der  Kaiserzeit  die  Pergamener  Demetrios  Ixion 
und  Alexander  Polyhistor,  sowie  der  Rhetor  Cäcilius  Calactinus  zusammen- 
gestellt. Diese  Sammlungen  erhielten  aber  erhöhte  Bedeutung  im  Zeit- 
alter   der   Sophisten,^)    als   man   alle  Ehre   darein    setzte,    rein   attisch    zu 


I 


^)  Meiek,  Opusc.  11,  10  ff,,  wo  noch 
weiter  zurückgegangen  wird  auf  Deniokritos' 
tisqI  yX(OGas(Of  und  ovo^aoxixöi^  und  auf  das 
opof^aoTixöu  des  Gorgias. 

2)  Meier,  De  lexicis  rhetoricis,  Opusc. 
II,  ;30ff.  u.  62ff.  ^ 

^)  Die  'JttixckI  Xe^eig  des  Philemon  wer- 
den öfter  von  Athenaios  citicrt;  derselbe 
lebte  sicher  vor  Tryphon,    der   ihn  bei  Ani- 

Hautlbuch  der  klass.  Altortuiuswisseiiscliaft.  VII,     2.  AuH.  41 


monios  u.  novrjqög  citicrt;  dass  er  der  Zeit 
vor  Aristarch  angehört,  erweist  Rob.  Weber, 
De  Phücmone  Atheniensi  glossofjrapho,  in 
Comm.  Ribbock.  441  50;  ein  anderer  Phi- 
lemon, Verfasser  von  avfi^ixi«,  lebte  zwi- 
schen Alexander  Cotyaeus  und  Porphyrius; 
über  einen  dritten  untergeschobeneu  s.  §  -57;>. 
*)  Dionysios  llalik.  in  der  Zeit  desi  Au- 
gustus    bezeichnet    noch    nicht   die   Reinheit 


642 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


schreiben  {axTixi^siv),  und  auf  diejenigen,  welche  sich  Wörter  und  Formen 
der  Vulgärsprache  erlaubten,  verächtlich  als  auf  Halbbarbaren  herabsah. 
Diesem  stilistischen  Zwecke  sollten  auch  die  lexikalischen  Arbeiten  der 
Attikisten  dienen,  in  welchen  die  attischen  Formen  den  vulgären  (iXhjviari, 
xoivcog  siQij^asva)  gegenübergestellt  und  zum  ausschliesslichen  Gebrauch  em- 
pfohlen wurden.  Rhetorische  Lexika  hiessen  daher  auch  die  bereits  oben 
§  509  erwähnten  Hauptwerke  dieser  Art,  die  des  Aelius  Dionysius  und 
Pausanias. ')  Ahnlicher  Art  waren  zahlreiche  Schriften  aus  der  Blüte- 
zeit der  Sophistik  im  2.  Jahrhundert,  wie  von  Eirenaios  ti^qI  'AiTixia- 
f^iov,  ttsqI  'Attixmv  ovoi^idrcov,  ttsqI  'ÄTTixijg  (fvrrjl^siag  xr^g  iv  Xs'^si  xal  ttqo- 
(fcpSfa,  von  Julius  Vestinus^)  ixXoyn]  oroßarMi'  sx  xwv  Jrjfxoa^tvovg 
Qovxvdidov  ^laaiov  laoxQccTovg  xal  GQacrvf^iäxov,  von  Valerius  Pollio 
avvaycoytj  ^Attixcov  ka'^scov,  von  Telephos  dem  Pergamener^)  Tvegl  awra^scog 
Xoyov  Uttixov,  von  Valerius  Diodorus,  einem  Sohne  des  Pollio,  ^ijTovfiera 
naqu  ToTg  i  Qt'jTOQaivA)  Auf  uns  gekommen  sind  ausser  den  Wörterbüchern 
des  Harpokration  und  Pollux  die  ?.i"^€ig  'Airixai  des  Moiris,  der  anonyme 
^AvrazTixiCTrjg,  und  die  Auszüge  aus  Phrynichos.  Das  Hauptwerk  des 
letzteren,  den  Suidas  einen  Sophisten  aus  Bithynien  nennt,  war  die  aoc/KTrix)] 
TcaQaaxevi]  in  37  B.,  welche  nach  der  an  den  Kaiser  Commodus  gerichteten 
Widmungsepistel  auf  2  X  37  Bücher  angelegt  war.  Als  Hauptrauster  für 
den  Attikismus  galten  dem  Phrynichos  Piaton,  Demosthenes  und  der  So- 
kratiker  Aischines;  neben  einzelnen  Wörtern  fanden  auch  ganze  Phrasen 
{xo/^ijuara  xal  xwXa)  in  seinem  Werke  Berücksichtigung.  Auf  uns  gekommen 
sind  nur  dürftige  Auszüge:  ix  tcov  (I>Qvrixov  rov  'Agaßiov  rrjg  aog)i(TTixi]g 
7iaQaaxsvr-g  und  sxXoyrj  ^rjf.iäTO)v  xal  ovoßäTorv  'Attixmv.  Gegen  seine  Auf- 
stellungen polemisierte  der  Grammatiker  Gros,  der  in  der  W^eise  des 
uns  erhaltenen  ^ÄvTaTzixiarr^g  manches,  was  jener  beanstandet  hatte,  durch 

gute  Autoren  belegte. 

Moeris  cum  notis  rariorum  ed.  Pierson,  LB.  1759,  denuo  ed.  Koch,  Lips.  1830, 
mit  dem  Philetairos  des  Ps.  Herodian  im  Anhang,  lec.  Imm.  Bekker,  ßerol.  1833,  mit 
Harpokration.  —  Phrynich  s  cum  notis  variorum  ed.  Lobeck  1820  mit  einem  auf  den 
ganzen  Attikismus  eingehenden  Kommentar;  The  new  Phrynichus  lüith  introductions  and 
commentary  hy  Rutherford,  Lond.  1881.  —  Über  die  attikistischen  Schriften  unter  dem 
Namen  des  Herodian  tisqI  rjfj.aQT7]}xtvoi}v  Xi'^sMv  und  ^iliTcuQog,  die  aus  der  späteren  Kaiser-^ 
zeit  stammen,  s.  §  512.  —  In  dem  Corpus  gramm.  graec.  werden  die  Attikisten  mit  neue 
Hilfsmitteln  bearbeitet  werden  von  R.  Scholl  und  L.  Cohn. 

518.    Harpokration,  mit  dem  Gentilnamen  Valerius,  aus  Alexandri 
wird  von  Suidas  als  Verfasser  der  uns  noch  erhaltenen  At^eig  twv  dexa  ^yjtoqwv 
angeführt.^)     Das  Buch    enthält    sorgfältige,   für  unsere  Kenntnis  des  atti 


i 


des  Ausdrucks  mit  aTTixi^eiy,  die  Pedanterie 
des  Attikismos  auch  in  der  Auswahl  der 
Wörter  kommt  erst  mit  Herodes  Atticus 
auf;  s.  W.  ScHMiD,  Der  Atticismus  in  seinen 
Hauptvertretern,  Stuttg.  1887,  S.  10. 

')  Siehe  oben  §  509. 

^)  über  diesen  Eirenaios  oder  Minucius 
Pacatus  handelt  Haupt,  Opusc.  II,  434 — 440, 
wo  auch  die  Fragmente  gesammelt  sind; 
ebenda  p.  435  über  Vestinus,  den  Geheim- 
schreiber des  Hadrian. 

^)  Über  diesen  Telephos,  der  ein  sehr 
fruchtbarer  Schriftsteller  auf  dem  Gebiet  der 


Grammatik  und  Polyhistorie  war,  haben  wir 
einen  inhaltreichen  Artikel  des  Suidas.  Frag- 
mente bei  Müller  FHG.  HI,  634  f. 

^)  Lexika  des  Philostratos,  Diodoros, 
Julianus  erwähnt  Photios  cod.  150;  s.  Ed. 
Meier,  Opusc.  H,  149  f.  Ein  Bruchstück 
der  ZrjxovfXEva  des  Diodor  publizierte  Miller, 
Melanges  p.  1 — 74. 

^)  Suidas  erwähnt  noch  3  andere  Männor 
namens  Harpokration;  der  unsere  heisst 
(>?;'ra>(),  und  steht,  was  wegen  der  Zeit  zu 
beachten  ist,  an  letzter  Stelle.  Sein  Namens- 
verwandter Aelius   Harpokration   hatte   eine 


I 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§518— 519.)  643 

sehen  Geriehtswesens  äusserst  wichtige  Besprechungen  von  Eigennamen 
und  erklärungsbedürftigen  Ausdrücken  der  10  attischen  Redner.  Zur  Er- 
läuterung sind  von  der  älteren  Litteratur  die  Periegeten  und  Atthiden- 
schreiber  herangezogen;  von  jüngeren  Gelehrten  ist  besonders  Didyraos  aus- 
gebeutet, daneben  auch  der  Rhetor  Dionysios  von  Halikarnass  und  der 
Lexikograph  Dionysios,  des  Tryphon  Sohn.  Das  werden  aber  auch  die 
jüngsten  Gelehrten  sein,  die  Harpokration  benützte,  da  es  zweifelhaft  ist,  ob 
der  unter  dx/j  citierte  Nikanor  mit  dem  berühmten  Grammatiker  Nikanor 
Stigmatias  identisch  ist.  Die  Zeit  des  Verfassers  unseres  Lexikons  hat 
Suidas  anzugeben  unterlassen;  vermutlich  ist  er  der  gleiche  Harpokration, 
den  Capitolinus,  vit.  Veri  2,  als  Lehrer  des  Antoninus  Verus  im  Griechi- 
schen angibt.  9 

Überliefert  ist  das  Lexikon  in  2  Rezensionen,  einer  vollständigeren  und  einer  ab- 
gekürzten; aber  auch  die  erstere  enthält  nur  einen  verstümmelten  Text,  wie  neuerdings 
aus  der  volleren  Fassung  der  einschlägigen  Artikel  in  dem  Speziallexikon  zu  Deniosthenes 
Aristocratea  erkannt  wurde;  s.  Herrn,  17,  148  ff.  —  Hauptausg.  mit  den  Noten  der  Früheren 
von  G.  DiNDORF,  Oxon.  1853,  2  vol.;  kritische  Ausgabe  von  Imm.  Bekkee,  Berl.  1833.  — 
BoYSEN,  De  Harpocrationis  fontihus,  Kiel  1876.  —  Von  Harpokration  ist  abhängig  das 
Lexicon  rhetoricum  Cantahrigiense  bei  Nauck,  Lex.  Vindob.  p.  329—58. 

519.  Julius  Poliux  (UoXvSsvxrjg)  aus  Naukratis  in  Ägypten, 2)  Schüler 
des  Rhetors  Adrianos,  war  wie  Phrynichos  ein  Mittelding  zwischen  Gram- 
matiker und  Sophist.  Durch  die  Gunst  des  Kaisers  Commodus  erhielt  er 
den  Lehrstuhl  der  Sophistik  in  Athen,  den  er  bis  zu  seinem  im  58.  Lebens- 
jahre erfolgten  Tod  inne  hatte.  Aber  in  das  Ansehen  eines  tüchtigen  Sti- 
listen wusste  er  sich  bei  den  Kennern  nicht  zu  setzen.  So  wenigstens  spricht 
sich  Philostratos,  vit.  soph.  II,  12  aus;  schlimmer  noch  geht  mit  ihm  Lukian 
um,  der  ihn  im  Sophistenlehrer  zur  Zielscheibe  bittersten  Spottes  gemacht 
hat.^)  Ausser  mehreren  andern  von  Suidas  aufgezählten  Schriften  schrieb 
er  das  uns   noch  erhaltene  ^Ovoiia(STix6v   in    10  Büchern,    von   denen  jedes 

I  mit  einem  Brief  an  den  Kaiser  Commodus  eingeleitet  ist.  Das  Lexikon 
ist  nach  Kategorien  geordnet  und  befolgt  auch  innerhalb  der  einzelnen 
Kategorien  nicht  die  alphabetische  Ordnung.  Beabsichtigt  ist  von  dem  Ver- 
fasser zunächst,  seinen  Lesern  Verzeichnisse  der  attischen  Namen  für  die 
einzelnen  Gegenstände  zu  geben;  Belegstellen  und  Zeugnisse  sind  nur  teil- 
weise und  in  verschiedenem  Umfang  beigegeben.  Am  interessantesten  sind 
das  4.  und  8.  Buch,  von  welchen  das  erstere  von  den  Wissenschaften  und 
Künsten,  und  im  Anschluss  daran  vom  Theater,  den  Masken,  musikalischen 
1  Instrumenten  handelt,  das  letztere  die  Behörden  und  die  Gerichte  Attikas 
aufzählt.  Selbst  gesammelt  hat  Poliux  die  Namen  nicht  und  noch  weniger 
die  Belegstellen;  er  hat  auch  in  den  einzelnen  Büchern  nicht  dieselben 
Hilfsmittel  benützt,  wie  er  selber  sagt,  dass  er  erst  bei  dem  9.  Buch  das 
Onomastiken  des  Sophisten  Gorgias  zu  Rate  gezogen  habe.  Seine  Quellen 
waren   in  erster  Linie  die  grossen  lexikalischen  Vorarbeiten    des  Didymos, 

J  Tryphon,  Pamphilos;   im  2.  Buch   hat  er   sich   speziell   an  die  uns   in  der 


tc/i^t;  ()f]TOQtxr]  geschrieben,    die   Rh.    gr.  I,    i   Zeit  des  Tiberius 


428,  18;  440,  4;  447,  20;  459,  5  Sp.  citiert 
Iwird. 

*)  IVIetee,    Opusc.    T[,  147  ff.    setzt    den 
jHarpokration   auf   (Jrund    der  Citate   in    die 


2)  C.    F.    Ranke,    Poliux    et    Lucianus, 
Quedlinburg  1831. 

■')  Siehe  oben  8.  547  An.  2. 


41 


644  Griechische  Litteraturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litter atur. 

Hauptsache   noch  erhaltene  Schrift  des  Arztes  Rufus   tieqI   ovofxaaiag   tmv 
Tov  av^QWTiov  fioQiMv  angelehnt. 

Hauptausg.  mit  den  Noten  der  Früheren  von  Dindokf,  Lips.  1824,  5  vol.;  ex  rec, 
Imm.  Bekkeri,  Berl.  1846.  -  Rohde,  De  Pollucis  in  apparatu  scaenico  enarrando  fon- 
tihus,  Lips.  1870;  Stoientin,  De  lulii  Pollucis  in  publicis  Atheniensium  antiquitatibvs 
enarrandis  auctoritate,  Vratisl.  1875;  R.  Michaelis,  De  lulii  Pollucis  studiis  Xenophonteis, 
Halle  1877;  Ed.  Zarncke,  Symbolae  ad  lulii  Pollucis  tractatum  de  p>artihus  corporis 
humani,  Lips.  1885. 

Dem  Pollux  wollte  der  französische  Gelehrte  Boucherie  auch  das 
griechisch  -  lateinische  Konversations-Lexikon,  ^EQf^irjnviiiaTa,  zuschreiben, 
welches  ehedem  unter  dem  Namen  des  Magister  Dositheus  umlief,  weil  es 
in  einigen  Handschriften  mit  der  lateinischen  Grammatik  des  Dositheus 
verbunden  ist.  In  der  That  gehört  dasselbe,  wie  Krumbacher  nachgewiesen 
hat,  weder  dem  einen  noch  dem  anderen  an,  sondern  einem  Anonymus, 
der  im  Beginne  des  3.  Jahrhunderts  für  die  Römer,  welche  Griechisch, 
und  die  Griechen,  welche  Latein  lernen  wollten,  ein  bequemes  Gesprächs- 
wörterbuch zusammenstellte.  Dasselbe  ist  für  unsere  Kenntnis  der  Vulgär- 
sprache jener  Zeit  nicht  ohne  Bedeutung  und  hat  weite  Verbreitung,  aber 
auch  vielfache  Interpolationen  und  Umarbeitungen  im  Mittelalter  erfahren. 

Verschiedene  Proben  des  Büchleins  haben  veröffentlicht  Henk.  Stephanus,  Glossaria 
duo,  Paris  1573;  Boucherie,  Notices  et  extraits,  t.  XXII  p.  329—477;  Haupt,  Opusc.  II, 
508 — 520.  —  Eine  vollständige  Ausgabe  erwarten  wir  von  Krumbacher  in  dem  Corpus 
glossariorum  latinorum  von  Götz;  vorläufige  Mitteilungen  gab  Krumbacher,  De  codicibns 
quibus  Interpretamenta  Pseudodositheana  nohis  tradita  sunt,  Monachii  1883.  Ediert  sind 
bereits  von  Götz  in  dem  1888  erschienen  Bande  des  Corpus  gloss.  lat.  mehrere  glossae 
latino-graecae  und  idiomata  oder  Wörter,  deren  Geschlecht  im  Lateinischen  und  Griechi- 
schen verschieden  ist;  vgl.  Charisius  Inst,  gramm.  1.  IV  de  idiomatibus. 

Hingewiesen  sei  hier  auch  noch  auf  die  Zusammenstellung  von  ^Enid^sTa  Jiog,  ^Jnöl- 
ko)pog,  Uoaeidtoyog/jQSog,  Jiovvaov/Hcpaiaiov,  Eq^uov,  \4&r]väg,HQag,  'JcpQodiri]g,  JrjfiyiQctg, 
'jQrefiidog,  welche  Studemund,  Anecd.  gr.  p,  264  sqq.  ediert  hat. 

Parömiographen  und  Mytho^rapheu. 
520.    Sprich  Wörtersammlungen.     Die   griechische   Sprache    hatte 
eine  grosse  Fülle  schöner  Sprichwörter  {naQoißiai),  von  denen  die  ältesten 
in    metrische  Form   gekleidet  waren,    alle    aber   von    dem  Witz    und    der 
scharfen  Beobachtungsgabe   des  Volkes    zeugten.     Ihre   Erklärung  gehörte 
natürlich   mit   zur  Aufgabe   der  Grammatiker  und   führte  früh   zu  Samm- 
lungen   von    Sprichwörtern.      Von  Didymos   haben    wir   schon   oben   §  401 
eine  solche  Sammlung   in    13  B.  kennen  gelernt;    aber   er    war  nichjt   der 
erste,  der  sich  mit  diesem  Gegenstande  abgab.    Schon  von  Aristoteles  wird 
im  Verzeichnis    seiner  Schriften    ein  Buch   tisqI  naQoiixiurv   angeführt,    und 
der  Isokrateer  Kephisodoros  macht  bei  Athen.  60  d  dem  Philosophen  geradezu 
einen  Vorwurf    aus   dieser    kleinlichen    Beschäftigung.     Dem   Vorgang   des 
Meisters  waren  dann  der  Peripatetiker  Klearchos  und  der  Stoiker  Chrysippos 
mit  ähnlichen  Arbeiten  gefolgt.     Auch  die  älteren  Grammatiker  und  Peri- 
egeten    hatten    sich    dieses   Gebiet   der   Forschung   nicht    entgehen   lassen. 
Demon  der  Atthidenschreiber,  Aristophanes  von  Byzanz,  Aristides  von  Milet,  I 
besonders  aber  Lukillos  aus  dem  kretischen  Tarrha  hatten  sich  durch  ihre 
Schriften  über  Sprichwörter  einen  Namen  gemacht.    In  der  Zeit  der  Sophisten 
erlangten  diese  Sammlungen    eine   erhöhte   praktische  Bedeutung   dadurch, 
dass  die  Schriftsteller   in    der  Verwendung   von  Sprichwörtern  ähnlich  wie 
in  der  von  Figuren  einen  auszeichnenden  Schmuck  der  Rede  suchten.    Be- 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§  520—521.)  645 

kannt  ist,  wie  häufig  der  begabteste  Schriftsteller  der  Sophistik,  Lukian, 
seine  Rede  durch  geschickte  Einlage  von  Sprichwörtern  belebt. ') 

Aus  dieser  Zeit  nun  stammen  auch  die  Sammlungen  der  uns  erhaltenen 
Parömiographen.  Die  vollständigste  ist  die  des  Sophisten  Zenobios,  der 
zu  Rom  in  der  Zeit  des  Hadrian  lehrte  und  von  dem  Suidas  ausser  der 
Sprichwörtersammlung  auch  eine  griechische  Übersetzung  des  Sallust  und 
eine  Geburtstagsrede  auf  Hadrian  anführt.  Jene  Sammlung  wird  von  Suidas 
als  eine  sTTLTOfjirj  tmv  TTagoifiiMv  Jidvfiov  xal  Taggaiov  iv  ßißXioig  y  be- 
zeichnet. Es  ist  uns  also  auch  hier  nur  ein  Auszug  der  gelehrteren  Werke 
der  älteren  Zeit  erhalten,  und  Schneidewin  hat  in  der  Präfatio  seiner  Aus- 
gabe p.  XIV  sqq.  gezeigt,  wie  uns  hie  und  da  in  den  Scholien  des  Piaton 
noch  die  gelehrten  Ausführungen  der  kurzen  Angaben  des  Zenobios  vor- 
liegen. Die  Sprichwörter  dieses  unseres  Zenobios  wurden  im  Mittelalter  zu 
Schulzwecken  in  eine  alphabetische  Ordnung  gebracht  und  mit  2  anderen 
Sammlungen  zu  einem  Corpus  paroemiographorum  vereinigt.  Nach  dem 
Vorschlag  des  Erasmus  Hess  dann  Schott  an  die  Stelle  der  alten  Ordnung 
nach  Büchern  die  Zählung  nach  Centurien  treten,  welche  Zählung  noch  in 
der  Ausgabe  von  Leutsch-Schneidewin  beibehalten  ist.  Erst  in  unserer 
Zeit  ist  es  mit  Hilfe  des  Cod.  Athous  gelungen,  die  Sammlung  wieder  in 
ihre  3  Elemente  zu  zerlegen.  Den  Grundstock  und  den  ersten  Teil  bilden 
die  3  Bücher  des  Zenobios.  Der  zweite  Bestandteil  trägt  die  Überschrift 
nXovTccQxov  Tiagoifiiai,  aig  'Al^'^ardgelg  sxQoh'To  (131  Nummern);  diese  zweite 
I  Sammlung  geht  auf  den  Grammatiker  Seleukos  zurück,  der  nach  Suidas 
neQl  Torr  nag'  ^AXe'^avSQevai  naQoiiiiwv  geschrieben  hatte;  wie  Plutarch 
dazu  kam,  Vaterstelle  für  dieselbe  zu  vertreten,  ist  noch  nicht  aufgeklärt. 
Die  dritte,  alphabetisch  geordnete  und  reichhaltigere  Sammlung  entstammt 
dem  Sprich  Wörterlexikon  eines  anonymen  Rhetors;  mit  Diogenian,  dem 
berühmten  Lexikographen,  scheint  sie  nichts  zu  thun  zu  haben,  wiewohl 
in  den  Mischhandschriften  die  eine  Rezension  den  Titel  trägt:  nagoiiiiai 
Srii.m6sig  sx  rrjg  Jioysviarov  avrayMyrjg.  Die  Sammlungen  von  Gregorios 
von  Kypern  (13.  Jahrhundert),  Makarios  Chrysokephalas  und  Apostolios 
(15.  Jahrhundert)  sind  auf  Grund  der  alten  Sammlungen  im  Mittelalter 
zusammengestellt  worden  und  haben  keinen  selbständigen  Wert. 

Die  Codices  gehen  in  2  Familien  auseinander,  von  denen  die  ältere  (cod.  Atlious  s. 
XIIT;  Laurent.  80,  18;  Escorialensis)  die  Teile  gesondert  enthält,  die  jüngere  dieselben 
zu  einem  Gemisch  zusammengeworfen  hat 

Ausgaben:  Paroemiorjraphi  graeci  ed.  Gaisford,  Oxon.  1836;  ed.  v.  Leutsch  et 
Schneidewin,  Gott.  1839.  Eine  neue  Ausgabe  auf  Grundlage  der  älteren  Handschriften- 
klasse erwarten  wir  von  0.  Crusius;  vorläufig  orientieren  Crusius,  AnOtlecta  critica  ad 
j)aroemiogr.  cjracc.,  liips.  1883;  Brachmann,  Quaestiones  Pseudo-Diogenianae,  Jahrb.  f. 
Phil  Suppl.  t.  XIV;  Jungblut,  De  paroemiogr.  graec,  Halle  1882;  Hotop,  De  Eustathii 
prorerbüs,  in  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XVI,  249-314. 

521.    Die   Mythographen.      Eine   Hauptaufgabe    der    Grammatiker 

im   Altertum   bildete   die    Erklärung   der    Mythen.     Nach    dieser   Richtung 

bewegten  sich  die  Inhaltsangaben  {im  oO^  tat  ig)  der  einzelnen  Dichtungswerke, 

die  Zusammenstellungen  der  von  den  Dramatikern   behandelten  Stoffe,    die 

Zyklen   {xvxXoi)    der   epischen  Sagen.     Die    hieher   gehörigen  Arbeiten    des 

Aristophanes   von  Byzanz,    des  Asklepiades   von  Tragilos   und   der   Kyklo- 

')  Jacobitz   in   seiner  Ausgabe  Lukians  t.  IV  p.  328  f. 


(34()  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

graphen  Dionysios  und  Lysimachos  haben  wir  bereits  früher  an  ihrer 
Stelle  besprochen.  Aus  derselben  erwuchs  nach  und  nach  die  spezielle 
Disziplin  der  Mythenschreiber  (nvd^oyqacfoi),  welche  unabhängig  von  den 
einzelnen  Dichtern  eine  zusammenhängende  Darstellung  und  Deutung  der 
Mythen  zu  geben  unternahmen.  Zu  einer  pragmatischen  Deutung  hatte 
Euhemeros,  der  Freund  des  makedonischen  Königs  Kassander,  den  Anstoss 
gegeben;  in  seine  Fusstapfen  war  dann  Palaiphatos  in  der  oben  §  362  be- 
sprochenen Schrift  getreten.  Später  gewann  durch  den  Einfluss  der  Stoa 
die  allegorische  Auslegung,  gestützt  auf  bodenlose  Etymologien,  Eingang 
und  ward  speziell  für  Homer  zur  Zeit  des  Augustus  in  ein  förmliches 
System  gebracht.^)  Wie  in  anderen  Zweigen  der  Litteratur,  so  sind  auch 
hier  die  älteren  und  bedeutenderen  Werke  verloren  gegangen.  Was  sich 
erhalten  hat,  ist  zusammengestellt  in  Westermann's  MvO^oyqccifoi  (Braun- 
schweig 1843)-)  und  soll  im  nachfolgenden  kurz  vorgeführt  werden. 

Apollodors  Bibliothek  enthält  in  summarischem  Überblick  die  Mythen 
von  der  Herkunft  der  Götter  und  die  Abstammungssagen  der  Geschlechter 
des  Deukalion,  Inachos,  Pelasgos,  Atlas,  Asopos;  am  Schluss  stehen  die 
attischen  Geschlechtssagen,  in  deren  Aufzählung  das  Buch  mittendrin  ab- 
bricht. Der  Patriarch  Photios  cod.  186  hatte  noch  ein  vollständigeres 
Exemplar,  in  dem  die  Sagen  bis  auf  die  Heimkehr  des  Odysseus  herab- 
geführt waren.  Es  ist  also  nicht  bloss  der  zweite  Teil  der  attischen  Sagen- 
geschichte verloren  gegangen,  sondern  auch  der  Abstammungsbaum  von 
mindestens  noch  1  Geschlecht,  vielleicht  dem  des  Tantalos.  Der  ganze 
Tenor  des  Buches  zeigt,  dass  dasselbe  für  den  Schulgebrauch  bestimmt 
war, 3)  und  dazu  hat  die  bequeme  übersichtliche  Anordnung  in  alter  und 
neuer  Zeit  gute  Dienste  geleistet.  Auf  die  Originalquellen  und  die  Ab- 
weichungen der  Mythen  bei  den  verschiedenen  Dichtern  geht  dasselbe  wenig 
ein,  indem  es  lediglich  nur  eine  geschickte  Kompilation  aus  den  Werken 
des  Akusilaos,  Pherekydes,  Asklepiades,  Dionysios  geben  will.  Als  Ver- 
fasser desselben  wird  in  den  Handschriften  und  bei  Photios  der  gelehrte 
Grammatiker  Apollodor  von  Athen  genannt.  Aber  dagegen  spricht  das 
Buch  selbst,  da  in  demselben  II  3,  1  die  Chronika  des  Kastor  citiert  sind, 
der  unter  Pompeius,  ein  halbes  Jahrhundert  nach  dem  berühmten  Chrono- 
graphen Apollodor,  lebte.  Man  hat  deshalb  an  einen  Auszug  aus  den  echten 
Werken  des  Apollodor,  besonders  aus  seinem  umfangreichen  Werke  über 
die  Götter  gedacht.^)  Damit  lässt  sich  schwer  der  Umstand  vereinigen, 
dass  viele  Angaben  von  den  echten  Fragmenten  des  Apollodor  abweichen 
und  nicht  zu  dessen  Stellung  als  Aristarcheer  stimmen.  Was  die  mutmass- 
liche Abfassungszeit  des  Büchleins  anbelangt,  so  muss  man  mit  derselben 
jedenfalls  unter  Kastor  und  Diodor  herabgehen;  wahrscheinlich  ist  dasselbe 
erst  unter  Hadrian  oder  Alexander  Severus  entstanden,  wo  eine  grosse  Vor- 


^)  DiELs,  Doxogr.  gr.   p.  88  sqq. 
-)  Die  Mythographi   berühren  sich  viel 
fach  mit  den  Paradoxographi,  von  denen  wir 


Hypothesis  von  Aristophanes  oder  Salustius 
zu  Gebote  stand,  das  betreffende  Kapitel  aus 
Apollodor  dem  Stück  vorgesetzt. 


bereits  oben  §  480  gehandelt  haben.  |  ■*)  Clavier    in    Ausg.    1805;    Welckek, 


^)  Der  Scholiast  des  Sophokles  hat  daher 
zu  den  Trachinierinnen,  wozu  ihm  keine  alte 


Ep.  Cycl.  I,  83  ff. 


I 

I 


B.  Römische  Periode  vor  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  k)  Die  Grammatik.  (§  522—523.)  647 


liebe  für  die  altepisclie  Poesie  herrschte  und  der  Glaube  an  die  Heroensage 

von  oben  herab  begünstigt  wurde. 

ÄpolJodori  hihiiothcca  rec.  Heyne,  Gott.  1782;  ed.  II,  1803;  ed.  Westebmann  mit 
kritischem  Apparat  in  Mythogr.  gr.  p.  1—  123;  Robert,  De  Apollodori  hibliotheca,  Berl.  1873. 

522.  Heraklei  tos  und  ein  Anonymus  tt^qI  ccTriarmv  spinnen  den  von 
Palaiphatos  in  dem  bereits  oben  §  362  besprochenen  Buche  thqI  dmc^Tarv 
begonnenen  Faden  der  Mythendeutung  weiter;  hie  und  da  wird  auch  in 
Gegensatz  zu  jenem  eine  andere  Deutung  versucht.  So  deutet  Palaiphatos 
c.  21  die  Skylla  auf  ein  tyrrhenisches  Piratenschiff  mit  Namen  Skylla, 
Herakleitos  c.  2  aber  auf  eine  schöne  Hetäre,  die  mit  ihren  Parasiten  die 
Habe  der  Fremden  verschlungen  habe.  Ausserdem  blickt  aus  den  Deu- 
tungen des  Heraklit  der  Stoiker  heraus,  der  ähnlich  wie  Cornutus  mit 
ethischen  und  physikalischen  Allegorien  das  Dunkel  der  Mythenbildung  zu 
erleuchten  versucht.  Auf  Homer  hat  Heraklit  das  Kunststück  allegorischer 
Deutung  angewandt  in  den  'O/xrjQixal  dXXrjyoQim.^)  Denn  beide  Schriften, 
die  homerischen  Allegorien  und  das  Buch  über  die  Wunderdinge,  tragen 
ein  und  dasselbe  Gepräge,  und  ohne  alle  Berechtigung  wurden  ehedem 
nach  dem  Vorgange  Gesners  die  Allegorien  dem  Philosophen  Herakleides 
zugeschrieben.  Bestimmte  Angaben,  wann  jener  Heraklit  gelebt  habe,  fehlen; 
nach  dem  ganzen  Charakter  seiner  Schriften  setzt  man  ihn  in  die  Zeit  des 
Augustus. 

523.  Antoninus  Liberalis  aus  der  Zeit  der  Antonine  ist  Verfasser 
einer  Sammlung  von  41  Verwandlungen  {{xsTaiJLOQffwaewv  avvaycoyrj),  die 
zumeist  auf  den  ^ET€Qoiovf:isva  des  Nikander  und  der  ^Ogri^oyoria  eines 
sonst  nicht  näher  bekannten  Dichters  Boios  fusst.^)  —  Mit  derselben  ver- 
wandt und  wohl  auch  um  dieselbe  Zeit  entstanden  sind  die  dem  Erato- 
sthenes  fälschlich  zugeschriebenen  KazaaTeQiaiJioi,  welche  von  den  unter 
die  Sterne  versetzten  Sterblichen  handeln. 3)  —  Nur  durch  den  Auszug  des 
Photios  cod.  186  kennen  wir  die  mythischen  Erzählungen  (50)  eines  ge- 
wissen Konon,  der  in  der  Zeit  Cäsars  lebte.  Über  den  Hauptaufschneider 
Ptolemaios  Chennos  und  seine  Neue  Geschichte  (xairrj  txfroQta)  haben  wir 
bereits  oben  §  507  gehandelt. 


^)  Siehe  oben  §  38. 

^)  Über  die  Quellen  der  Verwandlungs- 
fabeln klären  uns  die  Scholien  auf,  welche 
selbst  wieder  nach  dem  Scholion  zu  fab.  23 


aus  Pamphilus  schöpften;  s.  Eug.  Oder,  De 
Antonino  Libcrali,  Bonn.  Diss.  1886,  p.  42  ff., 
mit  einer  Nachvcrgleichung   des  Palat.  398. 
'')  Siehe  oben  §  388. 


(348  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


C.  Römische  Periode 

V  0  11    Konstantin    bis    J  u  s  t  i  n  i  a  n. 

1.  Allgemeine  Charakteristik. 

524.  Die  Regierung  des  Kaisers  Konstantin  (824 — 337)  ^)  bezeichnet  für 
die  griechische  Litteraturgeschichte  einen  wichtigen  Einschnitt  in  mehr- 
facher Beziehung.  Nachdem  in  der  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  (256 — 267) 
wiederholt  die  griechischen  Städte  des  eigentlichen  Hellas  und  der  Küsten 
des  schwarzen  Meeres  von  barbarischen  Horden  greulich  geplündert  und 
verwüstet  worden  waren,  ward  durch  Konstantin  der  Schwerpunkt  der 
römischen  Macht  nach  Osten  verlegt  und  Konstantinopel  an  der  Stelle  von 
Rom  zur  kaiserlichen  Residenz  erhoben  (330).  Die  Neugründung  der  alt- 
griechischen, im  Laufe  der  Zeit  herabgekommenen  Kolonie  Byzanz  und  die 
Ausschmückung  der  neuen  Hauptstadt  (xmin]  ^Po^uj)  mit  allem  Glänze  des 
Reichtums  und  der  Kunst  war  schon  an  und  für  sich  von  weittragender 
Bedeutung.  Damit  entstand  im  Norden  Griechenlands  an  der  Schwelle 
zweier  Weltteile  ein  neuer  Brennpunkt  griechischer  Kultur.  War  unter 
Alexander  und  in  den  nächstfolgenden  Jahrhunderten  hellenische  Sprache 
nach  Osten,  Süden  und  Westen  getragen  worden,  so  ward  nun  das  Zentrum 
des  auf  griechischer  Bildung  und  römischer  Tapferkeit  beruhenden  Reiches 
nach  Nordosten  verlegt.  Die  Folgen  davon  für  den  Gang  der  Geschichte 
und  Kultur  traten  erst  in  dem  byzantinischen  Mittelalter  in  ihrem  ganzen 
Umfange  hervor,  indem  von  Konstantinopel  aus  die  griechisch-katholische 
Kirche  und  in  ihrem  Gefolge  die  griechische  Schrift  und  byzantinische  Kunst 
sich  über  den  Norden,  Serbien  Bulgarien  und  Russland,  verbreiteten.  Aber 
auch  schon  in  den  letzten  Jahrhunderten  des  Altertums  machte  sich  der 
Einfluss  der  Neugründung  von  Konstantinopel  geltend.  Die  neue  Stadt 
ward  selbstverständlich  mit  reichen  Hilfsmitteln  der  Kunst  und  Wissen- 
schaft ausgestattet.  An  neuen  Kunstwerken  zwar  wurde  nur  weniges  her- 
vorgebracht; die  Neuschöpfungen  bestanden  wesentlich  nur  in  dem,  was 
auch  ohne  den  göttlichen  Funken  des  Genies  mit  den  Mitteln  einer  ent- 
wickelten Technik  geleistet  werden  konnte,  in  der  Erbauung  von  Palästen, 
Marktplätzen,  Bädern.  Zur  Ausschmückung  der  Gebäude  mit  Statuen  und 
Bildsäulen  mussten  nach  dem  schlimmen  Beispiel,  das  einst  Rom  gegeben 
hatte,  die  alten  Stätten  der  Kunst  herhalten.  Was  man  da  alles  zusammen- 
brachte, kann  insbesondere  die  Beschreibung  des  Gymnasiums  Zeuxippos 
von  Christodoros  im  2.  Buch  der  palatinischen  Anthologie  lehren.  Näher  ^ 
berührte  das  litterarische  Leben  die  Gründung  von  Bibliotheken  und  Lehr- 
anstalten. Kaiser  Julian  errichtete  in  der  Königshalle  eine  Bibliothek,  für 
deren   Vermehrung    durch    neue   Abschriften    Kaiser  Valens    Sorge    trug.-) 


')  BuRCKHARDT,  Die  Zeit  Konstantins  des    I  '^)  Zosinios   III,    11.    5;    Cod.    Theodos. 

Grossen,  2.  Aufl.,  Leipz.  1880.  \   XIV,  9.  2. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§  524-525.)  649 


Die  Gründung  und  Dotation  einer  hohen  Schule  Hess  sich  schon  Konstantin 
angelegen  sein;  nähere  Bestimmungen  über  die  ökumenische,  d.  i.  Universal- 
lehranstalt, traf  die  Verfügung  des  Theodosius  II  (425),^)  wonach  an  der- 
selben 5  griechische  und  3  lateinische  Rhetoren,  10  griechische  und  10 
lateinische  Grammatiker,  1  Philosoph  und  2  Juristen  als  Lehrer  angestellt 
wurden.  Natürlich  konnte  eine  so  reichausgestattete  Stadt  schon  an  und 
für  sich  nicht  bedeutungslos  für  die  griechische  Litteratur  sein;  aber  wich- 
tiger wurde  ihr  Einfluss  dadurch,  dass  sie  zugleich  die  Hauptstadt  eines 
grossen  Reiches  war  und  den  Ton  für  die  ganze  hellenistische  Welt  abgab. 
525.  Konstantin  hatte  nur  den  Sitz  der  Reichsregierung  von  Rom 
nach  Konstantinopel  verlegt;  das  ungeheure,  die  verschiedensten  Länder 
umfassende  Reich  sollte  damit  nicht  in  seiner  Einheit  aufgehoben  werden. 
Aber  die  natürlichen  Verhältnisse  waren  mächtiger  als  der  Wille  des 
Einzelnen:  noch  ehe  Theodosius  I.  das  weite  Reich  unter  seine  beiden 
Söhne  Honorius  und  Arkadius  teilte  (395),  war  mit  der  Gründung  von 
Konstantinope]  die  Trennung  der  beiden  Reichshälften  und  die  Schaffung 
eines  eigenen  Ostreichs  angebahnt  worden.  Das  bedeutete  gewissermassen 
einen  neuen  hellenistischen  Nationalstaat,  in  welchem  die  griechische  Sprache 
die  herrschende  war  und  wo  am  Hof  und  in  den  Provinzen  in  griechischer 
Sprache  verhandelt  wurde.  In  die  Kanzleien  und  Gerichtshöfe  war  aller- 
dings eine  Masse  lateinischer  Ausdrücke,  wie  aaxeXXäQioQ^  xoiu^q^  ßgsßia, 
xojdixeg,  xaXdvdai,  aus  dem  alten  römischen  Reiche  eingewandert;  auch  be- 
hauptete sich  auf  den  Münzen  die  lateinische  Titulatur,  und  wurde  in  den 
Schulen  Konstantinopels  neben  der  griechischen  Grammatik  regelmässig  auch 
die  lateinische  gelehrt;  '^)  aber  in  der  Litteratur  und  im  Verkehr  der  Ge- 
bildeten bewährte  von  neuem  die  griechische  Sprache  ihre  alte  Kraft,  indem 
sie  teils  durch  Neubildungen,  teils  durch  Umstempelung  altgriechischer  Aus- 
drücke das  Eindringen  der  fremden  Elemente  bemeisterte.  Die  Kaiser  und 
die  Mehrzahl  der  Generäle  und  Minister  redeten,  wenn  sie  auch  in  der  ersten 
Zeit  noch  dem  thatkräftigeren  Geschlechte  der  Römer  entnommen  zu  werden 
pflegten,  doch  alle  griechisch  und  befleissigten  sich  mit  Eifer  und  Ostentation 
griechischer  Bildung.  Der  Kaiser  Julian  nahm  geradezu  eine  hervorragende 
Stelle  unter  den  griechischen  Schriftstellern  ein;  aber  auch  die  andern 
Kaiser  begünstigten  griechische  Lehrer  und  Gelehrte,  und  nicht  bloss  der 
Philosoph  Themistios  sah  oft  den  Kaiser  und  kaiserliche  Prinzen  unter 
seinen  Zuhörern,  auch  der  Grammatiker  Orion  wurde  in  seinen  Vorträgen 
von  der  Kaiserin  Eudokia  mit  ihrer  Anwesenheit  beehrt.  So  bekam  denn 
ij  auch  der  nie  verleugnete  Stolz  der  Griechen  auf  ihre  nationale  Bildung 
ij  neue  Nahrung;  er  drückt  sich  bei  dem  Rhetor  Himerios  in  den  selbst- 
;!  bewussten  Sätzen  aus:    EXhjvfg  TiQOTeqov  ^itv  Toig  oTiXoig,    vvil   J*    (XQfTccTg 


')  Cod.  Theodos.  XIV,  9.  3;  Schlosser, 
Universitäten,  Studierende  und  Professoren 
der  Griechen  zu  Julians  und  Theodosius  Zeit, 
in  Archiv  f.  Gesch.  I,  217-72. 

'•■')  Seit  Augustus  schon  waren  wichtige 
Gesetze  und  kaiserliche  P^rlasse  in  den  zwei 
Sprachen  veröffentlicht  worden;  so  existieren 
inschriftlich  {\er  Titel  des  vXugustus  von 
seinen  Thaten  und  das  Dekret  des  Diokletian 


von  den  Kaufpreisen  in  griechischer  und 
lateinischer  Sprache.  Auf  den  Münzen  hlieh 
auch  noch  lange  nach  Konstantin  die  latei- 
nische Titulatur  die  massgebende.  Über  die 
Verbreitung  des  Lateinischen  im  Orient  über- 
haupt und  den  Einfluss  der  römischen  Rechts- 
schulen s.  BuDiNszKY.  Die  Ausbreitung  der 
lat.  Sprache  über  Italien  und  die  Provinzen 
des  römischen  Reichs,   Berl.   1881  S.  234  ff. 


650 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


ndvTccg  rixwaiv  (or.  V,  10)  und  ^.isyiaTov  xal  xdXXixtTov  twv  v(f'  ifhov  x6 
Twr  ^Elh'ivMv  ytvoq  Tcsm'at^vxai  (or.  XV,  31).  So  belebten  sich  denn  auch 
wieder  von  neuem  im  oströmischen  Reich  die  alten  Bildungsstätten  der 
Griechen  und  wurden  zu  den  alten  neue  gegründet.^)  Vor  allem  behauptete 
Athen  seine  bewährte  Anziehungskraft  und  erhob  sich  im  4.  und  5.  Jahr- 
hundert zum  Hauptsitz  der  neuaufblühenden  Sophistik.  Hier  fanden  am 
Avenigsten  und  spätesten  die  Ideen  des  Christentums  Eingang,  so  dass  noch 
bis  in  die  Zeit  des  Justinian  hinein  griechische  Philosophie  und  Sophistik 
in  der  Kephissosstadt  eine  feste  Stätte  hatten.  Auch  der  Einfall  des  Goten- 
königs Alarich,  durch  den  das  übrige  Griechenland  und  namentlich  der 
Peloponnes  so  schrecklich  heimgesucht  wurde,  war  an  Athen  ziemlich  gnädig 
vorüber  gegangen  (395 — 7):  die  Stadt  ward  zwar  eingenommen,  aber  blieb 
vor  Plünderung  und  Zerstörung  verschont.  2)  Nach  Athen  behauptete  den 
nächsten  Rang  Alexandria,  das  in  unserer  Periode  wieder  kräftiger 
hervortrat  und  gegen  Ende  des  Altertums  sogar  an  produktiver  Kraft  alle 
andern  Städte  des  Reiches  übertraf.  Hier  schlug  die  neuplatonische  Phi- 
losophie tiefe  Wurzeln,  fand  das  Epos  und  der  Roman  hervorragende  Pflege, 
und  hoben  sich  im  Gefolge  der  Philosophie  wieder  die  mathematischen  und 
astronomischen  Disziplinen.^)  Einen  Stoss  erlitt  das  heidnische  Alexandria 
durch  den  Untergang  der  Bibliothek  (391),  als  der  Serapistempel  auf  Befehl 
des  Kaisers  Theodosius  zerstört  wurde;  den  vollständigen  Niedergang  be- 
zeichnet die  rohe  Ermordung  der  Philosophin  Hypatia  durch  den  vom  fana- 
tischen Bischof  Kyrillos  aufgehetzten  Pöbel  in  den  Strassen  der  Stadt  (415). 
Unter  den  Städten  Asiens  ragten  als  Sitze  der  Studien  hervor:  Antiochia, 
wo  insbesondere  die  Rhetorik  blühte,  durch  den  Fanatismus  des  Jovianus 
aber  im  Jahre  363  die  Bibliothek  ihren  Untergang  fand;^)  Berytos,  das 
eine  berühmte  Rechtsschule  hatte;  Niko media  in  Bithynien,  das  im  4.  Jahr- 
hundert grosse  Rhetoren  an  sich  zog  und  zugleich  hervorbrachte;  Cäsarea 
in  Kappadokien,  das  ein  Hauptsitz  der  Grammatik  und  Rhetorik  im  4.  und 
5.  Jahrhundert  war;  Gaza  in  Palästina,  wohin  sich  von  Alexandria  aus 
die  schönen  Künste  verbreiteten. 

526.  Immer  massgebenderen  Einfluss  aber  gewann  die  Hauptstadt  des 
Ostreiches,  Konstantinopel  selbst.  Dieser  Einfluss  war  aber,  wenn  er 
auch  der  griechischen  Sprache  und  der  formalen  Seite  der  Litteratur,  der 
Vervollkommnung  des  Stils  und  der  Verskunst,  zu  gute  kam,  doch  im 
Grund  genommen  dem  Geiste  des  echten  alten  Hellenentums  eher  nachteilig 
als  förderlich.  Das  war  er  in  zweifacher  Beziehung,  dadurch  dass  er  eine 
abhängige  Hoflitteratur  hervorrief,  und  dadurch  dass  er  die  Verbreitung 
der  christlichen  Religion  und  Litteratur  begünstigte.  Der  verrufene  Byzan- 
tinismus, der  kein  freies  Wort  aufkommen  Hess  und  in  einem  pedantischen 


^)  Bernhardt,  Innere  Gesch.  d.  griech. 
Litt.  555  ff.;  J.  B.  Bury,  A  history  of  tlie 
later  Uoman  empire,  Lond.  1889,  t.  I  S. 
310-30. 

2)  Näheres  bei  Gregorovius,  Geschichte 
der  Stadt  Athen  im  Mittelalter,  Stuttg.  1889, 
Bd.  I  S.  29  ff. 

3)  Menander  in  Rhet.  gr.  III,  360  Sp.: 
eiL  ^6  xcd  vvv  rovg  ^ AXe^avöqbag   int  yqafji- 


fj.arixfj,  ysco/usTQUc  xcd  cpiloaocpLa  fxeyioiov 
cpQovrjom  q)aaiv.  Aus  der  griechischen  Kanzlei- 
und  Gerichtssprache  Ägyptens  in  jener  Zeit 
haben  wir  ein  interessantes  Dokument  aus 
dem  Fund  von  Fayum,  publiziert  von  Hartel, 
Ein  griech.  Papyrus  aus  dem  Jahre  487, 
Wien.  Stud.  V,  1—41. 
^)  Suidas  u.  'loßiavog. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  1.  Allgemeine  Charakteristik.  (§  526-527.)  651 


Zeremoniell  die  freie  Bewegung  der  Geister  erstickte,  kam  zwar  erst  im 
Mittelalter  zur  vollen  Herrschaft,  ward  aber  bereits  durch  die  Reichs-  und 
Hofordnung  des  Konstantin  mit  ihrer  eitlen  Titelsucht  und  ihrer  pedanti- 
schen Etikette  vorbereitet.')  Das  Christentum  aber  war  schon  durch  den 
Übertritt  des  Kaisers  Konstantin  zur  bevorzugten  Stellung  gegenüber  dem 
Hellenismus  erhoben  worden.  Der  aus  dem  Judentum  ererbte  Geist  der 
Unduldsamkeit  und  Exklusivität  sorgte  dafür,  dass  aus  der  bevorzugten 
Stellung  bald  eine  herrschende  und  ausschliesslich  herrschende  wurde.  Die 
Reaktion  des  Kaisers  Julianus  Apostata  (361  —  363)  hielt  den  Gang  der 
Dinge  nicht  auf;  von  seinen  unmittelbaren  Nachfolgern  wurde  um  so  eifriger 
der  heidnische  Kultus  zurückgedrängt;  unter  Theodosius  erfolgte  die  voll- 
ständige Schliessung  oder  Vernichtung  der  heidnischen  Tempel  (391), 2)  die 
fanatische  Zerstörung  des  Serapeums  in  Alexandria  (391)  und  bald  nachher 
auch  des  Marneums  in  Gaza  (401).^)  Damit  verschwanden  freilich  noch 
nicht  die  Leute,  welche  dem  christlichen  Gottesdienste  fern  blieben  und  in 
Schrift  und  Rede  die  altgriechischen  Anschauungen  vertraten. 4)  Aber  die 
Ermordung  der  Hypatia  zeigte,  wie  wenig  der  kirchliche  Fanatismus  auch 
nur  die  stille  Freiheit  des  Geistes  zu  dulden  gewillt  war.  Nur  in  Athen 
erhielten  sich  noch  länger  die  griechischen  Philosophen-  und  Rhetorenschulen. 
Aber  auch  diesen  setzte  der  Kaiser  Justinian  ein  Ende,  indem  er  dieselben 
durch  kaiserlichen  Befehl  aufhob  (529)^)  und  die  letzten  7  Philosophen, 
Damaskios,  Diogenes,  Hermeias,  Eulalios,  Isidoros,  Priscian,  Simplicius,  zur 
Auswanderung  an  den  Hof  des  Perserkönigs  Kosroes  nötigte.  Mit  Justinian 
schliessen  wir  daher  auch  unsere  Periode  und  damit  zugleich  die  alt- 
griechische Litteraturgeschichte. 

527.  Die  Litteratur  unserer  Periode  trägt  den  Charakter  einer  Über- 
gangszeit: Der  Hellenismus  stirbt  allmählich  ab  und  flackert  nur  in  einigen 
kräftigeren  Erscheinungen  nochmals  auf;  das  Christentum  beginnt,  nachdem 
es  zuerst  durch  die  sittliche  Macht  einer  reineren  und  edleren  Lehre  die 
Herzen  der  Völker  erobert  hatte,  nunmehr  auch  durch  korrekte  Werke  der 
Prosa  und  Dichtung  in  die  Litteratur  einzudringen.  Von  einer  absterbenden 
Litteratur  ist  nicht  viel  zu  erwarten;  gleichwohl  hat  unter  den  oben  ent- 
wickelten Umständen  die  sophistische  Beredsamkeit  und  die  Kunst  der 
Versifikation  nochmals  einen  erfreulichen  Aufschwung  genommen.  Die 
historische    Litteratur    hat    nichts    bedeutendes    hervorgebracht;    hingegen 


^)  Aus  ihr  datiert  die  Unnatur  der  An- 
rede in  3.  Person,  die  leider  unsere  deutsche 
Sprache  aus  jener  Quelle  herübergenommen 
und  sich  so  zu  eigen  gemacht  hat,  dass  sie 
schwer  wieder  auszutreiben  sein  wird. 

'^)  Cod.  Theod.  XVI,  10.  10  u.  12;  Zosim. 
IV,  33.  8.  —  Das  erste  Edikt,  ein  Toleranz- 
edikt, wurde  erlassen  im  Jahre  313;  s.  Euseb. 
Hist.  eccl.  X,  5  und  Lactantius,  De  mort.  persec. 
4S;  darauf  folgte  im  Jahre  319  der  Erlass 
iACgen  die  Astrologen  und  Haruspices,  Cod. 
Theod.  IX,  16.  1  u.  Cod.  Justin.  TX,  18.  3. 
Schon  vor  391  war  im  Jahre  354  die  Schlies- 
sung aller  Tempel  (Cod.  lust.  I,  11.  1)  und 
im  Jahre  357   die  Verpönung   der  Orakelbe- 


fragung (cod.  lust.  IX,  18.  5)  durch  kaiser- 
liche Erlasse  angeordnet  worden.  Näheres 
bei  Lasaulx,  Der  Untergang  des  Hellenis- 
mus und  die  Einziehung  seiner  Tempeigüter 
durch  die  christlichen  Kaiser,  München  1854. 

^)  Nachricht  darüber  in  Marci  Diaconi 
inta  Porphyrii  episcopi  Gazensis  ed.  M.  Haupt, 
Berl.  1874. 

'^)  Vgl.  Volkmann,  Synesius  S.  11. 

5j  loann.  Malalas  XVIII,  451  cd.  Bonn. 
Über  die  Zweifel,  ob  ein  direkt  gegen  die 
Akademie  Athens  gerichteter  Erlass  ergangen 
sei,  siehe  Gregokovius,  Gesch.  Athens  I, 
55  f.  und  Krumbacher,  Byzant.  Litt. 


(552  Griechische  Litteraturgeschichte.     IL  Nachklassische  Litteratur. 

errang  die  griecliische  Philosophie  teils  in  dem  Streben  der  Verschmelzung 
verschiedenartiger  Lebensanschauungen,  teils  in  dem  Widerstand  gegen  die 
neue  Macht  des  Christentums  nochmals  eine  achtunggebietende  Stellung. 
In  der  Grammatik  und  in  den  verschiedenen  Zweigen  des  exakten  Wissens 
war  es  das  vasa  coUigere,  was  die  Gelehrten  vor  dem  Abzüge  beschäftigte: 
von  Selbständigkeit  der  Forschung  und  Klarheit  der  Auffassung  ist  nicht 
mehr  die  Rede;  die  Gedankenlosigkeit  der  Kompilation  und  die  Magerkeit 
der  Auszüge  beherrschen  die  gelehrte  Litteratur.  Im  Gegensatz  zur  inneren 
Geringwertigkeit  steht  die  Zahl  der  erhaltenen  Schriften,  da  hier  wie  überall 
die  neuesten  und  gangbarsten  Bücher  sich  am  meisten  in  die  nächstfolgende 
Zeit  vererbten. 

2.  Die  Poesie. 

528.  Von  der  Poesie  unserer  Periode  gilt  der  Vers  der  Anthologie 
XII,  178:  Svöi^ievog  ycxQ  o/t<»g  i'jhög  iaziv  sti.  Waren  in  der  Blütezeit  der 
Sophistik  die  Musen  fast  ganz  verstummt,  so  erwachte  gegen  Ende  des 
Altertums  nochmals  ein  regeres  Leben  in  den  Musenhainen.  Mit  Glück 
versuchten  sich  heidnische  und  christliche  Dichter  in  den  verschiedenen 
Formen  des  antiken  Versmasses,  und  stunden  auch  der  Glätte  des  Verses 
und  der  Gewandtheit  des  sprachlichen  Ausdrucks  nicht  gleich  hohe  Vorzüge 
des  Inhalts  zur  Seite,  so  fehlte  es  doch  auch  nicht  ganz  an  geistreichem 
Witz  und  schöpferischer  Kraft  der  Phantasie.  Der  abgestorbene  Körper 
des  Dramas  konnte  freilich  nicht  mehr  zu  neuem  Leben  elektrisiert  werden, 
aber  auf  dem  Gebiete  des  Epigramms  und  anakreontischen  Spieles  herrschte 
frisches  Leben,  insbesondere  aber  im  Epos  wurde  Neues  und  Namhaftes 
geleistet.  Vorzüglich  in  Ägypten  trieb  noch  nach  Jahrhunderten  der  von 
den  alexandrinischen  Dichtern  ausgestreute  Samen  frische  Sprossen;  von  dort 
verpflanzte  sich  gegen  Ende  des  Altertums  die  Liebe  zum  poetischen  Spiel 
auch  an  den  glänzenden  Hof  des  Kaisers  Justinian. 

Panegyrisches  Epos.  Beginnen  wir  mit  dem  Epos,  so  seien  zuerst 
in  Kürze  die  unbedeutenden  panegyrischen  Epiker  erwähnt,  von  deren 
Werken  wir  nur  durch  Suidas  und  gelegentliche  Anführungen  der  Historiker 
etwas  erfahren.^)  Gedichte  zur  Verherrlichung  der  Männer  der  Gegenwart 
verfassten:  Kallistos,  der  die  Ruhmesthaten  des  Kaisers  Julian  besang,^) 
Eusebios  und  Ammonios,  welche  den  Gotenführer  Gainas  zum  Helden  ihrer 
Gedichte  machten,^)  Christodoros,  der  in  seinen  G  Rhapsodien  laavQixd  den 
Kaiser  Anastasios  verherrlichte.  Derselbe  Christodoros  erzählte  auch  in  Versen 
nach  dem  Vorbild  des  Apollonios  die  Geschichte  (to:  nargia)  von  Konstanti- 
nopel, Thessalonike,Nakle,Milet,Tralles,  Aphrodisias.  Ahnliche  Stadtgeschich- 
ten hatte  schon  vor  ihm  der  jüngere  Claudian  verfasst.^)  Auch  eine  Kaiserin, 
die  durch  Gregorovius  in  weiteren  Kreisen  bekannt  gewordene  Eudokia, 
tändelte  in  Versen,  indem  sie  in  daktylischen  Hexametern  den  Sieg  über 
die  Perser  verherrlichte  ^)  und  versifizierte  Paraphrasen  verschiedener  Partien 

^)  DüNTZER,  Die  Fragmente  der  epischen       Anth.  gr.  XIII,  841 


Poesie  II,  107  f. 

2)  Nicephoros,  Hist.  eccl.  VI,  34. 

^)  Socrates,   Hist.    eccl.    VI,  6;    Jacobs, 


^)  Suidas  u.  Xqiarö&wQo?. 
5)  Sokrates,  Hist.  eccl.  7,  21, 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.     2.  Die  Poesie.  (§  527—528.)        653 


des  alten  Testamentes  lieferte.  ^  In  dem  gleichen  Fahrwasser  bewegten 
sich  auch  die  christlichen  Dichter  ApoUinarios  aus  Laodikea^)  und  Ba- 
sileios,  Bischof  von  Seleukia,  auf  die  ich  unten  zurückkommen  werde. 

529.  Quintus  Smyrnäus  ist  Verfasser  des  uns  erhaltenen  Epos 
Td  1^16 0^'  ^'Oi.u]Qov  in  14  B.  Über  seine  Person  erfahren  wir  aus  unseren 
litterarhistorischen  Quellen  nichts,^)  so  dass  wir  einzig  auf  seine  eigenen 
Angaben  und  auf  Schlüsse  aus  dem  Charakter  seiner  Poesie  angewiesen 
sind.  Es  erzählt  aber  derselbe  XII,  310,  dass  er  ehedem  zu  Smyrna  beim 
Tempel  der  Artemis  die  Schafe  gehütet  und  in  früher  Jugend,  noch  ehe  ihm 
der  Bart  sprosste,  vom  armen  Hirten  zum  Dichter  sich  emporgeschwungen 
habe.  Über  die  Zeit,  in  der  er  lebte,  gestattet  der  Versbau  nur  den  all- 
gemeinen Schluss,  dass  seine  Blüte  vor  Nonnos  fiel,  da  sich  bei  ihm  noch 
nicht  die  charakteristischen  Eigentümlichkeiten  der  Verse  des  Nonnos  finden, 
welch  für  die  daktylischen  Dichter  nach  Nonnos  feststehende  Norm  wurden. 
Der  Beiname  Calaber,  den  man  unserem  Dichter  zu  geben  pflegt,  bezieht 
sich  darauf,  dass  die  einzige  Handschrift  desselben  in  Calabrien,  und  zwar 
vom  Kardinal  Bessarion  im  Jahre  1450  gefunden  wurde. ^)  Das  Epos  des 
Quintus  sollte  die  damals  veralteten  Werke  des  epischen  Kyklos^)  ersetzen; 
diesen  Ursprung  sieht  man  dem  Gedicht  auch  äusserlich  an,  da  es  aus 
4  Teilen  gewissermassen  zusammengeschmiedet  ist.  Die  5  ersten  Gesänge 
geben  den  Inhalt  der  Aithiopis  wieder,  die  Bücher  6—8  sind  gleichsam 
eine  kleine  Ilias,  in  welcher  Eurypylos,  der  Sohn  des  Mysierkönigs  Telephos, 
die  Rolle  des  Hektor,  Neoptolemos  die  des  Achill  spielt,  die  Bücher  9  u.  10 
bilden  dazu  ein  schwaches  Nachspiel,  in  welchem  der  aus  Lemnos  herbei- 
geholte Philoktet  die  Führerrolle  spielt  und  den  Anstifter  des  Streites, 
Paris,  erlegt,  die  Bücher  11  — 14  endlich  erzählen  den  schliesslichen  Fall 
der  Priamosveste,  die  bei  der  Einnahme  der  Stadt  verübten  Greuel  der 
Achäer  und  den  Schiffbruch  der  heimkehrenden  Sieger  bei  den  gyräi- 
schen  Felsen.  Auf  solche  Weise  entbehrt  das  Werk  des  einheitlichen 
Mittelpunktes,  indem  die  Erzählung,  wenn  sie  bereits  auf  dem  Höhepunkt 
angelangt  zu  sein  scheint,  in  dem  nächsten  Gesang  wieder  von  vorne  an- 
hebt. Auf  der  anderen  Seite  aber  erfreut  dasselbe  durch  anschauliche 
Schilderungen,  Einfachheit  der  Erzählung  und  schöne  Gleichnisse.  Die  letz- 
teren lassen  den  ehemaligen  Hirten  erkennen,  der  mit  der  Natur  Klein- 
asiens zusammengelebt  und  ihre  gewaltigen  Konvulsionen  in  Erdbeben 
j  (111,  64)  und  Bergstürzen  (I,  696.  XI,  396)  gesehen  hatte.  Auch  ein  frommer 
<.  Dichter  ist  Quintus,  der  anstössige  Scenen  meidet  und  mit  seinem,  fast 
1  möchte  man  glauben,  für  die  Jugend  bestimmten  Gedicht  nicht  bloss  unter- 
t|  halten,  sondern  auch  zu  Tugend  und  Edelmut  erziehen  will.  Er  erinnert 
i  in  dieser  Beziehung  an  Vergil,   dessen  Aeneis   er   offenbar  kannte,^)   wenn 


')  Ludwich,  Eudokia,  die  Gattin  des 
Kaisers  Theodosios  II.  als  Dichterin,  Rh.  M. 
37,  206  ff. 

'')  Photios  p.  11Gb,  1. 

•)  Kin  J]pigrainni  der  Anth.  VI,  230 
trügt  den  Namen  Quintos. 

'^)  Eitel  Phantasterei  ist  der  Versuch  des 
Italieners  Ignarra,  in  dem  yi^sTog  'J}.xißi(<ö'7jg 
dyc^Qioy    ijQoStoi'    xoafitJTioQ    einer    in    Neapel 


gefundenen  hischrift  CIG.  5815  unseren 
Quintus  wiederzufinden  und  dann  denselben 
nach  dem  Schriftcharakter  jener  Inschrift 
in  die  Zeit  des  Kaisers  Philippus  zu  setzen ; 
siehe  Köchly,  Proleg.  p.  VII. 

•')  Vgl.  §  4G  ff. 

^)  Die  Benützung  des  Veigil  wird  von 
Köchly  bezweifelt  in  ed.  min.  XII l  sq. 


654 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


er  auch  von  ihr  ebensogut  wie  von  Homer  in  Einzelheiten  abwich.*)  Die 
Sprache  hat  manches  Eigentümliche,  das  den  Spätling  erkennen  lässt,  wie 
die  Verbindung  von  oocpsXov  mit  dem  Indikativ  des  Aorist,  den  Gebrauch 
von  exTiolhsv  für  nod^sv,  von  evO^tv  für  svOa,  die  Zweiwertigkeit  des  Vokals 
vor  muta  cum  liquida  u.  a. 

Der  Cod.  archetypus,  den  Bessarion  bei  Otranto  in  Calabrien  gefunden  hatte,  ist 
verloren  gegangen;  wir  sind  daher  auf  dessen  Abschriften  oder  Abschriften  von  Abschriften 
angewiesen.  —  Ausg.  von  Rhodomannus,  Hanov.  1604;  rec.  Tychsen,  Argent.  1807; 
rec.  pro] egg.  et  adnott.  crit.  instr,  Köchly,  Lips.  1850  mit  kritischem  Apparat;  dessen 
edit.  minor  in  Bibl.  Teubn.  -  Erläuterungsprogramme  von  Struve,  Petersb.  1843  und 
Kasan  1846,  1850.  —  Sainte  Beuve,  Oeuvr.  t.  1,  Etudes  sur  Virgile  suivie  d'une  etude  sur 
Quintus  Smyrnaeus. 

530.  Nonnos  aus  Panopolis  in  Ägypten  ist  der  begabteste  Dichter 
unserer  Periode,  der  eine  neue  Richtung  des  Epos  schuf,  welche  von 
Ägypten  ausging  und  in  der  Üppigkeit  der  Phantasie  den  orientalischen 
Ursprung  nicht  veuleugnete.'^)  Über  die  Lebensverhältnisse  unseres  Dich- 
ters sind  wir  vollständig  im  Unklaren;  ein  Epigramm  der  Anthologie  IX, 
198  meldet  von  ihm  nur: 

JSörvoQ  iyo).  Jlavog  ^tv  sfirj  jiöXig,  sv  ^ccQit]  (J^* 
s'YX^^  (fo)r)jsvTi  yovdg  rjiiirj(Ta  riydvTMV.^) 
Die  Vermutung  Weicherts,  dass  er  identisch  sei  mit  dem  Nonnos,  dessen 
Sohne  Synesios  ep.  43  ein  Empfehlungsschreiben  ausstellt,  ist  unsicher.  Aus 
seinen  eigenen  Dichtungen  ersehen  wir,  dass  er  als  Heide  geboren  war  und 
erst  in  späteren  Lebensjahren  zum  Christentum  übertrat.  Ausserdem  macht 
die  Zeit  seiner  Nachahmer  es  wahrscheinlich,  dass  er  selbst  am  Schlüsse  des 
4.  Jahrhunderts  lebte. '*)  Das  grosse  Epos,  das  seinen  Namen  verewigt  hat,  sind 
die  Jiovvaiaxä  in  48  Gesängen,  also  in  so  vielen,  als  die  Ilias  und  Odyssee  zu- 
sammen haben.  Dasselbe  hat  zum  Gegenstand  die  phantastische  Mythe 
vom  Zug  des  Gottes  Dionysos  gegen  Indien,  die  selbst  sich  aus  dem 
Sagenreichen  Zug  des  Königs  Alexander  gegen  Indien  und  der  beliebten 
Vergleichung  des  Königs  mit  Dionysos  und  seiner  Feinde  mit  Giganten 
entwickelt  hatte. ^)  Schon  vor  Nonnos  hatte  unter  Diokletian  der  Dichter 
Soterichos  jenen  Zug  des  Bakchos  in  4  Büchern  besungen.  In  den  Haupt- 
mythus hat  aber  unser  Dichter  so  viele  andere  Mythen  eingeflochten,  dass 
dem  Werke  die  unser  Interesse  auf  einen  Punkt  hinleitende  Einheit  voll- 
ständig abgeht.  Nicht  bloss  gehen  dem  Beginne  des  Zugs  12  Gesänge 
voraus,  sondern  schliesst  auch  die  Erzählung  nicht  mit  der  Besiegung  des 
Königs  der  Inder  Deriades  ab,  sondern  folgt  dann  noch  eine  lange,  auf 
alle  möglichen  Abenteuer  abschweifende  Schilderung  des  Rückzugs.  Von 
Homers  unübertroffener  Kunst  hat  er  bloss,  wie  er  selbst  25,  8  andeutet, 
das  eine  herübergenommen,  dass  er  von  den  7  Jahren  des  Krieges  nur  das 
letzte  behandelt.    Im  übrigen  hatten  für  ihn  Aristoteles  und  Horaz  umsonst 


^)  Vgl.  die  Beschreibung  des  Schildes 
des  Achill  V,  7-101. 

^)  Eunapios  p.  493:  rioy  JcyvnTioüy  t6 
^x^yog  inl  noirjmfi  fxkv  acpo&Qa  ^aivovxai, 
6  cTe  Gnov&cdog  'EQfxijg  avTwi^  an oxe /MQijxev . 

^)  Der  Name  Nonnos  ist  ägyptisch  und 
bedeutet  „rein,  heilig";  er  ist  verwandt  mit 
unserem   „Nonne". 


■*)  Ludwich,  Rh.  M.  42,  233  ff.  weist 
nach,  dass  Nonnos  Verse  des  Gregor  von 
Nazianz  nachgeahmt  hat  und  demnach  nicht 
vor  390  gedichtet  haben  kann. 

^)  Fr.  Koepp,  De  GigantomacJiiae  in 
j)oeseos  artisqiie  monumentis  usu,  Bonn  Diss. 
1883.  / 


C.  Komische  Periode  nach  Konstantin.    2.  Die  Poesie.  (§  530.)  655 

geschrieben.  Selbst  die  Einheit  der  Person  hat  er  bei  seiner  überschweng- 
lichen Phantasie  nicht  zu  wahren  vermocht:  er  beginnt  ab  ovo,  oder  viel- 
mehr ab  ovo  ovi  mit  der  Entführung  der  Europe  durch  den  in  einen  Stier 
verwandelten  Zeus,  um  auf  langen  Umwegen  im  8.  Gesang  auf  die  Geburt 
des  Dionysos  zu  kommen,  und  nimmt  auch  im  weiteren  Verlauf  jede  Ge- 
legenheit beim  Schopf,  um  irgend  eine  Fabel  aus  der  Götter-  oder  Heroen- 
welt in  sein  Gewebe  einzuflechten.i)  Wie  leicht  er  es  dabei  nimmt,  zeigt 
besonders  der  38.  Gesang,  wo  die  Erwähnung  einer  Sonnenfinsternis  dem 
Dichter  ausreicht,  um  den  ganzen  Phaethonmythos  in  aller  Breite  zu  er- 
zählen. Sein  Gedicht  ist  so  in  der  That  geworden,  was  es  im  Eingang 
verspricht,  ein  noixiXov  stSog,  in  welchem  fast  alle  Verwandlungsgeschichten 
der  alexandrinischen  Dichter  ihre  Stelle  fanden.  Von  selbst  drängt  sich 
dabei  jedem  die  Vergleichung  mit  Ovids  Metamorphosen  auf,  aber  der 
geschmackvolle  römische  Dichter  hatte  sich  vor  der  Verkehrtheit  gehütet, 
alle  diese  Einzelerzählungen  in  den  Rahmen  einer  einzigen  Handlung  zu 
spannen.  Dieselbe  Grenzenlosigkeit  der  Phantasie  lässt  unseren  Dichter 
auch  sonst  nirgends  das  richtige  Mass  finden,  so  dass  die  plastische  Klar- 
heit und  Wahrheit,  die  wir  als  hervorragendsten  Zug  der  klassischen  Poesie 
der  Griechen  preisen,  diesem  ägyptischen  Spätling  des  hellenischen  Epos 
ganz  und  gar  abgeht.  In  den  Schlachtenbildern  setzt  er  sich  leichthin  über 
die  Grenzen  des  Ortes,  der  Zeit  und  namentlich  der  menschlichen  Kraft 
hinweg;  alles  geht  ins  Groteske  und  Übernatürliche,  so  dass  der  junge  Gott 
im  Mutterleibe  tanzt  (8,  27),  der  Kithairon  Thränen  vergiesst  (5,  357),  der 
Atlas  den  Himmel  im  Kreise  dreht  (13,  359).  Dabei  überbietet  er  sich 
selbst  mit  immer  neuen  Ausschmückungen,  wie  wenn  er  bei  der  Schilderung 
der  Sintflut  (6,  229  ff.)  kein  Ende  in  der  Ausmalung  der  Umkehr  der 
natürlichen  Vorgänge  findet  und  bis  ins  Endlose  sich  in  der  Gegenüber- 
stellung ähnlicher  Situationen  und  Personen  gefällt.  2)  Auf  solche  Weise 
will  dem  Dichter  trotz  des  unerschöpflichen  Reichtums  seiner  Einbildungs- 
kraft doch  nur  selten  eine  wirklich  hübsche  Erzählung  oder  Schilderung 
gelingen;  sie  gelingt  ihm  am  ehesten,  wenn  er  sich  eng  an  seine  Vor- 
gänger unter  den  alexandrinischen  Dichtern  hält,  wie  in  der  Mythe  von 
Ikarios  und  Erigone  (47,  1 — 264),^)  oder  wenn  er  mit  veränderten  Namen 
eine  homerische  Situation  wiedergibt,  wie  im  40.  Gesang,  wo  die  Erzählung 
vom  Entscheidungskampf  des  Dionysos  und  Deriades  den  Gesang  von 
Hektors  Fall  zum  Muster  hat. 

Ganz  im  Gegensatz  zu  dieser  Masslosigkeit  der  Phantasie  steht  die 
bis  zur  Einförmigkeit  gesteigerte  Strenge  der  metrischen  Form  unseres 
Dichters.  Derselbe  hat  sich  mit  feinem  Wohllautsgefühl  eine  eigene,  dem 
dionysischen  Rausche  des  Inhalts  entsprechende  Form  des  daktylischen 
Hexameters  ausgedacht,  die  wesentlich  darin  besteht,  dass  nirgends  in  dem- 
selben Kolon  2  Spondeen  aufeinanderfolgen,  dass  fast  alle  Hexameter  einen 
Einschnitt  [Tofxt],   caesura)   nach  dem  Trochäus  des  3.  Fusses   haben,   dass 


^j  Manche    Episoden    sind    erst    später 
il  eingelegt;  s.  Scheindler,  Wien.  Stud.  II,  43 ff. 
2)  Vgl.  25,  31  ff.;  47,  500  ff.;  25,  136  ff.; 
47,  49  ff. 

^)  Benützungen     alexandrinischer     Vor- 


bilder in  IG,  257  ff.  u.  17,  42  ff.  weist  Maass, 
Herrn.  24,  522  ff.  nach.  Über  die  Quellen 
der  Fabeln  des  Nonnos  überhaupt  s.  R.  Köhler, 
Über  die  Dionysiaka  des  Nonnus,  Halle  1853. 


656 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


der  Hiatus,  selbst  der  legitime  in  der  Arsis,  fast  ganz  vermieden  und  auch 
die  Elision  in  sehr  enge  Grenzen  gewiesen  ist.  Durch  diesen  Bau  der 
Füsse  und  die  aus  der  volkstümlichen  Poesie  herübergenommene  Vorliebe  für 
Einklang  des  Vers-  und  Wortaccentes  in  der  vorletzten  Verssilbe  ^)  bekommt 
der  Vers  einen  einschmeichelnden  Fluss,  dessen  Zauber  nur  die  ermüdende 
Wiederholung  derselben  Form  Eintrag  thut.  An  einer  ähnlichen  Eintönigkeit 
leidet  auch  der  sprachliche  Ausdruck:  Nonnos  hat  die  Sprache  wie  keiner  der 
nachklassischen  Dichter  in  seiner  Gewalt;  er  wagt  kühn  neue  Bildungen 
und  Wendungen,  aber  namentlich  am  Versschluss  wiederholen  sich  zu  oft 
die  gleichen  Phrasen,  wie  avzvya  xüa/iov,  avrvya  fia^wv,  xvxXa  7rQoac67io)r, 
xvxXa  xsksv^wv,  xvxXa  i.ieXä^QMv,  xvxXa  xaXivoöv,  und  Lieblingsausdrücke, 
wie  i'vdaXfia,  amv^rjQa,  dXr^Trjg,  ds^ovrjzo  kehren  jeden  Augenblick  wieder. 
Aber  trotz  aller  Mängel  bleibt  doch  richtig,  dass  Nonnos  ein  Dichter  von 
wirklichem  Talent,  voll  Feuer  und  Schöpfungskraft  war,  der  das  Zarte 
und  Liebliche  der  bukolischen  Genremalerei,  sowie  die  halb  frivolen,  halb 
sentimentalen  Schilderungen  der  Erotiker  auf  den  Boden  der  epischen  Poesie 
verpflanzt  hat. 

Ausser  den  Dionysiaka  hat  Nonnos  nach  dem  eingangs  erwähnten 
Epigramm  auch  noch  eine  Gigantomachie  geschrieben.  Von  dieser  hat  sich 
nichts  erhalten,  ebenso  sind  seine  Bassarika  bis  auf  4  bei  Stephanos  Byz. 
unter  Jaqaavia  erhaltene  Verse  verloren  gegangen.  Hingegen  ist  eine 
metrische,  eng  an  das  Original  sich  anschmiegende  Metaphrase  des  Evan- 
geliums Joannes  auf  uns  gekommen.  Dieselbe  verfasste  er  offenbar  nach 
seinem  Übertritt  zum  Christentum  und  in  hohem  Alter.  Denn  während 
die  Dionysiaka  ausgelassene  Jugendfrische  atmen,  hat  die  Übersetzung  des 
Evangeliums  etwas  greisenhaftes;  nur  der  dithyrambische  Schwulst  des 
Ausdrucks  ist  geblieben,  der  Reiz  der  Episoden  und  die  Sinnlichkeit  der 
Darstellung  ist  verschwunden. 

Auf  uns  gekommen  sind  die  Dionysiaka  nur  durch  einen  Kanal,  der  am  besten  aus 
der  ed.  princ,  (1569),  welche  Gerhard  Falkenburg  ex  cod.  loann.  Sambuci  besorgte, 
zu  erschliessen  ist.  Kommentierte  Ausg.  von  Gräfe,  Lips,  1819 --36;  kritische  Textausg 
von  KöCHLY  in  Bibl.  Teubn.  --  Nonni  Pano]).  metaphrasis  evangelii  lohannei  reo.  Fr. 
Passovius,  Lips.  1834  mit  dem  Text  des  Evangeliums  unter  den  Versen;  ed.  Scheindler, 
Lips.  1881;  vgl.  Köchly,  De  evangelii  locmnei  paraplirasi  a  Nonno  facta,  Opusc.  I,  421  — 
46.  —  Wild,  Die  Vergleiche  bei  Nonnus,  Regensb.  Progr.  1886. 

531.  An  Nonnos  schloss  sich  eine  Schule  von  Epikern  an,  welche, 
ebenfalls  das  mythologische  Epos  kultivierte  und  sich  an  die  durch  Nonnos] 
eingeführte  Technik  des  Versbaus  hielt.     Zu  derselben  gehören: 

Tryphiodoros  aus  Ägypten,  Grammatiker  und  Dichter  von  Epen.] 
Suidas  führt  von  demselben  an:  Magadcoviaxd,  'iXiov  dXcoaig,  Td  xarS 
^fTTTToödfisiav,  'Odvaasia  XsinoyqdmiaTog.^)     Davon  hat  sich   nur   das   unbe-j 


*)  Über  die  metrischen  Grundsätze  des 
Nonnos  s.  G.  Hermann  ad  Orphica  p.  690  ff.. 
Ludwich,  Beitr.  zur  Kritik  des  Nonnos, 
Königsberg  1873,  und  in  Rossbach's  Griech. 
Metr."^  55  ff.,  Scheindler,  Quaestiones  Non- 
nianae,  Brunae  1878.  Dass  die  Betonung 
auf  der  vorletzten  Verssilbe  sich  schon  auf 
Inschriften  des  2.  u.  3.  Jahrh.  durchgeführt 
findet  und   dass   dieses  mit   dem  Charakter 


der  volkstümlichen  Poesie  zusammenhängt, 
beweist  Deutschmann,  De  poesis  Graeconir, 
rhythmicae  primordiis  p.  7  ff.  Nonnus  und 
seine  Schule  hat  sich  aber  nur  auf  die  Ver- 
pönung  von  Proparoxytona  im  Verschluss 
beschränkt. 

-)  Vergl.   die  'Ihuq  XeiTJoy^df^^uaTog  des 
Nestor  §  411. 


i 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.    2.  Die  Poesie.  (§  531.) 


657 


deutende  Epyllion  'iXiov  alwaiQ  in  691  Versen  erhalten,  das  sich  wesent- 
lich an  die  kleine  Ilias  des  damals  antiquierten  Kyklos  hält.  Ausgabe  von 
Wernecke,  Lips.  1819. 

Kolluthos  aus  Lykopolis  in  der  ägyptischen  Thebais  lebte  nach 
Suidas  zur  Zeit  des  Kaisers  Anastasios  (491  —  518).  Die  von  Suidas  er- 
wähnten Epen  KaXvötoviaxcc  in  6  B.,  UsQaixd  und  iyxMiua  sind  verloren 
gegangen;  erhalten  ist  uns  eine  ^Aquayr]  ^EXe'vrjg  in  nicht  ganz  400  Hexa- 
metern. Kommentierte  Ausg.  von  Lennep  1747,  wiederholt  von  Schäfer, 
Lips.  1825;  mit  kritischem  Apparat  von  Abel,  Berol.  1880. 

Musaios,  über  den  uns  nichts  überliefert  ist  und  über  dessen  Zeit 
infolgedessen  die  mannigfachsten,  um  mehr  als  1000  Jahre  auseinander- 
gehenden Vermutungen  aufgestellt  wurden,^)  lebte  nach  Nonnos  und  gehörte 
zu  dessen  Schule.  Das  hat  schon  Casaubonus  aus  Stil  und  Metrum  erkannt 
und  neuerdings  Schwabe,  De  Musaeo  Nonni  imitatore  (Tub.  1876),  aus  den 
Nachahmungen  zur  vollen  Sicherheit  erhoben.  Auf  der  anderen  Seite  muss 
er  vor  Agathias  gelebt  haben,  da  dieser  Anth.  V,  263  auf  das  Gedicht 
Hero  und  Leander  anspielt. 2)  Das  unterstützt  die  Vermutung  Passow's, 
dass  unser  Musaios  eine  Person  mit  dem  gleichnamigen  Freund  des  Rhetors 
Prokopios  unter  Justinian  gewesen  ist.  Anklänge  an  Bibelstellen,  wie  V.  137 
yaavriq  tj  a'  sXoxsvas  fnaxaQrdTtj,  lassen  ausserdem  vermuten,  dass  auch 
er,  wie  Nonnos,  zum  Christentum  übergetreten  war,  obschon  sonst  bei  ihm 
alles  griechische  Grazie  und  Anmut  atmet.  Sein  berühmtes  Epyllion,  das 
hübsch  Köchly  die  letzte  Rose  aus  dem  hinwelkenden  Garten  der  griechi- 
schen Poesie  nannte,  behandelt  den  romantischen  Stoff  von  Hero  und  Le- 
ander {rd  xa&'  '^Hqü)  xal  Atavdqov)  in  340  Versen.  Das  schönste  indes 
an  dem  Gedicht,  die  Sage,  ist  nicht  des  Musaios  Erfindung,  und  die  Dik- 
tion lässt  vielfach  die  Einfachheit  der  klassischen  Zeit  vermissen,  manchmal 
selbst  die  Korrektheit  der  Sprache,  wie  wenn  orr/  für  ori  (V.  108)  und 
uTisileiMai  (V.  131)  nach  der  falschen  Analogie  des  homerischen  xslsiovai 
gebraucht  ist.  Ausgabe  mit  Einleitung  und  Noten  von  Fr.  Passow,  Leipz. 
1810.  Kritische  Ausg.  von  Dilthey,  Bonnae  1874.  —  Vielleicht  ist  Mu- 
saios auch  der  Verfasser  des  hübschen,  leider  nur  lückenhaft  erhaltenen 
Gedichtes  von  der  Liebe  des  Alpheios  und  der  Arethusa  (Anth.  Pal.  IX,  362), 
das  in  der  Kunstweise  des  Nonnos  gedichtet  ist  und  auf  die  Besiegung  der 
Gothen  in  Elis  i.  J.  396  n.  Chr.  Bezug  nimmt. ^) 

Kyros  aus  Panopolis,  Konsul  im  Jahre  441,  später  Bischof  von 
Kotyaion,^)  genoss  als  Epiker  grosses  Ansehen,  so  dass  ein  Epigramm  der 
Anth.  Plan.  IV,  217  ihn  von  der  Muse  Kalliope  mit  derselben  Milch  wie 
Homer  und  Orpheus  getränkt  sein  lässt.  Von  ihm  kannte  man  bis  jüngst 
nur  einige  Verse  auf  Theodosios  und  das  glänzende  Haus  des  Maximinos 
in  Konstantinopel  (Anth.  Pal.  XIII,  878).  Neuerdings  hat  ihm  Bücheier, 
Rh.  M.  39, 277  vermutungsweise  auch  die  unlängst  aus  einem  Papyrus  von 


^)  Der  Kuriosität  halber  sei  erwähnt, 
dass  JuL.  Caes.  Scalioer,  Poet.  5,  2  ihn 
mit    dem   alten  Seher  Musaios  identifizierte. 

^)  Dazu  stimmt,  dass  Paulus  Silentiarius 
Verse  des  Musaios  nachgeahmt  hat,  wofür 
Mi]rian-Genast,    De  Pauli   Sil.   p,    103  Be- 


lege gibt. 

^)  So  der  neueste  Herausgeber  und  Er- 
klärer des  Gedichtes  Ricii.  Holland,  De 
Alpheo  et  Arethusa,  in  Comm.  Kibbeck. 
381-414. 

^)  Suidas  u.  Kt^^og,  Eiiagr.  Hist.  eccl.  1, 19 


Handbuch  der  klass.  Altorluniswissonscliaft.  VII.    2.  Aull, 


42 


658 


Griechische  Literaturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 


Theben  ans  Licht  gezogenen  Verse  auf  die  Besiegung  der  Blemyer,  eines 
räuberischen  Volkes  von  Oberägypten,  beigelegt. 

Claudian  der  Jüngere  aus  Alexandria  lebte  nach  Suidas  zur  Zeit  des 
Arkadios  (395 — 408),  muss  aber  nach  dem  Zeugnis  des  Kirchenhistorikers 
Euagrios  I,  19  schon  unter  Theodosios  (379 — 395)  eine  Rolle  gespielt  haben. 
Der  Jüngere  heisst  er  wahrscheinlich  mit  Bezug  auf  den  lateinischen  Dichter 
Claudianus,  der  gleichfalls  aus  Alexandria  stammte  und  vielleicht  der  Vater 
unseres  Claudian  war.  Von  dem  unsrigen  haben  einige  Epigramme  Auf- 
nahme in  die  Anthologie  gefunden;  aus  einer  Beischrift  derselben  ersehen 
wir,*)  dass  er  auch  die  Stadtgeschichte  (rd  nätQia)  von  Tarsos,  Anazarba, 
Berytos,  Nikäa  in  Versen  geschrieben  hat.  Von  einer  Gigantomachie,  in 
der  er  mit  dem  gleichnamigen  Gedicht  seines  lateinischen  Namensvetters 
rivalisieren  wollte,  sind  uns  über  70  Hexameter  erhalten,  die  in  der  Leichtig- 
keit des  Versbaus  und  der  Erhabenheit  der  Schilderung  den  Jünger  des 
Nonnos  verraten.  2)  Wie  jener,  so  ist  auch  er,  nach  dem  hexametrischen 
Gedicht  auf  Christus  (Anth.  XIII,  615)  zu  schliessen,  später  zum  christ- 
lichen Glauben  übergetreten. 

532.  Orphika.3)  Unter  dem  Namen  des  Orpheus  sind  auf  uns  ge- 
kommen: 'AQyovaviixd,  ein  Epos  in  1384  Hexametern,  das  in  der  fabel- 
haften Schilderung  der  Argofahrt  seinen  Hauptreiz  hat,"*)  dadurch  aber, 
dass  Orpheus  in  ihm  als  Teilnehmer  des  Zuges  eine  hervorragende  Rolle 
spielt,  mit  dem  Kulte  der  Orphiker  zusammenhängt,  Aiüixä  in  768  Versen, 
in  denen  Orpheus  den  Priamiden  Theiodamas  über  die  wunderbare  Kraft 
der  Steine  belehrt,  88  Hymnen  auf  verschiedene  Gottheiten  und  personi- 
fizierte Kräfte  der  Natur  und  sittlichen  Weltordnung.  Alle  3  Dichtungen 
geben  sich  für  Werke  des  Orpheus  aus  und  sind  in  die  Form  von  Unter- 
weisungen gekleidet;  zwei  der  Proömien  sind  ausserdem  an  Musaios  ge- 
richtet. Aber  das  alles  ist  frommer  Betrug:  die  Gedichte  sind  dem  alten 
Sänger  Orpheus  untergeschoben  und  stammen  aus  der  Sekte  der  Orphiker, 
welche  bereits  in  der  Zeit  der  Pisistratiden  ihr  Unwesen  getrieben  hatte 
und  sich  bis  in  die  christliche  Zeit  hinein  erhielt.  Es  waren  die  3  er- 
haltenen Dichtungen  nicht  die  einzigen,  welche  unter  Orpheus  Namen  in 
Umlauf  waren;  demselben  wurden  auch  Weihen,  Orakelsprüche  und  eine 
Theogonie  beigelegt,  ferner  ^IsqoI  Xoyoi,  KgarrjQ,  JlsnXog,  Jixtvov,  Katä- 
ßaaig  €g  a6ov,  'A(TTQovojnixd,  rscoTTovixd^  JiaO^rjxai  u.  a.^)  Dieselben  stammten 
aus  sehr  verschiedenen  Zeiten,  so  dass  sich  bereits  die  alten  Kritiker,  unter 
ihnen  besonders  Epigenes,^^)  bemühten,  die  verschiedenen  Partien  zu  son- 
dern und  auf  ihre  wirklichen  Urheber  zurückzuführen,  so  die  Orakel  und 
Weihen   auf  Onomakritos, '^)    den   Peplos   auf  Brontinos    oder  Zopyros,    die 


1)  Jacobs,  Anth.  t.  XIII  p.  872. 

2)  Die  Verse  nacli  Schenkl's  Rezension 
mitgeteilt  in  Jeep's  Ausgabe  Claudians  t.  I 
p.  LXXVIII. 

3)  Siehe  oben  §  12. 

■*)  Gefolgt  ist  der  Dichter  hierin  weniger 
dem  Apollonios  Rhodios  als  dem  Timaios, 
dessen  Anschauungen  über  die  Argofahrt 
Diodor  IV,  56  referiert. 


'")  Suidas  u.  'OQcpEvg,  Clemens  Alex, 
ström.  I,  322,  Damascius  de  princ.  380. 
Die  alten  Nachrichten  entwirrte  Lobeck, 
Aglaophamus  p.  352  ff. 

^)  Lobeck,  Aglaoph.  339  f.  u.  oben  §  14. 

')  Siehe  oben  §  69.  Die  Sammlung  von 
Orakeln  und  Weihen  kursierte  bereits  zur 
Zeit  Piatons;  s.  Protag.  p.  316,  Crat.  p.  265, 
de  rep.  p.  364. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.    2.  Die  Poesie.  (§  532.)  659 

heiligen  Bücher  auf  Kerkops  oder  Theognetos,i)  den  Korybantikos  auf 
Brontinos,  die  Soteria  auf  Timokles  oder  Perginos,  den  Gang  nach  dem 
Hades  auf  Prodikos,  die  Triagmoi  auf  den  Tragiker  lon.'^)  Vieles  lag  be- 
reits dem  Aristoteles  vor,  der  den  Betrug  erkannte  und  so  weit  ging,  die 
Existenz  des  Orpheus  zu  leugnen.^)  Auf  die  'IsqoI  Xöyoi  bezieht  sich  Cicero, 
De  nat.  deor.  I,  38,  der  dieselben  dem  Pythagoreer  Kerkops  zuschreibt. 
Verse  des  Gangs  in  den  Hades  wurden  den  Eingeweihten  in  Unteritalien 
mit  ins  Grab  gegeben,  wovon  in  neuerer  Zeit  mehrere  Reste  aufgefunden 
wurden.^)  Besonders  aber  kam  gegen  Ende  des  Altertums  diese  mystische 
Litteratur  zu  Ehren  und  ward  durch  neue  apokryphe  Dichtungen  vermehrt. 
Aus  dieser  späten  Zeit  rühren  auch  die  erhaltenen  Orphika  her.  Ruhnken 
hielt  noch  den  Verfasser  der  Argonautika  für  einen  alten  Dichter.^)  Da- 
gegen erkannte  J.  G.  Schneider^)  mit  Recht  in  ihm  einen  halbbarbarischen 
Fälscher  der  jüngsten  Zeit.  Genauer  bestimmte  die  Grenzen  G.  Hermann 
in  seiner  Ausgabe  der  Orphika  p.  763  u.  810,  indem  er  nach  metrischen 
Anzeichen  den  Verfasser  derselben  in  die  Zeit  zwischen  Quintus  Smyrnäus 
und  Nonnus  setzte,  aber  zugleich  zugab,  dass  den  jüngeren  Hymnen  auch 
ältere  aus  dem  1.  und  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  beigemischt  seien. '^)  Für 
eine  so  späte  Zeit  sprechen  ausser  dem  Versbau  auch  die  Beobachtungen, 
dass  die  Argonautika  bereits  Ibernia  oder  Irland  erwähnen,*^)  dass  in  den 
gelehrten  Schollen  der  Argonautika  des  Apollonios  nirgends  des  orphischen 
Gedichtes  gedacht  ist,  dass  endlich  die  Hymnen  zum  grössten  Teil  an  ab- 
strakte Wesen,  wie  sie  die  Stoa  und  der  Neuplatonismus  aufgebracht  hatte 
[Jixaiof^vrr],  ^Vyisia,  GävaTog  etc.),  gerichtet  sind.^)  Die  Zeit  der  Lithika 
bestimmt  sich  durch  den  Hinweis  auf  die  Verfolgungen  der  theurgischen 
Weisheit  (V.  67 — 75),  welche  Hermann  auf  die  Philosophenaustreibung 
unter  Domitian,  Tyrwhitt  und  Abel  mit  mehr  Wahrscheinlichkeit  auf  die 
Dekrete  des  Constantius  (357)  und  Valens  (371)  gegen  die  Ausübung  des 
alten  Kultus  bezogen  haben. 

Mit  den  orphischen  Hymnen  berühren  sich  die  6  philosophischen 
Hymnen  des  Neuplatonikers  Proklos  auf  Helios,  Muse,  Aphrodite,  Pallas, 
Janus  und  die  Gesamtheit  der  Götter.  —  In  die  gleiche  Kategorie  gehören 
auch  die  paar  inschriftlichen  Hymnen  auf  Apollon,  Helios,  Päan,'*^)  Asklepios, 
Hygieia,  Telesphoros,  Isis,  Anubis,  die  Kaibel  in  seine  Sammlung  griechi- 
scher Steinepigramme   p.  432 — 460   aufgenommen   hat.  —  Ähnlichen  Cha- 


^)  IsQol  Xoyoi  war  auch  der  Doppeltitel 
der  einen  der  Theogonien;  siehe  Lobeck, 
Aglaoph.  714  ff. 

'')  Bergk,  Gr.  Litt.  II,  85  u.  III,  607. 

^)  Aristot.  de  an.  1,  5  u.  II,  2;  Cicero 
de  nat.  deor.  I,  38. 

^)  CoMPARETTi  in  Hellenic  studies,  1882. 

^)  Ruhnken,  Epist.  crit.  II,  in  Opusc. 
p.  610  ff.,  wo  er  geradezu  den  Dichter  der 
Argonautica  einen  scripior  meo  iudicio 
vetustissimus  nennt. 

^)  J.  G.  Schneider,  Anal.  crit.  in  Script, 
vet.  graec,  Frankfurt  1777. 

^)  In  das  1.  u.  2.  .Tahrh.  n.  Chr.,  als  die 
Stoa  mit  dem  Neupythagoreismus   sich   ver-   [   sich  Patroinus. 

42* 


band,  setzt  die  Mehrzahl  der  Hymnen  Pe- 
tersen, Vhdl.  d.  23.  Vers.  d.  Phil,  in  Han- 
nover (1865)  S.  124  ff. 

^)  V.  1171;  PTJaotaiy  ^leQviaiv  daaop 
i'xcofjiu.  Die  Vermischung  alter  und  neuer 
Erdkunde  in  den  orphischen  Argonautika  hat 
ihr  Analogon  an  dem  um  dieselbe  Zeit  ent- 
standenen Gedicht  des  Avien,  Ora  maritima. 

^)  Orphisch  ist  auch  unter  den  Homeri- 
schen Hymnen  der  7.  auf  Ares;  den  6.  u.  7. 
setzt  in  die  Zeit  der  orphischen  Argonautika 
Ludwich,  Streifzüge  in  entlegene  Gebiete  der 
griech.  Litt.,   in  Königsberger  Stud.  I,  61  ff. 

^'^)  Als  Verfasser  dieses  Hymnus  nennt 


(350  Griechische  Litter aturgeschichte.    11.  Nachklassische  Litteratur. 

0 

rakters  sind  die  vielen  Orakelsprüche  in  Versen  aus  den  ersten  Jahrhun- 
derten unserer  Zeitrechnung,  unter  denen  ein  unlängst  von  Buresch  gefundener 
und  publizierter  aus  der  lydischen  Stadt  Kaisareia  Troketta  einen  hervor- 
ragenden Rang  einnimmt. 

Ausgabe  der  Orphica  mit  den  Noten  der  Früheren  von  G.  Hermatjn,  Lips.  1805.  ~ 
Lithica  rec.  notasque  adiec.  Tyrwhitt,  Lond,  1781.  —  Orpliica  et  Prodi  hymn.  rec.  Abel 
1885  in  Bibl.  Schenk.  —  Orphei  Lithica  rec.  Abel,  Berl.  1881  auf  Grundlage  des  Cod. 
Ambros.  B  98.  —  Drei  neue  orphische  Hymnen  auf  Hekate,  Helios,  Selene  hat  Miller, 
Melanges  aus  Papyrusrollen  veröffentlicht.  Die  grosse  Ähnlichkeit  derselben  mit  den  von 
Parthey,  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1885  S.  109  ff.,  und  Wessely,  Abhdl.  d.  östr.  Ak.  t.  36  (1888) 
veröffentlichten  Zauberpapyri  wiesen  nach  Dilthey,  Rh.  M.  27,  375 — 419,  und  Kopp,  Beitr. 
zur  griech.  Exzerptenlitt.  46  f.  —  Buresch,  Klares,  Lips.  1890,  stellt  die  Orakel  von  Klaras 
zusammen  und  gibt  in  einem  Anhang  die  Tübinger  XQrjajxol  rujy  eXhji^ixiov  x^eiov.  Hymnen 
der  Magier  hat  uns  auch  Hippolytus  Refut.  IV  erhalten;  sie  macht  leserlich  mit  einziger  Kunst 
WiLAMOwiTZ,  Ind.  Gott.  1889  p.  29  f. 

Lobeck,  Aglaophamus  sive  de  theologiae  mysticae  Graecorum  causis,  Regiom.  1829, 
wo  p.  410  —  1104  die  Fragmente  zusammengestellt  sind.  Dazu  Werfer,  2:vyayioyi]  ^ÖQcpixMv 
anoanaa^ucnlcjy  niov  iu  ralg  JIqoxIov  eig  töv  KqcuvXov  nagsKßoXaTg,  in  Act  philol.  Mon.  II, 
115—156.  —  0.  Gruppe,  Die  griech.  Culte  u.  Mythen,  Leipz.  1887,  I,  612—674,  wo  von 
den  orphischen  Theogonien  gehandelt  ist.  —  Am  ältesten  sind  die  Fragmente  der  rhapso- 
dischen Theogonie;  doch  gehen  auch  über  sie  die  Meinungen  stark  auseinander;  für  die 
Zeit  der  Neuplatoniker  tritt  ein  P.  Schuster,  De  vetei'is  Orphicae  theogoniae  indole,  Lips. 
1869;  umgekehrt  geht  bis  über  Piaton  hinauf  0.  Kern,  De  Orphei  Epimenidis  Pherecydis 
theogoniis,  Berol.  1888. 

533,  Mit  den  Fälschungen  der  Orphiker  sind  verwandt  die  sibyl- 
linischen  Weissagungen  {xQtjainol  2ißvXXiaxoi)  in  14  Büchern.  Nur 
sind  jene  dem  Mystizismus  der  Griechen  entsprossen,  während  diese  auf 
dem  Boden  des  alexandrinischen  Judentums  entstanden  sind.^)  Fast  alle 
sind  vaticinia  post  eventum,  denen  nur  frommer  Betrug  ein  höheres  Alter 
beigelegt  hat;  aber  dieselben  sind  ebensowenig  wie  die  orphischen  Gedichte 
alle  zur  selben  Zeit  entstanden.  Der  älteste  Teil,  III  97 — 828,  rührt  von 
einem  alexandrinischen  Juden  aus  der  Zeit  des  Ptolemaios  Philometor  her 
und  ist  in  ungelenken  Versen  verfasst;  der  Verfasser  wollte,  indem  er 
sich  die  Alexandra  des  Lykophron  und  die  Orakel  der  erythräischen  und 
kumanischen  Sibylle  zum  Vorbild  nahm,  die  Hoffnungen  der  Juden  durch 
Voraussagung  eines  neuen  salomonischen  Reiches  (III,  167)  neu  beleben. 
Das  4.  Buch  weist  deutlich  auf  die  Zeit  des  Titus  und  den  Ausbruch  des 
Vesuv  hin  (IV,  130);  nicht  lang  danach  muss  auch  das  Proömium  ge- 
dichtet sein,  was  also  ursprünglich  nicht  zur  ganzen  Sammlung,  sondern 
nur  zu  einem  Teile  derselben  gehörte.  Bereits  die  ältesten  christlichen 
Kirchenväter,  wie  Theophilos,  Justinus  Martyr,  Clemens  und  Lactantius 
eitleren  Verse  daraus.  Der  übrige  grössere  Teil  der  Sammlung  ging  von 
ägyptischen  Therapeuten,  Juden  und  Christen  des  2.  und  3.  Jahrhunderts 
aus.     Die  letzten  4,  erst  von  Ang.  Mai  ans  Licht  gezogenen  Bücher  bilden 

1 


')  Die  älteste  Sibylle  war  eine  griechi- 
sche, die  Sibylle  von  Erythrä,  deren  Erin- 
nerung in  das  8.  Jahrh.  v.  Chr.  hinaufreicht; 
an  sie  schlössen  sich  allmählich  andere  Si- 
byllen an,  wie  die  von  Samos,  Delphi,  Troia, 
Cumä,  sodann  die  jüdische  und  babylonische 
Sibylle,  bis  die  Zwölfzahl  voll  war;  siehe 
E.  Maass,  De  sibyllarutn  indicibus,  Berl. 
1879.  Die  uns  erhaltenen  Sibyllenorakel 
aber    gehen   alle   von   den  Fälschungen  der 


jüdischen  Gelehrten  aus,  von  denen  Döl- 
LiNGER,  Akad.  Vorträge,  Einfluss  der  griech. 
Litt,  und  Kultur  auf  die  abendländische  Welt 
im  Mittelalter  S.  168  bemerkt:  Derartiges 
Erdichten  und  Interpolieren  erregte  damals 
keine  Gewissensbedenken;  man  beruhigte 
sich  mit  der  guten,  das  Mittel  heiligenden 
Absicht;  die  Neupythagoräer  thaten  dasselbe, 
wie  unter  andern  die  orphischen  Dichtungen  lt. 
beweisen. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.    2.  Die  Poesie.  (§533—535.)        061 

ein  Ganzes  für  sich  und  enthalten  gewissermassen  einen  Ahriss  der  Ge- 
schichte von  der  Sintflut  bis  zum  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  Derselbe  ist 
zu  Ehren  des  Odenathos,  des  Gemahls  der  Kaiserin  Zenobia,  gedichtet, 
mit  dessen  Verherrlichung  das  13.  Buch  schliesst.  Der  Veranstalter  der 
Sammlung  war  ein  Christ  und  setzt  selbst  im  Prolog  den  Plan  seines 
Unternehmens  auseinander.  Die  römischen  Sibyllenorakel,  die  gleichfalls 
in  griechischen  Versen  abgefasst  waren  und  die  der  Kaiser  Augustus  in 
dem  Tempel  des  palatinischen  Apoll  hatte  niederlegen  lassen,  nahm  er  in 
die  Sammlung  nicht  auf,  wohl  einfach  deshalb,  weil  kein  Exemplar  der- 
selben der  Vernichtung  durch  Honorius  und  Stilicho  entgangen  war.  Wie 
der  Sammler  hiess  und  welcher  Zeit  er  angehörte,  ist  nicht  überliefert; 
jedenfalls  lebte  er  nach  Lactantius,  dessen  Bücher  er  benützte;  Alexander, 
der  verdiente  Herausgeber,  setzt  ihn  unter  Justinian. 

Hauptausgabe:  Oracula  Sibyllina  ed.  Alexandre,  ed.  II,  Paris  1869;  reo.  Fried- 
lieb, Lips.  1855,  2  Bde.,  mit  einem  Nachtrag  von  Volkmann,  Sedini  1854.  --  Ewald,  Über 
Entstehung,  Inhalt  und  Wert  der  sibyll.  Bücher,  Abhandl.  d.  Gott.  Ges.  VIII  (1858), 
43-152;  Volkmann,  Verh.  d.  15.  Philologenvers.  (1860),  317  fF.;  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  III,^ 
2.  269  f.;  0.  Gruppe,  Die  griech.  Culte,  I,  675-701;  Rzach,  Jahresber.  d.  Alt.  VIII,  1. 
76  ff.;  Bang,  in  Forhandlinger  i  videnskabs   v.  Christiania  1882  Nr.  8  u.  9. 

534,  Dem  Sieg  des  Christentums  ist  eine  vollständige  Überschwem- 
mung des  Abendlandes  mit  ägyptischem,  syrischem,  persischem  Wunder- 
und Aberglauben  vorhergegangen.  Namentlich  waren  es  die  chaldäischen 
Astrologen,  welche,  gestützt  auf  eine  uralte  Religion  und  auf  tausend- 
jährige Beobachtung  der  Sternenwelt,  gläubiges  Gehör  fanden.  So  haben 
diese  denn  nicht  bloss  den  superstitiösen  Mithraskultus  eingeführt  und  in 
den  Ausgleichsversuchen  der  Neuplatoniker  eine  grosse  Rolle  gespielt,  i) 
sondern  haben  auch  auf  die  poetische  Litteratur  der  letzten  Jahrhunderte 
des  Altertums  Einfluss  geübt.  Aus  ihren  Kreisen  stammen  die  sogenannten 
Orakel  des  Zorraster,  die  Erweiterungen  der  Apotelesmatika  des  Pseudo- 
Manetho,^)  das  verstümmelte  Gedicht  eines  gewissen  Maximus  nsgl 
xaxaqymv  oder  über  den  Einfluss  der  Gestirne  in  610  Hexametern. 

Maxiraus  in  Köchly's  Manetho.  —  Oracula  magica  cum  scholiis  Plethonis  et  Pselli, 
Oracula  metrica  et  Attrampsychi  'Opeiqoxqixixov  ed.  Opsopoeus,  Par.  1599.  —  Wolff,  Por- 
pliyrii  de  pliilosophia  ex  oraculis  haurienda  rell.,  Berl,  1856. 

535.  Epigrammatiker.  Mit  dem  allgemeinen  Aufschwung  der  Versifi- 
kation  in  Byzanz  kam  auch  das  leichte  Spiel  des  Epigramms  und  der  Anakreontea 
wieder  in  Aufnahme.  Eine  Auswahl  von  neuen  Epigrammen  vereinigte  in  der 
2.  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  Agathias  aus  Myrina  zu  einem  Kyklos  von 
7  Büchern.^)  Von  den  Epigrammen  des  Agathias  selbst  hat  Konstantinos 
Kephalas  an  100  Nummern  in  seine  Anthologie  aufgenommen.  Dieselben 
sind  mannigfachen  Inhaltes  und  zeugen  von  einem  anerkennenswerten  Talent 
im  Versbau  und  sprachlichen  Ausdruck;  aber  der  Mangel  an  Witz  und 
Originalität  wird  durch  die  geschwätzige  Breite  nicht  aufgewogen.  Viele 
der  Epigramme  haben  den  Umfang  von  ganzen  Elegien,  und  auf  die  Trümmer 

^)  lamblichos  schrieb  ti€qI  riig  Xc(X(fcd'x  "g  \   Lebensgeschicke  und  Spiele    der  Schicksals- 

Ts'ksioidxrjq   ^soXoyiag,    Porphyrios   ne^l  r^g  i    göttin.    5)  Spottepigramme,    6)   Liebesepigr., 

ix  Xoyiwv  (filoaocpiag.  7)  Weinepigr.     Ausser  Epigrammen  hat  Aga- 

-)  Siehe  oben  §  410.  thias   nach   seinem   eigenen  Zeugnis  Hist,  I 

'•'')  Die    7  Abteilungen    des  Kyklos   sind  in.  Jccffvixu    fivS^otg   nol  TJSTjofxiXfjeytc  fqm- 

\)   Weihepigramme,    2)   Epigr.    auf    Kunst-  tixoTg  gedichtet. 

Werke,    3)   Grabepigramme,    4)   Epigr.    auf  | 


662  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 

von  Troia  begegnen  uns  gleich  4  Epigramme  (IX,  152—5).  Kürzer  und 
wahrer  sind  seine  Liebesepigramme,  aber  auch  hier  hat  die  Impotenz  des 
Schmachtens  und  Küssens  (V,  261.  269.  285)  die  gesunde  Natürlichkeit 
des  Altertums  verdrängt.  Die  Knabenliebe  ist  noch  nicht  ganz  verschwunden, 
wird  aber  doch  als  sündhafte  Unnatur  verpönt  (V,  278). 

Palladas  blühte  um  die  Wende  des  4.  Jahrhunderts  zur  Zeit  des 
Kaisers  Arkadios.  Er  stammte  aus  Alexandria,  und  auf  Verhältnisse  Ägyp- 
tens beziehen  sich  viele  seiner  Epigramme,  wie  das  auf  die  gefeierte  Philo- 
sophin Hypatia  (IX,  400).  Er  w^ar  Heide  und  sein  Leben  lang  ein  armer 
Schlucker,  der  in  der  Not  seinen  Pindar  und  Kallimachos  verkaufen  musste 
und  zu  Haus  unter  der  Bosheit  eines  zänkischen  Weibes  zu  leiden  hatte. 
Das  gab  seinen  Versen  Kraft  und  spitzigen  Stachel;  die  150  Epigramme, 
die  sich  von  ihm  erhalten  haben,  gehören  zum  besten,  was  das  unter- 
gehende Heidentum  hervorgebracht  hat.  Auch  die  Form  ist  gut,  insbesondere 
zeichnen  sich  seine  iambischen  Trimeter  durch  strengen  Bau  aus,  während 
sich  Agathias  und  Paulus  Silentiarius  den  schlottrigen  Gang  des  komischen 
Trimeters  erlaubten. 

Christodoros  ^)  von  Koptos  unter  Kaiser  Anastasios  am  Schlüsse 
des  5.  und  im  Anfange  des  6.  Jahrhunderts  verdient  weniger  wegen  seiner 
Epigramme  als  wegen  seiner  Beschreibung  der  im  Jahre  532  durch  Feuer 
vernichteten  Statuen  des  Gymnasiums  des  Zeuxippos  zu  Konstantinopel 
rühmend  genannt  zu  werden.  Diese  Ekphrasis  in  416  Hexametern  bildet 
das  2.  Buch  der  Anthologie  und  hat  nicht  bloss  für  die  Kunstgeschichte 
hohe  Bedeutung,^)  sondern  ist  auch  ein  schönes  Denkmal  der  poetischen 
Kunst  geschmackvoller  und  anschaulicher  Beschreibung. 

Paulus  Silentiarius,  Sohn  des  Kyros,  bekleidete  das  Amt  eines 
ruhegebietenden  Hofbeamten  unter  Justinian.^)  Von  ihm  sind  78  Epigramme, 
zum  grösseren  Teil  erotischen  Inhaltes,  erhalten,  welche  die  Spiele  seines 
Freundes  Agathias  an  Feinheit  und  Witz  weit  überragen.  Ausserdem 
haben  wir  von  ihm  ein  lyrisches  Gedicht  auf  die  pythischen  Heilquellen 
Bithyniens  (rjafafußa  elq  id  iv  Hvd^ioig  ^sQfxä),  dessen  Echtheit  bezweifelt 
wird,^)  und  eine  geschickte  Beschreibung  der  Sophienkirche  und  ihrer 
Kanzel  {af.ißwr)  in  fliessenden,  nach  der  Manier  des  Nonnos  gebauten  Hexa- 
metern. Das  letztere  Gedicht  reiht  sich  den  ähnlichen  beschreibenden  Ge- 
dichten des  Christodoros  und  Joannes  an  und  zeugt  von  der  Beliebtheit, 
deren  sich  diese  Gattung  der  Poesie  [ixifgaasig)  in  der  justinianischen  Zeit 
erfreute.  Wie  ehedem  Homer  seine  Heldengesänge  im  hohen  Saale  der 
Königsburg  vortrug,  so  las  Paulus  die  3  Bücher  seines  beschreibenden 
Epos  vor  erlauchter  Versammlung  im  Bischofssaal  des  Patriarchates  vor; 
und  wie  in  der  Zeit  der  Rhapsoden  dem  Heldengesang  ein  Proömion  vor- 


I 


')  Suidas  und  ein  Scholion  der  Antho- 
logie bei  Jacobs,  Anth.  XIII,  871;  über  seine 
Epen  vgl.  §  528. 

2)  Dass  manche  Statuen  von  dem  Dichter 
falsch  benannt  sind,  beweist  K.  Lange,  Die 
Statuenbeschreibung  des  Christodor,  Rh.  M, 
35,  110  ff.  Diese  Frage  und  die  dem  Nonnos 
nachgebildete  Versform  erörtert  Baumgarten, 
]Je  Christodoro  poeta  Tkebano,  Bonn  1881. 


2)  Agathias  bist.  V,  9:  ög  (sc.  TlccvXog 
6  KvQov  Tov  4>XcüQov)  ra  nQcoTa  reAcJi^  ei' 
Toig  a/ji(pl  TOV  ßaoi'kia  Giyijg  eTnculrcag  ys- 
vovg  JE  xoofxov^Evog  do^rj  xal  nXovtov  clcp- 
x^ovov  ^Kt^e^ufisvog,  o^aog  nutdeicc  ye  avta 
xccl  löyiav  aaxrjaig  dieanovdaaro  y.rX. 

*)  Hauptquelle  bildeten  die  Mirabilia 
des  Ps.  Aristoteles. 


C.  Eöm.  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreiber.  (§  536.)     663 

ausging,  so  schickt  Paulus  den  einzelnen  Abteilungen  seines  Gedichtes  Ein- 
leitungen {TiQoXaXiai)  in  iambischen  Trimetern  voraus.^)  Verfasst  ist  das 
Gedicht  nach  der  2.  Einweihung  der  heiligen  Weisheitskirche,  welche  im 
J.  563  stattfand. 

Sonderausg.  der  Ekphrasis  von  Gkaefe,  Lips,  1822,  und  von  Imm.  Bekker,  zusammen 
mit  Georgios  Pisida  in  der  Bonner  Ausg.  der  Byzantiner  1837.  —  Lessing,  Paulus  Silen- 
tiarius  auf  die  pythischen  Bäder,  Berl.  Ausg.  d.  W.  Bd.  XIII.  —  Merian-Genast,  De  Paulo 
Silentiario  Byzantino  Nonni  sectatore,  Lips.  Diss.  1889  handelt  erschöpfend  vom  Leben 
und  den  Gedichten  des  Paulus.  —  W.  Salzenberg,  Altchristliche  Baudenkmale  von  Kon- 
stantinopel,  Berl.  1854,  enthält  im  Anhang  eine  metrische  Übersetzung  und  Erläuterung 
von  des  Silentiarius  Paulus  Beschreibung  der  h.  Sophia  und    des  Ambon   von  W.  Kortum. 

Ausserdem  verdienen  von  den  Epigrammatikern  hervorgehoben  zu 
werden:  Metrodoros  unter  Konstantin,  von  dem  wir  an  30  arithmetische 
Probleme  in  Epigrammenform  haben,  Andronikos,  den  Libanios  ep.  75 
und  Ammianus  Marcellinus  19,  12  als  berühmten  Dichter  ihrer  Zeit  er- 
wähnen, Apollinarios,  den  wir  bereits  oben  §  528  als  christlichen  Epiker 
des  4.  Jahrhunderts  kennen  gelernt  haben,  Marianos,  der  nach  Suidas 
unter  Anastasios  ausser  Epigrammen  iambische  Metaphrasen  des  Theokrit, 
Apollonios,  Kallimachos,  Arat  und  Nikander  schrieb,  Julianos  der  Agyptier 
unter  Justinian,  der  zahlreiche  Epigramme  auf  Kunstwerke  und  ein  hübsches 
anakreontisches  Gedicht  (N.  5  =  Planud.  388)  hinterlassen  hat,  Leontios 
Scholastikos  (d.  i.  Sachwalter),  Damocharis  und  Makedonios  aus 
der  Zeit  des  Kaisers  Justinian.  Ihnen  schliesse  ich  noch  den  Grammatiker 
Joannes  von  Gaza  an, 2)  von  dem  uns  im  Anhang  der  Anthologie  die  Be- 
schreibung einer  Weltkarte  [exifqaaig  tov  xoa^ixov  niraxog  in  2  B.)  in 
Hexametern  der  nonnischen  Art  und  ausserdem  6  mit  der  alten  Götter- 
welt tändelnde  Epigramme  (bei  Bergk,  PLG.  III,  1080  ff.)  erhalten  sind. 3) 


3.  Die  Prosa. 

^  a.  Geschichtschreibep  und  Geog-raphen. 

536.  Die  Geschichtschreibung  hat  in  den  Zeiten  nach  Konstantin  am 
wenigsten  Pflege  gefunden,  sogar  der  Name  tazoQixög  ging  von  dem  soliden 
Geschichtsforscher  auf  den  phantastischen  Romanschreiber  über.  Erst  unter 
Justinian  ist  mit  Prokop  und  Agathias  die  Historie  wieder  zu  Ehren  ge- 
kommen, aber  diese  fallen  jenseits  der  Linie,  die  wir  uns  gezogen  haben. 
In  der  vorausgehenden  Zeit  stehen  die  Kirchenhistoriker  im  Vordergrund; 
von  heidnischen  Historikern  haben  wir  nur  wenige  Namen  und  noch 
wenigere  Reste: 


^)  Eine  ähnliche  Einleitung  in  laniben 
schickt  Persius  seinen  Satiren  voraus.  Über 
die  Sitte  vergl.  Bouvy,  Etudes  sur  les  ori- 
gines  du  rythme  tonique,  Nimes  1886  p.  161  ff. 

'^)  Derselbe  lebte  jedenfalls  nach  Nonnos, 
dessen  Versbau  er  nachahmte,  vermutlich 
vor  Paulus  Silentiarius,  dessen  Ekphrasis  die 
grösste  Ähnlichkeit  mit  der  seinigen  hat. 
Aus  dem  Scholion  der  Pariser  Handschrift 
der  Anthologie  i'k'köyif^oi,  T«vT7jg  rijg  -noXeiog 
(sc.  rd^7]g)  'lM(<ri^7jg.  llQoxoTiiog,  Tifx6\96og  6 
yocixpag  nsQi  tl,o)(t)v  h'i^iy.iov  hat  man  ge- 
schlossen, dass  er  noch  etwas  vor  den  beiden 


letzten,  die  unter  Anastasius  I  (491  —  518) 
blühten,  gelebt  habe.  In  Gaza  schrieb  auch 
ein  Grammatiker  Timotheos  in  Hexametern 

^)  loannis  Gazaei  descriptio  tabulae 
mundi  et  Anacreontea  rec.  E.  Abel,  Berol. 
1882.  Das  Gemälde  selbst  fand  sich  nach 
einer  Beischrift  des  Codex  eV  xeifisQio)  Xov- 
TQM,  natürlich  in  Gaza,  nicht  in  Antiochia, 
wie  Petersen  wegen  der  Nachschrift  ir  VuCei 
•X-  V  ^'^  'yh'Tio/ia  vermutet  hat;  siehe  da- 
rüber Ludwich,  Rh.  M.  44  (1889)  S.  194—206. 


(3(54  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

Porphyrios,  der  bekannte  Neuplatoniker  (233 — 304),  beschäftigte 
sich  auch  mit  historischen  Studien ;  aus  ihnen  gingen  seine  Xgovixd  hervor, 
die  von  der  Einnahme  Troias  bis  zum  Jahre  270  n.  Chr.  reichten,  und  aus 
denen  Eusebios  das  Verzeichnis  der  Könige  Makedoniens  und  der  Lagiden 
entnommen  hat.     Fragmente  bei  Müller  FHG.  III,  688 — 727. 

Helikonios,  Sophist  aus  Byzanz,  schrieb  nach  Suidas  einen  chrono- 
logischen Abriss  {xQovixt]  sniToiir)  von  Adam  bis  Theodosios  d.  Gr.  in 
10  B.,  der  neben  den  staatlichen  auch  die  litterarischen  Verhältnisse  be- 
rücksichtigte,^) und  in  dem  deshalb  Daub  eine  Hauptquelle  des  Hesychios 
von  Milet  vermutet. 

Eunapios  aus  Sardes,  der  bekannte  Verfasser  der  Sophistenbiographien, 
gab  eine  Fortsetzung  der  Chronik  des  Dexippos  in  14  B.  {lazoQia  rj  iisxd 
Jt§i7TTiov  rj  vsa  exSoaig).  Dieselbe  umfasste  in  2  Abteilungen  [Xoyoig)  die 
Geschichte  vom  Kaiser  Claudius  bis  auf  Honorius  und  Theodosius  (270—404); 
zu  rühmen  war  an  ihr,  dass  sie  die  Ereignisse  nicht  mehr  nach  Olympiaden 
oder  Jahren  zerstückelte,  sondern  zu  grösseren  Abschnitten  nach  Kaisern 
verbunden  darstellte.  Von  dem  fliessenden,  nur  allzu  blumenreichen  Stil 
und  der  gesinnungstüchtigen  Parteinahme  für  Julian  geben  uns  die  umfang- 
reichen Fragmente  einen  vorteilhaften  Begriff.  Fragmente  bei  Müller  FHG. 
IV,  7—56  und  Dindorf  HGM.  205—274. 

Olympiodoros  aus  dem  ägyptischen  Theben  setzte  mit  seinen  Xöyoi 
latoQiTioi  in  22  B.  den  Eunapios  fort.  Die  Fortsetzung  behandelte  die  Ge- 
schichte von  407—425;  einen  Auszug  daraus  enthält  Photios  cod.  80. 

Aristo demos  ist  vermutlich  der  Verfasser ''^)  eines  historischen  Ab- 
risses, von  dem  der  bekannte  Grieche  Minas  aus  einer  jetzt  in  Paris  be- 
findlichen Pergamenthandschrift  ein  interessantes  Fragment  ans  Licht  ge- 
zogen hat.  Dasselbe  umfasst  die  Geschichte  von  den  Perserkriegen  bis 
zum  Ausbruch  des  peloponnesischen  Krieges  und  enthält  neben  mehreren 
groben  Irrtümern  doch  auch  einige  aus  anderen  Quellen  nicht  bekannte 
Thatsachen.  Müller  FHG.  V,  1 — 20;  Mathias,  Das  Fragment  des  Aristo- 
demos,  Gotha  1874. 

537.    Zosimos^)  ist  Verfasser  der   uns   noch   erhaltenen   Neuen  Ge-j 
schichte  {loTOQia  vsa)  in  6  B.    Dieselbe  behandelt  —  und  ihre  Darstellungs- 
weise  gibt   uns   einen   Begriff  von   der  Anlage   der  Geschichtswerke  jener 
Zeit  überhaupt  —  die  ältere  Kaisergeschichte   bis   zum  Jahre  270   nur  in, 
allgemeinen  Umrissen   (I,  1 — 36);   von   da   an   wird   sie   breiter   und   aus-| 
führlicher  und  schliesst  mit  den  Verhandlungen,  welche  der  Einnahme  Romsj 
durch  Alarich  (410)  vorhergingen;    an   dem  vollständigen  Abschluss  wurde 
der  Verfasser  offenbar  durch  den  Tod  oder  sonst   einen  Unfall  verhindert. 
Die  Zeit   der   Abfassung   fällt  vor  502,   in  welchem  Jahre  Eustathios   aus 
Epiphania   seinen    aus   Zosimos   gezogenen   Geschichtsabriss   veröffentlichte, 
und  nach  450,  auf  welches  Jahr  H,  38  angespielt  ist.     D^r  Verfasser  war 


')  Suidas  u.  'JniMv  und  ^jQqiavög. 

2)  Der   Autorname    wird    vermutet   aus 


M.  42,  525  ff.  =  Pro],  der  Ausg.    p.  V  sqq. 
Einen    Sophisten    Zosimos    aus    Gaza    oder 


der    Randglosse    xovio    eazl    ro    ^^jxovfxevov    j    Askalon    unter  Anastasios    führt   Suidas   an, 

TOV    ^jQKTTodljfUOV. 

^)  Mendelssohn,  De  Zosimi  aetate,  Rh. 


aber  ohne  von  ihm  ein  geschichtliches  Werk 
zu  nennen. 


C.  Rom.  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  a)  Geschichtschreiber.  (§  537—538.)  665 


ein  charakterfester  Römer,  der  den  Grund  des  Niedergangs  der  römischen 
Weltherrschaft  in  dem  Abfall  von  dem  Glauben  der  Väter  sah.^) 

Ausgabe  von  Imm.  Bekker  in  den  Scriptores  bist.  Byzant.  1837;  von  Mendelssohn, 
Lips.  1887  mit  ProJegomenis  und  kritiscbem  Apparat,  Die  Überlieferung  aller  Handschriften 
zeigt  2  grosse  Lücken,   eine  zwischen  dem  1.  und  2.  B.  und  eine  andere  am  Schluss. 

Durch  Exzerpte  sind  uns  ausserdem  bekannt:  Praxagoras  aus  Athen, 
der  in  ionischem  Dialekt  eine  Geschichte  Konstantins,  Alexanders  d.  Gr. 
u.  a.  schrieb  (Phot.  cod.  02),  Priskos  aus  Panion  in  Thrakien,  Sophist 
unter  dem  jüngeren  Theodosios,  von  dessen  laToqia  Foz^ixrj  und  Bv^avTiaxrj 
uns  noch  umfangreiche  Fragmente  erhalten  sind,  Malchos  aus  Philadelphia 
in  Syrien,  der  des  Priskos  Geschichte  bis  zum  Jahr  480  fortsetzte,  Eusta- 
thios  aus  Epiphania  in  Syrien,  der  einen  Abriss  der  Geschichte  von  den 
ältesten  Zeiten  bis  auf  das  12.  Regierungsjahr  des  Anastasios  (502)  ver- 
fasste,  Candidus  der  Isaurier,  christlicher  Geschichtschreiber  der  Zeit  von 
Leon  bis  Anastasios  (457 — 491).  Über  die  Kirchen-  und  Heiligen-Ge- 
schichten unserer  Periode  werde  ich  unten  handeln. 

538.  Zu  den  Historikern  im  weiteren  Sinn  gehört  auch  der  ganz  an 
der  Grenze  des  Altertums  stehende  Antiquar  Joannes  Laurentius  Lydus.'"') 
Derselbe,  geboren  um  490  in  der  lydischen  Stadt  Philadelphia,  bekleidete 
unter  Anastasios  und  Justinian  hohe  Hof-  und  Staatsämter,  bis  er  552  in 
Ungnade  fiel  und  seinen  Abschied  zu  nehmen  genötigt  wurde.  Die  Zeit 
der  Müsse  benützte  er  zu  litterarischen  Arbeiten,  nachdem  er  schon  früher 
mit  Reden  auf  den  Präfekten  Zotikos  und  den  Kaiser  Justinian  hervor- 
getreten und  mit  der  Abfassung  einer  Geschichte  der  Perserkriege  des 
Justinian  beauftragt  worden  war.  Die  3  Schriften,  die  von  ihm  auf  uns 
gekommen  sind  und  die  schon  zu  Photios  Zeiten  allein  noch  bekannt  waren, 
sind:  tvsqI  i^irjvwv  [de  mensihus),  nsql  ciq^mv  Trjg  ^PwfiafMV  noXiTeiag  [de 
magistratihus  reip.  rom.),  rcegl  öioarj^siMv  [de  ostentis).  Von  diesen  sind 
die  beiden  letzten  erst  in  unserem  Jahrhundert  vollständig  ans  Licht  ge- 
zogen worden,  von  der  ersten  haben  wir  überhaupt  nur  Fragmente  und 
Exzerpte.  Alle  drei  beziehen  sich  auf  römische  Verhältnisse  und  haben 
dadurch  grossen  Wert,  dass  ihr  Autor  noch  viele  alte,  jetzt  verloren  ge- 
gangene Quellen,  wie  die  Bücher  des  Nigidius  und  Labeo,  benützt  hat. 
Ihre  Bedeutung  wird  freilich  auf  der  andern  Seite  wesentlich  dadurch  ver- 
ringert, dass  Lydus  ein  abergläubischer,  kritikloser  Windbeutel  war,  der 
mit  Titeln  von  Büchern  um  sich  warf,  die  er  nie  gesehen,  sicher  nicht 
sorgfältig  durchgelesen  hatte.  ^) 

Codices:  Caseolinus  s.  X,  von  dem  französischen  Gesandten  Choiseul-Gouffier  1785 
bei  Konstantinopel  entdeckt  und  nach  Paris  gebracht  (Suppl.  n.  257);  Laurentianus  28,  34 
s.  XI  ein  Sammelcodex  von  astrologischen  Traktaten.  —  Lydi  de  magistratihus  reip.  rom. 
libri  tres  ed.  Fuss,  praefatus  est  Hase,  Paris  1812.  -  Gesamtausg.  von  Imm,  Bekker  in 
der  Ausg.  der  Scripttores  Byzantini,  Bonn  1837.  —  Lydi  de  ostentis  ed.  C.  B.  Hase,  Paris 
1823;  ed.  C.  Wachsmüth  in  Bibl.  Teubn.  1863  in  vollständigerer  Gestalt  und  mit  einem 
Anhang  Calendaria  graeca  omnia. 


')  Zur  Charakteristik  des  Zosimos  Ranke, 
Wcltgcsch.  IV,  2  S.  264-84. 

'^)  C.  B.  Hase,  Commentarius  de  Joanne 
Laurentio  Fhihidelpheno  Lydo,  in  der  Pa- 
riser und  Bonner  Ausgabe;  ein  magerer  Ar- 
iikel  steht  im  Suidas,  ein  ausführlicherer  in 


Photios  .cod.  180. 

^)  Über  die  Quellen  des  Buches  von  den 
Vorzeichen  der  Blitze,  P^rdbeben,  Wetter 
liefert  eine  umsichtige  Untersuchung  Wachs- 
müth, Lydi  de  ostentis  p.  XVII  sqq. 


QQQ  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

539.  Die  Geographie  ging  in  den  letzten  Jahrhunderten  des  Alter- 
tums ebenso  leer  aus  wie  die  Geschichte.  Neue  Länder  wurden  nicht 
entdeckt,  das  Reich  wurde  kleiner  statt  grösser;  die  Handelsverbindungen 
zogen  sich  infolge  der  Kriege  im  Osten  und  Norden  immer  mehr  in  die 
Enge;  von  einem  rein  wissenschaftlichen  Forschungs-  und  Entdeckungsgeist 
war  ohnehin  nicht  mehr  die  Rede.  So  haben  wir  denn  hier  fast  nur  von 
Kompendien  und  geographischen  Lexicis  zu  reden. 

Marcianus,  der  um  400  lebte  und  mit  dem  Marcianus  des  Synesios 
ep.  lOOu.  191,  vielleicht  auch  mit  dem  Al'Xiog  AvQrjXiog  MaQxiavog  6  nQonog 
ccQxon'  der  Inschrift  von  Amastris  in  Paphlagonien  CIG.  4151  identisch  ist, 
verfasste  eine  EniTOixrj  zcov  avSsxa  Tijg  'AqtsiuiSmqov  tov  ^E(f€(Jiov  ysmyqacfiag 
ßißXicov,  einen  JlsQinXovg  rrjg  s^co  S^ccXäcyaijg  sv  ßißX.  ß',  ein  Buch  rreQl  twv 
ctTto  ^Pwiiiijg  TTQcg  zag  sTCiarjf.iovg  rij'g  olxovfisvrjg  nökeig  ^laryTaascov,  eine 
'EmTOfiij  XMv  TQiMV  TOV  TTjg  svTog  ^aXdo'cTrjg  rtsqinXov  ßißXioov  Msiinnov 
IlfQyafirjvov.  Von  diesen  Werken  ist  das  2.  und  4.  in  verstümmelter  Ge- 
stalt auf  uns  gekommen  und  von  Müller,  Geogr.  gr.  min.  I,  515 — 573 
neuerdings  herausgegeben.  Der  bis  auf  2  Lücken  gut  erhaltene  Periplus 
des  äusseren  Meeres  behandelt  im  1.  B.  das  östliche,  im  2.  das  westliche 
Meer,  und  ist  eine  Zusammenstellung  aus  Ptolemaios  und  einem  gewissen 
Prot ago ras,  der  in  der  Zeit  nach  Ptolemaios  eine  von  Photios  cod.  188 
skizzierte  Geographie  in  6  B.  geschrieben  hatte.  Der  Periplus  des  inneren 
Meeres  ist  ein  sehr  dürftiger  Auszug  aus  dem  gleichnamigen  Buche  des 
Menippos  aus  Pergamon,  der  ein  Freund  des  Epigrammatikers  Krinagoras^) 
war  und  demnach  unter  Augustus  und  Tiberius  gelebt  haben  muss. 

Ein  anonymer  UsQinXovg  sv'^eivov  ttovtov  bei  Müller  I,  402 — 423, 
der  in  2  Teilen  durch  einen  römischen  (Vatic.  143)  und  einen  Heidelberger 
Codex  auf  uns  gekommen  ist,  enthält  in  der  Hauptsache  Auszüge  aus 
Arrian  und  Marcian. 

Agathemeros   ist  Verfasser  eines  Abrisses  der  Geographie  (yscoyQa- 
(ficcg  vTTOTVTiMaig).     Darin  ist,   indem  Geographie  in  dem  engeren  Sinn  von 
Erdzeichnung  genommen  ist,  eingangs  von  den  älteren  Erdkarten  [nhaxeg], 
denen  des  Anaximander,  Hekataios,  Demokritos,  Eudoxos,  Krates,  und  dann 
in  dem  Hauptteil  von  den  Grenzen  und  Massen  der  Meere,  der  Länge  und! 
Breite  der  Erde,  den  Grössenverhältnissen  der  Inseln  gehandelt.     Der  Ab-| 
riss   ist   wertvoll,   da   er   zum  Teil  wie   in  der  Angabe  der  älteren  Karten 
und   in   den   Länge-   und   Breiteverhältnissen   auf  Eratosthenes,  Artemidorj 
und   Poseidonios   zurückgeht.^)     Die  Übereinstimmungen   mit  Marcian  will 
Müller  t.  II  p.  XII  aus  der   gemeinsamen   Benützung  der  Geographie  des 
Protagoras  erklären. 

Dem  Agathemeros  wurden  ehedem  auch  die  zwei  in  denselben  Hand- 
schriften befindlichen  Schriften  Jiayrw(Tig  sr  €niTO{.iri  Trjg  sv  rfj  acfai'Qcc 
y£0)yQa(fiag  und  ^VjioTVTrwaig  yea)yQa(fiag  sv  emToiiifi)  zugeschrieben,  aber 
beide  Schriften  gehören,  wie  Müller  a.  0.  nachweist,  anderen  anonymen 
Verfassern  an. 

540.  Stephanos  von  Byzanz  heisst  der  Verfasser  des  geographischen 


0  Anth.  Pal.  IX,  559.  |  Comm.  Ribbeck.  475—85. 

^)  Rüge,   Quaestiones  Ärtemidoreae,   in   | 


C.  Römische  Periodenach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  a)  Geographen.  (§539     540.)     667 


Lexikons,  das  zum  grössten  Teil  nur  im  Auszug  auf  uns  gekommen  ist. 
Dasselbe  hatte  den  Titel  'EO^vixcc  und  war  sehr  umfangreich  angelegt,  da 
mit  dem  Buchstaben  2  bereits  das  51.  Buch  begann.^)  Den  Auszug  hat 
nach  dem  Zeugnis  des  Suidas  Hermolaos,  ein  Grammatiker  aus  Kon- 
stantinopel, in  der  Zeit  des  Justinian  gemacht.  2)  Über  die  Zeit  des  Ste- 
phanos  selbst  ist  uns  nichts  überliefert;  er  scheint  indes  nach  Dexippos 
und  Marcianus  gelebt  zu  haben,  da  beide  öfters  in  dem  erhaltenen  Auszug 
citiert  sind.  Er  war  nicht  der  erste,  der  den  Plan  eines  geographischen 
Lexikons  fasste;  aus  dem  Et.  M.  221,  31  erfahren  wir,  dass  schon  der 
Grammatiker  Epaphroditos  sich  auf  ein  geographisches  Lexikon  des  Aegi- 
neten  Kleitarchos  bezog,  der  demnach  sicherlich  vor  dem  zweiten  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung  lebte.  ^)  Die  Anlage  des  Original  Werkes  können 
wir  noch  aus  den  Artikeln  'Jßr^gia  und  Jvinrj  bis  Jmtiov,  die  vollständig 
auf  uns  gekommen  sind,^)  ermessen.  Danach  war  das  Ganze  ein  sehr  ge- 
lehrtes Werk,  in  welchem  zu  den  einzelnen  Artikeln  reiche  Belege  aus  der 
älteren  und  neueren  Litteratur,  aus  Dichtern  und  Prosaikern  angeführt  und 
ausser  der  geographischen  Lage  auch  die  Geschichte  und  die  berühmten 
Männer  der  einzelnen  Orte  berücksichtigt  waren.  Erkennt  man  schon 
daraus  den  Grammatiker,  so  tritt  derselbe  noch  mehr  in  der  starken  Be- 
tonung hervor,  die  derselbe  auf  die  richtige  Schreibung  der  Namen  und 
die  richtige  Bildung  der  abgeleiteten  Wörter  legt.  Hierin  wie  in  allen 
grammatischen  Fragen  folgt  er  wesentlich  der  Autorität  des  Herodian,  den 
auch  zu  citieren  er  nicht  unterlässt.^)  In  der  Sache  und  den  geographischen 
Angaben  stützt  er  sich  auf  die  Werke  der  grossen  Geographen  und  Histo- 
riker Hekataios,  Eratosthenes,  Ephoros,  Artemidor,  Strabon,  Pausanias; 
zunächst  benützt  aber  wurden  von  ihm  das  Buch  des  Herennios  Philon 
7T€qI  nöXsMv  xal  o'vg  ixäaTrj  avrcov  srSo^ovg  r]v8yxsv  und  ein  Städtever- 
zeichnis {avayqacfrj  noXemv)  ähnlich  dem  von  Müller  FHG.  V  p.  LXVI  ff. 
publizierten.^)  Ohne  Nachlässigkeiten  und  Irrtümer  ging  es  bei  dem  Ex- 
zerpieren und  Zusammenstellen  nicht  ab,  indem  der  Lexikograph,  durch 
Varianten  des  Textes  verleitet,  mehrmals  dieselbe  Stadt  zweimal  aufführt, 
wie  'ÄQidv^rj  und  'jQiv^tj,  Jtöiiaaaa  und  MtSfiac^aa,  '^IfÄtQa  und  Xsif.itQa, 
^eXaaia  und  ^sXXcKSia^  ferner  rXrjrsg  und  TXrJT6g,  rdßioi  und  Tccßiot.  Das 
Ärgste  ist,  dass  er  aus  der  Stelle  des  Herodot  I,  125  s^tI  Ja  räSs,  s'^  oh' 
o)XXoi,  ndvTeg  ccQTtaiai  JltQcfai,  UaaccQyddai,  MaQcc(fioi  Mdcjmoi  einen  per- 
sischen Stamm  'AQxsäzm  herausgelesen  hat,  der  sich  dem  famosen  Suatu- 
tanda  des  Ptolemaios  würdig  zur  Seite  stellt. 

Hauptausgabe   mit   den  Noten    der  Früheren   von  G.  Dindorf,  Lips.  1825,  4  vol.  — 


')  Steph.  u.  IvQcixovocii;  der  Artikel 
TiTUivBvg  stand  im  52,  Buch. 

'^)  Suidas:  'EQjuoXaog  yQdfifxanxog  Ku)v- 
oiccvxiPovnoXeMg  y^äipag  rrjv  iniTOfxrji'  xvop 
'KxhvixMV  Itsrfcivov  yQccfXfXccTixov,  ngoacpiiovi]- 
x^eTaccy  'lovanyiccyco  tm  ßaailsT. 

^)  Ob  nicht  schon  Strabon  in  der  An- 
gabe der  berühmten  Männer  der  einzelnen 
j Städte  ein  solches  Lexikon  benützte? 

')  Erhalten  ist  der  vollständige  Artikel 
'lßi]QLa  durch  Konstantinos  Porphyrogennetos 


de  admin.  imperio  c.  23.  Auch  P]ustathios 
benützte  noch  das  Oiiginalwerk,  s.  Westeu- 
MANN,  Praef.  p.  XV  sqq.  und  Et.  M.  738,  50. 

^)  Zu  weit  geht  Lentz,  Herod,  roll.  p. 
CXXXVII:  fere  totum  Stephani  opus  ex 
Herodiano  cxscriptum  esse.  Dagegen  Ben. 
Niese,  De  Stephani  Jiyzantini  aiicto.  ibiis, 
Kiliae  1873. 

*^)  Steph.  u.  \U'Ti6/ei(c  '  i^exa  noXsig 
uvayQÜcfoviui,  eial  (fe  nleiovg. 


(368  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

Kritische  Ausg.  von  Westermann,  Lips.  1839;  von  Meineke,  Berol.  1849;  der  2.  Band  der 
letzten  Ausg.,  der  den  Kommentar  enthalten  sollte,  ist  nicht  erschienen.  —  Geffken,  De 
Stepliano  Bysantio,  Gott.  1886. 

b.  Die  jüngere  Sophistik. 

541.  Einen  erneuten  Aufschwung  nahm  die  Sophistik  im  4.  Jahr- 
hundert/) nachdem  dieselbe  eine  Zeitlang  den  philosophischen  Studien  der 
Neuplatoniker  hatte  nachstehen  müssen.  An  allen  Bildungsstätten  des 
Ostreichs,  besonders  in  Athen,  Antiochia,  Konstantinopel  stand  sie  im 
Vordergrund  des  litterarischen  Interesses.  Die  Lehrer  derselben  hielten 
teils  in  geräumigen  Hörsälen  vor  einem  aus  Erwachsenen  und  Jünglingen 
zusammengesetzten  Publikum  ihre  schöngeistigen  Vorträge,  teils  übernahmen 
sie  die  Aufgabe  bei  festlichen  Anlässen  die  Tugenden  und  Thaten  der  Kaiser 
und  ihrer  Statthalter  in  pathetischen,  von  Schmeichelei  überfliessenden 
Reden  zu  preisen.  Zu  ihren  Hörsälen  drängte  sich  alles,  was  dereinst  eine 
Rolle  im  Staate  oder  bei  den  Gerichten  zu  spielen  gedachte;  auch  berühmte 
Kirchenväter,  wie  Basileios  und  Gregorios,  haben  in  ihrer  Jugend  zu  den 
Füssen  angesehener  Rhetoren  gesessen.  Die  Hauptvertreter  dieser  Nach- 
blüte der  Sophistik,  die  erst  nach  dem  Tode  des  Theodosios  unter  den 
fanatischen  Kämpfen  theologischer  Sekten  und  der  einsichtslosen  Schwäche 
der  Kaiser  ihrem  gänzlichen  Verfall  entgegenging,  waren  Libanios,  Himerios, 
Themistios,  Julian. 2)  Geschichtschreiber  derselben  war  Eunapios,  der  zu 
Beginn  des  5.  Jahrhunderts,  um  405,  die  Bioi  (fiXoaöqjcoj'  xal  ao(fiaiwv 
verfasste,  welche  uns  noch  erhalten  sind  und  einen  interessanten  Einblick 
in  das  eitle  Getriebe  der  damaligen  Schulhäupter  gewähren. 

Eimajni  Vitae  sophistarum  reo.  Boissonade,  Amstelod.  1822,  2  vol.;  iterum  ed. 
Boissonade,  Paris  bei  Uidot  1849,  wonach  wir  eitleren.  —  Über  seine  Geschichte  s.  §  536. 

542.  Libanios  (314— 393) 3)  entstammte  einer  angesehenen  und 
reichen  Familie  Antiochia's,  der  damaligen  Hauptstadt  Syriens.  Da  er 
bereits  in  dem  Alter  von  11  Jahren  seinen  Vater  verlor,  so  leitete  seine 
Erziehung  die  um  ihre  Kinder  überzärtlich  besorgte  Mutter.  Zum  Lehrer 
hatte  der  schwächliche  Jüngling,  den  früh  seine  Natur  zur  Rhetorik  zog, 
den  Zenobios,  einen  gefeierten  Rhetor  seiner  Vaterstadt,  dem  er  selbst 
später  die  Leichenrede  hielt.  Zur  Vollendung  seiner  Ausbildung  besuchte 
er  dann  4  Jahre  lang  die  hohe  Schule  von  Athen,  wo  er  bei  Diophantos 
als  Schüler  sich  einschreiben  Hess,  ohne  deshalb  sich  an  diesen  oder  ein 
anderes  Schulhaupt  Athens  enger  anzuschliessen.  Eine  eigene  Schule  er- 
öffnete  er   zuerst   in   Konstantinopel,    wo    er    gleich  anfangs   noch    einmal 


^)  Aus  den  letzten  Jahrzehnten  vor  Kon- 
stantin werden  uns  genannt  die  Sophisten 
Genethlios  aus  Paträ,  Paulos  aus  Ägypten, 
Andre  machos  aus  Neapolis  in  Palästina; 
vgl.  Westermann,  Gesch.  d.  Bereds.  I,  §  96 
u.  97.  Nur  von  Kallinikos  aus  Petra  in 
Palästina  (über  ihn  ein  Artikel  des  Suidas) 
hat  sich  ein  Fragment  erhalten  Ex  tmv  sig 
xä  ndxQia  ^Pi6^f]g,  gedruckt  bei  Orelli,  Phi- 
lonis  lib.  de  sept.  spect.,  Lips.  1816. 

2)  Von  Eunapios  werden  noch  erwähnt: 
Aidesios,  Maximos,  Priskos,  Julianos 
aus  Kappadokien,  Prohairesios  aus  Cäsarea 


(276—368),  Epiphanios,  Diophantos,  So- 
polis,  Apsines  aus  Lakedämon,  Orei- 
basios,  Chrysanthios  u.  a.  Schüler  des, 
Aidesios  war  Eusebios  aus  Mindos,  von] 
dem  uns  Stobaios  viele  schöne  Sprüche  (zu- 
sammengestellt von  Mullach,  FPG.  III,  7 
bis  10)  erhalten  hat. 

'^)  Artikel  des  Suidas;  Selbstbiographie 
des  Libanios,  Uyog  tisql  xrjg  eavxov  xv/t]g. 
Eunapios  Vit.  soph.  p.  495  ed.  Did.  — 
G.  R.  Sievers,  Das  Leben  des  Libanius,  Berl. 
1868. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  b)  Sophistik.  (§541-542.)     609 

so  viele  Schüler  fand,  als  man  ihm  in  Aussicht  gestellt  hatte.  Aber  in- 
folge der  Intriguen  seiner  Neider  war  seines  Aufenthaltes  in  der  Hauptstadt 
des  Reiches  nicht  lange  und  verpflanzte  er  bereits  im  Jahre  344  seine 
Schule  nach  Nikomedia,  der  aufblühenden,  durch  Schönheit  und  gesunde  Lage 
ausgezeichneten  Stadt  an  der  Propontis,  in  der  er  hochgeehrt  die  5  schönsten 
Jahre  seines  Lebens  verbrachte.')  Nachdem  er  nochmals  auf  kurze  Zeit 
nach  Konstantinopel  zurückgekehrt  war  und  einen  Ruf  nach  Athen  aus- 
geschlagen hatte,  siedelte  er  354  definitiv  nach  seiner  Vaterstadt  Antiochia 
über,  wo  er  bis  zum  Ende  seines  Lebens  blieb.  Auch  hier  wirkte  er  bis 
in  sein  hohes  Greisenalter  hinein  als  vielbesuchter  Lehrer  der  Beredsamkeit. 
Aber  auf  die  Schulstube  beschränkte  sich  damals  ein  angesehener  Rhetor 
nicht  und  am  wenigsten  der  ehrgeizige,  unruhige  Libanios.  In  besonderem 
Ansehen  stand  er  bei  dem  Kaiser  Julian,  der  ihm  die  Würde  eines  Quae- 
storius  verlieh  und  durch  dessen  jähen  Tod  er  tief  niedergebeugt  wurde. 
Aber  wiewohl  er  mit  Julian  seine  Hoffnungen  zu  Grabe  getragen  sah  und 
seinem  Schmerz  in  der  Monodie  auf  den  gefallenen  Kaiser  in  leidenschaft- 
licher Weise  Ausdruck  gab,  so  wusste  er  sich  doch  auch  bei  den  nach- 
folgenden Kaisern  Valens  und  Theodosios  Einfluss  zu  verschaffen  und  unter- 
hielt namentlich  mit  den  Statthaltern  von  Antiochia  und  den  anderen  kaiser- 
lichen Würdeträgern  der  Provinz  regsten  persönlichen  und  brieflichen 
Verkehr.  Die  Zeit,  wo  die  politischen  Kämpfe  in  der  Öffentlichkeit  auf 
dem  Marktplatze  sich  abspielten,  war  längst  entschwunden;  an  die  Stelle 
der  Freiheit  und  der  Rednerbühne  war  die  Kanzlei  und  die  Selbstherrlich- 
keit der  Kaiser  und  ihrer  Beamten  getreten.  An  sie  drängte  sich  alles 
heran,  was  Macht  und  Einfluss  suchte;  für  das  Spiel  der  Schmeichelei  und 
Intrigue,  das  sich  hier  entspann,  war  die  Rhetorik  die  beste  Waffe.  Sie 
hat  Libanios  in  zahlreichen  Reden  und  Briefen  erfolgreich  wie  kein  zweiter 
gehandhabt,  so  dass  er  wie  die  grossen  Rhetoren  des  alten  Athen  nicht 
bloss  als  Lehrer  der  Beredsamkeit  thätig  war,  sondern  auch  praktisch  seine 
Kunst,  nur  in  anderer  Weise  wie  jene  übte. 

Seiner  ganzen  Bildung  nach  war  Libanios  Hellene;  er  hatte  die  atti- 
schen Redner,  besonders  Demosthenes  und  von  den  Späteren  Aristides^) 
fleissig  von  Jugend  auf  studiert,  war  auch,  wenngleich  nur  in  beschränktem 
Masse,  in  den  klassischen  Dichtern  und  Philosophen  belesen,^)  und  schrieb 
ein  gutes  Griechisch,  was  wohl  in  mannigfachen  rhetorischen  Farben  spielt, 
aber  sich  von  Schwulst  und  überladenem  Prunk  fern  hält.  Dem  römischen 
Wesen  war  er  entschieden  abgeneigt  und  riet  mit  Nachdruck  denen  ab,  die 
nach  Rom  ziehen  wollten,  um  dort  ihre  Studien  zu  machen.  Der  lateini- 
schen Sprache  war  er  so  wenig  mächtig,  dass  er  eines  Dolmetschers  be- 
durfte, wenn  er  einen  lateinischen  Brief  erhielt.')    In  dem  engen  Gesichts- 


^)  In  or.  I  p.  38  nennt  er  seinen  Auf- 
enthalt in  Nikomedia  rov  navxdg  öV  ßeßlcoxa 
XQÖvov  tf(Q  rj  ciy&og. 

'^)  In  der  Rede  für  die  Tänzer  t.  II  p. 
475  sagt  er  von  Aristides:  to  yuQ  ijytxa  äv 
noiio  h'tyovc;,  rvHv  i/i^vov  t/£a\9c(i  ' Jqigxe'l^ov 
xcd  neiQäaxha  Tovg  ifiovg  dcpo^oiovv  eig  oaov 
oiov  TS  roTg  ixeit'ov  .  .  arj^usToy    oifzcci   ttccu- 


^)  Die  Autoren,  auf  die  er  Bezug  nimmt, 
sind  aufgezählt  von  Förstek.  Rh.  M.  32, 
8G  ff. 

4)  Siehe  ep.  923.  956.  1241 ;  in  dem 
zweiten  der  genannten  Briefe  verübelt  er  es 
seinem  Freunde  Postumianus,  dass  er  die 
Sprache  der  Hellenen  meide,  durch  die  er 
doch  seine  Seele  mit  Homer  und  Demosthenes 


f^eyexfeg  rov  ruit^  ux^tixiv  ijysTaO^ai  roV  ()7Jtoq((.    \    erfüllt  luibo.     Ähnlich   standen    die  Verhält- 


670 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur, 


kreis  der  Rhetorik  aufgewachsen,  hielt  er  alles  auf  Rede  und  Stil  und 
drang  nirgends  tiefer  in  das  Wesen  der  Dinge  ein.  Den  neuen  Ideen  des 
Christentums  blieb  er  fremd  und  schwankte  auch  in  jenen  Zeiten  des 
Glaubenswechsels  nicht  in  seiner  Anhänglichkeit  an  die  alten  Götter 
Griechenlands.  Gerade  darum  war  der  Kaiser  Julian  sein  Ideal  und 
schmerzte  es  ihn  tief,  dass  mehrere  seiner  Schüler  und  so  auch  der  be- 
gabteste, loannes  Chrysostomos,  sich  dem  Christentum  zuwandten.  Man 
erzählte  sich  die  Anekdote,  dass  er  dem  Tode  nahe  auf  die  Frage,  wem 
er  seine  Schule  hinterlassen  wolle,  geantwortet  habe:  dem  Chrysostomos, 
wenn  diesen  nicht  die  Christen  geraubt  hätten,  i)  Von  Natur  war  er 
schwächlich  und  hatte  viel  über  Migräne  und  in  höherem  Alter  auch  über 
Podagra  zu  klagen;  doch  hatte  er  immerhin,  wie  viele  derartige  Leute,  eine 
zähe  Gesundheit,  so  dass  er  es  zu  einem  hohen  Alter  brachte.  Verheiratet 
war  er  in  rechtmässiger  Ehe  nie; 2)  von  einer  Geliebten,  mit  der  er  zu- 
sammenlebte, hatte  er  einen  Sohn,  Kimon,  dem  er  wie  einem  rechtmässigen 
Sprossen  sein  Vermögen  zuzuwenden  gedachte,  der  aber  infolge  eines  Un- 
falls schon  vor  ihm  in  das  Grab  sank. 

543.  Die  Schriften  des  Libanios  sind,  wenn  sie  sich  auch  alle  wesent- 
lich in  einer  Richtung  bewegen,  sehr  zahlreich  und  fanden  schon  zu  Leb- 
zeiten des  Autors  weite  Verbreitung.  Dafür  sorgte  der  eitle  Rhetor  selbst, 
indem  er  einen  Schwärm  von  Abschreibern  in  seinen  Sold  nahm.  Auch 
haben  sich  die  meisten  seiner  publizierten  Werke  durch  das  Mittelalter 
hindurch  erhalten.  Aus  dem  Dunkel  der  Bibliotheken  ans  Licht  gezogen 
und  durch  den  Druck  veröffentlicht  wurden  sie  erst  allmählich,  und  noch 
steht  eine  vollständige  kritische  Gesamtausgabe  aus.  Von  geringstem  Wert 
sind  diejenigen  Schriften,  welche  lediglich  der  Schule  dienten  und  sich 
ganz  in  dem  Rahmen  des  damaligen  rhetorischen  Unterrichtes  bewegen. 
Dazu  gehören  47  nqoyviiväaiiaxa^  36  Sivf/r^iiaia^  27  rjd^oTToiiai  oder  Charakter- 
skizzen, 33  sxqqäasig  oder  Beschreibungen  von  Kunstwerken,  50  ^usX&rcci 
oder  Deklamationen  auf  fingierte  Themata.  Eben  dahin  gehören  auch  seine 
Lebensbeschreibung  des  Demosthenes  und  die  Inhaltsangaben  (vTcod^i-atio) 
der  demosthenischen  Staatsreden.  Dauernden  Ruhm  aber  verdankte  er 
seinen  Reden  {Xoyoi),  von  denen  68  auf  uns  gekommen  sind.  Dieselbei 
haben  mit  der  Schule  im  engeren  Sinne  nichts  zu  thun  und  bewegen  siel 
auf  dem  realen  Boden  der  Zeitgeschichte.  Reden  indes  im  strengen  Sinne 
des  Wortes  sind  auch  sie  nicht,  wenigstens  nicht  alle.  Mehrere  haben  nui 
die  Form  von  Reden,  sind  aber  den  hohen  Herrn,  an  die  sie  gerichtet  sind, 
einfach  zugeschickt  oder  direkt  durch  den  Buchhandel  unter  die  Leute  ver- 
breitet worden.  Hervorgehoben  zu  werden  verdienen  der  Baaihxog,  Lob- 
rede auf  die  Kaiser  Konstans  und  Konstantins,  gehalten  348  in  Nikomedia, 
der  'AvTioxtxog,  Preisrede    auf  die  Stadt  Antiochia,   ihre  Salubrität  und  die 


nisse  in  Rom,  worüber  Döllinger,  Akadem. 
Vortr.  I,  172:  Im  Anfang  des  5.  Jahrhunderts 
konnte  der  römische  Bischof  einmal  nie- 
manden in  Rom  mehr  finden,  der  ein  grie- 
chisches Schreiben  hätte  abfassen  können. 
')  Sozom.   VIII,  2;  Cedrenus  I,  674  ed. 


Bonn. 

'^)  Echt  sophistisch  sagt  er  or.  I  p.  40 
von  sich,  als  er  eine  reiche  Partie  aus- 
geschlagen hatte:  log  i/uol  ys  ovGi]q  uvtl 
yvvcaxog  jijg  xi/vrjg. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   b)  Sophistik.  (§  543—544.)     671 

Humanität  ihrer  Bewohner  (walirscheinlich  aus  dem  Jahre  360),  \)  6  Reden 
auf  den  Kaiser  Julian,  darunter  eine  zu  seiner  Bewillkommnung  beim  Ein- 
zug in  Antiochia  [rvQoacfMvrjTixog),  drei  auf  seinen  Tod  (fnovoiSfa,  sTtirdcfiog, 
vTTbQ  rfjg  'lovhccvov  rij^iMQiag),  5  Reden  auf  den  wilden  Aufruhr  der  An- 
tiocheer  und  die  kaiserliche  Gnade  des  Theodosios  (387),  ferner  die  Reden 
auf  den  verwahrlosten  Zustand  der  Gefängnisse  {tteqI  tcov  ^saficorcov),  über 
die  schlechten  Gehalte  der  Rhetoren  (vtt&q  tmv  gr^Togan),  für  die  Tänzer 
oder  Pantomimen  {rrgog  ^ÄQiarsidrjV  imtq  tcov  oQxrjtrrcov),^^)  gegen  seine  Ver- 
kleinerer {rvQog  Tovg  slg  t7]i>  naiS&iav  avrov  ccTtoaxcoipavTag).  Fast  noch 
interessanter  als  die  Reden  sind  die  Briefe  des  schreibseligen  und  im  Em- 
pfehlen, Klagen,  Raterteilen  unermüdlichen  Mannes,  die  für  das  Verständnis 
des  Charakters  unseres  Rhetors  und  der  ganzen  Zeitgeschichte  von  unschätz- 
barem Werte  sind.  Es  sind  uns  im  ganzen  1607  Briefe  im  griechischen 
Original  erhalten,  neben  denen  lange  Zeit  etliche  400  Briefe  in  lateinischer 
Übersetzung  einhergingen,  die  sich  aber  als  Fälschungen  eines  Humanisten 
erwiesen  haben. 3)  Sie  sind  an  alle  möglichen  Personen  gerichtet,  darunter 
auch  an  christliche  Bischöfe  und  Gelehrte.  Auf  solche  Weise  hat  Libanios 
durch  seine  Thätigkeit  als  Lehrer,  Redner,  Schriftsteller  und  seine  unab- 
lässigen Bemühungen  für  das  Staatswohl  und  die  Interessen  seiner  Schüler 
und  Freunde  einen  grossen  Namen  und  glänzende  Auszeichnungen  bei  seinen 
Zeitgenossen  gefunden.  Man  hat  ihn  den  kleinen  Demosthenes^^)  genannt; 
dem  grossen  war  er  freilich  nicht  zu  vergleichen;  dazu  waren,  wie  die 
Zeiten  zu  klein,  so  auch  die  Männer,  die  in  ihr  lebten. 

Libanii  soph.  orationes  et  declamationes  rec.  Reiske,  AJtenburg  1784 — 97,  4  vol.; 
die  letzten  Bände  sind  von  der  Frau  Reiske  besorgt.  —  Libanii  epistolae  ed.  J.  Ch.  Wolf, 
Amstelod.  1738.  —  Zwei  unedierte  Deklamationen  aus  cod.  Paris.  2998  u.  Matrit.  gr.  49 
herausgegeben  von  R.  Förster  in  Herrn.  9,  22  ff.  u.  11,  218  ff.,  andere  aus  Doxopaters 
Kommentar  zu  Hermogenes  gezogene  Bruchstücke  in  Mel.  Graux  p.  629 — 641.  Von  Förster 
erhoffen  wir  eine  den  heutigen  Anforderungen  der  Wissenschaft  entsprechende  Gesamt- 
ausgabe. 

544.  Themistios  (um  330  bis  um  390)^),  Zeitgenosse  des  Libanios 
und  ebenso  einflussreich  in  Konstantinopel  wie  jener  in  Antiochia,  stammte 
aus  Paphlagonien.  Sein  Vater  Eugenios,  von  dem  uns  der  Sohn  in  der 
20.  Rede  ein  anziehendes  Bild  entwirft,  verband  mit  der  Pflege  des  Land- 
baues das  Studium  der  Philosophie  und  der  klassischen  Litteratur.  Er 
selbst  im  väterlichen  Hause  und  in  einer  Rhetorenschule  des  Kolcherlandes 
sorgfältig  erzogen,^)  verfasste  bereits  als  junger  Mann  Paraphrasen  aristo- 
telischer Werke.  Solche  Schriften,  welche  die  präzisen  Sätze  der  alten 
Denker  breit  treten  und  verwässern,  sind  bei  uns,  Gott  sei  Dank,  wieder 
ausser  Kurs  gekommen;  damals  erblickte  man  in  jener  Popularisierung  der 
grossen  Philosophen,  durch  welche  der  in  dunkle  Worte  verschlossene  Geist 


')  Vgl.  PöHLMANN,  Die  Übervölkerung 
der  antiken  Grossstädte  S.  149. 

2)  Diese  Rede  wird  im  cod.  Vat.  gr.  90 
irrtümlich  dem  Lukian  zugeschrieben,  wo- 
rüber R.  Förster,  Lihanii  vtisq  niiv  oq^t]- 
aiioy  oratio,  Rostochii  1878. 

^)  Dieses  ist  nachgewiesen  von  R,  För- 
ster, Franc.  Zambeccari  und  die  Briefe  des 
Libanius,  Stuttgart  187(). 

^)  Thomas   Magister  u.  evS^vvrj   p.  108, 


14;  Lexic.  Seguer.  in  Bekker's  An.  gr.  135, 
12;  140,  13;  108,  12;  172,  7;  s.  Förster, 
Rh.  M.  32,  87. 

^j  Suidas  u.  Gsfxiaztog.  Fi.  Baret,  De 
Themistio  sophista  et  apud  imperatores 
oratore,  Par.  1853. 

6)  Or.  XXVIT  p.  401  D.  Nach  der  lei- 
digen Gew^ohnheit  der  Rhetoren  ist  der  Name 
der  Stadt  selbst  nicht  genannt. 


672 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


der  Meister  auch  den  Nichteingeweihten  zugänglich  gemacht  werden  sollte,  ^) 
eine  Hauptaufgabe  der  Lehrer  der  Philosophie.  Speziell  Theniistios  zog 
durch  seine  Paraphrasen  die  Aufmerksamkeit  weiter  Kreise  auf  sich,  so 
dass  er  auf  einflussreiche  Empfehlungen  hin  nach  der  Hauptstadt  des  Ost- 
reiches, nach  Konstantinopel,  gezogen  wurde.  2)  Dort  trat  er  als  Lehrer 
der  Beredsamkeit  und  Philosophie  auf,  erlangte  aber  auch  bald  eine  einfluss- 
reiche Stellung  am  Hof.  Während  40  Jahren,  wie  er  selbst  in  einer  seiner 
spätesten  Reden  an  den  Senat  ^)  sagt,  diente  er  dem  Vaterland  und  den  in 
rascher  Folge  sich  ablösenden  Kaisern  Konstantins,  Julian,  Jovian,  Valens, 
Theodosius;  denn  er  wollte  nicht  das  Leben  eines  grübelnden  Philosophen 
führen,  sondern  als  Familienvater  und  thätiger  Staatsmann  die  Sätze  der 
Weisheit  in  die  Praxis  des  Lebens  einführen.  So  wurde  er  Senator,  Hess 
sich  vielfach  als  Gesandter  verwenden,  bekleidete  verschiedene  Staatsämter 
und  ward  zuletzt  von  seinem  Hauptgönner,  dem  Kaiser  Theodosius,  mit 
der  höchsten  Würde,  der  eines  Stadtpräfekten  (384),  und  mit  der  Elire 
zweier  eherner  Standbilder  ausgezeichnet.  Den  Neidern,  die  ihn  darob  an- 
feindeten,^) antwortete  er  kräftig  in  mehreren  Reden,  besonders  in  der  erst 
durch  Angelo  Mai  an  das  Tageslicht  gezogenen  Rede  tt8qI  Trjg  ag^rig-  Gast- 
rollen als  Rhetor  gab  er  in  vielen  Städten,  namentlich  in  Nikomedia,  An- 
tiochia,  Rom;  aber  die  Hauptstätte  seiner  Thätigkeit  blieb  Konstantinopel. 
Hier  war  er  der  eigentliche  Festredner  zur  Begrüssung  und  Verherrlichung 
der  Kaiser;  hier  suchte  er  in  Lehre  und  Rede  für  die  Bildung  und  Philo- 
sophie zu  wirken.''^)  Wie  er  seinen  Beruf  als  philosophischer  Redner  auf- 
fasste,  hat  er  am  schönsten  in  der  Rede  ^oipiarr^g  niedergelegt;  wie  er  sich 
im  Anschluss  an  Piaton  das  Ideal  eines  Kaisers  dachte  und  in  Theodosius 
verwirklicht  fand,  hat  er  nicht  ohne  einen  starken  Anflug  von  Byzantinismus 
in  den  Reden  auf  Theodosius  ausgesprochen.  Sein  Schlagwort,  das  er  un- 
endlich oft  wiederholt,  ist  die  (fiXavÜ^QcoTifa,  und  damit  geht  Hand  in  Hand 
seine  Toleranz  in  religiösen  Dingen,  der  er  besonders  in  der  Begrüssungs- 
rede  an  den  Kaiser  Jovian  Worte  leiht.  Auch  bei  den  christlichen  Würden- 
trägern, wie  Gregor  von  Nazianz,^^)  fand  er  glänzende  Anerkennung,  aber 
er  lebte  doch  ganz  in  den  Werken  und  Anschauungen  der  grossen  Philo- 
sophen und  Schriftsteller  der  heidnischen  Zeit,  besonders  des  Piaton,  Aristo- 
teles, Herodot,  Thukydides,  Homer  und  Pindar.  Aus  dem  Studium  jener 
Alten  schöpfte  er  auch  die  Beredsamkeit  und  die  Eleganz  der  Sprache,  die^ 
ihm  bei  Gregor  von  Nazianz  (ep.  140)  den  ehrenden  Beinamen  eines  ßaoiXtvc 
XiyMv  eintrug. '')     Geschrieben  und  hinterlassen  hat  er  ausser  Paraphrase! 


')  Or.  XXI  ir  p.  355:  sfxcfavllisiv  &6  ini- 
/stQSi  Tov  vovv  tov  'jQiaxoriXovg  xccl  e^dysiy 
ex  Tixiv  Qr]}jL(a(t)v,  tV  olg  sxsTvog  avTÖv  xad^sTQ^s 
TS  xccl  icpQc'c^aro  tov  fxrj  ini^Qouov  eivat  xoTg 
Tiuviünaotv  ccjuvTJroig. 

2)  Or.  XXIII  p.  356. 

3)  Or.  XXXI  p.  426. 

^)  Palladas  in  Anth.  X[,  292: 
^  AvTvyog  ovgayirjg  vnsQ'^fispog  ig  noS^ov  rjXd^ec, 

(iVTvyog  uQyvQsrjg,  ata/og  (<7iSLQiGLov. 
'Ho&cc  710T6  XQsiaaiov  '   avSig  cT'  iys'yov  noXv 

/SIQMV    • 

dev^^  (<y(<ß}]i}^i,  xchü),  vvv  yuQ  civoi  xcatßy]g. 


^)  Auffälligerweise  hat  ihn  Eunapioi 
nicht  der  Aufnahme  in  die  Biographien  de: 
berühmten  Philosophen  und  Sophisten  seine: 
Zeit  gewürdigt. 

6)  Siehe  den  139.  und  140.  Brief  des 
Gregor  von  Nazianz. 

^)  Bezüglich  dieses  Beiwortes  vergleiche 
Philostr.  vit.  soph.  II,  10  und  Lukian,  rhet. 
praec.  11.  Von  andern  erhielt  er  den  Bei- 
namen 0  evcpQadrjg.  Allzu  überschwenglich 
urteilt  Angelo  Mai,  praef.  orat.  nsgl  ((QX^^'- 
si  persjncue,  si  copiose,  si  erudite,  si  ornate 
verha  facere,  si  praeterca  nihil  habere  moh 


i 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.     3.  Die  Prosa,    b)  Sophistik.  (§  545.)     073 

zur  Physik,  Analytik  und  Psychologie  des  Aristoteles,  sophistische  Reden, ^) 

von  denen  Photios  cod.  74  noch  36  las,    wir  noch   34   im  Original    und    1 

(12.)   in   lateinischer  Übersetzung   besitzen.     Im  Mittelalter  spielte   er    als 

Vermittler    des  Aristoteles   und    der   alten  Logik   eine   grosse,    über   seine 

wirklichen  Verdienste  hinausgehende  Rolle. 

Themistii  orationes  ex  cod.  3Ieäiolanensi  emend.  Gu.  Dindokf,  1832  mit  den  Noten 
der  früheren  Herausgeber  Petavius  (1618)  und  Harduin  (1684)  und  mit  Benützung  des 
handschriftlichen  Apparates  von  Fr.  Jacobs.  ~  Zwei  Reden  tieql  ccQSTrjg  (nicht  im  Original 
vorhanden)  und  nsQi  cpiliag  aus  syrischen  Übersetzungen  publiziert  von  Sachau,  Inedita 
Syriaca,  Wien  1870.  —  Themistii  jiarnphrases  Aristotelis  ed.  L.  Spengel  1866.  —  Eine 
aus  dem  Hebräischen  rückübersetzte  Paraphrase  zu  Arist.  met.  A  in  der  akademischen 
Ausgabe  des  Aristoteles  IV,  798 — 818.  —  Über  das  vielleicht  auf  Themistius  fussende  ps. 
augustinische  Buch  Catecjoriae  decem  ex  Aristotele  excerptae,  s.  Prantl,  Gesch.  d.  Logik 
I,  669  ff.  u.  724;  über  eine  in  einem  Cod.  Paris,  erhaltene  Schrift  Themistius  de  arte  dia- 
leetica  s.  Prantl,  Michael  Psellus  u.  Petrus  Hispanus  S.  19. 

545.  Himerios,2)  Sohn  des  Rhetors  Ameinias,  war  um  315  in  der 
bithynischen  Stadt  Prusa  geboren,  fand  aber  seine  höhere  Ausbildung  und 
den  gewünschten  Boden  für  seine  sophistische  Thätigkeit  in  Athen.  Vom 
Kaiser  Julian  an  den  Hof  nach  Konstantinopel  berufen,  kehrte  er  nach  dem 
frühen  Tod  des  Kaisers  wieder  nach  Athen  zurück.  Ein  gewandter  Mann 
von  einnehmenden  Formen,  wusste  er  zahlreiche  Schüler  aus  weiter  Ferne, 
darunter  auch  Gregor  von  Nazianz  und  Basilios  d.  Gr.,  an  sich  zu  ziehen 
und  an  seinen  Hörsaal,  das  kleine  ^taxQov,  wie  er  ihn  selber  nannte,  zu 
fesseln.  Nach  manchem  häuslichen  Ungemach,  nachdem  er  selbst  seinem 
Sohne  Rufinus  die  Klagerede  {f.iovo)dia)  hatte  halten  müssen  und  auch  seine 
Tochter  ins  frühe  Grab  hatte  sinken  sehen,  starb  er  hochbetagt  an  der 
heiligen  Krankheit  (386).  Himerios  hatte  keine  Stellung  im  Staat  und 
spielte  keine  politische  Rolle;  er  ist  der  reine  Repräsentant  der  müssigen 
Sophistik,  der  höchstens  hin  und  wieder  von  der  Bürgerschaft  zur  Begrüs- 
sung  des  neuen  Statthalters  aufgestellt  wurde,  im  übrigen  aber  nur  die 
Aufgabe  sich  setzte,  andere  zu  einem  gleich  unfruchtbaren,  tändelnden  Thun 
anzuleiten.  So  waren  denn  auch  alle  seine  Reden,  die  er  veröffentlichte  und 
von  denen  Photios  noch  71  las,-*)  uns  nur  24  vollständig  erhalten  sind, 
Schulübungen  oder  Schaudeklamationen.  Ein  Teil  derselben  gehörte  in 
die  Gattung  der  erdichteten  oder  fingierten  Reden,  so  eine,  die  er  den 
Hypereides  zu  Gunsten  des  Demosthenes,  eine  andere,  die  er  den  Demo- 
sthenes  für  die  Zurückberufung  des  Aischines,  eine  dritte,  die  er  einen 
Ungenannten  gegen  den  der  Gottlosigkeit  angeklagten  Epikur  halten  Hess. 
Von  diesen  haben  wir  nur  Kenntnis  durch  die  Auszüge  des  Photios;  er- 
halten ist  uns  der  noXsiiaQxixög,  der,  ähnlich  wie  der  Menexenos  des  Piaton, 
zum  Preise  der  für  das  Vaterland  Gefallenen  bestimmt  ist  und  noXeiKXQxtxög 
heisst,  weil  dem  Archen  polemarchos  ursprünglich  diese  Aufgabe  zufiel. 
Die  meisten  aber  der  erhaltenen  Deklamationen  sind  Gelegenheitsreden,  ge- 
halten beim  Beginn  eines  neuen  Kurses,  oder  bei  der  Ankunft  eines  neuen 
Statthalters,  oder  bei  einem  Todesfall,  oder  bei  dem  Besuche  einer  Stadt.*) 


litiae  nee  ineptiarum  perfeeti  generis  ora- 
torii  est,  Themistiiim  nio  in  optimorum  ora- 
torum  flore  versari. 

^)  Diese  sind  bei  Ruidns  unter  JicfXe^etg 
gemeint     nach     einem    namentlich    oft    bei 


Himerios  vorkommenden  Sprachgebrauch. 

'')  Suidas   u.   IfttQioc,   Kunap.  vit.  soph. 
p.  494  ed.  Didot. 

^)  Photios  p.  107     9  und  r;5;i  -  77  P.okk. 

■*)  Mehreren  lieden    ist   eine  jiQOtf^eMQitc 


Handbuch  der  lilass.  Altcrtumswisseuscbalt.  VII.    2.  Aufl.  4o 


674 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


So  Hess  sich  der  gern  gehörte  und  gern  sprechende  Rhetor  auf  seiner  Reise 
zu  Julian  in  Thessalonike,  Philippi,  Konstantinopel  anhalten,  um  im  Vorbei- 
gehen Lobreden  auf  die  genannten  Städte  zu  halten.  Überall  entledigte  er 
sich  des  Auftrages  in  gefälliger  Weise;  denn  er  war  der  Hauptrepräsentant 
des  blumenreichen,  süssen  und  anmutigen  Stils.  An  ihm  war  ein  Dichter 
verloren  gegangen;  da  aber  in  seiner  Zeit  Gedichte  weniger  als  Reden  ge- 
liebt wurden,  so  übertrug  er  die  dichterische,  von  Metaphern  überfliessende 
Sprache  ^)  auf  die  rednerische  Prosa.  Zur  Dichtung  hatte  er  sich  auch 
mehr  als  zur  ernsten  Beredsamkeit  vorgebildet;  während  er  sich  in  Demo- 
sthenes  und  Thukydides  nur  wenig  belesen  zeigt,  lässt  er  überall  den  vor- 
züglichen Kenner  der  Sappho,  des  Alkaios,  Ibykos,  Anakreon,  Pindar  er- 
kennen.-^) Für  uns  hat  dieses  hohen  Wert,  da  er  teils  ganze,  inzwischen 
verloren  gegangene  Gedichte  der  klassischen  Periode  in  Prosa  wiedergibt 
(or.  14,  10),  teils  Stellen  und  Phrasen  aus  ihnen  wörtlich  in  seine  Reden 
einflicht,  teils  neue  Reden  im  Geiste  der  alten  Lyrik  verfasst,  wie  die 
Hochzeitsrede  auf  den  Severus  (or.  1)  und  die  jubelnde  Begrüssung  des 
Basileios  beim  Beginne  des  Lenzes  (or.  3). 

Himerii  quae  supersunt  rec.  Wernsdorf,   Gotting.    1790,  —  Kritische   Textausgabe 
auf  Grund  des  cod.  Roman,  von  Dübner  in  der  Didot'schen  Sammlung,   Paris  1849. 

546.  Julianus  Apostata  (331 — 363), 3)  der  bedeutendste  Mann  der 
Zeit,  gehörte  seiner  Bildung  und  seinen  Schriften  nach  zur  Klasse  der 
Sophisten,  war  gewissermassen  der  Sophist  auf  dem  Throne.  Seine  hohe 
Stellung  als  absoluter  Herrscher  des  mächtigsten  Reiches  gab  natürlich 
ihm,  ähnlich  wie  Friedrich  dem  Grossen  in  unserer  Zeit,  eine  Bedeutung, 
die  weit  seine  Stellung  in  der  Litteraturgeschichte  überragt;  aber  was  er 
als  Kaiser  that  und  anstrebte,  hing  auf  das  engste,  noch  mehr  als  bei  dem 
Helden  der  preussischen  und  deutschen  Geschichte,  mit  seinem  Bildungs- 
gang und  mit  seinen  Beziehungen  zu  den  Sophisten  und  Philosophen  seiner 
Zeit  zusammen.  Von  Geburt  gehörte  unser  Flavius  Claudius  Julianus  der 
herrschenden  Kaiserfamilie  an;  sein  Vater  war  Julius  Konstantins,  ein  Bruder 
des  Kaisers  Konstantin.  In  sein  Kindesalter  fiel  das  furchtbare  Gemetzel 
(338),  durch  das  nach  dem  Tode  des  Kaisers  Konstantin  sein  Vater  und 
sein  Vetter  Dalmatius  Cäsar  nebst  zahlreichen  Gliedern  des  kaiserlichen 
Hauses  auf  Anstiften  des  neuen  Kaisers  Konstantins  hingeschlachtet  wurden. 
Er  selbst  und  sein  Bruder  Gallus  blieben  verschont,  aber  doch  entzog  sie 
bald  darauf  ihr  kaiserlicher  Vetter  den  Blicken  der  Welt,  indem  er  siej 
auf  längere  Zeit  (340 — 6)  nach  einem  einsamen  Schlosse  Kappadokiens] 
bringen  liess.^)    In  dieser  Zeit  wurde  Julian  unter  der  Aufsicht  eines  vor-| 


vorausgeschickt,  in  der  der  Rhetor  den  An- 
lass  und  die  theoretische  Teclinik  erörtert, 
ähnlich  wie  es  Synesios  that. 

^)  noirjXLXT^  wQci  von  ihm  selbst  or.  T,  2 
genannt. 

2)  Teuber,  Quaestiones  Himerianae, 
Bresl.  Diss.  1882. 

^)  Quellen:  ein  Artikel  des  Suidas,  der 
^Enndfpioq  des  Libanios,  zwei  Schmähreden 
(or.  2  u.  3)  des  Gregor  von  Nazianz,  die 
betreffenden  Abschnitte  in  dem  Goscliichts- 
werk   des  unparteiischen  Ammiauus  Marcel- 


linus.    Teuffel,  Kaiser  Julianus,  in  Studien! 
u.    Charakteristiken   S.    147  —  177.      Keller 
BAUER,  Kaiser  Julians  Leben,  Jahrb.  f.  Phil 
Suppl.   IX,*  183-221.     GuiL.   Schwarz,    7>«1 
vita    et    scriptis    luliani   imperatoris,  Diss. 
Bonn.  1888,  mit  sorgfältigen  fasti. 

•*)  Dieser  Aufenthalt  des  Julian  in  Ma- 
celli  fundo  ist  nicht  erwähnt  von  Libanios, 
wohl  aber  von  Juliau  selbst  ep.  ad  Athen, 
p.  270  D.,  271  D.;  siehe  darüber  Teuffel 
S.  148  ff. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.     3.  Die  Prosa,    b)  Sophistik.  (§  546.)     675 

trefflichen  Pädagogen,  des  Eunuchen  Mardonios,  durch  christliche  Lehrer 
in  Grammatik  und  Rhetorik  eingeführt.  In  Nikomedia,  wo  wir  ihn  bald  nachher 
treffen,  vollzog  sich  in  dem  Geiste  des  jungen  Prinzen  die  tiefgehende 
Wandlung,  welche  ihn  dem  aufgezwungenen  Glauben  entfremdete  und  den 
alten  Göttern  Griechenlands  zuführte.  Von  Einfluss  auf  seine  Entscheidung 
waren  neuplatonische  Philosophen  i)  und  der  Rhetor  Libanios,  welch  letzterer 
damals  in  Nikomedia  lehrte  und  dessen  Vorträge  sich  Julian,  da  er  die- 
selben selbst  nicht  besuchen  durfte,  insgeheim  nachschreiben  Hess.  Als 
bald  darauf  sein  älterer,  zum  Cäsar  erhobener  Bruder  Gallus  auf  un- 
erwiesene  Verdächtigungen  hin  von  dem  Despoten  Konstantins  ermordet 
worden  war  (354),  ward  auch  er  7  Monate  lang  eifersüchtig  bewacht  und 
von  einem  Ort  zum  andern  geschleppt,  bis  die  mitleidsvolle  Kaiserin  Eusebia 
von  ihrem  Gemahl  erwirkte,  dass  er  nach  Athen  gehen  und  dort  seiner 
Herzensneigung  folgend  den  rhetorischen  und  philosophischen  Studien  ob- 
liegen durfte.  Aber  nach  kurzer  Zeit  wurde  er  wieder  den  Musen  ent- 
rissen, indem  er  an  den  kaiserlichen  Hof  nach  Mailand  gerufen  und  bald 
nachher  als  Cäsar  nach  Gallien  geschickt  wurde  (356).  Hier  zeigte  sich 
bald,  dass  der  junge  Mann  über  den  philosophischen  Studien  nicht  die 
Thatkraft  des  Mannes  und  die  praktische  Tüchtigkeit  eingebüsst  hatte:  in 
glücklichen  Feldzügen  warf  er  die  über  den  Rhein  vorgedrungenen  Horden 
der  Barbaren  zurück  und  brachte  der  schwer  heimgesuchten  Provinz  die 
Segnungen  einer  geordneten  und  gerechten  Verwaltung  zurück.  Aber  je 
glänzender  sein  Stern  zu  leuchten  begann,  desto  mehr  steigerte  sich  die 
Scheelsucht  und  der  Argwohn  seines  kaiserlichen  Vetters,  der  ihm  unter 
dem  Vorwand  eines  Krieges  gegen  die  Perser  die  besten  Truppen  entzog. 
Da  steigerte  sich  der  Unmut  der  Soldaten  zur  offenen  Empörung,  sie 
weigerten  sich,  ihren  geliebten  Feldherrn  Julian  zu  verlassen  und  riefen 
ihn  zum  Augustus  aus  (Mai  360).  Julian,  anfangs  zögernd,  entschloss  sich 
schliesslich  aus  Furcht  vor  dem  Lose  seines  Bruders  Gallus  dem  Konstantins 
den  Gehorsam  zu  kündigen  und  denselben  mit  Krieg  zu  überziehen.  Dieser 
starb,  noch  ehe  es  zum  entscheidenden  Kampfe  kam,  in  Kilikien  auf  dem 
Wege  von  Edessa  zum  Occident,  und  Julian  ward  so  alleiniger  Herr  des 
ganzen  Reiches.  Nunmehr  suchte  er  in  seiner  kurzen  Regierung  —  denn 
schon  Ende  Juni  363  fiel  er  im  Kriege  gegen  die  Perser,  ungewiss  ob  von 
Feindes  oder  Meuchlers  Hand,  im  32.  Jahre  seines  Lebens  —  in  den  Jahren 
361 — 363  also  suchte  er  mit  dem  Hochdruck  der  kaiserlichen  Gewalt  seine 
philosophischen  und  religiösen  Ideen  zur  Geltung  zu  bringen.  Er  hatte  auf 
der  einen  Seite  im  persönlichen  Gedankenaustausch  mit  den  gebildetsten 
Philosophen  und  Sophisten  seiner  Zeit  und  im  geistigen  Verkehr  mit  Homer, 
Piaton  und  Aristoteles  die  Herrlichkeiten  des  freien,  altgriechischen  Geistes 
kennen  gelernt;  er  hatte  auf  der  anderen  Seite  in  seiner  Jugend  nur  allzu 
bitter  erfahren,  wie  am  kaiserlichen  Hofe  hinter  der  Maske  christlicher 
Religiosität  sich  Heuchelei,  Grausamkeit,  Gemeinheit  der  Gesinnung  verbarg. 
i  So  betrachtete  er  es  denn    als   seine  Lebensau Tuabe,   den  Hellenismus   und 


')  Unter   diesen   spielten    Aidesios    und    1    beschwöningen    und   Mysterien    einweihten; 
Maxinuis  eine  Rolle,    indem   sie  den  jungen    |    s.  Kfllerbauer,  S.  187  IT". 
Julian  in  die  lieheininisvolle  Welt  der  (Jleister-    I 


ts 


43 


o  * 


676 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


den  alten  Glauben  wieder  zurückzuführen,  nicht  zwar  mit  roher  Gewalt, 
aber  doch  mit  entschiedener  Begünstigung  der  Hellenisten,  indem  er  gleich 
bei  seiner  Thronbesteigung  für  alle  diejenigen,  welche  wegen  ihres  Glaubens 
unter  den  vorausgegangenen  Regierungen  verbannt  worden  waren,  eine 
allgemeine  Amnestie  erliess  und  die  Christen,  welche  er  selbst  mit  dem 
Namen  Hebräer  zu  bezeichnen  pflegte,  von  den  Ehrenämtern  am  Hof  und 
von  den  Lehrstühlen  der  Rhetorik  und  Philosophie  ausschloss.  Riefen  ihm 
deshalb  die  Verehrer  des  Hellenismus  und  der  Philanthropie  lauten  Beifall 
zu,  so  Hess  es  die  Gegenpartei  nicht  an  Anfeindungen  aller  Art  fehlen. 
Lange  schwankte  so  bei  Mit-  und  Nachwelt  das  Bild  des  merkwürdigen 
Mannes,  von  der  Parteien  Gunst  und  Hass  verzerrt,  bis  in  unserer  Zeit 
eine  unbefangenere  Würdigung  anerkannte,  dass  derselbe  wohl  an  Adel 
der  Gesinnung  und  heroischem  Mute  den  grössten  Herrschern  des  römischen 
Reiches  zuzuzählen  sei,  dass  er  aber  doch  der  vollen  Unbefangenheit  des 
Geistes  entbehrte  und  seine  Kraft  an  ein  aussichtsloses  Unternehmen  setzte. 
547.  Zur  schriftstellerischen  Thätigkeit  fand  Julian  in  seinem  kurzen 
Leben  und  bei  seiner  rastlosen  praktischen  Thätigkeit  nicht  viel  Müsse; 
doch  übte  er  schon  in  seiner  Jugend  die  Kunst  der  Rede,  stand  mit  Philo- 
sophen und  Freunden  in  lebhaftem  Briefverkehr  und  wusste  bei  seiner 
raschen  Konzeptionsfähigkeit  auch  kurze  Mussezeit  zu  bedeutenden  Arbeiten 
auszunützen.')  Nicht  alles,  was  er  schrieb,  ist  auf  uns  gekommen:  sein 
Werk  gegen  die  Christen  hat  die  nachfolgende  Zeit  unterdrückt;  viele  Briefe, 
welche  der  Kirchenhistoriker  Sozomenos  noch  las,  fehlen  in  unserer  Samm- 
lung, und  auch  die  erhaltenen  Schriften  sind  durch  viele  Lücken  verstüm- 
melt. 2)  Voran  stehen  in  unseren  Handschriften  und  Ausgaben  acht  Reden, 
nämlich  3  konventionelle  Lobreden  auf  Konstantins  und  Basileia,  2  theo- 
sophische  Deklamationen  auf  Helios  und  die  Göttermutter  im  Geiste  des 
Neuplatonismus,  2  Streitschriften  gegen  die  Verkehrtheiten  der  jüngeren 
Kyniker,  und  1  an  sich  selbst  gerichtete  Trostrede  bei  der  Trennung  von 
seinem  Freunde  Salustius.  Die  Lobreden  auf  Konstantins  sind  nicht  frei 
von  unwahrer  Schönfärberei;  wie  er  wirklich  über  jenen  Despoten  dachte, 
enthüllt  er  in  dem  interessanten  Manifest  an  seine  geliebten  Athener,  woi  in 
er  den  Schritt  offener  Auflehnung  gegen  den  Kaiser  zu  rechtfertigen  suchte. 
Bedeutender  als  seine  Reden  ist  seine  witzige,  im  Geist  der  römischen 
Satire  ^)  geschriebene  Schrift  ^v/nTToaioi'  rj  Kgöria,  von  ihrem  Hauptinhalt 
auch  KaiaaQ8g  benannt,  in  welcher  zu  einem  an  den  Saturnalien  im  Himmel 
veranstalteten  Gastmahl  die  vergötterten  Kaiser  erscheinen  und  den  Gegen- 


')  Wie  rasch  er  arbeitete,  bezeugt  er 
selbst  in  der  4.  Rede  p.  204,  4:  ravrd  aoi 
.  .  .  EV  tqigI  ^(iharcc  rv^ly  log  oloy  re  r]v 
inEX&oyia  juot  rrj  luy^j/ur}  y.al  yQaipai  TiQog 
GS  eT6X^uf]ffcc. 

'-)  Suidas  in  dem  wirren  Artikel  über 
Julian  erwähnt  eines  rätselhaften  Buches 
neQl  Xiov  jQiMP  Gxt]^(cTii}p,  Lydus  de  mag. 
I,  47  M7j/c(yix((,  Julian  selbst  in  den  Briefen 
Kommentare  über  die  Kriege  mit  den  Ala- 
mannen. 

^)  Verwandt  ist  insbesondere  des  Seueca 


Satire  anoxoXoxvvTMGig.  Verschieden  von  denii 
erhaltenen  Buche  Iv^noaiov  rj  Kqopkc  müssen 
die  KQoi'ia  gewesen  sein,  welche  er  Or.  8 
p.  204,  7  erwähnt  und  aus  denen  uns  Suidas 
s.  V.  'EfiTisdoTifiog  eine  Stelle  erhalten  hat.  — 
Mit  den  Kqopicc  haben  die  Saturnalia  des 
Macrobius  nur  den  Titel  und  die  Voraus- 
setzung geschäftsfreier  Ferien  an  den  3  Sa- 
turnustagen  des  December  gemeinsam ;  die- 
selben sind  ohne  Beziehung  auf  die  Schrift 
unseres  Julian  erst  später,  geraume  Zeit  nach 
385,  abgefasst. 


S 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     b)  Sophistik.  (§  547.)     677 


stand  einer  witzigen,  an  bitteren  Bemerkungen  und  Anspielungen  reichen 
Darstellung  abgeben.  An  die  griechischen  lambographen  knüpft  Julian  in 
dem  Miaonoyywv  an,  in  welchem  er  sich  selbst,  den  von  den  undankbaren  An- 
tiocheern  wegen  seines  Philosophenbartes  {noiyMv)  verspotteten  Kaiser,  an- 
klagt und  dabei  allerlei  interessante  Dinge  von  seinem  Wesen  und  seiner 
Jugendgeschichte  erzählt.  Eingeflochten  ist  in  die  Rede  auch  eine  an- 
ziehende Schilderung  der  Hauptstadt  Galliens,  in  der  man  schon  in  nuce 
das  heutige  lebenslustige  und  vergnügungssüchtige  Paris  vor  sich  zu  haben 
vermeint. 

Die  wichtigste  Stelle  unter  den  erhaltenen  Werken  unseres  Kaisers 
nehmen  die  Briefe  ein.  Darunter  sind  drei,  welche  in  Briefform  allgemeine 
Fragen  behandeln,  nämlich  das  oben  schon  erwähnte  Manifest  an  die  Athener, 
ein  Brief  an  den  Philosophen  Themistios,  in  welchem  der  Kaiser  die  Be- 
sorgnis ausspricht,  ob  er  den  in  ihn  als  Regenten  gesetzten  Erwartungen 
auch  entsprechen  könne,  und  ein  Schreiben  an  einen  Unbekannten,  das  sich 
in  starken  Ausfällen  gegen  die  Christen  ergeht.  Die  übrige  Sammlung  von 
im  ganzen  84  Briefen  umfasst  auch  die  kaiserlichen  Breven  ^)  und  Erlasse, 
enthält  aber  auch  mehrere  unechte  Stücke.'^)  Im  allgemeinen  lernt  man 
aus  den  Briefen  recht  den  hochherzigen,  von  wärmster  Begeisterung  für 
das  Hohe  und  Edle  erfüllten  Geist  des  Kaisers  kennen.  Herrliche  Denk- 
male seiner  schwärmerischen  Hingabe  für  Freunde  und  Lehrer  sind  nament- 
lich seine  Briefe  an  Maximus  (ep.  15),  Eugenios  (ep.  18),  Priscus  (ep.  71), 
Libanios  (ep.  3,  44,  74).  Für  seine  Anschauungen  über  religiöse  Toleranz 
und  seine  Stellung  zu  den  Christen  und  Juden  sind  besonders  wichtig  die 
Briefe  25,  51,  52. 

Nicht  mehr  erhalten  sind  die  3  Bücher  gegen  die  Christen,  welche 
er  auf  dem  Feldzuge  gegen  die  Perser  schrieb,  wie  einst  Julius  Cäsar  auf 
seinem  Zug  über  die  Alpen  die  Bücher  de  analogia  Unguae  latinae  ge- 
schrieben hatte.  Wir  kennen  den  Gedankengang  der  Schrift  aus  der  Ent- 
gegnung, welche  60  Jahre  später  (429)  der  Bischof  Kyrillos  verfasste.  Da 
aber  von  den  30  Büchern  der  Gegenschrift  nur  die  10  ersten  auf  uns  ge- 
kommen sind,  so  werden  uns  nur  aus  dem  1.  Buch  der  kaiserlichen  Schrift 
die  betreffenden  Sätze,  meist  in  wörtlicher  Anführung,  mitgeteilt.  Man 
sieht  aus  denselben,  dass  der  Kaiser  ausser  den  Werken  der  griechischen 
Philosophen  auch  die  Schriften  des  alten  und  neuen  Testamentes  mit  kriti- 
schem Urteil  studiert  hatte,  so  dass  er  z.  B.  eine  exakte  Gegenüberstellung 
der  Schöpfungsgeschichte  des  Pentateuch  und  der  Physik  des  platonischen 
Timaios  zu  liefern  vermochte.  So  sehr  uns  indes  auch  der  klare  Blick 
des  Verfassers,  sein  begeistertes  Lob  der  Erfindungen  des  hellenischen 
>|   Geistes,   die   scharfe  Verdammung  der  christlichen  Unduldsamkeit   für  den 


')  Das  lateinische  hrevc  ist  bekanntlich 
(las  Original  für  unser  deutsches  Brief. 

-)  Gleich  der  1.  Brief  gehört,  wie  Her- 
(  HER  im  Hermes  I,  474  erkannte,  nicht  dem 
Julian,  sondern  Prokop  aus  Gaza  an.  Sicher 
unecht  und  von  einem  christlichen  Fälscher 
herrührend  ist  der  Brief  des  Gallus  an  seinen 
Bruder,  und  der  in  leerer  Prahlerei  geschrie- 


bene 75,  Brief.  Als  unecht  erweist  W.  Schwarz 
a.  0.  23  ff.  auch  die  an  lamblichos  gerich- 
teten Briefe.  Zu  weit  geht  in  der  Anzwei- 
felung der  Herausgeber  Heyler;  s.  Teüffel 
1,  1()2  ff..  Fr.  Cümont,  Sur  Vauthcncite  de 
quelques  lettres  de  lulien,  Gand  1889.  Über 
die  chronologische  Reihenfolge  der  Briefe 
s.  Naber,  Mnem.  XI,  387  ff. 


678 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Verfechter  des  Hellenentums  einnehmen,  so  fehlen  doch  auch  diesem  Werke 
nicht  die  schwachen  Seiten :  man  kann  gegen  die  Wunder  der  christlichen 
Legende  nicht  erfolgreich  polemisieren,  wenn  man  sich  selbst  zum  Glauben 
an  die  Wahrheit  der  heidnischen  Vorbedeutungen  und  Wahrsagungen  be- 
kennt. Auch  ein  paar  poetische  Kleinigkeiten  des  Julian  haben  sich  bis 
auf  unsere  Zeit  gerettet,  darunter  ein  witziges  Epigramm  auf  den  Bock 
oder  den  keltischen  Gerstensaft. 

Codices:  Der  beste  ist  der  Vossianus  77,  wovon  eine  Nachlese  gibt  Cobet,  Mnem. 
X  u.  XI.  —  Juliani  quae  supersunt  cum  notis  Petavii  (1630)  rec.  Spanhemius,  Lips.  1696; 
rec.  Hertlein  in  Bibl.  Teubn.  1876  mit  kritischem  Apparat.  —  Juliani  lihrorum  contra 
Christianos  quae  supersunt  rec.  C.  J.  Neumann,  Lips.  1880;  dazu  kritische  Nachlesen  von 
GoLLWiTZER,  in  Acta  sem.  Erlang.  IV,  357-94.  —  Juliani  epistolae  ed.  Heyler,  Mogunt. 
1828.  —  Sechs  neue  Briefe  aus  dem  Kloster  Chalke  bei  Konstantinopel  teilt  Papadopulos, 
im  Rh.  M.  42,  15  ff.  mit;  die  Echtheit  der  3  ersten  bezweifelt  W.  Schwarz  de  vita  et 
scriptis  Juliani  p  30. 

548.  Chorikios  von  Gaza  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Anastasios  ist 
Verfasser  mehrerer  Deklamationen  und  Beschreibungen,  die  durch  Zufall 
sich  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  haben.  Ist  auch  ihr  innerer  Wert  gering, 
so  lassen  sie  uns  doch  ihren  Verfasser  als  einen  gutunterrichteten  Litteraten 
erkennen. 1)  —  Lehrer  des  Chorikios  war  der  Sophist  Prokopios,  verschieden 
von  dem  berühmten  Historiker  der  Zeiten  Justinians.  Derselbe  wird  als  Ver- 
fasser von  Reden  und  Metaphrasen  Homers  hoch  gepriesen  (s.  Photios,  bibl. 
cod.  160),  doch  hat  sich  von  ihm  nichts  erhalten.  —  Auf  uns  gekommen 
sind  aus  jener  Zeit  noch  einige  unbedeutende  Schulübungen  der  Rhetoren 
Adrian  OS  und  Severus^)  Denn  die  skizzenhaften  Aufsätze  {^leXbrai) 
des  Adrianos  entbehren  zu  sehr  des  Glanzes  der  rhetorischen  Phrase,  als 
dass  man  sie  mit  Walz,  dem  neuesten  Herausgeber  derselben,  dem  be- 
rühmten Sophisten  Adrianos  aus  der  Zeit  des  Kaisers  Marcus  Antoninus 
zuschreiben  dürfte.  Noch  weniger  haben  dieselben  mit  dem  Kaiser  Hadrian 
etwas  zu  thun,  wie  der  Patriarch  Photios  angenommen  zu  haben  scheint;^) 
vielmehr  werden  sie  von  demselben  Adrianos  herrühren,  von  dem  Photios, 
Bibl.  cod.  2  eine  Einführung   in    die   heilige  Schrift  [elaaywyi]   rijg   yQacfrjg) 

verzeichnet. '^) 

Choricii  Gaz  »ei  orationes  declamationes  fragmenta  cur.  Boissonade,  Paris  1846. 
Nachträge  lieferten  Graux,  Revue  de  phil.  1877,  und  R.  Förster,  Mel.  Graux  639  41, 
Herrn.  17,  208  ff.  Zur  Würdigung  des  Mannes  vgl.  Sathas,  Joxifj.iov  tieqI  tov  r'hsÜTQOv  y.al 
irjg  fxovoiXfjg  xmv  BvCctprcyioy,  p.  339  ff.  —  \4^Qiavov  tov  QTJroQog  fieXstca  und  I^eviJQov 
dirjytjfxccra  xcd  rjS^onouca  in  Walz,  Rhet.  gr.  t.  I  p.  526 — 48. 

549.  Rhetorika.  Auch  in  unserer  Periode  ging  den  litterarischen 
Werken  der  Sophistik,  den  Reden,  Briefen,  Romanen,  die  Theorie  der  Bered- 


^)  Malchin,  De  Choricii  Gazaei  veterum 
graecorum  scriptorum  studiis,  Kiel  1884. 

2)  Suidas  s.  v.  leßrjgog  u.  Damaskios 
bei  Fliot.  bibl.  cod.  242,  wo  es  p.  340'^  4 
von  diesem  Rhetor  Severus  heisst:  yiofxcdog 
rjv  ovTog  xal  ^ Av&ef^iov  (gest.  471)  naQaa- 
)(6vTog  ^Xnidag  wg  t)  'Pwy.rj  nsffovaa  näXiv 
dt'  ccvrov  uvcioirjaETca,  inl  Piöfx^^p,  rca'ztjg 
TiQociva/iüQriaag,  enaufjxs  xcd  rifxtjg  vnccTixrjg 

^)  Phot.  Bibl.  cod.  100:  ui'syvwa^i] 
^J^Qicivov  TOV  ßaatXeMg  /ueXirai  dtdcpoQoi, 
Big    To    y.erQiov    tov     Xoyov    dvrjyfievca    xcd 


ovx  cxijdsTg.  Wahrscheinlich  waren  das  die- 
selben jueXsTai,  die  uns  noch  vorliegen,  nur 
scheint  Photios  noch  ein  vollständigeres 
Exemplar  gehabt  zu  haben;  das  unsere  ist 
offenbar  am  Schluss  verstümmelt. 

^)  Diese  Isagoge  aus  2  Augsburgern, 
jetzt  in  München  befindlichen  Handschr.  (cod. 
Mon.  107  u.  477)  herausgegeben  von  Höschel, 
Augsb,  1604,  ^wiederholt  in  Migue's  Patrol. 
gr.  t.  98.  Über  neue  Hilfsmittel  und  die 
Mängel  des  Textes  s.  Schlüren,  Jhrb.  f.  pro 
test.  Theologie  13  (1887),  136-59. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.   3.  Die  Prosa,  c)  Der  Roman.  (§548—550.)     679 


sanikeit  zur  Seite.  Libanios  und  Themistios  waren  zugleich  Lehrer  der  Rhetorik 
und  gaben  sich  mit  Erklärung  der  alten  Redner  und  Verfertigung  rhetorischer 
Kompendien  ab.  Einen  besonderen  Namen  erwarb  sich  gegen  Ende  des 
Altertums  Lachares,  der  um  450  in  Konstantinopel  die  Rhetorik  lehrte.') 
Er  war  Verfasser  eines  gepriesenen,  aber  v/esentlich  auf  Dionj^sios  und 
Hermogenes  fussenden  Werkes  ttsqI  xmXov  xal  xofji/jiaToq  xal  ttsqioSov.  Von 
demselben  ist  uns  ein  Auszug  erhalten,  den  im  10.  Jahrhundert  zur  Zeit 
des  Kaisers  Leo  des  Weisen  ein  unbekannter  Schulmann  verfertigte.  Bis 
in  neuester  Zeit  lief  dieser  Auszug  unter  dem  stolzen  Namen  des  Rhetors 
Kastor,  den  wir  oben  §  367  als  Zeitgenossen  Ciceros  kennen  gelernt  haben. 
Jetzt  ist  es  durch  L.  Cohn  erwiesen,  dass  der  Name  eine  Fälschung  ist  und 
dass  derselbe  erst  im  16.  Jahrhundert  von  dem  unverschämten  Fälscher 
Konstantinos  Palaiokappa  dem  Cod.  Paris.  2929  vorgesetzt  wurde. ''^) 

Erste  Ausgabe  von  Walz,  Rhet.  gr.  III,  712—23;  berichtigte  von  Studemund,  Pseudo- 
Castoris  excerpta  rhetorica,  Vratisl.  1888. 

c.  Der  Roman.  =^) 

550.  Auf  dem  Boden  der  Sophistik  ist  auch  der  Roman  entstanden; 
die  Romane  selbst  hiessen  Xoyoi  sqmtixoi,  und  die  Romanschriftsteller  hatten 
neben  dem  speziellen  Namen  sqixnixoi  auch  den  allgemeinen  QrjTOQsg  oder 
ao(fiata(.  Die  Sophistik  repräsentierte  eben  die  Kunst  der  poetischen  Prosa, 
und  der  Roman  wollte  mit  seiner  freien  Erfindung  und  seiner  gezierten 
Sprache  Ersatz  für  die  verschlungenen  Liebesabenteuer  der  erotischen  Elegie 
und  der  neuen  Komödie  bieten.  Nachdem  einmal  das  poetische  Liebesspiel 
des  Dramas  von  der  Bühne  so  gut  wie  ganz  verschwunden  war  und  die 
Freunde  des  Menander  und  Diphilos  deren  Stücke  nur  noch  aus  Büchern 
kennen  lernten,  war  es  den  Dichtern  nahe  gelegt  den  Dialog  und  die  Cantica 
ganz  aufzugeben  und  eine  Form  zu  suchen,  die  sich  besser  zur  einfachen 
Lektüre  eignete;  das  war  aber  die  des  Romans  oder  der  poetischen  Er- 
zählung. Dass  dabei  auch  die  metrische  Einkleidung  der  Rede  geopfert 
wurde,  darf  uns  nicht  befremden;  ward  doch  in  der  Zeit  der  Sophistik  nur 
auf  den  rhythmischen  Tonfall  der  prosaischen  Rede  Wert  gelegt,  so  dass 
der  Sophist  Himerios  selbst  Epithalamien  in  Prosa  schrieb.  Aber  ganz  und 
gar  eignete  sich  der  Roman  von  der  Poesie  und  speziell  von  der  neuen 
Komödie  die  schöpferische  Freiheit  der  Erfindung  an,  die  sich  noch  mehr 
wie  im  Drama  der  Fesseln  der  Wirklichkeit  und  Überlieferung  entschlug 
und  an  dem  Wunderglauben  der  Zeitgenossen,  den  fabelhaften  Berichten 
aus  fernen  Ländern  und  dem  launenhaften  Walten  der  Göttin  Fortuna 
reiche  Nahrung  fand.^)  Mehr  aber  noch  als  von  den  Schöpfungen  der  poe- 
tischen Muse  galt  von  den  Romanen  der  Satz,  dass  sie  lediglich  zur  Unter- 
haltung geschaffen  waren, •'^)  weshalb  schon  der  Kaiser  Julian  der  kräftigen 


')  Suidas  unter  Ja/ÜQtjg,  Photios,  Bibl. 
p.  341  Bekk.,  Marinos,  vit.  Procl.  c.   11. 

2)  L.  Cohn  in  Philol.  Abhandl.  zu  Ehren 
von  M.  Hertz  S.  125  f. 

•')  Chassang,  Histoire  du  roman  dans 
Vantiquite^  Paris  1862;  NicolaI;  Entstehung 
u.  Wesen  des  griech.  Romans,  Berl.  18(j7; 
RoHDE,  Der  griechische  Roman  und  seine 
Vorläufer,  Leipz.  1870,  Hauptwerk. 


^)  In  der  gleichen  Atmosphäre  entstanden 
die  Wundergeschichten  der  christlichen  Hei- 
ligen, von  denen  unten;  beachtenswert  ist 
es,  dass  geradezu  2  Romane  späteren  christ- 
lichen Bischöfen  zugeschrieben  wurden. 

')  Lucian,  Wahre  Geschichten  1,  1:  ro?q 
71€qI  rovg  Xoyovg  eoTiov^axöoir  rjyovfxai  tjqoo- 
ijxeit^  ^8TCi  zrjv  noXXrjv  tvju  anovdaioTeQwr 
upuyvMOiy  uviivca  irjv  ^lüvoiav  .  .  .  yiroiio 


680 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Nahrung    wirklicher    Geschichtserzählung    vor    der    leichten    Ware    dieser 
phantasieerhitzenden  Erdichtungen  den  Vorzug  gab.  ^) 

551.  Als  Vorläufer  des  Romans  können  die  milesischen  Fabeln  {Mi- 
Xrjaiaxcc)  des  Aristides  von  Milet  und  die  Erzählungen  erotischer  Lebens- 
schicksale {sQonixd  Tra^rj/nara)  des  Parthenios  angesehen  werden.  Die 
ersteren,  die  sich  einer  seltenen  Beliebtheit  erfreuten,  sind  uns  leider  ver- 
loren gegangen,  doch  kann  uns  von  ihrem  Ton  die  hübsche  Erzählung  in 
Petronius  Arbiter  c.  111  eine  gute  Vorstellung  geben  ;^)  in  der  Grazie  der 
Erzählung  und  in  der  schlüpfrigen  Anzüglichkeit  ihres  Inhaltes  vergleichen 
sie  sich  den  altfranzösischen  fabliaux  und  den  Novellen  Boccaccios.  3)  Die 
iQMTixd  Tta&i]}.iaTa  des  Parthenios,  die  wir  noch  besitzen,  sind  aus  Histo- 
rikern und  Dichtern  in  Exzerptenform  zum  Zwecke  dichterischer  Anleitung 
zusammengetragen  und  vom  Verfasser  seinem  Freunde,  dem  römischen 
Elegiker  Cornelius  Gallus,  gewidmet.*)  Nach  dem  Verlust  der  Originale, 
aus  denen  das  Büchlein  gezogen  ist,  hat  dasselbe  für  uns  grossen  Wert, 
der  noch  dadurch  erhöht  wird,  dass  die  Quellen  der  einzelnen  Erzählungen, 
wenn  auch  nach  Herchers  Nachweis*'')  erst  von  fremder  Hand  angemerkt 
sind.^)  Es  sind  aber  dieselben  teils  aus  den  Tragikern,  teils  aus  alexan- 
drinischen  Elegikern,  teils  aus  den  Lokalhistorikern  namentlich  von  Lesbos, 
Milet,  Naxos  entnommen. 

Unter  den  eigentlichen  Romanschriftstellern  sind  die  ältesten,  von 
dem  schon  oben  §  488  besprochenen  Lukios  von  Paträ  abgesehen,  Antonios 
Diogenes,  lamblichos  und  Xenophon. 

Antonios  Diogenes  wird  von  Rohde,  Griech.  Rom.  258,  ins  1.  Jahr- 
hundert gesetzt;    sicher  lebte  derselbe  vor  Lukian,  der  ihn  in  den  wahren 
Geschichten    und    im    Ikaromenippos    parodierte.     Von   seinem    24   Bücher 
füllenden  Roman   über  die  Wunderdinge  jenseit  Thule's  {tmv  vntQ  Oovhjv 
dniatwv  Xoyoi  xS')  sind   uns   ausser   dem  Auszug  des   Patriarchen  Photios, 
noch   grössere   Stücke  in  dem   Leben   des   Pythagoras  von   Porphyrios   er-j 
halten.     Die    Einkleidung    der    Erzählung    war    eine    ähnliche    wie   in    des 
Diktys  Cretensis  Tagebüchern  vom  trojanischen  Krieg.'')     Wie  diese,  inj 
einer  Bleikapsel   geborgen,   zur  Zeit  des  Nero  bei   einem  Erdbeben  wieder! 
zum  Vorschein  gekommen  sein  sollten,  so  erzählt  Antonios  Diogenes  seinen] 
Lesern,   dass  der  Hauptheld   seines    Romans,   Dinias,    seine   Erlebnisse   aui 
2  Tafeln  von  Zypressenholz  geschrieben  habe,  die  dann  bei  der  Eroberung' 


tf'  «V  ifXjLie'Aeg  rj  audnavaiq  txvroTg,  sl  roTg 
ToiovToig  rvüv  dvayvioG fitii lov  ofxilolsv,  cc  firj 
fjLovov  EX  rov  dors'iov  re  xcd  /ccQiei'Tog  ifjiXijy 
nciQE^ei  Trjv  xpvj^ayioyiap,  dXkd  Tfcj'«  xal 
x^scDQLap  orx  djuovaoy  imdsi^siKL. 

^)  Julian  I,  386  H. :  tiqetiol  (f'  «V  /jfxTy 
IffTOQiccig  Evxvy^dpEiv,  onöam  avvsyQdcpipav 
snl  7iB7ioir]fxivoig  roTg  e^yoig,  oaa  de  iany  fV 
laTOQiccg  eidei  nagd  roTg  e^ttqogS^sv  dntjyyEX- 
^Eva  nldafxcaa,  nciQcarrjXEov,  EQConxdg  vno- 
i^EffEig  xcd  ndvTci  dn^Mg  rd  roiccvra. 

2)  Aus  den  milesischen  Erzählungen 
scheint  auch  die  Erzählung  bei  Aelian  fr,  12 
zu  stammen.  Die  lateinische  Übersetzung 
des  Sisenna  ist  gleich  dem  Original  verloren 


gegangen.  ,,  "i 

^)  P]rw.   Rohde,    Über   griechische   No- 
vellendichtung und  ihren  Zusammenhang  mitj 
dem  Orient,    Vhdl.    d.    30.   Vers.  d.  Phil.  S, 
55-70. 

4)  Siehe  §  327. 

5)  Hekchek,  Herm.  12,  306  flF. 
^)  Siehe  §  523   über  ein  ähnliches  Ver- 
hältnis bei  Antoninus  Liberalis. 

'')  Nach  Suidas  hatten  diese  'Ecf?;uEQi<^sg 
9  Bücher,  von  denen  sich  nur  die  lateinische 
Bearbeitung  des  Septimius  de  hello  Troiano 
aus  dem  Anfang  des  4.  Jahrhunderts  er- 
halten hat. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   c)  Der  Roman.  (§551—552.)     681 

von  Tynis  durch  Alexander  in  der  Grabkammer  des  Dinias  wieder  zum 
Vorschein  gekommen  seien,  i)  Jene  Erlebnisse  aber  drehen  sich  um  die 
Liebe  des  Arkadiers  Dinias  zur  schönen  Derkyllis,  der  Tochter  eines  vor- 
nehmen Tyriers,  die  derselbe  in  dem  äussersten  Thule  kennen  gelernt  hatte. 
Unter  den  Nebenpersonen  spielt  Astraios,  ein  Schüler  des  Pythagoras,  eine 
Rolle;  in  die  Liebesabenteuer  sind  mancherlei  phantastische  Berichte  von 
Reisen  zu  den  äussersten  Erdwinkeln,  ja  bis  zum  Hades  und  bis  zum  Mond 
eingeflochten. 

lamblichos  von  syrischer  Herkunft  schrieb  unter  Lucius  Verus 
BaßvXaniccxd  in  35  Büchern.  Dieselben  enthielten  die  wunderbaren  Ge- 
schicke des  Liebespaares  Sinonis  und  Rhodanes,  das  verfolgt  von  dem 
Könige  Babylons,  der  sich  in  die  schöne  Sinonis  verliebt  hatte,  aus  einem 
Abenteuer  in  das  andere  gestürzt  wurde;  erhalten  ist  uns  nur  ein  trockener 
Auszug  der  ersten  16  Bücher  durch  Photios. 

Xenophon  der  Ephesier,  den  Suidas  neben  zwei  anderen  Roman- 
schriftstellern gleichen  Namens,  aber  verschiedener  Herkunft  anführt,  wird 
von  den  neueren  Forschern  ^)  in  die  Grenzscheide  des  2.  und  3.  Jahrhunderts 
gesetzt  und  schrieb  jedenfalls  den  uns  erhaltenen  Roman  Ephesiaka^)  noch 
vor  der  Zerstörung  des  berühmten  Tempels  der  Diana  in  Ephesos  (263). 
Die  Anlage  desselben  erinnert  an  die  Odyssee:  zwei  Liebende,  Habrokomes 
und  die  schöne  Antheia,  welche  gleich  der  keuschen  Penelope  allen  Verlockungen 
widerstanden  hatte,  erzählen  sich,  nachdem  sie  sich  nach  langen  Irrfahrten 
endlich  in  Rhodos  wiedergefunden,  ihre  früheren  Erlebnisse.  Mit  der  Odyssee 
teilt  der  Roman  auch  die  Einlage  zahlreicher  Episoden.  Die  Erzählung  ist, 
wenn  auch  mitunter  knapp,  so  doch  fliessend  und  anmutig. 

552.  Hello doros  aus  Emesa  ist  Verfasser  des  meistgelesenen  und 
umfangreichsten  der  uns  erhaltenen  Romane,  des  avvtayixa  tcov  tisqI  Ssci- 
yärrjv  xal  XaqixXeiav  AIOiotiixmv  in  10  B.  Hauptheldin  des  Romans  ist 
die  äthiopische  Königstochter  Charikleia,  welche  von  der  Mutter  aus  Furcht 
vor  dem  Argwohn  ihres  Mannes  ausgesetzt  nach  Delphi  gebracht  worden 
war,  dort  bei  den  delphischen  Spielen  den  schönen  Theagenes  kennen  ge- 
lernt hatte  und  nach  vielen  und  schweren  Gefahren  endlich,  als  sie  mit 
Theagenes  bereits  zum  Opfertode  geführt  wurde,  als  Königstochter  wieder 
erkannt  und  dem  Theagenes  feierlich  angetraut  wird.  Der  Erzählung  eignen 
gegenüber  der  des  Xenophon  die  Hauptvorzüge  des  Romans,  epische  Breite, 
Anschaulichkeit  der  Schilderung,  Erhaltung  der  Spannung  des  Lesers.  Wir 
werden  gleich  im  Anfang  in  medias  res,  in  den  wilden  Kampf  der  eifer- 
süchtigen Piratenführer  Trachinos  und  Peloros  an  der  Mündung  des  Nil 
versetzt  und  erfahren  erst  nach  und  nach  aus  dem  Munde  anderer  die 
früheren  Geschicke  der  Charikleia,   die  jene  Scene   der   Eifersucht  hervor- 


')  So  schwindelt  auch  Flaccius  Afri- 
cus    in    dem  Traktat    von    den   7  Planeten- 


^enopliontem     Ephcximn .    Kempten     1887, 
weist  nach,  dass  Xenophon  vor  Heliodor,  der 


pflanzen,  s.  Sathas,    Ms.    gr.    cl,    IV    n.  57:  ihn  nachahmte,  geloht  hat. 

inveni   in    civitate    Troiana   in   monumento  •')  Die    uns    erhaltenen   EcpEaiccxü  haben 

reclusum   praesentem    libelhim   cum  ossibus  5  Bücher,  Suidas   hingegen   spricht   von    10 

primi  rcgis  Kiranidis.  \    Büchern,    weshalb    Kohde   S.  401    an    einen 

'^)  Roiide,  Griech.  Rom.  S.  392.    Schnepf,  i   Auszug  denkt. 
De  imitationis  ratione  intcr  Heliodonim  et 


682 


Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 


gerufen  hatte,  und  des  Theagenes,  der  in  jenem  Kampfe  schwer  verwundet 
worden  war.  Im  übrigen  wird  der  Vorhang  erst  nach  und  nach  weiter 
aufgezogen  und  das  volle  Geheimnis  erst  am  Ende  enthüllt,  freilich  so, 
dass  wir  von  der  Mitte  (IV,  8)  an  den  weiteren  Verlauf  und  den  schliess- 
lichen  Ausgang  unschwer  erraten.  In  der  Kunst  der  lebendigen  Schilderung 
äusserer  Dinge,  wie  der  pythischen  Spiele  und  der  Sümpfe  an  der  Nil- 
mündung, fordert  Heliodor  seinesgleichen;  weniger  gelingt  ihm  die  Dar- 
stellung des  inneren  Seelenlebens,  zumal  wir  in  diesem  Punkte  aus  der 
Natürlichkeit  antiker  Auffassung  ganz  in  die  dumpfe  Atmosphäre  des  Orakel- 
und  Dämonenglaubens  versetzt  werden.  Gleich  die  Haltung  der  beiden 
Hauptpersonen,  die  geschworen  hatten,  sich  der  geschlechtlichen  Berührung 
bis  zur  Aufdeckung  der  Herkunft  der  Charikleia  zu  enthalten,  die  sich 
aber  trotzdem  in  Liebkosungen  und  Umarmungen  nicht  genug  thun  können, 
hat  etwas  unnatürliches,  was  am  wenigsten  zum  hellenischen  Wesen  passt. 
Das  geringste  Lob  verdient  der  sprachliche  Ausdruck;  Heliodor  war  eben 
Semite  von  Geburt,  und  es  war  ihm  nicht  so  gut  wie  seinem  Landsmann 
Lukian  geglückt,  sich  in  das  fremde  Idiom  hineinzuleben;  er  verrät  sich 
überdies  mehr  denn  gut  als  Schüler  der  Sophistik  nicht  bloss  in  den  ein- 
gelegten Reden  und  Gerichtsverhandlungen,  sondern  auch  in  den  überkühnen 
Metaphern  und  gesuchten  Wendungen.  Von  den  alten  Autoren  war  ihm 
ausser  Homer  besonders  Euripides  geläufig,  von  dessen  Hippolytos  er  die 
weitausgesponnene  Episode  von  der  Liebe  der  Demainete  zu  ihrem  Stief- 
sohn Knemon  kopierte,  i)  —  Der  Verfasser  gibt  sich  selbst  am  Schlüsse 
seines  Werkes  mit  den  Worten  kund:  avvtral^sv  dvrjQ  (Potvi'^  'Efxrjaavog  xmv 
a(fj'  ^Hh'ov  OeoSoaiov  naig  ^HliööwQog.  Damit  sagt  uns  derselbe  nicht  viel 
mehr  als  wir  aus  dem  Buche  selbst  erraten  würden.  Das  Priestertum  und 
speziell  der  Sonnenkult  spielt  eben  eine  Hauptrolle  in  dem  Roman  und 
zeigt  sich  auch  von  seiner  vorteilhaften  Seite  in  der  reineren  Moral,  der 
Scheu  vor  dem  Selbstmord,  der  Abwesenheit  der  Knabenliebe,  der  strengen 
Büssung  auch  kleiner  Vergehen.  Leider  sagt  uns  Heliodor  nichts  von  der 
Hauptsache,  die  wir  zu  wissen  wünschten,  von  der  Zeit,  in  der  er  lebte. 
Der  wichtigste  Anhaltspunkt  bleibt  uns  daher  die  Notiz  des  im  5.  Jahr- 
hundert lebenden  Kirchenhistorikers  Sokrates,  Hist.  eccl.  V,  22.  51,  dass 
der  Bischof  von  Trikka  in  Thessalien  in  seiner  Jugend  den  Roman  verfasst 
habe.'^)  Denn  wenn  auch  diese  Angabe  wie  Rohde,  Griech.  Rom.  432  ff. 
zu  erweisen  sucht,  falsch  ist,  so  bleibt  doch  wenigstens  das  sicher,  dass 
Heliodor  vor  dem  5.  Jahrhundert  gelebt  haben  muss.  Auf  der  anderen 
Seite  scheinen  die  siegreichen  Kämpfe  des  Aethioperkönigs  gegen  die  Sa- 
trapen von  Oberägypten  ein  Reflex  der  wachsenden  Macht  der  Blemyer 
zu  sein,  welche  Diokletian  mit  der  Zahlung  eines  schimpflichen  Tributes 
abfinden  musste.^) 


')  Heliodor  selbst  war  hinwiederum  be- 
liebtes Vorbild  der  französischen  Dramatiker, 
worüber  Tüchert,  Racine  u.  Heliodor,  Zwei- 
brücken  Progr.   1889. 

^)  Ein  Christ  warder  Heliodor,  der  die 
269  holprigen  Trimeter  tieqI  xi]?  twv  cpilooö- 
cfoii^  fxv7Tixi]g  Ts^ft]?  in  der  Zeit  des  Kaisers 


Theodosios  verfasste;  aber  dieser  Heliodor 
hat  mit  dem  unseren,  dem  er  weit  an  sprach- 
licher Gewandtheit  nachsteht,  nichts  zu  thun. 
^)  Procop.,  Bell.  Pers.  I,  19;  beachtens- 
wert ist,  dass  Suidas  oder  Hesjxhius  von 
Milet  den  Heliodor  ebenso  wie  Chariton  und 
Longus  in  seinem  Lexikon  nicht  erwähnt. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  c)  Der  Roman.  (§553-555.)     G83 

553.  Achilles  Tatius  ('Axi^^^fvg  TccTiog)^)  aus  Alexandria,  Verfasser 
der  Geschichte  von  Leukippe  und  Klitophon  (td  xaxd  Af:imnTii]v  xal 
KX€iTo(fo)VTa  ßißX.  r/),  und  neben  Heliodor  der  gelesenste  Romanschrift- 
steller des  Mittelalters, 2)  lebte  nach  Heliodor,  den  er  vielfach  plünderte; 
ob  auch  nach  Musaios,  lässt  sich  deshalb  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden, 
weil  man  mit  dem  gleichen  Recht  Benützung  des  Musaios  durch  Tatios  als 
umgekehrt  annehmen  kann.^)  Nach  Suidas  trat  er  zum  Christentum  über 
und  wurde  sogar  Bischof.  Seinem  Roman  merkt  man  nichts  von  christ- 
licher Moral  an;  umgekehrt  gehört  die  Diskussion  des  Themas,  ob  die 
Mädchenliebe  oder  die  Knabenliebe  den  Vorzug  verdiene  (2,  35 — 38),  zu 
den  gemeinsten  Stellen  der  alten  Litteratur.  Auch  in  der  Kunst  der  Kom- 
position steht  er  dem  Heliodor  nach;  die  Charakterzeichnung  und  Scenen- 
schilderung  tritt  zurück  hinter  dem  sophistischen  Beiwerk  von  Reden,  Briefen 
und  Bilderbeschreibungen,  welche  die  eigentliche  Erzählung  in  üppiger  Fülle 
überwuchern. 

554.  Chariton  gilt  uns  als  Repräsentant  des  historischen  Romans, 
indem  er  seine  Geschichte  des  Chaireas  und  der  Kallirrhoe  in  die  Zeit  des 
peloponnesischen  Krieges  verlegt,  wo  der  Vater  der  Kallirrhoe,  Hermokrates, 
als  Feldherr  der  Syrakusaner  die  Athener  besiegte.  Auch  der  Abfall  der 
Ägyptier  von  den  Persern,  in  den  das  Geschick  des  Chaireas  verflochten 
wird,  hat  eine  historische  Basis,  ist  aber  ohne  genaue  Beachtung  der  Chro- 
nologie nur  herangezogen,  um  die  Helden  des  Romans  an  den  Hof  des 
Perserkönigs  kommen  zu  lassen.  Im  übrigen  ist  der  Roman  des  Cha- 
riton der  geringste  von  allen.  Der  Inhalt  lässt  überall  die  kunstlose  Nach- 
ahmung des  Xenophon  und  Heliodor  erkennen,  die  Sprache  ist  eintönig 
und  voll  von  Solökismen,  die  eingelegten  Volksversammlungen  und  Ge- 
richtsverhandlungen verraten  einen  Mann,  der  von  dem  öffentlichen  Leben 
der  alten  Zeit  kein  Verständnis  hatte.  Von  der  Zeit  und  den  persönlichen 
Verhältnissen  des  Verfassers  wissen  wir  so  gut  wie  nichts.  Denn  selbst 
seine  eigene  im  Anfang  und  am  Schluss  seines  Werkes  wiederholte  Angabe, 
dass  er  aus  Aphrodisias  stamme  und  Schreiber  des  Rhetors  Athenagoras 
sei,  scheint  auf  Pseudonyme  Erdichtung  hinauszulaufen. 

555.  Aus  älterer  Zeit  stammt  das  ganz  in  sagenhafte  Erzählungen 
aufgelöste  Leben  Alexanders  von  Pseudo-Kallisthenes,  dessen  Kern  in 
der  Ptolemäerzeit  entstanden  ist,*)  wie  die  Hervorhebung  des  Ptolemaios 
im  Briefe  Alexanders  an  Aristoteles  wahrscheinlich  macht,  das  aber  später 
unter  den  orientalischen  Kaisern  des  3.  Jahrhunderts  erweitert  und  fort- 
gesponnen ward."')     Die  romanhaft  ausgeschmückte  Geschichte  des  grossen 


^)  RoHDE,  Griech.  Rom.  472. 

2)  Vgl.  Bekkeb,  An.  gr.  p.  1082. 

^)  Das  crsiere  nimmt  Rohde,  S.  472 
Anm.  2  an. 

^)  Rohde,  (4iiccli.  Rom.  184  ff. 

^)  Auf  die  römische  Kaiserzeit  führt  die 
Erwähnung  des  Favorinus.  Wie  die  Ale- 
xandersage im  3.  Jahrhundert,  als  die  Ale- 
xander auf  dem  Kaiserthron  sassen,  ins 
Wunderbare  ausartete,  ersieht  man  aus 
AoJian  V.  H.  I,  25.     Auf  das  3.  Jahrhundert 


weist  auch  der  Bau  der  eingelegten  Verse 
hin,  worüber  Deutschmann,  IJc  poesis  Grae- 
coruvi  rhythmicae  primordiis,  Malmcdy  1883 
p.  17.  Im  übrigen  s  Zacher,  Pseudocalli- 
sthenes,  Forschungen  zur  Kritik  und  Ge- 
schichte der  ältesten  Aufzeichnung  der  Alexan- 
dersage, Halle  1807;  Hertz,  Aristoteles  in  der 
Alexandergeschichte  des  Mittelalters,  Abhdl. 
d.  b.  Ak..t.  XIX,  1890.  Kubier  in  der  Ausg. 
der  lat.  Übersetzung  stellt  einen  Aesopus 
als  Verfasser  des  griechischen  Originals  auf, 


584  Griechische  Litteraturgeschichte.    II.  Nachklassische  Litteratur. 

Königs  gefiel  so  sehr,  dass  dieselbe  ins  Lateinische,  Syrische  und  Armenische 
übertragen  wurde.  ^) 

Der  Alexandergeschichte  ist  in  den  Handschriften  die  romanhafte 
Schrift  des  Palladios  über  Indien  und  die  Brahmanen  {tisqI  twv  rrjg  ^IvSiag 
€^rd)i'  xal  rah'  BqayiKxvoov)  angehängt.  In  derselben  teilt  der  nicht  näher 
bekannte,  um  400  n.  Chr.  lebende  Verfasser  allerlei  fabelhafte  und  erbau- 
liche Geschichten  von  den  Gymnosophisten,  den  in  der  römischen  Kaiserzeit 
vielgenannten  Weisen  Indiens,  mit. 

Nur  aus  fremdländischen  Übersetzungen  und  Überarbeitungen  ist  uns 
die  Geschichte  des  Apollonius  von  Tyrus  bekannt;  die  älteste  uns  er- 
reichbare Gestalt  des  Romans  in  lateinischer  Sprache  scheint  auf  ein  grie- 
chisches Original  des  3.  Jahrhunderts  zurückzugehen.  2) 

556.  Longo s  ist  der  Verfasser  des  berühmten,  namentlich  zur  Zeit 
der  Renaissance  vielgelesenen  Hirtenromans  Jdtpvig  xal  Xlorj  in  4  B.  Von 
der  Zeit  und  dem  Leben  des  Verfassers  selbst  ist  uns  nichts  überliefert. 
Jedenfalls  lebte  er  noch  mitten  im  Heidentum  und  stammte  aus  der  Insel 
Lesbos.  Denn  in  Lesbos  lässt  er  seine  Erzählung  spielen  und  von  den 
Ortlichkeiten  der  Insel  entwirft  er  die  anschaulichsten,  von  Autopsie 
zeugenden  Schilderungen,  etwas  was  um  so  mehr  auf  persönlichen  Be- 
ziehungen des  Autors  beruhen  muss,  als  sonst  Sikilien  Sitz  der  bukolischen 
Poesie  war.  Die  Hirtengeschichten  unseres  Longos  sind  nämlich  die  letzten 
Erzeugnisse  der  bukolischen  Muse  und  unterscheiden  sich  von  den  Idyllen 
nur  durch  die  prosaische  Form  und  die  Einflechtung  der  Bilder  in  den 
Rahmen  einer  zusammenhängenden  Erzählung,  hier  von  den  Geschicken 
zweier  ausgesetzten  Kinder,  die  von  gutmütigen  Hirten  aufgenommen, 
schliesslich  als  Kinder  reicher  Eltern  von  Mytilene  erkannt  werden,  aber 
die  lieblichen  Triften  so  lieb  gewonnen  hatten,  dass  sie  dieselben  wieder 
aufsuchen,  um  dort  ihre  Hochzeit  zu  feiern  und  fern  von  der  Stadt  ein 
glückliches  Leben  zu  führen.  Bevölkert  ist  wie  in  den  Idyllen  die  Scene 
von  den  anmutigen  Gestalten  der  ländlichen  Muse,  von  Nymphen,  Eroten 
und  Panen.  Nur  wird  die  Unschuld  des  Hirtenlebens  arg  gestört  durch 
die  lüsternen  Schilderungen  nacktester  Sinnlichkeit,  wie  von  der  scham- 
losen Verführerin  Lykainion  und  dem  lockeren  Päderasten  Gnathon.  Der 
Stil  des  Romans  mit  seinen  kurzen  Sätzen  und  seiner  einfachen  Diktion  ist 
trefflichst  dem  Charakter  des  Gegenstandes  angepasst  und  kann  uns  als 
wahres  Muster  derjenigen  Stilgattung  gelten,  welche  die  Alten  mit  dem 
Namen  difeXsg  bezeichneten. 

Erotici  scriptores  graeci  ed.  Mitscherlich,  3  vol.,  Bipocti  1794;  recogn.  Hekcheb 
in  Bibl.  Teubn.  1858,  2  Bde.;  reo.  Hirschig,  Le  Pas  Läpaume  et  Boissonade,  Par.  1856.  — 
Xenophon  Eph.  ed.  Peerlkamp,  Harlem  1806.  —  Heliodor  rec.  Mitscherlich,  Argent.  1798, 
2  Bde.;  rec.  Koraes,  Paris  1804;  dazu  Thereianos  im  Leben  Koraes,  Triest  1889  t.  I, 
p.  382  fF.  —  Longus  ed.  Villoison,  Paris  1778  mit  reichem  Kommentar;  ed.  Courier,  Rom 
1810  auf  Grund  der  allein  massgebenden  Florentiner  Handschrift;  ed.  Seiler  cum  notis 
Bruncläi  Schaeferi  etc.,  Lips.  1843.  —  Achilles  Tatius  rec.  et  not.  adi.  Jacobs,  Lips.  1821, 
2  vol.  -  -  Chariton  ed.  d'ORviLLE  (1750),  ed.  II  cur.  C.  D.  Beck,  Lips.  1783.  —  Callisthenes 

^)  Ins  Lateinische  wurde  dieselbe  zwei-  j  Landgraf  1885;    des    ersteren   von    Kübler 

mal    übertragen,   zuerst  von  Julius  Valerius  '  in  Bibl.  Teubn.  1888. 

im  Beginne    des  4.  Jahrhunderts,   und  dann  1  '^)  Historia  Äpollonü  ed.  Riese  in  Bibl. 

nochmals    von    dem    Archipresbyter  Leo    im  I  Teubn. 

10.  Jahrhundert.     Ausgabe  des  letzteren  von  | 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  c)  Der  Roman.  (§  556—557.)     685 


ed.  Müller,  Par.  1846.  —  Palladius  ed.  Bissaeus.  Lond.  1665;  ed.  Müller  in  der  Ausg. 
des  Callisthenes  p.  102-120;  neue  kritische  Hilfsmittel  und  eine  lateinische  Übersetzung 
weist  nach  Bernhardt,  Anal,  in  geogr.  gr.  min.  p.  34-48. 

557.  Eine  Abart  des  Romans  bilden  die  erotischen  Briefe.  Er- 
finder der  poetischen  Epistel  ist  Ovid,  dessen  epistolae  heroidum  bekannt- 
lich so  viel  Anklang  fanden,  dass  sich  viele  in  der  gleichen  Art  poetischen 
Spiels  versuchten.  Mit  besonderem  Eifer  aber  griff  die  griechische  Sophistik 
diese  Gattung  fingierter  Briefe  auf,  zumal  es  schon  in  älterer  Zeit  zu  den 
Lieblingsaufgaben  der  Khetoren  gehört  hatte,  grossen  Männern,  namentlich 
berühmten  Philosophen  und  Rednern  Briefe  zu  unterlegen,  i)  Die  Sophistik, 
wie  sie  in  der  römischen  Kaiserzeit  zur  Blüte  kam,  hatte  es  ohnehin  vor- 
nehmlich mit  fingierten  Thematen  zu  thun  und  pflegte  um  so  eifriger  jene 
Gattung  erdichteter  Briefe.^)  Die  ältesten  erotischen  Briefe  [sQdnixal  sm- 
üTolai),  von  denen  wir  Kenntnis  haben, ^)  sind  die  des  Rhetors  Lesbonax 
aus  der  Zeit  des  Augustus.*)  Idyllische  Liebespoesie  durchweht  auch  die  be- 
reits oben  S.  604  u.  608  besprochenen  ländlichen  Briefe  der  Sophisten  Philo- 
stratos  und  Aelian.  Nur  durch  Suidas  haben  wir  Nachricht  von  dem 
Epistolographen  Zonaios,  der  erotische  und  ländliche  Briefe  schrieb,'')  so- 
wie von  Melesermos,  einem  athenischen  Sophisten  aus  ungewisser  Zeit, 
von  dem  Suidas  Hetären-,  Bauern-,  Fleischer-,  Feldherrnbriefe  anführt.  Auf 
uns  gekommen  sind  die  Liebesbriefe  von  Alkiphron  und  Aristainetos. 

Alkiphron,  vermutlich  jüngerer  Zeitgenosse  des  Lukian,^)  hat  118 
Briefe  in  5  B.  hinterlassen,  die  in  feingezeichneten  Skizzen  verschiedene 
Verhältnisse  des  heiteren  Genusslebens  der  hellenistischen  Zeit  wiedergeben 
und  von  schwärmerischer  Liebe  für  Athen  und  attisches  Leben  durchhaucht 
sind.  Ihre  Anziehungskraft  besteht  in  dem  poetischen  Reiz,  der  sie  um- 
fliesst;  einige,  wie  die  zwischen  Menander  und  seiner  Geliebten  Glykera 
(2,  3  und  4),  haben  noch  ein  besonderes  Interesse  durch  die  Mitteilungen 
über  die  Lebensverhältnisse  grosser  Männer  der  Litteratur;  andere  können 
uns  gewissermassen  als  Kommentar  von  berühmten  Werken  der  Kunst 
gelten,  wie  der  39.  Brief  des  1.  Buches  von  der  'AcpQoStTri  xaXh'Trvyog. 

Aristainetos,  der  zweite  Epistolograph,  wurde  früher  irrtümlich  mit 
dem  Aristainetos  aus  Nikäa,  der  im  Jahre  358  bei  dem  Erdbeben  von 
Nikomedia  umkam  und  an  den  mehrere  Briefe  des  Synesios  gerichtet  sind, 
identifiziert;    er  lebte  vielmehr  nach  I,  26,   in  welchem  Brief  ein  zur  Zeit 


')  Das  ganze  Gewirr  der  Brieffälschun- 
gen wurde  zuerst  blossgelegt  von  Bentley, 
De  epistolis  Phalaridis  1697  (ursprünglich 
englisch,  dann  ins  Lateinische  übersetzt  von 
Lennep;  die  lat.  Bearbeitung  in  Bentleii  opusc. 
philol..  Lips.  1781,  deutsche  Bearbeitung  von 
W.  Ribbeck,  Leipz,  1857),  in  der  mit  bewun- 
derungswürdigem Scharfsinn  die  Unechtheit 
zunächst  der  Briefe  des  Phalaris,  dann  aber 
auch  der  des  Themistokles,  Sokrates.  Pkiri- 
pides  u.  a.  aufgedeckt  ist.  Die  Untersuchun- 
gen sind  weiter  geführt  von  W estermann. 
De  epistolarum  scriptorihus  graecis,  8  Pro- 
gramme, Leipz.  1800— 5.  Schwer  ist  im 
einzelnen  zu  bestimmen,  aus  welcher  Zeit 
die  Fälschungen  stammen;  schon  dem  Ari- 
stophanes    von   Byzanz   lagen    die    unechten 


Briefe  Piatons  vor. 

'^)  Den  ETJiaxohy.oq  /aQaxrt'jQ  bespricht 
bereits  Demetrios  de  interpr.  223;  dann  haben 
wir  über  ihn  eine  eigene  Schrift  des  Proklos 
Diadochos. 

^)  Schol.  Luciani   de  salt.  09. 

4)  Vgl.  §  409. 

•'■)  Diesem  Zonaios  hat  der  Fälscher 
Palaiokappa  in  Cod.  Paris.  2929  auch  die 
anonyme  Schrift  tieqI  aj()judr(Oi^  beigelegt, 
wie  L.  CoHN,  Phil.  Abh.  an  Hertz  S.  128  f. 
nachgewiesen  hat. 

^)  Als  Zeitgenosse  gedacht  von  Ari- 
stainetos epist.  1,  5  u.  22.  Beiden  gemein- 
sam sind  auch  die  Reminiszenzen  von  V^eisen 
der  Komödie;  s.  Kock,  Rh.  1\I.  A'.\,  29  ff. 


ßS6 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


des  Sidonius  Apollinaris  lebender  Mime  Camarullus  genannt  ist,  um  die 
Wende  des  5.  und  6.  Jahrhunderts.-)  Seine  2  Bücher  erotischer  Briefe 
enthalten  vollständige  Liebesnovellen,  eingekleidet  in  die  Form  von  Briefen, 
denen  aber  nur  zu  sehr  der  Zauber  attischer  Anmut  und  origineller  Sprache 
abgeht.  Seine  Hauptquelle  waren  die  erotischen  Elegien  der  Alexandriner; 
so  erzählt  er  I,  10  die  Liebe  der  Kydippe  und  des  Akontios  nach  den  Aitia 
des  Kallimachos. 

Briefe  überhaupt  gehörten  zu  den  Liebhabereien  der  Sophisten  der 
zweiten  Periode,  indem  sie  teils  den  berühmten  Männern  des  Altertums 
Briefe  an  Zeitgenossen  unterlegten,  teils  ihre  eigenen  Briefe  als  Stilproben 
der  Öffentlichkeit  übergaben.  Ausser  den  an  anderer  Stelle  angeführten 
Briefen  des  Libanios,  Julian,  Synesios,  Basileios  seien  hier  noch  erwähnt 
die  eleganten  kurzen  Briefe  des  Aineias  aus  Gaza  (um  500),  eines  Schülers 
des  Sophisten  Hierokles,-)  und  die  idyllischen  ^EniaToXal  rj^ixal  dyQoixixal 
bvaiQiKai  des  Theophylaktos  Simokattes,  der  unter  Kaiser  Heraklios 
blühte  und  demnach  schon  dem  byzantinischen  Mittelalter  angehört.^) 

J^pistologra])Jn  graeci  rec.  Heecher,  Paris  bei  Didot  1873.  —  Alciphron  ed.  Berglee, 
Leipz.  1715;  ed.  Wagner,  Leipz.  1878  in  2  Bänden;  ed.  Meineke,  Leipz.  1853.  —  Ari- 
stainetos  ed.  Boissonade,  Par.  1822, 

d.  Die  Philosophie. 

558.  Gegen  Schluss  des  Altertums  raffte  sich  nochmals  die  griechische 
Philosophie  zu  kräftigerem  Anlauf  zusammen,  um  den  alten  Besitz  gegen 
den  Ansturm  orientalischer,  in  religiöses  Gewand  gekleideter  Philosopheme 
zu  verteidigen.  Die  Religion  hatte  in  dem  griechischen  Geistesleben  der 
klassischen  Zeit  eine  untergeordnete  Stelle  eingenommen.  Die  bunten  Ge- 
stalten des  griechischen  Polytheismus  wurden  frühzeitig  von  einem  Gewebe 
poetischer  Mythen  umsponnen;  die  Göttervorstellungen  gewannen  dadurch 
an  künstlerischer  Schönheit,  verloren  aber  um  so  mehr  an  ehrwürdiger 
Hoheit.  Es  kamen  dann  die  Philosophen,  welche  teils,  unbekümmert  um 
die  Lehren  der  Priester,  ihre  eigenen  Ideen  über  Gott  und  Sittlichkeit  auf- 
stellten, teils  geradezu  die  überlieferten  Anschauungen  der  Menge  mit  den 
scharfen  Waffen  der  Dialektik  und  Satire  bekämpften.  Zu  den  aufgeklärten 
Geistern,  welche  sich  entweder  von  den  religiösen  Opfern  und  Gebräuchen 
ganz  fern  hielten  oder,  wenn  sie  dieselben  mitmachten,  nur  der  Überliefe- 
rung der  Väter  einen  erzwungenen  Tribut  brachten,  zählte  nahezu  alles, 
was  in  Wissenschaft,  Kunst  oder  Staatsverwaltung  eine  Rolle  spielte.  Es 
ist  gerade  diese  Freiheit  des  Geistes,  welche  der  Phantasie  der  griechi- 
schen Dichter  und  Künstler  den  höheren  Schwung  gab  und  den  Werken 
der  klassischen  Autoren  ihre  geistbefreiende  Anziehungskraft  verleiht.  Aber 
übersehen  darf  man  dabei  nicht,  dass  die  menschliche  Begehrlichkeit,  nicht 


^)  Mercier  in  der  Ausgabe  von  Bois- 
sonade p.  581.  Über  Nachahmungen  des 
Achilles  Tatius  siehe  Rohde,  Griech.  Rom. 
473  An. 

2)  Die  Briefe  bei  ITercher,  Epistologr. 
gr,  p.  24 — 32.  Ausserdem  schrieb  derselbe 
einen  Dialog  über  die  Unsterblichkeit  der 
Seele,    (s^eocpQuajog    betitelt,    herausgegeben 


mit  dem  Dialog  U/u/uojyiog  des  Zacharias 
Scholastikos  (um  530)  von  Boissonade,  Ae- 
necis  Gazaeus  et  Zacharias  Mitylenaeus, 
De  immortalitate  animae  et  consummatione 
miindi,  Paris  1836. 

2)  Die  Briefe  bei  Hercher,  Epistologr.' 
gr.  p.  763—786;  im  übrigen  s.  Krumbacher, 
Byz.  Litt. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.     3.  Die  Prosa,  d)  Philosophie.  (§  558.)     687 


gezügelt  durch  Gottesfurcht  und  Religion,  in  nackte  Sinnlichkeit  sich  ver- 
irrte, und  dass  mit  dem  zunehmenden  Verfall  des  religiösen  Glaubens  die 
sittliche  Fäulnis  immer  mehr  die  menschliche  Gesellschaft  zersetzte.  Das 
ebnete  den  orientalischen  Religionen,  in  denen  die  Gesetze  der  Sittlichkeit 
und  Menschenliebe  durch  Lehren  der  Religion  festgesetzt  und  an  religiöse 
Gebräuche  gebunden  waren,  den  Weg  zu  immer  weiterer  Verbreitung.  Die 
ägyptischen  Isispriester  mit  ihrer  asketischen  Reinheit  des  Lebenswandels, 
die  Juden  mit  ihrem  hehren  Monotheismus,  die  Mithrasdiener  mit  ihren 
Sühne-  und  Reinigungsgebräuchen,  die  Christen  mit  ihrer  Religion  der 
Bruderliebe  und  Menschenwürde  begannen  seit  Anfang  des  römischen  Kaiser- 
reiches, seitdem  die  alten  Schranken  der  Völker  gefallen  waren,  allwärts 
sich  zu  rühren  und  Anhänger  zu  werben.  Die  Griechen,  bisher  gewohnt, 
das  Szepter  im  Reiche  des  Geistes  zu  führen,  sahen  sich  allmählich  in 
ihren  Ansprüchen  bedroht.  Der  Spott,  wie  ihn  Lukian  über  die  Geistes- 
befangenheit und  den  Trug  der  orientalischen  Sektierer  ausgoss,  wollte 
allein  nicht  mehr  verfangen,  war  auch  nicht  nach  dem  Sinne  der  tiefer 
und  sittlicher  angelegten  Naturen.  So  suchten  andere  Hellenen  das  Ein- 
dringen fremder  Religionen  dadurch  hintanzuhalten,  dass  sie  die  Rückkehr 
zu  den  frommen  Bräuchen  der  Väter  predigten  und  der  heimischen  Religion 
einen  höheren  sittlichen  Gehalt  einzuimpfen  sich  bemühten.  Der  Hellenismus, 
um  sich  der  barbarischen  Religionen  zu  erwehren,  wurde  selbst  religiös,  i) 
Dieser  Zug  übte  einen  mächtigen  Einfluss  auf  das  Geistesleben  des  unter- 
gehenden Hellenismus  aus,  stellte  aber  namentlich  der  Philosophie,  die 
schon  in  früherer  Zeit  bei  den  Gebildeten  die  Stelle  der  Religion  vertreten 
hatte,  neue  und  schwere  Aufgaben.  Die  Philosophen  versuchten  dieselben 
auf  doppeltem  Wege  zu  lösen:  einmal  bemühten  sie  sich,  das  Höchste,  was 
die  freie  Spekulation  der  Väter  geschaffen  hatte,  die  Weisheit  des  Piaton 
und  Aristoteles,  zu  neuem  Leben  zu  erwecken;  sodann  gaben  sie  dem 
eigenen  Denken  eine  Richtung  auf  das  Göttliche  und  stellten  die  Theo- 
logie, welche  schon  Aristoteles  mit  der  ersten  Philosophie  identifiziert  hatte, ^) 
in  den  Vordergrund  der  philosophischen  Spekulation.  Aber  indem  sie  die 
Erforschung  der  Natur  vernachlässigten  und  unfähig  waren,  mit  der  blossen 
Dialektik  des  Geistes  über  Aristoteles  hinauszukommen,  gerieten  sie  auf 
die  nebelhaften  Wege  des  verklärten  Schauens  und  des  sinneverleugnenden 
Mysticismus.-^)  Das  war  der  sogenannte  Neupiatonis mus,  der  sich  zwar 
schon  vor  Konstantin  zu  regen  begann,  jedoch  als  Ausläufer  der  antiken 
Philosophie  vorzüglich  unserer  Periode  angehört. 

Vorläufer  des  Neuplatonismus  war  Numenios  aus  Apamea  (2.  Jahr- 
hundert n.  Chr.),  der  die  platonische  Lehre  als  Ausfluss  der  pythagoreischen 
Izu  erweisen  suchte   und  die  Gottheit   in  drei  Stufen,    als  reinen  Geist,    als 
Weltschöpfer  {6rjixiüVQy6g)  und  als  Kosmos  zur  Entfaltung  kommen  Hess.'*) 


')  MuNK,  Griech.  Litt.  U,  515. 

2j  Vgl.  i?  302. 

^)  Die  übertriebene  Wertschätzung  des 
Neuplatonismus'  durch  Hegel,  Gesch.  d.  Phil. 
I,  182,  III,  11  u.  81,  der  ihn  als  die  Ver- 
sithnung  der  philosophischen  Gegensätze,  als 
die  absolute  Vollendung  der  alten  Philosophie 


bezeichnete,  ist  auf  das  richtige  Mass  zuriick- 
gefülnt  von  Zeller,  Phil.  d.  Gr.  II[^  2.  41!)  ff. 
*)  Wir  haben  von  dem  tiefen  Denker 
nur  durch  Anführungen  der  ^])äteren,  na- 
mentlich des  Kirchenvaters  Kusohius  Kennt- 
nis; zusammengest(^llt  sind  dieselben  von 
MuLLACu  FPG.  lll,  153  ff. 


688 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Als  eigentlicher  Begründer  der  neuplatonischen  Lehre  gilt  Ammonios 
Sakkas  (um  175 — 242),  der,  von  christlichen  Eltern  entsprossen,  aus  einem 
Taglöhner  ein  grosser  Denker  und  einflussreicher  Lehrer  der  Philosophie 
in  Alexandria  wurde.  Zu  den  Neuplatonikern  nimmt  derselbe  eine  ähn- 
liche Stellung  wie  Sokrates  zu  den  Sokratikern  ein,  das  ist,  er  hat  selbst 
nichts  geschrieben,  aber  den  Anstoss  zu  der  umfangreichen  neuplatonischen 
Litteratur  gegeben.^) 

559.  Plotinos  (204 — 270) 2)  stammte  aus  Lykopolis,  einer  Stadt 
Ägyptens,  und  hörte  in  schon  gereiftem  Alter  zu  Alexandria  den  Ammonios, 
dessen  begeisterter  Schüler  und  Anhänger  er  wurde.  Im  phantastischen 
Verlangen,  die  Lehre  der  Magier  an  der  Quelle  kennen  zu  lernen,  schloss 
er  sich  243  dem  Zug  des  Gordian  gegen  die  Perser  an,  kehrte  aber  nach 
dem  unglücklichen  Ausgang  des  Unternehmens  bald  wieder  zurück  und 
schlug  244  in  Rom  seine  Lehrkanzel  auf.  Bald  sammelte  er  durch  die 
Tiefe  der  Gedanken,  den  allen  Prunk  verschmähenden  Adel  der  Gesinnung, 
zum  Teil  auch  durch  den  Schein  göttlicher  Inspiration  einen  grossen  Kreis 
von  Schülern  und  Schülerinnen  um  sich.  Auch  an  dem  Kaiser  Gallien 
(260 — 8)  und  dessen  Frau  Salonina  hatte  er  begeisterte  Verehrer;  es  war 
sogar  nahe  daran,  dass  der  Kaiser  ihm  zur  Verwirklichung  seines  Ideals, 
zur  Gründung  einer  Philosophenstadt  in  Kampanien,  verhelfen  hätte.  Wie- 
wohl körperlich  leidend  und  halb  des  Augenlichtes  beraubt,  blieb  er  un- 
ermüdlich als  Lehrer  und  philosophischer  Schriftsteller  thätig,  bis  er  im 
Alter  von  66  Jahren  auf  dem  Landgut  seines  Schülers  Zethos  in  Kampanien 
starb.  Hinterlassen  hat  er  48  Schriften,  die  er  in  späten  Lebensjahren, 
nach  254,  allmählich  herausgegeben  hatte.  Porphyrios  im  Leben  seines 
Lehrers  gibt  uns  von  allen  die  Entstehungszeit  an,  so  dass  Kirchhoff  die- 
selben in  seiner  Ausgabe  nach  der  Zeitfolge  ordnen  konnte.  Nach  dem 
Tode  des  Meisters  besorgte  sein  Schüler  Porphyrios  eine  revidierte  Gesamt- 
ausgabe in  6  Enneaden,  neben  der  das  Altertum  noch  eine  zweite  von 
Eustochios  hatte.  In  der  Ausgabe  des  Porphyrios,  auf  die  unsere  Hand- 
schriften zurückgehen,  waren  die  Bücher  nach  dem  Inhalt  geordnet,  so  dass 
die  1.  Enneade  die  ethischen  Schriften,  die  2.  und  3.  die  physikalischen, 
die  4.  die  über  die  Seele,  die  5.  die  über  den  vovg,  die  6.  und  letzte  die 
über  das  Eins  und  das  Gute  enthielt.  Die  Anordnung  hat  vielfache  Mängel, 
da  sie  nicht  bloss  die  Merkmale  der  Abfassungszeit  verwischt,  sondern 
auch  zusammengehörige  Aufsätze  auseinanderreisst.  So  hat  z.  B.  Plotin 
selbst  durch  den  Schluss  von  V  8  {xar'  aXXrjv  666i'  ndXiv  av  dsl  inskihsiv 
mos)  und  den  Anfang  von  II  9  (ßnsiör]  toivvv  s(fävif)  sattsam  angedeutet, 
dass  die  drei,  jetzt  weit  auseinandergerückten  Abhandlungen  V  8,  V  5, 
II  9  eng  zusammengehören  und  dass  der  Bekämpfung  der  Gnostiker  in 
II  9  die  Klarstellung  der  eigenen  Lehre  von  dem  Urschönen  und  Urguten 
vorausgehen  sollte.^) 


^)  Von  den  Vorträgen  des  Ammonios 
ward  Mitteilung  gegeben  von  seinem  Schüler 
Theodotos  und  des  weiteren  von  Porphyrios 
in  dessen  It\u^uixrcc  l^ijjyj^uaru,  s.  v.  Arnim, 
Rh.  M.  42,  270  ff. 

^)  Ausser   dem  Artikel   des  Suidas   und 


einer  kurzen  Notiz  des  Eunapios  in  Vit.  soph. 
belehrt  uns  sein  Schüler  Porphyrios  77f()i 
nluyrivov  ßiov.  Ein  ausführlicher  Artikel 
von  Steinhart  in  Pauly's  Realencykl, 

^)  Man    rauss    eigentlich    noch    weiter 
gehen  und   die  7  Abhandlungen  IV  3,   IV  4, 


C.  Römisclie  Periode  nach  Konstantin.    3.  Die  Prosa,    d)  Philosophie.  (§  559.)     689 

Die  48  Abhandlungen  sind  von  sehr  verschiedenem  Umfang;  einige 
sind  ganz  kleine,  zum  Teil  nur  ein  Kapitel  umfassende  Betrachtungen; 
andere  mussten  wegen  ihres  übermässigen  Umfangs  von  dem  Herausgeber 
in  2  und  3  Teile  zerlegt  werden,  wie  die  Untersuchung  von  der  Seele 
(III,  3—5),  von  den  Arten  des  Seins  (VI,  1  —  3),  von  der  Vorsehung  (III, 
2  u.  3).  Im  Inhalt  und  in  der  Form  gleichen  sich  alle  so  sehr,  dass  zwi- 
schen den  früheren  und  späteren  kein  wesentlicher  Unterschied  besteht.^) 
Ihr  philosophischer  Autor  war  eben  im  wesentlichen  mit  sich  fertig,  als 
er,  bereits  ein  Fünfziger,  seine  Anschauungen  niederzuschreiben  begann. 
Seine  Schriften  wollten  keine  Kunstwerke  für  sich  sein;  sie  sollten  nur 
die  Vorträge,  wie  er  sie  im  Kreise  seiner  Verehrer  ohne  systemati- 
schen Plan  gehalten  hatte,  in  schlichter,  einfacher  Form  wiedergeben. 
Keines  der  Bücher  hat  eine  eigene  Einleitung  oder  einen  förmlichen  Epilog: 
mitten  in  eine  Frage  werden  wir,  meist  durch  Aufwerfung  von  Aporien, 
hineingeführt  und  allmählich  zu  immer  höheren  Stufen  emporgehoben. 
Die  Gesprächsform  des  Piaton  hat  Plotin  aufgegeben,  aber  seine  anregende 
Art,  den  trockenen  Lehrton  immer  wieder  durch  Fragen  zu  unterbrechen, 
erinnert  doch  lebhaft  an  das  Vorbild  der  platonischen  Dialoge.  Die  Sprache 
ist  kunstlos,  lässt  sogar  hier  und  da  grammatische  Korrektheit  vermissen, 
aber  trotzdem  ist  die  Darstellung  anziehend  und  fesselnd.  Ahnlich  wie 
Piaton  liebt  er  den  Schmuck  der  Bilder,  Mythen,  Allegorien;  viele  Ver- 
gleiche finden  sich  zuerst  bei  ihm,  so  der  von  dem  Jüngling,  der  sich  durch 
sinnliche  Reize  von  der  Klarheit  geistigen  Erkennens  abziehen  lässt,  mit 
dem  schönen  Narkissos,  den  das  Schattenbild  in  die  Tiefe  des  Wassers 
hinabzieht  (I,  6.  18);  geistvoll  auch  und  neu  hat  er  das  Bleibende  im 
V^^echsel  der  Erscheinungen  mit  dem  Schauspieler  verglichen,  der  derselbe 
bleibt,  während  er  Kleidung  und  Rolle  wechselt  (III,  2.  5). 

In  der  philosophischen  Lehre  fusst  Plotin  auf  Piaton,  den  richtig  zu 
verstehen  und  weiter  zu  entwickeln  er  sich  zur  Hauptaufgabe  gestellt 
hatte.  2)  Daneben  hat  er  aber  auch  die  Errungenschaften  anderer  Philo- 
sopheme,  wie  die  Lehre  des  Aristoteles  von  den  Kategorien,  den  Sphären- 
bewegungen,   dem   thätigen   und   leidenden   Nus,    gelegentlich  verwertet.^) 


IV  5,  III  8,  V  8,  V  5,  11  9  zu  einem 
grossen  Ganzen  verbinden,  wie  sich  aus  dem 
inneren  Zusammenhang  nicht  unschwer  er- 
weisen iässt.  Auch  die  4  Abhandkmgen  VI 
4,  VI  5,  V  6,  II  5  sind  nicht  bloss  in 
dieser  Folge  geschrieben,  sondern  bauen 
sich  auch  die  eine  auf  die  andere  auf.  Vgl. 
Kirchhoff,  Specünen  novae  editionis  operuvi 
Flotinianorum,  Berol.  1847.  Zu  bedauern 
ist,  dass  Volkmann  den  von  Kirchhoff  ge- 
wiesenen Weg  in  der  neuen  Ausgabe  wieder 
verlassen  hat.  Zum  Glück  ist  uns  bei  Plotin 
eine  Kunde  über  die  ursprüngliche  Folge 
der  Bücher  überliefert.  Man  kann  sich  da- 
raus einen  Begriff  machen,  wie  unsicher  der 
Boden  bei  anderen  Schriftstellern,  wie  Ari- 
stoteles, ist,  deren  Werke  gleichfalls  erst 
nach  des  Autors  Tod  von  Schülern  heraus- 
gegeben wurden. 


^)  Einen  stärkeren  Unterschied  zwischen 
den  früheren  und  späteren  Schriften  will 
Porphyrios,  Vita  Plotini  6,  aufstellen. 

-)  Plot.  V,  18:  nXüxwva  EiMvai  ix  fi£i/ 
xclyad^ov  x6v  vovv,  ex  &e  vov  xrjv  V^t'///*', 
xcd  eiuKL  xovg  "köyox^g  xova^e  firj  xcupovg 
fX7]&6  vvu  (iXXd  ndXai  /uti/  etqiio&ca  urj 
dyanenxccfteyoüg,  xovg  de  vvv  löyovq  ehiyr^xdg 
exeiviou  yeyovepca. 

^)  Heraklit  und  Empedokles  sind  ihm 
Denker,  welche  schon  das  richtige  ahnten, 
es  aber  nicht  zum  klaren  Ausdruck  brachten, 
s.  IV,  8,  1  u.  5;  ähnlich  urteilt  er  von  Ana- 
xagoras  IV,  1.  9.  Beachte,  dass  der  hera- 
klitische  Satz  vom  ocfoV  «Va»  und  oefo?  xärto 
schon  von  Philon  in  der  Schrift  von  dem 
Erben  der  göttlichen  Dinge  {Tig  6  xmv  &ei(oi^ 
TjQay^dxMv  xX^]Qov6fiog  c.  13  u.  38)  für  seine 
Lehre  verwertet  wun^e. 


UaudbucL  der  klass.  Altertum.swisseuschaft  VII.    2.  Aufl.  44 


690 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


Aber  trotzdem  teilte  er  nicht  die  Vielseitigkeit  des  geistigen  Interesses  der 
grossen  Denker  der  klassischen  Zeit;    er  lebte  ganz  in  der  einen  Idee  des 
reinen  Guten  und  Schönen,  das  im  Geiste  zu  schauen  die  höchste  Seligkeit 
und    zu    dem    sich    emporzuarbeiten    durch    Erkenntnis    der   Abbilder    des 
Schönen  in  der  Sinnen  weit  und  durch  Entäusserung  der  unreinen  Leiblich- 
keit die   oberste  Lebensaufgabe    des  Weisen    sei.     Dadurch   aber,   dass  er 
immer  wieder  diesen  Grundgedanken  ausspricht  und  die  Darstellung  ebenso 
wenig   durch  die  Kunst   feiner  Ironie   als   die  Schärfe  schneidiger  Polemik 
belebt,^)   haben    seine  Schriften   etwas   von    der  Langweile   salbungsreicher 
Kanzelreden.    Übrigens  ist  Plotin  ein  viel  zu  tiefer  Denker  und  ein  zu  ge- 
wandter Dialektiker,  als  dass  er  einfach  nur  die  Lehren  Piatons  reproduzierte. 
Er  geht  vielmehr  nur  von  den  Lehren  Piatons  aus,  um  die  seine  Zeit  be- 
wegenden Fragen,  wie  Gott  am  reinsten  zu  fassen  sei,  wie  die  Einheit  zur 
Vielheit  komme,   wie  das  Schlechte  in  die  Welt  gekommen  sei,   vermittels 
des  Dualismus  und  der  transcendentalen  Ideenlehre  Piatons   zu  lösen.     Zu 
diesem  Behufe  nimmt  er  3  Stufen  des  wahren  Seins    (ovaia)    an:    das   mit 
dem  Guten  wesenseine,    über   allem  konkreten  Sein    und  Denken    erhabene 
Ureins  {^eog  ßaoilsvg  II,  9.  9,  TiQonäTMQ  V,  5.  3),  den  sich  selbst  denkenden, 
auf  jenes  Eins  gerichteten  Geist   [vovq   und  iöi;ö'/c),    die    das  Geistige   und 
Sinnliche  vermittelnde,  den  Formen  des  Seienden  {Ta  tcov  ovtwv  ti'Srj)  inne- 
wohnende Seele  (?)  toi   votjtov  xödfiov  if'vxt'j).^)   Diesen  3  Stufen  des  wahren 
Seins  stellt  er  auf  der  anderen  Seite  die  Materie  (idtj)  entgegen,  die  zwar 
keinen  Teil  am  wahrhaften  Sein  habe,   aber  gleichwohl   von  Ewigkeit  her 
existiere    und  Quelle    der  Notwendigkeit   {dvdyxrj)   und  des  Schlechten  sei. 
Die  diesseitige  Welt  (o  rijds  xda/^iog)  lässt  er  dadurch  entstanden  sein,  dass 
Teile  des  göttlichen  Nus,  von  der  himmlischen  Seele  ausströmende  Funken, 
in  die  Materie  drangen  und  hienieden  die  unvollkommenen  Abbilder  (el'SwXa) 
der  göttlichen   Ideen    (aTdij)    hervorbrachten.     Die   Menschenseele    ist   ihm 
zwar  ein  Teil   der   oberen  Seele,    aber   gehemmt  und  verunreint  durch  die 
Gemeinschaft  mit  der  Materie,  von  deren  Fesseln  sie  sich  zu  befreien  und 
zur  Reinheit  des  göttlichen  Geistes  zurückzukehren  habe;  so  vollziehe  sich 
der  Doppelweg,  dass  einerseits  die  Gottheit  in  die  Welt  und  das  Endliche 
sich  ergiesse  und  anderseits  die  Seele  des  endlichen  Menschen  sich  wieder 
zur  Gottheit  erhebe.     Man  kann  gegen  diesen  Lösungsversuch   einwenden, 
dass  er  die  der  platonischen  Auffassung  entgegenstehenden  Schwierigkeiten 
nicht   im  geringsten  hebt;    man  kann  des  weitern   im  plotinischen  System 
die  Berücksichtigung  der  realen  Verhältnisse  vermissen  und  in  der  Voran- 
stellung   des   ekstatischen   Schauens   eine   Verkümmerung    des    verstandes- 
mässigen   Forschens    und    der   praktischen   Schaffenslust   erblicken;^)   aber 


')  Von  den  zeitgenössischen  Gegnern 
PJotins  erfahren  wir  aus  dessen  Schriften 
keine  Namen;  selbst  die  Schulen  {((iQeoeig), 
welche  er  bekämpft,  bezeichnet  er  nur  im 
allgemeinen,  so  dass  wir  z.  B.  erst  durch 
die  von  Porphyrios  hinzugefügte  Überschrift 
nQoc.  Tovg  yroiony.ovg  bestimmt  erfahren, 
dass  das  interessante  Buch  II,  9  gegen  die 
Gnostiker  gerichtet  ist.  Über  die  Beziehun- 
gen   Plotins    zu    den    Guostikein    s.   Zelllk. 


Phil.  d.  Gr.  IIP,  2.  438  ff. 

^)  Siehe  besonders  die  schöne  Abhand- 
lung IV,  8;  ferner  IV,  1;  11,  3.  7;  II,  9.  1. 

^)  Über  den  hohen  Wert,  den  Plotin 
auf  das  Schauen  {^smqsTi^)  als  die  Erhebung 
zum  Höchsten  legt,  siehe  I,  2.  3;  III,  8.  6; 
IV,  9.  3.  In  der  Abkehr  gegen  die  Sinnlich- 
keit geht  Plotin  so  weit,  dass  er  III,  5.  1 
die  Begattung  für  eine  Sünde  erklärt  (i]  n^dg 
uJiii'  exTirwaig  üfjaQjia),  freilich  so,  dass  er 


C.  Eömische  Periode  nach  Konstantin.     3.  Die  Prosa     d)  Philosophie.  (§  5G0.)     691 

hohen  Seelenadel  und  Tiefe  der  Auffassung  wird  man  dem  letzten  der 
grossen  Denker  des  Altertums  nicht  absprechen  dürfen.  Auch  bleibt  der- 
selbe bei  aller  Überspanntheit  doch  immer  noch  ein  echter,  an  seinen  alten 
Göttern  hängender  Hellene,  i)  Er  zeigt  dieses  in  der  Bekämpfung  des 
Aberglaubens  der  Astrologie  (II,  3),  in  dem  edlen  Optimismus,  mit  dem 
er  das  Gute  und  Schöne  wohl  ein  Hemmnis  in  der  sinnlichen  Materie  finden, 
aber  schliesslich  doch  immer  im  grossen  Ganzen  obsiegen  lässt,  ^)  in  der 
Befehdung  der  finsteren  Lebensauffassung  der  Gnostiker,  welche  die  Welt 
für  eine  Schöpfung  des  bösen  Geistes  ausgaben  und  das  Licht  offener  Dis- 
kussion scheuten  (II,  9),  ^)  zuletzt  und  nicht  zum  geringsten  in  dem  enthu- 
siastischen Preis  des  Schönen,  das  ihm  von  dem  Guten  unzertrennlich  ist 
(xa?,ayad^6j')  und  ihn  zu  den  schönsten  seiner  Aufsätze  (I,  6  ttsqI  xaXov, 
III,  5  TtsQi  'EQMTog,   V,  8  ttsqI  tov  vorjTov  xdXXovg)  begeistert  hat. 

Die  Codices,  von  denen  keiner  älter  als  das  13.  Jahrh.  ist,  gehen  auf  einen  lücken- 
haften, fehlerhaft  geschriebenen  Archetypus  zurück,  so  dass  der  Konjekturalkritik  ein 
grosser  Spielraum  bleibt.  Aufschluss  über  die  Handschriften  und  ihr  Verhältnis  gibt  H.  F. 
Müller,  Herin.  XIV,  93  —  118.  —  Eine  dem  Porphyrios  zugeschriebene  Paraphrase  der 
Bücher  IV— VI  kursierte  im  arabischen  Mittelalter  unter  dem  falschen  Titel  einer  Theologie  des 
Aristoteles;  davon  ist  der  arabische  Text  des  Abdallasch  Naima  aus  Emesa  mit  lateini- 
scher Übersetzung  publiziert  von  Dieterici.  Disputatio  prima  lihri  Äristotelis  philosophi 
qui  graece  vocatur  theologia,  exiüicotio  Porphyrii  Tyrii,  Lips.  1883.  —  Im  Abendland  ist 
Plotin  zuerst  in  der  lateinischen  Übersetzung  des  Ficinus  bekannt  geworden,  Florenz 
1492.  —  Erste  Ausg.  des  griech.  Textes  erschien  zu  Basel  1580.  —  Kritische  Ausg.  von 
Creuzer,  Oxonii  1835.  3  vol.;  Textesausg.  in  der  Bibl,  Teubn.  von  Kirchhoff  1856;  von 
Volkmann  1883;  rec.  H.  F.  Müller  mit  Übersetzung,  Berl.  1878.  — Kirchner,  Die  Philo- 
sophie des  Plotin,  1874;  Zeller,  Phil.  d.  Gr.  IIP,  2.  466-631. 

560.  Porphyrios  aus  Tyrus  (233  bis  ca.  304)^)  war  der  bedeutendste 
Schüler  Plotins  und  zugleich  Herausgeber  seiner  Werke.  Anfangs  widmete 
er  sich  in  Athen  unter  der  Leitung  des  Longin  grammatischen  und  rhe- 
torischen Studien;  262  kam  er  nach  Rom  und  schloss  sich  bald  ganz  der 
philosophischen  Richtung  des  Plotin  an.  Von  tiefer  Melancholie  und  Lebens- 
flucht befallen,  ward  er  durch  seines  Lehrers  väterlichen  Zuspruch  wieder 
aufgerichtet,  war  aber  zur  Zeit  von  dessen  Tod  in  Sikilien  abwesend.  Nach 
fünfjähriger  Abwesenheit  kehrte  er  wieder  nach  Rom  zurück,  begann  unter 
Aurelian  eine  selbständige  Thätigkeit  zu  entfalten  und  wirkte  bis  in  die 
Zeit  der  Regierung  Diokletians  hinein. "')  Seine  Thätigkeit  scheint  mehr 
die  eines  Schriftstellers   als  eines  Lehrers   gewesen  zu  sein  und  erstreckte 


hintendrein  selbst  die  Ehrbarkeit  der  Ver- 
bindung des  Mannes  mit  der  Frau  zur  Er- 
haltung des  Geschlechtes  {ol  mxrov  tqoixa 
tQMi^reg,  Iva  xal  to  (hi)   einräumt, 

^)  Siehe  Lehrs,  Götter  und  Dämonen, 
in  Pop,  Aufs, 2  163.  Die  alten  Götter  des 
griechischen  Volksglaubens  lässt  Plotin  be- 
stehen, stellte  sie  aber  unter  dem  Namen 
dccifxoysg  als  göttliche  Mächte  der  diesseitigen 
Welt  eine  Stufe  tiefer  als  den  Urvater  und 
die  wahren  Götter  {&eoi)  der  jenseitigen 
Gcisteswelt;  s,  III,  5.  2. 

^)  III,  2.  3,;  oXoy  yc<Q  rt  inoirjae,  sc. 
'höq,  ■ndyxct'kov  xcd  avruQxsg  xal  cpiXoy  avr<o 
z<a  roTg  ^tqsaiv  uviov.  11,  3.  18:  sl  ^rj  tu 
x((xc<,  f'aeXeg  «V  ijt^  to  7r«v  *  xal  yc<Q  ^oeiav 

n'Au),   Xut^Hüiti    (ft    r«    7i'/i6?aT(c  (flu   iL     Vgl.    ,    rov  iU<a(Xtiog 

41* 


II,  9.  8;  T,  7.  1. 

^)  Gegen  die  Gnostiker  ist  auch  die 
Polemik  bezüglich  des  Logos  gerichtet,  den 
die  Gnostiker  als  Mittler  zwischen  Gott  und 
Mensch,  himmlischer  und  irdischer  Welt 
aus  Philon  herübergenommen  hatten,  dessen 
Einschaltung  aber  Plotin  als  treuerer  Inter- 
pret Piatons  für  nicht  nötig  hielt. 

■*)  Suidas  u.  HoQcpvQtog,  Eunapios  Vit. 
soph.  p.  455  Didot;  manches  enthält  seine 
Vit.  Plotini.  Neuere  Litteratur:  Lucas  Hol- 
stenius.  De  vita  et  scriptis  Vorpliijrii,  Cant. 
1655;  Steinhart  in  Pauly's  Realencykl. 
Sein  heimischer  Name  war  Malchos,  den 
seine  Verehrer  mit  liaai'kevg  wiedergaben. 

^)  Suidas:  yeyovMg  ini  not'  xQÖviot'  Jv- 
Qjjhctvov    x(d    nc(Q(CT£li'f(g    itog    Jioxhjnttvov 


692 


Griechische  Litteraturgeschichte,    11.  Nachklassische  Litteratur. 


sich  nicht  bloss  auf  Philosophie,  sondern  auch  auf  Grammatik  und  Historie. 
Ein  tiefer  Denker  war  er  nicht;  das  sieht  man  schon  an  seiner  am  Ausseren 
haftenden  Darstellung  des  Lebens  seines  Lehrers.  Von  Eunapios  wird  ihm 
hauptsächlich  die  Kunst  nachgerühmt,  durch  klare  Darstellung  die  dunkle 
Lehre  Plotins  dem  aligemeinen  Verständnis  näher  gebracht  zu  haben.  Auf 
das  Mittelalter  übte  er  als  Vermittler  der  aristotelischen  Logik  einen  ausser- 
ordentlichen Einfluss. 

Die  zahlreichen  Schriften  des  Porphyrios,  von  denen  uns  Suidas  ein 
Verzeichnis,  aber  ein  unvollständiges,  gibt,  gehören  nur  zum  Teil  der 
spekulativen  Philosophie  an;  viele  beziehen  sich  auf  die  Geschichte  der 
Philosophie  und  die  Erklärung  der  älteren  philosophischen  Werke,  andere 
fallen  ganz  in  das  Gebiet  der  Grammatik  und  Geschichte.  Von  den  er- 
haltenen beschäftigen  sich  mit  Plotin  die  schon  besprochene  Schrift  tisqI 
JlXcüTtvov  ßiov  xal  Tfjg  Ta^80)g  tcov  ßißXicov  avrov  und  die  damit  zusammen- 
hängenden, die  Hauptgedanken  der  Lehre  Plotins  enthaltenden  'Acfoqiial 
TiQog  Tci  vorjTa.^)  —  Der  üvlhayÖQov  ßiog  bildete  ursprünglich  einen  Teil 
des  1.  Buches  der  (PiX6ao(fog  tcTogia,^)  welche  aus  4  Büchern  bestund, 
aber  bloss  bis  auf  Piaton  herabging.  Das  erhaltene  Leben  des  Pythagoras 
ist  am  Schluss  verstümmelt;  die  Übereinstimmungen  desselben  mit  dem 
gleichnamigen,  umfangreicheren  Buche  des  lamblichos  ist  auf  die  Benützung 
der  gleichen  Quellen,  vorzüglich  des  Nikomachos,  Apollonios  und  Antonios 
Diogenes  zurückzuführen.  —  Die  Schrift  ttsqI  aTroxt/g  ^iipvx^ov  in  4  B., 
von  denen  der  Schluss  des  letzten  fehlt,  ist  an  Firmus  Castricius,  den 
Mitschüler  Plotins,  gerichtet  und  empfiehlt  die  Enthaltung  von  Fleisch- 
speisen unter  Verwerfung  des  Tieropfers.  Der  Wert  der  Abhandlung  be- 
steht hauptsächlich  darin,  dass  in  ihr  die  Meinungen  der  älteren  Philo- 
sophen meist  wörtlich  angeführt  sind  und  namentlich  das  Buch  des  Theo- 
phrast  neql  eva^ßsiag  ausgiebig  benützt  ist.")  —  Das  Buch  TTQog  MaqxtXXav 
ist  ein  Erbauungsschreiben  an  Marcella,  die  Porphyrios  ihres  philosophischen 
Geistes  wegen,  wiewohl  sie  Witwe  von  7  Kindern  und  weder  er  noch  sie 
mit  zeitlichen  Gütern  gesegnet  war,  zur  Frau  genommen  hatte.**)  —  In  das  Gebiet 
der  Grammatik  greift  über  die  Abhandlung  ntql  tov  iv  ^Oövaasia  twv  Nvi^Kfow 
avTQov,  die  den  unglücklichen  Versuch  enthält,  die  Stelle  der  Odyssee  von  der 
Nymphengrotte  (Od.  e  102 — 112),  weil  eine  solche  sich  in  Wirklichkeit  in  Ithaka 
nicht  finde,  als  Allegorie  zu  fassen  und  auf  den  Kosmos  zu  deuten.  Ebenso 
nichtige  Ausgeburten  verkehrter  Interpretation  enthalten  die  ^OiiriQixd  ^fjTrj- 
l^iccra,^)  und  nicht  besser  werden  die  verlorenen  Abhandlungen  tt^qI  Trjg 
'^OfArjQov  (fiXo(fo(fiag   und    ttsqI    tmv  naQaXsXeifxiisvoLiV    tu.  rcoirjTr  ovofAdTcov^) 


^)  Unter  dem  nach  Volkniann's  Urteil  (ed. 
Plot.  vol.  Ilpraef.)  erdichteten  Namen  des  Por- 
phyrios ging  auch  die  oben  S.  691  erwähnte, 
aus  dem  Arabischen  bekannt  gewordene 
Paraphrase  der  3  letzten  Bücher  des  Plotin. 

''')  Dieselbe  wird  auch  als  rpiloaocfog 
/QoyoyQuepla  citiert.  Verwandt  war  die  ganz 
verloren  gegangene  Schrift  cpiXoXoyog  laTOQia 
in  5  B.,  deren  Suidas  gedenkt.  Das  erste  Buch 
der  Philosophengeschichte  ist  ausgeschrieben 
von    Eusebios    Praep.    evang.  10,    3.     Über 


seine  Chronika  siehe  oben  §  536. 

^)  .J.  Bernays,  Theophrastos  Schrift  über 
Frömmigkeit,  Ber.  1866. 

^)  Das  Schreiben  ist  eine  Mosaikarbeit., 
zu  der  die  Steinchen  allwärts  hergenommen 
sind;    s.    Usener,    Epicurea    p.    LVIII  sqq. 
Durch  unverschämte  Verleumdung  wird  der! 
Edelmut  in  Habsucht  umgewandelt  in  Xqija^ol^ 
XMV  'EXXrjviXMP  x^6(oy  n.  85. 

5)  Vgl.  oben  §  38. 

6j  Schol.  Hom.  r  250  u.  314. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.     3.  Die  Prosa,     d)  Philosophie.  (§561.)     693 

gewesen  sein.  Allegorien  suchte  Porphyrios  auch  in  der  Fabel  neQi  ^zvyog, 
wie  uns  die  Bruchstücke  bei  Stobaios  lehren.  —  Von  den  zahlreichen  Kom- 
mentaren des  Porphyrios  ist  uns  die  Erläuterung  zur  Harmonik  des  Ptole- 
maios  und  die  Einleitung  zu  den  Kategorien  des  Aristoteles  {daayoyyi]  slg  tag 
^ÄQiaiOTeXovg  xaTijyoQi'ag  und  €§ijyi]aig  eig  tccc  ^Agiar.  xaTijyoQi'ag  xazd  nevctiv 
xal  anöxQiaiv)  ^)  erhalten;  die  letztere  wurde  selbst  wieder  von  Ammonios 
Hermeiu,  Joannes  Philoponos,  Theodoros  Prodromos,  Boetius  kommentiert 
und  galt  im  Mittelalter  als  Kompendium  der  Logik. 2)  —  Aus  den  histori- 
schen Studien  des  betriebsamen  Autors  waren  die  Chronika  und  die  Schrift 
TTQog  0ovxvöidov  TTQooifjiiov  hervorgegangen;  von  den  Xqovixci^  einem  bis  auf 
270  n.  Chr.  herabgehenden  Kompendium  der  Geschichte,  war  bereits  oben 
§  536  die  Rede. 

Den  religiösen  Fragen,  die  bei  den  Neuplatonikern  einen  Hauptgegen- 
stand  weniger  des  Forschens  als  des  Ahnens  bildeten,  ist  der  Brief  an  den 
ägyptischen  Priester  Anebon  gewidmet;  derselbe  rief  die  Entgegnung  des 
lamblichos  hervor  und  wird  häufig  von  Eusebios,  Kyrillos  und  Augustin 
angezogen.^)  Interessanter  ist  die  leider  nur  fragmentarisch,  zumeist  durch 
Eusebios  erhaltene  Schrift  ttsqI  xrg  ex  Xoyiwv  (fiXoc>o(piag,  in  der  sich  Por- 
phyrios zum  Glauben  an  den  Humbug  der  Orakel  und  den  Hexensabbath  der 
synkretistischen  Gotteslehre  bekannte,  indem  er  aus  angeblichen  Orakeln 
des  Apoll,  der  Hekate  und  anderer  Götter  Beweise  für  seine  theosophischen 
Ansichten  zu  gewinnen  suchte.  Vielen  Staub  hatte  zu  ihrer  Zeit  die  oft 
von  den  Kirchenvätern  erwähnte  Schrift  xatd  XqiaTiavMv  in  15  B.  auf- 
gewirbelt; dieselbe  enthielt  eine  scharfe  Polemik  gegen  das  Christentum 
und    rief   eine  Gegenschrift  des  Apollinarios  in  30  B.  hervor. 

Porphyrii  opuse.  selecta  ed.  Nauck,  [Vita  Pytli.^  de  antro  Nymph.,  de  ahstin.,  ad 
Marc.)  od.  II,  Lips.  1886.  —  Porphyrii  Qiiaest.  Homer,  ed.  Schradek,  Lips.  1880.  — 
Porph.  capoQfxal  riQog  tcc  vo^]xci,  in  Creuzer's  Ausg.  des  Plotin,  Par,  1855  p.  XXXI — L. 
Die  Kommentare  zu  Aristoteles  Kategorien  mit  der  Übersetzung  des  Boethius  in  Comment. 
in  Aristot.  t.  IV,  1  ed.  Busse,  Berl.  1887.  -  Porphyrii  de  philosophia  ex  oraculis  hau- 
rienda  librorum  reliquine,  ed.  Gust.  Wulff,  Berlin  1856,  Hauptwerk,  dazu  Bernays,  Ges. 
Abb.  II  286  ff.,  Buresch,  Klaros.  Lips.  1889.  —  Eine  Gesamtausg.  mit  Sammlung  der  Frag- 
mente steht  noch  aus. 

561.    lamblichos  (gest.  um  330)*)  von  Chalkis  in  Kölesyrien,  Schüler 

des  Anatolios  und  Porphyrios,  lebte  unter  Konstantin  und  ist  Hauptvertreter 

der  verworrenen   Dämonenlehre,   in  welche  der   Neuplatonismus   ausartete. 

Die    unverdiente    Bewunderung,    welche   die   Anhänger   des    untergehenden 

Heidentums  diesem    schwärmerischen  Mystiker   und   unselbständigen  Kom- 

pilator   schenkten,'')   erklärt  die   Erhaltung   so   vieler   seiner  Schriften,   für 

die  wir  gern  besseres  aus  alter  Zeit  in  Kauf  nähmen.    Unter  den  von  ihm 


^)  Daneben  hatte  er  einen  ausführlichen 
Kommentar  zu  den  Kategorien  in  7  B.,  ferner 
einen  ttsqi  sQfArjvslctq  und  zur  Physik  ge- 
schrieben; s.  Zeller  IT*,  2.  640  f. 

2)  Vgl.  Prantl,  Gesch.  d.  Logik  I,  626  f. 

"')  Der  merkwürdige  Brief  ist  aus  den 
Anführungen  wieder  hergestellt  von  Tuom. 
(i\LE  in  der  Ausg.  des  lamblichus,  de  my- 
<l('yiis    Aeyyptiorum    1878,    und    Parthey, 


Vita  bei  Eunapios  Vit.  soph.  p.  457  ff. 

^)  Pseudo-lulian  ep.  34:  av  ys  ov  Uiu- 
(fdQoy  fxovop  ovök  Jij^oxQixov  fj  'OQq)ia  xov 
7iaXc(i6rccToi'.  «AÄ«  x(d  avjUTicd^  i\u(üg  t6  'EX- 
h]vix6v,  onöaou  sig  (iy.Qov  (ft'Aoaoffictg  eXS^eh' 

fXVtj^OVSVSXai,       XC<\hc<716Q      fr      XVQCC      TTOtxlXcDU 

cpOöyyiov  ii'(tQ^otn(o  avaxäoei  riQog  xn  evxsXeg 
xtjg  ^ovaixrjg  xsQuaag  «/£<?.  Nicht  bloss 
in  den    untergeschobenen    Briefen , "  auch    in 


Iinnhlichi    de    mystcriifi    lib.    Berl.    1857    p.    i    den    echten  Schriften    spricht    Julian,    wenn 
XXIX  sqq.  auch  in  gedämpfterem  Ton,  von  dem  xXeivog 

^)  Ausser  dem  Artikel    des  Suidas  eine    j    ieQocpayxiig  'lüf^^hxog. 


694 


Griechische  Literaturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


erhaltenen  Werken,  tt^qI  tov  IlvOayoQeiov  ßiov,  Xöyog  TtQOTQemixog  dg  (piXo- 
(focfiav,  7T€qI  rr^g  xüirr^g  i^iad^rjjiiaTixrjg  STriaTrjfir'g,  nagl  rrjg  Nixofiäxov  aqi^- 
l^ir^Tixrjg  eiaayMyrjg,  d^soXoyovjUsva  dQi^/iirjTixrjg,  ^Aßccj^ifio)vog  diSaaxcckov  TiQog 
TfjV  IIoQ(fVQiov  TTQog  ^Avsßd)  sTCKtTokrjv  aTidxQKTig,^)  ist  am  wichtigsten  das 
Leben  des  Pythagoras;  aber  auch  dieses  ist  eine  unkritische  Kompilatien 
aus  älteren  Werken,  durch  die  uns  indes  manche  anziehende  Erzählung, 
wie  die  von  Dämon  und  Phintias  (c.  33),  nach  der  Schiller  seine  Bürgschaft 
dichtete,  erhalten  ist. 

Kritische  Ausg.  der  Vita  Pythagorica  von  Nauck,  Petrop.  1884.  —  Adhort.  ad  philos. 
rec.  KiESSLiNG,  Lips.  1823;  ad  fidem  cod.  florentini  ed.  Pistelli,  in  Bibl.  Teubn.  1888.  — 
De  Nieomachi  arithm.  ed.  Tennullius,  Deventer  1667.  —  Theologumena  ed.  Ast,  Lips. 
1817.     -  lamblichi  de  mysteriis  Äegyptiorum  ed.  Parthey,  Berl.  1857. 

562.  Pro  kl  OS  (410 — 485),  2)  derLykier  genannt  von  der  lykischen  Stadt 
Xanthos,  wo  er  erzogen  wurde,  ist  der  angesehenste  jener  achtbaren  Schar 
von  Philosophen,  welche  im  5.  Jahrhundert  die  Fahne  der  alten  Philosophie 
und  Bildung  gegen  die  andrängende  Phalanx  christlicher  Eiferer  aufrecht 
erhielt.  In  Alexandria,  durch  den  Aristoteliker  Olympiodoros  in  die  Philo- 
sophie eingeführt,  ward  er  in  Athen  eifriger  Anhänger  der  Neuplatoniker 
Plutarch  und  Syrian  und  folgte  dem  letzteren  auf  dem  Lehrstuhl  der  Philo- 
sophie in  Athen,  wovon  er  den  Zunamen  Diadochos  d.  i.  Schulvorsteher 
erhielt.  Bei  seinen  Zeitgenossen  genoss  er,  wie  uns  sein  Biograph  Marinos 
bezeugt,  durch  seine  Gelehrsamkeit,  Frömmigkeit  und  wunderthätige  Kraft 
ein  ausserordentliches,  uns  schwer  begreifliches  Ansehen.  Den  Tod  erlitt 
er  485  in  hohem  Alter;  seine  von  ihm  selbst  verfasste,  durch  seinen  Bio- 
graphen Marinos  und  die  Anthologie  7,  341  erhaltene  Grabschrift  lautete: 

IlqoxXog  syo)   ysvo/x^jv  Avxiog  yevog,  or  2vQiav6g 
fr^dS'  d/noißov  irjg  ^Qeif^is  6i6a(Txah'rjg. 

'^vvog  S' djjicfjOT€QO)v  ods  (TMfjuxra  Sä^aro  Ti>jj,ßog, 
aT&€  dt  xal  ipD^ccg  x^^Q^Q  ^'^^^  XsXccxoi. 
Seine  mehr  zahlreichen  als  inhaltreichen  Werke  ^)  galten  zum  grösseren 
Teil  der  Erklärung  der  Dialoge  Piatons  und  der  Deutung  derselben  zu 
Gunsten  der  neuplatonischen  Lehre  vom  Eins  und  Guten.  Auf  uns  ge- 
kommen und  nach  und  nach  auch  durch  den  Druck  veröffentlicht  sind  die 
weitläufigen  Kommentare  zum  ersten  Alkibiades,  zum  Parmenides,*)  zur 
Politeia,  zu  Timaios,  Kratylos.  In  freierer  Form  sind  diese  Anschauungen 
entwickelt  in  der  Schrift  negl  Tijg  xaid  nXdtwva  d^soXoyiag.  Die  Haupt- 
sätze der  neuplatonischen  Philosophie  enthalten  die  kompendiarischen 
Schriften  ^Toix^iMcfig  ^soXoyixrj  ^)  und  2Toix^i(o(fig   (pvaixij    rj    ttsqI    xivrjaswg, 


')  Näheres  bei  Zelleb,  Phil.  d.  Gr.  IIP, 
2.  68l  ff.;  über  die  Zweifel  an  der  Echtheit 
der  letztgenannten  Schrift  ebenda  p.  715  f.; 
Bergk,  gl,  IV,  470  schreibt  sie  einem  gebo- 
renen Agyptier  und  Schüler  des  lamblichos  zu. 
Nicht  erhalten  ist  XaXö'cä'xr]  TsXsioTuTf]  t^fo- 
Xoyici,  von  der  Damascius  de  princ.  43  ein 
28.  Buch  citiert.  Eunapios,  Vit.  soph.  hat 
unter  lamblichos  einen  breiten  Bericht  aus  des- 
sen Biographie  des  Bhetors  Alypios  geliefert. 

'^)  Suidas  u.  IJgoy'/.oi,  6  Avxiog,  Marinos 
JlQoxXog  fj  negi  ev^ai^ovlag  ed.  Boissonade, 
Par.  1850;  Fkeudenthal  in  Herm.  16,  201  flf., 


R.  Scholl  in  Ausg.  der  Comment.  in  Plat. 
de  rep.  p.  4  f.  Das  von  Marinos  c.  35  mit- 
geteilte Horoskop  führt  auf  das  Jahr  412 
als  Geburtsjahr,  scheint  aber  auf  fehlerhafter 
Rechnung  zu  beruhen;  s.  Freudenthal,  Rh. 
M.  43,  486  ff. 

•■')  Siehe  Zeller,  Phil.  d.  Gr.  III ',  2.  778  ff. 

^)  Der  Kommentar  umfasst  7  B.;  ein  8. 
fügte  Damaskios  hinzu. 

^)  Davon  ein  Auszug  ist  das  von  einem 
Araber  gefertigte  ps.-aristotelische  Buch  de 
causis,  herausgegeben  von  Bardenhewee, 
Freiburg  1882. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  d)  Philosophie.  (§  562—563.)     695 


sowie  die  nur  in  lateinischer  Übersetzung  auf  uns  gekommenen  Bücher 
von  der  Freiheit,  von  der  Vorsehung,  von  dem  Übel.  Auch  in  Versen  hat 
Proklos  seine  theosophischen  Gedanken  ausgedrückt  in  den  bereits  oben 
g  532  erwähnten  6  Hymnen.  Der  Mangel  an  klarer  Bestimmtheit  und 
schöpferischer  Originalität,  welcher  des  Proklos  philosophische  Schriften 
kennzeichnet,  kehrt  auch  in  seinen  sonstigen  enkyklopädischen  Arbeiten 
wieder,  in  seinen  Kommentaren  zu  Hesiod,  Euklid,  Ptolemaios,  in  dem 
Buche  TTtQl  acfai'Qccg,  in  dem  Aufsatz  über  den  Briefstil  (ttsqI  srtKSToXii^iaiov 
XaQaxTr^Qoq).  Gehaltreicher  und  exakter  ist  die  grammatische  Chrestomathie, 
die  eben  deshalb  einem  anderen,  älteren  Grammatiker  Proklos  anzugehören 
scheint.')  Auch  Kommentare  zu  den  logischen  Schriften  des  Aristoteles 2) 
und  eine  Streitschrift  gegen  die  Christen  {^TiixfiQrjinccTa  ir/  xard  Ägiaziarcov) 
hatte  er  verfasst;  von  letzterer  haben  wir  durch  die  Entgegnung  des  loannes 
Philoponos  nähere  Kenntnis. 

Prodi  opera  ed.  Cousin,  Par.  1820—7,  6  vol.,  enthält  die  Kommentare  zu  Piatons 
Alkibiades  L,  Parmenides,  Kratylos  und  die  drei  latein.  Schriften,  -  Comment.  in  Plat. 
Farm.  ed.  Stallbaum  1839;  in  Plat.  Timaeum  ed.  Che.  Schneider  1847;  in  Plat.  de  rep. 
ed.  R.  Scholl,  Berol.  1886,  ed.  Pitra  Spicil.  Solesra.  t.  V,  s.  oben  S.  396.  —  -fot/.  S^eoX. 
in  Creuzers  Ausgabe  des  Plotin,  Par.  1855;  Iroi^-  (pvatxtj  ed.  Grynaeus,  Basil.  1531; 
tjsqI  Ttjg  xcad  flkdxMva  ^heoXoyUcg  interpr.  Aemil.  Portus,  Hamb.  1618.  -  üsqI  imazo- 
hfjfdov  /ccQaxTtJQog  ed.  Westermann^  Lips.  1856;  auch  zusammen  mit  Demetrii  Phalerei 
Tvnoi  eniatohxoi  herausgegeben  von  Hercher,  Epistologr.  gr.  p.  1  -  13.  —  über  den  Iirtura, 
dass  bei  Suidas  dem  Syrianus  dieselben  Werke  wie  dem  Proklos  beigelegt  werden,  s.  Daub, 
De  Suidae  hiogr.  p.  408. 

563.  Auf  Proklos  war  gefolgt  sein  Biograph  Marino s,  auf  diesen 
Isidor,  Hegias  und  zuletzt  Damaskios,  der  die  Auflösung  der  Philosophen- 
schule in  Athen  erlebte,  und  im  Jahre  529  mit  Simplicius,  Diogenes,  Her- 
meias,  Isidoros,  Eulalios,  Priscianus  nach  Persien  auswandern  musste.  Von 
Damaskios  sind  uns  erhalten  ein  Buch  nsQi  tcov  ttqmtcov  a^/o~r,3)  Kom- 
mentare zu  Aristoteles  und  ein  Auszug  aus  dem  Leben  Isidors  (Photios  cod. 
181  und  242).  Von  Priscian  haben  wir  in  lateinischer  Übersetzung  ^0- 
lutiones  eorum  de  quihus  diibltauit  Chosroes  Persarum  rex,  in  denen  unter 
anderm  die  (Dvaixal  do'^ai  des  Theophrast,  die  Meteorologika  des  Geminus 
und  die  ^vjii^uxTa  ^rjTrjjjiaTa  des  Porphyrios  benützt  sind.^ 

Zeitgenosse  des  Proklos  war  Hierokles  aus  Alexandria,'')  ein  ange- 
sehener Philosoph,  der  auch  eine  Zeitlang  in  Konstantinopel  weilte,  dort 
aber  bei  den  Machthabern  solchen  Anstoss  erregte,  dass  er  in  den  Kerker 
geworfen  und  blutig  geschlagen  wurde. ^)  Ausser  Kommentaren  zu  Piatons 
Gorgias,  die  sein  Schüler  Theosebios  herausgab,^)  schrieb  er  eine  weitläufige 
Erläuterung  zu  den  Goldenen  Sprüchen  des  Pythagoras  (s.  §  453).  Dieser  in 
korrekter  Sprache  und  in  weihevollem  Ton  geschriebene  Kommentar  (hQo- 
xAeovg  TOI)  (fiXoG6(fov  dg  xd  zmv  Ilv^ayoQefoyr  XQVCd  errtj  VTTÖfXvr^fJiaTa)  stand 


^)  Darüber  unten  §  575. 

2)  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  641  f. 

2)  Herausgegeben  von  Kopp,  Frankfurt 
1S26;  über  diese  am  Schluss  verstümmelte 
Schrift  und  die  mit  derselben  vordem  irr- 
iiimlich  vereinigten  (Itioqlul  xcd  enilTbOstg 
zu  des  Proklos  Kommentar  über  Piatons 
Tarmenides  s.  K.  Heitz.  Der  Philosoph  Da- 
niaskius,  in  Strassb.  Abhandl.  zur  Philos., 
Froiburg  1884   S.  1-25.  -    Ausserdem    er- 


wähnt Photios  cod.  130  von  Damaskios 
TiccQCido^ot  Xöyoi  in  4  B. 

*)  Neubearbeitet  von  Bywater,  Aristot. 
supplem.  1,  2.  Die  Schrift  des  Priscian  de 
dentis  ist  von  Val.  Rose,  An.  gr.  I,  53  —  58 
herausgegeben. 

•)  Über  die  verschiedenen  Hierokles  s. 
Behr  in  Pauly's  Realenc. 

^)  Suidas  u.  'JsQoxXijg. 

')  Damascius bei  Photius  Bibl. p.  338'^  35. 


696 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


bei  den  Gelehrten  des  Mittelalters  und  der  Renaissance  in  hohem  Ansehen 
und  ist  vollständig  auf  uns  gekommen J)  Überdies  haben  wir  von  Photios 
bibl.  cod.  214  u.  251  Auszüge  aus  dem  Werke  tisqI  nQovoiag  xal  d/ncxQfjisrr^g 
in  7  B.,  das  unser  Philosoph  als  Trostschrift  an  seinen  Gönner  Olympiodor  ge- 
richtet hatte.  Mehrere  andere  seiner  Schriften,  insbesondere  die  Streitschrift 
Tiva  TQOTTov  ^€oig  /()r;ö'T«oi',  citiert  und  benützt  Stobaios  ecl.  phys.  c.  7.^) 

Zu  den  Neuplatonikern  gehört  auch  Salustius,  den  wir  schon  oben 
als  Zeitgenossen  und  Freund  des  Kaisers  Julian  kennen  gelernt  haben. 3) 
Yon  ihm  ist  ein  Buch  ttsqI  ^ecov  xal  x6ap.ov  auf  uns  gekommen,  das  in 
21  Kapiteln  gewissermassen  einen  Katechismus  der  theologischen  Lehre  der 
Neuplatoniker  enthält.*)  In  diesem  Charakter  des  Buches  ist  es  begründet, 
dass  es  nicht  tief  auf  die  einzelnen  Fragen  eingeht;  aber  wer  sich  über 
die  Stellung  der  Neuplatoniker  zum  Mythus,  zur  Lehre  vom  Kosmos,  dem 
Nus,  dem  Bösen,  der  Seelenwanderung  orientieren  will,  kann  es  nicht  leicht 
besser  als  aus  diesem  gutgeschriebenen  Kompendium. 

Das  unter  dem  Namen  des  Herennios  umlaufende  Kompendium  der 
neuplatonischen  Metaphysik  (^Egewiov  (filoa6(fov  s'ßrjyrjcrig  eig  zd  iisraipvaixä 
ed.  Mai,  Class.  auct.  t.  IX),  das  früher  irrtümlich  als  Kommentar  der  ari- 
stotelischen Metaphysik  ausgegeben  wurde,"')  ist  eine  junge  Fälschung,  wahr- 
scheinlich aus  dem  16.  Jahrhundert.^) 

Von  den  tüchtigen  Kommentatoren  des  Piaton  und  Aristoteles  aus 
dieser  letzten  Zeit  der  alten  Philosophie,  von  Syrianos,  Hermeias,  Ammonios 
Ilermeiu,  Olympiodoros,  David,  Simplicius,  Asklepios,  loannes  Philoponos 
ist  bereits  oben  an  ihrer  Stelle  die  Rede  gewesen. 

564.  Synkretismus.  Der  Neuplatonismus  hatte  seine  Wurzeln  in 
dem  Bestreben  einer  Verschmelzung  der  griechischen  Lehre  des  Piaton  mit 
den  zu  steigender  Bedeutung  gelangten  Religionssystemen  des  Orients. 
Dieses  Bestreben  ist  schon  bei  Biotin  wahrnehmbar,  trat  aber  immer  stärker 
bei  den  späteren  Neuplatonikern,  namentlich  lamblichos  und  Proklos,  hervor. 
Vorgearbeitet  gewissermassen  war  den  Philosophen  durch  die  synkretistische 
Richtung  der  Volksreligion,  welche  insbesondere  seit  dem  Beginne  der 
römischen  Kaiserzeit  die  Reinheit  der  altgriechischen  Götterverehrung  durch- 
brach und  allgemach  auch  die  denkenden  Geister  in  ihren  philosophischen 
Anschauungen  beeinflusste.  Eingewirkt  haben  die  verschiedensten  Reli- 
gionen Asiens  und  Afrikas;  selbst  die  Lehren  der  Druiden  Galliens  und 
der  Brahmanen  Indiens  spielten  in  diesem  Mischmasch  eine  Rolle  ;'^)  auch 
die  altehrwürdigen  Sätze  des  Zoroaster  gewannen  durch  den  Einfluss  der 
Magier   und  die  Verbreitung  des   Mithraskultus   erhöhte  Bedeutung  in  der 


^)  Abgedruckt  ist  derselbe  von  Mullach 
FPG.  t.  I  p.  416-484. 

^)  Yon  einem  Hierokles,  schwerlich  dem 
unsrigen,  rührt  auch  eine  Sammlung  von 
Anekdoten  her,  worüber  s.  §  578. 

2)  Verschieden  von  diesem  ist  der  Rhetor 
und  Sophist  Salustius  Syrus,  der  dem  An- 
fang des  6.  Jahrhunderts  angehörte  und  als 
trefflicher,  gedächtnisstarker  Kenner  des  De- 
mosthenes  und  Nonnos  in  Alexandria  das 
grosse  Wort  führte;  s.  Damaskios  bei  Photios 
cod.  242  und  Suidas  s.  h.  v.    Von  ihm  rühren 


wahrscheinlich  die  Scholien  zu  verschiedenen 
Klassikern  her;  vgl.  698  An.  1. 

^)  Wiederabgedruckt  ist  dasselbe  in 
Mullach  FPG.  III,  30-50. 

'")  Die  Sache  ist  aufgeklärt  von  J.  Ber- 
NAYS,  Ges.  Abh.  I,  349  f. 

^)  Nachgewiesen  von  E.  Heitz,  Sitzb. 
der  Berl.  Akad.  1889  S.  1167  ff. 

')  Belehrend  ist  in  dieser  Richtung  be- 
sonders Diogenes  Laert.  proöm. ;  vgl.  Palia- 
dios  über  Indien  §  555. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3. Die  Prosa,  e)  Grammatik.  (§564—565.)     697 

bunten  Völkermasse  des  römischen  Kaiserreichs,^)  welche  die  griechische 
Sprache  als  Verständigungsmittel  der  Gebildeten  beibehielt,  ohne  deshalb 
noch  griechisch  oder  auch  nur  noch  hellenistisch  zu  denken.  Vorzüglich  aber 
war  es  die  jüdisch-christliche  Gnosis  und  die  Weisheit  der  ägyptischen 
Priester,  w^elche  die  Denkweise  des  in  Ägypten  entstandenen  Neuplatonismus 
beeinflussten  und  ähnliche  mystische  Schriften  hervorriefen. 

Die  Bücher  der  ägyptischen  Weisheit  wurden  unter  dem  Namen  ^EQf^rjg 
TQKTfjityKrTog  zusammengefasst  und  sind  uns  teilweise  noch  im  griechischen 
Original,  zum  grösseren  Teil  nur  noch  in  lateinischer  und  arabischer  Über- 
setzung erhalten.  Das  hauptsächlichste  ist  der  Poim ander  oder  das  Buch 
vom  guten  Hirten,  eine  Sammlung  Von  14  philosophischen  Dialogen,  in  denen 
Hermes  seinen  Sohn  Tat  und  den  Asklepios  in  der  Gottesgelehrsamkeit  unter- 
richtet. Ahnlicher  Art  ist  das  nur  in  der  lateinischen  Übersetzung  des 
Pseudo-Apuleius  erhaltene  Buch  Äsdepius  sive  dialogus  Ilermctis  trismegisti, 
ein  Schmerzensruf  des  seinen  Untergang  voraussehenden  Heidentums.^) 
Der  medizinischen  Zauberlitteratur  gehören  die  Kyranides  an,  mit  denen 
das  Büchlein  von  den  Pflanzen  der  7  Planeten  in  Verbindung  steht.  ^)  — 
Voll  astrologischer  Träumereien  sind  die  aus  dem  Arabischen  übersetzten 
Äphorismi  seu  centum  sententiae  astrologicae  (Centiloquiimi) . 

Parthey,  Hermetis  trismegisti  Foemander,  Berl.  1854.  -  Menakd,  Hermes  trimegiste, 
irad.  compl.  precedee  d^une  etude  sur  Vorigine  des  livres  liermetiqiies,  Paris  1866.  -  - 
FjQfjLov  Tov  TQiafisylarov  neqi  xaTax'Aiaeojg  voaovvxMi',  tisqI  yi'Maxtxrjg  ex  Tjycr  jua^i]fA«TLXfjg 
sniaTfjfxrjg  ngog  "Jfufiioim  Jlyvnxiov,  in  Ideler's  PJiysici  et  medici  graeci  \,  430—440.  — 
Die  Kyraniden  in  zwei  lateinischen  Bearbeitungen  stehen  in  Mysteria  pliysica  medica, 
1681;  den  Tractatus  de  Septem  lierhis  Septem  x>lanetis  attributis  veröffentlichte  Sathas, 
Ms.  gr.  cl.  IV,  n.  57,  wozu  berichtigende  Ergänzungen  liefert  H.  Haupt,  Phil.  48,  371  ff.  -- 
Papyrus  magica  musei  Lugd.  Bat.  quam  Leemaks  edid.  in  pap.  graec.  t.  II  denuo  ed.  Alb. 
Dieterich,  Lips.  1888. 

Über  den  Einfluss  der  Religion  des  Zoroaster  s.  WI^^DISCHMANN,  Die  Stellen  der  Alten 
über  Zoroastrisches,  in  Zoroastrische  Studien,  Berlin  1863,  S.  260 — 313.  —  Wachsmuth,  Lydns 
de  ostentis  p.  XII  weist  einen  Cod.  Laurent.  38,  34  nach,  der  eine  reiche  Sammlung  grie- 
chischer Astrologen  enthält.  —  In  die  gleiche  Kategorie  gehören  auch  die  astrologischen 
Lehrgedichte,  Orakelsprüche  und  Zauberverse,  von  denen  oben  §§  532—534  u.  560  die  Rede  war. 

e.  Die  Grammatik. 

565.  Die  Kritik  oder  das  Vermögen  Wahres  von  Falschem  zu  sondern, 
war  in  unserer  Periode  unter  den  Nullpunkt  gesunken.  Damit  hatte  die 
Grammatik  und  gelehrte  Forschung  ihre  Grundlage  verloren;  beeinträchtigt 
wurden  dieselben  des  weitern  durch  die  Abnahme  des  Interesses  an  der 
alten  Litteratur  und  die  Beschränkung  der  Lektüre  auf  wenige  Autoren 
und  Schriften.  Die  attischen  Komiker  wurden  gänzlich  vernachlässigt,  von 
Piaton  fast  nur  Gorgias,  Alkibiades  und  Phaidros  gelesen,  von  den  Tra- 
gikern nur  die  drei  Heroen  beachtet  und  selbst  von  diesen  Aischylos  mehr 
genannt  als  studiert.     Gleichwohl  beanspruchen  die  verhältnismässig   zahl- 

^)  Aus     den    bezeichneten    Kreisen    der    \    und  die  Priester,  welche  die  Lehre  bewahrten. 


orientalisdhen  Neuplatoniker  stammten,  die 
erhaltenen  "koyia  Zcoqouotqov  und  das  von 
Clemens  Alex.  Lactantius  u.  a.  citieite  Buch 


Hystaspes.  ;    gekommen 

'^)  Jak.  Bernays,  Über  den  Dialog  As- 
klepius,  Stzb.  d.  Berl.  Ak.  1871,  Ges.  W.  I, 
327  ff.;  Bergk  GL.  IV,  569—78.  Die  Haupt- 
stelle über    die  heiligen  Bücher  der  Ägyptier 


steht  bei  Clemens  Alex.  Paedag.  III,  2:  Kennt- 
nis von  denselben  war  bereits  durch  Manetho 
und   Hekataios    (s.  §  363)   zu    den  Griechen 


■^)  Schon  Galen,  de  siinj)!.  media,  facnl- 
tatibns  (IV,  1)  kennt  die  dem  Heimes  zu- 
geschriebene Schrift  über  die  34  ßordyca  tmv 

lOQOOXÖTlMV. 


698 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


zeichen  grammatischen  Schriften,  die  aus  der  Zeit  des  untergehenden 
Griechentums  auf  uns  gekommen  sind,  in  hohem  Grade  unsere  Aufmerk- 
samkeit. Denn  dem  Streben  der  Grammatiker  unserer  Periode,  die  Arbeiten 
der  Flüheren  in  kurze  Auszüge  zu  bringen,  verdanken  wir  die  Erhaltung 
vieler  Sätze  der  alten  Gelehrsamkeit.  In  dem  Kehricht,  das  uns  hier  zu 
durchstöbern  ist,  vermischt  sich  die  Grenze  zwischen  Altertum  und  Mittel- 
alter. Denn  die  Grammatik  blieb,  wenn  man  auch  im  späten  Mittelalter 
die  grammatischen  Regeln  zuweilen  nach  dem  Leierkasten  bekannter  Kirchen- 
lieder absang,  doch  ihrem  Wesen  nach  stets  von  dem  Kirchentum  und 
Glaubensbekenntnis  unberührt.  Zudem  hat  nach  Herodian  kein  Gramma- 
tiker mehr  etwas  Selbständiges  geleistet,  und  macht  es  daher  keinen  Unter- 
schied, ob  ein  Heide  oder  ein  Christ  die  Sätze  und  Sammlungen  einer 
besseren  Zeit  plünderte.  Wir  fürchten  daher  keinem  Tadel  zu  begegnen, 
wenn  wir  hier  öfters  die  Grenzscheide  der  Regierung  Justinians  überschreiten. 

566.  Von  der  empirischen  Grammatik,  Kritik  und  Exegese  der 
Autoren,  gilt  am  meisten,  was  wir  von  den  grammatischen  Studien  im 
allgemeinen  bemerkt  haben.  Neues  wurde  nichts  geleistet;  die  älteren 
gelehrten  Schollen  wurden  in  einem  schlechten  Extrakt  dem  Texte  der 
wenigen  noch  gelesenen  Autoren  am  Rande  beigefügt.  Hie  und  da  ist 
auch  der  Name  desjenigen  genannt,  der  den  Auszug  gemacht  und  mit  be- 
deutungslosen eigenen  Zugaben  bereichert  hat;  so  wurden  die  Schollen  zu 
Sophokles  redigiert  von  Salustios,')  die  zu  Euripides  von  Dionysios,  die 
zu  Aristophanes  von  Phaeinos,  die  zu  Theokrit  von  Eratosthenes,^)  die 
zu  Demosthenes  von  Ulpian.^) 

567.  In  der  grammatischen  Theorie  beschränkte  man  sich  wesent- 
lich auf  Kommentierung  der  kleinen  Schulgrammatik  des  Dionysios  Thrax,  auf 
Exzerpte  aus  Herodian  und  Einleitungen  in  das  Studium  der  Grammatik.  Wir 
führen  kurz  die  Männer  an,  von  denen  uns  derartige  Schriften  erhalten  sind. 

Theodosios  aus  Alexandria,  der  gegen  Schluss  des  4.  Jahrhunderts 
lebte, ^)  leiht  seinen  Namen  einer  Zusammenstellung  von  Kommentaren  zu 
der  Schulgrammatik  des  Dionysios  Thrax.'')  Derselbe  ist  wirklich  Verfasser 
der  Deklinations-  und  Konjugationsregeln  {daayMyixol  xavöveg  rregl  xKaeo^g 
ovonärwv  xal  QrjfLiäran'),  die  sich  grossen  Ansehens  in  den  Schulen  er- 
freuten und  von  Choiroboskos  eines  eigenen  Kommentars  gewürdigt  wurden.^) 
Demselben  wird  mit  Wahrscheinlichkeit  auch  die  Epitome  der  allgemeinen 
Prosodie   des    Herodian  {xavovsg  rrjg  xa&ohxfjg  nQoaoidiag)   zugeschrieben,') 


M  Über  Salustios  den  Sophisten  ein  Ar- 
tikel des  Suidas  ohne  Zeitangabe.  Unser 
Salustius  heisst  in  den  Scholien  TIvS^ayoQsiog 
und  dieser  war  ein  Schüler  des  lamblichos; 
s.  WiLAMOwiTz,  YjVly.  Horakl.  I,  197  f.;  vgl. 
§563. 

2)  Eratosthen  es  Scholastikos  kommt  unter 
den  Epigrammatikern  vor. 

^)  Ein  Ovlniavog  aocpiartjg  unter  Kon- 
stantin wird  von  Suidas  erwähnt. 

'*)  Derselbe  ist  wahrscheinlich  identisch 
mit  dem  (^((viudaiog  yQafUfjurixog  Geodoaiog, 
dem  Synesios  ep.  4  einen  Gruss  schickt. 

^)  Über  die  wirklichen  Verfasser  dieses 


Sammelsuriums  s.  Uhlig,  Dionys.  Thrax  p. 
XXXVI. 

^)  Im  Mittelaltei-  wurden  diese  Kanones 
in  die  Form  eines  Katechismus  gebracht 
und  in  Fragen  und  Antwort  zerlegt;  der 
Katechismus  ist  in  der  älteren  Form  erhalten 
in  cod.  Guelf.  Gud.  112,  der  von  Moscho- 
pulos  verbesserte  ist  im  Druck  erschienen 
1493  u.  Basel  1540. 

'')  Die  besten  Codices  (Havn.  Matrit. 
Barocc.)  haben  die  Überschrift  Kayorsg  Trjg 
xaf^ohxTJg  7TQoa(0(fic<g  rov  (jocfiorurov  Hqo)- 
^lavov,  ovg  negier eus  Geodöaiog  6  yQccfjfjrt- 
nxog    cpvltc^ag     röv    uQix^fxov    r^y    ß(ßXi(x)y, 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,   e)  Grammatik.  (§566—567.)     699 

welche  auf  Grund  des  minderwertigen  Zeugnisses  eines  jungen  Cod.  Paris. 

2102   von   Barker  (1823)  und   M.    Schmidt  (1860)    unter   dem   Namen   des 

Arkadios,  eines  angesehenen  Grammatikers  von  Antiochia/)  veröffentlicht 

wurde.     Von   dieser   Epitome,   welche   sich   eng   an   das  Originalwerk   des 

Herodian    anschliesst,    sind    uns    die    ersten  19  B.    in    der   Form    erhalten, 

welche  der  Epitomator  ihnen  gegeben  hat;    das  20.  Buch,    welches  in  den 

älteren   Handschriften   fehlt,   ist  von   einem  Fälscher  des  1(3.  Jahrhunderts 

aus  den  anonym  umlaufenden  Traktaten  nsgl  Tcvevfidicov  und  7T(;qI  xqövmv, 

welche  gleichfalls  auf  Herodian  zurückgehen,  ergänzt. 2) 

Theodosii  Alex,  gramwatica  ed.  Göttling,  Lips.  1822.  —  Theodosii  Alex,  canones, 
Georgii  Choerohosci  scholia,  Sophronü  patriarchae  Alex,  excerpta  ed.  Hilgakd,  in  Corp. 
gramm.  gr.  pars  IV,  Lips.  1889.  —  Die  Kad^oXixrj  TiQoaiodia  des  Ps.  Arkadios  ist  heraus- 
gegeben von  Barkek-Boissonade,  Lips.  1820,  und  verarbeitet  von  Lentz  in  Herodiani  relL, 
worüber  s.  §  512. 

Georgios  Choiroboskos  (d.  i.  Georg  der  Sauhirt)  war  um  600  Lehrer 
an  der  grossen  ökumenischen  Schule  in  Konstantinopel. ^)  Seinen  gram- 
matischen Vorträgen  legte  er  die  Kanones  des  Theodosios  zu  grund;  diese 
Vorträge,  in  denen  er  sich  als  einen  guten  Kenner  des  Apollonios,  Herodian, 
Orion  bewährt,  sind  nach  den  Nachschriften  seiner  Schüler  auf  uns  ge- 
kommen.^) Ausserdem  haben  wir  von  ihm  ein  Buch  über  Orthographie 
(Gramer,  An.  Ox.  II),  von  dem  im  9.  Jahrhundert  der  Grammatiker  Theo- 
gnostos  einen  Auszug  machte,^)  einen  Traktat  TrfQi  nQoaiodiwv  (Bekk.  An. 
gr.  703 — 8),  Kommentare  zu  Hephästion  und  Dionysios  Thrax  letztere  in 
der  abgekürzten  Form,  die  ihnen  ein  gewisser  Heliodoros  gab.^)  Fälschlich 
wurden  ihm  ehedem  auch  grammatische  Analysen  zu  den  Psalmen  zuge- 
schrieben.') 

Andere  Grammatiker  des  untergehenden  Altertums  waren:  Eugenios, 
der  nach  Suidas  unter  Kaiser  Anastasios  in  Konstantinopel  lehrte  und  ausser 
einem  attischen  Lexikon,  welches  noch  Suidas  benützte,  eine  metrische 
Analyse  (>i(aXoixeTQia)  der  melischen  Partien  von  15  Dramen  des  Aischylos, 
Sophokles,  Euripides  verfasste;^)  Eudaimon  aus  Pelusion,  Zeitgenosse  des 
Libanios  und  Verfasser  einer  xs^vri  yqa^xiiaTixrj  und  einer  oiofiaTixn]  oq^^o- 


aber  vor  dem  Prolog  steht  die  reservierte 
Fassung  ngöloyog  oifiai  Gso&oaiov  sig  rovg 
y.uvövag.  Galland,  De  Arcadii  qui  fertur 
uar.toi'Hate,  Diss.  Argent.  VIT,  denkt  an  den 
Grammatiker  Aristodemos  als  Verfasser, 
von  dem  Suidas  eine  inirofiij  zrjg  y.aSöXov 
'IlQiD^iavov  erwähnt. 

')  Dem  Arkadios  schreibt  Suidas  zu: 
tjsqI  oQxhoyQCifpiag,  nsQL  awra^sutg  rwr  tov 
'Aoyov  ^eQciy,  oyofxaarixop. 

^j  Die  Ergänzung  geschah    durch  Jak. 


Theod.  heisst  er  FsojQytog  ^iäxovog  xal  /«(>- 
Tocpvla^,  fA^eyag  yQccfUficcTixog  xal  oixovfjievi- 
xog  ö^idc'caxaXog. 

'^)  Georgii  Choerohosci  Dictata  in  Theo- 
dosii canones  et  epimerismi  in  psalmos,  ed. 
Gaisford,  Oxon.  1842-;  neue  Ausgabe  in  dem 
Corpus  gramm.  gracc.  von  Hilgard  Lips. 
1889. 

^)  Siehe  Krumbacher  im  Abriss  der 
byzant.  Litt. 

")  Über  einen  Traktat  des  Choiroboskos 


Diassorinos,     von    dem    auch    der    Titel    '    7rf()t  TTf^ey^attro)»^  im  Cod.  Matrit.  95  fol.  138ff. 
\lQxadiov   herrührt;    s.    Cohn,  Phil.  Abh.  zu    ,    von    zweifelhafter    Echtheit     gibt    Kenntnis 


Ehren  von  M.  Hertz  S,  141.  Über  andere 
Auszüge  der  Bücher  des  Herodian  ttsqI  nt^ev- 
uc'no)v  und  -nsQL  /QÖroji^  siehe  Egenolff, 
Die  orthoepischen  Stücke  der  byzantinischen 
Litteratur,  Mannh.  Progr.  18>7  S.  10  ff. 
Über  die  dem  Theodosios  sonst  noch  fälsch- 
lich beigelegten  Schriften  vergl.  Uhlig,  Dion. 
Thrax,  Index  p.  208. 

^)  In    den    Handschriften    der   Prol.    in 


Egenolff,    Die    orthoepischen   Stücke  S.  2<). 

^)  Lehrs,  Herodiani  scripta  tria  p.  489. 
Choiroboskos' Namen  trägt  auch  eineFiguren- 
Ichre    in    Spengel's  Khet.  gr.  III,  244-255. 

^)  Auf  diesen  Eugenios  scheinen  die  er- 
haltenen metrischen  Analysen  der  Dramatiker 
zurückzugehen,  die  ebensowenig  Wert  wie 
die  pindarischen  haben. 


700 


Griechische  Litleraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


yQa(fia,  welche  beide  verloren  gegangen  sind;  Timotheos  aus  Gaza  unter 
Anastasios,  der  nach  Suidas  über  Wunderdinge  in  Versen  schrieb  und  unter 
dessen  Namen  elementare  Regeln  über  die  Lautverbindungen  (xavoreg 
xa^oXixol  TTeql  avvTa^ewg)  auf  uns  gekommen  sind;  i)  Joannes  Philo- 
ponos  aus  der  Zeit  Justinians,^)  ein  schreibseliger  Kommentator  des  Ari- 
stoteles und  Verfasser  des  Buches  jk^qI  SiaXsxtwv  (im  Anhang  von  Ste- 
phanus'  Thesaurus  ling.  graec),  der  tovixcc  naqayysl^ata  (ed.  Dindoef, 
Lips.  1825)  und  des  im  Mittelalter  oft  abgeschriebenen  und  zuletzt  von 
Egenolff  (1880)  herausgegebenen  Schullexikons  nsql  twv  diaipoQoyg  tovov- 
l^ievMV  xal  6ia(fOQa  arj^iaivövTwv;  Theodoretos  aus  unbestimmter  Zeit,  von 
dem  uns  ein  aus  Herodian  gezogenes  Buch  Tregl  7tvei\adTa)v  in  lexikalischer 
Form  erhalten  ist;  2)  Joannes  Charax/)  Verfasser  des  von  Bekker,  An. 
gr.  1149-56  publizierten  Traktates  ttsqI  syxXivojiu'vün',  sowie  einer  Schrift 
TTtQi  oqd^oyqaifiag  und  von  Erläuterungen  zu  den  Kanones  des  Theodosios; 
Sergios  Anagnostes  aus  Emesa.  vielleicht  identisch  mit  dem  um  500 
blühenden  Sergius  grammaticus,^)  von  dem  Hilgard  eine  sTiiToinrj  twv  ovo- 
(xaTixMv  xavovMv  Aih'ov  'HQMÖiavov  veröffentlicht  hat  (Heidelb.  Progr.  1887). 

Lexika. 

568.  Das  Beste  und  Meiste  wurde  in  der  Lexikographie  geleistet, 
zu  deren  mechanischer  Thätigkeit  am  ehesten  noch  die  Kräfte  der  arm- 
seligen Gelehrten  des  untergehenden  Hellenentums  ausreichten. 

Ammonios,  der  nach  Zerstörung  der  heidnischen  Tempel  Alexandrias 
(389)  nach  Konstantinopel  auswanderte  und  dort  Lehrer  des  Kirchenhisto- 
rikers Sokrates  wurde,*')  ist  angeblich  Verfasser  des  synonymischen 
Lexikons  neql  dfioiojv  xal  öiaifoqwv  Xs'^smv.  Auf  so  späte  Zeit  passt  es, 
dass  die  Glosse  eTTiTif^irjcyov  des  Lexikons  auf  das  Evangelium  Lukas  7,  3 
Bezug  nimmt.  Aber  der  Umstand,  dass  sonst  nur  ältere  Grammatiker,  wie 
Didymos,  Aristonikos,  Tryphon,  Aristokles,  Neanthes  als  Gewährsmänner 
angegeben  werden  und  dass  einmal  sogar  der  Grammatiker  Herakleides 
aus  Milet  mit  dem  Zusatz  0  ruittsQog  citiert  wird,  beweist  deutlich,  dass 
der  Grundstock  unseres  Lexikons  aus  viel  älterer  Zeit  stammt.  Valckenaer 
hat  daher  in  der  Einleitung  seiner  Ausgabe  einen  neuen  Ammonios  aus  der 
Wende  des  L  und  2.  Jahrhunderts  in  die  Litteraturgeschichte  einführen 
wollen.  Da  uns  aber  aus  anderen  Quellen  mehrere  Artikel  des  Lexikons 
unter  dem  Namen  Eranios  und  Ptolemaios  überliefert  sind  und  Eustathios 
sich  in  dem  Homerkommentar  wiederholt  auf  'EQsrriog  ksqI  Siacfogwg  dr^nai- 
roixsvMv  bezieht,   so  scheint  vielmehr  Herennios  Philo  der  eigentliche  Ver- 


j 


')  Diesen  Traktat  und  Exzerpte  aus  dem 
Wunderbuch  publizierte  Ceamek,  An,  Ox.  IV, 
263  ff.  u.  An.  Par.  IV,  239  ff.:  P]xzerpte  aus 
dem  Buche  von  den  Tieren  veröffentlichte  M. 
Haupt,  Herrn.  HI.  1  ff.  =  Opusc.  HI,  274  ff. 

-)  Nach  Pkantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  643 
erlebte  er  als  Greis  die  Einnahme  Alexan- 
drias durch  Omar  (640),  was  sich  wenig  mit 
den  Nachrichten  über  die  Polemik  des 
LeontioR  Monachos  gegen  Philoponus  ver- 
einigen lässt. 


^)  Eine  Ausgabe  im  Corpus  gramm.  gr. 
bereitete  Stüdemund  vor;  eine  vorläufige  An- 
zeige gibt  Uhlig  in  Jahrb.  f.  Phil.  121,  789  ff. 

^)  Derselbe  war  verschieden  von  dem 
Erzieher  des  Kaisers  Theophilos  und  gehörte 
dem  6.  Jahrhundert  an;  s.  Ludwicii,  De 
Joanne  Philopono  p.  9. 

^)  Photios  p.  283b,  28;  Choiroboskos 
p.  546,  32;  Et.  M.  p.  223,  1. 

^)  Sokrates,  Hist.  eccl.  5,  16. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  e)  Grammatik.  (§  568  -  5G9.)     701 

fasser  des  Lexikons  über  synonyme  Ausdrücke,  Ammonios  aber  nur  der 
Überarbeiter  desselben  zu  sein. 

Hauptausgabe  von  Valckenaer,  LB.  1739,  wiederholt  von  Ammon,  Erlangen  1787. 
Eine  neue  Bearbeitung  der  synonymischen  Wortverzeichnisse  hat  für  das  Corpus  der 
griech.  Grammatiker  Cohn  übernommen ;  die  litterarhistorische  Frage  ist  ins  Reine  gebracht 
von  Kopp,  De  Ammonii  aliorum  distinctionibus  synonymis,  Königsberg  1883.  —  Schon 
Seleukos  hatte  nach  Suidas  ne^l  xrjg  ii^  GVPiavvfxoiq  diacpoQccg  geschrieben.  —  Heylbut, 
Ptolemaeus  tisqI  &i«(poQag  Xe^siog,  Herrn.  22,  388  ff. 

Ein  Auszug  aus  dem  Synonymen-Wörterbuch  ist  das  von  Boissonade  An.  gr.  HI, 
262  ff.  veröffentlichte  Büchlein  negt  uxvQoXoyiac,  das  der  Fälscher  Paläokappa  in  Codd. 
Paris  2551  und  2929  dem  Herodian  zuschrieb. 

569.  Orion  aus  dem  ägyptischen  Theben  lehrte  um  die  Mitte  des 
5.  Jahrhunderts  in  Konstantinopel,  wo  seine  grammatischen  Vorträge  so 
beliebt  waren,  dass  dieselben  sogar  die  Kaiserin  Eudokia,  die  schöngeistige 
Gemahlin  des  Kaisers  Theodosios  IL,  mit  ihrem  Besuche  beehrte.')  Den 
Hauptsitz  seiner  Thätigkeit  aber  muss  derselbe  in  Cäsarea  gehabt  haben, 
da  er  in  den  Handschriften  yQafijiiaTixdg  Kaiaageiag  genannt  wird.  Suidas 
erwähnt  von  ihm  eine  Sammlung  von  Sentenzen,  welche  er  der  Kaiserin 
Eudokia  widmete.  Erhalten  haben  sich  von  ihm  Trümmer  seines  Haupt- 
werkes, eines  etymologischen  Lexikons  {n8Ql  srviioXoyi(jov),  in  welchem 
er  die  älteren  etymologischen  Forschungen  des  ApoUodoros,  Herakleides 
Pontikos,  Philoxenos,  Soranos,  Eirenaios,  Apollonios,  Herodianos  und  Oros 
aus  Milet  zusammenfasste.  Der  letztere,  mit  dem  unser  Orion  von  den 
Späteren  vielfach  verwechselt  wurde,  war  ein  berühmter  Grammatiker  der 
älteren  Schule,  Gegner  des  Herodian  und  Phrynichos;  Stoff  für  die  späteren 
Etymologen   lieferten   namentlich   seine  Werke  'OQ^oyQcc(fia   und  ^E^vixd.^) 

Aus  jenem  etymologischen  Lexikon  des  Orion  gingen  die  etymologi- 
schen Kompilationen  des  Mittelalters  hervor:  das  echte  Etymologicum 
magnum,^)  das  Etymologicum  Gudianum,*)  das  erweiterte  Etymo- 
logicum magnum,^)  die  Jvvaywyri  Xt^sun'  des  Zonaras  (IL  Jahrhundert). 
Dieselben  gehen  alle  auf  eine  Grundlage  zurück  und  dienen  sich  zur  gegen- 
seitigen Ergänzung.  Wert  für  die  Wissenschaft  der  Wortherleitung  haben  diese 
Etymologika  sämtlich  so  gut  wie  keinen;  die  Alten  tappten  eben  auf  diesem 
Gebiet  ganz  im  Dunkeln,  ohne  durch  methodische  Analyse,  Erforschung  der 
Lautgesetze  und  Vergleichung  der  verwandten  Sprachen  den  richtigen  Boden 
zu   ihren  Versuchen    zu    legen.     Aber  für   die  Geschichte  der  griechischen 


^)  Marinus  vit.  Procl.  c.  8;  Tzetzes. 
Chihad.  X,  60. 

^)  Diesen  Oros  aus  Milet,  der  von  dem 
'ilQog  'Ale'^ap^QEvg  des  Suidas  nicht  ver- 
schieden gewesen  zu  sein  scheint,  hat  wieder 
zu  Ehren  gebracht  Ritschl,  De  Ovo  et  Orione, 
Opusc.  I,  582 — 673.  Seine  Zeit  würde  sich 
noch  bestimmter  ergeben,  wenn  es  feststünde, 
dass  von  ihm  die  Lobrede  auf  Hadrian  her- 
rührte, welche  Suidas  unter  'iigiMy  ^AXe'^av- 
ÖQevg  anführt. 

^)  Dieses  echte  'Exv^oXoyixov  /xeya,  aus 
dem  durch  Verschmelzung  mit  dem  'Erv- 
fxoXoytxoi/  aXXo  oder  Etyni.  Gudianum  das 
bisher  Etym.  magn.  genannte  Lexikon  hervor- 
gegangen   ist,    wird    Keitzenstein    aus    den 


Mitteilungen  gibt  derselbe  Philol.  48  (1890) 
450  ff.  und  in  Verh.  der  40.  Vers.  d.  Phil, 
in  Görlitz. 

^)  Benannt  ist  dasselbe  nach  Gude,  dem 
ehemaligen  Besitzer  der  Wolfenbüttler  Hand- 
schrift. 

^)  Dasselbe  läuft  bis  auf  unsere  Tage 
unter  dem  mit  Unrecht  ihm  verliehenen 
Titel  Etymolo(jicum  magnum.  Verfasst  ist 
dasselbe  nach  Photios,  der  benützt  ist,  und 
vor  Eustathios,  der  dasselbe  citiert;  s.  Nabeu, 
Phot.  lex.  I,  167  ff.  Der  Verfasser  hat  auch 
eigenes  hinzugefügt  und  bemerkt  zum  un- 
sinnigen Artikel  über  neog  selbstgefällig: 
iyu)  inEvoriaci.  Nach  einer  niissverstandenen 
Beischrift    hielt  man  ehedem  den  Nikas  für 


Handschritten  wieder   herstellen;    vorläufige    |    den  Verfasser;  s.  Millek,  Melang.  o  f. 


702  Griecliische  Litteraturgeschiclite.     ll.  Nachklassische  Litteratur. 

Grammatik   sind   gleichwohl  jene  Werke    von  Bedeutung,   zumal  meistens 
die  Zeugen  für  die  verschiedenen  Sätze  beigeschrieben  sind. 

Etymologica  ed.  Sturz,  Lips.  181G  — 20;  rec.  Gaisford,  Oxon.  1848;  Nachträge  lie- 
ferten Ceamer,  An,  Par.  IV,  und  Miller,  Melanges  p.  1-318;  eine  Neulsearbeitung  mit 
den  seither  bedeutend  vermehrten  Hilfsmitteln  ist  ein  dringendes  Bedürfnis,  dessen  Ab- 
hilfe von  Reitzenstein  erwartet  wird.  —  Ein  byzantinisches  Lexikon  des  Theodoros 
Ptochoprodromos  publizierten  aus  einer  Handschrift  von  Smyrna  Papadopulos  u.  Miller 
in  Annuaire  de  Vassociation  pour  Vencour agement  des  etudes  grecques  t.  X  (1876)  p.  121 
bis  136;  s.  Egenolff,  Jahresber.  d    Alt.  XIV,  1.  157  ff. 

570.  Hesychios  von  Alexandria,  wahrscheinlich  dem  5.  Jahr- 
hundert angehörig,  ist  Verfasser  des  reichhaltigsten  der  aus  dem  Altertum 
uns  erhaltenen  Lexika,  Dasselbe  sollte  nach  dem  Brief,  den  der  Verfasser 
an  seinen  Freund  Eugenios  vorausschickt,  eine  Neuauflage  der  UsQisQyo- 
Tct'vtjTsg  des  Diogenianos  sein,^)  ergänzt  durch  Glossen  aus  den  Homer- 
lexicis  des  Apion  und  Apollonios.  Ob  das  zu  gründe  liegende  Werk  des 
Diogenianos  der  oben  §  504  erwähnte  Auszug  des  Pamphilos  oder  ein 
davon  unabhängiges  selbständiges  Werk  gewesen  sei,  ist  eine  zwischen 
Mor.  Schmidt,  dem  verdienten  Herausgeber,  und  Hugo  Weber,  dem  tüchtigen 
Sachkenner,  lebhaft  erörterte,  noch  nicht  definitiv  geschlichtete  Streitfrage. 2) 
Das  erhaltene  Lexikon  des  Hesychios  enthält,  abgesehen  von  den  jungen 
biblischen  Glossen,  in  knappster  Form  teils  bemerkenswerte  Lesarten  der 
Autorentexte  {Xe'^sig),  teils  ungewöhnliche,  nur  in  einzelnen  Dialekten  oder 
Städten  gebräuchliche  Ausdrücke  (ylMaaai).  Die  ersteren  haben  für  die  Kritik 
und  Emendation  der  Autoren  schon  sehr  gute  Dienste  geleistet,  indem  zuerst 
Ruhnken  und  dann  andere  nach  ihm  aus  einzelnen  Artikeln  die  ursprüng- 
lichen, durch  die  darüber  geschriebenen  Glossen  aus  dem  Text  verdrängten 
Lesarten  der  klassischen  Autoren  nachwiesen.  Die  dialektischen  Glossen 
haben  für  das  Studium  der  griechischen  Dialekte  hohen  Wert,  wenn  die- 
selben auch  vielfach  durch  die  auf  Inschriftsteinen  uns  erhaltenen  Zeugen 
berichtigt  werden.^)  Eine  arge  Kopflosigkeit  Hess  sich  der  Lexikograph 
darin  zu  schulden  kommen,  dass  er,  durch  die  Ähnlichkeit  der  Buchstaben 
r  und  F  verleitet,  alle  mit  Digamma  beginnenden  Wörter  unter  dem  Buch- 
staben Y  aufführte.  Im  byzantinischen  Mittelalter  wurden  in  das  alte  Werk 
des  Hesychios  christliche  Glossen,  insbesondere  Artikel  des  Kyrill-Glossars, 
nicht  ohne  vielfache  Miss  Verständnisse  hineingearbeitet;  vgl.  §  573. 

Hesychii  lex.  ed.  Alberti,  confecit  Ruhnken,  LB.  1766,  2  vol.  —  rec.  Mor.  Schmidt, 
Jenae  1858—68,  4  vol.;  edit.  minor  1867,  1  vol.,  worin  der  Versuch  gemacht  ist,  die  Ar- 
tikel des  Diogenianos  von  den  Zusätzen  des  Hesychios  zu  scheiden. 

571.  Hesychios    aus  Milet,    mit   dem   Beinamen   Illustrius,    der    im 
6.  Jahrhundert  unter  Justinian  lebte  und  auch  eine  Geschichte  seiner  Zeit 
schrieb, 4)   ist  Verfasser   des  für  die  griechische  Litteraturgeschichte  hoch-  j 
wichtigen  litterarhistorischen  Lexikons  'OvoixaToXoyog  1]  nira§  twv  iv  naiöeia 


')  Der  Titel  IIsQiSQyonepijtsg  scheint  zu    1  ^)  Dass    von    257    kyprischen    Glossen 


bedeuten  „Wörterbuch  für  arme  Studenten." 
'^)  Weber,  De  Hesychii  ad  Eulogium 
epistida,  Weimar  1865;  Untersuchungen  über 
das  Lexikon  des  Hesychios,  Philol.  Suppl. 
HI,  449—625:  Ed.  Zarncke,  Symbolae  ad 
Jul.  Follucem  p.  46  sqq.  Auf  die  Seite  von 
Schmidt  stellt  sich  auch  Reitzenstein,  Rh. 
M.  43,  456  f. 


nur  das  einzige  ßQovxog  sich  im  heutigen 
Kyprischen  erhalten  hat,  bemerken  Miller 
u.  Sathas  in  der  Ausgabe  des  Leontios 
Machaeras,  intiod.  p.  XIII,  Über  die  latei- 
nischen Glossen  s.  Immisch,  Leipz.  Stud.  VIII, 
266-378. 

'')  Siehe  darüber  Krumbacher  im  Abriss 
der  byzant.  Litt. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,    e)  Grammatik.  (§  570—572.)     703 


orofiacnöir.  Dasselbe  ist  uns  nicht  im  Original  erhalten,  sondern  nur  in 
den  Auszügen,  die  aus  ihm  Suidas  in  sein  Lexikon  aufnahm.')  Hesychios 
selbst  hinwiederum  war  im  wesentlichen  nur  Übermittler  älterer  Gelehr- 
samkeit, indem  er  seine  Angaben  zumeist  der  Movoixt]  laioQia  des  Aelius 
Dionysius  ^)  und  den  litterarhistorischen  Werken  des  Herennios  Philon 
entnahm.  2) 

Hesychn  Milesii  Onomatologi  qiiae  superstint  ed.  Flach,  Lips.  1882  und  in  Bibl. 
Teubn.  —  Volkmann,  De  Stcidae  hiographicis,  Bonn  1861;  Wachsmuth,  De  fontibus  ex 
quihus  Suidas  in  scriptorum  graecorum  vitis  Jiauserit,  in  Symb.  phil.  Bonn.  I,  137  ff.; 
Daub,  De  Suidae  hiograpJiicoriim  origine  et  ftde,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XI,  403  ff. 

572.  Suidas,  der  bekannte  Verfasser  des  umfangreichsten  griechischen 
Lexikons,  welches  Sprach-  und  Reallexikon  zugleich  ist,  gehört  seiner 
Lebenszeit  nach  dem  tiefen  Mittelalter  (10.  Jahrhundert)  an,  fusst  aber 
wesentlich  auf  lexikalischen  und  grammatischen  Werken  des  Altertums. 
Von  ihm  selbst  werden  in  dem  Proömium  als  Quellen  angeführt:')  Evö^iog 
QijTMQ  ttsqI  Xs^scor,^)  'EXXädiOQ/')  Evytviog  AvyovaTonöXswg  xr^q  er  0Qvyia, 
ZMüt'ixov  Fce^cciov  Xs'^eig  ^rjroQixai,'^)  KaixiXiov  ^ixsXkütov  exXoyrj  Xt"^€MV, 
Aoyyivov  KaCGiov  Xt'^sig,  AovnhQxov  BrjQvviov  'AzTixal  Xe'^sig,^)  OvfjcTTivov 
^lovXiov  sniTü^iij  na^iKfi'Xov  yXa)(T(Tdn\  tlaxärog  ttsq)  oviTj^siag  ^ÄTTixr^g,  Ila^- 
(fiXov  Xi:ifX(i]v  Xe'^SMV  noixiXun'^  Tla^XiMVog  ^AXs'^ardQi'cog  'Attixcov  Xt^euiv  cvvcc- 
yMy}],  Aber  dieses  Quellenverzeichnis  hat  nur  auf  den  sprachlichen  Teil 
des  Lexikons  Bezug;  wahrscheinlich  hat  sogar  in  diesem  nicht  einmal 
Suidas  die  angeführten  Werke  selbst  vor  sich  gehabt,  sondern  ihr  Ver- 
zeichnis nur  dem  Sammelwerk  entnommen,  das  ihm  in  den  sprachlichen 
Artikeln  als  hauptsächlichste  Vorlage  diente.  ■')  Ausserdem  benützte  er 
noch  manche  andere,  nicht  ausdrücklich  genannte  Quellen,  insbesondere 
gute  Schollen  zu  den  Tragikern,  Aristophanes  und  Thukydides,  ferner  den 
Onomatologos  des  Hesychios  Milesios,  das  Exzerptenwerk  des  Konstantinos 
Porphyrogennetos,^^)   die  Philosophenbiographien  des  Diogenes,  endlich   die 


')  Suidas  u.  'Hav/iog  MiXTJaiog  '  tyQa^sp 
ovo^aroloyov  rj  niyaxa  T(oy  ep  naiösia  ovo- 
fxuoTVJv,    ov    eniio^Tj    ioii   tovto  to  ßiß'/,iop. 

^)  Suidas  u.  'HQM^iapog. 

^)  Für  die  Zeit  nach  Herodian  waren 
Quellen  des  Hesychios  die  Chronik  des  Heli- 
konios  (Suidas  u.  'EAtxwVto?),  und  der 
Kirchenhistoriker  Theodoros  Lector, 
schwerlich  auch  die  der  Unechtheit  dringend 
verdächtige  Übersetzung  des  Hieronymus  de 
viris  illustribus  von  Sophronios  (ed.  Eras- 
Mus,  Lueubvationes  Hieronymi,  Basel  1526, 
t.  I  p.  265  f.,  in  Vallaesi's  Ausgabe  des 
Hieronymus  H,  2  p.  821  ff.);  die  Echtheit  und 
das  hohe  Alter  der  letzteren  sucht  Flach, 
Rh.  M.  ,36,  624  ff.  zu  verteidigen. 

'*)  Über  die  Quellen  des  Suidas  im  all- 
gemeinen handelt  Bernhaedy  in  seiner  Aus- 
gabe; von  den  meisten  der  von  Suidas  selbst 
angeführten  Quellen  war  bereits  im  voraus- 
gehenden die  Rede. 

^)  Über  Eudemos  ein  Artikel  des  Suidas; 
KiTSCHL,  Opusc.  I,  669  setzt  ihn  vermutungs- 
weise ins  3.  Jahrh.  n.  Chr. 

'^)  Helladios  lebte  unter  Theodosios  dem 


Jüngeren;  sein  Lexikon  lag  noch  demPhotios 
vor,  der  es  cod.  145  Xe^ixwp  TioXvari/i6T(CT0P 
nennt. 

^)  Dieser  Zosimos,  verschieden  von  dem 
Historiker,  lebte  nach  Suidas  unter  Ana- 
stasios  und  schrieb  ausser  dem  Lexikon 
Kommentare  zu  Lysias  und  Demosthenes; 
von  ihm  rührt  das  erhaltene  Leben  des 
Demosthenes  und  wahrscheinlich  auch  das 
des  Isokrates  her. 

^)  Luperkos  lebte  nach  Suidas  unter 
Claudius  II. 

^)  Zu  beachten  ist  aber  dabei,  dass 
Suidas  in  dem  Lexikon  allen  diesen  Männern 
sehr  ausführliche  Artikel  gewidmet  hat. 
Vgl.  Naber,  Phot.  lex.  T,  164  ff.  Dass  Suidas 
nicht  direkt  den  Photios  benützt  hat,  beweist 
RoELLiG,  Quae  ratio  vnter  Photii  et  Suidae 
lexica  intcrcedat,  Diss.  Hai.  VIII  (1887). 
Drastisch  sagte  bereits  Valckenaer  zu  Theoer. 
Adon.  p.  297 :  Suidam  ego  quidem  iudico 
mdlum  vidisse  lexicoruvi,  qnae  in  fronte 
libri  memorantur. 

'")  Dass  die  historischen  Nachrichten  des 
Suidas  nicht  aus  den  grossen  Originalwerken, 


7Ö4  Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litter atur. 

im  10.  Jahrhundert  noch  fleissig  in  ßyzanz  gelesenen  Schriften  des  Aelian, 
Athenaios,  Philostratos,  Babrios. 

Dem  Suidas  ward  früher  gewöhnlich  als  Appendix  das  Violarium 
{'iMvid)  der  Kaiserin  Eudokia  (11.  Jahrhundert)  angehängt  und  von  den 
Litterarhistorikern  zur  Ergänzung  einzelner  Artikel  des  Suidas  benützt. 
Jetzt  muss  dieses  Lexikon  aus  dem  Verzeichnis  der  alten  Quellenwerke 
gestrichen  werden,  nachdem  Nitzsche,  Quaestiones  Eudocideae  (1868)  und 
PuLCH,  De  Eudociae  quod  fertur  Violario  (1880)  den  Nachweis  geliefert 
haben,  dass  dasselbe  die  Fälschung  eines  gelehrten  Griechen  der  Renaissance 
ist,  welcher  seine  Auszüge  aus  Suidas  mit  einigen  aus  Athenaeus,  Maximus 
Tyrius  u.  a.  geschöpften  Notizen  bereicherte.  Der  Name  des  Fälschers 
war  Konstantinos  Palaiokappa  aus  Kreta,  der  unter  Heinrich  II.  an  den 
Pariser  Bibliotheken  thätig  war.^) 

Codices  des  Suidas:  Paris.  2625  (A),  Leidensis  Voss.  2  (V).  Hauptausgaben  von 
Küster,  Cambr.  1705;  von  Gaisford,  Oxon.  1834,  3  vol.fol.;  von  Bernhardy,  HaHs  1853; 
2  vol.  fol.;  von  I.  Bekker,  Berol.  1854,  1  vol.  4.  —  Eudokia  zuerst  herausgegeben  von 
ViLLOisoN,  Anecd.  gr.  I.  Der  einzige  Codex  derselben  ist  der  Paris.  3057  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert. 

573.  Photios,  der  einflussreiche  Patriarch  von  Konstantinopel  (857 
bis  879),  ist  Verfasser  eines  Lexikons  At^scov  avvayMyr^  und  zugleich  eines 
grossen  Exzerptenwerkes  BißhoO^r^xi]  i]  iivQiößißXog,.  Die  Bibliothek  ent- 
hält ein  reichhaltiges,  mit  Inhaltsangaben  und  Auszügen  ausgestattetes 
Verzeichnis  von  280,  jetzt  zum  grossen  Teil  verloren  gegangenen  Werken, 
welche  Photios  auf  einer  Gesandtschaftsreise  nach  Persien  sich  hatte  vor- 
lesen lassen.  Das  Buch  ist  schlecht  angelegt,  indem  die  verschiedensten, 
heidnischen  und  christlichen  Schriftsteller  bunt  durcheinander  geworfen  sind, 
gibt  uns  aber  einen  höchst  erwünschten  Ersatz  für  die  verlorenen  Original- 
werke und  enthält  zugleich  ein  interessantes  Zeugnis  für  den  damaligen 
Bestand  der  Bibliotheken  des  byzantinischen  Reiches. 2)  Das  Lexikon  desj 
Photios  fusst  teils  auf  Diogenian,^^)  dessen  Kenntnis  dem  Verfasser  durch] 
die  rhetorischen  Lexika  des  Dionysios  und  Pausanias  vermittelt  war,  teils  ^ 
auf  Speziallexicis  zu  Piaton,  den  attischen  Rednern  und  Homer.  Wesent- 
lich die  gleichen  Quellen  liegen  noch  mehreren  anderen,  anonymen  Lexicis 
des  Mittelalters  zu  grund. 

Der   Cod.    archetypus    des   Photios-Lexikons   befindet  sich   zu    Cambridge;    aus  ihm 
hatten  schon  einzelnes  ßentley,  Ruhnken,  Alberti   mitgeteilt,   bis   G.  Hermann  den   eisten! 
Druck  im  Nachtrag  zu  Zonaras  besorgte  (1S08).    Hauptausgaben  desselben  sind  von  Porson, 
Lond.  1822,  2  vol.,  und  von  Naber,  LB.  1866,  2  vol.  mit  ausführlichen,  die  ganze  Lexiko- 
graphie der  Griechen  beleuchtenden  Prolegomenis. 

Hauptcodex  der  Bibliothek  des  Photios  ist  Marc.  450;  ed.  princ.  von  Höschel, 
Augsb.  1601;  Ausg.  mit  kritischem  Apparat  von  Bekker,  Berol.  1824,  2  vol.  Über  die 
durch  dieselbe  vermittelte  Bereicherung  der  alten  Litteratur  s.  Scholl,  Gr.  Litt.  111,  209 — 218. 

Von  den  anderen  Lexicis  sind  die  wichtigsten:  das  Bach  mann 'sehe  Lexikon  {avva- 
yvjyrj  ke^swy  /Qf]OLfi(oy  ix  öiacpoQiap  oo(pwv  rs  xcd  ()T]t6qwp  noX'Aüiy),  wovon  Bachmann,  An.  gr.  I, 
1 — 422  die  Buchstaben  ß — 10  aus  dem  Cod.  Coislin  345  herausgegeben  hat,  und  wozu  dea 
Anfang  oder    den  Buchstaben  a   das   6.  Bekker'sche   Lexikon    (An.  gr.  319—476)    enthält; 


sondern  aus  dem  Exzerptenwerk  des  Kon- 
stantinos Porphyrogennetos  geflossen  sind 
und  Suidas  höchstens  die  Chronik  des  Geor- 
gios  Monachos  selbst  einsah,  beweist  De 
BooR,  Herm.  21,  1—26. 

•)  PuLCH,   Herm.    17,    176  ff.     Näheres 


über  diesen  Fälscher  und  seinen  Genossen 
gibt  L.  CoHN,  Konstantin  Palaeokappa  und 
Jakob  Diassorinos,  in  Phil.  Abh.  zu  Ehren 
von  M.  Hertz  S.  123—143. 

2)  BLASS,    Handb.   d.  klass.  Alt.  I,  137. 

^j  Diogenianos  selbst  ist  citiert  u.  «.  «. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstautiu.    3.  Die  Prosa,  e)  Crrammatik.  (§  573  —  575.)     705 

das  5.  Bekker'sche  Lexikon  (An.  gr.  195 — 318),  dessen  Artikel  sich  vielfach  mit  dem 
Lexikon  des  Photios  infolge  der  Benützung  gleicher  Vorlagen  berühren;  das  auf  den  Gram- 
matiker Methodios  zurückgehende  ^t//wcfer»'-Lexikon,  von  dem  Sturz  im  Anhang  des 
Et.  Gud.  p.  017  ff.  ein  Exzerpt  veröffentlicht  hat;  s.  Kopp,  Zur  Quellenkunde  des  Et.  M., 
Rh.  M.  40,  371  ff. 

Die  Lexikographen  Philoxenus  (Konsul  unter  Justinus  525)  und  Cyrillus  als 
Verfasser  von  lateinisch-griechischen  und  griechisch-lateinischen  Glossen  haben  sich  in  eitel 
Dunst  aufgelöst,  da  ihre  Autorschaft  an  den  bezeichneten,  von  Stephanus  und  Labbäus 
herausgegebenen  Lexicis  auf  leerer  Fiktion  beruht;  s.  Rudorff,  Über  die  Glossare  des 
Philoxenus  und  Cyrillus,  Abh.  d.  Berl.  Ak.  1865,  S.  220  ff.  u.  230  ff.;  neueste  kritische  Be- 
arbeitung derselben  in  Corpus  glossariorum  latinorum,  ed.  Götz  et  GundermanNj  Lips.  1888. 

Das  Lexikon  technologicum  des  Philemon,  das  sein  Herausgeber  Osann  (1821)  in 
das  5.  Jahrhundeit  setzen  wollte,  ist  erst  im  16.  Jahrhundert  unter  erlogenem  Titel  fabri- 
ziert worden;  s.  Cohn,  Phil.  Abh.  zu  Ehren  von  Hertz  133  ff. 

Das  Lexikon  des  Kyrillos  (in  Cod.  Vallicellianus  E  11  s.  X),  von  dem  eine  kritische 
Gesamtausgabe  von  Reitzenstein  erwartet  wird,  hat  schwerlich  etwas  mit  dem  Kirchenvater 
Kyrillos,  Erzbischof  von  Alexandria,  gemein.  Dass  das  Cyrillglossar  nachträglich  im  10. 
Jahrb.  in  den  Hesychius  hineingearbeitet  wurde,  ist  nachgewiesen  von  Reitzenstein,  Die 
Überarbeitung  des  Lexikons  des  Hesychios,  Rh.  M.  43  (1888).  443  ff.  In  das  Cyrillglossar 
hinwiederum  sind  Artikel  aus  dem  biblischen  Stephanus-Glossar  {Xs^sig  tmp  evöiax^siiou 
yQcicpöiv)  gekommen,  das  im  Cod.  Coislinianus  394  s.  X  existiert  und  seinen  Namen  davon 
hat,  dass  es  Stephanus  im  Anhang  seines  Thesaurus  veröffentlichte. 

Das  Lexikon  Vindobonense  (aus  Cod.  Vind.  169  herausgegeben  von  Nauck, 
Petrop.  1867)  ist  nach  dem  Patriarchen  Georgios  Kyprios  (1283 — 9),  der  öfters  citiert  wird, 
verfasst,  und  enthält  ausser  spärlichen,  meist  aus  Harpokration  geflossenen  Glossen  der 
alten  Zeit  zahlreiche  Zusätze  aus  den  Schriften  der  sophistischen  Rhetoren  Aristides,  Liba- 
nios,  Synesios,  Julianos,  Gregorios. 

Chrestomathien, 

574.  Die  Grammatiker  hatten  seit  alters,  in  steigendem  Masse 
aber  in  der  römischen  Zeit  die  Gewohnheit,  die  alten  Autoren  nach  ge- 
wissen Gesichtspunkten  durchzulesen  und  aus  ihnen  dasjenige  auszuziehen 
{ixXsysad^ai) ,  was  ihnen  für  die  Anlage  ihrer  Sammlungen  und  zur 
Durchführung  irgend  einer  Untersuchung  von  Belang  zu  sein  schien. 
Schon  Diogenes  III,  65  fand  in  seinem  Piaton  öfters  am  Rande  ein  X 
nsqisaxiyiitvov  ngog  Tag  sxXoydg  xal  xaXXf,yQa(fiag,  und  auch  wir  begegnen 
noch  häufig  in  griechischen  Handschriften  diesem  X,  das  mit  xQriaxov  oder 
XQrjaipov  gedeutet  wird  und  mit  jenen  Bestrebungen  der  Grammatiker  und 
Sophisten  zusammenhängt.^)  Eine  vollständige  Litteratur  von  Exzerpten 
{sxXoyai),  Blütenlesen  (av^oXoyicc),  Chrestomathien  (xQrjato/xa^iai)  entstand 
gegen  Ende  des  Altertums,  als  man  sich  nicht  mehr  die  Mühe  nahm,  die 
grossen  Werke  von  vorn  bis  hinten  durchzulesen,  sondern  sich  mit  einer 
Auswahl  der  vorzüglichsten  Stellen  begnügte.  Die  Exzerpte  haben  nicht 
wenig  zum  Untergang  der  Originalwerke  beigetragen,  für  uns  aber  haben 
dieselben,  nachdem  nun  einmal  doch  die  Originale  verloren  gegangen  sind, 
eine  nicht  zu  unterschätzende  Bedeutung. 

575.  Proklos  wird  von  Photios  cod.  239  als  Verfasser  einer  XQ^r 
(TTOfia&ia  yQaixi.iaTixr]  in  4  B.  angeführt.  Erhalten  sind  Auszüge  {'^xloym) 
aus  den  2  ersten  Büchern,  in  denen  zuerst  kurze  einleitende  Bemerkungen 
über  den  Unterschied  von  Prosa  {Xöyog)  und  Poesie  {rroh^fia)  gegeben  und 
dann  ausführlicher  vom  Epos,  der  Elegie,  dem  lambos,   den  verschiedenen 

j  Arten  der  melischen  Poesie   gehandelt  ist,    und    zwar   so,    dass    bei   jeder 
Dichtgattung  die  Hauptvertreter  derselben  aufgezählt,  von  den  Dichtungen 


')  Eine  ähnliche  Bedeutung   hatte  auch  das    oft   am  Rande    beigeschriebene  luQcdoi/. 
Ilandbuch  der  blass.  Altcvtiamswisscnschaft.   VII.    2.  Aufl.  45 


706 


Griechische  Litteraturgeschichte.     11.  Nachklassische  Litteratur. 


des  epischen  Kyklos  auch  Inhaltsangaben  beigegeben  sind.  Die  2  letzten 
Bücher  handelten  vermutlich  von  der  dramatischen  Poesie  und  den  Gat- 
tungen der  prosaischen  Rede.  In  dem  Exemplar  des  Suidas,  der  im  Gegen- 
satz zu  Photios  nur  3  Bücher  anführt,  wird  die  Prosa  ganz  gefehlt  haben. 
Suidas  schreibt  ebenso  wie  Gregor  von  Nazianz  ^)  diese  Chrestomathie  dem 
Neuplatoniker  Proklos  des  5.  Jahrhunderts  zu;  dass  dieses  ein  Irrtum  sei 
und  die  Chrestomathie  einem  nüchternen,  besser  unterrichteten  Grammatiker 
und  wahrscheinlich  auch  einer  älteren  Zeit,  dem  2.  oder  3.  Jahrhundert 
n.  Chr.,  angehöre,  haben  Valesius  und  Welcker,  Ep.  Cycl.  I,  3  ff.,  richtig 
erkannt. 2)  Aber  schwer  ist  es,  eine  bestimmte  Persönlichkeit  herauszu- 
finden. Denn  mit  dem  Grammatiker  Eutychius  Proklus  von  Sicca,  dem 
Lehrer  des  Kaisers  Antoninus,  darf  der  Verfasser  unserer  Chrestomathie 
nicht  identifiziert  werden,  da  jener  nach  Capitolinus,  vit.  Anton.  2,  ein  La- 
teiner war.  3)  Die  solide  Gelehrsamkeit  unseres  Proklos  stimmt  auch  nicht 
zu  der  abergläubischen  Manier  des  Grammatikers  Proculus  bei  Trebellius, 
vit.  Aemil.  22,  so  dass,  da  der  Proclus  interpres  Pindari  des  unechten 
Apuleius  de  orthogr.  43  ohnehin  in  Wegfall  kommt,  nur  der  Proklos,  von 
dem  Alexander  Aphrodisiensis  zu  Arist.  soph.  el.  p.  4  eine  soqtcov  ditaQi^- 
^rj(/ig  anführt,  als  mutmasslicher  Verfasser  unserer  Chrestomathie  in  Be- 
tracht kommt. 

Prodi  chrestom.  ed.  Gaisford  in  der  Ausgabe  des  Hephästion,  Oxon.  (1810), 
ed.  III.  1856.  Daraus  wiederholt  von  Westphal,  Scriptores  metrici  graeci,  in  i3ibl. 
Teubn.  t.  I. 

576.  Sopatros,  Sophist  aus  Apamea  oder  Alexandria,  wird  von 
Photios  cod.  161  als  Verfasser  von  sxXoyal  SiäcfOQoi  in  12  B.  angeführt. 
Derselbe  ist  wohl  eine  Person  mit  dem  Rhetor  Sopatros,  von  dem  sich  noch 
langweilige  rhetorische  Schriften  und  Kommentare  erhalten  haben. '^)  Sein 
buntes  Exzerptenwerk  begann  mit  den  Göttern,  wobei  vorzüglich  die  Schrift 
des  Apollodor  tisqI  ^8mv  und  ausserdem  Juba  und  Athenaios  benützt  waren. 
Die  beiden  folgenden  Bücher  waren  aus  den  Sammelwerken  der  Pamphila 
und  des  Favorinus  und  dem  Buche  des  Artemon  aus  Magnesia  über  aus- 
gezeichnete Frauen  ^)  ausgezogen.  Den  nächsten  3  Büchern  lag  hauptsäch- 
lich die  iiovaixrj  taioQia  des  Rufus  zu  gründe,  der  selbst  hinwiederum  die 
^saxQixii]  laxoQia  des  Juba  und  die  iiovaixr]  taroQia  des  Aelius  Dionysius 
geplündert  hatte.  Das  6.  Buch  war  aus  Herodot,  die  5  letzten  zumeist 
aus  den  Schriften  des  Plutarch  ausgezogen.  Die  Eklogen  sind  verloren  ge- 
gangen, Reste  davon  enthalten  die  von  Rose,  Anecd.  gr.  I  publizierte 
Schrift  über  die  klugen  und  tapferen  Frauen. 

Helladios  aus  Ägypten  unter  Licinius  und  Maximinianus,  wahrschein- 


I 


')  Patrol.gr.  ed.  Migne  30,914  c:  TJQoxXog 
6  niciiMVLXog  sy  fxoyoßißho  tisqI  xvxXov  ini- 
ysyQccfXjuti'f], 

2)  WiLAMOWiLz,  Phil.  Unt.  VII,  330 
sieht  keine  Veranlassung,  die  byzantinische 
Tradition  zu  bezweifeln.  Eine  genaue  Unter- 
suchung der  Sache  wäre  sehr  erwünscht; 
dabei  müsste  insbesondere  auf  das  Verhältnis 
einzelner  Angaben  der  Chrestomathie  zu 
solchen  im  Hesiodkommentar  des  Proklos 
eingegangen  und  das  Eigentum  des  Pioklos 


von  dem  aus  älteren  Werken  herübergenom- 
menen Kerne  des  Werkes  geschieden  werden. 

^)  Schmidt,  Didymi  fragm.  p,  390. 

•*)  Vergl.  oben  §  495. 

^)  S.  Westermann,  Paradoxogr.  213  —  8, 
und  Val.  Rose,  An.  gr.,  Berl.  1864,  der  I, 
14  bezüglich  der  dort  publizierten  Schriften 
rvvcdxeg  iv^  TioXsfxoTg  ovvsTcd  xal  di^ÖQsha 
und  Tireg  oixot  dvdoxaTOL  dir«  yvvaTxag  eyi' 
vopTo  an  Sopaters  Eklogen  erinnert. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.  3.  Die  Prosa,  e)  Grammatik.  (§  576  —  577.)     707 

lieh  verschieden  von  dem  Lexikographen  Helladios,  der  unter  Theodosios 
dem  Jüngeren  lebte,  ^  schrieb  in  iambischen  Versen  eine  Chrestomathie  in 
4  B.  über  vermischte,  dem  weiten  Gebiet  der  grammatischen  Historie  an- 
gehörende Dinge;  einen  Auszug  davon  gibt  Photios  cod.  279. 

577.  Joannes  Stobaios  ist  Verfasser  eines  wertvollen,  uns  noch  er- 
haltenen Exzerptenwerkes.  Derselbe  hatte  den  Namen  Stobaios  von  seiner 
Vaterstadt  Stoboi  in  Makedonien  und  lebte  nach  dem  Neuplatoniker  Hiero- 
kles^),  aus  dessen  Schrift  Tiva  xqotcov  ^soTg  /^ryortox'  er  mehrere  Stellen 
anführt.  Aber  schwerlich  überlebte  er  lange  diesen  Philosophen,  da  er 
noch  der  heidnischen  Religion  anhing  und  nirgends  christliche  Schriften 
citiert.  Seine  Anthologie  {dvO^oloyiov)  in  4  B.,  aus  mehr  als  500  Schrift- 
stellern, Dichtern  und  Prosaikern,  zusammengestellt,  widmete  er  seinem 
Sohne  Septimius,  auf  dessen  Bildung  er  durch  die  gesammelten  Blütenlesen 
einwirken  wollte.  Dem  Patriarchen  Photios  cod.  167  lag  das  Werk  noch 
unverstümmelt  in  4  Büchern  und  2  Bänden  (tsvx^j)  vor. 2)  Diese  Zweitei- 
lung scheint  der  Grund  gewesen  zu  sein,  dass  dasselbe  im  Laufe  des  Mittel- 
alters in  2  Werke,  in  die  ^ExXoyaC  {Eclogae  pliysicae  et  etJücae)  und  das 
^Äv^oXoyiov  {Florilegium  oder  Serniones),  auseinandergenommen  wurde.  Inner- 
lich ist  diese  Trennung  unberechtigt,  da  alle  Bücher  in  der  gleichen  Weise 
angelegt  sind  und  das  3.  Buch  sogar  enger  mit  dem  2.,  als  das  2.  mit 
dem  1.  zusammenhängt.  Gehandelt  ist  in  dem  ersten  Buch,  nach  einer 
inzwischen  verloren  gegangenen  Einleitung  über  den  Wert  der  Philosophie 
und  die  philosophischen  Sekten,  von  Fragen  der  Metaphysik  und  Physik; 
das  2.  und  3.  Buch  ist  nach  Erörterung  einiger  Punkte  der  Erkenntnis- 
lehre {t6  Xoyixov)  ganz  der  Ethik  gewidmet;  das  4.  Buch  endlich  handelt 
von  der  Politik  und  im  Anschluss  daran  von  der  Familie  und  der  Haus- 
verwaltung [ohovopiia).  Die  Methode  ist  die,  dass  regelmässig  ein  Beweis- 
satz (60  im  L  Buch,  46  im  2.,  42  im  3.,  58  im  4.)  vorangestellt  und  dazu 
die  passenden  Belegstellen  zuerst  aus  Dichtern  und  dann  aus  Philosophen, 
Historikern,  Rednern  und  Ärzten  gegeben  werden.  Hätte  Stobaios  die  Stellen 
alle  selbst  gesammelt,  so  würde  das  eine  ausserordentliche  Belesenheit  vor- 
aussetzen ;  aber  wahrscheinlich  hat  derselbe  vieles  älteren  Sammlungen  ent- 
nommen. ^  Unter  allen  Umständen  aber  ist  uns  das  Werk  durch  die  zahl- 
I  reichen  wörtlich  angeführten  Stellen  aus  inzwischen  verloren  gegangenen 
Schriften  von  ausserordentlichem  Wert.  Um  so  mehr  ist  es  zu  bedauern, 
dass  dasselbe  nicht  vollständig  und  unverfälscht  auf  uns  gekommen  ist; 
von  dem  L  Buch  fehlt  der  Eingang,  das  2.  hat  2  grosse  Lücken,  durch 
welche  mehr  als  die  Hälfte  des  Buches  ausgefallen  ist,  das  3.  und  4.  aber 
sind  zu  einem  Buche  unter  Veränderung  der  alten  Abschnitte  zusammen- 
gezogen. 

Die  Vulgata  heruhte  auf  der  Ausgabe  von  K.  Gesner,  Turici  1549,  der  die  Reihen- 
folge willkürlich  änderte  und  ausserdem  das  Anthologien  durch  selbstgesamnielte  Eklogon 
vermehrte.  Die  ursprüngliche  Ordnung  auf  (Jrund  der  besten  Handschriften  ist  wieder 
hergestellt  in  der  kritischen  Ausgabe  von  C.  Wachsmuth   u.  0.    Hense,   von    der  bis  jetzt 


^)  An  eine  Identität  beider  glaubt  Naber, 
IMiot.  lex.  I,  184  ff. 

'')  Über  diesen  s.  §  503. 


Studien  zu  den  griech.  Florilegien ,  Berl. 
1882,  S.  55  ff.;  Hense,  Teletis  reih,  proleg. 
p.  Vll  sqq. 


•')  Wachsmuth,   De   iStobaci   cdoijis,  in   i  ')  Vgl.  Diels,  Rh,  M.  30,  172  ff. 

45* 


708 


Griechische  Litteraturgeschichte.     II.  Nachklassische  Litteratur. 


die  2  ersten  Bände  erschienen  sind,  Berol.  1884.  Frühere  Hauptausgaben  von  Heeren, 
Gotting.  1792;  von  Gaisfoed,  Oxon.  1812.  Textesausg.  von  Meineke  in  Bibl.  Teubn.  — 
Eine  metrische  Übersetzung  der  angeführten  Dichterstelleu  gab  Hugo  Gkotius,  Dicta  yoe- 
tarum  quae  apud  Stobaeum  exstant,  Paris  1623.  —  Ein  Verzeichnis  der  angeführten 
Autoren  u.  Bücher  gibt  Photios,  abgedruckt  bei  Meineke,  praef.  p.  XXXVII  sqq.,  und 
danach  Scholl,  Gr.  Litt.  III,  399-411. 

578.  Sentenzensammlungen.  Einer  besonderen  Beliebtheit  er- 
freuten sich  im  Altertum  die  Aussprüche  berühmter  Männer,  mit  deren 
Anführung  man  sowohl  die  mündliche  Rede  zu  würzen,  als  die  philoso- 
phischen und  sophistischen  Schriften  zu  schmücken  liebte.  Sammlungen 
von  solchen  Aussprüchen  (anoif^syiiaTo)  und  Sentenzen  {yv^iiai),  die  man 
teils  aus  der  mündlichen  Überlieferung  über  das  Leben  und  die  Kernsprüche 
bewährter  Männer  schöpfte,  teils  aus  den  Schriften  sentenzenreicher  Autoren 
und  Dichter  auszog,  sind  frühzeitig  gemacht  worden.  Derart  sind  die 
unter  Plutarchs  Namen  erhaltenen  aTvo(f3i'yiiiccTa  von  Königen  und  Feld- 
herrn; derart  waren  auch  die  verlorenen  Gnomologika  des  Favorinus  und  die 
Anthologie  aus  Demokrit,  Isokrates  und  Epiktet.  ^)  Im  5.  Jahrhundert  hat  ein 
solches  ^Avd-oXöyiov  yvooi^im'  der  Grammatiker  Orion  für  die  Kaiserin  Eudokia 
zusammengestellt,  dessen  dürftige  Überbleibsel  im  Meineke'schen  Stobaios  IV, 
249 — 66  stehen.  In  metrische  Form  gekleidet  waren  die  aus  ungefähr 
gleicher  Zeit  stammenden,  von  uns  schon  bei  anderer  Gelegenheit  ^)  be- 
sprochenen Blütenlesen  MsvävSqov  xal  (J^iharicovog  avyxQiaig,  T(ov  smu 
ao(fMv  aTto(fd^€y^aTa. 

Der  Philo  gel  OS  ist  eine  Sammlung  witziger  Aussprüche  [aarsta),  die 
den  Grammatikern  Hierokles  und  Philagrios  beigelegt  wird  und  ver- 
mutlich im  5.  Jahrhundert  entstanden  ist.  Dieselbe  enthält  in  etwas  über 
260  Nummern  allerlei  schlechte  Witze,  manche  gute,  meistens  aber  wirklich 
schlechte  —  facetias  vel  potius  ineptias  hat  sie  ein  geistreicher  Herausgeber  ge- 
nannt— ,  die  teils  Charakterpersonen,  wie  dem  Scholastikos,  dem  Witzbold, 
dem  Geizhals,  dem  Weiberfeind,  teils  den  Bewohnern  gewisser  Städte,  wie 
den  Abderiten,  Sidoniern,  Kumäern,  in  den  Mund  gelegt  werden.  Ein  Teil 
wenigstens  derselben  stammt  aus  der  Zeit,  in  der  noch  Komödien  und 
Tragödien  auf  der  Bühne  gegeben  wurden  (n.  246  u.  259);  einen  bestimmten 
Zeitpunkt  bietet  Nr.  62,  wo  der  römischen  Säkularspiele  im  J.  246  n.  Chr. 
gedacht  ist.  Dass  der  Sammlung  unserer  Handschriften  zwei  ältere  Samm- 
lungen zu  gründe  liegen,  ergibt  nicht  bloss  der  Titel,  der  die  2  sonst  nicht 
näher  bekannten  Verfasser  nennt,  sondern  auch  der  Umstand,  dass  öfters 
derselbe  Witz  zweimal  an  verschiedenen  Stellen  erzählt  wird. 

Dem  Mittelalter,  wahrscheinlich  der  Mitte  des  10.  Jahrhunderts,  gehören 
die  aus  profanen  und  sakralen  Quellen  gezogenen  Parallel a  des  Joannes 
Damaskenos  an.  Ihr  Verfasser  hatte  in  dem  profanen  Teil  seiner  Anthologie 
ausser  Stobaios  noch  manche  inzwischen  verloren  gegangene  Sammlung  be- 
nutzt; seine  Anthologie  selbst  muss  aus  den  jüngeren,  allein  uns  erhaltenen 
Florilegien  rekonstruiert  werden;  diese  sind  das  Florilegium  des  Cod. 
Parisinus    1168,    die    ursprünglichste    und    verlässigste   Quelle,    ferner  die 


^)  Wachsmuth,  Studien  zu  den  griech. 
Florilegien  S.  162  ff.  Vgl.  Usener,  Epicurea 
p.  LIV  f.   über  ein  gnomologium  Epicureum 


aus    Briefexzerpten    des    Epikur,    Metrodor, 
Polyän,  Hennarchos. 

'^)  Siehe  ohen  §  407. 


C.  Römische  Periode  nach  Konstantin.    3.  Die  Prosa,    e)  Grammatik.  (§  578.)     709 

Eklogai  des  Maximus  Confessor  (10.  Jahrhundert),  die  Melissa  des  Antonius 
und  des  Cod.  Augustanus-Monacensis  429,  das  Florilegium  Laurentianum 
(Cod.  Laur.  V,  2)  u.  a. 

Aus  dem  Zeitalter  der  Renaissance  stammt  das  ehedem  oft  auf- 
gelegte Veilchenbeet  {%)vid)  des  Erzbischofs  Arsenios  aus  Monembasia. 
Von  dem  grossen  Exzerptenwerke  des  Kaisers  Konstantinos  Porphyro- 
gennetos  wird  eingehender  in  dem  Abriss  der  byzantinischen  Litteratur 
gehandelt  werden.  Über  die  BißXiod^r^xij  des  Patriarchen  Photios  siehe 
oben  §  573. 

Wachsmuth,  Studien  zu  den  griech.  Florilegien,  Berlin  1882;  von  Wachsmuth  er- 
hoffen wir  die  Wiederauferstehung  der  Parallela.  Die  Spruchsammlung  des  cod.  Vatic. 
teilt  mit  Sternbach,  De  gnomologio  Vaticano  inedito,  Wien.  Stud.  IX,  175—206  u.  X, 
1 — 49.  —  Das  Verhältnis  der  Sammlungen  bespricht  H.  Schenkl,  Die  epiktetischen  Frag- 
mente, eine  Untersuchung  zur  Überlieferungsgeschichte  der  griech.  Florilegien,  Stzb.  d. 
Wiener  Ak.  115  (1888),  443-546. 

HierocUs  et  Fhüagrii  facetiae  ed.  Boissonade,  Paris  1848  mit  Erläuterungen;  rec. 
Eberhard,  Berol.  1869. 


Dritte  Abteilung, 

Anhang. 


A.  Fachwissenschaftliche  Litteratur.^) 

579.  Die  fach  wissenschaftlichen  Werke  pflegen  mit  Recht  eine  unter- 
geordnete Stelle  in  der  Litteraturgeschichte  einzunehmen.  Sie  stehen  nicht 
bloss  ausserhalb  des  Kreises  der  allgemeinen  Bildung,  es  tritt  auch  bei 
ihnen  die  künstlerische  Seite  des  Stils  fast  ganz  zurück.  Wir  hoffen  daher 
auf  Nachsicht,  wenn  wir  sie  auch  in  diesem  Buche  nur  anhangsweise  und 
nur  summarisch  behandeln.^)  In  der  Natur  der  Sache  ist  es  auch  begründet, 
wenn  wir  bei  ihnen  vonj  der  Gliederung  nach  Perioden  absehen.  Denn 
abgesehen  davon,  dass  durch  eine  solche  Scheidung  der  ohnehin  magere 
Stoff  noch  mehr  zerstückelt  würde,  hat  auch  die  Entwicklung  der  Wissen- 
schaften ihren  eigenen  Gang  genommen,  bei  dem  andere  Faktoren  als  bei 
der  schönen  Litteratur  massgebend  waren.  Alexandria  z.  B.  war  und  blieb 
Hauptsitz  der  mathematischen  Studien  so  gut  zur  Zeit  als  es  noch  Haupt- 
stadt eines  selbständigen  Königreichs  war,  als  zur  Zeit  der  römischen  Welt- 
herrschaft. Im  übrigen  tritt  auch  in  der  fachwissenschaftlichen  Litteratur 
die  schöpferische  Kraft  des  hellenischen  Geistes  in  glänzender  Weise  hervor. 
Nur  gering  waren  die  Anregungen,  die  hier  die  Griechen  von  aussen,  ins- 
besondere von  Ägypten,  empfangen  haben;  wesentlich  waren  sie  es  selbst, 
welche  die  Wissenschaften  der  Medizin,  Mathematik,  Astronomie,  Natur- 
kunde begründeten. 

Im  Anfang  bildeten  Mathematik,  Astronomie,  Physik  noch  einen  Teil 
der  Philosophie  und  w^aren  es  zumeist  Philosophen,  die  sich  mit  Problemen 
der  Zahlen  und  der  Naturerscheinungen  abgaben.  Die  Philosophen  Demokrit, 
Aristoteles,  Theophrast  haben  die  Naturwissenschaften  mit  Eifer  kultiviert, 
der  grosse  Denker  Pythagoras  war  Begründer  der  Geometrie  und  ver- 
pflanzte die  Neigung  für  mathematische  Studien  auch  auf  seine  Schule. 
Zuerst  und   zwar   schon  in   der  klassischen    Zeit  ist   die  praktischste  der 


^)  Meiners,  Geschichte  des  Ursprungs, 
Fortgangs  und  Verfalls  der  Wissenschaften 
in  Griechenland  und  Rom,  Lemgo  1781, 
2  Bände.  —  Günther,  Mathematik,  Natur- 
\vissenBchaft  und  Erdkunde  im  Altertum, 
Handb.  der  klass.  Alt.  V,  1,  Nördl.  1888; 
E.  Meyer,  Geschichte  der  Botanik,  Königsb. 
1854,  4  Bde.  —  Lenz,  Mineralogie  der  alten 
Griechen  u.  Römer,    Gotha  1861.  --  Carus, 


Geschichte  der  Zoologie  bis  auf  Darwin  (in 
Gesch.  der  Wissenschaften),  München  1872. 
2)  Ich  habe  eine  Zeitlang  geschwankt, 
ob  ich  nicht  auch  in  gleicher  Weise  die 
Grammatik  behandeln  solle;  es  hielt  mich 
schliesslich  davon  die  Erwägung  ab,  dass 
doch  die  Grammatik  mit  der  schönen  Lit- 
teratur viel  inniger  als  die  Mathematik  und 
Medizin  verwachsen  sei. 


A.  Fachwissenschaftliche  Litteratur.     1.  Mediziner.  (§  579—580.) 


711 


Fachwissenschaften,  die  Heilkunde,  aus  jenem  allgemeinen  Hintergrund  zur 
gesonderten  Stellung  herausgetreten.  Im  übrigen  war  es  das  alexandrini- 
sche  Zeitalter,  das  den  einzelnen  Wissenschaften  ihre  Ausbildung  und  damit 
auch  ihre  selbständige  Bedeutung  gegeben  hat.  Vor  allem  hat  die  Stadt 
Alexandria  zu  allen  Zeiten  den  Ruhm  gehabt,  Hauptpflegestätte  der  Wissen- 
schaften zu  sein. 

1.  Mediziner.  1) 
580.  Hippokrates,2)  der  Vater  der  Heilkunde,  stammte  aus  einem 
alten  Asklepiadengeschlecht  von  Kos;^)  geboren  ward  er  Ol.  80,  1  oder 
460  V.  Chr.  Tn  den  Zeiten,  wo  in  solchen  Geschlechtern  zugleich  mit  dem 
Kultus  des  Gottes  sich  die  Heilkunst  und  ärztliche  Praxis  vererbte,  war 
der  Vater  der  natürliche  Lehrer  des  Sohnes;  aber  ausser  bei  seinem  Vater 
soll  der  junge  Hippokrates  bei  dem  Arzte  Herodikos  aus  Selymbria  in  die 
Schule  gegangen  sein.  Wenn  auch  die  Sophisten  Gorgias  und  Prodikos, 
sowie  der  Philosoph  Demokrit  als  seine  Lehrer  genannt  werden,  so  deutet 
das  wohl  nur  auf  Beziehungen  hin,  welche  Hippokrates  während  seines 
langen  und  bewegten  Lebens  mit  jenen  Männern  unterhielt.*)  Als  berühmter 
Arzt  kam  er  viel  in  der  Welt  herum;  er  weilte  eine  Zeitlang  in  Thasos, 
Abdera,  Kyzikos,  Athen,  behandelte  den  König  Perdikkas  von  Makedonien 
und  erhielt  eine  Einladung  an  den  persischen  Hof.  Den  Tod  fand  er  im 
thessalischen  Larissa;  über  das  Todesjahr  schwanken  die  Angaben  zwischen 
377  und  359.  Unter  dem  Namen  des  Hippokrates  ist  eine  Sammlung  von 
72  Schriften  in  ionischem  Dialekt  auf  uns  gekommen.  Hippokrates  schrieb 
also  wie  sein  älterer  Landsmann  Herodot  nicht  in  dem  Dialekt  seiner  dori- 
schen Heimat,  sondern  in  der  Sprache,  welche  vor  dem  peloponnesischen 
Krieg  in  der  Prosa  herrschend  war.  Die  72  Schriften  sind  an  Gehalt  und 
Stil  sehr  verschieden  und  rühren  nur  zum  kleineren  Teil  von  Hippokrates 
selbst  her.'^)  Eine  derselben,  tt^qI  (fvaiog  dvd^Qomov,  wird  von  Aristoteles, 
Hist.  anim.  3,  3  als  Werk  des  Polybos,  eines  Schwiegersohnes  des  Hippo- 
krates, angeführt;  andere  wurden  von  den  Kennern,  man  weiss  nicht  auf 
welche   Zeugnisse   hin,    den  Söhnen  desselben,    Thessalos   und  Drakon,   zu- 


^)  Medicorum  graeeorum  opera  omnia, 
(jraece  et  latine  ed.  Kühn,  Lips.  1821  —  30, 
28  vol.  —  Eclogae  physicae  ed.  J.  G. 
Schneider,  Jena  1800,  2  vol.,  eine  unter- 
lichtende  Chrestomathie  aus  naturwissen- 
.schaftlichen  Werken  der  Alten.  —  Physici 
et  medici  graeci  minores  ed.  Ideler,  Beri. 
1842,  2  vol.,  grösstenteils  Byzantiner.  — 
Sprengel,  Geschichte  der  Arzneikunde,  4.  Aufl., 
Wien  1846;  Häser,  Lehrbuch  der  Geschichte 
der  Medizin,  3.  Aufl.,  Jena  1875;  Puschmann, 
(beschichte  des  medizinischen  Unterrichtes 
von  den  ältesten  Zeiten  bis  zur  Gegenwart 
Lcipz.  1889. 

'^)  Quellen  sind  ausser  einem  Artikel 
des  Suidas  eine  bei  Kühn  TU,  850  abge- 
druckte Vita,  die  vermutlich  aus  Soranos' 
Hloi  iccTQMP  exzerpiert  ist.  Die  Briefe,  weil 
unecht,  können  nur  mit  Vorsicht  in  Betracht 
gezogen  werden.  —  Petersen,  Ilippocratis 
scripta     ad     temporis    rationem    disposita, 


Hamb.  1839. 

^)  Wie  sehr  die  Heilkunde  im  Altertum 
an  den  Asklepioskult  geknüpft  war,  haben 
insbesondere  die  in  der  'Ecpr]^eQig  uq/mo- 
Xoyixrj  1885  veröfi"entlichten  Inschriften  des 
Asklepiosheiligtums   von   Epidauros   gelehrt. 

**)  Der  untergeschobene  Briefwechsel  des 
Demokrit  und  Hippokrates  steht  in  Hercher's 
Epistel,  gr.  n.  306-9. 

^)  Schriften  des  Hippokrates  waren  schon 
zu  PlatonsZeit  in  Umlauf ;  s.  Plat.  Phaedr.  270  c, 
Protag.  311b:  aber  Piaton  nennt  uns  keine 
Titel  and  lässt  uns  auch  bezüglich  des  Ursprungs 
der  Rede  des  Arztes  Eryximachos  im  Sympo- 
sion nur  raten;  siehe  indes  die  Ausleger  zu  p. 
186  d.  Aristoteles  benützte  bereits  die  meisten 
Schriften  unserer  Sammlung,  wie  Poscuen- 
rieder,  Aristoteles  im  Verhältnis  zu  den 
hippokratischen  Schriften,  Bamberger  Progr. 
1887  nachwies. 


7] 2  Grriechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 

geschrieben;  andere  hinwiederum  waren  erst  von  jüngeren  Ärzten  unter 
dem  falschen  Namen  des  berühmten  Asklepiaden  den  Königen  Ägyptens 
verkauft  worden;  ^  endlich  haben  auch  die  alten  und  echten  Werke  im 
Laufe  der  Zeit  viele  Zusätze  und  Änderungen  erfahren.  In  der  Kaiserzeit, 
als  die  medizinischen  Studien  zu  neuem  Glänze  kamen,  bemühten  sich  daher 
die  philologisch  gebildeten  Ärzte,  das  Echte  vom  Unechten  auszuscheiden. ''') 
Der  berühmte  Arzt  Galen  schrieb  darüber  ein  eigenes,  nicht  auf  uns  ge- 
kommenes Buch  und  kommt  in  den  uns  erhaltenen  Kommentaren  sehr  oft 
auf  die  Echtheitsfrage  zu  sprechen;  ^)  er  selbst  erkannte  nur  13,  ein  jüngerer 
Gelehrter,  Palladios  (7.  Jahrb.),  nur  11  Schriften  als  echt  an;  nicht  so  weit 
ging  in  der  Verwerfung  Erotianos  (um  100  n.  Chr.),  der  in  der  Vorrede  seines 
Glossars  ein  Verzeichnis  von  30  echten  Schriften  aufstellt.  Am  meisten 
tragen  das  Gepräge  der  Echtheit  und  sind  durch  Zeugnisse  der  Alten  ver- 
bürgt: nsQi  inidrj^iwv  Buch  1  und  3,^)  TiQoyvcoaTixd,  a^oQLafioi,^)  tcsqI 
asQMV  vSärwv  Toirayv,^)  nsql  diaiTrjc,  6'^smv,'^)  ttsqI  tmv  iv  x€(paXf^  tqmixcctodv. 
In  zweiter  Linie  stehen  nsQi  dyfjLwv,  tcsqI  xv^imv^  ttsqI  (pvaiog  7rai6iov,  ttsqI 
isQ^g  voc^ov,^)  Ttsgl  dqd^QMv.  Das  Buch  tisqI  (fvaioq  dvd^QMnov  wird  von 
Aristoteles,  wie  wir  sahen,  dem  Polybos  zugeschrieben.  In  die  Zeit  vor 
Hippokrates  gehen  die  Komxal  TTQoyvo'ycrsig  zurück,  welche  kurzgefasste 
Sätze  der  Asklepiaden  von  Kos  enthalten.  Interessant,  wenn  auch  einer 
jüngeren  Zeit  angehörend  sind  die  nQOQQijXixä^  deren  Unechtheit  Erotianos 
nachzuweisen  versprach,  und  die  Bücher  tisqI  diaiTtjg,  für  die  Galen  ein 
halbes  Dutzend  von  Verfassern  {Evqv(fMv  rj  (Pacov  i]  (PiXKTTfMv  r]  'Aqi(Tto)v 
rj  Tig  aXXog  twv  naXaicov)  aufführt.  In  den  Schulen  der  Rhetoren  erdichtet 
sind  die  Briefe  und  die  Rede  am  Altar  {Xoyog  sTtißwf.iiog),  in  welch  letzterer 
der  Redner  die  Thessalier  an  dem  Altar  der  Athene  zur  Rache  gegen  die 
Athener,  die  Zerstörer  ihres  Landes,  aufruft.  Dem  Hippokrates  als  Vater  der 
Ärzte  wurden  auch  mehrere  Schriften  allgemeinen  Charakters  zugeschrieben, 
wie  der  Eid  der  Asklepiaden,  das  Gesetz  der  Ärzte,  die  ärztliche  Kunst;  diese 
zeugen  von  der  hochentwickelten  Humanität  der  alten  Asklepiadenschulen 

und  enthalten  manche  auch  noch  heutzutag  beachtenswerte  Vorschriften. 
Ausgaben  im  Altertum:  in  Alexandria  hatte  die  erste  kritische  Ausgabe  der  gelehrte 
Arzt  Mnemon  aus  Side  besorgt,  von  der  aber  schon  Galen  nur  durch  Hörensagen  etwas 
wusste.  Unter  Hadrian  besorgten  neue  Ausgaben  Artemidorus  Capito  und  Dios- 
korides;  s.  Kühn  I  p.  XXIV  sq.  und  Ilberg,  Rh.  M.  45  (1890)  111  ff.  —  Gedruckte  Aus- 
gaben: ed.  princ.  apud  Aldum  1526;  cum  vers.  et  not.  ed.  Foesius  1595,  oft  wiederholt; 
ed.  Chartkier  1679;  ed.  Kühn  in  der  Gesamtausg.  der  Medici  gr.,  Lips.  1821,  3  Bände; 
ed.  LiTTRE  mit  kritischem  Apparat,  Far.  1839-61,  10  Bände;  ed.  Ermerins,  Utr.  1859—63, 
3  Bände.   Eine  neue  Ausgabe  mit  kritischem  Apparat  bereiten  Ilberg  und  Kühlewein  vor; 


0  Kühn  I  p.  XX  sq. 

2)  Von  den  unechten  Schriften  des  Hip- 
pokrates im  allgemeinen  spricht  Augustinus 
contra  Faust.  XXII,  6. 

^)  Galen  erkannte  nur  13  Schiiften  als 
echt  an  und  statuierte  auch  bei  diesen  weit- 
gehende Interpolationen;  s.  Ilberg,  Studia 
Pseudohippocratea,  Lips.  1883;  Bröcker, 
Die  Methode  Galens  in  der  litterarischen 
Kritik.  Rh.  M.  40,  415  ff. 

*)  Die  B.  2  u.  4 — 7  galten  schon  dem 
Galen  als  untergeschoben. 

^)  Auch  die  ciCfOQiafxoi,  d.  i.  ärztliche 
Vorschriften    in    abgerissenen    Sätzen,    ent- 


halten viele  Interpolationen. 

^)  Auf  diese  interessante  Schrift,  welch 
die  Elemente   der  Hygiene  enthält,   wird  i 
den    Scholien    Arist.    Nub.    333    Bezug   ge- 
nommen;  über   ihre   Bedeutung  für   Ethno- 
graphie s.  §  240. 

^)  Daher  unser  Ausdruck  akute  Krank- 
heiten. 

^)  Darunter  ist  die  Epilepsie  verstanden, 
welche  heilige  Krankheit  hiess,  weil  das 
Volk  die  plötzlichen  Konvulsionen  auf  die 
Kraft  der  Dämonen  zurückführte  und  mit 
den  Verzückungen  der  Priester  und  Pro- 
phetinnen verglich. 


A.  Fach  wissenschaftliche  Litteratur.     1.  Mediziner.  (§581-582.)  713 

vorläufige  Mitteilungen  von  Ilberg  in  den  Vhdl,  der  40  Vers.  d.  Phil,  in  Görlitz.  —  Spezial- 
ausg.  ti6qI  ueqoiv  v^caojv  ronoiv  von  Koraes  (dem  berühmten  griechischen  Arzte  und  Phi- 
lologen), Paris  1800,  2  Bde. 

Glossare:  Twi/  tkxq'  'InnoxQaxei  "k^^eiov  avuayioyrj  von  Erotianos  mit  einer  Wid- 
mung an  den  ao/uiZQdg  'Jy&Qojuaxog,  Leibarzt  des  Kaisers  Nero  (einen  jüngeren  Andro- 
machos  zu  Anfang  des  2.  Jahrhunderts  nimmt  Klein  an);  das  Glossar  ist  in  alphabetischer, 
nicht  vom  Verfasser  herrührender  Ordnung  auf  uns  gekommen,  neubearbeitet  von  Klein, 
Lips.  1865.  —  Jüngere  Glossare  haben  wir  von  Galen,  roly  xov  'iTinoxQcaovg  yXwGGwu 
s^TJyrjaig,  und  Herodotos  Lykios.  —  Hauptkommentator  ist  Galen,  der  Kommentare  zu 
17  Schriften  des  Hippokrates  schrieb;  ausserdem  haben  wir  noch  kleinere  Kommentare, 
gedruckt  in  der  Ausgabe  Apollonii  Cüiensis.  (um  70  v.  Chr.),  Stephani  (8.  Jahrh.  n.  Chr.), 
Palladii  (7.  Jahrh,),  Theophili  (7.  Jahrb.),  Meletii,  Damascii,  loannis,  aliorum  seholia  in 
Hippocratem  et  Galenum  ed.  Dietz,  Königsb.  1834,  2  Bände. 

581.  In  Alexandria  und  Pergamon  wurden  die  medizinischen  Studien 
mit  Eifer  und  Erfolg  betrieben,  aber  selbst  von  den  Häuptern  der  Schulen 
[aiQsaeig)^  von  Herophilos  und  Erasistratos  (um  280  v.  Chr.),  sind  keine 
vollständigen  Werke  auf  uns  gekommen.  Nach  Rom  verpflanzten  die 
wissenschaftliche  Heilkunde  Archagathos,  der  nach  Plinius  N.  H.  29,  6 
im  Jahre  219  v.  Chr.  nach  Rom  kam,  und  Asklepiades  aus  Prusa  in 
Bithynien,  den  Cicero,  de  orat.  I,  14  Arzt  und  Freund  des  Licinius  Crassus 
nennt.  Hier  in  der  Stadt  des  Luxus  und  der  Gladiatorenspiele  fanden  die 
Arzte  ein  reiches  Feld  ihrer  Wirksamkeit,  und  hier  entwickelte  sich  auch 
in  den  ersten  2  Jahrhunderten  der  Kaiserzeit  eine  reiche  Litteratur  über 
Medizin  und  Pharmakologie,  von  der  uns  ziemlich  viel  erhalten  ist.  Weit 
ragt  unter  den  medizinischen  Schriftstellern  dieser  Periode  Galen  hervor, 
dem  wir  deshalb  ein  besonderes  Kapitel  widmen  wollen.  Hier  seien  zuvor 
die  übrigen  medizinischen  Schriften  in  Kürze  namhaft  gemacht. 

582.  Lehrgedichte.  Bei  den  Alten  war  neben  den  anderen  Arten 
von  Lehrgedichten  auch  das  medizinische  in  Mode.  Aus  der  alexandrini- 
schen  Zeit  haben  wir  schon  oben  §  344  die  Gedichte  des  Nikander  von 
den  Heilmitteln  gegen  Schlangenbiss  und  Vergiftung  kennen  gelernt.  Li 
der  römischen  Periode  schrieb  Andromachos,  Leibarzt  des  Kaisers  Nero, 
ein  Lehrgedicht  0rjQiax7]  Si'  sxiSrwv  in  Distichen,  das  uns  durch  Galen 
t.  XVII,  p.  761  K  erhalten  ist.  Durch  denselben  Galen  sind  uns  meh- 
rere Reste  der  medizinischen  Gedichte  des  Arztes  Dam  ok  rat  es  er- 
halten, der  kurz  vor  dem  älteren  Plinius  (N.  H.  XXV,  87)  in  iambischen 
Trimetern  über  verschiedene  Arzneien  schrieb.  Von  dem  Arzte  Markellos 
Sidetes,  der  nach  Suidas  42  B.  'laxQixä  in  heroischen  Hexametern  ge- 
schrieben hatte,  sind  durch  Handschriften  und  Steine  einige  Bruchstücke 
über  Fische  und  Menschenscheu  {XvxavÜ^QMnia)  auf  uns  gekommen. 

Poetarum  de  re  phynca  et  medica  rell.  cd.  Bussemaker  Par.  1851.  —  Eine  neue  Be- 
arbeitung stellte  Studemund  in  Aussicht,  der  vorläufig  in  Ind.  lect.  Vratisl.  1888  Scrvilii  Da- 
mocratis  poctae   medici  frafjmenta  in  musterhafter  Weise  herausgegeben  hat.     Vgl.  §  410. 

Xenokrates  von  Aphrodisias  aus  der  Zeit  vor  Galen  ist  Verfasser 
einer  Schrift  ttsqI  trjg  arco  rcov  svvdQMv  TQO(frjg  (Austernernährung),  die 
einen  Abschnitt  eines  grösseren  Werkes  ttsqI  Ttjg  and  rwv  froon'  TQO(ff~g 
bildete.     Ausgabe  in  Ideler's  Phys.  et.  med.  I,  121  — 133. 

Dioskorides,  mit  dem  vollständigen  Namen  Pedanius  Dioscorides 
aus  Anazarbos,^)  lebte  vor  Erotianos,  der  ihn  in  seinem  Hippokrateslexikon 


^)  Sprengel   in  der  Praef.  seiner  Ausg.    j    Ilerophileer  mit  dem  Beinamen  Phakas  zur 
unterscheidet  4  Dioskorides:  Dioskorides  der   |    Zeit   der  Kleopatra^  Dioskorides  Anazarbeus 


714 


Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 


unter  xaixfxaQoi  anführt,  wahrscheinlich  gleichzeitig  mit  dem  älteren  Plinius, 
der  in  den  Abschnitten  über  Botanik  die  gleichen  Quellen  wie  er,  nämlich 
die  Werke  der  Ärzte  Krateuas  und  Sextius  Niger  benutzte.^)  Nach  seiner 
eigenen  Angabe  in  der  Vorrede  des  gleichzubesprechenden  Buches  war  er 
geradeso  wie  Plinius  in  seinen  jüngeren  Jahren  Militär  und  ist  erst  später 
zu  schriftstellerischer  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  seiner  Lieblingsstudien 
gekommen.  Sein  Hauptwerk,  das  vollständig  auf  uns  gekommen  ist,  han- 
delt von  der  Arzneikunde,  speziell  den  medizinischen  Pflanzen,  und  trägt 
den  Titel  n^ql  vXrjg  laTQixrjg  oder  de  materia  medica.  Die  Autorität  des- 
selben hat  im  ganzen  Mittelalter,  bei  den  Arabern  und  im  Abendland,  die 
Wissenschaft  in  Bann  gehalten,  so  dass  es  eines  neuen  Aufschwungs  der 
Botanik  im  15.  Jahrhundert  bedurfte,  um  über  die  600  Pflanzen  des  Dios- 
korides  hinüberzukommen.  Den  5  echten  Büchern  angehängt  fand  bereits 
Photios  cod.  178  als  6.  und  7.  Buch  ^AXe'§i(faQ{^ia>ca  und  Orjgiaxd,  welche 
Sprengel  dem  jüngeren  Dioskorides  aus  Alexandria  zuweist.  Bezweifelt  wird 
auch  die  Echtheit  der  dem  Andromachos  gewidmeten  Schrift  nsgl  evnoQiaroiv 
(xtiXmv  t£  xal  avvd^hTwv  (pagf^iäxcor.  Nur  ein  kärglicher  Auszug  aus  Dios- 
korides und  Stephanos  ist  das  Lexikon  tisqI  (faQfxdxMV  ifxnsiQiag. 

Erhalten  ist  das  Hauptwerk  des  Dioskorides  durch  viele  alte  Handschriften,  von 
denen  am  berühmtesten  ist  der  mit  Bildern  versehene  Codex  der  Juliana  Anicia  s.  V, 
Mielchen  der  Reisende  ßusbeg  zu  Konstantinopel  für  Kaiser  Maximilian  H.  und  die  Wiener 
Bibliothek  erwarb;  auch  existiert  eine  lateinische  Übersetzung  des  Pflanzenbuches  aus  dem 
Altertum.  —  Ausg.  von  Sprengel,  Lips.  1829,  als  25.  u,  26.  Band  der  Med.  graec.  von  Kühn.'^) 

Ruf  US  aus  Ephesos,  der  in  der  Zeit  Traians  lebte, ^)  war  Verfasser  zahl- 
reicher Schriften;  davon  haben  sich  erhalten:  ttsqI  ovo/jiaaiag  twv  tov  dvd^Qomov 
fiiOQiwv,'^)  neql  tmv  sv  vs(fQoig  xal  xvütei  nad-cov,  ttsqI  twv  (faQf^idxo)v  xad^aQ- 
Tixüh',  TTfQl  6(tTson\  Auf  unsichere  Vermutung  hin  hat  man  ihm  auch  ein 
Lehrgedicht  neql  ßozavMv  in  215  Hexametern^)  und  eine  Synopsis  nsQi 
a(fvyiÄMv   beigelegt.     Hauptausgabe  von  Daremberg-Ruelle,  Paris  1879. 

So  ran  OS  aus  Ephesos,  eine  Hauptsäule  der  sogenannten  Methodiker 
in  der  Medizin,  lehrte  unter  Traian  und  Hadrian  ^)  in  Rom  und  Alexandria. 
Erhalten  haben  sich  von  ihm  ttsqI  arifXsiMV  xaTayf^idTaw,  Tiegl  i^irjtgag  xal 
alSüiov  yvraixsiov,  Tieql  yvvaixsiMV  na^Mv.  Die  beiden  ersten  Schriften 
sind  gedruckt  bei  Ideler,  Med.  min.  I,  248 — 260;  die  letzte  wurde  erst 
in  unserem  Jahrhundert  von  Dietz  gefunden  und  aus  dessen  Nachlass  pub- 


unter Nero  und  Verfasser  unserer  Materia  me- 
dica,  Dioskorides  aus  Tarsos,  endlich  Diosko- 
rides aus  Alexandria,  der  kurz  vor  Galen  lebte 
und  eine  Ausgabe  desHippokrates  mit  Glossar 
besorgte.  Photios  124  a,  12  macht  die  nichts- 
sagende Bemerkung  iyco  de  ipttv^ov  tloIv 
Ol  TIs^icviov  (i^a  y.ai  'Avcct^aQßta  ra?g  STiiyga- 
fpaig  ensxdXovv.  Galen  im  Lex.  Hippocr.  p.  64 
Jioay.oQi(fi]g  oi'/  6  emx'k'rj&elg  ^axag  6  HQocpi- 
XsLog,  c('AX'  6  psojxeQog  6  xaru  naiSQCcg  \r)^a)V 
unterscheidet  nur  2  Dioskorides. 

')  Wellmann,  Sextius  Niger,  eine  Quellen- 
untersuchung zu  Dioskorides,  Herm.  24  (1889) 
S.  530-09. 

■^)  Von  anderen  Botanikern  gibt  Kunde 
Plinius  N.  H.  25,  8;  s.  Meyer,  Gesch.  der 
Botanik  I,  250  ff. 

^}  Suidas:    'Povcfog    iaxqog    yeyovoog   eni 


Tqaiapov. 

^)  Über  ihre  Benützung  durch  Pollux 
s.  §  519  u.  Voigt,  Sorani  Ephesii  über  de 
etymologiis  corporis  humani  quatemis  re- 
stitui  jßossit,  Greifsw.  Diss.  1882. 

^)  Gesner's  Vermutung  stützt  sich  auf 
die  Angabe  des  Galen  de  compos.  medic. 
t.  XX  p.  425  K.,  dass  Rufus  ein  Gedicht  nsgl 
ßoraPMV  geschrieben  habe;  aber  metrische 
Eigentümlichkeiten  rücken  unser  Gedicht 
unter  die  Zeit  des  Astrologen  Manetho  herab; 
s.  G.  Hermann,  Orphica  p.  717.     Vgl.  §  410. 

^)  Suidas  unterscheidet  einen  älteren 
und  jüngeren  Soranos  und  gibt  bei  dem  ersten 
nur  die  Lebensverhältnisse,  bei  dem  zweiten 
nur  die  Schriften  an,  so  dass  ein  Irrtum  vor- 
zuliegen scheint,  zumal  Galen  nur  1  Soranos 
kennt. 


A.  Fachwissenschaftliche  Litteratur.    1.  Mediziner.  (§  583.) 


715 


liziert,  Königsb.  1838;  neuerdings  hat  den  griechischen  Text  zusammen  mit 
einer  alten  lateinischen  Übersetzung  des  Muscio  aus  dem  6,  Jahrhundert 
Val.  Rose,  Lips.  1882  herausgegeben.  Derselbe  Soranos  verfasste  nach 
Suidas  auch  Bioi  larQMv,  aus  welchem  Werke  vermutlich  auch  das  erhal- 
tene Leben  des  Hippokrates  geflossen  ist.  ^) 

Aretaios  aus  Kappadokien,  wahrscheinlich  dem  2.  Jahrhundert  n.  Chr. 
angehörig,  schrieb  in  dem  ionischen  Dialekt  des  Hippokrates  7Ti()l  ahicov  xai 
(STjUsiMV  o§€(x)V  xal  XQOvicov  Tiamon',  ttsqI  ^sgansiag  o^tMV  xccl  XQovitov  Tca&cov, 
in  welchen  Werken  er  sich  nach  dem  Urteil  der  Kenner  als  einen  scharfen 
Beobachter  kundgibt.     Ausg.  von  Kühn,  Med.  gr.  t.  XXIV. 

583.  Galenos  (Claudius  Galenus  Niconis  fil.),^)  der  fruchtbarste  und 
gebildetste  der  alten  Mediziner,  war  um  131  n.  Chr.  in  Pergamon  geboren. 
Dort  in  seiner  Heimatstadt  lag  er  zunächst  philosophischen  Studien  ob, 
indem  er  seiner  eklektischen  Neigung  folgend  Akademiker  wie  Stoiker  und 
Peripatetiker  hörte.  Mit  dem  Studium  der  Medizin  begann  er  noch  in 
Pergamon  und  setzte  dann  dasselbe  in  Smyrna,  Korinth  und  Alexandria 
fort.  Eine  praktische  Thätigkeit  entfaltete  er  zuerst  in  seiner  Heimatstadt, 
wo  er  6  Jahre  lang  als  Gladiatorenarzt  fungierte.  Im  Jahr  164  begab  er  sich 
nach  Rom  und  blieb  daselbst  mit  einer  einzigen  mehrjährigsn  Unterbrechung 
bis  zu  seinem  Lebensende.  Der  Tod  traf  ihn  im  70.  Lebensjahr,  nicht  vor 
201  n.  Chr.  Über  seine  litterarische  Thätigkeit  berichtet  Galen  selbst  in 
den  Schriften  ttsqI  Z'rjg  ra^soog  toov  Idiorv  ßißXiow  nQog  Evysviavöv  und  nsQi  %wv 
iSimv  ßißliMv.  Er  war  einer  der  fruchtbarsten  und  vielseitigsten  Schriftsteller 
der  Kaiserzeit,  ^)  aber  weder  ein  schöpferischer  Forscher  noch  ein  klassischer 
Stilist.  Wir  haben  Kenntnis  von  mehr  als  250  Schriften;  erhalten  haben 
sich  von  denselben  100  echte  und  18  zweifelhafte,^)  mehrere  nur  in  arabi- 
scher oder  lateinischer  Übersetzung.^)  Die  meisten  gehören  natürlich  dem 
Gebiet  der  Medizin  an,  von  diesen  der  kleinere  Teil  der  Erläuterung  des 
Hippokrates,  der  weitaus  grössere  der  selbständigen  Bearbeitung  der  ver- 
schiedenen Teile  der  Heilkunde.  Einen  einleitenden  propädeutischen  Charakter 
haben  die  Schriften  von  den  ärztlichen  Schulen  und  Methoden,  nsQi  aiQsaewv 
und  t[€qI  aQiazrjg  atqto'sMg.  Von  den  systematischen  sind  die  gelesensten  und 
von  den  Kennern  am  meisten  geschätzten  folgende:  x^^/i'^y  larQixip  ein  kurzer 
Abriss  der  Therapeutik,  im  Mittelalter  unter  dem  Namen  Mikrotechnum  be- 
kannt, {>sQa7i8VTixri  }.iti>oSog  in  14  B.,  Megalotechnum  im  Mittelalter  genannt, 
TTeQi  xQstccgTCüv  SV  avd^QMTiov (Swfxaxi  fxoQicov  in  17  B.,  TreQi  (fifvyficov  in  16  B.,') 


')  Zwei  unechte  Traktate  des  Soranos, 
Introductio  ad  medicinam  und  De  inilsibus 
veröffentlichte  Val.  Rose,  Anecd.  gr.  II, 
243—280. 

'^)  Suidas  u.  rah]i'6g;  Labbe,  Vita 
(^audii  GaJeni,  Paris  1060;  Pass,  Galeni 
rita  eiusqiie  de  viedicma  merita  et  scripta, 
Bcrol.  1854.  Vieles  über  persönliche  Ver- 
hältnisse enthält  die  Schrift  ti^qI  ^iccyi/ujaeiog 
Xfd  ^eganelag  xmv  ev  rij  ixäatov  tpv^^  iÖlmp 

^)  Ath.  Ic:  Tci'krjvog  6  JTsQya/utji'og  og 
Toaavt'  fxde'dVoxe  avyyQccjUfAcaa  cp(X6ao(p((  r€ 
xal     laTQixd     ojg     niifiag     vneqßaXeiy     lovg 


77^0  «rror,  x(d  xccrd  Tijy  iQfxrjVeiciv  ov^evog 
tuV  roüy  uQ^cdoty  dffvi'aXMxeQog. 

^)  Ein  Verzeichnis  der  Schriften  gibt 
Ackekmann,  Historia  literaria  Galenim  Fabri- 
cius  Bibl.  gr.  V,  397  ff.,  wiederholt  von  Kühn 
im  1.  Bande  der  Ausgabe  p.  LXVll  sqq.;  die 
zeitliche  Folge  behandelt  Ilberg,  Die  Schrift- 
stellerei  des  Klaudios  Galenos,  Kh.  M.  44 
(1889)  S.  207 239. 

^)  Zu  den  unechten  gehört  auch  die 
Schrift  nsQi  evTioQiaKot',  mit  der  das  von 
BuRSiAN,  Ind.  len.  1873  veröffentlichte  Fragm. 
medicum  der  Ivei])ziger  Bibliothek  im  wesent- 
lichen übereinstimmt, 


716  Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 

TTSQi  TMV  TtsTrov^oTOiv  TOTVMv  in  6  B.,  avaTO}.iixal  syx€iQ7](y€ig  in  15  B.,  von  denen 
aber  nur  die  9  ersten  erhalten  sind,  Tiegl  xQccas wg  xal  Svvd^scoq  tmv  ditXwv 
(faQfidxcov  in  11  B.,  ttsqI  avv^scfsMg  (faQixäxo)v  tcov  xccrd  Torvovg  in  10  B., 
TisQi  avv&8as(t)g  (f)aQfxäx(jov  tmv  xard  yävrj  in  7  B.,  vyisivööv  Xoyoi  in  6  B. 

Von  allgemeinerem  Interesse  waren  die  philosophischen  und  gramma- 
tischen Schriften  unseres  Autors.  Dieselben  galten  teils  der  Kommentierung 
der  alten  Philosophen, 2)  teils  der  Ausbildung  der  Logik, ^)  der  populären 
Ethik  und  der  philologischen  Worterklärung.  ^)  Das  meiste  von  dieser  Klasse 
von  Schriften  ist  verlorengegangen,  insbesondere  fast  alle  logischen  Schriften, 
worunter  die  umfangreiche  nsQi  dnoSsi^sMg  in  15  B.;  erhalten  haben  sich : 
TTQOTQSTiTixdg  sttI  rdg  re^vag^^)  negl  dgicfTrjg  öiSaaxaXiag  (gegen  Favorinus 
gerichtet),  nsQi  tmv  Tr^g  ipvxrjg  tj^mv,  oti  ralg  xov  (Tw^xaTog  xgdaeaiv  hnsrai^ 
nsql  6iayvw(T€0)g  xal  ^sqansiag  tmv  iv  exdöTov  ipvxfi  ISioov  nad^cov,  ein  gol- 
denes Büchlein,  tt^qI  tov  Sid  Trjg  afxixgdg  a<fa(Qag  yvfxvaaiov,  7T€qI  tcov  naqd 
TTjV  Xs^iv  (To(fi(TfidT(i)v,  7T€qI  TMV  '^iTTTioxQdTovg  xul  ükdTMVog  Soyf.idT(ov  in  9  B. 
Seine  Grundanschauung  über  die  Notwendigkeit  medizinischer  und  allge- 
mein philosophischer  Bildung  vertritt  er  in  dem  Buche  oti  aqiaTog  iuTQog 
xal  (fil6ao(fog.  Als  bahnbrechenden  Denker  und  Gelehrten  zeigt  sich  auch 
hier  Galen  nicht,  aber  gleichwohl  sind  uns  diese  philosophischen  und  philo- 
logischen Schriften  von  hohem  Interesse  dadurch,  dass  sie  uns  in  den  Be- 
trieb der  gelehrten  und  grammatischen  Studien  der  römischen  Kaiserzeit 
einen  sehr  erwünschten  Einblick  gewähren.  6) 

Edit.  princ:  Aldina  1525;  ed.  Chartrier,  Paris  1679;  davon  abhängig  Kühn  in 
Medici  graeci  t.  I— XX,  Lips.  1821  —  33.  —  Galeni  scripta  minor d  rec  Marquardt,  Iw. 
Müller,  Helmreich,  in  Bibl.  Teubn.  im  Erscheinen;  Galeni  scripta  de  placitis  Hippocratis 
et  Piatonis,  ed.  Iw.  Müller.  Lips.  1874;  auch  andere  der  kleineren  Schriften  sind  bereits 
in  Separatausg.  von  Müller  und  Helmreich  veröffentlicht.  —  Über  die  von  Minas  (Paris 
1864)  herausgegebene  Elaaywyrj  dLaXsxrixij  des  Ps.  Galen  siehe  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I, 
572  u.  591  ff.  —  Über  die  handschriftliche  Grundlage  der  medizinischen  Bücher  s.  Stüde- 
MUND.  Ind.  lect.  Vratisl.  1888.  —  Unecht  sind  die  überlieferten  Massverzeichnisse  von  Galen, 
worüber  Hultsch,  Metr.  Script.  I,  85  ff. 

584.   Aus  der  letzten  Zeit  des  Altertums  haben  wir  noch  ausser  den 

Phantasmagorien  der  medizinischen  und  botanischen  Zauberlitteratur ')  mehrere 

enkyklopädische  Werke  über  Medizin  und  Naturwissenschaft,  die  teils  durch 

ihre  Einwirkung  auf  das  Mittelalter,   teils  durch  Mitteilungen   aus   älteren 

Werken  von  Bedeutung  sind. 

^)  Dazu  für  die  Anfänger  ein  Abriss 
und  eine  Synopsis  über  die  Pulse  in  je  1  B. 

^)  Erwähnt  werden  von  Galen  Kommen- 
tare zu  Piatons  Timaios  {Fragments  du 
commentaire  de  Galien  sur  le  Timee  de 
Piaton,  ed.  Daremberg,  Par.  1848),  tisqi 
nlaroivixviiv  diaXoycüy  avyoxpEiog,  tieqI  nov 
Ev  4>(,Xijß(o  /uETaßaaEMy,  ferner  zu  Aristoteles 
tteqI  £Qfi7]y£iag,  xaxrjyoQLca,  fivaXvTLxcc,  zu 
Theophrast  tteqI  xazacpdaECDg  xcd  dnocfdaEMg, 
zu  Eudemos  tieqI  Xf^Eiog,  zu  den  logischen 
Schriften  des  Chrysippos  und  Kleitomachos. 
Vergl.  Zeller,  Gesch.  d.  gr.  Phil.  HP,  1. 
823  ff. 

^)  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  559  ff. 
Galen  gilt  insbesonders  als  Begründer  der 
4.  Schlussform.  Als  unecht  erweist  Prantl 
p.  591  ff.  das  von  dem  Griechen  Minas  her- 


vorgezogene Buch  Eiffayojyij  diaXEXTixij. 

*)  Galen  schrieb  nach  seinen  eigenen 
Angaben  t.  XIX  p.  48  u.  61  K.  ausser  über 
seltene  Wörter  (yXivaaai)  des  Hippokrates, 
auch  TiEQi  xoüp  TKXQa  toTg  'Jrrixoig  ffvyyQcc-^ 
cpEvöiv  6vofX(xTMv  in  48  B. 

^)  Die  unvollständig  erhaltene  Abhand- 
lung enthält  aufgelöste  Verse,  die  nach  einer 
Vermutung  von  Crüsius,  Rh.  M.  39,  581  ff. 
aus  der  im  Lampriaskatalog  aufgeführten 
Schrift  des  Plutarch  tieql  C^toy  uXoyiov 
noifjxixög  stammen. 

^)  Bröcker,  Die  Methoden  Galens  in  der 
litterarischen  Kritik,  Rhein.  Mus.  40,  415  ff. 

^)  Über  die  dem  Hermes  trismegistos 
zugeschriebenen  KvgayidEg  und  das  Buch 
von  den  Pflanzen  der  7  Planeten  s.  §  564; 
vgl.  Meyer,  Gesch.  d.  Botanik  II,  348  ff. 


A.  Pachwissenschaftliche  Litteratur.    1.  Mediziner.  (§584.)  717 

Oreibasios,!)  nach  Suidas  aus  Sardes,  nach  Eunapios  aus  Pergamon, 
war  Leibarzt  des  Kaisers  Julian  und  verfasste  auf  dessen  Veranlassung  eine 
medizinische  Enkyklopädie  'laTQixMv  avvayMyoh'  eß6oi.i7jxovTdßißXog,  von  der 
er  selbst  später  eine  Synopsis  in  9  B.  anfertigte.  2)  Vom  grösseren  Werke 
sind  nach  und  nach  umfangreiche  Teile  durch  Matthäi  aus  einer  moskauer 
und  von  Mai  aus  einer  römischen  Handschrift  bekannt  geworden.  Oeuvres 
d'  Oribase  par  Boüssemaker  et  Daremberg,  Par.  1851 — 76,  6  vol. 

Aetios,  gebildet  in  Alexandria  und  später  kaiserlicher  Leibarzt  in 
Konstantinopel  mit  dem  Rang  eines  comes  obsequii,  gehört  der  Mitte  des 
6.  Jahrhunderts  an.  Seine  'larQixd  in  16  B.  wollten  einen  Abriss  der  ge- 
samten Heilkunde  geben;  Photios,  der  in  cod.  221  einen  ausführlichen  Aus- 
zug des  Werkes  gibt,  zieht  dasselbe  den  verwandten  Büchern  des  Oreibasios 
vor.  Neuere  Bearbeitung  in  Daremberg's  Ausg.  des  Rufus  p.  85 — 126  und 
in  der  des  Oreibasios  II,  90  —  145. 

Alexander  von  Tralles  aus  der  gleichen  Zeit  ist  Verfasser  eines 
grossen  medizinischen  Sammelwerkes  OsQansvTixä  in  12  B.  Hauptausg. 
von  Buschmann,  Wien  1879,  2  Bd.;  dazu  ein  Nachtrag  in  Berl.  Stud.  V,  2 
(1886),  der  die  alte  lateinische  Übersetzung  von  2  jenem  Sammelwerk 
angehörigen  Abhandlungen  des  Philumenos  (1.  Jahrhundert  n.  Chr.)  und 
Philagrios  (4.  Jahrhundert)  und  2  griechische  Abhandlungen  über  Augen- 
krankheiten enthält. 

Paulus  Aegineta,  der  in  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  lebte,  ist 
Verfasser  eines  seiner  Zeit  hoch  geschätzten,  auch  ins  Arabische  über- 
tragenen Handbuches  der  Arzneikunde  in  7  B.  {sTiiTo^rjg  larQixfjg  ßißX.  f) 
Venediger  Ausg.  1528,  Baseler  1538,  von  Rene  Briau,  Paris  1855. 

Metrologen.  Aus  den  Bedürfnissen  der  Arzte  sind  grösstenteils  auch 
die  Verzeichnisse  von  Massen  und  Gewichten  (rtsQi  ih-tqwv  xal  (fTa^^wr)  hervor- 
gegangen, von  denen  mehrere  uns  erhalten  sind.  Eine  Sammelausgabe  mit 
erläuternden  Einleitungen  besorgte  Fr.  Hultsch,  Metrologorimi  scriptorum 
reliqidae,  Bibl.  Teubn.  1864,  2  vol.  Seit  der  Zeit  hat  Paul  de  Lagarde 
den  griechischen  Text  des  Arztes  Africanus  in  den  Symmicta  I  p.  210  —  25 
herausgegeben,  und  ebenda  II,  149 — 216  eine  Rückübersetzung  des  Epi- 
phanios  nf-Qi  ^xttQMv  xai  araü^^iMv  aus  dem  Syrischen  ins  Griechische  ge- 
liefert. Eine  neue  Tafel  des  Diodoros  neQi  araO^^iMv  xal  fxtTQcov  teilt 
Pernice  Rh.  M.  44  (1889)  S.  569  f.  mit;  derselbe  Gelehrte  gibt  in  der 
Dissertation,  Galeni  de  ponderihus  et  mensuris  testimonia,  Bonn  1888,  die 
Mass-  und  Gewichtsangaben  Galens  in  berichtigter  Gestalt.  Nachträge  zu 
den  griechischen  Metrologen  aus  armenischen  Handschriften  veröffentlichte 
Papadopulus  Kerameus  in  'O  sv  Kanar.  eXhjv,  (fiXoXoyixog  avXXoyoqt.^Y ,  1884. 

Physiker.  Im  weiteren  Sinn  schlagen  in  die  medizinische  Litteratur 
auch  die  Schriften  über  die  Dinge  der  Natur,  nsQi  tmv  qvaixMv^  ein.  Die  Ver- 
fasser dieser  Art  von  Schriften  gingen  auf  Demokrit  und  Aristoteles  als  die  Be- 
gründer dieser  Wissenschaft  zurück.  Von  den  jüngeren  Gelehrten  der 
Kaiserzeit  werden   genannt   Neptunianus   aus    dem  2.  Jahrhundert,  Ver- 


')  Suidas    u.    'Oqsißdaiog;   Eunapios  Vit.    1    Gm&avvoxpig  TiQog  Evvcl-niop  \\i\i[  e\ne  avvoxpig 
8oph.  p.  498  f.;  Pliotios  cod.  217  11.  218.  tmv  Tahjyov  ßißXuoi-'  goscliricl)Oii;  dio  obigo 

^)  Nach  riiotios  p.  180  a,  3  liat  er  auch    |   ist  an  seinen  Solin  Kustathios  gerichtet. 


71Ö 


Grriecliisciie  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 


fasser  von  Q}vaixd  und  einem  von  Gemoll,  Progr.  d.  städt.  Realprogymn., 
Striegau  1884,  veröffentlichten  Traktate  ttsqI  avfXTia^fiwv;  Bolos,  der 
vor  Galen,  welcher  ihn  de  antid.  II,  7  citiert,  lebte  und  nach  Suidas  eine 
latoQia  xal  it'xv7j  laTQixrj  und  Bücher  über  Steine,  Witterungszeichen  und 
Naturkräfte  schrieb;  der  christliche  Schriftsteller  Sext.  Julius  Africanus, 
dessen  xeotoi  in  24  B.  von  dem  Reich  der  Natur,  der  Landwirtschaft  und 
der  Heilkunde  in  der  abergläubischen  Manier  seiner  Zeit  handelte.  Auch 
die  Litteratur  der  oben  schon  §  480  behandelten  Paradoxographen  be- 
wegt sich  zum  grossen  Teil  in  dem  gleichen  Kreis. 

585.  Exzerptenwerke.  Auf  Anregung  des  byzantinischen  Kaisers 
Konstantinos  Porphyrogennetos  wurden  im  10.  Jahrhundert  zwei  medizinische 
Sammlungen  verfasst,  äie^EniTointj  Icctqixwv  ^icoQrjindTcov  von  Theophanes 
Nonnos  (ed.  Bernard,  Gothae  1794,  2.  Bd.)  und  die  ^InTtiaTQixd  von  einem 
unbekannten  Redaktor  in  2  B.  Das  letztere  Werk  enthält  Auszüge  aus  Afri- 
canus, Anatolios  und  dem  Hauptveterinärarzt  Apsyrtos  aus  Prusa,  der 
nach  Suidas  unter  Konstantin  lebte.  Ausg.  von  Grynaeus,  Veterinaria 
medicina,  Basel  1537. 

Auf  Veranlassung  desselben  Kaisers  verfasste  der  Scholastikos  Kas- 
sianos  Bassos  ein  mit  der  Veterinärkunst  sich  berührendes  Sammelwerk 
Geoponika  {ccl  negi  yewqyiaq  ixloyai)  in  20  B.  In  dem  Proömium  und 
im  Verlauf  der  Arbeit  nennt  der  Verfasser  eine  Reihe  von  Autoren  und 
Schriften,  die  er  benützt  habe.  Seine  Hauptquelle  war  sein  nächster  Vor- 
gänger, Vindanios  Anatolios  aus  Berytos,^)  der  auf  Anregung  des 
Kaisers  Julian  die  älteren  Schriften  über  Landwirtschaft  ^)  zu  einem  grossen 
Sammelwerke,  2vvaya)yrj  ysMQyixm'  sTnTijdsvfidTcov  in  12  B.,  vereinigt  hatte. ^) 
Ausg.  der  Geoponika  von  Niclas,  Lips.  1781;  eine  syrische  Übersetzung 
wurde  bekannt  gemacht  von  Lagarde,  Lips.  1860.*) 

2.  Mathematiker  und  Astronomen.^) 

586.  Die  Anfänge  der  mathematischen  Studien  gehen  bei  den  Griechen 
auf  die  Philosophen  Thaies   und  Pythagoras   zurück.*^)     Auch  in  der  Aka- 


')  Gegen  dessen  Identifizierung  mit  dem 
in  den  Briefen  des  Libanios  vorkommenden 
gleichnamigen  Juristen  aus  Berytos  erklärt 
sich  Oder,  Rh.  M.  45  (1890),  95. 

2)  Diese  waren:  Ps.  Demokrit,  die  ysoDQ- 
yixd  ßißlia  des  Pamphilos,  die  naQÜ&o^a 
oder  xeaTOi  des  Africanus,  die  ysioQyixu  des 
Florentinus  (aus  der  Zeit  des  Kaisers  Se- 
verus),  die  Enkyklopädie  des  Apuleius,  Ta- 
rentinos, Leo,  Valens;  s.  Oder,  Beiträge  zur 
Geschichte  der  Landwirtschaft  bei  den  Grie- 
chen, Rh.  M.  45  (1890)  58  ff. 

^)  Einen  Auszug  gibt  Photios  cod.  163; 
über  seine  Person  und  die  Anlage  seines 
Werkes  handelt  Gemoll,  Untersuchungen 
über  die  Quellen,  den  Verfasser  und  die  Ab- 
fassungszeit der  Geoponika,  Berl.  1883,  in 
Berliner  Stud.  I,  221  ff. 

■*)  Gemoll  a.  0.  —  Über  die  handschr. 
Grundlage  der  Geoponiker  s.  H.  Beckh,  Acta 
sem.  Erlang.  IV,  261-346. 

^;  Veterum  mathematicormn  0]}era  omnia 


ed.  Thevenot,  Par.  1693.  —  Opera  mathe- 
matica  ed.  Wallis,  Oxon.  1688,  3  vol.  — 
Uranologium  sive  systema  variorum  autornm 
qui  de  sphaera  ac  siderihus  eorumque  mo- 
Uhus  graece  commentati  sunt,  Geminiy 
AchilUs  Tatii,  Hipparclii,  Ptolemaei,  cura 
DioN.  Petavii,  Par.  1603,  Amstel.  1703.  — 
Ideler,  Handbuch  der  Chronologie,  Berlin 
1825;  Cantor,  Vorlesungen  über  Geschichte 
der  Mathematik,  1.  Band,  Leipz.  1880;  Be- 
lambre,  Arithmetique  des  Grecs,  Par.  1807, 
Histoire  de  Vastronomie  ancienne,  Par.  1817 
(übersetzt  von  Hoffmann,  Mainz  1817) ;  Mar- 
tin, Astronomie  grecque  et  romaine,  Par. 
1875;  Hankel,  Zur  Geschichte  der  Mathe- 
matik irn  Altertum  und  Mittelalter,  Leipz.  1874. 
ß)  Über  die  ältere  Geschichte  der  Mathe- 
matik verdanken  wir  sehr  willkommene  An- 
gaben dem  Kommentar  des  Proklos  zu  Euklid 
p.  19  ed.  Bas.,  der  selbst  wiederum  aus  des 
Eudemos  rswfisTQiy.rj  laxoQLa  schöpfte. 


I 


A.  Fachwissenscliaftliche  Litieratur.  2.  Mathematiker  u.  Astronomen.  (§585-  589.)  ^ig 

demie  stand  die  Mathematik  in  hohen  Ehren:  dem,  der  nicht  Geometrie 
verstund,  war  der  Eingang  in  die  Akademie  verwehrt.  Nur  Aristipp  und 
die  Kyniker  trugen  in  ihrer  niederen  Gesinnungsart  Verachtung  der  Mathe- 
matik zur  Schau.  Auch  brachte  schon  die  klassische  Zeit  bedeutende 
Mathematiker  hervor,  wie  den  Geometer  Theodoros,  den  uns  Piatons 
Theätet  kennen  lehrt,  den  Chronologen  Meton,  der  in  seinen  Zeitberech- 
nungen sich  bereits  der  Sonnenuhr  bediente,  den  Pythagoreer  Archytas, 
den  Diogenes  8,  83  Begründer  der  Mechanik  nennt,  den  Astronomen  und 
Arzt  Eudoxos  aus  Knidos,  ^)  der  neben  Piaton  in  der  Akademie  lehrte, 
den  Astronomen  Kallippos,  der  die  Sphärentheorie  des  Eudoxos  ver- 
besserte und  über  dessen  Verhältnis  zu  Eudoxos  uns  hauptsächlich  Aristo- 
teles Met.  XI,  8  und  des  Simplicius  Schollen  zu  Arist.  de  coelo  II,  12  unter- 
richten. 2)  Einen  höheren  Aufschwung  nahmen  die  mathematischen  Dis- 
ziplinen unter  den  Ptolemäern;  auch  sind  uns  erst  aus  dieser  Zeit  voll- 
ständige Werke  erhalten. 

587.  Autolykos  aus  Pitane  im  äolischen  Kleinasien,  Lehrer  des 
Akademikers  Arkesilaos  (Diog.  4,  29),  ist  der  älteste  der  uns  erhaltenen 
Mathematiker.  Auf  uns  sind  von  demselben  zwei  kurze  astronomische 
Schriften  gekommen:  ttsqI  acfaigag  xivovfxsvrjg  und  Tiegi  stiitoXcov  xal  dvasMV 
in  2  B.  In  denselben  steht  eine  Anzahl  von  Definitionen  (oqoi)  der  Haupt- 
begriife  voran  und  werden  dann  die  Beweise  der  Sätze  [nQocäasio)  in 
bündiger  Klarheit  entwickelt.  Kritische  Ausgabe  von  Hultsch  in  Bibl. 
Teubn.  1885. 

588.  Eukleides,  nach  den  einen  aus  Gela,  nach  den  andern  aus 
Tyrus,  blühte  unter  Ptolemäus  Lagi  und  lehrte  in  Alexandria.  Das  be- 
rühmteste Werk  desselben,  das  lange  Zeit  bei  den  Arabern  und  bei  uns 
im  Abendland  dem  Unterricht  in  der  Geometrie  zu  grund  gelegt  wurde,  sind 
die  ^TotjeTcx  (Elementa)  in  13  B.  Denselben  ist  als  14.  und  15.  Buch  ein 
Anhang  angefügt,  dessen  erster  Teil  von  Hypsikles  herrührt.  Ausserdem 
haben  wir  von  Euklid  JsSn/^isva  (Data),  eine  Art  von  Einleitung  in  die 
geometrische  Analysis,  (Danoi^isva  oder  Grundzüge  der  Astronomie,  eine 
Einteilung  des  musikalischen  Kanon  (xaTaTOjurj  xavorog),  Optika.  Die 
2  Bücher   Tonoi  nqog  sTTixfavsia,   welche   Pappos  7,  3  noch   las,    sind  ver- 

tj  loren   gegangen.     Die  Elaaycoy}]    aQi.iovixij   trägt   fälschlich  den  Namen  des 
il  Euklid  und  rührt  von  einem  Schüler  des  Aristoxenos  her;  auch  die  KaTon- 
A  TQixd  erklärt  Heiberg  für  ein  unechtes  Werk. 
1  Hauptausgabe  mit  kritischem  Apparat  von  Heiberg  u.  Menge,  in  Bibl,  Teubn.  1883, 

5  Bde.  —  Kommentar  des  Proklos  zum  1.  Buch  der  Elemente  von  Friedlein,  ebenda 
1873.  —  Heiberg,  Litterargeschichtliche  Studien  über  Euklid,  Leipz.  1882.  -  Über  das 
verlorene,  aber  ins  Arabische  übersetzte  Buch  Tiept  cTtraofafw*' s.  Günther,  Handb.  d.  klass. 
Alt.  V,  33. 

589.    Archimedes  (287 — 212),  Sohn  des  Astronomen  Pheidias,  hatte 

^)  Über  Eudoxos   s.    Böckh,    Kl.   Sehr.   1   ostentis  et  ealendaria  gracca-^.212--h.  Über 
HI,  343  ff.     Eutokios   (G.  Jahrh.)   zu   Archi-   |    die  Verwechselung  des  Astronomen  Eudoxos 


I  I  medes,  JDe  sphaera  et  cyl.  H,  2  kannte  noch 
die  mathematischen  Schriften  des  Eudoxos. 
Ein  stark  interpoliertes  Stück  der  Ev^ö'iov 
Tixvr]  veröffentlichten  aus  einem  Pariser  Pa- 
pyrus Brunet  de  Presle,  Notices  et  extraits 
t.  XVIII  pl.  1  —  5;  vgl.  Wacusmutii,  Lydi  de 


mit   dem    gleichnamigen  Verfasser   der  geo- 
graphischen  lleQioiyog  yijg  s.  oben  §  368. 

'^)  Martin,  Memoire  sur  les  hypotheses 
astronomiqiies  d'Eudoxe,  de  C(dlip'pe,  d^Ari- 
stote,  Paris  1880;  darüber  referiert  Hultsch, 
Jahrber.  d.  Alt.  Xll,  3.  50  ff. 


720 


Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhäng. 


das  dorische  Syrakus  zur  Heimat,  und  fand  seinen  Tod  bei  der  Einnahme 
seiner  Vaterstadt,  angeblich  durch  einen  rohen  römischen  Soldaten.  ^)  Seinen 
Namen  hat  er  unsterblich  gemacht  durch  die  glänzenden  Erfindungen  in 
der  Mechanik,  mit  denen  er  auch  lange  die  Belagerungsversuche  der  Römer 
vereitelte.  Aber  auch  um  die  Wissenschaft  der  reinen  Mathematik  hat  er 
sich  hervorragende  Verdienste  erworben  durch  die  Kreismessung,  2)  die 
Kugel-  und  Cylinderberechnung  u.  a.  Die  von  ihm  erhaltenen  Schriften 
sind:  tt^qI  acfaiQccg  xal  xvh'vdgov,  xvxXov  i^ii:TQrj(Tig,  tcsqI  iniTitSwv  Ictoqqothmv, 
7T€qI  xcovosiSt'cov  xul  (^(faiQOsi^icov,  ttsqI  iXixcov,  ipaj^ifiiTijg,  TSTgaycovicfindg 
naQaßoh'jg,  tisqI  tu)v  6xovf.it icov  (Hydrostatik).  Die  letzte  Schrift  existiert, 
von  kleinen  Fragmenten  abgesehen,  nur  noch  in  der  lateinischen  Über- 
setzung von  Tartalea.^)  Nur  durch  eine  arabische  Übersetzung  ist  der  Liber 
assumptorum  auf  uns  gekommen.  Der  ursprüngliche  dorische  Dialekt  der 
Schriften  des  Archimedes  ist  bei  den  beiden  ersten,  am  meisten  gelesenen 
Werken  ganz  verwischt,  bei  den  andern  aber  ziemlich  gut  erhalten.^)  Zu 
den  Schriften  in  Prosa  kommt  noch  ein  Rätsel  in  Distichen  über  die  Rinder 
des  Helios  {nQoßhjiia  ßosixov),  das  Archimedes  dem  alexandriuischen  Gram- 
matiker Eratosthenes  zum  Lösen  aufgab.'*) 

Hauptausgabe  mit  kritischem  Apparat  von  Heiberg,  in  Bibl.  Teubn.  1880,  3  vol.  — 
Heibeeg,  Quaestiones  ArcMmedeae,  Kopenh.  1879.  —  Zu  den  drei  an  erster  Stelle  auf- 
geführten Werken  ist  uns  auch  ein  alter  Kommentar  von  Eutokios,  einem  Mathematiker 
aus  der  Zeit  Justinians,  erhalten.  Über  diesen  Eutokios,  Schüler  des  berühmten  Architekten 
Isidor  unter  Justinian  s.  Heiberg,  Philol.  Stud.  zu  den  griech.  Mathematikern  in  Jahrb.  f. 
Phil.  Suppl.  XI,  357  ff. 

590.  Apollonios  von  Perge  in  Pamphylien,  der  um  200  v.  Chr.  in 
Alexandria  und  Pergamon  thätig  war,  ist  Verfasser  des  berühmten  Werkes 
über  die  Kegelschnitte,  Kan'ixd  aToixsTa  in  8  B.,  wovon  die  4  ersten  im 
griechischen  Original  mit  einem  Kommentar  des  Eutokios,  die  3  folgenden 
in  arabischer  Übersetzung  auf  uns  gekommen  sind. 

Ausgabe  von  Halley,  Oxon.  1710;  von  Heiberg  in  Bibl.  Teubn.  auf  Grundlage  des 
cod.  Vat.  206,  Lips.  1888.  Ausserdem  gab  es  noch  viele,  zum  Teil  von  Pappos  angeführte 
Werke  unseres  Mathematikers,  darunter  auch  Elemente  der  Arithmetik ;  s.  Günther,  Handb. 
d.  kl.  Alt.  V,  20  u,  36.  Der  Traktat  tieql  loyov  aTiorofxrjg  ist  uns  durch  eine  arabische 
Übersetzung  erhalten,  die  Halley  ins  Lateinische  übersetzte. 

591.  Hypsikles,  den  man  früher  in  die  Zeit  der  Antonine  setzte, 
der  aber  nach  Friedleins  Nachweis^)  nicht  lange  nach  Apollonios  lebte, 
hat  den  schon  erwähnten  Nachtrag  zu  Euklids  Elementen  verfasst.  Von 
demselben  rührt  auch  der  sogenannte  Xoyog  ävacfOQixog  über  das  Aufsteigen 
in  der  Ekliptik  her.  Die  letztere  Schrift  ist  zusammen  mit  des  Heliodor 
xs(fiäXaia  tmv  otttixcov  von  Mentelius,  Par.  1657,  in  neuerer  Zeit  von 
Manitius,  Dresd,  Progr.  des  Gymn.  z.  h.  Kreuz  1888,  herausgegeben. 


I 


')  Livius  25,  31;  Plut.  Marc.  19.  Über 
sein  Grabdenkmal  bei  Syrakus  s.  Cicero, 
Tuscul.  V,  64. 

■^)  Die  Peripherie  des  Kreises  bestimmte 
er  auf  mehr  als  3^*^/71  und  vt^eniger  als  3'^/7o 
Biameter. 

^)  Den  Versuch  einer  Rückübersetzung 
machte   Heiberg,   Mel.    Graux  p.  689—709. 

*)  Heiberg,  Über  den  Dialekt  des  Archi- 
medes, Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIV,  543- 6G. 


Anstoss  erregen  die  überlieferten  Dorismen 
ci^iGvg  (gegenüber  lat.  semis)  und  evtl  =  ian, 
in  welch  letzterer  Form  sich  die  Hand- 
schriften des  Archimedes  mit  denen  des 
Theokrit  begegnen. 

^)  Krumbiegel  u.  Amthor,  Das  Prohlema 
hovinum  des  Archimedes,  Ztschr.  f.  Math., 
bist.  litt.  Abt.  XXV,  121  ff. 

ß)  Friedlein,  De  Hypmcle  mnthcmaiici 
in  Bull.  Boncompagni  VI,  493—529. 


A.  PachwissenschaftlicheLitteratur.  2.  Mathematikern.  Astronomen.  (§590—592.)  721 


Aristarchos  von  Samos  (um  250  v.  Chr.),  Schüler  des  Peripatetikers 
Straton,  ist  in  der  Geschichte  der  Astronomie  dadurch  bekannt,  dass  er 
zuerst  die  dann  an  2000  Jahre  wieder  ruhende  Entdeckung  gemacht  hat, 
dass  sich  nicht  die  Sonne  um  die  Erde,  sondern  die  Erde  um  die  Sonne 
und  zugleich  um  ihre  Achse  dreht.  \)  Durch  diese  Lehre  zog  er  sich  von 
Seiten  des  Stoikers  Kleanthes  den  Vorwurf  der  Gottlosigkeit  zu,  wie  ähn- 
liches und  schlimmeres  dem  grossen  Entdecker  Galilei  von  selten  der 
Theologen  begegnet  ist.  Auf  uns  gekommen  ist  nur  eine  einzige  Ab- 
handlung u€qI  ^sysO^MV  xccl  aTiocTTrjficcTcov  rjXiov  xal  ashjvrjg  durch  das 
Sammelwerk  des  Pappos.  Ausg.  von  de  la  Porte  du  Theil  und  St.  Croix, 
Par.  1810. 

Hipparchos  aus  Nikäa  in  Bithynien  war  der  gefeierteste  Astronom 
des  Altertums  ^)  und  zugleich  Begründer  der  Trigonometrie;  er  lehrte  in  Rhodos 
und  Alexandria  und  lebte,  nach  den  von  ihm  angestellten  Beobachtungen  zu 
schliessen,  um  160 — 125  v.  Chr.  Seinen  Ruf  erwarb  er  sich  durch  Er- 
findung vollkommenerer  Instrumente,  Abfassung  eines  Sternkataloges  mit 
1080  Sternen,  Entdeckung  des  Vorrückens  der  Nachtgleichen;  mit  Hilfe 
der  Trigonometrie  berechnete  er  die  Parallaxe  der  Sonne  und  die  Ent- 
fernung derselben  von  der  Erde  (1200  Erdradien).  Von  seinen  zahlreichen 
Schriften  ist  vollständig  nur  eine  Jugendschrift,  tÖ)v  'J^dzuv  xal  EvSo^ov 
(faivoiievMv  s'^rjyt^asig  in  3  B.,  auf  uns  gekommen  (gedruckt  in  Petavii 
Uranologium  p.  171  ff.);  ausserdem  hat  uns  Ptolemäus,  Synt.  VII.  5  sein 
Stern  Verzeichnis  {ßxi^saig  aoTSQiafxcHv  rj  ttsqI  tcov  anXavöov  avayQa(fccC)  er- 
halten und  kennen  wir  aus  dem  zweiten  Buch  des  Strabon  seine  Kritik 
der  mathematischen  Geographie  des  Eratosthenes. 

592.  Heron  von  Alexandria, 3)  Schüler  des  Ktesibios,^)  blühte  um 
100  V.  Chr.  und  war  einer  der  vielseitigsten  Mathematiker  der  Griechen. 
Vorzugsweise  galten  seine  Studien  der  Geometrie  und  der  damit  verbundenen 
Vermessungskunde  (Geodäsie),  ausserdem  der  Optik  und  Mechanik.  Er- 
halten haben  sich  von  geometrischen  Werken :  ^'Oqoi  tcov  yscofisTQiag  6ro- 
^ccTwr,^')  r€0)ßSTQoviLi€vcc,  El(Saywyal  tcov  aTeQsofisTQOvfAtvon',  woran  sich  die 
geodätische  Schrift  ttsqI  öiomqag  (eine  Art  von  Theodolith)  anreiht.^)  Aus 
der  Geometrie  und  Geodäsie  unseres  Heron  ist  der  unechte  Traktat  nsql 
tuTQcov  ausgezogen.  Umfangreiche  Bruchstücke  von  Herons  Mechanik  füllen 
das  8.  Buch   des  Pappos.     In  das  Gebiet  der  Mechanik   gehören   auch   die 


^)  Plut.  de  facie  c.  6.  Hingeworfen  war 
der  Gedanke  schon  von  Herakleides  Ponti- 
kos;  s.  Bergk,  Fünf  Abhandl.  zur  Philos.  u. 
Astron.  S.  139—171. 

'')  Bei  Plinius  H.  N.  II,  26.  95  heisst  er: 
Hipjparclius  nunquam  satis  laudatus,  ut  quo 
vemo  magis  adprobaverit  cognationem  cum 
liomine  siderum  animasque  nostras  partem 
esse  caeli. 

^)  Martin,  Recherches  sur  la  vie  et  les 
ouvi-ages  d' Heron  d'Alex.,  Par.  1854;  Cantor, 
Oescli.  d.  Math.,  Kap.  18  u.  19,  Die  römi- 
schen Agrimensoren,  Leipz.  1875  S.  1 — 63. 
ITntcrscliieden  werden  drei  Heron,  unser  He- 
ron Ctesibii,  Ileron    der  Lehrer  des  Proklos 


(5.  Jahrh,),  der  Byzantiner  Heron. 

^)  Ktesibios  lebte  nach  Ath.  174d  unter 
Ptoleniaios  VII.  Euergetes  IL,  nicht,  wie 
Fabricius  und  andere  nach  ihm  angenommen 
haben,  unter  Ptolemaios  III.   Euergetes  I. 

5)  CuRTZE,  Jahrber.  d.  Alt.  XII,  3.  28 
berichtet:  Tannery,  L'aritJimetique  des  Grccs 
dans  Heron  d'Alex.  zeigt,  dass  der  Verfasser 
der  sogenannten  Definitionen  nicht  der  Ale- 
xandriner Ileron  sein  kann,  da  darunter 
solche  aufgenommen  sind ,  welche  nach- 
weislich Eigentum  des  Posidonius  sind. 

^)  Vgl.  Cantor  a.  0.  und  dazu  Curtze, 
Jahrber.  d.  Alt.  V,  3.  169  ff. 


Handbuch  der  klass,  Altertumswissenschaft.  VII.    2.  Aufl. 


46 


722  Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 

kriegswissenschaftlichen  Schriften  unseres  Autors:  BsXonoiixä  (vom  Ge- 
schützbau), BaXiaTQcig  xataaxsvij  (Anfertigung  der  Handschleuder),  ferner 
BaqovXxog  (von  der  Hebewinde,  ein  Bruchstück),  nieviiarixä  (von  den 
Druckwerken,  in  lat.  Übersetzung),  ttsqI  avTOf^iaTonoiriTixMv  (von  den  von 
selbst  sich  bewegenden  Maschinen).  Das  der  Optik  angehörige  Werk 
KaTOTiTQixrj  ist  nur  durch  die  lateinische  Übersetzung  des  Wilhelm  von 
Mörbeke  unter  dem  falschen  Titel  „Ptolemaeus  de  speculis"  auf  uns  gekommen. 
Heronis  geometriae  et  sterometriae  rell.  ed.  Hultsch,  Berol.  1864.  -  Heron  neQL 
dionzQag  von  Vincent,  Notices  et  extraits  t.  XTX,  Par.  1858.  —  Herons  Fragmente  der 
Mechanik  von  Hultsch,  Comment.  in  honorem  Moinmseni  p.  114— 124.  —  Die  Schrift 
neQt  fxETQ(x}v  in  Hultsch's  Metrol.  Script.,  Lips.  1864.  —  Die  kriegswissenschaftlichen  Werke 
hei  Thevenot,  Mathem.  vet.  —  Die  Katoptrik  des  Heron  in  latein.  Übersetzung  heraus- 
gegeben von  Val.  Rose,  Anecd.  gr.  H,  290  u.  317  —  336.  -  Vict.  Prou,  La  chirobaliste 
d'Heron  d'Alex.,  Notices  et  exir.  26,  2  (1877). 

593.  Geminus  aus  Rhodos  ist  Verfasser  der  El(Taycoyrj  slg  rd  (paivö- 
fxsva,  einer  Erläuterungsschrift  zu  den  Phainomena  des  Arat.  ^)  Seine  Zeit 
ward  nach  der  Angabe  über  das  Isisfest  c.  6  von  Petavius  und  Böckh  auf 
73 — 70  v.  Chr.  berechnet.  2)  Nach  Simplicius  zu  Arist.  Phys.  H,  p.  291, 
11  ed.  Diels  und  nach  Priscianus  philosophus  p.  553  ed.  Did.  schrieb  j 
Geminus  auch  eine  Epitome  der  Meteorologika  des  Stoikers  Poseidonios,  die 
jedoch  Blass,  De  Gemino  et  Fosidonio,  mit  guten  Gründen  für  eine  Schrift 
hält  mit  jenem,  hauptsächlich  auf  Poseidonios  fussenden  Kommentar  zu  den 
Phainomena. 

594.  In  der  römischen  Periode  ist  auch  auf  dem  Gebiete  der  Mathe- 
matik und  Astronomie  die  Selbständigkeit  der  Forschung  zurückgegangen; 
erst  gegen  Ende  des  Altertums  erfolgte  in  Alexandria  ein  neuer  Aufschwung. 
Den  bedeutendsten  Astronomen  der  Kaiserzeit  Ptolemaios  haben  wir 
bereits  oben  §  447  unter  den  Geographen  besprochen.  Ausserdem  haben 
wir  aus  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Aera  von  Menelaos  aus  Ale 
xandria  (unter  Traian)  Sphairika  in  lateinischer  Übersetzung;  von  dessen 
Zeitgenossen  Theodosios  aus  Tripolis  in  Lydien  3  Bücher  ^(fcciQixä^)  und 
zwei  nur  in  lateinischer  Übersetzung  erhaltene  astronomische  Schriften  tt^qI 
rj^sQwv  xal  vvxtmv  und  neQi  olxrjascov  (ed.  Nizza,  Berl.  1852);  von  Serenos 
aus  Antissa  2  Bücher  negl  rojiirjg  xvXivSqov  xal  xmvov  (gedruckt  in  der 
Ausg.  des  Apollonios  von  Halley);  von  Kleomedes  eine  KvxXixr^  ^emqia 
TMv  ßersMQcoi'  (rec.  Bake,  LB.  1820);  von  dem  Neupythagoreer  Niko-j 
machos  aus  Gerasa  (um  150  n.  Chr.)  eine  'Agid^i^ir^Tixiri  slaayMyri  (ed.  Hoche, 
Lips.  18G4)  und  ein  'EyxeiQiöiov  cxQi^iovixrjg  (gedruckt  in  Meibom's  Mus.  graec.) 
in  je  2  B.,  von  welchen  Werken  namentlich  das  erstere  sich  im  Altertum 
eines  ungeheueren  Ansehens  erfreute  und  um  die  Wette  von  lamblichos 
(ed.  Tennulius,  1667),  Philoponos  (ed.  Hoche,  Wesel  1864),  Soterichos  (ed.| 


')  S.   oben  J  339. 

^)  Böckh,  Über  die  vierjährigen  Sonnen- 
kreise der  Alten  S.  203  f.  Brakdis,  Über 
das  Zeitalter  des  Astronomen  Geminus,  in 
Jahn's  Archiv  XIII,  199  ff.  rechnet  das 
Jahr  126  v.  Chr.  heraus.  Die  Giltigkeit  des 
Schlusses  verwirft  überhaupt  Blass,  De  Ge- 
mino et  Posidonio,  Kiel  1883,  da  jene  An- 
gabe nicht  von  dem  Überarbeiter  Geminus, 
iBondern     von     Poseidonios,     dem    Original- 


schriftsteller, herrühre,  so  dass  nur  das  fest- 
stehe, dass  Geminus  vor  Alexander  Aphro- 
disiensis,  den  Simplicius  an  der  angeführten 
Stelle  als  Quelle  anführt,  gelebt  habe. 

^)  Die  Sphairika  des  Menelaos  sind  uns 
in  lateinischer  Übersetzung  erhalten,  heraus- 
gegeben von  Halley-Costaed,  Oxon.  1758. 
Scholien  zu  den  Sphairika  des  Theodosios  ver- 
öffentlichte Hultsch,  Abh.  d.  sächs.  Ges.  X,  5. 


[ 


Ä..  Pachwissenschaftliche  Litteratur.  2.  Mathematiker  u.  Astronomen.  (§  593—595.)  723 

HociiE,  Elberf.  1871)  u.  a.  kommentiert  wurde.  Photios  cod.  187  erwähnt 
von  Nikomachos  auch  ^AQiOixrjTixd  ^eoloyovixsva^  aber  die  erhaltenen  (ed. 
Ast,  Lips.  1817)  rühren  nicht  von  Nikomachos,  sondern  von  lamblichos 
her.  Aus  dem  4.  Jahrhundert  oder  dem  Jahre  381  n.  Chr.  stammt  das 
Kompendium  der  Astrologie  von  Hephästion,  das  unlängst  Engelbrecht, 
Wien  1887  an  das  Tageslicht  gezogen  hat. 

595.  In  den  letzten  Jahrhunderten  des  Altertums,  als  die  Kultur  Roms 
und  Italiens  unter  den  Einfällen  der  Barbaren  zertreten  wurde  und  auch 
Konstantinopel  immer  neuen  Bedrohungen  von  der  Donau  her  ausgesetzt 
war,  entstand  in  Alexandria  von  neuem  den  Studien  ein  von  wüstem  Waffen- 
lärm ungestörter  Sitz.  Wie  diese  friedlichen  Verhältnisse  dem  Wieder- 
aufblühen der  epischen  Poesie  und  Romanschriftstellerei  zugute  kamen, 
haben  wir  bereits  kennen  gelernt.  Insbesondere  aber  gediehen  unter 
dem  Schutze  des  Friedens  diejenigen  Studien,  welche  von  jeher  in  dem  Nil- 
thal eine  besondere  Pflege  gefunden  hatten,  die  mathematischen  und  astro- 
nomischen. Grosse  neue  Entdeckungen  wurden  zwar  nicht  gemacht,  die 
Kommentierung  der  alten  Werke  bildete  wie  in  der  Philosophie  so  auch  in 
der  Mathematik  den  Hauptgegenstand  der  gelehrten  Thätigkeit,  aber  dem 
nochmaligen  Aufleuchten  der  Sonne  der  Wissenschaft  über  den  Hallen  und 
Museen  Alexandriens  verdanken  wir  die  Erhaltung  der  grossen  Entdeckungen 
des  alten  Griechenlands  und  die  Hinüberleitung  der  exakten  Wissenschaften 
in  das  Reich  der  Araber. 

Diophantos  von  Alexandria,  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  des  Kaisers 
Julian,^)  ist  Verfasser  der  ^AQiS^jxrjrixa^  welche  für  die  Arithmetik  und  Al- 
gebra eine  ähnliche  Bedeutung  haben  wie  die  Elemente  des  Euklid  für  die 
Geometrie.  Von  den  13  Büchern  des  Werkes  sind  nur  6  erhalten,  zu- 
sammen mit  Schollen  des  Planudes.  Ausserdem  ist  von  ihm  die  Abhand- 
lung ttsqI  TxoXvyoh'oiv  (xqi^^wv  auf  uns  gekommen  und  haben  wir  durch 
ihn  selbst  Kenntnis  von  seinem  Buche  lIogiai^iaTcc. 

Die  6  Bücher  Arithmetica  sind  zuerst  in  lateinischer  Übersetzung  herausgegeben 
worden,  von  Xylander,  Basel  1571.  Griechischer  Text  in  der  Ausg.  von  Backet  de 
Meziriac,  Paris  1621 ;  von  Fermat,  Toulouse  1G70.  —  Eine  neue  kritische  Bearbeitung  ge- 
hört noch  zu  den  Wünschen  der  Mathematiker  und  Philologen.  Mitteilungen  über  Handschr. 
macht  P.  Tannery,  Archive  des  missions  scientißques  III,  14,  (1888),  409  -  55. 

Paulus  von  Alexandria  schrieb  378  eine  Einleitung  in  die  Astrologie 
(slaay(joyri  elg  t}]v  ccTtoTsXtai^iaTixriv),  welche  bei  der  Neigung  der  Zeit  für 
die  Spinnengewebe  des  Aberglaubens  viele  Leser  und  Erklärer  fand.  Aus- 
gabe von  ScHATo,  Wittenberg  1586. 

Pappos  aus  Alexandria,  der  nach  Suidas  gleichzeitig  mit  Theon  unter 
Theodosios  (379 — 395)  lebte,  aber  nach  einem  von  Usener,  Rh.  M.  28,  403 
aus  Licht  gezogenen  Scholion  vielmehr  unter  Diokletian  (284 — 305)  blühte, 
ist  Verfasser  des  im  Anfang  verstümmelten  Sammelwerkes  ^vraycoyn]  ^ia(>)^- 
iKcTiy.r^,'^)   welches  äusserst  wertvolle  Excerpte  aus  älteren  Mathematikern, 


^)  Sicher   lebte    er  nach  Hypsikles,  auf   1  '^)  Der  Zusatz  ^c<S'>]fÄUTixi]  fehlt  in  den 

Iden    er    sich    bezieht,    und  vor  Hypatia,  die    I    Handschriften;    auch    handelt    das    8.    Buch 


ihn  kommentierte.  Die  Araber  setzten  ihn 
unter  Julian;  ob  er  mit  dem  Diophantos,  den 
Siiidas  als  Lelirer    des  Rhetors  Libanios  an- 


von  der  Mechanik.  Ausserdem  erwähnt 
Suidas  von  Pappos  XMQoyQuq^ln  oixovfieviy.i], 
f/V    T«    &    [iy'    corr.    IIultsch)    ßtjüiu    ji]<; 


tiiiirt,  identisch  sei,  ist  mehr  als  zweifelhaft.    |    UioXe^ialov    ^eyu'/.t^i;    am^cfwc    v'iöfii'},ua 

4G* 


724  Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

enthält.  Hauptausg.  auf  Grundlage  des  Vatic.  218  s.  XII  von  Hultsch, 
Berl.  1876-8.1) 

Theon  von  Alexandria 2)  (um  380),  Vater  der  Hypatia,  hinterliess 
Schollen  zu  Arat,  Euklid,  Ptolemäus,  von  denen  bereits  oben  die  Rede  war. 

Hypatia,  die  gefeierte  Tochter  des  Theon,  die  415  bei  einem  Aufstand 
des  christlichen  Pöbels  umkam, 3)  hat  sich  wie  ihr  Vater  mit  Mathematik 
und  Astronomie  abgegeben.  Suidas  erwähnt  von  ihr  Kommentare  zu  Dio- 
phantos  und  Apollonios,  und  einen  astronomischen  Kanon;  aber  diese  Schriften 
sind  sämtlich  verloren  gegangen,  wir  haben  nur  einige  Briefe  von  ihr  in 
der  Sammlung  des  Synesios. 

596.  Schon  in  das  beginnende  Mittelalter  fällt  der  Mechaniker  und 
Architekt  Anthemios,  nach  dessen  Plänen  Kaiser  Justinian  die  Sophien- 
kirche erbauen  Hess.  Von  ihm  ist  ein  Bruchstück  der  Schrift  nsQl  naqu- 
(Jo^wv  ^r;X«Fry^«Twr' (Westermann,  Paradox.  149  — 158)  auf  uns  gekommen, 
mit  dem  sich  einige  Pergamentblätter  des  Cod.  Bobiensis  der  Ambrosiana 
L  99,  Über  den  Brennspiegel,  berühren.  Dasselbe  hat  neuerdings  Belger, 
Herm.  16,  261  ff.  herausgegeben  und  Wachsmuth,  Herm.  16,  637  voll- 
ständiger hergestellt. 

Taktiker.^) 

597.  Die    Kriegskunst,    die   als  Wissenschaft   wesentlich   auf  Mathe- 
matik fusst,  hat  bei  dem  tapferen,  kriegstüchtigen  Volk  der  Hellenen  schon 
in  der  klassischen  Zeit  einzelne  litterarische  Produkte  hervorgerufen.    Von 
den  betreffenden  Büchern   des   Xenophon    über    Reiterei    und    des   Aineias 
über  Taktik  ist  bereits   oben  §  231  u.  234  die  Rede   gewesen.     Aber  ihre 
eigentliche   Ausbildung  erhielt   die  Kriegswissenschaft  doch  erst,    nachdem 
aus  der  republikanischen    Bürgerwehr   ein  Berufsheer   geworden   war   und 
unter  Alexander  und  den  Diadochen  die  Fortschritte  der  Mechanik  in  der 
Belagerung  und  Verteidigung  der  Städte  ihre  praktische  Anwendung  fanden.j 
Ein  Werk  über  Mechanik  haben  wir  bereits  unter  dem  Namen  des  Aristo-1 
teles  kennen  gelernt;    von    den  Mathematikern  haben  insbesondere   Archi- 
medes,  Ktesibios   und   Heron   auch   in   der   angewandten  Mathematik,    der] 
Mechanik,   bedeutende  Entdeckungen  gemacht.     Erhalten   sind    uns  Werke 
von  nachstehenden  Schriftstellern: 

Philo n  aus  Byzanz,  Schüler  des  Ktesibios  und  Zeitgenosse  des] 
Heron, •'^)    verfasste    um    100   v.   Chr.    ein    grosses    Werk    über    Mechanik 


(Fragm.    bei   Hultsch   t.   III  p.  XVII  sqq.),   \   Phil.  15,  435  ff.     Romanhafte  Dichtung  von 


i| 


TioTCifiol  ol  ev  Aißi'Tj,  oveiQoxQiXLxd.  Über 
einen  Kommentar  desselben  zu  Euklid  siehe 
Hultsch  t.  III  p.  IX. 

^)  Im  Anhang  des  S.Bandes  gibt  Hultsch 
noch :  Anonymi  comment.  de  figuris  _2^/«n/s 
isoperimetris,  Scholia  in  Papjmm,  Zenodori 
(der    nicht    lange    nach    Archimedes    lebte) 

2)  @i(üv  6  ix  rov  ^ovaeiov  heisst  er  bei 
Suidas;  verschieden  ist  er  von  dem  Mathe- 
matiker Theon  aus  Smyrna,  dessen  Kom- 
mentar zu  Piaton  Chalkidios  plünderte. 

'^)  HociiK,  Hypatia,  die  Toclitcr  Tlicons, 


KiNGSLEY,  Hypatia  or  new  foes  ivith  an 
old  face. 

^)  KöcHLY  u.  RüsTow,  Gricch.  Kriegs- 
schriftsteller, griechisch  deutsch  mit  krit. 
u.  erklär.  Anm.,  Leipz.  1853  5,  2  Teile.  - 
Wescher,  Poliorcetique  des  Grecs,  Par.  1867. 
—  Eine  kritische  Gesamtausg.  wurde  geplant 
von  Fr.  Haase,  dessen  Vorarbeiten  in  den 
Besitz  K.  Müller's  übergegangen  sind,  von 
dem  wir  eine  Ausgabe  erwarten.  —  Hand- 
schriftlich sind  die  bezüglichen  Schriften 
vereint  in  dem  Laurent.  55,  4. 

^)  Köchly,  Kriegsschriftst.  I,   199   setzt 


A. Fachwissenschaftliche Litteratur.  2.  Mathematikern.  Astronomen.  (§  596—597.)  725 


(liTjxccvixt]  avvTa'^ig),  das  er  einem  gewissen  Ariston  widmete.  In  diesem  war 
der  erste  hauptsächlichste  Teil  dem  Militärwesen  gewidmet.  Davon  ist  das 
4.  Buch,  welches  von  den  Wurfgeschossen  (BeXonoüxa)  handelt,  vollständig 
erhalten.  Das  5.,  wahrscheinlich  das  5.  —  8.  Buch,  welche  vom  Festungs- 
bau, Verproviantierung,  Verteidigung  und  Angriff  handelten,  sind  in  einem 
Auszug  auf  uns  gekommen.  Dieser  steht  in  den  Mathem.  vet.  p.  79 — 104; 
speziell  das  5.  Buch  vom  Festungsbau  {TsixoTtoüxä)  veröffentlichten  mit 
neuen  Hilfsmitteln  Rochas  und  Greaux,  Rev.  philol.  III,  91  — 181.  Von 
einem  anderen  Teile  des  Werkes,  das  die  Luftdruckwerke  {Ttrsv^arixä) 
betrifft,  existiert  eine  nach  dem  Arabischen  angefertigte  Übersetzung  (de 
ingeniis  spirituaUhus),  die  Val.  Rose,  Anecd.  gr.  II,  299—313  veröffent- 
licht hat. 

Biton  ist  Verfasser  der  Kataaxsval  TToXsfxixwv  dQydvcov  xal  xaxaTtsX- 
TixMv;  seine  Zeit  bestimmt  sich  dadurch,  dass  er  sein  Werk  dem  König 
Attalos  I.  widmete. 

Atheriaios  aus  der  gleichen  Zeit  hat  uns  eine  Schrift  ttsqI  i^rix^rrj- 
indrcov  hinterlassen,  die  dem  Marcellus,  vermutlich  dem  Eroberer  von 
Syrakus,  gewidmet  ist. 

Asklepiodotos,  Schüler  des  Philosophen  Poseidonios,  ist  Verfasser 
der  TaxTixd  xsifdXaia.  Auch  ein  anderer  Philosoph,  der  Platoniker  Ono- 
sandros  unter  Nero  verfasste  ein  kriegs wissenschaftliches  Werk  2%qa' 
TTjyixög,  das  er  dem  Veranius,  der  im  J.  49  Konsul  war  und  im  J.  59  starb, 
widmete.^) 

Von  ApoUodoros  aus  Damaskos,  der  unter  Traian  die  Bauten  des 
Forum  Traianum  leitete  und  die  erste  Donaubrücke  baute  (105),  haben  wir 
eine  Schrift  IIoXioQxrjTixd. 

Aelian  hat  uns  eine  TaxTLxy]  ^€0)Qia  hinterlassen,  welche  mit  der 
Taktik  des  Historikers  Arrian  infolge  der  Benützung  der  gleichen  Quelle 
derart  übereinstimmt,  dass  Köchly  die  letztere  nur  für  eine  verschiedene 
Redaktion  der  Schrift  des  Aelian  erklären  wollte. 2) 

Sext.  Julius  Africanus,  der  bekannte  Kirchenhistoriker,  hat  in 
seinem  enkyklopädischen  Werk  Ksaroi  auch  dem  Kriegswesen  mehrere  Ab- 
schnitte gewidmet,  die  im  byzantinischen  Mittelalter  in  grossem  Ansehen 
stunden.^) 

Von  Polyän,  dem  Verfasser  der  ^TQaTrjyrjiJiaTa,  ist  wegen  des 
wesentlich  historischen  Charakters  jener  Schrift  bereits  oben  §  444  die  Rede 
gewesen. 


ihn  in  die  1.  Hälfte  des  3.  Jahrb.,  was  viel 
zu  hoch  gegriffen  ist.  Das  Richtige  lehrt 
GREAVX,l{evue  philologique  III  (1879)  p. 
91  ff.  Über  seine  Beziehungen  zu  dem 
Philosophen  Anaxarchos  s.  Bernays,  Ges. 
Abh.  I,  128.  —  Verschieden  davon  ist  der 
Architekt  Philon,  des  Exekestes  Sohn 
aus  Eleusis,  der  das  Arsenal  [axsvo&ijxr])  im 
i'iraeus  erbaute  (die  darauf  bezügliche  grosse 
Inschrift  ist  zuerst  publiziert  von  Alex. 
JMeletopoulos,    Athen  1882),    und    der   nach 


Vitruv  VII  praef.  auch  ein  eigenes  Buch 
TiEQi  T?;?  eV  IleiQaiec  (Txevo^rjxtjg  schrieb. 

')  Von  Onosandros  führt  Suidas  an: 
rcixTixa,  nsQi  aiQCir^jyyjfxc'adJv,  vnofxytj/xarcc 
eig  TTjv  JlXäxiovog  Tiohtsiccv. 

2)  Köchly,    Kriegsschriftst.    II,  2.  5  ff.; 


vgl.  S.  497. 


")  Ausgabe  in  Tuevenot's  Math.  vet.  p. 
275 — 310;  Meursii  opera  ex  rec.  Lami 
t.  VII  p.  897-984. 


726 


Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 


B.  Christliche  Schriftsteller. 

598.  Die  Zugehörigkeit  zur  griechischen  Litteratur  bemisst  sich  nicht 
danach,  dass  ein  Buch  bloss  in  griechischer  Sprache  geschrieben  ist;  die 
Schriften,  welche  hier  zur  Sprache  kommen  sollen,  müssen  auch  auf  dem 
Boden  der  hellenischen  Kultur  gewachsen  und  von  hellenischem  Geiste 
durchweht  sein.  Da  aber  der  Hellenismus  vom  Christentum  bekämpft 
wurde  und  nach  jahrhundertlangem  Kampfe  der  Macht  der  sittlichen  Ideen 
des  Christentums  erlag,  i)  so  gehören  an  und  für  sich  die  Werke  der  christ- 
lichen Schriftsteller  nicht  mehr  in  den  Rahmen  einer  griechischen  Litteratur- 
geschichte. Wenn  ich  dieselben  aber  doch  hier  im  Anhang  zur  Sprache 
bringe,  so  geschieht  dieses  nach  einem  speziellen  Gesichtspunkt  und  mit 
einer  bestimmten  Beschränkung.  Als  die  neuen  Ideen  der  Nächstenliebe 
und  Sittenreinheit  aus  den  niederen  Kreisen  des  Volkes  in  die  Paläste 
der  Vornehmen  und  die  Hallen  der  Gelehrten  vorzudringen  begannen, 
änderte  sich  auch  die  Stellung  und  Aufgabe  der  christlichen  Lehrer;  sie 
mussten  mit  einer  hochentwickelten,  auch  in  ihrem  Verfall  noch  viel- 
vermögenden Kultur  den  Kampf  aufnehmen,  sie  mussten  sich  zu  diesem 
Behufe  die  Schlagfertigkeit  der  Dialektik,  die  Gewandtheit  der  Rhetorik, 
die  Eleganz  der  poetischen  Diktion  aneignen.  Diese  aber  erwarben  sie  sich 
in  den  Hörsälen  und  Museen  der  Griechen,  im  4.  Jahrhundert  ganz  ge- 
wöhnlich an  der  Seite  heidnischer  Jünglinge.  Die  Werke  der  Kirchenväter 
sind  daher  nach  ihrer  formalen  Seite  dem  Boden  des  Hellenismus  ent- 
sprossen und  tragen  das  Gepräge  der  zu  jener  Zeit  herrschenden  Richtung 
der  Philosophie  und  Rhetorik.  Wenn  die  kirchlichen  Schriftsteller  in  der 
Dogmatik  die  abstossende  Seite  der  Streitsucht  und  Wortklauberei  heraus- 
kehren, wenn  sie  in  den  Predigten  die  hohle  Phrase  und  den  breiten 
Wortschwall  lieben,  wenn  sie  in  der  Exegese  Präzision  und  nüchternen 
Scharfsinn  vermissen  lassen,  so  treten  darin  dieselben  Mängel  zutag,  die 
wir  an  den  profanen  Erzeugnissen  des  absterbenden  Griechentums  auszu- 
setzen hatten.  Ein  zweiter  Grund,  der  uns  in  diesem  Anhang,  die  grie-, 
chische  Patristik  kurz  zu  behandeln  veranlasst,  liegt  darin,  dass  uns  diese] 
Schriftsteller,  eben  weil  sie  in  der  heidnischen  Weisheit  gross  gezogen] 
waren,  eine  Fülle  von  Nachrichten  aus  der  griechischen  Litteratur,  nament-j 
lieh  der  philosophischen  erhalten  haben,  die  uns  aus  direkter  Quelle  ent- 
weder gar  nicht,  oder  doch  nicht  in  gleicher  Vollständigkeit  zugekommen 
sind.  In  dieser  Beziehung  sind  auch  dem  Philologen  die  Kirchenväter  eine 
reiche,  noch  immer  nicht  ganz  ausgeschöpfte  Quelle  der  Erkenntnis.  Gehören 
nun  auch  auf  solche  Weise  zunächst  nur  die  Schriften  der  gelehrten  Kirchen- 
väter der  letzten  Jahrhunderte  in  eine  griechische  Litteraturgeschichte,  so 
habe  ich  doch  der  Vollständigkeit  und  des  Zusammenhangs  halber  auch  die 
älteren  christlichen  Schriften  nicht  ganz  übergehen  wollen. 

1.  Die  Schriften  der  altchristlichen  Kirche.  2) 
509.    Das   neue   Testament.     Die   ältesten   in  griechischer  Sprache 
verfassten   Schriften    der  Christen    sind   die   Bücher    des    neuen   Testa- 


i 


^)  Geradezu  entgegengesetzt  werden  bei 
Zonaras  III,  344  ed.  Dind.  ov  yuQ  X()iaTLc<y6g, 


ov^FjÄXtjy,  ovx  ^lovöicToq  irvy/ai^ey  ujiy. 

'^)  Der  Kirchenvater  Eusebios  Hist.  eccl. 


B.  Christliche  Schriftsteller.  1.  Die  Schriften  d.  altchristl.  Kirche.  (§  598—599.)     727 


mentes.  1)  Die  aus  einer  grösseren  Anzahl  von  Schriften  ausgesonderte, 
als  kanonisch  bezeichnete  Sammlung  umfasst:  1)  die  vier  Evangelien  {svay- 
yt'Xia),  an  welche  sich  die  Apostelgeschichte  {rüQa^stg  zoov  djioaToXwv)  des 
Lukas  anschliesst,  2)  die  13  paulinischen  Briefe  und  die  7  sogenannten 
katholischen  Briefe  des  Jakobus,  Petrus,  Johannes  und  Judas,  3)  die  Offen- 
barung (dnoxdXvipig)  des  heil.  Johannes. 

Von  diesen  heiligen  Urkunden  sind  am  ältesten  die  Briefe  des 
Paulus,  die  dieser  glaubensstarke,  frühe  über  die  Engherzigkeit  der  jüdisch- 
christlichen Gemeinde  hinausgehende  Heidenapostel  an  die  Galater,  Philipper, 
Korinther,  Römer  und  Thessalonicher  gerichtet  hat.  Von  diesen  Briefen 
ist  der  älteste  der  an  die  Galater,  im  Jahre  50  n.  Chr.  geschrieben ;  2)  die 
übrigen  gehören  der  Zeit  vor  64  an,  in  welchem  Jahre  der  Apostel  in  Rom 
den  Märtyrertod  erlitt.  Alle  tragen  ein  individuelles,  die  jeweiligen  Ver- 
hältnisse getreu  widerspiegelndes  Kolorit.  Griechische  Bildung  besass  der 
Apostel  wenig,  so  dass  seine  Sprache  nichts  von  hellenischer  Eleganz  ver- 
rät; doch  citiert  er  in  einem  der  Briefe  ad  Kor.  I,  15.  33  einen  Vers  des 
Menander  (p&sfQovaiv  rj^i^  XQV^^'  ofxiXiai  xaxai.  Gewissermassen  einen  Kom- 
mentar zu  den  Briefen  bildet  das  Tagebuch  des  Begleiters  des  Apostels, 
Timotheos,  im  2.  Teil  der  Apostelgeschichte  des  Lukas.  —  Zeitlich  zunächst 
steht  die  Apokalypse,  geschrieben  im  judaischen  Geiste  nach  dem  Vor- 
bild der  alttestamentlichen  Prophezeiungen  im  Buch  Daniel  und  Henoch. 
Als  Verfasser  derselben  nennt  sich  im  Vorwort  1,  9  Joannes,  Diener  Jesu 
von  der  Insel  Patmos;  jedenfalls  ist  dieselbe,  ebenso  wie  das  Evangelium 
Johannes,  im  Kreise  der  kleinasiatischen  Kirche  entstanden  und  gehört 
ganz  der  phantastischen  Welt  des  Orients  an.  Der  Kern  des  Buches  ist 
unter  dem  6.  der  römischen  Kaiser, 3)  noch  vor  der  totalen  Zerstörung  des 
Tempels  von  Jerusalem,^)  wahrscheinlich  unter  Vespasian  im  J.  69  ge- 
schrieben. Aufnahme  in  die  kanonische  Sammlung  des  neuen  Testamentes 
fand  das  Buch  erst  im  3.  Jahrhundert,  woraus  sich  seine  Stellung  am 
Schlüsse  der  Sammlung  erklärt.^)  ~  Von  den  4  Evangelien  bilden  die  des 


III,  25  unterscheidet  4  Arten  altchristlicher 
Schriften:  1)  kanonische,  ofxoXoyov^eva,  da- 
runter f]  TMP  evayyeliwv  TSZQaxrvg,  TiQic'isig 
xdov  dnoaToXcjy,  EmaioXal  Uavkov,  ausserdem 
mit  einem  Ausdruck  des  Zweifels  (inoxäXvxpig 
liüäyfov,  2)  angezweifelte,  civiilsyofxeva,  wie 
die  Briefe  des  Jakobus.  Judas,  etc.,  3)  un- 
echte, vö&a,  zu  den  di'Tileyofxsva  im  wei- 
teren Sinne  gehörend,  darunter  der  Poimen, 
der  Brief  des  Barnabas,  IJav'kov  TiQu^sig, 
anooz61(x)v  (^Lda/cd,  nach  einigen  auch  das 
Evangelium  der  Hebräer,  4)  häretische,  tcc 
oi'oficnt  XMv  cinoGTo'AcDp  nqdq  Tioy  uIqstixiou 
7TQO(ff.Q6fxevc(,  darunter  die  apokryphen  Evan- 
gelien des  Petrus,  Thomas,  Matthias  und 
(d  Mg  Av^QBOv  xal  {(advpov  xcd  TiOf  (cXXioi^ 
uTjoaroXiov  nQcc^eig. 

')  0.  Pfleiderer,  Das  Urchristentum, 
seine  Schriften  u.  Lehren,  Berl.  1887;  Theoü. 
Zahn,  Geschichte  des  neutestamcntlichen 
Kanons,  Erlangen  1888;  Weizsäcker,  Das 
apostolische    Zeitalter    der    christl.    Kirche, 


2.  Aufl.,  Freiburg  1889. 

^)  Nach  den  Angaben  des  Briefes  selbst, 
in  dem  der  Apostel  einen  Abriss  seines  bis- 
herigen Lebens  gibt. 

^)  Apok.  17,  10:  ßaadei'g  enrd  etaiv  ' 
ol  Tiipts  ensaup,  6  eig  eoxiv,  6  ci'kXog  ovnia 
fjXd^s  xai  '6t((v  tX^rj,  oViyov   avTov  dst  eipcci. 

^)  Apok.  11,  2.  Mommsen,  Rom.  Gesch. 
V,  520  f.  und  ebenso  Pfleiderer  a.  0.  gehen 
auf  die  letzten  Regierungsjahre  Vespasians 
herab,  wozu  besser  die  Andeutung  der  von 
den  Parthern  drohenden  Gefahr  (9,  14) 
stimmt,  womit  sich  aber  der  Hinweis  auf 
den  noch  nicht  ganz  zerstörten  Tempel 
Jerusalems  schwer  vereinigen  lässt.  Neue 
Kritiker  verfielen  auf  den  Ausweg,  das 
kurze  Buch  aus  mehreren  Teilen  entstanden 
sein  zu  lassen. 

^)  Noch  im  2.  Jahrhundert  wurde  aus 
der  Mitte  der  katholischen  Kirche  von  Caius 
die  Apokalypse  als  ketzerisches  Werk  ver- 
worfen; s.  Zahn  a.  0.  220  ft". 


728 


Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 


Markus,  Lukas,  Matthäus  eine  enger  zusammenhängende,  im  wesentlichen 
übereinstimmende  Gruppe  (synoptische  Evangelien).  Der  Evangelist  Markus 
war  ein  Schüler  und  Begleiter  dös  Apostels  Petrus  ^)  und  scheint  sein 
Evangelium  noch  im  I.Jahrhundert,  aber  nach  Zerstörung  von  Jerusalem,  2) 
verfasst  zu  haben.  Dasselbe  zeichnet  sich  vor  den  andern  durch  den  ge- 
mütvollen Ton  der  Erzählung  und  den  poetischen  Reichtum  an  Bildern 
und  Gleichnissen  aus;  auch  der  grammatische  Ausdruck  ist  verhältnismässig 
gut.  Der  Schluss  (16,  9 — 20)  fehlt  in  guten  Handschriften  und  wurde  erst 
zugesetzt,  nachdem  der  echte  Schluss  verloren  gegangen  war.  —  Lukas, 
der  sein  Evangelium  und  seine  Apostelgeschichte  einem  gewissen  Theo- 
philos  gewidmet  hat,  bezeugt  selbst  im  Eingang  des  Evangeliums,  dass  er 
viele  Vorgänger  hatte.  ^)  Dass  darunter  auch  Markus  war,  kann  nach  den 
zahlreichen  wörtlichen  Übereinstimmungen  nicht  zweifelhaft  sein.  Derselbe 
Lukas  verfasste  auch  als  Ergänzung  seines  Evangeliums  eine  Apostel- 
geschichte {rcQa^sig  %wv  anoaTolMv),  die  bis  zum  Tode  des  Apostels  Paulus 
(denselben  nicht  einbegriffen)  reicht  und  dessen  2.  Teil  wesentlich  nur  die 
Aufzeichnungen  des  Timotheos,  den  sich  der  Apostel  Paulus  in  Lystra  zu 
seinem  Begleiter  ausgewählt  hatte, ^)  in  treuer  Kopie  wiedergibt.^)  Wer 
der  Evangelist  Lukas  war  und  zu  welcher  Zeit  er  schrieb,  darüber  gehen 
die  Urteile  der  Kenner  weit  auseinander.  Die  kritische  Schule  findet  in 
dem  überall  hervortretenden  Bestreben,  das  Christentum  gegen  die  an  die 
römischen  Beamten  gebrachten  Denunziationen  zu  verteidigen,  ein  Anzeichen, 
dass  Lukas  zur  Zeit  der  erneuten  Christenverfolgung  unter  Trajan  gelebt 
habe.^)  Auf  der  anderen  Seite  spricht  die  Benützung  der  Schriften  des 
Markus  und  Timotheus  für  die  alte  Annahme,  dass  wir  auch  unseren 
Evangelisten  in  dem  Kreise  der  Verehrer  des  Apostels  Paulus  zu  suchen 
und  mit  dem  getreuen  Lukas,  der  allein  in  Rom  bei  Paulus  ausharrte  (ad 
Timoth.  II,  4.  11),  zu  identifizieren  haben.  —  Das  Evangelium  Matthäus 
enthält  neben  vielen,  mit  Markus  und  Lukas  übereinstimmenden  Partien 
auch  manches  neue,  wie  vom  Stammbaum  Jesu,  von  der  Flucht  nach  Ägypten, 
von  den  3  Königen  aus  dem  Morgenland.  Als  Vorlage  dienten  dem  Redaktor, 
dessen  Lebenszeit  nach  Markus   und  Lukas   anzusetzen  ist,"^)  die  von  dem 


^)  Im  Briefe  des  Petrus  5,  13  heisst  er 
MaQxog  6  vlog  fxov.  Aber  auch  in  dem 
deuteropaulinischen  Brief  an  Timotheus  II, 
4.  11  kommt  ein  Markus  vor,  den  Timotheus 
mit  nach  Rom  bringen  soll. 

2)  Darauf  geht  13,  2  ff. 

^)  Luk.  1,  1:  enei^i]  nsg  nollol  STie/el- 
Qri<Jav  uvaTa^aaQ^ca  diyy7jGiy  ttsqI  xmv  nsn- 
l7]QO(fOQrj}xepiov  iv  ri^lv  n^ay^äxiov^  xccx9wg 
7ic<Qidoaca/  riyAV  ol  «ti'  ('<qx^?  avTÖnrca  xal 
v7T7]Q6rca  yEvofisvoi  rov  "koyov,  edo^e  xufxol 
7ic(Q7]xoXov97]x6ri  av(x)d^ev  tkigii'  axQißaig  xa- 
ri^s^fjg  ooi  yqdxpm,  XQchiare  Qsocpile. 

^)  Act.  apost.  16,  1  ff. ;  im  Briefe  des 
Paulus  an  die  Römer  heisst  er  16,  21  Tl- 
juod^sog  6  Gvveqyog  /nov.  Auch  2  Briefe  des 
Paulus  an  Timotheus  haben  wir,  deren  Echt- 
heit aber  bezweifelt  wird. 

^)  Davon  zeugt  die  häufige  Beibehaltung 


der  ersten  Pers.  plur.  und  das  gute  Griechisch, 
das  diesen  2.  Teil  der  Apostelgeschichte  vor 
dem  ersten  und  den  in  hellenistischer  Vulgär- 
sprache geschriebenen  Evangelien  auszeich- 
net. Timotheos  führt  einen  Halbvers  Homers 
an  (27,  28)  und  bezieht  sich  auf  Demosthenes 
in  der  Schilderung  der  nur  nach  Neuig^ 
keiten  verlangenden  Athener  (17,  21). 

*^)  UsENER,    Religionsgesch.    Unters.    I^ 
152:  Unsere  heutige  Apostelgeschichte  kam 
kaum    früher   entstanden   sein   als   zur   Zei^ 
des  Kerinthos,  um  120. 

^)  Entscheidend  ist,  dass  erst  MatthäusJ 
keiner  der  übrigen  Evangelisten,  Maria  als 
Jungfrau  den  Herrn  gebären  lässt,  indem  er 
zwar  1,  18  nach  alter  Überlieferung  Maria  und 
Joseph  als  Eltern  desselben  anführt,  aber 
mit  dem  Zusatz  nQiy  ij  avve'A&sTv  «vrovg.     ' 


B.  Christliche  Schriftsteller.  1.  Die  Schriften  der  altchristlichen  Kirche.  (§  599.)     729 


Apostel  Matthäus  in  hebräischer  Sprache  geschriebenen  Sprüche  (A6//«)  des 
Herrn.  ^)  Aus  dieser  Vorlage  flössen  namentlich  die  vielen  Ausprüche  und 
Vorschriften  Christi,  die  in  dieses  Evangelium  eingelegt  sind.  Doch  hat 
sich  der  Verfasser  nicht  mit  einer  einfachen  Übersetzung  begnügt,  sondern 
mit  der  Anführung  der  Sprüche  auch  einen  historischen  Abriss  des  Lebens 
Christi,  wesentlich  nach  den  Evangelien  des  Markus  und  Lukas,  verbunden. 2) 

Einer  anderen  Richtung  gehört  das  Evangelium  Johannes  an,  das 
weniger  ein  schlichtes  Geschichtsbuch  als  eine  christologische  Lehrschrift 
ist  und  uns  gleich  mit  dem  Eingang  sv  ccQxf]  ^;^'  0  löyoc,  xal  ö  Xoyog  r^v 
TTQog  Tov  d^sov  xccl  ^sog  rjv  6  Xoyog  in  eine  ganz  andere  Atmosphäre  ver- 
setzt. Aber  wenn  dasselbe  auch  einen  theosophischen  Charakter  trägt  und 
in  Einzelheiten  auf  jüngere  Zeit  hinweist,^)  so  muss  doch  der  Grundstock 
desselben  auf  alte  Aufzeichnungen  eines  Augenzeugen  zurückgehen.  Dafür 
sprechen  die  vielen  neuen  Momente  aus  dem  Leben  Jesu,  die  genaue  Orts- 
kenntnis, das  Fehlen  von  Erzählungen  aus  der  Geburt  und  Kindheit  Jesu; 
auch  tragen  die  meisten  der  von  Johannes  angeführten  Wunder  ein  ein- 
facheres und  deshalb  altertümlicheres  Gepräge.  Nach  der  alten  Überliefe- 
rung des  Papias  hatte  der  Apostel  Johannes  seiner  Gemeinde  ein  Evan- 
gelium hinterlassen;^)  aber  in  seiner  heutigen  Gestalt  rührt  das  Evangelium 
Johannes  sicher  nicht  von  dem  Liebesapostel  selbst  her,  sondern  von  einem 
jüngeren  Redaktor,  dessen  überarbeitende  Hand  noch  an  vielen  Stellen 
deutlich  zu  erkennen  ist.'')  Mit  der  Apokalypse  hat  es  nicht  bloss  den 
Autornamen  gemein,  es  sind  auch  beide  Schriften  an  der  gleichen  Stelle, 
in  den  christlichen  Gemeinden  Kleinasiens,  entstanden  und  teilen  die  gleiche 
Bezeichnung  Christi  als  Lamm  Gottes.  Die  Stellung  unseres  Evangeliums 
hinter  den  übrigen  Evangelien  erklärt  sich  daraus,  dass  es  am  spätesten 
allgemeine  Anerkennung  unter  den  Christen  fand.  Wenigstens  bezeugt 
der  Bischof  Epiphanios,  Panar.  H,  51.  3,  dass  die  Sekte  der  Alogoi  die 
Echtheit  des  Evangeliums  und  der  Apokalypse  des  Johannes  bestritten  und 
beide  dem  Cerinthus,  einem  Gnostiker  des  beginnenden  2.  Jahrhunderts, 
zuschrieben. 

Endlich  bilden  einen  Teil   des  neuen  Testamentes   die  jüngeren,   den 


')  Papias  bei  Euseb.  bist.  eccl.  III,  39: 
Mcnfhmog  fxev  ovv  'Eßgatdi  &iaXexT(o  xd  Xöyia 
ovyeygdxpcno,  rjQfirjvsvas  cT'  avtci  oog  rjv  d'v- 
vcnog  i'xaarog.  Früher  also  übersetzte  der 
Presbyter  jedesmal  aus  dem  Stegreif  die 
betreffenden  Abschnitte  jenes  Buches;  jetzt 
trat  an  ihre  Stelle  die  authentische  grie- 
chische Übersetzung. 

'^)  So  urteilte  insbesondere  Schleier- 
macher; Zahn  a.  0.  894  ff.  plädiert  für  eine 
einfache  Übersetzung.  * 

2)  Wichtig  ist  der  Vergleich  der  Stellen 
über  Lazarus  bei  Markus  lO,  20-31,  der 
die  Wiederauferweckung  des  Lazarus  noch 
nicht  kennt,  und  Johanunes  c.  11,  der  in 
Weiterführung  einer  Andeutung  jener  ersten 
"^tolle  die  Erzählung  ausschmückte.  Haupt- 
s.ichlich  mit  Rücksicht  darauf  setzt  Pflei- 
DKRER  a.  0.  720   das  P]vange]ium  Johannes 


in  das  2.  Viertel  des  2.  Jahrhunderts.  Einen 
sicheren  Terminus  post  quem  bildet  die  An- 
spielung auf  den  Tod  des  h.  Petrus  21,  18. 

•*)  Cod.  Vat.  Reginensis  14  bei  Zahn 
a.  0.  898. 

^)  Es  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass 
dieser  Redaktor  identisch  ist  mit  dem  Pres- 
byter loannes,  der  nach  dem  Zeugnis  des 
Papias  bei  Euseb.  Hist.  eccl.  II I,  39  im  Be- 
ginne des  2.  Jahrhunderts  in  Ephesus  lebte 
und  dem  auch  einer  der  johanneischen  Briefe 
angehört.  Beachtung  verdient,  dass  Johannes 
in  dem  Evangelium  selbst  nur  als  Zeuge 
angeführt  wird  (19,  35:  6  ecoQccxiog  fieft(c()- 
TVQtjy.E  xccl  c(Xt]x9i,yi]  ccvrov  sariv  1]  luuQTVQia), 
in  dem  falschen  Schlüsse  aber  als  Zeuge  und 
Verfasser  (21,  25:  ovrog  [seil,  'kouri'fjg]  ianv 
6  fX(cfh]Tt]g  6  ^«QivQwv  tjsqI  rovTtoy  xcd 
yqdxfjccg  ravT«). 


730 


Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 


alten  nachgebildeten  Briefe,  nämlich  der  Brief  an  die  Hebräer,  verfasst  im 
J.  115  zur  Zeit  der  Christenverfolgung  unter  Trajan,')  die  deuteropaulini- 
schen  Briefe,  insbesondere  die  sogenannten  Pastoralbriefe  an  Timotheos, 
Titus-)  und  Philemon,^)  endlich  die  unechten  Briefe  des  Jakobus,  Petrus, 
Johannes,^)  Judas.  Schon  durch  die  Sprache  erweisen  sich  die  meisten 
dieser  Briefe,  namentlich  der  des  Jakobus,  der  an  die  Hebräer  und  die  an 
Titus  und  Philemon,  als  Produkte  einer  jüngeren  Zeit,  als  die  christlichen 
Lehrer  sich  bereits  die  Feinheiten  des  rhetorischen  Stiles  und  die  Korrekt- 
heit der  griechischen  Grammatik  anzueignen  begonnen  hatten.  Dass  auf 
solche  Weise  auch  fingierte  Briefe  in  das  neue  Testament  kamen,  darf 
uns  nicht  allzu  sehr  wunder  nehmen;  sind  dieselben  doch  in  einer  Zeit 
entstanden,  in  der  sich  auch  die  Hellenen  darin  gefielen,  Briefe  im  Geiste 
eines  Themistokles,  Xenophon,  Aristoteles  zu  verfertigen  und  dieselben 
dann  jenen  Grössen  der  Vergangenheit  unterzuschieben. 

Die  Codices  der  Bibel  gehen  in  mehrere  Familien  auseinander:  die  ältesten  sind 
der  Sinaiticus  s.  IV  (jetzt  in  Tetersburg),  Alexandrinus  s.  V  (jetzt  im  britischen  Museum), 
Vaticanus  s.  IV,  Ephraemi  rescriptus  s.  V  (in  Paris),  Bezae  Cantabrigiensis  s.  VI. 

Ausgaben  auf  kritischer  Grundlage:  von  Griesbach  ed.  II,  Halle  1796—1806;  von 
Lachmann,  Berl.  1831,  ed.  maior  1842—50;  von  Tischendorf  mit  den  reichsten  hand- 
schriftlichen Hilfsmitteln,  Lips.   1842,  ed.  octava  crit.  maior  1864—72. 

WiNER,  Grammatik  des  neutestamentlichen  Sprachidioms,  6.  Aufl.,  Leipz.  1854.  — 
Wilke-Grimm,  Clavis  novi  tcstamenti  2ihilolof/ica,  ed.  III,  Lips.  1888.  —  Übrigens  weisen 
die  Schriften  des  neuen  Testamentes  sehr  grosse  Unterschiede  in  Stil  und  Sprache  auf,  die 
eine  genauere  philologische  Scheidung  wünschenswert  machen. 

600.  Aussertestamentliche  Schriften.  Ausser  den  in  den  Kanon  •'') 
aufgenommenen  heiligen  Schriften  gab  es  noch  eine  Anzahl  apokrypher,^) 
in  die  alte  Zeit  zurückdatierter,  aber  von  der  Kirche  nicht  als  authentisch  an- 
erkannter Schriften.  Nur  ein  kleiner  Teil  derselben  hat  sich  erhalten,  darunter 
ein  Brief  des  Barnabas,'^)  geschrieben  unter  Hadrian,  als  die  Juden  sich 
Hoffnung  machten,  dass  der  Tempel  in  Jerusalem  wieder  aufgebaut  werde  (16,  4), 
ferner  die  Thaten  (jtQa^eig)  des  Barnabas  und  der  Apostel  Thomas,  Johannes, 


0  Vgl,  10,  32  u.  12,  1. 

^)  Im  Brief  an  Titus  findet  sich  1,  12 
sogar  ein  Vers  des  Homer  citiert. 

^)  Es  gab  noch  mehrere  dem  Paulus  zu- 
geschriebene Briefe;  2  unechte  Paulusbriefe 
werden  erwähnt  und  zurückgewiesen  in  dem 
muratorischen  Fragment;  Markion  (um  150) 
hatte  nur  10  Briefe  des  Paulus  in  seine 
Sammlung  aufgenommen.  Über  den  theo- 
sophischen  Epheserbrief  s.  Pfleiderer,  He- 
raklitische  Spuren  auf  theologischem,  ins- 
besondere altchristlichem  Boden,  Jhrb.  f. 
prot.  Theol.  XIII  (1887)  192-212. 

^)  Von  den  3  Briefen  des  Johannes 
rühren  die  beiden  letzten  laut  der  Aufschrift 
nicht  von  dem  Apostel,  sondern  dem  Pres- 
byter Johannes  her. 

^)  Gewöhnlich  nimmt  man  an,  dass  um 
170  ein  solcher  Kanon  aufgestellt  ward,  und 
stützt  sich  dabei  auf  Eirenaios  III,  1  u.  11. 
Dort  ist  allerdings  vorausgesetzt,  dass  die 
jetzt  in  unser  Testamentum  novum  auf- 
genommenen ICvangelien  und  Briefe  als 
authentisch     von    der    katholischen    Kirche 


anerkannt  wurden.  Aber  weder  ist  über- 
liefert, wer  einen  solchen  Kanon  aufgestellt 
habe,  noch  durch  welche  kirchliche  Autorität 
derselbe  allgemein  rezipiert  worden  sei,  so 
dass  man  nur  sagen  kann,  dass  im  2.  Jahr- 
hundert sich  allmählich  durch  den  Gebrauch 
im  Gottesdienst  eine  feste  Praxis  über  die 
zulässigen  Schriften  herausgestellt  hat;  s. 
Zahn,  Gesch.  des  neutestam.  Kanon  436  ff. 
Dabei  hat  offenbar  die  kleinasiatische  Kirche 
in  der  das  Evangelium  und  die  Apokalyps 
des  h.  Johannes  besonders  in  Ehren  ge 
halten  wurden,  einen  massgebenden  Einfluss 
geübt;  es  war  ja  auch  Eirenaios,  der  erste 
Hauptzeuge  des  Kanon,  als  Schüler  des 
Polykarp  ein  Kind  der  kleinasiatischen  Kirche. 

6)  U7iöxQV(fcc  ßißUa  bedeutet  soviel  als 
abgesonderte  Bücher,  secreta  et  recondiia 
scripta. 

^)  Barnabas  war  Mitarbeiter  des  Paulus 
im  Weinberg  des  Herrn;  später  trennte  er 
sich  von  demselben  und  suchte  mit  Markus 
die  Provinz  Kypern  auf;  s.  Act.  apost.  15, 
35  ff. 


e 


B.  Christliche  Schriftsteller.   1.  Die  Schriften  der  altchristlichen  Kirche.  (§  600.)     731 

Petrus  und  Paulus,  ^  die  Anordnungen  der  heiligen  Apostel  {at  tojv  ayi'oiv 
airoaTÖXwv  Siaid^eig  in  8  B.),^)  redigiert  um  300,^)  das  Protevangelium  von 
der  Kindheit  Jesu  [ye-wr^aig  Maqfac,  rt^g  äyiag  ^eoroxov),  die  Aufzeichnungen 
des  Nikodemos  von  dem  Tode  Christi  {viTOfivrjj^iaTa  iwr  tov  xvqiov  rj^mr 
^Ir^aov  XQiaxov  TTQccxO^i'vTMv  sTcl  Ilovviov  UiXccTov  odcr  Acta  Pilati).  In  die 
gleiche  Kategorie  gehört  die  unlängst  von  dem  Metropoliten  Bryennios  aus 
einer  konstantinopolitaner  Klosterbibliothek  ans  Tageslicht  gezogene  Lehre 
der  zwölf  Apostel  {6i6axij  xvqiov  öia  %mv  do^ösxa  a7Toai6Xo)v),  von  welcher 
der  erste  Teil  (c.  1 — 6)  allgemeine  Sittengebote,  der  zweite  (c.  7  — 15) 
speziell  kirchliche  Vorschriften  über  Taufe,  Gebet,  Heiligung  des  Herrn- 
tages, Eucharistie,  Beicht  enthält;  dieselben  sind  jedenfalls  älter  als  die 
Konstitutionen  der  Apostel. 

Weitaus  am  wichtigsten  sind  unter  diesen  apokryphen  Schriften  die 
Apostellegenden,  die  zwar  von  Wundern,  Visionen  und  phantastischen  Erzäh- 
lungen überströmen,  aber  auch  manche  historische  Erinnerungen  ^)  und  wertvolle 
Reste  altchristlicher  Hymnen,  Gebete  und  Zeremonien  enthalten.  Auf  diese 
Weise  bilden  dieselben  eine  äusserst  erwünschte  Ergänzung  zu  den  kanonischen 
TTQa^eig  aTioaxoXwv  des  Lukas,  indem  sie  uns  über  die  Gründungssagen  der 
einzelnen  Kirchen  und  die  Verbreitung  des  Christentums  über  die  ver 
schiedenen  Länder  der  Erde  unterrichten.  Denn  wie  einstens  die  Städte 
Griechenlands  und  Italiens  jede  ihren  Heros  sich  schuf,  womöglich  einen 
aus  dem  Kreis  der  troianischen  Helden,  so  bildeten  sich  in  den  christlichen 
Gemeinden  bunte,  mehr  oder  minder  auch  historisch  begründete  Sagen  von 
der  Gründung  der  einzelnen  Kirchen  durch  einen  der  12  Apostel  oder  70  Jünger. 
Indien  ward  so  das  Missionsgebiet  des  Thomas,  der  Pontus  und  der  kimme- 
rische  Bosporus  das  des  Petrus  und  Andreas,  Vorderasien  und  Phrygien  das 
des  Johannes  und  Philippus,  Parthien  und  Äthiopien  das  des  Matthäus,  Kypern 
das  des  Barnabas.  Noch  mehr  hafteten  in  dem  Gedächtnis  der  Gläubigen 
die  Erinnerungen  an  den  Tod  und  die  Grabstätte  der  Gründer  der  Ge- 
meinden, so  dass  man  in  Ephesos  das  Andenken  an  Johannes,  in  Hierapolis 
das  an  Philippus,  in  Rom  das  an  Paulus  und  Petrus  nicht  bloss  bewahrte, 
sondern  auch  mit  bestimmten  Örtlichkeiten  in  Verbindung  brachte.  Von  den 
unter  diesen  Umständen  entstandenen  Legenden  hat  sich  ziemlich  viel  bis 
auf  unsere  Tage  erhalten,'')  zum  Teil  freilich  nur  durch  lateinische,  syrische,^') 


1)  Epiphanios  Panar.  30,  16  p.  108,  25 
erwähnt  ausser  unserer  Apostelgeschichte 
M  noch  TiQu^sig  (cXXag  unoarohov ;  um  KJO  hat 
E  ein  gewisser  LeukiosCharinos  eine  Geschichte 
r  der  Apostel  Johannes,  Thomas,  Andreas  ge- 
(*J  schrieben,  wovon  Näheres  gleich  nachher. 
j  '^)  Dieselben  wuiden  erst  im  Jahre  G92 

auf   der  trullanischen  Synode    für  apokryph 
erklärt. 

■*)  Wichtig  für  die  Zeitbestimmung  ist 
das  4,  Buch,  das  gegen  das  Umsichgreifen 
der  Ket/ereien  gerichtet  ist.  Ad.  Haknack, 
Über  die  Quellen  der  sogenannten  apostoli- 
schen Kirchenordnung,  in  Gebhardt-Harnack, 
Texte  u.  Unt.,  Bd.  H,    II.  5,    setzt   die    Re- 


daktion der  Schrift  um  300.     Interessant  für   I    Lond.  1871. 


die  Stellung  der  Christen  zu  der  alten  Lit- 
teratur  ist  1,  6,  wo  von  der  Beschäftigung 
mit  den  heidnischen  Schriften,  den  aoq-tanxä 
und  noLtjnxd,  abgemahnt  wird. 

')  Hauptnachweise  von  Gutschmiü,  Die 
Königsnamen  in  den  ai)okryphen  Apostel- 
geschichten, Rh.  M.  19  (1864)  161  ff.  —  Über 
das  Romanhafte  in  jenen  Erzählungen  s. 
S.  679. 

^)  R.  A.  Lipsius,  Die  apokryphen  Apostel- 
geschichten und  Apostcllegenden,  ein  Bei- 
trag zur  altchristlichen  Litteraturgeschichte, 
Braunschweig  1883 — 7,  2  Bde.,  Hauptwerk. 

^)  Wright,  Apocryphal  acls  of  the 
opostlcs,    cdiicd    from  ,syrian   manuscripts, 


732  Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

koptische,  slavische  Übersetzungen.  Den  ersten  Rang  nehmen  unter 
diesen  die  noch  im  2.  Jahrhundert  entstandenen  aTroaTokcov  tisqioöoi  ein, 
welche  die  nga^sig  Tle'TQOv,  'lamvvov,  'ArdQ&ov,  0wfta,  IlavXov  umfassten. 
Als  Verfasser  derselben  wird  Leukios  Charinos,  ein  Manichäer,  also  ein 
Nichtkatholik,  genannt; i)  aber  ihr  Inhalt  erregte  so  lebhaftes  Interesse, 
dass  sich  dieselben  trotz  des  gnostischen  Ursprungs  zum  grossen  Teil  er- 
halten haben,  wenn  auch  vielfach  nur  in  orthodoxer  Umgestaltung.  Ausser- 
dem sind  aus  anderer  Quelle  auf  uns  gekommen  die  Acta  des  Barnabas  und 
Thaddäus,  die  Martyria  der  Thekla,  des  Andreas,  Bartholemäus,  Jakobus  u.  a. 

Tischendorf,  Evangelia  aj^ocrypha,  Lips.  1843;  Ders.,  Acta  apost.  apocr.  1851; 
Ders.,  Äpocal.  apogr.  1866.  Fragmente  eines  neuen  apocryphen  Evangeliums  wurden  in  den 
Papyri  von  Fajjum  gefunden,  worüber  Bickel,  Mitteilungen  aus  der  Sammlung  der  Papyri 
Erzherzogs  Rainer  1887,  I  p.  53 — 61,  und  Ad.  Haknack  in  Texte  u.  Unters.,  Bd.  5,  Leipz. 
1889.  —  Zahn,  Acta  loannis  1880.  —  Bonnet,  Suppl.  cod.  apogryphi  1882. 

Jida/tj  xwv  ddjdsxa  cctiootoXmv  ed.  Bryennios,  Konstant.  1883;  ed.  Funk,  Tübingen 
1887.  —  Constitutiones  apostolorum  ed.  Lagarde,  Lips.  1862. 

601.  Eine  dritte  Klasse  altchristlicher  Schriften  bilden  die  Bücher  der 
apostolischen  Väter,  d.  i.  der  ehrwürdigen  Lehrer  und  Kirchenvorstände 
aus  der  nächsten  Zeit  nach  dem  Tode  der  Apostel.  Zu  ihnen  gehören  die 
Briefe,  Homilien  und  Rekognitionen -)  des  Clemens  Romanus,  unter  denen 
das  im  J.  96  an  die  Gemeinde  der  Korinther  zur  Herstellung  kirchlicher 
Ordnung  gerichtete  Sendschreiben  am  meisten  Beachtung  verdient,  die  Ho- 
milien und  Rekognitionen  verschiedene  Schichten  von  Schriften  aus  dem  2.  Jahr- 
hundert erkennen  lassen;  ferner  die  7  der  Unechtheit  verdächtigen  Briefe 
des  Ignatius  von  Antiochia,  der  unter  Trajan  im  J.  115  den  Martyrertod 
starb,  der  Brief  des  Bischofs  Polykarp,  der  im  J.  155  in  Smyrna  hin- 
gerichtet wurde,  ein  Brief  an  Diognet,  dessen  Absender  sich  nicht  nennt,  der 
aber  kaum  vor  dem  3.  Jahrhundert  lebte.  Eine  wichtige  Rolle  in  der  kirch- 
lichen Litteratur  nimmt  auch  wegen  seiner  Angaben  über  den  Ursprung  der 
Evangelien  Papias,  der  Freund  des  obengenannten  Bischofs  Polykarp,  ein, 
der  um  150  eine  Erklärung  der  Sprüche  des  Herrn  {Xoyiojv  xvqiccxmv  e'^rjyrjfTig) 
in  5  B.  schrieb,  von  denen  leider  nur  spärliche  Bruchstücke  durch  den 
Kirchenhistoriker  Eusebios  auf  uns  gekommen  sind. 

Dem  Zeitalter  der  apostolischen  Väter  und  der  Evangelienlitteratur 
steht  zunächst  der  Hirt  [TToiinrjv,  pastor)  des  Hermas.  Seinen  Namen  hat 
das  Buch  von  dem  Hirten  in  Engelsgestalt,  der  dem  sündigen  Menschen 
in  einer  Vision  erscheint  und  ihn  in  Vorschriften  und  Gleichnissen  über 
die  Hauptsätze  der  christlichen  Lehre  unterrichtet.  Die  Anschauungen  un( 
die  Sprache  des  Buches  weisen  nach  dem  Orient  und  der  apokryphen  Lit-J 
teratur  der  Apokalypsen  hin.  Der  Mysticismus  des  Werkes  hat  früh  aucl 
den  Verfasser  in  ein  mystisches  Halbdunkel  gehüllt.  Schon  Origenes  ii 
Kommentar  zu  den  Briefen  des  Paulus  war  geneigt,  ihn  mit  dem  Herma^ 
des  paulinischen  Briefes  an  die  Römer  16,  14  zu  identifizieren.     Aber  da-' 

41 

2)  Die  Rekognitionen  [uvayvMQiOfioi)  sind 
1861  durch  Lagarde  aus  dem  Syrischen  ans 
Tageslicht  gezogen  worden.  Vergl.  Phot.  cod. 
112  u.  113. 


')  Photios  Bibl.  cod.  114:  cd  leyofASvai 
Xixit^  i'mooioXoor  nsQlodoi,  sv  cag  TJSQiei/opio 
TiQÜ^ig  IJsTQov  Jmupi'ov  'Jr^Qeov  (^(Djuä 
Jlav'kov  .  yQCicpei  tTe  avidg  log  ö'i]'/.of'  ro  aiho 
ßißXloy  Aevxiog  Xagivog.  Im  Verlauf  nennt 
er  sie  als  Orthodoxer  ndaijg  alQe'aeMg  7i7]yrjv 


I 


B.  Christliche  Schriftsteller.    2.  Die  Kirchenväter.  (§  601-602.)  733 

neben  erhielt  sich  die  andere  glaubwürdigere  Überlieferung,  i)  dass  ein  im 
2.  Jahrhundert  lebender  Hermas,  ein  Bruder  des  römischen  Bischofs  Pius  L, 
Verfasser  des  merkwürdigen  Buches  sei.  Dasselbe  ist  uns  ganz  in  einer 
alten  lateinischen  Übersetzung  erhalten ;  2)  daneben  kamen  in  unserem  Jahr- 
hundert Blätter  des  griechischen  Originaltextes  in  den  Codices  Lipsiensis 
und  Sinaiticus  zu  Tag.  Eine  von  dem  berüchtigten  Fälscher  Minas  nach 
dem   lateinischen   Text   angefertigte   Rückübersetzung   des   ganzen  Buches 

befindet  sich  auf  der  Leipziger  Bibliothek. 

Patrum  apostolicorum  oj^era  ed.  Hefele,  neubearbeitet  von  Funk,  Tüb.  1887;  reo. 
Gebhakdt  Harnack  Zahn,  Lips.  1876 — 8. 

Hermae  ed.  princ.  von  Anger  u.  Dindorf,  Leipz.  1856,  —  Berichtigte  Ausg.  mit 
der  Versio  lat.  von  Gebhardt-Harnack,  Lips.  1877;  von  Hilgenfeld  ed.  III,  Lips.  1887; 
dazu  Hilgenfeld's  Rezension  von  Lambros-Robinson,  A  collation  of  the  Äthos  Codex  of  the 
Shephard  of  Hermas,  in  Berl.  Philol.  Wochenschr.  1889  N.  7;  über  die  ähnlichen  Fäl- 
schungen des  Minas  s.  §  408. 

2.   Die  Kirchenväter. 

602.  Unter  den  Kirchenvätern  stellen  wir  voran  die  Apologeten  oder 
die  Verteidiger  der  christlichen  Lehre,  deren  Blüte  noch  in  das  2.  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung  fällt.  Ihnen  folgt  mit  Clemens  von  Alexandrien 
die  Klasse  der  gelehrten  Kirchenschriftsteller,  welche  teils  zur  Begründung 
des  christlichen  Glaubens  tiefer  auf  die  altgriechische  Philosophie  und  Poesie 
eingingen,  teils  sich  selbständig  an  der  historischen  Litteratur  vom  christ- 
lichen Standpunkte  aus  beteiligten.  Die  dritte  Stelle  nehmen  die  in  den 
Schulen  der  Sophistik  gebildeten  Kirchenväter  Basileios,  Gregorios  von 
Nyssa,  Gregorios  von  Nazianz,  Joannes  Chrysostomos  ein,  welche  christliche 
Reden,  Briefe,  Gedichte  den  ähnlichen  Werken  der  heidnischen  Sophisten 
in  glücklicher  Rivalität  gegenüberstellten.  Die  ersten  waren  schlichte 
Männer,  deren  Bedeutung  in  der  Festigkeit  des  Glaubens  und  der  Über- 
zeugung von  der  Wahrheit  der  christlichen  Lehre  wurzelte;  die  zweiten 
knüpften  an  die  Gelehrsamkeit  und  die  litterarischen  Studien  der  Alexan- 
driner an,  aber  ohne  von  ihnen  das  Beste,  die  Unbefangenheit  und  Klarheit 
des  kritischen  Urteils,  gelernt  zu  haben;  die  dritten  waren  Kinder  ihrer 
Zeit  und  teilten  mit  ihren  heidnischen  Rivalen  die  Vorzüge  und  Fehler  der 
Sophistik.  Es  wurden  aber  die  christlichen  Schriften  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten fast  durchweg  in  griechischer  Sprache  abgefasst;  selbst  in  Rom 
bediente  sich  in  der  älteren  Zeit  bis  nach  200  die  Christengemeinde  des 
griechischen  Sprachidioms;  erst  mit  dem  Schlüsse  des  2.  Jahrhunderts  be- 
gann sich  mit  Minucius  Felix  und  Tertullian  eine  lateinisch-christliche  Lit- 
teratur allmählich  der  griechischen  zur  Seite  zu  stellen. 3) 

Maxima  hibliotheca  veterum  patrmn  (latinorum  et  graecorum),  LB.  1677,  27  Bde.  — 
Bibliotheca  veterum  patrum  ed.  Galland,  Ven.  1765  ff.,)  13  Bde.  —  Cursus  completus 
pairologiae  ed.  Migne,  Paris  1857  ff.,  t.  1  —  104  die  Griechen  umfassend. 

Corpus  apologeiarum  christianorum  saeculi  secundi,  ed.  Otto,  9  Bde.,  Jena  1847 — 61; 
od.  II  seit  1876.  —  Tatiani  oratio  ad  Graecos  rec.  Y>d.  Schwartz,  Lips.  1888,  in  Texte 
und  Unters,  von  Gebhardt-Harnack,  Bd.  IV,  H.  1. 

MöHLER,    Patrologie,    Regensb.    1840;    Alzog,    Grundriss   der    Patrologie,    Freiburg, 


^)  Fragment  des  Gaius  in  Migne,  Patr. 
gr.  X,  36. 

^)  Hausleiter,  J)e  verswnibiis  pastoris 


399-477. 

^)  Dieses  ist  im  einzelnen  nachgewiesen 
von    C.    P.   Caspari,   Zur  Goscli.    des   Tauf- 


Jlermue     hitinis,     Acta    seni.    Eilang.    III,    1   Symbols,  Christiania  1875,  Bd.  Ill,S.  267 -465, 


734  Griechisclie  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

4.  Aufl.  1888.    —    Fessler,    Institut,   patrol.,    Innsbr.    1850.    --    Einzelne    Artikel    in   der 
Realencykl.  f.  prot.  Tlieol.  von  Hekzog-Plitt,  und  im  Freiburger  Kirchenlexikon. 

Die  Apologeten J) 

603.  Justinus  Martyr,  von  heidnischen  Eltern  in  der  samaritani- 
schen  Stadt  Flavia  Neapolis  geboren,  hörte  in  der  Jugend  griechische  Phi- 
losophen und  behielt  auch  noch  nach  seinem  Übertritt  zum  Christentum 
den  Philosophenmantel  bei.  Als  Verteidiger  der  christlichen  Lehre  gegen 
Heiden  und  Juden,  besonders  gegen  den  Kyniker  Crescentius  trat  er  in 
verschiedenen  Städten,  wiederholt  in  Rom  und  Korinth  auf.  Den  Tod  fand 
er  zwischen  168  und  167  als  standhafter  Zeuge  (ixccqtvq)  seines  Glaubens. 
Mehr  von  der  praktischen  Seite  des  Christentums  ausgehend,  ohne  belang- 
reiche Gelehrsamkeit  und  ohne  besondere  Gewandtheit  in  Stil  und  Dialektik, 
richtete  er  zwei  Verteidigungsschriften  an  Kaiser  und  Senat  {ccrcoXoyia 
TtQo'ntj  VTT^Q  XQiariavMv  an  Antoninus  Pius  aus  dem  Jahr  138,  und  anoXoyia 
vTTtQ  XQiaiiccvMv  TTQOQ  TTjv  ^PojfjiaiMv  (fvyxhjToi),  wodu  cr  für  den  tugend- 
haften Lebenswandel  der  Christen  und  für  ihre  Loyalität  als  Bürger  und 
Unterthanen  mit  Wärme  eintrat.  Seinen  eigenen  Bildungsgang  legt  er  in 
dem  Zwiegespräch  mit  dem  Juden  Tryphon  dar.  Bestritten  ist  die  Echt- 
heit der  Rede  an  die  Hellenen  {Xöyog  ngog  ''EXXijvag),  der  Mahnrede  an  die 
Hellenen  {}.6yog  naQmvsTixog  nqog  ''EXhjvag^)  und  des  Buches  von  der  Gott- 
einheit (ttsqI  fxovaQxiag);  verloren  gegangen  ist  sein  von  Irenäus  1,  6  citiertes 
avvrayiia  jiQog  MaQxioova.^) 

Noch  etwas  vor  Justin  fällt  das  aus  einem  armenischen  Codex  des 
10.  Jahrhunderts  ans  Licht  gezogene  Fragment  einer  Zuschrift  des  atheni- 
schen Philosophen  Aristides  an  den  Kaiser  Hadrian  aus  dem  Jahr  125/6. 
Doch  unterliegt  die  Echtheit  dieses  Bruchstückes  ebenso  wie  des  Briefes 
an  Diognetos  gewichtigen  Bedenken. 

604-.  Tatianos  aus  Assyrien  war  im  Heidentum  geboren  und  in  Rom 
durch  Justinus  für  das  Christentum  gewonnen  worden;  in  seinem  späteren 
Leben  wandte  er  sich  der  Richtung  der  Gnostiker  zu.  Derselbe  ist  der 
Verfasser  der  um  152  geschriebenen  Rede  an  die  Hellenen  {Xöyog  nqog 
^'EXhjvag)  in  42  Kapiteln,  aus  der  mehr  der  Sohn  der  Sophistik  als  der  phi- 
losophische Denker  spricht.  Er  wendet  sich  darin  gegen  die  sittlichen 
Ausartungen  der  Hellenen  und  Römer  seiner  Zeit,  insbesondere  gegen  die 
Grausamkeit  der  Gladiatorenspiele  und  die  Unsittlichkeit  der  Theater,  weist 
die  Versuche  mit  Hilfe  der  Dämonenlehre  und  der  Allegorie  dem  alten 
Götterglauben  aufzuhelfen  zurück  und  macht  zu  Gunsten  des  Christen- 
glaubens das  geringere  Alter  der  griechischen  Philosophie  und  die  Uneinig- 
keit der  sich  selbst  gegenseitig  befehdenden  Philosophen  geltend.'^)    In  der* 


I 


^)  Ad.  Harnack,  Die  Überlieferung  der 
griechischen  Apologeten  des  2.  Jahrhunderts 
in  der  alten  Kirche  und  im  Mittelalter,  in 
Gebhardt-Harnack,  Texte  u.  Unt.,  Bd.  I, 
H.  1-3. 

2)  JoH.  Dräseke,  Ztschr.  f.  Kirchengesch. 
VII  (1885)  S.  257-302  weist  als  Verfasser 
des  XoyoQ  nciQCiivsrixog  den  Apollinarios  von 
Laodicea  nach. 

^)  Über  die  verschiedenen  Schriften  und 


die   Verwilderung    der    Überlieferung    klärt! 
auf   Harnack    in    Gebhardt-Harnack,    Textej 
u.  Unters.  Bd.  I,  H.  1  u.  2.  —  L  Paul,  Übei 
die  Logoslehre   bei  Justinus   Martyr,   Jahrb.] 
f.  prot.  Theol,  12  (1886)  616—91. 

^)  Über  die  geringe  Zuverlässigkeit  des 
Tatian  in  seiner  Galerie  plastischer  Kunst- 
werke (c.  33 — 5)  siehe  Kalkmann,  Tatians 
Nachrichten  über  Kunstwerke,  Rh.  M.  42, 
489—524. 


B.  Christliche  Schriftsteller.     2.  Die  Itirchenväter.  (§  603— 6Ö6.) 


735 


Sprache  trägt  er  geradezu  Geringschätzung  der  Regeln  der  Attikisten  zur 
Schau,  indem  er  verlangt,  dass  einer  spreche,  wie  ihn  die  Natur,  nicht 
wie  ihn  die  rhetorischen  Schulmeister  lehren  (c.  26). 

605.  Athenagoras  aus  Athen  war  vom  Piatonismus  zum  Christen- 
tum übergetreten;  über  seine  sonstigen  Lebensverhältnisse  schweben  wir 
völlig  im  Dunkel.  Von  Alexandria  aus  richtete  er  im  Jahre  177  an  den 
Kaiser  M.  Aurel  eine  wohl  disponierte  und  gut  geschriebene  Schutzschrift 
[nqsoßeia  ttsqI  XQiaxiavMv  in  37  Kapiteln),  in  der  er  in  ruhigem  Ton  und 
mit  überzeugender  Kraft  die  gegen  die  Christen  erhobenen  Vorwürfe  des 
Atheismus,  der  ödipodischen  Verbindungen  (Blutschande)  und  der  thyesti- 
schen  Mahle  (Verzehrung  der  Kinder)  zurückweist.  Eine  andere  Schrift 
desselben  von  der  Auferstehung  der  Toten  (jieQl  avaaräasmg  tmv  vsxqmv) 
sucht  die  Lehre  der  christlichen  Kirche  dialektisch  zu  begründen.  Athena- 
goras zeichnet  sich  vor  allen  Apologeten  des  2.  Jahrhunderts  durch  Kor- 
rektheit der  Form  und  Schönheit  der  Sprache  aus. 

Eirenaios,  aus  Kleinasien  stammend,  war  Schüler  des  Polykarp 
und  starb  als  Bischof  von  Lugdun  um  (Lyon)  den  Märtyrertod  bei  der 
Christenverfolgung  unter  Severus  202.  Auch  er  gehört  zu  den  Apologeten, 
aber  sein  Werk  slsyxog  xal  avaxQOJi}]  Ttjg  xpsvSan'viiov  yvMCSMg  richtet  sich 
nicht  gegen  die  Heiden,  sondern  die  gnostische  Sekte  der  Valentinianer; 
im  griechischen  Original   sind   uns  von   dieser   Schrift   nur  21  Kapitel  des 

1.  Buches  erhalten.  Ausserdem  haben  wir  von  Eirenaios  einen  dogmatischen 
Brief,  den  er  unter  Kaiser  Commodus  an  einen  gewissen  Florinus  in  Klein- 
asien richtete  (Euseb.  bist.  eccl.  V,  20). 

Theophilos,  der  gleichfalls  von  heidnischen  Eltern  geboren  war  und 
nach  Eusebius  in  den  Jahren  167 — 177  der  Diözese  von  Antiochia  vor- 
stand, ist  Verfasser  der  Streitschrift  gegen  Autolykos.  Dieser  Autolykos 
war  ein  früherer  Bekannter  des  Bischofs,  gegen  dessen  Bespöttelungen  des 
Christentums  das  zu  Anfang  der  Regierung  des  Commodus,  nach  180,  ge- 
schriebene Werk  gerichtet  ist.  Auch  hier  werden  die  Christen  gegen  die 
Beschuldigungen   der   Blutschande   und   die   aus   der  Abendmahlsfeier  (Eu- 

i  charistie)  entstandenen  Gerüchte  von  Menschenmahlen  in  Schutz  genommen; 

1  seine  Weisheit  schöpfte  der  Apologet  nicht  aus  der  Lektüre  der  klassischen 

i  Autoren,  sondern  aus  der  Kompilation  landläufiger  Florilegien.^  Die  von 
einem  gallischen  Theologen  Euagrius  zu  Anfang  des  5.  Jahrhunderts  neu- 

I  bearbeitete  Alter catio  Simonis  ludaei  et  TheopJdU  Christiani  hat  mit  unserem 
Theophilos   zwar   nichts   zu   thun,    geht  aber  auf  eine  Streitrede  aus  dem 

2.  Jahrhundert  zwischen  Jason  und  Papiskos  zurück.  2) 

606.  Hippolytos  hatte  die  Vorträge  des  Eirenaios  in  Gallien  gehört 
und  war  dann  in  der  ersten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  in  Rom  als  Presbyter 
und  Bischof  von  Portus  thätig.  Mit  den  römischen  Bischöfen  Zephyrinus 
und  Kallistus  entzweite  er  sich  in  Sachen  der  kirchlichen  Disziplin,  indem 
er  sich  den  Grundsätzen  der  Noetianer  zuneigte.  Im  Jahre  235  soll  er  nach 
Sardinien  verbannt   worden   sein;  die  Legende   lässt   ihn   in   der   Christen- 


')  DiELS,  Rh.  M.  30,  174  ff. 
2)    Erwiesen  von  Ad.  Harnack,  in  Geb- 
lardt-Harnack,   Texte   u.   Unt.,  Bd.  I,  H.  3, 


wo   auch    der  Text  jener  Schrift   in  berich- 
tigter Gestalt  mitgeteilt  ist. 


736  Griechische  Litter aturgeschichte.     III.  Anhang. 

Verfolgung  des  Kaisers  Decius  den  Märtyrertod  erleiden.  Mit  dem  geistes- 
verwandten Origines  stand  er  nach  dem  Zeugnis  des  Photius  cod.  121  in 
intimem  Gedankenaustausch.  Eine  sitzende  Statue  von  ihm  befindet  sich 
im  Lateran;  auf  dem  Stuhle  derselben  steht  ringsum  ein  leider  verstümmeltes 
und  unvollständiges  Verzeichnis  seiner  Werke  (CIG.  8613),  ähnlich  wie  bei 
der  sitzenden  Statue  des  Euripides.  Unter  diesen  befinden  sich  die  XQonxd,^) 
die  Osternberechnung  {aTioSai^eg  xQÖvoov  roi  näa^a),  Oden  auf  die  ganze 
h.  Schrift,  eine  Streitschrift  gegen  die  Hellenen  und  Piaton  über  das  Uni- 
versum (vgl.  Phot.  cod.  48).  Nach  Photios  cod.  121  schrieb  er  auch  ein 
avvTayixa  xaxd  aiqtascov.  Damit  hängt  der  von  Eusebios  bist.  ecl.  6,  22 
ihm  beigelegte  'EXsyxog  xard  naaUov  aiQt'ascov  in  12  B.  zusammen. 2)  Von 
diesem  Hauptwerk  kannte  man  früher  nur  das  1.  Buch  mit  dem  Spezialtitel 
(Pdoaocfov^sva,  unter  dem  falschen  Namen  des  Origenes.  Im  Jahre  1842  wurden 
durch  den  Griechen  Minas  auch  die  Bücher  4 — 10  aus  einem  jetzt  in  der 
Pariser  Bibliothek  befindlichen  Codex  ans  Licht  gezogen.  Am  wichtigsten  für 
die  Kenntnis  des  Altertums  ist  der  erste  Teil  des  Werkes  von  Buch 
1  bi  4.  Derselbe  handelte,  wie  wir  aus  dem  erhaltenen  Eingang  des  5.  Buches 
ersehen,  von  der  Religion  und  der  Philosophie  der  alten  Griechen.  Leider 
weist  gerade  dieser  Teil  in  unserer  Handschrift  eine  grosse  Lücke  auf. 
Von  den   auf  uns  gekommenen  Büchern,   dem  1.  und  4.,   bezieht  sich  das 

1.  auf  die  Systeme  der  alten  Philosophie,  3)  das  4.  auf  den  Aberwitz  der 
Astrologen  und  Magier.  Das  erste  bleibt  zu  sehr  auf  der  Oberfläche,  als 
dass  wir  aus  ihm  etwas  neues  von  Bedeutung  lernen  könnten,  das  zweite 
aber  enthält  viele  interessante,  wenn  auch  wenig  erfreuliche  Angaben  über 
den  herrschenden  Aberglauben  des  Volkes. 

Ed.  princ.  des  Hauptwerkes  von  Miller,  Paris  1851;  Hauptausg.  von  Düncker  und 
ScHNEiDEWiN,  Gött.  1859.  -  Die  Fragmente  der  übrigen  Werke  gesammelt  in  Hippolyti 
Momani  quae  feruntur  omnia  e  recogn.  Pauli  de  Lagarde,  Lips.  1858.  —  Die  Philoso- 
phumena  neuerdings  lierausgegeben  von  Diels,  üoxogr.  gr.  551—576. 

Die  Apologetik    war    allmählich    in    Polemik    umgeschlagen.     Diese 

setzte  sich  auch  noch  in  den  folgenden  Jahrhunderten  fort,  wiewohl  bald  die 

Bekämpfung  der  altgriechischen  Philosophie  gegenüber  der  Befehdung  der 

andersgläubigen  Sekten  in  den  Hintergrund  trat.     Ehe  wir  aber  von  dieser 

späteren  Richtung   der   Streiter   im    Herrn  handeln,    wollen   wir,   um   den 

chronologischen  Faden  nicht  zu  verlieren,  zuerst  die  grossen  Kirchenlehrer 

des  3.  und  4.  Jahrhunderts  besprechen. 

Die  gelehrten  Kirchenväter. 
607.  Clemens  Alexandrinus,  mit  vollem  Namen  T.  Flavius  Clemens, 
eröffnet  die  Reihe  der  gelehrten  Kirchenväter  unter  den  Griechen.*)     Der-^ 
selbe  war  Presbyter  von  Alexandria  und  ein  Zögling  der  um  die  Mitte  des 

2.  Jahrhunderts  gegründeten  Katechetenschule  von  Alexandria.    Dort  hattl 
er  als  begeisterter  Schüler  den  Pantainos  gehört,   der  selbst  von  der  Stoi 


^)  Dieselben  sind  in  lateinischer  Über- 
arbeitung uns  erhalten;  s.  Gelzek,  Julius 
Africanus  II,  1  —  23;  über  einen  ägyptischen 
Chronographen  Hippolytos  s.  §  624. 

2)  Über  die  bestrittene  Autorschaft  des 
Hippolytos  s.  Ueberweg,  Grundriss  II 2,  56, 
Caspari,    Taufsymbol   III,   377  if.   und   das 


Hauptwerk  von  G.  Volkjiar,  Hippolytus  un< 
die  römischen  Zeitgenossen  oder  die  Philo- 
sophumena  und  die  verwandten  Schriften, 
nach  Ursprung,  Komposition  und  Quellei^ 
untersucht,  Zürich  1855. 

^)  Diels,  Doxogr.  gr.  144 — 156. 

^)  Ueberweg,  Grundriss  II ' ,  70  ff. 


B.  Christliche  Schriftsteller.     2.  Die  Kirchenväter.  (§607  -608.)  737 

zum  Christentum  übergetreten  war.  An  dessen  Seite  wirkte  er  dann  selbst 
seit  189  an  jener  Schule,  verliess  aber  202  die  bisherige  Stätte  seiner 
Thätigkeit,  um  sich  der  Christenverfolgung  unter  Severus  zu  entziehen.  In 
hohem  Alter  zwischen  211  und  218  starb  er  eines  natürlichen  Todes. 
Clemens  ist  der  erste  unter  den  griechischen  Kirchenvätern,  der  über  die 
schüchternen  Anfänge  kleiner  Verteidigungsreden  hinausgehend,  eine  aus- 
gedehnte und  selbständige  Schriftstellerei  entfaltete.  Von  seinen  zahlreichen 
Schriften  sind  uns  3  erhalten,  welche  in  engerem  Zusammenhang  zu  einander 
stehen  und  gewissermassen  eine  Trilogie  im  platonischen  Sinne  bilden,  i) 
nämlich  der  JI^oTgeTTTixog  Xöyoq  TiQog  ''EXXrjvag,  der  in  einleitender  Weise 
die  Griechen  für  die  christliche  Lehre  zu  gewinnen  sucht,  der  Ilaidaycoyog 
in  3  B.,  der  die  Hauptsätze  der  christlichen  Sittenlehre  enthält,  die  2tqm- 
liarsTg  in  7  B.,^)  welche  von  ihrem  bunten  Inhalt  Teppiche  genannt  sind."^) 
Verloren  gegangen  sind  die  ^YnorvTiwasig,  welche  die  Hauptsätze  der  christ- 
lichen Lehre  enthielten.  Für  den  Philologen  ist  von  den  erhaltenen  Werken 
weitaus  am  wichtigsten  das  letzte,  welches  durch  die  Fülle  der  Citate  und 
gelehrten  Notizen'^)  an  das  ungefähr  zu  gleicher  Zeit  entstandene  Sophisten- 
mahl des  Athenaios  erinnert.  Der  leitende  Gedanke  des  Clemens  ist  der- 
selbe, den  schon  die  alexandrinischen  Juden,  insbesondere  Aristobulos  im 
Anschluss  an  Flaton  Tim.  p.  22,  ausgesprochen  hatten,  dass  nämlich  die 
Philosophie  und  die  ganze  Wissenschaft  der  Griechen  jünger  als  die  der 
anderen  Völker  sei,  und  dass  dieselben  das  Beste  von  den  Juden  entlehnt 
hätten.^)  Für  die  Geschichte  der  griechischen  Litteratur  sind  besonders 
wichtig  die  Abschnitte  I,  21,  V,  14,  VI,  2. 

Hauptausg.,  nach  der  citiert  wird,  von  Potter,  Oxon.  1715,  2  Bde.  fol.;  kritische 
Textausg.  (nicht  befriedigend)  mit  den  älteren  Komnientaren  von  Dindokf,  Oxon.  1869, 
4  Bde.  —  Zahn,  Suj^plementum  Clementinum.  —  Über  die  handschriftliche  Grundlage 
Staehlin,  Obs.  crit.  in  Clem.  AI.,  Erl.  1890. 

608.  Origenes  ist  der  grosse  Polyhistor  der  griechischen  Kirche, 
den  schon  Hieronymus  mit  dem  römischen  Polyhistor  Varro  zusammenstellte, 
und  der  von  seinen  Zeitgenossen  wegen  seines  andauernden  Fleisses  den 
Beinamen  6  aSaixdvxiog  erhielt.  Er  war  185  zu  Alexandria  geboren  und 
machte  seine  Studien  unter  der  Leitung  des  Clemens  Alexandrinus.  Da- 
neben soll  er  auch  mit  dem  Neuplatoniker  Ammonios  Sakkas  verkehrt 
haben. ^)  Zum  Lehrer  und  Gelehrten  geschaffen,  hielt  er  nach  Clemens' 
Weggang  (202)  in  Alexandria  und  später  im   palästinischen  Cäsarea  Vor- 


')  Ausgesprochen  ist  der  Zusammenhang 
im  Eingang  des  Paidagogos;  er  war  es 
gewiss  auch  im  Anfang  der  Stromateis,  der 
aber  verloren  gegangen  ist.  Das  4,  Werk 
der  Tetralogie  scheinen  die  verlorenen  Yttoxv- 
innosig  gewesen  zu  sein. 

'^)  Ein  achtes,  aus  verschiedenen  Teilen 
zusammengesetztes  Buch,  ist  von  fremder 
Hand  zugefügt. 

^)  Strom.  II,  p.  564:  fWw  6e  i^fxTv  td 
1 7iofxi^ij^ura(c  noixlla,  wg  avTo  rovvofxd  cprjGi, 
»htoTQua^tva.  "Vergleiche  die  ähnlich  be- 
nannten Ksoroi   des  Julius  Africanus. 

^)   „Clemens    ist    ein  Schriftsteller,    der 


heucheln  einer  profunden  Gelehrsamkeit  und 
Verstecken  der  sehr  trivialen  Handbücher,  aus 
denen  sie  stammt,  aus  dem  Grunde  versteht." 
WiLAMOwiTZ,  Eur.  Herakl.  I,  171.  Über  die 
Quellen  s.  Ad.  Scheck,  De  fontihus  Clem. 
Alex.,  Augsb.  1889. 

^)  Die  Kenntnis  von  den  Schriften  der 
alexandrinischen  Juden  schöpfte  Clemens 
aus  Alexander  Polyhistoi;  s.  Cobet,  KQf^ijg 
I,  170. 

•^)  So  berichtet  Porphyrios  bei  Eusebios 
Hist.  eccl.  VI,  19.  7;  eine  Verwechselung 
des  christlichen  Origenes  mit  dem  gleich- 
namigen heidnischen  Schüler  dos  Ammonius 
die    Gepflogenheiten    seiner    Zeit,    das    Er-   |    vermutet  Zeller,  Phil.  d.  Gr.  III 3,  2.  459  f. 

Ilaiulbucli  der  klass.  Altortmuswissenschaft.  VII.    2    Ai;fl.  47 


738  Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 

träge  und  beteiligte  sich  auch  anderwärts,  in  Arabien,  Antiochia,  Athen, 
an  Disputationen  über  Fragen  der  Lehre  und  der  Disziplin  der  Kirche. 
Dadurch  wurde  er  in  den  Strudel  der  häretischen  Streitigkeiten  gezogen 
und  sogar  von  der  Synode  zu  Alexandria  (232)  exkommuniziert.  Nach 
einem  bewegten  Leben  starb  er  im  Jahre  254  in  Tyrus  bei  der  Christen- 
verfolgung. Von  den  Werken  des  Origenes  machte  der  lateinische  Kirchen- 
vater Hieronymus  ein  Verzeichnis,  das  zum  grossen  Teil,  zusammen  mit 
dem  der  varronischen  Schriften,  in  einer  Handschrift  von  Arras  auf  uns 
gekommen  ist. ')  Eine  uns  noch  erhaltene  ßlumenlese  {(fiXoxaXia)  aus  seinen 
Werken  veranstalteten  gemeinsam  Basileios  und  Gregorios  von  Nazianz. 
Am  bedeutendsten  ist  Origenes  als  Bibelerklärer,  so  dass  er  von  den  Theo- 
logen als  der  eigentliche  Begründer  der  gelehrten  Exegese  der  heiligen 
Schriften  gepriesen  wird.  Das  heidnische  Altertum  und  allgemeine  Fragen 
berühren  vornehmlich  die  nur  durch  die  Exzerpte  des  Photios  und  die 
lateinische  Überarbeitung  des  Rufinus  auf  uns  gekommene  Schrift  nsQi 
ccQx^rv,  von  den  Grundlehren  des  Christentums  in  4  B.,  und  die  8  Bücher 
gegen  Celsus.  Die  letzteren  verfasste  er  248  auf  Anregung  seines  Freundes 
Ambrosius  als  Erwiderung  auf  den  100  Jahre  zuvor  erschienenen  dkrj^r^g 
Xoyog  des  Celsus. 2)  Dieser  hatte  den  Ursprung  des  Christentums  aus  dem 
Judentum  behauptet,  den  Sätzen  der  Bibel  solche  des  Piaton  gegenüber- 
gestellt (Orig.  VI,  1 — 22),  die  Lehre  von  der  Abstammung  und  dem  Leiden 
Christi  als  unglaubliche  Fabeln  verspottet,  und  überdies  den  Christen  Mangel 
an  Patriotismus  und  künstlerischem  Sinn  vorgeworfen.  Die  Art  der  Wider- 
legung, dass  nämlich  den  Wundern  der  christlichen  Lehre  die  viel  unglaub- 
licheren Wunder  der  heidnischen  Mythen  entgegengestellt  und  gegenüber 
dem  Forschungseifer  der  Gebildeten  das  Glaubensbedürfnis  des  niederen 
und  ungebildeten  Volkes  geltend  gemacht  wird,  stösst  natürlich  die  Grund- 
säulen des  wahren  Wortes  des  heidnischen  Philosophen  nicht  um.  In  den 
philosophischen  Anschauungen  des  Origenes,  namentlich  in  seiner  Lehre 
von  dem  Logos  als  dem  Mittler  zwischen  Gott  und  Welt  und  von  der  Prä-j 
existenz  der  mit  der  Inkorporation  aus  dem  vollkommeneren  Zustand  ge 
fallenen  Seele,  zeigt  sich  ein  entschiedener  Einfluss  des  NeuplatonismusI 
und  der  Logoslehre  des  Philon.^) 

Nachfolger  des  Origenes   an   der   Katechetenschule  Alexandriens  war! 
Dionysios  (gest.  264/5),  der  in  einer  philosophischen  Schrift  tisqI  (pvaswgj 
von  welcher  uns  sein  Verehrer  Eusebios,  praep.  ev.  14,  23 — 7  ein  umfang- 
reiches Stück  erhalten  hat,  den  epikureischen  Atomismus  bekämpfte.     Der- 
selbe behandelte  ausserdem  in  zahlreichen  Briefen  Fragen    der  christlichen 
Glaubenslehre.     Viele  dieser  Briefe  hat  Eusebios  in  seine  Kirchengeschichte 


1)  RiTscHL,  Opusc.  in,  425  ff. 

^)  Das  Werk  des  Celsus  ist  aus  Origenes 
rekonstruiert  von  Th.  Keim,  Celsus  wahres 
Wort,  älteste  Streitschrift  antiker  Welt- 
anschauung gegen  das  Christentum  vom 
Jahre  178  n.  Chr.,  Zürich  1873.  Dass  unser 
Celsus  ein  Platoniker  und  verschieden  von 
dem  Epikureer  Celsus  des  Lukian  war,  sucht 
O.  Heine,  Philol.  Abhdl.  zu  Ehren  von  Mart. 


oben  §  488.  Zwischen  Origenes  und  Celsus 
bestand  ein  ähnliches  Verhältnis  wie  zwischen 
Kyrill  und  Julian.  —  Über  das  Abfassungs- 
jahr s.  K.  J.  Neumann,  Der  röm.  Staat  u. 
d.  allgem.  Kirche  bis  auf  Diokletian,  Leipz. 
1890.  S.  265  ff. 

^)  J.  Denis,  De  la  iiliilosopUie  ä'Origene, 
Par.  1884;  Schnitzer,  Origenes  über  die 
Grundlehren  der  Glaubenswissenschaft,  Stutt- 


Hektz,   1888  S.    197     214  zu  erweisen;    vgl.    !    gart  1835.  ■( 


B    Christliche  Schriftsteller.     2.  Die  Kirchenväter.  (§  609.) 


739 


aufgenommen;  sie  zeugen  von  den  grossen  formalen  Fortschritten,  welche 
inzwischen  die  christlichen  Schriftsteller  in  den  Schulen  der  Rhetoren  und 
Sophisten  gemacht  hatten. 

Origenis  opera  omnia  ed.  C.  de  la  Rue,  Paris  1733—59,  4  vol.  fol.  —  Spezialaus- 
gabe  der  Schrift  gegen  Celsus  von  Hoeschel,  Augsb,  1605;  mit  lat.  ubers.  und  Noten  von 
Spencer,  2.  Aufl.,  Cantabr.  1677;  neue  Ausg.  in  Vorbereitung  von  Koetschau;  vgl.  dessen 
Abhandl.,  Die  Textesüberlieferung  des  Origenes  gegen  Celsus  in  den  Handschriften  dieses 
Werkes  und  der  Philokalia,  Leipz.  1889,  in  Gebhardt-Harnack,  Texte  u.  Unt.,  Bd.  VI,  H.  1.  — 
Origenis  de  principiis  ed.  Redepenning,  Lips.  1826.  —  Über  die  früher  fälschlich  dem 
Origenes  zugeschriebenen  ^iloaocpovfxEva  siehe  §  606.  —  Simon  de  Magisteis,  *S'.  Dio- 
nysii  Alexandrini  quae  supersunt,  Romae  1796. 

609.  Eusebius  Pamphili,  so  benannt  von  seinem  geistigen  Nähr- 
vater Pamphilos,  stammte  aus  Palästina.  Bei  der  Christenverfolgung  des 
Jahres  309  war  er  nach  Ägypten  geflüchtet;  später  aber  nach  Herstellung  des 
kirchlichen  Friedens  ward  er  auf  den  Bischofstuhl  von  Cäsarea  in  Palästina 
erhoben,  den  er  von  314  bis  zu  seinem  Ende,  340,  inne  hatte.  In  den 
gehässigen  Streitigkeiten  der  Arianer  und  Athanasianer  über  die  Trinität 
ward  ihm  eine  schwankende  Halbheit  zur  Last  gelegt,  die  aus  seiner 
Abneigung  gegen  dogmatische  Zänkereien  und  aus  seinen  vertrauten  Be- 
ziehungen zum  kaiserlichen  Hofe  entsprang.  In  der  christlichen  Litteratur 
nimmt  er  eine  hervorragende  Stelle  ein,  wenn  auch  seine  umfangreichen 
Werke  mehr  auf  Kompilation  als  feinem  Urteil  und  kritischem  Quellen- 
studium beruhen. 

Von  grösstem  allgemeinen  Interesse  sind  die  Xqovixd^  in  denen  Eu- 
sebios  eine  allgemeine  synchronistische  Weltgeschichte  von  den  ältesten  Zeiten 
bis  zum  Jahre  324  gibt. ')  Das  Werk  hatte  2  Teile.  Der  erste  Teil  {xqovo- 
YQacfia)  umfasste  in  kurzem  Abriss  die  Geschichte  der  Chaldäer,  Assyrer, 
Meder,  Lj^der,  Perser,  Hebräer,  Agyptier,  lonier  oder  Griechen,  Lateiner  oder 
Römer.  Derselbe  sollte  die  aus  mannigfachen  Exzerpten  gewonnene  Grund- 
lage für  den  zweiten  Teil  bilden.^)  Dieser  zweite  Teil  war  der  XQovixog 
xavMv,  in  welchem  synchronistisch  die  Jahre  der  verschiedenen  Aren,  voran 
die  von  Abraham  (2017  v.Chr.  bis 324  n.  Chr.),  nebeneinander  gestellt,  und  zu 
den  einzelnen  Jahren  am  Rand  oder  in  den  Zwischenspatien  die  treffenden 
Data  aus  der  Geschichte  angemerkt  waren.  Das  Werk  ist  nicht  unversehrt  auf 
uns  gekommen;  wir  haben  in  griechischer  Sprache  ausser  einigen  wört- 
lichen Fragmenten  die  'Exloyi]  xQovoyQccifiaq  des  Georgios  Synkellos  (800 
n.  Chr.),  welche  aus  dem  Werke  des  Eusebios,  wenn  auch  nicht  unmittelbar 
geflossen  ist,^)  in  den  Zeitangaben  aber  das  Detail  des  eusebischen  Kanons 
vermissen  lässt.  W^ichtiger  wegen  des  engeren  Anschlusses  an  das  Original 
ist  eine  armenische  Übersetzung,  eine  syrische  Epitome  und  die  lateinische 
Bearbeitung  des  Hieronymus.  Der  letztere  hat  das  chronologische  Ver- 
zeichnis bis  378  fortgesetzt  und  durch  Angaben  aus  der  römischen  Ge- 
schichte bereichert.^)     Mit  den  genannten  Mitteln   ist  es  den  Bemühungen 


^)  Vergl.    Schäfer,     Qnellenkunde     II, 
l-:r-6. 

^)  Chron.  1.  II  init. :    ev   rrj   tiqo  jmhrjq 

('i«yQ(((f((g  ovrsle'iüfxriv  navioicig.  Daraus 
staiiiintc  der  Nebentitel  ]lavro(^(aiij  laxoQid. 
(I.  i.  Allgenu'iuc  Weltgeschichte. 


^)  Vergl.  Gelzer,  Sext.  Jul.  Africanus 
und  die  byzantinische  Chronographie,  Leipz. 
1885. 

^)  Die  Zusätze  sind  fast  alle  aus  Suetons 
Buch  De  riris  iUustribus  und  aus  dem  Bre- 
viariuni  des  Kutrop  genommen. 


740  Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 

der  Gelehrten  nach  und  nach  geglückt,  das  wichtige  Werk  in  der  Haupt- 
sache zu  rekonstruieren.  Leider  stimmen  die  Jahresangaben  und  ge- 
schichtlichen Daten  der  verschiedenen  Quellen  nicht  immer  mit  einander 
überein  und  sind  die  letzteren  obendrein  bei  Hieronymus  nicht  in  allen  Hand- 
schriften gleichmässig  derselben  Jahreszahl  beigesetzt;  daher  die  Unsicher- 
heit der  alten  Chronologie  in  den  zahlreichen  Fällen,  wo  wir  einzig  auf 
Eusebios  angewiesen  sind.  Eusebios  ist  nicht  der  Urheber  der  synchroni- 
stischen Weltgeschichte;  er  hatte  einen  von  ihm  fleissig  ausgebeuteten 
Vorgänger  an  dem  Presbyter  Sextus  Julius  Africanus  aus  Alexandria. 
Als  seine  speziellen  Quellen  führt  er  selbst  im  Eingang  der  römischen  Ge- 
schichte an:  Alexander  Polyhistor,  Abydenos'  Geschichte  der  Assyrer  und 
Meder,^)  Manetho's  Aigyptiaka,  Diodor,  Kephalion's  allgemeine  Geschichte, 
Cassius  Longinus,  Phlegon,  Kastor,  Thallos'  Geschichte  von  der  Einnahme 
Ilions  bis  zur  207.  Olympiade, 2)  endlich  die  Historien  des  Porphyrios.^) 
Also  meistens  Kompendiön,  und  Kompendien  der  späteren  Zeit  waren  es, 
aus  denen  Eusebios  sein  neues  Buch  zusammenbraute.  Von  den  grossen 
Geschichtswerken  der  klassischen  Zeit  hatte  er  nichts  gelesen;  auffälliger 
ist  es,  dass  er  auch  den  Vater  der  Chronographie,  den  Apollodor,  nicht  zu 
Rate  gezogen  hat. 

Die  anderen  Werke  des  Eusebios  sind,  ausser  der  bereits  oben  g  474 
erwähnten  Streitschrift  gegen  Hierokles,  die  UQOTiaQaaxsvrj  svayysXixrj 
(Praeparatio  evangelica)  in  15  B.,  die  'ExxXiiaiaoTixi]  tazoQia  in  10  B.  bis 
zum  Jahre  325,  das  Leben  des  Kaisers  Konstantin. "^j  Von  diesen  ist  das 
bedeutendste  die  'ExxXr^aiaaTixrj  taroQia,  die  dem  Eusebios  den  Ehrentitel 
eines  Herodot  der  Kirchengeschichte  eingetragen  hat.^)  Der  Philologe  findet 
am  meisten  in  dem  ersten  Werk,  in  welchem  der  Kirchenvater  den  Über- 
tritt zum  Christentum  durch  eine  abfällige  Kritik  der  griechischen  und 
jüdischen  Lehren  zu  empfehlen  sucht  und  in  diesem  Sinne  eine  Menge  von 
Stellen  griechischer  Philosophen  und  Dichter  zur  Besprechung  bringt.  Dabei 
zeigt  er  aber  keine  Kenntnis  der  grossen  Autoren  selbst  und  ist  kritiklos 
genug,  viele  falsche  Stellen  heranzuziehen,  welche  der  fromme  Betrug  den 
griechischen  Geistesheroen  angedichtet  hatte,  um  dieselben  als  Zeugen  der 
monotheistischen  Gotteslehre  anführen  zu  können.  Statt  der  Originalwerke 
dienten  dem  Eusebios  als  hauptsächlichste  Quellen  Alexander  Polyhistor, 
Clemens  von  Alexandria,  Porphyrios.^) 

Eusebii  Chronica  ed.  Alfb.  Schöne,  Berl.  1875;  dazu  ein  Nachtrag:  Eusebii  canonum 
epitome  ex  Dionysii  Telmaharensis  clironico  ed.  Siegfried  et  Gelzer,  Lips.  1884.  Die 
Hauptarbeit  aus  älterer  Zeit  enthält  J.  Scaliger,  Thesaurus  teniporum,  LB.  1606.  — 
Eusebii  Praep.  evang.  ed.  Gaisford,  Oxon.  1843;  Prodromus  einer  neuen  kritischen  Aus- 
gabe von  Heikel,  De  prae]).  evang.  Eusebii  edendae  ratione,  Helsingfors  1888.  —  Eusebii^ 
opera  (praep.  ev.  u.  bist,  eccl.)  ed.  G.  Dindorf,  1867—71,  4  Bde.  in  Bibl.  Teubn. 
Eusebii  scripta  hist.  (Kirchengesch.  u.  Leben  Konstantins)  ed.  Heinichen,  Lips.  1868. 


^)  Abydenos  lebte  nach  Kastor,  zur  Zeit 
des  Grammatikers  Apion, 

^)  Vgl.  Müller  FHG.  III,  517. 

^)  Von  den  meisten  der  aufgezählten 
Chronographen  ist  bereits  oben  gehandelt 
worden ;  näheres  gibt  Gelzer  a.  0. 

')  Rankr,  Weltgesch.  IV,  2  S.  249—63; 
P.  Meyek,   De  vita  Constuntini  Eusebiana, 


Festschrift    dem    Gymnasium    zu   Mors    ge 
widmet,  Bonn  1882. 

^)  F.  Chr.  Baur,  Comparatur  Eusebius\ 
Caesar,  historiae  ecciesiasticae  j^5a?'e»?s  cum 
parente  historiarum  Herodoto  Halic,  Tubing. 
1834. 

^}  Vergl.  Freudenthal,  Hell.  Stud.  I, 
3—10. 


I 


B.  Christliche  Schriftsteller.     2.  Die  Kirchenväter.  (§610-611.)  741 


Die  rhetorisierenden  Kirchenväter, 

610.  Nachdem  das  Christentum  zur  Staatsreligion  erhoben  war,  nahm 
die  christliche  Litteratur  eine  andere  Richtung.  Der  apologetische  Charakter 
und  die  Bekämpfung  des  heidnischen  Altertums  traten  zurück,  das  Streben 
sich  den  Meistern  der  hellenischen  Litteratur  in  Gewandtheit  des  Ausdrucks 
und  der  Dialektik  ebenbürtig  zu  zeigen,  überwog.  Wie  die  gleichzeitigen  Rhe- 
toren  und  Sophisten,  so  verschmähten  auch  die  kirchlichen  Schriftsteller  dieser 
Richtung  die  Exaktheit  der  Gelehrsamkeit  und  ergingen  sich  dafür  um  so 
mehr  in  pathetischen  Deklamationen. ^  Dem  ungeheueren  Ansehen,  in  dem 
sie,  voran  die  drei  Kappadokier,  bei  ihren  Zeit- und  Glaubensgenossen  stunden, 
entspricht  nicht  der  innere  Wert  ihrer  Schriften.  Wir  können  uns  mit  einer 
kurzen  Erwähnung  um  so  mehr  begnügen,  als  wir  aus  ihnen  ausserordent- 
lich wenig  für  unseren  nächsten  Zweck,  die  Erkenntnis  des  klassischen 
Altertums,  lernen. 

Basileios  der  Grosse  war  Sohn  eines  Rhetors  in  Neocäsarea  am  Pontus 
und  erhielt  seine  Bildung  an  den  Rhetorenschulen  erst  seiner  Heimat,  dann 
von  Konstantinopel  und  Athen.  In  letzter  Stadt  kam  er  mit  Gregor  von 
Nazianz  zusammen,  mit  dem  er  fürs  ganze  Leben  einen  Bund  inniger 
Freundschaft  schloss.  In  seine  Heimat  zurückgekehrt,  trat  er  zuerst  als 
Rhetor  auf,  liess  sich  aber  bald  darauf  taufen  (357)  und  ward  später  Erz- 
bischof von  Caesarea  (371 — 379).  Zahlreich  sind  die  von  ihm  hinterlassenen 
Briefe  und  Reden;  am  beachtenswertesten  ist  die  Rede  an  die  studierende 
Jugend  über  den  aus  der  Lektüre  der  klassischen  Autoren  zu  ziehenden 
Gewinn    {Xoyog  nQog  rovg    veovg    orrcog    av    s^  '^EkXrjvixah'   McpsXoTvTO  "Aoywi'). 

Gesamtwerke  in  der  Benediktinerausg.  von  Garnier,  Paris  18B9,  3  vol.;  bei  Migne 
t.  29  -  32.  —  Spezialausg.  der  Rede  an  die  Jünglinge  über  den  Gebrauch  der  heidnischen 
Schriften  von  Lotholz,  Jena  1857.  —  Alb.  Jahn,  Basilius  M.  platonizans,  Bern  1838. 

Gregorios  von  Nyssa,  Bruder  des  Basileios,  war  gleichfalls  anfangs 
Rhetor,  liess  sich  aber  später  von  Gregor  von  Nazianz  zu  dem  höheren 
Dienste  eines  Priesters  der  Kirche  bestimmen.  Im  Jahr  372  zum  Bischof 
von  Nyssa  erhoben,  ward  er  375  in  den  Streitigkeiten  der  Arianer  und 
Athanasianer  durch  eine  unter  dem  Einfluss  des  Statthalters  Demetrios 
stehende  Synode  abgesetzt.  Später  durch  Kaiser  Theodosios  wieder  zu 
Ehre  und  Würde  gebracht  (378),  starb  er  um  394.  Seine  exegetischen  und 
homiletischen  Schriften  haben  wenig  allgemeines  Interesse.  Die  Zeitver- 
hältnisse berührt  die  Rede  gegen  die  Wucherer  {xaTa  roxi^övrcoi').  Die 
Stellung  der  orthodoxen  Christen  zu  den  Heiden  und  Andersgläubigen  be- 
leuchtet der  Xöyog  xazrjxrjTiKÖg,  in  welchem  der  beredte  Kirchenvater  die 
Hauptlehren  des  Christentums  systematisch  begründet.  In  dem  Dialoge  von 
der  Seele  und  Auferstehung  {neQi  if-'vxrjg  xal  avaavccaswg)  und  in  dem  Buche  * 
von  der  Erschaffung  des  Menschen  {nsql  xaracrxsvrjg  ar^Qcörrov)  berück- 
sichtigt er  auch  die  Lehren  der  alten  Philosophen. 

Gesamtwerke  bei  Migne  t.  44—46;  eine  neue  Bearbeitung  hat  Oehler,  Halle  1865 
begonnen.  —  Spezialausg.  des  Dialogs  ti^ql  ipvxrjg  xal  dyaardaeojg  von  Krabinger,  Lips. 
1835,  nsQL  ev/i]g  von  demselben,  Landshut  1840. 

611.    Gregorios  von  Nazianz,  6   Ihsolöyog  genannt,'-)    erhielt  seine 


^)  Ihre  Reden  wurden  durch  Tachy- 
graphen  in  den  Kirchen  nachgeschrieben, 
worüber   Gregor   Naz.    or.    42,  26  p.  767  C. 


'-)  Ullmann,   Gregorius   von  Nazianz.  2. 
Aufl.,  Gotha  1867. 


742  Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

Ausbildung  anfangs  in  Cäsarea,  später  in  Alexandria  und  Athen,  in  welch 
letzterer  Stadt  er  mit  Basileios  Freundschaft  für's  Leben  schloss.  Nach 
seiner  Heimat  zurückgekehrt,  schwankte  er  zwischen  der  Neigung  zur 
beschaulichen  Askese  und  der  Pflicht  praktischer  Thätigkeit.  Aus  der 
stillen  Zurückgezogenheit,  wohin  ihn  seine  Liebe  zum  religiösen  Still- 
leben und  sein  poetischer  Natursinn  zog,  durch  das  Drängen  der  Freunde 
herausgerissen,  verwaltete  er  seit  372  anfangs  als  Koadjutor  seines  greisen 
Vaters,  dann  in  selbständiger  Stellung  das  Bistum  Nazianz.  Unter  Theo- 
dosios  auf  den  Patriarchenstuhl  von  Konstantinopel  berufen  (380),  verliess 
er  bald  wieder,  des  kirchlichen  Haders  überdrüssig,  Konstantinopel,  um 
von  neuem  in  stiller  Einsamkeit  der  asketischen  Übung  und  der  litterari- 
schen Müsse  zu  leben,  bis  er  in  hohem  Alter  das  Zeitliche  segnete  (um 
390).  Mit  leichter  Feder  schrieb  er  in  Prosa  und  Vers.  Von  seinen  45 
Reden  erregen  ein  allgemeines  Interesse  seine  2  Reden  gegen  Julian,  in 
denen  er  das  Andenken  des  Kaisers,  welcher  den  Christen  den  Zutritt  zu 
den  Bildungsschulen  verwehrt  hatte,  mit  glühendem  Hasse  verunglimpfte. 
Auch  seine  242  Briefe  (besonders  der  30.)  sind  wichtig  für  die  Zeitgeschichte 
und  die  Stellung  der  Christen  zur  heidnischen  Litteratur.  Aus  seinen  Ge- 
dichten spricht  wahre  Naturempfindung  und  tiefe,  von  philosophischem 
Geiste  erleuchtete  Religiosität,  wodurch  er  sich  weit  über  die  leeren  Ti- 
raden  und  kalten  Tändeleien  seiner  Zeitgenossen  erhebt;  der  grösste  Teil 
von  ihnen  ist  nach  den  Gesetzen  der  alten  Prosodie,  in  Hexametern,  Di- 
stichen, lamben  und  Anakreonteen,  abgefasst;^)  zwei,  ein  Abendlied  (vfivog 
eansQivög)  und  eine  Mahnung  zur  Jungfräulichkeit  {nqog  naqO^tvov  nagai- 
vsTixög)  folgen  den  neuen  Gesetzen  der  rhythmischen  Poesie.  Eine  Aus- 
wahl von  Epigrammen  auf  seinen  Freund  Basileios,  seine  Mutter  Nonna, 
seinen  Bruder  Kaisarios  u.  a.  hat  Aufnahme  in  die  griechische  Anthologie 
(Buch  8)  gefunden.  Fälschlich  hat  man  ihm  auch  die  mittelalterliche  Tra- 
gödie XQKfTog  ndaxojv  beigelegt.  2) 

Gesamtausgabe  der  Werke  Gregors  von  Nazianz  durch  die  M  au  r  in  er  in  3  Bänden 
1778—1840;  bei  Migne  t.  35—38.  --  E.  Dronke,  Gregorii  Naz.  carm.  selecta,  Gott.  1840.  — 
Die  rhythmischen  Gedichte  am  besten  bei  W.  Meyer,  Anfang  und  Ursprung  der  ]at.  und 
griech.  rhythmischen  Poesie,  in  Abhdl.  d.  b.  Ak.  1885  S.  400  ff. 

P]in  Auszug,   den    er   von  den  logischen  Schriften    des  Aristoteles   machte,   ist   noch 
ungedruckt,  s.  Prantl,  Gesch.  d.  Log.  I,  657.  —  Über  die  Streitfrage,  ob  die  Schrift  IJQog^ 
EvdyQiop   fxovaxov   nsql    (heöri^Tog   unserem    Gregor  von  Nazianz    oder    dem  Gregorios  voi 
Neocäsarea  zuzuschreiben  sei,  s.  Jon.  Draeseke,  Patristische  Unters.  S.  103 — lö8. 

613.  Joannes  Chrysostomos^)  war  ein  Syrer  von  Geburt  (geb.  347] 

und  hörte  in  seiner  Vaterstadt  Antiochia  den  Rhetor  Libanios,   der   seinei 

rednerischen  Begabung  auch  noch  nachdem  derselbe  zum  Christentum  über- 

•  getreten    war,    das    glänzendste    Zeugnis    ausstellte.^)     Durch    den   Bischol 

Meletios  von  Antiochia  in  die  christliche  Lehre  eingeführt,  gab  er  die  Stel- 


^)  Stoppel,    Quaestiones    de    Gregorii 
Naz.  poetarum  scen.  imitatore  et  arte  vietr., 


entlehnte   und   anderseits   dem  Nonnos  Vor*] 
bild    war,    zeigt   Ludwich,    Nachahmer   unc 


Rostock  1881.  I    Vorbilder   des   Gregor   von  Nazianz,  Rh.  M 

2)  Siehe  darüber  Brambs  in  seiner  Aus-    |   42,  233  ff. 


gäbe  der  Tragödie,  Leipz,  1885,  und  Krum- 
bacher. Byz.  Litt.  Dass  Gregor  in  seinen 
echten  Gedichten  viele  Floskeln  den  frü- 
heren Dichtern,  wie  selbst  dem  Empedokles, 


^}  Neander,  Der  h.  Joh.  Chrysostomu 
3.  Aufl.,  Berl.  1848. 

4)  Siehe  oben  §  542. 


B.  Christliche  Schriftsteller.     3.  Christliche  Theosophen.  (§  612-613.)     743 

lung  eines  Sachwalters  auf  und  wandte  sich  anfangs  einem  beschaulichen 
Leben  zu.  Dann  zum  Priester  geweiht,  spielte  er  als  hinreissender  Kanzel- 
redner, namentlich  in  der  Zeit  des  Aufruhrs  und  der  Zerstörung  der  kaiser- 
lichen Bildsäulen  (387),  eine  grosse  Rolle  in  Antiochia.  Später  im  Jahre 
397  ward  er  zum  Patriarchen  von  Konstantinopel  erkoren,  musste  aber  404 
den  Anfeindungen  der  Gegenpartei  und  der  Missgunst  des  Kaisers  Arkadios 
weichen;  er  starb  in  der  Verbannung  407.  Seine  Reden  und  Briefe  haben 
wenig  Berührung  mit  der  griechischen  Litteratur;  für  die  Zeitgeschichte 
sind  von  Interesse  seine  Reden  über  den  Bildersturm  und  gegen  Eutropios; 
wegen  ihrer  rhetorischen  Vollendung  werden  die  6  Reden  über  die  Würde 
und  Bürde  des  Priesteramtes  (ttsqI  leQcoavvrjc)  gerühmt.^) 

Gesamtausgabe  von  Montfaucon,  13  Bde.,  Paris  1718,  ed.  nov.  1858;  neue  Ausgabe 
begonnen  von  Dübner,  Par.  1861.  --  Spezialausg.  71£qI  isQOiOvvijg  von  Seltmann,  Pader- 
born 1887. 

3.  Christliche  Theosophen. 

613.  Jede  Religion  hat  von  Natur  aus  Beziehungen  zur  Philosophie: 
das  Wesen  Gottes,  das  Verhältnis  Gottes  zur  Welt,  die  Gebote  der  Sitt- 
lichkeit sind  Objekte,  die  beide  gemeinsam  angehen;  verschieden  ist  nur 
die  Weise,  wie  sie  dieselben  erfassen  und  behandeln.  Aber  wenn  auch 
die  Religion,  gestützt  auf  die  Lehre  von  einer  göttlichen  Offenbarung,  sich 
unmittelbar  an  den  Glauben  ihrer  Anhänger  wendet,  so  führt  doch  bei  den 
Gebildeten  der  von  Natur  den  Menschen  eingepflanzte  Forschungsgeist  von 
selbst  dahin,  dass  sie  nachträglich  die  Sätze  des  Glaubens  zu  begreifen 
und  dialektisch  sich  zurecht  zu  legen  suchen.  Dieser  Fortgang  vom  Glauben 
{niaTig)  zur  Gnosis  oder  denkenden  Erfassung  der  religiösen  Wahrheiten 
trat  zuerst  und  in  besonders  lebhafter  Weise  bei  den  Gnostikern  auf. 

Ausgegangen  ist  die  Gnosis  von  Syrien,  wo  Simon  der  Magier  ihr 
ältester  Repräsentant  war  und  Markion  im  Anfang  des  2.  Jahrhunderts 
eine  einflussreiche  Sekte  gründete.  Neue  Nahrung  fand  dieselbe  in  Ägypten, 
wo  schon  Philon  platonische  Ideen  in  die  religiösen  Schriften  der  Juden 
hineinzutragen  begonnen  hatte  (s.  §  455)  und  im  2.  Jahrhundert  Basileides 
und  Karpokrates  mit  ihren  theosophischen  Spekulationen  die  schlichte 
Einfachheit  der  christlichen  Lehre  entstellten.^)  Schon  im  Briefe  des 
Barnabas  und  in  den  untergeschobenen  Briefen  des  Paulus  an  Timo- 
theos  (1,  1.  4)  und  Titus  (3,  9)  blicken  die  Störungen  durch,  welche  jene 
dunkeln,  vielspaltigen  Theosopheme  in  den  christlichen  Gemeinden  hervor- 
riefen. Heftig  entbrannten  dann  in  der  2.  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts 
die  Kämpfe  gegen  die  gnostischen  Lehren  der  Valentinianer,  Basilidianer, 
Noetianer.  Die  altchristliche  Lehre  ging  als  allgemeine  oder  katholische 
siegreich  aus  jenen  Kämpfen  hervor,  aber  die  Gnostiker  behaupteten 
sich  als  mächtige  Sekte  auch  noch  im  3.  und  4.  Jahrhundert,  und  ihre 
Richtung    blieb    nicht    ohne    Einfluss    auf    die    weiteren    Versuche    einer 


^)  Die  Zeit  der  einzelnen  Reden  hellt 
auf  UsENER,  Religionsgeschichtliche  Unter- 
suchungen I,  227  ff. 

1  2)  Amelineau,  Le  c/nosticisme,  ses  de- 
\weloppements  et  son  origine  egyptienne,  in 
^lAnnales    du   musee    Guismet   t.    XIV,   Par. 


1887.  Über  das  Hereinspielen  der  alexan- 
drinischen  Mysterien,  in  denen  die  Köre  als 
jungfräuliche  Mutter  des  Aion  verehrt  wurde, 
und  den  Kinfiuss  der  Gnosis  auf  die  kirch- 
liche Lehre  und  Überlieferung  s.  Usener, 
Rel.  Unt.  I,  27  f. 


744  Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

philosophischen  Ausgestaltung  des  christlichen  Glaubens.  In  ihren  Lehren 
gingen  dieselben  durchweg  von  einer  dualistischen,  weltfeindlichen  Auf- 
fassung aus  und  erhoben,  auch  darin  den  Einfluss  platonischer  Philo- 
sophie nicht  verleugnend,  die  einzelnen  Stadien  des  Denkens  {^oyog,  ipvx^j, 
(Tocpia)  zu  wirklichen  Wesen  {im oax aasig).  Dadurch  gelangten  sie  in  der 
Sittenlehre  zu  finsterem  Pessimismus  und  zu  rigoroser  Bekämpfung  der 
fleischlichen  Vereinigung,  i)  Grösser  und  phantastischer  waren  die  Abwege, 
auf  welche  sie  im  Gebiete  des  Überirdischen  gerieten,  indem  sie  eine  Un- 
zahl von  Engeln  und  Äonen  als  Stufen  des  Geistes  annahmen  und  auch 
die  Person  Christi  zu  einem  Wesen  mit  einem  blossen  Scheinkörper  ver- 
flüchtigten. 

Auch  unter  den  Lehrern  der  katholischen  Kirche  rührte  sich  mit  der 
Zeit  immer  mehr  das  Streben  nach  einer  philosophischen  Begründung  der 
kirchlichen  Lehre.  Da  dieselben  sich  ihr  geistiges  Rüstzeug  zum  grössten 
Teil  in  den  Schulen  der  Philosophen  und  Sophisten  geholt  hatten,  so  war 
es  natürlich,  dass  sie  in  diesen  Versuchen  einer  nachträglichen  Begründung 
der  Glaubenssätze  an  die  zu  ihrer  Zeit  herrschende  Richtung  der  Philo- 
sophie anknüpften.  Das  trat  hauptsächlich  nach  zwei  Seiten  hervor:  seit 
dem  3.  Jahrhundert  war  es  der  Neuplatonismus,  der  dem  Drange  der 
Menschen  nach  Erkenntnis  des  Göttlichen  am  meisten  entsprach  und  die 
älteren  Philosopheme  fast  ganz  in  den  Hintergrund  drängte;  an  seine  un- 
klaren Anschauungen  hielten  sich  um  so  eher  die  christlichen  Denker,  je 
leichter  sich  mit  ihnen  der  Monotheismus  und  die  Transcendenz  der  christ- 
lichen Lehre  vereinigen  Hessen.  Schlimmer  wirkte  der  Einfluss,  den  die 
etwas  weiter  zurückreichende  Scheidung  der  philosophischen  Lehren  nach 
Schulen  und  Sekten  geübt  hat.  Die  Divergenzen,  welche  auch  bei  den 
Versuchen  philosophischer  Feststellung  der  christlichen  Glaubenslehre  nicht 
ausbleiben  konnten,  spitzten  sich  gleichfalls  zu  schroffen  Gegensätzen  und 
Anfeindungen  zu;  es  wurden  sogar  die  abweichenden  Lehrmeinungen  unter 
den  Christen  mit  dem  gleichen  Namen,  algeasig^  wie  bei  den  heidnischen 
Dogmatikern  bezeichnet.  Bildete  aber  schon  das  heidnische  Sektierertum, 
wie  es  uns  Lukian  so  drastisch  geschildert  hat,  eine  der  unerquicklichsten 
Seiten  des  hellenistischen  Altertums,  so  wirkten  unter  den  Christen  diese 
dogmatischen  Spaltungen  noch  viel  verhängnisvoller,  da  die  sich  befehdenden 
Theologen  nun  auch  den  ganzen  Schwärm  der  gläubigen  Anhänger  mit  in 
den  Strudel  fanatischen  Streites  hineinzogen,  woraus  bei  der  Zähigkeit 
religiöser  Gegensätze  die  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  vererbenden^ 
selbst  in  unserer  Zeit  noch  nicht  ausgeglichenen  Spaltungen  der  Christen-! 
gemeinde  hervorgingen.  Insofern  hängt  auch  die  christliche  Lehre,  ins 
besondere  die  Zusammenfassung  derselben  in  feste  Glaubenssätze  {Söyiiara 
und  der  Häresienstreit  der  christlichen  Theologen  mit  der  Philosophie  de 
Griechen  zusammen.  Aber  ich  begnüge  mich,  diesen  Zusammenhang  blos 
anzudeuten,  da  die  dogmatischen  Zänkereien  der  Christen  im  einzelnen  nich 
bloss  des  Zusammenhangs  mit  dem  griechischen  Altertum,  sondern  auc 
jedes    allgemeineren  Interesses    entbehren.     Näher    werde   ich  nur   auf   die' 

^)  Gegen  ihre  Lehre,  dass  die  Welt  eine   I    sich  der  Neuplatoniker  Plotin;  s.  §  559. 
Schöpfung    des    bösen    Geistes    sei,    wandte   | 


B.  Christliche  Schriftsteller.     3.  Christliche  Theosophen.  (§614.)  745 


Schriften  der  wenigen  Männer  eingehen,  welche,  ohne  das  Ansehen  von 
Kirchenvätern  zu  haben  oder  zu  verdienen,  die  christliche  Lehre  mit  phi- 
losophischen Anschauungen  in  Verbindung  brachten. ')  Dabei  werde  ich  aber 
auch  zugleich  alle  anderen  Werke  der  betreffenden  Autoren  zur  Bespre- 
chung bringen. 

Über  die  patristische  Philosophie  s.  Ueberweg,  Grundriss  der  Geschichte  der  Philo- 
sophie IF,  3 — 127;  JoH.  Hüber,  Die  Philosophie  der  Kirchenväter,  München  1859.  —  Die 
Quellen  unserer  Kenntnis  der  Gnosis  sind  ausser  der  in  koptischer  Übersetzung  uns  erhal- 
tenen Pistis  Sophia  (ed.  Petermann,  Berl.  1851)  die  Schriften  ihrer  Bestreiter,  namentlich 
des  Eirenaios  und  Hippolytos,  von  denen  wir  bereits  oben  §  604  f.  gesprochen  haben,  und 
die  Abhandlung  des  Plotin  II,  9.  —  Ad.  Harnack,  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte,  Frei- 
burg 1886  ff. 

614.  Polemische  Schriften.  Wir  haben  oben  schon  gesehen,  dass 
die  Defensivstellung  der  Christen  des  2.  Jahrhunderts  sich  später,  als  die 
christliche  Kirche  zur  Macht  gelangt  war,  in  eine  offensive  Bekämpfung 
der  heidnischen  Lehre  und  der  Andersgläubigen  verwandelte.  Der  Kampf 
wurde,  wie  das  bei  Mächten,  die  um  die  Weltherrschaft  rangen,  natürlich 
war,  vornehmlich  mit  äusseren  Mitteln  zur  Entscheidung  gebracht.  Aber 
neben  den  grossen  politischen  Kämpfen  gingen  doch  auch  immer  noch 
litterarische  Streitschriften  einher.  Diese  trugen,  zum  Teil  wenigstens, 
einen  theosophischen  Charakter,  da  es  ihren  Verfassern  in  erster  Linie 
darauf  ankam,  die  Lehre  der  alten  Griechen  und  der  christlichen  Gegner 
als  vernunftwidrig  darzustellen.  Zur  Klasse  dieser  polemischen  Theosophen 
gehörte  Hermeias,  dessen  Lebensverhältnisse  uns  nicht  bekannt  sind,  der 
aber  schwerlich  vor  dem  5.  Jahrhundert  lebte.  Von  ihm  existiert  ein 
diaavi)ix6g  to)v  s'^m  (fJiXo(t6g)0)v  in  10  Kapiteln,  in  der  Absicht  geschrieben, 
die  Nichtigkeit  der  heidnischen  Philosophie  aus  dem  Widerstreit  der  Mei- 
nungen darzuthun.  Seine  eigene  Weisheit  schöpfte  der  Autor  nicht  aus 
einem  tieferen  Studium  der  Werke  der  alten  Autoren,  sondern  aus  den 
landläufigen  Kompendien  der  Lehrsätze  der  Philosophen  über  das,  was  Seele, 
was  Gott,  was  Welt  ist.  2)  —  Zu  den  Streitern  im  Herrn  zählen  ferner 
Athanasios,  Bischof  von  Alexandria  (gest.  373),  Hauptgegner  der  Arianer,'^) 
Apollinarios  von  Laodicea,  gelehrter  Theologe  und  gegnerischer  Zeit- 
genosse des  Athanasios, "^j  Epiphanios,  Bischof  von  Konstantia  in  Kypern 
(298—403),'')  Archelaos,  Bischof  von  Mesopotamien,^)  Kyrillos,  Patriarch 
von   Alexandria   (gest.   444),')    Johannes    Philoponos,   Lehrer    in    Kon- 


^)  Alle  Theologen  sind  mehr  oder  minder 
auch  Theosophen,  und  es  verdienten  daher 
in  unserem  Kapitel  auch  die  christlichen 
Apologeten  und  "iKirchenväter,  insbesondere 
Origenes  und  Dionysios,  einen  Platz. 
Da  diese  aber  bereits  oben  zur  Sprache 
kamen,  so  begnüge  ich  mich,  auf  die  frü- 
heren Paragraphen  zu  verweisen. 

2)  DiELS,    BoxofjTcq^lhi  graeci  p,  259  ff. 

^)  Die  Gesamtwerke  des  Athanasius  bei 
Migne  t.  25-28. 

4)  Migne  t.  33  p.  1310-1538.  Dass 
die  zwei  gegen  Apollinarios  gerichteten 
Schriften  ne^l  jrjq  ii^av&QMmöoewg  loyog  xcnd 
'JnoXhfccQLov  und  <f€VT€Qog  loyog  y.caa.  'JnoX- 
UvciQLov  nicht  wirklich  von  Athanasios  her- 
I  rühren,  sucht  Jon.  Dräseke,  Patrist.  Unters. 


169 — 207  zu  erweisen. 

^)  Über  das  Leben  dieses  bedeutenden, 
aus  Eleutheropolis  in  Palästina  stammenden 
Mönches  und  Bischofs  belehrt  uns  ein  aus- 
führlicher Bioq  'EnigiayLov,  abgedruckt  im 
1.  Bande  der  Dindorf 'sehen  Ausgabe. 

^)  Die  im  Originaltext  nur  fragmen- 
tarisch ,  vollständig  in  lateinischer  Über- 
setzung überlieferten  Acta  disputationis 
Arclielai  ejnscojn  Mesopotamiae  et  Manetis 
haeresiarchae,  gehören  der  ersten  Hälfte 
des  4.  Jahrhunderts  an. 

')  Die  "Werke  dieses  Kyrillos  bei  Migne 
t.  68—77.  Verschieden  davon  ist  der  h. 
KyrillusHierosolymitanus,  dessen  Katechesen 
und  Briefe  bei  Migne  t.  33. 


746  Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

stantinopel  (um  500),  und  der  Gegner  des  letzteren  Leontios,  Mönch 
von  Byzanz.i)  Von  diesen  bekämpfte  der  Bischof  Kyrillos  in  einem  um- 
fangreichen, zum  Teil  noch  ej-haltenen  Werk  die  Anklageschrift  des  Kaisers 
Julian  (s.  §  547),  und  wandten  sich  der  Theologe  Apollinarios  2)  und  der 
philosophisch  gebildete  Grammatiker  Philoponos  gegen  die  Angrifie  des  neu- 
platonischen Philosophen  Porphyrios  (s.  §  560).  Am  inhaltreichsten  ist 
das  umfangreiche,  aus  3  Büchern  und  7  Abschnitten  {rofioi)  bestehende 
Werk  des  Epiphanios  HarccQior  xard  naaMv  tcov  aiQ6(r80)i',  das  die  Wider- 
legung von  80  Irrlehren  enthält,  unter  denen  die  christlichen  und  gnosti- 
schen  Sekten  die  Mehrzahl  bilden,  zu  denen  aber  auch  die  verschiedenen 
Systeme  der  Griechen  und  Juden  zählen.  Das  Werk,  von  dem  der  Ver- 
fasser selbst  einen  Auszug  {ciraxetfaXaiwaio)  machte,  ist  für  uns  die  Haupt- 
quelle der  Kenntnis  von  den  dogmatischen  Streitigkeiten,  gibt  aber  im 
wesentlichen  nur  die  Angaben  seiner  Hauptvorlage,  des  Hippolytos,  wieder. 

Dem  Epiphanios  wird  in  den  besten  Handschriften  auch  die  Über- 
arbeitung des  sogenannten  Physiologus  zugeschrieben  (Emcfcaiov  ix  twv 
'AoiaroTblovc  (fvaio/.öyov  Tragi  fw/;c).3)  Das  Buch  enthält  in  49  Kapiteln 
wunderbare  Erzählungen  aus  dem  Naturreich,  vom  Löwen,  Pelikan,  Phönix, 
Einhorn  u.  a.,  so  angelegt,  dass  die  wunderbaren  Eigenschaften  der  Tiere 
auf  die  christliche  Lehre  gedeutet  werden.  In  seinem  Kern  gehört  das 
Buch  zur  Wunderlitteratur  (Tieoi  ^avf^iaafa)})  und  hat  mit  dem  Tierbuch 
des  Sophisten  Aelian  manche  Berührungspunkte.  Epiphanios  ist,  wenn  ihm 
überhaupt  mit  Recht  das  Buch  beigelegt  wird,  nicht  Urheber,  sondern  nur 
Überarbeiter  des  Buches.  Das  Original  stammte  aus  früherer  Zeit,  da  es 
bereits  von  Origenes,  homil.  117,  5  citiert  wird,  und  scheint  in  Alexandria 
im  Kreis  der  hellenistischen  Juden  entstanden  zu  sein;  nach  Ägypten  führen 
insbesondere  auch  die  ägyptischen  Monatsnamen.  Von  Epiphanios  oder 
wer  immer  dessen  Namen  erlogen  hat,  rührt  die  Umdeutung  der  W^under- 
erzählungen  auf  die  christliche  Lehre  her.  Mit  Aristoteles  hat  das  Buch 
nichts  zu  thun ;  der  Name  des  berühmten  Philosophen  wurde  demselben 
nur  vorgesetzt,  weil  derselbe  als  der  erste  Naturkenner  und  Zoologe  galt. 
Im  Mittelalter,  das  an  solchen  wunderbaren  Dingen  und  Allegorien  ein 
besonderes  Gefallen  hatte,  gehörte  der  Physiologus  zu  den  gelesensten 
Büchern ;  wir  haben  von  demselben  lateinische,  äthiopische,  syrische,  deutsche 
Übersetzungen. 

Epiplianii  opera  ed.  C4.  Dindorf,  Lips.  1859;  bei  Migne  t.  41—43.  —  Aus  dem 
Panarion  gibt  Diels,  Doxogr.  gr.  585  -  93  den  die  alte  Philosophie  betreffenden  Abschnitt.  — 
R.  A.  Lipsius,  Zur  Quellenkunde  des  Epiphanios.  Wien  1865.  wo  nachgewiesen  ist.  dass  die 
Übereinstimmungen  unseres  Epiphanios.  der  um  377  sein  Panarion  schrieb,  mit  den  latei- 
nischen Autoren  Philastrius  (f  387)  und  Ps.  Tertullian,  Libellus  adv.  omnes  haereses, 


^)  Das     Leben      dieses     einflussreichen       findet   sich    das  Buch   nicht,   in  den  älteren 


Theologen ,  der  zuerst  skythischer  Mönch 
war,  hellt  auf  Fe.  Loofs,  Leontios  von  By- 
zanz,  in  Gebhardt-Harnack,  Texte  u.  UnL, 
Bd.    III,   H.    1    u.    2.    besonders   S.    297  ff. 


so  wenig  wie  in  der  neuesten  von  Dindorf; 
wohl  aber  steht  in  denselben  eine  Schrift 
über  die  12  Edelsteine  in  dem  Gewände  des 
hohen    Priesters    (ttsqI    tiüv  tß'    Ud^ayv    riov 


Seine  Schriften  bei  Migne  t.  86.  oj'tioi'    iv    tok    arohoixolg    rov  \4aQa}v),  das 

2)  Suidas:    'J-nohväQiog     tyqaxbe    y.aju-  durch  die  Schilderung  von  der  Wunderkraft 

'Aoy(idr,v  xard  nogcfvQiov   rov  dvaasßot^g  rö-  '   jener  Steine  einige  Verwandtschaft   mit  un- 

fuovg  V .  I    serem  Physiologus  zeigt. 

^)  In    den    Ausgaben     des    Epiphanios  i 


B.  Christliche  Schriftsteller.     3.  Christliche  Theosophen.  (§615.)  747 

aus  der  Benützung  der  gleichen  Vorlage  zu  erklären  ist  und  dass  die  Ketzergeschichte 
zunächst  auf  Hippolytos,  und  dann  Aveiter  auf  Irenäus  und  Justinus  zurückgeht. 

Kxccrpta  ex  Epiphanii  Jihro  de  mensuris  et  ponderihus.  in  Hultsch's  Metrologi- 
corum  scrqjtorum  reliqniae  t.  I  p.  259--276;  vollständiger  mit  einer  für  die  alten  Bibel- 
übersetzungen wichtigen  Einleitung  nach  dem  Syrischen  von  Paul  de  Lagakde,  Symmicta 
II  (1880)  p.  149  —  216;  das  Buch  sollte  zur  Erklärung  der  Masse  in  der  Bibel  dienen. 

Lauchert.  Geschichte  des  Physiologus,  mit  kritischer  Ausgabe  des  griechischen 
Textes,  Strassburg  1889. 

615.  Synesios,^)  geboren  um  370,  stammte  aus  einer  vornehmen 
heidnischen  Familie  der  kyrenäischen  Pentapolis.  In  Alexandria  wurde  er 
durch  Hypatia,  die  berühmte  Tochter  des  Mathematikers  Theon,  in  die 
geheimnisvolle  Welt  der  neuplatonischen  Philosophie  eingeführt.  Xoch  als 
junger  Mann  erhielt  er  im  Jahre  897  von  seiner  Vaterstadt  den  Auftrag 
einer  Gesandtschaft  an  den  kaiserlichen  Hof  von  Konstantinopel.  Später 
lernte  er  auch,  nicht  ohne  starke  Enttäuschung,  Athen,  die  Lehrstätte 
seines  Piaton  und  Zenon,  kennen. 2)  Aber  der  mystische  Zug  seiner  Natur 
und  der  Einfluss  seiner  Frau  machten  ihn  immer  mehr  der  Lehre  des 
Üeischgewordenen  Logos  zugänglich,  bis  er  schliesslich  im  Jahre  410  sich 
von  dem  alexandrinischen  Bischof  Theophilos  taufen  und  zum  Priester 
ordinieren  Hess,  um  die  auf  ihn  gefallene  Wahl  zum  Metropoliten  der 
Pentapolis  annehmen  zu  können. 3)  Er  starb  jung,  nicht  viele  Jahre  nach- 
dem er  die  schwere  Last  eines  Bischofs  übernommen  hatte;  keine  Spur  in 
seinen  Briefen  führt  über  das  Jahr  413  hinaus.  —  Die  Schriften  unseres  Sy- 
nesios  stammen  zum  grössten  Teil  noch  aus  der  Zeit  vor  seinem  Übertritt 
zum  Christentum  und  atmen  sogar  zum  Teil  einen  feindseligen  Geist  gegen 
das  Mönchtum  und  den  Bildungsmangel  christlicher  Priester;  aber  sie 
gehören  zu  dem  Besten,  was  die  Vereinigung  philosophischer  und  sophi- 
stischer Bildung  in  jener  Zeit  hervorgebracht  hat.  Voran  stehen  an  Be- 
deutung die  155  an  verschiedene  Freunde,  darunter  auch  an  Hypatia  ge- 
richteten Briefe,  die  uns  einen  anziehenden  Einblick  in  die  Zeitverhältnisse 
und  das  leicht  erregbare  Gemütsleben  des  schwärmerischen  Mannes  ge- 
statten. Von  Adel  der  Gesinnung  und  männlichem  Freimut  zeugt  die 
schöne  Rede  über  das  Königtum  {TieQi  ßaaihiag),  die  er  im  Jahre  378  bei 
einer  Gesandtschaft  vor  dem  Kaiser  Arkadios  hielt. ^)  Von  den  Verhält- 
nissen des  Ostreiches  in  jener  Zeit  handeln  die  noch  in  Konstantinopel 
entworfenen  Aiyvirzioi  loyoi  1]  tisqI  TTooroi'ag,  worin  sich  unter  der  Hülle 
der  mythischen  Kämpfe  des  Osiris  und  Typhos  allegorische  Anspielungen 
auf  die  Zeitgeschichte,  insbesondere  auf  die  Geschicke  des  Präfekten  Au- 
relius  und  dessen  Bruders  bergen.^)  Ein  interessantes  Zeugnis  von  seiner 
eigenen   Stellung   zur   Sophistik   und    dem   Mönchtum   enthält   die   um  405 


^)  VoLKMAKN,     Synesius     von     Cyrene,  an  seinen  Bruder  Euoptios  (ep.  105). 

Berl.  1869.  |            *)  Vgl.  G.  Barneb,    Comparantur  intcr 

2)  Synes.  ep.  54  u.  136.  j   se  Graeci  de  regentium  hominum  virtutibus 

'^)  Seine  Zweifel,    ob  er,    der  mit  seiner  '   auctores,  Marb,   1889  p.  47  ff. 

«Tattin  in  glücklicher,  kindergesegneten  Ehe  '^)  Darüber    unterrichtet    die    der    Kcde 

zusammenlebte  und  nicht  in  allem  die  Dogmen  vorausgeschickte    TiQofhioQuc    (vgl.  Himerios 

der  Kirche  mit  seiner  philosopbischen  Über  j    S.  673  An.  4).  Dem  entgegen  will  mein  junger 

L    Zeugung    in    p]inklang    bringen    konnte,    die  Freund    (taiser.    Des    Synesius    ägyptisclie 

I    Wahl  annehmen  solle,  entwickelt  er  in  dem  Erzählungen    (1886),    in     dem    lyphos    den 

schönen,    offenbar    zur  Veröffentlichung    und  1    Gotenführer  Gainas  erkennen, 

persönlichen  Rechtfertigung  bestimmten  Brief  ! 


L 


748 


Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 


abgefasste  litterarhistorische  Schrift  Dion,  in  der  er  die  in  jenem  Manne 
so  glänzend  hervorgetretene  Verbindung  von  Philosophie  und  Redegewandt- 
heit seinem  noch  nicht  geborenen,  aber  nach  einem  Traumgesicht  erwar- 
teten Sohn  als  Muster  vorhält.  Eine  Ausgeburt  einerseits  der  spielenden 
Sophistik,  anderseits  des  träumerischen  Mysticismus  sind  seine  frostige 
Lobrede  auf  die  Kahlköpfigkeit  [(faXaxQiag  iy^o^iiov)  und  seine  unklare 
Abhandlung  über  die  Träume  {tisqI  ivvrtviwv).  Christliche  Ideen  sind  mit 
den  Anschauungen  des  Neuplatonismus  verquickt  in  den  10  zu  verschie- 
denen Zeiten  entstandenen  Hymnen J)  Dieselben  sind  noch  nach  den  Ge- 
setzen der  alten  Prosodie  gedichtet;  aber  von  einer  Zusammenfassung  der 
kleinen  Kola  zu  Perioden  oder  Strophen  ist  ebensowenig  mehr  die  Rede 
wie  von  einem  Wechsel  in  den  Versformen  und  dem  Rhythmus:  in  dem 
ermüdenden  Einerlei  des  anapästischen  oder  ionischen  Leierkastens  geht  es 
vom  Anfang  bis  zum  Schluss  fort.  Der  Dialekt  ist  der  dorische,  derselbe 
also,  der  in  der  Pentapolis  seit  alters  gesprochen  wurde;  aber  Synesios 
wird  denselben  nicht  dem  Volksmund  abgelauscht,  sondern  der  alten  Lyrik 
Pindars  nachgebildet  haben. 

Gesamtausg.  von  Petavius  (1633)  und  danach  von  Migne  t.  LXVI.  ~  Synesii  Cyre- 
naei  orationes  et  homiliarum  fragm.  ed.  Krabinger,  Landshut  1850.  —  Synesii  hymni  ed. 
Flach  1875,  wozu  Rh.  M.  32,  538  fF,  Dieselben  stehen  auch  in  Christ- Paranikas'  Anthol. 
carm.  christ.  p.  3 — 23.  —  Briefe  bei  Hercher,  Epistologr.  p.  638—739. 

616.  Methodios,  Bischof  von  Tyrus,  der  um  312  als  Märtyrer  starb, 
erhielt  von  seiner  Nachahmung  des  Piaton  den  Ehrennamen  platonizans.^) 
In  zwei  verloren  gegangenen  Dialogen  tisqI  ysvrjzMv  und  ttsqI  avaaxäasMg 
bekämpfte  er  die  Lehre  des  Origenes  von  der  Ewigkeit  der  Welt  und  der 
Auferstehung  der  Seele.  In  dem  uns  noch  erhaltenen  Gastmahl  [aviinoaiov 
rcov  Stxa  TiaQ^avwv  7T€qI  Trjg  ayYeXoixifxrjTov  rraQ^eviag  xal  ayvsiag)  behandelt 
er  die  Liebe  vom  christlichen  Standpunkte,  indem  er  die  beim  Mahle  ver- 
sammelten Jungfrauen  in  Prosa  und  Vers  die  Keuschheit  und  Jungfräulich- 
keit verherrlichen  lässt.     Ausgabe  des  Methodius  von  Alb.  Jahn,  Halis  1865. 

617.  Nemesios,  Bischof  von  Emesa  (um  400),  ist  Verfasser  einer  theo- 
sophischen  Schrift  über  die  Natur  des  Menschen  {7T€qI  (pmswg  dv^Qamov), 
welche  die  christliche  Lehre  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele,  der  Freiheit 
des  menschlichen  Willens,  dem  Walten  der  göttlichen  Vorsehung  und  ähn- 
lichen Dingen  mit  der  neuplatonischen  Philosophie  verquickt.^)  Das  im 
Mittelalter  vielgelesene  Buch  wurde  frühzeitig  auch  ins  Lateinische  über- 
tragen. 

Von  Aineias,  einem  feingebildeten  Sophisten  aus  Gaza,  der  den  heid- 
nischen Philosophen  Hierokles^)  gehört  hatte,  aber  zum  Christentum  über- 
getreten war,  haben  wir   einen  in  eleganter  Sprache   geschriebenen  Dialog 


^)  Den  3.  Hymnus  dichtete  er  noch  in 
Konstantinopel,  den  8.  um  405,  den  letzten 
wahrscheinlich  als  Bischof. 

^)  Alb.  Jahn,  Methodius  platonizans, 
1865. 

^)  Benützt  sind  besonders  im  2.  und 
3.  Kapitel  die  Z»yT»;^a«r«  avjufxixTcc  des  Por- 
phyrios;  s.  Arnim,  Rh.  M.  42,  278  ff.;  über 
die  Benützung  des  Aetios  s.  Diels,  Doxogr. 


p.  49,  Über  die  Benützung  des  Stoikers  Phi- 
lopator, der  in  dem  Buche  tisqI  slfxaQfxevr}? 
die  Lehre  des  Chrysipp  verarbeitete,  s.  Gercke, 
Chrysippea  in  Jhrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIV,  689  ff. 
'^)  Über  diesen  Hierokles  s.  §  563.  — 
Über  das  Leben  und  die  Schriften  des 
Aineias  selbst  handelt  Wernsdorf,  pispu- 
tatio  de  Aenea,  wiederabgedruckt  bei  Bois- 
sonade  p.  IX — XXV. 


B.  Christliche  Schriftsteller.     3.  Christliche  Theosophen.  (§  GIG— G18.)     749 

&s6(fQa(7Toq  über  die  christliche  Lehre  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele. 
Die  Hauptträger  des  Dialogs  sind  Theophrastos,  der  die  Lehren  der  alten 
Philosophen,  des  Heraklit,  Empedokles,  Piaton,  Aristoteles,  von  der  Seele, 
insbesondere  von  der  Präexistenz  der  Seele  und  von  der  Seelenwanderung 
vertritt,  und  Euxitheos,  der  die  Widersprüche  und  Ungereimtheiten  jener 
Lehren  nachweist  und  ihnen  die  christliche  Lehre  von  der  Fortdauer  der 
Seele  und  ihrer  Wiedervereinigung  mit  dem  verklärten  Leibe  entgegen- 
stellt, i)  Das  mit  Scharfsinn  und  ohne  allen  Fanatismus  geführte  Gespräche 
endigt  damit,  dass  sich  Theophrastos  von  der  Wahrheit  der  neuen  Lehre 
überzeugen  lässt  und  ihr  mit  den  Worten  beitritt:  neidonai  •  tjSi]  yaQ  zr^g 
svii8veiccg  ala^ävoixai  lov  ^eov  '  aXkd  y^aiQtroi  iihv  axaSrjfxia,  JiQog  sxehov 
oh  i'wjiisv  '  avTog  yocQ  o  JlXccTcoi'  fXi^XQ^  xovzov  xsXsvsi  nai^eöi^ai  TJ?.ccto)vi, 
£Mg  av  aviov  aoifcörsQog  dvacfarij.  Geschrieben  ist  der  Dialog,  den  ich 
nicht  anstehe,  das  beste  philosophische  Werk  des  untergehenden  Altertums 
zu  nennen,  bald  nach  d.  J.  484,  auf  dessen  Ereignisse  p.  75  ed.  Boiss.  an- 
gespielt ist. 

Eine  plumpe  Nachahmung  ist  der  Dialog  Ammonios  des  Scholastikos 
Zacharias,  der  später,  in  der  Mitte  des  6.  Jahrhunderts,  Bischof  von 
Mytilene  wurde.  Der  Dialog  hat  den  Namen  davon,  dass  der  Neuplatoniker 
Ammonios  ^)  die  Hauptrolle  in  demselben  spielt.  Derselbe  vertritt  die 
heidnische  Anschauung  von  der  Ewigkeit  der  Welt  und  bekämpft  die 
christliche  Lehre  von  der  Erschaffung  der  Welt  durch  Gott  und  von  ihrem 
dereinstigen  Vergehen;  ihm  gegenüber  verteidigt  mit  siegenden,  aber  stum- 
pfen Waffen  der  christliche  Sprecher  die  biblische  Erzählung  von  der  Er- 
schaffung der  Welt,  indem  er  die  Sterblichkeit  des  Menschen  und  die  dazu 
stimmende  Vergänglichkeit  der  Welt  aus  dem  Sündenfall  des  ersten  Men- 
schen erklärt.  —  Das  gleiche  Thema  hatte  schon  vordem  der  philosophisch 
gebildete  Grammatiker  und  schreibselige  Kommentator  des  Aristoteles, 
Joannes  Philoponos,  gegenüber  dem  Neuplatoniker  Proklos  behandelt, 
aber  nicht  in  der  gefälligen  Form  eines  Gesprächs,  sondern  mit  der  Spitz- 
findigkeit dialektischer  Polemik,  indem  er  die  18  Sätze,  mit  denen  Proklos 
die  Ewigkeit  der  Welt  als  platonische  Lehre  zu  erweisen  suchte,  einer 
scharfsinnigen  Kritik  unterzieht. 

Ausgabe  des  Nemesios  von  Matthäi,  Halle  1802;  eine  neue  in  der  Bibl.  Teubn.  an- 
gekündigt von  Burkhard,  der  in  Wien.  Stud.  X,  93  ff.  u.  XI,  143  ff.  vorläufige  Mitteilung 
von  seinen  Hilfsmitteln  gibt.  Die  eine  der  lateinischen  Übersetzungen  wurde  im  12.  Jahr- 
hundert von  dem  Pisaner  Burgundio  gemacht;  eine  andere  Verbalübersetzung  wurde  aus 
einer  Bamberger  Handschrift  neuerdings  herausgegeben  von  Holzinger,  Wien  1887;  über 
deren  Verhältnis  s.  Dittmeyer,    Blätter  f.  bay.  Gynin.  1888  S.  368  ff. 

Aeneas  Gazaeus  et  Zacharius  Mytilenaeus  de  immortalitate  animae  et  coiisum- 
viatione  mundi  ed.  Boissonade,  Par.  1836.  —  Joannes  Vhiloponus  contra  Vroclum  de 
vnmdi   aeternitate   ed.   Trincavellus,   Venet.  1535,   am  Anfang   und  Schluss  verstümmelt. 

618.   Dionysios  Areopagites    ist  der   apokryphe   Verfasser   der 

4  zusammenhängenden  Bücher  ttsqI  ovqaviag  le^aQxiccg,  tc^qI  ^xxXi\aiccaiix\]g 

hQagxiccg,  ttsqI  ^eiMV  orof^idiMr,  neQi  ^ivanxt]g    ^eoXoytag,    und    von    lÜ    in 


^)  Die  Namen  sind  gut  gewählt;  Thco- 
phrast  war  die  Hauptquelle  für  die  Geschichte 
von  den  Lehrsätzen  der  Philosophen;  Euxi- 
theos bedeutete  den  zu  Gott  betenden  christ-   '    nennt 
liehen  Philosophen. 


2)  Gemeint  ist  offenbar  der  jüngere 
Ammonios,  mit  dem  Beinamen  o  'KQf^tei^og, 
den   loannes  Philoponos   als    seinen    Lehrer 


75Ö 


Griechische  Litteraturgeschichte.    IIl.  Anhang. 


der  gleichen  Geistesrichtung  sich  bewegenden  Briefen.  Die  4  Bücher, 
welche  an  den  Presbyter  Timotheos  gerichtet  sind,  geben  unter  Anlehnung 
an  die  neuplatonische  Lehre  von  dem  Eins  und  Guten  und  der  von  jenem 
Eins  ausströmenden  Vielheit  der  Dämonen  eine  Darlegung  und  mystische 
Begründung  des  Gottesstaates,  des  himmlischen  und  irdischen.  Die  von 
Gott,  dem  Inbegriff  des  Eins  und  Guten,  ausstrahlenden  Kräfte  sind  im 
Himmel  die  Engel,  auf  Erden  die  Priester,  beide  in  streng  gegliederter 
Ordnung.  Der  Name  des  Autors,  Dionysios  Areopagites,  beruht  ebenso 
wie  der  seines  Freundes  (avi^iTiQeaßvrsQog)  Timotheos  auf  plumper  Fälschung,^) 
gemacht,  um  der  in  diesen  Schriften  begründeten  Hierarchie  das  Ansehen 
einer  altehrwürdigen,  in  die  Zeit  des  Apostels  Paulus  hinaufreichenden 
Institution  zu  geben.  Entstanden  sind  die  Schriften  erst  nach  Verbreitung 
des  Neuplatonismus  im  4.  Jahrhundert,  wahrscheinlich  erst  nach  dem 
Neuplatoniker  Proklos,  auf  dessen  Lehre  sich  der  Fälscher  hauptsächlich 
zu  stützen  scheint.  2)  Den  wirklichen  Verfasser  der  Schriften  zu  ermitteln 
ist  bis  jetzt  nicht  gelungen ;  ^)  erwähnt  werden  sie  zuerst  in  dem  Religions- 
gespräch von  Konstantinopel  aus  dem  Jahre  533;  nach  diesen  soll  bereits 
der  Bischof  Kyrillos  derselben  gedacht  haben.  In  dem  Mittelalter  spielten 
sie  in  der  griechischen  Kirche  und  noch  mehr  in  der  lateinischen  des  Abend- 
landes eine  sehr  grosse  Rolle. 

Gesamtausgabe  von  Morel,  Par.  1562;  von  Balth.  Corderius,  2  Bde.,  Ant.  1G34, 
wiederholt  Ven.  1756.  —  Dionys.  de  imjstica  tlieol.  et  de  dir.  nominihus,  mit  ]at.  Übers. 
u.  Erklär,  von  Ficinus,  Ven.  1538.  —  Engelhardt,  Die  angeblichen  Schriften  des  Areo- 
pagiten  Dionysius,  Sulzbach  1823.  —  Ein  lateinischer  Brief  des  Dionysius  an  Timotheus 
über  den  Tod  der  Apostel  Petrus  und  Paulus,  gedruckt  in  Mombritius,  Sanctuarium  II, 
194 — 6,  ist  im  9.  Jahrhundert  in  St.  Denis  bei  Paris  erdichtet  worden,  wo  834  der  Abt 
Hilduin  durch  gefälschte  Märtyrerakte  die  Identität  des  h.  Dionysius  von  Paris  mit  dem 
Dionysius  Areopagita  zu  erweisen  suchte. 

619.  Wie  der  neuplatonische  Philosoph  Porphyrios  ein  Buch  über  die 
aus  den  Orakeln  zu  schöpfende  Philosophie  geschrieben  hatte,  so  haben  um- 
gekehrt nun  auch  christliche  Theosophen  die  heidnischen  Orakel  benützt, 
um  nachzuweisen,  dass  in  ihnen  bereits  durch  göttliche  Eingebung  christ- 


')  Auch  aus  dem  Namen  des  Lehrers 
unseres  Autors,  Hierotheos,  schaut  die  Fiktion 
heraus.  Über  den  ähnlichen  Zweck  des 
Fälschers  der  Briefe  des  Ignatius,  welcher 
die  Begründung  des  monarchischen  Episko- 
pats auf  eine  hohe  Autorität  zurückführen 
wollte,  siehe  Pfleiderer,  Urchristentum 
S.  828. 

^)  Eine  philologische  Untersuchung  der 
Quellen  des  Dionysios  wäre  sehr  erwünscht. 
Die  sprachlichen  Nachahmungen  bespricht, 
ohne  das  Verhältnis  zu  Proklos  ins  Klare 
zu  bringen,  Alb.  Jahn,  Dionysiaca,  Alt.  1889. 

•^)  Der  Verfasser  erwähnt  auch  noch 
7  andere  Schriften  von  sich,  tisqI  \pv/i]g, 
^eoloyixcd  vnorvTTioGeig  etc. ,  aber  ob  er 
solche  wirklich  geschrieben  hat,  ist  sehr 
zweifelhaft;  vielleicht  wollte  er  damit  nur 
den  Verdacht  einer  Fälschung  verwischen. 
Hipler,  Dionysius  der  Areopagite,  Regens- 
burg 1881,  lehnt  den  Gedanken  einer  My- 
stifikation ab  und  vermeint  dem  Autor  näher 
auf  die  Spur  kommen  zu  können,    indem  er 


in  Timotheos  und  Hierotheos  historische  Per- 
sönlichkeiten des  schliessenden  4.  Jahrhun- 
derts sucht.  Jos.  Dräseke  in  der  Rezension 
des  theologischen  Abschnittes  meiner  Lit- 
teraturgesch.,  in  Zeitschr.  f.  wiss.  Theol. 
XXXIII  (1890)  S.  203  schilt  mich  wegen 
meiner  ablehnenden,  indes  auf  keinen  Ge- 
ringeren als  DöLLiNGER  sich  stützenden  Hai-  f 
tung  zu  Hipler's  Hypothese  herzhaft  aus,  1 
indem  er  hervorhebt,  dass  der  bescheidene  ■ 
katholische  Gelehrte  von  Seiten  protestan- 
tischer Forscher  unumwundene  Anerkennung 
gefunden  habe.  Derselbe  Gelehrte  hat  in 
seinen  gesammelten  patristischen  Abhand- 
lungen, Altona  1889,  zweite  Abhandlung, 
Dionysios  von  Rhinokolura,  S.  25—77,  die 
hier  behandelten  Schriften  und  das  fälsch- 
lich dem  Hippolytos  beigelegte  Bruchstück 
IJeqI  S^soloyiag  xcd  üciQy.oJGSwg  dem  Mönche 
Dionysios  von  Rhinokolura,  angeblichem 
Freunde  des  Theologen  Apollinarios,  zu- 
gewiesen. 


B.  Christliche  Öchriftsteller.     4.  Kirchenhistoriker.  (§619-621.)  751 


liehe  Gedanken  den  Menschen  offenbart  worden  seien.  Eine  solche  An- 
schauung, welche  auf  den  jüdischen  Peripatetiker  Aristobulos  zurückgeht,^) 
lag  der  Q£oao(fia  eines  anonymen  christlichen  Schriftstellers  aus  der  Zeit 
des  Kaisers  Zenon  (474 — 491)  zu  grund,  von  der  uns  ein  Auszug  unter 
dem  Titel  XQTjcrfioi  twv  sXXrjvixwv  O^emv  erhalten  ist.  Die  vollständige 
Theosophie  umfasste  4  B.,  denen  selbst  wieder  7  Bücher  neQi  rr^g  og&rjg 
niaxeMc,  vorausgeschickt  waren.  Der  Verfasser  benützte  aber  für  seine 
These  nicht  bloss  Orakel,  die  er  zumeist  dem  obengenannten  Werke  des 
Porphyrios  entnahm,  sondern  auch  orphische  und  sibyllinische  Verse  und 
schöne  Aussprüche  der  alten  Dichter  und  Philosophen,  namentlich  des  Me- 
nander,  Piaton  und  Heraklit.  Kritische  Prüfung  sucht  man  vergeblich  bei 
ihm;  umgekehrt  hat  er  offenbarste  Fälschungen,  wie  ganz  junge  Verse  der 
Orphika  für  alt  und  echt  ausgegeben. 

Die  Exzerpte  waren  vollständig  nur  durch  eine  jetzt  verloren  gegangene  Strass- 
hurger  Handschrift  auf  unsere  Zeit  gekommen;  von  dieser  machte  im  Jahre  1580  Beruh. 
Hausius  eine  Abschrift  für  Professor  Crusius  in  Tübingen,  Diese  Abschrift  entdeckte  un- 
längst Prof.  Neumann;  eine  Ausgabe  danach  veranstaltete  Buresch,  Klares,  Leipz.  1889, 
im  Anhang  S.  89— 126. 

4.  Kirchenhistoriker. 

620.  Die  Anfänge  der  christlichen  Historie  sind  in  den  bereits  oben 
§  COO  erwähnten  Erzählungen  von  den  Thaten  der  Apostel  {nga^sig  tmv 
anodxoXwv)  zu  erblicken.  Nachrichten  über  die  christliche  Kirche  und 
ihre  Vorstände  {iniaxoTioi),  die  christlichen  und  jüdischen  Sekten  und  die 
Verfolgungen  der  Christen  stellte  zuerst  Hegesippos  zusammen.  Derselbe 
war  Zeitgenosse  des  Justinus  Martyr  und  schrieb  unter  Hadrian  einige  Zeit 
nach  dem  Tode  des  Lieblings  des  Kaisers  Antinoos,  über  dessen  Vergöt- 
terung er  sich  skandalisierte.^)  Seine  Beziehungen  zu  Ägypten  und  seine 
guten  Kenntnisse  der  jüdischen  Schriften  lassen  vermuten,  dass  er  zur 
Klasse  der  alexandrinischen  Juden  in  Beziehungen  stund;  aber  von  Ale- 
xandria aus  hatte  er  viele  und  grosse  Reisen  unternommen;  speziell  er- 
wähnte er  seinen  Besuch  bei  der  Christengemeinde  in  Korinth  und  seinen 
längeren  Aufenthalt  in  Rom.^)  Seine  historischen  Aufzeichnungen  (vTrofni^- 
l^iava)  in  5  B.  benützte  Eusebios  als  Hauptquelle  für  die  ältere  Zeit;  die- 
selben lagen  noch  dem  Patriarchen  Photios  p.  288  b,  10  vor. 4) 

621.  Geschichtsbücher  (Xqovixo)  allgemeiner  Natur,  aber  mit  spezieller 
Berücksichtigung  der  biblischen  und  kirchlichen  Ereignisse  verfassten  die 
oben  schon  erwähnten  christlichen  Schriftsteller  Gaius,  Hippolytos  und 
Sext.  Julius  Africanus.'*)  Der  bedeutendste  von  diesen  war  der  letzt- 
genannte, welcher  Presbyter  in  Alexandria  zu  Anfang  des  3.  Jahrhunderts 


')  In  der  Theosophie  selbst  heisst  es 
c.  10  nach  Euseb,  Praep.  ev.  XIJI,  12:  ort 
' AQiaiößovXog,  6  s^  'EßQciiiav  nsQniarr^rixög 
(filöaocfoq,  snioieXhoy  UtoIf^cÜio  avvwfio- 
h'iyrjaEi',  ix  zrjg  eßQcdxrjg  beoaocpiug  rr]y 
i[  tl'krii'ixrjv  ojQfAtjaSai,  '  (fctvSQov  yciQ  iaziy, 
I  oTi  xurrjxoXovS^i^aey  6  Uh'aiov  zrj  xax^'  rjfxäg 
pofxo&saia,  xcd  dijXog  iart,  nEQiEiQyaa^uit^og 
exaarcc  twv  ev  avirj, 

2)  FAiseb.  Hist!  eccl.  IV,  8. 

3)  Euseb.  llist.  eccl.  IV,  22. 


^)  Über  Papias  s.  oben  §  GOl.  Ausser 
durch  Euseb.  llist.  eccl.  III,  139  sind  uns 
duich  spätere  byzantinische  Kirchenschrift- 
steller Fragmente  des  Papias  erhalten,  wo- 
rüber De  Boor,  Neue  Fragmente  des  Papias, 
in  Gebhardt-Harnack,  Texte  u.  Unters.  V, 
165-184. 

^)  Gelzer,  Sext.  Julius  AfVicanus  und 
die  byzantinische  Chronologie,  Leipz.  1885, 
2  Bde.;  in  II,  1--23  ist  von  llii)polytos  ge- 
handelt; s.  i^  COC). 


752 


Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 


war.  Sein  JlsvidßißXov  xQovoXoyixöv  ging  von  Erschaffung  der  Welt  oder 
5500  V.  Chr.  bis  auf  221  n.  Chr.  herab  und  war  eine  Hauptquelle  des  Eu- 
sebios.  Dieser  hat  uns  auch  aus  dem  Werke  seines  Vorgängers  das  wert- 
vollste Stück,  die  'OXvfjtTriäSMv  avayQagjtj,  erhalten,  welche  Rutgers  in  einer 
vorzüglichen  Sonderausgabe  (Leyden  1862)  bearbeitet  hat.  Julius  Africanus 
war  ausserdem  Verfasser  eines  enkyklopädischen  Werkes  Kearoi  in  24  B., 
aus  dem  uns  Auszüge  der  auf  das  Kriegswesen  und  den  Ackerbau  bezüg- 
lichen Abschnitte  erhalten  sind.  ^)  Auch  2  interessante  Briefe  des  Africanus 
haben  sich  auf  unsere  Zeit  gerettet,  einer  an  Origenes  über  die  apokryphe 
Geschichte  der  Susanna,  und  ein  anderer  an  Aristides  über  die  Genealogie 
Christi.  2) 

622.  Als  eigentlicher  Vater  der  Kirchengeschichte  galt  Eusebios, 
dessen  bis  zum  Jahre  325  oder  bis  zum  Konzil  von  Nicaea  reichende 
'Exxhj(naaTix)j  taToqia  in  10  B.  wir  bereits  oben  §  609  erwähnt  haben. 
Der  Wert  des  hochgeschätzten  Werkes  wird  noch  besonders  dadurch  er- 
höht, dass  sein  Autor  aus  älteren,  verloren  gegangenen  Büchern,  wie  des 
Papias,  Dionysios,  Apollonios,  ganze  Seiten  wörtlich  anführt.  Nachfolger, 
welche  die  Kirchengeschichte  von  da  ab  bis  auf  Justinian  behandelten,  hatte 
er  vier:  Sokrates,  der  in  7  B.  die  Kirchengeschichte  bis  zum  Jahre  439 
herabführte ; ^)  Sozomenos,  welcher  in  seinem  am  Schluss  verstümmelten 
Werk  in  9  B.  den  gleichen  Zeitraum  mit  starker  Benützung  des  Sokrates 
behandelte;^)  Theodoretos,  welcher  im  Jahre  448/9  eine  Kirchen- 
geschichte in  5  B.  verfasste^)  und  darin  die  Werke  seiner  Vorgänger  er- 
gänzen wollte,^)  in  der  That  aber  dieselben  nur  ausschrieb  und  mit  einigen 
leeren  Zierraten  bereicherte;  Theodor os  der  Vorleser  (o  drayvcöarijc),  der 
in  seiner  dreiteiligen  Geschichte  {historia  tripartita)  die  Zeit  von  Konstantin 
bis  518  behandelte.  Die  Exzerpte  des  letztgenannten  Werkes'  bilden 
3  Teile,  von  denen  aber  nur  der  erste  Teil,  welcher  von  Theodosius  IL  bis 
auf  Justinus  I.  geht,  unzweifelhaft  echt  ist.  Etwas  älter  als  die  genannten 
Kirchenhistoriker  war  Philostorgios,  welcher  spätestens  365  geboren 
war^)  und  in  12  B.  vom  Standpunkte  eines  Arianers  die  Geschichte  von 
300—425  schrieb.  Die  Heterodoxie  des  Verfassers  hat  in  jenen  streit- 
süchtigen und  engherzigen  Zeiten  den  Untergang  des  Werkes  herbeigeführt, 
doch  haben  wir  von  ihm  Exzerpte  und  einen  Auszug  bei  Photios  cod.  40. 

Teilweise  gehört  noch  unserer  Periode  an  das  Chronikum  pasch ale, 
das  im  11.  Jahrh.  aus  mannigfachen  Quellen  zusammengetragene,  aber  für  die 
Chronologie  hochwichtige  Sammelwerk,  in  welchem  dem  Kanon  über  die  Oster- 
berechnung eine  Epitome  der  Zeitgeschichte  von  Adam  an  (stcitoih]  xqövwv 


I 


')  Gemoll,  Die  Quellen  der  Geoponika 
p.  78-92;  vgl.  oben  §  597. 

2)  Spitta,  Der  Brief  des  Julius  Afri- 
canus an  Aristides,  Halle  1877.  Der  andere 
Brief  und  die  sonstigen  Fragmente  bei  Migne 
X,  37-94. 

2)  Jeep,  Quellenuntersuchungen  zu  den 
griecli.  Kirchenhistorikern,  Jahrb.  f.  Phil. 
Suppl.  XIV.  57  -178,  speziell  S.  137.  Siehe 
Sokrates  selbst  II,  1. 

^}  Zum  Beweise  dient  Sozom.  I,  22  nach 


Socr.  I,  10;  s.  Jeep  a.  0.  138  ff. 

^)  Jeep  a.  0.  154  ff.  Güldenpenning, 
Die  Kirchengeschichte  des  Theodoret  von 
Kyrrhos,  Halle  1889.  Über  des  Theodoretos 
Schrift  'EXX'>]viyMV  7Tadt]fX('aoDv  d^SQanevxiy.t] 
(ed.  Gaisford,  Oxon.  1839)  s.  oben  §  465.  — 
Die  Gesamtwerke  bei  Migne  t.  80  -  84. 

6)  Theod.  Hist.  eccl.  prooem.:  ti^g  ixxXt]- 
aiaarixfjg  laxoqiag  tu  Xemo^sva   avyyQaipca. 

7)  Jeep  a.  0.  57  ff. 


B.  Christliche  Schriftsteller.     4.  Kirchenhistoriker.  (§  622—625.)  753 


Tcav  and  'Addfji)  angehängt  ist.     Der   erste   Teil    derselben   wird   auf  einen 
anonymen    Autor   des  Jahres   354   zurückgeführt,   ein   zweiter   ist  erst  im 

7.  Jahrhundert  unter  Kaiser  Heraklius  entstanden. 

Hist.  eccles.  Eusehii  Soor  aus  Sozomeni  Theodor  eti  ed.  Valesius,  Par.  1673,  bei 
Migne  t.  67.  —  Tillemont,  Memoires  pour  servir  ä  Vhistoire  ecclesiastique  des  six  premiers 
siecles,  Yen.  1732.  —  Fragmente  des  Theodoros  bei  Cramee,  An.  Par.  II,  87 — 114,  und 
E.  MiLLEK,  Rev.  archeol.  26  (1873)  273  ff.  396  ff.  —  Jeep,  Quellenuntersuchungen  zu  den 
griech.  Kirchenhistorikern,  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  XIV,  wo  S.  158  auf  eine  ungedruckte  voll- 
ständige Handschrift    des  Theodoros    Anagnostes  in  der  Marciana  no.  344  hingewiesen  ist. 

Ghronicon  pasclicde  Älexandrinum  ed.  Rader,  Monachii  1615;  ed.  Du-Cange,  Par. 
1688;  ed.  Dindorf  mit  Zugrundelegung  der  Haupthandschrift  der  Vaticana,   Bonn  1832. 

623.  Legenden.  Um  dieselbe  Zeit  entstanden  im  Anschluss  an  die 
Thaten  der  Apostel  die  Legenden  der  Märtyrer  und  Heiligen,  welche  uns 
zwar  grösstenteils  nur  durch  byzantinische  Quellen  erhalten  sind,  aber  noch 
deutliche  Zeichen  ihres  früheren  Ursprungs  an  sich  tragen,  i)  Die  älteren 
hatte  bereits  Eusebios  (s.  Hist.  eccl.  IV,  15)  zu  einem  leider  verloren  ge- 
gangenen Sammelwerk  ^vvayuyyrj  tmv  aqxaioiv  i^iaQzvQicov  (Märtyrerakten) 
vereinigt.  Auf  ihre  Bedeutung  haben  in  unserer  Zeit  besonders  Usener  und 
Harnack  den  Blick  der  Gelehrten  gerichtet  und  auch  bereits  mehrere  der- 
selben in  musterhafter  Weise  bearbeitet. 

Ausgabe  der  Acta  Timothei,  der  Legende  der  Pelagia,  der  Acta  S.  Marinae  et 
S.  Christophori  von  Usener.  Bonn  1877 — 86;  der  Acta  des  Karpus  Papylus  und  der 
Agathonike  aus  der  Zeit  M.  Aureis  von  Harnack  in  Gebhardt-Harnack,  Texte  u.  Unters. 
III,  2  (1888)  433—66;  Akten  zum  Leben  des  h.  Spyridion  von  Theodoros,  von  Usener 
in  Jhrb.  f.  prot.  Theo!.  XIII  (1887)  219 — 59;  die  Acta  des  Justinus  Martyr  aus  einem 
Codex  von  Cryptoferrata  herausgegeben  von  Papebroch  1695,  und  mit  Ausnahme  des  An- 
fangs und  Schlusses  als  zuverlässig  erwiesen  von  Harnack,  Texte  u.  Unt.  I,  193  ff. 

624.  Listen.  Verzeichnisse  der  Apostel  und  Jünger  sind  unter  dem 
Namen  des  Dorotheos  (unter  Licinian  und  Constantin)  und  Hippolytos,  gelegent- 
lich auch  des  Epiphanios  und  Sophronios  auf  uns  gekommen.  Das  Buch  des 
Dorotheos,  Bischofs  von  Tyros  aus  dem  4.  Jahrb.,  trägt  den  Titel  (^vy- 
yQaii{.ia  €xx?.rj(yicc(TTi%dv  ttsqI  tojv  o  fxa&rjXMV  tov  xvqiov  JmqoO^&'ov  sniaxönov 
TvQov  und  geht  in  der  Hauptsache  auf  das  5.  Buch  des  verloren  gegangenen 
Werkes  ^YnorvTCMCsig  des  Clemens  Alexandrinus  zurück.  Dasselbe  ist  nach 
einer  Schlussbemerkung  der  Handschrift  von  dem  Presbyter  Prokopios  (525) 
aus  den  historischen  Werken  {laxoQixd  crvyyQdj^ijiiaTa)  des  Dorotheos  ex- 
zerpiert. Von  Hippolytos,  nicht  dem  römischen,  sondern  dem  ägyp- 
tischen aus  Theben,  der  dem  4.  Jahrhundert  angehört  und  von  dem  auch 
Reste  einer  Chronik   erhalten   sind,    existiert  in    äthiopischer   Übersetzung 

ein  Verzeichnis  der  Patriarchen  von  Alexandria  bis  zum  Jahr  384. 

Das  Syngramma  des  Theodoros  ist  gedruckt  im  Appendix  zum  Chroniken  paschale 
von  Du-Cange,  ed.  Bonnet  II  p.  120  ff.;  eine  Sonderausgabe  wird  erwartet  von  Gelzer.  — 
Über  Hippolytos  gibt  nach  Mitteilungen  Dillmann's  Kunde  Gutschmid  bei  Lipsius,  Die  apo- 
kryplien  Apostelgeschichten  II,  2,  416  Anm. 

625.  Armenische  Geschichte.  Durch  armenische,  zum  Teil  wie- 
der ins  Griechische  rückübersetzte  Übersetzungen  sind  uns  die  historischen 


')  „Den  ältesten  Märtyrerkalcnder  ent- 
hielt das  in  Nikomedien  zwischen  365  und 
380  entstandene,  von  einem  arischen  Kle- 
riker abgefasste  Martyrologium  Orien- 
tale, welches  u.  a,  auf  der  von  pAisebius 
angelegten  Martyriensammlung  ruht  und  so- 
wohl dem  von  Wright  edierten  syrischen 
Martyrologium  vom  Jahre  412  als  dem  Mar- 

Haudbuch  der  klass.  Altertumswiasenschalt.  VII.    2.  Aufl. 


tyrologium  Hieronymianum  zu  gründe  liegt, 
ja  als  eine  Wurzel  sämtlicher  Martyrien  zu 
gelten  hat."  Harnack  in  Gebhardt-Harnack, 
Texte  u.  Unters.  III,  2,  S.  436,  auf  Grund 
der  Untersuchungen  von  Duchesne,  Les 
sources  du  Martyrol.  Ilieron.,  in  Mel.  d\ircht 
et  dllist.  V,  Rom  1885. 


48 


754  Griechische  Litteraturgeschichte.     III.  Anhang. 

Werke  zweier  christlicher  Annalisten  des  4.  Jahrhunderts,  des  Agathangelos 
und  Faustus  Byzantinus,  erhalten.  Agathangelos,  angeblich  aus  Rom, 
der  bei  dem  armenischen  König  Tiridates  IL  die  Stelle  eines  Sekretärs 
versah,  ist  Verfasser  einer  Geschichte  jenes  Königs,  der  ein  Abriss  der 
älteren  Geschichte  Armeniens  und  der  Gründung  des  Reiches  der  Arsaciden 
vorausgeht.  Den  hauptsächlichsten  Inhalt  des  Geschichtswerkes  bildet  die 
Verfolgung  der  Christen  durch  den  vom  Kaiser  Diokletian  aufgestachelten 
König  Tiridates  und  die  in  romanhafter  Weise  erzählte  Bekehrung  des 
Königs,  die  durch  dessen  leidenschaftliche  Liebe  zur  keuschen  Märtyrin  Rhip- 
sime  eingeleitet  und  durch  Gregorios,  den  grossen  Apostel  der  Armenier, 
ins  Werk  gesetzt  ward.  Der  überlieferte  bilingue  (armenische  und  griechi- 
sche) Text  enthält  eine  spätere  Redaktion  des  Originalwerkes,  in  dem  vieles 
weggelassen  und  das  Ganze  in  die  Form  einer  Heiligenlegende  umgear- 
beitet ist.  —  Nur  in  armenischer  Übersetzung  haben  sich  die  Annalen  des 
sonst  nicht  näher  bekannten  Faustus  von  Byzanz  erhalten.  Dieselben 
knüpfen  an  die  Geschichte  des  Königs  Tiridates  an  und  erzählen  unter 
starker  Betonung  der  Heiligenlegenden  die  Geschichte  Armeniens  in  den 
nächsten  50  Jahren  von  Chosroes  IL  an  bis  zur  Teilung  Armeniens  durch 
den  Perserkönig  Sapor  und  den  byzantinischen  Kaiser  Arcadius.  Aus- 
gabe und  Übersetzung  der  beiden  Annalen  von  Langlois  in  Müller, 
FHG.  V,  2. 

5.  Christliche  Dichtung*en.i) 

626.  Die  christliche  Litteratur  begann  im  Zeitalter  der  Prosa  und 
war  so,  trotz  des  hochpoetischen  Gehaltes  ihrer  Lehre,  durch  die  ganze 
Richtung  der  Zeit  zunächst  auf  die  prosaische  Rede  hingewiesen.  Die 
apostolischen  Konstitutionen  1,  6  verweisen  noch  die  Christen,  welche  nach 
poetischen  Werken  Verlangen  tragen,  einfach  auf  die  Psalmen  des  alten 
Testamentes.  Nach  und  nach  aber  nahm  auch  in  der  Poesie  und  dem 
Liede  die  christliche  Kirche  den  Wettstreit  mit  dem  absterbenden  Heiden- 
tum auf.2)  Gregor  von  Nazianz  und  Synesios  sind  die  hervorragend- 
sten Vertreter  der  christlichen  Poesie  in  griechischer  Sprache.  Aber  die 
Gedichte  beider  Männer  wandeln  in  der  metrischen  Form  und  im  Gedanken- 
ausdruck noch  wesentlich  die  alten  Pfade  der  hellenischen  Dichter;  sie  sind 
Kunstprodukte,  die  sich  zum  kirchlichen  Gesang  nicht  eigneten  und  nicht 
den  Weg  zum  Herzen  des  Volkes  und  der  christlichen  Gemeinde  nahmen. 
Das  Gleiche  gilt  von  dem  Hymnus  des  Clemens  von  Alexandrien,  der 
am  Schlüsse  von  dessen  TlaiSayMyög  steht 2)  und  ebenso  wie  die  grösseren, 
Hymnen  des  Synesios  in  anapästischen  Monometern  und  Dimetern  abge-J 
fasst  ist.  f 

Tiefer  an  poetischem  Gehalt  stehen  die  versifizierten  Paraphrasen  oder 
Metaphrasen   des  Nonnos  und  Apollinarios.     Des  ersteren   Übersetzung 


')  Krumbacher  im  Abriss  der  byzant. 
Lit.,  unter  Kirchenpoesie. 

2)  Schon  unter  den  Werken  des  Hip- 
polytos  (s.  §  606)  werden  erwähnt  wdoft 
8ig  Tfuaccg  zag  ygcccpag.  Das  waren  aber 
schwerlich  eigentliche  Lieder  zum  Singen, 
sondern  wie  Jos.  Scaliger,  De  emend.  tem- 


por.  p.  729  vermutet:  epigrammata  in  omnes 
Uhr  OS  sacros,  quae  sunt  quasi  neoio/cä  et, 
ut  vulgo  loquiintur,  argumenta  lihrorum, 
wie  solche  später  auch  Gregor  von  Nazianz 
verfertigte. 

^)  Zu  beachten  ist,  dass  derselbe  in  den 
codd.  Par.  P  u.  Oxon.  N  fehlt. 


1 


B.  Christliche  Schriftsteller.    5.  Christliche  Dichtungen.  (§626-628.)      755 


des  Evangeliums  des  h.  Johannes  haben  wir  bereits  oben  §  530  kennen 
gelernt;  Apollinarios  schrieb  eine  Metaphrase  der  biblischen  Psalmen  in 
Hexametern.^)  Ähnlicher  Art  werden  auch  der  Kaiserin  Eudokia  hexa- 
metrische Metaphrasen  verschiedener  Partien  des  alten  Testamentes,  und 
des  Bischofs  Basileios  Gedicht  von  dem  Leben  der  Märtyrin  Thekla  ge- 
wesen sein. 

627.  Einen  volkstümlicheren  Charakter  trägt  das  Parthenion  oder  der 
Jungfrauengesang  des  Methodios  von  Tyrus  (gest.  um  312),  der  so  an- 
gelegt ist,  dass  in  den  Gesang  der  Vorsängerin  Thekla  nach  jeder  der 
24.  Strophen  der  Chor  mit  einem  Refrain  einfällt  {vTiaxovsi).  Denn  das 
war  die  Form  des  heiligen  Gesangs  der  Therapeuten,  wie  ihn  Ps.  Philon 
in  dem  Buche  tisqI  ßiov  ^scoQrjTiHov  beschreibt  und  wie  er  sich  zur  Zeit 
des  Athanasios  und  Chrysostomos  über  die  christlichen  Gemeinden  ausge- 
breitet hatte.  2)  Nur  hielt  sich  auch  Methodios  noch  an  die  Regeln  der  alten 
quantitierenden  Poesie,  welcher  er  auch  das  trochäische  Metrum  entnahm. 
Denn  in  dem  Volksmund  war  damals  bereits  die  Quantität  entschieden 
hinter  dem  Accent  zurückgetreten,  so  dass  es  nur  der  mächtige  Einfluss 
der  altgriechischen  Kunstpoesie  war,  der  den  Methodios  zur  Beibehaltung 
des  Quantitätsprinzips  veranlasste. 

628.  Eine  vollständige  Umgestaltung  der  metrischen  Form  ging  von 
Ägypten  und  Syrien  aus,  wo  sich  am  frühesten  im  Anschluss  an  die  heb- 
räische Psalmendichtung  eine  für  den  Kirchengesang  bestimmte  religiöse 
Poesie  entwickelte.  Eusebios  in  der  Kirchengeschichte  7,  2  berichtet  uns 
von  der  Psalmendichtung  {tpaXf.i(ndia)  eines  ägyptischen  Bischofs  Nepos, 
die  im  3.  Jahrhundert  zur  Zeit  des  Dionysius  Alexandrinus  in  hohem  An- 
sehen stund.  Durch  Hippolytos,  Philos.  45,  1  ist  uns  ein  griechischer 
Psalm  der  Naassener  in  freien  melodischen  Rhythmen  erhalten,  der 
in  hochpoetischer  Sprache  die  Mysterien  der  Gnosis  von  dem  unsteten 
Wandel  {TrXävrj)  der  Seele  besingt.'^)  In  Syrien  kam  das  heilige  Lied  zur 
Blüte  durch  die  Meloden  Bar  des  an  es  (2.  Jahrh.)  und  Ephrem  (gest.  373); 
von  dem  letzteren  sind  die  religiösen  Gesänge  in  syrischer  Sprache  uns 
noch  erhalten.'*)  Von  Bardesanes  stammt  vermutlich  der  phantasiereiche 
Hymnus  von  den  Schicksalen  der  Seele,  welche  von  der  himmlischen  Hei- 
mat herabgesandt  ward,  um  die  von  der  Schlange  behütete  Perle  zu  holen. 


^)  Ludwich,  Apollinarii  metaphrasis 
psahnorum  I  IIT,  im  Ind.  lect,  Regiom, 
1880;  Derselbe,  Die  Psaltermetaphrase  des 
Apollinarios,  Herm.  13,  335  ff  u.  Königsb. 
Stud.  I  (1887)  80  ff.;  Jon.  Dräseke  ,  Zur 
Psalmenmetaphrase  des  Apollinarios,  Zeitschr. 
[f.  wiss.  Theol.  XXXI  (1888)  477  ff.  Auch 
mehrere  Epigramme  der  Anthologie  tragen 
[den  Namen  Apollinarios. 

''^)  Ein  alter  Hymnus  in  Acta  loannis  ed. 
[Zahn  p.  220  enthält  eine  Doxologic  und 
leinen  Bittgesang,  gesungen  vom  Vorsänger, 
■dem  der  Chor  in  den  einzelnen  Absätzen 
[mit   dfxtji'   antwortet;    der   Schluss   '1}    /«'(«? 


cifxrjv!  erinnert  lebhaft  an  die  alten  Hypor- 
chemen  und  Threnen. 

^)  Christ-Paranikas,  Anthologia  f/raeca 
carminum  christianoriim  p.  32;  gute  Ver- 
besserungen dazu  von  Usener,  Altgriech. 
Vers  94.  Das  anapästische  logaödische  Vers- 
mass  gleicht  dem  eines  in  Athen  gefundenen 
Päan  CIA.  III,  1.  171  ^  -  Hippol.,  Elench. 
V,  6  erwähnt  von  den  Naassenern  viavoi  sig 
'J(f('(fX(ci'  Tiojikol  xal  TioixiXot.  Reste  sind  uns 
in  aufgelösten  Formen  in  den  Akten  des 
lohannes  und  Thomas  erhalten. 

^)  Macke,  Syrische  Lieder  gnostischen 
Ursprungs,  Tüb.  theol.  Quartalschr.  1874 
S.  1—70. 


48  = 


756 


Griechische  Litteraturgeschichte.    III.  Anhang. 


Derselbe  ist  in  sechszeiligen  Rhythmen  gedichtet  und  uns  nur  dadurch  er- 
halten, dass  er  in  die  Akten  des  Apostels  Thomas   aufgenommen  wurde,  i) 

Durch  die  hebräische  und  jüdische  Poesie  angeregt  und  durch  den 
Wandel  der  Aussprache  infolge  der  Übermacht  des  expiratorischen  Accentes 
unterstützt,  entwickelte  sich  gegen  Ende  des  Altertums  auch  bei  den  christ- 
lichen Gemeinden  Griechenlands  und  des  Westens  eine  neue  Gattung  rhyth- 
mischer Poesie.  Es  vollzog  sich  der  Umschlag  von  der  alten,  lediglich 
durch  die  Quantität  bestimmten  Weise  zur  neuen  rhythmischen,  durch  den 
Accent  regulierten  Poesie  auf  gleiche  Weise  im  lateinischen  Abendland  wie 
im  griechischen  Morgenland.  Vorangegangen  sind  wohl  die  griechischen 
Meloden,  aber  aus  dem  lateinischen  Altertum  sind  uns  von  dieser  neuen 
Liedergattung  etwas  mehr  Reste  erhalten.  Aus  dem  Griechischen  gehören 
hieher  der  Abendgesang  (vfirog  eansgirog)  des  Gregor  von  Nazianz  und 
einige  andere  für  die  Andacht  am  Morgen  und  Abend,  beim  Frühstück  und 
der  Lichtanzündung  bestimmte  Lieder  unbekannter  Verfasser.^)  Der  gegen 
Ende  des  Altertums  ausgestreute  Samen  ging  zur  vollen  Saat  erst  im  byzan- 
tinischen Mittelalter  auf,  wo  sich  im  Anschluss  an  die  entwickeltere  Liturgie 
eine  reiche  Litteratur  rhythmischer  Kirchengesänge  entfaltete. 

Die  Texte  der  altchristlichen  Gedichte  sind  veröffentlicht  und  durch  Prolegomena 
erläutert  von  Christ-Paranikas,  Änthologia  graeca  carminum  Christian or um,  Lips.  1871.  — 
W.  Meyer,  Anfang  und  Ursprung  der  lat.  u.  griech.  rhythmischen  Dichtung,  Abhdl.  d.  b. 
Ak.  XVII  (1885)  S.  309  ff.  —  Bouvy,  Etudes  sur  les  origines  du  rhythme  tonique,  Nimes 
1886.    Näheres  bei  Krumbacher  a.  0. 


^)  R.  A.  Lipsius,  Die  apokryphen  Apostel- 
geschichten I,  292  ff.,  wo  auch  eine  metrische 
Übersetzung  gegeben  ist. 

^)  Schon  der  jüngere  Plinius  10,  96 
sagt    von    den    Christen    seiner    Zeit:    ante 


hicem  convenire  carmenque  Christo  dicere; 
das  werden  aber  vermutlich  die  in  den 
Constit.  apost.  I,  6  vorgeschriebenen  Psalmen 
gewesen  sein. 


Register. 


Die  Ziffern  beziehen  sich  auf  die  Seiten;  die  mit  *  bezeichnete  Seite  enthält  die  Hauptstelle. 


Abaris,  Epiker  94. 

Abydenos,  Historiker  740. 

Achäer  12  f.,  14  An.   1. 

Acbaios,  Tragiker  236. 

Achilles  Tatios,  Astronom  456. 

Achilles  Tatios,  Erotiker  683. 

Adamantios,  Sophist  609. 

Adrastos,  Aristoteliker  423. 

Adrianos,    Sophist    606;    ein 

\^  jüngerer  678. 

Ägyptische  Geschichte  477 ; 
ägyptische  Religionsweis- 
heit  697. 

Aetios,  Philosoph  590. 

Aetios,  Arzt  717. 

Aetna  79. 

Afrikanus,  Arzt  717. 

Afrikanus,  s.  Julius  Afric. 

AgathangeloS;  Historiker  754. 

Agatharchides,  Geograph  487. 

Agathemeros,  Geograph  666. 

Agathias,  P]pigrainmatiker 
661. 

Agathodaimon,  Geograph  572. 

Agathokles,  Grammatiker  507. 

Agathen,  Tragiker  236. 

Agias  s.  Hagias. 

Agon  Hesiodu   71  An.  2,  75. 

Agone,  lyrische  105,  133;  dra- 
matische 166, 243;  National- 
spiele 149  An.  1;  Agon  der 
Komödie  244  An,  1. 

Aiantides,  Tragiker  463  An.  2. 

Aidesios,   Sophist  668  An.  2. 

Ailianos,  Sophist  607. 

Ailianos,    Taktiker   560,  725. 

Aineias,  Taktiker  307. 

Aineias  von  Gaza,  Sophist 
686,  748. 

Ainesidemos,   Skeptiker  494. 

Aischines,  Redner  338,  351  f.* 

Aischines,  Sokratiker  364. 

Aischrion,  lambograph  119. 

Aischylos  145  An.  1,  177  ff.*; 


Leben  177 ;  Reise  nach  Siki- 
lien  178;  seine  Erfindungen 
188;  Charakteristik  189, 192 
An.  6;  Schutzfiehende  180; 
Perser  181;  Sieben  182; 
Prometheus  184;  Orestie 
185;  verlorene  Dramen  187; 
Handschriften  190;  Scholien 
191. 

Aisch3'los,  alex.  Dichter  459 
An.  3,  463  An.  2. 

Aisopos  121. 

Aithiopis  69. 

Akademie  395,  490. 

Akakios  616  An,  2. 

Akusilaos,  Historiker  89,  278, 

Albinos,  Platouiker  396. 

Alexamenos  372  An,  2. 

Alexander  von  Aigai,  Kom- 
mentator 423. 

Alexander  Aitolos,  Dichter 
439*,  462,  466. 

Alexander  Aphrod.  423. 

Alexander  Geograph  574. 

Alexander  von  Kotyäon,  Gram- 
matiker 288,  598. 

Alexander,  der  Lügenprophet 
619  f. 

Alexander  Lychnos,  Astronom 
462. 

Alexander  Numeniu,  Rhetor 
()25. 

Alexander  Peloplaton,  Sophist 
606. 

Alexander  Polyhistor  517, 
520*. 

Alexander  von  Trallcs,  Arzt 
717. 

Alexandria  427,  650,  710,  723. 

Alexandrinisches  Zeitalter 
425  ff. 

Alexis,  Komiker  267. 

Alexion,  Grammatiker  635. 

Alkaios,  Lyriker  127. 


Alkaios,  Epigrammatiker  443. 
Alkaios,  Komiker  266. 
Alkibiades,  Epiker  653  An.  4. 
Alkidamas,  Rhetor  331. 
Alkimenes,  Komiker  246. 
Alkiphron,  Sophist  685. 
Alkmaionis  91. 
Alkman  134. 
Allegorie  80. 

Alpheios,  Epigrammatiker  527. 
Alypios,  Musiker  641. 
Amarantes,  Scholiast  453. 
Ameipsias,  Komiker  247. 
Amelesagoras,  Historiker  278. 
Aminias,  Dramatiker  463. 
Ammianus,     Epigrammatiker 

527. 
Ammonios,  Akademiker  546. 
Ammonios,  Aristarcheer  516, 

630  An.  2. 
Ammonios,  Epiker  652. 
Ammonios  Hermeiu,  Philosoph 

423,  749. 
Ammonios,  Lexikograph  700. 
Ammonios  Sakkas,  Philosoph 

688, 
Amphikrates,      Grammatiker 

522  An,  2. 
Amphis,  Komiker  268. 
Amynthianos,  Historiker  155, 

565*. 
Anagraphai  7. 
Anakreon  130. 
Anakreontea  131,  528. 
Ananios  119. 

Anaxagoras  55,  214,  359*. 
Anaxandrides,   Komiker  267. 
Anaxandrides,    Perieget  513. 
Anaxarchos,     Philosoph    360 

An.  3. 
Anaxilas,  Komiker  268. 
Anaximander  278,  357. 
Anaximenes,    Philosoph   357, 

419. 


758 


Register. 


Anaximenes,  Rhctor  und  Hi- 
storiker 312. 
Anaxippos,  Komiker  272. 
Andokides,  Redner  31 S. 
Andriskos,  Historiker  474. 
Andromachos,  Arzt  532,  713. 
Andromachos,      Rhetor     668 

An.   1. 
Andron,  Historiker  473  An.  1. 
Andronikos,   Epigrammatiker 

663. 
Andronikos,  Grammatiker  239 

An.  1. 
Andronikos,  Peripatetiker400, 

414  An.  1,  422. 
Androsthenes  313. 
Androtion,  Historiker  473. 
Annubion,  Astrolog  532. 
Antagoras ,     Epigrammatiker 

443,  454  An.  4. 
Antandros,  Historiker  470. 
Antheas  239. 

Anthemios,  Architekt  724. 
Anthologia  Palatina  und  Pla- 

nudea  444. 
Antigenes  158. 
Antigenes    Karystios,    Gram- 
matiker 509. 
Antigonos ,     Epigrammatiker 

526. 
Antikleides,  Historiker  474. 
Antimachos,  Epiker  72,  94*. 
Antiocbia  432,  650. 
Antiochos,      Epigrammatiker 

527. 
Antiochos,  Historiker  293  An. 

1,  307. 
Antiochos,    Grammatiker  266 

An,  5. 
Antiochos,  Philosoph  490. 
Antiochos,  Sophist  606. 
Antipater ,      Epigrammatiker 

443,  526. 
Antipater,  Stoiker  491,  506. 
Antiphanes,    Epigrammatiker 

526. 
Antiphanes,  Komiker  266. 
Antiphilos,     Epigrammatiker 

526. 
Antiphon,  Redner  316. 
Antiphon,  Tragiker  238. 
Antisthenes,  Historiker  474. 
Antisthenes,    Philosoph    300, 

331,  365,  383. 
Antoninus    LiberaHs,    Mytho 

graph  647. 
Antonius    Diogenes,    Roman. 

680. 
Antonius  Polemon  606. 
Antonii  Melissa  709. 
Anyte,  Dichterin  441. 
Aphareus,  Tragiker  238. 
Aphthonios,  Rhetor  626. 
Apion ,       Grammatiker      58. 

633*. 


Apokryphe  Schriften  der  Chri- 
sten 730. 

Apollinarios,  Epigrammatiker 
527,  663;  christl.  Dichter 
653,  754  f. 

Apollinarios,  Kirchenvater  745. 

Apollodor  von  Artemita,  Hi- 
storiker 568. 

Apollodor  von  Athen,  Gram- 
matiker 485,  518*,  535, 
569,  583. 

Apollodor  von  Erythrä,  Histo- 
riker 474. 

Apollodor,  Komiker  272. 

Apollodor,  Mythograph  646. 

Apollodor,  Rhetor  623. 

Apollodor  Taktiker  725. 

Apollonios  Archibiu ,  Gram- 
matiker 635. 

Apollonios  DyskolüS,  Gram- 
matiker 637. 

Apollonios  eidographos  146 
An.  5,  147  An.  4. 

Apollonios ,  Paradoxograph 
609. 

Apollonios  von  Perga,  Mathe- 
matiker 720. 

Apollonios  Rhodios,  Epiker 
88  456*. 

Apollonios,  Scholiast  353. 

Apollonios,  Sophist  58,  Para- 
doxograph 609. 

Apollonios,  Stoiker  506. 

Apollonios  von  Tyana  580, 
603. 

Apollonios  von  Tyrus.  Roman 
684. 

Apologeten  734  ff. 

Apostelgeschichten  728,  731. 

Apostolische  Väter  732. 

Appian,  Historiker  560. 

Apsines,  Rhetor  627,  668  An.  2. 

Apsyrtos,    Veterinärarzt   718. 

Ps.  Apuleius  697. 

Araros,  Komiker  268. 

Aratos  von  Soli,  Dichter  455. 

Aratos  von  Sikyon,  Historiker 
472. 

Archagathos,  Arzt  713. 

Archebulos,  Dichter  445  An.  4. 

Archedikos,  Komiker  268, 272. 

Archelaos,  Bischof  745. 

Archelaos ,  Epigrammatiker 
444,  609  An.  3. 

Archelaos,  Philosoph  358. 

Archestratos,  Paradoxograph 
468. 

Archias,  Dichter  454,  527. 

Archibios,   Grammatiker  439. 

Archilochos  109,   117*. 

Archimedes ,  Mathematiker 
719. 

Archippos,  Komiker  250  An.  2. 

Archytas,  Pythagoreer  358, 
580,  719. 


Areios  Didymos,  Philosoph 
590. 

Areios,  Homeriker  430  An.  8. 

Aretaios,  Arzt  715. 

Argas,  Dithyrambiker  159. 

Argentarius,  Epigrammatiker 
527. 

Arion  135,  174. 

Ariphron,  Dithyrambiker  159. 

Arische  Elemente  des  Grie- 
chischen 10  f. 

Aristagoras,  Komiker  248. 

Aristainetos,  Erotiker  685. 

Aristarch,  Astronom  721. 

Aristarch,  Grammatiker  29, 
56.  77,  89,  155,264,  515*. 
Aristarcheer  516. 

Aristarch,  Dramatiker  235. 

Aristeas  von  Prokonnesos  92. 

Aristias,  Tragiker  176. 

Aristides,  Apologet  734. 

Aristides  von  Milet  680. 

Aristides  Quintilianus,  Musi- 
ker 640. 

Aristides,  Rhetor  597  ff. ;  seine 
theoretische  Schrift  598; 
Reden  598;  Charakteristik 
600;  Schollen  601. 

Aristippos,  Philosoph  366. 

Arsenios  709. 

Aristobulos,  Historiker  312, 
558. 

Aristobulos,  jüdischer  Peripa- 
tetiker  430,  543. 

Aristodemos,  Aristarcheer  516. 

Aristodemos ,  Grammatiker 
698  An.  7. 

Aristodemos,    Historiker  664. 

Aristokles,  Grammatiker  521, 
609  An.  3. 

Aristokles,  Sophist  606. 

Aristomenes,  Komiker  248. 

Ariston,  Historiker  486  An.  3., 

Ariston,  Philosoph  491. 

Ariston,  Tragiker  235. 

Aristonikos,  Grammatiker  57,j 
89. 

Aristonymos,  Komiker  248. 

Aristophanes,  Komiker  248  ff.; 
Leben  248 ;  Werke  250 ;  Cha- 
rakteristik 261  ff. ;  Acharner 
251 ;  Ritter  2r)l ;  Wolken  253 
Wespen  254;  Frieden  255 
Vögel  255;  Lysistrate  256 
Thesmophoriazusen       257 
Ekklesiazusen  258 ;  Frösche 
259;  Plutos260;  Fragmente 
261 ;  Handschriften  u.  Sclio- 
lien  264. 

Aristophanes  von  Byzanz, 
Grammatiker  56,  87,  89, 
155,  173  An.  4,  212,  234, 
264,  373  An.  2,  392  An.  2, 
513*. 

Aristophanes,  Historiker  474. 


Register. 


759 


Aristoteles  40  An.  1,  56,  160 
An.  1,  397  ff.*;  Leben  397; 
Kataloge  seiner  Schriften 
399;  exoterische  Schriften 
399,  401;  Dialoge  401; 
Akroaseis  oder  Pragmateiai 
402;  Logik  404;  Naturlehre 
405;  Metaphysik  410;  Ethik 
412;  Politik  414;  Poetik 
417;  Rhetorik  418;  gram- 
matisch -  litterarhistorische 
Schriften  402 ;  Gedichte  400 
An.  9 ;  unechte  Schriften 
400  An.  8,  408,  422;  de 
mundo  408;  Problemata  409; 
de  causis  694  An,  ö;  Ari- 
stoteles im  Mittelalter  422, 
683  An.  5,  691;  Briefe  400 
An.  10;  Gesamtcharakter 
419;  Stil  403,  420;  Schule 
des  Arist.  421 :  Kommentare 
des  Arist.  420  f. 

Aristoteles,  Epigrammatiker 
400  An.  9,  527. 

Aristoteles,  Historiker  474. 

Aristoxenos,  lambograph  240 
An.  6. 

Aristoxenos,  Musiker  503. 

Arkadios,  Grammatiker    699. 

Arkesilaos,  Akademiker  490. 

Arktinos,  Epiker  68  An.  3, 
69,  70,  71. 

Armenische  Geschichte  753  f. 

Arrian  533  ff.;  philosophische 
Schriften  558 ;  Anabasis  -^58 ; 
Periplus  des  Pontus  und  des 
roten  Meeres  559;  Taktik 
559. 

Arrianos,  Historiker  557  ff. 

Arsenios  vonMonembasia708. 

Artemidor,  Geograph  487,  576 
An.  5. 

Artemidor,  Grammatiker  450, 
514. 

Artemidor,  der  Traumdeuter 
610. 

Artemon  von  Pergamon,  Gram- 
matiker 517,  706. 

Asios,  Epiker  91. 

Asklepiades,  Arzt  713. 

Asklepiades,  Epigrammatiker 
442. 

Asklepiades  Myrleanus,  Gram- 
matiker 264,  517*. 

Asklepiades  Tragilensis  173 
An.  4,  312. 

Asklepiodotos,  Taktiker  485, 
559,  725. 

Aspasios,  Scholiast  353,  423. 

Astrampsychos  610,  661. 

Astrologen  661. 

Astronomen  718  ff. 

Astydamas,  llhotor  u.  Tragiker 
238. 

Athanas,  Historiker  309. 


Athanasios,  Kirchenvater  745 
Athen  4,  111,  162,  489,  650 

attische    Lyriker    156    ff. 

attische    Redner     316    ff. 

attische  Philosophie  360  ff., 

489. 
Athenagoras,  Apologet  735. 
Athenaios,  Sophist  610. 
Athenaios,  Taktiker  725. 
Athenodoros,  Grammatiker  53 

An.  3,  485  An.  6,  506. 
Attalos,  Grammatiker  456. 
Atthis,     Dialekt.      13,     273 

An.  3. 
Atthis,  ein  Epos  92. 
Atthidenschreiber  472. 
Attikisten  641  ff. 
M.  Aurelius,  Kaiser  u.  Philo- 
soph 584. 
Autolykos,  Mathematiker  719. 
Automatentheater  464. 
Automedai  ,    Epigrammatiker 

526. 

Babrios,  Fabeldichter  530. 
Bakcheios,  Musiker  641. 
Bakchylides  140. 
Bardesanes,    christl.    Dichter 

755. 
BartholomaeusMessanius.  Ari- 

stoteliker  423. 
Basileios,   Kirchenvater   741; 

christl.  Dichter  653,  755. 
Basileios,  Lyriker  131. 
Baten,  Komiker  272. 
Batrachomyomachie  65. 
Beredsamkeit  312  ff.    ' 
Berosos,  Historiker  476. 
Berytos  650. 

Bianor,  Epigrammatiker  526. 
Bias  112. 

Bibelübersetzung  430. 
Bibliothek  des  Peisistratos  54; 

zu  Alexandria  428;  zu  Per- 

gamum  431;  zu  Rom  524; 

zu  Konstantinopel  648. 
Biographien  8. 
Biologen  529. 
Bion,  Bukoliker  453. 
Bion  Borysthenites  467,  489, 

584. 
Biton,  Taktiker  725. 
Blaisos,  Komiker  465. 
Boethos,    Kommentator    396, 

423. 
Boios,    Lehrdichtcr  462,  647. 
Bolos,  Arzt  718. 
Brauron's  Rapsodenagone  52, 

63  An.  6. 
Briefe  685  f.;  philosophische 

58  L 
Brontinos,   Orphiker  95,  658. 
Bryson,  Sophist  362. 
Bücher  50,  276;   Buchhandel 

332. 


Bukolische    Poesie    445    ff. ; 
bukolische  Romane  684. 

Cäcilius  von  Kaiakte,  Rhetor 

542,  703. 
Cäsarea  650. 
Calvisius  Taurus,    Platoniker 

396. 
Candidus,  Historiker  665. 
Cassianus  Bassus,  Geoponiker 

718. 
Cassius   Dio,   Historiker  561. 
CatuU  437,  454  An.  4. 
Celsus,    Philosoph    583,    620 

An.  1. 
Chairemon,  Stoiker  545. 
Chairemon,  Tragiker  238. 
Chairis,  Grammatiker  516. 
Chalcidius,  Platoniker  396. 
Chamaileon,  Peripatetiker  239 

An.  1,  267,  501*. 
Charax,  Grammatiker  700. 
Charax,  Historiker  565. 
Chares ,      Grammatiker     458 

An.  5. 
Chares,  Historiker  312. 
Chariten  11,  83  An.  1. 
Chariten,  Romantiker  683. 
Charon,  Historiker  278, 
Cheironis  praecepta  88. 
Chersias  91. 
Chilon  112. 

Chionides,  Komiker  245. 
Choirilos   von   lasos  93,  454. 
Choirilos  von  Samos  93. 
Choirilos  der  Tragiker  176. 
Choiroboskos ,     Grammatiker 

520,  625  An.  6,  640,  699*. 
Chor  168  f,  198. 
Chorgesang    123,    133,    200, 

233. 
Chorikios,  Sophist  678. 
Chorische  Lyrik  123  f.,  133  ff. 
Chorizonten  28. 
Chrestomalhien  705  ff. 
Chrien  464,  625. 
Christus  544,  581,  603;  Chri- 
stentum 651,  687,  693,  695; 

christliche  Schriftsteller  726 

ff. ;    christliche  Philosophie 

743 ;  christliche  Poesie  754ff. 
Christodoros ,      Epiker     652; 

Epigrammatiker  662. 
Chroniken  274. 
Chronicum  Parium  476. 
Chronikum  paschale  752. 
Chrysippos,  Stoiker  155,  491, 

497,  506,  608. 
Chrysothemis  102,  104. 
Cicero  486.  498. 
Clauilian,  Epiker  652,  658. 
Claudius  Didymus  635. 
Clemens  Romanus  732. 
Clemens    Alexandrinus     736, 

754. 


760 


Register. 


Cornutus,  Stoiker  583. 
Cresceiitius,  Philosoph  734. 

Daimachos ,  Geograph  478 
An.  1. 

Damaskios,  Philosoph  495. 

Damastes  G,  280. 

Damocharis,  Epigrammatiker 
663. 

Damokrates,  Arzt  713. 

Damophile  130  An.  3. 

Damoxenos,  Komiker  272. 

Danais  73. 

Daphidas,  Grammatiker  596 
An.  3. 

Dares  und  Diktys  634. 

David  der  Armenier,  Kom- 
mentator 423. 

Deikelisten  239. 

Deimon,  Historiker  312. 

Deinarchos,  Redner  296  An.  2, 
354*. 

Deinias,  Historiker  474. 

Deinolochos,  Komiker  240. 

Deiochos,  Historiker  278. 

Deipnographen  468,  612. 

Delphi's  Wettkämpfe  103,  105, 
133. 

Demades,  Redner  355. 

Demetrios  von  Byzanz,  Hi- 
storiker 469. 

Demetrios  Ixion,  Grammatiker 
517. 

Demetrios,  jüd.  Historiker 
505,  543. 

Demetrios  Magnes,  Gramma- 
tiker 520. 

Demetrios  von  Phaleron  112 
An.  6,  122,  504*. 

Demetrios  von  Skepsis  475. 

Demochares,  Redner  355. 

Demodokos,  Elegiker  112. 

Demodokos,  Epigrammatiker 
443. 

Demodokos,  epischer  Sänger 
21. 

Demokies,  Historiker  278. 

Demokrates,  Philosoph  579. 

Demokrit  55,  360. 

Demon,  Historiker  473. 

Demophilos,  Philosoph  579. 

Demophilos,  Historiker  309. 

Demophilos,   Komiker  272. 

Demosthenes  332  ff.;  Leben 
333;  harpalischer  Handel 
und  Tod  342;  rednerische 
Kunst  342;  Charakter  346 ; 
Werke  347;  Privatreden 
334,  348;  Reden  in  öffent- 
licher Sache  334  f.,  Lep- 
tinea  335,  599;  Volksreden 
336;  philippische  Reden 
337  ff. ;  gegen  Aischines  338 ; 
Kranzrede  340;  epideikti- 
sehe    Reden     347;    Reden 


gegen     Aristogeiton     347 
Prooimia  347;   Briefe  347 
eingelegte   Urkunden   349 
Attikusausg.  350;  Scholien 
350. 

Demosthenes,  Dichter  454 
An.  5. 

Demostratos,  Naturforscher 
608. 

Derkyllides  373  An.  2. 

Deus  ex  machina  230. 

Dexippos,  Historiker  565. 

Dexippos,  Philosoph  565. 

Diadochai  der  Philosophen- 
schulen 589. 

Diagoras  158. 

Dialekte  der  Griechen  12  ff., 
273;  Dialekt  Homers  44  f.; 
Hesiods  80;  der  Elegiker 
108;  der  Lyriker  133;  der 
Tragiker  161  An.  1 ;  ioni- 
scher Dialekt  der  älteren 
Prosa  273;  attischer  Dialekt 
273  An.  3;  keine  dial.  484. 

Dialektik  362. 

Dialoge  philosophische  372, 
satirische  615. 

Dichterpreise  157  An.  6,  170 
An.  2. 

Didaktische  Poesie  79,  454, 
532,  medizinische  713. 

Didaskalien  170. 

Didymos  Areios  396. 

Didymos  Chalkenteros,  Gram- 
matiker 57,  89,  191,  212, 
234, 264, 295, 349, 521*,  645. 

Didymus  Claudius,  Gramma- 
tiker 635. 

Didymos,  Musiker  641. 

DieuchidaS;  Historiker  53  An. 
1.  474. 

Digamma  39,  45,  50,  62  An. 
7,  78  An.  1, 

Dikaiarchos  173  An.  4,  234, 
264,  501*. 

Dikaiogenes,  Tragiker  238. 

Diktys  Cretensis  634,  680. 

Dio  Cassius,   Historiker   561. 

Dio  Chrysostomus  594. 

Diodor,  Arzt  717. 

Diodor,  Historiker  533  ff. 

Diodor,  Grammatiker  u.  Epi- 
grammatiker 515,  526,  642. 

Diodoros,  Epiker  71   An.  1. 

Diodor,  Perieget  512. 

Diodotos.  Historiker  312. 

Diogenes,  Roman.  680. 

Diogenes  von  Apollonia,  Phi- 
losoph 359. 

Diogenes  Babylonios,  Philo- 
soph 491. 

Diogenes  lambos,  Gramma- 
tiker 513  An.  3. 

Diogenes  Laertios,  Philosoph 
527,  588*. 


Diogenes  von  Sinope  214  An. 
4,  238,  365.^  _ 

Diogenianos,  Epigrammatiker 
527. 

Diogenianos,   Epikureer  499. 

Diogenianos ,  Lexikograph 
633,  645,  702. 

Diokles,  Historiker  479,  589. 

Dioraedes,  Scholiast  520. 

Diomos,  Bukoliker  446. 

Dionysiadas,  Tragiker  462. 

Dionysien  166  f.;  dionysische 
Künstler  465. 

Dionysios  Areiopagites  749. 

Dionysios,  Attikist  636. 

Dionysios  Chalkus  116. 

Dionysios  von  Chalkis,  Hi- 
storiker 474. 

Dionysios,  Christ  738. 

Dionysios,  Dichter  528,  532. 

Dionysios,  Geograph  502,  574. 

Dionysios  von  Halik.  538; 
römische  Archäologie  538  f. ; 
rhetorische  Schriften  539  ff. ; 
über  Demosthenes  349,  541 
f. ;  angeblich  Verfasser  der 
Schrift  vom  Erhabenen  630. 

Dionysios  von  Halik.,  Mu- 
siker und  Grammatiker  636. 

Dionysios  lambos  513  An.  3. 

Dionysios  von  Kalliphon  502. 

Dionysios,  Kyklograph  67, 537. 

Dionysios  von  Milet,  Histori- 
ker 278. 

Dionysios  von  Milet,  Sophist 
606. 

Dionysios,   der  Perieget  573. 

Dionysios  von  Phaseiis,  Gram- 
matiker 522. 

Dionysios,  Scholiast  des  Eur. 
234,  698. 

Dionysios  Sidonios,  Gramma- 
tiker 516. 

Dionysios,  Tyrann  von  Syra- 
kus  238. 

Dionysios  Thrax,  Grammati- 
ker 519. 

Dionysodoros,     Grammatiker' 
516. 

Dionysodotos  134  An.  3. 

Dionysos  161 ;  Dionysien  166j 
f.;  dionysische  Künstler  465,1 

Diophantos .  Mathematiker 
723. 

Dios,  Historiker  545. 

Dioskorides,  Arzt   712,  713*. 

Dioskorides,  Epigrammatiker 
443. 

Dioskorides,  Grammatiker  58. 

Diotimos,  Epigrammatiker 
443. 

Diphilos,  Epiker  92. 

Diphilos,  Komiker  271. 

Dithyrambus  125;  jüngerer 
156. 


Register. 


761 


Diyllos,  Historiker  281  An.  5, 
471*. 

Doiier  13. 

Dorotheos,  Tragiker  463,  Lehr- 
dichter 532. 

Dorotheos,  Grammatiker  635. 

Dorotheos,  Kirchenhistoriker 
753. 

Dosiadas,  Dichter  445  An.  2. 

Dositheos,  Grammatiker  644. 

Doxographen  590. 

Doxopatres,  Rhetor  627. 

Drakon,  Metriker  155,  640. 

Drama  3,  5,  160  ff,  528  ff.; 
Arten  des  Dramas  162; 
Teile  des  Dramas  170;  Lese- 
dramen 237;  Dramata  tra- 
gika  146  An.  5,  174  An.  3. 

Duris,  Historiker  173  An.  4, 
469*. 

Echembrotos  104,  105. 

Eirenaios,  Apologet  735. 

Eirenaios  (Pacatus) ,  Gram- 
matiker 642. 

Ekphantidas,  Komiker  245. 

Elegie  107  ff.;  Ursprung  des 
Namens  108;  Vortragsweise 
108;  in  ionischem  Dialekt 
108;  Arten  der  Elegie  109; 
bei  den  Alexandrinern  433  ff. 

Embateria  110. 

Empedokles  97,  359. 

Enkomien  126. 

enkyklisch  66. 

Epaphrodotos,  Grammatiker 
^  439,  544,  584  An.  2,   635. 

Epeisodien  172. 

Ephippos,  Komiker  268. 

Ephoros,  Historiker  309;  be- 
nützt von  Diodor  535,  von 
Aristides  599. 

Ephrem,  christl.  Dichter  755. 

Epicharmos  240. 

Epigenes,  Grammatiker  19. 

Epigenes,  Tragiker  174. 

Epigonoi  72. 

Epigramm  441,  525,  661;  vgl. 
Anthologie. 

Epiktet,  Philosoph  584. 

Epikur  497,  493;  Epikureer 
492. 

Epimenides    95,   457    An.    5. 

Epinikien  148. 

Epinikos,  Komiker  272. 

Epiphanios,  Kirchenvater 
745  f. 

Epithelamien  124. 

Epos  3,  lOff.,  454ff.,  652  ff.; 
Heldenepos  (heroisches  Ep.) 
21;  Kunstepos  92;  genea- 
logisches 89  f. 

EpischerKyklos 66  ff.  ;demHo- 
merzugeschrioben  27, 28, 66. 

l^jiasistratos,  Arzt  713. 


Eratosthenes,  Grammatiker  u. 
Geograph  507*,  647. 

Eratosthenes,  Scholiast  453, 
698. 

Erinna  132. 

Eros  83  An.  1. 

Erotianos,  Arzt  712. 

Erjkios,  Epigrammatiker  527. 

Etymologika  701. 

Evangelien  727  f. 

Euboios,  parodischer  Dichter 
468. 

Eubulos,  Komiker  268. 

Eudaimon,  Grammatiker  699. 

Eudemos,  Historiker  278. 

Eudemos,  Lexikograph  703. 

Eudemos,  Philosoph  412  An. 
4,  422. 

Eudokia,  Kaiserin  652,  755; 
Ps.  Eudokia  704. 

Eudoxos,  Astronom  719. 

Eudoxos,  Historiker  u.  Geo- 
graph 486,  604. 

Eudoxos,  Komiker  272. 

Euenos,  Elegiker  116. 

Euenos,  Epigrammatiker  526. 

Eugammon,  Epiker  72. 

Eugenios,  Grammatiker  699, 
703. 

Eugeon,  Historiker  278. 

Euhemeros,  Mythograph  475, 
534,  646. 

Eukleides,  Mathematiker  719. 

Eukleides,  Philosoph  365. 

Eukles,  Dithyramb.   159. 

Eumelos,  Epiker  68  An.  3, 
71  An.  5,  90*. 

Eumenes,  Historiker  312. 

Eumolpos  18. 

Eunapios,  Sophist  u.  Histo- 
riker 664,  668. 

Euphanes  150  An.  6. 

Euphantos,  Tragiker  463  An.  2. 

Euphorien,  alex.  Dichter  460. 

Euphorien,  Tragiker  235. 

Euphron,  Komiker  272. 

Euphronios,  Tragiker  403 
An.  2. 

Eupolemos,  jüd.  Historiker 
543. 

Eupolis,  Komiker  246. 

Euripides  213  ff.;  Leben  213; 
philosophische  Studien  214; 
Familienleben  215;  Kunst 
des  Dichters  230;  Werke 
216;  zeitliche  Foke  218; 
Hippolytos  220,  682;  Iphi- 
genia  Taur.  221 ;  Iphig. 
Aul.  227;  Medea219;  Phö- 
nissen  223;  Alkestis  224; 
Andromache  225;  Bacchae 
225;  Cyclops  228;  Electra 
225;  Hecuba  225;  Helena 
226;  Heraclidae  226;  He- 
racles  227;  Ion  228;    Ore- 


stes 228;  Rhesus  229;  Sup- 
plices  227;  Troades  229; 
Fragmente  230;  Hand- 
schriften   u.    Scholien  234. 

Euripides  der  Jüngere  235. 

Eusebios,  Epiker  652. 

Eusebios,  Kirchenvater  6,603, 
739*,  752. 

Eusebios,  Philosoph  579,  668 
An.  2. 

Eustathios,  Kommentator  60. 

Eustathios,  Historiker  665. 

Elustratios,  Kommentator  423. 

Euteknios,  Grammatiker  461. 

Euthydemos,  Sophist  362,  382. 

Eutokios,   Mathematiker  720. 

Exodos  171. 

Ezechiel,  Dichter  464. 

Fabel  120,  530;  milesische 
Fabeln  680. 

Fabricius  8, 

Faustus  Byzantinus,  Histori- 
ker 754. 

Favorinus,  Sophist  585*,  589, 
612;  korinthische  Rede  595 
An    6. 

Figurenlehre  624. 

Flaccius  Africanus  681  An.  1. 

Flöten  100. 

Fremde  Einffüsse  in  griech. 
Litt.  11  f.,  101. 

Fronte,  Epigrammatiker  527. 

Galenos,  Arzt  611,  715*;  un- 
echte Schriften  587. 

Galenos  Diakonos  89. 

Gaudentius,  Musiker  641. 

Gaza  650. 

Geminus,  Astronom  456, 722*. 

Geminus, Epigrammatiker  527. 

Genethlios,  Rhetor  628,  668. 

Geographen  312,  486  ff.,  567 
ff.,  666  ff. 

Geoponiker  718. 

Georgios  Choiroboskos  699. 

Georgios  Diairetes,  Rhetor  627. 

Gephyrismoi  243. 

Germanicus,  Epigrammatiker 
527. 

Gesetze  275;  von  Gortyn  275. 

Gitiades  134  An.  3. 

Glaukos  (Glaukon)  6,  55,  280. 

Gnostiker  690  An.  1,  691  An. 
3,  743*,  755. 

Goethe  70. 

Gorgias  97  An.  3,  315*,  329 
An.  2,  361.  381,  604. 

Gorgias  der  Jüngere,  Rhetor 
624. 

Gorgos,  Dichter  439. 

Gortynische  Gesetzestafeln 
275. 

Grammatiker  499  ff.,  630  ff., 
697  ff. 


762 


Register. 


Gregoras,  Musiker  573. 

Gregorios  von  Korinth,  Gram- 
matiker 627. 

Gregorios  von  Nazianz  741  f., 
754,  755. 

Gregorios  von  Nyssa  741. 

Hadrian,  der  Kaiser  527,  591 
An.  1. 

Hadiianos,  Sophist,  s.  Adria- 
nos. 

Hagias  (Agias).  Epiker  71. 

Hanno,  Geograph  486. 

Harpokration,  Grammatiker 
298  An.  2,  642. 

Harpokration,  Platoniker  396. 

Hedyle,  Dichterin  442. 

Hedylos,  Egigrammatiker  443. 

Hegeiochos,  Schauspieler  234 
An.  1. 

Hegemon  aus  Alex.,  Epiker 
454. 

Hegemon  aus  Thasos,  Komi- 
ker 248. 

Hegesander,  Perieget  513. 

Hegesianax,  Historiker  474. 

Hegesias,  Philosoph  366. 

Hegesias,  Rhetor  623. 

Hegesinos,  Epiker  69,  92. 

Hegesippos,  Komiker  272. 

Hegesippos,  Redner  339,  355. 

Hegesippos,  Kirchenhistoriker 
751. 

Hekataios  von  Milet  277,  282 
An.  6. 

Hekataios  von  Abdera,  Histo- 
riker 477,  609  An.  3. 

Helikonios,  Historiker  664, 
703  An.  3. 

Heliodor,  Dichter  532. 

Heliodor,  Erotiker  681. 

Heliodor,  Grammatiker  60  An. 
4,  520,  634*,  699. 

Heliodor,  Motriker   264,  634. 

Heliodor,  Perieget  512. 

Helladios,  Lexikograph  703, 
706. 

Hellanikos,  Dithyrambiker 
159. 

Hellanikos,  Grammatiker  28, 
507. 

Hellanikos,  Historiker  279. 

Hellenen.  Panhellenen  12. 

Hephästion,  Astronom  723. 

Hephästion,  Metriker  639  f.; 
Scholien  640. 

Herakleia  92. 

Herakleon,  Grammatiker  635. 

Herakleides,  Historiker  469. 

Herakleides  Kretikos  502. 

Herakleides  Lembos,  Gram- 
matiker 501,  589. 

Herakleides  Milesios  635. 

Herakleides  Pontikos,  Philo- 
soph 176  An.  4,  500*,  721 


An.  1. 

Herakleides  Pontikos  der  Jün- 
gere 528. 

Herakleides   aus  Tarcnt  612. 

Herakleitos,  Philosoph  357. 

Herakleitos,  Mythograph  58, 
647. 

Herennios  Philon,  Grammati- 
ker 635,  700. 

Herennios,  Neuplatoniker  696. 

Hermagoras,  Rhetor  623. 

Hermas'  Poimen  732. 

Hermeias,  lambograph  119. 

Hermeias,  Neuplatoniker  396, 
423. 

Hermeias,  christlicher  Philo- 
soph 745. 

Hermes  Trismegistos  697. 

Hermesianax,  Elegiker  435. 

Hermippos,  Komiker  119,  246. 

Hermippos  aus  Berytos,  Gram- 
matiker 636. 

Hermippos  der  Kallimacheer, 
Grammatiker  400,  439,  511. 

Hermodoros,  Epigrammatiker 
444. 

Hermodoros,  Platoniker  374 
An.  1. 

Hermogenes,  Rhetor  626*; 
sein  Verhältnis  zu  Aristides 
598  An.  2;   Scholien  627. 

Hermolaos,   Geograph  667. 

Herodes  Attikos,  Sophist  606. 

Herodas  (Herondas)  119. 

Herodian,  Grammatiker  58, 
637*. 

Herodian,  Historiker  563. 

Herodian,  Rhetor  625. 

Herodikos,  Grammatiker  239 
An.  1,  264,  517. 

Herodoros,  Historiker  280. 

Herodot,  Historiker  193,  280 
ff.*;  Leben  280  f.;  Reisen 
282;  Geschichtswerk  283; 
Sprache  285 :  historische 
Treue  287;  Scholien  288; 
Leben  Homers  26  An.  3. 

Herodotos  Lykios,  Scholiast 
713. 

Heron ,  Mathematiker  464, 
721*. 

Heron,  Scholiast  288,  295. 

Herondas,   lambograph  465. 

Herophilos,  Arzt  713. 

Hesiod  74ff. ;  Lebenszeit  77; 
hesiodischer  Charakter  79 
f.;  Dialekt  80;  strophische 
Anordnung  80  An.  3;  Erga 
81;  649:76;  Theogonie82; 
V.  820  80:79;  Eöen  und 
Katalog  85;  Schild  87;  son- 
stige Werke  87  f. 

Hestiäa  475. 

Hesychios  Illustrius  aus  Milet 
6,  702. 


Hesychios,   Lexikograph  702. 

Hexameter  15,  18,  20. 

Hieratische  Poesie  16  ff. 

Hierax  102. 

Hierokles  Gegner  der  Christen 
603. 

Hierokles,  Philosoph  580, 
695*. 

Hierokles,  Grammatiker  708. 

Hieronymos ,  Kirchenvater 
739. 

Hieronymos  von  Kardia,  Hi- 
storiker 469. 

Hieronymos  der  Rhodier,  Hi- 
storiker 472. 

Himerios,  Sophist  673. 

Hipparchos  der  Pisistr.  53^ 
115,  391. 

Hipparchos,  Astronom  456, 
487,  721*. 

Hipparchos,    Komiker  272. 

Hippias,  Sophist  55,  280,  361, 
378,  391. 

Hippys  Logograph  280. 

Hippiatrika  718. 

Hippobotos,  Philosoph  589. 

Hippodamos.  Architekt  414. 

Hippodromos,  Sophist  606. 

Hippokrates,  Arzt  66  An.  2, 
313,  711*;  Scholien  733. 

Hippolytus  Romanus  735,  754. 

Hippolytus  aus  Ägypten  753. 

Hippon,  Philosoph  357  An.  3. 

Hipponax  119. 

Hippostratos,  Historiker  566. 

Hippys,  Historiker  280. 

Historiker  276  ff.,  468  ff., 
533  ff.,  468  ff.;  Kirchen- 
historiker 751  ff. 

Homer23ff.;IIias23f  ,37f.; 
i?  459:  47;  E  628—98:  34; 
Z  119-236:  34;  N  656: 
35;  y  75-380:  41;  #245: 
35;  Schiffskatalog  42  f.,  49, 
53  An.  4;  Odyssee  24  f., 
37  f.,  40,  48;  ^  374-90: 
36  An.  2;  tu  88:  43;  Ein- 
teilung in  Bücher  24,  26, 
32,  57;  Hymnen  61;  Paig- 
nia  64;  epischer  Kyklos  66; 
Person  des  Homer  26  f.; 
Name  28;  Heimat  27,  45  f.; 
Zeit  27,  41  f.;  homerische 
Frage  28  ff.;  Probleme  der 
homerischen  Frage  31  ff.;  || 
homerischer  Dialekt  14, 
44  f.;  Kunst  des  Homer 
39  f.;  Nichtgebrauch  der 
Schrift  49  f  ;  Niederschrift 
53  f.;  Homerschulen  51  f.; 
Homerstudien  54  ff.;  Ein-  i 
fluss  des  Homer  55 ;  lyrische  p  i 
Elemente  in  seiner  Poesie 
98 ;  Scholien  zu  Homer  59  f.; 
Paraphrasen  60. 

4 


Register. 


763 


Homeriden  27  An.  4,  51  ff. 

Homerische  Hymnen  61  ff. 

Homerische  Epigramme  64. 

Homerus  latinus  60. 

Homeros,  Tragiker  472. 

Homeriden  51. 

Horatius  125  An.  6,  127,  131 
An.  1,  3,  153  An.  8,  236, 
241,  247  An.  1,  439,  468 
An.  3,  489,  An.  2. 

Hymnus  11,  124;  homerische 
Hymnen  61  ff.;  orphische 
Hymnen  658,  659;  christ- 
liche Hymnen  754  ff. 

Hypatia  724. 

Hypereides,  Redner  358. 

Hyporrhem  104,  126,  172. 

Hypotheseis  7. 

Hypsikles,  Mathematiker  719, 
720*. 

Hypsikrates ,  Historiker  568 
An.  6. 

lalemoi  126. 
Jambische  Poesie  116  ff. 
lamblichos.  Erotiker  681. 
lamblichos,        Neuplatoniker 

693*,  722  f. 
Limbulos,  Historiker  609  An.  3. 
Ibykos  137. 
Idaios  65  An.  2. 
Idomeneus,     Historiker     498 

An.  5. 
Idyll  446. 

Ignatius  Dioskorides  122. 
Ilias  23. 

Ilias  mikra  23,  70*. 
Iliupersis  70,  103  An.  9,  136 

An.  6. 
Joannes    Antiochenus,    Histo- 
riker 564. 
Joannes  Charax.  Gram.matiker 

700. 
Joannes  Chrysostomos  742. 
Joannes  Damaskenos  708. 
Joannes  Evangelist  729. 
Joannes    von    Gaza ,   Dichter 

663. 
Joannes  Lydos,  Antiquar  665. 
Joannes  Philoponos  423,  700*, 

745,  749. 
Joannes  Stobäus  707. 
Jon,  Tragiker  235,  659. 
lonier  13,  16  An.  1;  ionische 

Philosophen   357;    ionische 

Verse  466. 
lophon  194  f.,  235. 
Josephos,  Historiker  543  ff. 
Isagoras,  Sophist  529. 
Jsaios,  Redner  324. 
Jsaios,  Sophist  606. 
Jsidoros,  Geograph  574. 
Jsogonos,  Paradoxograph  609. 
Isokrates  325  ff. ;  Leben  325 ; 

Schule   326;    Techno    327; 


Reden     327;    Briefe     330; 

Stil  330. 
Istros    aus  Kyrene,  Gramma- 
tiker 510.  ' 
Istros   aus   Kallatis    173    An. 

4,  511. 
Jsyllos,  Lyriker  439. 
luba,    Grammatiker   569    An. 

2,  631*. 
Juden  430,  536,    568  An.  7; 

jüdische  Historiker  543. 
lui'ia  Balbilla,   Dichterin  527. 
lulianus  Apostata  674. 
lulianus,  Epigrammatiker  131 

An.  5,  663. 
Sext.    lulius    Africanus    718, 

725,  740,  751  *. 
lulius  Pollux,  s.  Pollux. 
Julius  Polyän,  Epigrammatiker 

527., 
lulius  Vestinus.  Grammatiker 

642. 
lustinus  Martyr  734. 
lustus  von  Tiberias,  Historiker 

545. 

Kadmos  von  Milet  277. 

Kallias,  Dramatiker  247. 

Kallias,  Historiker  470. 

Kallimachos ,  Elegiker  und 
Grammatiker  66,  73,  435 
ff.*;  Pinakes  436;  Elegien 
436  f.;  Hekale  436;  Hym- 
nen 437. 

Kallinos,  Elegiker  109. 

Kallinos,  Rhetor  668  An.  1. 

Kallippos,  Astronom  719. 

KaJIisthenes,  Historiker  312; 
Ps.  Kallisthenes  683. 

ICallistos,  Epiker  652. 

Kallistratos,  Grammatiker  57, 
264,  514. 

Kallistratos,  Komiker  250. 

Kallistratos,  Sophist  606. 

Kallixenos,  Perieget  512. 

Kanon  der  Alexandriner  7, 
429;  der  Redner  316;  der 
Sophisten  594;  des  neuen 
Testaments  730. 

Karer  12. 

Karkinos,  Epiker  89. 

Karkinos,  Tragiker  236,  238. 

Karneades.  Philosoph  490. 

I^arneen  102. 

Kastor,  Rhetor  350,  485,  679. 

Kastorion  aus  Soloi  455  An.  2. 

Kataloge  7. 

Kebes,  J'hilosoph  499. 

Kephalion ,  Historiker  474, 
565. 

Kephisodoros,  Historiker  312. 

Kerkops.  Epiker  88,  89  An.  1, 
95,  659. 

Kerkopes,  Epos  65. 

Kerkidas  119. 


Kinadenpocsie  466. 
Iünaithon71  An.  1,  73,  91*, 92. 
Kineas,   Historiker  308,   474. 
Kinesias  158. 
Kirchenväter  733  ff. 
Kithara  99. 
Kleainetos,  Tragiker  238,  463 

An.  2. 
K^leanthes,    Stoiker  439,  491, 

497. 
Klearchos,  Peripatetiker  504. 
Kleisthenes ,      Tragiker     463 

An.  2. 
KJeitarchos,  Historiker  312. 
KJeitarchos,  Geograph  667. 
Kleitodemos,    Historiker  473. 
Jüeobulos  112. 
Kleobulina  112. 
Kleomedes,  Mathematiker  722. 
Kleomenes ,       Dithyrambiker 

159. 
Klonas  103. 

Kokondrios,  Rhetor  625  An.  6. 
Kolluthos,  Epileer  657. 
K^olotes,  Epikureer  377  An.  2, 

493,  551. 
Kommentatoren     des     Piaton 

396 ;  des  Aristoteles  423. 
IComödie   162,    239  ff.*;    atti- 
sche Komödie  242.;  mittlere 

Komödie    264    ff.:    neuere 

Komödie  268  ff. 
Konnis  122. 

Konon,   Mythograph  92,  647. 
Konstanlinopel  648. 
Konstantinos  Kephalas  444. 
Konstantinos  Porphyrogenne- 

tos  7,  481  f.,  718. 
J^orax,  Rhetor  314. 
Korinna  132,  143. 
J^orinth  90. 

Krantor,  Philosoph  395,  552. 
Krateros,  Epigraphiker  476. 
Krates,  Grammatiker  57,  516*. 
Krates,  Komiker  246. 
Karates,     Jvyniker    116,     238, 

467,  494*. 
Krateuas,  Arzt  714, 
Kratinos,  Komiker  245. 
Kratippos  291  An.  5  u.  6. 
Kratylos,  Herakliteer  382. 
Kreophylos  46,  73,  93. 
Kreta  104. 

K^retische  Tänze  104. 
Jvrinagoras ,    Epiarammatiker 

52(). 
Kritias  116,  238,  305. 
K^ritische  Zeichen  56  An.  6. 
Ktesias,  Historiicer  307. 
JCybissos  120  An.  6. 
Kykliker,  s.  epischer  Kyklos. 
Kyklographcn  67. 
Kynaithos  52,  63. 
Kyniker  493. 
Ivypria  66  Au.  2,  68*. 


764 


Register. 


Kypseloskasten  42,  90. 
Kyranides  697. 
Kyrillos,  Bischof  677,  745. 
Kyrillos  Lexikograph  705. 
Kyros,  Epiker  657. 

Lachares,   Rhetor  350,  679*. 

Laertius,   s.   Diogenes   Laert. 

Lamprias'  Katalog  des  TJu- 
tarch  547. 

Lasos  von  Hermione  143, 
157*. 

Legenden,  christliche  753. 

Lehrgedicht,  s.  didaktische 
Poesie. 

Lehrstühle  592. 

Lenäen  167  An.  1. 

Leodamas,  Redner  356. 

Leon  der  Akademiker  391 
An.  1,  604,  621. 

Leon  aus  Byzanz,  Historiker 
474. 

Leonidas ,  Epigrammatiker 
443,  527,  533  An.  2. 

Leontios,  Astronom  456. 

Leontios,  Epigrammatiker  663. 

Leontios,  Mönch  746. 

Lesbonax,  Rhetor  594,  625 
An.  5,  685. 

Lesches,  Epiker  71. 

Leschides,  Epiker  454. 

Lesedramen  237. 

Leukios  Charinos  732. 

Leukippos,  Philosoph  360. 

Leukon,  Komiker  248. 

Lexikographen  641  fF.,  700  ff. 

Libanios,  Sophist  350,  668*, 
675,  677. 

Likymnios   159. 

Linos  18. 

Listen  der  Sieger  und  Prie- 
sterinnen 274;  der  Apostel 
und  Jünger  753. 

Litteratur  1 ;  Gattungen  der 
Litteratur  2 ;  litterarhisto- 
risehe  Vorarbeiten  6  f. 

Lobon,  Grammatiker  112  An. 
7,  589  An.  3. 

Logographen  276  ff. 

Lollianus,  Sophist  606. 

Lollius  Bassus ,  Epigramma- 
tiker 527. 

Longin,  Rhetor  58  An.  8,  628*, 
640,  703. 

Longus,  Erotiker  684. 

Lukas,  Evangelist  728. 

I^ukian  613  ff. ;  Deklamationen 
616;  Dialoge  617;  Briefe 
619;  Romane  620;  unechte 
Schriften  620;  Gedichte 
527,  616;  Charakteristik 
621;  Scholien  623. 

Lucilius,  ]i]pigrammatiker  527. 
Lukillos  Tarrhaios,    Scholiast 
459,  645. 


Lucius  von  Paträ  620. 

Lucrez  97. 

Lupercus,  Attikist  703. 

Lydos,  s.  Joannes  Lydos. 

Lykon,  Peripatetiker  490. 

Lykophron,  alex.  Dichter  460, 
462,  463*. 

Lykophronides  159. 

Lykos,  Historiker  474,  609 
An.  3. 

Lykurgos,  Gesetzgeber  52. 

Lykurgos,  Redner  179,  350*. 

Lynkeus,  Komiker  272. 

Lvra  99. 

Lyrik  3,  98  ff.;  Arten  der 
Lyrik  98;  Melik  und  Chor- 
gesang 123;  Arten  der  ly- 
rischen Gedichte  122  ff. 

Lysias,  Redner  319  ff  ;  Leben 
319;  Thätigkeit  als  Redner 
321;  Reden  322. 

Lysimachos,  Grammatiker 67, 
71  An.  1. 

Lysimachos,  Historiker  543 
Anm.  3. 

Lysippos,  Komiker  248. 

Machon,  Komiker  464. 
Magnes,  Komiker  245. 
Maiandrios,     Historiker   474. 
Maison,  kom.  Person  240. 
Makedonios,  Epigrammatiker 

663. 
Makedonios,      Päanendichter 

528. 
Malchos,  Historiker  665. 
Manetho,   Astrolog  532,  661. 
Manetho,  Historiker  477. 
Marcellus,  Arztu.  Dichter 532. 
Marcianus,  Geograph  666. 
Margites  64. 
Marianos,    Grammatiker   und 

Dichter  439,  458,  663. 
Marines,  Geograph  572. 
Marines,    Neuplatoniker    694 

An.  2,  695. 
Markellinos,   Rhetor  289  An. 

1,  627. 
Marcellus,  Arzt  532,  713. 
Markus,  Evangelist  728. 
Marmor  Parium  476. 
Marsyas,  Historiker  312,  472. 
Martyrologien  753. 
Mathematiker  718  ff. 
Matron,  Parod.  468. 
Matthäus,  Evangelist  728. 
Maximus,  Astrolog  532,  661. 
Maximus  Confessor  709. 
Maximus,  Sophist  668  An.  2, 

675  An.  1,  677. 
Maximus  Tyrius,  Sophist  586. 
Mediziner  711  ff. 
Megasthenes,  Historiker  478. 
Melampus,  Grammatiker  520. 
Melanippides  158. 


Melanopus  18  An.  7,  75  An.  2. 
Melanthios,  Tragiker  235. 
Melcagros,  Kyniker  und  Epi- 
grammatiker 441,  444. 
Melesermos,  Sophist  609  An. 

1,  685. 
Meletos  238. 
Melik  122  f.,  127  ff. 
Melinno,  Dichterin  445. 
Melissos  193  An.  6,  359. 
Meliton,  Historiker  473  An.  3. 
Memnon,  Historiker  566. 
Memoirenschreiber  472. 
Menaichmos,    Historiker  474. 
Menander,    Historiker  545. 
Menander,  Komiker  269. 
Menander.  Rhetor  350,  628*. 
Menedemos,  Philosoph  365. 
Menekrates,  Dichter  462. 
Menekrates,     Geograph     487 

An.  4. 
Menelaos,  Mathematiker  722. 
Menexenos  391. 
Menippos,  Geograph  666. 
Menippos,  Kyniker  467,  489. 
Menodotos,  Historiker  471. 
Mesomedes,  Lyriker  527. 
Metacharakterisantes  54. 
Metagenes,  Komiker  248. 
Methodios,  Grammatiker  795. 
Methodios,  Bischof  748,  755. 
Meton,  Astronom  719. 
Metriker  639  ff.,  699. 
Metrisches  233,  266. 
Metrodoros,    Epigrammatiker 

663. 
Metrodoros,  Historiker  486. 
Metrodoros,  Homeriker  55. 
Metrodoros,  Philosoph  493. 
Metrologen  717. 
Metrophanes,  Rhetor  601,  627 

An.  1. 
Mimnermos  111. 
Mimus  241. 
Minyas  73. 

Minucianus,  Rhetor  628. 
Mnaseas,  Geograph  487,  513. 
Mnesalkas,     Epigrammatiker 

443. 
Mörbecke,  Wilh.,  Aristoteliker 

423. 
Moiris,  Attikist  642. 
Monodien  233. 
Morsimos,  Tragiker  235. 
Moschion,  Tragiker  238. 
Moschopulos  155,  605  Au.  3. 
Moschos,  Bukoliker  453. 
Munatius  453. 
Musaios,  Epiker  18,  72. 
Musaios,  Epiker  657. 
Musaios  Ephesios,  Dichter  454. 
Musen   16;    ihre  Priester  21.  }\ 
Museum  430. 
Musik    98    ff.;    musikalische 

Instrumente  99  f. 


Register. 


765 


Musiker  zugleich  Dichter  98. 
Musonius,  Stoiker  583. 
Myllos,    Komiker  240  An.  5. 
Myro  (Moiro),  Dichterin  442. 
Myron,  Historiker  577. 
Myrsilos,  Hisloriker  474. 
Myrsilos,  Komiker  246. 
Myrtis  132,  143. 
Myson  112. 

Mystas,  Philosoph  362. 
Mystizismus  in  Poesie  660  f. ; 

in  Philosophie  687,  696. 
Mythus  11  An.  4. 
Mythographen  645  ff. 

Naupaktia  91. 

Neanthes,  Historiker  471. 

Nearchos,  Admiral  313. 

Nemesios,  christlicher  Philo- 
soph 748. 

Neophron,  Tragiker  236. 

Neoptolemos,  alex.  Dichter 
462. 

Nepos,  Cornelius  528. 

Nepos,  ehristlicherDichter755. 

Neptunianus,  Arzt  717. 

Nestor,  Epiker  533. 

Neues  Testament  726. 

Neuplatoniker  687  ff. 

Nigrinus,  Philosoph  614. 

Nikainetos,  alex.  Dichter  87 
An.  1,  444,  454  An.  6. 

Nikander,   Dichter   460,  647. 

Nikanor,  Grammatiker  57, 439, 
636*. 

Niketes,  Sophist  529,  594. 

Nikas,  Grammatiker  701  An.  5. 

Nikias,  Arzt  und  Epigramma- 
tiker 443,  448. 

Nikias  von  Elea  95. 

Nikias  von  Nikäa,  Philosoph 
589. 

Nikochares,  Komiker  266. 

Nikokles,  Dithyrambiker  159. 

Nikolaos  von  Damaskos,  Pe- 
ripatetiker  408,  422,  423, 
529,  564*. 

Nikolaos  ausMyra,  Rhetor  626. 

Nikomachos,  Epigrammatiker 
527. 

Nikomachos ,  Mathematiker 
641,  722. 

Nikomedia  650. 

Nikostratos,  Komiker  268. 

Nikostratos,  Rhetor  605,  625 
An.  7. 

Nomos  99,  1,56  f.;  Teile  des 
Nomos  103;  polykephalos 
102;  pythikos  103;  Nomos 
in  Attika  156. 

Nonnos,  Epiker  654. 

Nossis,  Dichterin  442. 

Nostoi  71. 

Numenios,  Didaktiker  462, 
468,  612. 


Numenios,  Grammatiker  295. 
Numenios,  Philosoph  687. 
Nymphis,  Historiker  469. 
Nymphodoros,  Historiker  609 
An.  3. 

Odyssee  24  f. 

Oichalias  halosis  73. 

Oidipodeia  73. 

Oinomaos,  Kyniker  529,  585*. 

Okellus    Lucanus,    Philosoph 

580. 
Ölen  18. 

Olymp,  Musensitz  16. 
Olympiodor,  Historiker  664. 
Olympiodor,  Kommentator  366 

An.  4,  396,  423. 
Olympos,   Flötenspieler  101. 
Onesikritos,   Historiker  313. 
Onomakritos  19,  53,  95*,  658. 
Onosander,  Taktiker  725. 
Oppian,   didaktischer  Dichter 

531. 
Opramoas ,    Dynast     Lykiens 

607. 
Orakel    94;    mystische    660; 

christliche  750  f. 
Oreibasios,  Arzt  717. 
Origenes,  Kirchenvater  737. 
Orion,  Grammatiker  701. 
Oros,  Grammatiker  642,  701. 
Orpheus  11,  17,  102. 
Orpheus  aus  Kroton  53. 
Orphika  658. 
Orphiker  20,  93,  94  f. 

Pacatus  s.  Eirenaios. 
Päan  104,  125,  439,  528. 
Palaiphatos,  Mythograph  475, 

646. 
Palamedes,  Grammatiker  155. 
Palladas,  Epigrammatiker  662. 
Palladios   über  Indien  684. 
Pamphila,    Grammatiker  633. 
Pamphilos,  Grammatiker  612, 

632*. 
Pamphos  19. 
Pamphylisch  14  An.  1. 
Panätios,  Philosoph  491,  497. 
Pankrates,  Lehrdichter  462. 
Panyassis  93,  281. 
Papias,  Christ  732,  751  An.  4. 
Pappos,  Mathematiker  723. 
Parabase  172. 
Paradoxographen   609. 
Parmenides  96  f.,  358,  389. 
Parmenion,     Epigrammatiker 

526. 
Parmeniskos,      Grammatiker 

516. 
Parodie  466. 
Parodos  171. 
Paroimiographen  644. 
Parthenicn  126,  134. 
Parthenios,  Homeride  52  An.  5. 


Parthenios,  Elegiker  440,  680. 

Pasikles,  Philosoph  412. 

Patroinus,  Hymnendichter  659 
An.  10. 

Patrokles,  Geograph  313,  478 
An.  1. 

Paulus,  Apostel  727. 

Paulus,  Arzt  717. 

Paulus,  Astrolog  723. 

Paulus  von  Gerene,  Gramma- 
tiker 322  An.  3. 

Paulus,  Rhetor  668  An.  1. 

Paulus  Silentiarius,  Epigram- 
matiker 662. 

Pausanias,  Historiker  577. 

Pausanias,   Lexikograph  636. 

Pausanias,  Perieget  574  ff.; 
Quellen  der  Periegese  576; 
identisch  mit  dem  Histori- 
ker Antiochias  577. 

Pausanias,  Sophist  577,  606, 
607. 

Peisander,  Epiker  87,  93*. 

Peisander  der  Jüngere  93, 
533. 

Peisistratos  51. 

Pelasger  12;  pelasgische  In- 
schrift 12  An.  4. 

Peregrinus,  Philosoph  619. 

Pe»-gamon  431*,  444. 

Perginos,  Orphiker  659. 

Periander  112. 

Perioden  der  Litteratur  3  f.,  5. 

Peripatetiker  490. 

Periplus  des  roten  Meeres  559, 
des  schwarzen  Meeres  6Q<o. 

Persaios,  Stoiker  491. 

Phaeinos,  Grammatiker  264, 
698. 

Pfahlbauten  313  An.  1. 

Phaidimos ,  Epigrammatiker 
443. 

Phaidon,  Philosoph  365,  383. 

Phaidros,  Sokratiker  380. 

Pliaidros,  Epikureer  498. 

Phaleas,  Politiker  414. 

Phallika  239. 

Phaistos,  Dichter  454  An.  5. 

Phanias,  Peripatetiker  413 
An.  2,  474,  503*. 

Phanodemos,  Historiker  473. 

Phanokles,  Elegiker  435. 

Phemios  21,  27  An.  3. 

Pherekrates,  Komiker  246. 

Pherekydes  von  Leros  278. 

Pherekydes  von  Syros  276. 

Philagrios,  Arzt  717. 

Philagrios,  Grammatiker  708. 

Philammon  18. 

Philemon,   Komiker  271. 

Philemon,  Lexikograph  57, 
641  An.  3,  705. 

Philetairos,  Komiker  268. 

Philes,  Byzantiner  608. 

Philetas,  Elegiker  434, 


766 


Register. 


Philinos,  Historiker  479. 

Philippides,  Komiker  267, 
272. 

Philippos ,  Epigrammatiker 
526. 

Philippos,  Platomker390,  392. 

Philiskos,  Tragiker  462. 

Philistion,  Komiker  261  An.  3, 
529*. 

Philistüs,  Historiker  308. 

Philochoros,  Historiker  85, 
473*. 

Philodemos ,  Epikm-eer  58 
An.  8,  498*,  526. 

Philogelos  708. 

l'hiloklcs,  Tragiker  179,  235. 

Philolaos,  Philosoph  358. 

Philon,  s.  Herennios. 

Philon,  Architekt  724  An.  5. 

Philon,  ßyzantios  609. 

Philon,  Dichter  454  An.  5,  527. 

Philon,  ludaeus  581 ;  unechte 
Schriften  582. 

Philon,  Mathematiker  724. 

Philon,  Akademiker  490. 

Philonides,  Komiker  246,  250. 

Philopator,  Stoiker  748  An.  3. 

Philoponos  Joannes  423,  700, 
722. 

Philosophie  3,  356  ff.,  488  ff., 
577  ff.,  686  ff.;  philosophi- 
sche Gedichte  96;  christ- 
liche Philosophie  743  ff.; 
Philosophenschulen  489. 

Philostephanos,  Grammatiker 
439,  609  An.  5. 

Philostorgios ,  Kirchenhisto- 
riker 752. 

Philostratos  der  Altere  529, 
602. 

Philostratos  der  Mittlere  und 
Jüngere  602;  der  vierte 
Philostratos  603, 606;  Leben 
des  Apollonios  603;  Heroi- 
kos  603 ;  Sophistenleben 
603  f.;  Gymnastikos  604; 
Briefe    604  f.;    Bilder  605. 

Philoxenos ,  Dithyrambiker 
158. 

Philoxenos,  Grammatiker  634. 

Philoxenos,  Lexikograph  705. 

Philumenos,  Arzt  717. 

Phlegon,  Historiker  564,  609. 

Phlyaken  464. 

Phokais  73. 

Phönikische  Elemente  des 
Griechischen  12;  phöniki- 
sche Schrift  12. 

Phoibammon,  Rhetor  625. 

Phoinix  119. 

Phokylides  112  f.;  Phokylidea 
113. 

Phorminx  51,  99,  100. 

Phormis,  Komiker  240. 

Phoronis  92. 


Photios,  Patriarch,  Bibliothek 
1,  704;  Lexikon  704. 

Phrynichos,  Attikist  642. 

Phrynichos,  Komiker  247. 

Phrynichos,  Tragiker  176. 

Phrynis,  Musiker  159. 

Phylarchos,  Historiker  471. 

Physiologus  746. 

Pigres  65. 

Pindar  141  ff.;  Werke  146; 
Epinikienl47;  O.VII:  144; 
P.  V,  76:  142;  P.  X:  142 
An.  7 ;  Epigramme  76  An  6 ; 
Dithyrambus  auf  Athen  144 ; 
Schollen  155. 

Pittakos  112. 

Planudes.    Grammatiker  627. 

Piaton,  Komiker  247. 

Piaton,  Philosoph  94,  366  ff.*; 
Abstammung  366;  Studien 
367;  Reisen  368;  Schul- 
gründung 370;  dialogische 
Form  seiner  Schriften  371; 
Schriften  373;  untergescho- 
bene 373  An.  4,  390  f.; 
Zeitfolge  der  Schriften  374; 
Arten  der  Dialoge  375;  die 
kleineren  Dialoge  378;  die 
mittleren  378 ;  die  kon- 
struktiven 385;  Briefe  392; 
Gesamtcharakter  393;  Stil 
und  Mythus  375,  395;  Scho- 
llen und  Codices  396;  Wi- 
derlegung des  Gorgias  durch 
Aristides  598,  600 

Platonios,  Grammatiker  239 
An.    1. 

Plautus  Capt.  267  An  2;  Am- 
phitr.  268 ;  Bacch.  Poen. 
Stich,  eist.  Most.  270;  Gas. 
Rud.Vidul.Merc.Trin.  271; 
Asin.  272;  Men.  272  An.  4. 

Plethon,  Geograph  571. 

Plotin,  Neuplatoniker  688; 
seine  Schriften  689;  seine 
Lehre  689  f. ;  bei  den  Ara- 
bern 691. 

Plutarch  74  An.  3,  89;  Leben 
546 ;  Katalog  seiner  Werke 
547;  Biographien  547  ff.; 
Apophthegmensamml.  549 ; 
Moralia  550  ff.;  de  mus. 
554;  Symposiaka  554  f.; 
Gedichte  547 ;  untergescho- 
bene Schriften  546  An.  10, 
550,  555  f.,  645;  de  placi- 
tis  philos.  555,  590;  Leben 
der  10  Redner  313  An.  5, 
543,  555;  Verhältnis  zu 
Macrobius  555;  allgemeine 
Charakteristik  556. 

Poesie  2,   Teile   derselben  3. 

Poimander  697. 

Polemon_,  Historiker  5 ^'6. 

Polemon,  Perieget  511*,  576. 


Polemon  Sophist  606. 
Pollianus,  Epigrammatiker  66 

An.  4. 
Pollio,  Grammatiker  642,  703. 
Pollio,  Philosoph  584. 
Pollux,     Lexikograph      620, 

643. 
Polyän,  Epigrammatiker  527. 
Polyän,  Historiker  566. 
Polybios,    Historiker   479  ff. ; 

Leben    479;    Werke    480; 

Charakter  seiner  Geschicht- 
schreibung  481;   Stil   483; 

angebliches  Bild  480  An.  4. 
Polybios,  Rhetor  625. 
Polybos,  Arzt  711. 
Polyeidos,    Sophist   und   Tra- 
giker 159,  238. 
Polykrates,  Sophist  302,  362, 

377. 
Polykarp,  Bischof  732. 
Polykritos,  Epiker  454. 
Polymnastos  103. 
Polyphradmon  176. 
Polystratos,  Epikureer  498. 
Porphyrios,  Bischof  651. 
Porphyrios,  Neuplatoniker  59, 

396,  423,  664,  691*. 
Porphyrios,  Scholiast  520. 
Poseidippos,  Epigrammatiker 

442. 
Poseidippos,  Komiker  272. 
Poseidonios,  Aristarcheer  516. 
Poseidonios ,    Philosoph    und 

Historiker  485. 
Potamon,  Platoniker  396,  594 

An.  4. 
Pratinas  157,  176. 
Praxagoras,  Historiker  665. 
Praxilla  132. 

Praxiphanes,    Peripatet.    50'«. 
Priskianos,  Neuplatoniker  695. 
Priskos,  Historiker  665. 
Proagon  169. 

Prodikos,  Dichter  73,  659. 
Prodikos,  Sophist  361. 
Progymnasmiata  625. 
Prohairesios  668  An.  2. 
Proklos,  Neuplatoniker  74,  89, 

396,  659,  694*,  749. 
Proklos'  Chrestomathie  7,  Q^, 

705*. 
Prokopios  aus   Gaza,    Rhetor 

677  An.  2,  678*. 
Prolalia  d.  i.  Einleitung  615. 
Prolog  172,  230. 
Prometheus  11,  83  An.  1. 
Prooimia  62,  103. 
Prosa  2,  273. 
Prosodien  124. 
Protagoras,  Sophist  361  *,  375 

Au.  3,  379,  387  An.  2. 
Protagoras,   Geograph  QQ^. 
Protogenidcs,   Historiker  472 

An.  3. 


Register. 


767 


Proxenos,  Historiker  474. 

Psaon,  Historiker  471. 

Psellos  627. 

Ptolemäer  428. 

Ptolemaios,  Aristoteliker  400. 

Ptolemaios,  Astronom  und 
Geograph  571. 

Ptolemaios  Chennos,  Gram- 
matiker 634. 

Ptolemaios,  Epiker  533. 

Ptolemaios  Epithetes,  Gram- 
matiker 57. 

Ptolemaios  Euergetes  472. 

Ptolemaios,  Historiker  312, 
558. 

Ptolemaios  Pindarion,  Gram- 
matiker 516,  700  f. 

Ptolemaios,  Pliilopator  463 
An.  2,  472. 

Ptolemaios,  Sophist  606. 

Pyrrhiche,   104. 

Pyrrhon,   Skeptiker  494. 

Pythagoras  358,  Leben  von 
Porphyrios  692,  von  lam- 
blichos  694;  Neupythagoreer 
579. 

Pytheas,  Geogr.  478. 

Pytheas  Redner  355. 

Pythermos,  Lyriker  106  An.  3, 
130,  466. 

Python.  Tragiker  238. 

Quintilian  541. 

Quintus    Smyrnaeus ,    Epiker 

653. 

Redegattungen  316. 

Redner    313  ff.;    Kanon    der 

Redner  316. 
Religion  im  Leben  und  in  den 

Schriften  der  Griechen  686. 
Renaissance,   griechische   59. 
Rhapsoden  50  f.,  378. 
Rhetorik  3, 313  ff.,  623  ff.,  678. 
Rhianos,  Dichter  57, 459  *,  577. 
Rhinthon,  Dichter  464. 
Roman  679  ff. 
Roms  Einfluss  auf  die  griech. 

Litteratur  523  f. 
Rufus,  Arzt  714. 
Rufus,  Rhetor  584  An.  3,  628. 

Sabinus,  Grammatiker  295. 

Sabirius  Pollio  455. 

Sage  11  An.  4,  16;  Sagen- 
poesie 20  f. ;  Sagenkreise  22 ; 
troische  Sage  auf  ihrer 
Wanderung  48. 

Sakadas  103. 

Salier  104  An.  4, 

Salustius,  Neuplatoniker  696. 

Salustius,  Scholiast  212,  288, 
696  An.  3,  698. 

Sanchuniathon ,  Historiker 
635. 


Sappho  106  An.  3,  124,  128* 

586. 
Saturnischer  Vers  15. 
Sat^Tspiel  163. 
Satyros,  Aristarcheer  516. 
Satyros,  Peripatetiker  511. 
Schauspieler  169, 175, 197, 237. 
Schreibekunst     und     Schrift- 
gebrauch   29,    49  f.,    274; 

phönikische  Buchstaben  12; 

neue  Schrift  54. 
Secundus,  Philosoph  579. 
Sekten    der   Philosophie  489, 

583;  der  Rhetorik  623;  der 

Medizin  713;   der  Christen 

744. 
Seleukos,     Grammatiker    89, 

516,  645. 
Semonides  118. 
Seneca  231. 

Sentenzensammlungen  708. 
Septuaginta  430. 
Sergios,  Grammatiker  700. 
Serenus,  Mathematiker  722. 
Severus,  Rhetor  626,  678. 
Sextius  Niger,  Botaniker  714, 
Q.    Sextius,    Neupythagoreer 

579. 
Sextus  Empiricus  586. 
Sibyllinische  Orakel  660. 
Sieben  Weisen  112. 
Sikilien  136,427;  Buchhandel, 

332  An.  2,  469. 
Silenos,  Historiker  479. 
Silloi  467. 
Simmias,  Epigrammatiker  442, 

445. 
Simon  306. 
Simonides   von    Amorgos   78, 

118*. 
Simonides   von    Keos  77  An. 

3,  138*. 
Simonides  Magnes   444,   454. 
Simplicius,   Aristoteliker  423, 

695. 
Skeptiker  494. 
Skiras,  Komiker  465. 
Skolien  124. 
Skopelianos,  Sophist  529,  533, 

606. 
Skylax,  Geograph  313. 
Skymnos,  Geograph  487. 
Sokrates,  Historiker  486  An.  3. 
Sokrates,      Kirchenhistoriker 

752. 
Sokrates,  Perieget  513. 
Sokrates,   Philosoph   96,  122, 

214,  262  f.*,  der  junge  So- 
krates 389. 
Selon  111. 

Sopater,  Komiker  465, 
Sopater,  Rhetor  601, 627, 706*. 
Sophainetos,  Historiker  299. 
Sophisten    360  ff.;    die    neue 

Sophistik  590  ff.,  (iijS  ff. 


Sophokles  191  ff.;  Leben  191 ; 
Strategenamt  193;  Neuerun- 
gen in  der  Tragödie  197; 
Charakteristik  199;  Aias 
202;  Antigene  203;  Elek- 
tra  205;  Oidipus  Tyr.  206; 
Trachiniai  208;  Philoktet 
209;  Oidipus  Col.  171  An. 
3,  200;  Fragmente  211; 
sophokleisches  Schema  201 ; 
Handschriften  und  Scholien 
212, 

Sophokles   der  Jüngere  235. 

Sophokles,  deralexandrinische 
Tragiker  463. 

Sophokles,  Grammatiker  459. 

Sophonias,  Kommentator  423. 

Sophron  242,  372. 

Sophronios  703  An.  3, 

Soranos,  Arzt  714. 

Sosibios,  Grammatiker  474, 

Sosigenes  57. 

Sosikrates,  alexandr.  Dichter 
87  An.  1. 

Sosikrates,  Komiker  272. 

Sosikrates,  Philosoph  589, 

Sosilos,  Historiker  479, 

Sosipater,  Komiker  272, 

Sosiphanes,  Tragiker  462. 

Sositheos,  Tragiker  462. 

Sotades  466, 

Soterichos,  Epiker  533, 

Soterichos,  Mathematiker  722. 

Sotion,  Philosoph  579,  589; 
Ps.  Sotion  609. 

Sozomenos,  Kirchenhistoriker 
752, 

Sparta  102  f.,  133,  134  An,  3. 

Spendon  134  An,  3, 

Speusippos,  Philosoph  395. 

Sporos,  Scholiast  456, 

Sprache  grieciiische  10  ff,,  ihre 
Vorzüge  14, 

Sprichwörter  132, 

Stämme  der  Hellenen   12  f. 

Stasima  171. 

Stasinos,  Epiker  69. 

Stephanos  Byzantius,  Geo- 
graph i.)L)ö. 

Stephanos,  Komiker  268. 

Stephanos,  Kommentator  423, 
520. 

Stesichoros  87,  135*,  446. 

Stesimbrotos  6,  55,  280. 

Stilpon,  Philosoph  365. 

Stobaios  7,  707*. 

Stoa  491,  551;  stoische  Gram- 
matiker 505;  stoische  Fra- 
gen 551,  581  An.  8. 

Strabon  567  ff.;  Geschichts- 
werk 568 ;  Geographika 
568  f  ;  Stil  570. 

Stratoklos,  Redner  355, 

Straton,  Epigrammatiker  527. 

Straten,    Phriosoph  409,   490. 


768 


Register. 


Strattis,  Komiker  266. 
Sueton's  Prata  633. 
Suidas  6,  703*. 
Susarion,  Komiker  240. 
Syramachos.  Scholiast  264. 
Synesios,  Bischof  747,  754, 
Synkellos  739. 
Synkretismus  661,  696. 
Syrianos,    Kommentator   423, 
627. 

Tabula  lÜaca  68. 
Tanz  104,  106. 
Tarraios,  s.  Lukillos 
Taktiker  724  f. 
Tatianos,  Apologet  734. 
Teisias  (Tisias),   Rhetor  314. 
Telegoneia  72. 
Telekleides,  Komiker  246. 
Telepbos,    Grammatiker    160 

An.   1.  642. 
Teles,  Philosoph  489. 
Telesilla  132. 
Telestes  159. 
Terentius  270.  272. 
Terpander    51    An.    2,    102*, 

150. 
Tetraloeie  167,  bei  Piaton  373. 
Thaies  112.  357. 
Thaletas  104. 

Thallos,  Epigrammatiker  527. 
Thallos,  Historiker  740. 
Thamyris  18. 
Theätet,  Sokratiker  384. 
Theagenes,   Grammatiker  55, 

278. 
Theater  164. 
Thebais  72. 
Themistios ,     Philosoph    423, 

671*. 
Themistogenes ,       Historiker 

299. 
Theodektes,     Tragiker     und 

Rhetor  238. 
Theodektes,  Aristoteliker  418. 
Theodoretos,       Grammatiker 

700. 
Theodoretüs ,       Kirchenhisto- 
riker 752. 
TheodoridaS;  Epigrammatiker 

443. 
Theodoros    Anagnostes,    Kir- 

chenhistoriker   703   An.  3, 

752*. 
Theodoros.   Grammatiker  67. 
Theodoros.  Mathematiker  719. 
Theodoros,    Ptochoprodromos 

702. 
Theodoros,  Rhetor  624. 
Theodosios,  Grammatiker  698. 
Theodosios,  Mathematiker  722. 
Theodotos,  Dichter  454  An.  5. 
Theodotos,  Sophist  606. 
Theognetos,  Komiker  272. 
Theognetos,  Orphiker  659. 


Theognis,  Elegiker  113. 
Theognis,  Tragiker  238. 
Theogonie  Hesiods  82,  orphi- 

sche  660. 
Theognostos,       Grammatiker 

699. 
Theogonie  68,  82,  95. 
Theokrites,  Bukoliker  447  ff.; 

Leben    447;    Werke    450; 

Kunstcharakter  451 ;  Scho- 
llen 453. 
Theokritos,    Historiker    312, 

447. 
Theolykos,  Epiker  454  An.  4. 
Theon,  Grammatiker  439,  453, 

459,  464,  632*. 
Theon  Smyrnaios,  Platoniker 

396. 
Theon,     Mathematiker     456, 

572,  724. 
Theon,  Rhetor  625,  630  An.  4. 
Theon  Smyrnaeus  396. 
Theophanes,    Historiker   486, 

527. 
Theophanes  Nonnos,  Arzt  718. 
Theophilos,  Apologet  735. 
Theophilos,  Grammatiker  507. 
Theophrast,     Philosoph    402, 

409,  415  An.  4,  422,  495*; 

Botanik   495;    Charakteres 

496;  Fortleben  bei  Späteren, 

wie  Priscian  496,    Porphy 

rios  497,  692;  Dialog  Theo- 

phrastos  749. 
Theophylaktos        Simokattes 

686. 
Theopompos,   Historiker  310. 
Theopompos,  Komiker  266. 
Theosophia  751. 
Theseis  92. 
Thespis  175. 
Thesprotis  92. 
Thestorides  46,  71,  An.  1. 
Thomas,  Magister  161  An.  8, 

155. 
Thraker  17. 
Thrasylos,     Platoniker,    360, 

373,  579. 
Thrasymachos,    Rhetor    315, 

362. 
Threnos  126. 
Thukydides  289  ff.;  Herkunft 

und  Leben  289;  Geschichts- 
werk    291;      Reden     294; 

sprachliche  Darstellung  295; 

Scholien  295,  693. 
Thuros,  Fabeldichter  122. 
Tiberius,    Rhetor    288,    349, 

625. 
Timachidas,  Parod.  468. 
Timagenes,  Historiker  486. 
Timaios,  Historiker  470. 
Timaios,  Lexikograph  396. 
Timaios,  Philosoph  358,  388, 

396. 


Timokles,  Komiker  268. 

Timokles,  Orphiker  659. 

Timokreon  141, 

Timokritos  150  An.  6. 

Timolaos  65  An.  2. 

Timon,  Sillograph  467,  494. 

Timosthenes.  Geograph  487. 

Timotheos,  Musiker  158. 

Timotheos  aus  Gaza,  Gram- 
matiker 663  An.  2,  700. 

Tisias   (Teisias),   Rhetor  314. 

Tonarten  101,  106. 

Tragödie  162,  173  ff.;  tragi- 
sche Pleias  462. 

Traianus.  Epigrammatiker 
527. 

Triklinios  155,  191,  212,  2.34, 
264. 

Trilogie  167,  198. 

Troianischer  Sagenkreis  22. 

Troilos,  Rhetor  627. 

Tropenlehre  625. 

Tryphiodoros,  Epiker  656. 

Tryphon,  Grammatiker  632. 

Tryphon,  Rhetor  625. 

Tuliius  Laureas,  Epigramma- 
tiker 526. 

Tynnichos  125. 

Tyrannion,  Grammatiker  521, 
568. 

Tyrtaios  109, 

Tzetzes  60,  160  An.  1,  239 
An.  1,  264,  627, 

Ulpian,  Scholiast  350,  698. 
Unterricht     101,    429,    592, 
649. 

Valerius  Diodorus,  Gramma- 
tiker 642. 

Valerius  PoUio,  Grammatiker 
584,  642, 

Yergilius  und  Theokrit  450, 
451;   Catalekta  455  An,  8. 

Verzeichnisse,  litf erarische  7. 

Vestinus,  Grammatiker  642, 
703. 

Vindanios  Anatolios  718. 

Volkspoesie  21;  Volkslieder 
132, 

Vorhomerische   Poesie    14  ff. 

Wettkämpfe  oder  Agone  105. 
F.  A.  Wolf  8.  29. 


Xanthos,  Historiker  278. 
Xanthos,  Meliker  136  An.  1 
Xenarchos  242. 
Xenodamos  105. 
Xenokles,  Tragiker  236. 
Xenokrates,  Arzt  713 
Xenokrates,  Philosoph  395 
Xenokritos  105. 
Xenon,  Grammatiker  28. 
Xenophanes  55;  96*,  358. 


Register. 


769 


Xenophon,  Erotiker  681. 

Xenophon,  Historiker  296  ff.  ; 
Leben  296;  Anabasis  298; 
Kyrupädie  299;  Hellenika 
300;  Agesilaos  301;  Hieron 
302 ;  Denkwürdigkeiten302 ; 
Symposion  303;  Oikonomi- 
kos  304;  Lacedaem.  respubJ. 
304 ;  Atheniens.  respubl. 
372  An.  1 ;  de  vec- 
305 ;  sonstige  klei- 
nere  Schriften   298  An.  7, 


305, 
tigal. 


306. 
Xiphilinos,  Epitomator  562. 


Zacharias  Scholastikos  686 
An.  2,  749*. 

Zenobios,Soph.  637  An.  5,  645. 

Zenodoros,  Grammatiker  58 
An.  1. 

Zenodoros,  Mathematiker  724. 

Zenodot  aus  Ephesos,  Gram- 
matiker 56,  507*. 

Zenodot  aus  Mallos.  Gram- 
matiker 517. 

Zenon,  eleat.  Philosoph  359. 

Zenon,  Historiker  474,  521. 

Zenon,  Rhetor  627. 

Zenon,  Stoiker  491. 


Zoilos  55. 

Zonaios,    Sophist  609   An.  1, 

625,  685. 
Zonaras,  Historiker  562. 
Zonaras.  Lexikograph  701. 
Zonas,   Epigrammatiker    526. 
Zopyrion,  Lexikograph  632. 
Zopvros,  Orphiker  55,  92  An. 

3^  95,  658. 
Zoroastrisches  661,  697. 
Zosimos,   Historiker  664. 
Zosimos,  Grammatiker  703. 
Zosimos,    Rhetor   325    An.  1, 

333  An.  1,  350. 


Handbuch  der  klass.  Altertmiiswissenschaft.   VII.     2.  Aufl. 


49 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


1.  Homer,  Idealbüste  des  Museo  Capitolino. 

2.  Aesop,  Halbfigur  der  Villa  Albani. 

3.  Sappho,  angebliche,  Kopf  der  Villa  Albani. 

4.  Anakreon,  Idealbüste  im  neuen  kapitolinischen  Museum. 

5.  Aischylos,  angeblicher,  Büste  des  Museo  Capitolino. 

6.  Sophokles,  Statue  des  Museo  Lateranense. 

7.  Euripides,  Büste  des  Vatikan. 

8.  Poseidippos,  Sitzende  Statue  des  Vatikan. 

9.  Menander,  Sitzende  Statue  des  Vatikan. 

10.  Herodot,  Doppelherme  (mit  Thukydides)  in  Neapel 

11.  Thukydides,  Doppelherme  (mit  Herodot)  in  Neapel. 

12.  Lysias,  Büste  in  Neapel. 

13.  Isokrates,  Büste  der  Villa  Albani. 

14.  Demosthenes,  Statue  des  Vatikan. 

15.  Aischines,  Statue  in  Neapel. 

16.  Sokrates,  Büste  der  Villa  Albani. 

17.  Piaton,  Büste  in  Berlin. 

18.  Aristoteles,  Sitzende  Statue  des  Palastes  Spada  in  Rom. 

19.  Antisthenes,  Büste  des  kapitolinischen  Museum. 

20.  Epikur,  Büste  des  Museo  Capitolino. 

21.  Hippokrates,  angeblicher,  Büste  der  Villa  Albani. 

22.  Theophrast,  Büste  der  Villa  Albani. 

23.  Aristides  Rhetor,  Kopf  der  sitzenden  Statue  des  Vatikan. 

24.  Julianus  Apostata,  nach  einer  Pariser  Goldmedaille. 


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Homeros. 


Aisopos. 


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Aischylos. 


Sophokles. 


Euripides. 


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Geschichte  der  griech-  3057 
ischen  litteratur.         .C5 


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