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in 2011 with funding from
University of Toronto
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HANDBUCH
DER
KLASSISCHEN
ALTERTUMS-WISSENSCHAFT
in systematischer Darstellung
mit besonderer Rücksicht auf Geschichte und Methodik der einzelnen
Disziplinen.
In Verbindung mit Gymn.-Rektor Dr. Autenrieth (Nürnberg), Prof. Dr. Ad.
Bauer (Graz), Prof. Dr. Blass (Kiel), Prof. Dr. Brugmann (Leipzig), Prof.
Dr. Busolt (Kiel), Prof. Dr. v. Christ (München), Prof. Dr. Flasch (Erlangen),
Prof. Dr. Gleditsch (Berlin), Prof. Dr. Günther (München), Prof. Dr. Heer-
deg-en (Erlangen), Oberl. Dr. Hinrichs f (Berlin), Prof. Dr. Hommel (Mün-
chen), Prof. Dr. Hübner (Berlin), Prof. Dr. Jul. Jung" (Prag), Dr. Knaaek
(Stettin), Priv.-Doz. Dr. Krumbacher (München), Dr. Larfeld (Remscheid), Dr.
Lolling" (Athen), Prof. Dr. Niese (Marburg), Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Nissen
(Bonn), Priv.-Doz. Dr. Öhmiehen (München), Prof. Dr. Pöhlmann (Erlangen),
Prof. Dr. 0. Richter (Berlin), Prof. Dr. Schanz (Würzburg), Geh. Oberschulrat
Prof. Dr. Schiller (Giessen), Gymn.-Dir. Schmalz (Tauberbischofsheim), Ober-
lehrer Dr. F. Stengel (Berlin), Professor Dr. Stolz (Innsbruck), Prof. Dr.
Unger (Würzburg), Geheimrat Dr. v. Urlichs f (Würzburg), Prof. Dr. Moritz
Voig-t (Leipzig), Gymn.-Dir. Dr. Volkmann (Jauer), Dr. Weil (Berlin), Prof.
Dr. Windelband (Strassburg), Prof. Dr. Wissowa (Marburg)
herausgegeben von
Dr. Iwan von Müller,
ord. Prof. der klassischen Philologie in Erlangen.
Siebenter Band.
Geschichte der griechischen Litteratur.
Zweite vermehrte Auflage.
°000<^^>oS<«—>^<><^^>OOOc
MÜNCHEN.
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG (OSKAR BECK).
1890.
GESCHICHTE
DER
GRIECHISCHEN LITTERATÜR
BIS MF »IE im immm.
Von
Wilhelm Christ,
ord. Professor au der Universität München.
Zivelte vermehrte Auflage.
Mit 24 Abbildungen.
^-i^^^pjo"«'
MÜNCHEN.
C. H. BECK'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG (OSKAR BECK).
1890.
THE INSTITUTE OT I^FOIAFVAl STÜOIES
TORONTO g, Qß^HM^^
mn 3 0 '1932
Alle Rechte vorbehalten.
C. H. Becli'sche Buclulruckerei iu Nönlliugeii.
Vorrede.
Wenn man mit Eeclit von dem Verfasser eines Buclies zu liOren
wünsclit, was ihn bestimmt liabe, den alten Darstellungen des gleichen
Gegenstandes eine neue zur Seite zu stellen, so kann ich mich im
vorliegenden Fall einfach auf das grosse Unternehmen, von dem dieses
Buch nur einen Teil bildet, beziehen. Denn es ist ja selbstverständ-
lich, dass in einem Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft
die klassische Litteratur und diejenige, welche vor allen diesen Ehren-
namen verdient, die griechische, nicht fehlen darf. Ich selbst wäre
aus eigenem Antrieb schwerlich je dazu gekommen, eine griechische
Litteraturgeschichte zu schreiben; es bedurfte der ehrenvollen Auf-
forderung der Leiter jenes Unternehmens und der ermunternden Zu-
rede lieber Freunde, um in mir den Entsi/hluss zu reifen und die
eigenen Bedenken zurückzudrängen. Die Bedenken betrafen nur meine
Person und das Missverhältnis der Schwierigkeit der Aufgabe zum
Masse meiner Kräfte; dass an und für sich eine zusammenfassende
Darstellung der griechischen Litteraturgeschichte, die den heutigen
Anforderungen der kritischen Forschung entspreche, äusserst wünschens-
wert sei, darüber besteht ja nirgends ein Zweifel, nachdem die ge-
priesenen Werke von Bernhardy, Müller, Bergk unvollendet geblieben
sind und auch das neueste Buch von Sittl nur bis Alexander reicht.
Auch die Beschränktheit des Eaumes, der durch den Plan des Gesamt-
unternehmens gegeben war, schreckte mich nicht ab. Zwar würde ich
ja lieber eine Litteraturgeschichte in 4 Bänden geschrieben haben,
um auf die Begründung meiner Ansichten tiefer eingehen und die
litterarischen Hilfsmittel ausführlicher vorführen zu können. Aber
ich habe frühe gelernt, meine Neigungen den gegebenen Verhältnissen
unterzuordnen, und über einen umfangreichen Gegenstand ein Buch
von kleinem Umfang zu schreiben ist auch eine Kunst, die ihren
VI Vorrede.
Mann fordert. So bin ich also naoli einigem Zögern auf das freund-
liclie Anerbieten eingegangen und habe mich nacli Kräften bemüht,
dem in mich gesetzten Vertrauen zu entspreclien. Freilich erst während
der Arbeit lernte ich so recht die Schwierigkeiten der Aufgabe kennen,
und mehr wie einmal drohten die Flügel mir zu erlalimen; aber die
Liebe zur Sache und die Ermunterung der Freunde hoben mir immer
wieder den Mut, so dass ich schliesslich doch mit Gottes Hilfe zur
festgesetzten Zeit zum Ziele kam.
AVas die Anlage des Buches anbelangt, so war mir schon durch
den Plan des gesamten Handbuches die Auflage gemacht, mich nicht
nach Art Ottfr. Müllers auf die Darlegung des Entwicklungsganges
der griechischen Litteratur zu beschränken, sondern auch Nachweise
über die gelehrten Hilfsmittel beizufügen. Mir selbst ward so in
erwünschter Weise die Möglichkeit gegeben, den Urhebern derjenigen
Auffassungen, denen ich mich in ineiner eigenen Darstellung anschloss,
die Ehre der Erfindung zu wahren, wie es den Benutzern des Buches
erwünscht sein wird, durch jene philologischen Schlussbemerkungen
über die Handschriften, Ausgaben und den jetzigen Stand der For-
schung in Kürze orientiert zu werden. Ausser am Schlüsse der
einzelnen Absätze habe ich aber auch gleich unter dem Text zu den
einzelnen Sätzen die litterarischen Belege und die Hauptzeugnisse
aus dem Altertum angemerkt, die letzteren meist im vollen Wortlaut.
Trotzdem, fürchte ich, Averden viele nicht alles finden, was sie von
gelehrter Litteratur suchen und wünsclien; aber zugleich holfc ich,
dass die Knappheit des zugemessenen liaumes mich entschuldigen Avird,
wenn icli den Fortschritt in der Textesbearbeitung nicht historiscli
verfolgt und bezüglicli der ins Unendliclie anwachsenden Programmen-
und Aufsätzelitteratur auf EuG-elmann und andere Hilfsmittel im all-
gemeinen verwiesen habe. Bei der Ausarbeitung im einzelnen kam
es mir zunäclist darauf an, einen gedrängten Lebensabriss der Autoren
und ein Verzeichnis ihrer Werke mit kurzer Bezeiclmung des Inhaltes
und des ästhetisclien Wertes derselben zu liefern. Aber bei Ent-
werfung dieses Grundgerüstes bin icli doch niclit stehen geblieben,
ich liabe mich auch bemüht, die Stellung der Autoren in ilirer Zeit
zu zeichnen, eine Charakteristik der einzelnen Perioden zu geben und
die äusseren Bedingungen des litterarischen Lebens, die musischen
Agone, die Organisation der Bühne, die Gunstbezeugungen der Könige
und Musenfreunde zu scliildern. Ich gestehe, dass ich diese durch
die Sache gebotene Gelegenheit gerne ergrifi', um hie und da aucli
über d(ui engen Kreis der gelelirten Forschung hinauszugehen und
Vorrede. VII
meine Gedanken über die Weltstellung des Hellenismus und das Ge-
heimnis seiner Macht anzudeuten. Nahe hätte es gelegen im Anschluss
daran, auch öfters Exkurse in die vergleichende Litteraturgeschichti^
zu machen und das Fortleben der griechischen Litteratur in der
modernen anzudeuten. Doch einer solchen Aufgabe fühlte ich mich
nicht gewachsen; in diesen Fragen gehe ich lieber selbst bei meinen
lieben Freunden Eernays und Carriere in die Lehre.
Auch bezüglich der Ausdehnung der Litteraturgeschichte möchte
ich mich gern in dieser Vorrede über einige Punkte mit meinen
Lesern auseinandersetzen. Vor allem handelte es sich hier, wie weit
soll herabgegangen werden? An und für sich schien mir der Vor-
gang von Fabricius, Scholl, Nicolai, die aucli die byzantinische Zeit
mit hereingezogen hatten, äussert nachahmenswert zu sein. Aber da
ich selbst auf diesem schwierigen, erst allmälilich sicli aufhellenden
Gebiete viel zu wenig bewandert bin, so musste auf anderem Wege
Ersatz gesucht werden. Der fand sich in erwünschtester Weise da-
durch, dass mein junger Freund Dr. Krumbacher sich bereit finden
Hess, einen Abriss^ der byzantinischen Litteratur als Ergänzung dieser
Geschichte der altgriechischen Litteratur auszuarbeiten. Derselbe ist
bereits so weit gediehen, dass sein Erscheinen im Laufe des nächsten
Jahres in Aussicht 2:estellt w^erden kann. Ich führte also mein Buch
nur bis auf Justinian oder bis auf die Aufhebung der Philosophen-
schule Athens herab. Innerhalb dieses Zeitraums mussten aber alle
litterarisclien Grössen, also auch die Philosophen herangezogen werden.
Zwar ist in diesem Handbuche ein eigener Abschnitt von Professor
Windelband der Geschichte der alten Philosophie gewidmet worden,
so dass einige Wiederholungen nicht vermieden werden konnten.
Aber Piaton und Aristoteles haben nicht bloss für die Geschichte der
Philosophie Bedeutung; wollte man ohne Piaton eine griechische Lit-
teraturgeschichte schreiben, so hiesse dieses die Litteratur eines ihrer
schönsten Juwele berauben; auf Aristoteles Schultern aber ruht so
sehr die gelehrte Thätigkeit der Alexandriner, dass ohne jenen diese
nicht begriffen werden kann. Ich persönlicli habe mit Eifer diese
Seite des griechischen Geisteslebens aufgegriffen, da ich mich mit ihr
seit meinen Studentenjahren mit Vorliebe beschäftigt hatte. Des Gleichen
kann ich mich nicht bezüglich der Fachwissenschaften und der christ-
lichen Schriftsteller rühmen; aber beide gehören, wenigstens in der
ihnen von mir gegebenen Begrenzung, zur griechischen Litteratur, so
dass ich mich entschliessen musste, in einem Anhang auch diese
Partien in den allgemeinsten Umrissen zu behandeln.
PA
3057
Vni Vorrede.
Einen den bisherigen Handbücliern fremden Sclimuck liat dieses
Encli nocli am Sclihisse durcli die Abbildung von 21 (24) Köpfen oder
Statuen griecliisclier Autoren erlialten. In unserer Zeit, wo sich die
litterarisolien und grapliisclien Darstellungen überall die Hand reichen,
lag die Beigabe von solchen Abbildungen gewissermassen in der Luft,
zumal durch den Kunstsinn der Griechen auch nach dieser Seite ihre
Litteratur vor der anderer Yölker in entschiedenem Vorteile ist. Ich habe
daher von vornherein diese artistische Beilage in den Plan meines Werkes
2:ezo2:en und durfte deshalb im Text mir die Charakteristik der Ge-
stalt der griechischen Geistesheroen erlassen. Für die Auswahl der
Köpfe, wobei in erster Linie auf inschriftlich bezeugte Porträte Wert
gelegt wurde, und für die sorgfältige Aufnahme der Originale oder
Gypse bin ich meinen verehrten Kollegen Prof. Heinr. v. Brunn und
Dr. Julius zu besonderem Danke verpflichtet.
So möge denn das mit Liebe gepflegte Werk hinausgehen in die
Welt, sich und seinem Verfasser Freunde werben, vor allem aber dazu
beitragen, dass die Liebe und Begeisterung für die Werke des klassi-
schen Ilellenentums, diese unersetzbare Grundlage jeder echten Bildung,
lebendig erhalten werden.
München, im Oktober 1888.
Vorrede zur zweiten Auflage.
Schneller als mir lieb war ist die Anforderung, eine neue Auf-
lage vorzubereiten, an mich herangetreten. Denn ein längerer Ge-
brauch des Buches hätte voraussichtlicli in mehr Fällen mich auf
Mängel und Irrtümer desselben aufmerksam gemacht. Aber auch so
habe ich mir angelegen sein lassen, nach Kräften das Werk zu ver-
vollkommenen, und habe dabei die Urteile und Winke meiner Ee-
zensenten, mochten dieselben in freundlichem Tone gegeben oder mit
Wermut gemischt sein, gewissenhaft berücksichtigt. Zu einer tiefer-
greifenden Änderung der ganzen Anlage, wie sie von Herrn Crusius
und Dräseke gewünscht wurde, habe ich mich nicht entschliessen
können. Namentlich musste ich, wollte ich nicht meiner ganzen Auf-
flissung von der Stellung des Hellenismus zu den neuen Ideen des
Christentums untreu werden, die Vervveisuno^ der christlichen Schrift-
Vorrede. IX
steller in den Anhang aufrecht erhalten. Doch habe ich mich be-
müht, diesen am meisten verbesserungsbedürftigen Teil, auf dessen
Boden ich mich am wenigsten heimisch fühle, so viel als möglich zu
verbessern und zu erweitern. Im Ganzen ist auf solche Weise der
Umfang der neuen Auflage um etwas über 6 Bogen gewachsen. Den-
jenigen Herrn, welche mich auf einzelne Versehen privatim aufmerksam
gemacht haben, fühle ich mich zu warmem Danke verpflichtet ; nament-
lich sei meinen jüngeren Freunden Krumbacher, Eömer, Wey-
man, Zoll mann für die vielen wertvollen Beiträge auch öffentlich
hiemit mein Dank ausgesprochen.
München, im Juni 1890.
Wilh. Christ.
Spezielles Inhaltsverzeichnis
von Band VII:
Geschichte der griechischen Litteratur.
Einleitung. Begriff und Gliederung der Litteraturgescliiclite
Ers te Abteilung.
Klassische Periode der griechischen Litteratur.
Seite
1
I. Poesie.
A. Das Epos 10
1. Vorstufe der griechischen Poesie
10
2. Homers Ilias und Odyssee .....
23
3. Die homerischen Hymnen und Scherze
61
4. Der epische Kyklos
66
5. Hesiodos .........
74
6. Die späteren Epiker .......
89
B, Die Lyrik
98
1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung ....
98
2. Die Elegie
107
3. Die iambische Poesie und die Fabel ....
116
4. Arten der Lyrik im engeren Sinn
123
5. Liederdichter oder Meliker .....
127
6. Chorische Lyriker ......
133
7. Pindar . . . . . . . .
141
8. Die attischen Lyriker ......
156
C. Das Drama
160
1. Anfänge und äussere Verhältnisse des Dramas
160
2. Die Tragödie
173
a. Die Anfänge der Tragödie bis auf Aischylos
173
b. Aischylos
177
c. Sophokles .......
191
d. Euripides .......
213
e. Die übrigen Tragiker ....
234
3. Die Komödie .......
239
a. Die Anfänge der Komödie in Griechenland i
md Sikilie
ti
239
b. Die altattische Komödie
242
c. Aristophanes .....
248
d. Mittlere und neue Komödie
264
Spezielles Inhaltsverzeichnis von Band VII.
II. Prosa.
1.
Anfänge der Prosa
2. Die Gescliiclitschreibimg
a. Die Logographen
b. Herodotos .......
c. Tliukydides .......
d. Xenophon . . . . .
e. Die kleineren und verlorenen Geschichtswerke
Die Beredsamkeit .......
a. Anfänge der Beredsamkeit ....
b. Antiphon und Andokides ....
Lysias und Isaios .....
Isokrates und die sophistische Beredsamkeit
Demosthenes ......
Die Zeitgenossen des Demosthenes
4. Die Philosophen ...........
a. Anfänge der Pliilosophie .......
b. Die attische Periode der Philosophie .....
c. Piaton ...........
d. Aristoteles ..........
Zweite Abteilung.
Nachklassische Litteratur des Hellenismus
A. Alex.aii(lrinisclies Zeitalter
1. Allgemeine Charakteristik ....
2. Die Poesie
a. Die Elegie und das Epigramm
b. Die bukolische- Poesie .
c. Das Kunstepos und das Lehrgedicht
d. Dramatische und parodische Poesie
3. Die Prosa .......
a. Die Geschichtschreibung
Grammatische und gelehrte Litteratur
b. Die Philosophie
c
B. Römische Periode von Aiij^ustiis bis Konstantin
Allgemeine Charakteristik
Die Poesie
Die Prosa
Historische Schriftsteller aus der Zeit vor 100 n
Plutarch
Die Historiker der griechischen Wieder
ffeburt
Chronographen und historische Sammler
Die Geographen
Die Philosophie
g. Die Sophistik
h. Lukianos ....
i. Die Rhetorik
k. Die Grammatik
C. Kömische Periode von Konstantin bis Jnstinian
Allgemeine Charakteristik
Die Poesie ......
Die Prosa ......
a. Gcschichtschrcibcr und Geographen
b. Die jüngere Sophistik
c. Der Roman ....
d. Die Philosophie
e. Die Grammatik
Chr.
XI
Seite
273
276
276
280
289
296
307
313
313
316
319
325
332
350
357
357
360
366
397
425
425
433
433
445
454
462
468
468
488
499
523
523
525
533
533
546
557
564
567
577
590
613
623
630
648
648
652
663
663
669
679
688
697
XII spezielles Inhaltsverzeichnis von Band VII.
Seite
Dritte Abbteilung.
Anhang".
A, Fachwisseiiscliaftliclie Litteratur 710
1. Mediziner 711
2. Mathematiker und Astronomen .......... 718
B. Christliche Schriftsteller 726
1 . Die Schriften der altchristlichen Kirche . . . . . . . . 726
2. Die Kirchenväter 733
3. Christliche Theosophen 743
4. Kirchenhistoriker 751
5. Christliche Dichtungen ........... 754
Register 757
Verzeichnis der Abbildungen ........... 770
Einleitung.
Begriff und Gliederung der Literaturgeschichte.
1. Mit litterahira übersetzten die Lateiner wortgetreu das griechische
YQccij.u(XTixrj 1) und verstanden darunter im allgemeinen Kenntnis der litterae
oder YQdfifxaTa. Ward dabei litterae in dem ursprünglichen Sinne ge-
nommen, so bezeichnete litteratura die niedere Stufe der Grammatik oder
die Kenntnis der Buchstaben beim Lesen und Schreiben. Mit dieser niederen
Grammatik, welche im Altertum die Aufgabe des yQafxfxaziaTrjg (nicht
yQaiiaaxinoq) bildete, haben wir es hier nicht zu thun. Wir gebrauchen
Litteratur in dem höheren Sinn von Inbegriff alles dessen, was in Schrift
niedergeschrieben ist, im Gegensatz zu dem, was in Marmor oder Farbe
seinen Ausdruck gefunden oder in den staatlichen Einrichtungen und im
Leben des Volkes sich verkörpert hat. Alle Schriften in griechischer
Sprache gehören daher zur griechischen Litteratur; eine eingehendere Be-
trachtung aber fordern naturgemäss nur diejenigen, welche dem Kreise
der allgemeinen Bildung angehören und bei welchen auf die Form oder
den kunstvollen Ausdruck der Gedanken ein besonderer Nachdruck gelegt
ist. Eine Litteraturgeschichte soll aber zugleich, wie der zweite Teil des
Namens anzeigt, einen geschichtlichen Charakter haben; sie darf sich daher
nicht mit einer blossen Aufzählung der litterarischen Denkmale eines Volkes
begnügen, sie muss zugleich die Entwicklung nachweisen, welche bei einem
Volk die geistigen Ideen und speziell die Kunst, geistige Ideen in der
Sprache niederzulegen, im Laufe der Zeiten genommen haben.
Damit sind die Hauptlinien der Aufgabe, die uns in diesem Buche
gestellt ist, bezeichnet; an diese reihen sich noch mehrere andere Punkte
an: Kunst ist von Künstler, nohi^a von noirjrrjg unzertrennbar, und so
werden wir von selbst dazu geführt, neben den Schriften auch den Ver-
fassern derselben und ihrem Leben unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Die erhaltenen Schriftwerke stehen natürlich im Vordergrund der Betrach-
tung, aber da uns verhältnismässig nur weniges erhalten ist und die er-
haltenen Schriften nur einzelne Glieder in der grossen Kette der Entwick-
^) Quint. II, 1. 4: grammatice, quam in latinum transferentes Utteraiuram vocaverunt.
Handbucli der klass. Altertumswissenschaft, VII. 2. Auf], 1
Griechische Litteraturgeschichte. Einleitung.
lung bilden, so dürfen auch die Fragmente und diejenigen Autoren, von
denen uns nur durch andere Kenntnis zugekommen ist, nicht ausser acht
gelassen werden. Die einzelnen Autoren und Werke haben selbst wieder
ihre Geschichte und auch diese erheischt Berücksichtigung. Der Leser
will erfahren, welchen Einfluss die grossen Autoren auf die nachfolgenden
Generationen geübt haben und durch welche Kanäle ihre Schriften auf
uns gekommen sind. Die Scholien und Handschriften verlangen also ihren
Platz in einer Litteraturgeschichte des Altertums, und wenn ich denselben
in beschränktem Masse auch bibliographische Angaben über Hauptausgaben
und wichtige Erläuterungsschriften beigefügt habe, so fürchte ich damit
vielen des Guten eher zu wenig als zu viel gethan zu haben.
2. Die Darstellung der Litteraturgeschichte kann sich entweder rein
an dem Faden der zeitlichen Folge abspinnen (synchronistische Methode)
oder von den verschiedenen Gattungen der Litteratur (si'drj twv av/yga^i-
liarmv) ausgehen und nur innerhalb dieser die zeitliche Folge berücksich-
tigen (eidologische Methode). 0 Welche von diesen beiden Methoden den
Vorzug verdiene, lässt sich nicht im allgemeinen festsetzen ; das richtet
sich vielmehr nach dem jeweiligen Charakter der darzustellenden Litteratur.
Ehe wir jedoch diese Frage bezüglich der griechischen Litteratur zur Ent-
scheidung bringen, wollen wir zuerst die Grundlinien beider Methoden an
und für sich betrachten.
3. Die Gattungen der Litteratur. Die obersten Gattungen der
Litteratur sind Poesie {7Toirj(^ig) und Prosa (^oyog, zd xazaXoydSrjv ysyqaix-
lisva)^) Äusserlich sind dieselben so unterschieden, dass die Werke der
Poesie durch das Versmass gebunden sind [oratio vlncta), die der Prosa
einer solchen Fessel entbehren [oratio soluta), somit frei, ohne Rückkehr
zum gleichen Gefüge vorwärts schreiten [prosa i. e. proversa oratio).^) Aber
Versmass und Vortragsweise sind nur äussere Unterscheidungszeichen ; der
Unterschied geht tiefer und berührt das innere Wesen der beiden Litteratur-
gattungen: die Poesie wendet sich an die Phantasie oder die sinnliche Vor-
stellungskraft, die Prosa an den Verstand und das abstrakte Denkvermögen.^)
In der Poesie spielen daher die äusseren, in die Sinne fallenden Elemente der
Darstellung, die Wortverbindung und der Rhythmus, eine grössere Rolle
als in der Prosa. Da nun die Litteraturgeschichte nicht den Inhalt an
sich, sondern den in kunstvolle Form gegossenen Inhalt betrachtet, so steht
ihr die Poesie im Vordergrund des Interesses und widmet sie denjenigen
') BöcKH, Enzyklopädie d. Philol. 615 ff.,
wo auch eine Gliederung der Litteratur nach
si'ff] gegeben ist.
-) In der römischen Zeit heisst Prosa
auch neCo? 'Köyog = oratio j^edestris, worüber
Strabon p. 18 : y.cu tat 6 (fe ro nsCoy lex^rj^ca
TOV UVSV ZOV fXtTQOV '/Myov SfXCfiULl^Ei xov (cnd
vxpovg Tivcg ytcactßdvra y.al 6/i]fuaTog €ig
roi!(h((fog. Als Gegensatz mochte den Gram-
matikern der Wagen des I'armenides im
Eingang seines philosophischen Gedichtes
vorgeschwebt haben. Danach sang auch
Pindar I. 2, 1 ol fxtv näXai, tu Qqugv^ovXe,
(fwxsg, oV ^Qvaa^nvxo)v ig ^icpQov Moiaäv
eßaivop xXvT(c cpoQ^iyyi avvavr6fj.evaL.
3) Donat. ad. Terent. Eun. II, 3. 14:
prorsum est iiorro versiim . . . hinc et prorsa
oratio, quam non inflexit cantilena.
^) Oft angeführt wird dafür die Weise,
womit Homer B 123 die Grösse des Heeres
bezeichnet. Interessant und einer näheren
Untersuchung wert ist die Umgestaltung der
Sprache infolge des stärkeren Hervortretens
der Prosa, namentlich die Vermehrung der
Abstrakta auf oig, la, avvi].
Begriff und Gliederung der Litteraturgeschichte. (§ 2—5.)
Werken in Prosa, die ihre Bedeutung lediglich im Inhalt haben, wie den Schriften
über Mathematik, Mechanik etc., nur eine untergeordnete Aufmerksamkeit.
4. Die Poesie pflegt man in Epos, Lyrik, Drama einzuteilen, und
diese Einteilung werden auch wir unserer Darstellung zu grund legen,
müssen aber gleich hier bemerken, dass die Terminologie nicht ganz auf
die Arten der griechischen Poesie passt und dass die griechischen Gelehrten
eine teilweise abweichende Einteilung aufgestellt haben. Dieselben unter-
schieden nämlich, ausgehend von einer Stelle Platon's,^) zunächst zwischen
dem yivog p^iiir^Tixör oder SQaixarixöv und dem ytvog SirjyijfxaTixo^' oder
ccTTayYs^Tixov, und fügten denselben dann noch ein vermittelndes ytvog
xoivöv oder fiixTov hinzu.-) Zu dem letzteren stellten sie Ilias und Odyssee,
weil in diesen bald der Dichter erzählt, bald Agamemnon, Achill oder ein
anderer in direkter Rede spricht, während ihnen die Erga des Hesiod, in
denen nie eine Person redend eingeführt wird, das reine ye'vog dirjyrjinaTixov
repräsentierten. Aber gerade diese Beispiele stellen die Mangelhaftigkeit
der antiken Theorie in grelles Licht und empfehlen die heutzutag übliche
Gliederung. In ihr hat das Epos seinen Namen von dem Gegensatz der
gesprochenen (sTirj) und gesungenen Gedichte [aai^iara) und von dem für das
Epos bei den Griechen typisch gewordenen Versmass, dem daktylischen
Hexameter, der bei den Metrikern den Namen enog hatte. ^) Der Name
Lyrik, d. i. „das von der Lyra begleitete Lied", ist insofern nicht ganz
bezeichnend, als er nur auf einen Teil der lyrischen Poesie, die eigentlichen
^ishj, passt, während wir unter derselben auch die iambische und elegische
Poesie begreifen.
Den drei Arten der Poesie stehen in der Prosa gegenüber Ge-
schichtschreibung, Rhetorik, Philosophie. Von diesen entspricht in mehr-
facher Beziehung die Geschichte dem Epos: beiden eignet die erzäh-
lende Form der Darstellung, und beide sind von den loniern in Kleinasien
ausgegangen. Insbesondere schliessen sich die Städtegründungen (xiiasig)
der Logographen aufs engste an das genealogische Epos des Eumelos und
Asios an. Auch das Drama und sein Gegenstück, die Redekunst, sind in
derselben Stadt, in Athen, zur Blüte gelangt, und die Verteidigungs- und
Anklagereden haben in dem Wortstreit und den langen Gegenreden {Qrjasig)
des Dramas ihr Analogon. Weniger fallen die Berührungspunkte der Lyrik
und Philosophie ins Auge. Doch kann auch hier geltend gemacht werden,
dass beide in gleicher Weise bei allen Stämmen Griechenlands vertreten
sind und beide von der Aussenwelt den Blick in das Innere lenken.
5. Die Perioden der griech. Litteratur. Die chronologische
Darstellung muss sich von selbst, will sie übersichtlich werden und sich
^) Plato de rep. III p, 3941): rrjg non]-
a6(jSg IE xal fxvd^o'koyiag iq fxei^ did ^i^tjGEiog
oh] eoTiv . . TQCicyitxfia rt x(d xm/uio6U(, rj
ö's ÖC dnayysXiag avrov tov noirjiov ' evQOig
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cT' av cTfc' dfxcpoTEQCoy tv is rfi tmp iTHJHv noirj-
G€t noTiXa^ov cFc xcd dXXo&i.
'^) Procl, ad Hes. p. 4 G. ; Procl. Chrest.
p. 230 W.; Proleg. ad Theoer. VI M., Sehol.
ad Hom. A IG, Z 46, Eur. Phocn. 1225; Sue-
ton de poetis 3; Probus ad Verg. Bucol. 7,
12 K. Vgl. Reiffeescheid, Suetoni rell. p. 4.
Sehr mangelhaft ist die Einteilung in Arist.
Poet. 1.
^) Plat. rep. III p. 386 c und Arist. me:
taph. N 6. Mitgewirkt haben bei Feststel-
lung der Terminologie die homerischen Wen-
dungen 87isa msQoei^TCi TiQoajjvda, ^sih/loiat
sTieoai u. ä.
Griechische Litteraturgeschichte. Einleitung.
nicht mit einer kunstlosen Aneinanderreihung begnügen, nach grossen Wende-
punkten umsehen. Einen solchen Hauptwendepunkt bezeichnet der Unter-
gang der Freiheit und Selbständigkeit der griechischen Staaten durch Ale-
xander d. Gr. Derselbe hat nicht bloss politische Bedeutung, er scheidet
auch die Zeit des fröhlichen, produktiven Schaffens in Kunst und Wissen-
schaft von der Periode mühsamen Sammeins und trockner Gelehrsamkeit.
Innerhalb der ersten Periode bilden wieder die Perserkriege einen Haupt-
markstein, weniger wegen der Besiegung des Nationalfeindes, als weil in-
folge des hervorragenden Anteils der Athener an dem Siege nunmehr Athen
in den Vordergrund des politischen und geistigen Lebens der Nation trat.
Denn während zuvor die einzelnen Stämme, jeder für sich und in seiner
Sprache, an der Entwicklung der Litteratur sich beteiligt hatten, reisst
nun Athen die geistige Führung, ja das Monopol der Bildung an sich.
Das bedeutete aber mehr als einen blossen Ortswechsel: die Litteratur
gewinnt eine universellere Richtung ^) und nimmt das Gepräge des atheni-
schen Volkes an, d. i. den Charakter geistiger Aufklärung, praktischer
Verständigkeit, schwungvollen Freiheitssinnes. In der zweiten Hauptperiode
bezeichnet der völlige Untergang der aus Alexanders Weltmonarchie hervor-
gangen en hellenistischen Reiche einen wichtigen Abschnitt; er fällt zusammen
mit der Schlacht von Aktium (31 v. Chr.) und dem Untergang des Ptole-
mäerreiches. Denn von nun an bilden die Griechen nur dienende Glieder
der grossen römischen Weltherrschaft. Wir lassen diese letzte Periode
bis auf den Regierungsantritt Kaisers Justinian (527) oder bis zur völligen
Aufhebung der altgriechischen, nunmehr heidnisch gescholtenen Philosophen-
schulen reichen. Es Hessen sich innerhalb dieser 4 Perioden, namentlich
innerhalb der letzteren, noch leicht mehrere Unterabteilungen gewinnen,
aber es werden uns für unsere Darstellung jene grossen Scheidungen vor-
erst genügen. 2)
6. Kehren wir nun zur Frage zurück, ob die Darstellung nach Lit-
teraturgattungen, oder die nach der zeitlichen Zusammengehörigkeit für eine
griechische Litteraturgeschichte die angemessenere sei, so springt uns so-
fort ein grosser Unterschied der griechischen Litteratur von der modernen,
und innerhalb der griechischen Litteratur zwischen der Zeit vor und nach
Alexander in die Augen. Unser Schiller und Göthe haben in Prosa und
in Versen geschrieben, haben Lieder, Epen und Dramen gedichtet; eine
Darstellung nach Litteraturgattungen würde daher dieselbe Persönlichkeit
nach den verschiedensten Seiten auseinanderreissen. So etwas ist in der
^) Über die universelle Natur Athens,
das die Kultur loniens und Korinths in sich
aufnahm, gute Gedanken bei Wilamowitz
Hom. Unters. 256 ff. ; über die attische Sprache
s. Isoer. 15, 295; über die Stämme der
Griechen und ihre Stellung im Geistesleben
der Nation überhaupt Beegk, Kl. Sehr. II,
365 ff.
'^] F. A. Wolf und nach ihm Bernhardy
schicken diesen 4 Perioden eine Periode von
den politischen Anfängen der griechischen
Nation bis auf Homer voraus und lassen
ihnen eine 6. Periode „von -Tustinian bis zur
Einnahme von Konstantinopel " nachfolgen.
Die letzte Periode, die byzantinische, wird
in diesem Werke selbständig von meinem
jüngeren Freunde Krumbacher behandelt;
die erste erscheint bei uns als Vorhalle
zum ersten Teil. Eine Zeit, aus der uns
nichts erhalten ist, verdient es kaum eine
eigene Periode der Litteratur zu bilden.
Mehr Unterperioden stellt Bekgk, Gr. Litt
I, 302 ff. auf.
Begriff und Gliederung der Litteraturgeschichte. (§ 6.) 5
griechischen Litteratur nicht zu besorgen, am wenigsten in der klassi-
schen Zeit vor Alexander. Hier zerteilte sich die Kraft eines Mannes
nicht nach verschiedenen Seiten, hier machte die Beschränkung den
Meister. Ferner begegnen wir im Eingang unserer deutschen Litteratur
einem Werk in Prosa, und tritt uns in der römischen Litteratur als erster
Schriftsteller Livius Andronicus, ein Dichter von Tragödien und Komödien
entgegen; das ist eine Verkehrung der natürlichen Ordnung, herbeigeführt
durch die Einwirkung fremder Kultur. Bei den Griechen hat sich die
Litteratur fast ohne jeden fremden Einfluss, lediglich aus sich entwickelt;
es folgten sich daher auch die Litteraturgattungen in naturgemässer Reihe, i)
Zuerst im Jugendalter der Nation, als es noch keine Schrift und keine
Bücher gab, erblühte die heitere, leichtgeschürzte Poesie, die im Kreise
jugendfroher Sinnlichkeit erwuchs und von der lebendigen Stimme des
Volkes getragen, keiner schriftlichen Aufzeichnung bedurfte. Erst gegen
die Zeit der Perserkriege, als die Nation den schönen Traum der Jugend
schon hinter sich hatte und bereits in das denkende Mannesalter einge-
treten war, entwickelten sich die Anfänge der Prosa, die, losgelöst von dem
sinnlichen Reiz des Metrums und der Bildersprache, sich von vornherein
an den Verstand wendete und zu ihrer Fortpflanzung die Fixierung durch
die Schrift erheischte. Und von der Poesie selbst hinwiederum entwickelte
sich zuerst das Epos, wie auch der Mensch in seiner Kindheit zuerst
Märchen und Erzählungen liebt. Es folgten sodann die verschiedenen Arten
der Lyrik, die von der reizvoll entfalteten Aussenwelt in die Tiefe der
inneren Empfindungen und Betrachtungen hinabstieg und zum Ausdruck
mannigfacher Gefühle auch einer kunstvoller verschlungenen Form bedurfte.
Und erst als das Epos und die Lyrik ihren Höhepunkt bereits überstiegen
hatten, folgte das Drama, das jene beiden Elemente in sich aufnahm und
die alten Mythen in einer neuen, dem attischen Geiste mehr entspre-
chenden Form gleichsam wiedergebar. Innerhalb der Prosa ist die Reihen-
folge nicht eine gleich regelmässige; doch bleibt es immerhin bezeichnend,
dass die ersten Denkmäler der Prosa der dem Epos entsprechenden Historie
angehören, und dass die Rhetorik später als die Historie und Philosophie
zur Entfaltung kam. So empfiehlt sich also für die klassische Periode
der griechischen Litteratur unbedingt die Darstellung nach Litteratur-
gattungen, die nach dem Gesagten ungesucht auch die richtige zeitliche
Ordnung im Gefolge hat. Minder günstig stellen sich die Verhältnisse
für die Zeit nach Alexander. Hier ist von jener natürlichen Folge ohnehin
keine Rede mehr, da ja in Alexandria der Kreislauf der Litteratur nicht
wieder von neuem begann. Aber auch die Arten scheiden sich nicht mehr
in gleich scharfen Linien von einander. Apollonios und Kallimachos schreiben
als Gelehrte in Prosa, verzichten aber dabei nicht auf den Ruhm als
Dichter von Elegien und Epen zu glänzen; Plutarch zeigt zwar keine dich-
terische Ader, aber in der Prosa tritt er zugleich als Historiker, Philosoph
und Rhetor auf. Hier werden wir also Modifikationen anbringen und die
^) In dieser Beziehung hat die griechi- 1 der indischen, deren Analogie Avir noch öfter
sehe Litteratur die grösste Ähnlichkeit mit anziehen werden.
6
Griechische Litteraturgeschichte. Einleitung.
Gleichzeitigkeit mehr berücksichtigen müssen. Wie? Das wird sich später
passender erörtern lassen. Ohnehin werden wir nicht dem System zu lieb
uns dem Vorwurfe praktischer Unzweckmässigkeit aussetzen. Wir werden
also z. B. den Xenophon an nur einer Stelle behandeln, wiewohl er
historische und philosophische Schriften geschrieben hat, und werden
die Dichter der neueren Komödie nicht von einander trennen, wiewohl
die Blüte mehrerer derselben, ja der meisten in die Zeit nach Alexanders
Tod fällt.
7. Die litterarhistorischen Studien im Altertum. Die Studien
zur griechischen Litteraturgeschichte reichen bis in das Altertum selbst
zurück.^) Sie waren zunächst biographischer Natur, indem man über die
Abkunft (ye'vog) und das Leben (ßiog) der grossen Dichter und Autoren
Bestimmteres zu ermitteln suchte. Schon aus dem 5. Jahrh. v. Chr. wird
uns eine Schrift des Stesimbrotos über das yt'vog ^OinfjQov genannt und
hören wir von den litterarhistorischen Versuchen des Glaukon von Rhegion
tt^qI tmv ccQ'/^aicöv TioirjTMv xal fiovcrixcov und des Damastes ttsqI rronjTcov
xal ao(fiaT(ov. Lebhafter ward das Interesse für biographische Unter-
suchungen in der Zeit nach Alexander. Auch hier gab, wie auf so vielen
anderen Gebieten Aristoteles die Anregung und ihm zur Seite der geistes-
verwandte Schüler Piatons, Herakleides Pontikos. Die Peripatetiker De-
metrios von Phaleron, Phanias, Praxiphanes, Chamaileon, Satyros traten
in die Fusstapfen ihres grossen Meisters. Aus den Hallen der Philosophen-
schulen verpflanzte sich dann die Neigung für derartige Studien auf die
grammatischen Schulen in Alexandria und Pergamon: Antigonos der
Karystier, die Kallimacheer Hermippos und Istros sind hier die Haupt-
vertreter der biographischen Forschung geworden. Was von diesen Phi-
losophen und Gelehrten über das Leben der hervorragenden Dichter und
Philosophen erforscht oder erfabelt worden war, ging mit Neuem vermehrt
teils in die den Ausgaben der Autoren vorausgeschickten Abrisse nsgl tov
ytrovg xal ßfov, teils in die grossen zusammenfassenden Werke eines Deme-
trios Magnes, Hermippos Berytios, Herennios Philon, Alius Dionysius,
Hesychios Milesios über. Auf uns gekommen sind ausser den zerstreuten
biographischen Notizen der Schollen und den Spezialwerken des Diogenes
und Plutarch über die Philosophen und Redner das grosse Lexikon des
Suidas (10. Jahrh.) 2) und die Chronika des Eusebius.^) Wir würden uns
den Zugang zu unserer eigentlichen Aufgabe übermässig erschweren,
wollten wir gleich hier auf die einzelnen Namen und Schriften so ein-
gehen, wie es eine kritische Beleuchtung der biographischen Studien des
Altertums verlangte. Daher genüge hier die allgemeine Bemerkung, dass
schon von den Peripatetikern und Alexandrinern die wenigen sicheren
Notizen über das Leben grosser Männer mit einer Fülle wunderreicher
Fiktionen und Anekdoten versetzt wurden, und dass die chronologischen
^) KoEPKE, Quid et qua ratione iam
Graeci ad litterarum historiam condendam
elaboraveHnt, Berol. 1845.
^) Die litterarhistorischen Artikel des
Suidas ausgezogen und bearbeitet von Flach,
Hesychii Milesii Onomatologi reih, Lips.
1882.
^) Eusebii Chronica ed. Schöne, Berol.
1875. Dazu aus älterer Zeit (Ol. 129) Chro-
nicon Parium (parische Marmorchronik),
neubearbeitet von Flach, Tüb. 1884.
Begriff und Gliederung der Litteraturgeschichte. (§ 7—8.) 7
Angaben aus der älteren Zeit meist auf fingierten Stammtafeln und syn-
chronistischen Kombinationen beruhen, so dass viele der auf ein bestimmtes
Jahr lautenden Angaben sich, auf ihre Quelle zurückgeführt, in eine vage
Allgemeinheit verflüchtigen.^)
Zu den biographischen Forschungen gesellten sich in der alexandri-
nischen Periode repertorienmässige Aufzeichnungen {dvayQayjai) der Schriften
der Autoren. Schon bald nach Gründung der Bibliothek in Alexandrien
verfasste der gelehrte Bibliothekar Kallimachos Verzeichnisse [TJivccxsg) der
Autoren und ihrer Schriften mit genauen Angaben des Titels und der
Zeilenzahl der einzelnen Bücher. Später wurden ähnliche Kataloge auch
von der Bibliothek in Pergamon angelegt und veröffentlicht. An die Pi-
nakes des Kallimachos schlössen sich dann litterarhistorische Erläuterungen
des Aristophanes von Byzanz und anderer Gelehrten an, welche zur Auf-
stellung von Verzeichnissen der Schriften in den einzelnen Sparten und
im weiteren Verlauf zur Festsetzung eines Kanon mustergiltiger Autoren
führten. Die daher stammenden Charakteristiken der hauptsächlichsten
Autoren sind durch Quintilian Inst. rhet. X auf uns gekommen. Tiefer ins
einzelne gingen die Inhaltsangaben (vTto^sasiq) einzelner Werke, nament-
lich der Tragiker und Komiker, mit deren Abfassung sich vornehmlich
Dikäarch und Aristophanes von Byzanz beschäftigten. 2) Sind uns dieselben
auch nur teilweise und in stark verstümmelter Form erhalten, so bilden
sie doch mit ihren gelehrten Notizen über die Abfassungszeit und die be-
nützten Mythen eine Hauptquelle unserer litterarhistorischen Kenntnisse.
Endlich verdanken wir noch mannigfache Belehrung über Werke der grie-
chischen Litteratur, die uns nicht vollständig erhalten sind, den Exzerpten,
welche gegen Ende des Altertums und im byzantinischen Mittelalter ge-
lehrte Männer veranstalteten. Dahin gehören die Chrestomathie des Pro-
klos, die Anthologie des Stobaios, die Bibliothek des Patriarchen Photios
und die historischen Exzerpte des Kaisers Konstantinos Porphyrogennetos.
8. Die neueren Werke über griech. Litteratur. In der neuen
Zeit nach dem Wiederaufleben des klassischen Altertums hatte man an-
fangs die Hände so vollauf zu thun mit der Herausgabe, Verbesserung,
Übersetzung der griechischen Schriftsteller, dass man zu einer systemati-
schen Darstellung der griechischen Litteraturgeschichte wenig Zeit fand.
Das oft aufgelegte Büchlein von Gyraldus, De historia poetarum tarn
yraecoruni quam laUnorum dialogus (1545) ging nicht viel über eine Zu-
sammenstellung der biographischen Überlieferungen des Altertums hinaus.
Von selbständigerer Bedeutung waren die Einzeluntersuchungen von G. J.
Voss, De Mstoricis graecis (1624)^) und von Ruhnken, Historia critica ora-
^) Die richtige Schätzung der alten Nach-
richten in unserer Zeit besonders klargestellt
und zur Berichtigung der herkömmlichen
Nachrichten verwertet von Erw. Rohde in
verschiedenen, später anzuführenden Auf-
sätzen des Rhein. Mus. ; schon zuvor wurden
die Angaben der Alten auf ihren richtigen
Wert zurückgeführt von Lehrs, Wahrheit und
Dichtung in der griechischen Litteraturge-
schichte, in Pop. Aufs. 2. Aufl. Leipz. 1875.
'■^) ScHNEiDEWiN, De hypotkesibus trag,
graec. Aristophani Byz. vindicandis, in Ab-
hdl. d. Gott. Ges. VI, 3—37; vgl. Wilamo-
wiTZ, Eur. Herakl. I, 145 f.
^) Neubearbeitet von Westermann, Lips.
1838, wornach wir eitleren.
8 Griechische Litteratnrgeschichte. Einleitung.
iorum graecorum (1768). i) Den Versuch, das weitschichtige Material zur
griechischen Litteratnrgeschichte mit Einschluss der Kirchenväter und By-
zantiner zu einem grossen Sammelwerk zu vereinigen, machte im vorigen
Jahrhundert Fabricius in seiner Bibliotheca graeca,^) Wertvolle Beiträge
lieferten um dieselbe Zeit die Zweibrücker Ausgaben [BiponUnae), indem
in denselben den Texten der Autoren die Nachrichten {tesümonia) über
die betreffenden Werke und eingehende Lebensbeschreibungen (vitae) voraus-
geschickt wurden. Die methodische Behandlung der Litteratnrgeschichte
datiert von Fr. A. Wolf, der hier wie in anderen Disziplinen der Philo-
logie die bloss stoffliche Anhäufung verschmähend, auf systematische An-
ordnung und organische Entwicklung drang. Seine in Halle gehaltenen
Vorlesungen über die Geschichte der griechischen Litteratur wurden erst
nach seinem Tod von Güetler (1831) herausgegeben. Auf seinen Schultern
steht Bernhardy, der in seinem leider unvollendet gebliebenen Grundriss
der griechischen Litteratur mit reicher Gelehrsamkeit die Fächer ausfüllte,
zu denen Wolf die Lineamente gezogen hatte. Unvollendet blieben auch
die Werke der beiden Männer, welche neben Bernhardy sich das meiste
Verdienst um unsere Wissenschaft erworben haben und jenen an lebens-
voller Frische der Auffassung weit übertreffen, Ottfr. Müller und Th.
Bergk. Mehr aber noch zur Förderung der Sache trugen die Untersuchungen
über einzelne Zweige der griechischen Litteratur bei. Allen voran leuchten
in dieser Richtung drei Männer, Fr. Jakobs, der im 13. Bande seiner Aus-
gabe der griechischen Anthologie und in den Nachträgen zu Sulzers Theorie
der schönen Wissenschaften den Weg gelehrter und geschmackvoller Behand-
lung litterarhistorischer Fragen wies, Aug. Meineke, dessen unvergleich-
liche Sorgfalt in der Sammlung und Ordnung der Fragmente, namentlich der
Komiker, die Lücken der erhaltenen Litteratur glücklich überbrückte, und
Gottl. Welcker, der vornehmlich durch seine Werke über den epischen
Cyclus und die griechischen Tragödien neue Bahnen unserer Wissen-
schaft brach.
Fabricii, Bibliotheca graeca sive notitia veterum scriptorum graecorum Hamburg
1705-28, 14 Bde. 4., ed. IV von Harless, Hamb. 1790—1810, 12 Bde. 4. — Bernhardt,
Grundriss der griech. Litt., 1. Teil Innere Gesch., 2. Teil in 2 Abteil. Gesch. der griech.
Litt, (nur die Poesie enthaltend), Halle I^ 1876, IP 1880. — 0. Müller, Gesch. d. griech.
Litt, bis auf das Zeitalter Alexanders, Breslau 1841, 2 Bände, neubearbeitet von Heitz mit
Fortsetzung, 4. Aufl. 1882—4; in England wurde das Werk fortgeführt bis auf die Ein-
nahme Konstantinopels durch die Türken von Donaldson, Lond. 1858, 2 Bde. — Fb. Scholl,
Histoire de la litterature grecque, Paris 1813, deutsch bearbeitet von Schwarze und Pinder,
Berlin 1828 — 30, 3 Bde. — Bergk, Griech. Litteraturgesch., 1. Band vom Verf. selbst be-
sorgt, Berlin 1872, die 3 folgenden Bände aus den Papieren Bergk's herausgegeben von
Hinbichs und Peppmüller 1883—7, umfasst nur Epos, Lyrik, Drama bis Euripides, Anfänge
der Prosa. — Nicolai, Geschichte der griechischen Litteratur, neue Bearbeitung, Magde-
burg 1873, 3 Bände mit Einschluss der byzantinischen Litt., Auszug in 1 Bd. 1883. —
SiTTL, Geschichte der griechischen Litt, bis auf Alexander d. Gr., München 1884 — 7, 3 Bde.
- Mure, History of lang, and litt, of ancient Greece, London 1850 — 7, 2, Aufl. 1854 — 60
5 vol. nur bis Alexander ohne Drama und Redner. — Mahaffy, History of classical
greek literature, London 1880, 2 vol. — E. Burnouf, Histoire de la litt, grecque, II ed.
1885, 2 vol. — Croiset Alfr. et Maur., Histoire de la litt, grecque, Paris im Erscheinen.
Kompendien: Passow, Grundzüge d. griech. u. röm. Litteraturgesch. u. Kunstgesch.,
^) Erschienen als Einleitung zur Ausgabe
des lateinischen Rhetors Rutilius Lupus, auf-
genommen in Ruhnkenii Opusc. I, 310—92.
2) Fabricii Bihl. graeca seu notitia
scriptorum graecorum, Hamburg 1705 — 28.
Begriff und Gliederung der Litteraturgeschichte. (§8.) 9
2. Aufl., Breslau 1829, — Munk, Gesch. d. griech. Litt, mit vielen Auszügen in Über-
setzung, 3. Aufl. besorgt von Volkmann, Berlin 1880, 2 Bde. — Bergk, Griech. Litt.,
Abriss in Ersch u. Gruber's Enzykl. 1863. — Kopp, Gesch. der gr. Litt, (für Gymnasiasten),
4. Aufl. besorgt von Hubert, Berlin 1886. — Mähly, Gesch. der antiken Litteratur, Leipz.
1880, 2 Bde., für weitere Kreise der Gebildeten bestimmt. — Bender, Gesch. d. griech.
Litt. 1886, in der bei Friedrich in Leipzig erscheinenden Gesch. d. Weltlitteratur, ohne
gelehrtes Beiwerk.
Hilfsmittel: Westermann, BiograpJii graeci seil vitarum scriptores graec. min.,
Brunsv. 1845. — Clinton, Fasti hellenici cwiles et Utterarias Graecorum res ah ol. 45 ad
01. 124 explicantes, ex altera anglici exemplaris edit. conversi a Kruegero, Lips. 1830. —
Engelmann, Bibliotheca scriptorum classicorum, 8. Aufl., Leipzig 1880, die in Deutschland
seit 1700 erschienenen Bücher und Abhandlungen umfassend. — Hoffmann, Lexicon hihlio-
grapliicum, Lips. 1832, 3 vol. umfasst auch die ältere und die ausserhalb Deutschlands
erschienene Litteratur. — Hübner, Bibliographie der Gesch. u. Enzykl. d. klass. Phil.,
2, Aufl. Berl. 1889. — Bibliotheca philol. classica, in Jahrb f. Phil, und seit 1877 als
Anhang zu Bursian-Müller, Jahresber. der Fortschritte der klass. Altertumswissenschaft;
die Jahresberichte selbst bilden ein Haupthilfsmittel für unsere Aufgabe, citiert habe ich
nach Jahrgängen. — Pauly, Realenzykiopädie der klass, Altertumswissensch., Stuttg.
1839 — 52, 6 Bde.; 1. Bd. neubearbeitet unter der Redaktion von Teufpel.
Ein Quellenbuch zur griech. Litteraturgeschichte, das ausser den in den Scholien
erhaltenen ßtoL iindv^od^saeig die litterarischen Artikel des Suidas, Eusebiusund der parischen
Chronik, ferner die Kanones der Alexandriner und die litterarischen Inschriften enthalte,
gehört noch zu den frommen Wünschen der Philologen und Litteraturfreunde.
Erste Abteilung.
Klassische Periode der griechischen Litteratur.
I. Poesie.
A. Epos.
1. Vorstufe der griechischen Poesie.
9. Die griechische Sprache. Jeder Tempel erhebt sich auf der
Grundlage eines Fundamentes. Auch der Tempel der Litteratur hat
ein solches, Jahrhunderte vor seinem Aufbau gelegtes Fundament, das ist
die Sprache. Wir müssen daher auch in der griechischen Litteraturgeschichte
zuerst der griechischen Sprache oder der Form, in der die Dichter und Schrift-
steller des Hellenenvolkes ihre Ideen niederlegten, unsereBetrachtung zuwenden.
Altarische Elemente. Es gilt heutzutag als eine allgemein an-
erkannte Wahrheit, dass die Griechen mit Unrecht sich Kinder ihres Lan-
des (avTÖx^ovsg) nannten, dass sie vielmehr als Zweig des arischen Stam-
mes in grauer Vorzeit aus Asien durch die nördliche Hämushalbinsel in
ihre späteren Sitze eingewandert waren und aus ihrer alten Heimat eine
reich ausgebildete Sprache und eine vielgegliederte, aus der Vergöttlichung
der Naturkräfte entwickelte Religion mitgebracht hatten. Und da nun jede
Poesie in der Sprache ihr sinnliches Organ und in dem religiösen Volks-
glauben ihre kräftigste Wurzel hat, so werden wir auch die Anfänge der
griechischen Poesie auf jenen arischen Stamm zurückzuführen berechtigt
sein. Das ist aber nicht so zu nehmen, als ob die Griechen aus Asien
vollständige Gesänge oder auch nur ganze Verse mitgebracht hätten. Wenig-
stens fehlen uns zu einer solchen Annahme jedwede Belege. Wohl aber be-
gegnen uns in der ältesten Poesie der Griechen poetische Worte und Wort-
verbindungen, die in den ältesten Liedern der Inder, den Veden, wieder-
kehren und die wir deshalb als ein altes, gemeinsames Erbe beider Völker
betrachten dürfen. Dahin rechnen wir in erster Linie eine Reihe von Götter-
namen, wie Zfv näxsQ =: skt. djaus pitar = lat. Jupjriter, Jicovtj = lat.
Diana aus ursprünglichem diväna = die Leuchtende, OvQavog = skt. Va-
runas, der Umfasser, ^Hmg = skt. ums =■ lat. Aurora, die Brennende oder
Leuchtende, I^iqioc; = skt. sürjas (aus svarjas), der glänzende Stern, KQÖrog
A. Epos. 1. Vorstufe der griechischen Poesie. (§ 9.)
11
= skt. hränas --= ital. Cerus, der Vollbringer, Xagirsg = skt. harifas,
die strahlenden Sonnenrosse, ^) nQOfjir]&€vg == skt. pramanthajus, der feuer-
bereitende Reiber, vielleicht auch ^sog, = skt. devas = lat. deus, der
Leuchtende. In den gleichen Bereich religiöser Anschauungen gehören die
hochpoetischen Wörter ap^ßQociia == skt. amrtam, Speise der Unsterblich-
keit, nörvia = skt. patni, Herrin, ayiog = skt. jagjas, der zu verehrende,
sQsßog = skt. ragas = got. riquis, Finsternis, Stog = lat. dius = skt.
divjas, himmlisch, xvQiog u. xoiqavog = skt. güras, stark, Held. Dazu
kommen dann Wörter, welche von der Anrufung der Götter zur Verkün-
digung des Ruhmes der Helden hinüberführen. In diesem Sinne sind
namentlich mehrere Bildungen der sonst auf griechischem Boden fast ganz
abgestorbenen Wurzel Jim „hören" zu fassen, wie xXvd^i = skt. grudhi,
xXvTog = skt. grutäs = lat. inclutus^ xlepog = skt. gravas,^) xXtog acfd^itov
= gravas alcsitam. Andere den Griechen selbst nicht mehr recht ver-
ständliche Wörter Homers erhalten Licht aus Namen und Wortverbindungen
der verwandten Sprachen: zum homerischen SoTvJQsg säwv stellt sich das
vedische dataras vasünäm „Geber von Schätzen", das Beiwort TQiroyeveia
enthält als erstes Element den Gott Tritas der Inder und Thraetaonö der
alten Baktrer, Mxsavcg ist nach Ad. Kuhn's geistvoller Deutung (K. Z. IX
240) ursprünglich der die Erde gleich einer Schlange umgebende Strom.
Endlich weisen auch einige direkt die Poesie berührende Wörter auf alta-
rischen Ursprung hin: nachdem es geglückt ist, für das lat. Carmen und
Casmena das Urbild im vedischen gasman „Anruf, Lob" zu finden, wird es
auch nicht zu gewagt sein, den Sängernamen 'OQ(fsvg mit den Ribhus, den
göttlichen Künstlern der Veden, zu identifizieren, vfjivog zu vedisch suninam
„freudevolle Götteranrufung" zu stellen, 3), und fidvTig, sowie das verwandte
Molaa (aus montja) mit skt. mantram „Spruch" in Verbindung zu bringen.*)
Aus derFremde hat die Sprache der Griechen nur ausserordentlich
wenig aufgenommen; haben sich die Hellenen schon in der Entwicklung
ihrer Kultur rasch von den Einflüssen der älteren Kulturvölker Asiens und
Ägyptens emanzipiert, so haben sie noch mehr darauf gesehen, ihre schöne
Sprache von dem Misslaut fremder, barbarischer Wörter rein zu erhalten,^)
M Diese von Max Müller herrührende
Gleichstellung kann als vollkommen gesichert
gelten, nur muss man dabei beachten, dass
haritas nicht zunächst Sonnenrosse, sondern
Glänzende bezeichnet; die Bedeutung „Dank"
von /agig und gratia ist natürlich eine ab-
geleitete und somit spätere.
^) Zum Heldengesang führt hinüber der
Ausdruck ciei^e &\<Qa xXsa dv^Qwv [1 189),
vgl. ^ 73 u. Hes. Theog. 99.
^) Von den einheimischen Gelehrten
wird das vedische sumnam (wahrscheinlich
aus sumanam) als Wort für Glück erklärt;
Benfey im Glossar zum Sama-Veda gibt ihm
die Bedeutung Hymnus, Roth im Peters-
burger Wörterbuch die von Andacht, Gebet.
FicK, Wörterb. der indogerm, Sprachen I ^
230 gibt die Zusammenstellung von skt.
sumnam u. griech. t\uvoq. aber mit dem Zu-
satz „zweifelhaft".
■*) Vielleicht hängt auch vedisch Stomas
(Loblied) und stötä (Lobsänger) mit dem
homerischen arsvrca zusammen, so dass sich
die Proportion ergibt: griech. axoficc : skt.
Stomas = lat, vox : gr, enog (Epos). Wahr-
scheinlich ist auch x6f]g (altgr. xoff]g) und
x9voax6og mit skt. kai:is (Seher, weiser Sänger)
verwandt. Zweifelhafter ist es, ob man das
griechische oder richtiger gesagt, äolische
fj,vd^og mit skt. mantlias, in Verbindung
bringen darf, da wohl die Form stimmt,
aber das vedische manthas noch die ur-
sprüngliche Bedeutung „Umrühren" hat; s.
CuRTius, Gr. Et. ^ 335 flf.
'') Der ßaQßaQiOfxög oder der anstössige
Laut lallender Barbaren, im Gegensatz zu
tXh]viofx6g, galt in der Sprachlehre der Grie-
chen als Fehler, vor dem zu allen Zeiten die
Grammatiker eindringend warnten.
12
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Was sie von den Karern und Lykiern entlehnten, lässt sich bei der mangel-
haften Kenntnis, die wir von der Sprache jener Völker haben, nicht mehr
festsetzen; über einige Götternamen, wie Ayjiw^ Avfia^ ^AttoXXmv, wird die
Entlehnung kaum viel hinausgegangen sein. Mehr entnahmen sie der Sprache
jenes Volkes, das ihnen vorzugsweise die Kultur Innerasiens vermittelte,
der der seefahrenden Phönikier. Nicht bloss die Eigennamen MeXixe'Qrrjg,
^dßog, Maga^wv stammen aus Phönikien, auch die Appellativnamen ag-
Qaßo'}}', ßvßAioi', öi-Xroc, xädog, iiccxaiQa^ /LisyaQOV, o^övr], yiTMv^ ^^«Z/^^? l^vä^
TTaXXaxLQ, xivvqa waren zugleich mit der Sache durch die Phönikier den
Griechen übermittelt worden.^) Aber auch diese fremden Sprachelemente
mussten es sich ebenso wie die aus der Fremde überkommenen Kunstfor-
men gefallen lassen, mit griechischem Stempel versehen und nach der
Analogie vaterländischer Wörter umgemodelt zu werden. Bedeutsamer
war die Entlehnung der Schrift von den Phönikiern. Die Griechen waren
sich des fremden Ursprungs dieses wichtigsten litterarischen Hilfsmittels
wohl bewusst, indem sie die Buchstaben geradezu ^oivixrjia yQccfiißaTa
nannten. Aber diese Anleihe aus der Fremde geht nicht der ersten Regung
des poetischen Geistes der Griechen voraus; die Griechen hatten bereits
herrliche Denkmale der erzählenden Dichtung, ehe sie zur Verbreitung der-
selben von der Schrift Gebrauch machten.
10. Dialekte des Griechischen. Jener Zw^eig des arischen Volks-
stammes, der sich später den gemeinsamen Namen Hellenen gab, 2) setzte
sich, in verschiedene Stämme geteilt, viele Jahrhunderte vor dem troischen
Kriege in seinen europäischen Sitzen fest. Hauptstammesunterschiede, die
zwar gewiss infolge der lokalen Trennung im Laufe der Zeit stärker her-
vortraten, aber doch schon bei der ersten Niederlassung in Europa vor-
handen waren, bildeten die Achäer, Aoler, Dorier, lonier. In verschiedenen
Verstössen nach Süden und Westen verbreiteten sich dieselben von Thes-
salien und Mittelgriechenland aus über ganz Hellas, von der älteren Be-
völkerung die fremden Bestandteile aufsaugend, die verwandten sich an-
gliedernd. So gingen die älteren Bewohner des Landes, die Pelasger, Karer
und Leleger,^) von denen sich ausser einer neuerdings aufgefundenen
Inschrift noch Erinnerungen in alten Berg- und Ortsnamen erhielten,
fast spurlos in der neuen Bevölkerung der Hellenen auf.*) Von diesen
^) A. Müller, Semitische Lehnwörter
des Griech., in Bezzenbergers Beitr. I, 273 ff.
Über die aus der Fremde kommenden Tiere
und Pflanzen, wie xcmv, ikecpag Qodoy, y.dp-
vaßig EQeßiPx^og, oipog, s. ViCT. Hehn, Kultur-
pflanzen u. Hausthiere in ihrem Übergang
aus Asien nach Griechenland und Italien,
3. Aufl., Berl. 1877.
2) JIuviX'krivEg kommt zuerst im SchifF-
katalog B 530 und bei Hesiod Op. 528 vor.
Über die spätere Ausdehnung des Namens
"^'FJ/Ätjyeg, der anfangs nur einem kleinen
Stamm Thessaliens zukam, ist die Haupt-
stelle Thuk. I, 3, wozu Homerscholien bei
Lehrs, Aristarch p. 233 kommen. Vgl. Wila-
MowiTz,, Hellas vor der Völkerwanderung,
in Euripides Herakles I, 258 fi".
^) Strab. p. 661 : ol Kägeg vno Mipb)
irdtrovTo, rore Aaksyeg xaXovfxei'Oi, xcd rag
vTjöovg (oxovy ' eix^ rjneiQMxai yspojusvoi noX-
Xiji^ rrjg naQaXiag xal rijg jusdoyaiag xarea/oi^,
xovg TTQOxars/opTag dcpsXöfXSvoi' xal ovtoi
6^iqaav ol nXsLovg Asleyeg xal JleXccayoi,
ndXiv (fe rovxovg dcpslXoyxo fXEQog ol 'EXlrjveg,
"Iiopsg xs xal JojQieTg. Vgl. Strab. p. 221 u.
321 f.
■*) Das in unserer Zeit hinzugekommene
inschriftliche Denkmal wurde auf der ehe-
dem von Pelasgern (s. Strab. p. 221) be-
wohnten Insel Lemnos gefunden und ge-
hört, nach dem Schriftcharakter zu schlies-
sen, dem 7. Jahrh. an. Die Sprache der
Inschjift ist nicht griechisch und zeigt oö'en-
bare Verwandtschaft mit der Sprache der
A. Epos. 1. Vorstufe der griechischen Poesie. (§ 10.)
13
gelangte der Stamm der Dorier, welcher zuletzt die Wanderung nach
Süden antrat, in den dauernden Besitz des grössten Teils der Pelops-
insel. Die früher südwärts vorgedrungenen Stämme der Achäer und
lonier mussten, so weit sie sich nicht den neuen Herren unterwarfen,
teils neue Wohnsitze auf den Inseln und in Kleinasien aufsuchen, teils
sich zu den alten Sitzen ihrer Stammesgenossen zurückziehen. Denn
die lonier und Achäer waren nicht insgesamt nach dem Peloponnes aus-
gewandert, vielmehr war ein grosser Teil derselben in den früher von
ihnen okkupierten Ländern Mittel- und Nordgriechenlands zurückgeblieben, i)
Die Sonderung des Volkes der Hellenen in verschiedene Stämme ist
am deutlichsten in den Dialekten ihrer Sprache ausgeprägt. Die alten
Grammatiker unterschieden, indem sie wesentlich nur die litterarischen
Denkmale in Betracht zogen, 4 Dialekte, den äolischen, dorischen, ionischen,
attischen. Die neueren Forscher sind, indem sie von den sprachlichen,
am deutlichsten in den Inschriften ausgeprägten Unterschieden ausgingen,
zu wesentlich anderer Einteilung gekommen. 2) Danach sind zunächst zwei
Gruppen zu unterscheiden,-^) das Ionische und das Nichtionische. ^) Von
dem Ionischen zweigte sich infolge lokaler Trennung das Attische als eine
besondere Mundart ab.^) In der nichtionischen Gruppe reichen die Unter-
schiede des Dorischen (in Lakonien, Argos, Kreta) und Äolischen (in Nord-
thessalien, Böotien, Lesbos) in die älteste Zeit hinauf ß); dieselben haben zugleich
im Laufe der Zeit hohe Bedeutung für das litterarische Leben Griechen-
lands gewonnen. Ausserdem aber lassen uns die Inschriften innerhalb der
Etrurier, welche ja gleichfalls für Pelasger
galten; s. Pauli, Eine vorgriechische In-
schrift von Lemnos, 1886; Deecke, Die tyr-
rhenischen Inschriften von Lemnos, Rh. M.
41, 460 ff. Nach Pauli war das Pelasgische
eine nichtarische Sprache, ebenso wie die ver-
wandte Sprache der Karer und der älteren
Bewohner Vorderkleinasiens überhaupt ; arisch
oder iranisch hingegen war die Sprache der
Phrygier, schwankender sind die Urteile be=
züglich des Lykischen.
^) In Mittelgriechenland war Attika seit
alters von loniern, die mit Pelasgern zusam-
mensassen, bewohnt, ebenso ein Teil der
Insel Euböa. Auch die Graoi im Asoposthal
sind als lonier durch eine Inschrift aus dem
Amphiaraosheiligtum von Oropos erwiesen
(s. Wilamowitz Herm. 21, 98). Für das Ge-
biet um lolkos in Thessalien ist eine ältere,
voräolische Bevölkerung bezeugt durch Pin-
dar N. IV, 54 naUov de nuQ noöl Icagelay
Icio'ky.ov Tiol£y.la /sql ngoarganaji' nrjXevg
iaQ8(f(ox€y Jlfioi^eooi. Ob das aber laoner
waren, wie E. Cuetius, Die lonier vor der
ion. Wanderung, An. 33 annimmt, oder Pe-
lasger, die in Thessalien wie in Attika den
jugendkräftigeren Stämmen der Hellenen
weichen mussten, steht dahin.
'^) Aheeks, JDe graecae linguae dialec-
tis, Gott. 1839 — 43; vollständig neubearbeitet
von Meister, Die griech. Dialekte, noch un-
vollendet; Gu. Meyer, Griech. Gramm. ^ p.
XIX ff. ; CoLLiTZ, Die Verwandtschaft der
griech. Dialekte, Gott. 1885. — Dialektische
Inschriftensammlungen von Cauer, Dialectus
inscriptionum graecarum propter dialectum
memorahüium, ed. II, Lips. 1883; Collitz,
Sammlung der griech. Dialektinschriften,
Gott., noch unvollendet.
^) Schon im Altertum hat Strabon p. 333
die 4 Dialekte auf 2 reduziert, indem er die
Atthis zur las, und die Doris zur Aiolis
stellte.
^) Hauptunterschiede sind, dass das Io-
nische massenhaft altes ü in t] verwandelte,
das Digamma frühzeitig, sicher schon im 7.
Jahrh. aufgab, zum Ausdruck des dubitativen
Verhältnisses «V statt xs verwandte.
^) Hauptzeugnis für die Stammesver-
wandtschaft ist Thukyd. II, 15: t« aQ/aio-
z€()f( JiovvGia rfj ö(od'exdrrj noieLzai ep fxrjvl
^Jvx^EöTr]Qiu}vi, woneQ xcd ol an' 'A&rjva'ioip
'Iwrsg eti xmI rvp vofil^ovGiv.
^) Hauptunterschiede sind, dass das Äo-
lische durchweg baryton ist und den weichen
Hauch [xpiXwGtg) liebt, den alten Laut des v
[= u) wenigstens teilweise, namentlich im
Böotischen, bewahrte und häufig ein o in f
(ähnlich wie die Lateiner) verwandelte. Dazu
kamen später die Unterschiede der Ersatz-
dehnung und Kontraktion, vermöge derer
äol. Moiaa, dor. Mwaa, ion. Movoa aus altem
Movxiu, äol. Tfa'c, dor.-ion. rüg aus altem
TCivg sich gegenübertraten.
u
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
zweiten Gruppe noch mehrere lokale Schattierungen unterscheiden, insbe-
sondere das Nordwestgriechische (in Südthessalien, Lokris, Phokis, Akar-
nanien, Epirus), das Eleische, das Arkadisch-Kyprische, das Pamphylische. ^)
Die Dialekte spielten in der griechischen Litteratur eine grössere Rolle
wie in irgend einer andern der alten oder neuen Zeit. Die scharfe Son-
derung der hellenischen Stämme und die Eifersucht der einzelnen Staaten
auf ihre Selbständigkeit brachten es mit sich, dass bis über die Zeit des
peloponnesischen Krieges hinaus nicht bloss die Privaten und Behörden
sich in den öffentlichen Urkunden und Inschriften des einheimischen Dia-
lektes bedienten, sondern auch die Dichter und prosaischen Schriftsteller
die Sprache ihres speziellen Stammes redeten. So sind in allen Litteratur-
gattungen die ältesten Denkmale nicht in der gemeingriechischen Sprache,
sondern in irgend einem Dialekte geschrieben. Auch als die Autoren
von der Mundart ihrer Landsleute abzuweichen begannen, gingen sie nicht
gleich zu einer gemeinsamen Sprache über, sondern hielten sich zunächst
an die Sprache und den Dialekt ihres Vorbildes. So entstand in Griechen-
land eine neue Art von Dialekten, die man die litterarischen im Gegensatz
zu den lokalen oder Stammesdialekten zu nennen pflegt. Schon die Sprache
Homers gibt nicht rein die Formen und Wörter eines einzelnen epichori-
schen Dialektes wieder, verdient vielmehr bereits den Namen eines Kunst-
dialektes, des sogenannten epischen Dialektes. Schwer aber ist es bei
ihm und fast noch mehr bei den späteren Dichtern, wie Pindar, zu unter-
scheiden, wie viel sie aus der Mundart ihrer Stammesgenossen, wie viel
aus der Sprache ihres Vorbildes herübergenommen haben. Doch auf diese
Punkte werden wir erst weiter unten bei den einzelnen Autoren näher
einzugehen Veranlassung haben ; hier möge nur noch eine Bemerkung all-
gemeinerer Natur am Platze sein.
Die Grundlage der griechischen Litteratur, die griechische Sprache, hatte
von vornherein aussergewöhnliche Vorzüge : der Wohllaut ihrer Vokale und
die Weichheit ihrer Konsonantenverbindungen machten sie zu einem vorzüglichen
Instrument des musikalischen Vortrags ; der Reichtum ihrer Flexionsformen
führte von selbst zum klaren, die verschiedenen Beziehungen scharf schei-
denden Gedankenausdruck; die Mannigfaltigkeit ihrer Mundarten ermöglichte
eine den Stilarten sich anschmiegende Modifizierung der allgemeinen
Sprachmittel. ^) Kurzum in der griechischen Sprache war den Dichtern
und Rednern von vornherein ein ausgezeichnetes Gefäss für den Ausdruck
ihrer Gedanken und zugleich ein fruchtbarer Samen zur Entwicklung my-
thologischer Ideen und phantasievoller Sagen gegeben.
11. Vorhomerische Poesie. An der Schwelle der griechischen Lit-
teratur stehen zwei Dichtungen unerreichter Grösse und Vollendung, die Ilias
^) Dereleischeüialektiststammverwandt
dem von Nordwestgriechenland, aus welcher
Gegend die Atoler und Epeer in Elis eingewan-
dert waren. Das Arkadische repräsentiert die
Sprache der alten Bew^ohner des Peloponnes,
der Achäer; seine Verwandtschaft mit dem
Kyprischen beruht auf der ältesten Koloni-
sation Kyperns durch peloponnesische Achäer.
Das Pamphylische erinnert durch den Namen
an die dorische Tribus der Uuucpvloi. deren
Grundstock wohl die alten Bewohner der von
den Doriern okkupierten Länder bildeten.
''^) Jacobs, Über einen Vorzug der grie-
chischen Sprache in dem Gebrauche ihrer
Mundarten; Vermischte Schriften III, 375 ff.
A. Epos. 1. Vorstufe der griechischen Poesie. (§ 11 — 12.)
15
und Odyssee des Homer. Der Dichter, der so grosses und vollendetes schuf, der
mit solcher Leichtigkeit und Meisterschaft die Sprache handhabte, kann nicht
der erste gewesen sein ; er muss, auch wenn er nicht die ganze Ilias und Odys-
see, sondern nur einzelne Gesänge derselben gedichtet hat, eine ganze Reihe
von Vorgängern gehabt haben, durch die erst der sprachliche Stoff geformt
und der Boden geebnet wurde, auf dem sich der stolze Bau der grossen
homerischen Dichtungen erheben "konnte. Zunächst leuchtet ein, dass die
Litteratur nicht mit grossartig angelegten, in behaglicher Breite sich er-
gehenden Werken begann, dass denselben vielmehr eine Periode kurzer
Erzählungen und kleiner Heldenlieder vorausging. Die homerischen Ge-
dichte tragen noch die deutlichsten Spuren jener älteren Sangesübung an
sich, ja sie haben zweifellos viele jener älteren kleinen Lieder in ihren
neuen Rahmen aufgenommen. Sodann sind dem altionischen Grundton des
homerischen Dialektes viele ältere Formen, wie Genetive auf oio und aon',
Instrumentale auf cpi, Infinitive auf jusvai, beigemischt, die nach Aolien
und zum Teil über das äolische Kleinasien hinaus weisen und in die
homerischen Gedichte nur aus älteren, nichtionischen Dichtungen gekommen
sein können. Ebenso macht es die Form des heroischen Hexameters wahr-
scheinlich, dass er nicht das älteste und ursprüngliche Versmass der Griechen
war, sondern erst aus anderen Formen hervorgegangen ist. Die Zusammen-
fassung von 6 Füssen zu einem Vers ist für einfache Zeiten und volks-
tümliche Lieder zu gross, und die bei Homer vorherrschende Cäsur nach
dem 3. Trochäus in Verbindung mit Resten asynartetischer Zusammenfügung
der beiden Elemente, wie in
aXX' axeovaa xd^r^ao, | sf^io) S'stvittsi^so fjiv^o) (A 565),
vm> ays vrja fieXairav \ psQvaao^xsv slg aXa dlov (A 141)
lässt uns vermuten, dass der Hexameter erst aus der Vereinigung zweier
kleineren, ehedem selbständigen Tripodien entstanden ist, dass also der
epischen Poesie mit ihren langen Zeilen eine andere vorausging, die kür-
zere Verse liebte und sich demnach mehr dem Charakter der lyrischen
Poesie näherte. Der Annahme von dreifüssigen Grundversen ist aber nebst
dem deutschen Nibelungenvers insbesondere die Analogie des lateinischen
Nationalverses günstig, da auch der Saturnius sich in 2 Tripodien zerlegt
und, vom Umfang der Senkungen abgesehen, sich nur dadurch vom grie-
chischen Hexameter unterscheidet, dass in ihm die Glieder mit und ohne
Auftakt in umgekehrter Reihe aufeinander folgen:
nialum dahunt MetelU \ Naevio podac
v-/ JL
Tov d'itiq ovv h'ör^öev \ ^AXt'^avSQoq üeo8idi^g.
12. Zu der an die Form der ältesten Poesie anknüpfenden Erwägung ^)
kommt noch eine andere aus dem Inhalt geschöpfte hinzu. Die homerische
Poesie entstand in Kleinasien, in den vom europäischen Festland aus-
') Bergk, Über das älteste Versmass der
Griechen, Kl. Sehr. II, 392 ff.; üsener, Alt-
griechischer Versbau, Bonn 1887, der über-
dies den Versuch wagt die Tripodien auf
ursprüngliche Tetrapodien zurückzuführen;
Allen, Über den Ursprung des hom. Vers-
masses, in K. Z. XXIV, 550 ff.
16
Griechische Litteraturgeschichie. I. Klassische Periode.
gegangenen Kolonien. 0 Die Verhältnisse des wohlhabenden, mit der reichen
Küstenentwicklung in den Weltverkehr hinausreichenden Landes und die
befruchtende Nachbarschaft der älteren Kulturvölker Phrygiens und Lykiens
mochten hier der aufstrebenden Entwicklung besonders günstig gewesen sein ; 2)
aber soll das Mutterland den Auswanderern nur den kräftigen Arm und
die nautische Geschicklichkeit, nicht auch den Samen höherer Kultur
und mit den religiösen Ideen und Bräuchen nicht auch einen Schatz heiliger
Gesänge und volkstümlicher Lieder mitgegeben haben? Das werden wir
von vornherein nicht leicht bezweifeln wollen; aber wir brauchen uns nicht
mit blossen Wahrscheinlichkeiten zu begnügen; wir haben bestimmte Zeugen
einer aus der europäischen Heimat mitgenommenen Poesie. Die Thaten
der Ilias spielen sich wohl auf asiatischem Boden ab; aber daneben klingt
durch Ilias und Odyssee ein reicher Nachhall von thebanischen, thessalischen,
argivischen Sagen, und diese haben alle einen solchen Zauberklang, dass
man auch für sie nicht die trockene Fortpflanzung durch Erzählungen von
Bauern, sondern die Verklärung durch den Zaubermund der Poesie voraus-
setzen darf. Und wo thronen die Götter, wo singen die Musen zur Phor-
minx des Apoll? auf dem Olymp, ^) dem hochragenden Berge Thessaliens.
Hier, in Thessalien, an den Abhängen des Olympos, im romantischen Thale
des silbersprudelnden Peneios werden wir auch mit Zuversicht die Wurzeln
der griechischen Poesie suchen dürfen. Wir dürfen also nicht mit Homer
die griechische Litteraturgeschichte beginnen, wir müssen weiter hinauf-
steigen zu ihren Anfängen in dem europäischen Festland.
13. Hieratische Anfänge der Poesie. Die ersten Anfänge der
griechischen Poesie erblühten also in dem Mutterland der Hellenen, in
Thessalien. Dieselben gingen aus dem Dienste der Musen hervor und
standen mit dem Stamme der Thraker in Verbindung. Die Musen, anfangs
ohne bestimmte Zahl, später als 3 und 9 gedacht,^) die wie alle Götter
der alten Zeit in quellreichen Hainen verehrt wurden,^) hatten ihre ältesten
Sitze am Olymp in Thessalien und am Helikon in Böotien.^) Vom Olymp,
wo sie an der Quelle Pimpleia und in der Grotte von Leibethron wohnten,
hatten sie den Beinamen Movaai 'Olvp^niäSsg^ und dass hier ihr ältester
^) Die bekannte Hypothese von E. Cur-
tius, dass Kleinasien der ursprüngliche Sitz
der lonier gewesen und später durch Kolo-
nieen nur wieder verstärkt worden sei, lasse
ich als unerweisbar ausser Betracht.
-) Olympos der halbmythische Flöten-
spieler, war ein Phrygier: Haupttonarten der
Griechen waren die phrygische und lydische;
lykische Baumeister bauten die alten Burgen
der Achäer.
^) Allerdings heissen erst im jungen
Schiffkatalog die Musen ^OXv^xmäöeg Movoai
(B 491), aber auf dem Olymp, im Hause
des Zeus, singen sie schon A 604 und Movocci
^OXvfxnia diu^ucn^ s/ovaat heissen sie schon
A21S,SbOS, JI 112. Dass aber 'oXvfxnog
im echten Homer nicht die verblasste Be-
deutung ^Himmel, Götterwolmung", sondern
die konkrete eines Berges in Thessalien hatte,
bemerkte bereits Aristarch; die Echtheit der
Verse Od. C 42 — 7, in denen eine verwa-
schenere Bedeutung hervortritt, ist zweifel-
haft.
*) Über die Zahl der Musen Hauptstelle
Paus. IX, 29. 2; nach ihr hiessen die 3 alten
Musen MeXsirj, Myij^ut], Uoid^, was auf die
Zeit hinweist, wo Ijei dem Mangel schrift-
licher Aufzeichnung die Gedächtnisübungen
eine Hauptsache waren; die Zahl von 9 Mu-
sen zuerst Od. (o 60.
^) Bekgk, Gr. Litt. I, 320 will geradezu
die Musen mit den Nymphen identifizieren
und ihren Namen auf lydisch /uaiv • ro vdioQ
(Hesych.) zurückführen. Eher Hesse ich es
mir gefallen, zu dem partizipialen fxovaca das
Nomen vvfxcpm in dem Sinne „sinnende
Mädchen" zu ergänzen,
'') Paus. IX, 29; Strab. p. 410 u. 471.
A. Epos. 1. Vorstufe der griechischen Poesie. (§ 13.)
17
Sitz war, zeigt sich auch darin, dass Hesiod, der böotische Sänger, neben
dem neuen Beinamen ^EhxMviädsg noch den alten 'Olvi^iTriäSsg beibehielt, i)
Diener der Musen waren die halbmythischen Thraker, 2) eine unter sich
stammverwandte, halbpriesterliche Genossenschaft, welche den Kult der
Musen und des Dionysos über Thessalien, Phokis, Böotien, Attika ver-
breitete.^) Mit den bekannten, barbarischen Thrakern am Hellespont und
Flusse Axios hat man sie frühzeitig identifiziert.^) Vielleicht hatten sie
mit denselben nur den Namen gemein; möglich aber auch, dass sie wirklich
aus Thrakien stammten und den Kult des Gottes Zagreus oder Dionysos
von den Bergen des Hämus nach Thessalien und Mittelgriechenland trugen. 5)
Namen solcher heiligen Sänger der Vorzeit sind uns viele über-
liefert. Zählen wir sie auf, ohne von vornherein durch kritische Zweifel
uns den Weg zu verlegen! Der gefeierteste derselben war Orpheus.
Als seine Heimat galt Pieria am Olympos ; ^) dort an alten Sitzen orphischer
Verehrung, in Pimpleia, Leibethron, Dion zeigte man sein Grab.'^) Die
Sagen, dass er, ein Sohn der Muse Kalliope, mit seinem Saitenspiel die
Bäume und Felsen nach sich gezogen habe, dass er in die Unterwelt hinab-
gestiegen sei, um seine Gemahlin Eurydike zurückzuholen, dass er als
Sänger an der Argonautenfahrt teilgenommen habe und schliesslich von
ekstatischen Frauen zerrissen worden sei, haben seine Person so in mythi-
sches Dunkel gehüllt, dass Aristoteles nach Cicero de nat. deor. I, 38 seine
Existenz förmlich leugnete, ^) und dass in kritischen Kreisen frühzeitig die
Echtheit der unter seinem Namen umlaufenden Gedichte bestritten wurde. ^)
Wahrscheinlich war Orpheus nur Repräsentant des thrakischen Dionysos-
kultus und rühren die ihm beigelegten Verse von jüngeren Anhängern jenes
^) Vgl. Hes. Op. 1 : Movaai JIiSQirj^ev
aoidfjai xleiovaai, devxe z/t' evviners.
'^) Die Zusammengehörigkeit beider er-
kannt von Strabon a. 0.
-') Thraker in Phokis bei Thuc. II, 29,
im böotischen Anthedon bei Lycophron 754
und Steph. Byz., in Delphi bei Diodor XVI,
24; im übrigen s. 0. Müllee, Orchomenos
379 ff.; BoDE, Hell. Dichtk. I, 99 ff.
*) feo schon Herakleides im Schol. ad
Eur. Ale. 968 und Strabon p. 471. Umge-
kehrt machte auf den Unterschied der bei-
den Thraker aufmerksam Thuc. II, 29, und
stellte Polygnot den Orpheus in helleni-
schem Anzüge dar (Paus. X, 30 6). Die
Späteren folgten der älteren Anschauung
von der Identität der thrakischen Sänger
und des barbarischen Volkes der Thraker;
daher die Sage, dass seine Leier von der
thrakischen Küste nach Antissa auf Lesbos,
der Vaterstadt des Terpander, geschwommen
sei; s. Stob. Flor. 64, 14 und Bode, Hell.
Dicht. I, 143 ff. Aus 11. 1 5 suchte man,
wie Strabon p. 28 lehrt, abzunehmen, dass
Homer Thrakien vom Hellespont bis nach
Thessalien reichen liess.
^) Diese Ansicht neuerdings begründet
von TöPFFER, Attische Genealogie. Berl.
1889 S. 34 ff. Die Wanderung eines ähn-
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2
liehen Kultes ist veranschaulicht im Hymnus
auf den pythischen Apoll 38 ff.
"•) Eur. Bacch. 561 ff.; Apoll. Arg. I,
23 ff.; Paus. IX, 30. 3.
^) Paus. IX, 30; nach Dion liess man
die Gebeine des Orpheus gebracht sein, nach-
dem dort zur Zeit des makedonischen Kö-
nigs Archelaos musische Agone eingerichtet
waren.
^) Vgl. Suidas: ^Ogcpsvg 'O^qvGrjg ino-
noiög ' JiovvCLog Se xoviov ov&e yeyovevca
Xeyst.
^) Piaton als ältester Zeuge führt Prot.
316 d TfAer«? y^cil xQrjGfLKxxfiag, Grat. 402 b
(vgl Legg. IV p. 715d und dazu die Sche-
uen) zwei kosmogonische Verse von Or-
pheus an; s. Lobeck, Aglaoph. 529 ft\ Die
unter Orpheus Namen auf uns gekommenen
Gedichte ^jQyoi'ccviixa, Atx9(,y.d, i\uvoi sind
Fälschungen aus der Zeit n. Chr. Über die
Unechtheit der übrigen Orphika und über
Orpheus selbst brachte Licht Lobeck, Ag-
laoph. (Regim. 1829) lib. II p. 233 ff. Der
Name 'Ogcfsvq stimmt, wie schon Lassen»
Ztschr. für Kunde des Morgenlandes III 487
bemerkt hat, lautlich genau zu vedisch
Ribhus, welche als die göttlichen Künstler
im Veda erscheinen.
Aufl. 2
18
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
im 6. Jahrhundert zum Geheimdienst umgestalteten Kultes her. — Als
Schüler des Orpheus galt Musaios;^) er war von Pierien am Olymp mit
den Thrakern nach Böotien an den Helikon gewandert (Strab. 471) und
hatte in Athen sein Grab gefunden (Paus. I, 25. 7); sein und seines Sohnes
Eumolpos Namen blieben mit dem eleusinischen Geheimdienst der Demeter
verknüpft. Die von den Musen und dem Gesang gebildeten Namen der
beiden Sänger erwecken wenig Vertrauen auf die persönliche Existenz ihrer
Träger. Pausanias I, 22. 7 verwirft alle damals umlaufenden Gedichte des
Musaios mit Ausnahme eines einzigen auf die Demeter für die Lykamiden
gedichteten Hymnus.^') — Der jüngste der thrakischen Dichter war Tha-
myris (oder Thamyras), dessen Blendung durch die Musen, die er zum
Wettgesang herausgefordert hatte, der Dichter des Schiffkataloges (IL B.
595) erwähnt.^) Er wird von dem Scholiasten und Suidas ein Sohn des
Philammon genannt, dem die Tradition für den Tempeldienst in Delphi
eine ähnliche Bedeutung wie dem Musaios für den in Eleusis beilegte.^)
Am ehesten ist noch bei ihm an eine bestimmte Dichterpersönlichkeit zu
denken, mit der man dann jedenfalls über die Zeit des Schiffkataloges oder
über den Schluss des 8. Jahrhunderts hinaufgehen muss.
Nach einer anderen Richtung weist uns Ölen aus Lykien, dem
Pausanias a. 0. die ältesten Hymnen, darunter einen an die Eileithyia zu-
schreibt, und auf den Herodot IV, 35 die alten in Delos gesungenen Hymnen
zurückführt.^) Pausanias X, 5. 7 macht den Ölen zu einem Hyperboreer
und berichtet, dass nach den einen dieser Ölen, nach andern die Prophetin
in Delphi den Hexameter erfunden habe.^) Sehen wir von dem Ursprung
aus dem Lande der Hyperboreer ab, der ohnehin erst nach Aristeas auf-
gebracht sein kann, so erscheint uns Ölen als Vertreter des aus Lykien
stammenden Apollodienstes und auf einer Linie stehend mit den Baumeistern,
w^elche die alten Herrscher von Argos zur Erbauung ihrer Königsburgen
aus Lykien kommen Hessen. Seine Zeit aber kann kaum über die Ein-
führung des Apollokultes in Delos oder das 8. Jahrh. hinaufgerückt werden.'^)
Linos war nachweislich keine individuelle Person, sondern nur Re-
präsentant einer alten Liedweise. Denselben machten zwar der Historiker
^) Suidas: Movacdog fnxdrjirjg 'OQ^piayg,
fjLä%Xov de TJQsaßvTSQog ' rjxficiCs y(<Q xccrd
xdv dsvrsQov KexQona.
2) Aristoteles Polit. VIII, 5 p. 1339'^ 22
führt aus Musaios den Halbvers ßgozoTg rjdta-
Tov deideiv an. Noch im 3. Jahrh. n. Chr.
treffen wir auf einer eleusinischen Inschrift
CTG. 401 einen Hiorophanten og reXerdg
ät'scffji^s y.cd ooyici ndpvv/a ^voraig Evfxok-
nov TTQo/EMv IjueQÖsGGay ona.
3) Die Blendung lässt Homer bei dem
Städtchen Dorion in Elis geschehen; wahr-
scheinlich aber nannte die alte Sage Dotion
in Thessalien, wohin die Verbindung mit
Oichalia weist; s. Steph Byz. u. Jwxiov, und
Kiese, Der hom. Schiffskatalog 22. Verse
des Thamyris erwähnt Piaton, Ion 533 b und
Legg. 829 e.
^) Eusebius setzt den Philammon 1292
V. Chr. ; nach Pausanias X, 7. 2 folgte Phi-
lammon selbst auf Chrysothemis aus Kreta.
Erwähnt ist Philammon zuerst in einem neu-
aufgedeckten Vers des Hesiod: ij (seil, ^i-
Xioylg) xsxEv JvtoXvxop rs 4>LAdfijuoyd ts
xAüToV «ydV/V. Vgl. Schol. ad Od. r 432.
'") Nach Kallimachos hymn. IV, 304
scheint man damals noch in Delos einen
Nomos des Ölen unter Tanzbegleitung ge-
sungen zu haben.
t>) Nach andern galt Orpheus als Er-
finder des Hexameters; s. Lobeck, Aglaoph.
233.
^) Auch von Melanopus in Kyme, den
die Logographen in das Ahnenstemma des
Homer und Hesiod aufnahmen, hatte man
nach Paus. V, 7. 8 Hymnen. Im übrigen
lese man die Hauptstelle für diese alten
hieratischen Dichter aus Heraklides Pontikos
bei Plut. de mus. 3.
A. Epos. 1. Vorstufe der griechischen Poesie. (§ 14.)
19
Charax bei Suidas und der Verfasser des Agon zu einem Ahnen des Orpheus
und somit auch des Homer ;^) aber trotzdem uns auch noch Verse unter
dem Namen des Linos durch Stobaios aufbewahrt sind und man sein Bild in
einer Grotte am Helikon zeigte, 2) kann es doch nicht zweifelhaft sein, dass
es nie einen Dichter Linos gegeben hat, und dass ihn nur die Mythen-
bildner aus dem Verse der Ilias .^570 ifjiSQosv xid^ägi^s Xivov S^ vjid xaXdv
aeids seil, naig herauslasen, indem sie das Wort Xivov in dem Sinne eines
Eigennamen fassten.^) Angeblicher Schüler dieses Linos war Pamphos, der
nach Paus. IX, 27. 2 Hymnen auf den Eros für die Lykamiden in Eleusis
dichtete.
14-. Bei dem heutigen Stand der kritischen Forschung bedarf es nicht
erst langen Nachweises, dass nicht bloss sämtliche Verse, die unter den
Namen jener hieratischen Dichter auf uns gekommen sind, sondern auch
alle diejenigen, welche die Alten kannten, von jüngeren Fälschern her-
rühren. Das Richtige sah bereits der Vater der Geschichte, der sonst so
leichtgläubige, in litterarischen Fragen aber sehr richtig urteilende Herodot,
indem er II, 53 sagt: 01 ttqötsqov rcoirjTal Xsyo^svoi tovtcov t(üv ccvSqmv
{^OfxrjQov xal '^Haioöov) y€V6(f^ai, vcTtsqov s^oiys doxbsiv iyevovroA) Später
hat dann ein sonst nicht näher bekannter Gelehrter Epigenes, der nach
Harpokration u. 'icov vor Kallimachos gelebt haben muss, in einer Schrift
718qI Tr^g dg ^ÖQCfta ava(f8Q0i.itvrjg TToirjaecog^) den Knäuel entwirrt und den
grösseren Teil jener Gedichte dem Schwindler Onomakritos zugeschrieben,
der nach Herodot VII, 6 von dem Musiker Lasos aus Hermione über der
Fälschung von Orakelsprüchen des Musaios ertappt worden war. Es drücken
sich daher auch die guten Autoren, wo sie von Gedichten des Orpheus
und jener alten Sänger sprechen, mit zweifelnder Vorsicht aus, wenn sie
nicht geradezu den Namen des Orpheus durch den des Onomakritos er-
setzen. 0) Aber wenn wir uns auch bezüglich der apokryphen Litteratur
^ j Die Stammtafel gibt Sengebüsch, Diss.
Hom. iirior p. 159.
2j Paus. IX, 29. 6; nach Paus. II, 19. 8
befand sich in Argos sein Grab; bei Suidas
heisst er Xa'kxLÖEvg. Vgl. Flach, Gr. Lyr.
I, 5 ff.
^) Der Vers steht in der jungen Schild-
beschreibung im Abschnitt von der Wein-
lese. Linos als personifizierter Klagegesang er-
scheint schon bei Hesiod fr, 132; s. Carm.
pop. 2. Es war aber die Linosmelodie orien-
talischen Ursprungs und nach Herodot II,
79 (vgl. Paus. IX, 29. 7) über Phönikien,
Kypros, Ägypten verbreitet; s. Brugsch,
Die Adonisklage und das Linoslied, Berlin
1852; 0. Gruppe, Die griech. Kulte und
Mythen I, 543 ff.
■*} Ebenso Joseph, c, Ap. I, 2: olojg
Ticcgd Toi'g "^'EXXrjaiv ov^ev o^oXoyov^evov
€VQLGxexciL rfjg O^rjqov noiijaecog nQsaßv-
TEQOP, Sext. Emp. adv. gramm. I, 20. 3:
«pjjfKtoTKT?; eailp ri 'OfuTJQov noifjoig ' nolrjfxa
yciQ ovdey TxqsoßvTEQov rjxEV sig rjfxäg
rrjg iy.eivov noujasMg, Schol. Dionys. Thrac.
p. 785 Bekk. : ei xal Igtoqovgl riveg noitjrug
TiQoysyePTJaS^at'OfirJQov Movaalov ZB xaVöQcpea
xal Aivov, «AA' b'^w? ov^ev nQsaßvTSQoy rrjg
'ihdöog xal ^O^vGoeiag GcüCsG&ai, noirjfxa . dX'/J
SQSt xig, Tnog ; snEiyQafXfxaza GujCoi^iai ngeG-
ßvTEQa; xal (fafiEP ort rd ^ev xovküi/ iipEv-
Gfxeyovg e/ovgl rovg ^Qovovg, rd ds pecjteqcjp
Tiviov i/övTOjy 6fX(ovv^iag xmp nalaiiov xdg
E-niyqacpdg ej(ovgi. Das war eben die Mei-
nung Aristarchs und der alexandrinischen
Kritiker.
s) Clem. Alex, ström. I, 333 u. V, 571;
vgl Lobeck, Aglaophamos p. 340 f.
6) Aristot. de an. gen. II, 1 p. 734, 19:
iy xoTg xaXovfxspoig 'OgcpEcog etteglv, ebenso
de an. I, 5 p. 410^ 28, und dazu Philopo-
nos : ETTELdij fxrj doxEi "O^cpEcog Eipai xd etit],
tJc: xal avxog ev loTg tieqI cfi'koGocpiag XeyEt '
avxov fXEP ydq elgi xd doy/xaxa, xavra ds
cpf]GLj/ Ovo^dxQixop EV ETTEGL xaxaxETvai. Sext.
Empir. p. 126. 15 und 462, 2 B. sagt schlecht-
weg Ovo^udxQiTog EV xoTg 'OQcpixoTg. Weder
Zweifel noch Zustimmung enthält der Aus-
druck Piatons de rep. II p. 364 e: ßlßXcov
ofiadov TiaQt/ovxai MovGalov xal ÜQcpEujg.
Der Sophist Ilippias scheint nach Clemens
2*
20 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
ganz dem ablehnenden Urteil der alten und neuen Kritiker anschliessen,
so muss doch daran festgehalten werden, dass es vor Homer eine ältere
Periode hieratischer Poesie gegeben hat, deren Andenken in Thessalien,
Böotien und Attika fortlebte und an die jene Fälschungen der seit dem
6. Jahrhundert auftauchenden Sekte der Orphiker anknüpften. Homer und
Hesiod schweigen allerdings, wenn wir von der Stelle des jungen Schiff-
kataloges B 595 und den zweifelhaften Versen des Hesiod fr. 132 absehen,
von jenen älteren Dichtern, aber das darf nicht allzuhoch angeschlagen
werden; die neue Richtung des epischen Heldengesangs stand so hoch über
jenen hieratischen Anfängen und war von ihnen so grundverschieden, dass
ihre Vertreter leicht jene älteren Sänger völlig ignorieren konnten. Aber
auf der anderen Seite gab es, wie wir oben sahen, vor Homer eine mit
dem Musendienst verbundene Poesie am thessalischen Olymp, und erheben
es allgemeine Erwägungen zu einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit,
dass jene ältere Poesie einen hieratischen Charakter trug: auch in Indien
gingen dem Mahabharata die Veden voraus; auch in historischer Zeit noch
war Thessalien Hauptsitz der religiösen Zaubersprüche; der daktylische
Hexameter eignete sich wegen seiner gravitätischen Länge und seines
feierlichen Rhythmus vorzüglich zum heiligen Lied und kitharodischen Nomos, ^)
während derselbe für die erzählende Poesie des Heldenepos zwar nicht un-
passend, aber doch keineswegs ausschliesslich geeignet war; vollends die
Begleitung einfacher Erzählungen mit dem Saitenspiel der Phorminx war
eine fast unbequeme und deshalb früh aufgegebene Erbschaft aus der
älteren Poesie, in der, wie in den Götterhymnen, das lyrische Element vor-
herrschte. Wenn sich endlich die Götter mit ihren Beinamen so ganz un-
gezwungen dem daktylischen Rhythmus fügen, wie fPotßog \47t6XX(ov, Movaa
Xiysia^ (fiXo^xueiÖLg ^A(fQo6hrj, yairjoxog ^Evvoaiyaiog^ Zsv t€ ndreg xai "Ad-r^
vaiTj xal UttöXXcov, und wenn sich gerade unter den heiligen Formeln so
viele Spuren älteren Sprachtums, wie irÖTvia ^'Hqtj, vscpsXrjysQe'Ta Zsvg, STa
^€cco)V, 6oTrJQ€g sdwv, '^EQjiisiag dxdxrjTa, SidxTOQog 'AQy8i(p6vT7jg, xvSi(STrj
TQiToytveia, x^öva ßcoTidvsiQav, rjegocpoiTig 'Eqivvg finden, so dient auch
dieses zur Bestätigung dessen, worauf uns die alte Überlieferung mit
Fingern hinweist. Es bewahrte aber auch in der Folgezeit die griechische
Poesie etwas von jenem heiligen Charakter ihrer Anfänge. Auch Homer
und Hesiod betrachteten sich als Priester der Musen und in dem religiösen
Kult wurzelte wie die chorische Lyrik so die ganze dramatische Poesie.
Insbesondere verschmähten zu aller Zeit gerade die besten der griechischen
Dichter den blossen Sinnenkitzel, sie wollten den Lesern und Hörern nicht
bloss einen vorübergehenden ästhetischen Genuss bereiten (ipvxccyooysiv),
sondern auch sittigend und belehrend auf ihr Volk einwirken.
15. Sagenpoesie. 2) Über jenen beschränkten Kreis von religiösen
Anrufungen und Gesängen traten die Dichter hinaus, als sich im heroischen
Alex ström. VI, 745 die Echtheit der Ge- ; xL^agtaral.
dichte des Orpheus und Musaios nicht be- | ^) G. W. Nitzsch, Sagenpoesie der Grie-
zweifelt zu haben; s. Lobeck a. 0. :336 f. i chen, Braunschweig 1852; Müllenhoff, Deut-
') Orpheus ward mit der Leier darge- sehe Altertumskunde I, 8 — 73, wo indes
stellt; ebenso spielt Thamyris die Kithara, allzusehr die phönizische Sage als Grundlage
und heisst es bei Hesiod fr. 132 «otcTot xal der griechischen betont ist.
A. Epos. 1. Vorstufe der griechischen Poesie. (§ 15 — 16.)
21
Zeitalter ein lebhafter Thatendrang der Nation bemächtigte und die Wan-
derungen der Stämme zu heftigen Kämpfen und mutigen Wagnissen führten.
Die Kämpfe jener ritterlichen Helden, die Ruhmesthaten der Einzelnen, wie
die gemeinsamen Unternehmungen zu Land und zu See boten der Sage
reiche Nahrung. Schon auf dem Festland hatte sich auf solche Weise
ein Hort von Mythen gebildet; er ward wesentlich bereichert, als im 11.
und 10. Jahrb.- vor unserer Zeitrechnung^) infolge des Vordringens thes-
salischer Völkerschaften nach Böotien und der Wanderung der Dorier nach
dem Peloponnes die alten Bewohner der bedrängten Länder nach Klein-
asien auswanderten und dort unter mannigfachen Kämpfen neue Reiche
und Niederlassungen gründeten. Solche Sagen gestalteten sich von selbst
bei einem begabten Volke, das an Saitenspiel und poetische Sprache ge-
wöhnt war, zum Gesang, und der Gesang selbst hinwiederum verklärte die
Sage und gab ihr reichere Gestalt und festere Dauer. Das ganze Volk
zwar dichtete nicht, immer nur ein einzelner gottbegnadeter Sänger schuf
den Heldengesang; aber indem jener einzelne Dichter nur die im ganzen
Volke lebende Sage wiedergab und sich in seinem Singen und Dichten mit
dem Volke selbst eins fühlte, ward sein Gesang zum Volksgesang und trat
seine Person ganz hinter dem volkstümlichen Inhalt seiner Dichtung zurück.
In solchem Sinne reden wir von einem Volksepos und verzichten auf scharfe
Scheidung von Heldensage und heroischem Epos. Bei den Griechen aber
kam so gut wie bei den Germanen, Indern und Spaniern jenes Heldenepos
in der Zeit zur Blüte, wo das Volk aus ruhmloser Vergangenheit unter
Kämpfen und Ruhmesthaten in das Halbdunkel seiner ersten Geschichte
einzutreten und seiner nationalen Stellung sich bewusst zu werden begann.
16. Das heroische Epos ging naturgemäss von der Dichtung kleinerer,
balladenartiger Lieder aus, von denen wir Deutsche in unserem Hilde-
brandslied noch ein hübsches Beispiel haben. Dichter solcher Lieder, die wie
vordem sich als Diener der Musen ausgaben, 2) gab es natürlich viele vor
Homer; ja es hat grosse Wahrscheinlichkeit, dass die Aolier und Achäer
schon aus ihrer europäischen Heimat derartige Heldenlieder mit nach
Asien brachten. Die Namen jener älteren Dichter sind uns unbekannt;
selbst der Phemios und Demodokos der Odyssee können, wenn sie über-
haupt historische Namen sind,^) nach den Gesängen, die sie vortrugen,
nur als Repräsentanten der jüngeren Entwicklung des epischen Gesanges
^) Die alten Chronologen Eratosthenes
und Apollodor setzten die Eroberung Troias
1183, die dorische Wanderung 1104, die
Auswanderung der lonier aus Attika 140
post Tr. oder 1043 v. Chr., was wir einfach
annehmen, wiewohl der Ansatz zu hoch ge-
griffen zu sein scheint. Über den verschie-
denen Ansatz der Troika selbst s. Flach,
Chron. Par. p. X f.
2) Daher riefen sie die Musen im Ein-
gange an; der formelhafte Vers eansTs vvv
fxoi Movatti ^OXv^TTia dcSficr' e/ovaat stammt,
wie das vorionische eonere und die Erwäh-
nung des Olymp zeigt, aus alter, vorhome-
rischer Zeit. Ihr Gesang gilt so als Einge-
bung der Gottheit; vgl. Od. q 518, x 347.
^) Demodokos, derblinde, gottbegeisterte
Sänger {^eiog doiö'og Od. d- 44, p 28) der
Phäaken scheint eine historische Persön-
lichkeit gewesen zu sein, da der Name
nichts fingiertes an sich hat. Misstrauen hin-
gegen erregt der Name des Sängers inlthaka,
Phemios Terpiades, d er, wie eine Abstraktion
\on cft]fj7] „erfreuende Sage" aussieht. Jeden-
falls geht es nicht an, den Phemios zu einem
Ithakesier und zum Verfasser eines 'J/auof
vocTog zu machen, wie z. B. Bode, Hell.
Dichtk. I, 207 that. In der Ilias übt den
Gesang auch einer der Helden, Achill II. I
186 ff.
9")
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
gelten. Aber die Sagenkreise kennen wir durch die Epen, welche aus ihnen
den Stoff nahmen, und durch die Andeutungen, welche Homer über sie
uns aufbewahrt hat. Sie waren geteilt nach den Landschaften, da fast
jede Landschaft ihre Stammeshelden und ihre sagenhafte Geschichte hatte,
so dass man von einem argi vischen, elischen, attischen, ätolischen, thebani-
schen, thessalischen, kephallenischen, kretischen Sagenkreis spricht. Die
Sagen der meisten Landschaften und Städte gingen auf einen Stammes-
gründer zurück, wie die der Athener auf Kekrops, der Thebaner auf Kadmos,
der Argiver auf Danaos, der Peloponnesier auf Pelops, der Kreter auf Minos.
Diese Stammesgründer traten aber allmählich zurück, da ihnen meistens
etwas fremdes, die Herkunft aus Phönikien, Ägypten, Phrygien, anklebte,
und an ihrer Stelle traten in den Vordergrund des allgemeinen Interesses
und der volkstümlichen Erzählung die nationalen Helden und die mächtigen
Stammeskönige der Vorzeit, wie Theseus bei den loniern, Herakles bei
den Doriern, die Atriden und Peliden bei den Achäern, die Labdakiden
bei den Thebanern.^) Gelegenheit, die Helden und Könige verschiedener
Stämme zusammenzuführen, boten die gemeinsamen Unternehmungen. Diese
wurden recht eigentlich der Punkt, an welchem das griechische Epos an-
setzte, das griechische, dem von vornherein ein starker Zug zur nationalen
Gesamtheit eigen war. So wurden Lieblingsgegenstände der Sage und des
Heldengesangs die Kämpfe der Sieben gegen Theben und die Einnahme
der Stadt durch die Epigonen, 2) die Fahrt der Argo vom Hafen lolkos
am pagasäischen Meerbusen nach dem Hellespont und dem fernen Kolchis,^)
der zehnjährige Kampf um Ilios, die Veste des Königs Priamos. Diese
grossen gemeinsamen Sagenkreise nahmen die einzelnen Stammessagen in
ihren Rahmen auf und führten von selbst über den Horizont kleiner Einzel-
lieder hinaus zu grossen Epen oder Liederzyklen. Von ihnen erhielt im
Verlaufe der Zeit der jüngste, erst in Asien infolge der Kolonisation aus-
gebildete, der troianische, die grösste Beliebtheit. Er war nicht bloss der
neueste, "^j er hatte zugleich das meiste Interesse für die Abkömmlinge der
Helden vor Troia, da er die Niederlassung der Griechen in Kleinasien zum
Ausgangspunkt hatte und mit den neuen Ruhmesthaten die Erinnerung an
die alten Geschlechter der europäischen Heimat verband; er trat überdies
früh mit seiner Verbreitung über die ionischen Kolonien aus dem Rahmen
einer äolischen Lokalsage heraus, indem er auch die Helden der Achäer
des Peloponnes, der lonier Attikas und zuletzt selbst den dorischen Herakles-
sohn Tlepolemos an dem Kampfe gegen Troia sich beteiligen Hess.
^) Das Fremde und Einheimische ist
dabei cum grano salis zu verstehen, da auf
der einen Seite Minos durch die Verwandt-
schaft mit skt. Manus, ahd. manisco sich
als altarisch erweist (er gehörte wohl zu den
'Ez£6KQr]Teg im Gegensatz zu den später ein-
gewanderten \4/atoL und JiüQiseg Od. r 175)
und auf der anderen Herakles viele Züge des
phönikischen Melkart angenommen hat.
2) Erwähnt II. J 378, 405 ff.; E 801 ff.;
Z 222 ff'.
^) Od. fi 09 an einer jungen Stelle:
^jQyoj ndoL fis'Xovaa. Die Ausdehnung der
Fahrt bis nach Kolchis stammt natürlich
aus späterer Zeit. Auf die Argonautensage
geht auch die Stelle H 467 — 75 von Euenos,
dem Sohne des Jason und der Hypsipyle,
ferner x 187—9, /u 61—72, k 14—19, welche
Stellen jedoch zum Teil der Interpolation
verdächtig sind.
■*) Was die Neuheit des Gesangs aus-
macht, deutet Homer Od. « 351 an: ujy
yuQ doi^rjv fÄCcXXop enix'keiovG^ dv&QiaTioi,
rj Zig dxovövieaai VEUixäxt] ccf^<pi7i€^7]rat.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 17.)
23
2. Homers Ilias und Odyssee.
17. Ilias. Aus dem troischen Sagenkreis sind die zwei grossen, welt-
berühmten Dichtungen Homers hervorgegangen, die Ilias und Odyssee, von
denen die eine kriegerische Scenen aus den Kämpfen vor Ilios, die andere
friedliche Bilder der Seefahrt und des Lebens an den Fürstenhöfen im An-
schluss an die Heimkehr der Helden enthält. Der Name Ilias der ersten
Dichtung ist nicht ganz passend und stammt gewiss nicht von dem Dichter
selbst her. Die kleine Ilias begann mit' Ihov asiSco xal JaQSavhjv svncoXov,
und sie wird zuerst von jenem Vers den Namen Ilias erhalten haben. Aber
der Ruhm der Helden vor Ilios knüpfte sich an das ältere, grössere und
berühmtere Werk, und so werden die Homeriden das kleine Gedicht 'Ihdg
ßixQa, das grosse des Homer hingegen 'Ihäg schlechthin genannt haben.
In der That erzählt die Ilias nicht den ganzen zehnjährigen Krieg um die
Veste Ilios, sondern nur einen Teil aus dem letzten der 10 Jahre, der sich
um die Entzweiung des Oberkönigs Agamemnon und des tapfersten Recken
der Achäer, des Achill, gruppiert. Mit fxfjviv asiös ^ed Ilrj^rjiädeM 'AxiXrjog
hebt das Proömium der Ilias an, und Mrjvig ^Ay^iXXrjog oder ^Axillriig wäre
wohl auch das Gedicht überschrieben worden, wenn es nicht in seinen
Rahmen Gesänge aufgenommen hätte, welche zwar auch den Zorn des
Achill zur Voraussetzung haben, aber ganz dem Preise anderer Helden
gewidmet sind. Mit glänzender Meisterschaft aber hat der Dichter nicht
den ganzen Krieg zu besingen sich vorgenommen, sondern nur eine Hand-
lung desselben herausgegriffen, i) die sich in wenigen Tagen (51)^) abspinnt
und dem Ganzen einen einheitlichen Mittelpunkt gibt. Diese eine Hand-
lung ist aber dann auch, wie es Aristoteles verlangt, vollständig besungen,
so dass das Ganze Anfang, Mitte und Ende hat. Ohne langweilige Orien-
tierung über den Stand des Krieges und die Kämpfe, die vorausgegangen,
werden wir mitten in die Sache, ^) in den Ausbruch des Streites zwischen
Achill und Agamemnon, hineingeführt. Mit der Beilegung des Zwistes
und dem, was davon untrennbar war, der Rache, die Achill an Hektor,
dem Überwinder seines Freundes Patroklos nimmt, schliesst das alte Ge-
dicht. Die Mitte umfasst die Leiden, welche der verderbliche Hader den
Achäern gebracht hat. Da aber der Nationalstolz einem griechischen Sänger
verbot, auch nur in einer Phase des Krieges die Barbaren stets siegreich
sein zu lassen, so werden der schweren Niederlage der Achäer und dem
Sturm auf das Schiffslager glänzende Siegesthaten des Agamemnon, Dio-
medes, Aias gegenübergestellt, und um die Handlung nicht allzu einfach
verlaufen zu lassen und die Aussöhnung des Achill zugleich aufzuhalten
und zu motivieren, kommt zuerst Patroklos mit den Myrmidonen des Achill
den bedrängten Achäern zu Hilfe und überwindet in der Brust des edlen
') Arist. Poet. 23: Seaneaiog «V cpaveiri
"0^f]Qog Tiagd roi>g cikXovg to3 jLirjds xov no-
ksjLioy xainsQ e/oyra dg/rju y.al reXog ini-
XEiQrjaab noiEiy oXoy ' Xiay yuQ dv fxeya xal
ovx 8vavvomov e^ellsp taeod^ai rj reo fxeyi\)si
y.erQiäl^ov xaxansn'keyfXEvov rfj noixiXia ' vvv
^6 Bv fxsQog dnoXaßcoy ineiao&loig xe/Qt]rai
lokXoig.
^) Zenodot rechnete 1 Tag weniger als
Aristarch, worauf mehrere Schollen gehen,
worüber Lachmakn, Betrachtungen über Ho-
mers Ilias S. 90 ff.; Bergk, Kl. Sehr. II,
409 ff.
^) Trefflich erkannt von Horaz a. p. 148:
in medias res non secus ac notas auditoreni
rapit.
24
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode,
Helden der Schmerz über den Fall des Freundes den Groll über die schmäh-
liche Zurücksetzung. Das sind die Hauptzüge der Handlung, die dem
Geiste des Dichters von Anfang an vorschwebten; denn gewiss nicht ohne
Vorbedacht lässt derselbe den Achill schon im ersten Gesang A 240 drohen:
(yvfxnavTag • t6t£ 6' ov ri Svvrjasai axvvjusvog ttsq
XQccKTfJisTv, €vt' av noXXol v(p' ^'ExroQog avSQO(f6voio
^vfjaXOVTSg TriTCTOXTl.^)
Aber jene Hauptzüge sind nur die Angelpunkte der Handlung; reichere
Ausschmückung und Erweiterung brachte die Ausführung des Planes. Da
sind teils Episoden eingewoben, wie das nächtliche Kriegsbild der Doloneia,
der Tod des Lykierfürsten Sarpedon, der Abschied Hektors von Andro-
mache, die Bethörung des Zeus, der Flusskampf, teils ist für einen weicheren
Ausklang des wilden Kampfgetümmels durch die Leichenspiele des Fatro-
klos und die Lösung Hektors gesorgt, teils endlich ist die Haupthandlung
selbst durch die Einlage einer Gesandtschaft an den hartherzigen Achill
komplizierter gestaltet.^)
Nach der heutigen, von den alexandrinischen Gelehrten herrührenden
Einteilung zerfällt das Ganze in 24 Bücher oder Rhapsodien. Dieser Ein-
teilung liegt ein ganz äusserliches, von der Zahl der Buchstaben herge-
nommenes Motiv zu gründe, wodurch teils ganz Verschiedenartiges, wie
die Volksversammlung und der Scbiffkatalog, in einen Gesang zusammen-
geworfen, teils Zusammengehöriges, wie die Bethörung des Zeus {Jiog
drcccTTj) und ihre Folgen, in zwei Gesänge auseinander gerissen wurde. Dem
Plane des Homer und der Vortragsweise der Rhapsoden führen uns die
alten Namen der Ilias näher, von denen mehrere Älian V. H. 13, 14 er-
halten hat: Tcc '^OfiTjQOV snrj ttqotsqov öirjQTi^bva rjSov ol naXaioi ' oior sXe-
yov Tijv inl vaval fJiccxrjv (M) xal JoXMVsiav riva (Ä) xal ^Agiüxeiav ^Aya-
fisfxvovog [A) xal Nsmv xaxäXoyov [B 484 ff.) xal JJarQOxXsiav [11 P) xal
AvTQa (i3) xal 'Eni IlaTQoxXoi a&Xa (^^ 262 — 897) xal ^Oqxiodv acfdviaiv
(J 1—222). 3)
18. Odyssee. Der Name der Odyssee (O^vaaeia) kommt von Odys-
seus, dem Träger der Handlung her und ist wahrscheinlich durch den
ersten Vers des Proömiums 'Avdga fjioi 8vvstis Movaa ttoXvtqotiov veran-
lasst. Aber eine Odyssee im vollen Sinne ist auch dieses Gedicht nicht.
Manches ist zwar aus dem früheren und späteren Leben des Helden ver-
mittelst der Kunst episodischer Einlage herangezogen, wie seine Verwun-
dung auf der Jagd bei seinem Grossvater Autolykos {t 392 — 466), die List
des hölzernen Pferdes (^ 491—520, S 271 — 289), der Streit um die Waffen
des Achill (X 545 — 567), die Ausspionierung Troias (J 242 — 264), der
friedliche Tod des Helden in hohem Alter (.1 119—137), aber die Haupt-
erzählung dreht sich doch um nur eine Handlung, die Heimkehr des Odys-
^j Die merkwürdige Bezeichnung des
Pafcroklos durch den blossen Gentilnaraen
MsyoiTiadrjg A 307 führe ich nicht an, da
dieselbe wahrscheinlich erst nachträglich
durch Interpolation in den 1. Gesang ge-
kommen ist.
-) Die Gesandtschaft des Buches / machte
wiederum die Einlage eines dritten unglück-
lich verlaufenden Schlachttages, die xo7o?
j««/?y des Buches 0, notwendig.
^) Näheres im 1. Kapitel meiner Prole-
gomena zur Ilias.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 18.)
25
seus.^) Indes so einfach und kurz war an sich diese eine Handlung nicht,
da Odysseus 10 Jahre umhergeirrt war und bei der Heimkehr an den
übermütigen Freiern der Penelope neue Feinde in seinem Hause gefunden
hatte. Aber der Kunst des Dichters gelang es, die Handlung trotzdem auf
die kurze Zeit von 41 Tage zusammenzudrängen, indem er uns gleich im
Eingang, ähnlich wie in der Ilias, in das letzte Jahr der Irrfahrten ver-
setzt und den Odysseus seine früheren Erlebnisse in dem Hause des Alki-
noos nacherzählen lässt. Er erlangte damit zugleich den Vorteil, länger bei
der Schilderung des Königshofes im Lande der Phäaken verweilen zu können
und die lieblichen Scenen von der Königstochter Nausikaa, den Gärten des
Alkinoos, dem blinden Sänger Demodokos, den ritterlichen Spielen am Hofe
des Alkinoos, der Erzählung von Odysseus Abenteuern in sein Gedicht einzu-
legen. Weniger wahrte er die Einheit des Ortes. Denn nicht bloss treffen wir
Odysseus anfangs bei der Kalypso, dann bei den Phäaken, dann bei dem Sau-
hirten Eumaios und schliesslich in seinem eigenen Hause, sondern es gehen
auch bis zur Hälfte des Epos zwei Fahrten nebeneinander her, die des Haupt-
helden und die seines Sohnes Telemachos, indem kurz vor der Rückkehr
des Odysseus Telemachos auf die Spähe nach seinem Vater auszieht und
beide auf ihrer Rückkehr bei dem Sauhirten Eumaios zusammentreffen.
Dies hatte das Gute, dass so der Dichter uns gleich in den ersten Gesängen
über die Zustände im Hause des Odysseus orientieren und über die Ge-
schicke auch der übrigen Führer, namentlich des Nestor, Menelaos, Aga-
memnon, aufklären konnte. Aber durch alles dies wurde die Erzählung
der Odyssee bunter und verflochtener, was nicht ganz ohne Unzukömm-
lichkeiten abging, indem Telemachos zwischen dem 4. und 15. Gesang aus
den Augen verloren wird und weit länger als er wollte und sollte (s. c^ 594
bis 599) bei Menelaos zu verweilen in die Lage kommt. ^) Aber diese Un-
zukömmlichkeiten werden durch die grössere Spannung der Erzählung und
die Überraschung der Erkennungsscenen wieder reichlich aufgewogen,^) zu-
mal der Dichter gerade diese Scenen, wie die von der Fusswaschung des
verkleideten Odysseus durch die alte Amme Eurykleia {t 357 — 504), mit
unvergleichlicher Zartheit zu behandeln verstand >)
Der Held, von dem das ganze Epos den Namen hat, Odysseus, steht
im Gegensatz zu Achill, dem Helden der Ilias: in ihm war die Klugheit
und verschlagene List verkörpert wie in jenem der Heldenmut und die
jugendliche Kühnheit; beide zusammen repräsentierten den Griechen das
Ideal eines hellenischen Mannes. Die Klugheit wiegt auch im Kriege etwas,
und schön hat uns der Dichter der Doloneia an Diomedes und Odysseus
gezeigt, wie kühne Beherztheit und schlaue Klugheit zum Gelingen einer
') Dabei beachte, dass all die aufge-
zählten Odysseusepisoden jüngeren Partien
der Odyssee angehören und zum Teil sicher
erst nachträglich eingelegt sind.
'^) Störender noch ist die Wiederkehr
der Scene des Anfangs der Odyssee im Ein-
gang des 5. Gesangs, aber die Partie e 1 — 27
ist elendes Flickwerk, das in dieser Gestalt
nicht von dem alten Dichter herrührt.
^) Treffend urteilt auch über diesen Punkt
Aristoteles, Poet. 24: ?y fiey'lXiag ccnXovv xal
TTccd^tjTixop. ri de 'Oövaosia nsnXsy^eyoy [dyti-
yytüQLffEig ydg dp oXov) xcd ijd^txrj.
^) Auch die Kunst hat sich dieses herr-
lichen Motives bemächtigt, wie wir noch aus
einem Relief der Sammlung Campana t. 71
sehen.
26
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
kriegerischen Unternehmung zusammenwirken müssen. Aber mehr kommt
doch dieselbe in den Fahrten zur See, in dem Kampf mit den Gewalten
der Natur, in den Schicksalen des privaten Lebens zur Geltung. Es
war daher ein guter Griff des Dichters der Odyssee, dass er den Stoff
zu seinem Epos aus dem Sagenkreis von der Heimkehr der ilischen Helden
nahm und in denselben die wundervollen Mären von den Bewohnern fer-
ner Länder und den Abenteuern kühner Seefahrer verflocht. Er hat so zu
dem Heldengedicht der Ilias eine vortreffliche Ergänzung geschaffen, die
um so mehr Anziehungskraft üben und andächtig lauschende Zuhörer finden
musste, als inzwischen auch die Bestrebungen der Nation sich mehr der
Schiffahrt und den friedlichen Beschäftigungen zuzuwenden begonnen hatten.
Die Einteilung der Odyssee in 24 Bücher, die man jetzt mit den Buch-
staben des kleinen Alphabets zu bezeichnen pflegt, rührt gleichfalls aus
der alexandrinischen Zeit her. Auch hat der gleiche Älian V. H. 13, 14
mehrere ältere Namen einzelner Teile uns erhalten, wie Ta iv Ilvhn (y),
Td SV AaxsSa(}.iovi (J), KaXvipovg avTQOv [e 1 — 281), Td ttsqI ttjv axsSiav
(s 282 — 493), 'äXkivov dnöXoyog (i-^),i) KvxXomsia (S-), Nsxvicc (^), Td Trjg
KiQxj^g (x), NiTTTQa (t), Mvr^aTr^Qcov (povog (/), Td iv dygo) xal rd iv AatQxov
{m 205 — 548). Aber weit mehr als die kleinen Gesänge treten in der
Odyssee die grösseren Abschnitte hervor, wie die Irrfahrten des Odysseus
{i — ii), die Reise des Telemachos (a—ö), die Heimkehr des Odysseus und
der Freiermord (v—ip), so dass innerhalb dieser Gruppen die einzelnen Ge-
sänge sich nicht mehr gleich gut wie in der Ilias zum Einzelvortrag eig-
neten und die selbständigen, breit ausgeführten Episoden fast ganz fehlen. 2)
19. Die Person des Homer, dem die beiden Dichtungen beigelegt
werden, verflüchtigt sich um so mehr, je näher man derselben zu treten
sucht. Wir haben 9 teils längere, teils kürzere Lebensbeschreibungen
Homers; aber diese sind nur späte, zum Teil geradezu erlogene Fabrikate
von Grammatikern, welche örtliche Fabeleien für alte Überlieferungen aus-
gaben oder das, was ursprünglich nur Vermutung und Schlussfolge war,
als feste Thatsache hinstellten. 2) Wir besitzen mehrere Büsten des Homer
' I SP 'Ah/.iyov anoXoyoj kommt ebenso
wie eV roTg NinxQOig schon bei Aristoteles
in der Poetik c. 16 vor. Wie ich in den
Proleg. Uiadis p. 4 nachwies, ist der Aus-
druck verkürzt aus unöXoyog iv ^JXxlpov sc.
(fö/uo) „Erzählung im Hause des Alkinoos"
im Gegensatz zur „Erzählung beim Sauhirten".
'^) Kleinere Episoden innerhalb eines Ge-
sanges finden sich öfter, wie das Liebes-
abenteuer des Ares und der Aphrodite {x^- 266
bis 366), die Handelslist der phönikischen
Seefahrer (0 403 — 484), die Verwundung des
Odysseus auf der Jagd (r 399 — 466).
^) Auf uns gekommen sind 9 Vitae, ab-
gedruckt in Westermann's Biographi gr.
und besprochen von Sengebusch Diss. hom.;
die Vit. 6 ist jetzt vollständiger aus Cod. gr,
6 der Vittorio-Emanuelebibl. mitgeteilt von
SiTTL, Stzb. d. b. Ak. 1888. II, 274 f. Von
diesen reicht keine über die Zeit des Augustus
hinauf. Die erste ist in ionischem Dialekt
geschrieben und trägt den Namen des Hero-
dot, ist aber eine plumpe Fälschung, aus
der Zeit nach Strabon, wie aus dem Ver-
gleich von c. 20 mit Strabon p. 596 hervor-
geht; sie setzt nämlich den Homer in die
nächsten Jahre nach der dorischen Wanderung,
während ihn der echte Herodot II, 53 in der
Mitte des 9. Jahrhunderts leben lässt. Die
Schrift nXovTaQ/ov 718qI rov ßlov xal jTJg
noirjosiog 'O^yjqov ist aus zwei Schriften zu-
sammengesetzt und rührt nicht von Plutarch
her, da die von Gellius II, 8 u. 9; IV, 11
(vgl. Schol. II. 0 625) aus Plutarchs echter
Schrift angeführten Stellen in unserer Schrift
nicht stehen; sie ward von R. Schmidt dem
Porphyrios zugeschrieben. Am wertvollsten
sind die aus Proklos Chrestomathie gezogene
Vita und das Certamen Hesiodi et Homeri,
beide aus Hadrians Zeit.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 19.)
27
aus dem Altertum, i) aber diese sind Idealschöpfungen, hervorgegangen aus
der Vorstellung von einem blinden Sänger, Vielehe Vorstellung selbst wieder
auf der irrigen Voraussetzung, dass der Dichter der Ilias und Odyssee mit
dem Verfasser des Hymnus auf den delischen Apoll identisch sei, beruht.^)
Wir hören von einem Vater unseres Dichters, Maion aus Smyrna, und
einem Geschlecht der Homeriden in Chios; aber der Smyrnäer Maion muss
sich mit dem Flussgott Meles in die Ehre der Vaterschaft teilen,^) und
der sorgfältige Artikel des Harpokration über die Homeriden^) belehrt uns,
dass die Zurückführung jenes Geschlechtes auf den Dichter Homer als
Ahnherrn desselben bestritten und zweifelhaft war. Wir sehen seit Piaton
und Aristarch den Homer als Verfasser der Ilias und Odyssee an, aber in
der Zeit vor Herodot galt Homer vielen als Kollektivname für den Dichter
aller alten Heldengesänge. ^) Wir haben bestimmte Angaben über das
Vaterland und die Lebenszeit des Homer, aber ihr Ansehen wird durch
den Widerspruch der Überlieferung geschwächt und zum grossen Teil auf
die Bedeutung von blossen Kombinationen herabgedrückt: 7 Städte, Kyme,
Smyrna, Chios, Kolophon, Pylos, Argos, Athen, und noch andere mehr
stritten sich um die Ehre, Homers Heimat zu sein ; ^) nicht weniger
gehen die Angaben über die Zeit des Dichters auseinander. Hellanikos
setzte ihn in die Zeit des troischen Krieges (1193 — 1183), Krates zwischen
die Einwanderung der Böotier und den Auszug der Herakliden (1130 — 1103),
Aristarch in die Zeit des ionischen Auszugs (1043), Apollodor 100 Jahre
nach der ionischen Wanderung (943), Ephoros und Sosibios in die Zeit
^) Siehe die beigegebene Tafel. Vergl.
Baumeister, Denk. d. kl. Alt. I, 698.
'^) Hymn. Apoll. Del. 172 sagt vom Dich-
ter des Hymnus rvcpXog dprJQ oiy.sT de XUo
EVI TiainaXoioari. Damit kombinierte man
den blinden Sänger Demodokos in Od. ^ 64
und den geblendeten Kitharisten Thamyiis
in II. B 599. Dagegen gut Proklos p. 232
W. : rvcf^-df de ogol xovtov anecprjvavro, av-
roi fnoc doxovGi xrjp diuvoiav rerv(pX(oad^ai,,
ähnlich Vell. I, 5. wahrscheinlich nach einem
Epigramm.
^) Als MelrjOiyevr'ig wird Homer gedacht
von dem alten samischen Dichter Samios bei
Ath. 125 d. Daneben ist Phemios als Nähr-
vater genannt von Ephoros in Ps. Plutarch
vita Hom. 2.
"*) 'OfirjQldai • yevog ep X/w, ottsq ^Jxovgl-
Xaog iv y , 'EXXdpiy.og ep rfj 'ArXciPzldi and
rov noi7]rov cfrjaip wpofxccGO^ac, 2!eXevxog de
ep ß' neQi ßlcop d/naQTccpeiP cfrjolp KQchrjra
pofxiCopTa rovg ^ sp rcdg hoonouaig 'Ofj.7]Qi-
dctg dnoyöpovg eivai rov noirjxov ' (OPOf^dax^t]-
oap ydg dnö liop ofxrjQCDP, enel al yvpcaxeg
TTore tiop Xio)p ep Jtopvaioig naQacpQOPTJoaaat
eig judj(7]p rj'kd-op roTg dpdqdai xal döpreg
aA}.7]Xoig ofxtjQa pvfxcpiovg xal pvfxcpag enav-
acipio, ix)P rovg dnoyopovg 'OfxrjQidag "keyovaip,
Vgl. Strab. p. 645.
^) Proclus p. 233 W, : yeyqacpe de notrj-
oeig dt'o, 'iXtdda xal ^Odvaaeiccp, rjp Sepcop
xccl ^EXXdrixog drfaiQovprai avroi, ol fieprot,
y dQ)(a?oi xccl rop xvxlop dpcccpegovGip eig
avrop. Vergl. indes über die Kontroverse
unten § 46.
ß) Anth. Plan. 297, wozu Anth. Plan. 295.
296. 298. 299; Gellius III, 11; Epiphan. adv.
haer. I, 326; Tzetzes, Chil. XIII, 621-646.
Nach ihnen erhoben auch los, Kypern, Ithaka,
selbst Phrygien und Ägypten Ansprüche, so
dass Antipater (Anth. Plan. 296, ähnlich
GIG. 6092) witzig von Uranos und der Muse
Kalliope den Homer entsprossen sein liess.
Für Smyrna erklärten sich die meisten der
alten Gewährsmänner, Pindar, Stesimbrotos,
Ephoros, Hellanikos, Charax (siehe Rohde,
Rh. M. 36, 388), für Athen Aristarch, indem
er von der Kolonisation Smyrnas durch At-
tika ausging und diese durch die Attikismen
Homers bestätigt fand (s. Aristides I, 317
Dind.). Chios wird sich auf das Geschlecht
der Homeriden und den Hymn. Ap. Del. 172,
später auch auf den ehrwürdigen Steinsitz
Homers gestützt haben (s. E. Hoffmann,
Homeros und die Homeridensage von Chios
1856). Kolophon berief sich auf den für
homerisch gehaltenen Margites; für Kolophon
war der Kolophonier Nikander in dem Buch
über die Dichter von Kolophon eingetreten.
In los opferte man nach Aristoteles bei Gel-
lius HI, 11 am angeblichen Grab des Homer,
was jedenfalls auf eine Sänger- oder Rhap-
sodenschule in los hinweist.
28
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
des Lykurg (866), Theopomp in die des Einfalls der KimmerierJ) Löst
sich so schon angesichts der Unsicherheit der Überlieferung die Gestalt
des Homer in Nebel auf, so sind neuere Gelehrten noch weiter gegangen,
indem sie sogar dem Namen Homers die Bedeutung eines Individualnamens
absprachen, da mit demselben nicht eine bestimmte historische Person be-
nannt, sondern nur in genereller Weise der Zusammenordner älterer Ge-
sänge oder der Genosse einer Sängerzunft bezeichnet worden sei. 2) Das
letzte ist nun zwar eine entschiedene Verirrung der Zweifelsucht. EvfjioX-
Ttog 'der schön Singende' und Movaatoq 'der Musensohn' sind fingierte
poetische Namen, aber wer hätte den Mann, der eine Ilias und Odyssee
schuf und an dessen Vorbild sich eine ganze Generation von Dichtern bil-
dete, mit einem so niederen Namen wie Ordner oder Zunftsänger zu be-
zeichnen wagen dürfen? Auch sollte sich die Kritik nicht erlauben, dem
göttlichen Sänger Homeros deshalb, weil ihm später allerlei Fabeln anga-
dichtet worden, nun gewissermassen zur Sühne auch noch das Leben ab-
zusprechen. Aber immerhin ist durch die wissenschaftliche Kritik der
Glaube an den historischen Homer stark erschüttert, und wäre namentlich
der nicht so leicht zu widerlegen, der den Namen Homer nicht von dem
Schöpfer des alten Kerns der Ilias, sondern von einem jüngeren, die älteren
Epen zum Abschluss bringenden Dichter getragen sein Hesse.
20. Homerische Frage. ^) Die Zweifel sind bei der Person und
dem Namen des Homer nicht stehen geblieben; die Kritik ist auf die
dem Homer beigelegten Werke selbst übergegangen. Diese Kritik begann
bereits im Altertum in der Zeit des Herodot ; sie sprach zunächst dem Schöpfer
der Ilias und Odyssee die Gedichte des epischen Kyklos ab. Wie man
dabei verfuhr, ersieht man aus Herodot II, 117, wo zum Beweise dafür, dass
die Kyprien nicht von Homer herrühren, auf den Widerspruch zwischen
den Kyprien und der Ilias hingewiesen wird, indem Paris in dem ersteren
Gedicht in 3 Tagen direkt von Sparta nach Ilios heimfuhr, nach der Ilias 22^1
hingegen lange umherirrte und bis nach Sidon verschlagen wurde. Weitergingen
in der alexandrinischen Zeit die sogenannten Chorizonten, Xenon und
Hellanikos, welche dem Homer auch die Odyssee absprachen. Sie befolgten
dabei die gleiche Methode, indem auch sie von den Widersprüchen zwischen
Odyssee und Ilias ausgingen. So betonten sie, dass als Frau des Hephai-
^) Die Zeitangaben verdanken wir ausser
den Vitae zumeist den christlichen Schrift-
stellern Clemens Alex, ström. I, 21 und Ta-
tian ad Graec. 31 (abgedruckt bei Senge-
busch, Hom. diss. I, 14 ff.). Unsere nächste
Aufgabe, die Gründe der verschiedenen An-
gaben zu ermitteln, behandelt Rohde, Studien
zur Chronologie d. gr. Litt, im Rh. M. 36,
380 ff. Vgl. aus älterer Zeit Bernh. Thieksch,
Zeitalter und Vaterland des Homer, Halberst.
1832 ; Lauer, Gesch. d. hom. Poesie, Berl.
1851 S. 69.
2) Die erste Deutung vorgeschlagen und
durch die Analogie des Vyäsa, Sammler des
Mahabharata, gestützt von Holtzmann, die
zweite begründet von G. Curtius, De no-
mine Homeri, Kiel 1855. Die ganze Frage
von neuem einer umsichtigen Kritik unter-
zogen von DÜNTZER, Die homerischen Fragen,
Leipz. 1874 S. 13-33.
^) Zusammenfassende Schriften von W.
Müller, Homerische Vorschule, Leipzig 1836,
jetzt veraltet; Minckwitz, Vorschule Homers,
Leipzig 1863; Bonitz, Über den Ursprung
der hom. Gedichte, ursprünglich ein Vortrag,
5. Aufl. von Neubauer besorgt, 1881; Niese,
Die Entwicklung der hom. Poesie. Berlin
1882; Christ, Homer oder Homeriden, 2.
Aufl., München 1885. Vieles einschlägige in
Düntzer, Hom. Abhandlungen, Leipz. 1872;
WiLAMOWiTZ. Hom. Untersuchungen = Philol.
Unters. 11. Heft.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 20—21.)
29
stos in der Ilias 2 382 Charis, in der Odyssee ^ 267 Aphrodite genannt
ist, dass Nestor in der Ilias yi 692 eilf Brüder, in der Odyssee 2 286 nur
zwei hat, dass die Ilias den Aiolos als Herrscher der Winde noch nicht
kennt und ebenso wenig davon etwas weiss, dass Hebe, die jungfräuliche
Dienerin der Götter, dem dorischen Nationalhelden Herakles angetraut ist. ^)
Aber die Ansicht der Chorizonten drang nicht durch: Aristarch, dem die
Übereinstimmungen der beiden Gedichte im grossen Ganzen, namentlich
gegenüber dem epischen Kyklos und den Neueren {ol vsmtsqoi), mehr be-
deuteten als die paar nebensächlichen, obendrein zum Teil leicht zu be-
seitigenden Unebenheiten, 2) hielt an der Einheit fest, und seine Autorität
behauptete im Altertum die Oberhand, so dass man an Homer als Dichter
der Ilias und Odyssee festhielt und sich höchstens dazu verstand, die Ilias
dem jugendlichen, die Odyssee dem gealterten Homer zuzuschreiben.^)
21. Einen stärkeren Ansturm unternahm F. A. Wolf mit den Pro-
legomena ad Ilomerum 1795, 4) worin der bahnbrechende Gelehrte aus den
Widersprüchen und den Mängeln der Komposition zu erweisen suchte, dass
auch jedes der beiden grossen Epen nicht das Werk eines einzigen Dich-
ters, sondern mehrerer Sänger sei, und dass die Zusammenfügung der alten
Gesänge zu einem einheitlichen Ganzen erst viele Jahrhunderte später von
unbedeutenden Geistern, im wesentlichen von den Redaktoren des Peisistratos
vollzogen worden sei. Die kühne Hypothese stützt sich auf die grossen
Anstände, zu denen die Komposition der Ilias und Odyssee als Ganzes An-
lass gibt, und die um so auffälliger erscheinen, je weniger die Vollendung
der beiden Werke im Einzelnen bestritten werden kann.^) Aufgebaut aber ist
dieselbe weniger auf einer sorgsamen Analyse der beiden Dichtungen, als
auf dem Boden der Zeugnisse des Altertums von der V ereinigung der zuvor
zerstreuten Gesänge durch Peisistratos und auf dem Grunde zweier äusserer
Momente. Denn einmal sei zur Zeit Homers die Schrift noch nicht bekannt
gewesen, sei aber ohne Schrift die Dichtung so umfangreicher Werke nicht
denkbar, und dann habe in jener Zeit zur Abfassung so grosser Epen kein
Anlass bestanden, da damals die Sänger nur kleine Gesänge vorzutragen
pflegten. Der von dem grossen Philologen angeregte Streit, der die Geister
nicht bloss der zünftigen Gelehrten, sondern aller Gebildeten und nicht zum
wenigsten unserer grossen Dichterfürsten Goethe^) und Schiller mächtig
ergriff*, hat im Laufe der Zeit wesentlich zur Klärung der Sache und zum
richtigeren Verständnis des Volksepos beigetragen, hat aber noch nicht
seinen Abschluss in einer allseitigen Verständigung gefunden."^) Einesteils
') Geppert, Ursprung der hom. Ge-
dichte, Berlin 1840, I, 1 — 62, und Cdbist,
Homer oder Homeriden''^ 8-15, besprechen
die Divergenzen im einzelnen.
^) Ein Hauptanstoss A 603 gegenüber
E905 ward durch Athetese von A 565- -627
glücklich gehoben.
^) Ps. Longin. de sublim. 9. Spöttelnd
bemerkt Seneca de hrev. vitae 13: Grae-
corum iste morbus futt quuerere, quem nu-
merum TJlixes remigum habuisset, prior
scripta esset Ilias an Odyssea, praeter ea
an eiusdem esset auctoris.
■*) Ed. III curavit Peppmüller, Halle
1884 mit dem Briefwechsel zwischen Heyne
und Wolf.
^) So erscheint Pylaimenes, nachdem er
E 576 gefallen ist, IS 656 wieder unter den
Lebenden und wird es an dem 3. Schlacht-
tag 2 Mal [A 83 u. J7 777) Mittag; anderes
mehr s. § 23 u. 25.
^) Vgl. M. Beknays. Goethe's Briefe
an Fr, A. Wolf, 1868; Christ, Homer und
Homeriden S. 84.
'') Volkmann, Geschichte und Kritik der
Wolf sehen Prolegomena, Leipzig 1874, wo
30
Griechische Litter aturgeschichte. I. Klassische Periode,
haben die Unitarier, auf deren Seite sich gleich anfangs Schiller und Voss
stellten und deren Sache in gelehrter Ausführung besonders Nitzsch^) ver-
focht, die Hauptvoraussetzung der Wolf 'sehen Hypothese, den Nichtgebrauch
der Schrift, bestritten und den ganzen Gedanken von einem Flickhomer
als barbarisch verschrieen. Anderseits haben sich die Wolfianer nicht dabei
beruhigt, nur im allgemeinen die Existenz des einen Homer zu leugnen,
sind aber, indem sie den von Wolf aufgeworfenen Gedanken zu Faden
schlugen, auf verschiedene Wege gekommen, welche sie teils den Unitariern
näherten, teils zu dem Extrem einer unbestimmten Menge von Homeriden
führten. Am konsequentesten hat die Liedertheorie Wolfs K. Lachmann
verfolgt.-) Er war durch Untersuchung der epischen Poesie unserer Vor-
fahren zur Überzeugung gekommen, dass bei allen Völkern die Zeit des
Volksepos nur einzelne kleinere Lieder hervorgebracht habe, und hat dem-
nach an der Hand innerer Kriterien wie aus dem Nibelungenlied 20, so
aus der Ilias 15 oder 16^) Einzellieder herausgeschält.^) Er wollte damit
nur den alten volkstümlichen Liederschatz wieder gewinnen, aus dem erst
mehrere Jahrhunderte nachher die grossen Epen entstanden seien ; die Frage,
wer und wie viele Sänger jene 16 Lieder gedichtet, Hess er ganz bei Seite.
Erst spätere Anhänger der Lachmann'schen Liedertheorie, wie Benicken,
haben geradezu für jedes der 16 Lieder einen besonderen Dichter in An-
spruch genommen. Nur eine Konsequenz dieser Anschauung war es, dass
andere in Homeros gar nicht mehr den Individualnamen eines gottbe-
gnadeten Dichters, sondern nur den Repräsentanten der Flickarbeit eines
Zusammenordners erblicken wollten. Einen anderen Weg schlug G. Her-
mann in der klassischen Abhandlung de interpolationihus Homeri (1832) ^)
ein. Er ging davon aus, dass sich die Gegensätze einer unleugbaren Ein-
heit des Gesamtplanes und der Widersprüche und Abweichungen im Ein-
zelnen nur erklären Hessen, wenn man eine Urilias und eine Urodyssee
von massigem Umfang in den Anfang setze und diese erst allgemach durch
Zu- und Eindichtungen zu den grossen Epen des Peisistratos anwachsen
lasse. ^) Aber jene Urilias und Urodyssee hat Hermann nicht selbst wieder
herzustellen versucht; er schien sogar zu glauben, dass dieselben später
durch jüngere Überarbeitungen und Erweiterungen vollständig überwuchert
und verschüttet worden seien. Darüber sind die neueren Forscher hinaus-
zugleich über die Vorgeschiclite der Pro-
legomena gehandelt ist, d. i. über die Män-
ner, welche schon vor Wolf ähnliche Ge-
danken ausgesprochen haben, wie Vico
(1686-1744) und Wood, Über das Original-
genie Homers (1769).
') G. W. NiTzscH, Meletemata de histo-
ria Homeri 1830, Sagenpoesie der Griechen
1852, Beiträge zur Geschichte der epischen
Poesie 1862. Einen ähnlichen Standpunkt
vertreten Bäumlein, Comment. de Homero
in Tauchn. Ausg. 1854; Nutzhorn, Ent-
stehungsweise der hom. Gedichte, Leipz. 1869.
^) Lachmann, Betrachtungen über Ho-
mers Ilias (1846) 2. Aufl. mit Zusätzen von
Moritz Haupt, Berlin 1865.
^) Die Diskrepanz entsteht dadurch, dass
Lachmann wohl einmal S. 84 von einem
grossen 16. Liede spricht, thatsächlich aber
nur 15 kleinere Lieder gewinnt und schon
mit dem 17. Buch seine alte Ilias schliesst.
"*) Lachmanns Lehre brachte mit kleinen
Modifikationen zum Ausdruck imTextKöcHLY,
Iliadis carmina XVI, Lips. 1861, wozu die
trefi'lichen Dissertationes de Iliadis carmi-
nibus und de Odysseae carminibus im 1.
Band von Köchly's Opusc. kommen.
•>) Jetzt in Opusc. V, 52—77.
^) p. 15: Homeruvi duo non magni am-
bitus carmina de ira Achillis Ulixisque re-
ditu comj)OSuisse, quae deinceps a multis
cantata paullativique aucta atque eocpolita
Homeri nomen ad posteros tit poetae vetus-
tissimi propagaverint.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 22.)
31
gegangen; sie hielten die Homeriden für zu treue Bewahrer des alten Schatzes
ihres Stammeshauptes, als dass sie denselben irgendwelche Unterschlagung
des kostbaren Vermächtnisses zutrauten ; ^) sie suchten daher nach Mitteln
und Wegen, um die verschiedenen Schichten der homerischen Poesie von
einander zu scheiden. Auf solche Weise ist die homerische Frage allmäh-
lich der Sphäre allgemeiner Erwägungen entrückt worden und hat, wenn
auch bis jetzt noch vieles zweifelhaft geblieben ist und wohl auch in Zu-
kunft bleiben wird,-) doch immerhin eine fassbarere Gestalt angenommen.
22. Die Probleme der homerischen Frage können natürlich nicht
hier in diesem kurzen Abriss gelöst oder auch nur diskutiert werden. Gleich-
wohl werden einige resultierende Schlusssätze am Platze sein. Kein ver-
nünftiger Mensch ist heutzutage noch reiner Unitarier oder reiner Wolfianer.
Die Verfechter des einen Homer und unter ihnen nicht bloss die Königs-
berger, 3) sondern selbst Nitzsch haben nach und nach zugegeben, dass unsere
Ilias und Odyssee viele jüngere, nicht von Homer herrührende Bestandteile
enthalten, und zwar nicht bloss kleine, aus wenigen Versen bestehende Inter-
polationen,'^) sondern auch grössere Erweiterungen-^) und selbst ganze Ge-
sänge, wie den Schluss der Odyssee von tp 297 an, den schon der Gram-
matiker Aristophanes als unecht verwarf, die Doloneia, welche nach einem
alten Scholion erst Peisistratos in die Ilias einlegte, den läppischen aus Reminis-
zenzen zusammengestoppelten Zweikampf des Aeneas und Achill (F 75— 352),
den Schiff katalog (ß 484— 779) und die Ergänzung desselben 77 168 — 199.
Ebensowenig wird es heute noch jemand Wolf oder Lachmann nachreden,
dass Peisistratos erst die Ilias und Odyssee als Ganzes geschaffen habe. Um-
gekehrt hat der grosse Historiker Englands, Grote, der im 2. Bande seiner
Geschichte Griechenlands der homerischen Poesie einen trefflichen Abschnitt
gewidmet hat,^) allgemeinen Beifall mit der Bemerkung gefunden, dass
unmöglich ein Werk mit faktisch bestehender Einheit aus Atomen von
nicht auf einander berechneten Liedern entstanden sein könne. Noch hand-
greiflicher beweist die Sprache, deren Entwicklungsstadien man seit Wolf
viel schärfer zu unterscheiden gelernt hat, dass alle Gesänge Homers in
derselben Sprachperiode entstanden sind und nicht um zwei Jahrhunderte
auseinander liegen können. Über 150 Jahre vor Peisistratos war Ilias und
Odyssee fertig, die Redaktoren Attikas haben zu den alten Gedichten nicht
^) Ich will damit nicht gesagt haben,
dass die alten Lieder, als sie durch jüngere
Dichtungen erweitert wurden, nicht kleinere
Änderungen am Anfang und Schluss erlitten
haben. Aber wie sorgsam man das alte Gut
wahrte, ersieht man namentlich aus * 227 ff.,
i2 723, 77 23 — 29, wo sich, nachdem eine Er-
weiterung aufgenommen war, eine kleine Um-
wandelung des alten Textes empfohlen hätte,
aber aus heiliger Scheu vor der alten Über-
lieferung nicht vorgenommen wurde.
'^) Als Motto für jede Forschung auf
diesem Gebiet passt der schöne Ausspruch des
geistvollen Emperius, Rh. M. T, 447: Homeri
carminum quciUs fuerit antiquissima forma,
quaeritur et quaeretur quousque ])hilologia
erit inter aequales.
^) Das Verdienst, die Einheit des Planes
energisch vertreten zu haben, gebührt dem
Haupte der Königsberger, Lehrs; aber da-
neben nahm doch auch er oft den Namen
Interpolation in den Mund; weiter gingen
auf dem letzteren Weg Friedländer und
besonders Kammer, Einheit der Odyssee,
Leipz. 1873.
^) Verschiedene Arten solcher Interpo-
lationen von mir nachgewiesen in Proleg
§§ 12-18.
") S. meine Proleg. § 19 u. 20.
6) Vergl. Friedländer, Die homerische
Kritik von Wolf bis Grote, Berlin 1853.
32
Oriechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
100 Verse liinzugethan oder weggenommen. So oder noch ungünstiger für die
Wolf 'sehe Theorie lautet jetzt das allgemeine Urteil der Sachverständigen, i)
Es hat ferner der Grundgedanke Lachmanns, dass auch bei den
Griechen der Zeit grosser Epen eine Periode kleiner balladenartiger Hel-
denlieder vorausgegangen sei, und dass sich in den ältesten Bestand-
teilen der Ilias noch viele Anklänge, selbst Reste jener alten Lieder finden,
bei Freunden und Gegnern Lachmanns immer mehr Boden gewonnen. Jeder
wird es Lachmann und seinen Anhängern Dank wissen, dass sie die will-
kürlichen Schranken der späteren Einteilung in 24 Bücher niederrissen und
die alten Lieder, wie sie Homer und die Homeriden in dem Männersaal
und der Festversammlung sangen, wieder zu gewinnen und abzugrenzen
suchten. Das Verständnis der kunstvollen Komposition der alten Gesänge
hat dadurch wesentlich gewonnen, 2) und es ist damit zugleich den ver-
ständigen unter unsern Schulmännern ein bedeutsamer Fingerzeig für die
richtige Auswahl bei der Homerlektüre gegeben worden. Aber an allem,
was darüber hinausgeht, halten heutzutage nur eingefleischte Lachmannia-
ner, und selbst diese nur mit gewissen Einschränkungen fest. Wenn Homer
vom Sänger Demodokos ^ 499 sagt (paTvs S'ccoiSrjv, svd^ev ilcov wg ot ^tv
£vaa&Xfi(i)v im vrjwv ßdvTsg ccttsttXsiov, so hat er damit selbst ein Zeugnis
dafür abgelegt, dass die Praxis des Vortrags einzelner Lieder nicht die
Dichtung mehrerer, zu Gliedern eines grösseren Ganzen bestimmter Gesänge
ausschliesst. Der 3. Gesang der Ilias vom Zweikampf des Paris und Mene-
laos ist zwar sehr hübsch in sich abgerundet und eignet sich vortrefflich
zum Einzelvortrag, aber derselbe kündigt sich doch zugleich als Vorläufer
einer Reihe grösserer Kampfesszenen an, und der 4. Gesang bildet dazu
den natürlichen Schluss (die oqxicov avyyvaig zu den oqMo)^ nicht eine für
sich bestehende Dichtung. Und wollten wir auch das Proömium der Ilias
als nachträglichen Zusatz preisgeben, so ist doch der ganze erste Gesang,
und selbst schon der erste Teil des ersten Gesangs [A 1 —305), so breit
angelegt, dass man ihn nicht als Eingang einer kurzgefassten Erzählung,
sondern als Ankündigung eines grossen, weit ausgesponnenen Epos ansehen
muss. Wenn daher auch noch so sehr Einzellieder, die für sich singbar
waren, der Ilias zu gründe liegen, so muss man doch daran festhalten,
dass jene Einzellieder zu einander vom Dichter selbst in Beziehung gesetzt
und auf ein grosses gemeinsames Ziel gerichtet waren. Also auch über
die Bedeutung des Liedes im alten Epos lässt sich eine Verständigung finden.
Auf der anderen Seite hat die Lehre Hermanns von einem ur-
^) Paley, Homeri quae nunc extant
an reliquis cycli car^ninibus antiquiora iure
liahita sint, London, lässt freilich noch im
J. 1878 die Ilias in der Zeit des Antimachos
und Piaton entstanden sein.
'^) So begreift man bei der Annahme
von Einzelliedern leicht den heitern Abschluss
des Gesangs vom Zweikampf des Paris und
Menelaos durch die ergötzliche Gardinen-
scene zwischen Paris und Helena; so ver-
steht man es auch, wie der Gesang von den
Grossthaten des Agamemnon [A 1 — 595) im
entscheidenden Wendepunkt der Handlung
mit grossartiger Perspektive abbricht und
der folgende Gesang (M) mit Übergehung
der wenig anziehenden Zwischenfälle gleich
mit einem neuen Knotenpunkt der Handlung,
dem Kampf um die Schiffe, anhebt. Die
Zwischenverse und Zwischenscenen sind alle
erst später eingelegt und ich hätte hier in
meiner Ausgabe weiter gehen und z. B.
J 306—317 und X 385-390 nicht mit
grosser Schrift drucken sollen.
A. Epos. Ö. Homers Ilias und Odyssee. (§ 23.) 33
sprünglichen kleineren Kern, der sich allmählich durch Einschaltungen zu
einem grossen Epos entwickelt habe, im Laufe der Diskussion solche Ge-
stalt angenommen, dass sie mit der Liedertheorie leicht in Einklang ge-
bracht werden kann. Alle nämlich, welche den Gedanken Hermanns weiter
verfolgt und aus unserer Ilias den ursprünglichen Kern wieder herauszu-
schälen versucht haben, kamen auf eine ürilias nicht von einigen Hun-
derten, sondern von vielen Tausenden von Versen. Ein so umfangreiches
Gedicht eignete sich aber nicht mehr zum Vortrage auf einmal, sondern
musste notwendig in mehrere Teile oder Lieder zerfallen, so dass wir also
auch auf diesem Wege in den Anfang einen Zyklus von mehreren zusam-
menhängenden Liedern setzen müssen, wie wenn wir den Kern der Ilias,
die Achilleis, aus Mrjvig, ^Agiatsia 'Ayaj.iefivovog, IlaTQoxXsia, ^'Extoqoq avm-
Qsaig, und die erste grosse Einlage, den Kampf um Ilios, aus ^Ayogä, ''Oq-
xia, MevsXäov xccl ^AXs'^dvdQOV i^iovofÄaxicc, TfixoaxoTiia, '^Oqximv avy%vaig^
^ETriTTMXrjaic, JiofjLYjdovg dgiazsia, "ExxoQog xal 'AvSQoaccxrjg ofiiXia, Ai'avTog
xal ^'ExTOQog ^ovofjiaxioc bestehen lassen.
23. Auf solche Weise kann man nicht sagen, dass die homerische
Frage, wie so manche andere, vollständig im Sand verlaufen sei; vielmehr
hat man sich von verschiedenen Seiten die Hände gereicht und ist über
mehrere Hauptpunkte zu einer gegenseitigen Verständigung gekommen.
Aber freilich gehen innerhalb dieser Grenzen, wenn es zur Entscheidung
im einzelnen kommen soll, die Meinungen noch stark auseinander. Es sind
hauptsächlich 3 Punkte, in denen weniger infolge prinzipieller Meinungs-
verschiedenheit als infolge verschiedener Beurteilung des einzelnen Falles
die Stimmen der Forscher sich scheiden. Es handelt sich erstens um solche
Partien, von denen zugegeben wird, dass sie nicht von vornherein in dem
ursprünglichen Liederzyklus standen. Hier fragt es sich, wer hat dieselben
zugedichtet, derselbe Dichter oder ein anderer? Nichts nämlich nötigt uns
zur Annahme, dass Homer die Gesänge der Ilias und Odyssee so nachein-
ander dichtete, wie sie jetzt hintereinander stehen. Jeder moderne Schrift-
steller erlaubt sich, nachdem er den Plan seines Werkes im Geiste ent-
worfen hat, je nach Stimmung und äusserem Anlass bald eine vordere, bald
eine spätere Partie herauszugreifen und zur Ausarbeitung vorzunehmen.
Weit mehr noch wird dieses der Dichter in jener Zeit der Volkspoesie
gethan haben, wo ein grösseres Epos nie als Ganzes zum Vortrag kam,
wo immer nur einzelne Lieder verlangt und gesungen wurden. Wenn nun
z. B. in der Patrokleia JI 366 nur von einem Graben um die Schiffe der
Achäer, nicht auch von einer Mauer die Rede ist, die Gesänge M N S O
aber sich um die Mauer als Mittelpunkt des ganzen Kampfes drehen, so
muss man daraus allerdings schliessen, dass die letztgenannten Gesänge,
auch wenn sie vor der Patrokleia stehen, doch erst nach derselben gedichtet
wurden.^) Aber konnte nicht derselbe Dichter mit der Zeit sein Werk
^) Die Chronologie der homerischen Ge- j gelegt und an den Hauptsätzen auch heute
sänge, wie ich sie für die Ilias in meinen t noch unverbrüchlich festhalte, so nehme ich
Proleg. p. 55—78 und 731- 733 festgestellt 1 doch im einzelnen manches zurück. So ver-
habe, wird den Angelpunkt der weiteren 1 binde ich jetzt J 306 611 mit ß 1 — 52 und
Untersuchungen über die homerische Frage lasse diese Fortsetzung von J 1 — 305 nicht
bilden müssen. Wenn ich dazu den Boden \ unmittelbar nach dem 1. Lied gedichtet
Handbuch der klass. Altertumswis.senschaft VII. 2. Aufl. 3
34 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
selbst erweitern und nachträglich auch eine Mauer in den Plan seiner
Dichtung aufnehmen? Dieselbe Frage wiederholt sich bezüglich der Lykier
Sarpedon und Glaukos, bezüglich der Kämpfe des ersten Schlachttages,
bezüglich der Unterweltsscene in der Odyssee, bezüglich der Telemachie
und vieler anderer Partien. Mit allgemeinen Prinzipien ist aber da nicht
viel anzufangen, sondern es wird die Entscheidung der Frage, ob die be-
treffende Partie vom Originaldichter selbst oder von einem fremden Nach-
dichter herrühre, immer von einer sorgfältigen Untersuchung des einzelnen
Falles abhängen. So füllt z. B. die Episode vom Zusammentreffen des
Diomedes und Glaukos, Z 119 — 236, vortrefflich die Zeit zwischen dem
Weggehen des Hektor (Z 116) und seiner Ankunft am skäischen Thore
(Z 237) aus, und da dieselbe gar nichts enthält, was gegen die Sprache
und den Mythus der alten Partien der Ilias Verstösse, so nehme ich trotz
der zweifelweckenden Bemerkung des Scholiasten A iisTaxtihi-aaC riveg aX-
Xa^öas ramrjv tyjV avaraaiv, unbedenklich an, dass Homer selbst diese
Episode später eingelegt habe, um den Lykierfürsten Glaukos, dem er im
2. Teil seines Epos eine so grosse Rolle zuwies, doch auch einmal in den
Kämpfen des ersten Schlachttages auftreten zu lassen. Die gleiche Ent-
schuldigung kann ich aber für die ähnliche Episode vom Kampfe des Sar-
pedon und Tlepolemos, £^628—698, nicht gelten lassen, und zwar aus drei
Gründen nicht, einmal weil der Gang der Erzählung keine gleich passende
Zwischenzeit lässt, dann weil die dorische Sage von dem Herakliden Tle-
polemos dem ionischen Sänger fremd war, und endlich weil von der in dieser
Episode geschilderten schweren Verwundung des Sarpedon im folgenden
{M 101 ff.) gar keine Notiz genommen ist. Auch bin ich nicht so peinlich,
von kleinen sprachlichen Unebenheiten, die sich durch Erweiterung der alten
Gesänge ergaben, allzu viel Aufhebens zu machen; aber schwerlich würde
der Dichter der Presbeia, wenn er selbst den beiden Abgesandten der
Achäer, Odysseus und Aias, als dritten den greisen Phönix beigegeben hätte,
es unterlassen haben, die Duale ßccTrjv, sixo^xtva^ sctöv (/182. 183. 192. 198)
der alten Erzählung zu tilgen.^)
Ein zweiter Streitpunkt dreht sich um die Widersprüche innerhalb
der beiden grossen Dichtungen. Viele derselben, welche schon die alten
Grammatiker beschäftigten, sind unbestreitbar; aber wie gross ist die Trag-
weite derselben? muss man immer zum Aussersten, zur Annahme ver-
schiedener Verfasser schreiten? Ich bin nicht so leicht geneigt, zu dem
horazischen quandoque honus dormitat Homerus meine Zuflucht zu nehmen;'^)
aber doch glaube ich, dass, wenn Diomedes im 5. Gesang verwegen auf
die Aphrodite eindringt, im 6. dagegen in heiliger Scheu sagt ovo' av syo)
fxaxciQtaai deolo^ iO^tloi^i /näx^c^ca [Z 141), dieses nicht zur Annahme
sein. Ferner gebe icli die Wahrscheinlich-
keit zu, dass U 8 — 312 unmittelbar nach
Z5- Hl und dass M -0 vor 2-243-335,
Tl — 139. 357-424, Y 375-* 227 gedichtet
seien. Auch mag Fick Recht haben, wenn
er, woran ich ja auch selber schon dachte,
Hektors Tod oder den Kern von *526 — X 394
zum Bestände der ältesten Achilleis rechnet,
an dem dann später Homer selbst die nötigen
Umgestaltungen, nicht Flickereien, vornahm.
^) Vergleiche meine Proleg. p, 29 und
Note zu J 168.
2) Gute Gedanken entwickelt bezüglich
der Widersprüche Frey, Zur Poetik Homers,
Bern. Progr. 1881 S. 23 ff.; doch geht er
mir in der Nachsicht zu weit.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 23.)
35
verschiedener Dichter nötigt, sondern an der Verschiedenheit der Situation
und dem Vorkommen in verschiedenen, nicht notwendig hintereinander zu
singenden Gesängen seine ausreichende Entschuldigung hat. Und selbst
wenn in dem 1. Teile des 1. Gesangs die Athene von dem Olymp zum
Lager der Achäer herabsteigt (A 195), im 2. Teile hingegen {Ä 424) mit
allen Olympiern tagszuvor zu den Äthiopiern abgereist ist, so durfte, denke
ich, sich der Dichter auch dieses in der Voraussetzung erlauben, dass seine
andachtsvoll lauschenden Zuhörer den Widerspruch nicht merken, und
wenn sie ihn merkten, keinen Anstoss an demselben nehmen würden. Aber
wenn Pylaimenes, nicht ein gemeiner Soldat, sondern ein König der Paph-
lagonier im 5. Gesang (E 576) im Kampfe mit Menelaos fällt, im 13. hin-
gegen {N 656) die Leiche seines Sohnes begleitet, so erregt dieses schon
schwerer zu beseitigende Zweifel an der Einheit der Verfasser. Doch ist
auch hier noch zuversichtliches Absprechen wenig am Platz, da auch bei
anderen Dichtern ähnliche üngenauigkeiten vorkommen und z. B. selbst
der sorgsame Ariosto im Orlando furioso 18, 45 den Balustrio fallen, 40, 73
aber und 41, 6 wieder unter den Lebenden weilen lässt. i) Aber wenn selbst
auch in diesem Punkte noch das operi longo fas est obrepere somnuni seine
Geltung hat, so darf doch unter keinen Umständen der Widerspruch auf die
leichte Achsel genommen werden, wenn er auf einem Missverständnis der
Situation oder des sprachlichen Ausdrucks beruht. Ein solcher liegt in dem
Gesang von der Mdxrj naganoxäiiiog (cP) vor, wo sich der ältere Dichter
den Achill von der rechten, der Fortsetzer von der linken Seite des Ska-
mander kommend (cP 245) dachte, und noch offenkundiger im Eingang des
12. Gesanges der Odyssee, wo wir plötzlich vom westlichen Meer in das
östliche versetzt werden. 2)
Einen dritten Streitpunkt bildet die Frage nach dem Umfang der
Thätigkeit des Zusammenordners oder Diaskeuasten. Derselbe spielt nament-
lich bei Bergk, aber auch bei Kirchhoff, Fick und Wilamowitz^) eine sehr
grosse Rolle, indem diese Gelehrten von der Voraussetzung ausgehen, dass
die alten Bestandteile der Ilias und Odyssee eine ganz selbständige Stellung
zu einander behaupteten und dass erst in viel jüngerer Zeit ein Diaskeuast
durch Schneiden, Zudichten, Umdichten die uns vorliegende Einheit zu stände
brachte. Einen entgegengesetzten Standpunkt vertritt Bened. Niese, indem
^) Darauf machte mich M. Bernays
aufmerksam. Noch ärger steht die Sache,
wie mich Max Koch lehrte, bei dem Eng-
länder Thakeray, der sich in dem Roman
New comes am Schlüsse selbst entschul-
digt, dass er die Mutter des Bräutigams
Mlled at one x>age and braught to life at
an other.
'^) Zu den Stellen, in denen vom Nach-
dichter ein sprachlicher Ausdruck seines
Vorgängers missverstanden wurde, gehört
vor allem I 234 gegenüber 3/125; ob das
gleiche auch bezüglich 0 196 gegenüber ß 190
Oll ae £0LX6 xay.dv wg tfeidioGEOr^at anzuneh-
men sei, ist eine wichtige aber schwer zu
entscheidende Frage. Die Wiederholung for-
melhafter Ausdrücke führte zu Missverständ-
nissen cc 424 cf»; TOTE xaxy.eiovTsg sßai' oixov^e
exaarog (sc. ^vrjGjijQS? und ähnlich a 428),
da die Freier aus Dulichion, Same, Zakyn-
thos doch nicht zum Schlafen in ihr Haus
gehen konnten; s. Mähly, Bay. Gymn. Bl.
25 (1889), 266.
^) Bergk, Griech. Litt, an zahlreichen
Stellen; Kirchhoff in Ausg. der Odyssee, und
in Abhängigkeit von diesem P^'ick in Ausg.
der Odyssee und Ilias, wo die ganze Auf-
fassung vom Ursprung der homerischen Dich-
tungen in jenem Diaskeuasten ihren Angel-
punkt hat; WiLAMOWiTz, Hom. Unters., be-
sonders S. 228.
36
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
er die Erweiterer und Fortsetzer immer selbst die Verbindung mit den
älteren Gesängen herstellen lässt, so dass für den Zusammenordner weniges
mehr zu thun übrig blieb. Ich neige mich entschieden auf die letztere
Seite,') muss aber doch zugeben, dass der Gedanke Kirchhoffs, der alte
Nostos sei ursprünglich in der 3. Person geschrieben gewesen und erst
später in die 1. umgesetzt worden, 2) etwas bestechendes hat, und dass vor-
erst noch keine Sicherheit darüber erzielt worden ist, ob in der Odyssee
die Gesänge « und 0 von dem Dichter der Telemachie selbst herrühren,
oder ob a 88—444 und 0 1 — 300 erst von einem Diaskeuasten, der die
Telemachie mit der alten Odyssee zu einem Ganzen verband, zum behufe
des besseren Zusammenschlusses zugefügt wurden. •'^)
24. Vorstehende Grundanschauungen haben sich als Resultat aus der
geschäftigen Diskussion der homerischen Frage herausgestellt. Viele For-
scher, wie z. B. Cobet, bleiben bei diesen allgemeinen Sätzen stehen und
halten die Versuche, die ursprünglichen Bestandteile der homerischen Dich-
tungen herauszufinden, für eine Danaidenarbeit, von der sich ein besonnener,
der Grenzen seiner Kunst bewusster Kritiker fernhalten solle. ^) Andere
hingegen gehen von der Überzeugung aus, dass der Prüfstein für die Rich-
tigkeit der allgemeinen Sätze in ihrer Durchführbarkeit im einzelnen zu
suchen sei, und wagen daher eine Zerlegung der Gedichte in ihre Elemente,
eine Rekonstruktion der alten Ilias und Odyssee und eine Scheidung der
verschiedenen, der älteren und jüngeren Zusätze. Ausgeführt ist dieses
Wagnis in der Art, dass auch durch den Druck die verschiedenen Bestand-
teile bemerkbar gemacht sind, von Kirchhoff in seiner Homerischen
Odyssee (2. Aufl. 1879)^) und von mir in der Ausgabe Ilonieri Iliadis
^) Dabei nehme ich aber doch auch ein-
zelne Zusätze von der Hand der späteren Re-
daktoren an. Auch mögen später einzelne Par-
tien versetzt worden sein; so zweifle ich
nicht, dass die Proömien 0 1—27 und a 1
bis 87 in der Hauptsache altes Gut sind,
aber erst von den jüngeren Erweiterern an
ihre heutige Stelle gesetzt wurden.
2) Kirchhoff im 2. Exkurs, hauptsäch-
lich gestützt auf ^ 374 — 390. Ist es aber
nicht denkbar, dass der Dichter unwillkürlich
in den ihm geläufigen Ton des Erzählens in
8. Person hineingeriet und damit auch Dinge
den Odysseus erzählen liess, die zu wissen
nur dem d-tanig uoiö'og zukam? Mähly in
der Rezension der ersten Auflage dieses
Werkes in Bay. Gymn. Bl. 25 (1889), 267 f.
weist dieses höhere Wissen des Dichters
durch weitere Beispiele nach, indem er zu-
gleich die jenes unmittelbare Wissen be-
schränkenden oder dem Nichtgläubigen er-
klärenden Verse /n 389 f. als Interpolation
verdächtigt.
^) Die Entscheidung wird schliesslich
von sprachlichen, metrischen und stilistischen
Erwägungen abhängen, und die scheinen
mir vorerst der Ansicht von Kirchhoff, dem
Jiier Hennings, Über die Telemachie, Jahrb.
für Phil. Suppl. III, 135 ff. vorangegangen
ist, nicht günstig zu sein.
^) CoBET, Miscell. crit. p. 402: quo sae-
pius carmina lonica, quae Hörnen nomine
feruntur, relego et dilig enter omnia con-
sidero, eo magis magisque mihi conßrmatur
senientia eo7'ui7i, qui haec non unius aoidov
carmina esse arbitrantiir, sed a compluribu.^
cantoribus neque aetatis eiusdem neque
patriae sk rrjy avrijy imoii^eGLv olim com-
posita et cantata fuisse, deinde in unum
collecta et ordine disposita, ut eig eV atofxä-
Tiov coalescerent . . . plura non addo, quia
talia omnia sentiri possunt, sed demonstrari
non possimt, et nolo videri ultra Lycurgi
aetatem indagando j)rocedere i''elle. Ahnlich
ist der Standpunkt, den Mähly, Bay. Gymn.
25 (1889), 263 einnimmt.
^) Vielfach weicht von Kirchhoff die
neuere Rekonstruktion von Wilamowitz,
Homer. Unters, ab, namentlich in der An-
nahme, dass von den 3 Epen, die dem Konta-
minator vorgelegen haben sollen, das dritte,
vom Sieg des Odysseus über die Freier,
jünger als die Telemachie gewesen sei. Den
Boden unter den Füssen verliert bei dem
Mangel exakter Beweisführung Seeck, Die
Quellen der Odyssee, Berl. 1887, indem er
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 24—25.)
37
carmina, Lips. 1884.^) Auf das ähnliche Unternehmen Ficks werde ich,
da er von einem ganz speziellen, erst später zu besprechenden sprachlichen
Gesichtspunkt ausgeht, weiter unten zurückkommen. Ausserdem ist aber
die Stellung einzelner Gesänge und Gesangspartien in zahlreichen Abhand-
lungen diskutiert worden; die Hauptgedanken derselben sind durch die
sorgfältigen Referate in dem Anhang von Hentze's Ausgabe auch dem
Fernerstehenden jetzt leicht zugänglich gemacht. 2)
25. Suchen wir schliesslich unsere Gesamtauffassung in ihren Kern-
punkten darzulegen, so stellen wir folgende, hoffentlich mit der Zeit zur
allgemeinen Geltung kommende Sätze auf:
1) Ilias und Odyssee beruhen auf nationalen, bereits von älteren äoli-
schen Sängern poetisch gestalteten Sagen, die durch die Kämpfe der Hellenen
in Asien mit den ehemaligen Herren des Landes und durch die kühnen
Wagnisse der Äolier und lonier zur See ihre Hauptnahrung empfangen
hatten.^) Durch die Sage und die älteren Sänger waren dem neuen Dichter
Homer die Gestalten der Haupthelden, des Agamemnon, Achill, Aias, Nestor,
Odysseus, bereits vorgezeichnet.
2) An den neuen grossen Schöpfungen der Ilias und Odyssee haben
sicher mehrere Dichter gewoben, aber der Gedanke, den Streit zwischen
Achill und Agamemnon in seinem ganzen Verlauf zum Mittelpunkt der
Dichtung zu machen, ist sicher nur in dem Kopfe eines einzigen reich-
begabten Sängers entstanden, ebenso wie der Plan, den Odysseus in dem
Phäakenland seine früheren Irrfahrten erzählen, und dann nach seiner Heim-
kehr die übermütigen Freier seiner treuen Gattin erschlagen zu lassen, nur
von einem Manne ausgegangen ist.
3) Die Odyssee ist eine jüngere Schöpfung als die Ilias, erst ent-
standen, als die Ilias weit über ihre ersten Lineamente hinausgewachsen
war. Das beweisen zur Gewissheit die Nachahmungen.^) Zur Annahme,
dass beide Epen denselben Dichter zum Verfasser haben, reichen die Tra-
dition und die allgemeine Übereinstimmung in Sprache und Kunst nicht
aus; ihnen stehen der Unterschied im Charakter und der Zeit mit aus-
schlaggebendem Gewichte entgegen.
4) Der Dichter der Ilias hat seinen ursprünglichen Plan im Laufe der
Arbeit selbst erweitert; namentlich hat er nachträglich neue Völkerschaften,
wie insbesondere die südlichen Lykier mit ihren Führern Sarpedon und
die Quelienforschiing der Historiker auch
auf die Dichtung der Odyssee zu übertragen
wagt.
^) Lineamente zur Scheidung zog schon
zuvor Naber, Qiiaestiones Homericae, Amstel.
1877; ein neuer Versuch ohne strenge Be-
weisführung von E. H. Meyer, Indogerm.
Mythen, 2. Bd. Achilleis, Berlin 1887. Be-
achtenswerteres bietet K, Brandt, Zur Ge-
schichte und Komposition der Ilias, Jahrb.
f. Phil. 1885/89.
'^) Statt die Litteratur im einzelnen an-
zugeben, begnüge ich mich auf Hentze zu
verweisen.
^) Mythologische Niederschläge in der
troischen Sage sucht im Übermass Osk.
Meyer, Quaestiones Homericae, Bonn 1846,
und E. H, Meyer, Indogerm. Mythen Bd! II.
Zu weit in der Annahme ethischer Ideen in
der Achill- und Odysseussage geht Carriere,
Die Kunst im Zusammenhang der Kulturent-
wicklung II, 49 ff. Über die Odysseussage
siehe Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde
I, 30-58.
'*) SiTTL, Die Wiederholungen in der
Odyssee, München 1882; Gemoll, Hermes
18, 34 — 96; Christ, Homer oder Homeriden
57 ff.
38
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Glaukos hereingezogen und der Erzählung von den Niederlagen der Achäer
{M — P) in der Zufügung eines neuen für die Achäer siegreich verlaufenden
Schlachttages {B — H) ein grossartiges Gegengewicht gegeben. Dadurch
ist die Einheit und Durchsichtigkeit des ursprünglichen Planes gestört
worden, indem die Zusage des Zeus, den Achill zu rächen, 6 Gesänge hin-
durch ganz vergessen zu sein scheint und auf den Nachmittag des dritten
Schlachttages (^ 83 — JI 777) zu viele Ereignisse sich zusammendrängen.
Diese Störungen kümmerten aber wenig den Dichter, da ja derselbe doch
immer nur einzelne Gesänge vorzutragen in die Lage kam. Dadurch, dass
in den Gesängen B — H die Fortdauer des Grolls des Achill vorausgesetzt
wird, ist der Gedanke an ein selbständiges Epos vom ohog Javacov r^J'
'iXiov [d- 578) ausgeschlossen. Denn wenn dieser Teil der Ilias auch einen
noch so altertümlichen, an den Einzelgesang sich anschmiegenden Cha-
rakter hat, so kann es doch nicht Zufall sein, dass Achill an den schweren
und vielen Kämpfen des Tages absolut keinen Anteil nimmt.
5) Hinzugekommen sind zu der von Homer selbst erweiterten Ilias
nicht bloss viele kleinere, teils den Übergang vermittelnde, teils die Sagen-
varianten der kyklischen Epen berücksichtigende Interpolationen, ^ sondern
auch ganze Gesänge, wie die kurze Schlacht {xoXog i^äx^ &), die Gesandt-
schaft [nQsaßsia /), die Doloneia (Ä'), die Waffenschmiedung {2 369 ff.), die
Leichenspiele (^ 257 ff.), der Schiffkatalog {B 484 ff.). Zur Einlage sol-
cher neuen Lieder lud der episoden- oder zyklusartige Charakter des ganzen
Werkes ein, das einem aus einzelnen Perlen zusammengesetzten Halsbande
glich, welches leicht noch einige neue Perlen zwischen den alten aufnahm.
Die Zudichtungen rühren nicht von einem Nachdichter, sondern von mehreren
Genossen der homerischen Sängerzunft her. Darauf weist die grosse Ver-
schiedenheit des Tones derselben hin; denn himmelweit z. B. ist die trockene
Aufzählung des Schiffkataloges von der künstlerischen Meisterschaft der
Schildbeschreibung verschieden.
6) Die Odyssee war von vornherein in sich geschlossener angelegt
und erfuhr daher weniger Ein- und Zudichtungen; doch fehlen dieselben
auch hier nicht. Insbesondere scheint die Telemachie von fremder Hand
herzurühren; 2) denn sie ist nicht bloss ärmer an poetischen Schönheiten,
sondern ist auch zu schlecht in das alte Gedicht von der Heimkehr des
Odysseus eingefügt. Ausserdem haben spätere Dichter dem alten Nostos
einen jüngeren angehängt, alte Motive, wie das vom Wurf nach Odysseus,
in neuen Variationen wiederholt, der älteren Nekyia eine zweite im letzten
Gesang (o; 1 — 202) nachgedichtet. Dazu kamen endlich Spätlinge, welche
alte Schilderungen, wie die der Gärten des Alkinoos (t;- 103 — 131), erweiter-
ten, in die Irrfahrten des Odysseus Reminiszenzen aus der Argonautensage
(/i 3 — 4. 61 — 72) und in den Freiermord Visionen des Sehers Theoklymenos
(o 256-86, 508—49, q 151—67, v 347—85) einlegten.
7) In Sprache und Versbau stimmen ebenso wie im Mythus^) Ilias
') Darüber meine Prolegomena p. 16 ff.
2) Hennings, Über die Telemachie, in
Jahrb. f. Ph. Suppl. III, 135- 232; dagegen
Kammee. Die Einheit der Odyssee 143 ff.
^) So ist Herakles durchweg gedacht
^lä ysysfj tcop Tqwlxujv nQoyeveajSQog (s. 0
638, (p 21) und findet sich nicht bloss von
den Söhnen des Priamos, sondern auch von
denen des Laomedon und Antenor überall die
gleiche Anschauung.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 26.) 39
und Odyssee und die einzelnen Teile beider Dichtungen wesentlich überein;
namentlich behauptet in beiden Dichtungen das Digamma, welches früh-
zeitig bei den loniern zu schwinden begann, noch seine Kraft, und stehen
die ehedem durch s vj getrennten Vokale, wie in 8(o JlrjX&og reXsofisv, unkon-
trahiert nebeneinander.^) Doch sind daneben kleine Unterschiede nicht zu
verkennen; so findet sich von oivog das Digamma in der Odyssee und in
den jüngeren Gesängen der Ilias öfters vernachlässigt, 2) und hat die Cae-
sura hephthemimeres ohne einen Einschnitt im 3. Fuss geringere Verbrei-
tung in der Odyssee als in der Ilias. ^)
26. Die dichterische Kunst des Homer*) verlangt ihre Betrach-
tung für sich, sie hängt aber auch mit der eben behandelten homerischen
Frage zusammen. Genies wie Homer, hat man gesagt, sieht die Welt alle
tausend Jahre einmal, und das kleine lonien soll auf einmal ein Dutzend
solcher Genies hervorgebracht haben? Worin besteht denn aber, von der
Sprache vorerst abgesehen, das Genie und die Kunst Homers? Vor allem
in dem genialen Gedanken, uns mitten in die Sache zu versetzen und um
eine Handlung voll spannender Kraft alle Erzählungen zu gruppieren. Die-
ser grosse Wurf ist nach unserer Darlegung nur einmal mit voller Origi-
nalität gemacht worden; schon die Komposition der Odyssee verrät in
diesem Punkt, wie oben angedeutet, eine bewusste, wenn auch in selb-
ständiger Weise durchgeführte Nachahmung der Ilias. In zweiter Linie
steht unter den Schönheiten Homers die jugendliche Kraft und erfinderische
Klugheit der Helden, die heitere, menschlich fassbare Vorstellung vom
Walten der Götter, der Adel und die Tiefe der Empfindungen in ihrer
ganzen Skala vom zarten Liebestraum der Königstochter bis zum rührenden
Abschied der Gattin, von der zornigen Aufwallung ob erlittener Schmach
bis zum wehmutsvollen Mitleid mit dem greisen Vater des erschlagenen
Feindes. Das sind die Saiten, die an jedes fühlende Herz anschlagen, das
sind die Schwungfedern, die heute noch bei der Lektüre Homers unsere
Seele über die gemeine Wirklichkeit erheben. Aber diese Vorzüge sind
nicht speziell dem Homer eigen; sie gehören dem hellenischen Volke in
jener Zeit jugendfrischer Entfaltung an. Homer bewährt sich hierin als
echter Volksdichter, der aus dem Herzen und in dem Sinne seines Volkes
spricht und in seinen Dichtungen gleichsam seine Zeit und die Art seines
Volkes widerspiegelt. Das thut der Bedeutung und dem Zauber seiner
Poesie keinen Abbruch, lässt uns aber einen Hauptvorzug derselben auf
Rechnung nicht seiner Person, sondern seines Volkes und seiner Zeit setzen.
Auch der melodische Fluss dei- Verse und die biegsame Schönheit der
Sprache darf nicht als spezielles Eigentum eines einzigen Dichters ange-
sehen werden. Diese herrlichen Mittel der Darstellung waren durch lange
^) Das Nähere lehren insbesondere Knös,
De digammo Homerico, Ups. 1872, und
Menrad, De contractionis et symzeseos usu
Homer ico, Monachii 1886. So gebraucht
Homer noch nicht das später und schon bei
Hesiod oft vorkommende loyog, sagt durch-
weg ficiQTVQog, nicht wie die Späteren /uctQ-
rvQ, wendet Tiqocpvyelv im Sinne von vtiex-
q)vy€iy an.
'^) Belege geben die Proleg. meiner Tlias-
ausgabe p. 163. Über das allmähliche Über-
handnehmen der Kontraktion in den jüngeren
Partien der Odyssee siehe mein Buch, Homer
u. Homeriden S. 60.
3) Lehrs, Aristarch.2 p. 394—419.
^) Bergk, Gr. Litt. 1, 780-873.
40 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Übung und durch das Zusammenwirken vieler Dichter gereift worden; sie
anzuwenden stand allen offen, und die Kunst leichter Versifikation wird
damals ebenso verbreitet gewesen sein, wie heutzutage das Vermögen, eine
gute Prosa zu schreiben.
Es bleiben noch als Vorzüge, welche wir speziell dem Dichtergenie
Homers zuschreiben, die ruhige Objektivität der Erzählung, die des Dich-
ters Person ganz in den Hintergrund drängt und nur die Sage reden lässt,
die klare Anschaulichkeit {svaQyeia) der Schilderung, i) durch die wir alles
mit eigenen Augen zu schauen und das Erzählte mitzuerleben vermeinen,
der dem beflügelten Charakter der Sprache entsprechende Fluss der Er-
zählung, der alles im Werden und Fortschreiten erfasst und auch die Bilder
auf dem Schilde des Achill vor unseren Augen entstehen lässt, nicht als
bereits fertig beschreibt, die Fülle und Schönheit der Bilder und Vergleiche,
die einschmeichelnde Wahrheit der erdichteten Mären, die Kunst der dem
Charakter der Sprechenden angepassten Rede, die Ebenmässigkeit und das
schickliche Mass in allem. Das sind allerdings individuelle Vorzüge, die
aus dem allgemeinen Wesen der Volkspoesie nicht abgeleitet werden kön-
nen. Denn die Volksepen anderer Völker, selbst unsere Nibelungen und
der Mahabharata der Inder halten darin keinen Vergleich mit Homer aus.
Aber nach dieser Seite zeigt sich auch ein erheblicher Unterschied zwischen
Ilias und Odyssee, indem die Ilias wohl die grössere Zahl ausgeführter
Gleichnisse'^) und den Glanz heldenmässiger Schlachtenbilder voraus hat,
der Dichter der Odyssee aber in Erfindung wundervoller Mären und in
gemütvoller Erfassung des Menschen- und Tierlebens überlegen ist. Wohl
entlockt auch in der Ilias uns Thränen der Rührung die herrliche Scene,
wo Hektor beim Abschied von Andromache den kleinen Astyanax, der sich
vor dem Helmbusch und der ehernen Rüstung des Vaters fürchtet, nach
Herabnahme des Helmes herzt und küsst, {Z 466 — 496), aber noch einen
tieferen Blick in das Seelenleben selbst der Tiere lässt uns der 17. Ge-
sang der Odyssee an jener Stelle (290—327) thun, wo dem Odysseus
beim Eintritt in das Heimathaus sein Hund Argos, der dem Verenden nahe
auf dem Misthaufen liegt, allein, vor Frau und Dienern, wiedererkennt und
sterbend mit dem Schweife wedelt, sein Herr aber sich die Thräne der
Rührung abwischt.^) Aber auch zwischen dem alten Kern der beiden
^) Sehr hübsch hat mehrere dieser Vor-
züge Aristot. Poet. 24 verzeichnet: '^'O^rjQog
cc'k'Aa TS TioXXd ä'^Log inaivelod^ai xccl d^ xal
oTL fyiopog Tiov noirjXMv ovy. äyposT o det
TioieTv civröp • avxöv yaq &et rov noirjjrjv
iAä/LOTcc XhyEiv • ov^ yi'nQ ioxi xard xavra
fxi/urjxijg ' ol ^ev ovv cllXot avxol fiey Jt'
öXov dyixiVL^ovxca, fiifzovpxat de oXiya xal
oXtydxig, 6 de (V/dya cfQoifXLaod^uepog svx^t^g
EiGÜysL dpdga rj yvpcaxa rj ccXko Xi xca ovdev^
drjdr] . . . dedlda/s ds ^u'kioxu "^'OfxrjQog xal
tovg dVkovg xpsvdi] Xiysiv Mg de? . . . inel
xal TU ev ^Odvaaela äXoya . . xoTg dXXoLg
dya(^o7g 6 nocrjxijg dcpavi^ei rjdvvmv xo dXoyov.
In diesem Urteil war dem Philosophen der
Dichter Pindar Nem VII, 20 ff. vorange-
gangen.
2) Die Ilias hat 182, die Odyssee 39
ausgeführte Gleichnisse; meist begnügt sich
der Dichter der Odyssee mit einem ein-
fachen Hinweis auf den zur Vergleichung
herangezogenen Gegenstand. Indes auch die
einzelnen Gesänge der Ilias und selbst die
inhaltlich auf einer Stufe stehenden weichen
hierin je nach der Situation stark von ein-
ander ab; an jugendlichem Bilderreichtum
zeichnet sich vor allen die Aristeia Aga-
memnonos [A) aus. Vgl. Arn. Passow, De
comparationihus Homericis, Diss. Berl. 1852.
^) Dargestellt ist diese Scene auf einer
Gemme bei Overbeck, Gal. her. Bild. 7. 33, 10.
A. Epos. 3. Homers Ilias und Odyssee. (§ 27.)
41
Dichtungen und ihren jüngeren Erweiterungen zeigen sich grosse Unter-
schiede in der Kunst der Darstellung. Wohl zeichnen sich mehrere der
Gesänge, welche wir für jüngere Einlagen halten, wie die Gesandtschaft,
die Lösung Hektors, der Schild des Achill, durch grosse poetische Schön-
heiten aus, und wir müssen schon zugehen, dass auch noch manchem der
Homeriden ein glücklicher Wurf gelang.^) Aber die meisten der Zudich-
tungen erkennt man als solche eben auch aus dem geringeren Vermögen des
Dichters und der Ungeschicklichkeit der Nachahmung. Die Verse von Achill
und Aeneas, die vor dem Kampfe lange und langweilige Reden halten (Y
75 _ 380), sind nicht carmina Homeri semper ad eventum festinantis, die
unruhige Hast der Kölog ft«x^ (^) verrät nichts vom Dichter der alten
Ilias, der, wenn alles Eile hat, ruhig seiner Wege geht, die trockene Auf-
zählung der Schiffe der Achäer und der Namen ihrer Führer hat nichts
von dem belebenden Wechsel in Situation und Ausdruck, der in den an-
deren Gesängen uns ununterbrochen gefesselt hält.
Von besonderer Bedeutung sind in dieser Beziehung die Nachahmungen
und Wiederholungen. Die öftere, oft drei- und viermalige Wiederkehr der
gleichen Verse ist eine Eigentümlichkeit der homerischen Poesie; sie ist
nicht an sich ein Anzeichen verschiedenen Ursprungs, sie hängt vielmehr
mit der Objektivität der Erzählung und den stehenden Epitheton zusammen.
Wenn die Sonne von neuem in der Natur aufzugehen beginnt, so singt auch
der Dichter von neuem ohne Variation rj/aog d'rjQiyi-vsia (pccvr] Qodo6dxTvXog
Tjwg, wie er immer von neuem das Bild des Schiffes durch das Epitheton
ivaösX^iog oder f.isXaiva uns anschaulich vor die Seele führt. Aber das
Epitheton kann nicht bloss unnötig, es kann auch unpassend werden; der
Vers oder die Verse können in unpassendem Zusammenhang und in miss-
verstandenem Sinne wiederholt sein; eine ganze Stelle kann aus zusammen-
gestoppelten Versen und Halbversen bestehen. Solche Centonen kommen
auch schon in unserem Homer vor, wie in der Chryseisepisode {A 430 — 492)
und in dem Füllstück zwischen dem ersten und zweiten Schlachttag (H313
bis 482), rühren aber gewiss nicht von dem göttlichen Homer, sondern
von einem Spätling unter den Homeriden her. 2)
27. Zeit des Homer. Erst jetzt können wir auf mehrere Fragen
zurückkommen, die wir oben nur gestreift haben, so zuerst auf die Ent-
stehungszeit der homerischen Dichtungen. Da offenbar die Alten von der
Zeit, in der Homer lebte und Ilias und Odyssee entstanden sind, keine
bestimmte Überlieferung hatten, so sind auch wir wesentlich auf Kombi-
nationen angewiesen. Diese müssen von dem zeitlichen Verhältnis der alt-
griechischen Epen zu einander ausgehen.^) Nun gilt es jetzt als ausge-
^) Otfr. Müller, Gesch. d. gr. Lit. I,
84 urteilt von der Scene der Zusammenkunft
des Achilleus undPriamos im letzten Gesang
der Ilias, dass sie mit keiner andern in der
ganzen alten Poesie verglichen werden könne,
und Schiller sprach einmal: „wenn man
auch nur gelebt hätte, um den 23. Gesang
der Ilias zu lesen, so könnte man sich über
sein Dasein nicht beschweren." Von den
Dichtern jener Gesänge galt eben auch schon
im Altertum der Goethe'sche Spruch „denn
Homeride zu sein, auch nur als letzter ist
schön".
2) Diesei Punkt, schon von Köchly und
Kirchhoff beachtet, ist von mir besprochen
in dem Aufsatz, Die Wiederholungen glei-
cher und ähnlicher Verse in der Ilias, in
Sitzb d. b. Ak. 1880, S. 221—271.
^) Davon aus habe ich die Frage be-
handelt in dem Aufsatz, Zur Chronologie des
42
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
machte, durch Anzeichen der Nachahmung erwiesene Thatsache, dass Hesiod
jünger als Homer war und nicht bloss die Ilias, sondern auch schon die
Odyssee, wenigstens in ihren älteren Bestandteilen, vor Augen hatte; mit
Hesiod dürfen wir aber nicht, wenigstens nicht viel unter 700 herabgehen.
Ferner liegt es in der Natur der Sache und lässt sich aus Sprache und
Mythus erweisen, dass die Gedichte des epischen Kyklos erst zur Zeit, als
die zwei grossen homerischen Epen bereits fertig waren, entstanden sind.')
Nun wird Arktinos, der Dichter der Aithiopis, in die 1. Olympiade gesetzt,
und wenn dieser Ansatz auch nicht ganz ausser Zweifel steht und ver-
mutlich etwas zu hoch gegriffen ist, so dürfen wir doch mit Zuversicht
den Beginn des kyklischen Epos noch in das 8. Jahrhundert setzen.
Auf dem amykläischen Throne waren bereits Scenen der Ilias und
Odyssee, wie der singende Demodokos, Menelaos in Ägypten, Proteus,
dargestellt. 2) Damals waren also schon die jüngsten Gesänge der Odyssee
allgemein bekannt; schade nur, dass sich die Zeit jenes Thrones selbst
nicht genau fixieren lässt, und dass die Angabe, der Thron sei aus dem
Zehnten des messenischen Krieges gestiftet worden, nicht als zuverlässig
gelten kann. 3) Zu der durch Vergleichung gewonnenen Zeitgrenze stellen sich
mehrere äussere Zeugnisse und bestimmte Anzeichen im Homer selbst. Im
Schiffkatalog, der die Ilias mit Einschluss der Leichenspiele zur Voraus-
setzung hat, aber der Telemachie und den jüngsten Partien der Odyssee
voranzugehen scheint,') wird die Blüte Megaras,^) die mit der Befreiung
der Stadt (Ol. 10) begann, völlig ignoriert; ja selbst der Name Megara ist
noch unbekannt, und Nisa erscheint noch als Teil Böotiens (B 508), ge-
radeso wie Korinth noch als Teil von Argos {B 570). Auf der anderen
altgriechischen Epos, im Sitzb. d. b. Ak.
1884 S. 1 — 60, wo auch die auf ägyptischen
Korabinationen beruhende Datierung Glad-
stone's zurückgewiesen ist. Vgl. Lüntzer,
Die homerischen Fragen, Leipzig 1874.
^) Im einzelnen erwiesen von Welcker,
Der epische Cyklus; vgl. Niese, Entwicklung
d. hom. Poesie 27 ff. und 225 ff. Anspielungen
auf die entwickelten Mythen des Kyklos
finden sich allerdings auch in der IJias,
aber nur an inteipolierten Stellen r326 — 337,
Sl 28 30, 0 230-2, B 699-709. 721-8.
Die in der Odyssee, in der Telemachie und
Nekyia, vorausgesetzten Gesänge vom Falle
Ilions durch das hölzerne Pferd, vom Streit
um die Waffen des Achill, von der Heran-
ziehung des Philoktetes, Neoptolemos, Eurya-
los, von der Heimkehr der Könige und der
Rache des Orestes berühren sich mit den Dich-
tungen des Arktinos, Lesches,Hagias, brauchen
aber nicht notwendig aus denselben geflossen
zu sein, da auch deren Epen Einzellieder
vorausgegangen waren. Dass indes Ark-
tinos vor dem Dichter der jüngsten Partien
der Odyssee lebte, scheint mir auch heute
noch Avahrscheinlich zu sein.
^) Paus. III, 18; es fanden sich auf
demselben auch schon Scenen aus den Ky-
prien und der Aithiopis, wie das Parisurteil
und der Kampf des Achill und Memnon.
^) Brunn, Gesch. d. griech. Künstler I,
52 f. macht seine Verfertigung um Ol. 60
wahrscheinlich.
^) Es passen eben die Epitheta xo'Llr]v
Aaxsifaifxopa y.rjTtöeoGav gut zum Land (ß581),
schlecht zur Stadt (cf 1). Dass der Schiff-
katalog, auch der alte Kern desselben, nach
Hesiod gedichtet sei, möchte man annehmen,
steht aber nicht fest; zu beachten ist, dass
in demselben unter den böotischen Städten
Askra, die Heimat Hesiods, nicht vorkommt,
was sich aber auch aus der Unbedeutendheit
des Ortes erklärt. Auch der 11. B 780—83
(aber nicht im Schiffkatalog) angedeutete
Typhoeusmythus, der aus der Beobachtung
vulkanischer Erscheinungen und feuerspeien-
der Berge entstanden ist, weist auf den
Vulkan Argaios in Kappadokien hin, wie
Bartsch, Geologie und Mythologie in Klein-
asien fPhilol. Abh. zu Ehren von Hertz
S. 105- 122) erwiesen hat. Im allgemeinen
bemerkt sehr gut Strabon p. 149 bezüglich
des historischen Hintergrundes homerischer
Mythen : Ofxr]Qog dsl rovg fxv&ovg dno xiviov
iGTOQiaiy evdyuiv.
^) Schon zu Ol. 15 wird ein Sieger
"Ogamnog MsyccQSvg angeführt.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 27.)
43
Seite iimfasst im Schiff katalog die Landschaft Lakedämon bereits die Städte
Pharos, Amyklai, Helos {B 582—4), die erst durch die Könige Teleklos
und Alkaraenes im 8. Jahrhundert unterworfen worden waren, i) Wenn
wir demnach den Schiffkatalog in seiner ursprünglichen, noch nicht inter-
polierten Gestalt'^) in die nächste Zeit nach dem Beginn der Olympiaden,
noch vor 700 setzen dürfen, so müssen wir zugleich annehmen, dass da-
mals bereits die ganze Ilias in allen ihren wesentlichen Teilen fertig war.
Dazu kommt, dass die Ilias und insbesondere der Eingang des 13. Gesangs
noch gar keine Kenntnis von dem schwarzen Meere und der an seinen
Gestaden im 8. Jahrhundert von den Milesiern gegründeten Kolonien ver-
rät; ihre Entstehung muss also über die Zeit der Gründung von Trapezunt
(gegründet 756) und Sinope (gegründet 770) hinaufgerückt werden.
Für die Abfassung des letzten Gesangs der Odyssee, also eines der
allerjüngsten, gibt der Vers w 88 ^covvvrrai ts vsol xal snsvTvvovTai asd^ka
einen Terminus ante quem an die Hand. Denn da in der 15. Olympiade
die Wettkämpfer, wenigstens die Läufer in Olympia, den Gurt ablegten
und die Einführung der nackten Ringkämpfe so ziemlich gleichzeitig in
allen Teilen Griechenlands erfolgt sein wird, so muss jener Vers vor, kann
sicher nicht lange nach 715 gedichtet sein. 3) In ähnlicher Weise führt die
Erwähnung der sizilischen Dienerin in den jüngeren Partien der Odyssee
(v 383, cö 210. 365. 383) auf die Zeit nach dem Beginn der Kolonisation
Siziliens (Ol. 9), und scheint die Erwähnung der Quelle Artakie Od. x 108
mit der Gründung von Kyzikus in der 7. oder 24. Olympiade zusammen-
zuhängen.^) Damit bleiben wir also in der Zeit vor Schluss des 8. Jahr-
hunderts; nur mit den kleinen Interpolationen der Ilias und Odyssee wer-
den wir noch weiter herabgehen müssen. Die Verse A 699 ff. gehen auf
die in der 25. Olympiade in Elis eingeführten Wettkämpfe mit Vierge-
spannen;^) die Stelle in der Odyssee (f 15 — 41 geht von der Unterwer-
fung Messeniens unter Lakedämon aus,*^) kann also erst nach dem Aus-
gang des ersten messenischen Krieges (715) gedichtet sein. In der ganzen
Frage aber müssen wir uns gegenwärtig halten, dass einzelne Gesänge,
wie die Doloneia, der Schiffkatalog, die zweite Nekyia, insbesondere aber
^) Im Gegensatz zum Schiffkatalog setzt
die Ilias 1 149—156 noch die Selbständig-
keit der Seestädte, wenigstens der messeni-
schen voraus.
^) In meiner Ausg. der Ilias sind die
alten Teile von den neuen durch den Druck
geschieden.
^) Kirchhoff, Hom. Od. 288 ff.; Ein-
wendungen von Niese, Entwicklung der
homerischen Poesie 223 ff. Über die Zeit
(Ol. 15, nicht 32) handelt Böckh, Ges. Sehr.
IV, 137 ff. Noch weiter geht Kirchhoff
S. 340, indem er aus co 417 schliesst, dass
Eugammon, der Dichter dei Telegonie (um
Ol. 53), den Schluss der Odyssee noch nicht
gekannt habe, und so ähnlich auch Wila-
MowiTz, Hom. Unt. 185. Aber einfacher ist
die Lösung, dass entweder Proklos oder der
Exzerptor bei oi fxytjaroQsg vno rcoy nqoai]-
x6vT(x)p d^uTiTovrciL dic Freier mit den am
Schlüsse (w 523) gefallenen Ithakesiern ver-
wechselt habe, oder dass die Worte unseres
Odysseetextes dtovreg ecpoitiov (w 415) bis
TiS^evTEg {(X) 419) einer jungen Interpolation
entstammen.
^) Ich habe mich etwas zurückhaltender
gefasst mit Rücksicht auf die Einwände von
Rothe in Jahrber. d. Alt. XIII, 1. 182. Noch
weiter zu gehen und die Hälfte der Odyssee
mit WiLAMOwiTZ dem 7. Jahrh. zuzuweisen,
verbietet schon die Sprache, namentlich das
Digamma.
5) Vgl. AüG. MoMMSEN, Phil. 8, 721 ff.
^) Dafür sprechen die Verse 13 — 15
dioQa Tci Ob ^eTvog Aaxs&cdfxoyi dojxs rv/fjffccg
'Icfixog EvQvxl&rjg iniSLxeXog a&ctvdxoiaiv ' tio
d' ev MeaoTjvri 'ivfxßX-^axo dXXtjXouv, aber mit
15 beginnt die Interpolation.
44
Griechische Literaturgeschichte. I. Klassische Periode.
kleinere, ausschmückende Interpolationen, wie die Erweiterungen in der
Schildbeschreibung (^ 590 — 606), den Leichenspielen {W 788—897), der
Beschreibung der Gärten des Alkinoos [r] 103—113) leicht noch von Hörne-
nden und Rhapsoden zugefügt werden konnten, nachdem die Ilias und
Odyssee in ihrem Grundgerüste längst fertig waren, dass aber die Aus-
führung des Grundplanes der beiden Dichtungen sich kaum durch mehr
als 2 bis 3 Generationen hingezogen haben wird, i)
Sollen wir zum Schluss bestimmte Zahlen geben, so scheint uns aus
den angedeuteten Kombinationen zu folgen, dass die Ilias um 850—800,
die Odyssee um 820 — 770 entstanden ist, dass die erstere in allen ihren
wesentlichen Bestandteilen um 750, die letztere um 720 zum Abschluss
gelangte, und dass nach dieser Zeit nur noch kleine Interpolationen, keine
ganzen Gesänge mehr hinzukamen. Im allgemeinen pflichten wir so Hero-
dot bei, wenn er den Homer 400 Jahre vor seiner Zeit, also um 840, ge-
lebt haben lässt.^) Nur müssen wir dem noch hinzufügen, dass der Ur-
sprung der Sagen, welche in Homer widerklingen, und teilweise auch die
Anschauung, welche Homer von der aussergriechischen Welt hatte, in
frühere Vergangenheit zurückreichen. Merkwürdig ist in letzterer Beziehung
namentlich, dass der Dichter noch Sidon, nicht schon Tyrus die Meere be-
herrschen, und noch nicht Memphis, sondern das ältere Theben Hauptstadt
Ägyptens sein lässt.^)
28. Sprache und Heimat des Homer. Die Frage über die Heimat
des Homer und seines Geschlechtes hängt eng mit seiner Sprache zusammen.
Die Sprache, in der uns die homerischen Gedichte durch die Alexandriner
überliefert sind, hat das Gepräge des ionischen Dialektes, geradeso wie
sich auch in dem ganzen Ton der Dichtung loniens heiteres Leben wider-
spiegelt.^) Wenn jenes Gepräge vielfach von dem der Sprache des Herodot
abweicht, so fand man dieses ehedem durch die Grösse des zeitlichen Ab-
standes sattsam erklärt. Aber so leicht darf man sich mit jenem Unter-
schied nicht mehr abfinden, nachdem wir, durch Bentley belehrt, wissen,
^) Weiter zu gehen, missrät schon der
geringe Unterschied der Sprache namentlich
im Gebrauch des Digamma und in der Ab-
neigung gegen Kontiaktion. Die historischen
Kimmerier, welche um 660 in Lydien und
lonien einbrachen, beweisen nichts für die
Zeit Homers, da es umgekehrt grössere
Wahrscheinlichkeit hat, dass diese räuberi-
schen, aus dem dunklen Norden kommenden
Horden von den Zeitgenossen mit den home-
rischen Kimmeriern (Od. A 14) verglichen
und nach ihnen Ki/ufusQioi benannt wurden,
ähnlich wie später die germanischen Völker
des Nordens den Namen Cimbri, das ist eben
KvfxixsQioi, erhielten. Übrigens stammt der
Name Ki^ufxt'Qioi aus Innerasien, da in assy-
rischen Keilinschriften die nordischen Sky-
then Gimirai heissen, so dass sowohl die
KLfj.fX6Qio(, (A 14) als die Kijrsioi (X 520), d, i.
Hethiter der Odyssee ein Beweis sind, wie
die Griechen Kleinasiens allmählich mit den
grossen Reichen am Orontes und Euphrat
Fühlung bekamen.
'^) Herod H, 53: 'Hoioöov ydq xaVOfJ,r)Qov
i^Xiy.irjv rsTQaxoaloiac exsai doxsu) fxev tiqso-
ßvTSQOvg ysvioxhai xal ov nXeloaiv.
^) II. 1381: orcf' Off' ig 'Oq^o^ubvop nori-
ylaffEzai, ovd^ 6a a. @7]ßag Jtyvnrtag, ox^inXeiffta
dofioig £V xrrjfxara xsTrat, nl' t9^' exarofxrrvXol
sioi, difjxÖGioi (f' «V exdarag ciysQsg e^oL^vsvat
ovv iTinoiaiy xal o/eacpiv. Kral, Diodor u. Ma-
netho, Stzb. d. östr. Ak. 1880 (B. 96) S. 381
sieht darin eine dunkle, im Lied fortlebende
Erinnerung an die Zeit der Ramessiden, wo
griechische Stämme (eherKarier) mit Ägypten
und seiner damaligen Hauptstadt Theben in
Konflikt kamen. Es kann aber auch in spä-
terer Zeit noch Theben, ähnlich wie heut-
zutage Moskau, als die Hauptstadt des Reiches
gegolten haben.
^) Die anderen Züge der homerischen
Poesie, welche auf lonien hinweisen, hat
gut MüLLEK, Gr. Litt. I"^, 72 ff. besprochen,
ohne von Neueren widerlegt worden zu sein.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 28.)
45
dass der Dichter der Ilias und Odyssee noch das Digamma gesprochen und
in einigen Wörtern, wie im Pronomen der 3. Person ov ol e og ferner in
ara'^, 8&vog, srog regelmässig zur Geltung gebracht hat. ^ Denn diesen
Laut hatten im 7. Jahrh. die ionischen Landsleute der Elegiker und lambo-
graphen schon vollständig abgeworfen, so dass sie ihn schwerlich im 9.
und 8. Jahrh. noch in dem Umfange gesprochen haben werden, den wir
für die Landsleute und Zeitgenossen des Homer voraussetzen müssen.
Auch mit der Annahme, dass Homer vieles aus der Sprache seiner Vor-
gänger könne herübergenommen haben, ^) reichen wir zur Erklärung jenes
sprachlichen Unterschiedes nicht aus. Denn aus älteren Dichtungen können
wohl einzelne formelhafte Ausdrücke, wie vsifsXriysQkza Zsvg^ inTiÖTa iVt-
aTMQ, noTVia 'Hq}], tiqoö^sv ^aXdfxoio ^VQacov, fxävTig dfxvf^icov, herüberge-
nommen sein, aber in dem Gebrauch eines ganzen Lautes, wie es das Di-
gamma ist, in der Diärese oder Synizese der Vokale, 3) in den Formen der
Pronomina "*) und der Worte des Alltagslebens richtet sich jeder Volks-
und Naturdichter^) nicht nach der Sprache früherer Jahrhunderte, sondern
nach der seiner Zeit und seiner Umgebung. Die Sprache der Ilias und
Odyssee führt uns daher mit Notwendigkeit dahin, die Landsleute Homers
nicht in dem Lande des Archilochos oder Kallinos zu suchen, sondern ent-
weder geradezu in Aolien oder doch in einem anderen Teile loniens; denn
nicht alle Bewohner loniens redeten die gleiche Sprache, vielmehr unter-
scheidet Herodot I, 142 ausdrücklich vier verschiedene Dialekte der lonier.^)
Die erste der beiden Annahmen stellte in unserer Zeit Aug. Fick auf, in-
dem er die ganze ältere Ilias und Odyssee ursprünglich in äolischer Sprache
gedichtet und erst später in den Mischdialekt der jüngsten Zusätze umge-
setzt sein lässt.'') Aber die geniale Hypothese hat einesteils kein Analogen
in der griechischen Litteratur, da umgekehrt jüngere Dichter, auch wenn
^) Auf die durchwegige Geltung des
Digamma gewisser Wörter ist ein Haupt-
gewicht zu legen, da damit die Erklärung
des Gebrauchs jenes Lautes infolge konven-
tioneller Vererbung wegfällt. Zur Sache
Knös, De digammo Homerico, Ups. 1872,
und meine Proleg. Iliadis carm. p. 150 sqq.
'^) Diesen Standpunkt vertritt Hinrichs,
De Homericae elocutionis vestigiis Aeolicis,
Jenae 1875.
^) Menrad, De contractionis et synize-
seos usu Homerico, Monachii 1886.
'^} In unseren Texten stehen von den
Pronomina äolische und ionische Formen;
die äolischen überwiegen und lassen sich
mit Sicherheit noch weitej- ausdehnen; aber
auch die ionischen lassen sich nicht ohne
Gewaltsamkeit ganz austreiben.
^) Ich betone „Naturdichter", da die
nachahmenden Dichter der späteren Zeit einer
anderen Übung folgten.
'') F]s hängt diese Verschiedenheit der
Sprache mit der Verschiedenheit der Ein-
wanderer zusammen; so hatten sich in Priene
Thebaner unter Philotas (Strab. 633), in
Theos Minyer unter Athamas (Anakr. fr. 114,
Paus, VII, 2 6, Steph. Byz.) angesiedelt, nach
Kolophon waren ausser Kretern Manto u. Mop-
sos (Paus. VII, 3. 1 u. Schol. Apoll. Rhod. III,
74) gewandert, in Milet waren die Theliden
phönikischen oder kadmeischen Ursprungs
(Herod. I, 170); s. 0. Immisch, Klaros, in
Jahrb. f. Phil. Suppl. XVII, 129 ff.
^) Fick, Die homerische Odyssee 1883
(Supplementband von Bezzenberger's Bei-
trägen zur Kunde der indogerm. Sprachen),
Die homerische Ilias 1886; vorausgegangen
war ihm teilweise schon, aber ohne die nö-
tigen sprachlichen Kenntnisse und ohne Klar-
heit des Standpunktes der Engländer Payne-
Kmight in seiner Ausg. von 1820. Schon im
Altertum verlangten einige Grammatiker
einen äolischen Homer, worüber Anecd. Rom.
von Osann p. 5: T?yV de nolyjoir upayivtoG-
xsaß^ca d^ioi YMTivQog 6 Mdyprjc JioXidi dm-
XexTio, To <f\ith() JixcüciQ/og. Nicht entschei-
dend für die Heimat des Dichters ist der
äolische Ursprung der troischen Sage, gegen
den indes Sittl, Die Griechen im Troerland
und das homerische Epos, Philol. 44, 201 ff.
Zweifel erhebt.
46
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periodä«
sie einem anderen Stamme angehörten, den Dialekt des älteren Vorbildes
beizubehalten pflegten, und sie lässt sich andrerseits nur mit grossen Willkür-
lichkeiten und gewaltsamen Änderungen durchführen, i) Ich halte daher
nach wie vor an dem anderen Ausweg fest, dass Homer und seine Schule
nicht in Südionien blühte, sondern dort, wohin auch die besten Zeugnisse
des Altertums uns führen,^) auf dem Grenzgebiet von lonien und Aolis.
Dabei möchte man zunächst an Smyrna denken, was ehedem von Aoliern
besiedelt worden war, später aber dem ionischen Städtebund sich anschloss.
Aber auf einen anderen Punkt führen uns 2 Stellen der Ilias <Z^ 227 und
Si IS, welche die Sonne über dem Meere aufgehen lassen.^) Der Dichter
dieser Stellen lebte also nicht auf dem Festlande Asiens, sondern auf einer
der Inseln, welche im Westen der kleinasiatischen Küste lagen. Als solche
bietet sich im nördlichen lonien einzig Chios,"^) auf welcher Insel obendrein
nach dem Geographen Stephanos von Byzanz ein Städtchen Bolissos lag,
welches eine äolische Kolonie war und wo Ephoros den Homer verweilen
liess.^) Wer sein Gefallen an Kombinationen der Phantasie hat, mag es
den Alten glauben, dass Homer im äolischen Smyrna geboren,^) frühe aber
nach Chios ausgewandert sei, auf welcher Insel sich neben einer nord-
ionischen Grundbevölkerung auch äolische Siedelungen befanden.
29. Orts- und Sagenkunde. Dass Homer von seiner Heimat
aus als wandernder Sänger viel im Lande herumgekommen sei, ver-
steht sich bei den damaligen Verhältnissen der Gesellschaft und Dicht-
kunst von selbst. Die Orte lassen sich zum Teil noch aus den Umhüllungen
der Dichtersage herausfinden; sie sind Phokäa, wo er bei Thestorides Auf-
nahme fand,^) Neonteichos bei Kyme, wo er um des lieben Brotes willen
seine Gedichte vorlas,^) Kolophon, wo er den Margites dichtete,^) Samos,
wo er von Kreophylos gastlich aufgenommen wurde, ^^) los, wo man sein
^) Meine Einwände habe ich entwickelt
in der Besprechung von Fick's Odyssee in
Phil. Anz. XIV, 90 ff., worauf Fick in der
Einleit. seiner Ilias p. III sqq. mit nicht be-
weiskräftigen Analogien antwortete. Dass
indes im Laufe der Zeit, namentlich durch
den Einfluss der alexandrinischen Gramma-
tiker manche nichtionische Form getilgt
w^orden sei und von uns wieder zurückge-
führt werden dürfe, gebe ich gern zu. Zu
den sprachlichen Einwänden kommen aber
noch die aus den sachlichen Verhältnissen
genommenen hinzu, w^elche im nächsten
Paragraphen ihre Besprechung finden.
'•^j Diese führen eben nach Smyrna zu-
meist und dann nach Chios; vgl. Düntzee,
Hom. Fragen 33 ff.
•^) ¥•227: xQoxoTTsnXog vns'iQ cila xiö'-
vaxcii Tyw'c, ^ 13: ?fa»V cpcavofxivr] 'Aij&EOxev
vneiQ (cXa 7Ji6yag re. Die Verse stehen aller-
dings nicht in den allerältesten Partien der
Ilias ; das thut aber ihrer Bedeutung wenig
Eintrag, da die alte homerische Schule
schwerlich an einem anderen Orte sich be-
fand als Homer selbst. Die Bedeutung dieser
Stellen für unsere Frage wurde erkannt von
Bergk, Gr. Litt. I, 451 ; leichthin wider-
spricht DüNTZER, Hom. Frag. 81.
^) An Lesbos, das keine der alten Über-
lieferungen für die Heimat Homers ausgab,
wollte Fick, Ilias S. 108 denken.
^) Steph. B^^z. : BoXhaaog ' nöXig AloXixi)
in äxQov Xlov n'krjaiov . . . xal (paaiv ort
'OfMf^Qog SV rovro) rag dtarQißccg inoisiro, a5f
^E(poQog.
^) Vgl. BöcKH zu Find. fr. ine. 86 und
den Rhetor Alkidamas bei Arist. rhet. II,
23 p. 1398^, 2.
') Fs. Herod. vit. Hom. 15. Usener, De
Iliadis carmine quodam Phocaico, Bonn 1875
sucht nachzuweisen, dass II. XI mit der Be-
schreibung der Waffen des Agamemnon {A 15
bis 42) und dem Vergleich des den Hirsch
zerreissenden Löwen {A 474 — 82) auf die
Stadt Phokäa hinweist, welche lebhafte Ver-
bindung mit den Phönikiern unterhielt und
deren Kolonie Velia als Stadtwappen auf ihren
Münzen eben jene Bewältigung eines Hir-
sches durch einen Löwen zeigt.
8) Ps. Herod. vit. Hom. 9.
9) Gert. Hes. et Hom. p. 313 G.
10) Strab. p. 638 nach Kallimachos. Ein
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 29.)
47
Grabmal zeigte. 9 Ähnliches lehren uns die Ilias und Odyssee selbst. Ihr
Dichter feiert, indem er die Kämpfe besingt, welche die achäischen An-
siedler mit den alten Heroen des Landes zu bestehen hatten, zugleich die
Stammesheroen der äolischen Kolonien Kleinasiens; 2) er schmeichelt daneben
mit dem Preise des Nestor und der Lykierfürsten Sarpedon und Glaukos
den ionischen Königen, welche von jenen Heroen ihr Geschlecht ableiteten, 3)
und flicht mit der Verherrlichung der Heldenthaten des Idomeneus die
Sagen der kretischen Ansiedler Kleinasiens in den Kranz der äolischen
Stammessage. ^) Seine Gleichnisse nimmt er mit Vorliebe von den Natur-
und Kulturverhältnissen der mittleren Küstenlandschaft Kleinasiens, von dem
Geschnatter der Gänse in der asischen Wiese am Kaystros {B 459),'^) von
dem Wirbelsturm der aus Thrakien her wehenden Winde Boreas und Ze-
phyros (/ 4), von dem Stier, der dem Poseidon im Panionion geopfert wird
(F404). Er zeigt sich wohl bewandert in den Küsten des adramytteni-
schen Meerbusens und kennt die hochragenden Grabhügel, die man beim
Vorbeifahren am weiten Gestade des Hellespont gewahrte (H 86).^) Seine
Schilderungen von dem Berge Ida, der Ebene des Skamander (E 773), der
hohen Warte Samothrakiens {N 10) zeigen so viel Naturwahrheit, dass man
zuversichtlich annehmen darf, er habe den Schauplatz der Thaten seiner Helden,
den Schliemanns Ausgrabungen jetzt wieder der gebildeten Welt erschlossen
haben, mit eigenen Augen geschaut.'^) Wenn er daneben, entgegen der
Wirklichkeit, die Priamosveste auf einem ringsumlaufbaren Hügel gelegen
und vor ihren Mauern 2 Quellen, eine warme und eine kalte, emporspru-
deln lässt (X 143), so sind das Freiheiten, die sich Homer, so gut wie
jeder andere Dichter, erlauben durfte, zumal in der Schilderung einer Stadt,
die inzwischen vom Erdboden verschwunden war und deren Lage nur
wenige seiner Zuhörer aus eigener Anschauung kannten.
Nachkomme des Kreophylos war Hermo-
damas, den nach Diog. 8, 2 Pythagoras
hörte,
') Aristoteles bei Gellius III, 11.
''') In Lesbos herrschten die Nachkommen
desPenthelos, desEnkels Agamemnons (Arist.
Pol. V, 8. 13), in Tenedos die des Peisan-
dros aus Amyklä (Pind. N. 11, 34), das
Gros der äolischen Bevölkerung war aus
Böotien eingewandert und hatte die Sage
der IVlyrmidonen und ihres Königs Achill
mitgebracht.
^) Herod. 1,147. Auf den Pylier Nestor
führten ihr Geschlecht zurück die alten Kö-
nige von Kolophon (Mimnermos fr. 9) und
Milet (Strab. G83); vgl. Töpffer, Att. Genea-
logie 235 ff. Die dorischen Sagen hingegen
sind dem Homer fremd; die Episode vom
Zweikampf des Sarpedon und des Herakliden
Tlepolemos (E 628— 98) sieht ganz wie ein
auf einen fremden Baum gepfropftes Reis
aus und kann glatt ausgeschnitten werden;
die übrigen Stellen an denen des dorischen
Nationalheros Herakles Erwähnung geschieht,
T 95- 136, 0 639-44, 0 363, A 601 --27, sind
teils interpoliert, teils gehören sie den jüng-
sten Partien der homerischen Gesänge an.
*) Die Kreter als ältere Bewohner der
Gegend von Milet und Kolophon bezeugen
Herodot I, 173; VII, 171 und Pausanias VII,
2. 5; VII, 3. 1.
^) Einen Kaystrios gibt es nicht, sondern
nur einen Kaystros, weshalb B 461 KavatQoo
(nicht KavGTQLOv) aficpl Qte&Qa zu lesen ist.
^) Offenbar weil er wohl noch Trümmer
von Troia, aber nichts mehr vom achäischen
Lager am Hellespont sah, erdichtete er die
vollständige Zerstörung des Lagers durch
Poseidon 11459 63 u. Ml— 34.
^) Die Kenntnis aus Autopsie stellt mit
übertriebener Skepsis in Abrede Herchek,
Über die homerische Ebene von Troia, AbhdJ.
d. Berl Ak. 1876. Für die ganze Frage
wurde erst ein sicherer Grund geschaffen
durch die weltberühmten Ausgrabungen
Schliemann's, dargelegt in dessen Werken:
Ilios, Stadt und Land der Troianer 1881;
Troia 1884; Mykenä 1878. Schon vor Schlie-
mann hatte das Richtige getroffen G. v.
Eckekbrecher, Die Lage des hom. Troia,
Düsseldorf 1837. Auf die Wahrheit der
Naturschilderungen Homers hatte zuerst auf-
merksam gemacht Wood, On tlie original
genius of Homer, Lond. 1769
48
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Nach einer anderen Richtung führen uns die Irrfahrten des Odysseus
und die Lokalitäten der Odyssee. Die Person des Königs von Ithaka und
die Kunde vom alten Reiche der Kephallenier waren dem Dichter wohl aus
der alten Sage der Pylier und Achäer überkommen; aber Farben und
Leben erhielt das Bild erst durch die Fährnisse, welchen die ionischen
Landsleute des Dichters auf ihren Fahrten nach dem fernen Westen be-
gegneten. Er selbst indes scheint nicht weit nach Westen gekommen zu
sein: er hatte von Sikilien und dem Westmeer, wohin er die Irrfahrten
des Odysseus in märchenhafter Ausschmückung verlegt, nicht aus eigener
Anschauung, sondern nur aus den fabelhaften Erzählungen aufschneidender
Landsleute und phönizischer Seefahrer Kenntnis. ^ Selbst Ithaka hatte
höchstens den Dichter der jungen Telemachie, nicht auch der des alten
Nostos mit eigenen Augen gesehen. 2) Daraus erklärt sich, dass das Bild,
welches wir uns nach den Schilderungen der Odyssee von der Heimat ihres
Helden machen, ungleich weniger als das der troischen Ebene zur Wirk-
lichkeit stimmt. Selbst das griechische Festland kannte Homer schwerlich aus
Autopsie; dieses hatte auch inzwischen so gewaltige Umänderungen er-
fahren, dass dem Dichter die alte Sage bessere Kunde von den Königs-
burgen in Mykenä, Tiryns, Orchomenos brachte, als ein eigener Besuch
jener Gegenden.
So treffen wir also auch die Sage in den homeriscben Dichtungen im
allgemeinen auf der Stufe, die sie auf ihrer Wanderung von den äolischen
Kolonien des nördlichen Kleinasiens nach Süden, in den ionischen Nieder-
lassungen des mittleren Küstenlandes eingenommen hatte, bevor sie noch
weiter nach Süden gedrungen und auch von dort durch Einmischung dori-
scher Elemente bereichert worden war. All das Gesagte gilt indes nur
bezüglich des eigentlichen Kerns der homerischen Dichtungen. Die Ein-
dichtungen, Zusätze und Überarbeitungen sind vermutlich nicht bloss in
späterer Zeit, sondern auch an verschiedenen Orten entstanden;^) aber über
das ionische Kleinasien hinaus zum griechischen Mutterland führt nur der
^) Der Streit über die Lokalität der Irr-
fahrten des Odysseus ward schon im Alter-
tum mit Heftigkeit geführt, wie man beson-
ders aus dem 1, Buch des Strabon sieht.
Die einen suchten die Irrfahrten um Sizilien
u. Italien (Polybios), andere fanden Plätze
der hom. Schilderung am Pontus und selbst
im nördlichen Ozean, andere hinwiederum,
wie Eratosthenes, zogen sich auf den vor-
sichtigen Standpunkt der poetischen Fiktion
zurück und warnten nur vor einem Hinaus-
gehen über das Mittelmeer. In neuerer Zeit
verirrten sich wieder E. v. Baer, Die hom.
Lokalitäten in der Odyssee (1878) nach dem
schwarzen Meer, Jaez in Ztschr, für wiss.
Geogr. II, 10 ff. und Fr. Soltau, Die Mythen
und Sagenkreise in Homer, Berl. 1887, nach
Tenariffa. Den vorsichtigen Standpunkt des
Eratosthenes nimmt auf Hergt, Quam vere
de Ulixis errorihiis Eratosthenes iudicaverit,
Landshut 1887. Zu beachten ist, dass die
Meeresströmung vom Hellespont um den
Peloponnes herum nach dem westlichen
Griechenland (Ithaka, Korfu) und von da
nach Süditalien und Sizilien führt.
^) Gegen Autopsie spricht deutlich die
verkehrte Ansicht von Ithakas Lage Od. i
25 f. Der von früheren Gelehrten zur de-
taillierten Ausmalung des homerischen Ithaka
missbrauchte Glaube an die Autopsie Homers
wurde mit nüchternem Urteil zerstört von
Hercher, Über Ithaka in Herm. I, 265 ff.
Ob die Sage von der Versteinerung des
heimkehrenden Schiffes der Phäaken (^ 156 ff.)
wirklich durch den Felsriff vor dem Hafen
von Korfu veranlasst sei, lasse ich dahinge-
stellt.
^) FicK in seiner Ilias und in Hesiods
Gedichte S. 124 f. sucht zu erweisen, dass
speziell in Kreta die Telemachie und Tisis,
und von der Ilias die Gesänge X 3 0 ent-
standen seien.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 30.)
49
Schiffkatalog, der den Charakter der böotischen Dichterschule an sich trägt
und wohl auch in Böotien entstanden ist.^)
30. Mündliche Fortpflanzung. Wenn Homer die Sänger Demo-
dokos und Phemios ihre Lieder vom Ruhm der Helden zur Phorminx vor-
tragen lässt, so dürfen wir uns unter diesen den göttlichen Homer selbst
vorstellen. Homer also hatte seine Lieder im Kopf und sang sie in der
Versammlung des Volks oder beim Mahl der Fürsten, ohne beim Vortrag
eines Blattes oder einer schriftlichen Aufzeichnung zu bedürfen. Aber wir
müssen weiter gehen und dem Homer überhaupt den Gebrauch der Schrift
absprechen. Dieser Ansicht waren bereits die alexandrinischen Gelehrten;''^)
in neuerer Zeit ist, wie wir oben sahen, F. A. Wolf von diesem Satz in
seiner ganzen Anschauung vom Wesen der homerischen Poesie ausgegangen.
Auch hat er damit bei den meisten Homerforschern Beifall gefunden;^)
doch fehlte es auch nicht an Widersachern. Nicht bloss Nitzsch in seiner
Historia Homeri, sondern neuerdings auch Bergk^) nahmen an, dass wohl
die homerischen Gedichte für den mündlichen Vortrag bestimmt waren,
dass sie aber gleichwohl der Dichter selbst niedergeschrieben habe. Die
Frage muss zunächst aus Homer selbst beantwortet werden. Nun kann
an der Stelle IL H 175 ff. allerdings keine Rede davon sein, dass die Hel-
den, welche sich zum Zweikampfe mit Hektor erboten, ihren Namen mit
Buchstaben auf das Täf eichen schrieben; sonst hätte es ja des Herum-
reichens des herausgesprungenen Loses nicht bedurft, sondern hätte einfach
Nestor oder der Herold den Namen verlesen und ausgerufen. Aber jene
Stelle beweist nur, dass Homer seinen Helden, den Heroen, die Kenntnis
der Schrift abgesprochen wissen wollte.^) Dass ihm selbst der Gebrauch
derselben nicht ganz unbekannt war, bezeugen in der Episode vom Zu-
sammentreffen des Diomedes und Glaukos die Worte tvs^tcs de fuv AvxirjvSe,
TioQSv 6'oy€ arjfxara XvyQCc, yqüipag sv rtivaxi tttvxto^i ^viiocf&öqa TtoXXd
(Z 168 f.). Denn danach musste der Dichter schon etwas von einem brief-
lichen Verkehr mit abwesenden Personen gehört haben, wenn er sich auch
unter den Zeichen (arniaxa) keine Buchstaben, sondern symbolische Zeichen,
wie Chimäre, Amazone etc. gedacht haben mochte. Auf der anderen Seite
ist beachtenswert, dass Homer, der uns doch von der Kultur seines Zeit-
alters das anschaulichste Bild entwirft und uns von Schmieden, Zimmer-
^) Der Schiffkatalog hatte den Titel
BoLMiLCiy weil er von Böotien ausgeht, was
mit dem Sammelplatz der Schiffe in Aulis,
vielleicht aber auch mit der Heimat des
Dichters zusammenhängt.
^) Joseph c. Ap. I, 2 : xai cpaaiv ovds
Ofj,7]Qou iy yQc'(fÄ^aOL ttqp avxov nolrjGiv x«-
xcilmeiv, «AA« 6iafj,vt]y.ovevofX£vr])/ ix tmv
ua^dxctiy vaxsQov avpxe^ijvm xccl &i(c xovxo
TioX^dg iy avxf, g/sTp xdg dia(poQccg. Ari-
starch setzte eine Diple zu H 175 ol de
xXrJQOP ia^^^dvavxo exaaxog und P 599 ygtixpEv
ö's ol oaxeov ocXQtg (>cl/^u7] JIovXv&ccfÄayxog,
um anzudeuten, dass an der zweiten Stelle
yQdq)siy im Sinne von „ritzen" nicht „schrei-
ben" zu nehmen sei, und an der ersten
ea7]fj,tjpayxo auf eingeritzte Zeichen, nicht
auf Buchstaben hinweise; s. Lehks, De Arist.
stud. Hom.^ p. 95; vergleiche An. 5.
^) WoLFProleg. p. 73sqq. ; Sengebüsch,
Hom. diss. post. 27 ff.; Düntzer, Die hom.
Fragen S. 175 ff.; Friedländer, Schicksale
der homerischen Poesie S. 9.
'') Bergk, Gr. Litt. I, 526—31. Auch
WiLAMOwiTZ, Hom. Unt. S. 293 nimmt für
die Odyssee den Gebrauch der Schrift in
Anspruch,
^) Dass in diesem Sinne Aristarch seine
Zeichen setzte, beweist namentlich das Scho-
lion zu ^ 163, wie Römer, Bay. Gymn. Bl.
XXI (1885), 289 ff. dargethan hat.
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII, 2. AuH,
50
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
leuten, Schilderern, Goldarbeitern u. a. zu erzählen weiss, nirgends, auch
nicht in den jüngsten Büchern der Odyssee, von Schreibern und Büchern
Erwähnung thut. Von grösserer Bedeutung für unsere Frage sind die
sprachlichen Erscheinungen der Verkürzung von Vokalen, der Verdoppelung
von Konsonanten {'AnolXco^' und 'AnnöXlMvog^ ^AxiXXsvg und ^AxiXrjoq) und
des völligen Verschwindens des Digamma aus dem Texte der homerischen
Gedichte. Denn allerdings bezeichnete auch die ältere Schrift der Griechen
weder die Quantität der Vokale noch die Verdoppelung der Liquida, und
konnte zur Not das Digamma, auch wenn es ursprünglich im Texte stund,
später wieder spurlos verschwinden; i) aber die Flüssigkeit der homerischen
Sprache und die grosse Umgestaltung des Textes infolge des Verschwin-
dens des Digamma erklärt sich doch ungleich leichter, wenn der Text
nicht gleich von vornherein durch die Schrift fixiert war. Endlich lässt
die ganze Geschichte des griechischen Schriftgebrauches eine so frühe
Niederschreibung umfangreicher Gedichte als durchaus unwahrscheinlich
erscheinen. Mag immerhin schon vor der Zeit der Siegestafel des Moabiter-
königs Mesas (um 850) die Schrift von den Phöniziern nach Griechenland
gebracht worden sein, 2) ein ausgedehnter Gebrauch von derselben wurde in
Griechenland erst nach dem Beginn der Olympiaden gemacht: erst im
7. Jahrhundert begann man Gesetze schriftlich aufzuzeichnen, und doch, er-
heischten diese viel eher als Gedichte eine Fixierung durch die Schrift.
Der griechische Name für Buch, ßißXog und ßißXiov, hängt mit der Papyrus-
staude (ßi'ßXog) zusammen und ist daher erst aufgekommen, als unter
Psammetich das Nilland den Griechen erschlossen worden war. Freilich
existierte nach Herodot V, 58 ein älterer Name ^Kf^sga (Haut) für Buch,
aber wenn daraus auch folgt, dass schon vor Psammetich die lonier Bücher
kannten, so schliesst doch die Unhandsamkeit des aus Fellen bereiteten
Materials die Abfassung grosser und zahlreicher Bücher aus; auch wäre
schwerlich ein neuer Name aufgekommen, wenn der Gebrauch von Büchern
aus Fell bereits eine allgemeine, oder auch nur grosse Verbreitung gehabt
hätte. -^j Kurzum, für das 9. und 8. Jahrhundert ist eine andere als bloss
mündliche Fortpflanzung der homerischen Gedichte durchaus unwahrscheinlich.
31. Die Rhapsoden. Vermittler der homerischen Gesänge waren
bis zu ihrer schriftlichen Abfassung und teilweise noch Jahrhunderte
darüber hinaus die Rhapsoden [Qa^xoSoi).^) Dieselben trugen mit einem
Stab (gaßdog, ai'aaxog) in der Hand und geschmückt mit einem Kranz die
Verse Homers in Festversammlungen {sv ayiiöai) vor.-'') Homer kennt weder
^) Beegk, Gr. Litt. I, 529 hat besonders
auf Pindar hingewiesen, aus dessen Gedichten
infolge ihrer Verbreitung in Attika das Di-
gamma verschwand.
2) Was HiNRicHS, Handb. d. klass. Alt.
I, 369, von der Rezeption der griech. Schrift
in der Zeit vom 16. — 12. Jahrh. spricht^ läuft
auf ein blosses Meinen hinaus; wer dafür
^um 1000 V. Chr." setzen würde, könnte
«ebensowenig widerlegt werden. Beachtens-
wert ist die Annahme Meister's, Griech.
Pial. II, 130, dass die Achäer ihre syllabare
Schrift schon nach Kypern (vielleicht aus
Kleinasien) mitbrachten, da sie in Kypern
selbst von den Phöniziern die Buchstaben-
schrift, nicht die syllabare, angenommen
hätten.
^) Dass zu Archilochos Zeit im 7. Jahrh.
die Schrift bekannt war, geht aus dessen
Worten fr. 89 igeo) tlv^ v^lv aivov., lo Kj]qv-
xld't], u^vv^xiv^] GxvTdkf] hervor.
4) Welcker, Ep. Cycl. I, 335 ff.
^) Über die Tracht der Rhapsoden Haupt-
stelle Plato, Ion in.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 31—32.)
51
das Wort noch die Sache; diejenigen, welche bei ihm in den Hallen der
Königsbiirgen beim Mahle von den Ruhmesthaten der Helden singen, heissen
aoiSoi und führen die Phorminx,i) nicht den Stab. Es war also inzwischen
eine Wandlung in der Vortragsweise eingetreten: das Saitenspiel, das nie
eine grosse Rolle bei den epischen Sängern gespielt hatte,-) war gänzlich
weggefallen, und an die Stelle der Laute war der Stab getreten, der den
Vortragenden nur als Sprecher in der Versammlung kennzeichnete.^) Mit
der Zeit knüpfte sich an die Namen auch noch ein tieferer Unterschied:
während die Aöden Sänger und Dichter zugleich waren, setzte sich der
Stand der Rhapsoden aus solchen zusammen, welche, ohne selbst die gött-
liche Gabe der Dichtkunst zu haben, nur als gedächtnisstarke Deklamatoren
die Gesänge anderer vortrugen. Der Name Rhapsode geht indes ziemlich
weit, bis in die Zeit des Hesiod hinauf. Denn dieser erwähnt ausdrücklich
den Stab im Eingang der Theogonie:
wg ecfaaav xovQcci ^eyccXov Jiog ccQTibTisiai
xai ßoi (TxrjTTTQOV sSov 6d(fvrjg SQi^riXsog ot,ov.'^)
Den Stab, gäßSog, darf man aber nicht in dem Namen qaipo^Sög
selber finden wollen, vielmehr enthält nach der Analogie von iysqaiixaxog,
^AyrjaiXaog, oQaivsiprjg u. a. der erste Teil des Kompositums einen verbalen
Begriff, so dass die ursprüngliche Bedeutung des Wortes genau wieder-
gegeben wird durch Hesiod fr. 227: ixbXno^sv iv vsaqolg v^voig qäipavTsg
doiSr'iV.^)
32. Da die Rhapsoden verschiedener Dichter Werke vortrugen^ so
hiessen diejenigen, welche speziell den Homer zum Vortrag sich erkoren,
'OfJtrjQiSai, so bei Pindar Nem. H, 1 : od^sv tvsq xal ^OfxriQiSai gauTcov stvscov
TanöXX doiSol aQxovzai, wobei jedoch die Möglichkeit, ja Wahrscheinlich-
keit offen bleibt, dass der Name ursprünglich nur denen zustand, welche,
von Homer abstammend, sich die Aufgabe stellten die Gedichte des Ahn-
herrn ihres Geschlechtes fortzupflanzen.^) Durch diese Homeriden also
wurden die Werke Homers fortgepflanzt und rasch über Hellas verbreitet.
In den vielgestaltigen Überlieferungen von der Heimat des Homer hat man
mit Recht Anzeichen von den Sitzen solcher Rhapsodenschulen erkannt,
obgleich Sengebusch zu weit ging, wenn er in den betreffenden Zeitangaben
') Die zum Eingang [civaßolrj) des Vor-
trags angeschlagene Phorminx des Homer
vergleicht sich der Gusle, zu der die alten
Serben ihre Volkslieder vortrugen. Den
Vorhag im hohen Saale des Königspalastes
hat auch Uhland vor Augen in seiner Bal-
lade vom blinden Sänger.
^) Erst später komponierten kunstvollere
Melodien zu den Versen Homers Terpander
(Plut. de mus. 3) und Stesander (Ath. 638a,
620 cd). Die Späteren vermengen die Zeiten
und Vortragsweisen, wenn sie, wie Hera-
kleides Pontikos (Ath. 632 d und Plut. de
mus. 3) den Homer selbst das Melos zu
seinen Gedichten erfinden lassen.
•^) Der Sprechende in der Versammlung
erhält bei Homer T 218, '4> 568, ß 37 den
Stab oder das oxtjtttqov. Welcker, Ep,
Cycl. I, 337 erinnert an den Stab, den auch
die französischen Nouvellistes führten.
■*) Auf Homer selbst ist die Sitte der
Rhapsoden übertragen von Pindar Isth HI,
bh'/'OfxrjQoq y.azd Qf'tßdoy ecpQaoei^. Ebenso
gab der Künstler Archelaos in der Apotheose
Homers dem Homer einen Zweig in die Rechte.
^) Auffällig ist nur die Betonung, die
eher auf den Begriff QCinrd (isii^iov führen
würde; indes kann hier die vermeintliche
Gleichheit von avho(^6q, y.if^aQwö'og etc. zur
Betonung der Schlusssilbe geführt haben.
^) Ein verwandter Name, der aber keine
Geschlechtszugehörigkeit mehr bezeichnete,
war nach Aristoteles bei Ath. 620^'Of^'r]Qi<yTccL.
4*
52
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Zeugnisse über die Zeit der Einführung der homerischen Lieder in den
einzelnen Städten finden wollte.^) So wurden die Dichtungen Homers im
Laufe des 8. und 7. Jahrh. über ihre Heimat im ionischen Kleinasien hinaus
nach den Inseln los, Rhodos, Kypern, Kreta, nach Prokonnesos in der Pro-
pontis, Kenchreä in der Troas, und des weitern von Kyme nach Böotien,
von Samos nach Sparta, von Smyrna nach Attika getragen/-) Denn wenn
die späteren Schriftsteller die Sache so darstellen, als ob Lykurg, sei es
von Samos, sei es von Chios, sei es von Kreta den Homer ^) nach Sparta
gebracht habe, so machen es schon die von Maximus Tyrius XXHI, 5
erwähnten Rhapsodenwettkämpfe Spartas wahrscheinlich, dass man dabei
nicht an ein geschriebenes Homerexemplar zu denken hat, sondern an die
öffentliche Einrichtung von Homerrecitationen, wozu man Rhapsoden von
den alten Sitzen des homerischen Gesanges, zunächst von dem befreundeten
Samos, hatte kommen lassen.^) Genaueres erfahren wir über die Verpflan-
zung des homerischen Gesanges nach Sizilien durch ein altes Scholion zu
Pindar Nem. H, 1,''') wonach der Rhapsode Kynaithos aus Chios, dem
man auch den Hymnus auf Apoll beilegte, in der 69. Olympiade oder um
500 v. Chr. den homerischen Gesang nach Syrakus brachte. Leider aber
ist die Zeitangabe unsicher, da es wenig glaublich ist, dass Homer so spät
erst bei den poesie- und kunstliebenden Syrakusanern sich eingebürgert
halben soll. Bestimmte Nachrichten über rhapsodische Vorträge und Wett-
kämpfe haben wir überdies von Salamis in Kypern,^) von Sparta, Sikyon,')
Epidauros,^) Brauron in Attika,^) Athen. ^ö) Am berühmtesten wurden die
Vorträge in letztgenannter Stadt an dem alle 4 Jahre wiederkehrenden
Feste der Panathenäen. Dieselben waren nach dem Zeugnis des Redners
Lykurg durch ein Gesetz angeordnet, i^) welches aller Wahrscheinlichkeit
nach auf Selon selber zurückging. Ungewiss ist es, ob die weitere Anord-
nung, dass bei dem Vortrag die einzelnen Gesänge in richtiger Ordnung
^) Die diesbezügliche Tabelle bei Senge-
busch, Hom, diss. post. p. 85 f.
2) Aelian V. H. XIII, 14.
^) Diese Nachrichten bei Plut. Lykurg
4, Ephoros bei Strab. p. 482 und Dio Chrys.
II, 45 betrachtet Wilamowitz, Hom. Unt.
271 als erdichtete Dubletten der Solon-
legende.
■*) Flach, Peisistratos S. 17 nimmt ein
geschriebenes Exemplar an, ohne irgendwie
zwingende Beweise zu erbringen.
5) 'OfxrjQL^ug tXeyoy tö fj.6y ciQ/cdov rovg
((710 rov 0^u7]Qov ysvovg, ot xal rrjv nolrjaLP
avzov iy. ^lu&o^rjg rj^ov • fxeru 68 ravra x(d
OL ()(4xp(oö'ol ovy.sTL To ysvog EigOfxrjQov dvcl-
yovTsg ' inicpavsTg 6t eysvovro oi ttsqI Kv-
vuiS^ov, ovg (p(«Ji noXXd t(op stujUp TTOirjacivrag
ifxßaleJv sig Trjv 'Ofj.rjQnv nolr]Oiv • tjy de 6
KvvdL&og Xiog, ög y.cd rdyp ETiiygacfo^tvioy
'Ofxr,Qov Tioirj^tatxiv toV elg ^inolloiva ys-
yQfcfx^ivov vfxvop ItysTui nenoirixspca ' ovtog
ovv 6 Kvyfuf^og nQMXog eV ^ivQuyovacug eq-
Qccxpo)67](T€ rä OfxrjQov int] xatd xfjv i^tjxo-
crrjy epvuxrjV O'/A'/uniddu, ujg InTioGTQarog
ipriaiv. Die wahrscheinlich verderbte Oljm-
piadenzahl wollte Welcker, wenig glaublich,
in eyxTiv rj rrju svvdTrjp, Düntzer in sixoGttjv
svvdxr]v ändern. Vielleicht aber ist die Zahl
richtig und bloss das n^iorog übertrieben.
Ausserdem erwähnt Suidas einen Parthe-
nios, Sohn des Thestor und Abkömmling
des Homer aus Chios.
^) Hom. hymn. VI, 19 u. X, 4
') Herodot V, 67: KXeiax)^evt]g 'J^yeioig
TioXs^t^aag ^aipojdovg enavaEv sv Ziyviofi
dyixjp'i^sa&cii tmp ^Ofxr]Qiy.(ji}v sneuip sl'yexa.
^) An den Asklepien nach Plat. Ion in.
^) Hesychios u. BQavQMvloig u. Athen,
p. 275 b.
^'^) Nachdem musische Agone hinzuge-
kommen waren, behielten doch die rhap-
sodischen die erste Stelle, was die Inschrif-
ten von Oropus Eph. arch. III, 128. 5, von Or-
chomenos CIG. 1583 u. 1584 und Ath. 538
bezeugen.
^') Lykurg in Leoer. 102: vofxov eS^ev-
to (sc. i\ucoy ol nateQEg) xccS^^ ixdaz7]t^ nsv-
xuexYiQiSa xmv Tlava&'i]valoiv fxovov (Ofiijgov)
X(x}v dX'kwv 7joi,7]xcoy ()a}pio6siffi9cii xd sttij.
A. Epos. 3. Homers Ilias und Odyssee. (§ 33.)
53
aufeinander folgen sollten, gleichfalls schon von Selon ausging oder erst
unter Peisistratos durch dessen Sohn Hipparch getroffen wurde. ^)
33. Niederschrift Homers. Die erste schriftliche Aufzeichnung und
Zusammenordnung der Ilias und Odyssee soll von Peisistratos (560—527)
veranstaltet worden sein. Die Hauptnachricht darüber steht bei Cicero de
erat. HI, 34. 137: primus Ilomeri libros confusos antea sie disposuisse dicitur,
ut nunc hahemus^) Damit stimmen im wesentlichen das Epigramm in Anth.
XI, 442 und die schon oben angeführte Stelle des Aelian V. H. 13, 14
überein. In neuerer Zeit haben wir auch durch ein Scholion des Byzan-
tiners Tzetzes^) Kenntnis von den 4 Gelehrten bekommen, deren Beihilfe
sich Peisistratos bei jenem Unternehmen bediente. Drei derselben waren
Onomakritos aus Athen, den wir als Fälscher von Gedichten des Musaios
schon früher kennen gelernt haben, Zopyros aus Heraklea und Orpheus
aus Kroton; der Name des vierten ist verderbt und scheint überhaupt auf
einem Missverständnis zu beruhen.^) Das ganze Unternehmen des Peisistratos
hängt offenbar mit der ersten Anlage einer Bibliothek durch den kunst-
liebenden Fürsten, wahrscheinlich auch mit der durch seinen Sohn Hipparch
getroffenen Anordnung des vollständigen und geordneten Vortrags der ho-
merischen Gedichte an den Panathenäen zusammen. Schwerlich aber wird
Peisistratos der erste gewesen sein, der etwas von Homer niederschrieb
oder niederschreiben Hess. Schon 100 Jahre vor dem athenischen Tyrannen
gab es bei den loniern Bücher, und es wäre sonderbar, wenn die Ehre der
schriftlichen Aufzeichnung einem lambographen oder Elegiker früher als
dem grossen Nationaldichter zu Teil geworden wäre. Auch besagen die
Zeugnisse nur, dass erst unter Peisistratos eine Gesamtilias und eine Gesamt-
odyssee hergestellt wurde. Damit ist es aber wohl verträglich, dass schon
zuvor von Rhapsoden einzelne Gesänge, wie insbesondere der Schiffkatalog '^j
^) Dem Solen wird die Anordnung zu-
geschrieben von Diog. I, 57 auf Grund der
Angabe des Historikers Dieuchidas, der in
der Zeit Alexanders lebte: rd rs 'Ofitjgov i^
vnoßoXrjg ysygacpE ^axpiüöeio&ca, olov onov
6 TTQujtog £Xr]^EP, ixel^i^sv (<Q/S(Jx^ai jov i/o-
fXEvoy, dem Hipparch, welcher überhaupt
nach Herodot VII, 6 seinen Vater Peisistra-
tos in seinen wissenschaftlichen Unterneh-
mungen wesentlich unterstützte, von Ps.
Plato Hipp. p. 228 B: xd 'OjutJQot^ enr} nquixog
ixofiiaey €ig rrjv y^t^ tavTfjpi, xccl i^yäyxaos
xovg ^axpM^ovg TIciva&i]vaioig f| vnoXrjxpEiog
(füspai, dianeQ vvp oWs noLovai. Zwischen
s'i vTioßolrlg „nach Anleitung" und f| vno-
l^xpEMg „nach der Reihe" mag ursprünglich
ein Unterschied bestanden haben, hier aber
sind die beiden Ausdrücke offenbar gleich-
bedeutend gebraucht. Die Bedeutung f| vno-
ßo^g „nach Vorschrift oder Anleitung" steht
fest durch eine Inschrift der Insel Teos CIG.
3088, wo der Gegensatz ist e| dpxanodoaEcog •
s. NiTzscH, Sagenpoesie 413 ff.
^) DüNTZEK, Peisistratos und Homeros,
in Jahrb. f. Phil. 1865 S. 729 ff. sucht zu er-
weisen, dass Dikäarch der Gewährsmann des
Cicero gewesen sei. Dagegen erhebt Ein-
wendungen Volkmann, Wolfs Proleg. 348 f.
^) Proleg. in Aristoph. (s. La Roche, Hom.
Textkr. p. 10): eItiop avpd^sipai xdp^'OfxrjQOP inl
RELOioxQfhov EßdofXTJxopxa dvo aocpovg, wp Eß-
dofxrjxopxa dvo eIpm xal xop Zrjpö^oxop xal
XOP UQlGXaQ/OP, XCCLXOL XEaCTCCQCJP OPXCÜP ETll
HEiOioxQaxov avp^hEPXtop xop OfxrjQOP, otxipsg
EiGiP ovxoi: 'EnixoyxvXog (verderbt aus f.nixog
xvx'kog), 'OpofxäxQixog ^A&yjpaiog, ZuinvQog
'HQaxlEi6xt]g xal OqtfEvg KqoxMPidxrjg. Die
72 Gelehrten sind natürlich eine konfuse
Reminiszenz an die Übersetzer des alten
Testamentes. Auch die 4 Redaktoren gibt
für eine späte Ausmalung aus Wilamowitz,
Hom, Unt. 254. Flach, Peisistr. S. 12 führt
sie nach einer Beischrift der Pariser Hdschr.
auf den pergamenischen Gelehrten Atheno-
doros Kordylion zurück.
■^) Bei den vielen Eigennamen des Schiff-
kataloges wird zuerst das Bedürfnis einer
Gedächtnisstütze fühlbar geworden sein; das
Fehlen von Messenieu scheint auf ein erstes
Aufschreiben in Sparta hinzuweisen, da man
dort ein Interesse hatte, die politische Un-
selbständigkeit der Landschaft, aus der doch
54
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
oder die Initien der einzelnen Rhapsodien und Absätze zur UnterstiJtzung des
Gedächtnisses waren niedergeschrieben worden. Noch weniger natürlich durfte
aus den angeführten Zeugnissen geschlossen werden, dass erst Peisistratos
die Ilias und Odyssee geschaffen habe. ^) In dieser Annahme sind Wolf
und Lachmann entschieden zu weit gegangen; darüber sind heutzutage alle
einig. Aber zu skeptisch sind auch nach der anderen Seite neuere Gelehrte,
wie namentlich Lehrs gewesen, wenn sie deshalb, weil Aristarch von Pei-
sistratos schweigt, nun gleich der ganzen Überlieferung den Glauben ab-
sprachen, 2) Auch ist es nur natürlich, wenn bei dieser ersten Herstellung
einer Gesamtausgabe des Homer die Redaktoren teils einigen Episoden, wie
Z 119 — 236, die richtige, das ist vom Dichter beabsichtigte Stelle wieder
anwiesen, teils jüngere Rhapsodien, wie die Doloneia, welche nicht alle
Homeriden als echt anerkannten, in die Reihe der Gesänge aufnahmen,
teils einzelne Verse, wie A 265, l 631, B 558, T 144, M 372 zusetzten
oder zu Gunsten attischen Ruhmes umgestalteten.^)
34. Anfänge der homerischen Studien. Nachdem einmal unter
Peisistratos die homerischen Gedichte durch die Schrift fixiert waren, hat
die darauf folgende Zeit bis zu den Alexandrinern weder in der Gestaltung
des Textes wesentliche Änderungen, noch bedeutende Leistungen für das
Verständnis und die Erklärung des Dichters gebracht. Das Exemplar des
Peisistratos selbst ist im Laufe der Zeiten untergegangen; ob es mit der
übrigen Bibliothek durch Xerxes weggeführt wurde, darüber lässt sich bei
der Fadenscheinigkeit der Überlieferung^) nichts sicheres aufstellen. Nicht
unbedeutend muss hingegen die Thätigkeit derjenigen gewesen sein, welche
nach den Perserkriegen den in alter Schrift abgefassten Text in die neue
umschrieben (ot iisTaxccQccTiTriQiaavzeg). Manche bis auf unsere Zeit fort-
vererbte Fehler des Textes sind auf den Irrtum und die Unsicherheit jener
Männer zurückzuführen.^) Den Homer zu kommentieren fand man in dieser
Zeit noch nicht für notwendig; man stand noch dem Dichter zu nahe und
lebte noch zu sehr in der Periode des frohen Schaffens, als dass man schon
an die Peinlichkeit der Textesverbessernng und fortlaufenden Kommen-
tierung gedacht hätte. Doch geschah schon etwas nach dieser Richtung
hin; teils suchte man Näheres über die Person des Homer, sein Geschlecht
und das Schicksal seiner Werke zu ermitteln, teils versuchte man seinen
Witz an der Beanstandung eines und des andern Ausdrucks, teils endlich
der König Diokles (E 542, y 488, o 186)
stammte, durch Homer besiegeln zu lassen.
') Allerdings heisst es schon bei Älian
V. H XIII, 14: lOisQov cTe TIeioioTQCiTog ov-
vayuyojv aTiFCfrjvF. ttji' ^Ihäda ymi OSvGOBiav.
^) Lehrs, Zur homerischen Interpolation,
in Arist.'^ 430—54; dagegen Düntzbr a. 0.
und WiLAMOwiTz, Hom. Unt. 235 ff. Dagegen
überbieten Lehrs noch Flach a. 0. u. Lud-
wich, Arist. hom. Textkr. II, 390 ff., welch
letzterer nur mehr von einer Peisistratos-
legende spricht.
^) Vgl. meine Proleg. p. 17 f.
^) Gellius VII. 17: Libros Athenis dis-
ciplinarum liberalium i)uhlice ad legendum
praebendos jorimus posuisse dicitur Pisi-
stratus tyrannus. Deinceps studiosius ac-
curatiusque ipsi Athenienses auxerunt; sed
omnem illam postea librorum copiam Xerxes
Athenarum potitus, urbe ipsa praeter arcem
incensa, abstulit asportavitque in Persas.
Eos porro libros universos multis p)OSt tem-
jjestatibus Seleucus rex, qui Nicanor appel-
latus est, referendos Athenas curavit.
^) So r 201 TQÜcpT] für ToäcpBv, H 434
eygsro für rjyQSTo, ^a/rjao^ca neben ^a^^o-
00/uai, TS&vr}(6g neben Tsd^ysicjg. Siehe meine
Proleg. p. 104 — 115. Jene Umschreibung
wird in Abrede gestellt von Wilamow^itz,
Hom. Unters. 286 ff. und Ludwich, Arist.
hom. Textkr. II, 420 ff.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 34 — 35.)
55
bekämpfte man dessen Ansichten über die Götter oder legte den diesbezüg-
lichen Worten einen geheimnisvollen Sinn unter. Dahin gehörten im all-
gemeinen die Arbeiten der alten Homeriker, von denen Aristoteles ^) den
bekannten Ausspruch that, dass sie die kleinen Ähnlichkeiten sehen, die
grossen übersehen. Namen gibt Piaton im Eingang des Ion; 2) zu den dort
genannten, Metrodoros, Stesimbrotos, Glaukon,^) kommt noch Theagenes
von Rhegion aus der Zeit des Kambyses, der zuerst über Homer geschrieben
haben soll und deshalb auch der erste Grammatiker genannt wird."^) Etwas
verschiedener Art waren die Bemerkungen der Philosophen und Sophisten,
die zieh zwar zum Teil auch an einzelne Worte hielten, hauptsächlich aber
Widersprüche und Schwierigkeiten im Homer aufstöberten und dieselben
in ihrer Weise zu lösen suchten {^rjTrjfxara xal Xvasig). Von den älteren,
Demokritos, Anaxagoras, Hippias,^) ist uns nichts erhalten, hingegen liegen
uns noch viele derartige Streitfragen oder Spielereien bei Aristoteles, Poet.
25 vor. Grossen Respekt flösst uns die Interpretationskunst jener Männer
nicht ein, wie wenn der Widerspruch im Eingang der Doloneia zwischen
TiccvTsc, jii6V qa d^eoi ts xal aveqeg ircTVOxoQVcfTai evöov Tcavvvxioi {K 1) und
ij TOI 6t' €g TTsSiov To Tqcoixov ad-QY^asisv, avlo)}' avQiyycov S^'6p.a6ov [K 11)
mit der Annahme gelöst wird, dass rcävTsg metaphorisch für rtoXXoC stehe. ^)
Einige gingen dabei bis zur Feindseligkeit gegen Homer, wie Xenophanes
aus Kolophon, der dem Homer und Hesiod vorwarf, den Göttern alle Gott-
losigkeiten angedichtet zu haben, und der Sophist Zoilos, der von seiner
Polemik den Beinamen ^OpbriQOfjiccaTi^ erhielt.')
35. Einfluss der homerischen Studien. In derselben Zeit äus-
serte Homer den entschiedensten Einfluss auf das ganze hellenische Geistes-
leben. Seine Anschauungen von den Göttern blieben neben denen des
Hesiod massgebend für den Volksglauben der Griechen, so dass auf sie
Herodot II, 53 die ganze griechische Götterlehre zurückführen konnte.^)
Aus seinen Mythen sog die chorische Lyrik, insbesondere aber die Tragödie
ihre beste Nahrung, wie denn Aischylos seine Dichtungen Brosamen von
der reichbesetzten Tafel des Homer nannte. Die von ihm in Worten ge-
^) Metaph. iV 6 p, 1093a: ofiotot dt} xal
ovroi ro?g (XQ^^aloig 'OfxrjQixoTqy oi fÄixqdg
ofxoiorrjzag oQcoai, fÄSyuXag (fs TiaqoQiooiv.
2) Vergl. Sengebusch, Hom. diss. prior
133 f.
^) Für Glaukon ist im Schol. zu A 636
Glaukos verschrieben.
'')^ Schol. ad II. y 67 p. 533a 30: olxo?
fj-ey ovv TQÖnog anoXoyiag dg^cciog wV näw
xal «710 Gsayevovg rov 'Vrjylvov, 6g ngcoiog
ByQufpB nsQL 'OjUTJQov, Tatian adv. Graecos
c. 31: nsQi yccQ zrjg noirjosoig rov 'OfxiJQov,
ysvovg re avjov xal ^q6i ov xaS^^ 6V rjx^uaaev,
TiQorjQEvvrjaav ol TiQsaßiharoL &saysv7]g re 6
'Prjyiog xazd Kafxßvorjt/ ysyovojg, ^zrjüi^ßQO-
Tog xs 6 0daiog xal ^Avtl^a^og 6 KoXoq^ojviog,
'Hgo&oTog xs 6 '^AlixagvaaoEvg xal Jiovvaiog
6 'OXvv&Log, fxex^ exeivovg ^EcpoQog 6 Kv^aTog.
Vgl. Sengebusch a. 0. p. 210 ff. In weiterem
Umfang gehören hieher auch noch die Lo-
gographen Hellanikos, Charax, Damastes.
^) Unter den Werken des Demokritos
erwähnt Diogenes IX, 48: neql "^O/urJQov ij
oQxhosneirjg xal ylioaaeayv. Vgl. Sengebusch
a. 0. p. 185. Anaxagoras war der Lehrer
des oben genannten Metrodoros und ver-
trat schon die allegorische Erklärung.
6) Arist. Poet. 25 p. 146 P^ 16. Die
Schwierigkeit ist in unseren Texten gelöst
durch die Lesart «A/lot fxev Tiagd vyjvoIv dgi-
axijsg üapa/aicDy ' s. Römer, Die Homerzitate
und die hom. Fragen des Aristoteles, Sitzb.
d. b Ak. 1884 S. 264—314.
^) Über diesen Zoilos, einen Zeitgenossen
des Isokrates, ein Artikel bei Suidas, wo er
QTjxioQ xal (fikoaocpog heisst und von ihm
angeführt wird xaid zrjg OfXTJQov noirjastog
"köyoi d- . Bei Heraklit Alleg. Hom. c. 14
heisst er von seiner Heimat Amphipolis 0^«-
xixop dv^Qu-nodoy.
^) Vergl. den zu § 59 zitierten Ausspruch
des Simonides.
56 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
zeichneten Typen der Götter und Heroen schwebten den Künstlern bei
ihren Schöpfungen als Norm vor, wie Pheidias, um die Majestät des olym-
pischen Zeus auszudrücken, sich die Verse des ersten Gesangs der Ilias
A 528 ff. vorhielt:
/] xal xvav&rjcfiv stt' 6(fQV(fi vsvas Kqovicov
ccfißqöciai ö'aqa xairat in€QQW(Savro ccvaxTog
xQazog «tt' a^avciTOio, (Jisyav 6'sXsh^sv 'OXv^inov.
Dem Schulunterricht und den Übungen im Lesen, Memorieren und
Erklären wurden homerische Verse zu Grunde gelegt, so dass es nicht
wenige gab, welche die ganze Ilias auswendig wussten. Kurz nach allen
Seiten drang Homer, der Dichter xa^' s'^oxrv, in das Nationalbewusstsein
der Griechen ein, so dass selbst Piaton, der sonst den Dichtern wenig hold
war, unumwunden den Homer Griechenlands Erzieher nannte.^)
36. Homer bei den Alexandrinern. 2) Das schulmässige Studium
Homers beginnt mit dem alexandrinischen Zeitalter. Auch hier hat sich
die Bedeutung Homers darin gezeigt, dass von ihm die gelehrten Studien
Alexandriens überhaupt ausgingen und an ihm die philologische und kri-
tische Kunst gewissermassen sich emporrankten. Die drei hervorragendsten
Grammatiker Alexandriens, Zenodot, Aristophanes und Aristarch,
haben nach einander kritische Ausgaben (SioQ^oiasig) Homers, der letzte
sogar zwei besorgt. Zu dem Zweck der Herausgabe notierten sich die-
selben als Grundlage ihrer eigenen kritischen Thätigkeit die Lesarten alter
Exemplare («xJocrag). Wir hören von zwei Arten von Handschriften, von
solchen, die im Besitze von Städten gewesen waren {xcczd noXstg), und
von solchen, die einzelne Männer besessen und beim Gebrauch verbessert
hatten (xard arSgag). Zur ersten Klasse gehörten die Ausgaben von
Massilia, Chios, Sinope, Kypern, Kreta, Aiolis, Argolis, zur zweiten die von
Antimachos, Euripides (dem Jüngeren nach Suidas), Aristoteles.^) Von
hohem Alter und besonderer Güte waren jene Handschriften nicht. ^) Das
Beste thaten die Grammatiker selbst durch Festsetzung der Bedeutung ver-
schollener Wörter und Aussonderung des Unechten (d^sTsTv). Weit über-
ragte hierin seine Vorgänger Aristarch,^') der mit unerreichtem Scharfblick
und feinstem Verständnis der poetischen Kunst das Wahre vom Falschen
zu scheiden und die Eigentümlichkeiten des Homer im Gegensatz zu den
späteren Dichtern herauszufinden verstand. Seine Ausgabe versah er am
Rand mit kritischen Zeichen (crrj^jisTa),^) unter denen besonders der Obelos
*) De rep. X p. 606 : rrjp 'EXXddix nsnai-
^evxep ovrog 6 TioirjTrjg. Protag. p. 339:
Tiai^eiag fj.eyiGxov fxtQog tjsqI iniop äsivov
slvca.
^) La Roche, Die homerische Textkritik
m Altertum, Leipzig 1866.
^) Vielleicht identisch mit der berühmten
von Aristoteles revidierten 'ihdg rj ix rov
vclQd^t]xog, welche Alexander in einer kost-
baren Kapsel {vüqSi-j'^) aufbewahrte; s. Plut.
Alex. 8 und Strab. p. 594.
^) Römer, Homerrezension des Zenodot,
Abh. d. b. Ak. XVII, 662 (24) ff. Über
Aristarchs handschriftlichen Apparat handelt
LuDVsricH, Aristarchs hom. Textkr., Kap. 1.
'") Lehes, De Äristarchi studiis Jiome-
ricis, 2. Aufl. 1865, 3. unveränderte Aufl.
1886; Ludwich, Aristarchs hom. Textkritik,
Leipzig 1884, 2 Bde.
^) Die Zeichen stehen noch heutzutag
im cod. Ven. A, wovon zuerst La Roche,
Text, Zeichen und Scholien des berühmten
Cod. Venetus der Ilias, Wiesbaden 1862, Mit-
teilungen machte. Über die kritischen Zei-
chen überhaupt siehe Reifferscheid, Suet.
rell. p. 137 ff. und Osann, Anecdotum JRo-
maniwi de notis veteriim criticis, wprimis
Äristarchi Homericis, Gissae 1851.
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee. (§ 36-37.)
57
und die Diple viel genannt sind.^) Ausserdem hinterliess er Kommentare
{vTvo}.ivrjfiaTa) zur Ilias und Odyssee in 48 B. und besondere Abhandlungen
über einzelne Punkte, wie über das Schiffslager {neql vav(rTaS^fxov). Dass
von ihm auch die Einteilung der Ilias und Odyssee in je 24 Gesänge her-
rühre, ist eine unbeweisbare und nicht sehr wahrscheinliche Behauptung.
Beweisen lässt sich nur, dass er dieselbe kannte; vermutlich aber war sie
schon von Zenodot eingeführt worden; Aristoteles scheint sie noch nicht
gekannt zu haben. 2) Die 3 berühmten Rezensionen von Zenodot, Aristo-
phanes und Aristarch waren nicht die einzigen; es gab noch welche von
Aratos (nur Odyssee), Rhianos, Philemon, Sosigenes und von Kallistratos
dem Aristophaneer.3)
37. Was in den nächsten Jahrhunderten auf dem Gebiet der Homer-
kritik geleistet wurde, geht fast alles von Aristarch aus und bedeutet keinen
nennenswerten Fortschritt. Zunächst gehen direkt auf Aristarch die Schriften
zweier Grammatiker aus der Zeit des Cicero und Augustus zurück, denen
wir zumeist unsere Kenntnis der aristarchischen Kritik verdanken, nämlich
des Didymos nsgl Trjg ^ÄQKrraoxsiov SiOQd^wasatCj^) und des Aristonikos
Ttsgl (frjfÄsiMv Trjg 'iXtdöog xal 'Oövaasiag.^) In dem ersten Buche war über die
bereits damals schon vielfach verdunkelten Lesarten des Aristarch auf
Grund seiner zwei Ausgaben und seiner Kommentare mit wenig Witz und
viel Behagen gehandelt, in dem zweiten waren die Gründe der von Ari-
starch gesetzten kritischen Zeichen kurz und bündig entwickelt.^) Selbst-
ständiger, aber nicht bedeutender waren die Arbeiten derjenigen, welche
zu den Lesarten und Erklärungen Aristarchs Stellung nahmen, teils ab-
wehrend, teils verteidigend. Hauptgegner des Aristarch war der Perga-
mener K rat es, der in 9 Büchern eine SioQ&Mt^ig ^iXiäöog xal ^Oövaasiag
schrieb; daneben unterhielten die Polemik Kallistratos, der sich gegen die
Athetesen Aristarchs wandte, und Ptolemaios, ein Schüler des Hellanikos,
der von seinen Angriffen auf Aristarch den Beinamen 0 sni&tTrig erhielt.
Für Aristarch, das gefeierte Schulhaupt, traten besonders ein die Aristar-
cheer Dionysios Thrax, Ammonios, Parmeniskos, Dionysios Sidonios, Chai-
ris, Seleukos und Apollodor. Alle diese lebten und schrieben vor Didy-
mos ; nach ihm spannen die alten Fragen Tyrannion der Jüngere, Herakleon
der Ägyptier, Alexion, Philoxenos, Apion, Epaphroditos fort. Mehr eigene
Wege gingen Nikanor unter Hadrian, der die Fälle strittiger Interpunk-
tion bei Homer besprach,') und der berühmteste Grammatiker der römi-
^) Mit dem Obelos ( — ) wurde ein Vers
als unecht bezeichnet [oßsUt^Eip, ccd^Eieip);
mit der Diple (» wurde angedeutet, dass
die betreffende Stelle für Lösung einer kri-
tischen Frage oder zur Erkenntnis einer
homerischen Eigentümlichkeit von Bedeu-
tung sei.
'^) Jedenfalls datiert die Einteilung in
24 Gesänge aus der Zeit nach Einführung
des ionischen Alphabets, da die 24 Gesänge
nach den 24 Buchstaben des neuen ionischen
Alphabetes benannt sind; von der älteren
Einteilung in eine kleinere Zahl von Rhap-
sodien ist oben § 17 u. 18 gesprochen.
^) Aus unbestimmter Zeit sind die noXv-
ori^og, rj y.vxXtX7] und ry sx Movasiov.
'^) LuDWiGH, Aristarchs hom. Textkritik
nach den Fragmenten des Didymos, Leipzig
1884, 2 Bde., dazu die Einwände von Maass,
Herm. 19, 565 ff'.
■^) Aristonici ttsql ai]iLiSLo)u 'Ihccdog rell.
ed. Friedländer, Götting. 1853, zur Odyssee
von Carnuth, Leipz. 1870.
^) Daher hat man das Eigentum des
Aristonikos an dem Kennzeichen oti aus der
Masse der homerischen Scholien heraus-
gefunden.
^) Nicanoris nsQi ^Ihaxrjg orty^ui]g rell.
58
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
sehen Periode, Herodian, der im Anschlüsse an Aristarch über die Pro-
sodie (Accent, Hauch, Quantität) bei Homer handelteJ)
38. LexikaHsche und erklärende Arbeiten zu Homer. Erklä-
rungsbedürftige Wörter des Homer bildeten schon bei Zenodot einen
Gegenstand der Untersuchung. Auf uns gekommen ist neben unbedeuten-
den Exzerpten aus Apion^) und Zenodoros^) ein homerisches Speziallexikon
von dem Aristarcheer Apollonios Sophistes (um 100 n. Chr.), in welchem
die Kommentare des Aristarch und die Lexeis des Apion benützt sind.*)
In Gegensatz zur grammatischen Erklärung trat schon seit alter Zeit die
allegorische. Sie fand auch bei Grammatikern Eingang, wie insbesondere
bei Krates von Mallos, galt aber immer als eine spezielle Domäne der
Philosophen. Namentlich hatten die Stoiker sich auf dieses Gebiet gewor-
fen, und in der Zeit des Augustus ward die allegorische Deutung in ein
förmliches System gebracht.^) Daraus ist das uns erhaltene Buch 'AlXriyo-
qiai ^Ofi7jQixai von Heraklei tos (nicht Herakleides) hervorgegangen, ß) wo-
rin vermittelst der Philosophie Homer gegen den Vorwurf der Gottlosigkeit
in Schutz genommen wird. Manches darin ist zutreffend, wie wenn c. 14
der Vers: ov^fjag fx&v jiqmtov stkÖi^to xal xvvag aQyovg {A 50) auf den
natürlichen Verlauf der Seuchen zurückgeführt wird. Das Meiste aber ist
verkehrt, wie dass die ßesiegung der Aphrodite durch Diomedes in der
Inferiorität der aXoyia%ia ßaqßäQwv gegenüber der kriegerischen Tüchtig-
keit der Griechen ihren Grund haben soll (c. 30). Daneben wandte man
in den schreibseligen Kreisen der Grammatiker und Philosophen auch der
antiquarischen Seite der homerischen Gedichte seine Aufmerksamkeit zu.
Besonderes Ansehen erlangte das Buch eines gewissen Dioskorides „Über
die Sitten bei Homer", welches fleissig von Athenaios, daneben aber auch
von Plutarch und dem Rhetor Dion Chrysostomos benützt wurde. ^) Noch
später, im 3. Jahrh. kehrte die Homererklärung teilweise wieder zu ihrem
Ausgangspunkt zurück. Es geschah dieses durch die Neuplatoniker, bei
denen die Philosophie Homers ein stehendes Thema bildete,^) und aus deren
ed. Friedländer, Regiom. 1850; nsQL '06va-
(jsicix^g oxiyfxijg ed. Caenuth. Berl. 1875.
^j Das Buch Herodians hatte den Titel
'O^TjQixr] ngoGM^ia und war geteilt nach IlJas
und Odyssee; es verfolgte die kontroversen
Stellen Buch für Buch. Hauptausgabe von
Lektz, Herodiuni teclmici relL, Lips. 1867.
''^) Apions T'Amooui 'Ofxt]QiyMi, von Sturz
im Anhang des Et. Gud. p. 601 publiziert,
sind ein elendes Exzerpt; dass dasselbe aber
doch auf Apion zurückgeht, beweist Kopp,
Herrn. 20, 161 tt". Ein Exzerpt Ex xov ^Jttlü)-
voq im Cod. Vind. 169 veröffentlichte Kopp,
Rh. Mus. 42, 118- 121.
^) Von diesem Zenodoros, der nach Diony-
sios Halic. den er zitiert, lebte^ und den Por-
phyrios und Eustathios öfters anführen, gibt
Miller, Mel. 407 — 411, eine 'Entiofxf] roJv
71 (Qi avprj&siag (in 10 B.), worin die Abwei-
chungen Homers vom gewöhnlichen Sprach-
gebrauch behandelt sind.
'^) \47io'k'kb}viov aocfioTov },e'^ix6v (erhal-
ten in einem cod. Sangermanensis) rec.
Imm. Bekker, Berol. 1833. Dass das Lexi-
kon in verdünnter Gestalt auf uns gekommen
ist, weist Leyde, De Ajjollonii sophistae lex.
Homerico, Leipz. 1855 nach; vgl. Kopp a. 0.
^) Diels, Dox. gr. p. 88 ff.
^) Heracliti Allegoriae Homericae ed.
Mehler, LB. 1851; es sind in dieser Ausg.
vollständigere Handschriften als in den frühe-
ren benützt; neue kritische Beiträge gibt
Ludwich, Arist. Textkr. II, 642 ff.
'') R. Th. Weber, De Dioscuridis ttsql
xwv TiKQ^ 'Oy.rjQia vof^wv, Lips. Disis. 1888.
Ehedem identifizierte man, durch Suidas irre-
geführt, unseren stoischen Grammatiker mit
dem Isokrateer Dioskurides. In Wahrheit
lebte derselbe, der auch dno[xv7]^ovevfxcaa
und über den lakonischen Staat schrieb, nach
Aristarch, dein er folgte, und vor Dion
Chrysostomos, der ihn exzerpierte; Weber
setzt ihn 160-60 v. Chr.
^) Schon der Epikureer Phil ödem
A. Epos. 2. Homers Ilias und Odyssee, (§ 38—39.)
59
Betrachtungen uns die ^OiiriQixd ^rjTrjiiiaTa des Porphyrios erhalten sind. i)
Dort werden nach alter Weise Fragen, oft recht läppische, aufgeworfen
und in der Art klügelnder Grammatiker und Sophisten gelöst. 2)
39. Die Arbeiten der alten Grammatiker sind nicht im Original auf
uns gekommen, sondern nur in Auszügen. Der hauptsächlichste Auszug
eines anonymen Grammatikers aus den Viermännern Aristonikos, Didymos,
Herodian, Nikanor ist uns bezeugt durch die Unterschriften des Cod.
Ven. A: na^dx^icai td 'AqkStovikov arjfjieta xal zd Jidv^xov ttsqI Tjjg ^Aqi-
(TTCiQ)[€tov dioQ&cöascog, Tivd 6^ xal ix rrjg ^Ihaxrjg nQO(J(o6iag '^Hqoo6i(xvoi>
xal ix TMv NixdvoQog ttsqI aTiyixi]g.^) Dazu waren in der nachfolgenden
Zeit noch Schollen aus anderen Grammatikern, besonders aus den ZrjTyj-
fnaza des Porphyrios gekommen. Auf diese Auszüge gehen die Schollen
unserer Handschriften zurück ; dieselben sind uns am besten in dem Venet.
454 (A) erhalten und zwar in doppelter Fassung als ausführlichere Rand-
oder Hauptscholien, und als kürzere Zwischen- oder Textscholien.^) Aus
derselben Quelle stammen die Schollen des Townleianus, mit dem der jün-
gere Victorianus übereinstimmt,^) und die des Ven. 453 {B).^) Mehr die Er-
klärung berücksichtigten die fälschlich dem Didymus zugeschriebenen, schon
von Aldus herausgegebenen Scholia minora."^) Dürftiger sind die Schollen,
namentlich die kritischen, zur Odyssee, vornehmlich erhalten durch den
Harleianus 5674 des britischen Museums (H) und den Ven. 613 {M).^)
Ausser den Auszügen der Viermänner und den Abschnitten aus Herakleitos
und Porphyrios enthalten diese Schollen manche zum Teil sehr beachtens-
werte exegetische Bemerkungen^) und viele Notizen aus dem, was man
Mstoria fabularis nennt. 1^)
schrieb über das Fürstenideal bei Homer
(s. BücHELEK, Rh. M. 42, 198-208), Lon-
ginos Ei (filöoocpog "Ofxrjqog, Porphyrios tieql
irjg OfxtJQov cpiXoaocflag.
') Porphyrii Quaestionum Homericarum
ad Ih'adem pertinentium rell. ed. Herm.
ScHRADER, Lips. 1882, mit Nachträgen im
Herrn. 20 (1885), 380 ff.; Porphyrii Quaest.
Hom. ad Odysseam pertinentium, ed. H.
ScHRADER, Lips. 1890. Erhalten ist der 1.
Teil des Buches mit dem Widmungsbrief im
\^at. 305, das Ganze exzerpiert in den Homer-
scholien, Eustathios und Tzetzes.
'^) So zu J 298: dt« ri 6 A/ikXevg xrjv
fxkv B(iLGf]'l(fa (ffjal dcoasty, tmv cT' cHXniv ovdep
7TQo'i€(ji9ca cft^alv civev noXifiov ; Qrjzsov ovv,
oTc 071 cog fxrj dxQaxrjg elvai (foxfj. Einen spe-
ziellen Versuch allegorischer Deutung lie-
ferte derselbe Porphyrios in dem Büchlein
ne^l Tov ep 'O^vaaelu xwv Nvf^cpcoy civtqov.
^) Beccard, De scholiis in Hom. Iliadem
Venetis, Berlin 1850.
^) Römer, Die Werke der Aristarcheer
im Cod. Ven. A, in Stzb. d. b. Ak. 1875,
und Ludwich, Arist. I, 83 ff.
^) Dass der Victorianus in München
direkt aus dem Townl. abgeschrieben sei,
bezweifelt Sittl, N. Phil. Rundschau 1889
S. 194; vgl. auch Römer, De schol. Victö-
rianis, Münch. 1874 S. 24 f.
^) Die Schollen zuerst bekannt gemacht
durch ViLLOisoN, Ven. 1788 fol. Neuere
Ausgaben: Scholia in Homeri Iliadem ex
reo. Bekkeri, Berol. 1827, 2 tom.; Scholia
graeca in Homeri Iliadem ex codicibus
aucta et emendata ed. Gu. Dindorf, t. I — IV
Ox. 1875; t. V —VI die Scholia Townleyana
enthaltend, besorgt von Maass, Ox. 1888.
Die Scholia cod. Lipsiensis, welche Bach-
mann, Lips. 1835—8 herausgegeben hat,
haben keinen selbständigen Wert, da sie,
wie Maass, Herm, 19, 264 ff. nachgewiesen
hat, aus Ven. B. u. Townl. genommen sind.
Über den Cod. Laur. 32, 3 s. Schrader, Herm.
22, 282 ff.
') Ein alter Cod. Mureti in der Bibl.
Vitt. Eman., nachgewiesen von Maass, Herm.
19, 559.
^) Scholia antiqiia in Homeri Odysseam
ed. Ph. Buttmann, Berol. 1821. Scholia
graeca in Homeri Odysseam ex codicibus
aucta et emendata ed. Gu. Dindorf, 2 vol.
Ox. 1855. Über die Ambrosianischen Odyssee-
scholien Schrader, Herm. 22, 337 ff.
^) Römer, Die exegetischen Scholien
der Ilias, München 1879. Dieselben stehen
fast alle in Cod. B.
^*^) Ed. ScHWARTz, De scholiis Homericis
ad historiam fahularem pertinentihus, in
Jahrb. f. Phil. Suppl. Xn, 405-463.
60
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
40. Das Mittelalter hat nichts Neues und Standhaltendes in der Kritik
und Exegese Homers geleistet; die Eustathios und Tzetzes haben wesent-
lich nur breitgetreten, manchmal auch entstellt, was sie aus dem Altertum
überkommen hatten. Der früher überschätzte Kommentar des Eustathios
(12. Jahrb.), ^) IlaQexßoXal dg Tr^v^OfJirjQov 'OSvcrasiav xaVlhdda,^) findet jetzt,
nachdem uns durch Villoison die alten Scholien selbst zugänglich gemacht
worden sind, wenig Beachtung mehr. Sein Wert besteht wesentlich nur
in dem, was Eustathios aus alten Quellen, 2) einem Auszug des Kommen-
tars der Viermänner, den Lexeis des Aristophanes, den rhetorischen Wör-
terbüchern des Dionysios und Pausanias, dem enkyklopädischen Lexikon
des Apion und Herodoros^) aufgenommen hat. Noch unbedeutender ist die
von Tzetzes in seiner Jugend (1143) verfasste Exegesis Iliados.^) Neben
den Kommentaren spielten in den Studien der Byzantiner die Paraphrasen
eine Rolle, von denen uns mehrere in Handschriften, teilweise auch in
Drucken vorliegen.^)
4:1. Homer, der schon von Alexandria aus zu fremden Völkern bis
nach Indien gedrungen war und in Rom gleich beim ersten Erwachen des
litterarischen Lebens an Livius Andronicus (Odyssee) und Matius (Ilias)
Übersetzer gefunden hatte, im Mittelalter aber den Völkern des Abendlandes
nur durch eine metrische Epitome der Ilias, den sogenannten Homerus
latinus, bekannt war, erblühte zu neuem Leben in der Zeit der Wieder-
geburt der Wissenschaften.^) Im Jahre 1488 erschien zu Florenz die erste
Ausgabe; zuvor schon hatte für Boccaccio der Calabrese Pilato eine latei-
nische Übersetzung der Ilias angefertigt. Aber wiewohl auch schon 1542
der weitläufige Kommentar des Eustathios gedruckt wurde, so dauerte es
doch noch Jahrhunderte, bis Homer volles Verständnis und gerechte Wür-
digung fand. Es überwog eben infolge des romanischen Einflusses die von
Jul. Cäs. Scaliger in seiner Poetik vertretene Anschauung, dass nur dem
Vergil die Palme des klassischen Dichters gebühre, dem gegenüber die
homerische Poesie die Rolle einer pleheia meptaque mulier cula spiele. Die
richtige Auffassung ging von England aus, wo Pope (1715) seine berühmte
Homerübersetzung dichtete und der in Griechenland selbst vielgewanderte
Wood mit seinem Buche, On the orkjinal genius of Homer (1719), das Ver-
ständnis der Natur- und Volkspoesie erschloss. In Deutschland fanden
die Anschauungen der Engländer bei Gottsched, Lessing, Winckelmann,
^) Eustathios, der anfangs Diakon und
Maistor rhetoron zu Konstantinopel und seit
1175 Erzbischof von Thessalonike war, hat
den Kommentar zu Homer vor seiner Er-
nennung zum Erzbischof veröffentlicht; dass
er den zur Ilias vor dem zur Odyssee be-
arbeitete, wiewohl er sich wechselweise in
dem einen auf den andern bezieht, macht
wahrscheinlich Fr. Kuhn, Quo ordine et
quibus temi)orHjus Eustathius commentarios
siios composuerit, in Comment. in hon. Stu-
demundi p. 249 — 57.
"') Die älteste Ausgabe zu Rom 1542;
die neueste Lips. 1825 — 30. 2 vol.
2) La Roche, Hom. Textkritik S. 151 ff.:
CoHN, De Aristophane Byzantio et Suetonio
Tranquillo Eustathi auctoribus, in Jahrb. f.
Phil. Suppl. XII, 285 ff.
■*) Neben Herodoros kommt auch die
Variante Heliodoros vor, der Naber ad Phot.
lex. I, 119 den Vorzug gibt.
^) Zu A 1 — 102 gedruckt in Hermann's
Ausg. des Drako.
^) Eine Paraphrase veröffentlichte Bek-
KEK, Scliolia in Homeri Iliadem am Schluss.
Neue Mitteilungen über Homerparaphrasen
gibt Ludwich, Arist. hom. Textkr. II, 486 ft'.
^) Feiedländer, Schicksale der homeri-
schen Poesie, in der Deutschen Rundschau,
Februarheft 1886.
A. Epos. 3. Die homerischen Hymnen und Scherze. (§ 42.) ß\
Heyne lebhaften Anklang. Mit der Übersetzung von Voss ^) ist dann bei
uns Homer in den weitesten Schichten des Volkes populär geworden, wie
sonst es nur Werke nationaler Dichter zu werden pflegen, und mit den
Prolegomena von Fr. A. Wolf (1795) begann für die Homerforschung eine
neue Epoche kritischer Studien und tieferer Erkenntnis.
Codd. und Scholia s. § 39. Zu den bereits genannten Handschriften kommen noch
zu einzelnen Büchern: ein syrischer Pahmpsest (ed. Cureton 1851), mehrere Papyri (s.
Landwehr, Philol, 44), ein cod. Mediol. mit Miniaturen {Iliadis antiqiiissima fragm, cum
picturis ed. Ang. Mai, Medio]. 1819, Rom. 1835), zur Odyssee: Laur. 54 u. 32, 24 s. X.
Kritischer Apparat zuerst beschafft von La Roche, vervollständigt von Ludwich.
Ausgaben: ed jwinc. ex reo. Demetkii Chalcondylae, Flor. 1488; mit gelehrtem
Kommentar von Clarke-Ernesti, 1779, 4 vol.; Ilias cum. vers. lat. et annot. cur. Heyne,
Lips. 1802, 9 vol.; berichtigter Text mit epochemachenden Proleg. von F. A. Wolf, Hai.
1795. — Tumultuarischer Versuch der Herstellung eines Urhomer von Payne-Knight,
Lond. 1820. — Ilias rec. Spitzner, 1835, 4 vol. mit kritischen Noten und Exkursen. —
Kritische Hauptausgabe mit Digamma im Text und dem Anfang eines kritischen, wesent-
lich auf den Scholien basierten Kommentars von Imm. Bekker, Bonnae 1858; dazu dessen
Homerische Blätter, Berl. 1863, 2 Bde. — Homeri Odyssea ad fidem librorum optimorum
ed. La Roche, Lips. 1867, Ilias 1873, mit einem reichen, aus Scholien und Handschriften
geschöpften kritischen Apparat — ed. A. Nauck. Ber. 1877 mit kritischem Apparat und
einschneidender, die von Bekker eingeschlagenen Wege weiter verfolgenden Recensio —
ed. RzACH (IL) u. Cauer (Od.) in Bibl. Schenk.; Ilias rec. Leeuwen et Mendes da Costa.
LB. 1887. — Homeri carmina rec. et selecta lectionis varietate instr. Arth. Ludwich, Lips.
im Erscheinen. — Ausgaben, welche die homerische Frage berücksichtigen: Iliadis carm.
XVI ed. KöcHLY, Lipsiae 1861; Die homerische Odyssee von Kirchhofe, 2. ed. Berlin 1879;
Iliadis carmina seiuncta emendata ed. Christ, Lipsiae 1884; Die homerische Odyssee, Die
homerische Ilias, in der ursprünglichen Sprachform hergestellt von Fick, Göttingen 1883
u. 1886. — Schulausgaben mit erklärenden Anmerk. von Ameis-Hentze mit gelehrtem, unent-
behrlichem Anhang; von Fäsi-Francke; von La-Roche; von Düntzer. — Einzelausgaben:
Erklärende Anmerkungen zu Homers Odyssee, von Nitzsch, Hann. 1826, 3 vol.; Ilias 1. XX
et XXI ed. Hoffmann, Clausthal 1864; Anmerkungen zu II. ABT von Nägelsbach, neu-
bearbeitet von Autenrieth, Nürnberg 1864; Benicken, Der 12. u. 13. Gesang vom Zorn
des Achilleus, Innsbruck 1884.
Hilfsmittel lexikalische und sachliche: Index Hom^ericus studio Seberi, ed IL Oxon.
1780 (verdiente eine Neubearbeitung). — Lexicon Homericum ed. Ebeling, Lips. 1885,
3 vol. — Parallelhomer von C. Ed. Schmidt, Gott. 1885. — Friedreich (Mediziner), Die
Realien in der Iliade und Odyssee, Erl. 1851. — Buchholz, Die homerischen Realien,
Leipz 1871 — 85, 3 Bde. — Helbig, Das homerische Epos aus den Denkmälern erläutert,
2. Aufl., Leipzig 1887. — Overbeck, Gallerie heroischer Bildwerke der alten Kunst, Braun-
schw. 1853. — Brunn, Troische Miszellen in Sitzb. d. b. Ak. 1868 u. 1880. - Wörmann,
Die antiken Odysseelandschaften vom Esquilin, München 1876. — R. Engelmann, Bilder-
Atlas zum Homer, Leipz. 1889. — Völker, Hom. Geographie, Hann. 1830 (bedarf einer
Neubearbeitung); Kophiniotes, 'Ofxrjqixrj yeioyQcicpia, Athen 1884. — Nägelsbach, Home-
rische Theologie, 3. Aufl. von Autenrieth, Nürnberg 1884. — Zur Sprache Homers:
Buttmann, Lexilogus, 4. Aufl., Berlin 1865, 2 Bände. — Hoffmann, Quaest. Hom., Claus-
thal 1842. — Knös, De digammo ho7)ierico, Ups. 1872. — Classen, Beobachtungen über
hom. Sprachgebrauch, Frankf. 1867. - Hartel, Hom. Studien, aus Sitzb. d. Wien. Ak.
1871 — 4. — Menbad, De contractionis et synizeseos usu Homerico, Münch. 1886. — Monro,
Grammar of tlie hom. dialect, Oxf. 1882. — Mehler, Der Dialekt d. hom. Gedichte, ^us
dem holländischen Werke von Leeuwen u. Mendes da Costa. - Vogeinz, Grammatik des
homerischen Dialektes, Paderborn 1889; W. Ribbeck, Hom. Formenlehre, 2. Aufl., Berlin
1880; Hartel, Abriss der Grammatik des homerischen und herodotischen Dialekts, Wien-
Prag 1887.
3. Die homerischen Hymnen und Scherze.
42. Unter Homers Namen ist ausser Ilias und Odyssee eine Samm-
lung von Hymnen und scherzhaften Kleinigkeiten {Traiyvia) auf uns ge-
^) Die Odyssee erschien 1781 in erster
Gestalt, die Ilias folgte 1793. Vgl. M. Ber-
NAYs, Einleitung zu Voss Homers Odyssee.
Stuttg. 1881. Die erste deutsche Übersetzung
der Odyssee lieferte im J. 1537 ein Mün-
chener Beamte Schaidenreisser, worüber
ReinhardstÖttner, Jahrb. f. Münch. Gesch.
I, 511 ff.
62
Grriecliisclie Littteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
kommen. Der homerischen Hymnen sind es 34, darunter 5 grössere.
Mit ihrem eigentlichen, noch von Thukydides III, 104 und Pindar Nem.II, 2
gebrauchten Namen hiessen sie 7TQooi\ma, so genannt, weil sie bestimmt
waren, dem Vortrage homerischer Heldengesänge {olfioi Od. ^481, x 347)
voranzugehen.') Es schliesst demnach der 31. Hymnus auf Helios mit ex
aäo d' aq'^cciievoc. xXfjda) fjfQoiioov yt'vog dvSQMv, und mehrere andere mit
avTccQ syco xal asTo xal aXXrjg i^injaof^i' doiSrjg. Durchweg aber stehen sie
mit Götterfesten in Verbindung und hängen mit der nachhomerischen Sitte
zusammen, die Heldenlieder nicht mehr in den Männersälen der Königsburgen
vorzutragen, sondern in den öffentlichen Versammlungen bei den Festen
der Götter, =^) an welchen selbstverständlicher Weise der Gottheit, welcher
das Fest galt, auch die erste Gesangesspende dargebracht wurde. ^) So
waren die Hymnen auf Apollo bestimmt in Dolos und Delphi, der auf
Demeter an den Panathenäen in Athen, der 9. bei dem Artemistempel in
Klares bei Kolophon, der 6. und 10. beim Aphroditefest im kyprischen
Salamis vorgetragen zu werden. Wie auf solche Weise die Hymnen an
sehr verschiedenen Orten, wohin nur immer Homeriden den homerischen
Gesang trugen, gesungen wurden, so. sind sie auch in sehr verschiedenen
Zeiten entstanden. Während die älteren in das 7. Jahrh. hinaufreichen,
ist der 19. auf Pan erst nach der Schlacht von Marathon entstanden,^) und
weisen andere, wie insbesondere der auf Ares (8), in den Kreis der jüngeren
Orphiker. ^)
Der älteste und schönste der Hymnen ist der auf den delischen Apoll,
der ehedem, in den Handschriften und Ausgaben, mit dem auf den pythi-
schen Apoll zu einem Hymnus vereint war.*^) Aber beide Hymnen sind
für verschiedene Kultstätten bestimmt und tragen ganz verschiedenen Cha-
rakter. Der zweite stammt aus der hesiodischen Schule,^) der Dichter des
ersten bezeichnet sich selbst (V. 172) als blinden Sänger von Chios, der
Heimstätte des homerischen Gesangs. Den alten Homer nahmen ohne Be-
denken Thukydides III, 104 und Aristophanes, Vögel 575, als Dichter des
^) Dieses gilt jedoch nur von den klei-
neren Hymnen ; die grossen scheinen selbst
die Stelle von Rhapsodien eingenommen zu
haben ; dann müssen jedoch die Schlussverse
jener grösseren Hymnen (H, 367 — 8; HI,
579-80; IV, 292-3; V, 495) als spätere
Interpolationen gestrichen werden. Auffällig
ist, dass wir in unserer Sammlung nur 1
Proömium (23) auf Zeus haben, während nach
Pind. N. 2, 1 die Homeriden in der Regel
mit Zeus angehoben haben sollen.
^) Auf dem Markte wird schon bei Ho-
mer die junge Eindichtung von der Liebe
des Ares und der Aphrodite, -5- 266 - 366,
vorgetragen An die Gottheit wendet sich
auch beim Anheben des Gesangs, ähnlich wie
Homer selbst im Anfang der Ilias und Odyssee,
Demodokos der Sänger in Od. i9- 499: dig
cpa(h\ G J' 6QjU7]x^€lg x)^£ov rJQ/^To, (pmve cT'
^) Flut, de mus. 6: r« yuQ nQog rovg
S^eovg dcpoGiiüad^avoi i^eßuipoy svd^vg im rrjy
'OfirjQov y.al rujy dXXü)u 7ioh]GLv. Vergleiche
auch Pind. Ol. 3, wo von der kurzen Erwäh-
nung der Tyndariden, denen das Fest galt,
zum Preise des Siegers übergegangen ist.
^) Der Hymnus ist nämlich für Attika
bestimmt, dort aber wurde nach der Erzäh-
lung des Herodot VI, 105 erst in den Perser-
kriegen die Einführimg des Pankultus ver-
anlasst.
^) Baumeister in der Ausgabe schreibt
geradezu den Vers 15, 8, der nach dem
unechten Vers der Od. A 603 gedichtet ist,
dem Onomakritos zu; aber dazu fehlen be-
stimmte Zeugnisse.
^) Die Scheidung wurde vorgenommen
von RuHNKEN in ep. crit. ;Ath. 22'' ev roig
€ig 'A-nöXliava vuvoig hatte noch in seinem
Exemplar 2 Hymnen. Vergl. Lehrs, Pop.
Aufs.-^ 423 ff.
"') Auch das Haften des Digamma weist
auf nichtionischen Ursprung.
A. Epos. 3. Die homerischen Hymnen und Scherze. (§ 42.)
63
Hymnus an. Dagegen ward nach dem Scholion zu Pindar Nem. II, 1 be-
reits von einigen Alexandrinern der Homeride Kynaithos, welcher die
homerische Poesie in Syrakus eingeführt hatte, als Verfasser ausgegeben. ^)
Diese Meinung gründete sich offenbar auf die Verse 14 — 18, in denen der
Artemis in Ortygia gedacht ist ; aber diese sind unecht, wie G. Hermann
erkannt hat, und der Rhapsode Kynaithos kann daher nur als Interpolator,
nicht als Verfasser des Hymnus gelten.^) — Umfangreich und alt ist, von
dem jüngeren Schluss 507 — 580 abgesehen, auch der Hymnus auf Hermes,
in dem die Geburt und die ergötzlichen Schelmereien des Gottes hübsch in
der Art der ionischen Sänger erzählt sind, jedoch so, dass die physikalische
Natur des Hermes als Regengott noch durchleuchtet.^) — Der Dichter des
Hymnus auf Aphrodite hing ganz von Homer ab, aus dem er eine Masse
von Versen, Halbversen und Wendungen genommen hat,*) verstand es aber
im übrigen das Liebesabenteuer der Göttin mit Anchises recht anmutig zu
erzählen. — Der grosse Hymnus auf Demeter ward erst im vorigen Jahrh.
aus einer Moskauer Handschrift ans Licht gezogen. Derselbe hat offenbar
auf die Einführung der eleusinischen Mysterien Bezug und ist, wie Voss
in seiner trefflichen Ausgabe (1826) aus sprachlichen Indicien nachwies, in
Attika um Ol. 30 entstanden.^) — Wahrscheinlich stammt aus Attika auch
der 7. Hymnus auf Dionysos,^) in dem das bekanntlich auch am cho-
ragischen Denkmal des Lysikrates dargestellte Abenteuer des von tyrseni-
schen Seeräubern gefangen genommenen Gottes und die Verwandlung der
Seeräuber in Delphine hübsch und anschaulich erzählt ist.'^) Wann und
von wem die Sammlung unserer Hymnen veranstaltet wurde, wissen wir
nicht. Der Redaktor ging offenbar von den grossen Hymnen aus und Hess
denselben die kleineren nachfolgen; aber auffällig ist, dass Hymnen auf
dieselbe Gottheit auseinander gerissen sind, ohne dass immer der später
gestellte kleiner sei oder jüngeren Ursprung verrate,^) etwas was zur Ver-
1) Für die Stellung des Aristarch zur Frage
ist beachtenswert, worauf mich mein Freund
Römer aufmerksam machte, dass in den
Scholien kein einziger Vers der sogenannten
homerischen Hymnen als homerisch an-
geführt ist.
2) Über Kynaithos siehe oben § 32.
FiCK, Hom. Odyssee S. 280 widmet dem
Hymnus eine eingehende Besprechung, indem,
er die fraglichen Verse aus einem doppelten
Schluss des Hymnus herleitet. Sittl. Phil.
Anz. 1887 S. 346 will aus Strabon p. 23, wo
für die Erwähnung von Ortygia als ältester
Gewährsmann Hesiod angeführt ist, schliessen,
dass derselbe unsere Verse 14 — 18 noch
nicht kannte.
^) Auch der Hymnus auf Hermes wird
dem Homer von einem der ältesten Gram-
matiker, von Antigenes Caryst. Parad. c. 7
beigelegt. In der That aber stammt der
Hymnus aus der Zeit nach Terpander, da
in V. 51 die siebensaitige Kithara erwähnt ist.
^) Dieses Verhältnis anschaulich ge-
macht in der x\usgabe von Stekrett, Bosto-
niae 1881. Thiele, Froleg. ad hymn. in
Vener em Homericum, Halle 1872.
^) Voss pflichtet bei K. Franke, De
hymni in Cererem Homerici compositione,
Kiel 1881: vt posse Carmen compositum esse
post Hesiodum, ita non jiosse post Solonem.
^) Beziehungen zu Attika und zu den
religiösen Bräuchen und Agonen von Brauron
vermutete schon Welcker, Ep. Cycl. I, 391.
Gegen Ludwich, der den Hymnus gar in
die Zeit der Orphiker herabrücken wollte,
wendet sich Crusius, Philol. N. F. H, 193 ff.
Ein Zeugnis über den alten Ursprung des
Hjaunus enthält nach wahrscheinlicher Er-
gänzung Philodemos 7rf()t svasßslug 4:8: <Ji6-
vvaop d's 'O^rjQog iv zoTg vfxpoi.g v7t6> XyjOKop
{'<X<(opai> yqücpsi, xai n<LP&a>Qog tff ^Uq^STcci
716qI Trjg T.rjGTELag.
"') Eine bildliche, eng an unseren Hym-
nus sich anschliessende Darstellung bei
Philostr. Imag. I, 19. Auf eine altattische
Amphora mit Dionysos und Satyrgefolg iu
einem Zweiruderer macht aufmerksam Maass,
Ind. Gryph. 1889 p. 9.
^) Jünger sind wohl 2. 3. 10 gegenüber 1.
6. 18, kaum aber 28 u. 29 gegenüber 24 u. 11.
64
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
mutung führt, dass unsere Sammlung erst allmählich durch Vereinigung
mehrerer älterer Sammlungen entstanden ist.
ÜberUeferung: Im Certamen Hesiodi ist vom Hymnus auf den deliscben Apoll er-
zählt, dass ihn die Delier auf einer Tafel im Tempel der Artemis aufbewahrten, wie die
Rhodier das Siegeslied Pindars auf Diagoras. Unsere Überlieferung geht auf 2 Quellen
zurück, von denen die eine durch den Mosquensis s. XIV repräsentiert wird (ein Facsimile
in Bücheler's Ausgabe des Hymn. Cer., Lips. 1869), die andere auf einen von Aurispa
1423 in Konstantinopel gefundenen Codex zurückgeht, von dem selbst nur Abschriften von
Abschriften auf uns gekommen sind. — Ausgaben: Homeri hymn. et epigr. ed. G. Hermann,
Lips. 1806; Hymn. Homer, rec. Baumeister, mit kritischem und erklärendem Kommentar,
Lips. 1860; Die homer. Hymn. herausgeg. von Gemoll, Leipz. 1886; Homeri hymn. epigr.
Batrachom. ed. Abel in Bibl. Schenk. 1886. — Eberhard . Die Sprache der hom. Hymnen
verglichen mit derjenigen der Ilias und Odyssee, Husum Progr. 1873 und 1874. — Gutt-
MANN, De hymn. Homer, historia eritica, Greifsw. Diss. 1869.
43. In der fälschlich den Namen des Herodot tragenden Vita des
Homer sind uns noch ein paar poetische Kleinigkeiten überliefert, die hinter
den Hymnen als ^ETiiyQäjLif^iaTa ^Ofxr^qov den älteren Ausgaben der Odyssee
angehängt sind; darunter ein Abschiedsgedicht an die undankbare Vater-
stadt Smyrna, eine Bitte an die Kymäer um freundliche Aufnahme, ein
Gebet an Poseidon um günstige Fahrt von Chios zum Fusse des Wald-
gebirges Mimas, eine Anrede an die reiche Stadt der Erythräer, ein Epi-
gramm für die eherne Jungfrau auf dem Grabe des phrygischen Königs
Midas (gest. Ol. 21), ein anmutiges Bettlerlied [elgsamwl) i) für samische
Singknaben, welche am Feste des Apoll von Haus zu Haus zogen um
Gaben einzusammeln, ein scherzhaftes Bittgedicht für das Geraten des
Töpferbrandes, das bekannte Rätsel oaa' sloinsv XiTc6pi8ad^\ oaa 6'ovx ^^^o^isv
(fSQoiisad^a^ welches heimkehrende Fischer, die keine Fische gefangen, aber von
Läusen sich bestmöglich gereinigt hatten, dem Homer aufgaben. Dass von
diesen Spielereien, die zum Teil gute volkstümliche Poesie, meistens aber elen-
des Machwerk sind,''^) nichts auf Homer zurückgeht, ist selbstverständlich. Be-
achtenswert ist, dass das Epigramm auf Midas, welches die Biographen dem
Homer beilegen, bei Piaton noch anonym geht.^)
44. Auch Spottgedichte wurden dem Homer beigelegt. Das berühm-
teste und älteste war der Margites, so benannt nach dem Held des Stückes,
einem linkischen Tölpel, der trefflich durch den Vers gezeichnet wird noXX'
rini(i%aTo 8Qya, xaxwg SWjm'aTaTo ttccvtcc. Das Gedicht spielte nach dem er-
haltenen Eingang in Kolophon und gab Anlass den Homer selbst zu einem
Kolophonier zu machen. Denn dem Homer schrieb dasselbe schon Archi-
lochos^) zu, und an dieser Überlieferung hielten ohne Bedenken Piaton und
Aristoteles fest. Der letztere stellt dasselbe sogar neben Ilias und Odyssee,
indem er von ihm die Komödie, wie von jenen die Tragödie ableitet.^)
Erst später kamen Zweifel ; man half sich aber mit Ausflüchten, indem man
^) Benannt von dem mit Wolle umwun-
denen Ölzweig, den die unter den Schutz
des Gottes sich stellenden Knaben trugen.
''^) Das meiste ist von dem Fälscher, der
in der Vita die Maske des Herodot annahm,
selbst gedichtet. Sonderbarer Weise will
Bergk, Gr. Litt. I, 77 auch in diesen Knittel-
versen Reste echter Poesie finden.
^) Plato Phaedr. p. 264 d: EmyQufxfxaTog,
o Mlda TüJ ^Qvyi cpuoi riveg €TityeyQ('iCp&ai.
Diog. I, 89 führt Verse des Simonides dafür
an, dass das Epigramm nicht von Homer,
sondern von Kleobulos aus Lindos herrühre.
'') Nach Eustratios zu Arist. Eth. Nie.
VI, 7.
^) Arist. Poet. 4: 6 yaQ MaQyLT}]g dvd-
Xoyop s/st (xjansQ 'Ihdg xca ij ^Odvaasici TiQog
rag rgaycodlag, ovro) xccl ovtog ngog rag xcofuco-
öiag. Für die Komödie passten allerdings
viele Stellen des Gedichtes, wie wenn Mar-
gites heiraten soll und nicht weiss, wie er
es anfangen soll.
A..Epos. S. Die homerischen Hymnen und Scherze. (§43—45.) 65
den Margites, wie die Odyssee, von Homer im gereiften Alter gedichtet sein
Hess. 1) Nur der Gewährsmann des Suidas macht den Karer Pigres aus Hali-
karnass, den Bruder der Artemisia, zum Verfasser. Das ist aber wahr-
scheinlich so zu deuten, dass Pigres nur die iambischen Epoden einlegte,
wie er sich in ähnlicher Weise den Spass machte, den Homer durch ein-
gelegte Pentameter zu interpolieren. 2) So lautete bei ihm der Eingang
der Ilias:
Mrjviv asids d^sd Ui^lrjidSsco 'AxiXrjoq
Movaa • av yccQ Trdaijg nslqav exsig <TO(pCrjg'
und der des Margites:
^Hkx^s Tig ig Kokocpoova yaQcov xal d^stog doiSögy
Movadcov ^sqdTtcov xal ixrjßöXov 'dTTÖXXcovog,
(fi^j]g €/wr €v x^Qölv svcp^oyyov Xvqi]v.
Ein anderes durch die Metopen von Selinunt berühmt gewordenes Ge-
dicht waren die KägxcoTisg, worin die Schelmereien der bübischen Brüder
und ihre Bezwingung durch Herakles im Anschluss an das dem Homer
zugeschriebene Epos Ol^aXiag dXwaig erzählt waren. ^)
45. Erhalten hat sich das scherzhafte Gedicht BazQaxofivofiaxicc,
Froschmäuslerkrieg, wie wir im Deutschen nach der Übersetzung von Stol-
berg sagen. Sie ist eine Parodie, angelehnt an die Tierfabel, mit heiterem
Scherz ohne bissige Seitenhiebe, wenn auch ohne jenes feine Verständnis
des Tierlebens, das uns in unserem Reineke Fuchs entzückt. Die Maus
Psicharpax wird von dem Froschkönig Physignathos, dem Sohne des Peleus,
eingeladen, sich von ihm auf dem Rücken zu seinem gastlichen Hause tra-
gen zu lassen. Anfangs geht die Fahrt ganz gut von statten ; da lässt
sich plötzlich eine Wasserschlange blicken; darob grosser Schrecken bei
den beiden; der Frosch taucht unter, die Maus ertrinkt. Infolge dessen
grimmer Krieg zwischen den Mäusen und Fröschen, dem schliesslich der
Kronide Zeus ein Ende macht, indem er mit dem Blitzstrahl dreinfahrend
die Streitenden von einander trennt, und als auch dieses noch nicht fruchten
will, das Heer der Krebse mit ihren Scheren über die Mäuse schickt. Er-
götzlich sind die Namen gebildet, der Lecker, der Brotnager, der Käse-
fresser, der Lochschlüpfer unter den Mäusen, der Lautschreier, der Wasser-
freund, der Kotwater unter den Fröschen. In witziger Parodie ist auch
die Rüstung der beiden Heere geschildert, und wenn gleich die Kämpfe
nach Art der K6?.og ^d%r^ der Ilias rasch und ohne viele Episoden verlau-
fen, so begreift man doch, dass das Gedicht viele Leser und im Altertum
wie im Mittelalter viele Nachahmer fand. Vom alten Homer rührt aber
diese Parodie sicher nicht her, vielmehr ist sie das Werk des Pigres aus
Halikarnass, eines Bruders der karischen Königin Artemisia, dem sie Sui-
das und Plutarch de Herodoü malign. 43 zuschreiben, und auf den, wie wir
^) Dio Chrys. or. 53 p. 275 R.
2) Welcher, Kl. Sehr. IV, 27 ff.; Hiller,
Jahrb. f. Phil. 135 (1887), 13 fF. verwirft den
Zusatz der iambischen Trimeter durch Pigres
und bezweifelt überhaupt die Echtheit des
Proömiums. Von anderen metrischen Inter-
polationen des Homer durch Idaios und
Haudbuch der klass. Altertuuiswisseuscliaft. VII, 2. Aufl.
Timolaos berichtet Suidas.
2) Vgl. Lobeck, Aglaoph. 1296 ff. Ausser-
dem nennen Suidas und Proklos noch die
Scherze 'EnzsTiaxiioi^ (fort. 'Emixtiop), \4Qax-
pof^a/ia, TsQapofia/ia, Kegafilg, von denen
die KsQccfiig mit dem schon erwähnten Töpfer-
lied identisch zu sein scheint.
66
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
oben § 44 sahen, auch andere Spielereien der Art zurückgeführt wurden.
Auf die Zeit der Perserkriege passt auch gut die Bezugnahme auf den
Schriftgebrauch (sv ösXtoiq Y. 3) und die Erwähnung des Hahns (V. 193),
der erst zur Zeit des Theognis von Persien nach Griechenland kam.i)
Beste ÜberHeferung in Cod. Laur. 32. 3, s. XL — Ausgabe mit den Hymnen von
Ilgen, Hai. 1796; von Abel in Bibl. Schenk. — Kritische Bearbeitung von Baumeister,
Gott. 1852; besser von Brandt, Corpusculwn poesis epicae gr. ludihundae, fasc. I Bib].
Teubn. 1888.
4. Der epische Kyklos.
46. Auch die Werke des epischen Kyklos wurden in alter Zeit dem
Homer zugeschrieben ; 2) später, seit der Zeit der Perserkriege, setzte sie
eine bessere Einsicht geradezu in Gegensatz zu den Schöpfungen Homers
und nannte als Verfasser der einzelnen Gedichte andere, freilich vielfach
zweifelhafte Namen. Ilias und Odyssee waren eben die beiden mächtigsten
Aste an dem kräftigen Baum der epischen Poesie, der daneben noch viele
kleinere Zweige trieb, die alle als Schösslinge desselben Stammes angesehen
wurden. Der Name inixog xvxXog für die ganze Sammlung lässt sich erst
aus der Zeit nach Christi Geburt nachweisen, 2) reicht aber wahrscheinlich
in viel frühere Zeit zurück. Kallimachos gebrauchte den Ausdruck xvxXi-
xov noCijfia, aber noch nicht in einem Sinne, der die Vereinigung der epi-
schen Gedichte zu einem Corpus notwendig voraussetzte. '^) Denn wenn der-
selbe sich unter einem xvxlixov TTOirjßa ein triviales Gedicht vorstellte, und
wenn danach Horaz a. p. 136 „nee sie incijnes ut seriptor eyelieus olim'^ mit
dem Namen eyelkus seriptor den Nebenbegriff des Geringschätzigen ver-
bindet, so ist dabei von der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes iyxvxXiog
^) Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere
S. 282 ff. Herwerden, Mnem. X, 163 nimmt
einen Fälscher aus Alexanders Zeit als Ver-
fasser an.
'-*) Procl. ehrest. 233 W.: oi fieptoc y
uQ/tiXoi xal Tov y.vxlov dvacpigovoiv sig
"O^rjQov, ebenso Philoponos ad Arist. An. post.
I, 9 und ähnlich Suidas u. "O^urjQog und Ps.
Herodot vit, Hom. 9. Speziell erzählte Pin-
dar nach Älian V. H. IX, 15, dass Homer
die Kypria seiner Tochter als Mitgift gegeben
habe (die Stelle Isth. Hl, 55 braucht nicht
auf die Aithiopis oder kleine Ilias bezogen
zu werden). Ausserdem legte Kallinos nach
Paus. IX, 9. 5 dem Homer die Thebais bei,
und bezeugt Herodot II, 117 u. IV, 32 (V.
67 beweist nichts), dass einige für die Ky-
pria und Epigonoi Homer als Verfasser aus-
gaben. Auch Aischylos muss in dem be-
kannten Ausspruch, dass seine Dramen ts-
fjidxv ^'^'t-TJyoiu 'OfxrjQov seien, den Homer als
Dichter des ganzen Kyklos angesehen haben.
In Ps. Demosth. epitaph. 29 wird Homer als
Dichter der Kyprien und der kleinen Ilias
gedacht, und von Antigonos Caryst. Parad.
25 wird ein Vers des Homer zitiert, der
nicht in Ilias und Odyssee steht. Die Be-
weisstellen werden von R. Volkmann, Über
Homer als Dichter des epischen Kyklos (Jauer
1884) und Hiller, Homer als KoHektivname
(Rh. M. 42, 321-361) sorgfältig geprüft
und gegen die Annahme, dass Homer ehe-
dem allgemein als Dichter des epischen Ky-
klos gegolten habe, gedeutet. Im übrigen ist
das Verhältnis ähnlich wie bei den orphi-
sclien Gedichten, die von dem Volk alle dem
Orpheus beigelegt, von den Einsichtsvolleren
auf bestimmte Persönlichkeiten zurückgeführt
wurden. Auch das Corpus der Schriften des
Hippokrates bietet Analogien.
^) Philostr. ep. 73: 0 tmv stiotiokop xv-
xXog, und Proklos a. 0.
') Kallimachos in Anth. XII, 43:
i/x9alQ(o t6 Tiolfjfxa ro xvxXixop ov&s xeXsvd^iü
/a'iQO), rj no'klovg iv&s xal (jüds cpsQst.
Vgl. Merkel, Apoll. Argon, prol. 1. 1 c, 2.
Ähnlich ist von der Schule des Aristarch
xvxhxüjg „trivial" in den Scholien zu II.
Z325, 1222, Od. tf 248, // 115 gebraucht.
Direkt an den Vers des Kallimachos schliesst
sich an Pollianos (aus Hadrians Zeit) in Anth.
XI, 130:
rovg xvxklovg rovzovg rovg ccvtccq eneircc
Xsyovrag
/uiacü Xomodvrag dXkoiQicjy insioy.
Ähnlich sagt Statins Silv. II, 7, 51: trita
,vatibus orhita sequantur.
A. Epos. 4. Ber epische Kyklos. {§ 46.)
67
„dem allgemeinen Kreis der Bildung angehörig" ausgegangen. i) Im spe-
ziellen Sinne finden wir das Wort xixkog zuerst von dem Kreis der
in den alten epischen Gedichten niedergelegten Mythen und nachher
erst von jenen Gedichten selbst gebraucht. Wenigstens wurde noch ehe
wir den Ausdruck iuixog xvxXog in dem besagten Sinne nachweisen können,
der Name xvxXoygdcfog von denjenigen Grammatikern gebraucht, welche
solche Mythensammlungen zum Zwecke des Unterrichtes ^) veranstalteten.
Der berühmteste unter diesen war der Kyklograph Dionysios, welcher
um 100 V. Chr. einen xvxXog i(ST0Qix6g in 7. B. herstellte, der die Mythen
oder alten Geschichten in geordneter Folge umfasste und in welchem bei
jedem einzelnen Mythus auf die Stellen und Verse der alten Dichter und
Mythologen verwiesen war.^) In diesem Mythenkyklos hatten auch, wie
im epischen Kyklos des Proklos, die Erzählungen des Homer ihre Stelle,
wie denn Athen, p. 481 e aus dem 6. Buch desselben das Kyklopenaben-
teuer anführt.^) Aber auch jüngere, von den älteren ionischen Epikern
nicht behandelte Mythen, wie von den Argonauten, von Herakles, von
Dionysos, hatten in demselben Aufnahme gefunden. Derartiger Kykloi gab
es gewiss mehrere; der des Dionysios war nur der gelehrteste und um-
fangreichste. Ein anderer war der des Lysimachos, ein dritter der des
Theodoros, welch' letzterer den Bildiern der bei Bovillae aufgefundenen,
nachher ins kapitolinische Museum verbrachten Tabula Iliaca zu gründe
lag.^) Vermutlich aber waren doch die Kykloi der Mythen aus denen der Ge-
dichte hervorgegangen, und bestand schon vor dem Kyklographen Diony-
sios eine Sammlung epischer Gedichte («Trr^), die ehedem zum Repertoir der
Homeriden und ionischen Rhapsoden gehörten.^)
^) Arist. Eth. Nie. I, 3: Ixapwg yaQ y.cd
ev xoig iyxvxXtoig eXQrjTui tisqI rovroop, wo-
mit Aristoteles auf die populäre Darstellung
der Sache in seinen Dialogen hinweist. Arist.
de caelo I, 9 p. 279 a 30: xccx^cinsQ ip roTg
iyxvxUoig cpiloaocf^fiaai ttsqI td ^£t« ttoA-
Xdxig TiQocpcäpsrca, wozu Simplicius: iyxvxXia
cFf xaXsi cpiXoaocpijfXKTa rd xccrd Trjr rd^iv
i^ uQ/yg roTg 7To)J.oig nQOTi^Ef^svci, dnsQ xal
iiiüTEQixd xciXety s'iio^ey. Hängt wirklich
rait dieser Bedeutung von iyxvxhcc der Name
inixog xvxkog oder xvxXog laroQtxog zusammen,
so wären die bekannten Mythen der älteren
Dichter den ausgesuchteren der alexandri-
nischen Elegiker entgegengestellt. Verkehrt
ist die Deutung in den Scholien zu Clem.
Alex, protr. II, 30: xvxhxol de xccXovyrai
noirjrai oi rd xvxXm rrjg ^Ihd^og ij rd TJQWTa
rj xd fxsrayspeGTSQcc e| avxwv xtop 'Ofxrjqixiüv
ovyygdxpavxsg.
''j Mit dem Schulzwecke hängt es zu-
sammen, dass man nun auch, wie in der
Tabula Iliaca, Illustrationen zu den Mythen
gab, wiewohl diese selbst wegen ihrer Klein-
heit sich wenig zur Schultafel eignete.
^) Diodor III, QQ: Jioi'valco xco avi^xa-
^afj,EVio X(cg naXcadg fxv&OTioiLag' ovxog ydq
xd xe tieqI xov Aiovvgov xcd xdg 'Afxci^ovag,
tu de xovg 'jQyovuvxccg xcd xd xctxd xöv
^Ihccxoy noXsjuoy ngccxS^e^xci xcd noXX^ exsQcc
avvxExaxxai, naQaxi^elg xd noi^fuccxcc xwv
ctQ^aLvov X(Sy xe fxvS^oXöywy xal xcoy tiolt]-
xüjv. Vgl. Ed. Schwaktz, De Dionysio Scy-
thohrachione, Bonn 1880. Suidas schreibt
den KvxXog laxogixcg in 7 B. dem Dionysios
aus Milet zu; das muss ein Irrtum sein, da
dieser unter Darius lebte, dessen Geschichte
er schrieb. Ath. 477 d u. 481 e nennt den
Dionysios, dessen 6. Buch über den Kyklos
er citiert, Samier. Welcker, Ep. Cycl. I,
76 entschied sich für den Mytileneer.
^) Ausdrücklich ist eine kyklische Aus-
gabe des Homer erwähnt in Schol. zu Od.
71 195 u. () 25. Spuren derselben im Schlüsse
der Ilias wies 0. Müller, Gr. Litt. I* 106
nach; ebenso sollte, wie Heitz S. 113 An. 2
gut bemerkt, das aus Aristoxenos im Anecd.
rom. erwähnte, von unserem Text abweichende
Proömium die Ilias mit den Kyprien ver-
knüpfen.
'") Die Tafel trägt die Inschrift w cplkE
naT 0so&](6Qt]ot/ /ndi^e xd^iv O^rjQov ocpqa
daelg ndffrjg fxexQoy E/fig oocpiag. Über die
SEodioQEiog cuQEGig s. Strab. 625.
^) Ausgemacht indes ist es nicht, dass
schon Zenodot, der Ordner des epischen
Teiles der alexandrinischen Bibliothek, jene
enr} der Homeriden zusammengestellt hat.
68
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
47. Die Gedichte des epischen Kyklos sind bis auf wenige Bruch-
stücke verloren gegangen : aber über ihren Inhalt sind wir noch ziemlich
genau durch die erhaltenen Exzerpte aus der grammatischen Chrestomathie
des Proklos unterrichtet.') Im Eingang dieser durch den Patriarchen
Photios, Bibl. cod. 239 uns erhaltenen Schrift heisst es : .der sogenannte epische
Kyklos beginnt mit der Heirat des Uranos und der Ge, aus der die Dichter
ihm die 3 Hunderthänder und die 3 Kyklopen geboren sein lassen; als-
dann geht er alles durch, was sonst Fabelhaftes die Hellenen von ihren
Göttern erzählen und was in alter Zeit sich ereignet hat, bis zur Landung
des Odysseus in Ithaka." Es ging also in dem epischen Kyklos eine Göt-
tergeschichte voraus und folgten dann die nach alter Tradition dem Homer
zugeschriebenen Epen der Heroensage, vornehmlich die des trojanischen Sagen-
kreises. Von letzteren sind Inhaltsangaben in den Iliasscholien -) auf uns
gekommen, die durch bildliche Darstellungen insbesondere auf der Tah.
Iliaca und Borgina, sowie durch die entsprechenden Mythen der LjTiker
und Tragiker illustriert und bereichert werden.
Die einzelnen Gedichte des epischen Kyklos waren folgende: 08oyo-
ria,^) TiTCiionayia, Ol6in:o6eiu. Orßäi'g. 'Erciyoroi, Kvrroia, lÄidg, Ai^i-
onic, 'I'/Aug üixoä. Imov rre'oaig, Xöarot. 'Odiaaeia, Tr/.eydieia. Wir be-
sprechen von ihnen zuerst die auf den troischen Sagenkreis bezüglichen,
da sich diese am meisten an Ilias und Odyssee anschliessen und auch der
Zeit nach jenen Dichtungen am nächsten stehen. Auch ihnen war so gut
wie der Ilias die Ausbildung der Sage durch Einzellieder vorausgegangen,
da bereits die Blas Achills Fall (X 359), die Fahrt des Paris [Z 290), die
Versammlung der Schiffe in Aulis [B 303) u. a. an Stellen erwähnt, welche
den Verdacht nachträglicher Interpolation ausschliessen.
48. Die Kvrroia (sc enr) in 11 B, umfassten die der Ilias voraus-
gehenden Ereignisse. Sie begannen unter offenbarer Anspielung an das
Proömium der Ilias^j mit dem Entschlüsse des Zeus, die übervölkerte Erde
durch Erreo-unsr des ilischen Krieofes zu erleichtern. Sie erzählten dann
das Parisurteil, den Raub der Helena, die Versammlung der Heerführer
in Aulis, den ersten irrtümlichen Feldzug nach Teuthrania, dem Reiche
des Telephos,^) die Zerstreuung der absegelnden Schiffe durch einen Sturm.
Hiemit endete der erste, 6 Gesänge umfassende Teil des Gedichtes,*^) der
^) Welcher, Ep. Cyd. T. 3 ff. unter-
scheidet entgegen der Überlieferung der
Alten diesen Grammatiker Proklos von dem
Neuplatoniker Proklos und Aveist ihn den:
2. Jahrb. n. Chr. zu. In der Tbat weicht
die präzise Sprache unserer Chrestomathie
stark von der breiten, verwaschenen Dik-
tion des Philosophen ab.
"-) Im Ven. 454 (A); die Inhaltsangabe
der Kyprien fehlt in demselben (s. Wissowa.
Herm. 19, 198 ff.) und ist uns in einem
Codex des Eskiirial erhalten, in den sie zur
Zeit, als das fehlende Blatt in A noch vor-
handen war. gekommen ist. Leider ist die
Yerlässigkeit der Exzerpte durch Interpola-
tionen aus Homer und anderen Dichtern ge-
stört, wie z. B, aus Herodot II, 117 fest-
steht, dass der Satz ysiuojva . . . nöhy,
p. 235. 21 — 3 nicht aus den Kj-prien gezogen
sein kann.
^) Ath. 277 d nennt als Verfasser der
kyklischen Theogonie den Eumelos oder
Arktinos, wahrscheinlich den einen so wenig
mit Recht wie den andern.
"') Dabei ward von dem jüngeren Dichter
der Halbvers Ji6g d'eTS/.SLsro ßovhj falsch
verstanden oder doch falsch gewendet.
'") Auch dieser Erzählung lag, wie bereits
Aristarch erkannte, ein Missverständnis des
Verses -J 59 yvvuuus na).ip rT)M)'/S-ti^Tcig (statt
rra/.iunX.) 6i(o c'ixp dnoi'oan'jastv zu gründe.
^) Die einzelnen Gesänge lassen sich,
zum Teil nach sprachlichen Anzeichen, noch
sicher abteilen.
A. Epos. 4. Der epische Kyklos. (§ 47-49.) 60
ehedem ein Ganzes für sich gebildet zu haben scheint.^) Daran schloss
sich eine Fortsetzung in 5 Gesängen, welche die zweite Unternehmung
gegen Ilios, die Zurücklassung des von einer Schlange gebissenen Philoktet
in Lemnos,2) die Landung der Achäer und die ersten Kämpfe vor Troja
enthielt. Mit einem Katalog der Bundesgenossen der Troer schloss das
Gedicht. Die Kyprien setzten also die Bekanntschaft mit der ganzen Ilias,
einschliesslich des Schiff kataloges*^) voraus. Das Werk ward nach Herodot
II, 117 von einigen dem Homer beigelegt, aber derselbe Herodot erkannte
richtig aus sachlichen Gründen die Verschiedenheit der Verfasser der Ilias
und der Kypria.'^) Andere schrieben das Gedicht teils dem Stasinos aus
Kypern, teils dem Hegesias oder Hegesinos aus Salamis oder Halikar-
nass zu. Soviel scheint schon aus dem Namen Kimqia und dem erotischen
Charakter der Mythen hervorzugehen, dass das Gedicht auf Kypern entstan-
den ist und dort an dem Feste der kyprischen Göttin zum Vortrag kam.
49. Ai^ 10 TV ig in 5 B. von Arktinos aus Milet, wohl das älteste
kyklische Epos, hat von dem Äthiopier Memnon seinen Namen. Dasselbe
begann mit
'S2g oT Y ccfxcfisTtov rdcpov "ExtOQoq^ rjX^s 6' 'Jfxa^Mv,
schloss sich also ganz eng an den letzten Gesang der Ilias an. Die 5 Bü-
cher hatten noch durchweg den Charakter geschlossener Einzellieder, die
nach der Inhaltsangabe des Proklos sich noch mit Sicherheit rekonstruieren
lassen. Der 1. Gesang enthielt die Ruhmesthaten der Amazone Penthesi-
leia und ihren Fall durch Achill; er endete mit der Bestattung der Toten
und erhielt ein Nachspiel im 2. Gesang, worin Achill, von Thersites ob
der Liebe zur gefallenen Heldin beschimpft, den Lästerer tötet und dann
nach Lesbos segelt, um sich von der Blutschuld entsühnen zu lassen. Im
3. Gesang trat Memnon, der Sohn der Eos, als Bundesgenosse der Troer
auf die Bühne und tötete bei erneutem Zusammenstoss der Heere den An-
tilochos, den jugendlichen Freund des Achill. Der 4. Gesang Hess dann
den Achill in ungestümem Zorn auf die Feinde eindringen, den Memnon
erschlagen und die Troer zu Paaren treiben; er endete mit dem Tod des
Achill, der, als er schon in die Stadt eindrang, vom Pfeile des Paris ge-
troffen, nur mit Mühe von Aias und Odysseus ins Lager zurückgebracht
wurde. Den Schluss des Ganzen bildete die Bestattung des Achill mit den
der Ilias nachgebildeten Leichenspielen und der Streit des Aias und Odysseus
um die Waffen des Helden. Als Verfasser des spannenden, durch ritter-
liche Romantik ausgezeichneten Epos galt Arktinos, Sohn des Teles, aus
) Bei selbständiger Stellung des ersten I Fehlen des Asteropaios in jenem Verzeichnis
spricht; s. Müller, Gr. Litt. P, 91, Leider
lassen uns über diesen Punkt die Schollen
im Stich.
^) Die Kyprien liessen nämlich den
Paris nicht nach Sidon kommen, sondern in
3 Tagen nach Troja zurücksegeln; bei Pro-
klos steht allerdings /sijUMpa cTe avroTg
ifpirjaiv Uga, xal TiQoasvs/xhslg ^YcTwm 6 'Ali-
^avSqoq cciQsT rrjv nöXiv, aber diese Stelle
Teils erklärt sich leichter der grosse Zwi-
schenraum zwischen dem ersten und zweiten
Feldzug, der notwendig ist, um den Neop-
tolemos heranwachsen zu lassen und die 20
Jahre in II. i2 765 zu gewinnen.
'^) Auffällig ist die Angabe des Aristo-
nikos zu II. B 722: oti eV Arifxvu) sfxeye
y.aTalelsi[Ä^8vog 6 4>(XoxTiJTf]g, ol (fe rsiotSQOi
(?) ip vrjai^ito SQrjfuio.
^) Aus den Kyprien ist wahrscheinlich ; ist zweifellos interpoliert. Bei dem Gramma-
der Anhang zum Schiff katalog der Ilias \ tiker Glaukos in Schol, I]ur. Hec. 41 läuft
B 816 876 ausgezogen, wofür auch das | das Gedicht anonym.
70
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Milet, ^) der von Eusebios, wir wissen nicht mit welcher Berechtigung, in
die 1., von Suidas in die 9. Olympiade gesetzt wird, 2) und sicher noch
im 8. Jahrh. gelebt hat. Der hochpoetische Stoff hat in unserer Zeit Goethe
angezogen, um als letzter der Homeriden das leider unvollendete Epos
Achilleis zu dichten.
50. ^iXiov nsQdig in 2 B. von dem gleichen Arktinos, stand im
epischen Kyklos erst hinter der kleinen Ilias. Im 1. Gesang behandelte
das Gedicht die Vorbereitungen zur Eroberung Trojas, die List des höl-
zernen Pferdes mit den aus Vergil bekannten Geschichten von Laokoon und
Sinon. Der 2. Gesang enthielt das düstere Gemälde von der Einnahme der
Stadt mit all' ihren Greueln und schloss effektvoll mit der drohenden Ge-
stalt der zürnenden Göttin Athene.^) Wahrscheinlich ging den von Proklos
exzerpierten 2 Büchern noch ein anderes Buch, wenn nicht mehrere Bücher,
voraus, worin die Zimmerung des hölzernen Pferdes, der verstellte Abzug
der Achäer, die Abholung des Neoptolemos und die Entwendung des Pal-
ladiums geschildert war. 4) Robert, Phil. Unt. V 223, nimmt geradezu an,
dass die Iliupersis mit der Aithiopis ursprünglich ein einziges zusammen-
hängendes Epos gebildet habe.^)
51. 7At«g {.iixQa in 4 B. war die inhaltreichste der troischen Dich-
tungen. Nach dem Auszug des Proklos begann sie mit dem Streit um die
Waffen des Achill und endete mit der Aufnahme des hölzernen Pferdes
in die Stadt. In der That aber war sie umfangreicher und enthielt nicht
bloss auch die Einnahme der Stadt, welche Proklos lieber nach Arktinos
erzählte, sondern holte auch im Anfang etwas weiter aus, wie uns schon
der erhaltene Eingang lehrt:
Ihov deiÖM xal Jaqöavh^v ivn(x)Xov^
Tjg TTSQt TtoXXa nad^ov Javaol d-eQanovreq ÄQTjog.
Das ganze Werk wird also mindestens 5 Bücher umfasst haben, von denen
aber Proklos nur 4 zu exzerpieren seinen Zwecken angemessen fand.^) Die-
^) Dass Arktinos Verfasser der Aithiopis
sei, scheint nie bestritten worden zu sein.
Dem Homer ward das Gedicht nur von denen
zugeschrieben, welche, weil einzelne Gedichte
des epischen Kyklos auf Homer zurückgeführt
wurden, nun den ganzen Kyklos in Bausch
und Bogen dem Homer zuschrieben.
2) Die 2. Angabe des Eusebios, die ihn
in die 4. Ol. setzt, scheint aus der Ver-
wechselung von ^ und J herzurühren. Bei
8uidas 'AQXxiPog yeyoyujg xaru rt^y ^' oA.
fisru TSZQay.oaia ert] tajv Tqwixvov ist ent-
weder xaxd rov a 6X. oder fxetd vy,' srrj
herzustellen. Weiter herab würde uns der
angebliche Wettstreit mit Lesches führen,
wenn demselben Glauben beizumessen wäre.
Von Wichtigkeit für die Chronologie und
das hohe Alter des Arktinos ist der Umstand,
dass er den Achill zwar nach der Insel Leuke
im schwarzen Meer entrückt werden, aber
die Amazonen aus Thrakien, noch nicht aus
dem Kaukasus kommen lässt. Die Milesier
hatten also damals schon ihre Seefahrten
nach dem Pontus ausgedehnt, waren aber
noch nicht bis nach Kolchis gekommen. Da
auf die durch Arktinos verbreiteten Sagen
in der Odyssee Rücksicht genommen ist, so
lebte Arktinos wahrscheinlich vor Abschluss
der Odyssee, d. i. vor dem Dichter der Tele-
machie und der Nekyia; siehe indes S. 42
An. 2.
^) Wir folgen der von Lehrs vorgeschla-
genen Umstellung der Schlussätze des Ex-
zerptes.
■*) Die Entwendung des Palladiums fand
noch in dem vollständigen Exemplar des
Arktinos der Fhetor Dionys. Hai. Ant. I, 69.
^) Auf beide Gedichte zusammen geht
die Angabe der Tab. Borg., dass das Gedicht
des Arktinos 9500 Verse gehabt habe ; auch
diese Zahl weist auf mehr als 7 (5 -^- 2)
Bücher.
^) Aristot. Poet. 23 las in seiner kleinen
Tlias noch die Zerstörung der Stadt, woraus
or die Erzählung von den gefangenen Tro-
janerinnen anführt. Das Gleiche gilt von
A. Epos. 4. Der epische Kyklos. (§ 50—52.)
71
selben enthielten den Streit des Aias und Odysseus um die Waffen
des Achill, die Herbeiholung neuer Streitkräfte von selten der Achäer
und Troer, den Tod des Paris durch den Pfeil des Philoktet und den
Fall des Eurypylos durch Neoptoleinos, den Führer im neuen Kriege.
Das Gedicht setzte die Aithiopis, wie diese die Ilias, voraus; ob das-
selbe nach den Kyprien, oder umgekehrt vor denselben gedichtet sei,
lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Als Verfasser des Epos ward so
ziemlich allgemein Losch es, der Sohn des Aischylinos aus Pyrrha in Lesbos
angegeben,^) den zu einem blossen Repräsentanten der Erzählung in der
Halle {le'axYj) zu verflüchtigen der mythenbildenden Scheinkritik unserer
Zeit vorbehalten war. 2) Nach Eusebios lebte derselbe in der 30. Olympiade;
der Peripatetiker Phanias bei Clemens Alex, ström. I p. 144 setzt ihn in
die Zeit des Archilochos, lässt ihn aber zugleich einen Wettkampf mit dem
Dichter Arktinos bestehen. Die letztere Angabe macht Schwierigkeit und würde
uns nötigen, entweder den Lesches weiter hinauf oder den Arktinos weiter
herabzurücken. Wahrscheinlich aber ist jener Wettkampf nur eine Fiktion, 3)
hervorgegangen aus der richtigen Beobachtung, dass der jüngere Lesches mit
dem älteren Arktinos in der Behandlung des gleichen Stoff'es rivalisieren wollte.^)
52. N6a%oi in 5 B., von Hagias aus Trözen,^) schlössen sich an
den Ausgang der Iliupersis des Arktinos oder an den durch den Frevel
der Sieger hervorgerufenen Zorn der Göttin Athene an.^) Sie enthielten die
Geschicke des heimkehrenden Heeres der Achäer: des Kalchas, Leonteus
und Polypoites, welche über Kolophon längs der kleinasiatischen Küste
zogen, der Hauptmacht der Achäer, welche den Seeweg einschlug, aber
an den kaphereischen Felsen Euböas Schiffbruch litt, des Neoptolemos, der
zu Land quer durch Thrakien und Makedonien in das Gebiet der Molosser
gelangte. Um die Teile des Gedichtes nicht ganz auseinanderfallen zu
lassen, kehrte der Verfasser im letzten Buch wieder zu Agamemnon und
Pausanias, wenn er (X, 25) den Polygnot
in seinem Gemälde vom Untergang Trojas
dem Lesches folgen lässt. Selbst die Ex-
zerpte des Proklos führen eher auf 5 Ge-
sänge.
^) Ps. Herodot vit. Hom. tischt uns die
Märe auf, Homer habe die kleine Ilias in
Phokäa gedichtet und dem Schulmeister
Thestorides, der ihm gastliche Aufnahme
gewährte, zum Abschreiben überlassen. Das
Scholion zu Eur. Troad. 821 nennt neben
diesem Thestorides den Lakedämonier Kinai-
thon oder den Erythräer Diodoros als mut-
massliche Verfasser, und stützt sich, was
beachtenswert, für Kinaithon auf das Zeugnis
des Hellanikos; s. Robekt, Phil. Unt. V,
326 f., der die These aufstellt, dass der
Kyklograph Lysimachos den Lesches als
Verfasser nicht anerkannt habe.
^) Die Deutung aufgestellt von Welcker,
Ep. Cycl. I, 254, und von andern nach-
gebetet. Bei Plut. Conv. sept. sap. 10 wird
auch das Certamen Hesiodi et Homeri dem
Lesches zugeschrieben; aber dieses ist ein
offenbarer Irrtum, wahrscheinlich aus einer
interpolierenden Randbemerkung hervorge-
gangen (s. Rh. M. 25, 535 f.), da ein Ho-
meride sicher nicht den Homer von Hesiod
hätte besiegt werden lassen.
^) Zu derselben mögen die Dichterwett-
kämpfe in Mytilene Anlass gegeben haben,
die noch Pompeius dort sah, wie zu lesen
bei Plut. Pomp. 42: roy dyiopa tov ndxQiov
iO^sdffato Tiop Tioirjraiu.
^) So Hess nach Paus. X, 27 Arktinos
den Priamos von Neoptolemos auf dem Altar
des Zeus ermordet werden, während Lesches
einen solchen Frevel von dem griechischen
Helden fern hielt.
^) Eustathios zu Od. 71 118 nennt den-
selben einen Kolophonier, was vielleicht da-
von herkommt, dass in dem Gedichte Kolo-
phon und sein Orakel eine grosse Rolle
spielte. In den Schol. Pind. Ol. XIH, 13
ist ein Nöorog tmv 'ElXrjvoiv des Eumolpos
(corrige: Eumelos) erwähnt.
•"'j Unklar ist das Verhältnis des letzten
Buches zu dem von Ath. 281b und 395 d
erwähnten Epos Jr^sidiuy x«i9^o(foc. worüber
WiLAMOwiTz, Hom. Unt. 157.
72 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Menelaos zurück und erzählte die Rache, welche Orestes an den Mördern
seines Vaters nahm, und die gleichzeitige Rückkehr des Menelaos. Das
Gedicht sollte somit den Raum zwischen Iliupersis und Odyssee ausfüllen;
sein Verfasser hat ausdrücklich auf die Odyssee und den Aufenthalt des
Odysseus bei dem Priester Maron im Lande der Kikonen (Od. t 197) Be-
zug genommen, aber gewiss nicht eine Ilias post Homerum geschrieben
und nicht die Heimkehr des Odysseus von neuem erzählt, i)
53. TrjXsyovia in 2 B., von Eugammon aus Kyrene (nach Eusebius
in Ol. 53), war das jüngste und schlechteste der kyklischen Gedichte, das
in loser Gestalt gewissermassen zur Ergänzung der Odyssee die letzten
Geschicke des Odysseus und seines Hauses erzählte; den Namen hatte das-
selbe von dem zweiten Teil, welcher den tragischen Zusammenstoss des
Odysseus mit seinem Sohne Telegonos enthielt und in romanhafter Weise
mit der Heirat des Telegonos und der Penelope einerseits und des Tele-
machos und der Kirke andrerseits schloss. Im ersten Teil benützte der
Erzähler vornehmlich die heimischen Sagen des Thesproterlandes, die er
nach Clemens Alex, ström. VI, 266 aus der Thesprotis eines sonst nicht
näher bekannten Dichters Musaios schöpfte.
54. Ausserdem gehörten zum epischen Kyklos noch folgende, dem
thebanischen Sagenkreis angehörende Dichtungen:
Orjßatg in 7000 Versen, 2) auch kyklische Thebais im Gegensatz zu
der Thebais des Antimachos genannt,^) mit der sich ein anderes Epos, die
sl^sXaaig UfiqjiaQaov, im Inhalt berührte.^) Von Pausanias IX, 9. 5 wird
dieselbe hoch geschätzt und neben Ilias und Odyssee gestellt. Nach dem-
selben Gewährsmann hat der Elegiker Kallinos das Gedicht als homerisch
anerkannt. Suidas und Ps. Herodot im Leben Homers lassen dasselbe von
Homer nach seiner Vertreibung aus Smyrna in Neonteichos bei Kyme ge-
dichtet sein; aber schon gleich der erste Vers
^ÄQyog asids, ^sd, noXvSiipiov, sv&sv avaxrsg
weist mit der Vernachlässigung des Digamma von ava^ auf spätere
Zeit hin. 5)
'ETifyovoL, gleichfalls in 7000 Versen; ihr Inhalt bestimmt sich aus
dem Titel. Dass Homer dieselben gedichtet habe, bezweifelt bereits Herodot
IV, 32; der Scholiast zu Aristoph. Pac. 1269 schreibt das Gedicht einem
gewissen Antimachos zu.
^) Das umgekehrte behauptet Kirchhoff
im Exkurs seines Buches über die Odyssee ;
ihm tritt Wilamowitz, Hom. Unt. 176 f. | Ol. VI, 17, Schol. Sopk O^d. Co]. 1375
bei, indem er zugleich die Nostoi für ein
Konglomerat von Versen der verschiedensten
Dichter und Zeiten ansieht.
2) Gert. Hes.: 0 de 'OfxrjQog unoTv/ajp
Trjg vly.tjg neQieg^ofjievog eXsys rct noi^fxarct,
TTQvitov juey rtjp 9r]ßaTda, Int], ,C • • • f'^a
Eniyöyovg, tTirj ,C. Nach der Tab. Borg, ist
die Zahl 7000 abgerundet für 6600. Auch
Properz I, 7. o schreibt das Gedicht dem
Homer zu; hingegen stimmt die Darstellung
in der Odysse o 244 ff. nicht mit der der
Thebais überein.
•') Ath. 465 e, Asklepiades in Schol. Find.
n ' ' ' ' ' '
"*) Immisch, Jahrb. für Phil. Suppl. XVII,
171 f., sucht nachzuweisen, dass die i^sXaatg
'A^cpiaQtlov ein eigenes Gedicht neben der
Thebais, nicht bloss ein Gesang derselben,
wie Welcker annahm, gewesen ist.
5) Bergk, Gr. Litt. II 40 setzt die The-
bais vor den Anfang der Olympiaden, da
dieselbe in der 6. Ol. von dem Teier Anti-
machos fortgesetzt worden sei; aber diese
letzte Kombination ist ganz unsicher.
A. Epos. 4. Der epische Kyklos. (§ 53-56.) 73
OlSiTioSeia in 6000 Versen; sie wird auf der borgiaschen Tafel dem
Lakedäraonier Kinaithon zugeschrieben, den Eusebios, man weiss nicht
mit welchem Recht, in Ol. 5 setzt.
55. Andere aus der alten Zeit des Heldenepos stammende, aber nicht
mit Sicherheit dem epischen Kyklos zuzuweisende Epen waren:
Olxaliaq alwaig. Das Gedicht behandelte die Einnahme von Oicha-
lia durch Herakles und stand mit dem troischen Sagenkreis insofern in
Verbindung, als Odysseus seinen Bogen von Iphitos, dem Sohne des Königs
Eurytos von Oichalia, erhalten hatte (Od. (f 37). Nach einem Epigramm
des Kallimachos ') war dasselbe ein Werk des Homeriden Kreophylos.
Da eine andere Überlieferung dasselbe dem Homer zuschrieb, so haben
ausgleichende Litterarhistoriker beide Angaben in der Art vereinigt, dass
sie den Homer das Gedicht dem Kreophylos als Lohn für die gastliche
Aufnahme schenken Hessen.
(t)(joxatg hatte nach Pseudo-Herodot im Leben Homers den Namen
davon, dass Homer das Epos in Phokäa gedichtet hatte. Nach Welckers
feiner Kombination (Ep. Cycl. I, 237) war dasselbe identisch mit der
Mivvccg^ welche nach Pausanias IV, 33. 7 den Phokäer Prodikos zum Ver-
fasser hatte. Diese Minyas behandelte den Fall des minyschen Orchomenos
durch Herakles; in ihr kam auch eine Unterweltsscene vor, aus der
Polygnot die Figur des Fährmanns Charon entnahm (Paus. X, 28. 2).
Javcctg, in 5500 Versen nach der borgiaschen Tafel, handelte von
den Geschicken des Danaos und seiner Töchter. Da der Dichter der Nostoi
Hagias aus Trözen stammte, so werden wir auch den Verfasser dieses
argivischen Epos in Argos suchen dürfen.
56. Über den inneren Wert und den Kunstcharakter der kyklischen
Epen lässt sich bei der Spärlichkeit der Fragmente nicht sicher urteilen.
Einige von ihnen scheinen an Anschaulichkeit der Schilderung und Helden-
haftigkeit der Charakterzeichnung den homerischen Gedichten nicht viel
nachgestanden zu sein; doch überwog im allgemeinen in ihnen das stoff-
liche Interesse, dem gegenüber die künstlerische Anordnung und die aus
der Konzentration der Handlung entspringende Spannung zurücktraten. In
der Vorliebe für erotische Motive und schwärmerische Romantik erkennt
man das nahende Wehen der lyrischen Dichtung und das Absterben der
naturwüchsigen Kraft des alten Heldengesangs. Auch in den religiösen
Vorstellungen macht sich der wachsende Einfluss des Orakelwesens und der
Priesterlehren geltend. Von den Namen und den Persönlichkeiten der Verfasser
der einzelnen Epen hatte man offenbar schon zur Zeit der Perserkriege keine
genaue Kenntnis mehr, woraus es sich erklärt, dass in Volkskreisen der
ganze Kyklos dem Repräsentanten der alten epischen Poesie, dem Homer,
zugeschrieben wurde. Doch kann man immerhin aus den spärlichen Frag-
menten und den dürftigen Nachrichten über die Dichter des Kyklos ent-
nehmen, dass zur Zeit der Kykliker im 8. und 7. Jahrhundert der epische
Gesang sich über die Gegend von Smyrna und Chios hinaus nicht bloss
') Strabon XIV, G38, Suidas u. Kqsm- \ der gemeinsamen Quelle des Hesychios Mi-
(fvXog, Schol. Fiat, de rep. p. GOOb nach | lesios.
74
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
nach den übrigen Städten des ionischen und äolischen Kleinasiens, wie
Kolophon, Milet, Lesbos, sondern auch weiter bis nach Kypern, Argos,
Lakedämon, Kyrene verbreitete. Aber das Interesse für epische Dich-
tung nahm im 7. Jahrhundert bei dem raschen Aufblühen der iambi-
schen und lyrischen Poesie immer mehr ab, so dass kein Gedicht des
Kyklos gleich der Ilias und Odyssee eine nationale Bedeutung erlangte.
Gleichwohl wurden von den Künstlern und den späteren Dichtern die kyk-
lischen Gedichte wegen des Reichtums ihres Inhaltes viel mehr als selbst
die Ilias und Odyssee benützt, in welchem Sinne schon Aristoteles Poet. 23
bemerkt, dass die Ilias nur zu 1 oder 2, die kleine Ilias aber allein zu
8 Tragödien den Stoff hergegeben habe.
C. W. Müller, De cyclo Graecorum epico, Lips. 1829. — Welcker, Der epische
Cyclus, Bonn 1835 (1864), 2 Bde. — 0. Jahn, Griechische Bilderchroniken, nach des
Verf. Tod herausgegeben von Michaelis, Bonn 1878. — Kinkel, Epicorum graecorum
fragm., Lips. 1877. — Wilamowitz, Der epische Cyclus, in Hom. Unt. 328—380. — Robert,
Bild u. Lied, in Phil. Unt. Heft 5. - Luckenbach, Das Verhältnis der griech. Vaseubilder
zu den Gedichten des epischen Kyklos, in Jahrb. f. Phil. Suppl. XI, 491 — 637, wo nament-
lich das freie Schalten der Künstler mit den Überlieferungen der Dichter hervorgehoben
wird. — Seit Welcker und Jahn sind neu hinzugekommen die Reliefdarstellungen des
Heroons von Gjölbaschi in Lykien (jetzt in Wien) aus dem 5. Jhrh. v. Chr., welche einen
ganzen Cyklus von Darstellungen des thebanischen und troischen Krieges und überdies
von Perseus- und Theseusthaten enthielten; s. Benndorf-Niemann, Das Heroon von Gjöl-
baschi-Trysa, Wien 1889.
5. Hesiodos.
57. Die Person Hesiods. Der epische Gesang, dessen Samen der-
einst die Ansiedler aus Europa nach Asien mitgenommen hatten, wurde
noch ehe er in der neuen Heimat verblühte, von dort infolge des lebhaften
Verkehrs mit dem Mutterland wieder nach dem Festland und speziell nach
Böotien zurückgebracht, um hier in neuer Eigentümlichkeit sich zu ent-
wickeln. Die neue Richtung lehrhafter Poesie ward von Hesiod inauguriert,
an den sich dann ähnlich wie an Homer eine ganze Schule von Dichtern
gleicher Richtung anschloss. Auch vom Leben des Hesiod haben wir keine
ausführlichen Nachrichten, aber seine Person ist doch weit davon entfernt
in Nebel zu zerfliessen. Dafür hat er selbst gesorgt, indem er, durch den
Charakter des didaktischen Epos veranlasst, öfters seiner Lebensverhältnisse
gedenkt. Das was er selbst sagt und die erhaltenen Werke uns lehren,
ist aber auch so ziemlich das einzige, was wir von ihm wissen.^) Denn
nicht bloss ist das uns erhaltene Leben Hesiods (Hoiödov ytvog) von Tzetzes
eine geringwertige Kompilation des Mittelalters, 2) sondern auch Proklos
und Plutarch und selbst die alexandrinischen Gelehrten^) ermangelten bes-
seren Wissens. Die wertvollste Überlieferung enthält, von den eigenen
•) Die Nachrichten zu einer Vita zu-
sammengestellt von Robinson und von Gött-
ling-Flach in ihren Ausgaben.
'-) Das Ttvog, ehedem fälschlich dem
Proklos zugeschrieben, trägt in mehreren
Handschriften den Namen des Tzetzes; siehe
Flach, p. LVIIL
^) Proklos berührt manches aus dem
Leben des Dichters in dem uns erhaltenen
Kommentar; Plutarch hatte einen uns ver-
loren gegangenen Kommentar in 4 B. zu
den Werken seines Landsmannes geschrieben,
den Proklos und überdies Gellius XX, 8
bezeugen. Von älteren Grammatikern hatten
über Hesiod geschrieben Herakleides Pont.
(Diog. V, 92), Kleomenes (Clem. Alex, ström,
p. 300), Autodoros aus Kyme (Cramer, An.
Ox. IV, 310).
A. Epos. 5. Hesiodos. (§57-58.)
75
Dichtungen des Hesiod abgesehen, der 'Aycov 'HaioSov xal '^OfxrjQov, der zwar
erst aus der Zeit des Hadrian stammt, aber in seinen Elementen auf den
Rhetor Alkidamas, einen Schüler des Gorgias, zurückgeht.^)
58. Die Familie des Hesiod stammte aus dem äolischen K3^me, wo
Strabon p. 622 denselben auch geboren sein lässt.^) Der Vater des Dich-
ters ^) hatte aus Not die Heimat verlassen und sich am Fusse des Helikon
in dem elenden Dorfe Askra, nahe bei dem musenfreundlichen Städtchen
Thespiä niedergelassen.^) Dort ward Hesiod geboren und weidete als Knabe
auf den waldigen Triften des Helikon die Herde. ^) Nebst dem Vater und
Heimatort ist es der Bruder des Dichters, Ferses, der durch seine Gedichte
bekannt geworden ist. Derselbe hatte nach dem Tode des Vaters in einem
Rechtsstreit über das hinterlassene Vermögen den Hesiod durch Bestechung
der Richter um sein Erbteil gebracht,^) war aber dann selbst durch Arbeits-
scheu in Not gekommen, so dass er hintendrein wieder seinen Bruder um
Hilfe angehen musste. Hatte Hesiod durch die Ungerechtigkeit der Richter
Haus und Hof verloren, so hatten ihm die Musen dafür eine andere Gabe,
den herzgewinnenden Gesang, verliehen. Seine glänz- und farblose Poesie
war zwar weniger geeignet, ihn zum gesuchten Sänger an den Fürsten-
höfen zu machen; aber nicht bloss haben seine hausbackenen Wirtschafts-
regeln bei den Bauern und Schiffern offenes Ohr gefunden,^) auch für die
Kreise religiöser Festgenossen eigneten sich trefflich seine Hymnen und
mythologischen Dichtungen,^) die jetzt seinen grösseren Werken so ein-
verleibt sind, dass man ihre ehemalige selbständige Stellung noch unschwer
erkennen kann. Dass diese Gedichte nicht alle für das armselige Dorf
Askra bestimmt waren, versteht sich von selbst; vielmehr wird Hesiod
ähnlich w^ie Homer als fahrender Sänger in dem Lande umhergezogen sein.
Und nicht bloss in den Städten Böotiens, wie Thespiä und Orchomenos,^)
^) Das Certamen neu bearbeitet von
Fr. Nietzsche, Acta Lips. T, 1 — 23; derselbe
Gelehrte handelt Rh. M. 25, 528 ff. von den
Quellen des Certamen.
^) Vgl. Ephoros in Ps. Plut., vit Hom. 2,
und Steph. Byz. u. Kvfirj. Auf Lokalsagen
von Kyme geht es auch zurück, wenn Me-
lanopos aus Kyme (Paus. V, 7. 8) bei Suidas
u. Ps. Plutarch zum Ahnen des Hesiod und
Homer gemacht wird.
") Der Name des Vaters war nach der
Überlieferung Dios, aber dieser ist wahrschein-
lich nur erschlossen aus Op. 299 EQyd^sv
TliQOf] 6iov ys'yog, wo Ruhnken geradezu
Jlov yeyog nach Analogie von Laevinum
Valeri genus bei Hör. Sat. I, 6. 12 her-
stellte; aber das ^Tov yepog des Hesiod
scheint aus Homer II. I 538 herübergenommen
zu sein. Noch weniger Verlass ist auf den
Namen der Mutter des Dichters, Pykimede,
da derselbe sich auf keine Stelle des Hesiod
stützt und ganz wie eine etymologische
Fiktion aussieht. Auch den Namen Hesiod
haben Neuere, wie Welcker, Hes. Theog. 5
im generellen Sinn = leig M^r]v „Sänger" ge-
deutet; aber dagegen erhebt die Grammatik
Einsprache, da zu Hesiods Zeit der Gesang
aot&7], nicht o)d}j hiess, also ein "Hatdotd'og
zu erwarten gewesen wäre.
^) Hes. Op. 633 ff. Den Namen ^'AaxQrj
statt des überlieferten ^Aqvr] hatte Zenodot
in den homerischen Text B 507 bringen
wollen.
5) Hes. Theog. 22 f.
6) Hes. Op. 27-39; 213ff.; 248 ff.; 274 ff.
') So eignete sich für Schiffer Op.
618-94, für Bauern Op. 383—617, für
Richter Op. 213 — 69, als guter Rat beim
Heiraten Op. 695-705.
^) So die Erzählung vom Titanenkampf
Th. 617 - 819, die Prometheussage Th. 535-
610, der Pandoramythus Op. 42—^89, die 5
Weltalter Op. 109—201, die Hymnen auf die
Musen und Hekate Th. 36—104 u. 413—49.
^) In Orchomenos zeigte man das Grab
des Hesiod auf dem Marktplatz der Stadt;
s. Gert. Hes., Paus. IX, 38, Vit. Hes. Die
Nachricht geht auf Aristoteles eV rri Oq/o-
IxevLMu TTohxeici zurück (s. Vit. Hes. und
Proklos zu Op. 631); vgl. Rose, Arist. pseudep.
p. 505 ff.
76
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
fand er Anklang, auch über die Grenzen seiner engeren Heimat hinaus
drang der Ruhm seiner Muse. In den Werken 650 ff. lesen wir, dass der
Dichter einst von Aulis nach Chalkis in Euböa zu den Leichenspielen des
Amphidamas gefahren sei,^) bei diesen im Hymnus gesiegt und den Drei-
fuss, den er als Siegespreis errungen, den Musen des Helikon geweiht habe.
Doch auf diese Nachricht ist nicht viel Verlass, da die ganze Stelle (Op.
646 — 662) mit Recht schon von den alexandrinischen Grammatikern bean-
standet wurde,") so dass sie eher die Erinnerung aus dem Leben eines
Rhapsoden der hesiodischen Schule, als aus dem Leben des Meisters selbst
enthalten wird. Bestimmter weisen die Nachrichten von dem Tode des
Dichters^) darauf hin, dass er von seiner böotischen Heimat nach Westen
über Delphi hinaus nach Naupaktos ins Land der ozolischen Lokrer ge-
kommen war. Vom Orakel in Delphi, so erzählten die Alten, gewarnt den
Hain des nemeischen Zeus zu betreten, da dort ihm zu sterben bestimmt
sei, hatte er sich nach Oineon in Lokris gewandt, ohne eine Ahnung zu
haben, dass auch dort ein dem nemeischen Zeus geheiligter Ort war.^) In
Oineon also kehrte er bei den Söhnen des Phegeus, Amphiphanes und Ga-
nyktor,^) ein, geriet aber in den Verdacht, die Schwester seiner Gastfreunde,
Klymene, verführt zu haben. Die Brüder, darüber ergrimmt, erschlugen
ihn und warfen seinen Leichnam in das Meer. Delphine brachten den Toten
ans Land, wo er in einem Felsengrab bestattet wurde. Die Sage ist natür-
lich poetisch ausgeschmückt; aber ein historischer Kern wird ihr zu gründe
liegen, wenn auch nur der, dass Hesiod im Lande der Lokrer gestorben ist.
Denn dort in Naupaktos erbte sich auch die hesiodische Sangesart fort,
wie schon der Name NavnäxTia f'tttj bezeugt. Auf der anderen Seite
zeigte aber auch Orchomenos auf dem Markt das Grab des Hesiod, was
früh so gedeutet wurde, dass die Orchomenier, einem Orakelspruch zu-
folge, die Gebeine des Dichters aus dem Lande der Lokrer nach ihrer Stadt
übergeführt hätten. <^) Später errichteten auch die Thespier dem Hesiod
^) Von jenem Amphidamas lesen wir bei
Plutarch Conv. sept. sap. c. 10, wahrschein-
lich nach Aristoteles: iji' de ^Jfxcpi^äfxag dj/tJQ
noliTiy.og y.ul noXXd nQayficna nagaa/Mt^
'EQsrQievGiv ev raig ttsqI ArjXdyiov ^d^aig
871SOEV, woran Bekgk, Gr. Litt. I, 930 die
von RoHDE, Rh. M. 36, 421 ff. bekämpfte
Vermutung knüpfte, dass derselbe nicht vor
Ol. 29, 1 gestorben sei. Nach Rohde's Be-
rechnungen hätten die Alten vielmehr den
Amphidamas 160 nach den Troika leben
lassen.
2) Proklos fand zu V. 649 ein kritisches
Zeichen: arj^siovrai 6 ari/og ovxog ' stnoyp
yuQ elvai dnerQog vavTiliag ndjg vnoTid^srcii
avirjy; der Athetese war nach Proklos z. St.
auch Plutarch beigetreten, ebenso der Ge-
währsmann des Pausanias IX, 31. 3. Vgl.
Procl. ehrest, p. 232, 20 W.: dnioi de ol
ro cdyiyfj.cc (corr. iniyQafjfxa) Tjldaavrsg rovro
'HoLOcfog MovGcag 'Eliy.oiriai xovd^ dve^iqyev,
vfxi'M pixijaag eV XccXxiifi diop OfxrjQov.
dXXd ydQ inXc(vriS^t]aciv ix raiv "^HaioösLcoj'
rjfXEQior ' ersQov yd.Q ti (coir. Jira) ctj/ualpsi.
Neuerdings schreibt Kirchhoff in seiner Ausg.
S. 72 ff. die Stelle wieder dem alten Hesiod zu.
^) Friedel, Die Sage von Hesiods Tod,
Jhrb. f. Phil. Suppl. X, 235 ff.
*) Thucyd. 111, 96 : if tm rov Jiög rov
NsfÄsacov lsQ(o 'Hacodog 6 noi^jTrjg Xsysrcct
V7i6 Tiop rcithrj dnod^apsTy, /QijaS^ep avrif sv
Nsfxiu rovro naS^eiy. Damit stimmen überein
Gert. Hes., Plut. Conv. sept. sap. 19, Paus.
IX, 31. 5 u. 38. 3, Vit. Hes., Anth. VII, 55.
^) So nannte sie Alkidamas; Antiphos
und Ktimenos hingegen hiessen sie bei Era-
tosthenes (und Suidas) nach dem Zeugnis
des Certamen.
^) Die Deutung wäre sehr alt, wenn
auf die Angabe Verlass wäre, dass Pindar
mit Bezug auf jenes Doppelbegräbnis das
Epigramm gedichtet habe:
XaiQ€ dlg Tjßrjoag xal &ig rd(pov dprtßoXtjaag,
Halod\ dvS^QOjnoig fxsxQov e/w/^ oocpirjg.
Das darauf bezügliche Sprichwort Haiodeioy
y~'Qag erwähnte nach den Parömiographen
I, 456 schon Aristoteles ev 'OQxofxeyuoy
nohrelu.
A. Epos. 5. Hesiodos. (§ 59.)
77
auf dem Markt ein ehernes Standbild,^) und zeigte man auf dem Helikon
einen sitzenden Hesiod mit der Kithara auf den Knieen, welche Darstellung
schon Tansanias tadelte, da dem Hesiod nach seinen eigenen Worten im
Eingang der Theogonie der Lorbeerstab, nicht die Kithara zukomme. 2)
59. Lebenszeit des Hesiod. Verwickelt ist die Frage nach der
Lebenszeit des Hesiod, in der schon die Alten zwiespältiger Meinung waren.
Es handelt sich hiebei zunächst um das Verhältnis des Hesiod zu Homer.
Herodot H, 53 nahm beide als gleichzeitig an und Hess sie 400 Jahre vor
seiner Zeit gelebt haben. Ephoros nach Ps. Plutarch vit. Hom. 2, hielt
den Hesiod für etwas älter, indem er dessen Vater zum Grossonkel Homers
machte, 3) welches Verhältnis das Marmor Parium derart in Zahlen umsetzte,
dass es den Hesiod 30 Jahre älter als Homer sein liess.^) Dem entgegen
schlössen die alexandrinischen Kritiker, Eratosthenes und Aristarch, aus
der Erweiterung der geographischen Kenntnisse^) und Mythen bei Hesiod,^)
dass derselbe nach Homer gelebt haben müsse.'') Die Beweiskraft der in
diesem Sinne verwerteten Stellen steht zwar nicht ganz ausser Zweifel,
da dabei nicht allein das älteste und zweifellos echte Werk des Hesiod,
die Erga, sondern auch jüngere Gedichte und Verse von zweifelhafter Echt-
heit in Betracht gezogen wurden. So kann z. B. die Fortbildung des My-
thus nicht leicht besser illustriert werden, als durch Vergleichung der
Stelle der Odyssee y 464, wo die jüngste Tochter des Nestor, die schöne
Polykaste, dem Gaste Telemachos die Füsse wäscht, mit den Versen des
Hesiod bei Eustathios zu Od. n 118, welche aus jenem harmlosen Brauch
der alten Gastfreundschaft eine geschlechtliche Verbindung des Telemachos
und der Polykaste ableiten, deren Frucht der Heros Persepolis gewesen
sei.^) Aber die Verse stehen nicht in dem echten Hesiod, sondern gehörten
den aus der Schule des Hesiod stammenden Eöen an. Ebenso finden sich
die meisten der geographischen Namen an Stellen, deren Echtheit von der
modernen Kritik in Zweifel gezogen wurde. Indes wenn auf solche Weise
auch viele Belegstellen wegfallen, so bleiben doch noch genug zum Beweise,
1) Paus. IX, 27. 4.
2) Paus. IX, 30. 2.
^) Vgl. Sengebusch, Hom. diss. I, 160;
dass vor Ephoros schon Simonides Ceus die
gleiche Meinung geäussert, erweist Stern-
bach, Comm. Ribbeck. 358 aus dem Gno-
mologium Vaticanum: iLfxdDv'L^rjg rov 'Raio-
ö'oy y.i]novQÖv eXeys, toV deOfxrjQOp aTecpavrj-
TTXoxoy, TÖv fxey Mg (pviEvanvia rag tteqI
iheaiv xal rjQ(6(au juvx^oXoyiag, top de (^g e|
ca'Kxiv Gvfj.Ti'ke^avicc löv iXiddog -/.cd Odva-
aeiag oxEXfavov.
'^) Ähnlich Tzetzes in Vit, Hes., wenn
er den Hesiod in den Anfang und den Homer
an das Ende des 35 Jahre dauernden Archon-
tats des Archippos setzt. Dem Ephoros
folgten Accius bei Gellius III, 11 und Philo-
stratos Heroic. p. 162, 5. Nach Vit. Hom. 6
hielt schon Herakleides den Homer für älter
als Hesiod.
•''') Strab. p. 23 u. 29, wo richtig hervor-
gehoben ist, dass Hesiod bereits den Nil
(Th. 388), den Ätna (Th. 860), die Thyrsener
(Th. 1016) und Ortygia kenne, die bei Homer
noch nicht vorkommen. Man kann diesen
Namen noch hinzufügen den Latinos, den
Sohn der Kirke {Th. 1013), den Eridanos
und Istros (Th. 338 f.), die Insel Erytheia
mit den Hesperiden (Th. 290 u. 518).
^) Aristarch setzte in diesem Sinn seine
Zeichen K 431 ngog rd nsQt tjhxlag 'Hoio&ov,
I 246 Oll Ttju oXrjp UskonöwriGov ovx oldsy
6 TioLf]i:t]g, 'Holoöog de, A 750 ort evxev^bv
Haiodog 'JxroQog x«t' enixXrjaiv xal Moliovog
avxovg yEyspsaXoyt^xev, ferner zu M 22, H 119,
¥' 683, i2 527.
"') An Aristarch schloss sich sein Schüler
Apollodoros an bei Strabon p. 299 und 370.
Übertrieben drückt sich Cicero de senect. XV,
54 aus: Homerus qui multis iit mihi videtiir
ante Hesiodum saeculis fuit. Schon vor
den Alexandrinern hatte Xenophanes nach
Gellius III, 11 die gleiche Meinung vertreten.
^) KiKCHHOFF, Die hom. Odyssee 315 ff.
78
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Penode.
dass zur Zeit Hesiods die geographische Kenntnis des Westens infolge der
fortgeschrittenen Seefahrt weit ausgebreiteter war, und dass Hesiod nicht
bloss die Färbung des Dialektes aus Homer entlehnt, sondern auch in
zahlreichen Versen Stellen des Homer nachgeahmt hat.^) Den Werken
des Hesiod also ging die Dichtung der ganzen Ilias mit Einschluss des
letzten Gesangs und ebenso der Odyssee, wenigstens der älteren Teile der-
selben voraus. Auf der anderen Seite steht ebenso fest, dass Hesiod den
lambographen Simonides und Archilochos bereits bekannt war. Denn ge-
wiss waltet nicht blinder Zufall im Zusammentreffen von Hes. Op. 702
ov ijih' yccQ TL yvvaixog dvrjQ Xrji'^ST' ccfxeivov
Trjg dya^rjg, zrg 6'avTS xaxrjg ov Qiyiov akXo
und Simonides fr. 6
yvvaixdg ovStv XQVf^' ccvrjQ Xr'ii'^srai
€(^^Xrjg dfjisivov ovd^ Qiyiov xccxrjg.^)
Demnach lässt sich für die Zeit des Hesiod sowohl ein terminus post quem als einer
ante quem mit Sicherheit feststellen. Die Versuche darüber hinaus zu einer en-
geren Abgrenzung zu kommen, schlugen mehr oder minder fehl. Die astrono-
mischen Berechnungen aus den Sterndeklinationen sind in Seifenblasen aufge-
gangen;^) die Angabe, dass Stesichoros ein Sohn des Hesiod und der Klymene
gewesen sei,^) sieht ganz wie eine leere, aus der Mythen Verwandtschaft ab-
geleitete Fiktion aus; der Ansatz des Zeitalters des Amphidamas auf 1020
bis 980 V. Chr. 5) stützt sich auf die schlechten Hilfsmittel der alten Chro-
nologen, bei denen man auf einen Irrtum von ein paar hundert Jahren
gefasst sein muss. Die Erwähnung eines nackten Ringkampfes, der uns
in die Zeit nach Ol. 15 führen würde, findet sich nicht in den erhaltenen
echten Werken, sondern stand in irgend einem der untergeschobenen Epen.^)
Es bleibt nur das eine äussere Anzeichen, das in der Schilderung vom
^) Eine Ausgabe mit genauem Nachweis
der parallelen Stellen Homers haben wir
noch nicht; gute Vorarbeiten dazu lieferte
Ed. Kausch, Quatenus Hesiodi elocutio ah
exemplo Homeri pendeat, Regiom. 1876 und
Elbing 1878, Maktin, De Odyssea et Theo-
gonia, Speier Progr. 1889, Die Nachahmung
selbst steht ausser Zweifel, und es fragt sich
nur, inwieweit auch Stellen der jüngsten
Partien homerischer Gesänge nachgeahmt
sind. In dieser Beziehung ist von Wichtig-
keit die Vergleichung von Op. 403 ineoyv
vou6g und Y 249; Op. 721 und Y250; Op.
299 STov ytvog und I 538 ; Op. 648 ixexQa
xicduaarjg und fxeiQa xskev&ov (f 389, x 539,
ferner von Op. 318 und i2 45; Th. 128—9
(mit kontrahiertem vv^cfdiv) und i2 615 — 6;
Th. 341-2 und iy 20—1. In die Telemachie
« 56 kam cdfAvUoioi Xoyoiai aus Theog. 890,
wahrscheinlich auch in w 12 ^ij/uot^ ovs'iqmv
aus Theog. 212 (pvlop opsIqwv. Auch die
häufigere Vernachlässigung des Digamma
bei Hesiod beweist die spätere Zeit der Ab-
fassung, zumal bei ihm ausser Zweifel steht,
dass seine Landsleute noch das Digamma
sprachen.
2) Ähnlich Archil. fr, 88 nach Op. 202 ff,
und 213; Alcaeus fr. 39 nach Op. 584 ff,;
Alkman fr. 106 nach Th. 961. Vgl. Steitz
in seiner Ausgabe der Erga S. 3.
^j Wichtig scheint besonders zu sein
Op. 566 f. u. 610 über den Aufgang des
Arkturus; s. Roboson, vit. Hes. p. LIX ff.;
Idelek, Handb. d. Chronologie I 246; Gal-
lenmüller, Progr. d. alt. Gymn. in Regens-
burg 1885.
'^) Schol. ad. Op. 271: Iotsov de on vlog
'^Haiodov Mvaoiag iari, 4>iX6/oQog de Irtjai-
XOQoy (ff]ai rov und Kkv/ueprjg, ciXXog de \4q-
/iinrjg. Ebenso Vit. Hes.
°) Nach der Ansicht von Rohde, Rh. M.
36, 421 ff.; siehe indes S. 76 Anm. 1.
6) Schol. ad II. ¥• 683 = Hes. fr. 127.
Bereits die alten Kritiker knüpften an diese
Erzählung von dem nackten Ringkampf des
Hippomenes mit Atalante die Bemerkung
rewrsQog ovv 'Haiodog yvfxvovg iadyoyv dyw-
viOTug, s. oben § 27. Unter den Neueren
hat darauf Voss, Mythol, Briefe 2 seine
Ansicht von dem jungen Alter des Hesiod
gestützt.
A. Epos. 5. Hesiodos. (§ 60.)
79
Ausbruch des Ätna (Th. 820 — 80) liegt i) und das uns in die Zeit nach
Gründung der Kolonien Sikiliens durch Chalkis, die Mutterstadt von Naxos,
Leontinoi und Katane, führt. Davon ausgehend hat denn auch ein neuerer
Forscher, 2) indem er auch noch die Fabel, dass Stesichoros ein Sohn des
Hesiod und der Klymene gewesen sei, zur Zeitbestimmung heranzog, die
Blüte unseres Dichters auf 675 angesetzt. Aber einmal nötigt uns jene
Schilderung des feuerspeienden Berges nicht, mit der Lebenszeit des Dich-
ters derselben so weit, unter 700 v. Chr., herabzugehen, und dann ist die
Stelle selbst von den berufensten Kritikern als eine jüngere Interpolation
verdächtigt worden, so dass wir aus derselben kein zuverlässiges Kenn-
zeichen der Lebenszeit des Hesiod selbst entnehmen können.-^) Bedenken wir
nämlich, dass der korinthische Epiker Eumelos, der von den Alten in Ol.
5 — 9 gesetzt wird,-^) doch jedenfalls erst nach Hesiod lebte, und dass auch
der homerische Schiffkatalog, die Boio)ticc, bereits die Anfänge einer böoti-
schen, in der Weise des Hesiod sich bewegenden Dichterschule voraussetzt,
so werden wir uns scheuen, mit der Blüte Hesiods viel unter den Beginn
der Olympiadenrechnung herabzugehen. Will man Zahlen, so setze man
die Dichtungen des Hesiod in die Zeit von 750 bis 700 v. Chr.
60. Charakter der liesiodischen Poesie. Hesiod galt als Vater
und Haupt Vertreter des didaktischen Epos, wie Homer des heroischen.
Diese neue Richtung der Poesie hing zunächst mit der individuellen An-
lage unseres Dichters zusammen : Hesiod war eine hausbackene, verständig
beobachtende, des kühnen Fluges der Phantasie wie der tieferen Erregtheit
des Gemüts entbehrende Natur. Es hatte aber auch die neue Richtung
ihre Wurzeln in dem Naturell seiner Landsleute und dem Zustand seines
Heimatlandes : dort in Asien eine frisch aufblühende Entwicklung auf dem
Boden älterer, vorgeschrittener Kultur, ein leicht bewegliches, durch die
See in die Ferne gewiesenes Volk, Hörer voll Lust und Freude an Mären
und Abenteuern; hier in Böotien ärmliche, im Rückgang befindliche Ver-
hältnisse, eine wesentlich auf Ackerbau und Viehzucht angewiesene Bevöl-
kerung, wenn auch nicht gerade stumpfsinnig, so doch ohne Schwung und
geistige Beweglichkeit. Dem Inhalt nach enthält also die hesiodische Poesie
verständige Belehrung über Hauswesen und Ackerbau, zusammenfassende
Unterweisung über alte Sagentraditionen, fromme Einführung in den Götter-
glauben, doch alles dieses so, dass die eigentliche Grundlage des Epos,
der Mythus, nie ganz verleugnet wird, vielmehr öfters in ausgesponnenen,
lebhafteren Pulsschlag verratenden Episoden die lehrhafte Darstellung durch-
^) Th. 860 ovQSog iv ßi]oGriaip ^Jlrvrjq
TicunaXotaatjg, wo Schömann mit glücklichem
Scharfblick 'AiTvrjq für das überlieferte cadyrjg
herstellte. Homer selbst (nicht der Verfasser
des Schiff kataloges, wie gewöhnlich an-
genommen wird) hatte bereits in dem 2 Ge-
sang der Ilias ß 783 den Typhoeiis, den
Repräsentanten feuerspeiender Berge, im Land
der Arimer erwähnt. Er hatte aber dabei
nicht an den Ätna, sondern an den Vulkan
Argaios in Kappadokien gedacht, wie Paktsch,
Geologie u. Mythologie in Kleinasien, Philol.
Abh. zu Ehren von Hertz S. 105 122 nach-
gewiesen hat»
■') FicK, Hesiods Ged. S. 4.
^) Hat indes auch die Stelle das ver-
dächtige Merkmal, dass sie glatt ausge-
schnitten werden kann, so bleibt doch die
Möglichkeit, dass sie Hesiod selbst später,
als die Nachricht vom Ausbruch des Ätna
nach Chalkis und Böotien kam, zur alten
Theogonie zugedichtet hat.
■*) Siehe unten § G7.
80
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
bricht. Der Form nach knüpfte die Poesie des Hesiod teils an das home-
rische Epos an, dem sie in Versmass,^) Dialekt, 2) und sprachlichem Aus-
druck folgte, teils trat sie in Gegensatz zu ihm durch den Charakter ein-
facher Aufzählung und lockerer Aneinanderreihung, verbunden mit der
Neigung zur strophischen Gliederung.^) Von den alten Kunstkritikern
wurde diese Stilform HaioSsiog xaqaxTrjQ genannt und daher z. B. das
trockene Verzeichnis des Nereidenchors in der Ilias 2 39 — 49 verworfen
wg ^HaiöSaiov s^ov xaQaxTTjQaA) Damit verband sich die gleichfalls von
den Alten schon erkannte Neigung zur gnomischen und allegorischen Dar-
stellung, •'^) welche den Gegensatz zur heiteren Phantasie und plastischen
Naturwahrheit Homers bildete. Wird man in allem dem einen starken
Abfall von der Herrlichkeit homerischer Poesie finden müssen, so darf man
doch nicht den grossen und wohlthätigen Einfluss verkennen, den der sitt-
liche Gehalt der hesiodischen Poesie und die Mahnung zu rühriger Thätig-
keit auf die Entwicklung des griechischen Volkes übte. Der geistige Ge-
nuss an Meisterwerken der Schönheit übt zwar auch an und für sich einen
veredelnden Einfluss auf Sitten und Anschauungen eines Volkes aus; aber
zur Erziehung der Jugend und Durchsittigung der Massen bedarf es di-
rekter ethischer Nahrung, und glücklich ein Volk, dem dieselbe gleich in
seinen Anfängen durch den Honigmund eines Dichters gereicht wird.
61. Mit den Werken des Hesiod ist es ähnlich gegangen wie mit
denen Homers; auch dem Hesiod ist vieles zugeschrieben worden, was von
seiner Schule ausging, und auch seine echten Werke haben viele Inter-
polationen erfahren, die um so eher Eingang finden konnten, je lockerer
das umschlingende Band war.
') Vom daktylischen Hexameter haben
auch die Gedichte des Hesiod den Namen
tnrj erhalten.
2) Dem homerischen Grundton der Spra-
che, wie sie uns überliefert ist, sind nur einige
lokale Eigentümlichkeiten, wie die Acc. plur.
auf äg (delphisch und thessalisch), die 3.
Pers. plur. auf ov [eSi^op Op. 139, söov
Th. 30), ^Txcc statt Itfiyya (böotisch) bei-
gemischt; s. FöRSTEMANN, De diolecto He-
sioclea, Hai. 1863; Rzach, Der Dialekt des
Hesiod in Jhrb. f. Ph. Suppl. 8. Dem Über-
gang des homerischen Dialektes in die he-
siodische Poesie steht der Gebrauch des
gleichen Dialektes in den delphischen Orakel-
sprüchen zur Seite. Fick nimmt auch für
Hesiod spätere Umdichtung an und gibt in
seiner Odyssee S. 397 ff. eine Probe seines
ursprünglichen Hesiod in altthessalischem,
in Bezzenbekger's Beitr. XH (1886), 1-37
eine solche in delphischem Dialekt. Diese
seine Anschauungen hat jetzt der ingeniöse
Gelehrte in dem Buche, Hesiods Gedichte
(1887), dahin ausgeführt und modifiziert, dass
er die Theogonie im delphischen, die Erga
im altäoiischen, die Zusätze beider Dichtun-
gen zum grösseren Teil im ionischen Misch-
dialekt verfasst sein lässt. Von der Zu-
stimmung hält mich nicht bloss die über-
lieferte Form des Textes, sondern auch die
geringe Wahrscheinlichkeit einer späteren
Umschrift ab. Vgl. Menrad, Philol. Anz.
1887 n. 8.
^) Solche Gruppen von meistens 3, mit-
unter auch 5 Versen sind unverkennbar in
den aufzählenden Partien, namentlich der
Theogonie, wenn man auch eine strenge
Durchführung des strophischen Prinzips ver-
misst. Aufgesucht sind sie von Gruppe,
Über die Theog. des Hes. 1841 und G. Her-
mann, De Theog. forma antiquissima 1844
(Op. VIII, 47 ff.), im Texte angezeigt von
KöcHLY in seiner Ausgabe (vgl. dessen Akad.
Vortr. I, 387 ff.); neuerdings stellte Fick
sechszeilige Strophen her. Leichter erklär-
lich sind die gleichen strophenartigen Ab-
sätze in der lyrischen Totenklage an der
Bahre des Hektor IL i2 725-75, worüber
zuletzt Seibel. Die Klage um Hektor, Progr.
München 1881 gehandelt hat.
4) Schol. A zu J 39, i2 614.
■>) Scholien zu II. 0 21 p. 410, 12 B.
u. Od. 0 74. Mit dem Mangel an plastischer
Darstellung hängt es auch zusammen, dass
Hesiod der Kunst, namentlich der älteren
Vasenmalerei, sehr wenig Anregung bot,
worüber Brunn, Stzb. d. b. Ak. 1889, II, 73.
«
A. Epos. 5. Hesiodos. (§61.)
81
Die "Egycc waren nach der Tradition der Böotier am Helikon das ein-
zige echte Werk des Hesiod ; ^) jedenfalls sind sie dasjenige, in welchem
eine bestimmt ausgeprägte Dichterpersönlichkeit uns entgegentritt. Das
ganze Gedicht in 828 Versen hat den Doppeltitel ^ Eqya xai rinsqai, weil
es eine Anweisung zur Verrichtung der Arbeiten und im Anhang dazu
einen Arbeitskalender nach den Tagen des Monats enthält. Eine geschlos-
sene Einheit bilden die 828 Verse in keinem Fall; es fragt sich nur, hier
ähnlich wie bei Homer, ob der Dichter selbst gar nicht ein Ganzes beab-
sichtigt habe, so dass die Verbindung der verschiedenen Teile von einem
späten Ordner herrühre, oder ob die gestörte Ordnung erst durch Einlage
von fremden Zusätzen in ein ursprünglich einheitliches Werk entstanden
sei. Die auflösende Kritik hat auch hier in unserer Zeit ihre geschäftige
Thätigkeit entfaltet; 2) aber so anregend und fruchtbar auch die Nachweise
mangelnden Zusammenhanges einzelner Teile gewesen sind, so überwiegen
doch auch hier die Anzeichen der Zusammengehörigkeit der Hauptteile.
Die Anrede an Perses rührt unzweifelhaft nicht von einem späten Dias-
keuasten, sondern von Hesiod selbst her, diese aber findet sich in den ver-
schiedensten Teilen des Werks und beweist, dass dieselben von vornherein
zu einander in Beziehung gesetzt waren. Nur diejenigen Teile, in denen
der Name Perses gar nicht vorkommt, sind der nachträglichen Eindichtung
verdächtig; als solche erweisen sich das Anhängsel der Tage (765 — 828),
die beiden Sentenzensammlungen 317 — 382 und 695 — 764, die Schilderung
der 5 W^eltalter (109 — 201), der Pandoramythus (49—104). Von diesen
Partien sind die Tage fremden Ursprungs; die anderen scheinen ehedem
für sich bestanden und erst später den Erga einverleibt worden zu sein. 3)
^) Paus. IX, 31. 4: Boioutmp oi ttsqI top
'Ehxctjycc oixovvxsg ■nuQei'krjy.^iva do^rj Xtyov-
aiv log cDiXo Halodog nou^aia cvdev rj xd'^qya.
Ob aber diese Leute am Helikon nicht die
Meinungen der gelehrten Chorizonten wieder-
gaben, wie Pausanias VI, 22. 6 auch den
Eleern Dinge in den Mund legt, welche die
Gelehrten ermittelt hatten? Der Vers Op. 11
ovx (iQci (ehedem vielleicht ov roi) fxovrov
8f]v ^EQLÖ'iJüy yivoq scheint auf Theog. 225
zurückzuweisen, die Theogonie also als das
ältere Gedicht erscheinen zu lassen; aber
das 'f^^a gehört wahrscheinlich dem Inter-
polator, w^elcher das Proömium (1 — 9) zu-
setzte. Noch bestimmter weist der Vers
659 auf die Theogonie als das ältere Gedicht
zurück; aber die Echtheit dieses Verses ist
bestritten. Nach Lucian, de salt. 24 stand
in den Handschriften des Hesiod die Theo-
gonie voran. Den alten Grammatikern fol-
gend setzen auch Kirchhotf und Fick die
Theogonie als das ältere Epos vor die Erga.
^) TwESTEN, Comment. crit. de Hesiodi
carmine qiiod inscribitur Opera, Kiel 1815;
Lehrs, Quaest. ep. 179—252, wo die Anord-
nung der Sprüche nach dem Alphabet er-
wiesen wird; Thieesch, De gnomicis carmi-
nibus Graecorvm, Ada pJäl Man. III, 402 ff.
Dagegen Rakke, De Hesiodi oiierilius et
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. YII.
diehus, Gott. 1838; Vollbehr, Hesiodi Opera
et dies, Kiel 1844. Vermittelnd Steitz, De
Operum et dierum compositione, forma pri-
stina et interpolationibus, Gott. 1856; Hetzel,
De carminis quod 0. et D. inscribitur com-
positione et interpolationibus, Weilburg 1860.
Vgl. SusEMiHL, Zur Litteratur des Hesiod, in
Jahrb. f. Ph. 89, 1 ff. Eine Zerlegung in
die einzelnen Teile stellt Fick in seiner Aus-
gabe auf. Kirchhoff in seiner Ausg. macht
den Versuch, den alten, dem Hesiod zuzu-
schreibenden Grundbestandteil von den spä-
teren Zusätzen durch verschiedene Schrift
zu scheiden und das alte Gedicht in einzelne
(8), sehr ungleiche Lieder zu zerlegen.
^) Am meisten noch hängt der Pandora-
mythus mit dem Grundstock des Gedichtes
zusammen und ist im engen Anschluss an
dessen Grundgedanken gedichtet, da ja die
Sendung der Pandora, wie die Sünde der Eva
im alten Testament, die Nötigung zur Arbeit
gebracht hat. Auch die Kernsprüche und
die Dichtung von den Weltaltern, deren An-
klänge an altindische Poesie Roth, Der My-
thus von den 5 Menschenaltern bei Hesiod
und die indische Lehre von den 4 Welt-
altern, Tüb. 1880, nachgewiesen hat, machen
den Eindruck echter hesiodischer Poesie.
Spätere werden sie den Erga eingelegt haben,
Aufl. 0
82
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Von dem Proömium an die Musen (1 — 10) ist ohnehin die spätere Zudich-
tung durch Pausanias IX, 31. 4 bezeugt.^) Was übrig bleibt, besteht aus
zwei gleichmässig an Perses gerichteten Teilen, einem Rügegedicht (11 — 48,
203 — 316), worin Hesiod seinem Bruder und den bestochenen Richterköni-
gen ihr Unrecht vorhält, und einem Lehrgedicht, das in leidenschaftslosem
Tone Anleitung zum Ackerbau und zur Schiffahrt gibt (383 — 616 u. 618
bis 694). Die beiden Teile sind nicht zur gleichen Zeit entstanden,'^) aber
sie sind doch zu einem Ganzen bestimmt: es findet sich nur ein abrun-
dender Schluss (V. 694 xaiQog S'stiI näaiv ccQiaTog), und die Aneiferung
zur Arbeit zieht sich als roter Faden durch beide Teile hindurch; denn
auf sie zielt gleich das Proömium von der doppelten Eris ab, deren eine,
die gute, auch den Indolenten zur Thätigkeit aneifert (V. 20), und sie
schlägt die Brücke vom ersten zum zweiten Teil, indem Perses ermahnt
wird, statt durch ungerechte Rechtshändel, durch redliche Arbeit sein Aus-
kommen zu suchen (286 — 302, 315 f.).
62. Die Oeoyovia in 1022 Versen ist ein ehrwürdiger Versuch, die
bunten Gestalten der hellenischen Götterwelt in ein System zu bringen,
wobei die alten und heimischen Götter mit neuen und fremdländischen zu-
sammengebracht^) und die in religiösen Kulten und alten Hymnen über-
lieferten Mythen mit Sätzen theosophischer und kosmogonischer Spekulation
zu einem halb poetischen, halb philosophischen Lehrgedicht vereinigt sind.^)
Mit gutem Griff hat der Dichter seinen Plan so durchgeführt, dass er treu
dem Wesen epischer Poesie die Dinge im Werden erfasste und so eine
Geschichte der Weltschöpfung und der Göttergenerationen dichtete. Unter-
stützt ward er in der Ausführung dieses Planes durch den Charakter des
griechischen Mythus, der überall von Vater und Sohn oder Tochter sprach
und auch schon bei dem ionischen Sänger zur Einkleidung kosmischer Vor-
gänge in poetische Umhüllung geführt hatte.'*) Auch mochten die Legenden
damit sie nicht in ihrer Vereinzelung zu
gründe gingen.
') Vereinzelte Interpolationen enthält
der Rest noch viele, wie die Verse 646 — 662
von den Leiehenspielen des Amphidamas,
504- -536 von den Leiden des Winters, in
denen der ionische Monatsname Ai]v(ii(6r
(504) und der Name Jlai'e/ihji'sg auf späten,
nichtböotischen Ursprung hinweisen, die Pa-
rallelrezension 60 — 68, und zahlreiche, lose an-
gefügte Spruchverse. Sehr weit geht in der
Annahme von Zusätzen Fick S. 43 fF., so
dass ihm für die echten Werke nur 144 Verse
übrig bleiben.
■') Vgl. V. 35 ff. mit 396.
^) Manche Gottheiten bei Hesiod, die Ho-
mer noch nicht kennt, erweisen sich durch die
vergleichende Mythologie als uralt, wie 'Eßtia
= Tat. Vesta, 'üQx^^Qog = skt. VrtraS; 'PeTa
■= skt. urvi (breite Erde), K&'QßtQog = skt.
rarvaras, woraus rahalas, der scheckige
Hund Yamas, nach Benfey, Vedica 149 ff'.
Auf Kleinasien weist die XljucciQa und der Tv-
(fio£vg. auf Ägypten die ^cfly'^. auf die Se-
miten 'lunerog und fid^^og. Diese fremden
Bestandteile der Theogonie dürfen uns an-
gesichts des ägyptischen Namens 9i]ßai und
der ägyptischen Ornamentmuster in der Schatz-
kammer von Orchomenos nicht auffallen.
Aber von orientalischen Namen finden sich
einige auch schon bei Homer, wie Tvcpcosvg.
Ki/LtfxsQioi, ^J^EQOiv, andere, wie KdßsiQoi.
^AÖMvig. MsXixeQTijg, yQvneg, auch bei He-
siod noch nicht.
'^) Hesiod heisst ^eolöyog und 6 ttqmtov
S^eoXoy^actg bei Aristoteles Met. p. 983'^ 29
u. 1000'^ 9. Dass es vor Hesiod schon Theo-
gonien gegeben habe, ist sehr unwahrschein-
lich, wenn auch einzelne Stellen des Homer,
namentlich die Jiog arKh)], zeigen, dass
schon vor Homer theogonische Anschauungen
und Hymnen in Umlauf waren; s. Schümann,
Coviparatio tlieogoniae Hesiodeae cum Ho-
merica, Opiisc. II, 25 — 29.
^) So sind zu fassen die Fesselung des
Zeus in der Luft und seine Befreiung durch
die Wassergottheiten Thetis und Briareos
in ./ 397 ff., die 350 schwarzen Rinder (Nächte)
A. Epos. 5. Hesiodos. (§ 62.)
83
der Tempelpriester dem Dichter noch manche andere allegorische und phi-
losophische Idee an die Hand gegeben haben, wie insbesondere die hohe
Stellung, die Hesiod in seiner Theogonie dem Eros anweist (V. 120 ff.),
mit dem Kultus dieses Gottes in Thespiä zusammenzuhängen scheint, i)
Durchgeführt ist der Plan in folgender Weise: in der Einleitung (1 — 115),
welche aus der Verschmelzung von 2 Rhapsodenproömien, einem an die
helikonischen und einem an die olympischen Musen, entstanden ist, 2) wird
die Anrufung der Musen mit der Dichterweihe des Sängers sinnig in der
Art verbunden, dass die nachfolgenden Verse nur als Nachklänge des
Musengesangs erscheinen. Mit Vers 116 beginnt das alte Gedicht, die
Kosmogonie, welche anfangs lediglich mit gestaltlosen Abstraktionen von
Naturkräften operiert, aber im weiteren Verlauf auch altertümliche Ge-
stalten der Mythenwelt, wie Rheia, Kronos, Briareos, und Personifikationen
ethischer Begriffe, wie Themis, Momos, Ate, hereinzieht (116 — 153, 211 — 276,
337 — 370, 371—410). Der trockne Ton dieser Partien, der durch die
parallele Anordnung der Sätze mehr an Durchsichtigkeit als eigentlicher
Schönheit gewinnt, wird angenehm unterbrochen durch die breiter ausge-
führten Erzählungen von der Entmannung des Uranos und von den Helden-
thaten des Perseus, Herakles, Bellerophon. ^) Von Vers 453 an treten wir
in den Olymp der lichten Gottheiten ein: wir hören zuerst von der Geburt
des Allvaters Zeus (453—500), im Anschluss daran von der gegenseitigen
Befehdung des mächtigen Kroniden und des listigen Prometheus (501 — 612),
von den gewaltigen Kämpfen des Zeus mit den Titanen und deren Ver-
stossung in den Tartarus (617 — 819), von den Frauen und Kindern des
Zeus und der übrigen Kroniden (886—962). In diesem Teile des Gedichtes
erhebt der reiche Stoff den Dichter von selbst über die sterile Form lang-
weiliger Aufzählung und Belehrung. Namentlich in dem Titanenkampf
wetteifert er nicht ohne Glück mit Homer, freilich mehr in grossartigen
Entwürfen und gigantischen Ausdrücken als in anschaulicher, farbenreicher
Schilderung. Den Schluss des Gedichtes bildet ein locker angereihter An-
hang von den Töchtern des Zeus, welche mit sterblichen Männern Heroen
und die 350 weissen Schafe (Tage) des
Sonnengottes ,u 128 ff.
Diese kosmogoni-
schen Ideen des Mytlius gehen in die arische
Vorzeit zurück: der in den Veden geschil-
derte K'arapf des Vrtras und die Erbeutung
der Rinder beziehen sich auf die Gewitterwolke
und die von ihr verdeckten Sonnenstrahlen;
die Giganten und Titanenkämpfe der Grie-
chen berühren sich mit dem Kampf des
Tndras und der Rakshasas bei den Indern
und des Donar mit den Riesen bei unsern
Altvordern.
^) Die theosophische Allegorie ist älter
als Hesiod. Die XaQireg oder Huldgottheiten
sind aus den sinnlichen Gestalten der falben
Sonnenpferde (liaritas) entstanden (s. G, Cur-
Tius, Etym.^ p. 121), und der menschenfreund-
liche Feuergott Prometheus hat sich aus der
Anschauung eines Werkzeugs der Feuerbe-
reitung entwickelt (s. Kuhn, Herabkunft des
Feuers). Nach Müller's Vermutung bedeutete
auch der thespische Eros ursprünglich den
Sonnenstrahl, skt. arusha.
''^) Dass das 1. Proömium in seiner ur-
sprünglichen Gestalt (1-4. 9-12. 22-24.
2(3 — 34) nachhesiodisch sei, wage ich nicht
mit der Zuversicht der neueren Kritiker zu
behaupten; bekannt war dasselbe schon dem
Interpolator der Erga V. 659. Nach Plutarch,
Quaest. conv. 9, 14 wurde ein Teil des Pro-
ömiums, V. 36—67, als besonderer Hymnus
gesungen. Drei Proömien und drei Theo-
gonien will 0. Gruppe, Die griech. Kulte I,
597 ff. herausfinden, deren Zusammenstellung
in Korintli unter dem Tyrannen Periander
erfolgt sein soll.
■^) Wenn bei der Sphinx V. 326 Oedi-
pus nicht genannt wird, so muss man wohl
schliessen, dass die ausgebildete Mythe von
Oedipus dem Hesiod noch nicht bekannt
war, wozu auch Op. 163 stimmt.
84
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
und Heroinnen geboren haben (963 — 1022); derselbe sollte den Übergang
der Theogonie zu dem Katalog der Frauen anbahnen.
Ein einheitlicher Faden zieht sich auf solche Weise wohl durch das
ganze Gedicht, aber deshalb ist dasselbe doch noch weit entfernt von einem
kunstvollen Ganzen mit einheitlichem Ton. Die Vereinigung von trockenen J
Aufzählungen und breitausgeführten Kampfesscenen ist störend,') und von "
den 1022 Versen ist ein guter Teil auf späte Interpolation zurückzuführen. 2)
Von später Hand rührt vor allem der Anhang (963 — 1022) her, der sich
schon durch die Namen der Tyrrhener (1016) und des Latinus (1013) und
die Anspielung auf die Aithiopis (984) und die Kypria (1008 — 1010) als
eine jüngere Dichtung kund gibt.-^) Sodann unterbricht die Typhonsage
(820—880) in störender Weise den Zusammenhang und war daher, wenn
sie auch von Hesiod herrührt und durch einen Ausbruch des Ätna zur Zeit
des Dichters veranlasst war, nicht für diese Stelle und schwerlich für die
Theogonie überhaupt bestimmt. Des weiteren ist entschieden jüngeren
Ursprungs die zu weit ausgedehnte Stelle über Hekate (411 — 452), die
wahrscheinlich aus einem nichthesiodischen Hymnus auf diese Göttin her-
stammt. Zweifelsohne ist endlich, um kleinere Interpolationen nicht weiter
zu berühren, das Proömium durch Einschiebung von Hymnenresten auf die
olympischen Musen erweitert.*) Was den Verfasser der Theogonie anbe-
langt, so hat dieselbe das ganze Altertum, mit Ausnahme der Gewährsleute
des Tansanias IX, 31. 4 5), für ein Werk des Hesiod angesehen, insbeson-
dere der Geschichtschreiber Herodot, wenn er II, 53 sagt: ^HaioSog xal
'Ol^ir^Qoc, Hdiv Ol noit'jCTavTeg ^soyovirjv '^'EXXr,(Si xal toiCi deoioi rag 6n(x)VV{.iiag
öövteg xal xif^iag T€ xal Tt^vag Siskovreg xal d'osa avzcov (TrjfirjvavTsg.^) In
unserer Zeit hat Schömann die Zweifel des Pausanias wieder aufgenommen
und die Theogonie für eine Komposition aus dem pisistratischen Zeitalter
erklärt."^) Von einer so späten Zeit kann nun gar keine Rede sein; da-
gegen spricht schon ein untrügliches Zeugnis, die Sprache und das Digamma.
Aber überhaupt die Theogonie dem Hesiod abzusprechen, ist übertriebener
^) Ein Mangel ist es auch, dass V. 935
(s. V. 121) plötzlich Menschen auf der Bild-
fiäche erscheinen, ohne dass zuvor von ihrer
Erschaffung die Rede gewesen, und dass man
nicht begreift, wie die Sterblichen sich fort-
pflanzten, ehe Zeus die Frau zum Unheil der
Menschen schuf.
'^) A. Meyer, De comioositione Theo-
goniae, Berl. 1887,
^) Der fehlerhafte Vers 1014 Ti]kiyovöv
TB tiiyas did ^QVGti]y 'A(fQo^iTt]P fehlt in
dem massgebenden Cod. Mecliceus, kann also
nicht verwendet werden, um den Anhang
unter die Tclegonie herabzudrücken. Natür-
lich ist mit Anfügung des Anhanges zugleich
der alte Schluss der Theogonie nach 902
oder, wie andere annehmen, nach 955 weg-
gefallen.
^) Die alte Theogonie lässt auf einen
oder vielmehr zwei kleine strophisch kom-
ponierte Teile zusammenschrumpfen Köchly,
JJe diversis Hesiodeae Tlieogoniae jjcirtibus
(1860), in Opusc. p. 244-288. Fick nimmt
3 ältere Gesänge der Theogonie von je 144
Versen an.
5) An einer anderen Stelle VlII, 18. 1
unterdrückt Pausanias selbst den Zweifel.
^) Das älteste Zeugnis für den gleichen
Verfasser der Werke und der Theogonie
liegt in dem Vers Op. 659 fV^« ,wf ro ngto-
Tov hyvQfjg eneßrjoav uoiö'rjg, der offenbar
auf den Eingang der Theogonie hinweist,
und, wenn auch unecht, doch jedenfalls aus
alter Zeit stammt. Einen verschiedenen
Verfasser hat für die Theogonie unter den
Neueren Welcker, Hes. Theog. 57 ange-
nommen.
^) Schömann, De compositione Tlieogo-
niae, in Opusc. II, 475 ff., und in seiner
Ausgabe der Theogonie S. 20 ff. Redaktion
althesiodischer und sonstiger in die Theogo-
nie einschlägiger Bruchstücke durch Onoma-
kritos nimmt an Gerhard, Über die hesiodi-
sche Theogonie, in Abhdl. d. Berl. Ak. 1850.
A. Epos. 5. Hesiodos. (§ 63.)
85
Skeptizismus. Für die Gleichheit des Dichters der Theogonie und der Werke
sprechen die wesentlich gleiche Sprache und der Hinweis auf die gleiche
Heimat am Helikon (Th. 2, Op. 639) in der Nähe von Thespiä (Th. 120 ff.).
Die Abweichung des Mythus von der Erschaffung des Weibes, indem in
der Theogonie 570 — 612 das Weib im allgemeinen, in den Werken 47 — 104
das bestimmte Weib Pandora geschaffen wird, ist an und für sich nicht
relevant und kann überdies deshalb keinen Ausschlag geben, weil die be-
treffende Partie der Werke der Interpolation verdächtig ist. ^)
63. rvvaixoov xaTccXoyog hiess das dritte der dem Hesiod beige-
legten Werke; es bestand aus 5 Büchern, von denen die beiden letzten
den Spezialtitel 'Holm hatten, und war gewissermassen eine versifizierte
Heroengeschichte in kleinen, locker aneinandergereihten Absätzen. Der
Titel 'Hoim,-) der sicher dem 4. Buch des Werkes, wahrscheinlich den
beiden letzten zukam, ^) hatte seinen Grund darin, dass die einzelnen Ab-
sätze mit rj ol'rj anfingen, wie
rj otrjv "Yqiti BoKaTirj sTQscps xovgrjv.
Da die Angaben des Katalogs und der Eöen nach dem Zeugnis der gut-
unterrichteten Scholiasten zu Apollonios II, 181 und IV, 57 öfter sich
widersprachen,^) so ist es wahrscheinlich, dass es ursprünglich 2 verschie-
dene Werke gab, rvvaixoov xaräXoyog und 'Hotai, und dass dieselben erst
später, wahrscheinlich erst in Alexandria, des verwandten Inhaltes wegen
zu einem Gesamtwerk mit dem Titel KaräXoyog oder 'Holm ^syälai ver-
einigt wurden.-'^) Der Plan der beiden Werke, an dem Faden berühmter
Frauen eine Heroengeschichte zusammenzuweben, hängt mit der besonderen
Verehrung der Frauen bei den Lokrern zusammen, da bei diesen die Ge-
rechtsamen des Adels von der mütterlichen, nicht der väterlichen Abstam-
mung abhingen; ^) im Lande der Lokrer aber starb Hesiod, wie wir oben
sahen, und dort hat sich auch seine Schule am kräftigsten entwickelt. Der
Mythenschatz der beiden Dichtungen, der für die Lyriker und Tragiker der
nachfolgenden Zeiten eine unerschöpfliche Fundgrube bildete, reichte weit
über den Horizont der äolischen und ionischen Epiker Kleinasiens hinaus,
er umfasste die Sagen aller Stämme, der lonier nicht minder als der Achäer
und Äolier. An der Echtheit des Katalogs haben selbst die besten Kritiker
Alexandriens nicht gezweifelt. Philochoros (Strab. p. 328) und Apollodoros
^) Die Unechtheit von V. 69 — 82 ist nach-
gewiesen von R. Scholl, Satura crit. Sauppio
ohlata p. 133 --47.
2) MeyiiXca 'Hoiai bei Paus. 11, 2. 3 u.
IX, 31. 7 und Schol. Apoll. 11, 181 und IV,
57 war nach Kalkraanns Vermutung (Rh. M.
39, 563) Titel des Gesamtwerkes; anders
Bergk, Gr. Litt. I, 1003 u. 1011.
^) Arg. Scuti III: rijg 'Aonidog rj c(Q/t]
iv TW tf' yMiaXoyo) cpSQtKa, der Anfang des
Schildes beginnt aber mit »y olt]. Daher
verdiente sicher das 4. Buch des Katalogs
den Spezialtitel 'EoTm. Da ferner das 3. Buch
des Katalogs den Eöen vom Scholiasten zu
Apoll. IT, 181 entgegengesetzt wird, so nahm
Marckscheffel, Hes. Eum. fragm. c. II an.
dass ursprünglich der Tvv. xat. die 3 ersten,
die 'HoTat die 2 letzten Bücher des später
vereinigten Gesamtwerkes gebildet haben.
^) Marckscheffel p. 106 ff.
■'') Hesychios 'HoTat " 6 yatüloyog tlaio-
(fov, und Et. Gud. HoTcci • ean xcaccXoyog
'Hatödov.
^) Polyb. XII, 5 nach Aristoteles: ort
Tjdvia Tcl diu TiQoyovoiv evdo^a tiuq^ avToTg
(hio rtop yvviaxMi^, ovx dno tmp di'^QMr
loToQovv, oiov svd^eiog evyevelg nagd ag)iaL
rofAiCeOx^ca. toj;? dno tmv txaxov oi'y.Koi^ Xe-
yofihvovg xrX. Vgl. Find. Ol. IX und Lübbekt,
De Findaro Locrorum Opuntioruiu amico
et patrono, Bonn, Ind. schol. 1883.
das Werk unter dem Titel yvvcaxMv dgeral
als echt an.
^) Von interpolierten Versen spricht
Nichterwähnung der Arimaspen, Greifen und
Hyperboreer auf die Zeit vor Aristeas aus
Prokonnesos.
Plut. Thes. 20 und Paus. II, 26. 6. ^) Dabei ist aber zu beachten, dass das
'') Fr. 80, 6, wo die gleiche Vernach-
lässigung begegnet, ist korrupt; hingegen ist
in der Eöe der Alkmene das Digamma be-
Digamma in der Heimat der hesiodischen
Schule noch weit länger als in lonien ge-
sprochen wurde, was sich auch in dem 2.
wahrt (s. Scut. 11. 15. 20. 22. 34. 38. 40. 45). Hymnus auf Apoll geltend macht.
^) Kirchhoff, Odyssee 315 ff. u. Niese, | ^) Vielleicht ist der Anhang der Theo-
gonie V. 963-1022 vom Verfasser des Ka-
talogs selber gedichtet. Darauf führt die
Entw. d. hom. Poesie 223 setzen den Kata
log zwischen Ol. 40 u 50.
^) In beachtenswerter Weise stimmen
bezüglich der Zwölfzahl der Kinder des Ne-
leus die junge Homerstelle A 692 und Hes. Mutter, ^ilvQiöijg, in Th. 1002
fr. 45 überein. Die Erwähnung der Pyg
gß Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
(Strab. p. 39U) führen unbedenklich Stellen daraus als hesiodisch an;i)
demnach scheint auch Aristarch, der Lehrer des Apollodor, keinen Zweifel
an der Echtheit gehegt zu haben. 2) Nur Pausanias IX, 31. 4 spricht den-
selben auf Grund der Aussagen seiner Führer am Helikon dem Hesiod ab.
Gegen die Echtheit der Eöen haben eher die Grammatiker Bedenken er-
hoben, wie man aus der zweifelnden Wendung des alten Scholiasten zu
Find. P. III, 14 er xoTq eig ^Haiodov aiacpsQOf^u'voig srcsaiv ersieht. Jeden-
falls aber macht die Vertrauensseligkeit des Philochoros und Apollodor
ihrem kritischen Scharfblick wenig Ehre, da viele der erhaltenen Fragmente
nicht von Hesiod herrühren können und einer jüngeren Periode angehören
müssen. Uns selbst ist ein festes Urteil erschwert, da wir nur Bruchstücke
haben und weder wissen, in welchem Verhältnis die 5 Bücher zu einander
stunden, noch inwieweit ihr ursprünglicher Bestand durch Interpolationen
alteriert war. Denn dass Interpolatoren auch hier ihr Unwesen trieben,
lässt sich bei der Anlage des Werkes von vornherein vermuten ^) und wird
durch sprachliche Unterschiede zur Gewissheit erhoben. Während z. B. in
anderen Fragmenten das Digamma des Pronomens der 3. Person noch fest
haftet, ist dasselbe Fr. 82, 2 ganz vernachlässigt.'*) Stand Fr. 81, welches
sich auf die Gründungsgeschichte von Kyrene in Afrika bezieht und mit
dem schon Markscheffel das Scholion zu Apollonios IV, 109 zusammenge-
stellt hat, im alten Katalog, so muss man mit der Abfassungszeit desselben
bis unter das Gründungsjahr von Kyrene Ol. 37, 2 herabgehen. 5) Übrigens
führt auch ein anderes Anzeichen, das Fehlen des Gürtels im Ringkampf
der Atalante, den die Schollen zu Hom. ^^ 683 bezeugen, auf die Zeit nach
Ol. 15. Und da auch die geographischen Notizen und die Weiterbildung
der Mythen ^^) auf verhältnismässig späte Zeit hinweisen, so werden wir
trotz des altertümlichen Charakters der Sprache ') nicht an eine Abfassung
vor der Mitte des 7. Jahrhunderts denken dürfen. Von den beiden Ge-
dichten pflegt man die Eöen für jünger als den eigentlichen Katalog zu
halten; wir können nur so viel mit Bestimmtheit sagen, dass zunächst nur
der letztere bestimmt war, an die erweiterte Theogonie angeschlossen
zu werden.^) Auch verdient es Beachtung, dass die Stelle, welche auf
^) S. Makckscheffel p. 132 f. Asklepia- ] mäen, Makrokephaloi und anderer Wunder-
des in Anth, IX, 64 schreibt dem Hesiod zu | menschen führt mit Recht Makckscheffel
fxaxiXQMv yevog (Theog.), egya (Erga) und I p, 137 auf die von Herodot IV, 152 erwähn-
yevog aQ/aLMt/ rjQMMu (Katalogos). ten Fahrten des Samiers Korobios (OJ. 30)
'^) Auch Lukian 7T()6g Hoio^op 1 erkennt \ zurück. Auf der anderen Seite weist die
erweiterte Kenntnis von Italien (Th. 1014--6)
imd die Benennung des Cheiron nach der
A. Das Epos. 5. Hesiodos. (§ 64—65.)
87
das jüngste Datiini, die Gründung von Kyrene, hinweist, in den Eöen
stund. ^)
64. 'AfTTiig 'HQaxXtovg in 480 Versen trägt den Namen des Hesiod,
wiewohl schon der Grammatiker Aristophanes die Unechtheit erkannte.^)
Das Proömium (1 — 56) ist, wie uns die alte Hypothesis lehrt, aus dem
4. Buch des Frauenkatalogs herübergenommen. An dasselbe schliesst sich
in ganz äusserlicher Weise die Erzählung vom Kampfe des Herakles mit
dem Unhold Kyknos im pagasäischen Hain des Apoll an, bei welchem
Kyknos unterliegt und Ares selbst, während er seinen Sohn beschützt, ver-
wundet wird. Den grössten Teil des Gedichtes aber nimmt die Beschrei-
bung des Schildes des Herakles ein, wovon dasselbe auch seinen Namen
hat. Dass damit der Autor ein Seitenstück zum Schild des Achill liefern
wollte, liegt auf der Hand, aber ebenso auch, dass er damit weit hinter
Homer zurückgeblieben ist. Ein Hauptfehler besteht, wie Lessing im Lao-
koon uns gelehrt hat, darin, dass, während Homer den Schild vor unseren
Augen entstehen lässt, hier die fertigen Bilder des Schildes in ermüdender
Beschreibung uns vorgeführt werden. Ein Fortschritt der Kunst liegt in
der Art der Schildverzierung: bei Homer sind es Bilder des Lebens, genre-
mässige Scenen des Krieges, der Weinlese, der Hochzeit, bei Hesiod mytho-
logische Gestalten, Herakles im Kampf mit den Schlangen, Streit der La-
pithen und Kentauren, Apoll inmitten der Musen, der beflügelte Perseus
verfolgt von den Gorgonen u. a. Dieselbe Stufe der Kunst treffen wir auf dem
Kypseloskasten (Paus. V, 17 — 19) aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts,
so dass eine Wechselbeziehung beider unbestreitbar ist.^) Auf der anderen
Seite lebte der Dichter des Schildes vor Stesichoros und Pisander, von denen
der erste nach der Hypothesis irgendwo des hesiodischen Schildes gedacht
hat,*) der zweite den Herakles nicht mehr wie unser Dichter mit Schild
und Speer, sondern wie die ganze Folgezeit mit Keule und Löwenfell dar-
stellte. Wir setzen daher das Gedicht um 630 und nehmen des weiteren
an, dass erst ein späterer Herausgeber demselben das Proömium aus den
Eöen vorgesetzt hat.
65. Ausserdem wurden dem Hesiod noch mehrere andere, aus seiner
Schule hervorgegangene Werke zugeschrieben, von denen uns nur spärliche
Reste erhalten sind, nämlich:
Ki'ivxog yäfiog, Hochzeit des Herrschers von Trachys, welcher auch
Herakles beiwohnte.-^) Die Echtheit wurde schon von Athen. 49b und Plut.
Symp. VIII, 8 angezweifelt.
^) Aus der alexandrinischen Zeit werden
von Ath. 590 b erwähnt 'HoTot von Sosikrates
und ein Tvvaixiov xarüXoyog von Nikainetos.
^) Argum. III: vTTconrsvys de 'Jqlgto-
(pdprjg 6 yQafXfxarixog log ovx ovaav canrjv
'Haiödov, «PlA' £TeQoi> xivog Trjy Vfx)j(}ixiji/
uanlö'tx fxifxtjaccaS^cct TTQocuQovfusi'ov. Die
Echtheit verfocht dagegen mit 13erufung auf
den Katalog der Grammatiker Apollonios.
Zweifel an der Echtheit hegen auch Ps.
LoNGTN de suhl. 9, 5, der anonyme Gram-
matiker in Bekker An. gr. 1105 u. Crami-;k
An. Ox. IV, 315.
^) Brunn, Die Kunst bei Homer und
ihr Verhältnis zu den Anfängen der griech.
Kunstgeschichte, Abh. d. b. Ak. XI, 17 ff.;
LöscHKE, Arch. Zeit 1882, S. 46 ff.; Sittl
ebenda 1887, S. 182 ff.
^) Argum. III: toaccvrcog dt xcd Itviai-
/oQog cptjGir 'Haiodov sipca ro nohj/ja. Der
Name Stesichoros ist allerdings in dem Satz
nicht ohne Anstoss und vielleicht aus dem
Namen eines Grammatikers verderbt; s. in-
des Marckscheffel p. 149 f.
•0 Vgl. Scut. 355 f.
88
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
^EniOaXdfiioi' sie ITrjXsa xal Gäziv.
Grjcfk'Mg slg "AiSov xaraßacfig, erwähnt unter den unechten Werken von
Pausanias IX, 31. 5.
Alyiiiuog, von anderen dem Milesier Kerkops beigelegt,^) der in der
Zeit des Onomakritos lebte und dem Fick auch die jetzige Fassung der
Theogonie und der Erga zuschreibt. Das Gedicht behandelte den Kampf
des Aigimios mit den Lapithen.
MeXaiinodia in mehreren Büchern, benannt von dem pylischen Seher
Melampus, dessen Geschlecht wie in die Telemachie und Thebais so auch
in die Gründungssage von Kolophon verflochten war. Unter anderem war
in dem Epos ähnlich wie in dem 'Ayoov ^Haiödov xal ^OfirjQov ein Wettstreit
der Seher Kalchas und Mopsos vorgeführt. 2)
XsiQcovog vTco&rjxai^ ein griechischer Ritterspiegel, der im Unterricht
der Knaben eine grosse Rolle spielte, so dass ihn Isokrates ad Nicocl. 43
mit Theognis und Phokylides zusammenstellt. Auch Pindar P. 6, 21 fif.
spielt auf ihn an, indem er aus ihm den an die Zehngebote erinnernden
Spruch anführt: „Nebst dem Herrscher Zeus ehre zumeist die Eltern."
Nach Quintil. I, 1. 15 hat Aristophanes Byz. das Gedicht dem Hesiod ab-
gesprochen.
'OQvi^onavTfia, dem Schluss der Erga nach dem Zeugnis der Schollen
angefügt, von Apollonios Rhodios aber verworfen. 3)
MeyäXa eqya^ ^A(ftQOVO^atx(x, JdxivXoi 'löatoi, rrjg ttsqioSoc, lauter
apokryphe Schriften.
60. Die Gedichte des Hesiod wurden gewiss ebenso wie die des Homer
anfangs mündlich fortgepflanzt; nur so ist die Überwucherung des Ur-
sprünglichen durch fremdartige Zusätze erklärlich. Früh verbreitete sich
die Kenntnis derselben auch über das griechische Festland hinaus nach dem
ionischen Kleinasien, wie die Einreihung des Milesiers Kerkops unter den
Kreis der hesiodischen Dichterschule und der Einfluss der Erga auf die
Entwicklung der iambischen Poesie entnehmen lassen. Dass die schrift-
liche Redaktion von Peisistratos ausging und dabei auch Onomakritos be-
teiligt war, ist eine blosse Vermutung, die sich hauptsächlich auf die
Nachricht des Plutarch Thes. 20 von der Tilgung eines Verses durch Pei-
sistratos stützt und an der Konformität des homerischen und hesiodischen
Textes einen Anhalt hat. Gewiss aber werden schon zuvor von Hesiod,
noch mehr als von Homer, Aufzeichnungen einzelner Partien bestanden haben.
Die Leute am Helikon zeigten dem Pausanias IX, 31. 4 eine Bleitafel, auf
welcher die Erga ohne das Proömium geschrieben waren. In der Zeit nach
Peisistratos wurden die Werke des Hesiod, die echten wie unechten, als
eine Fundgrube für Fabelgeschichten und als ein Schatz von Lebensweis-
heit^) in Schule und Haus fleissigst gelesen und auswendig gelernt. Von
einer kritischen oder kommentierenden Behandlung des Dichters aus jener
Zeit hören wir nichts; nur dass der Philosoph Xenophanes ihn als den
1) Ath. p. 503d; Diog. II, 46 fiHirt aus
Aristoteles an : KeQxwxp Ilaiodo) CojfiL, rslev-
TTjaarri (^s Bsvocpilpr^g iq:iXoi'eiy.6t.
'') Vgl. Strab. p. 642.
■') So Proklos zu Hes. Erga 824.
■*) Der Elegiker Hermesianax V. 22
nennt den Hesiod nüatjg iJQuvov laroQiijg.
A. Epos. 5. Hesiodos. (§ G6.) — 6. Die späteren Epiker. (§ 67.)
89
Begründer der falschen Vorstellungen von den Göttern heftig befehdete, ^
und der Logograph Akusilaos ihn in Prosa umsetzte und berichtigte. 2) In
der alexandrinischen Zeit ward neben Homer auch der Text des Hesiod
von den hervorragendsten Kritikern, Zenodot, Apollonios Ehodios, Ari-
stophanes, Aristarch, Krates, Seleukos, bearbeitet. Aristophanes und Aristarch
setzten auch bei ihm ihre kritischen Zeichen, die dann in ähnlicher Weise
wie bei Homer den Ausgangspunkt für die Kommentare des Didymos und
Aristonikos bildeten.^) Natürlich bot sodann die Götterlehre des Hesiod
den Stoikern und Neuplatonikern willkommene Gelegenheit zu allegorischen
Erklärungsversuchen. Plutarch, der Landsmann und Verehrer Hesiods,
schrieb 4 Bücher Kommentare zu den Werken, welche die Grundlage der
erhaltenen Schollen des Neuplatonikers Proklos (5. Jahrh.) bildeten. Im
byzantinischen Mittelalter fehlte es nicht an Erklärern der Erga und der
Theogonie, aber die Kommentare des Tzetzes, Moschopulos, Triklinios und
die ^A'klrffoqiai de, zrjv tov ^HaiöSov Qeoyoviav des lo. Diakonos Galenos
(11. Jahrh.) verarbeiteten nur den überkommenen Stock alter Schollen, so
dass es die Aufgabe der modernen Philologie war, wieder den Kern alter
Gelehrsamkeit aus der Umhüllung byzantinischer Geschwätzigkeit heraus-
zuschälen.
Codd.: Der älteste und beste Codex ist ein Mediceus 31, 39 s. XII (enthält Hesiodi
Op. u. Oppiani Halieut.); ihm stehen zunächst ein zweiter Mediceus 32, 16 s. XIII (enthält
Theog. Scut. Op., Nonnos etc.), Ambros. C 222 s. XIII (Op. und Scut.) und Messanius
s. XIV (Op,); für Theog. u. Scut. 2 Pariser Codd. vom Athos, N. 6C3 u. 679, besprochen von
SiTTL, Stzb. d. b. Ak. 1889, S. 351 ff. Kritischer Apparat in den Ausgaben von Köchly-
KiNKEL, Lips. 1870, RzACH in Bibl. Schenk. 1884, Sittl, Athen 1890.
Scholien, über deren Bestandteile bereits § Qß gehandelt ist, herausgegeben in Gais-
ford's Poetae graec. min. vol. II des Leipziger Druckes 1823. — Glossen und Scholien
zur hesiodischen Theogonie von Flach, Leipz. 1876.
Ausgaben: ed princ. Mediolani 1493; cuni. notis variorum cur. Lösner, Lips, 1778,
enthält auch die Vita von Robinson; rec. et commentariis instruxit Göttling, ed. III cur.
Flach, Lips. 1878; ed. Sittl, Athen 1890; Textausg. mit Comment. er it. von Schömann,
Berol. 1869. — Zerlegung der Gedichte in ihre Teile und Zurückführung auf ihre ursprüng-
liche Form versucht von Fick, Hesiods Gedichte, Gott. 1887; die Erga zerlegt von Kikch-
hoff, Hesiodos' Mahnlieder an Perses, Berl. 1889. — Separatausgaben; 'EQya comment. instr.
VAN Lennep, Amstel. 1843; Die Werke u. Tage des Hesiod von Steitz, Leipzig 1869; von
Kirchhoff, Berl. 1889. — Die hesiodische Theogonie von Welcker, Elberfeld 1865; Schö-
mann, Berl. 1868 — Hesiodi quod fertur Scutum ed. Ranke, Quedlinb. 1840; Deiters, De
Hes. scuti descriptione, Bonn 1858; dazu Lehrs, Pop. Aufs.- 427 ff. — Hesiodi EumeVi
Cinaethonis Asii et carminis Naupactii fragm. coli. Marckscheffel, Lips. 1840. — Er-
läuterungsschriften: Schömann's Abhandlungen zu Hesiod, im 2. Bde. seiner Opusc. acad.,
Berl. 1857; Muetzell, De emendatione Theogoniae Hesiodeae, Lips. 1833; Welcker, Die
hesiodische Theogonie, Elberfeld 1865; A. Meyer, De compositione Theog. Hes., Berl. 1887;
0. Gruppe, Die griech. Kulte u. Mythen I, 567—612.
6.":Die späteren Epiker.
67. Genealogisches Epos. Mit dem Hingang Homers und Hesiods
ging die Blüte des griechischen Epos zur Neige; im 7. und 6. Jahrhundert
1) Sext. Emp. I, 289 u. IX, 19.3; Athen,
462 f. ; Diog. TT, 46 : Ke^xonp Haio&co i^Mvii
(sc. i(piXoveixEi), xslsvz^öavii ^k 6 ttqoeiqt]-
fiEvog 'Eevocpdv7]g,
''^) Clem. Alex, ström. VI, p. 629: t«
Hacodov ^sx^Xhc^sv eig nsCoy löyov. Joseph,
c. Ap. I, 3: Off« 6h diioQ&ovio töu 'Halodoy
'AxovGihiog.
•^) Suidas erwähnt von Aristonikos eine
Schrift -negl rcov at]fxel(tiv tmu ev r^ &soyoina
'llai66ov. Die Fragmente zusammengestellt
von Flach, Glossen und Scholien zur hesiod.
Theog. S. 100 ff. Didymos benützte beson-
ders noch die ausführlichen Kommentare des
Seleukos, worüber ebenda S. 112 ff.
90 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
drängte die frisch aufblühende Gattung der elegischen und lyrischen Poesie
das Epos in den Hintergrund. Doch fehlte es auch in dieser Zeit nicht
ganz an Versuchen im epischen Versmass, ') insbesondere war es das
genealogische Epos, das sich auch noch im 7. Jahrhundert mannigfacher
Pflege erfreute. Zugleich ersehen wir aus den Namen der Dichter und den
trümmerhaften Resten ihrer Poesien, dass in jener Zeit das Epos die Grenzen
seiner alten Heimat zu überschreiten und auch im Peloponnes Wurzel zu
schlagen begann. Insbesondere war es Korinth, das damals wie in der
politischen Stellung, so auch auf geistigem Gebiete den Wettkampf mit den
übrigen Staaten Griechenlands aufnahm. Es war eben die Zeit, in der die Stadt
des Isthmus unter der kräftigen Führung des adeligen Geschlechtes der Bak-
chiaden und der volkstümlichen Tyrannen Kypselos (657—627) und Periander
(627 — 587) zu ungewöhnlicher Macht emporstieg. Die Blüte der epischen
Poesie ging dort Hand in Hand mit dem Aufschwung der Toreutik
und Vasenmalerei; kann man doch geradezu die berühmten, mit me-
trischen Beischriften versehenen Darstellungen der Kypseloslade '^) die äl-
teste Bilderchronik der Griechen nennen. Der berühmteste der korinthischen
Epiker war
Eumelos,^) Sohn des Amphilytos aus dem Geschlechte der Bakchia-
den. Die Blüte desselben wird von den Alten in die Zeit des Archias, des
Gründers von Syrakus, also um 740 gesetzt,'^) wird aber kaum vor Mitte des
7. Jahrhunderts gefallen sein, da doch nach dem ganzen Gang der Dinge die
korinthische Dichterschule erst nach der hesiodischen oder böotischen zur Ent-
wicklung gekommen sein kann. Sein Hauptwerk waren die KoQiv&iaxd, worin
die sagenhafte Vorgeschichte Korinths behandelt war, darunter auch die Ver-
stossung der Medea und die Heirat des lason mit der Kreusa, der Tochter
des Königs Kreon von Korinth.-^) Dies Gedicht wurde später in einen pro-
saischen, von Pausanias II, 1. 1 erwähnten Auszug gebracht. Ausserdem
dichtete Eumelos eine EvQcoTria, in der die Fabel von der Europe, der
Tochter des phönikischen Königs Agenor, vorkam, und ein ländliches Ge-
dicht Bovyovia. Auch ein Prosodion, also ein lyrisches Gedicht, in Hexa-
metern, das er für die Messenier auf den Gott in Delos dichtete, erwähnt
Paus. IV, 4. 1 u. 33. 3. Aber die Vermutung des Periegeten V, 19. 10, dass
^) Marckscheffel, Hesiodi Eumeli Ci- | nis zu den homerischen Dichtungen ist
naethonis Äsii fragni , Lips. 1840; Duentzer. | wichtig, dass er schon die milesischenPontos-
Die Fragmente der epischen Poesie der ! fahrten bis an den Borysthenes (fr. 17) kennt
Griechen, Cöln 1840, 2 Teile; Kinkel, Epi- und das Diganima geradeso wie der i)ichter
corum graec. fragmenta, in Bibl. Teubn. 1877. ^ der Verse desKypseloskastens vernachlässigt.
'^) Wir kennen dieselben bekanntlich •") Die Medeasage war Avohl von Nau-
aus der Beschreibung des Pausanias V, 17 — 19.
^) WiLiscH, Die Fragmente des Epikers
Eumolos, Zittauer Progr. 1875, Spuren alt-
korinthischer Dichtung ausser Eumelos, Jahrb.
f. Phil. 123, 161 ff.
paktus, von welcher Stadt die NavndxTUi
eni] benannt sind, nach Korinth gebracht
worden. Zur Verknüpfung derselben mit der
heimischen Sage von Korinth scheint die
Überlieferung von einer korinthischen Heroin
^) So Clemens Alex, ström. I, p. 144; i Medeia (s. Schol. Eur. Med. 10) und die
Eusebios setzt ihn Ol, 5 u. 9. Zu diesen i Totenfeier an zwei Kindergräbern im Haine
Angaben stimmt im allgemeinen die Über- j der 'Uqa dy.Qcdc. zu Korinth (s. Eur. iSIed.
lieferung (Paus. IV, 4. 1), dass er für den 1379 und Paus. 11, 3. (i) Anstoss gegeben
König von Messenien Phintas ein Prosodion | zu haben,
gedichtet habe. Für sein zeitliches Verhält- j
A. Epos. 6. Die späteren Epiker, (§ 68.) 91
er auch die Verse auf dem Kypseloskasten verfasst habe, ist mit den son-
stigen Angaben über die Zeit unseres Dichters nicht wohl vereinbar.
68. Dem argivischen Sagenkreis gehörte die Alkmaionis an, deren
Verfasser nicht vor dem Schluss des 7. Jahrhunderts lebte, da derselbe als
Schwester der Penelope den Leukadios anführt (Strabon p. 452), der von
der unter Kypselos oder Periander gegründeten korinthischen Kolonie Leukas
seinen Namen hat. ^) Das Epos ist auf dem Boden Korinths entstanden
und behandelte im Anschluss an den Zug der Epigonen gegen Theben die
Schicksale des heimkehrenden Alkmaion und die Gründung des amphilochi-
schen Argos. Da in diese Gründungssage auch die Geschicke des Tydeus
und Diomedes verflochten waren, so diente die Alkmaionis zugleich dazu,
den thebanischen Sagenkreis an den troischen anzuschliessen.^) Die Mythen
des Epos boten später den Tragikern reichen Stoff für ihre Dramen.
Die NavTtäxTia sirrj waren ein genealogisches Epos auf berühmte
Frauen nach Art der Eöen; als Verfasser derselben ward nach Paus. X,
38. 11 von den einen ein Milesier (Kerkops?), nach anderen Karkinos
aus Naupaktos genannt. Es war in dem Gedicht namentlich auch, im An-
schluss an Medea, die Argonautensage behandelt, weshalb dasselbe öfters
in den Scholien zu Apollonios Rhodios angeführt wird.
Kinaithon aus Lakedämon, nicht zu verwechseln mit dem chiischen
Rhapsoden Ky naithos ,.3) wird von Pausanias II, 3. 7 als genealogischer
Dichter bezeichnet. Auf ein genealogisches Gedicht weisen auch die dem
Kinaithon zugeschriebenen Nachrichten über Medea, Helena, Orestes,
Talos. Ausserdem wird derselbe von den Alten vermutungsweise für den
Verfasser der OldiTtööeia, der ^Ihccg jj^ixgcc und einer ^HQccxlsia ausgegeben.
Seine Zeit steht nicht fest; denn der Ansatz des Eusebios auf Ol. 5 ist
zweifelsohne zu hoch gegriffen; die Nachrichten desselben über Medea bei
Paus. II, 3. 9 rücken ihn unter Eumelos herab.
Chersias aus Orchomenos lebte um Ol. 40 zur Zeit des Periander. ^)
Seine stiti konnte schon Pausanias (s. IX, 38. 9) nicht mehr auftreiben. In dev
Vita des Hesiod wird ihm auch das Epigramm auf dem Grabdenkmal des
Hesiod in Orchomenos zugeschrieben.
Asios, der Sohn des Amphiptolemos aus Samos, hatte gleichfalls
Genealogien gedichtet, die noch Pausanias häufig benützte. Dem Athenaios
p. 525 e verdanken wir die Erhaltung mehrerer Verse auf den Luxus der
Samier, wie sie in langen, bis auf die Erde herabwallenden Röcken und
mit goldenen Zikaden im Haar-^) zum Tempel der Hera zogen. Dieselben
gehören aber schwerlich dem genealogischen Epos des Asios an, sondern
einem anderen Gedichte von satirischem Charakter. Auch Verse einer
Spottelegie auf die Hochzeit des vom Flusschlamm aufsteigenden Gottes
Meles werden von Ath. p. 125 b angeführt. Schon diese dienen zum Be-
^) Obekhummer, Akarnanien S. 74. { ■') Einen ähnlichen Haarschmuck trugen
^) Siehe hierüber Immisch, Klaros, Jahrb
f. Phil. Suppl. XVII, 182-193.
^) Verwechselt von Welcker, Ep. Cycl.
I, 227. Die Etymologie der beiden Namen
ist dunkel.
*) Nach Plut. Conv. sept. sap. p. 156 e.
41
die alten Athener nach Thuc. I, 6, Aristoph.
Equ. 1328, Schol. Arist. Nub. 980. Ein
Terrakottenköpfchen mit solchen Haarver-
zierungen aus Kleinasien besitzt das Anti-
quarium in München n. 35.
92
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
weis, dass man den Ausdruck "A(tiov rdv naXmov sxeTvov bei Ath. 125b
nicht streng nehmen darf und lassen uns Urlichs (Rh. M. 10, 3) beistimmen,
wenn er unsern Dichter auf Ol. 35 — 40 herabrückt.
Speziellen Sagenkreisen galten folgende Epen:
'ÄT&i'g des Hegesinos, aus welcher 4 Verse Paus. IX, 29. 1 anführt,
ohne das Buch selbst mehr zur Hand zu haben.
WoQonig von einem unbekannten Verfasser; das Epos benützten als
Quelle die Logographen Hellanikos und Akusilaos.
OsffTTQcoTig, angeführt von Paus. VIII, 12. 5 und wohl identisch mit
des Musaios sTirj tvsqI QsaTVQonm", vgl. § 54.
^HQccxXeiai,^) von denen eine bald dem Kinaithon,^) bald einem gewissen
Konon zugeschrieben wird.
0/yö'r//c von Diphilos aus unbekannter Zeit.^)
Die ^ÄQii^iaansia sttyj des Aristeas aus Prokonnesos in 3. B. berei-
cherten die Mythen weit der Griechen mit neuen Fabeln. 4) Über den Ver-
fasser und den Inhalt dieser k'rrrj ist Hauptquelle Herodot IV, 13 — 16.
Danach stammte Aristeas aus einer angesehenen Familie von Prokonnesos,
einer Kolonie der Milesier an der Propontis, und stand in dem Rufe eines
Wundermannes {(poißoXa/inrog). Von seiner Heimat aus machte er aus-
gedehnte Reisen nach dem Norden bis zu den Issedonen und erzählte in
seinen em] fabelhafte Dinge von den Völkern jener fernen Länder, von den
einäugigen Arimaspen, den goldhütenden Greifen, den Hyperboreern, Kim-
meriern, Skythen u. a.^) Seine Blüte setzt Suidas Ol. 50 (58?) in die
Regierung des Kyros und Kroisos;^) Herodot IV, 15 lässt ihn 240 Jahre
vor seiner Zeit, also schier 100 Jahre früher leben. '^)
69. Das Kunstepos. Das eigentliche Epos, das Heldengedicht, war
mit den letzten Homeriden so gut wie verklungen. Homer und seine Nach-
folger hatten aus dem Jungbrunnen der epischen Poesie, der volkstümlichen
Sage, geschöpft ; sie waren dadurch Volksdichter im edelsten Sinne des
Wortes geworden und stunden mit ihren Dichtungen mitten in ihrem Volke
und ihrem Stamme. Das hatte jetzt aufgehört : es gab zwar noch Dichter,
welche immer von neuem sich an der poetischen Gestaltung der alten Sagen
versuchten, aber das thaten sie für sich ohne Zusammenhang mit dem Volk.
^) Arist. Poet. 8: (fid Tfävxsg solxaaiy
o.fxaQXÜvEiv oooi xdüv 7J0L7]iMv JlQaxXtflö'a
'/.cd QrjGrji^cc xal zd roiccvTCi noirjfxcaa nsnoit]-
YMGLv ' oXovrai yctq inel sig iqp 6 '^HgaxXijg^
epcc -/.cd xov fiv&op elvca TXQoayjy.eiv.
2) Kivai&og lieisst der Verfasser in Schol.
zu Apoll. I, 1357, XoVwr zu I, 1165. Wila-
MowiTZj Eur. Herakles I, 311 hat die Kühn-
heit, auch einen dorischen, vor Hesiod leben-
den Dichter der zwölf Thaten des Herakles
anzunehmen.
^) Einer späteren Zeit gehörte Zoj^yros
an, der nach Stob. Flor. 64, 38 im 3. Buch
seiner in Prosa geschriebenen Theseis den
Medeamythus erzählte. Die der Theseis des
Diphilos vom Scholiasten zu Pind. Ol. X, 83
zugewiesenen choliambischen Trimeter ge-
hören vielleicht dem Theseus des Komikers
Diphilos an.
^) Suidas führt von ihm auch eine
Theogonie und Schriften in Prosa an; die
Echtheit aller Schriften bezweifelt Dionys
de Thuc. 23; s. Touknier, De Aristea Pro-
connesio et Arimaspeo jjoetnate, Par. 1863.
^) Aristeas beschrieb Land und Leute
vom schwarzen Meer bis zur Ostsee; dass
in der That griechische Handelswege so
weit hinaufreichten, bezeugen die Funde von
39 altgriechischen Autonommünzen an der
Netze und von grossen Goldgeräten bei
Vettersfelde, worüber Furtwängler in dem
43. Winckelmannsprogr., Berl. 1883 handelt.
^) Suidas: yeyops de xaxd Kqoioov y.cd
KvQov SXvfjTiic'i^i v {pT] em. Flach nach
Rohde).
') Dort liest jetzt Stein nach den besten
Handschriften xsoGeodxovxa xcd dii]xoaioiGi
statt des früheren TQirjxooloiaiv.
A. £pos. 6. Die späteren Epiker (§ 69—71.)
93
Dass immerhin auch so noch Gutes geleistet wurde, zeigt die Aufnahme
dreier dieser Epiker in den Kanon der alexandrinischen Kunstrichter. ^)
Unter diesen ist der älteste
Peisandros, Sohn des Peison und der Aristaichme aus Kameiros
in Rhodos,'^) Verfasser einer Herakleia in 2 (wahrscheinlich 12) B. Die
Zwölfzahl der Arbeiten, das Löwenfell und die Keule des Heros gingen von
Peisander in die Fabelgeschichte über. 3) Die Kraft der Darstellung und die
Konzentrierung der Erzählung auf eine Person verschafften dem Gedicht sein
hohes Ansehen;"^) erhalten sind uns nur einige wenige Verse. Die Zeit des
Dichters wird von Suidas Ol. 33 (um 645) gesetzt; nach den Resten seines
Gedichtes kann er nicht älter als das 6. Jahrh. gewesen sein."'^) Wohl zu
unterscheiden von ihm ist ein jüngerer Peisander, der unter Alexander
Severus eine ^loTOQia jioixiAtj 6i' inöov schrieb.
70. Panyassis aus Halikarnass,*^) Oheim oder Vetter des Historikers
Herodot, der in den Freiheitskämpfen seiner Vaterstadt durch den Tyrannen
Lygdamis den Tod fand,") erweckte die epische Poesie wieder zu neuem
Leben. Seine Berühmtheit verdankte er der Herakleia in 14 B., in welche
er des Kreophylos Ol^aXiag aXcocrig verflocht.'^) Ausserdem dichtete er in
elegischem Versmass %)vixä, in denen er die Gründungsgeschichte der ioni-
schen Kolonien Kleinasiens erzählte. Einen fröhlichen Sinn voll Weines-
lust atmen die schönen Fragmente, die sich uns erhalten haben.
71. Chol ri los aus Samos,^) jüngerer Zeitgenosse und Verehrer des
Herodot, dem wir gegen Ende des peloponnesischen Krieges zuerst als
Begleiter des Feldherrn Lysander^) und dann neben dem Tragiker Agathen,
dem Komiker Piaton u. a. an dem Hofe des Königs Archelaos von Make-
donien begegnen, 10) wählte nach dem Vorbild des Aischylos zu seinem Epos
Jl8Q(Trjig {nsQcnxä bei Herodian) den Stoff aus der Zeitgeschichte. Schön
begründet er in dem erhaltenen Proömium diesen seinen Plan damit, dass dem
Diener der Musen, nachdem alles verteilt sei, nichts übrig bleibe, als einen
neuen Weg zu suchen. Die Perseis hatte ihren Mittelpunkt in dem Sieg
der Athener über den Perserkönig Xerxes ; durch Volksbeschluss der Athe-
ner erhielt sie die Ehre mit den Gedichten des Homer öffentlich, vermut-
lich an den Panathenäen, vorgelesen zu werden (Suidas). Ein zweites Ge-
dicht des Choirilos JSaj.uaxä ist frühzeitig verschollen. Verschieden von
dem Verfasser der Perseis ist der Epiker Choirilos aus lasos in Karlen,
der Herold der Ruhmesthaten Alexanders, welcher durch Horaz Ep. II, 1.
232 u. 3. 357 f. eine traurige Berühmtheit erlangt hat.
^) Procl. ehrest, p. 230 W. : ysyovaai
&8 rov enovg novrjral XQc'ntaroi ^usy 'Of^ijQog,
'^Haiocfog, lleiTap^Qoc. Uuvvtcaig, ^Jvxi^u^og,
'^) Das unter seiner Statue stehende, dem
Theokrit zugeschriebene Gedicht steht in
Anth. Pal. 9, 598.
3) 0. MüLLEE, Dorier II, 475 fF.
■*) Quint. X, 1. 56: Quid? Herculis acta
non hene Fisandros?
^) WiLAMowiTz, Euripides Herakles I,
309.
^) Der Historiker Duris bei Suidas nennt
ihn Sohn des Diokles (andere des Polyarchos)
und macht ihn aus Lokalpatriotismus zu
einem Samier, weil er, wie Herodot, zur
Zeit seiner Verbannung in Samos lebte. Auf
Inschriften wird der Name TIavvaxig ge-
schrieben.
') Clem. Alex, ström. VI, p. 266.
^) Choerili Samii quae supersunt coli.
Naeke, Lips. 1817.
«) Plut. Lysand. 18.
^") Marcellinus vit. Thuc. 29.
94 Grieciiisciio Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
72. Antimachos aus Kolophon,i) der Dichter der Thebais, lebte zur
Zeit des peloponnesischen Krieges bis in die liegierungszeit des Artaxerxes
hinein.-) Bekannt ist die Anekdote von der Anerkennung, die Piaton
seinen Dichtungen schenkte, womit sich derselbe über seine sonstigen
Misserfolge tröstete: Flato mihi unus instar est milium.^) Sein Hauptwerk
war das weit ausgesponnene Epos Oijßätg. Aber mehr Ansehen bei den
Späteren verschaffte ihm das grosse, mindestens 2 B. umfassende elegische
Gedicht yivSr^, in welchem er sich über den Tod seiner Geliebten Lyde
durch Erzählung unglücklicher Liebesverhältnisse der mythischen Vorzeit
wegzudichten suchte.'*) Die Grammatiker, die ihn als Hauptvertreter des
kraftvollen, rauhen Stils {ccvazrjQd aQßovia) betrachteten, •'') gaben ihm die
nächste Stelle nach Homer, wozu Quintilian X, 1. 53 die feine Bemerkung
macht: ut plane manifesto apxKoreat, quanto sit aliud proximum esse., aliud
secundum.
73. Die religiösen sirtj. Den epischen Hexameter und den home-
rischen Dialekt eigneten sich die Orakel und Priester um so eher an, als
sich schon die hieratische Poesie vor Homer des Hexameters bedient hatte.
Das Orakelwesen und der Geheimkult der Sühnungen kam erst nach dem
8. Jahrhundert auf ;'^) in der Ilias wird nur einmal und zwar in dem jungen
Gesang der Presbeia / 404 der Schätze gedacht, welche die eherne Schwelle
des pfeilentsendenden Gottes einschliesse, und erst in der Erweiterung des
Nostos, Od. ü- 79 f., hören wir von einem Orakel, das Apoll in der heiligen
Pytho den Achäern gab. Hesiod selbst spricht in seinen echten Werken
wohl von jener heiligen Stätte, ^) aber erst die späteren Fälscher legten ihm
auch eTTij i^iaviixa bei. In den nachfolgenden Zeiten entwickelte sich unter
dem Einfluss der Priesterschaft von Delphi und des im 6. Jahrh. um sich
greifenden Geheimkultus der Orphiker eine erhebliche Litteratur von mysti-
schen Gedichten in epischem Versmass.
Dahin gehören vor allem die Orakelsprüche (/^^yc/io/) von Delphi,
die seit dem 6. Jahrh. mit dem steigenden politischen Einfluss der delphi-
schen Priesterschaft zahlreicher und kunstvoller wurden ; erhalten sind
uns solche nur durch gelegentliche Anführungen bei Historikern und Gram-
matikern.^)
Von dem Hyperboreer Abaris, der nach Herodot IV, 36 mit einem
^) Clarius lieisst er bei Ovid. Trist. I, | "*) Asklepiades in Antli. IX, G3 preist
0. 1 nach dem benachbarten Klares. — Übej- überschwenglich das Gedicht: xd iivpdv Mov-
einen angeblich älteren Epiker Antimachos
aus Teos s. Immlsch, Jahrb. f. Phil. Suppl.
XVII, 129 f.
'^) Unter Artaxerxes setzt seine Blüte
Diodor XIII, 108 nach dem Chronographen
Apollodor.
') Cic. Brut. 51; Plut. Lys. 18. Dass
dagegen andere chronologische Bedenken
erhoben, ersieht man aus der Bemerkung
des Suidas: ytyoi/e (^e ttqo IlXäioji^og. Hera-
kleides Pont, in Schol. Plat. Tim. I p. 28e
erzählt von einer Sammlung der Gedichte
des Antimachos, die sein Bewunderer Piaton
•') Dionys. Halic. cens. vett. Script. II, '1
und de comp. verb. 22.
c) Lobeck. Aglaoph. 304-317.
") nvi^oL fV ijyai^trj Theog. 499 an der-
selben Versstelle, wie Od. f^ 80, was auf
gegenseitige Abhängigkeit der beiden Stellen
hinweist.
^) Hendess, Oracula qraeca in Diss.
Hai. IV (1877). Viele der angeführten Orakel
sind erst später erdichtet oder interpoliert
worden; namentlich gilt dieses von den
Orakeln in iambischen Trimetern und ini
veranlasst habe. \ nichtepischen Dialekt,
A. JEpos. 6. Die späteren Epiker. (§ 72—74.)
95
von Apoll ihm geschenkten Pfeil umherzog, 9 erwähnt Suidas skythische
Orakelsprüche, ein Gedicht von der Reise des Apoll zu den Hyperboreern,
Reinigungen und eine Theogonie in Prosa. Offenbar lebte der Schwindler
nach Aristeas; Suidas setzt ihn Ol. 53.
Von Epimenides dem Kreter, einem halbmythischen Hellseher, welcher
nach Diogenes und Suidas in der 46. Olympiade Athen vom kylonischen Frevel
reinigte,^) nach Piaton aber erst 10 Jahre vor den Perserkriegen in ähn-
licher Eigenschaft nach Athen kam,^) zirkulierten eine Orakelsammlung,*)
eine Theogonie, ein Epos vom Argonautenzuge, überdies Schriften über
Opfer und Reinigungen in Prosa ;^) auch eine Geschichte der fabelhaften
Teichinen wurde von einigen unserem Epimenides zugeschrieben/')
Onomakritos,') der von Hipparch aus Athen verjagt wurde, weil
er von Lasos aus Hermione der Fälschung von Orakeln überführt worden
war, der uns aber später wieder bei dem Perserkönig als Freund des Peisi-
stratos begegnet,^) Hess sich nicht bloss von dem kunstsinnigen Tyrannen
Athens zu seinen litterarischen Unternehmungen benützen, sondern dichtete
auch selbst ^'/r/y, welche nach den Citaten des Pausanias VHI, 31 u. 37 und
IX, 35 in das Gebiet der Theogonie einschlugen. Am meisten aber scheint
er sein versifikatorisches Geschick dazu verwendet zu haben, um Gedichte
des Musaios und Orpheus in die Litteratur einzuschwärzen.^) Aber zu weit
ging man ehedem, wenn man auch die uns erhaltenen orphischen Hymnen
dem Onomakritos beilegen wollte.
Neben Onomakritos werden noch Zopyros aus Heraklea, Nikias
von Elea und die Pythagoreer Brontinos und Kerkops als Verfasser
solch mystischer Dichtungen genannt, - auf die wir unten bei den Orphika
nochmals zurückkommen werden. Wohl zahlreicher noch als die auf einen
bestimmten Namen zurückgeführten hieratischen Gedichte waren die ano-
nymen, an den verschiedenen Mysterien- und Orakelplätzen (Eleusis. An-
dania, Samothrake, Delphi, Dodona) bei den Weihen, Sühnungen und son-
stigen religiösen Übungen gesungenen Verse.
74. Die philosophischen Lehrgedichte {cpiXocroc/a emj) waren
Ausläufer des didaktischen Epos. Die Theogonie des Hesiod galt und gilt
^) Nach Ps. Plat., Axioch. p. 371 haben
die mystischen Lehren von der Unterwelt
Opis u. Hekaergos aus dem Hyberboreerland
auf eherner Tafel nach Delos gebracht.
'') Diog. I, 110; bei Suidas ist 6X. fx&'
überliefert. Xenophanes gab ihm nach Dio-
genes ein Leben von 154, die Kreter gar
von 299 Jahren, was mit dem weiten Ab-
stand der ihm zugeschriebenen Wiederaufer-
stehungen zusammenhängt.
^) Plat. legg. I p. G42d; danach fiele
seine Blüte 500 v. Chr.; siehe
TöPFFER, Att. Geneal. 140 ff.
'') Arist. Rhet. III, 17 p. 1418a 24;
Plut. de orac. def. 1,
■"') Suidas: tyQucps cTf noXld enLxdÜg xal
y.c(T(doyd(^i]t/. Diog. 1,111: snoitjae (fe Kov-
QriTOiv xcd KoQvßt'ivTMv y^vsaiv xmI ^soXoyiav
t7T7j 71 evrcixia/iha, ^Jqyovg rav7ir]yiciv le xal
Jüaofog €i^g KoX/ovg unönXovv tn^j tiuxia-
dagegen
/Ihcc nsvxccxöoia ' avi'syQaipe Je xcd xcaaloyd-
JVy^ tisqI x^vguov xcdi Tfjg kv Kg/jirj nohrslag
xcd 7TS(jI M'ivoi xcdi 'Vci(^cifA.dv\^vog sig sni] ts-
XQaxiGxihcc. Über die geringe Verlässigkoit
der Angaben vgl. Hiller, Rh. M. 37, 525 f.
Die Reste der Theogonien besprochen von
Kern, De Orpliei, Epimenidis, Phcreci/clis
tlieogoniis, Berol. 1888.
^) Ath. 282 e: 6 jiqy TeX/tyiccxyi/ laro-
Qiav avy^eig, €it€ 'Enifxevi^ijg eotIv 6 KQt]g
ij T)]'kexXEL&t]g ftr' ciXlog zig.
^) RiTSCHL, Onomakritos von Athen,
Opusc. I, 238 ff.
«) Herod. VII, 6.
'-•) Clemens Alex, ström, I, p. 143: ov
rd eig \)QCfEa dvacpSQo^eva noi7]^ciTci 'Atye-
rni Eivai . . . xal rovg fusy c<ycccpsQo/ut'i'ovg
slg Movacdov /Q7]afxovg ^OvofxaxQLXov €h^c<t
Xiyovaiv.
96
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
auch jetzt noch als die Vorhalle der philosophischen Spekulation. Was
war da natürlicher, als dass auch die ersten Philosophen zur Zeit, als es
noch keine Prosa gab und die Philosophie noch nicht in der Dürre ab-
strakter Darstellung ihr Ideal suchte, sich der poetischen Form und des
epischen Hexameters bedienten? Die ersten Philosophen indes, die Phy-
siker im ionischen Kleinasien, und der Begründer der ethisch-mathematischen
Richtung der Philosophie, Pythagoras in Unteritalien, schrieben überhaupt
nichts, sondern beschränkten sich auf mündliche Unterweisung ihrer Schüler
und Anhänger, weshalb die spätere Veröffentlichung der Lehre durch Schriften
als ein Hinausgeben {sxdovvai, edere) bezeichnet wurde. Der Brauch, die
Lehre zu veröffentlichen und in der einschmeichelnden Form poetischer
Einkleidung hinauszugeben, kam durch die Eleaten im 6. Jahrli. auf. Voll-
ständig ist uns von solchen philosophischen Gedichten nichts erhalten, wohl
aber sind zahlreiche Fragmente auf uns gekommen, die sich durch poetische
Schönheit fast mehr noch als durch gedankenreichen Inhalt empfehlen, i)
Xenophanes aus Kolophon, Gründer der eleatischen Schule, blühte
in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts 2) und brachte aus seiner Heimat, die seit
alters Sitz einer Homeridenschule war, die Übung des rhapsodischen Vor-
trags mit.-^) Er dichtete selbst in der Manier der Genealogen die Epen
KoXo(fMvog xTidig und 'AjToixKf^aog slq 'Eltav Trjg ^ItaXiag. Aber grössere
Berühmtheit brachten ihm das philosophische Lehrgedicht ttsqI (fvas^g und
die gegen Philosophen und Dichter gerichteten Spottverse (Silloi).^) Als
Vertreter des Monotheismus'*) eiferte er leidenschaftlich gegen Homer und
Hesiod, welche bei den Menschen die unwürdigen Vorstellungen von den
Göttern verbreitet hätten; berühmt sind die Verse:
TCccvTct O^soTg dväx^^rjxav ^'OfxrjQog ^' '^Haioöög ts^
odüa naq drO^QcoTTOKnv ovsiöea xal ifioyog iaziv . . .
o;g nXeiax' icfd^ey'^avro d^scov d&siiiaTia eqya,
xXsTTTSiv i^ioiyi8V8iv TS xal dXXijXovg ccTtaTSvinv.^)
Hohen Ansehens erfreuten sich auch seine, zum Teil uns noch erhaltenen
Elegien, in denen er in edler Sprache den Vorzug der Lehren der Weisheit
vor den thörichten Anschauungen des grossen Haufens pries.
Parmenides, der angesehenste unter den eleatischen Philosophen, I
der ausser seinem Lehrer Xenophanes auch die Pythagoreer Ameinias und
Diochaites hörte, blühte nach Diog. IX, 23 in der 69. (wahrscheinlich 79.)
Olympiade.') Sokrates hat als ganz junger Mann (Plat. Parm. 127a) den-
') Die Reste gedruckt in den Samm-
lungen der Fragmente der griechischen Philo-
sophen von Ritter-Preller, Karsten, Mullach.
'^) Zeller, Die Philosophie der Griechen
I^, 486; die Angaben der Alten gehen weit
auseinander: Diog. IX, 20 setzt seine Blüte
Ol. GO, ApoUodor bei Clem. Alex, ström. I,
301 lässt ihn von Ol. 40 bis zu den Zeiten
des Kyrus und Darius leben (s, Unger im
Philol. 43, 209 fif.); Timaios macht ihn zum
Zeitgenossen des älteren Hieron und Epi-
charmos (s. Plut. apophth. reg. p. 175 c).
Das P]ntscheidende ist, dass er den Pytha-
goras und ihn Heraklit erwähnt.
^) Diog. IX, 18 e: avjog iQQccipiodsi tu
iciVTOV.
^) Dass er solche Sillen geschrieben,
wenn der Titel otlloi auch erst später der
Dichtung gegeben sein sollte, erweist neuer-
dings Wachsmuth, Sillogr. gr. 55 ff.
5) Vgl. unten § 274.
^) Darauf geht die Anekdote bei Plut.
apophth. reg. p. 175c: tiqo? (fe Sevocpdvr,i^
ZOP KuXocfüjyiop eiTiöyrci fxohg oixsiag &vo
nXELOvag rj fivQiovg TQBCpSi tsd^vrjxojg.
^) 6ßö'oiuf]xoaT7]i' statt thjy.oGTrju (460 statt
492) vermutete schon Scaliger, wahrscheinlich
A. Epos. 6. Die späteren Epiker. (§ 74.)
97
selben gehört, als er beiläufig 65 Jahre alt von Italien nach Athen ge-
kommen war. Nach dem Vorbild des Xenophanes philosophierte auch er
in Versen. Im Eingang seines Werkes ttsqI (fvaswg schilderte er mit
grossartiger Phantasie, wie er, von den Sonnentöchtern geführt, zu dem
Heiligtum der Weisheit aufgefahren sei und dort aus dem Munde der
Göttin die Lehren der ewigen Wahrheit und die trügerischen Meinungen
der Sterblichen erfahren habe. 0
Empedokles (geb. um 492) leistete im philosophischen Lehrgedichte
das Höchste unter den Griechen, so dass Lucrez voll Bewunderung zu ihm
aufschaute und hauptsächlich an ihm sich bildete.-) Geboren war er in
Agrigent aus vornehmem Hause und wirkte für das Wohl seiner Vater-
stadt in einflussreicher Stellung. Zugleich ragte er durch reiches Wissen
in der Heilkunde, Rhetorik^) und Philosophie hervor, endigte aber infolge
der Missgunst seiner politischen Gegner fern von seiner Vaterstadt im
Peloponnes.'^) Schon im Leben nicht frei von pathetischer Überhebung •^)
und geheimnisvoller Wichtigthuerei,^) ward er vollends nach seinem Tod
zu einem Wundermann gestempelt. Nachdem er einst, so erzählten die
einen, ^) eine tote Frau zum Leben wieder erweckt hatte, veranstaltete er
ein grosses Opfermahl, und wurde dann in der Nacht, während die an-
deren schliefen, von einer geheimnisvollen Stimme ins Jenseits abgerufen.
Die anderen fabelten, er sei auf den Ätna gestiegen und habe sich selbst
in den Krater gestürzt, um seine Gottähnlichkeit zu besiegeln. 8) Seine
Blüte wird Ol. 84, d. i. gleichzeitig mit der Gründung der athenischen
Kolonie Thurii (444) gesetzt. Hinterlassen hat er 2 philosophische Ge-
dichte, ein theoretisches tisqI ^vascog, an seinen Freund Pausanias ge-
richtet, worin er seine im Äther der Poesie geborene Lehre vom Streit
{NsTxog) und der Liebe {(I^dovr^g) entwickelte, und ein ethisches, Kad^aquoC
betitelt, worin er, ausgehend von der Lehre der Seelenwanderung, seine
Mitbürger zur sittlichen Reinigung aufforderte. Von beiden haben wir
leider nur Fragmente, aber ziemlich zahlreiche und solche von grösserem
Umfang. Poetisch schön ist besonders die Schilderung von dem goldenen
Zeitalter, wo statt dem Kriegsgott der mildherrschenden Kypris Unblutige
Opfer dargebracht werden (fr. 142).
richtig, so dass damit das Jahr bezeichnet
wäre; an dem Parmenides nach Athen kam.
Sokrates, geb. Ol. 77, 4, war damals aller-
dings erst 8 Jahre alt, aber Parmenides
wird doch einige Jahre in Athen geblieben
sein, so dass Piaton schon eine Zusammen-
kunft des ganz jungen {Gcpo^Qcc viog) Sokra-
tes mit dem bereits grau gewordenen Par-
menides annehmen konnte.
') H. Stein, Die Fragmente des Par-
menides neQi (fvO80}g, in Symb. philol. Bonn,
p. 755 ff.
^) Lucr. I, 716: Quae {Sicilia) cum
magna modis multis miranda videtur, Nil
tarnen hoc hdbuisse viro praeclarius in se,
Nee sanctum mayis et mirum carumque
indetur ; Carmina quin etinm divini pectoris
eins Vociferantur et exponunt praeclara
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VU. i
reperta, Ut vix humana videatur stirpe
creatus. Vgl. das Urteil des Aristoteles bei
Diog. VIII, 57.
^) Satyros nach Diog. VIII, 58 macht
den Gorgias zu seinem Schüler.
'^} Diog. VIII, 67 nach den Angaben des
Timaios.
^) Diog. VIII, 66 führt zum Belege die
Worte an: XciiQ€i\ eyoj cT' vfxfxiv &€dg ciu-
ßQOTog, ovxeiL d^vijxdg TnoXevjuai.
«) Ebenda 59.
') Diog VIII, 67 f. nach Herakleides
Pontikos.
8) piog. VIII, 69, Horaz a. p. 464. Schon
Timon in seinen Sillen hatte die Grossthuerei
des Empedokles zur Zielscheibe seines Spottes
gemacht.
Aull. 7
98
Griechische Litleraturgeschichte. I. Klassische Periode.
B. Lyrik.^)
1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung.
75. Die verschiedenen Arten der lyrischen Poesie wurden von den
Alten noch nicht als Ganzes mit einem gemeinsamen Namen der epischen
und dramatischen Poesie gegenübergestellt. 2) Daran war hauptsächlich der
Umstand schuld, dass das unterscheidende Merkmal der Lyrik, der singende
Vortrag, einerseits auch dem Epos in ältester Zeit eigen war, andererseits
frühzeitig von einigen Arten der lyrischen Poesie, wie dem Spottgedicht
und der Elegie, aufgegeben wurde. Gleichwohl war bei den Griechen die
Ausbildung der Lyrik in noch höherem Grade als bei uns mit der Geschichte
der Musik verknüpft. Ausserlich hat diese Verbindung ihren Ausdruck
darin gefunden, dass nicht bloss die Thätigkeit des Musikers und Dichters
mit demselben Worte noieiv bezeichnet,^) sondern auch dem Texte des
Liedes und der Melodie die gleiche Gliederung [ix^log) zu gründe gelegt
wurde. Die Entwicklung der lyrischen Poesie hing daher mit der Ausbil-
dung einer kunstvolleren Gliederung zusammen, die sich erst ergab, als
man von der einförmigen Wiederholung des gleichen Verses zum Wechsel
erst von verschiedenen Formen des daktylischen Rhythmus (Tetrapodien
Tripodien, Dipodien, mit und ohne Katalexe) und dann von verschiedenen
Rhythmusgeschlechtern (Daktylus, Anapäst, lambus, Trochäus, Päon) über-
ging. Bis zum 8. Jahrhundert aber herrschte in der griechischen Poesie einzig
der daktylische Hexameter, erst vom 7. Jahrhundert an begegnen uns neue
und wechselnde Formen des Metrums.
Aber schon Homer und vor Homer die thrakischen Sänger Orpheus
und Thamyris spielten die Phorminx, und so reichen auch die Anfänge
der Lyrik über den Beginn der Olympiadenrechnung hinauf. Nicht bloss
gab es schon zu Homers Zeiten Hymnen, welche von den Sängern oder
Kitharisten an den Götterfesten vorgetragen wurden,'^) Homer kennt auch
schon die Vereinigung von Tanz und Musik, oder Tanz, Musik und Gesang
und erwähnt neben dem geistlichen Päan auch schon das weltliche Lied
bei der Hochzeit und der Weinlese:^) ein Knabe in der Mitte des Zuges
der Winzer spielt die hellklingende Phorminx und singt dazu mit zarter
Stimme den Linosgesang, die anderen folgen unter Scherz und Jauchzen
die Erde stampfend ; bei der Hochzeit ertönen zum Hymenaios Flöten und
^) Welcker, Kleine Schriften, Bonn 1844,
3 Bände, von denen die 2 ersten wesentlich
den Lyrikern gewidmet sind. — Flach, Ge-
schichte der griech, Lyrik, Tüb. 1884, 2 Bde.
ohne Pindar. — Nageotte, hist. de la poesie
hjrique grecque, Par. 18S9, 2 Bde. bis Pindar
incl. — Poetae lijrici ffraeci, rec. Bergk, 4.
Aufl., Leipz. 1878, 3 Teile. - Anthologie aus
den Lyrikern der Griechen, erklärt von E.
Buchholz, 4. Aufl., Leipz. 1887.
^) Arist. Poet. 1 : rj inonoua xcd tj xqa-
yoi^Lug noirjGig xcd tj ^L&vQcc^ußixii] xal rj
civXf]Tixt] xcd xid^uQiGTixt]. Procl. ehrest, p.
230, W. : To ^i/r]y7]^cmx6v ixcpbQExca cTt' enovg,
ictfußov TS xcd iXeyeiov xcd fxiXovg. Die 3
Arten Xafxßog, eXsy8Lov, fzeXog zusammen bil-
den dasjenige, was wir mit dem Gattungs-
begriff Lyrik bezeichnen.
2) Attilius Fort. 1, 9. 25: Graeci erant
non tantum poetae 'perfectissimi sed etiam
musici. Dasselbe Wort fxih] bezeichnet
Liedertexte und Melodien; aber daneben sind
auch beide unterschieden von Alkman fr. 17:
tnf] xc'i^e xcd ^ueXog ^JXxfxcly F.vQey.
■*) 11. J 472 f. Aristarch bemerkte da-
zu, dass fieXna) bei Homer nicht auf den
blossen Gesang beschränkt sei; vgl. zu Od.
C 101. Mit jener Stelle des Homer verbinde
man Hymn. Apoll. II, 10 u. 336.
^) 11. 2- 493 u. 569, Od. t^ 261—5.
B. Lyrik. 1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung. (§ 75 - 77.)
99
Zithern zugleich, während Jünglinge im Tanze sich drehen und Yortänzer
ein mimisches Spiel aufführen.^) Freilich stehen die betreffenden Stellen
in jungen Gesängen Homers, zum Teil sogar in Interpolationen junger Ge-
sänge, aber immerhin bezeugen sie für eine den ältesten Lyrikern voraus-
gehende Zeit die Übung des Gesanges und Tanzes bei den Götterfesten,
der Hochzeit und der Weinlese.
76. Text und Melodie gehen in der griechischen Poesie bis zur Zeit
des peloponnesischen Krieges Hand in Hand, so dass in der Regel derselbe,
der den Text dichtete, auch die Melodie dazu erfand. Aber in dem ge-
schichtlichen Verlauf ging die Ausbildung der Musik der der Poesie voraus
und fanden Melodien für Zither und namentlich für Flöte in dem Volke
Verbreitung, ehe zu denselben poetische Texte gedichtet wurden. Ja auch
noch in späterer Zeit gab es zwar keine Liedertexte, zu denen nicht auch
Melodien existierten, wohl aber Musikstücke genug, welche lediglich zum
Spielen mit Instrumenten bestimmt waren. So stehen im Eingang der
griechischen Lyrik die Nomoi, bei denen die Melodien die Hauptsache
ausmachten, so dass zu denselben teils gar keine Texte existierten, teils
nur solche von untergeordneter Bedeutung. Der Ausdruck Nomos, der in
diesem Sinn bei Homer noch nicht vorkommt, 2) weist auf die gleichmässige
Taktordnung hin ^) und hat dem Gott, unter dessen Schutz die Musik stund,
den Namen ^AjiöXXmv vofxiog eingetragen. Unterschieden wurden Weisen
für Zither (xi^ccga) und Flöte {avXoi), und bei beiden für einfaches Instru-
mentalspiel [ipih] fxovaixrj)^ voi^ioi xidagiaiixüi und avlrjTixot, und für Spiel
mit Gesang, vöi^oi xid^aQO)6ixoi und avXo^öixoi. Die aulodischen Nomen
setzen natürlich zwei Personen, einen Flötenspieler und einen Sänger vor-
aus; bei den kitharodischen, welche bei ihrer grösseren Einfachheit in ein
höheres Alter hinaufreichen, war Sänger und Spieler in einer Person ver-
einigt.^) Ehe wir uns aber zu den Nomendichtern selbst wenden, müssen
wir zuvor noch einiges von den Instrumenten und dem Einfluss der Fremde
auf die Entwicklung der griechischen Musik vorausschicken.
77. Das alte Saiteninstrument der homerischen Zeit heisst (p6Qf.uy'^.
Daneben kommt schon bei Homer der Name xid^dqa oder xid^aqig vor;^)
im Hymnus auf Hermes tritt dazu das später meistverbreitete Wort Xvqa^
aber ohne dass mit den drei verschiedenen Namen auch ein nachweisbarer
1) II. Z 494 ff. u. 604 ff., Od. (f 18-20.
Als Vortänzer treten im Hymnus des pythi-
schen Apoll V. 22 Ares und Hermes auf.
-) pofxog bedeutet bei Homer in der
Regel Weideplatz ; die Bedeutung Gesetz findet
sich nur in dem Kompositum svvo^h] Od.
Q 487; bei Hesiod Op. 276 u. Th. 417 kommt
auch das einfache v6fj,og in dieser Bedeutung
vor. In übertragener Bedeutung findet sich
die Verbindung ineiou yojuog in einem jungen
Vers der Ilias Y 249 und in Hes. Op. 403.
Von dem Gesang ist das Wort gebraucht im
Hymn. Apoll. Del. 20: ndyit] ydg xoi, ^oiße,
vofxög ߀ß}.7JaT' doi&ijg.
^) Plut. de mus, 6 : yofj.oi, ngoarjyogev-
O^riGap, eneidrj ovx e^fjv naQaßrjvca xad-' txaa-
xov vevo^LG^ivov sidog xijg zdasiog.
■*) Dass die Nomoi von einem Einzelnen,
nicht einem Chor vorgetragen wurden, be-
zeugt Arist. Probl. 19, 15. In den hesiodi-
schen Versen Theog. 94 f.: ix ydq MovadiDv
xal ixf]ß6Xov 'AnoXliDvog dv^Qsg doitfol eaaiv
inl x^opa xal xtd^agiarccl hat man in doidog
und xid^aQLOTijg nur zwei Bezeichnungen
derselben Person zu suchen, wie der Ver-
fasser des Schifl:kataloges B 600 von dem-
selben Thamyris sagt: ccvrdQ doi^rju &eG-
neoi7]v dcpeXovxo xcd ixXeXad^ou xix^ciQiGrvy.
^) Arist. Polit. VIII. 6 p. 1341 '^ 17 ff.
handelt von dem Unterschied des einfachen,
für die Übung der Freien allein geeigneten
Saiteninstrumentes auf der einen, und den
kunstreicheren Instrumenten der Virtuosen
auf der anderen Seite.
7*
100
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Unterschied der Gestalt des Instrumentes verbunden gewesen wäre.^) Als
Resonanzboden diente in der Regel die Schale einer Schildkröte, wovon
auch das ganze Instrument den Namen x^^^^ (testudo) erhielt. Bespannt
war dasselbe mit Darmsaiten, anfangs mit 4, seit Terpander mit 7, wovon
die Namen rsTQaxoQ^og und inrdxoQSog seil. Xvqa herkommen. Die Erfin-
dung des Instrumentes schrieb die Sage dem Gotte Hermes zu,^) und da
sich auch das Wort (foQf^uy^ aus der heimischen Sprache {a fremendo) er-
klären lässt, so haben wir keinen Grund den Gebrauch desselben aus der
Fremde herzuleiten. Wohl aber kamen später infolge der grossen Ver-
breitung ausländischer Harfenspielerinnen mehrere fremde Saitenintrumente
hinzu, so die Pektis^) und Magadis ^) aus Lydien, die dreisaitige Harfe
(TQiycovog) -') aus Syrien, die Nebel ^) und Kinyra'') aus Phönikien, endlich
die asische Zither,^) die Sambyke^) und das Barbiton.i^^) — Die Flöten, die
wir richtiger unseren Klarinetten vergleichen, kommen bei den Griechen
gewöhnlich nur im Plural vor, weil in der Regel ihrer zwei zugleich ge-
blasen wurden. Der Name stammt von griechischer Wurzel, ^^ aber das
Instrument kam nicht bloss später als die Phorminx in Brauch, sondern
scheint auch aus der Fremde, und zwar aus Phrygien, nach Griechenland
gekommen zu sein. Denn während die homerischen Sänger und Helden
zur Phorminx singen, hören wir den Lärm der Flöten und Pfeifen nur im
Lager der Troer (II. K 13).^^) Auch die Sage von Marsyas und die Über-
lieferungen von Olympos führen nach Phrygien als ursprünglichen Sitz des
Flötenspiels, für das die Gegend von Kelainai ein treffliches Rohr und das
berekynthische Gebirg das treffliche Holz des Buchsbaums lieferte. ^^) Ausser-
dem kommen von ausländischen Blasinstrumenten bei den Griechen vor:
die ßöfißvHsg, welche bei dem Kulte der thrakischen Göttin Kotyto gespielt
wurden, 1*) der ägyptische Monaulos,'"*) die karischen, bei den Adonisfesten
gebrauchten yiyyqoi avloiA^) — Verraten so schon die meisten Instrumente
^) Im Hymnus auf Hermes werden Ivqt]
und xix^((Qig ganz synonym gebraucht.
•') Hymn. Merc. 30 ff.
^) Phot, nrjy.jig ' naydovQtoy rjzoL Avdiov
oQyavov /(OQig nhjxTQov xpaXlöfj.evov. Herod.
I, 17 von dem Lyderkönig Alyattes: eazQci-
Tsvouxo vno GVQLyywp ts xal m]XTidcof xal
avXov.
*) Magadis, eine Harfe mit 20 Saiten
bei Anacr. fr. 18, schon erwähnt bei Alk-
man fr. 91.
5) Erwähnt bei Sophocl. fr. 219. 375
u. a. ; die syrische Herkunft bezeugt durch
Ath. 175 d.
^) Nebel, Hauptinstrument der .luden,
kommt zuerst bei Sophocl, fr. 764 vor.
^) Dem hebräischen Kinnor entspricht
das griech. xlvvqu; davon scheint das seit
Aischylos in Griechenland verbreitete Verbum
xivvQO(xca herzukommen.
») Bekkle, An. gr. 451 u. Et. M. 153, 32.
^) Sambyke, vielleicht aramäisch, ward
von Ibykos nach Ath. 175 e erwähnt.
^'^) Das ßÜQßiTov soll nach Ath. a. 0.
Anakreon erfunden, d. i. in Gebrauch ge-
bracht haben.
^^) Die ursprüngliche Bedeutung warge»
höhlte Röhre, in welchem Sinn das Wort
noch bei Homer vorkommt.
'''^) Dieses bemerkte bereits Aristarch zu
X 13 u. ^ 495; dazu stimmt Aristot. Polit.
VIII, 7 p. 1342 1> 5; vgl An. 3.
^^) Über das für die Flötenzungen {ykola-
Gca) geeignete Rohr von Kelainai s. Strab.
p. 578; dorthin verlegte auch die Sage den
Streit des Marsyas und Apoll. Über den
Buchsbaum vgl. Hehn, Kulturpflanzen 202 ff.,
und Ath. 176 f.: xovg yccQ iXv/novg av/iovg,
(i)v ^v7]^ovevei ^locpoxXrjg eu Nioßrj rs xcn'
TvfxnciviaTaTg, ovx aXkovg iivdg Bivai ctxov- I
ofxei^ rj Tot'? 4>Qvyiovg.
^*) Erwähnt von Aischylos nach Strabon
p. 470.
'^) Ath. 175 f., Pollux IV, 75; nach der
ersten Stelle kam er schon bei Sophokles
vor. Damit in Zusammenhang steht, dass
man das Flötenspiel auch für eine Erfindung
der Libyer ausgab; s. Ath. 618c und Nonnos
Dion. 23, 622; 40, 227.
''') Äth. 174e u. 618c, Pollux IV, 102.
B. Lyrik. 1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung. (§ 78.)
101
orientalischen Ursprung, so weisen noch viele andere Momente darauf hin,
dass auf keinem Gebiete mehr als auf dem der Musik die Griechen An-
regung von aussen empfangen haben. Von den hauptsächlichsten Tonarten
der Griechen SMQiaTi\ (fQvyiaTi, XvSi(fTi, aloXicTTi, iaari haben zwei von
fremden Ländern, Phrygien und Lydien, ihren Namen ; das älteste Lied,
dessen Namen uns überliefert ist, das Linoslied, stammt aus dem Orient;^)
die Totenklage, welche von jeher mit Musik, Gesang und ekstatischen Ge-
stikulationen verbunden war, trägt orientalisches Gepräge; 2) die orgiasti-
schen, mit Pauken und Flöten gefeierten Kulte der berekyntischen Kybele
und thrakischen Bendis kamen von den Barbaren zu den Griechen.
Der Gegensatz zwischen Flöte und Lyra spielte nicht bloss in
den Götterkulten und Landschaften, sondern auch in dem ganzen Verlauf
der griechischen Musik eine grosse Rolle; er fand seinen symbolischen
Ausdruck in dem Mythus vom Streit des Marsyas und Apoll. ^) In der
Vorzeit der thrakischen Sänger, aus der keine Melodie sich in die historische
Zeit rettete, herrschte einzig die Phorminx. Der erste Aufschwung der
Musik ward der Flöte und dem Meister des Flötenspiels, dem phrygischen
Olympos, verdankt.*) Bald folgte ihr die Vervollkommnung des alten
Saiteninstrumentes und die Dichtung neuer Weisen für die Lyra durch
Terpander. Alsdann hielten sich beide Musikarten die Wage, so aber, dass
stets der saitenlose Klagegesang (idXsfxog aXvqog) im Gegensatz blieb zu den
hehren, geistbefreienden Zitherweisen des Lichtgottes Apoll. •'») Im allge-
meinen aber gehörte die Pflege und Kenntnis der Musik bei den Hellenen
zu dem Wesen des freien Mannes, so dass auch in dem Unterricht der
Knaben die Musik einen Hauptgegenstand bildete, ohne den man sich eine
liberalis educatio nicht denken konnte;^) durch die Musik erhielten dann
auch die verschwisterten Künste des Tanzes und des Gesangs ihre Weihe
und ihre Ausbildung.
78. Olympos, im Gegensatz zu dem fabelhaften älteren Olympos der
jüngere Olympos genannt, lebte gegen Ende des 8. Jahrhunderts unter dem
phrygischen König Midas II. (734—695)'). Er heisst der Begründer der
hellenischen Musik und galt als Dichter einer Anzahl von auletischen
Nomen. ^) Von Worten, die er zu seinen Melodien gedichtet, erfährt man
^) Vgl. § 13; dazu stelle die f.isXr] ToQQ7]ßia
von der lydischen Stadt Torrebos bei
Steph. Byz.
^) Maqiavövvdg x^QrjvrjxriQ bei Aesch.
Pers. 992; vgl. Kaqixfi fxovarj bei Fiat. legg.
VIT p. 800 e und Kccqixov ^iXog bei dem
Komiker Piaton in den Adxiovsg 1, 12.
^) Vgl. Baumeister, Denkmäler S. 886
u. 1002.
^) Marsyas und Hyagnis, die angeb-
lichen Eltern des Olympos, sind die mythi-
schen Erfinder des Flötenspiels. Olympos
ward als jugendlicher Knabe neben Marsyas
dargestellt von Polygnot; s. Paus. X, 30. 9.
^) Im 4. Jahrhundert thaten sich be-
sonders die Thebaner im Flötenspiel hervor:
aus Theben stammton die berühmten Flöten-
virtuosen Pronomos, Diodoros, Antigenidas,
Timotheos, Theon, Dorotheos.
^) Darüber belehrt insbesondere Aristo-
teles im letzten Buch der Politik. Bildlich
ist dieser edle Zweig der Jugendbildung dar-
gestellt auf der Schale des Malers Duris (um
450); s. Michaelis, Attischer Schulunterricht
auf einer Schale des Duris, Arch. Zeit. N. F.
6 (1873).,
^) Über beide je ein Artikel des Suidas,
wo es von unserem Olympos, dem histori-
schen, heisst: 'OXvf.inog 4>qv^ vsoiTSQog ccvXt]-
Tfjg yeyoviog enl Miöov xov FoQ^iov. Den
älteren mythischen Olympos setzt Suidas
7Tq6 Tiov jQoyixaiv; s. RiTSCHL, Olvmpus der
Aulete, Opusc. I, 258—270.
^) Plut. de mus. 11 (u. 29) nennt ihn
('<QX^])'oi' frjg tlhii'ixijg xui xcckijg ^ovoixijg.
102
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
nichts. 1) Natürlich hat er seine Melodien nicht niedergeschrieben, sondern
durch Vorspielen auf seine Schüler verpflanzt. Um so leichter konnte sich
ein Streit über die Autorschaft der ihm zugeschriebenen Nomen erheben.
Zugeschrieben aber wurden ihm mit mehr oder minder Recht der vof^wg
7ioXvxe'(pakog auf Apoll, wohl von den vielen Absätzen {xscpaXai) des Nomos so
benannt, 2) der vojjiog aQ^aareiog, dem Namen nach für den ritterlichen Wagen-
wettstreit bestimmt,^) ferner Nomoi auf Athene, Ares und die grosse Götter-
mutter.^) Er galt ferner als Erfinder des enharmonischen Musikgeschlechtes, ^)
und mehrerer neuen Rhythmen, wie des TTQoaoSiaxog (- -v^_v^_ _),
XOQsTog (_w_w_^^_. .)^ ßaxxsiog ( - ^^ _ _ v^ _ ).6) Schüler des Olym-
pos war Hierax aus Argos, von dessen Erfindungen Pollux IV, 79 und
Plutarch de mus. 26 berichten.
79. Terpandros aus Antissa in Lesbos, dessen Zeit sich dadurch
bestimmt, dass er Ol. 26 = 676/2 v. Chr. an den Karneen in Sparta siegte,')
hat das Verdienst die kitharodische Musik vervollkommnet zu haben, in-
dem er zu den 4 alten Saiten 3 neue hinzufügte und neben dem daktyli-
schen Rhythmus auch mehrere neue Rhythmen gebrauchte. Er knüpfte
also an die Weise der thrakischen und delphischen Sänger und Kitharisten
an, weshalb die Sage das Haupt und die Leier des erschlagenen Orpheus
durch das Meer nach dem lesbischen Antissa schwimmen liess,^) und der
Grammatiker Proklos den Kreter Chrysothemis zum Vorgänger unsers Ter-
pander in der Nomenpoesie macht. ^) Epochemachend für die Entwicklung
der griechischen Musik war die Berufung des Terpander nach Sparta, das
im 7. Jahrhundert nach der Bezwingung Messeniens eine Hauptpflegestätte
^) Nichts beweist das Scholion zu Ari-
stoph. Equ. 10: ^'Olvfxnog eyQaxps avh]Xixovg
xcu d^QrivrjTi,y.ovg vo^ovg.
2) Die Erfindung des Polykephalos wird
der Athene selbst zugeschrieben von Pindar
P. XII, nach andern dem Krates, einem
Schüler des Olympos, von Plut. de mus 7.
Pindar leitet den Namen von den vielen
Schlangenköpfen des Gorgonenhauptes her,
deren Klageton der Nomos nachgeahmt habe.
^) Plut. de mus. 7; auffälliger Weise
wird derselbe Nomos als Klageweise bezeich-
net von Eur. Or. 13P5.
^) Plut. de mus. 29; vgl. Aristoph. Equ. 9.
^) Plut. de mus. 11; danach bestand
das Wesen der enharmonischen Musik darin,
dass bestimmte Töne der diatonischen Skala
für die Melodie unbenutzt blieben; s. West-
PHAL, Metrik der Griechen im Verein mit
den übrigen musischen Künsten I'^ 265 u.
413.
^) Über diese Rhythmen siehe meine
Metrik ^ 253 u. 478. Ritschl, Opusc. 1. 260 hat
aus der Notiz des Alexander Polyhistor bei Plut.
de mus. 5, XQOVfiara "OXvfinoy txqiotov sig Tovg
'^'EXkfjyccg xo/uiaai, geschlossen, dass Olympos
ausser auletischen auch kitharistische Melo-
dien gedichtet habe.^ Aber dagegen spricht
die ganze übrige Überlieferung; vielmehr
scheint das Wort xQovfAcaa hier in dem all-
gemeinen Sinn von Tonweisen, nicht in dem
speziellen von Zithermelodien gebraucht zu
sein, wie Suidas sagt: "Olvfxnog rjysfxdyp rrjg
xQovfxarixrjg fxovGixrjg rrjg did tdüv xqov-
fxdxoyy.
^) Ath. 635 e: rd Kkqpslcc nqiaxog ndv-
T(x)v TegnavÖQog PLxa, ujg '^Elldrixog laxoQsl
ev xe xoTg EfXfxixQoig xctQveovixcag xdv xoTg
xaxaXoyddt]^ ' eyevsxo de ri ^iaig rwv Kctq-
veloiv xaxd xrjv exxr^v xal slxoaxrjv ^OXvfi-
nidda. Danach war Terpander um etwas
geringes älter als Archilochos, wie auch
Glaukos bei Plut. de mus. 4 bezeugt und
Westphal, Vhdl. d. 17. Vers. d. Phil. S.
51 — QQ aus der Geschichte der Musik nach-
weist. Umgekehrt setzen den Terpander
später als Archilochos an der Peripatetiker
Phanias bei Clemens Alex, ström. I, 308 u.
333, das Marm. Parium zu Ol. 33, 4 = 645
V. Chr., und Eusebios zu Ol. 36, 2 = 635.
«} Phanokles bei Stob. Flor. 64, 14;
Antig. bist. mir. 5; Ovid. met. XI, 50; Lucian
adv. ind. 11.
9) Procl. ehrest, p. 245, 2 W.: Xqvgo-
x^Sfj.ig 6 Kqrjg nqcoxog axoXfj /Qr]adfxsvog ix-
TTQETiSi xal xiyhdQCiv dvaXaßoji' sig fulfirjaiy
xov 'AnoXlMvog ^ovog rjas . . . doxel de Teg-
navdQog fxev TiQioxog xsXsimgki, xov vojxov
oJQüJM fus'xQo) xQrjadfxeuog. Bis auf den my-
thischen Amphion geht zurück Herakleides
bei Plut. de mus. 3.
B. Lyrik. 1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung. (§ 79—80.)
103
der Musik und der Götterfeste war. Spätere sagenhafte Ausschmückung hat
dieser Berufung die politische Absicht einer Beschwichtigung der Parteien
untergelegt.^) Sicher ist, dass der äolische Musiker in Sparta mit grosser
Auszeichnung aufgenommen wurde, woher der sprichwörtliche Ausdruck
entstand: fisTa Aeaßiov (o^or, d. i. zuerst der lesbische Sänger und dann
die andern. 2) Die Namen der kitharodischen Nomen Terpanders waren:
Boio)Ttog, Alohog, xQoxcctog^ o§vg, Ktjtticov, TeQTCccv^Qiog, Tsr^aoiSiog; ausser-
dem hatte er kitharodische Prooimia, d. i. Melodien zu Hymnen gedichtet.^)
Allen diesen Kompositionen lagen Texte zu grund; i) als Text benützte
er teils Dichtungen Homers, vermutlich auch homerische Hymnen, teils
dichtete er selbst eigene Verse in langgedehnten Rhythmen, wovon uns
ein paar dürftige Reste erhalten sind, wie:
Zsv ndvTMV ciQ'/^d^
udvTMV dyrjTO)Q,
Zsv Zsv, aol (f/TsvSa)
Tamav v{-Ivmv dq%dvJ')
Die grösseren Nomen waren selbst wieder, ähnlich wie unsere Symphonien
und Kantaten, in mehrere Sätze gegliedert. Nach Pollux IV, 'oQ hatten
die terpandrischen Nomen 7 Teile: «(>/«, i.isTccQ%d, xaTaTQond, iisraxara-
TQOTidj ofKfakog (transp. Westph.: oficpaXögj iLiSTaxarargoTta), c^cfQayig^ ini-
Xoyog.^) Schliesslich sei noch erwähnt, dass Terpander von Plut. de mus.
28 auch als Dichter von Trinkliedern {anoXid) gepriesen wird.
80. Klonas, Polymnastos, Sakadas, Echembrotos waren die
Hauptvertreter der erst nach Terpander aufgekommenen aulodischen Nomen.
Von diesen hat Klonas, den die einen zu einem Tegeaten, die anderen zu
einem Thebaner machten,'^) die aulodische Nomenpoesie begründet und zu
seinen Melodien Elegien und Hexameter gedichtet.^) Wenn demselben auch
Prosodien beigelegt werden, so sieht man daraus, dass schon damals aulo-
dische Kompositionen vorzugsweise zum Vortrag bei Prozessionen bestimmt
waren. ^) Sakadas aus Argos, der Verfasser von /ii'Aiy und iXsysla ij^s/xe-
lononqixsva,^^) war der Dichter des berühmten auletischen vöaog JIvdiKog,
der den Kampf des Gottes Apoll mit dem Drachen Python darstellte.!^)
Seine Zeit wird dadurch genau bestimmt, dass er nach Paus. X, 7. 4 in
den Jahren 586, 582 und 578 bei den pythischen Wettkämpfen siegte.
1) Plut. de mus. 42; Aelian V. H. XII,
50; Zenob. 5, 9.
^) Alistot. fr. 497, wo von Rose die
ganze Litteratur zusammengetragen ist. Die
4 Siege des Terpander in Delphoi scheinen
spätere Erfindungen zu sein, da wir aus so
früher Zeit nichts von Wettkämpfen in Delphi
wissen.
2) Plut. de mus, 4; Schol. Arist. Nub. 595.
'^) Die \pih] xixhaQiacg wurde nach Ath.
637 f. erst durch den Argiver Aristonikos,
Zeitgenossen des Archilochos, eingeführt.
^) Das Fragment wird nur vermutungs-
v/eise dem Terpander zugeschrieben.
6) Nach Poil. IV, 84 und Strab. p. 421
hatte der berühmte ilvx^iy.dg vöfxog des Sa-
kadas 5 Teile, worüber Lübbert, De Fiii-
clari carminum comj^ositione. Plut. de mus.
33 erwähnt auch Kompositionen von 3 Teilen
{ccQ/tj, jue'aoy, axßaaig). Auf die Bedeutung
dieser Teile für die spätere Poesie werden
wir bei Pindar zurückkommen.
^) Plut. de mus. 35.
®) Plut. de mus. 3.
'•^) Da Polymnastos auch von Alkman
fr. 114 erwähnt ward, so wird er in der
2. Hälfte, Klonas in der Mitte des 7. Jahrh.
geblüht haben.
'") Plut. de mus. 8.
^ ') GuHRAUEK, Der pythische Nomos, eine
Studie zur griech. Musikgeschichte, Jahrb.
f. Phil. Suppl. 8. Ath. GlOc führt von Sa-
kadas auch eine U^iov nsQaig an.
104
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Von ihm oder Polymnastos rührte auch der voiiog TQipsQrjg (oder TQifiieXr^g)
her, von dessen 3 Strophen jede in einer anderen Tonart (Swqktti, (fqvyiaxi,
Ivöiati) gesetzt war. Gleichzeitig mit Sakadas war der Arkadier Echem-
brotos, der bei den ersten pythischen Spielen (586 oder 591) mit einem
aulodischen Nomos siegte, aber durch den traurigen Charakter seiner Dich-
tung Anlass gab, dass die Gattung der aulodischen Nomen wieder aus der
Liste der zulässigen Dichtungen gestrichen wurde.')
81. Kreta war neben Pierien, Phrygien, Lydien, Lesbos ein Haupt-
ausgangspunkt der griechischen Musik, speziell der Orchestik. Schon Homer
schildert den Tanzplatz {xoQog) der Ariadne im kretischen Knossos (.^590 ff.)
unb nennt den Kreter Meriones einen Tänzer {oQxrjarrig TL 6 17). 2) Wie
die übrigen Künste, so war auch der Tanz in Kreta in den Dienst der
Gottheit gestellt; so galten die Päane den Festen des Heilgottes Apoll und
die Waffentänze denen des Kriegsgottes Ares. 3) Schwerlich indes waren
dies alte nationale Tänze; vielmehr scheinen dieselben unter orientalischen
Einflüssen entstanden zu sein. Dahin weist die Verwandtschaft der kreti-
schen Kureten mit den phrygischen Korybanten und die Verbindung der
idäischen Daktylen und Kureten mit dem Kultus der grossen Göttermutter.*)
Wir werden daher wie die Götterkulte so auch die Ausbildung des Tanzes
und der Musik bei den Kretern auf phrygischen Einfluss zurückführen und
diesen mit der phrygischen Thalassokratie •^) in Verbindung bringen dürfen.
Von Kreta verbreitete sich dann der religiöse Tanz und Gesang nach Delphi
und Sparta; nach Delphi brachte ihn in alter Zeit der kretische Sänger
Chrysothemis,^) nach Sparta Thaletas aus Gortyn. Der letztere ward
zur Zeit einer Pest von den Lakedämoniern berufen, um durch religiöse
Zeremonien (sTicodai) den Zorn der Götter zu beschwichtigen.') Bei dieser
Gelegenheit, wahrscheinlich im Jahre 665, in welches Jahr Eusebios die
Einführung der Gymnopaideia in Sparta setzt, führte er die in feierlichem
Tanze aufgeführten Heillieder an Apoll, die Päane und die in raschem
Takte sich bewegenden kriegerischen Tänze der Pyrrhiche (vTroQxrjl^aTa) in
Sparta ein.^) Deshalb wird er von Plut. de mus. 9 zusammen mit Xeno-
1) Paus. X, 7. 86 hat die Aufschrift des
ehernen Dreifusses erhalten, den Echem-
brotos ob eines Sieges nach Theben stiftete :
'E/B/LißQOTog ^jQxdg eS^rjxsu tm 'Hqax'ksL vixrjüccq
roc)" äyciXfxic, Jfiq)ixTv6p(t)v ev ded^Xoig,'EX'kr]aiv
liei&ioy fxsXsa xciXsyovg.
2) Auch Sappho fr. 54 besingt den Tanz
der Kreterinnen um den reizenden Altar.
Über die Tänze der Kreter im allgemeinen
Aristoxenos bei Ath. 630 b und Sosibios in
Schol. Find. F. II, 127. Von Kreta benannt
ist der Qv&fxSg KQtjiiKog -i w _ z w _
^) Das waren die evonhog oQX7]aig bei
Strabon p. 480 und die evönhu Tndyvia des
Piaton Legg. VII, p. 796 b.
4) Diodor XVII, 7; Strabon p. 473. An
die Waffentänze der Kreter erinnern die
Tänze und Lieder der römischen Salier; ob
aber dabei an griechischen Einfluss zu denken
sei, ist problematisch.
^) Euseb. zu 904 a. Chr.: 4>^vysg7ie^nToi
E^alctaGoxQttrrjGca' EXt] xe (904 — 879). Spe-
ziell an Olympos knüpfte Thaletas an nach
Plut. de mus. 10.
*^) Mythisch ist die Verbindung von
Kreta und Delphi dargestellt im Hymnus
auf den pythischen Apoll 218 ff. u. 336 ff.
Das Verhältnis kehrt um Wilamowitz, Eur.
Herakl. I, 265: wenn der homerische Hym-
nus an Apollon, der in diesen Teilen dem
Ende des 7. Jahrh. angehört, die del-
phischen Priester aus Kreta holt, so zeigt
sich darin die später so häufige Vorstellung,
dass Kreta der Sitz der reinen Derer ist,
in naiver Umkehrung des Verhältnisses, in
Wahrheit waren die Derer vom Parnass nach
Kreta gezogen.
^) So sagte Pratinas in irgend einem
Lied nach Plut. de mus. 42.
^) Plut. de mus, 9 und Schol. Pind.
P. II, 127.
B. Lyrik. 1. Anfänge der Lyrik, Nomendichtung. (81—82.)
105
damos von Kytliera und Xenokritos aus dem unteritalischen Lokris 9 Be-
gründer der zweiten Musikperiode in Sparta {dsvrsqac xarccaiccaeMg tmv
tcsqI tyjv fjiov(Tixrjv iv rrj ^nagTi]) genannt. Der Einführung der Karneen
und Gymnopädien in Sparta folgten bald ähnliche mit Musik und Tanz be-
gangene Feste bei den übrigen Griechen, die Apodeixeis (inidsC^sig em.
Hiller) in Arkadien, die Apodymatia in Argos,^) die Festspiele des Apoll
in Delphi (seit 591 oder 586) und Delos,^) die Pythien in Sikyon,^) die
Panathenäen in Athen, 5) die Hyakinthien in Samos,^) die Museia und Ero-
tidia in Thespiä.^)
82. Blicken wir zum Schluss nochmals zurück auf jene älteste, text-
arme Periode der griechischen Lyrik und Musik, so sehen wir, dass sich im
Laufe des 7. Jahrhunderts all jene Elemente entwickelt haben, die wir später
in der Glanzperiode der griechischen Lyrik vereinigt sehen. In typischen
Gegensätzen bildeten sich die Hauptarten der Musik aus, gebunden an den
Unterschied des scharfen Flötentones und des weichen Saitenklanges, der
ernsten Totenklage und des apollinischen Bittgesanges. Zu dem eintöni-
gen, feierlich ernsten Rhythmus des daktylischen Taktgeschlechtes gesellten
sich der rasche Gang des spitzigen Jambus und rollenden Trochäus sowie
der energische Schritt des anapästischen Marschgesangs {nQoaoSiaxog), Neben
dem Dreitakter (Tripodie) und dem aus dessen Wiederholung entstandenen
Hexameter kamen die ebenmässigeren, in geraden Zahlenverhältnissen sich
aufbauenden Sätze, die Tetrapodien, Dimeter und Tetrameter, wieder zur Gel-
tung;^) ja es begannen sich bereits die verschiedenen Rhythmen und Takt-
grössen zu mischen, wie in der Weihinschrift des Arkadiers Echembrotos'^)
'Ex^fJ^ßQOTog 'AQxdg k'd^r^xsv ~
TO) '^HqaxXei
vixrjcTag rod' ayccX^xa^
'A{.i(pixTi6v(jov iv aeMoig ^ j^^,^ _ ^^^
'EkXrjcXiv dsiScov — j. <.^ -
fXsXsa xdXeyovg. ^ v^ _ ^^ _
0 Auf die Bedeutung dieses Xenokritos
in der Musik weist der Umstand hin, dass
die Griechen auch eine lokrische Harmonie
aufstellten.
2) Plut. de mus. 9; Ath. 626 b: Polyb.
IV, 20. 8.
^) Hymn. Ap. I, 150; Paus. X, 7. 4.
^) Allmählich erweitert aus gymnischen
Wettkämpfen zu rhapsodischen dann lyri-
schen, s. Bergk, Gr. Litt. IT, 149.
^) Sicher seit Perikles nach Plut. Per. 13.
«) Ath. 139 e.
^) Paus. IX, 31. 3; von diesen freilich
und den Hyakinthien ist die Zeit der Ein-
führung nicht bestimmbar. Vgl. Reisch, De
musicis Graecorum certaniinibus, Vind. 1885.
^) Ich sagte „wieder zur Geltung", da
die Zusammenfügung von 2 Füssen zu einer
Dipodie und von 2 Dipodien zu einem Di-
meter von Natur einfacher ist und sich
auch durch ihr Vorkommen bei anderen Völ-
kern als verbreiteter und älter erweist.
Diesem Grundgedanken von Usener's Buch
über den altgriechischen Versbau stimme
ich vollständig bei; aber den Versuch, die
Hälften des Hexameters nun auch zu solchen
Viertaktern zu machen, halte ich für eitle
Liebesmühe: im Anfang steht eben die
Messung nach der Zahl der Ikten, nicht nach
der der Sylben; die beiden Teile des Hexa-
meters aber haben nur je 3 Ikten, und die
wiederholte Erhöhung der 3 Ikten auf 4 durch
die an und für sich nicht unmögliche rhyth-
mische Messung -^ <^<^ -^ ^-^ - -i
würde eine unsägliche Langweile in diese
herrlichste Schöpfung der griechischen Poesie
bringen.
^) Die Aufschrift ist uns erhalten durch
Paus. X, 7. Si); einen Versuch, den Schluss-
teil in Distichen zu zwängen, gebe ich auf,
da er auf einfache Weise nicht gelingt und
da auch andere Weihinschriften, wie die zu
Dodona gefundenen, in Prosodiacis und Ado-
niis abgefasst sind.
106 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Die Ausbildung der Rhythmengeschlechter hatte zwar auch auf die Musik
Bezug und wirkte bereichernd und belebend auf sie zurück, sie hing aber
doch hauptsächlich mit der Entwicklung des dritten Hauptfaktors der griechi-
schen Lyrik, des Tanzes, zusammen. Denn beide, Rhythmus und Tanz, gingen
derart Hand in Hand bei den Griechen, dass dieselben zur Bezeichnung der
rhythmischen Begriffe Takt, Doppeltakt, Auftakt lauter von dem Tanz und dem
Schreiten hergeholte Ausdrücke {ttovq, ßdaig, uQocrodiaxdg, jisQiodog, (TTQ0(f7],
ccvTiaTQO(frj) gebrauchten. Die Liebe zu dem Tanz, nicht dem einförmigen Rasen
unserer Walzer, sondern den eurythmischen Bewegungen religiöser Fest-
feier, war den Griechen schon zu Homers Zeiten in Fleisch und Blut über-
gegangen; nicht bloss tanzen bei ihm die Jünglinge bei der Hochzeit und
Weinlese,^) auch zur Versöhnung des Apoll führen die Söhne der Achäer
Reigen auf, zum Tanze den Päan singend {A 472). 2) Glänzendere Entfal-
tung fand dann aber in unserer Periode die Orchestik auf der Lisel Kreta;
von dort verbreitete sie sich über die verwandten Staaten der Dorier auf
dem Festland, später auch über das übrige Griechenland, so dass bald
kein Götterfest, keine militärische Parade ohne Tanz und rhythmischen
Aufzug begangen wurde.
Zu dem Aufschwung der drei verschwisterten Künste Musik, Rhyth-
mik, Orchestik, hatten verschiedene Stämme Griechenlands mitgewirkt, zu-
meist die Aeolier Kleinasiens und die Dorier in Kreta, Delphi, Sparta;
neben den Griechen hatten aber auch die Barbaren Phrygiens und Lydiens
ihren guten Anteil an der neuen Kunstblüte, indem teils Musiker jener
Nachbarländer mit ihren heimatlichen Instrumenten und Sangweisen nach
den griechischen Kolonien Kleinasiens kamen, teils leichtfassende Griechen
den Fremden ihre Melodien ablauschten und zu ihnen griechische Text-
worte dichteten. Das Zusammenwirken dieser verschiedenen Kräfte drückt
sich in den Namen der hauptsächlichsten griechischen Tonarten aus, der
dorischen, äolischen, phrygischen, lydischen.^) Diese Tonarten oder Har-
monien sind ihrer technischen Bedeutung nach nur verschiedene Oktaven-
gattungen und Transpositionsskalen, ^) aber mit der verschiedenen Skala
und dem verschiedenen Schlusston hatte sich auch ein verschiedenes Ethos
verbunden, so dass die dorischen Melodien würdevolle Ruhe, die phrygi-
schen orgiastische Begeisterung, die lydischen zarte Weich eit, die äolischen
ritterlichen Stolz atmeten. ^^) Diese Unterschiede des Ethos erklären sich
^) Siehe oben § 75.
2) In Attika existierte ein Geschlecht
Evi^sTöca, das Hesychios als yevog 6Q)[7]ai(dv
y.al xi^ccQiarioy bezeichnet, und das bei Staats-
festen {ieQovQyUa) den Dienst von Tänzern,
Kitharaspielern und Sängern versah.
■^) Ptolemaios Harm. 2, G und Bakcheios c.
12 unterscheiden nur -3 Haupttonarten : JcoQioy,
'pQvyiov^ Av^iov. Weniger Beachtung ver-
dient Herakleides Pontikos bei Ath. 624 c,
(vgl . Pollux IV, 65), der unter einseitiger
Betonung des Reinhellenischen 3, den 3 Volks-
stämmen der Dorier, Aolier, lonier entspre-
chende Tonarten annimmt. Zu den 3 Grund-
tonarten des Ptolemaios kamen das Ilypodo-
rische oder Äolische, das Hypophrygische
oder Ionische, das Mixolydische. Das Ioni-
sche, dem Herakleides a. 0. etwas Herbes
und Stolzes, Plato de rep. 398 richtiger (vgl.
Aesch. Suppl. 69), etwas Weiches und Trun-
kenes beimass, kam erst durch Pythermos
auf, der nach Ath. 625 c vor Ananios und
Hipponax gelebt haben soll; das Mixolydische
hat nach Plut. de mus. 28 zuerst Sappho
und dann die Tragödie gebraucht.
^) Das Nähere lehrt mit Sachkenntnis
und genialer Kombinationsgabe Westphal
in dem der Rhythmik und Harmonik ge-
widmeten Bande seiner Metrik der Griechen.
"') Über das Ethos der Tonarten, das
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§ 83.)
107
kaum zur Genüge aus der Natur der Skalen ; sie hatten wohl ihren Haupt-
grund darin, dass von vornherein die in den betreffenden Tonarten gesetzten
Lieder einen bestimmten Charakter in Stimmung und Rhythmus^) hatten,
und dass dieser auch in der Folgezeit in den neuen Melodien und Ge-
sängen beibehalten wurde.
Auf solche Weise hatte die griechische Lyrik aus der älteren Zeit
einen reichen Fond von Melodien, Rhythmen und Tanzbewegungen ererbt;
die Dichter der nachfolgenden Periode, zu der wir uns jetzt wenden, haben
dafür gesorgt, dass es nun auch nicht an Versen und Texten für diesen
musikalischen Formenreichtum fehlte. Es fiel aber die Blüte der neuen
Gattung der lyrischen Poesie in eine Zeit, in der die alte Ordnung des
patriarchalischen Königtums in die Brüche ging und unter Kämpfen und
Parteiungen eine neue Zeit republikanischer Staatsverfassung und freierer
Bewegung allwärts in Griechenland heranbrach. Zum Ausdruck der sub-
jektiven Gefühle und Empfindungen, die durch den Umschwung der politi-
schen Verhältnisse geweckt und genährt wurden, eignete sich aber die
lyrische Poesie ungleich besser als die epische. Kein Wunder also, dass im
7. und 6. Jahrhundert die lyrischen Dichtungen sich des grösseren Anklangs
erfreuten und die litterarische Produktion beherrschten.
2. Die Elegie.')
83. Am wenigsten entfernte sich von der alten Sangweise der epischen
Poesie die Elegie. Im elegischen Distichon wurden nur 2 Verse zur Einheit
einer Periode verbunden, und der 2. Vers gehörte der gleichen Gattung des
daktylischen Rhythmengeschlechtes wie der erste an. Diesem 2. Vers, der
aus 2 katalektischen Tripodien bestand, gebührte speziell der Name slsyog.
Denn sXsyog bedeutete ursprünglich ein Klagelied,^) zur Klage aber eignete
sich vortrefflich jener Vers, mochte man nun durch Pausen die Unter-
brechungen des geraden Ganges ausfüllen oder die Schlusslängen zu lang-
angehaltenen Klagetönen*) anschwellen lassen:
>^.-^^ _ '^^^^
— ^-.A_/ _ \..,A_y I I oder — ""-^-^ —
7\ _ ^.-v>' — V>^^ — 7^
Von dem einfachen elsyog ist das abgeleitete sXsysiov sc. sTtog^) oder
ilsysia sc. oiöri abgeleitet, um die aus den 2 Versen, dem daktylischen
auch für die Erziehung der Jugend von Be-
deutung war, handeln Piaton de rep. p. 398,
Aristoteles Polit. VIII 5-7 u. Probl. 19,48,
Herakleides Pontikos bei Ath. 624 ff.
^) So passten die schweren Daktylo-Epi-
triten zur dorischen Tonart, die Choriamben
und Päone zur äolischen, die Bacchiaci und
Prosodiaci zur phrygischen, die Logaöden zur
lydischen und mixolydischen, die lambo-
Trochäen und loniker zur ionischen.
^) Haetung, Die griech. Elegiker, griech.
mit metr. übersetz., Leipz. 1859, 2 Bde. —
Francke, Callinus sive quaestiones de ori-
gine carminis elegiaci, Altena 1816. — Cae-
sar, De carminis Graecorum elegiaci ori-
gine et notione, Lips. 1837.
^) Eur. Troad. 119: roi^g ((e( (yuxQvujy
eXeyovg. Iph. Taur. 1091 : eXeyop otxxQov.
Hei. 85 und Iph. Taur. 146: cHvqov eleyop.
Schol. Arist. Av. 217: eXeyoi ol ngcg ccvXo^'
^^ofxevoi &Qr}voL. Procl. 242, 15 W. : ro
yag d^Qrjvog sXsyou sxdXovp ol naXaioi.
Et. M. 326, 49: sXsyog ' d^Qrjpog 6 xoTg ts-
yi^vEMöLu eniXsyo^svog. Zuerst kommt das
Wort in der Inschrift des Echembrotos (§ 80
An.) vor.
^) Die Elegoi an den angeführten Stellen
sind im anapästischen Versmass, nicht in
daktylischen Pentametern geschrieben, teilen
aber mit diesen die häufigen Katalexen,
welche ihnen den Namen Klaganapäste ein-
trugen.
■') iXsysToy zuerst bei Thuc. I, 132 und
Critias fr. 3.
108
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Hexameter und dem elegischen Pentameter gebildete Periode zu bezeichnen. 0
Der Ursprung des Namens Elegos ist dunkel; an die von den Alten ver-
suchte Herleitung von ev Xeysiv, die der Bedeutung des lateinischen elogium
zu gründe liegt, 2) ist nicht zu denken. Nicht viel besser ist die von Suidas
und Et. M. 326, 57 vertretene Ableitung aus dem fingierten Schlussvers s Xsyf
€ keys €, auf den der Refrain mXivov al'hvov eine bei Aischylos Agam. 121
geführt zu haben scheint. Wahrscheinlich stammt das Wort aus der Fremde
und kam aus Armenien über Phrygien zu den loniern Kleinasiens. ^)
Der Dichtung von Texten im elegischen Versmass ging die Anwen-
dung und Ausbildung des elegischen Rhythmus in der Musik voraus, und
da das spezifische Instrument der Klage die Flöte war, so dürfen wir in
der Überlieferung des Suidas, dass schon Olympos Elegien dichtete, einen
Kern von Wahrheit finden.^) Die Melodie gefiel, und bald dichtete man
zu ihr auch Texte, die nicht direkt zur Totenklage bestimmt waren ;^) all-
gemach gewöhnte man sich auch daran, Dichtungen im elegischen Vers-
mass nicht mehr nach jener Melodie zu singen, sondern frei in der Weise
epischer Gedichte zu deklamieren. Die Vortragsweise mit und ohne Gesang
mochte sich lange nebeneinander erhalten haben : von den Elegien des Selon
gebraucht Piaton, Tim. 21c bald den Ausdruck aSeiv, bald den QocipfoSetv;
die Elegien des Phokylides wurden nach Chamaileon bei Athen. 620c ge-
sungen, nach einem anonymen Metriker bei Ath.[632d aber gehörte Pho-
kylides mit Xenophanes, Selon, Theognis, Periander zu denjenigen, die zu
ihren Gedichten keine Melodie mehr fügten.^)
Die Elegie als Dichtung fand ihre erste Ausbildung im asiatischen
lonien, mag man nun, worüber die Alten stritten,') Archilochos oder Kal-
linos oder Mimnermos für Erfinder dieser Dichtgattung halten. Sie ent-
stand also in demselben Land, in welchem das Epos seine Blüte erreicht
hatte; daraus erklärt es sich, dass die Elegiker im grossen Ganzen der
Sprache Homers folgten, und dass auch der Dorier Theognis in seinen
Elegien die ionische Sprache redete.^) Ihren Platz hatte die Elegie an-
^) Der Gebrauch des Femininums kam
in der Zeit des Dionysios Hai. auf und er-
zeugte das lateinische elegia. Die Versuche,
einen tieferen Unterschied zwischen eXsyog
und iXsyerov zu statuieren, werden zurück-
gewiesen von Welckgr, Kl. Sehr. T, 65 ff.
2) Procl. 242, 17; Et. M. 326, 52; Orion
p. 58, 7 ff. Die verschiedenen Etymologien
gehen auf Didymos nsQl -noirjnav zurück; s.
])idymos bei Orion. Eine neue Herleitung
bei UsENER, Altgr. Versbau S. 113.
^) BöTTiCHER, Arica S. 34 geht auf arm.
eUgn = Rohr, und arm. eiern = Unglück
zurück, hat aber als de Lagarde, Armen.
Stud. p. 8, worauf mich mein Freund E.
Kuhn aufmerksam machte, jene Ableitung
selbst wieder zurückgenommen. Auf Karien
weist die Glosse des Photios KccQLxrj ^ovari •
jji ^o7]VM(hi. Phönizischen Ursprung sucht
zu erweisen Tmmisch, Verh. d. 40 Vers. d.
Phil, in Görlitz.
"*) Einer der aulodischen Nomen des
Klonas hiess tXsyoi nach Plut. de mus. 4.
Das Singen dazu heisst cI^elv vn' avXrjirjQog
bei Archil. fr. 122 u. Theognis 533. Von
iXsysTa nQOGa^ofAEva xoTg avAor? spricht Paus.
X, 7. 5.
^) Richtig im übrigen Horaz a. p. 75 :
versibus impariter iunctis querimonia pn- t
imim, post etiam inclusa est voti sententia
compos.
^) Rohde, Griech. Roman 140 f. ver-
wirft die Glaubwürdigkeit des letzten Zeug-
nisses.
') Horaz a. p. 77: quis tarnen exiguos
elegos emiserit anctor, Grammatici certant
et adhuc suh iudice lis est. Vgl. Didymos
p. 387 Schm.
^) Kleine Abweichungen von Homer im
Anschluss an den Dialekt seiner Heimat,
wie xiog statt niug, erlaubte sich schon Kal-
linos; ausserdem gestatteten sich die Ele-
giker nicht mehr die altertümlichen oder äoli-
schen Formen Homers, wie die Instrumentale
II
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§ 84—85.)
109
fänglich, ebenso wie die Flöte, bei den Klagen der Totenfeier und bei den Ge-
sängen der Festgelage. Aus der threnodischen Elegie hat sich im weiteren
Verlauf das Grab epigram m entwickelt ;i) die sympotische Elegie nahm frühe
einen teils erotischen, teils paränetischen oder politischen Ton an. Durch
Antimachos, den Verfasser der Lyde, erhielt die Elegie den bei den Ale-
xandrinern weiter entwickelten Charakter romantischer Erotik und senti-
mentaler Gefühlsschwärmerei. Wir folgen ohne Unterabteilung der zeit-
lichen Ordnung, indem wir nur noch im allgemeinen bemerken, dass, wer
von dem lyrischen Dichter edle, hohe Gedanken und erhebende Lebens-
weisheit in schöner, gewählter Form sucht, dieses Ideal in keiner Dich-
tungsart besser als in der Elegie der Griechen verkörpert finden kann.
84. Kallin OS aus Ephesos, älterer Zeitgenosse des Archilochos,^)
lebte in der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts^ als die Kimmerier von Norden
her in das Land der Phrygier, Lydier und der griechischen Kolonien ein-
brachen. Auf diesen Einfall und den Krieg seiner Vaterstadt mit Magnesia
am Mäander beziehen sich die wenigen Fragmente unseres Dichters, in
denen er seine Mitbürger zum ruhmvollen Kampf für das Vaterland anfeuert.
85. Tyrtaios, Sohn des Echembrotos, trat ganz in die Fusstapfen
des Kallinos. Er blühte zur Zeit des 2. messenischen Krieges, mit dessen
Geschichte seine eigenen Geschicke eng verbunden waren. Nach der Er-
zählung der Athener hatten die Lakedämonier, als sie durch den lang sich
hinziehenden Krieg in Bedrängnis gekommen waren, sich Hilfe von den
Athenern erbeten, und hatten diese ihnen einen lahmen Schulmeister, unsern
Tyrtaios, geschickt, der sie mit seinen Kriegsliedern so begeisterte, dass
sie über ihre Feinde Herr wurden. 3) Aber das war wahrscheinlich nur
eine der Eitelkeit der Athener zulieb erfundene Fabel, zu der vielleicht die
Überlieferung, dass Tyrtaios aus Aphidna, dem lakonischen nämlich, nicht
attischen, stamme, die Handhabe geboten hatte.^) Denn wenn Tyrtaios
fr. 2 singt
aviog ydg Kqoviwv, xaXXi(TTa'(favog noüig ^'Hqt^q,
Zevg '^HQaxXeiSjjg TijvSs S&Sojxs rcöXiv^
oiaiv afiia nQoXiTiövTsg ^EQirtor rjrsfioavTa
evQeiav HtXonog vrj(^ov a(fix6fi€0^a,
auf cpi und die Infinitive auf /uspca; vergl.
Renner, Quaestiones de dialecto antiquioris
Graecorum poesis elegiacae et iamhicae, in
Curtius Stud. 1, 134 ff.
^) Hesych. ; eleyeut • tu ennäcpia noirj-
fXdCTCi.
^) Nach Strabon p. 647 sah Kallinos Mag-
nesia noch in Blüte und sprach Archilochos
schon von dessen Fall; ähnlich Clem. Alex,
ström. I, 333. Die Eroberung von Sardes
durch die Kimmerier geschah unter Ardys,
dem Nachfolger des Gyges (687—652), wie
Herodot I, 15 angibt; über den Anfang des
Einfalls unter Gyges unterrichten uns die
Keilinschriften, worüber Geigek, De Callini
aetate, Erlangen 1877, der die Blüte des
Kallinos auf 652 setzt; vgl. Caesae, De Ccd-
lini aetate, Marburg 1837, mit einem Nach-
trag 1876.
2) Die ältesten Gewährsmänner sind
Lykurg in Leoer. 28 und Piaton Legg. I
p. 269"^. Wiederholt ist die Fabel von Dio-
dor XV, 67; Paus. IV, 15; lustin. III, 6;
Themist. or. XV p. 197; Schol.Plat. a. 0. Die
Opposition des Strabon p. 362 scheint auf den
lakonischen Lokalforscher Sosibios zurückzu-
gehen. Die Unrichtigkeit der Überlieferung
erwiesen von Fe. Thieesch, De gnomicis
carmimbus Graecorum, in Acta phil. Mon.
III, 587 fl. Eine ähnliche Anekdote bei Valer.
Max. I, 5 p. 20 Halm.: Samii Frienensihus
auxilium adversiis Cares 'petentibus in de-
risum sibyllatn miserunt, hanc pro exercitu
ac classe afferentes; qua duce usi Prienenses
bellum consummaverunt. Widerspruch von
Beegk, Gr. Litt. II, 244.
^) Beide Aphidna unterschieden von
Steph. Byz. in 'Acpidya.
110
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
so bekennt er sich damit deutlich als einen der Lakedämonier, und wenn
er gar in einer anderen Elegie nach Strabon p. 362 von sich als Führer
im Kriege sprach, so passte dieses doch nicht auf einen fremden lahmen
Schulmeister. Dunkel ist die weitere Angabe des Suidas TvQTatog' yidxwv
r] Mih-jöiog ; vielleicht hatte Tyrtaeus in seiner Jugend Milet besucht
und dort die Art der ionischen Elegie kennen gelernt. Die Gedichte
desselben brachten die Alexandriner in 5 Bücher; am gefeiertsten war
unter ihnen die Evrofiia, mit welcher er die Zwietracht der Lakedämonier
beschwichtigte; berühmt ist aus ihr der Vers
d (filoxQrjficcTir: 2ndQTav oket, aXko St ovSiv.'^)
Aus einem anderen Teil, viro^^xai, überschrieben, sind uns 3 voll-
ständige Elegien erhalten, welche ganz im Geiste des Kallinos zur Tapfer-
keit mahnen und vor der Schande der Feigheit warnen. 2) Von den
Elegien unterschieden waren die 'EinßaTt]Qia, Marschlieder im anapä-
stischen Rhythmus, voll kriegerischen Feuers, von denen uns einige Verse
erhalten sind.^) Auch nach des Dichters Tod blieben seine Werke bei
den kriegerischen Doriern in hoher Ehre : sie wurden nicht bloss nach
Kreta gebracht,*) sondern auch von den Lakedämoniern regelmässig im
Lager nach dem Tischgebet oder Päan gesungen, wobei der Polemarch
nach alter Sitte dem, der am besten gesungen, ein Stück Fleisch als
Preis gab.ö)
86. Mimnermos aus Kolophon^) blühte gegen Ende des 7. Jahrb., ^)
als die ionischen Städte Kleinasiens, insbesondere auch Smyrna und Kolo-
phon, den Angriffen der Lyderkönige unterlegen waren und infolgedessen
in weichlichen Luxus verfielen. In einer Elegie, fr. 14, knüpfte er noch
an den Charakter der älteren Elegie an, indem er den Heldenmut der
Smyrnäer in der Schlacht gegen den König Gyges besang, vermutlich in
der Absicht, dieselben zu gleich mutiger Ausdauer gegen den erneuerten
Ansturm des Königs Sadyattes anzufeuern. Aber in seinen anderen Elegien
schlägt er einen ganz verschiedenen Ton an, indem er in schwärmerischer
Sentimentalität seine Liebe zur schönen Nanno besingt und in wehmütigen
Weisen das rasche Hinwelken der Jugend und des Liebesglücks beklagt.
Dieser erotische Charakter seiner Elegien machte ihn zum Liebling der
alexandrinischen und römischen Elegiker.^) Übrigens war Mimnermos nicht
bloss Dichter, sondern auch Flötenspieler und Erfinder auletischer Nomen,
unter denen der KQudiag vofxog einen besonderen Klang hatte. ^)
^) Lykurg in Leoer. 28; Arist. Polit. Y,
6. 2.
^) Daher Horaz a. p. 402: Tyrtaeusque
mares animos in Martia hella versibus exa-
cuit. Es wird sogar vermutet, dass bei Stob.
Flor. 51, 19 in der Lücke der Name Tvq-
Tcuog ausgefallen sei und so auch die ein-
zige längere Elegie des Kallinos dem Tyr-
taios angehöre.
^) Cic.Tusc.disp.il, 16; Ammian. Marc.
XXIV, 6.
4) Plat. Legg. I p. 629 b.
^) Philochoros bei Ath. 630 f.; vergl.
Lykurg c. Leoer. 107.
^) Suidas: MlfxysQfxog AiyvQXia^ov, Ko-
Xocpojyiog rj IfxvQvcdog ij 'AarvTjaXaiEvg. unter
dem Namen Aiyvaojiüör] redet ihn Solon
fr. 20 an. Er selbst besingt fr. 9 die Ein-
nahme von Smyrna durch die Kolophonier.
^) Suidas setzt ihn Ol. 37, was Rohde,
Rh. M. 33, 201 aufklärt.
^) Propertius I, 9. 11: plus m amore
valet Mimnermi versus Homero. Charakte-
ristisch für ihn ist der Vers rig de ßiog, rl
de TEQTivov (ivEv /Qvaetjg 'Jq:Qodiji]g;
°) Plut. de mus 8: x«t liXlog d'eoTii'
cfQ^aTog pojLiog yaXovfuerog K^adiag, oV q:i]Oiv
'Innwva^ MifxyeQfxoi^ ccvXrjacci ' ev f^QXU T^^^Q
B, Lyrik. 2. Die Elegie. (86-87.)
111
87. Solon (um 639 — 559), i) der weise Gesetzgeber und grosse Patriot
Athens, ist zugleich der erste Athener, der seine Vaterstadt auf die Bahn
poetischen und litterarischen Ruhmes wies. Von dem 7. Jahrhundert an zog
sich überhaupt das geistige Leben Griechenlands von Kleinasien, wo es
unter günstigen Anregungen zuerst erblüht war, dann aber dem Vordringen
barbarischer Despotien erlag, allgemach wieder nach dem griechischen
Festland zurück. Athen insbesondere begann damals sich als See- und
Handelsmacht zu heben und hatte das Glück aus der Krisis innerer Par-
teiungen mit gesteigerter Kraft hervorzugehen. Solon, der selbst von dem
Geschlechte der Kodriden abstammte, aber einen besseren Adelsbrief sich
durch edle Gesinnung und reiche, auf Reisen in Ägypten und Asien ''^) ver-
mehrte Erfahrungen erworben hatte, war berufen in jenem politischen
Gährungsprozess seiner Vaterstadt eine hervorragende Rolle zu spielen.
In dem Streit der Megarer und Athener um den Besitz von Salamis rief er
seine Mitbürger zu einer letzten Kraftanstrengung und zur Wiedereroberung
der schönen Insel auf (604). Als Archon im Jahre 594/3 beruhigte er
den Groll der verschuldeten Kleinbürger durch die von den Reichen leichter
ertragene Massregel der Herabsetzung des Münzfusses ^) und unternahm
das grosse Gesetzgebungswerk, das in der Sanktionierung und Aufstellung
der hölzernen Gesetzestafeln (xvQßsig oder a^ovsg) auf der Akropolis seinen
Abschluss fand. Eine dauernde Beilegung des Parteihaders gelang ihm
freilich nicht; er musste es noch erleben, dass Peisistratos, gestützt auf
die demokratische Gebirgsbevölkerung, die Macht der Optimaten brach und
sich der Tyrannis bemächtigte (561); den Beginn der Tyrannis überlebte
er nur 2 Jahre; 80 Jahre alt starb er in Kypern.'*) Zur Weisheit und
Thatkraft eines Staatsmannes war dem Solon auch die schöne Gabe der
Poesie von der Mutter Natur verliehen. In jungen Jahren sang er wohl
auch von sorgenloser Lebensfreude und ausgelassener Liebeslust (fr. 23
bis 26) ;5) in reiferen Jahren aber stellte er die Poesie in den Dienst der
Politik, indem er durch Verse, wie Spätere durch Reden, ^) auf das Volk
einzuwirken suchte und dasselbe in seinen Elegien bald zu mutigen Unter-
iXsysTa ^sfj.slonoirjfxeva oi cwXiodol fiauv.
Vgl. Strabon p. 643. Das Wort bedeutet
Feigenastweise, worüber Müller, Gr. Litt.
l\ 175.
') Plutarch, Leben Solons; seine Haupt-
quelle war Hermippos, der aber schon von
dem Leben des weisen Mannes, von dem er
wenig zuverlässiges wusste, eine lialbroman-
hafte Darstellung gegeben hatte.
■'^) Die Reisen des Solon sind besonders
in Fabeln gehüllt worden. Die Angaben
über die Veranlassung derselben durch die
Tyrannis des Peisistratos und über die Grün-
dung von Soloi in Kilikien (bei Hesych.)
sind ganz unhaltbar; aber selbst die Unter-
redung mit Kroisos, von der schon Herodot
I, 29 berichtet, erregt Bedenken, da zur Zeit,
wo Solon in Asien war, Kroisos noch nicht
zur Herrschaft gelangt sein konnte. Die
Bedenken sucht zu zerstreuen Ungek, Jahrb.
f. Phil. 1883 S. 383 ff. Gut bezeugt ist die
Reise nach Ägypten durch Herodot I, 29,
Piaton Krit. 108 d, Plut. Sol. 2 und Solon selbst
fr. 28, ebenso durch Solon fr. 19 die Reise
nach Kypern. Nach Herodot machte er die
Reisen nach seiner Gesetzgebung, die Neu-
eren denken eher an Handelsreisen des
jungen Solon.
^) HuLTSCH, Griech. u. röm. Metrologie,
2. Aufl. S. 200 ff.
') Diog. I, 62; ebenso Schol. Plat. de
rep. X p. 599, wo der Artikel des Hesychios
Mil. etwas vollständiger wie von Suidas
wiedergegeben ist. Das Todesjahr icp' 'Hye-
GTQc'aov ciQxovjog gibt Phanias bei Plut. Sol.
32. Nach Herakleides bei Plut. Sol. 31 blieb
Solon in Athen und lebte noch längere Zeit
in gutem Einvernehmen mit Peisistratos.
5) Plut. Sol. 3.
^) Diog. I, 61 schreibt ihm geradezu
Demegorien zu.
112
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
nehmungen, bald zur Eintracht und Gesetzlichkeit aulforderte. Nach Diog.
1,61 hatte man von ihm in 5000 Versen Elegien, lamben und Epoden. Die
einzelnen Abteilungen hatten besondere Titel, wie ^aXafxig, vrrod^rjxai slg
'A^rjvaiovg, VTTO&fjxai slg iavrov, nqog KgiTiar, Jiqog (J>iX6xvTiqov. Erhalten
haben sich von ihm ausser kleineren Bruchstücken von lamben, trochäischen
Tetrametern und Skolien mehrere Elegien, welche die schönsten Seiten der
attischen Denkweise, heitere Lebensfreude, Mass im Genuss, besonnenes
Handeln, thatkräftiges Eintreten für den Staat und das Gemeinwohl, in
einschmeichelnden Versen^) zum Ausdruck bringen. Nach Verdienst haben
daher die Athener die Gedichte des Solon, wie die Spartaner die des Tyr-
taios, in dankbarem Andenken behalten. Am Feste der Apaturien sangen
die Kinder dieselben im Wettgesang, indem die Eltern dazu Preise gaben, 2)
und nicht bloss preist Piaton den durch Kritias ihm verwandten Dichter
in überschwenglichen Worten,^) sondern auch Demosthenes fand aufmerk-
sames Ohr bei den Richtern, als er ihnen in der Rede über die falsche
Gesandtschaft § 255 eine ganze Elegie des grossen Volksfreundes vorlas.
88. Solon galt zugleich als einer der Sieben Weisen; daher mögen
auch über diese einige Worte hier eingeflochten werden, wenn dieselben
auch mehr Männer der praktischen Lebensweisheit als der Theorie und
Litter atur waren. Die Namen derselben sind bei dem ältesten Gewährs-
mann, Piaton Protag. p. 343a, Thaies aus Milet, Pittakos aus Mytilene,
Blas aus Prione, Solon aus Athen, Kleobulos aus Lindos,^) Myson aus
Chen, Chile n aus Lakedämon. Spätere setzten an die Stelle des Myson
den Periander aus Korinth.^) Seit alters kursierten von diesen kurze
Kernsprüche, wie yrco^i (XsavTov, ixrjSh' ayav, {xstqov aQWTOv, syyva TiaQu
dUrcc.^) Vermutlich rührt sogar die Zusammenstellung der 7 Weisen von
einem alten Weisheitsspiegel her, in dem zu ünterrichtszwecken derartige
Sprüche unter Beifügung des Autornamens zusammengestellt waren. Später
wurden denselben nicht nur immer mehr Sprüche und Sentenzen, sondern
einigen von ihnen, wie dem Chilon, Pittakos, Periander, auch Elegien,
Rätsel {yQi(foi) und Skolien untergeschoben; gegen die Echtheit der letzteren
spricht schon das Versmass, das uns in die Zeit nach Euripides weist. ^)
Auch von der Kleobulina, der Tochter des Kleobulos, sind uns einige
Rätsel erhalten.
89. Phokylides aus Milet und Demodokos von der Insel Leros
'} Strophische Gliederung weist nach
Weil, Rh. M. 17, 1 ff.
2) Plat. Tim. p. 21b.
^) Ibid.: r« re üXka aoipcüTaroy yeyo-
vivai IoXmpcc xcd xard rijy noirjaip av twp
7ioLr}T(üv nuvTiDr e'kev&SQUoxcaov ' xara yifxiqv
do^ay 0VZ6 Haloö'og ovre Ofxt]Qog ovie ccXkog
ovdsig noirjTrjq svdoxif^ujTSQog iyiysro liv
TTOr' UVTOV.
^) Diesem Kleobulos wurde auch das
Epigramm auf der Grabsäule des Midas zu-
geschrieben, wie Simonides bei Diog. Laert.
1, 89 bezeugt.
^) Eine Herme des Periander findet sich
in der Villa Borghese.
^) Diese Sprüche {dnocpyi^EyfxaTa) wuiden
gesammelt von Demetrios aus Phaleron, wo-
raus Stobäus Floril. 3, 79 und spätere grie-
chische und lateinische Spruchsammlungen
schöpften. Eine griechische in lamben pub-
lizierte WöLFFLiN in Sitzb. d. b, Ak. 188G
S. 287 ff., zwei lateinische Brunco, Bayreuther
Progr. 1885. Über die Unechtheit der den
7 Weisen zugeschriebenen, durch Diogenes
zum Teil noch erhaltenen Skolien vergl.
Müller, Gr. Litt. I, 343.
') Freigebig in Erdichtung von Werken
war besonders der Grammatiker Lobon; s.
Hiller, Die lit. Thätigkeit der 7 Weisen,
Rh. M. 33, 518 ff.
B. Lyrik. 2. Die Elegie. (§ 88 -90.)
113
waren gleichzeitige gnomische Dichter, die in ihren Versen sich gegenseitig
neckten. Die Blüte des berühmteren von ihnen, des Phokylides, wird von
Suidas auf 537 v. Chr. gesetzt; er hatte Sittenregeln in Hexametern und
Distichen geschrieben, die durch den einförmig wiederholten Anfang xal
TÖde (DwxvXiöüü) in Absätze von wenigen Versen zerfielen.^) Von ihnen sind
nur wenige, gelegentlich zitierte Verse auf uns gekommen. Dagegen sind
vollständig erhalten die sogenannten Phokylidea, ein ehemals vielgelese-
nes, den zehn Geboten gleichgestelltes Lehrgedicht in 230 Hexametern,^)
das schon gleich im Anfang durch den Vers rcgcoTa d^sdv TifÄU, iisr^itEiTa
dt aeio yovrag an die Gesetze der Juden erinnert. Zweifel an der Echtheit des
Gedichtes dämmerten zuerst dem Heidelberger Gelehrten Sylburg auf; Jos.
Scaliger wies dann bestimmter auf die Übereinstimmung einzelner Sätze,
wie von der Auferstehung des Fleisches (V. 103) und der Aushebung der
Vogelnester (V. 84 f. = Deut. 22,6), mit der Lehre der Bibel hin und Hess
die Wahl zwischen einem jüdischen oder christlichen Fälscher. Zum Ab-
schluss brachte die Frage Jak. Bernays in der klassischen Abhandlung,
Über das phokylideische Gedicht (Ges. Abb. I, 192 — 266), indem er nach-
wies, dass der Fälscher zu den alexandrinischen Juden gehörte, und in
der Zeit zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem Kaiser Nero gelebt
haben muss.^)
90. Theognis ist der einzige Spruchdichter, dessen Elegien in einiger
Vollständigkeit auf uns gekommen sind. Seine Abkunft und seine Lebens-
zeit war bestritten: der älteste Zeuge, Piaton in den Gesetzen I p. 630a
nennt ihn einen Bürger des hybläischen Megara in Sikilien.^) Das muss
aber ein Irrtum sein; Theognis war wohl nach Sikilien gekommen und
hatte in einem Gedicht der rühmlichen Thaten der hybläischen Megarenser
gedacht;^) aber er bezeugt selbst V. 782 ff., dass seine Wiege nicht in
Sikilien, sondern in dem nisäischen Megara, der Stadt des Alkathoos, stund.
Nicht minder waren bezüglich seiner Lebenszeit schon im Altertum falsche
Meinungen verbreitet. Eusebios und Suidas setzen ihn Ol. 58, 3 ; nun spricht
aber Theognis selbst an 2 Stellen V. 764 und 775 von der Gefahr, die
seiner Heimatstadt von den Medern drohe. Das kann man mit jener Über-
lieferung nur vereinigen, wenn man den Mederkrieg auf die Unterneh-
mungen des persischen Heerführers Harpagos gegen die ionischen Staaten
Kleinasiens deutet. ^) Aber die Gefahr für Megara lag damals noch in sehr
weiter Ferne ; die ward erst greifbar mit dem Zug des Mardonios gegen das
') Dio Chrys. or. 36, 12.
''^) Von Suidas genannt naQcupsaeic, ypM-
fxai, x£(puXai(i, in der ed. princ. 7ioi?]fut< vov-
'') Nur der eine Vers 129 Ttjg Je x^eo-
nvEVGXov oocpb]g Xoyog iarly aQioxog scheint
die christliche Logoslehre vorauszusetzen;
Bernays hat denselben als Interpolation ge-
strichen.
"*) Nach Piaton auch Suidas; dem ent-
gegen trat Didymos in den Schollen zu Pia-
ton 1. 1. für das nisäische Megara ein, ebenso
Harpokration u, Geoyvig. Beloch, Jhrb. f.
Phil. 137 (1888) S. 729 nimmt seine Zuflucht
Handbuch der klass. AlterUimswissenschaft. VII. 2,
zur zweifelhaften Annahme, dass Theognis
in dem sikilischen Megara geboren und von
dort um 490 vertrieben, in dem nisäischen
Megara Aufnahme gefunden habe.
'"") Vermutlich in der von Suidas ange-
führten E^eysici eig rovg GM^heviag xwp Iv-
Qaxovoioiu iy zfj rfoXioQxUt. Piaton wird den
Gelehrten von Syrakus, die sich auf diese
Elegie stützten, gefolgt sein. Sitzler in der
Ausg. p. 52 und Flach, Griech. Lyr. p. 412
wollen jene Elegie unserem Theognis ab-
sprechen.
«) So RoHDE, Rh. M. 33, 170, der jene
Verse um 540 gedichtet sein lässt.
Autl. 8
114
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
griechische Mutterland (492). Auf diesen also deuten wir jene Verse, und
dieses um so unbedenklicher, als auch eine andere Stelle, V. 891 — 4 von
der Verheerung der lelantischen Ebene durch die Kypseliden, d. i. die
Athener unter dem Kypseliden Miltiades, uns bis auf 506 herabführt. Da-
nach blühte Theognis in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts und erlebte noch
die Gefahr eines nahenden Kriegszugs der Perser. Sein Leben war ein
ausserordentlich bewegtes und fiel in die Zeit heftigster, innerer Parteikämpfe.
Es befehdeten sich nämlich im 6. Jahrhundert in Megara wie in anderen
Staaten Griechenlands aufs grimmigste der alte Adel und der mit Hilfe von
Tyrannen oder demagogischen Parteichefs zur Macht anstrebende Demos.
Theognis selbst war ein entschiedener Anhänger der Adelspartei und schaute
mit dem ganzen Hochmut eines eingefleischten Junkers auf die Gemeinen
(xaxoi) herab. ^) Aber er hatte, als die Volkspartei zur Herrschaft gelangt
war, seinen Hochmut schwer büssen müssen. Seiner Güter beraubt, musste
er lange das Brot der Verbannung essen und kam bei dieser Gelegenheit
nach Sikilien, Böotien, Euböa, Sparta.^) Später kehrte er wieder in seine
Vaterstadt zurück und schickte sich in die veränderte Staatsordnung,'')
doch ohne den Verlust seiner Güter zu verschmerzen und ohne seiner
aristokratischen Gesinnung untreu zu werden.
Geschrieben hat Theognis ausser der Elegie auf die gefallenen Syra-
kusaner ein Spruchgedicht an seinen geliebten Kyrnos und mehrere Unter-
weisungen an andere Genossen. 4) Auf uns gekommen ist eine Sentenzen-
sammlung von 694 Distichen in 2 Büchern, von denen das erste (1 — 1230)
politisch-moralische Sprüche, das zweite, das nur in dem Cod. Mutinensis
und in diesem nicht vollständig erhalten ist, erotische Verse auf die Liebe
zu schönen Knaben (jicuSiTtä) enthält. •"•) Den Grundstock der Sammlung<^)
bildet das Gedicht an Kyrnos, den Sohn des Polypais, einen edlen Jüng-
ling, den der Dichter mit väterlicher, aber doch der Sinnlichkeit nicht
ganz entbehrender Zuneigung^) in die Lebensweisheit und die Grundsätze
des aristokratischen Regimentes einführen will. Eingelegt sind Stücke aus
den übrigen vnoO^ijxai des Theognis, namentlich aus den Elegien an seine
Freunde und Zechgenossen Simonides, Klearistos, Onomakritos, Demokies,
die alle, ebenso wie Kyrnos, wiederholt in den Elegien angeredet sind.
') Siehe besonders V. 846 ff.
2) V. 783 ff., 879, 891, 1209. Die Nach-
richten über Kyme, Kolophon, Magnesia
(1103 f. u. 1024) entnahm er wohl dem Kal-
linos.
3) V. 945 ff. u. 331 f.^
^1 Suidas: tyQaxpev iXsysiay sig rovg
Güid^Evxac Tiüv ZvQay,oai(jDV ev rfj nokioQxUc,
yyo)fiag cTt' iXsyeiag eig 67T7] ,ßc6, [xcd] nQog
KvQvov xöv civrov eqm^svov yvMfj.o'koyiuv dt
iXeye'iiov xal sreQag vnodijy.ag naQaLysrixcig,
rd näfXK inixojg. Dass er ausser Elegien
auch Gedichte in anderen Versmassen dich-
tete, schliesst Bergk, Gr. Litt. II, 309 aus
Plat. Men. 95 d. Wahrscheinlich hatte die
ganze Sammlung die 2800 Verse, welche
Suidas erwähnt.
°) Die Echtheit des 2. Buches bestreiten
Hiller, Jahrb. f. Phil. 1881, p. 471 f.,
CouAT, Le second livre d'elegies attrihue a
Theognis, Bordeaux 1883, Akth. Coesekn,
Quaestiones TJieognideae, Geestemünde,
Progr. 1887.
*^) Das 1. wie das 2. Buch, da in beiden
sich Kyrnos angeredet findet; die anzüglichen,
auf Knabenliebe bezüglichen Verse wollte
offenbar der Anordner aus dem ersten, für
die Jugendunterweisung bestimmten Buche
weglassen.
^) V. 1049: (Jol (f' iyuj otä ts Ticdöl
■narrjQ vnoSi^Go^uM ccviog Das sinnliche Ver-
hältnis erkennbar aus V. 253 f. Gegen den
Vorwurf der Knabenliebe den Theognis ver-
teidigen, hiesse einen Mohren weiss waschen.
Über die Knabenliebe der Megarenser vgl.
Theokrit. XII, 27 ff.
I
B. Lyrik. 3. Die iambische Poesie. (§ 91.) 115
o
Aber es finden sich auch Verse von anderen Dichtern (von Solon 227 — 232.
1231 f., Mimnermos 795 f., Tyrtaios 935 — 8, Buenos 472) eingemischt,
zunächst wohl als Parallelen zu Sprüchen des Theognis. Aber auch damit
nicht genug, begegnen uns an verschiedenen Stellen zwei Fassungen der-
selben Sentenz, eine getreuere, ursprüngliche, und eine gekürzte, der
gangbaren Sprache näher gerückte, wofür das einleuchtendste Beispiel die
Vergleichung von V. 213 — 8 und 1071 — 4 bietet, sei es nun, dass gleich
der Anordner der Sammlung echtes mit interpoliertem und fremdem
mischte, sei es, dass erst Spätere die alte reinere Sammlung interpolierten.
Wir haben also offenbar eine Blütenlese vor uns; von wem und wann
dieselbe veranstaltet wurde, wissen wir nicht. Isokrates an Nikokles c. 43
kannte noch keine derartige.') Offenbar aber hat der Anordner, wenn er
sich auch im allgemeinen an die Ordnung des Originalwerkes hielt, manches
aus dem einen Buch in das andere versetzt und vieles andere verkürzt
und des individuellen Charakters entkleidet. Doch tritt auch so noch die
Persönlichkeit des Dichters und der Ton seiner Poesie deutlich uns entgegen.
Theognis war ein verbissener und verbitterter Aristokrat, aber dabei eine
originelle Dichternatur, voll Lust an Wein und Gesang, dazu von leiden-
schaftlicher Liebe zu seinem Liebling. Seine Elegien sollten nur indirekt
zur sittlichen und politischen Unterweisung dienen ; zunächst waren sie zum
Gesang bei den Gastgelagen bestimmt, 2) wie besonders aus V. 241 hervorgeht:
xai (fe avr avXiaxoiai hyvcpS^öyyoig vtoi avSqsg
evxöüiiMg eqaTol xaXd zs xal Xiyt'u adovrai.
Erst später wurden sie ohne Flötenbegleitung vorgetragen 3) und unter
dem Einfluss der Sokratiker, des Piaton, Xenophon und Isokrates in die
attischen Schulen als Tugendspiegel eingeführt. Ihrer bis gegen Ende des
Altertums andauernden Beliebtheit verdanken wir die Erhaltung unserer
Sammlung, durch die indes frühzeitig die ursprünglichen Ausgaben ver-
drängt wurden.
Haupthandschrift: Cod. Miitinensis s. X (A) jetzt in Paris; ihr zunächst Vatic, 915
s, XIII (neue Mitteilungen von Jordan, Quaest. Theognideae, Regiom. 1885). — Ausgaben
mit krit. Apparat von I. Bekker, ßerol. 1815 u. 1827. — Ziegler ed. II, Tub. 1880. —
Sitzler, Heidelb. 1880. ~ Daneben die einschneidende Bearbeitung von Bergk in FLG.
Der Eiklärung und Anordnung gewidmet ist die Ausgabe von Welcker, Francof. 1826, —
Guter Jahresbericht von Leutsch, Phil. 29, 636—90.
91. Elegien haben ausserdem in der älteren Periode die von uns an
anderer Stelle behandelten Dichter Archilochos, Asios, Xenophanes, Parme-
nides gedichtet, denen ich ehrenhalber die epigrammatischen Spruch verse des
Hipparch auf den von ihm an den Landstrassen gesetzten Hermen an-
füge (Plat. Hipp. 228 c). In der attischen Periode nach den Perserkriegen
fand das Epigramm und die Elegie, namentlich die sympotische, eifrige
^j Nach NiETSCHE, Zur Geschichte der
Theogn. Spruchsammlung, Rh. M. 22, 181 iF.
ist die Sammlung zwischen Piaton und Ptole-
maios Philadelphos entstanden, aber später er-
weitert worden. Vermittelst subtiler metri-
scher und prosodischer Beobachtungen sucht
die späteren Bestandteile aus der attischen
und alexandrinischen Zeit von den alten des
Theognis zu sondern Sitzler im Tauber- ; Zeit entnommen.
bischofsheimer Progr. 1885.
'') Der Anfang eines Distichons V. 1365
CO naidcüi/ xdlXioxe, auf einer Trinkschale
von Tanagra in Mit. d. arch. Inst, zu Athen
IX, 1 ff.
^) Die Angabe des Ath. 632 d, wonach
Theognis keine Melodien für seine Elegien
gedichtet habe, ist der Übung der späteren
115 Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
Pflege, so dass fast alle grossen Dichter, wie Simonides, Aischylos, Ion,
Antimachos, überdies Piaton und Aristoteles nebenbei auch Elegien dich-
teten. Speziell als Elegiker machten sich einen Namen Dionysios, der
von dem Vorschlag, kupferne Münzen zu schlagen, den Beinamen Chalkus
erhalten hatte und in einigen seiner Elegien die Abgeschmacktheit beging den
Pentameter dem Hexameter vorauszuschicken, die beiden Euenoi aus Paros,
von denen der jüngere, Zeitgenosse des Sokrates, wegen seiner weisen Sinn-
sprüche bei den Philosophen in besonderer Ehre stund, Kritias, einer der
dreissig Tyrannen, der ausser sophistischen Reden und Tragödien auch
Elegien unter mannigfachen Titeln schrieb.^) Einer jüngeren Periode ge-
hören die weisen Scherze (Tiaiyvia) des Philosophen Krates aus Theben an,
der ein Schüler des Kynikers Diogenes war und in geistreichen Versen und
Reden die Moral der Einfachheit {svtsXho) verkündete.
3. Die iambische Poesie und die Fabel.
92. Die iambische Poesie (// tmv iap.ßonoio)v noir^aig) hat ihren Namen
von dem iambischen Rhythmus. Dieser Rhythmus, den wir bereits in den
Melodien des Terpander vertreten fanden, hat etwas erregtes, unruhiges,
das schon in der rascheren Aufeinanderfolge der Hebungen des ^k Taktes
(y£voQ dinXciaiov) gelegen war, noch mehr aber durch den Auftakt iam-
bischer Reihen zum Ausdruck kam. Dadurch entfernte sich die iambische
Poesie von der Feierlichkeit daktylischer Hymnen und näherte sich dem
raschen Ton der Umgangssprache. Wie aber überall in der griechischen
Litteratur, so hatte auch hier die Eigenartigkeit der metrischen Form
einen ähnlichen Inhalt zum Begleiter: aus den iambischen Versen tönte
der Streit des Lebens und der Lärm des Marktes. Wohl kam dieser
Rhythmus auch bei gottesdienstlichen Festen vor, aber nicht in den
ernsten Weisen der Priester des Zeus und Apoll, sondern in der aus-
gelassenen Festfeier der neuen Gottheiten, des lakchos und der Demeter. ^j
Der Kult dieser Götter war bei den loniern in Naxos, Paros und Attika
zu Haus; dem ionischen Stamme gehörte auch recht eigentlich die iam-
bische Poesie an. Dem ionischen Kleinasien entstammten ihre Erfinder,
und in dem stammverwandten Attika hat sich aus ihr die schönste Blüte
der Poesie, die Komödie und Tragödie, entwickelt. Ihre Anfänge fallen
fast gleichzeitig mit dem ersten Auftauchen der Elegie; ihre Blüte hat
aber weniger lang angehalten, da ihre Formen, der iambische Trimeter
und trochäische Tetrameter, zu einfach waren, als dass die stete Wieder-
holung derselben lange der rasch vorwärts drängenden Entwicklung der
griechischen Musik und Rhythmik hätte genügen können. Nachdem sie '
ihren Hauptdienst geleistet und ein frischeres Blut in die Adern der grie-
chischen Litteratur gebracht hatte, machte sie melodischeren Formen der
') In einer der erhaltenen Elegien zählt ' tias über Staatsverfassungen, s. Müllek, FHG.
er die Erfindungen der einzelnen Völker- | II, G8 — 71.
schaffen und Städte auf; in einem hexaraet- ! -) Vgl. Aristoph. Ran. 384 — 444, Die
rischen Gedicht (fr. 7) preist er den Anakreon; j Fabel machte die Dienerin lambe, die mit
ob er auch über Homer und Archilochos in ihren Spässen die um ihre Tochter trauernde
Versen oder sophistischen löyoi gehandelt, Demeter zum Lachen brachte, zur Erfinderin
bleibt ungewiss. Auch in Prosa schrieb Kri- j des lambus; s. Procl. ehrest, p. 242, 28 W.
1
i
B. Lyrik. 3. Die iambische Poesie. (§ 92-9S.)
117
Lyrik Platz oder ward als belebendes Salz in andere Litteraturgattungen
aufgenommen. In den Kanon der Alexandriner erhielten nur 3 lambographen
Aufnahme: Archilochos, Simonides, Hipponax.
93. Archilochos aus Faros, jüngerer Zeitgenosse des Kallinos.O
blute um 650, ''^) jedenfalls nicht vor dem Lyderkönig Gyges (687—652),
dessen Reichtums er in dem Verse (fr. 25) ov ixoi td Fvyeo) rov nolvxqvaov
lislsi gedenkt. Sein Vater Telesikles hatte von Faros eine Kolonie nach
der Insel Thasos geführt; seinen Ahnherrn Tellis brachte der Maler Fo-
lygnot, der selbst aus Faros stammte, in der Unterweltscene neben der
Kleoboia, der Stifterin des Demeterkultus von Thasos, an (Faus. X, 28. 3).
Dem Archilochos selbst war ein wechselvolles, an Kämpfen und Drangsalen
reiches Leben beschieden. In einem Distichon (fr. 1) drückt er schön
seine doppelte Stellung als Bürgersoldat und Dichter aus:
sip} 6' €y(o ^fQccTVoov fJisv ^Evvakioio avaxTog
xal MovasMv sqaTov Swqov smaTccpisvog.
Aus Not verliess er seine Heimat Faros und brachte seine Jugendjahre
auf der rauhen und unwirtlichen Insel Thasos ^u,^) auf der aller Jammer
Griechenlands zusammengeflossen war (fr. 54). In den Kämpfen gegen
die thrakischen Saier verlor er seinen Schild, über welchen Verlust er sich
leichten Sinnes hinwegsetzte, da er das Leben gerettet habe und einen an-
deren Schild leicht erwerben könne. 0 Zu Hause in Thasos und Faros
erlebte er manche Kränkung und Zurücksetzung: ein parischer Bürger
Lykambes hatte ihm seine Tochter Neobule verlobt, dann aber ihre Hand
einem anderen gegeben, wofür sich der Dichter in beissenden lamben an sei-
nem erhofften Schwiegervater und dessen ganzer Sippe rächte.'^) Dann führte
er als Kriegsknecht ein abenteuerliches Leben, ^) nahm an den Kämpfen in
Euböa teil und fand schliesslich in einem Krieg mit Naxos den Tod.')
Als Dichter wiesen die Alten dem Archilochos die nächste Stelle nach
Homer an: wie jener das Epos geschaffen und zur Vollendung gebracht,
so er die Foesie der subjektiven Empfindung und des beissenden Spottes.^)
1) S. § 84.
2) Die Stelle bei Herodot I, 12 rvysM
xcd jQ/iXo/og 6 JIccQiog y.axd xov avxov /Qo-
vov ysvöixsvog iv id^ßia TQCfusTQU) eiisfxvrj-
oSrj ist interpoliert. Oppolzer, Sitzb. der
Wien. Ak. 1882 S. 1 hat die von Archilo-
chos fr. 76 geschilderte Sonnenfinsternis auf
648 V. Chr. berechnet. Dazu stimmen im
wesentlichen Eusebios, der ihn Ol. 28, 4
ansetzt, das Marm. Parium, nach dem er
Ol. 24, 4 die Kolonie nach Faros führte,
und Cornelius Nepos, der ihn nach dem
Chronographen Apollodor (Gellius XVIl, 21.
8) unter Tullus Hostilius (670- 638) leben
lässt. Vgl. Gelzek, Zeitalter des Gyges,
Rh. M. 35, 230 ff., RoHDE, Rh. M. 36, 557 f.,
und oben S. 108 An. 7. Bei Suidas ist der
aus Hesychius Milesius zu entnehmende Ar-
tikel Archilochos ausgefallen.
^) Allan V. H. X, 13 referiert aus dem
Elegiker Kritias, dass Arch. selbst bezeuge.
ori, xarahnoju TlciQor fl/r? nevlav y.cd uno-
Qiav riXd^Bv ig 9c'(aoi\
7. 10.
Fr. 6; nachgeahmt von Horaz Od. II,
5) Fr. 27 u. 34, worauf Horaz Ep. I, 19.
25 anspielt.
^) Fr. 23: xcd &r] ^nixovQog üore Kdo
xsxXrjffofxM. Des Kampfes in Euböa gedenkt
er fr. 4.
') Heracl. Pont, in Müller's FHG. II,
210. Den Naxier Kallondas wies die del-
phische Pythia mit den Worten ab: Movadoyv
xhegduopia xaxixxavsg ' 6iix% pr]ov : s. Suidas
u. ^4q/(X. nach Aelian; vgl. Arist. rhet. II, 23,
vielleicht nach dem Museion des Alkidamas.
^) VelleiusI, 5: neqite quemquam alium,
(rmus operis primus fuerit auctor. in eo
perfectissimiim praeter Homeram et Arclii-
lochum reperiemus. Schon Herakleides Pont,
hatte nach Diog. V, 87 tisql 'Aq/iIö/ov x(d
'Ofx^Qov geschrieben. Beide sind zusammen-
gestellt von Antipater Anth. XI, 20 u. Dio
Chrys. 33, 11; vereint stellte sie die Kunst
dar, wie diu Doppelherme des Vatikan; dor
gestrenge, bärtige Kopf mit einem bitterci
118
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Als ein Hauptverdienst rechneten sie ihm die Erfindung neuer metrischer
Formen an : ^) ausser Elegien dichtete er lamben und trochäische Tetra-
meter; aber auch die Verbindung verschiedener Rhythmen, des gleichen
und ungleichen Geschlechtes, zu einer Periode brachte er in seinen Epoden
auf und wurde so Begründer der eigentlichen Lyrik. ''^) Auch eine neue
Vortragsweise, die Parakataloge, erfand er, die zwischen dem vollen Gesang
und der einfachen Rezitation die Mitte hielt, indem der Vortragende
(o Qaij.io)Sdg ö xaTalaycov) nur an den Hauptstellen durch ein begleitendes
Instrument, die lambyke, unterstützt wurde. ^) Aber der Reichtum und
die Vollendung der metrischen Form war es nicht allein, welche dem Archi-
lochos eine so hervorragende Stelle in der griechischen Litteratur verschaffte;
er war auch ein gottbegnadeter Dichter, voll Glut der Leidenschaft und
Klarheit des Blickes, der mit den Spottiamben sich energisch gegen die
Unbill und Gemeinheit seiner Feinde zur Wehr setzte,*) daneben aber
auch in lieblichen Bildern sein Liebchen besang (fr. 7. 13). Mit Geschick
flocht er das populäre Element der Fabel {aivog) in seine Lieder,^) erfand
die schöne Kunst mit reizender Aufschrift den Wert des Weihgeschenks
zu erhöhen (fr. 17), und stellte die leichtbeschwingten Weisen seiner Poesie
auch in den Dienst der Siegesfeier^) und des volkstümlichen Kultus des
Dionysos. Schade, dass von einem im Altertum so hochgefeierten Dichter,
welcher der alten Komödie ') und später in Rom dem venusinischen Dichter
zum Vorbild diente, nur spärliche Bruchstücke auf uns gekommen sind.
94. Simonides (Semonides),^) der Amorginer genannt im Gegensatz
zu dem Lyriker Simonides aus Keos, hat diesen Zunamen von der kleinen
Insel Amorgos, nach der er selbst von Samos aus eine Kolonie führte.
Seine Blüte fiel um 625.^) Nach Suidas hatten die Alten von ihm Elegien,
von denen eine die Geschichte von Samos (aq^iaioXoyia tmv ^a^iwv) be-
handelte,^^) und 2 Bücher lamben. Erhalten ist uns ausser losgerissenen
Kleinigkeiten durch Stobaios ein pessimistisches Gedicht auf das schlimme
Zug in den Mundwinkeln bei Visconti Icon.
gr. pl. 2, 6 und Baumeistek, Denkm. d. klass.
Alt. p. 116.
^) Marius Vict. III. 2.
2) Theocrit epigr. 19.
^J Plut. de mus. 28 ; über den Vortrag
der Verse des Archilochos durch Rhapsoden
s. Fiat. Ion. p. 531a und 620 b.
^) Quintil. X, 1. 60 rühmt an Archi-
lochos : vdlidae, tum hreves vibrantesque
sententiae, plurimum sanguinis atque ner-
vorum, adeo ut videatur quibusdam quod
quoquam minor est, materiae esse, non in-
genii vitium.
5) Fr. 86 und 88 ; vgl. Julien or. VII, p. 207.
^) Noch in Pindars Zeit wurde den
Siegern zu Ehren in Olympia ein Siegeslied
des Archilochos auf Herakles gesungen; s.
Find. Ol. IX, 1 und Sybel, Herrn. V, 192 ff.
') Kratinos schrieb ^jQ/iXo/oi, Alexis
einen ^jQ/i^oxog, Aristophanes entlehnte ihm
die schönsten Versmasse; nur Pindar F. II,
55 spricht tadelnd von dem ipoyeQog Aq/'i-
'Ao/og, und in Sparta, wo man keinen Spass
verstund, waren seine Gedichte verpönt; s.
Plut. Inst. Lac. 34; Val. Max. VI, 3 extr.
^) Marm. Parium und Suidas setzen ihn
gleichzeitig mit Archilochos. das erstere
Ol. 28, 4, der zweite 490 post Troika.
Wenn die Gründung von Thasos Ol. 15
oder 18, die von Amorgos Ol. 22 angesetzt
wurde, so spiegelt sich darin der Zeitunter-
schied zwischen Archilochos und Simoni-
des wieder. Proklos ehrest, p. 243. 21 W.
setzt den Archilochos unter Gyges, den Si-
monides unter die Regierung des makedoni-
schen Königs 'JvavLov, was aus 'jQyaiov
korrumpiert scheint und auf 640—610 führt.
^) Der Unterscheidung halber, aber ohne
genügende Berechtigung ward schon von alten
Grammatikern der lambograph Semonides
mit e, im Gegensatz zu Simonides dem Lyri-
ker, geschrieben.
^'^) Unserem lambographenSimonides ge-
hört wohl auch die unter den Fragmenten
des Simonides Ceus fr. 88 stehende Elegie,
deren pessimistische Anschaung ganz zu
unserem Dichter passt.
B.Lyrik. 3, Die iambische Poesie. (§ 94— 95.) 119
Los der Menschen und ein grosses Spottgedicht auf die Weiber. Im letz-
teren führt er den auf Hesiod Op. 700 zurückgehenden Gedanken
yvvaixdg ovS^v XQ^jf^^ ccvrJQ Xriit^sTai
€(y&Xfjg a/Lisirov ovd^ giyiov xaxrjg
näher aus, indem er das Weib der Reihe nach mit dem Schwein, dem
Fuchs, dem Hund, der Erde, dem Meere, dem Esel, Wiesel, Pferd, Affen
vergleicht und nur die einen, welche von der Biene abstammen, in Ehren
bestehen lässt. ^) Im ganzen sind seine lamben weit zahmer als die des
Archilochos, indem sie die allgemeine Reflexion an die Stelle des persön-
lichen Spottes setzen.-) Doch hatten die Alten auch giftigere Verse von
ihm, in denen er einen gewissen Orodoikides verfolgte.^)
95. Hipponax von Ephesos lebte zur Zeit des Vordringens der
Perser nach der griechischen Küste und musste um 542 dem unter persi-
schem Schutz in seiner Vaterstadt eingesetzten Tyrannen Athenagoras
weichen.^) Er wandte sich nach Klazomenä, wo er sein übriges Leben
in Dürftigkeit als halber Bettler (fr. 16 — 19) verbrachte. In seinen Dich-
tungen verfiel er wieder ganz in den Lästerton des Archilochos, nur dass er
diesen durch das Pöbelhafte seiner von der Gasse geholten Sprache noch
übertrumpfte. Mit grimmem Spott verfolgte er namentlich die Bildhauer
Bupalos und Athenis, welche die hagere und hässliche Gestalt des Dichters
karikiert hatten. Er wird Erfinder der Parodie und der Choliamben genannt.^)
In hinkenden lamben ist kein ganzes Gedicht auf uns gekommen, wohl aber
haben wir einzelne hinkende Trimeter und Tetrameter, wie die famosen
6v' TjjxsQcci yvraixog siaiv rj6i(TTai,
oxav yccp^fj Tig xdxcp&Qij Tsd^vrjxvtav.
Man fühlt die Geschicklichkeit des Griffes, mit der Brechung des Rhyth-
mus das Lahme und Hässliche nachzuahmen.
Grosse Vertreter des Spottgedichtes hat es ausser diesen dreien nicht
gegeben. Kleine Spielereien gab es von Ananios, der mit Hipponax
gleichalterig war, Hermippos, einem Zeitgenossen des Perikles, der Ko-
mödien und lamben schrieb, Her o das, der auch Mimiamben dichtete, Ker-
kidas aus Megaiopolis, der zur Zeit des Philipp lyrische Spottgedichte
(Meliamboi) erfand, Aischrion aus Mytilene, einem Freund des Aristoteles,
von dem uns durch Ath. 335b eine witzige Ehrenrettung der Hetäre Phi-
lainis erhalten ist,^) Hermeias aus Kurion in Kypern, von dem Hephästion
p. 67, 11 auch einen kretischen Vers aufgezeichnet hat, Phoinix aus Ko-
lophon, der um Ol. 118 Choliamben und ein Gedicht auf die Einnahme seiner
Vaterstadt dichtete.
) Man erwartet in dem grossen Gedicht '^) Ich beziehe darauf den Ansatz des
von 118 Versen Gleichheit der einzelnen
Abschnitte; diese suchten durch kühne Kon-
jekturen herzustellen Kiessling u. Ribbeck,
Rh. M. 19, 136 ff. u. 20, 74 ff.
'^) Dahin gehört wahrscheinlich auch
0 Ztfxioyldov fxaxQog '/.oyog (Arist. Met. p.
1091 a 7), der nach Alexander Aphrod. z.
St. die Entschuldigungsreden von Sklaven
enthielt.
•') Luc. Pseudol. 2.
Hipponax in Marm. Par. auf Ol. 59, 3: Pli-
nius N. H. 36, 5 setzt ihn Ol. 60.*
■') Die hinkenden lamben haben nach
ihm den Namen Hipponactei versus erhalten ;
Erfinder der Parodie nennt ihn Polemon bei
Athen. 698b, indem er zugleich 4 parodische
Hexameter von ihm anführt.
^) Aischrion schrieb auch ein episches
Gedicht 'EcprjfAs^iösg ; s. Suidas nnd Tzetzes,
Chil. VIII, 405.
120
Griochische Litteratiirgescliichte. I. Klassische Periode,
96. Die Fabe] {alrog, ixv&og, ^oyog, «/roAoyog) i) ist ihrem ältesten
Namen {a?vog) nach eine Erzählung von lehrhaftem Charakter; speziell
verstanden schon Hesiod und Archilochos darunter eine Erzählung aus
der Tierwelt.^) Als Erzählung fällt sie in die Sphäre der epischen Poesie;
sie aber hier zu behandeln, mahnt ihre häufige Anwendung bei den
iambischen Dichtern und ihre Einkleidung in iambisches Versmass bei
den erhaltenen Fabeldichtern Phädrus und Babrios. Märchen und Tier-
fabeln pflegen wie keine andere Gattung der Litteratur von Volk zu Volk
zu wandern, und so haben nicht bloss die griechischen Fabeln zu den
Lateinern, Deutschen, Indern ihren Weg gefunden, sondern sind umgekehrt
auch nach Griechenland aus fremden Ländern viele sinnige Beobachtungen
vom Leben der Tiere gekommen.^) Ist es auch sehr fragwürdig, ob schon
die Indogermanen, wie Jak. Grimm in der Einleitung zum Reinhart Fuchs
annahm, einen Schatz von Tierfabeln in ihre späteren Wohnsitze mitbrachten,
so stammen doch unzweifelhaft viele Fabeln der Griechen aus der Fremde,
aus Ägypten, Indien, Phrygien, Karlen. Es waren wohl zumeist die fremd-
ländischen Sklaven, die solche Erzählungen aus ihrer Heimat mitbrachten
und damit bei den Griechen, die selber schon von Hause aus an scharfe
Naturbeobachtung gewöhnt waren, Beifall fanden. Mit der Zeit wurden auch
Sammlungen von Freunden dieser volkstümlichen Poesie veranstaltet. Neben
den äsopischen Fabeln kennt schon Aischylos Fr. 135 und Aristoteles Rhet.
II, 20 die libyschen Erzählungen;^) dazu kamen später die sybaritischen
Witzfabeln aus dem Kreise der menschlichen Gesellschaft,'') und die Auf-
zeichnungen von phrygischen, karischen, kilikischen, ägyptischen, kyprischen
Tier- und Pflanzenfabeln. ^) Leicht erklärlich ist es ausserdem bei dem
dehn- und wendbaren Stoff der Fabel, dass teils die Tiernamen je nach
dem Orte wechselten,^) teils dieselbe Fabel anfangs im politischen, später
im ethischen Sinne gedeutet wurde. *^) Den Grundstock der griechischen
1) ctlpog = Erzählung in Od, 14, 508,
= Tierfabel in Hes. Op. 202, Archil. fr. 86;
juvS^og, wovon fahula die lat. Übersetzung
ist, findet sich zuerst bei Aeschyl. fr. 135 u.
Plato Phaedr. 61b, Rep. 350 e; Xoyog bei
Herod. I, 141 u. II, 134; apologus in der
Bedeutung einer Erzählung aus der Tierwelt
steht bei Quintil. VI, 3. 44 und Gellius II,
29. 1 ; enifxv&ia und entloyoL hiessen die
Nutzanwendungen am Schluss, die erst in
den Schulen der Grammatiker und Pädagogen
hinzukamen.
2) Hes. Op. 198-208; Arch. fr. 86.
■^) Näheres darüber in der inhaltreichen
Abhandlung von 0. Keller, Geschichte der
griechischen Fabel, in Jahrb. f. Phil. Suppl.
IV, 309 — 418, worauf ich bezüglich der vielen
hiebei in Frage kommenden Kontroversen
verweise. Die Wanderung der Fabeln lehrt
im einzelnen Benfey in der berühmten Be-
arbeitung des indischen Fabelbuches Pantscha-
tantram, Leipz. 1859, 2 Bde. Vgl. Lessing,
Über die äsopischen Fabeln, Gesamtausg.
von Lachmann V, 395 ff. ; Prantl, Über das
Tierepos bei den Schriftstellern des spä-
teren Altertums, in Philol. VII (1852) 61-76.
^) Babrios im 2. Proömium V. 5 nennt als
Verfasser der libyschen Fabeln den Kibysses.
^) Arist. Vesp. 1259: AlaaSnEiov yi'koiov
7] ^vßccQirixöy. Schol. Arist. Av. 471 : tmi^
de fxv^Mv ol fjLev dlöycov ^iO(x)u eialv Jiaoinov,
ol de nsQt dv^qo'moyv IvßaQiiixoi. Gegen
diese Sonderung polemisiert Theon in Rhet.
gr. III, 73. 9 Sp.
^) Theon Progymn. c. 3: ol Xoyoi xa-
'Aovviai JiaojTisioL xcd Aißvarixol rj Ivßa-
qiTixoi XE xal 4>Qvyiov xal KiHxioi xal Kuqi-
xol xal AlyvmioL xal KvriQiof weiter unten
werden als Verfasser von Fabeln genannt
JXaoinog, Kovvig 6 K'lXl'^, QovQog 6 2!vßaQlT}]g.
Kvßiaadg ix Aißvrjg. Eine Pflanzenfabel ist
die vom Streit des Ölbaums und Lorbeers
bei Callim. fr. 93.
^) Den Schakal als Berater des Löwen
bei den Indern ersetzte bei den Griechen
der Fuchs; s. Keller, a. 0. 337 f., Tiere
des klass. Altertums S. 193, Wahrscheinlich
kommt auch der Name ahonifq von löpa^a.
was im Sanskrit Schakal .bedeutet.
^} So erzählte Stesichoros die Fabel vom
B. Lyrik. 3. Die iambische Poesie. (§ 96-97.)
121
Fabeln bildeten die äsopischen, und von dem Vater derselben soll hier noch
in Kürze gehandelt werden.
97. Aesop [AirfoQTiug) war nach der einzigen glaubwürdigen Nach-
richt des Herodot II, 134 Sklave des ladmon in Samos zur Zeit des
Königs Amasis, also um die Mitte des 6. Jahrhunderts. Herodot erzählt
auch, offenbar nach Erkundigungen, die er während seines Aufenthaltes
in Samos eingezogen, dass der Enkel jenes ladmon von den Delphiern
ein Sühngeld für den erschlagenen Aesop empfangen hatte. Allgemein
muss also damals bereits die Kunde von dem gewaltsamen Tode des
Fabeldichters in Delphi verbreitet gewesen sein. Die Veranlassung des
Todes gibt Herodot nicht an; die Späteren wissen bald von der bösen
Zunge des Aesop zu erzählen, bald von der Unterschlagung der Geschenke
des Königs Krösus, bald von dem Diebstahl einer silbernen Schale. i)
Zeigt sich hier schon die Neigung der Alten, mit freier Phantasie die
Lücken der Überlieferung zu ergänzen, so noch mehr in all dem andern
Detail, was das spätere Altertum von der Herkunft, dem Leben und der
Gestalt des Vaters der Fabeldichtung den jungen und alten Kindern auf-
tischte.''^) Herakleides Pontikos machte ihn zum Thraker,^) vermutlich weil
seine Mitsklavin, die berüchtigte Hetäre Rhodopis, nach Herodots Zeugnis
eine Thrakerin war; andere Hessen ihn aus Phrygien stammen, vielleicht
weil der Kern seiner Fabeln phrj^gischen Ursprung^) verriet. Neuere dachten
an äthiopische Herkunft, indem sie den Namen Aisopos für eine Verstüm-
melung aus Al&foif) erklärten.'*) Zusammenkommen Hess man ihn mit dem
reichen König Krösus und mit den 7 Weisen Griechenlands.^) In Athen,
dem Centrum des Witzes und der Gescheutheit, musste der witzige Dichter
natürlich auch gewesen sein.'^) Selbst von dem Reiche der Schatten Hess
ihn die attische Komödie wieder auferstehen.^) Von Gestalt dachte man
ihn sich höckerig und verwachsen ; ^) denn den von Natur Vernachlässigten
pflegt ja bekanntlich zumeist der Stachel beissenden Mutterwitzes gegeben zu
Pferd, das, um sich an dem Hirsch zu rächen,
den Zaum von dem Menschen annahm, den
Himeräern, damit sie sich vor dem Tyrannen
Phalaris hüteten; siehe Arist. Rhet. II, 20.
Ebenso warnte Aesop selbst die Samier vor
den Demagogen, indem er ihnen die Fabel
vom Fuchs, Blutegel und Igel erzählte, Ver-
gleiche die Erzählung von Menenius Agrippa.
Vgl, L, Spengel im Kommentar zu Aristot.
Rhet. II, 20. 8, Wie beliebt auch später noch
bei den Athenern die Tierfabel war, zeigen
die Fragmente des Redners Demades,
^) Arist. Vesp. 1446 bringt die Beschul-
digung des Diebstahls mit einer Fabel des
Aesop vom Käfer und Adler in Verbin-
dung; der Ausdruck Jiaionstoy alfia wurde
sprichwörtlich, s. Zenob, I, 47, Ps. Diogen.
I, 47, Himer, or. XIII, 5, Aristoteles ge-
dachte der Sage in der Politie der Samier,
fr. 445 Rose.
''') Einen vollständigen Roman über das
Leben des Aesop haben wir aus dem
Mittelalter, der fälschlich die Hdschr,
gehen bis ins 10. Jahrh. zurück - unter
dem Namen des Planudes geht. Mit dem
alten Köhlerglauben hat gründlich aufge-
räumt Bentley, De fabulis Aesopi, im An-
hang zu den Epist. Phalerideae. Vgl. Grau-
ERT, De Aesojio et fabulis Aesopeis, Bonn
1825
'■') Fr, 3; danach Schol, Arist. Av. 471.
Suidas^u, Maounog ' EvysizMP ds ßl8af]/ußQi-
avov £lTlEy.
') Dio Chrys. or. 32 p. 684, Gellius II,
29, Aelian V, H, X, 5, Himer. XUI, 5,
■') Welcker, Kl, Sehr. II, 254 f.; Zün-
DEL, Rh. M. 5, 447 ff, ; dagegen Keller a.
0. 375,
ö) Plut, Sol. 28; Conv, sept. sap. c, 4,
^) Phaedr. I, 2 u, II epil. Alexis dich-
tete eine Komödie Aiaconog, worin ein Zwie-
gespräch des Aesop und Solon vorkam,
**) Piaton der Komiker bei Schol, Arist.
Av, 471,
'*) Lysipp nach Agathias 35, Aristode-
mos, ein Schüler Lysipps, nach Tatian adv,
Graec. 55, hatte ihn neben den 7 Weisen
in Athen gebildet.
122 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
sein. Eine ganze Serie von Abenteuern wurde ihm angedichtet, bis er schliess-
lich selbst für eine blosse Fiktion ausgegeben wurde. ^) Seine Fabeln er-
zählte Aesop in schlichter Prosa, was auch in den Namen löyoi und "koyo-
Tioiog ausgedrückt ist. 2) Dass er sie niedergeschrieben habe, hat mit Recht
Bentley bezweifelt, da der Alte in Aristophanes Wespen V. 566 die lustigen
Geschichtchen {yeXoTa) Aesops nicht aus einem Buch, sondern aus den Unter-
haltungen bei den Gelagen lernt. Zuerst hat Sokrates im Gefängnis die
zuvor nur mündlich kursierenden Fabeln in Verse, und zwar in elegische
Distichen gebracht. Später veranstaltete Demetrios von Phaleron eine
Sammlung äsopischer Fabeln in Prosa [löywv AlaoonsiMv avvaycoyai), welcher
die Sammlungen libyscher Fabeln von Kybissos, kilikischer von Konnis,
sybaritischer von Thuros folgten. Die Sammlung des Demetrios ist so
wenig wie eine der andern auf uns gekommen; erhalten sind uns aus dem
Altertum nur die poetischen Bearbeitungen des Babrios, Phädrus, Avianus.
Aus dem Mittelalter stammen prosaische Metaphrasen äsopischer Fabeln,^)
die Fabeln des Syntipas, und eine in choliambischen Tetrametern verfasste
Sammlung des Ignatius Dioskorides aus dem 9. Jahrh.^)
4. Arten der Lyrik im engeren Sinn.^)
98. Unter lyrischen Gedichten {{xtlrD im engeren Sinn verstanden
die Griechen solche, die gesungen wurden und zum Singen von vornherein
durch ihre Form angelegt waren. Charakteristisch für dieselben ist daher
die strophische Komposition (noiri^a xaxd nsqioSov). Denn für die Alten,
welche die musikalische Komposition eng der Form des Textes anpassten,
war die Vereinigung mehrerer Glieder [xmXo) zu einem grösseren Satz
{TttQ(odog) die naturgemässe Voraussetzung der Singbarkeit. Mit dem Ge-
sang hängt dann eine zweite Eigentümlichkeit der Form, die Verbindung
von daktylischen und trochäischen Füssen oder der Gebrauch von logaödi-
schen Reihen zusammen. In solchen Versen nämlich traten zum Unter-
schied von langen und kurzen Silben oder ganzen und halben Noten, mit
denen sich kaum eine einigermassen klangvolle Melodie herstellen Hess,
noch die Werte von P/2, '^;\, 3 Zeiten hinzu. Solche logaödische Verse
aber, wie
Ssdvxs ßtv d asXäva ^ \ ^ ^^ \ ^ \ I. I "f
^ 0 \ 0 0 0 0 0 \ 0' 0 '
haben einen so melodischen Tonfall, dass jeder unwillkürlich zum Singen
sich eingeladen fühlt. Vorgebildet war bei den Griechen die Liederdichtung
durch die Entwicklung der Musik, wie wir sie in dem einleitenden Kapitel
dargestellt haben. Die Elegie mit ihrer einfachsten Strophenform und die
" Gesamtausgabe : Mvit^Mv AlauiTTsioiv avvccytayi]
von KoRAEs, Par. 1810; Fahulae Aesopicae
ed. Halm in Bibl. Teubn.
^) Herausgegeben von C. Fe. Müller
in Kieler Progr. 1886.
hinzu ex hihl. Falatina studio Neveleti, | ^) Härtung, Griech. Lyriker, Leipzig
(Francof. 1610), aus Florentiner Handschriften i 1856. Der Name fj-skonoiol ist ebenso wie
') Welckee, Aesop eine Fabe], in Kl.
Sehr. H, 228 ff.
■-) Theon, Progymn. p. 73, 27 Sp.
•'') Zu den zuerst gedruckten 144 Fabeln
des Mönches Maximus Planudes kamen neue
von de Füria (Flor. 1809), aus dem cod.
Augustamis von I. G. Schneider (1812), aus
dem cod. Bodleianus von Knöll (1877).
^8li'}^ia (schon bei Piaton) falsche Analogie-
bildung nach icc^ußonoioi
B. Lyrik. 4. Arten der Lyrik. (§ 98-99.) 123
Ausbildung des iambischen Rhythmus neben dem daktylischen waren
gleichsam die Vorstufen, auf denen sich der anmutige Bau der lyrischen
Poesie erhob. Mit dem Epodos des Archilochos war im Grund genommen
die lyrische Strophe schon fertig. An Archilochos schloss sich denn auch
unmittelbar die Entfaltung der lyrischen Poesie an, die noch mit dem 7.
Jahrhundert begann und der Litteratur des 6. Jahrhunderts die eigentliche
Signatur gab. In dieser Zeit hatte das ionische Kleinasien aufgehört, Aus-
gangs- und Mittelpunkt des geistigen Lebens zu sein ; Lieder wurden daher
nicht bloss in lonien, sondern allerorts in Griechenland, auf dem Festland und
auf den Inseln, in den griechischen Mutterstädten und in den blühenden Kolonien
von Sikilien und Unteritalien, im äolischen wie im ionischen und dorischen
Hellas gedichtet. Eine allgemein gültige (xotvrj) Sprache gab es aber damals noch
nicht, und da auf der anderen Seite Lieder, welche für das Volk bestimmt
waren, auch in der Sprache des Volkes gedichtet sein wollten, so schied
sich die Lyrik, im Unterschied vom Epos, nach den Dialekten. Und nicht
bloss entstunden Lieder im äolischen, ionischen, dorischen, attischen Dia-
lekt; es nahmen dieselben auch die Eigentümlichkeiten der Stämme an, so
dass mit der Sprache auch die glühende Leidenschaftlichkeit der Aolier,
die lebensfrohe Genussucht der lonier, der feierliche Ernst der Dorier, die
heitere Besonnenheit der Attiker zum Ausdruck kam. Schade, dass die
Ungunst der Zeiten von diesem vielästigen Baum der Litteratur nur wenige
Blüten unversehrt zu uns getragen hat und dass mit dem Verklingen der
alten Melodien auch die Texte der Lyriker aus den Bibliotheken zu ver-
schwinden begannen. ') Die Grammatiker haben aus der grossen Zahl der
lyrischen Dichter und Dichterinnen 9 als mustergültig ausgewählt:^) Alk-
man, Alkaios, Sappho, Stesichoros, Ibykos, Anakreon, Simonides, Pindar,
Bakchylides.
99. Die Lyrik selbst zerfällt wieder in viele Arten, von denen das
Lied (ja^Aog) und der Chorgesang {(p^rj) die umfassendsten sind. Das Lied,
zum Einzelgesang bestimmt, dient vornehmlich zum Ausdruck subjektiver
Empfindungen, singt von Liebesschmerz und Weineslust, von jauchzender
Freude und niederschlagender Trauer, von allem, was des Menschen Herz
bewegt. Es ist diejenige Gattung der Lyrik, welche unserer sentimentalen
Stimmung am meisten zusagt und deren liebliches Spiel, weil es allgemeine
Saiten der menschlichen Seele anschlägt, den Moment und den Anlass, der
es geboren, am längsten überdauert. Sie wurde bei den Griechen vorzüg-
lich von den Aoliern und loniern gepflegt, die sich schwärmerischen Ge-
fühlen und freier Lebenslust ungezwungener überliessen,^) und führte zum
erstenmal auch die Frau in die Hallen der Litteratur ein. Der Chorgesang,
der sich im Anschluss an die Feier von Götterfesten und Siegen entwickelte,
war von vornherein mehr auf das Erhabene und Grossartige als auf das
') Im 4. Jahrh. las der Sophist Himerios
noch fleissig seine Lyriker, so dass uns in
seinen Reden viele prosaische Paraphrasen
alter Lieder vorliegen.
2) Anth. IX, 184; Quintil. X, 1. 61:
novem vero lyricormn lonpe Pmdarus prin- \ ^^ ^^^i ^^jy (flfKiiuy ursaic
ccps. Ein unbedeutender 'L'raktat tis()i Xvqi
x(oy veröffentlicht von Boissonade, Anecd.
IV, 458, M. Schmidt, Dichjmi fragm. 395 f.
^) Ath. 624e: Jiuyleüiv ij^og . . i'^rjQfXt-
vov xcd Te9aQQt]x6g • dio xcd otxeToi' iarlr
«vToTg i] cfikoTioaia xui t(( tQionxd xai näau
124
Griechische Litteratiirgeschichte. I. Klassische Periode.
Gemütvolle und Zarte gerichtet. Ihr kalter Objektivismus vertrug sich
gut mit dem epischen Element der Götter- und Heroenmythen, deren Preis
nach altem Herkommen mit den öffentlichen Festen unzertrennbar ver-
bunden war. Das alles stimmte zu dem ernsten Wesen und der inner-
lichen Tiefe des dorischen Charakters, und so vervv^uchs der Chorgesang
derart mit dem dorischen Stamm, dass der dorische Dialekt für die chorische
Poesie die typische Form w^urde. Die Gegensätze Lied und Chorgesang
Avaren indes keine absoluten, so dass auch manche Lieder der äolischen
Meliker, wie die Epithalamien der Sappho, nicht von einem einzelnen, son-
dern einem ganzen Schwärm [xMf^iog) gesungen werden konnten.^)
100. Ausserdem wurden von den Alten noch mehrere Unterarten
lyrischer Dichtungen je nach Anlass und Inhalt unterschieden: 2)
Skolien {axoha ^ibXrj oder rcagoivia) ^) waren Trinklieder, die beim
Wein von den Tischgenossen gesungen wurden, indem ein Myrten- oder
Lorbeerzweig in die Runde ging;-^) sie bildeten den Gegensatz zu
dem Päan, den vor Beginn des Mahles alle gemeinsam zur Flöte an-
stimmten.
Epithalamion hiess speziell das Ständchen, welches den Neuver-
mählten vor dem Brautgemach {d^dXaixoc) dargebracht wurde. Im weiteren
Sinne verstand man darunter ein Hochzeitslied überhaupt, auch dasjenige,
unter dessen Gesang die Braut aus dem Elternhaus zu der neuen Woh-
nung geleitet wurde. Von der ersteren Art gibt das 18. Idyll des Theo-
krit ^EXb'vijg snid^aXccpnog einen Begriff, von der zweiten die der Sappho
nachgebildeten Hymenäen des Catull.
Hymnen waren Gedichte auf die Götter im allgemeinen. Speziell
wurden so die einfachen Preislieder genannt, welche seit alter Zeit an den
Götterfesten in daktylischen Hexametern vorgetragen wurden und als Haupt-
sache einen Mythus der betreffenden Gottheit enthielten. Später bemäch-
tigten sich die Lyriker, wie Alkaios, Anakreon, Pindar auch dieser Gattung
der Poesie und wandten statt des stereotypen Hexameters kunstvollere
Versarten an. Aber das behielten auch sie von der alten Einfachheit bei,
dass sie die Hymnen stets stehend (nicht tanzend) zur Kithara (nicht zur
Flöte) vortrugen. •'•)
Die Prosodien (ftqoaödm sc. i-islrl) hatten ihren Namen arto rov
^) Demetr. de eloc. 167 lässt für die
Epithalamien die Annahme des Vortrags
durch die Dichterin oder einzelne, gegen
einander sprechende Choreiiten [x^Q^^? dV«-
XEXTiy.ög) frei; Einwendungen von Flach,
Gr. Lyr. 509 f. Auf Chorgesang weist auch
Sappho fr. 54 und bezüglich des Anakreon
Kritias bei Ath. 600 d.
2) Pindar fr, 139 Bg. deutet folgende
Arten an: aoidul Tjaiavl&eg , ^id^vQccfxßoi ,
{^QfjpoL, livoi,vfi.{i^caoi, ici'Asfioi. Procl. Chrest.
p. '243 unterscheidet: rd sig t9sovg, rd eig
dvO^Qwnovg. rd sig O^sovg xal dvf^QMTiovg. rd
8rg rdg TiQoaTimTovaag nsQiardasig. das Et.
M. ()90, 41 TTQoaodici, vTroQ/^jf^cna. ardatfAu.
Vgl. Bopp, Leipziger Stud. 8, 134 ff.; Wal-
ther, De graeeae ijoesis melicae generihiif^,
Halle 1866.
3) Ilgen, Scolia, Jenae 1798; Engel-
brecht, De scoUorum poesi, Vind. 1882.
'*) Auf dieses Umgehen des Zweiges in
die Kreuz und Quere wurde der Name axoXiöi'
gedeutet (s, Schol. Plat. Gorg. 451 e, Arist.
Nub. 1357); ich habe an anderer Stelle den
Namen mit do/fiiog ()Vr^fj6g in Verbindung
gebracht und auf den verschlungenen Gang
des Rhythmus dieser Trinklieder bezogen ;
vgl. Engelbrecht p. 40, der auf Maximus
Tyr. XXIII, 5 verweist.
•') Procl, chrest. 244, 12: o xvQÜog vf^rog
B. Lyrik. 4. Arten der Lyrik. (§ lOO.)
125
aSsa^ai €v Tf/} TtQoaii-vai totg ßcoimotg i] rcang. ') Sie wurden zur Flöte vor-
getragen, weil diese mehr geeignet war einen schreitenden und singenden
Chor im Takt zu halten. Ihre Ausbildung erhielten sie in der chorischen
Lyrik, doch hat schon der alte Epiker Eumelos in Hexametern ein Prosodion
für den delischen Apoll gedichtet. 2) Für die Feierlichkeit des religiösen
Aufzugs schien auch den Späteren noch der daktylische Rhythmus am ge-
eignetsten zu sein, doch schickten sie, um mehr Leben in die Bewegung zu
bringen, den daktylischen Reihen einen Auftakt voraus (qv&ixog TTQoaoSiaxog),
Der Dithyrambos^) war von Hause aus ein Lied auf den Weingott
Dionysos, weshalb er zumeist an den Orten, wo der Weinbau und der
Kultus des Dionysos zu Hause war, in Naxos, Thasos, Böotien, Attika
gepflegt wurde. Seine eigentliche Heimat scheint Phrygien gewesen zu
sein, da er nach Aristoteles, Polit. VHI, 7 den Charakter der phrygischen
Tonart hatte. Schon Archilochos (Fr. 79) rühmte sich der Kunst, dem
Herrscher Dionysos einen Dithyrambos anzustimmen. Wie man aus dem
dort gebrauchten Ausdruck s'^ä^^ai f.ii'Xog schliessen muss, war bereits da-
mals beim Dithyrambos ein Chor beteiligt, wohl ein Chor schwärmender
Zecher, der mit jauchzendem Zuruf in die Worte des Vorsängers einfiel.
Seine kunstvolle Ausbildung erhielt er durch Arion in Korinth,*) der um
600 zuerst einen dithyrambischen Chor im Kreisrund (xvxAiog x^Q^^) auf-
stellte.'') Seine hauptsächlichste Pflege fand sodann der Dithyrambos in
Athen, wo er nicht bloss aus sich die Tragödie erzeugte, sondern auch
fortwährend neben dem Drama das Hauptfestspiel abgab. Anfangs war
auch dieser entwickelte Dithyrambos noch strophisch gegliedert, immer
mehr aber entledigte er sich der beengenden Fessel wiederkehrender
Strophenbildung, so dass er schliesslich der Hauptrepräsentant der freien
Komposition {ccTToXeXvixevov ßtlog) wurde.*'') Schon zuvor war er aus dem
engen Kreis dionysischer Festlieder herausgetreten und hatte auch den
Preis anderer Götter und die Darstellung anderer Mythen in sein Gebiet
gezogen.'')
Der Päan hatte seinen Namen von dem Ausruf //; ncfiä\\ mit dem
der Chor in den Gesang und das Zitherspiel des Vorsängers einfiel.^) Li Kreta
zuerst ausgebildet, verbreitete er sich von da nach Delphi, Sparta und das
übrige Festland. Als einer der ältesten Dichter von Päanen wird Tynnichos
') Procl. ibid., Et. M. G90, 43; vergl.
Xenoph. Anab. VI, 1, 11: ep rccrg ngog rovg
i^for? nQOGodoig, Arist. Nub. 307. Pac, 396.
^) Den lyrischen Prosodien nachgebildet
sind die Einzugslieder {nuQo&oi) der Tragö-
dien, die gleichfalls mit Vorliebe in Ana-
pästen komponiert waren.
") M. Schmidt, Diatribe in dithyrani-
hum, Berl. 1845. Der Name scheint mit
x^Qiai^ßog und dÖQvßog zusammenzuhängen
und erinnert an den Ausruf io triumpe.
') Schol. Pind. Ol. XIII, 25.
^) Procl. ehrest. 244, 26: xdv dl ccq^cc-
^evov Tfjg (pdrjg ^jQiaioTshjg ' Agiova cprjoiu
eifCKi, og nguitog lov xvxXnp rjyays X^Q^^-
Vgl. Schol. Pind. Ol. XIII, 25. Über die
Stellung des Koryphaios s. Ath. 152b. Ein
Bild von einem solchen im Kreis um den
Altar tanzenden Chor gibt uns Callim. hymn.
IV, 312 ff.
6) Procl. 245, 14; Hör. Od. IV, 2. 10:
seil per audaces nova dithyrambos verba
devolvit numerisque fertur lege solutis.
Die herrschende Tonart der Dithyramben
blieb die phrygische und hypophrygische.
"') Neben Dithyramben werden ioßax/oi
genannt; der Unterschied beider ist dunkel.
*") Schon erwähnt in dem interpolierten
Vers des Homer A 473, beschrieben im Hym-
nus auf Apoll. Pyth. 336 ff. Vgl. Suidas u.
e'^uQ/ovxeg. und Ath. 096 f über das tjuiuvi-
Xüp enicpd^sy^a.
126
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
aus Chalkis genannt, von dem Piaton Ion p. 534 d einen in aller Mund
lebenden Päan, ein wahres evqrnxä xi Moiaäv, erwähnt.^) Ursprünglich gab
es nach Proklos nur Päane an Apoll und Artemis, gesungen zur Ver-
söhnung des Götterzorns bei Seuchen und Krankheiten; später kamen auch
solche an andere Götter auf, die mit jenen nur den choralartigen Gesang
und den Vortrag durch einen in feierlichem Takte {ififXi'Xsia) sich bewegen-
den Chor teilten. 2) Übrigens gebraucht schon Homer J^ 391 das Wort
auch von dem Siegesgesang, welchen die Söhne der Achäer bei dem Falle
Hektors anstimmten. Es scheint sich derselbe aus Dankliedern an Apoll
nach glücklicher Beendigung der Not, wie uns ein solches bei Aristoph.
Vesp. 869 — 874 erhalten ist, entwickelt zu haben. Ein Hauptversmass der
Päane war der Päon - ^ ^^, der davon den Namen hat.
Das Hyporchem war ein Tanzlied auf Apoll, vorgetragen in leb-
haft bewegten Rhythmen.-^) Auch es stammte aus Kreta ^) und unterschied
sich von dem Päan wesentlich nur durch den rascheren Rhythmus und die
flinkere Bewegung der Beine. •'^) Wie andere lyrische Gesänge, so hat auch
das Hyporchem seine Fortbildung im Drama, und zwar zunächst in den
kretischen Gesängen der Komödie gefunden. Aber auch das in lebhaftesten
Rhythmen gedichtete Chorlied an Apoll in Soph. Trach. 205 — 224 dürfen
wir für die Nachbildung eines solchen kretischen Tanzliedes halten.
Parthenien waren, wie der Name besagt, Lieder für Mädchenchöre,
die entweder selbst tanzend sangen oder zum Gesang und Spiel eines An-
deren ihre Tanzbewegungen ausführten. Sie waren vornehmlich in Sparta
zu Haus, wo die freiere Stellung des Weibes ihre Entwicklung begünstigte.
Unter den Lyrikern haben ausser Alkman, dem berühmtesten Parthenien-
dichter, Pindar, Simonides und Bakchylides Parthenien gedichtet. In ihrem
Geiste scheinen die Tanzlieder in der Exodos der Lysistrate gehalten zu
sein. Eine Unterabteilung der naQ&evsia waren die SacpvrjcpoQixd, bei deren
Vortrag ein edelgeborener Jüngling (rratg dfKpid^aXr^g) voranzog und ein
mit Lorbeerzweigen geschmückter Jungfrauenchor nachfolgte.^')
Ausserdem kommen als Namen spezieller Gesangsformen noch vor:
^QTjVoi und sTTixrjdsia Totenlieder, ^) ijiinxoi (sc. viivoi) Siegeslieder, iyxw-
luu Preisgesänge auf Könige und Fürsten, gesungen beim festlichen Mahl
[iv xM^fo),^) iäXeiioi Trauerlieder bei Seuchen und Krankheiten,^) ^Aöm-
^) Vgl. Porphyrius de abstin. II, 18:
To^ yovv Jia^vXov cpaol, twv JsAcfojy c'i'Hovv-
ru)u sig ToV S^eov yquipca naiava, slneTp ort
ßsXriara Tvpyti/tp 7Jsnob]Tca ' nagaßciXlo^evou
cTe tov uvTov TTQog TOV ixeivov xaviov rrslasff-
dca xoTg uydXfxaOiv JoTg xuiyoig nQog xd aQj^cda.
2) Ath. 628 a stellt deshalb den gemes-
senen Päan dem Dithyrambus entgegen.
=^) Procl. 246,^7.^ Ath. 631c: r) vnoQxv-
fiarixrj eariy iv fi adojv 6 x^Q^? oQ/shia.
Menander de encom. p. 331, 21 Sp.: rovg
juey yiiQ sig ' Ano'AXojva naiävag xal vnoqx'*]'
fxata 6vofj,dt,o}xev, xovg de ttg Jiopvaov di-
i^vQctfAßovg xcd ioßäxxovg. Näheres über diese
Tänze gibt Plut. Quaest. conv. IX, 15.
"*) Ath. 181b: xQ7]Ttx(( xccXovai, rcc vnoQ-
X^f^aTCi. KQrJTu ^uey xccXtovai XQÖnov, xo
d^oQyavov Molooaov. Simonides fr. 31 : ona
&s yctQvacti, avy r' [vvv codd.) iXacpQoy oQxVf^«
oida TToduiy fj.iyvvfXEv.
^) Plut. de mus. 9 erkennt an der Me-
lodie, ob das Gedicht ein Päan oder ein
Hyporchem ist.
6) Unterscheidung derselben bei Procl,
247, 16 u. Ath. 174c.
') Die x^Q^voi sind dadurch entstanden,
dass die gymnischen Leichenspiele der ho-
merischen Zeit zu musischen wurden.
^j Pind. N. VIII, 50: smxojfxiog vjuyog.
9) Schol. Eur. Rhes. 892: cfaal d' ic'de-
fxov 7iciQ(x)yofxda&ai inl xijurj 'lalefxov xov
^AnoX'kiovog xcd KaXXionrjg, wg cpy^ai Tllydagog'
(i d' (sc. uoidd vfjysi) Idke^uoy lo/uoßoho
vovoM neda&evxcc ad^ii'og, vlöv OidyQov.
B. Lyrik. 5. Liederdichter oder Meliker. (§ 101.)
127
vfSia Adonislieder, ßavxaXrj(.iaTa Wiegenlieder,^) TQi7To6rj(fOQixa, waxoifo-
Qixd'^) u. a.
5. Liederdichter oder Meliker.
101. Alkaios^) bildet mit Sappho das ruhmgekrönte lesbische Dichter-
paar, das am Schlüsse des 7. und in der ersten Hälfte des 6. Jahrhdts.
blühte.^) Das Geschlecht des Alkaios gehörte zu den altadeligen Familien
von Mytilene; er selbst nahm mit seinen Brüdern lebhaften Anteil an den
Kämpfen des Adels gegen den von der Demokratie auf den Schild gehobenen
Tyrannen Melanchros^) und dessen noch verhassteren Nachfolger Myrsilos.
Über den Tod des letzteren jubelte er in wildem Parteihass auf Fr. 20.
vvv XQTi ix€&va&riv xai tiva ngog ßi'av
Auch in dem Krieg, den seine Vaterstadt um die Kolonie Sigeion im
Troerland gegen Athen führte, kämpfte er mit, wobei er seinen Schild
verlor, den dann die Athener im Pallastempel aufhingen.') Als die Myti-
leneer, des ewigen Haders müde, zur Schlichtung der inneren Zerwürfnisse
den weisen Pittakos zum Aisymneten aufstellten, verliess Alkaios mit
seinen Brüdern die Heimat^) und trat in fremde Kriegsdienste, die ihn bis
nach Ägypten führten. 9) Den Abend des Lebens brachte er wieder am
heimatlichen Herde zu, indem ihm Pittakos die Rückkehr gestattete mit
dem berühmten Ausspruch avyyrwiiri rfiio^qiag xQ€ia(Tcov.^'^) Diesem Leben
entsprechend durchweht ein kriegerischer Geist die Lieder des Alkaios, dem
sich die äolische Neigung zu rauschenden Weingelagen und leidenschaft-
licher Liebe verband, i') Auch die veilchenlockige, süsslächelnde Sappho
sang er in seinen Liedern an, ohne bei der schönen Dichterin geneigtes
Ohr zu finden.^-) Seine Gedichte, die mindestens 10 B. füllten, waren nach
dem Inhalt geordnet; sie umfassten Hymnen auf die Götter, i^) Streitlieder
(araaiorcixä) voll kriegerischen Feuers, darunter die glänzende Beschrei-
bung eines Waffensaales (Fr. 15), Trinklieder, von denen mehrere der glück-
liche Nachahmer unseres Dichters, Horatius, nachgebildet hat (Od. I, 9.
18. 37), endlich Liebeslieder (sQMTixä), von denen uns die Nachahmung des
') Solche Einschläferungslieder sind ein-
gelegt in Soph. Phil. 827 ff. und Eur. Or.
174 ff.
2) Procl. 248 f. ^
^j Der Artikel "J'kxmog ist bei Suidas
ausgefallen; Dikäarch hatte ein Buch nEgl
'AXxaiov geschrieben, das öfters Atheuaios
citiert; s. Welcker, Alkäos, in Kl. Sehr. I,
126 ft-.
'*) Euseb. setzt ihre Blüte Ol. 46, 1 nach
der armen. Übers., Ol. 45, 2 nach Hieronymus.
Suidas setzt die Sappho, die wir uns als etwas
jünger zu denken haben, Ol. 42. Nach Herod.
JI, 135, muss Sappho noch bis in die Re-
gierungszeit des Amasis (570—526) hinein
gelebt haben.
^) Derselbe fiel im J. 612.
^) Nachgeahmt von Hör. Od. 1,37; vgl.
Strabon p. 617.
') Herod. V, 95.
») Arist. Polit. III, 9.
9) Strabon p. 37.
i*») Diog. I, 76.
") Hör. Od. I, 32 u. H, 13. Ath. 429a
sagt, Alkaios und Aristophanes hätten trunken
(fiex^voj/Tsg) ihre Gedichte geschrieben.
^-) Arist. Rhet. I, 9; Hermesianax V. 47.
Daraufhin sind beide vereinigt auf einer
Vase der Münchener Sammlung; vgl. Jahn,
Darstellungen griechischer Dichter auf Vasen-
bildern S. 706 ff. Der Kopf des Alkaios auf
einer Münze des Pariser Kabinets, worüber
Baumeister, Denkm, u. Alcaeus.
^^) Der auf Apoll enthielt den Zug des
Gottes in das Land der Hyperboreer auf
einem von Schwänen gezogenen Wagen; ihn
gibt Himerios or. XIV in Prosa wieder; den
auf Hermes übersetzte Hör. Od. I, 10.
128
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Horaz Od. III, 12 einen Begriff gibt. Dem feurigen, aus der Frische des
Lebens genommenen Inhalt entsprach eine wundervolle Vollendung der
Form. Die Gedichte des Alkaios und der Sappho sind die melodischsten
Schöpfungen der Griechen; das lesbische Dichterpaar hat die einschmeicheln-
den Logaöden wenn nicht erfunden, so doch in der griechischen Lyrik
eingebürgert, daneben aber auch choriambische und ionische Verse gedichtet.
In ihren Liedern wiederholt sich in gefälliger Weise dieselbe Periode oder
Strophe {laovoaTQocfa in&'hj), so dass dieselben leicht nach einfacher Melodie
gesungen werden konnten. Die meisten ihrer Strophen bestunden aus 4
Gliedern (TSTQccxoolog (XTQocfjrj): speziell ist nach Alkaios die kräftige alkäische
Strophe benannt; doch wandte er auch mit gleicher Virtuosität die weiche
sapphische Strophe an.
102. Sappho ') aus Eresos (nach andern aus Mytilene) in Lesbos war
die jüngere Zeitgenossin des Alkaios. Von ihren Lebensverhältnissen weiss
man nur wenig sicheres, da dieselben früh durch die Sage und die Komödie
entstellt wurden. Ihr Vater war Skamandronymos, verheiratet war sie mit
Kerkylas aus Andros;^) von ihren 3 Brüdern lebte der eine, Charaxos,
längere Zeit in Naukratis mit der verführerischen Hetäre Rhodopis zu-
sammen.^) Infolge der politischen Wirren verliess auch sie ihre Heimat
und floh mit anderen Gesinnungsgenossen nach Sikilien.'^) Das Glück der
Liebe hatte ihr eine Tochter Kleis geschenkt, die sie mit zärtlichster Liebe
als das Kleinod preist, welches sie um ganz Lydien nicht hergeben würde.'')
Romantisch ausgeschmückt wurde in alter und neuer Zeit das Verhältnis
der Dichterin zu dem schönen Jüngling Phaon, der ihr untreu wurde und
dem in heisser Liebe in der Richtung nach Sikilien nacheilend, sie sich
vom leukadischen Felsen in das Meer hinabstürzte. Wahrscheinlich diente
der romantischen Erzählung die politische Flucht der Sappho nach Sikilien
zur Folie und bot die Erwähnung des leukadischen Felsens in einem ihrer
Lieder ^) Anlass zur speziellen Ausschmückung der Sage. Verzerrt und ins
Gemeine herabgezogen ward die Beziehung der enthusiastischen Dichterin
zu dem Kreise ihrer Freundinnen. In Lesbos hatte das Weib eine freiere
^) Suidas nimmt aus Missverständnis
zwei Sappho an. Manches über die Dichterin
hei Ovid. Heroid. 15. Ein Buch des Cha-
maileon über Sappho erwähnt Atli. 599 c.
Vergl. Welcker, Sappho von einem herrschen-
den Vorurteil befreit, in Kl. Sehr. 11, 80 144;
Lehbs, Pop. Aufs.- 399 f.; A. Schöne, Unter-
suchungen über das Leben der Sappho, in
Symb. phil. Bonn. 731—62; Ausgabe der
Fragmente von Neue, Berol. 1827. Ihr Bild,
natürlich Idealbild, findet sich auf Münzen
von Mytilene; eine Erzstalue hatte Silanion
gefertigt (Cic. Verr. IV, 57. 126); Kopien
desselben hat man in Marmor und Thon
wiedergefunden; s. Gamukrini, Testa di
Haffo, Ann. delV Inst. LI (1879) S. 246 ff.
-) Suidas u. luTUfw ; auch hierin, spe-
ziell in dem Namen Andres (Männerstadt},
hat man einen Witz der Komödie gefunden.
'■') Herod. II, 135; eines zweiten Bruders
Larichos, der Mundschenk in Mytilene war,
gedenkt Sappho bei Ath. 424 f.
■*) Mann. Par. zwischen Ol. 43, 4 und
47, 3 (wahrscheinlich Ol. 47, 1 oder 47, 2
nach Schöne): Icmtfio sy Mixvh']rt]g sig 2/-
xEllciv anlsvae cpvyovaa. Ihre Rückkunft
und ihren Tod in der Heimat setzen die
Grabschriften Anth. VII, 14 und 17 voraus.
^) Fr. 85; möglich freilich ist, dass eine
andere Frau in 1. Person spricht.
^) In Leukas, der vom Festland los-
getrennten Insel Akarnaniens, bestand ein
alter religiöser Brauch, einen Menschen zur
Sühne der Gottheit vom Felsen ins Meer
hinabzustürzen; ihn erwähnten Stesichoros
fr. 43 und Anakreon fr. 19; Sappho und
Phaon brachte damit in Verbindung Menan-
der bei Strabon p. 452; s. Müller, Dorier I.
233 und Oberhummer, Akarnanien S. 226.
B. Lyrik. 5. Liederdichter oder Meliker (§ 102.)
129
Stellung, die den engeren Zusammenschluss gleichgesinnter Mädchen und
Frauen zu musischen und geselligen Vereinen (haiQiai) ermöglichte. Auch
Sappho versammelte in ihrem Hause, das sie selbst i^ioiaonolov oixiar
nannte,^) schöne junge Freundinnen, mit denen sie dichtete und sang und
an denen sie mit der überschwenglichen Liebe einer heissblütigen Süd-
länderin hing. Es war ein ähnliches Verhältnis wie das des Sokrates zu
seinen Schülern.^) Hier wie dort spielte neben der geistigen Begabung
die Schönheit der Gestalt eine Rolle; aber erst die Ausgelassenheit der
Komiker und die schmutzige Phantasie der Römer haben aus den schwär-
merischen Versen, mit denen Sappho ihre Freundinnen, die Atthis, Tele-
sippa, Megara feierte, ein gemeinsinnliches Verhältnis herausgelesen, von
welchem Vorwurf die liebenswürdige Dichterin in unserer Zeit Welcker,
Kl. Sehr. H, 80 ff., gründlich gereinigt hat.^) Die Gedichte der Sappho
waren in 9 ß, nach der Zahl der Musen eingeteilt; massgebend war bei
der Anordnung das Versmass, so dass z. B. das 1. Buch Gedichte in
sapphischen Strophen, das 2. solche in äolischen Daktylen enthielt. Wir sind
so glücklich ausser zahlreichen Fragmenten noch 2 vollständige Gedichte zu
haben, eine Anrufung an die buntthronende Aphrodite um Beistand in
Liebesnot und ein Bekenntnis eifersüchtiger Liebe zur süssprechenden,
wonniglachenden Freundin. 4) Der Grundton, der alle ihre Gedichte, die
Liebeslieder, Epithalamien, Epigramme durchweht, ist der verzehrender
Liebesglut, die sie mit einer bei einer Frau uns doppelt auffallenden Offen-
heit ausspricht, wie wenn sie singt:
dsdvxe fxkv d askdva \ xal IlXrfidSec, ixedai de
vvxTsg^ naqd 6' Iqx^^' wqcc, | syio d^ fnöva xaisvSco.
Der sinnliche Reiz gehört zur Erotik, namentlich bei den Alten, aber
es ist nicht die schöne Gestalt allein, die Sappho begeistert, sie verschmäht
den Reichtum ohne Tugend (fr. 81) und verweist in das Dunkel des Hades
das Mädchen, das nicht teilhat an den pierischen Rosen (fr. 68). Alle
ihre Gedanken aber kleidet sie in die anmutigste Sprache, die harte Laut-
verbindungen sorgfältig meidet'') und liebliche Bilder, wie vom einsamen
Apfel am hohen Aste (fr. 93) uns vorzaubert. An Reichtum und Zartheit
des Rhythmus übertrifft sie selbst ihren Rivalen Alkaios; nach ihr benannt
ist die sapphische Strophe, die mit ihren weichen Ausklängen ganz dem
Wesen des liebevollen Weibes entspricht.^) Ausserdem dichtete sie ein-
fache Systeme aus gleichen Gliedern {avarißaTa f.'^ oiwimv), mehrgliederige,
zu je 2 verbundene Logaöden, daktylische Reihen mit einleitender Basis
(Aiohxd j^ibTQa); auch die Erfindung einer neuen Tonart, der mixolydischen,
0 Fr. 136. Herod. II, 135 nennt dem-
gemäss die Sappho selbst fÄOvaonoiog.
'^) So fasste das Verhältnis schon Ma-
ximus Tyrius XXIV, 8 auf.
^) Ob bei Horaz Ep. I, 19. 28 temper at
Ärchilochi musam pede mascula SappJio
wirklich pede mit mascula zu verbinden sei,
bleibt doch zweifelhaft. Pedantische Gram-
matiker wie Didymos untersuchten schon im
Altertum allen Ernstes, an Sappho pnhlica
fuerit, s. Seneca ep. 88, 37.
Handbuoh der klass. Altoitimiswisseiischal't, VII. 2. Autl
•*) Übersetzt von Catull 51, der uns
auch in dem PJpithalamion 62 einen Begriff
von den Liedern der Sappho gibt.
^) Dionys. de comp. verb. 23, wo sie
als Muster der yXacpvQo, xal avd^ijQa avPx^eaig
gepriesen wird; Demetr. de eloc. 166 f , wo
auch das Anpassen der Worte an die ver-
schiedenen Personen in den Epithalamien
hervorgehoben wird.
^) Hephaest. p. 64 W.
130 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
wird ihr beigelegt, i) Kein Wunder also, dass Sappho auch früh hohe
Anerkennung fand und als zehnte Muse von den Epigrammatikern und
Römern überschwenglich gepriesen wurde. 2) Ihr Bildnis erscheint auf myti-
lenischen Münzen, und ihre Statue von Silanion wird von Cicero in Verr. IV,
126 als unübertroffenes Meisterwerk gerühmt. Mit der Nachahmung ihrer
Lieder haben Catull und Horaz die römische Lyrik über die seelenlose
Künstelei der Alexandriner erhoben.^)
103. Anakreon ^) von der ionischen Insel Teos {Teiuspoeta) schloss sich
im erotischen Ton seiner Dichtungen ganz an die lesbische Melik an, nur dass
er dem weichlichen Lebensgenuss noch mehr huldigte und im ionischen Dia-
lekte seiner Heimat schrieb. Vorangegangen war ihm in letzterer Beziehung
unter seinen Landsleuten Pythermos, der Skolien gedichtet und nach
Athen, p. 625 c die ionische Tonart eingeführt hatte. Infolge des An-
griffs des persischen Satrapen Harpagos auf lonien (545) wanderte Ana-
kreon nach Abdera, einer teischen Kolonie in Thrakien, aus.^) In diese
Zeit wohl fallen seine wenig rühmlichen Kriegsthaten, deren er selbst
scherzend gedenkt (fr. 28. 29). Später treffen w^r ihn neben Ibykos am
Hofe des Polykrates, des mächtigen und kunstsinnigen Tyrannen von Samos
(533 — 522), bei dem er als Herold der Liebe und des Lebensgenusses in
besonderer Gunst stund. ^) Nach dessen Fall zog ihn Hipparch nach Athen, ^)
und nachdem auch dieser gefallen war (514), scheint er einer Einladung
des Echekrates, eines thessalischen Dynasten aus dem Hause der Aleuaden,
gefolgt zu sein.^) Er erreichte das hohe Alter von 85 Jahren,^) und als
lebenslustigen Greis, der trotz der gebleichten Haare nicht von Wein und
Liebe Hess, pflegte man ihn mit Vorliebe sich vorzustellen, i^) Die Alexandriner
hatten von ihm Elegien, Epigramme, lamben undMele, zusammen in 5 B.; auf
uns sind von denselben nur ärmliche Trümmer gekommen. Die lamben,
namentlich das durch Athenaios erhaltene Gedicht auf Artemon (fr. 21),
beweisen, dass Anakreon auch den bitteren Stachel des Spottgedichtes zu
führen wuisste; aber die Mehrzahl seiner Lieder zeigt den heiteren Gesell-
schafter und feinen Hof mann, dem das Saitenspiel beim Weingelage über
alles geht, der nur durch das Beil des Eros verwundbar ist (fr. 48), und
auch beim Herannahen des grauen Alters mit Wein und Lied sich den
Gedanken an den dunklen Abgrund des Hades verscheucht. Auch seine
Hymnen an die Götter, wie an Artemis und Dionysos, scheinen nur zur
Einkleidung des Gesangs von Liebeslust und Liebessehnsucht gedient zu
haben. Dem spielenden und weichlichen Inhalt entspricht auch die Form
^) Pliit. de mus. IG. | ^) C4eschlossen aus Fr. 184.
^) Vgl. Strabon p, (J17, der sie x9avjuci- j ^} Luc. Macrob. 26; sein Grab befand
aioy TL XQ^.ucc nennt. sich in Teos nach dem Epigramm in Anth.
3) Philostr. Vit. Apoll. I, 30 erwähnt ' VII, 25; siehe indes Bergk, Gr. Litt. II, 31^9.
eine Pamphylierin Damophyle, welche da- ^^) So ist er aufgefasst auf teischen
mals die Sappho in der Lebensweise und in | Münzen und in einer Marmorstatue der Villa
der Dichtung nachahmte. Borghese; s. Baumeister, Denkm. 79; als
^) Eine dürftige Vita bei Suidas;WELCKER, ' Sänger in halbtrunkenem Zustand dargestellt
Kl. Sehr. I, 251 ff. ; sah ihn Pausanias I, 25. 1 auf der Akropolis
^) Strab. p. 644; Suidas spricht irrtüm- in Athen. — Eine Liebschaft mit Sappho las
lieh von Histiaios. man irrtümlich aus dem Lied auf die schöne
6) Herod. III, 121, Strab. p. 638. Lesbierin (fr. 15) heraus.
') Plato Hipp. 228c, Charm. 157 e. |
B. Lyrik. 5. Liederdichter oder Meliker. (§ 103—104.)
131
seiner Lieder; als Strophe verwandte er zumeist die gefällige, aber über-
einfache Form glykoneischer Systeme, wie in
Q not naqS^sviov ßXsriMV^
6i^rjfAai (Tf, (TV 6' ov xXvsig^
ovx aldixlg oti rrjg sfii^g
ipv%rjg YjVioxsvsig^
daneben mit besonderer Virtuosität die zum Ausdruck artigen Liebesspiels
vorzüglich geeigneten loniker. ^) Wie Anakreon im Leben als höfischer
Dichter und heiterer Gesellschafter überall beliebt war, so hörte man auch
nach seinem Tode noch gern, besonders in dem lebensfrohen Attika^) beim
Gelage und bei nächtlicher Festfeier seine liebestrunkenen Lieder. Auch
in Alexandrien beschäftigten sich mit ihm hervorragende Grammatiker:
Chamaileon schrieb sein Leben, Aristarch besorgte eine kritische Ausgabe.
Aber in der römischen Zeit traten allmählich seine echten Gedichte hinter
den tändelnden Spielen seiner Nachahmer zurück.^)
104:. Die Anacreontea sind eine Sammlung von etlichen GO Ge-
dichtchen in der Art des Anakreon {'AvaxQsovTOg tov Trjl'ov av^noaiaxd
r]iiiai^ißa)^ welche der Anthologie des Konstantinos Kephalas angehängt
sind. Dieselben galten früher allgemein als echt und fanden noch im vorigen
Jahrhundert bei unseren Anakreontikern Ramler, Uz u. a. überschweng-
liche Bewunderung. Von diesem Taumel ist man jetzt allgemein ernüchtert,
nachdem man diese Lieder mit den echten Fragmenten des Anakreon acht-
samer verglichen und ihre grosse Verschiedenheit in Versbau, Dialekt und
Ton erkannt hat. Dass die Sammlung Nachahmungen enthalte, ist indes
früh bemerkt worden; trägt doch das 2. die Überschrift tov avrov BaaiXiov,
und spricht das 59. geradezu von Nachahmung des Anakreon. Aber
Bentley, Mehlhorn, Stark, Welcker*) begnügten sich mit der Annahme
einer Vermischung von Echtem mit Unechtem, während heutzutag allge-
mein die ganze Sammlung als spielende Nachahmung aus verschiedenen
Zeiten angesehen wird. Der erste Teil, welcher die 20 ersten Gedichte
umfasst und mit einem Lied in Pherekrateen abschliesst,^) scheint schon
dem Gellius XIX, 9 vorgelegen zu haben, der daraus das B. unter dem
Namen des Anakreon anführt. Der zweite Teil (21 — 34) ist eine Auswahl
von 7 Gedichten in Hemiiamben und 7 in gebrochenen ionischen Dimetern,
darunter das artige, von Göthe nachgebildete Gedichtchen auf die Zikade
(33). Der Rest umfasst Gedichte jüngeren Datums, zum Teil schon mit
^) Auffälliger Weise hatte Anakreon
nach Ath. 635 c nur die lydische, phrygische
und dorische Tonart, nicht auch die ionische
in seinen Melodien angewandt. Die ge-
brochene Form des lonicus, welche sich
Anakreon neben der regelrechten erlaubte,
sahen Spätere als Nachlässigkeit an, welche
Anschauung sich in Horaz Ep. 14, 12 non
elahoratum ad pedem ausspricht.
'^) In Athen stellte man sein Erzbild
auf (Paus. I, 35); vom Kultus des Ana-
kreon in Athen meldet uns das schöne Epi-
gramm des geistreichen Oligarchen Kritias
fr. 7.
^) Horaz hat noch Anklänge an den echten
Anakreon; so Od. I, 23 u. III, 11. 9 an Fr.
51 und 75; vgl. Od. I, 27 u. Fr. 63.
^*) Welcker, Die Anakreonteen,Kl. Sehr.
II, 356 ff.
^) Hansen, Über die Gliederung der
Anakreonteen in Vhdl. der 36. Vers. d. Phil,
in Karlsruhe, und Anacreonteorum syUoge
PaJatina, Lips. 1884. In den Gedichten
21-31 weist Crusius, Dhilol. N. F. I, 238 ff.
Anklänge an Wendungen der Sophisten der
Kaiserzeit nach. No. 5 trägt in Anth. Pla-
nudea 388 die Aufschrift 'lovhuvov und
imc(Q/iüi/ AlyvTiicv.
9*
132 Griechische Litteraturgeschlchte. I. Klassische Periode.
starken metrischen und prosodischen Fehlern, wie 52, 8 und 58, 2. Diesem
aus dem Altertum stammenden Corpus von Anakreonteen lässt Bergk in
der Ausgabe der PLG. noch aus der Publikation von Matranga eine
Appendix von ähnlichen Nachbildungen aus dem beginnenden Mittelalter
folgen, die mit den christlichen Anakreonteen des Sophronios verwandt sind.
105. Neben den grossen Meistern Alkaios, Sappho, Anakreon hat
Griechenland noch eine Reihe von Liederdichtern und namtlich Lieder-
dichterinnen 0 in äolischen und dorischen Landschaften hervorgebracht, von
denen ich in Kürze anführe: Myrtis aus Anthedon in Böotien, die als
Lehrerin Pindars genannt wird und in der Weise des Stesichoros die Liebe
der Ochma zu Eunostos besang. Kor in na aus Tanagra, Schülerin der
Myrtis, die mit Pindar um den Kranz gestritten haben soll, Telesilla aus
Argos, berühmt durch ihren Heldenmut, indem sie, als Kleomenes die
Argiver besiegt und die waffenfähigen Männer getötet hatte, die Frauen
zur Verteidigung der Stadt aufrief (im J. 510), 2) Praxilla aus Sikyon,
die besonders durch ihre Trinklieder sich Ruhm erwarb,^) Erinna, angeb-
liche Freundin der Sappho,*) von der die Spindel (/yAax«r?y), ein hexamet-
risches Gedicht, gerühmt wird.
106. Volkslieder^) im weiteren Sinn waren fast alle Dichtungen
der klassischen Lyrik der Griechen, insofern sie alle für die weiten Schichten
des Volkes bestimmt waren und vom Volke, von einzelnen oder im Chor,
gesungen wurden. Speziell aber verstehen wir unter Volksliedern solche,
deren Verfasser unbekannt war und die man deshalb vom Volke, das sie
sang, auch hervorgebracht wähnte. Gegenüber der enormen Zahl, die
unser deutsches Volk an solchen Dichtungen besitzt, sind uns aus dem
alten Griechenland nur wenige Volkslieder erhalten. Die einfachste Form
des rhythmischen Volkswitzes ist das Sprichwort {Tragoifuia), das bei den
Griechen meistens die Form des davon benannten Versus paroemiacus hatte,
wie (filst 6t roTog fisra TTa^vr^Vy oder cikXoi xa/^iov aXXoi ovavTO.^) In ihre
Klasse gehören auch die später den 7 Weisen zugeteilten Kernsprüche,
wie yvMd-i asuvTor, fu'TQoi' agiarov, und die in landläufige Verse gekleideten
volkstümlichen Rätsel (yQi(foi). Kunstvoller sind die aus mehreren, meist
lyrischen Versen bestehenden Volkslieder, wie das Mahllied {oi^tj imjuvhog)
der Lesbier, das Spinnerlied, das Kelterlied, das Lied auf den Gott Dio-
nysos, das die Frauen in Elis sangen, das Schwalbenlied der Rhodier ') u. a.
\) Antipater Anth. IX, 26 zählt 9 Dich-
terinnen, so viel wie Musen, auf.
0 Paus. II, 20. 8; Plut. de virt. mul. 8;
Polyän VIII, 23. Auffällig ist, dass Herodot
VI, 76 ff. nichts davon meldet; Bedenken
auch erregt, dass Eusebios die Telesilla viel
später, Ol. 82, 2 ansetzt.
^) Nach Eusebios lebte sie 445; sie war
auch Dichterin von Dithyramben.
'^) So Suidas, der sie 'haigap lancpovg
y.cd ofioxQovoy nennt, womit aber Eusebios
nicht stimmt, der sie auf 352/1 v. Chr. setzt.
Auf die Zeit nach Pindar weist entschieden
auch die Sprache.
•'^ Bergk, PLG. unter (U.n'miiia poj^n- j sow, Neugr. Volkslieder No. 305—8.
laria-, Ritschl, Opusc. I, 249 ff.; Benoist,
Des chants populaires dans la Grece cmti-
que, Nancy 1857.
ß) Zusammenstellungen von Meinecke zu
Theokrit 524 ff.; Haupt, Opusc. III, 520;
UsENER, Altgriech. Versbau 43 ff. In letzt-
genannter Schrift ist zugleich der Nachweis
geliefert, dass viele hexametrische Sentenzen
der Kunstdichter aus solchen volkstümlichen
Sprichwörtern erweitert sind.
^) UsENER a. 0. 80 ff. Über den Brauch
der mit einer Schwalbe oder Krähe in der
Hand herumziehenden Bettelknaben s. Ath.
359. Anklänge im Neugriechischen bei Pas-
B.Lyrik. 5. Liederdichter oder Meliker.(§ 105 106.) -6. Chorische Lyriker. (§107.) 133
Das Schönste aber, was die Griechen in dieser Gattung leisteten, ist in
den vielen, meist attischen Trinkliedern enthalten, in denen kerniger Frei-
heitssinn mit frohem Lebensmut gepaart ist. Einen hübschen Kranz von
solchen Skolien verdanken wir der Aufzeichnung durch Athenaios p. 694.
6. Chorische Lyriker.
107. Über den Chorgesang im Gegensatz zur Melik habe ich bereits
oben § 99 gehandelt. Seine Blüte erreichte derselbe unter dem Dreigestirn
Simonides, Pindar und Bakchylides, also zur Zeit, als bereits die Glanz-
periode des Melos vorüber war; aber die Anfänge desselben reichen über
Alkaios hinauf und knüpfen unmittelbar an die musischen und orchestischen
Neuerungen des Terpander und Thaletas an.i) Seine Entwicklung hängt
mit dem Glänze der musischen Wettspiele {dycoveg) zusammen, welche seit
dem 7. Jahrhundert die Dorier und später die Athener im Anschluss an dio
alten Götterfeste entfalteten.-) Voran gingen Delphi, der altehrwürdige
Kultsitz des Apoll, und Sparta, wo, wie Terpander sang, der Lanzenwurf
der Jünglinge und der helle Sang der Musen blühte. Ihnen folgten bald
andere Städte im griechischen Festland und in den Kolonien mit ähnlichen
Festen nach. Zu den Götterfesten gesellte sich im weiteren Verlauf die
Feier der Siege in den Nationalspielen, indem die Städte die Erfolge ihrer
Bürger sich zur allgemeinen Ehre anrechneten und dieselben mit festlichen
Aufzügen lohnten. Bei keinem derartigen Feste fehlte der Gesang; der
Inhalt desselben hatte selbstverständlich einen objektiven Charakter und
bezog sich in erster Linie auf den Anlass des Festes, den Mythus des
Gottes und die Ruhmesthat des Siegers. Doch mischte frühzeitig der Dichter
auch seine eigenen Gefühle in die erzählende Darstellung, zunächst so, dass
der singende Chor sich zum Träger der gleichen Empfindungen machte.
Es waren vorzüglich die Parthenien, die in dieser Beziehung die Brücke
zwischen Gefühl und Erzählung, Melik und Chorgesang schlugen. Die Form
des Chorgesangs war von vornherein ernster und feierlicher, so dass statt
der spielenden Logaöden die gravitätischen Daktylo-Epitriten vorherrschten.
Die begleitenden Tanzbewegungen riefen die Gliederung in Strophe, Anti-
strophe und Epode hervor; ebendaher stammte der grössere Umfang der
Strophen und die kunstvollere Gestaltung der Perioden, deren Verständnis
indes ohne Hilfe des Gesangs schon den Alten verschlossen war. 2) Die
Grundlage der Sprache bildete der heimische Dialekt der ältesten dorischen
Lyriker, der auch beibehalten wurde, nachdem die chorische Poesie zu an-
deren, nichtdorischen Stämmen getragen war. Daneben schlichen sich einzelne
Formen aus dem alten epischen Dialekt und infolge des Einflusses der äoli-
schen Melik auch zahlreiche Aeolismen ein.^)
\) Ein zeitliches Anzeichen liegt darin,
dass zu Delphi der Einzelgesang zur Kithara
im J. 554 V. Chr., zur Flöte schon 582 auf-
gehoben wurde.
^) Reisch, De musieis Graecorum certa-
mimbun, Wien 1886. Vgl. oben § 82.
^) Cic. Or. 183: a moclis quibusdam
cantu renioto soluta esse videatur oratio
maximeque id in optimo quoque eorum
poetarum gut 'ävqixoI a Graecis nominantur.
^) Ahrens, Über die Mischung der Dia-
lekte in der griechischen Lyrik, Vhdl. d.
Philol. in Göttingen 1852. Auf die lokalen
Dialekte, will die Sprache der einzelnen Ly-
riker zurückführen Führek, Die Sprache und
p]ntwicklung der griechischen Lyrik, Progr.
von Münster, und l*hilol. 44, 49 ff.
134 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
108. AI km an blühte in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts nach Archi-
lochos und Thaletas und kurz vor Alkaios.^ Seine Heimat war, wie
er selber Fr. 25 bekennt, das lydische Sardes.^) Von dort brachte er
die Kenntnis der lydischen Musik und der äolischen Gesangsweisen mit.
Seine Thätigkeit entfaltete er in Sparta, wo bereits Terpander und Thaletas
den Grund zur Pflege musischer Künste gelegt hatten.^) Er scheint dort-
hin als Kriegsgefangener aus den Raubzügen der Kimmerier gekommen zu
sein, muss aber dann in irgendwelcher Weise das lakonische Bürger- oder
Heimatsrecht erlangt haben, ^) da er bei Suidas Aäxwv arto Msaaoag ge-
nannt wird •'') und in seinen Gedichten ganz wie ein vollberechtigter Bürger
Lakedämons auftritt. Auch den Namen Alkman oder Alkmaion soll er
nach Alexander Aetolus, Anth. VH, 709 erst in Lakedämon erhalten haben.
Den Tod fand er hochbejahrt, da er Fr. 26 über das Alter klagt, das ihm
die Kniee lähme, und sich das Los des Eisvogels wünscht, den im Alter
die Weibchen über das Meer hintragen. Sein Grab zeigte man in Sparta
bei dem Dorfe Sebrion.<^) Seine Gedichte in 6 B. waren in altlakonischer,
mit epischen und äolischen Elementen versetzter Mundart geschrieben."^)
Den Hauptruhm verdankte er seinen Parthenien, welche mindestens 2 B.
füllten^) und von welchen Mariette 1855 ein grosses Bruchstück aus
ägyptischer Grabesnacht an das Tageslicht gezogen hat. Es standen die-
selben in der Mitte zwischen dem geistlichen und weltlichen Lied, indem
dem Lobpreis der Gottheit die Verherrlichung des Liebreizes der Chor-
führerinnen beigemischt war. Dabei ist das Lied bald für den Chorgesang
der Mädchen bestimmt, bald redet der Chor oder die Chorführerin den
Dichter an, bald spricht der Dichter zu dem Chor der Mädchen oder sprechen
Einzelne aus dem Chor zu einander, so dass man sich einen sehr lebhaften
und wechselreichen Vortrag vorstellen muss.^) Damit stimmt es, dass die
Chorgesänge des Alkman eine sehr subjektive Färbung hatten und dass
Athen, p. 600 f. unseren Dichter geradezu zum Begründer der erotischen
Lyrik macht. Ausser Parthenien dichtete derselbe auch Hymnen und Päane.
In den Rhythmen schloss er sich teilweise noch der daktylischen Art der
terpandrischen Nomen an, dichtete daneben aber auch Kretiker, lamben und
leichtfüssige Logaöden nach der Art des lesbischen Dichterpaares. Über seine
Kunst in der Strophenbildung lässt sich schwer urteilen, da die Fragmente zu
dürftig sind und keine seiner Strophen Nachahmer gefunden hat oder populär
geworden ist. In dem erhaltenen Parthenien hat Blass' und Ahrens' Scharf-
^) Suidas setzt ihn Ol. 26, Eusebios Ol. [ ■*) Heracl. Pont. fr. 2: \4Axfxdv oixixi]<;
30, 4 und 42, 2; entscheidend ist, dass er r/v 'Jyr]al&a, ev(pvijg de wV rj'ksv&EQOi&r} xccl
nach Suidas unter dem lydischen König Ardys
(652 — 615) lebte, was wohl aus einer Stelle
seiner Gedichte hervorgegangen sein wird.
Im Kanon stand er vor Alkaios.
'^) Alexander Aetolus, Anth. VII, 709
bezeichnet Sardes nur als Heimat der Väter
des Dichters.
^) Über das liederreiche Sparta der äl-
teren Zeit Flut. Lyc, 21 und Ath. 632 d;
Namen älterer Dichter Spartas waren Gitiades
(Paus. III, 17. 2), Spendon (Plut. Lyc. 28),
Dionysodotos (Ath. 678 c).
noifjzrjg dneßf].
^) Indem Suidas dieses Meaaoa mit
Messene verwechselte, nahm er einen zweiten
Alkman an,
6) Paus. III, 16. 9; vgl. Anth. VII, 19.
') Spiess in Gurt. Stud. X, 331 ff.;
Schubert, Sitzb. d. Wien. Ak. 1878 S. 517 ff.;
Meister, Griech. Dial. I, 20,
^) Steph. Byz. u. 'Egvoi/}].
^) Vergleiche was Dem etri OS de eloc. 167
von den Epithalamien der Sappho überliefert.
B. Lyrik. 6. Chorische Lyriker. (§ 108- 110.)
135
sinn Strophen von 14 kurzen Versen nachgewiesen, die sich in 2 gleiche, epo-
disch gebaute Vordersätze (V. 1—4= 5 — 8) und in einen grösseren, gleichfalls
aus trochäischen und logaödischen Elementen gebildeten Zugesang gliedern.
109. Arion^) aus dem lesbischen Methymna lebte und wirkte an
dem Hofe des Periander, des kunstsinnigen Tyrannen von Korinth (625 —
585).'^) Allbekannt ist die schöne Legende von der Seefahrt des Meisters
der Töne von Tarent nach Korinth, und von seiner Rettung durch Delphine,
die ihn unversehrt an das Land nach Tainaron trugen. Aelian, der H. A.
XII, 45 ausführlich die Fabel erzählt, teilt uns zugleich den angeblich von
Arion selbst auf das Votivdenkmal in Tainaron gesetzten Hymnus auf
Poseidon mit. Dass derselbe nicht von Arion herrührt, hat Böckh erkannt ;
Metrum und Sprache weisen uns nach Attika und auf die Zeit des Euri-
pides hin.^) Die Bedeutung des Arion besteht wesentlich in dem Anstoss,
den er mit seinen Dithyramben für die Entwicklung der Tragödie gab,
worauf wir weiter unten zurückkommen werden. Seine Gedichte waren
schon im Altertum frühzeitig verschollen.
110. Stesichoros*) (um 640 — 555)^) stammte aus dem lokrischen
Matauros, wo damals die Pflege der Musik in hoher Blüte stund, galt aber
als Himeräer,^) da er in Himera den grösseren Teil seines Lebens zubrachte.
Diese seine neuen Mitbürger warnte er auch vor den ehrgeizigen Plänen
des Phalaris, indem er ihnen die Fabel von dem Pferde erzählte, welches,
um sich an dem Hirsch zu rächen, von dem Menschen den Zaum annahm."^)
Aber vergeblich waren seine Warnungen; er selbst musste fliehen und
starb in Katane, wo man vor dem Thore sein Grabdenkmal zeigte.^) In
der Entwicklung der griechischen Poesie nimmt Stesichoros eine hervor-
ragende Stellung ein; er war nicht bloss ein ungewöhnlich fruchtbarer
Dichter — seine Werke umfassten 26 Bücher oder Gedichte ^) — er hat auch
^) Ein Artikel bei Suidas; der dort an-
gegebene Name seines Vaters KvxXsvg (von
xvxhog /o^oc) ist offenbar fingiert.
2) Find. Ol. XIII, 18 von Korinth: ral
JiMviaov nod^Ev e^cpavep ovi^ ßofßcho) /d-
Qiieg did^vQccfißo) ;
^) Bergk, PLG. unter Arion; Lehrs
Popul. Aufs, 2 385 ff. Von Einfluss war der
Münztypus des auf einem Delphin reitenden
Meergottes Palämon ; mit demselben stimmt
hübsch die Zeichnung Albr. Dürer 's überein,
welche den von einem Delphin getragenen
Arion darstellt: s. Jahn, Popul. Aufs. S. 351.
^) Artikel bei Suidas; Welcker, Stesi-
choros in Kl. Sehr. I, 148 ff.
^) Berechnet danach, dass er nach Luc.
Macrob. 85 Jahre alt wurde und nach Suidas
und Eusebios Ol. 56, 2 starb. Irrige An-
gaben enthält Marm. Par. c. 50 u. 73, wo
überdies ein älterer und jüngerer Stesichoros
unterschieden wird; s. Rohde Rh. M. 33,
198 ff.
^) Suidas: ix nöXsiog ^l^utQccg xijg lixs'kiag,
xa'keiTca yovv 'IfxsQcdog^ ol Ss cino McnavQucg
Ti]g iy 'IruXUi, ol de dno TlaXconior^ rijg ' Aq-
xuöiag. Vgl. Steph. Byz. u. MdxavQog. Lo-
kroi wird als Geburtsstadt des Stesichoros
auch vom Rhetor Himerios bezeichnet or.
XXIX * Alxcdog Ataßoy xcd AcxQovg [Xoyovg
cod., em. Wilamowitz) xoa^ust Izrjai/oQog.
Nach der von Alkidamas verbreiteten Sage
war er Sohn des Hesiod und der Klymene,
worüber oben § 59 und Nietzsche, Rh. M.
28, 223 ff.
') Arist. Rhet. II, 20. In Himera sah
Cicero in Verr. II, 35. 87 (vgl. Pollux IX,
100) seine Statue; sein Bild als Greis mit
einer Rolle auf einer Münze von Himera bei
Visconti Icon. gr. lll, 7 und Baumeister
Denkm. S. 1710.
«) Suidas in der Vita; Anth. VII, 75;
das Grabdenkmal hatte 8 Ecken u. 8 Säulen,
war also ähnlich dem sogenannten Grabmal
der Horatier in der Campagna. Entgegen
der Wirklichkeit gingen die Fälscher des
uns erhaltenen Briefwechsels zwischen Ste-
sichoros und Phalaris von einem freundschaft-
lichen Verhältnis der beiden Männer aus.
^) Suidas erwähnt 26 ßtßXla: war bei
dieser Angabe, was wahrscheinlich, ßißUu
identisch mit noitjfxcnci, so müssen die Bücher
von sehr verschiedenem und kleinem Umfang
gewesen sein.
136
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
das besondere Verdienst neue Formen erfunden und die Pflege der Poesie
von dem Osten über die Brücke der ozolischen und epizephyrischen Lokrer
nach Italien und Sikilien getragen zu haben J) Den Charakter seiner haupt-
sächlichsten Dichtungen bezeichnet sehr hübsch Quintilian X, 1. 62 mit den
Worten: ejncl carminis oiiera lyra susthmit.'^) Der Mythus mit seinem
reichen und stets von neuem bereicherten Inhalt bildete wie bei Homer
und Hesiod das Hauptelement seiner Muse. Da aber zu seiner Zeit das
Ansehen der epischen Dichtung und die Einfachheit der daktylischen Hymnen
im Erlöschen waren und insbesondere bei den Doriern an den Festen der
Götter und Heroen^) Reigentänze und Gesänge zur Zither sich grösserer
Beliebtheit erfreuten, so erzählte er die Mythen in lyrischen Versmassen
und Hess sie von Chören an den religiösen Volksfesten vortragen. Er hatte
dabei den grossen Vorteil in Sikilien mit seinen Mythen Neues zu erzählen,
da hier die Werke des Homer und Hesiod noch keine allgemeine Verbrei-
tung gefunden hatten. Aber auch vieles an sich neues enthielten seine
Gedichte, so dass dieselben auch in Attika vielverbreitet und namentlich
von den Tragikern vielbenützt wurden.-*) Den Inhalt seiner episch-lyrischen
Gedichte, von denen uns nur spärliche Reste erhalten sind, bezeichnen die
Titel d^Xa inl JJeh'a,^) rr^^vonjig, KeqßeQog^ Kvxvoc, EvQomsia, 'EqKfvXa,
^xvXXa, ^vod^rjQai, ^iXfov rcsgaiq^ Noaroi^ ^OqsaTsia. Bekannt durch Piaton
Phaedr. 243a ist seine Palinodie auf Helena; man erzählte, vermutlich nach
einer poetischen Andeutung in seinen Gedichten, er sei, weil er in einem
Gedicht der Oresteia oder Iliupersis die Helena geschmäht habe, blind ge-
w^orden, und habe dann sein Augenlicht wieder erhalten, nachdem er in
einer Palinodie die Schmähung widerrufen habe. Epochemachend für die
italische Sagenentwicklung war seine Iliupersis, weil darin die Mythe von
Aeneas Wanderung nach Italien vorkam,^) erfolgreich für die Entwicklung
der tragischen Poesie seine Erzählung von den Geschicken des Mutter-
mörders Orestes. Neben den heroischen Mythen des griechischen Mutter-
landes berücksichtigte er aber auch die sentimentalen Volksmärchen der
Heimat.'') So führte er zuerst die später vielgefeierte Gestalt des Hirten
Daphnis in die Poesie ein, den eine Nymphe liebte, dann aber, als er die
Treue in den Armen einer Königstochter brach, elend zu gründe gehen
^^ Angeblicher Vorgänger war der Me-
liker Xanthos, dem er unter andern die
Orestie nachgedichtet haben soll; s. Ath.
513 a. Dagegen verweist den Xanthos zu
den Fiktionen Robert, Bild u. Lied 173 ff.
'^)^ Ahnlich von ihm Antipater Anth. VII,
75: ov xcnd nvf^ayoQov (pvoixdp q)driv d
■hqIp 'OfZfJQov ipv/d iiA azEQvoig ^evteqov
(oxlaaTo- ebenso Anth, IX, 184.
^) Die Heroenkulte waren besonders in
den Kolonien verbreitet und beruhten auf
den Sagen von deren Gründung; gefeiert
wurden die Atriden in Tarent, Philoktet in
Sybaiis, Diomedes in Thurii, Odysseus in
Kyrae. Der Demeter galten die Anthes-
phoria, Theogamia, Anakalypteria, Koreia,
Thesmophoria, dem Apoll die Karneia, den
Dioskuren die Theoxenia.
^) Seeliger, Die Überlieferung der grie-
chischen Heldensage bei Stesichoros, Meissen
1886; Robert, Bild u. Lied 149 ff.
^) Dieselben sind nach der Dichtung
des Stesichoros dargestellt auf einer Vase
von Cäre, publiziert in Monum. Inst. X, 4;
dieselben fanden sich nach Paus. V, 17
auch auf dem Kypseloskasten.
^) Auf der Tabula Iliaca, welcher des
Stesichoros, nicht des Arktinos Iliupersis
zu gründe gelegt war, steht geschrieben
Aiveiag dnccLQWi^ sig'EoneQlav ; merkwürdiger-
weise aber weiss Dionysios, Ant. I, 45 da-
von nichts. Vgl. Chadzi Konstas, Die Iliu-
persis nach Stesichoros, Leipz. 1876.
^) Ath. 601a: iTrjal^^oQog (f' ov fxsTQiwg
iQioxixög yevofxsvog awiarrjae xcu tovtov töv
xQÖnov riop dafidriop.
B. Lyrik. 6. Chorische Lyriker. (§111.) 137
liess. In einem andern Idyll besang er das traurige Ende des von dem
schönen Euathlos verschmähten und so in den Tod getriebenen Mädchens
Kalyke, in einem dritten das blutige Geschick der treuen Rhadina, die dem
Tyrannen von Korinth angetraut, von der alten Neigung zu ihrem geliebten
Vetter nicht lassen wollte. In der Form wurde Stesichoros der eigentliche
Begründer der chorischen Lyrik; er stellte zuerst in Sikilien Chöre auf,
wovon er nach Suidas den Namen ^Trjffi'xoQog statt des ursprünglichen
Tiaiaq erhielt. Dass er auch die Dreiteilung in Strophe, Antistrophe und
Epode erfunden habe, hat man früher auf Grund des sprichwörtlichen Aus-
drucks ovSh TQia TMv ^rr^aixoQov yivMaxsig angenommen; dass aber diese
Deutung falsch sei und dass die Worte einfach nur bedeuten „du kennst
nicht einmal drei Verse des Stesichoros", hat neuestens 0. Crusius nach-
gewiesen.') Die beliebteste Form seiner Gesänge war die daktylo-epitri-
tische, die an alte volkstümliche Kola anknüpfte und trefflich zur gemes-
senen Gravität der dorischen Tonart stimmte. 2) In der Sprache mischte
er dem dorischen Grundton viele ionische Elemente bei, welche in der
Hauptsache auf das alte Epos, teilweise aber auch auf die ionischen Gründer
von Himera und Rhegion zurückzuführen sind.^)
111. Ibykos^) aus Rhegion, älterer Zeitgenosse des Anakreon, führte
wie jener das unstete Leben eines Wandersängers. Er durchzog die Städte
Unteritaliens und Sikiliens,^) lebte eine Zeitlang an dem Hofe der Tyrannen
von Samos^) und kam schliesslich auf einer Reise nahe bei Korinth ums
Leben. Sein Tod ward später, ähnlich wie der des Arion und Hesiod,
durch die schöne, von unserem Schiller verherrlichte Sage von den Kra-
nichen {j'ßvxsq), welche den versammelten Festgenossen die Mörder ver-
rieten, poetisch verklärt.') Seine Gedichte umfassten 7 B. und zeigten
zwar in Dialekt und Versbau den Einfluss der dorischen Chorlyrik, näherten
sich aber in Ton und Inhalt mehr der äolisch-ionischen Melik. Denn die
Liebe zu schönen Knaben und Mädchen bildete das Hauptthema seiner
Gedichte. Es sind die naidstoi ixsXiyctQvsg vjuvoi, auf die Pindar Isth. II, 3
anspielt,^) und welche vielleicht, nach Welckers geistreicher Vermutung,
^) 0. Crusius, Stesichoros und die epo- | 71; (iQ/ccioTSQog^Ißvxov • ovrog yuQ xvQCivvelv
dische Komposition in der griechischen Lyrik, i dvpä/ueyog ane&rjfirjaev.
in Comment. JRibheckianae p. .3 — 22, wo mit ! ^) Himer. XXII, 5 ; in Samos war er
Recht die epodische Komposition auf Alkman j wahrscheinlich vor Anakreon, da ihn Suidas
zurückgeführt wird ; in Sparta führte zur \ Ol. 54 setzt und zur Zeit, als der Vater des
Dreigliederung die T(K^/o^(« oder der Gebrauch j Polykrates herrschte, nach Samos kommen
von 3 verschiedenen Chören, worüber Plut. j lässt.
Lyc. 21 und Pollux IV, 107. { "') Die Sage zuerst bei dem Epigram-
^) Übrigens gebrauchte Stesichoros auch i matiker Antipater, Anth. VII, 745, dann
die phrygische Tonart (fr. 34) und den bei Plutarch de garr, 14 und Suidas; vgl.
uQ^axEiog vofxog des Olympos (Plut. de Welckek, Kl. Sehr. I, 100 ff. Dieselbe spricht
mus. 7). eine ewige, der Kindesphantasie aller Völker
^) Den einheimischen lonismus betont | eingeprägte Wahrheit aus, ist aber speziell
RoB. HoLSTEN, De Stesichori et Ibijci dia- i durch eine etymologische Spielerei hervor-
lecto et copia verhorum, Greifswald 1884: j gerufen. Das Grab des Dichters in der
dazu die Einwände von Hiller, Jahrber. d. Heimat setzt das Epigramm der Anth. VII,
Alt. XIV, 1, 68 ff. ! 7. 14 voraus.
*) Ein Artikel des Suidas; Schneidewin, { *") Schol. Arist. Thesm. 1(31 stellt Alkaios,
Ibyci rell., Gott. 1833 mit umständlichen j Ibykos und Anakreon als Dichter von neu-
Proleg.; Welcker, Kl. Sehr. I, 220 ff. (foxci nebeneinander.
^} Davon das Sprichwort bei Diogen. II, |
138
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
bei den griechischen Schönheitsvvettkämpfen, wie sie in Lesbos üblich waren,
von Knabenchören gesungen wurden. Es stellen sich dann die Knaben-
lieder des Ibykos den Parthenien des Alkman zur Seite, in denen ja auch
durch die Reigentänze der schönen Mädchen wonnige Gedanken der Liebe
in der Seele des Dichters geweckt wurden.
11 '2. Simonides (55G— 468),i) Sohn des Leoprepes, war auf der
ionischen Insel Keos, die auch des Sophisten Prodikos Heimat war, ge-
boren. Schon auf der Heimatinsel, in dem Städtchen Karthaia war er als
junger Mann mit der Dichtung und Einübung von Chorgesängen zu Ehren
Apollos beschäftigt.'^) Aber sein hochfliegender Geist strebte früh über die
engen Schranken seiner kleinen Heimat hinaus. Es war ohnehin seit dem
Anfang des 6. Jahrhunderts Sitte geworden, dass die Dichter und Schön-
geister ein Wanderleben führten: mit den grossen Zielen der Perserkriege
waren vollends die kleinlichen Stammeseigentümlichkeiten einer grösseren
Auffassung der Dinge gewichen. Simonides aber war in Leben und Dich-
tung so recht ein Repräsentant jenes aufgeklärten, universellen Zeitgeistes.
Von Keos kam er zunächst nach Athen an den Hof des kunstverständigen
Hipparch. Nach dessen Ermordung (514) ging er nach Krannon und La-
rissa in Thessalien, wohin ihn die Machthaber jener Städte riefen. Auf
Skopas dichtete er ein berühmtes, von Piaton im Protagoras zergliedertes
Loblied; dem Andenken des Antiochos von Larissa weihte er einen ge-
priesenen Trauergesang ;"') allbekannt ist seine später poetisch ausgeschmückte
wundervolle Rettung bei dem Einsturz des Saales, durch den Skopas und
alle übrigen Tischgenossen verschüttet wurden, i) Nach der Schlacht von
Marathon treffen wir ihn wieder in Athen, wo er in einer Elegie auf die
gefallenen Vaterlandsverteidiger den Sieg über Aischylos davontrug. In
Athen gewann er auch im März 476 mit einem Dithyrambus den ersten
Preis, wie er uns selbst in einer poetischen Didaskalie meldet.^) Bald da-
nach ging er nach Sikilien, wo er die Aussöhnung des Gelon und Hieron
vermittelte (476/5) ^) und sich an den Höfen der glanzliebenden Fürsten der
gesegneten Insel besonderer Gunst erfreute.'^) In Sikilien fand er auch
seinen Tod (468); vor den Thoren von Syrakus befand sich sein Grabdenk-
mal, das später ein roher Soldatenhauptmann zerstörte.^) Ob er die ganze!
Zeit über (476—468) in Sikilien verweilte, ist nicht ausgemacht;^) sicher
hatte er dort um 472 die hochfahrenden Anfeindungen seines grossen Rivalenj
') Ein Artikel des Suidas; Charaaileon
hatte ein Buch über Simonides geschrieben.
ScHNEiDBWiN, SimonicUs Cei rell., Brunsv.
1835. Das Geburtsjahr ist vom Dichter selbst
angedeutet fr. 147 ; das Todesjahr steht Marm.
Par. 57. Die Lebensdauer gibt Suidas auf
89 Jahre au.
'^) Ath. 45G f. Auch Pindar dichtete nach
Is. 1, 8 eine Ode für Keos.
2) Auf die Verherrlichung des Antiochos
und der Skopaden durch unseren Keier weist
Theokrit 16, 34 hin.
4) Cic. de or. 11, 86; Phaedrus IV, 25;
Valer. Maximus I, 8. 7; Aelian fr. 63 u. 78;
Quint. XI, 2. 11; s. Lehrs, Popul. Aufs.'^
S. 393 f.
•'•) Der Schluss des Epigramms Fr. 147 1
lautet: afAtpl d)d'«(Tx«Xir} de 2iifxiovi6ri saTiero
xvdog ^OydioKOfraerei nai&l AeMTTQinsog.
«) Schol. Pind. Ol. II, 29.
') Xenophon lässt ihn in dem Dialog
leQ(joy mit dem Tyrannen ein Gespräch über
das Los des Herrschers führen.
^) Callim. fr. 71; Aelian fr. 63.
■') Dass er noch nach 468 Athen zu Ehren
ein Epigramm auf die Sieger am Eurymedon
verfasste, ist man nicht berechtigt anzu-
nehmen, da das betreffende Epigramm unter-
geschoben und sicher nach 423 geschrieben
ist, wie Br. Keil, Herm. 20, 341 ff. nach-
gewiesen hat.
I
B. Lyrik. 6. Chorische Lyriker. (§ 112.)
139
Pindar zu bestehen, den gleichfalls Hieron an seinen Hof berufen hatte.
Im übrigen Hess er sich durch die vielen Aufträge, welche ihm für Sieges-
lieder, Choraufführungen und Aufschriften zu teil wurden, bald hierhin,
bald dorthin ziehen. Sein poetisches Talent und seinen feinen Witz stellte
er eben in den Dienst aller, die ihn verlangten und bezahlen konnten.
Denn für seine Gedichte sich honorieren zu lassen, betrachtete er als eine
selbstverständliche Sache, i) Dadurch freilich, sowie durch die Wahl der
Themata verweltlichte er die Poesie, indem er unter den Dichtern eine
ähnliche Stellung wie die Sophisten unter den Philosophen einnahm. 2) Zur
Frau des Hieron sagte er einst mit witziger Unverfrorenheit: Reichtum
geht vor Weisheit; denn die Weisen kommen zu den Thüren der Reichen.'^)
In unseren Augen hat so Simonides die Poesie von ihrer erhabenen Höhe
herabgezogen. Und in der That finden wir auch in seinen zahlreichen
Fragmenten nicht dasjenige, was wir von einem Lied in erster Linie ver-
langen, Wärme der Empfindung und schwungvolle Idealität. Aber gleich-
wohl verdient sein formales Talent, das namentlich in den geistreichen
Epigrammen seinen rechten Boden fand und ihm zahlreiche Siege, den 56.
im 80. Lebensjahre eintrug,^) alles Lob; besonders gerühmt wird von den Alten
seine Kunst in der ergreifenden Schilderung und in Erregung des Mitleides.^)
Die Dichtungen des Simonides waren sehr mannigfaltig und zahlreich;
den grösseren Raum nahmen die chorischen Gesänge ein, religiöse und
weltliche. In diesen behielt er den für diese Gattung typisch gewordenen
dorischen Dialekt bei, wiewohl er von Geburt ein lonier war und der Geist
seiner Dichtung mehr die weltmännische Feinheit eines Attikers als die
Gemütstiefe eines Doriers verriet. Wir haben Fragmente von Hymnen,
Päanen, Skolien, Epinikien,^') Enkomien, Dithyramben, Threnen.^) Die
letzteren erfreuten sich im Altertum eines besonderen Rufes: in ihnen ent-
faltete er in glänzender, der Tragödie vorgreifender Weise die Kunst, das
Mitleid der Hörer und Leser zu erregen. Der Rhetor Dionysios de comp,
verb. 26 hat uns ein herrliches Fragment eines solchen Threnos erhalten,
in welchem Danae, die in einer Kiste mit ihrem Kindlein Perseus in die
wogende See geworfen war, die Gefahren, welche sie und ihr Kind be-
drohten, in ergreifender Weise besingt. Vereinzelt in der griechischen
') Suidas: ovTog ttqmtoc ^oxeT y.txQoXoy'iav
c tasvsyxsTv sig rö dafiaxal yQccipaL aCfxcc fniax^ov.
^) Bezeichnend für das sophistische
Wesen des Dichters ist der Vers fr. 76: ro
()ox6LP xcd xc<v aldxheiixp ßiäzai.
3) Arist. Rhet. 11, 16; vgl. Plat. Prot.
:>46b. Die andere Anekdote von den 2
Kästchen bei Stob. Flor. 10, 39 (vgl. Callim.
IV. 77) lässt sich nur griechisch erzählen:
^i^o)vl^fjg naQCixaXovvxog rivog iyxoifxtov
noirjaai xal /ccQiy s^siv JkeyovTog, uQyvQior
d'k fxrj 6iö6vrog, ö'vo, slnev, £/(o xißMxovg,
Tfjy fxev /aqUiiDV, xrjv ö'e dqyvQiov, xal TiQog
tag /Qsiag rrju ^ev twv /aQiKoy xsyijy ev-
QLGX(ü öxav dvoi^oi^ rrjy de XQ7](TifXi]i^ f^6vi]v.
^) Fr. 145 und 147.
•'') Quint. X, 1. 64: praecipua eins in
commovenda miseratione virtus, ut quidam
in hac eum parte omnibus eins operis auc-
torihus praefercmt. Dionys. Cens. vet. Script.
6: lijuwpL^ov naQavfJQei, trju ixloy^v riou
ovofxcaMv, tfjg awri^taeeog ttjv dxQißeiai/.
TiQog rovroig xafh'' o ßEXrUou svQiaxsrai xal
üiudagov ro oixill^eodai, /urj fxsyaXonQEniög,
lug exsTpog, dlXd TTa&ijnxiog.
^) Geordnet waren dieselben nach Kam-
pfesarten.
') Nach Suidas schrieb er auch eine Tra-
gödie, worunter Böckh den Memnon, welchen
Strabon p. 728 einen Dithyrambus nennt,
verstehen wollte; vgl. Lübbert, Ind. Bonn.
1885 p. 16. Dagegen nahm G. Hermank,
Opusc. VII, 214 eine wirkliche Tragödie an.
Flach hat jenes xal rQayiodiai mit Recht als
Interpolation eingeklammert: s. Immisch, Rh,
M. 44, 556.
140 Griechische Litteraturgeschichte, I. Klassische Periode.
Lyrik steht sein melisches Gedicht auf die Seeschlacht bei Aitemision.
Ausserdem glänzte er als Dichter von Elegien, wie auf die Siege von
Marathon, Salamis, Platää, besonders aber als Epigrammatiker, i) In der
grossen Zeit des nationalen Aufschwungs wetteiferten Gemeinden und Private
in der Errichtung von Siegestropäen und in der Ehrung des Andenkens
tapferer Vaterlandsverteidiger. Auf den Statuen, Grabsteinen, Dreifüssen,
Tempeln wollte man aber auch in Worten die Erinnerung an die grossen
Ruhmesthaten festgehalten wissen, und dieses nicht in nackter Prosa, sondern
in schönen Versen. Zur Dichtung solcher poetischer Aufschriften war aber
keiner geeigneter als der geistreiche Simonides, der in wenigen Zeilen die
Hauptpunkte zusammenzufassen und der Erwähnung des Thatbestandes
irgend eine feine Fassung zu geben verstand. Überall wurde daher seine Kunst
in Anspruch genommen, und auch bei den Nachkommen so hoch in Ehren
gehalten, dass die Grammatiker einen besonderen Eifer auf die Sammlung
dieser Aufschriften (sTriygccinpceTa) verwandten. Auf solche Weise sind uns
viele seiner Epigramme erhalten, wahre Perlen der alten Poesie, wie das
auf die Gefallenen von Thermopylä
Si '§sTv\ a^yelXeiv Aaxsöaipovioig^ ort rrjSs
xsifxsd^a Totg xsivcdv grji^iacn nsid^öfxsvoi.
Auch sonst knüpfte sich an den Namen unseres Simonides der Ruhm
erfinderischen Geistes: er, der bis in sein 90. Lebensjahr sich ein wunder-
voll frisches Gedächtnis erhielt, galt zugleich als Erfinder der Mnemonik;
in den Ausgaben seiner Werke verbreitete er die für die Deutlichkeit des
Gedankenausdrucks wichtige, zuerst von den loniern aufgebrachte Unter-
scheidung der langen und kurzen Vokale e und o; über die verschiedensten
Dinge zirkulierten von ihm geistreiche Aussprüche (aTiocf^eyfjiaTa), wie
z. ß. der von Plutarch de glor. Athen, uns überlieferte ttfi' fxlv ^(f)y()a(fiay
eivai noir^aiv aiwTiMaav, t]]v dt TTOirjaiv t,(OYQcc(fiav XaXovcav.
113. Bakchylides mit Simonides durch die Heimat und das Ge-
schlecht verwandt, verweilte seit 476 längere Zeit mit seinem mütterlichen
Oheim in Sikilien, wo sie beide die Eifersucht Pindars wachriefen. 2) Später
hielt er sich, von der Heimat verbannt, im Peloponnes auf.^) Seine Poesie
bildete nur den Nachhall der grossartigen Genialität des Simonides; es fehlte
ihm die urwüchsige Kraft origineller Erfindung. Auch im Stil brachte er es
nicht über saubere Glätte. Wir haben von ihm ein längeres Fragment auf
den Frieden (fr. 13), das sich aber mit Piccolomini's Friedenshymnus
weder an Weichheit der Empfindung noch an Reichtum der Schilderung
messen kann. Dass die frostige Ode des Horaz I, 15, worin der Meer-
dämon Nereus dem Paris die Zukunft weissagt, eine Nachahmung des
Bakchylides (fr. 29) ist, erfahren wir aus den Scholien. Immerhin aber
wurde Bakchylides in den Kanon der 9 Lyriker aufgenommen und fand
auch in später Zeit noch eifrige Leser, die sich, wie Kaiser Julian, durch
den tugendhaften Adel seiner Poesie angezogen fühlten.^)
^) Vgl. Preger, De epigrammatis graecis,
Monachii 1889 p. 3 sqq. Frühe wurden auf
den Namen des grossen Epigrammatikers
auch falsche Epigramme übertragen, | *) Ammian. Marcell. XXV, 4.
2) Pind. Ol. II, 96: xoQaxsg (og uxqavxa \
yuQvETov Jiog TTQog oQvvxtt &£?oi^; vgl. P. II,
97, N. III, 143, Is. II, 6.
■') Plut. de exil. 14.
B. Lyrik. 6. Chorische Lyriker. (§ 113 114.) ~ 7. Pindar (622-448). (§ 115.) 141
114. Timokreon aus lalysos in Rhodos ist durch seine Beziehungen
zu Simonides bekannt geworden. Der letztere war mit Themistokles, dem
grossen Feldherrn und Staatsmann Athens, gutbefreundet; der erstere er-
ging sich in bitteren Schmähungen über denselben, weil er ihn, der wegen
des Verdachtes modischer Gesinnung aus seinem Vaterland verjagt worden
war, nicht wieder in seine Heimat zurückgeführt hatte. 0 Dafür strafte
ihn Simonides mit dem sarkastischen Epigramm : -)
IloXXd niMv xal noXXd cfccyoh' xal noXXd xccx siTToh'
dv&Qomovg xsT^ai TipoxQtcov ^Podiog.
Die Stärke des Timokreon war das Trinklied, das er ganz entgegen dem
Charakter der dorischen Lyrik zum Spottgedicht umwandelte; Suidas
nennt ihn geradezu einen Dichter der alten Komödie.
7. Pindar (522—448).
115. Von dem grössten und gefeiertesten Lyriker der Griechen sind
wir so glücklich noch eine grosse Anzahl von Oden, an 50, zu besitzen,
so dass wir uns aus seinen Werken selbst ein Bild von seiner Kunst und
seinem Schaffen bilden können. Auch an direkten Nachrichten über seine
Abstammung und sein Leben fehlt es uns nicht. Aber wie es bei einem
grossen Mann und der phantasiereichen Natur der Griechen begreiflich ist,
ward frühzeitig die nackte Wirklichkeit seines Lebens mit poetischen Sagen
umrankt. So erzählte man, dass eine Biene dem gottbeschirmten Knaben,
als er vor Müdigkeit auf dem Helikon eingeschlafen war, Honig auf die Lippen
geträufelt habe,*) dass dem göttlichen Sänger auf den Triften der Wald-
flur der gehörnte Pan und die Mutter Demeter erschienen seien, um ihn
zum Verkünder ihres Preises zu weihen.^) Solche Sagen, vermischt mit
bestimmten Angaben über seine Abkunft und sein Leben, erzählten bereits
die ältesten Biographen des Dichters, Chamaileon und Istros.^) Aber deren
Biographien sind ebenso, wie die seines Landsmannes Plutarch^j verloren
gegangen; auf uns gekommen sind nur ausser einem Artikel des Suidas
eine alte, in ihrem Grundstock w^ahrscheinlich auf den Grammatiker Di-
dymos zurückgehende Vita'^) und eine zweite Biographie aus dem Kom-
mentar des Eustathios, in welche ein älteres, aus dem 5. Jahrh. n. Chr.
stammendes Gedicht^) von Pindars Geschlecht eingelegt ist. Aus den dürf-
tigen Nachrichten der Alten und den Werken des Dichters selbst haben in
neuerer Zeit mehrere Gelehrte eine zusammenhängende Darstellung vom
Leben Pindars zu geben versucht, am ausführlichsten Leop. Schmidt, Pindars
1) Plut. Them. 21.
'') Anth. VII, 348; Ath. 416 a. Auch
Simon, fr. 57 ist gegen Timokreon gerichtet.
•') Eine ähnliche Vorstellung bei Piaton
Ion. p. 534a, Theokrit 7, 82, Horaz Od. 3, 4.
^) Etwas ähnliches erzählt Pausanias IX,
23, 3 von der Persephone. Man denke auch
an Hesiod Theog. 22 ff.
^) Leutsch, Die Quellen für die Bio-
graphien des Pindar, im Philol. XI, 1 ff.
^) Bezeugt von Eustathios im Leben des
Dichters und von Photios p. 104 b, 3 Bekk.
') Gewöhnlich Vita Vratislaviensis ge-
nannt nach dem Codex, aus dem sie zuerst
ans Licht gezogen wurde.
^) Der Kommentar selbst ist bis auf die
Vita verloren gegangen ; das eingelegte l'evog
Uivf^ÜQov in 31 Hexametern zeigt den Vers-
bau des Nonnos und seiner Schule; s. Lud-
wich, Rh. M. 34, 357 ff. — Eine Vita des
Thomas Magister aus dem byzantinischen
Mittelalter enthält gleichfalls einige uns sonst
nicht überkommene Nachrichten.
142 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Leben und Dichtung, Bonn 1862.^) In diesem Buche sucht der feinsinnige
Verfasser, indem er der zeitlichen Folge der erhaltenen Gedichte nachgeht,
uns ein Bild der geistigen Entwicklung des Dichters zu entwerfen. Sehr
farbenreich ist dasselbe nicht ausgefallen; von einem Vergleich mit ähn-
lichen Darstellungen des Geistesganges der grossen Dichter unserer Nation
kann ohnehin nicht die Rede sein; dafür war einem antiken Dichter der
Typus seiner Kunst zu fest von vornherein vorgezeichnet und der Freiheit
individueller Empfindung ein zu kleiner Spielraum gestattet. 2)
116. Pindar hatte das siebenthorige Theben zur Vaterstadt, wie er
selbst in einem Liede (fr. 180: 01; toi ixs '^a'vov ov6' döarj^iova Moiaäv
inaiSsvaav xlvral Orjßai) bezeugte. Seine eigentliche Heimat aber war
das Dorf Kynoskephalai bei Theben, in dem sein Geschlecht seit Alters
begütert war. Aus der Stelle P. V, 76 AlysiSai s^iol naTtQsg schliesst
man, dass seine Familie zu dem Geschlecht der Aigiden gehörte, von
dem ein Teil zur Zeit der dorischen Wanderung nach Sparta und später
nach Thera und Kyrene ausgewandert war. 3) Von dem Musenquell Dirke
in der Nähe Thebens, den er wiederholt in seinen Liedern feierte,"^) erhielt
er den Namen eines dirkeischen Schwanes. Sein Vater hiess nach den
einen Daiphantos (v. 1. Daiphantes), nach den andern Pagondas,^) seine
Mutter Kleodike. Ein Bruder des Dichters war Erotimos (Erotion bei
Suidas), der als guter Jäger und Faustkämpfer bekannt war. Der Geburts-
tag Pindars fiel auf das Fest des Gottes in Delphi,^) woraus wir entnehmen,
dass er im 3. Jahr einer Olympiade geboren war. Nach Suidas war dieses
die 65. Ol.; das ist aber nicht wahrscheinlich, wenn anders er schon Ol.
69, 3 als Dichter des 10. pythischen Siegesgesanges auftrat."^) Deshalb
lassen ihn die Neueren schon Ol. 64, 3 = 522 geboren sein, also nahezu in
derselben Zeit, in welcher sein grosser Geistesverwandter, der Tragiker
Aischylos, das Licht der Welt erblickte.
Das Wort i)oe^ö^ nascitur gilt nur zum Teil von einem Lyriker der
Griechen; der chorische Lyriker dichtete zugleich die Melodie und übte
den tanzenden Chor ein; Musik und Tanz aber wollen gelernt sein. So
hatte auch Pindar seine Lehrmeister in den verschiedenen Zweigen seiner
^) Ausserdem behandelten neuerdings j ^oavvag avEXSiXav ttuq' evTsi^saip Kdd^uov
das Leben unseres Dichters T. Mommsen, j -nvlaiq.
Pindaros, Kiel 1845; Luebbert, Pindars Le- j ^) Daiphantos hiess der Sohn Pindars,
ben, 1878 u. 1882; dazu Cheist, Zur Chrono- woraus vielleicht Daiphantos als Grossvater
logie pindarischer Siegesgesänge. Stzb. d. b.
Ak. 1889 S. 1-64.
^) Siehe Fr. Mezger, Disput. Pindaricae,
Augsb. Progr. 1873.
^) In Anaphe, einem Annex von Thera,
findet sich öfters inschriftlich der Name
Pindaros; siehe Lübbert, in Findari lociim j ivUrjas ^s irju sixoar^]^ ^evr^Quy Ilv^iäö'a
bloss vermutet ist.
^) Vit. Vratisl. zitiert die Stelle eines
Päan: nsvTccsrrjQig eoQxä ßovTJo/Lmog, fV ü
TTQioTOi' £vyuar9)jp dycmatög xmd anaqyävoii;.
"') Übrigens daif ich nicht verschweigen,
dass die Angabe des Scholiasten zu P. XU
de Aegidis et sacris Carneis, Bonn 1888.
Dagegen Einwände von Boenemann, Piniol.
43, 79 ff.; das Jiyeiö'af, sfxol ncafQEg kann
allerdings auch auf die Thebaner überhaupt
gedeutet werden. Verkehrter Weise deutet
Studniczka, Kyrene S. 73 ff. das ifxol na-
ttoeg auf die Vorfahren der Kyreneer.
^) Isth. V, 74: nlaiti G(fe JiQxag ayvou
v&iüo. Tf ßaS^rCojyot xoqui xqvaontnXov Mva- fallenden Sieg.
Bedenken unterliegt, da einerseits in jener
Pythiade der gefeierte Knabe auch im Sta-
dion siegte, dessen Pindar in jener Ode
nicht gedenkt, und anderseits die nächsten
Siegesoden Pindars P. VI u. XII erst 8 Jahre
nach Ol. 69, 3 = 502 v. Chr. fallen. Mög-
licher Weise also feiert Pindar P. X. einen
jüngeren, um 4 oder mehrere Jahre später
B. Lyrik. 7. Pindar (522-448.) (§ 116.) 143
Kunst. Das Flötenspiel lehrte ihn in früher Jugend sein Oheim Skopelinos;
tiefer führten ihn in die Kunst der Aufstellung kyklischer Chöre die Athener
Agathokles und Apollodoros ein. Auch Lasos von Hermione wird als sein
Lehrer genannt,^) aber wahrscheinlich nur weil die Grammatiker es liebten,
bedeutende Zeitgenossen zu einander in Beziehung zu setzen. Zur Dicht-
kunst leitete ihn die ältere Dichterin seiner böotischen Heimat Myrtis an.
Zu Korinna stund er mehr auf dem gespannten Fuss eines Rivalen; Pau-
sanias IX, 22. 3 sah im Gymnasium von Tanagra ein Bild der mit der
Siegesbinde geschmückten Dichterin und deutete dieses auf einen Sieg, den
dieselbe im Wettkampf über Pindar davongetragen habe. 2) Und als Pindar
einst einen Hymnus auf Theben mit den Versen begann
'[(yfxrjvov 7j '/^QvaaXäaaTov MsXiav,
r] Kdöfiov, r] anaqTÖov isqov ya'vog ccvSqcov,
Tj Tccv xvavccf^iTtvxa G^ßav,
r] t6 TtccvToXfjiov adtvog '^HqaxXtog^
Tj rdv JiMvv(fov TtoXvycc^a'a tipdr,
rj ydjiiov XevxwXsvov '^ÄQiioviag i^iuvrjc^ofisv;^)
soll ihn Korinna witzig mit der Bemerkung zurechtgewiesen haben r/J
X^iQi^ cnsiQSiv fji7j6' oXco tm d^vXaxiA)
Schon früh ist Pindar sich seiner hohen Sendung bewusst geworden
und als Dichter selbst aufgetreten. Wir können das zunächst nur an
seinen Siegesliedern nachweisen. Das älteste derselben, P. X auf einen
siegreichen Knaben aus dem Geschlechte der Aleuaden fällt nach der An-
gabe der Scholien in Ol. 69, 3 oder in das 20. Lebensalter des Dichters.^)
Schon in frühem Lebensalter ist er auch, wie dieses die 5. nemeische und
6. isthmische Ode bezeugen, mit der Insel Aigina, zu der ihn die Stammes-
Verwandtschaft^) und die Gleichheit des aristokratischen Regimentes hin-
zog, in Verbindung getreten.^) Sein Mannesalter fiel in die grossartige Zeit,
in der Hellas unter schweren und harten Kämpfen die nationale Läuterungs-
probe bestand und die Überlegenheit des freien Geistes über barbarische
Despotie für immer begründete. Auf Pindars Geist wirkten die helden-
mütigen Kämpfe der Perserkriege nicht so gewaltig wie auf Aischylos und
Simonides ein. Das hängt mit der Politik seiner Vaterstadt zusammen, die
mit kurzsichtiger Engherzigkeit in einem Kampf, in dem es sich um die
Ehre und den Bestand der Nation handelte, neutral bleiben wollte, dafür
^) Nur von Eustathios, aber weder in
dem metrischen rivog noch in der Vit. Vrat.
-) Die Deutung wird dadurch zweifel-
haft, dass Korinna fr. 21 die Myrtis tadelt,
weil sie, ein Weib, mit Pindar in einen
'") An der Richtigkeit der Angabe kann
man indes zweifeln; s, S. 142 An. 7.
^) Das ist Ts. VIII, IG dadurch aus-
gedrückt, dass Theba und Aigina als die
zeusgeliebten Töchter des Asopos bezeichnet
Wettkampf sich eingelassen habe. Auch der \ werden. Auch in dem Preis des Waffen-
Grund, dass die Preisrichter sich durch den ' bündnisses zwischen Telamon aus Agina
heimischen Dialekt der Lieder der Korinna und Herakles aus Theben (N. IV, 25, Is. VI,
bestimmen Hessen, schmeckt nach Gramma-
tikerwitz. Gleich fünfmal lässt Pindar von
Korinna besiegt werden Aelian V. H. XIII,
25 und Suidas w.. KoQivva.
^) Dieselbe Überschwenglichkeit findet
sich Isth. VIT in.
^) Plut. de glor. Athen, c. 4 p. 347 f.
31) gibt sich das gleiche Bestreben kund.
"') Tax den ältesten Epinikien Pindars
gehören ausserdem P. VI auf Xenokrates
aus Agrigent, P. XII auf Midas aus Agrigent,
N. II auf Timodemos aus Athen, 0. X auf
Agesidamos aus Lokris.
144
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
aber auch nach der Schlacht von Platää schwer die Sünden treulosen
Vaterlandsverrats büssen mussteJ) Polybios (IV. 31), der unparteiische
Historiker, der sonst so schlecht auf die Anmassungen athenischer Hege-
monie zu sprechen ist, macht es doch dem Pindar zum bitteren Vorwurf,
dass er jener Politik der Neutralität und Ruhe das Wort geredet habe
mit den Versen:
tÖ xoivov Tig dc^Tvov iv svSia nd^sig
sQsvvaadTü) ixsyccXccvoQog '^Hav^iag to (faiÖQov (pdog.
In der Stunde der Gefahr vermochte eben Pindar ebensowenig wie seine
Landsleute die kleinlichen Rücksichten des Partikularismus zu überwinden.
Später nach dem glänzenden Doppelsieg der Athener am Eurymedon er-
kannte auch er, ausgesöhnt mit der Vergangenheit, die glänzenden Ver-
dienste Athens um die Freiheit von Hellas voll an, 2) so dass er in einem
Dithyrambus der Stadt den niewelkenden Ruhmeskranz flocht:
0) Tai kiTiagal xai loarscfavoi xal doiöifxoi^
'^EXXäöog €Q€i(^fxa, xXsival 'Ad^ävai.
Die Athener ehrten ihn dafür mit der Proxenie und einer Ehrengabe von
10000 Drachmen,^) welche Spätere als eine Entschädigung für eine an-
geblich von Theben über ihn verhängte Strafe ansahen.*)
in. Inzwischen war auch der Ruhm des Dichters weit über die
Grenzen der Heimat und der benachbarten Gebiete gedrungen, so dass er
in gleicher Weise wie Simonides das Ansehen eines hellenischen National-
dichters erlangte. Viel trugen dazu die Verbindungen bei, welche ihm die
grossen Nationalspiele der Hellenen verschafften. Durch sie trat er in Be-
ziehung zu den vornehmen Geschlechtern von Rhodos, Tenedos, Korinth,
zu Arkesilas von Kyrene,') zu König Alexander von Makedonien,^) und
vor allem zu den fürstlichen Höfen des Theron von Akragas und Hieron
von Syrakus. Pindar liebte infolgedessen regelmässig den Spielen in
Olympia, Delphi und anderen Orten beizuwohnen, und ging öfters auch mit
den heimkehrenden Siegern, wie mit Diagoras aus Rhodos, in ihre Heimat,
um selbst die Aufführung des Festzuges zu leiten.^) Sikilien und die Könige
Theron und Hieron besuchte er 472,^) um dieselbe Zeit wie Aischylos,
') Find. Is. VIII, 11.
^) Ausser in dem gleich zu erwähnenden
Dithyrambus, worüber Plut. de glor. Ath. 7
handelt, besonders noch in P. I, 75 u. N.
IV, 19; über die Abfassungszeit des Dithy-
rambus s. Christ, Zur Chronol. Pindars 47 ff.
Auch in P. VIII, in welcher Ode der Dichter
die Agineten zur Ruhe nach der Einnahme
Aegina's durch Athen ermahnt, zeigt sich
die gleiche athenfreundliche Gesinnung.
^) Isoer. de antid. 166: IJli'&aQoy jU€y
Toy 7ioit]T7]y Ol TiQo Ti)fxiüv ysyovoxeg vnsQ
iyog fxovov ^^fxcaog, oii rrjp nöXiv sgeiG^ci
irjg 'EXXäöog (opofxaasy, ovTcog etifA7]oav,
waxs xcd TiQo^Evop noitjaaa&ai y.al dcoQeccy
fXVQiag ciVTO) dovyrti ÖQa/juäg.
^) Vit. Vrat., Vit. Eust., Aeschines ep. 4.
Nach Paus. I, 8. 4 haben ihn die Athener
auch mit einem ehernen Standbild geehrt;
vergl. BöCKH zu fr. 46.
^) Des Arkesilas Sieg im J. 466 feiert
P. IV u. V.
^) Fr. 97 stammt aus einem Enkomion
auf Alexander.
'') Dass Pindar selbst mit Diagoras nach
Rhodos ging, lässt das Wort xccrsßay 0.
VII, 13 vermuten; dagegen scheint freilich
V. 8 nsfXTUüv yXvxvp xagnov cpQEvög zu
sprechen, doch scheint das nur. Auch
nach Kyrene war er zur zweiten Siegesfeier
des Arkesilas gekommen, wenn anders die
Lesart V. 80 aeßi^ofxsp Kvqdvccg dyaxTifxei'ui'
nokiy sicher steht.
^) Die 1. olymp. Ode auf den Sieg des
Hieron mit einem Rennpferd {xElrjn), er-
rungen Ol. 77 (nach Bergk, Ol. 76), trug
er selbst in Syrakus vor, wie man aus V. 17
u. 106 sieht. Wahrscheinlich leitete er auch
die Aufführung von F. I auf den Sieg von
474 in dem sikilischen Ätna.
B. Lyrik. 7. Pindar (5^3 448). (§ 117.) 145
mit dem er in der Beschreibung des Ausbruchs des Ätna wetteiferte.^)
Während aber andere, wie Simonides und Bakchylides, auf längere Zeit ihren
Sitz an den Fürstenhöfen aufschlugen, kehrte Pindar bald wieder nach
Hellas und Theben zurück; er wollte eben, wie er zu sagen liebte, lieber
sich als andern leben. 2)
In andere Beziehungen brachte Pindar seine Stellung als Dichter
religiöser Festgesänge. In jener Zeit des allgemeinen Aufschwungs wurden
auch die Feste der Götter allwärts mit erhöhtem Glänze gefeiert, und
Pindar war der verehrte Dichter, den die Priesterschaften von nah und
fern um eine poetische Spende für die Gottheit angingen. So dichtete er
nicht bloss für Chöre der Götterfeste Thebens und der nächsten Umgegend
heilige Lieder, sondern sandte selbst den Priestern des Zeus Ammon einen
Hymnus, den auch noch die späteren Generationen so in Ehren hielten,
dass ihn Ptolemäus Lagi auf eine dreieckige Säule neben dem Altar des
Gottes eingraben liess.^) Besonders nahe aber stand er den Priestern in
Delphi, deren Weisheit er in den Kernsprüchen seiner Gedichte verkündigte
und von Seiten deren er sich mannigfacher Aufmerksamkeiten erfreute.
Noch in später Zeit war es Brauch, dass bei den Theoxenien in Delphi
der Herold in dankbarer Erinnerung an die ehemalige Beteiligung des
Dichters an dem Feste ausrief: IlivdaQog inl t6 SsTtcvov toi ^8(7} ^)
Den Tod fand Pindar in hohem Alter, wahrscheinlich im Jahre 448.^)
Sein letztes datierbares Gedicht ist P. VIII, gedichtet Ol. 82, 3 ==■ 450,^)
aus dem wohl eine schwermütige Stimmung herausklingt, ^) das aber nichts
von geistigem Siechtum verrät. Er verschied fern von der Heimat in
Argos, wie die Sage erzählt im Theater, in dem Schosse seines Lieblings
Theoxenos. In Theben, wohin seine Töchter Protomache und Eumetis die
Aschenurne brachten, stand noch zur Zeit des Pausanias (IX, 23. 2) sein
Grabdenkmal. Der Perieget (IX, 25. 3) sah auch noch jenseits der Quelle
Dirke die Trümmer seines Hauses und daneben ein Heiligtum der Götter-
mutter Dindymene, in das der fromme Dichter ein Götterbild gestiftet
hatte. ^) Von dem Hause erzählte man sich bekanntlich, dass es Alexander
allein von der Stadt Theben verschont habe, indem er darauf schreiben
^) Zur Zeit des Ausbruchs (479 oder 475)
des Ätna war er noch nicht in Sikilien, wie
mit goldenen Buchstaben in dem Tempel
der lindischen Athene aufgeschrieben.
die Worte P. I, 27 (gedichtet 474/3 nach ^) Vergl. den Heroldsruf ^etk Aeaßiou
Böckh, 470 nach Bergk) ft^av^a de x«t Tiag'
Wovioiv {ncKQiovzMP vel TiaqeövxMP codd., em.
Cobet) bezeugen. Der Ausbruch ist besungen
von Pindar P. I, 21 ff. u. Aischylos im Prom.
379 ff. Die Palme trägt dabei entschieden
Pindar davon, wiewohl in 1 Punkte, in dem
Bilde von den Feuerströmen {noTaf^iol nvQog)
Aischylos glücklicher als Pindar war. Ge-
naueres darüber habe ich ermittelt in dem
Aufsatz, Der Ätna in der griechischen Poesie,
Stzb. d. b. Ak. 1888 S. 359 ff.; vgl. § 59.
'-) Eust. vit. Pind. : HipdaQog eQwrtj&eig,
dt« TL 2!ifA,(oyidr]g fusy TiQog roi'g Tvqüppovg
u7i€&7J/nt]G€P sig lixE^iaVy ccvrog de ovx exUXei,
E(pt], dioTL ßovXo^ca sjuavTa ^rjv, ovx iIXIok
^) Paus. IX, IG. 1. Ähnlich ward nach
den Schollen die 7. ol. Ode auf Diagoras
lodöp zu Ehren des Terpander § 80.
^) Nach dem Fepog starb er 80 Jahre
alt, was wahrscheinlich eine abgerundete
Zahl ist; Suidas gibt ihm 75 {vi, verderbt
aus ni) Jahre, was, wenn man von dem
Geburtsjahr des Dichters ausgeht, auf 448/7,
wenn man den Ansatz, dass Pindar zur Zeit
des Xerxes 40 Jahre alt gewesen sei, zu
gründe legt, auf 445 führt.
^) So nach der Überlieferung, die ich
gegen die Zweifel neuerer Gelehrten gestützt
habe Stzb. d. b. Ak. 1889 S. 1 ff.
^) P. VIII, 95: ETidfxsQoi • TL de Tig, t'l
(f' ov Tig; axwg opctq ävyhQionog.
8) Schol. zu P. III, 137 erzählt, dass
Pindar ein ayalfia firjTQog t^etop xccl IJupog
neben seinem Hause gegründet hatte.
Handbuch dor klass. Altcrtiimswissonschaft. VII. 2. Aufl. 10
146 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Hess: UirSaQov xov f^iovaoTioiov rrjv aTtyrjv jüt] xaiersA) Er hinterliess neben
den zwei genannnten Töchtern einen Sohn Daiphantos, den er selbst noch
als Reigenführer eines apollinischen Mädchenchors in die musische Kunst
eingeführt hatte.
118. Die Werke Pindars lagen den Grammatikern und Biographen
in einer Gesamtausgabe von 17 Büchern vor. Die Ausgabe war wahrscheinlich
von Aristophanes von Byzanz angefertigt worden, auf den wenigstens
Dionysios de comp. p. 185 die herkömmliche Verseinteilung zurückführt. 2)
Nach der Vita waren in derselben enthalten: vßvoo, TTaiävsQ, 6id^vQCif.ißoi
in 2 B., TTQoaödia in 2 B., naQS^tvia in 3 B., vnoQxrjiiaTa in 2 B., syxM^iia^
xhQYiVoi, sninxoi in 4 B. Das 3. Buch der Parthenien hatte den speziellen
Titel T« xsxMQiafitva twv TiaQ^sviurv, woraus man zu schliessen berechtigt
ist, dass die Parthenien ursprünglich den Schluss der Sammlung bildeten
und dass in das letzte Buch allerlei Gedichte, welche unter den andern
Titeln nicht wohl untergebracht werden konnten, zusammengefasst waren. 3)
Suidas fügt zu den erwähnten Gedichtalten noch hinzu: ^) h'S^Qoviainof,
ßaxyjxä, 6a(fvr^(fOQixd, axoXid, Sgccp^uTa TQayixd^^) smyQcciinaicc^ naQaivsasiQ,
Aber diese Titel stammen wahrscheinlich nicht aus einer anderen älteren
Ausgabe, wie Böckh und Bergk vermutet hatten — dagegen spricht schon
die gleiche Zahl von 17 Büchern bei beiden Gewährsmännern — sondern
aus der Aufzeichnung {dvciyQaqjij) der Werke Pindars von Seite eines Lit-
terarhistorikers des 4. oder 5. Jahrh. n. Chr., der neben die alten Namen
der einzelnen Dichtungsarten auch die neuen, in seiner Zeit gebräuchlichen,
wie SQaßara Tgayixd neben di^VQccfißoi, €v^Qoviai.ioi neben ngoaddia setzte,
und in seiner Vorlage bereits Unechtes (wie iniyQccpi^aTa und prosaische
naQairiasiq oder smifÜ^tynaTo) dem Echten beigemischt fand.'^) Jedenfalls
hat sich Pindars Muse ausschliesslich in der Gattung der chorischen Lyrik
bewegt, innerhalb derselben aber die verschiedensten Arten kultiviert:
Pindar weihte seinen Sang dem Preise der Götter (Hymnen, Päane, Dithy-
^) Von Alexander erzählen dieses Pli- j metrische Angabe hinzu: y.axu ryv ffii/o-
nius H N. VII, 29 und Arrian, Anab. I, 9 und [ juetqUcp ojgsI TeTQccxiffxlhu • vgl. Bergk
daraus Suidas, von Pausanias, dem König | FLG.'^ 367 An. 4
der Lakedämonier, die Vita Viat. u. Eust.,
von beiden die Vita des Thomas Magister.
Näheres bei Sittl, Gr. Litt. III, 100 An. 9.
^) Thomas Mag. in der Vit. Find.:
7TQOT6Tc<xrc(i vTio ^Aqigt ocfävovg rov avvrd-
^uvTog XU lIii'ö'aQiy.d, welcher Angabe doch
irgend eine Überlieferung aus dem Altertum
zu gründe liegen muss. Timaios scheint
unsere Ausgabe noch nicht gekannt zu haben,
da er sonst schwerlich ein nemeisches Sieges-
lied mit einem olymischen verwechselt hätte,
wie dieses von den Schollen zu Nem. I in.
bezeugt ist.
^) So stehen auch in unseren Hand-
schriften am Schlüsse der Nemeonikai Oden
auf ganz verschiedenartige Sieger, wozu der
Scholiast p. 491 B. gleichfalls bemerkt: cT/o
xe/coQtafÄs'ycc cfiQoyria.
^) Die ö'QafxaToc TQayixd, welche so viel
Staub aufgewirbelt haben, sind wahrscheinlich
nur ein anderer Name für diS^vQcifxßoi, wie
besonders Himerios or. XI, 4 TJy Jiovvai«
X(d To ^ECKTQoy sl^s jM£T« Trjg XvQCig IIiydaQog
nahe legt. Nichts zu geben ist auf die sub-
tile Unterscheidung Lübbert's, De Pindari
carminihus dramaticis tragicisque, Bonn 1885.
Über die Dichtungsarten {sX^t]) mit besonderer
Berücksichtigung der Tonarten hatte der
Grammatiker Apollonios gehandelt, der davon
den Beinamen sidoyQcapog hatte; s. Et. M.
295, 51 u, Schol. zu F. II in. Ausser den
in den aufgeführten Titeln vorkommenden
Arten werden noch erwähnt nagoLvia (d. i,
axoXid) von Didymos zu N. I in., und ^vaia-
rrjQia von Timaios zu P. II in.
^) Ich folge dabei Hiller, Die Verzeich-
■^) Eustathios folgt in der Aufzählung nisse der pindarischen Gedichte, Herrn. 21,
der Vit. Vrat.. fügt aber noch die sticho- .'i57 ff,; dazu Immisch, Rh. M. 44, 553 ff.
B. Lyrik. 7. Pindar (522-448). (§ 118-119.)
147
ramben, Prosodien, Parthenieii) wie dem Lobe der Heroen und Menschen
(Epinikien, Enkomien, Threnen); er bestimmte seine Lieder zum weihevollen
Vortrag beim Einzug in die Tempelhallen (Prosodien, Enthronismen) wie
zum jubelnden Chorgesang bei gottbegeistertem Tanze (Hyporchemen) ; er
gab der Freude Ausdruck bei dem Siegeseinzug (Epinikien) und dem Fest-
mahl (Skolien) wie der wehmütigen Trauer bei der Totenfeier (Threnoi).^)
Erhalten sind uns von seinen Werken, mit Ausnahme der Siegeslieder,
leider nur Bruchstücke, darunter aber doch einige grössere, so namentlich
von einem schwärmerischen, für Athen gedichteten Dithyrambus, von einem
Tanzlied {vrroQxrjfÄa) auf die Sonnenfinsternis des J. 463, von zwei lieb-
reizenden Trinkliedern (axöha) auf die Hierodulen von Korinth und den
schönen Theoxenos, endlich von einigen tiefernsten Klageliedern (^Qijvoi),
in denen die pythagorische und orphische Lehre von der Unsterblichkeit
und Seelenwanderung in erhabenster Sprache vorgetragen ist. Die Bruch-
stücke verdienen um so mehr Beachtung, als sie zum grössten Teil weit
mehr als die durch äussere Umstände veranlassten Siegesgesänge aus wahrer
Begeisterung und warmer Empfindung heraus gedichtet sind.
119. Vollständig auf uns gekommen sind nur die 4 Bücher Sieges-
lieder, und selbst von diesen ist das letzte am Schluss verstümmelt. 2) Ge-
ordnet sind die 4 Bücher nach dem Rang, den die verschiedenen National-
spiele bei den Hellenen einnahmen : voran stehen die Epinikien auf Siege
in den olympischen Spielen, es folgen die pythischen, nemeischen, isthmi-
schen. ^) Auch innerhalb der einzelnen Bücher war bei der Anordnung
ähnlich wie bei Simonides das Ansehen der Wettkämpfe massgebend; es
folgen sich also die Lieder auf Sieger mit dem Viergespann {aQixaTi)^ dem
Gespann von Maultieren {aTrrjvT]), dem Renner [xsXtjti), im Pankration, im
Lauf, im Flötenspiel. Doch ist diese Ordnung nicht genau eingehalten, und
steht z. B. die Ode auf den Sieg des Hieron mit dem Renner Pherenikos
der ganzen Sammlung voran, weil in derselben der Ursprung der olym-
pischen Spiele besungen ist. Weniger zu entschuldigen sind 'andere Ver-
stösse, wie dass unter den Pythioniken an 2. Stelle ein Lied steht, das
sich gar nicht auf einen Sieg an den Pythien bezieht,'^) und dass den Schluss
der Nemeonikai ein Lied bildet, welches nicht zu Ehren eines Sieges, son-
dern zur Installation eines Ratsherrn in Tenedos gedichtet war. Diese
tumultuarische Redaktion zeigt zur Genüge, dass dieselbe nicht auf den
Dichter selbst, sondern auf einen späteren, sei es attischen, sei es alexan-
drinischen Herausgeber zurückzuführen ist.
') Horaz Od, IV, 2 in der berühmten
Ode auf Pindar greift nur die bekanntesten
Arten, Dithyramben, Enkomien, Epinikien,
Threnen heraus.
^) Auf Grund sehr unzuverlässiger junger
Zeugnisse nimmt Bergk PLG.^ p. 21 f. an, dass
auch in dem Anfang der Isthmien 1 Ode
und ebenso 1 unter denNemeen ausgefallen sei.
•'') Da den nemeischen Oden am Schlüsse
mehrere fremdartige Oden auf nichtnemeische
Siege angehängt sind, so vermutete 0. Mül-
ler, Gr. Litt. I, 398, dass ehedem in der
attischen Ausgabe die Nemeen zuletzt stun-
den. Auch Piaton. Lysis p. 205c setzt Ne/Lie'o.
nach 'la^fxoT. Vgl. Bergk, PLG.' 20. Die
Familie des Psaumis in Sikilien hatte den
Ordnern neben dem echten Siegeslied, Ol. IV,
auch eines von einem Lokaldichter, Ol. V,
übergeben.
'^) Dieser Fehler scheint auf Apollonios
den Eidographen zurückzugehen, da dieser
nach den Scholien die Ode zu den pythischen
stellte, während sie Kallimachos den ne-
meischen zugesellte.
10*
148
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische t*eriode.
Bestimmt waren die Epinikien zum Vortrag von Chören, welche aus
Altersgenossen und Freunden des Siegers zusammengesetzt i) und durch
den Dichter selbst oder einen eigenen Chormeister eingeübt waren. 2) Dabei
ist aber auffallend, dass die Gedanken ganz aus der Person des Dichters
gesprochen sind und zwar zuweilen so, dass sie persönliche Beziehungen
berühren, die sich im Munde anderer schlecht ausnehmen, wie wenn der
Dichter Is. VII, 41 des eigenen Alters gedenkt, mit dem doch das der
Choreuten nicht übereinzustimmen brauchte, oder Ol. I, 17 sein ganz per-
sönliches Verhältnis zum König Hieron berührt.^) Daraus sieht man, dass
der Chor in der Lyrik früher als in dem Drama seine ursprüngliche Be-
deutung verloren hatte und schon zur Zeit Pindars ähnlich wie bei uns
zur Rolle eines den Dichter vertretenden Sängers herabgesunken war.'^)
Damit stimmt es auch, dass Strophe und Antistrophe sich bei Pindar
durch den Sinn weit weniger von einander abheben als bei den attischen
Dramatikern, dass also auch hier die Teilung des Chors in Halbchöre ihre
tiefere Bedeutung eingebüsst hatte. Das Siegeslied wurde natürlich bestellt,
von dem Sieger oder dessen Freunden. Der Dichter erhielt dafür ein Honorar
und erlaubte sich ohne Ziererei bezüglich der Höhe desselben an die Frei-
gebigkeit des Bestellers zu appellieren. 5) Man scheint darin nichts gefunden
zu haben, was gegen die Dichterwürde Verstösse: Pindar vergleicht sein
Preislied der Ehrenstatue (N. V, 1; IV, 81) und findet es daher selbstverständ-
lich, dass er auch in der Entlohnung seiner Kunst hinter dem Bildhauer nicht
zurückstehe.*^) Wir, die wir, Gott sei Dank, noch durch unsers Dichters Woi'te
„das Lied, das aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet" verwöhnt
sind, nehmen an jenen Äusserungen der Gewinnsucht mit Recht Anstoss.
Gelegenheit zum Festgesang bot zunächst der Jubel, mit dem auf dem
Festplatz selbst die Freunde den Sieg ihres Genossen aufnahmen. Aber
so rasch war das Lied nicht zur Hand; daher beschränkte man sich bei
der ersten Begrüssung in der Regel auf den alten archilochischen Zuruf
T/ji'sXXa xaXXivixs,'^) unter dem man den Sieger im festlichen Zuge (xw/ioc)
zum Altar des Gottes geleitete.^) Das eigentliche, speziell für den be-
treffenden Sieg gedichtete Preislied ward erst bei dem feierlichen Einzug
^) In Nem. III, 4 werden sie mit rsx-
roysg xcofucoy vEui'Ua. Nem. 11, 24 mit Tjokirca
angeredet
''^) Als Chormeister ist Ol. VI, 88 ein
gewisser Aineias genannt.
") Vgl. Nem. I, 19 u. VI, 64; auch die
vertrauten Anreden und besonders die mah-
nenden Zurechtweisungen gegenüber Königen
mussten im Munde von Choreuten sich schlecht
ausnehmen. Von Pindars Poesien überhaupt
gilt daher, was Piaton, Rep. III p. 394 c
speziell vom Dithyrambus aussagt: »; de
(sc. 7iob]aig) di' dnayye/iiag ccvrov lov noirjtov,
EVQOig d"' (ci'nrjy judhord nov eV öi&VQd^ußoig.
^) Aus dem Schluss von N. II ddvfÄeAel
cf' i^dg/eiE cpoivu könnte man vermuten, dass
das vorausgegangene Lied nur die Einleitung
{nQooif^Lov) bildete, dem das eigentliche, vom
Chor gesungene Festlied erst nachfolgte.
Aber gegen diese Annahme sprechen die
zahlreichen Stellen anderer Epinikien, die
nur vom Hauptlied gelten können. Eher ist
mir glaublich, dass einzelne, besonders per-
sönlich gehaltene Strophen, wie P, I, 81—100
und Is. II, 43 — 48, nur dem Sieger vom
Dichter überreicht, nicht auch vom Chor ge-
sungen wurden.
5) P. I, 90; Is. II, 6 ff.
^) Von einem Honorar von 3000 Drach-
men erzählt der Scholiast zu N. V, 1.
') Vgl. Ol. IX, 1 und oben S. 117 An. 11.
^) Eine Ausnahme macht Ol. VIII, wel-
ches Lied für jenen Aufzug in Olympia be-
stimmet war, da damals die kriegerischen Zu-
stände von Agina einen festlichen Einzug in
der Heimat nicht gestatteten. Vielleicht gilt
das Gleiche auch für P. VI; für Ol. IV ha
es mit Unrecht Böckh angenommen.
I
B. Lyrik. 7. Pindar (522-448). (§ 120.)
149
in die Heimatstadt gesungen. Denn der Sieg eines Mitbürgers, namentlich
bei den grossen, sogenannten heiligen Spielen ^) galt als eine Ehre für die
ganze Stadt, an deren Feier sich daher auch die ganze Bürgerschaft be-
teiligte 2) und bei der es auch der Sieger nicht an gastlicher Bewirtung und
freigebigen Spenden fehlen liess.^) Man holte teils den Sieger im festlichen
Zuge ab und geleitete ihn wie im Triumphe^) zur heiligen Stätte, wo er
den Siegeskranz am Altare der Gottheit niederlegte, teils zog man am
Abend zum Hause des Siegers und brachte ihm ein musikalisches Ständ-
chen,^) teils endlich feierte man denselben beim Festmahle im königlichen
Palaste. Bei einer dieser Gelegenheiten also ward das Siegeslied gesungen,
und zwar von einem Chor unter Begleitung musikalischer Instrumente, bald
der Lyra oder Flöte allein, bald der Lyra und Flöte zusammen. <^) Natür-
lich fehlte in den meisten Fällen auch nicht der dritte im Bund, der Tanz
oder Schritt. Den letzteren nennt Pindar P. I, 2 den Anfang der Festfeier {ßaaig
ayXdiag aQ^cc), weil der Chor in der Regel zuerst schweigend in gemessenem
Schritt in die Halle einzog und erst angesichts des gefeierten Siegers zu
den Klängen der Phorminx den Gesang anhob. Der Tanz und Schritt fiel
selbstverständlich weg, wenn kein Aufzug stattfand und der Chor nur ein
einfaches Ständchen darbrachte.')
120. Für jedes Lied dichtete Pindar, offenbar nach stehendem Brauch
eine neue Melodie und somit auch neue metrische Formen. Davon gibt
es nur eine Ausnahme, indem die 3. und 4. isthmische Ode das gleiche
Versmass gemein haben; aber das hat seinen Grund in den besonderen Ver-
hältnissen jener beiden Gedichte, indem Pindar das zweite, wenn es über-
haupt von ihm herrührt, als Ergänzung nachträglich hinzufügte, nachdem
der Gefeierte inzwischen zu dem isthmischen Sieg auch noch einen nemei-
schen errungen hatte. Im übrigen sind die Unterschiede in Versmass und
^) Heilige Spiele waren: 1) in Olympia
zu Ehren des Zeus, seit Ol. 1 alle 4 Jahre
im August (11—16 Metageitnion) im 1. Olym-
piadenjahr, 2) in Delphi zu Ehren des Apoll
im August alle 4 Jahre seit Ol. 48, 3 (nach
Bergk seit Ol. 49, 3) im 3. Olympiadenjahr,
3) in Nemea zu Ehren des nemeischen Zeus
seit Ol. 51, 2 alle 2 Jahre im Juli des 2.
und 4. Olympiadenjahres (s. Ungek, Phil. 34,
50 ff. und 37, 524 ff.; dagegen Droysen,
Herm. 14, 1 ff.), 4) auf dem Isthmus zu Ehren
des Poseidon alle 2 Jahre im April des 2.
und 4. Olympiadenjahres (s. Unger, Phil.
37, 1 ff. und Christ, Stzb. d. b. Ak. 1889,
S. 24 ff.). Ausserdem gab es eine Masse
von Lokalspielen, an denen sich aber auch
Nichteingeborene beteiligen durften, wie die
Panathenäen (N. X, 35) und Olympien (N.
II, 23) in Athen, die Herakleia und loleia
in Theben (Ol. IX, 98; P. IX, 89; Is. L 55),
die Aiakeia in Agina etc.
^) Dies bezeugt schon Xenophanes, der
in der Elegie bei Ath. 413 ., gegen diese
Auszeichnung der körperlichen Überlegenheit
eifert.
•') Der gastlichen Bewirtung der Sänger
mit Speise und Trank ist gedacht in den
Siegesliedern zu Ehren des syrakusanischen
Feldherrn Chromios N. I, 22 u. IX, 51.
^) Nicht bloss klingt das lateinische
trium2)hus = ^Qiafißog an den dreifachen
Kallinikos in Olympia an, sondern gleicht
auch die Weise, wie z. B. Chromios aus
Syrakus zu Wagen seinen Einzug hält (N.
IX, 4), ganz einem römischen Triumphzug.
^) Is. VIII, 3: Te?ieG('(QXOv nccQcc ttqu-
d^vQou iwv dvsysiQtTM y.tüfXOU.
6) Lyra allein P. I, 1, Flöte allein Ol.
V, 19, Lyra und Flöte Ol. III, 8; XI, 93;
N. III, 12 u. 79; IX, 8; vergl. Böckh, Pin-
dar I, 2. 258.
"') Das Stehen ist ausdrücklich hervor-
gehoben P. IV, 1 : adfxsQor ^ev XQV ^^ 7r«()'
dv^Qt 9p/Atü atäfxevy das Gehen Ol. XIV, 17:
x(ofÄoy in^ evfisysc Tv/a ßißcoyra. Merk-
zeichen, um ein Stehlied von einem Marsch-
lied zu unterscheiden, hat man bis jetzt noch
nicht aufgefunden. Müller, Gr. Litt. I, 400
wollte in dieser Beziehung einen Wert darauf
legen, ob eine Ode bloss aus Strophen, oder
aus Strophen, Antistrophen und Epoden be-
stehe; aber damit lässt sich nicht durch-
dringen ; versjleiche darüber Christ, Stzb. d.
b. Ak. 1889 S. 56 ff.
150
GriechiBche Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Ton zwischen den einzelnen Epinikien sehr gross. Das hängt zumeist mit
der Verschiedenheit der Tonart zusammen, in welcher die Melodien der
einzelnen Oden gesetzt waren. Leider können wir über diese musikalische
Seite der pindarischen Muse, die zu ihrer Beliebtheit am meisten beitrug, 0
nicht mehr klar urteilen, da uns mit den blossen Andeutungen des dorischen
Fusses (Ol. III, 5), der äolischen Saiten (Ol. I, 102, P. IL 69), der lydischen
Weise (Ol. V, 19, XIV, 17, N. IV, 45, \^III, 15) nicht viel geholfen ist,
und die Avenigen Melodienreste zu P. I, welche im 17. Jahrh. der Jesuit
Kircher aus einem angeblichen Codex der St. Salvatorbibliothek Messina's
publiziert hat, unecht sind. 2)
Was die Anlage der Siegeslieder anbelangt,") so hat in unserer Zeit
Westphal, Proleg. zu Aeschylos S. 69 die These aufgestellt, dass Pindar
genau der Gliederung des terpandrischen Nomos gefolgt sei, und hat mit
diesem Gedanken bei vielen Erklärern Anklang gefunden.^) Die Teile des
terpandrischen Nomos aber waren «(>x^? fxeraQx^, xaTaTQond, fXfTaxaia-
TQOTTa, 6f-i(fccX6g, acpQayigj erciloyog. Diese lassen sich bei Pindar in der be-
zeichneten Reihenfolge sicher nicht wiederfinden, man muss zum mindesten
jueTaxaTaTQOTTÜ nach 6fX(paX6g umstellen. Aber auch für die Scheidung des
enikoyog von der (Tcfgayig findet sich kaum ein sicheres Beispiel, und nur
in wenigen Fällen, wie Ol. XIII, P. VIII, N. IV; ist der Eingang in 2 Teile
(«^X« oder ttqoxmiiiov und ixsTaQ^cc) deutlich gegliedert. Endlich, und das
ist von ausschlaggebender Bedeutung, fallen die versuchten Siebenteilungen
nicht, wie man doch erwarten sollte, mit dem Schluss der Strophen zu-
sammen.^) Demnach kann von einer strikten Befolgung der Ordnung des
terpandrischen Nomos durch Pindar nicht die Rede sein; man kann höch-
stens sagen, dass sich derselbe von der Gliederung der älteren Nomenpoesie
beeinflussen Hess und dass er es liebte einer bestimmten, ihm schon von
seinen Vorgängern vorgezeichneten Satzung zu folgen. ^0 Diese aber bestand
wesentlich darin, dass den Nabel des Siegesliedes ein Mythus einnahm,
dass das Lied durch den Hinweis auf den Anlass, den gewonnenen Sieg,
eingeleitet wurde, und dass dasselbe in seinem Schluss wieder auf die er-
rungenen Ehren des Siegers und seines Geschlechtes zurückkam. Von selbst
^) Sehr günstig urteilt über Pindars Me-
lodien Aiistoxenos beiPlut. de mus. 31 u. 20.
'-) Über die Frage der Echtheit näheres
bei Westphal, Metr. d. Gr. II 2, 622 ff.
Wenn ich mich entschieden gegen die Echt-
heit ausspreche, so stütze ich mich dabei
auf die Wahrnehmung meines ehemaligen
Schülers Röckl, dass die Melodienschlüsse
mit der falschen Versteilung der Überliefe-
rung, nicht mit den echten, von Böckh wieder
hergestellten Versen in Einklang stehen.
^) Cboiset, La poesie de Pindare et
les lois du lyrisme grec, Paris 1881, ed.
nouv. 1886.
■*) M. Schmidt, Pindars olymp. Sieges-
gesänge, Jena 1869; Mezger, Pindars Sieges-
lieder, Leipzig 1880; Lübbert, De priscae
cuiusdam epiniciorum forw.ae apud Pin-
darum vestigiis (1885), De Pindari studiis
Terpandreis (1886), De poesis Pindaricae
in arclia et sphragide componendis arte
(1886). Dagegen sprachen sich aus Bulle
in der gehaltvollen Rezension von Mezger's
Buch in Phil. Rundschau 1881 n. 1, Hiller
im Heim. 21, 357 ff. Weitere Litteratur in
Jahrber. d. Alt. XIII, 1. 59 ff., Crusiüs, Über
die Nomosfrage, Vhdl. d. 39. Vers. d. Phil.
258—276.
'"") Eine einzige Ausnahme macht viel-
leicht Ol. XIII, wo «(»/« 3, fxetaQ/ä 3,
xataxQond und o^cpaloq 6, fxsray.aTcaQonä
und eniXoyog 3 Strophen umfassen können.
^) Von einem TEd^fxög spricht Pindar N.
IV, 33; Is. VI, 19 sagt er spezieller vfxfxe
t\ (o /Qvaö.Qfiatov Aiaxidcci, red^fxtov /uoi
(pcc/Äl aacpearciTOP e^fxev rdyd' iniGTsl/oi^T«
väaov ()cuy£/Lisy svXoylatg. Als Vorgänger
erwähnt unser Dichter, von Archilochos (0.
IX, 1) abgesehen, die Agineten Timokritos
(N. IV, 13) und Euphanes (N. IV, 89).
B. Lyrik. 7. Pindar (523-448). (§ 120.)
151
ergab sich dann die weitere Notwendigkeit, durch irgend einen Übergang
in den Mythus einzulenken [xaiatQOTid) und am Schlüsse desselben wieder
auf den Sieger zurückzuleiten (fisiaxaTaigoTrä). Das ist die regelrechte
Anlage eines Siegesgesangs, die Pindar in den älteren, und auch noch in
einzelnen späteren Gedichten, wie Ol. VJII, befolgte, an die er sich aber
als echter Dichter nicht sklavisch gebunden hielt, über die er sich viel-
mehr gerade in den grossartigsten Siegesgesängen, wie Ol. II, P. I und II,
mit genialer Freiheit wegsetzte.') Eine Hauptsache beim Siegeslied also
war der Mythus, der den Omphalos desselben zu bilden bestimmt war.'^)
Denselben entnahm der Dichter in den meisten Fällen der Heroengeschichte
des Landes, so dass von den zahlreichen Oden auf äginetische Sieger keine
des Preises der Aeakiden entbehrt. Er schmeichelte damit dem Lokal-
patriotismus der Griechen und ihrem Stolz auf die Ruhmesthaten der Ver-
gangenheit, der um so grösser war, je unerfreulicher und ruhmloser sich
die Gegenwart gestaltet hatte. In anderen Liedern ging der Dichter aut
den Ursprung der Spiele, oder die Art des Wettkampfes zurück, wie er in
Ol. I, III, X die Gründung der olympischen Spiele durch Herakles und ihr
Vorspiel unter Pelops besingt, und in P. XII die Erfindung des Flöten-
spieles durch Athene verherrlicht. Wieder in anderen Oden wird der Mythus
den persönlichen Beziehungen des Siegers entnommen, oder ersetzt durch
den Preis geschichtlicher Ruhmesthaten. Das letzte ist besonders da der
Fall, wo, wie bei Hieron, Theron, Chromios, das Land oder das Geschlecht
des Siegers des mythologischen Hintergrundes entbehrte und die Persön-
lichkeit des Siegers selbst Stoff genug zu würdiger Siegesfeier bot. Dabei
zeigte Pindar überall eine ausserordentliche Vertrautheit mit den alten
Überlieferungen des Landes,-") zugleich aber auch einen wunderbar feinen
Takt in der Verknüpfung des Mythus mit der Person des Siegers, den
wieder herauszufinden die Erklärer mit Recht als eine ihrer Hauptaufgaben
betrachten. Der Mythus und der erzählende Teil bilden in der Regel auch
den Glanzpunkt der pindarischen Siegeslieder; doch gelingt es dem Dichter
nur da den Leser durch anziehende Schilderung zu fesseln, wo er sich in
der breiten Vorführung eines Mythus ruhig gehen lässt, wie einzig treff-
lich in der liebeswarmen Erzählung von dem schweren Geschick der schönen
Koronis (P. III) und von der Liebe Apollos zur kühnen Jägerin Kyrene
(P. IX). Vielfach aber bleibt derselbe bei einem Mythus nicht stehen,
sondern geht, um den ganzen Glanz der mythischen Vergangenheit einer
Stadt zu entfalten, von einem Mythus auf den andern über, ohne uns irgendwo
warm werden zu lassen. In Liedern der Art, wie z. B. in dem Siegeslied
^) An dem für Theron gedichteten Trost-
gesang Ol. 11 kann man zumeist erkennen,
wie Pindar, auch wenn er sich von dem
gewöhnlichen Schema entfernte, die höhere
Aufgabe der Komposition zu Avahren ver-
stund. ^Denn die verschiedenen Mythen der
Ode werden zusammengehalten durch den
einen Grundgedanken, dass den Guten bei
allem Schicksalswandel doch schliesslich ihr
Lohn wird, sei es hienieden, sei es jenseits
im Elysium.
-) Beachtenswert ist, dass das unechte
Siegeslied auf Psaumis, Ol. V, eines Mythus
entbehrt; derselbe fehlt aber auch in den
kleinen Siegesliedern Ol. XI, XII u. a.
^) Aristides or. Aegypt. p. 360 Jebb:
rioi/ 7joit]iMv ttsqI rc(g laroQucg. Die Kenntnis
der Mythen schöpfte er hauptsächlich aus
Hesiod und den Kyklikern, wozu die Nach-
weise bei LüBBERT, De Pindari studiis Jle-
siodeis et Ilomericis, Bonn 1882.
152
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
auf den Korinther Xenophon Ol. XIII, hat er offenbar der Eitelkeit der
betreffenden Stadt zu lieb den Forderungen der dichterischen Kunst etwas
vergeben, noch mehr aber in denjenigen Partien einzelner Oden, in denen
er alle Siege des Gefeierten und oft nicht bloss diese allein, sondern auch
die seines Turnlehrers und seiner Geschlechtsgenossen aufzählt. Der Dichter
hat damit offenbar nur den Zudringlichkeiten seiner Auftraggeber nachge-
geben, uns aber, denen derartige persönliche Beziehungen ferne liegen,
lassen die langen Aufzählungen der 18 Siege des Rhodiers Diagoras (Ol.
7, 80—90) und die Siegesehren dreier Generationen des äginetischen Siegers
Alkimidas (N. 6, 9—28. 65—75) äusserst kalt.
121. Mehr als durch die Kunst der Anordnung und die Wahl des
Stoffes verdient Pindar unsere Bewunderung durch die Tiefe der Gedanken,
die Hoheit der Sprache und die Majestät der Rhythmen. Alles ist bei ihm
gross und erhaben; selbst w^o er, wie in Ol. XIV, die Huld der Chariten
preist, verschmäht er kleine, tändelnde Weisen. Von stolzem Selbstgefühl
auf sein angeborenes Genie durchdrungen, vergleicht er sich dem hoch-
fliegenden Aar, der geringschätzig von seiner Höhe auf die mühsam er-
lernte Kunst kreischender Raben herabschaut. ^) Den Garten der Musen
pflegte er nicht bloss mit ausnehmender Kunst, er weiss auch ihre Gaben,
die allein der Tugend Unsterblichkeit verleihen, in allen Tonarten zu
preisen. 2) Geradeaus in seinen Anschauungen wagt er auch den Hohen
der Erde gegenüber ein freies, mahnendes Wort, 3) und weit entfernt von
kraftloser Gutmütigkeit tritt er mit energischem Zorn seinen Feinden ent-
gegen.^) Ein heiliger Sänger voll tiefer Religiosität hat er herrlich wie
kein zweiter die Hoheit des Zeus und die Macht der lichten Gottheiten
gegenüber den Dämonen der Finsternis besungen.'') Mit frommem Sinn
hielt er fest an dem Glauben der Väter, erlaubte sich aber doch auch
Mythen, die gegen seine Anschauung von dem hehren Wesen der Götter
verstiessen, in seiner Weise umzudeuten und umzugestalten. Wenn z. B.
die Überlieferung bei Hesiod erzählte, ein Rabe habe dem Apoll Kunde
von der Untreue seiner geliebten Koronis gebracht, so sträubte sich gegen
die Niedrigkeit dieses Zwischenträgers sein reineres Gottesbewusstsein und
Hess er deshalb den Apoll selbst mit seinem allessehenden Geiste die treu-
lose That erspähen.^) Freilich litt unter diesen Umgestaltungen die klare
Sinnlichkeit der althellenischen Götterwelt, was auch darin hervortritt, dass
Pindar zu den alten, lebensvollen Göttern schon abstrakte Gestalten, wie
Theia, Chronos, Hesychia, Alatheia, in den Olymp einfühlt. Darin zeigt
1) N. III, 80; vgl. Ol. II, 96, N. V, 21.
und besonders den Schluss von Ol. I: e%y] fxe
roaau^e riy.aqiOQoig ofiils^v ngocpciPTov aocpltt
xad^^ "^'E'AXayccg iovxa navTa. Die Scholiasten
deuteten die Raben auf Simonides und Bak-
chylides, die Hauptrivalen Pindars, Mit Be-
scheidenheit rühmt sich dagegen Bakchylides
fr. 14 nur der von andern gelernten Kunst.
2) Ol. IX, 27: i^cciQEtop Xagiriov rsfxo-
fiai xccnoy. P. III, 114: « cT' ccQsrci xXeiycdg
äoLdaig ;^()oWa jeXs&ei. Vgl. Ol. X, 95, N.
IV, 6, Is. III, 58. ^
•'') Einen svS^iykioaffog uvrjQ nennt er
sich selbst P. 11, 86 ; sein Freimut zeigt sich
besonders gegen Hieron in P. II und gegen
Arkesilaos in P. IV, 263 ff.
■*) P. 11, 84: noTL cT' i/^gdi^ «V i/r^Qog
iiov Ivxoio dixai^ vno^svaofÄca. Vgl. Is.
III, 66.
'") Einzig schön im Eingang von P. I
und in P. II, 49 ff. u. 89 ff.
^) P. III, 27; ähnlich ist der Tantalos-
mythus umgestaltet Ol. I, 31 ff. Orphischer
Einfluss ist leicht in der Umgestaltung des
Tasonmythus P. IV, 169 zu erkennen.
B. Lyrik. 7. Pindar (532-448). (§ 122.)
153
sich eben der Einfluss. welchen die Lehren der Weisen, namentlich der
Pythagoreer und Orphiker auf die Anschauungen unseres Dichters geübt
hatten. 1) Pindar war durch und durch ein ethischer, religiöser Dichter,
der vor allem den sittlichen Gehalt des alten Mythus betonte und denselben
mit der jüngeren Lehre von der Unsterblichkeit der Seele und der Beloh-
nung der Guten nach dem Tode vermählte. 2) Die eigentlichen Perlen seiner
Dichtkunst sind daher auch seine sittlichen und politischen Kernsprüche,
wie die berühmten v6f.iog 6 txccvtmv ßaaiXevg^ ßdd^qov ttoXiwv aa(faXi-c Sixcc^
ccQKfTog €V(fQO(Svva Tiovcov xsxQLfxsvcov lazQog, t6 TTaQcc dixav yXvxv mxQOTata
jxsvsi TsXsvrä^ (tvv S' avccyxa Ttäv xaXöv.
122, Mit dem Ernst und der Tiefe der Gedanken harmoniert bei
Pindar der sprachliche Ausdruck. Im Reichtum und in der Grossartigkeit
der Bilder sucht er seinesgleichen, aber er deutet den Vergleich nur an,
verweilt nicht wie der ionische Epiker behaglich in der Ausmalung des
Bildes. Nicht gewohnt ausgetretene Wege zu gehen, bereichert er die
Sprache mit neuen, kühnen Metaphern und Bildern. Die Vergleiche der
Schöpfungen der Poesie mit den Werken der bildenden Kunst hat er in die
Litteratur eingeführt,^) und wahrlich grossartig ist die Zusammenstellung
des Proömiums mit dem Säulenportal des Saales (Ol. VI, 1) oder die Ent-
gegensetzung der auf derselben Basis beharrenden Statue und des gleich
einem Schiff in die weite Welt hinausdringenden Liedes (N. V, 1). Wie
in dem Strome Welle auf Welle sich drängt, so erzeugte in seinem reichen
Geiste ein Gedanke den andern,^) ohne dass er sich immer die Mühe nahm,
den einen sorgfältig zum anderen hinüberzuleiten. ^) Dadurch entstanden
die unvermittelten Übergänge, bekannt unter dem Namen der lyrischen
Sprünge,^) und die rauhen Fugen, welche das Verständnis des oft rätsel-
haften Ausdrucks erschweren '^) und dem späteren, an Glätte und Weichheit
gewöhnten Publikum die Lektüre des Dichters verleideten.^) Auch im
') Jedoch nicht bloss der Dichter erhob
solche abstrakte Begriffe zu Gottheiten; auch
die Gemeinde der Ägineten hatte, wie man
aus P. VIII sieht, derHesychia einen Tempel,
oder doch einen Altar errichtet.
2) Ol. II, 62 ff. und die Fragmente aus
den Threnoi; merkwürdig ist der Satz fr. 108:
^(t)6v cT'fTfc XsLTisrcit aiioyog sid'wXop.
^) Über die Beziehungen Pindars zu den
Kunstwerken seiner Zeit handelt Jebb, Jour-
nal of hellenic studies III (1882) 174 ff.
'^) Daher der schöne Vergleich mit dem
Strome bei Horaz Od. IV, 2: monte decur-
rens velut amnis, imhres quem super nntas
aluer e ripas, fervet immensusque ruit ^;ro-
fundo Pindarus ore. Vortrefflich sind auch
die wenigen Striche bei Quintilian X, 1. 61:
Pindarus princeps spiritus magnißcentia,
sententiis, figuris, heatissima rerum ver-
bortimque copia et velut quodam eloquentiae
flumine.
^) An welch schwachem Faden oft der
Dichter einen Gedanken zum andern hinüber-
leitet, dafür liefert ein belehrendes Beispiel
die Stelle P. IV, 262, wo der Preis der Klug-
heit der Battiaden og&oßovXou fiktiv icpsv-
Qofxivojy genügt, um denselben ein Rätsel auf-
zugeben : yuiad^i pvv tdv Oi&tnö&a aocpiccv.
^) Mancher dieser Sprünge verdient frei-
lich kein Lob, indem eine Sentenz oder eine
mythologische Bemerkung halb mit den
Haaren herangezogen ist P. IV, 45; N. I, 53;
III, 75; X, 78; Is. I, 63.
^) Pindar selbst deutet diese dunkle
Weisheit an P. IV, 263: yvuid^t vvv rdu
Oi^vno^a üocpiaVy Ol. II, 93: ßs^it] sv&oi^
svTi (pciQergag (poyrcisvza avveroiatp, ig cfe
ro 71 dp eQfXfjvEon^ /cctlCsi.
^) Ath. p. 3a: rcc Utv&ciQov 6 tko^ioÖlo-
71 Ol 6g EvTioXlg cprjGLv fj&t] xataasGiyafxevic
vno TTjg rwv 7ioXlwp dcptloxaliag. Dionys.
de comp. 22 p. 308 Seh. von einem pindari-
schen Dithyrambus: TCiv&^ ort ,«eV iarii'
lO^vQd xcd otißaQd xcd d^icüf^arixd xcd tioXv
t6 avorriQot' h^€v TQU/vi^et rs dXv7T(og, xcd
TiixQalvsi rdg dxodg fxexQiixyg, dyaßsßXijTcd
rs roTg ^gövoig xcd ^iaßißijxsv ml ro 7io?.v
rciig ciQ^ovlaig xcd ovre &EcirQLx6p di] rovro
xcd ylacpvQou Eni^eixpvxcn xdXlog, «AA« ro
dg^cdxoy £XE?i^o xcd ro c(var7]o6y, aTicivreg
154
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Metrum strebte Pindar das Erhabene und Grossartige an; das tritt beson-
ders in dem wuchtigen Bau seiner gravitätisch sich auftürmenden Daktylo-
Epitriten hervor, ') ist aber erst in unserer Zeit, nachdem Böckh die langen
Verse wieder hergestellt hat, in vollem Umfange erkannt worden. Die
Eleganz und das Ebenmass der einzelnen Verse und Kola ist freilich dabei
zu kurz gekommen, ist wenigstens aus unseren heutigen Texten nicht mehr
erkenntlich.^) In der Erhabenheit der Gedanken und der Grandezza des
Ausdrucks repräsentiert Pindar zusammen mit Aischylos die ältere Gene-
ration der gestrengen Anhänger der alten Sitte und die altertümliche Rich-
tung des getragenen, an das Herbe anstreifenden Stils. Von einem intimeren
Verkehr der beiden geistesverwandten Dichter ist uns nichts überliefert;
aber aus ihren Dichtungen lassen sich noch manche wechselseitige Bezieh-
ungen herauslesen. Nicht bloss wetteiferten sie miteinander, wie bereits
oben S. 145 angedeutet, in der Schilderung des Ausbruchs des Ätna, es
klingen auch in P. IV, 290 und P. XI, 22 die Eindrücke nach, welche
Pindar von der Aufführung des äschylischen Prometheus und Agamemnon
aus Athen mitgebracht hatte. ^)
Auch der Dialekt Pindars steht mit dem grossartigen Charakter seiner
Poesie in Einklang. Im Gegensatz zu seiner Landsmännin Korinna hat er
es verschmäht, die lokale Mundart Böotiens zu reden; als universeller Dichter
Griechenlands wählte er, zumal er zumeist im Auftrage dorischer Sieger
und Priester dichtete, den Kunstdialekt der chorischen Lyrik. Die dem
dorischen und äolischen Dialekt gemeinsamen Formen, namentlich das
lange « gegenüber ionisch-attischem ?;, und die Pronominalformen xv, vfi/u.
vfAf,ur, aiii^iiv führte er strenge durch ; bei Diskrepanzen beider Dialekte
gab er dem äolischen den Vorzug, wie namentlich bei den durch Ersatz-
dehnung entstandenen Formen MoTacc, (fsvyoiaa xaXtoiai, scheute sich abei'
auch nicht, jenem äolisch-dorischen Grundton epische und selbst attische
Formen, wie Genetive auf oio, Dative auf cciai, oiao und acc. pl. auf
ovg, beizumischen.'*) In den Texten unserer Handschriften wechseln
t
i'h old' oTi ftciQTVQtjOEiuv. Indcssen hat der
Zeitgenosse des Dionysios, der Dichter Ho-
ratius, noch fleissig seinen Pindar gelesen
und sich an denselben insbesondere in der
Anlage des Preisliedes auf Augustus I, 12 =
Ol. II und in dem Vergleich der politischen
Gegner des Kaisers mit den unholden Ti-
tanen III, 4 = P. VIII angelehnt.
') Daktylü-Epitriten wandte Pindarhaupt-
sächlich in Gedichten mit vorwiegend epi-
schem Charakter und in Siegesliedern auf
Wagenkämpfe an ; hingegen bevorzugte er
in Epinikien auf Knabensiege die leichteren
Weisen der äolischen Logaöden.
-) Versuche eine grössere Harmonie und
Symmetrie in unseren Strophenschemen her-
zustellen, machten besonders H. Schmidt, Die
Eurhythmie in den Chorgesängen der Grie-
chen, Bd. I, M. Schmidt in seiner Ausgabe der
olympischen Siegesgesänge (1869), und Über
den Bau der pindarischen Strophen, Leipz.
1882. Das Rechte ist noch nicht gefunden.
'■') Dieses habe ich, zum Teil nach dem
Vorgange T. Mommsen's, nachgewiesen in
Stzb. d. b. Ak. 1889 S. 20-4 u. G2.
^) So müssen wir wenigstens nach der
handschriftlichen Überlieferung urteilen, wo-
bei aber nicht zu übersehen ist, dass Pindar.
der noch nicht das ionisch-neuattische Al-
phabet gebrauchte, im acc, pl. sec. decl. Ol
schrieb, was ebensogut in ovq wie w? auf-
gelöst werden konnte; übrigens endet der
acc. pl. auf OD? auch in den Versen des
Böotiers in Aristot. Ach. 874. 875. 876. 880,
Die Annahme, dass Pindar auch acc. pl. auf
oig nach böotischer Art gebrauchte (Is. I, 24 ;
III. 17; N. VII, 51), lässt sich nicht aufrecht
erhalten, wohl aber scheint er dem Vers
zulieb solche auf og (Ol. II, 78, N. III, 29,
X, 62) sich gestattet zu haben. Im all-
gemeinen urteilten richtig die alten Gram-
matiker, deren Meinung Eustathios in der
Vita Pind. wiedergibt: aioXi^ei tTf tu lol-
kci, si xal ^UYJ axQißrj ^leLaiv Aio'ki^a. xcd
xcaci JoiQislg «fs cf()dt,£i, ei y.cd ti^g axh}-
QOTbQccg JiOQLÖog anexerat. Vgl. Meister,
B. Lyrik. 7. Pindar (52S -448). § 122.)
155
dorische und äolische Formen, und man hat daher die Vermutung aufge-
stellt, dass Pindar selbst je nach Tonart und Heimat des Bestellers kleine
Variationen im Dialekt angebracht habe. ^) Aber wahrscheinlich rührt dieser
Wechsel nur von der Unbeständigkeit der attischen Herausgeber, nicht
vom Dichter selbst her, da sich z. B. in demselben Gedicht aqSovxi und
vaioiai (Is. VI, 64 und (S'o)^'^) {nstd und nsSd (P. V, 47 und 94), sn^asq und
ffiTTiteg (P. VHI, 21 und 81) nebeneinander finden. Überall aber klingt
voll und tief wie feierlicher Choralgesang der Laut der pindarischen
Rede.
Textesüberlieferung und Scholien: Der in alter Schrift geschriebene Text Pindars
wurde von Attika aus im neuen ionischen Alphabet verbreitet (s. Christ, Phil. 25. 607 ff.).
In Alexandria veranstaltete, im Anschluss an den Eidographen Apollonios, Aristophanes
eine Gesamtausgabe in 17. 13. (s. oben § 118), in der die Verse oder Kola, nicht ohne grobe
Fehler, abgeteilt waren (Christ, Die metrische Überlieferung Pindars, Abhdl. d. b. Ak. VI,
129 if.). Aristarch konstituierte den Text, nicht immer mit Verständnis und Geschick,
und versah ihn mit kritischen Zeichen (Feine, De Aristareho Pindari interjjvete, Jena 188o
und HoRN, De Äristarchi stud. Find., Greifsw. 1883); ausserdem haben die Grammatiker
Kallistratos, Aristodemos, Asklepiades, Aristonikos und der Stoiker Chry-
sippos sich mit dem Dichter beschäftigt (s. Böckh. Pindar II, 1 praef. IX sqq.). Unsere
alten Scholien, die eine fortlaufende Paraphrase, durchzogen von dazugehörigen Erklärungen,
enthalten (Lehrs, Die Pindarscholien, Leipzig 1873), gehen auf Didymos zurück, der
öfters namentlich angeführt ist (vgl. Ammonios de difT. p. 70 u. M. Schmidt, Didymi fr.
p. 214 ff.); ihre Redaktion setzt Wilamowitz, Eur. Herakl. I, 185 in das 2. Jahrh. n.
Chr., indem er den zu 0. 3, 52 erwähnten Amyntianos mit dem zur Zeit des Antoninus
Pius lebenden Historiker Amyntianus identifiziert und unter 6 'AXixaQvaoGevg sc. JiovvaioQ
zu N. 8, 2 nicht den Rhetor; sondern den Verfasser der Musikgeschichte versteht; vielleicht
ist der Redaktor jener Grammatiker Palamedes, der unter den Tischgenossen des Athenaios
vorkommt und von dem Suidas ein V7i6fxv7]fxc( etg Hiv^agov röv noirjirjv anführt. — Über die
Metra hatte Drakon von Stratonikea gehandelt; unsere metrischen Scholien, die in Prosa
und die in Versen (von Tzetzes in Gramer An. Par. t. I), sind von geringem Wert und
beruhen auf falscher Versteilung. — Aus dem Mittelalter stammen die Scholien von Thomas
Magister, Moschopulos (bloss zu den Olympien) und Triklinios; zur letzten Klasse
gehören auch die jüngst publizierten I/^^^^^ Jlcnjuiaxü (ed. Semitelos, Athen. 1875). Der
Kommentar des Eustathios ist bis auf die Vita verloren gegangen. Die Scholien sind den
grösseren Ausgaben, wie der von Böckh, beigefügt. Neue Ausgabe von Abel, wovon vol. II
zu Nem. u. Isthm. erschienen, Berol. 1884.
Handschriften: Pindar ist durch eine einzige Handschrift auf uns gekommen, da
alle erhaltenen in gleicher Weise am Schluss verstümmelt sind und mehrere Fehler mit-
einander gemeinsam haben (s. Proleg. meiner Ausg.). Die erhaltenen Codd. zerfallen in
alte und interpolierte; von den alten sind die besten: A = Ambros. s. XII (davon ist der
Vratislav. eine Abschrift), der nur die Olympien enthält, mit alten Scholien; B = Vatic.
sive Über Ursini s. XII, alle Epinikien mit Scholien enthaltend. Das Verhältnis der Codd.
ist klargelegt von T. Mommsen in der grossen kritischen Ausg., Berol. 1864; Nachträge
von Abel, Zur Handschriftenkunde Pindars, Wiener Stud. IV, 224—62.
Ausgaben und Hilfsmittel: ed. princ. ap. Aldum 1513 — ^ ed. Er. Schmid, Wittenberg
1616, mit vielen guten Emendationen — ed. Heyne mit lat. Übersetzung und Kommentar.
Gott. 1773, neu bearbeitet von G. Hermann 1797. — Hauptausg. von Böckh, Berol. 1811
bis 21, 3 tomi in 4^ mit Scholien, metrischer Erläuterung und erklärendem Kommentar
Griech. Dial. I, 22 und Peter, De dialecto
Pindari, Halle Diss. 1866. — Führer, Der
böotische Dialekt Pindars, Philol. 44, 49 ff.
sucht in der Weise seines Lehrers Fick nach-
zuweisen, dass Pindar den epichorischen Dia-
lekt seiner Heimat sprach und dass die an-
geblichen Dorismen Pindars vielmehr Eigen-
tümlichkeiten des Böotischen seien.
') G. Hermann, De dialecto Pind,,
Opusc. I, 245 ff. — In der Syntax, besonders
im Gebrauch der Modi folgt Pindar öfter noch
den Epikern im Gegensatz zu den Attikern ;
s. Breyer, Analecta Pindarica, Bresl. Diss.
1880; GiLDERSLEEVE, Studies on Pindaric
Sijntax, in American Journal of philol. t.
III und IV.
^) Wahrscheinlich gebrauchte Pindar in
der 3. pers. pl. nur vor Vokalen die Endung
-oiGiv der lesbischen Dichter, sonst immer
-ovTi nach der Sprachweise der Dorier, Lokrcr
und Böotier, welch letztere nur -ovn zu orf^i
verkehrten.
156
Griechische Litter aturgeschichte. I. Klassische Periode.
(letzterer teilweise von Dissen). — Kleinere Ausg. mit lat. Kommentar von Dissen und
Sghneidewin, Goth. (1830) 1847, 2 Bde. — Die Konjekturalkritik glänzend gefördert, nicht ohne
übertriebene Kühnheit von Bergk im PLG. namentlich ed. IV. — Textausg. von Christ
in Bibl. Teubn. — Pindars Siegeslieder erklärt von Mezger, Leipz. 1880. — Pindars olymp.
Siegesgesänge, griech. u. deutsch von M. Schmidt, Jena 1869. — Kumpel, Lcxicon Pin-da-
ricum, Lips. 1883. — Übersetzung mit guten Einleitungen von Fr. Thiersch, Leipz. 1820, 2 Bde.
8. Die attischen Lyriker.
128. Die Richtung verständiger Reflexion, politischer Einsicht und
prosaischer Redegewandtheit vertrug sich zu allen Zeiten schlecht mit der
lyrischen Poesie, die am besten gedeiht in der Springflut der Leidenschaft
und im gährenden Drange widerstrebender Elemente. Von Attika und der
Zeit nach Perikles waren daher von vornherein keine Blüten der Poesie
des Herzens zu erwarten. Es nimmt sogar Wunder, dass zur Zeit der
Perserkriege noch solche Talente wie Simonides und Pindar sich entfalten
konnten. Nun aber war man vollständig übersättigt, und die Klänge der
Lyrik hätten wohl vollständig in Athen dem dramatischen Spiel im Theater
Platz gemacht, wenn nicht die Liebe zur Musik sich erhalten und in ihrem
Gefolge auch der Dichtung von Texten zu den Choraufführungen Raum
gegeben hätte, i) Zu dieser dienenden Stellung verstand sich aber am
ehesten der Dithyrambos und Nomos. Denn in dem letzteren hatte von
jeher die Melodie und Musik die hervorragende, der Text die untergeordnete
Stelle eingenommen, und in dem Dithyrambus bildete die den Attikern
besonders zusagende Mimik ein Hauptelement. ^) Aber beide Dichtungs-
arten haben auch auf attischem Boden unter den bezeichneten Umständen
mannigfache Umgestaltungen erfahren. Die Flöte beherrschte in Athen
wie schon vordem in Korinth die Aufführung von Dithyramben; im Gegen-
satz dazu wurde jetzt die Kithara immer mehr das Hauptinstrument der
Nomen und hören wir aus unserer Zeit fast nur von kitharodischen
Nomendichtern. 3) Ein Chor und zwar ein grosser Chor von 50 Mann ge-
hörte seit alters zu der Dithyrambenaufführung; ^) auf seine Ausstattung
ward jetzt ein besonderes Gewicht gelegt, aber den Gesängen des Gesamt-
') Gewaltig eifert gegen diese Verkeh-
rung der natürlichen Verhältnisse Pratinas
in dem durch Ath. 617 b erhaltenen Hypor-
chem: t«V aotdup' xaTearaas JIisQlg ßccai-
Xeiav. Damit verbinde die Angabe des Plut.
de mus. -30, dass bis auf Melanippides die
Flötenspieler vom Dichter den Lohn em-
pfingen, nachher umgekehrt, weshalb auch
in didaskalischen Urkunden der Flötist vor dem
Chorodidaskalos genannt ist. Musikalische
Aufführungen und Agone von Dithyramben-
dichtern fanden zu Athen nicht bloss an den
Dionysien, sondern auch an den Panathenäen,
Thargelien, vielleicht auch an den Promethien
und Hephaistien statt; s. Dittenb. Syll. n. 420.
^) Piaton und Aristoteles, die natürlich
zumeist in der Poesie ihrer Zeit lebten,
kamen auf diese Weise dazu, das Wesen
aller Poesie in die fxifxriGig zu verlegen,
über das Spiel der Nachahmung im Dithy-
rambus s. Arist. Poet. 20, p. 1461'' 33 und
besonders Ps. Arist. probl. 19, 15 p. 918^ 18:
cTto xcd Ob did^vQcc/ußoi, insi^rj fxijurjrixol sye-
vovxo, ovxEXi e/ovaiy dvriarqocpovg, ttqotsqoi'
(^6 £i/oy. Demnach ist wohl von dem älteren
Dithyrambos, wie etwa des Pindar, die Stelle
des Piaton de rep. III p. 394^ zu verstehen
ij ^ev did fxifi.7]a(x)g oh] eariv . . TQayM&la re
xal x(oiLiMdi«, ri 6h SC ccnayyeXlag avxov rov
TJoiTjTov (evQotg d' uv ccvjrjv fxäXiGTc'c nov
£v öix^vQa/Lißoig), i] S'av cJt' dficpotiQdov 8v rs
rwp E7i(dy noiijaei, ttoVm/ov de xcd d'klo&i.
^) Die aulodischen Nomen traten also
zurück; die reinen Flötenkonzerte hingegen
erhielten sich fort. In dem Agon der Pana-
thenäen CIA. II, 2, 965 sind für die Kitha-
roden 5, die Auloden 2, die Kitharisten 3, die
Flötisten 2 (wenn nichts weggefallen) Preise
ausgeworfen; vergl. Bergk, Gr. Litt. II, 500 f.
^) Ein Chor von 50 Mann ist zum ersten-
mal bezeugt für Ol. 75, 4 (476) durch Si-
monides fr. 147.
B. Lyrik. 8. Die attischen Lyriker. (§ 123—124.) 157
chors mischte Philoxenos auch Sologesänge (fu'lrj) bei, zunächst wohl
für den Chorführer, i) Umgekehrt waren die kitharodischen Nomen im
Anfang ausschliesslich für den Einzelvortrag bestimmt und zwar in der
einfachen Art, dass der Sänger sich selbst mit dem Saitenspiel begleitete;
nunmehr brachte Timotheos die Neuerung auf, dass auch bei den Nomen
ein Chor mitwirkte,' und dass durch mimetisches Spiel grösseres Leben in
die musikalische Aufführung gebracht wurde. ^) Den Nomen war von Hause
aus die strophische Komposition fremd; bei den Attikern wurden allmählich
auch die Dithyramben durchkomponiert, was Aristoteles, Probl. XIX, 15 gut
mit dem nachahmenden Charakter des jüngeren Dithyrambus in Verbindung
bringt.^) Kurzum der Unterschied zwischen Dithyrambos und Nomos wurde
in Attika fast ganz verwischt.^)
124:. Die ganze Dithyramben- und Nomenpoesie ^) hat nach dem Ge-
sagten für die Litteratur wenig Bedeutung; ihr Schwergewicht liegt in dem
musikalischen Teil, zu dessen Verständnis uns nach dem Verluste der
Melodien die paar allgemeinen Notizen, die uns erhalten sind, ebensowenig
wie die inschriftlichen Zeugnisse verhelfen. Wir dürfen uns deshalb mit
einer summarischen Aufzählung der Dichter begnügen:
La SOS von Hermione in Achaia lebte am Hofe des Hipparch (Herod.
Vn, 6) und ward, wenn auch irrtümlich, als Lehrer Pindars ausgegeben.
Nach Suidas hat er zuerst ein theoretisches Buch über Musik geschrieben
und den Dithyrambus in die athenischen Wettkämpfe eingeführt. Die
parische Chronik setzt die erste Aufführung eines Männerchors Ol. 68, 1 (508),
wobei aber nicht Lasos, sondern Hypodikos aus Chalkis siegte.^) Auf einen
Wettstreit des Lasos mit Simonides und die Niederlage des ersteren spielt
Aristophanes Vesp. 1410 an. In der Musik begründete er die neue dithy-
rambische Weise, indem er in Rhythmus und Melodie die altertümliche Ein-
fachheit und Strenge der terpandrischen Hymnenpoesie verliess und im
Einklang mit dem grösseren Tönenreichtum der Flöte mannigfaltigere und
in weiter auseinanderliegenden Tönen sich bewegende Perioden einführte.'^)
Von einigen ward er nach Schol. Arist. Av. 1403 geradezu Erfinder des
Dithyrambus genannt. Von seiner dichterischen Begabung gibt uns sein
gekünstelter Versuch, ein Lied ohne c zu dichten, keinen hohen Begriff.
') Plut. de mus. 30: 4>iX6^€yog eig rovg
xvx^Lovg /oQovg fxsh] slarjviyyMXo.
^) Clem. Alex, ström. I, 308: vofxovg
TTQUJtOg ^OEP SV XOQCO XCil Xt&((QU Tijuo^sog.
Über die mimetischen Bewegungen des Flöten-
spielers belehren Theophrast bei Ath. 22 c,
Paus. IX, 12. 5, Lucian. Harm. 1, Dion. or. 78.
^) Auf diese neue Richtung geht der
Spott des Aristophanes Nub. 333: xvxUiov
^k xoQcop ilafÄdtoxci^nrag iip^qag ^bxemqo-
(ftvay.ag.
^) Der Unterschied scheint schliesslich
nur ein metrischer gewesen zu sein; leider
bieten die Inschriften immer imr das gleiche
Miöaaxs.
^) M. Schmidt, Diatrihe in dithyrambutu,
Berlin 1845; E. Scheibe, De dithyramhorum \ (fort. vnuQ/ovaay) ijyaye fxovaixYji'.
graec. avgamentis, Lips. 18G2. i
^) Von Dithyrambenwettkämpfen und
dabei gewonnenen Siegen geben mehrere,
zum grossen Teil erst neu entdeckte In-
schriften Kenntnis; s. CIG. 221. 223, CIA. I
n. 336. 337, II n. 1234-1299, Dittenberger,
Syll. 411 — 424; vgl. Reisch demusicis Grae-
corum certaminibus p. 32 ff. Über den Preis
berichtet Schol. Plat. rep. p. 394 c: tcop' cTt
7ioir]Tiop T(o fxev tiqujtm ßovg ena&Xov tjv, Tip
de fhvTSQio dfj.(poQevg, zw tff tq'lim TQuyog,
ov TQvyl x€/Qia/ueyov änrjyoy.
') Plut de mus. 29: eig rrju did^vQafi-
ßixrjv ayioyTjv fiZSTaaitjaag rovg Qvd^fj,ovg xcd
rfi i(x)v ccvXojv noXvcfiovia xcuccxoXovd^tjaag
nXsioai re q)xh6yyotg xal disQQifJfievoig XQV'
ac'cfxsvog eig fietä&saiu ir]p TiQovTKtg/ovaay
158 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Es scheint eben gleich dem ersten attischen Dithyrambendichter die Frostig-
keit, welche die attische Lyrik kennzeichnet, eigen gewesen zu sein.
Pratinas aus Phlius erwarb sich hauptsächlich durch seine Satyrspiele
einen Namen; er trat aber auch als Dithyrambendichter in Athen und
Sparta auf. Von seinen Hyporchemen ist ein grösseres Bruchstück, worin
er gegen das Überhandnehmen des Flötenspiels in kampflustigen Rhythmen
eifert, auf uns gekommen. ^
Diagoras^) aus Melos, jüngerer Zeitgenosse des Pindar und Bakchy-
lides, ist in weiteren Kreisen durch den Volksbeschluss der Athener, der
ihn als Gottesleugner aus der Stadt verjagte, bekannt geworden. Der von
Philodemos ttsqI dctsßeiag uns erhaltene Vers iS^^cg O^sog ttqo navrog eqyov
ßooxeiov vMfxa (pQsY vTrsgrarav will zu dieser Anklage nicht stimmen.
Melanippides gab es nach Suidas zwei;'^) der ältere aus Melos
hat die neue Richtung des Dithyrambus mit den langen Introduktionen
[dvaßolai) und fremdartigen Stoffen inauguriert. Der jüngere, ein Tochter-
sohn des älteren, galt nach Xenophon Mem. I, 4. 3 als der berühmteste
Meister seines Fachs. Er ward an den Hof des Königs Perdikkas IL berufen,
wo er um 412 starb. Von nur wenigen seiner Dithyramben, wie Maqavag,
JavaiSsg, JJsQa€(p6vrj haben sich Titel und Bruchstücke erhalten.
Antigenes ist uns als Dithyrambendichter bekannt durch das Epi-
gramm Anth. XIII, 28, das er zum Andenken eines von ihm errungenen
Sieges auf den der Gottheit geweihten Dreifuss setzte. 4)
Kinesias gehörte schon ganz der neuen Richtung der Musik an;
er war die Zielscheibe des Spottes der Komiker wegen seiner dürren Ge-
stalt und seiner neumodischen Kadenzen.-)
Philoxenos aus Kythera (435—380 nach Marm. Par.) kam nach
Einnahme seiner Heimatinsel als Kriegsgefangener nach Athen, wo er durch
sein Talent die Aufmerksamkeit des Melanippides auf sich lenkte. Dann
lebte er längere Zeit an dem Hofe des älteren Dionysios in Syrakus, den er
durch sein freimütiges Urtheil über dessen schlechte Gedichte reizte (Diodor
XV, 6). Von seinen 24 Dithyramben war am berühmtesten der KvxImiJ',
in welchem der Kyklope ein schmachtendes Liebeslied auf die schöne Galatea
sang und der Dichter selbst als Führer des zweiten Chors den Odysseus
vorstellte. Grössere Fragmente haben wir von einem zweiten, von einigen
nach Ath. 146 f. dem Philoxenos aus Leukas zugeschriebenen Gedicht JeiTTvor,
das für die Erkenntnis der rhythmischen Formen des jüngeren Dithyrambus^)
und der raffinierten Genusssucht jener Zeit gleich interessant ist. Die Dithy- i
ramben des Philoxenos standen in hohen Ehren ^) und wurden noch zur Zeit
^) Der Name des Flötenspielers erscheint
in dem 4. Jahrh. neben dem des Dichters
auf den Siegesinschriften, schon ein Beispiel
aus dem 5. Jahrh. bietet Anth. XIII, 28; s.
Reisch, de miis. cert. 28 f.
^) Suidas u. Jiuyogag; Ps. Lysias c.
Andoc. 7; Arist. Ran. 320.
2) Einen Irrtum des Suidas nimmt Rohde.
Rh. M. 33 213 an.
hartes Urteil fällt über ihn Piaton, Gorg.
p. 501e.
^) Das Metrum ist daktylo-epitritiscli,
welches überhaupt in dem attischen Dithy-
rambus herrschend war.
^) Antiphanes bei Ath. 463d. Aber ver-
spottet wird Philoxenos von dem Feind der
neuen Musik, von Aristoph. Flut. 290; über
die Freiheit des Rhythmenwechsels vergl.
■*) Vgl. WiLAMOwiTz Herrn. 20, 02 ff. ' Dionysius rle cnmj'). rerh. p. 264 Seh.
^) Aristoph. Av. 1372, Pac. 832. Ein
B Lyrik. 8. Die attischen Lyriker (§ 124) 159
des Polybios (IV, 20) alljährlich von den Arkadern im Theater auf-
geführt.
Timotheos aus Milet,^) der bewundertste Musiker und Nomendichter
seiner Zeit, war in der Musik ein Schüler des Phrynis,'^) worauf sich
Aristoteles Metaph. 993 b 15 bezieht, wenn er von dem berühmteren Schüler
des berühmten Meisters sagt: el fxtv ydq Tinöih^oq in] syi-vsxo, rroXh^i' av
litXortoüav ovx sT^oilisv' h öt yaj WQvrig, Tiiiöd^sog ovx av iyevsTo. Der
Schauplatz seiner Thätigkeit war vor allem Athen, aber auch am Hofe des
Archelaos, in Ephesos und Sparta trat er mit seinen Produktionen auf.
In letzter Stadt wollte man von seinen Neuerungen wenig wissen, so
dass ihm die Ephoren die 4 neuen Saiten seiner 12saitigen Zither ab-
schnitten.'^) Hochbetagt starb er im J. 357. Ein Urteil über den gefeierten
Musiker ist uns heute nicht mehr möglich; denn sein Schwerpunkt lag in
den Melodien, die mit all den antiken Denkmalen dieser reizendsten und
flüchtigsten aller Künste zu gründe gegangen sind.^) Das Altertum hatte
von ihm SC stimv roßoi fiovaixoi TTQOoffiia^ syxMfua, Sid^vQaiißoi^ viivoi,
naiävsg u. a.; auf uns sind nur ganz dürftige Reste gekommen, die uns
aber einen grossen Reichtum rhythmischer Formen erkennen lassen. Ge-
priesen war sein Dithyrambencyklus Odysseia in mindestens 4 B., zu dem
auch die von Aristoteles, Poet. 26, erwähnte Skylla gehörte, in der in halb
burlesker Weise die Choreuten den Koryphaios zupften, um das Weg-
schnappen der Gefährten durch die Skylla zu veranschaulichen.''*)
Von sonstigen Dithyrambikern des 4. Jahrhunderts werden noch ge-
nannt Telestes aus Selinunt, der sich nach Dionysios, de comp. verb. 19
im Wechsel der Rhythmen und Tonarten gefiel, was die erhaltenen Fragmente
bestätigen, Ariphron aus Sikyon, der in einer didaskalischen Urkunde des
4. Jahrhunderts CIA. II n. 1280 erwähnt ist^) und von dem uns Athenaios
p. 702 einen berühmten Päan auf die Hygieia erhalten hat, Polyeidos der
Sophist, ein Mann von vielseitigem Talent, der sich auch in der Tragödie
und Malerei versuchte, Likymnios aus Chios, der nach Aristot. Rhet. III,
12 Dithyramben zum Lesen dichtete,') Lykophronides, von dem uns
ein paar Fragmente erhalten sind, Kleomenes aus Rhegion, Nikokles
aus Tarent,*^) Argas,-^) Eukles, Philophron, Lysiades aus Athen,
Hellanikos aus Argos, Charilaos aus Lokris, Eraton aus Arkadien. i^)
^) Suidas u. Ti/nod^sog. j yojQ, NavnXtog, 4>iy€tö'c(i.
Plnt. de mus. 6; iiacli Scliol. zu Aiist. ' ^) In der Urkunde indes lieisst es bloss
^AgicpQioi^ ohne den Zusatz Iixvioviog. Auch
der Päan ist uns auch inschriftlich auf einem
jetzt in Kassel befindlichen Stein erhalten.
Nub. 967 siegte er an den Panathenäen unter
dem Archon Kallias. Ihn und seinen Schüler
Timotheos nahm zur Zielscheibe des Spottes
Pherekrates im Cheiron. | ') Ein Fragment von ihm n. 4 enthält
■^) Paus, in, 12. 10; Boetius de mus. j Verse aus dem Päan des Ariphron.
p. 182 Friedl. ' ^) p]in Verzeichnis seiner Siege gegen
*) Über die Neuerungen des Timotheos | das Ende des 4. Jahrhunderts erläutert von
s. S. 157 Anm. 1,
'') Ein ^QTjvog rov 'O^vaaecDg (vgl. Arist.
Köhler, Rh. M. 39, 298.
^) Argas wird als schlechter Nomen-
]toet. 15) des Timotheos wird angeführt in I dichter verspottet bei Ath. 131'' u. ()38*";
dem ästhetischen Papyrus des Erzherzog I sein Name steckt wahrscheinlich auch in
luainer, publiziert und erläutert von GoMPERZ. j Aristot. Poet. 2, p. 1448'* 15.
?slitteilungen aus Papyrus Rainer I, 84—8. j '") Die letzten Namen und andere dazu
Andere Titel waren l&ut'Xrj, AcaQxr]q, 'Elnfj- \ sind inschriftlich bezeugt; s. S. 157 An. 5,
160 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
C. Drama. ^)
I. Anfang und äussere Verhältnisse des Dramas.
125. Das Drama ist eine originelle Schöpfung des griechischen Geistes:
kein Volk des Altertums hat etwas ähnliches hervorgebracht, und was in
späterer Zeit in Rom und von modernen Völkern auf dem Gebiete der
dramatischen Kunst geleistet wurde, geht auf die Anregung der Griechen
zurück. 2) Bei ihnen selbst hat sich das Drama aus den beiden älteren
Gattungen der Poesie naturgemäss entwickelt; es ist dasselbe auch erst
zur Ausbildung gekommen, nachdem die erzählende Dichtung fast ganz
verklungen war und die Gedankenpoesie der subjektiven Empfindung ihren
Zenith bereits überschritten hatte. Die beiden Elemente, aus denen das Drama
entsprungen ist, haben auch äusserlich bei den Griechen in dem Gegensatz
der dialogischen und gesungenen Partien ihren Ausdruck gefunden. Die
Chorgesänge und Monodien bezeugen ihren Zusammenhang mit der Lyrik,
speziell der chorischen Lyrik, nicht bloss im Inhalt und gesangmässigen
Vortrag, sondern auch in dem Versbau und der Sprache. Fast alle Metra
der Cantica lassen sich bei den älteren Lyrikern nachweisen, die melodi-
schen Logaöden und Choriamben sowohl, wie die gravitätischen Daktylo-
Epitriten und anapästischen Systeme; nur die Dochmien scheinen eine
spezielle Schöpfung des Bocksgesangs zu sein. Auch die Sprache der Chor-
gesänge weist deutlich auf die dorische Chorlyrik zurück und hat aus ihr
die Formen des dorischen Dialektes, namentlich das volltönende ä herüber
genommen. Weniger tritt im Dialog der Zusammenhang mit dem Epos
hervor, da für diesen die Dichter ein anderes Metrum wählten, nicht den
gravitätischen Hexameter, sondern den beweglichen, der Umgangssprache
sich nähernden iambischen Trimeter.^) Aber wenn auch die Form geändert
wurde, so blieb doch die Übereinstimmung des Inhaltes: der Dialog ist der
Träger der Handlung und des Mythus, Fundgrube des Mythus aber waren
die epischen Gedichte, was Aischylos schön ausgedrückt hat, indem er seine
Dramen Brosamen vom Tische Homers nannte. Der grosse Fortschritt
bestand nur darin, dass jetzt nicht mehr die Handlung in ihrem Fortgang
erzählt, sondern in täuschender Nachbildung den Augen und Ohren der
Zuschauer vorgeführt wurde, so dass dieselbe das Geschehene gleichsam selbst
^) Quellen aus dem Altertum: Aristo-
teles neQi 7ioi7]Tix7Jg, wozu die Reste seiner
Ji^uGxcilUa bei Rose, Aristot. pseud. LVI u.
552 ff.; Horatius ars poet. nach dem grie-
chischen Werk des Neoptolemos Parianos;
Tzetzes (12. Jahrh.) tieql TQuyiy.fjg noitjaetüg
(bei Westphal, Proleg. zu Aeschyl. p. VIII
sqq.) und ttsqI xaj/ucodUcg (ed. Ckamer, An.
Ox. I, 19 ff). Spurlos verschwunden sind
des Grammatikers Telephos (unter Hadrian)
Bioi TQayiy.wy xid xw^wJwr. — Neuere
Werke: W. v. Schlegel, Vorlesungen über
dramatische Kunst und Litteratur, Heidelb.
1809, 3 Bde. = Sämmtl. Werke Bd. 5 u. 6;
des griech. Schauspiels, Tüb. 1862. — Sam-
melausg. : Poetae scenici Graecorum rec.
Bothe, Lips. 1825—58, 10 Bde.; Poetae scen.
gr., ed. Gu. Dindorf ed. IV, Lips. 1869.
-) Nicht der Rede wert sind die drama-
tischen Ansätze der Chinesen. Für die Inder
weist die Anregung der Griechen nach
Windisch, Der griechische Einfluss im in-
dischen Drama, Berlin 1882. Bezeichnend
ist, dass auch in dem indischen Drama
2 Dialekte, Sanskrit und Prakrit, angewen-
det sind.
3) Arist. Rhet. III, 8 sagt vom Hexa-
meter: nefxvog xcd lexrixrjg uQfxoplag &s6--
Klein, Gesch. des Dramas, Leipzig 1865 (hier fxsvog, Poet. 4 vomlambus: {uähara Xsxnxöi^
einschlägig die 2 ersten Bde.); Rapp, Gesch. ! rcoy fxezQioy rd lafxßeUv ianv.
I
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 126.) IGl
mitzuerleben vermochten. Deutlicher aber zeigt sich der Zusammenhang des
Dialogs mit dem Epos in der Sprache: das Attische, das die Personen der
Bühne sprachen, war ein Zweig des Ionischen, ionisch aber war der Dia-
lekt des erzählenden Epos, wie des iambischen Spottgedichtes. Insbesondere
bewahrte in der Tragödie der Dialog viele lonismen des Homer und des
Herodot, sei es nun, dass dieselbe in ihrer gehobenen Weise sich mehr
von dem Vulgärdialekt des attischen Volkes zu entfernen wagte, sei es,
dass sie als die ältere Gattung des dramatischen Spieles auch die ältere,
dem Ionischen noch näher stehende Gestalt des attischen Dialektes be-
wahrte.*)
126. Hat so das Epos so gut wie die Lyrik Grundsteine für den
neuen Bau der dramatischen Poesie geliefert, so ist dieselbe doch speziell
aus der Lyrik und der religiösen Festfeier des Dionysos hervorgegangen.
Darauf weist schon der Name. J^ä^j^a, d. i. Handlung, hiess das neue Fest-
spiel,^) ÖQwf^isva hiessen aber auch die Zeremonien, mit denen man an den
Götterfesten, namentlich bei den Mysterien den Mythus des Gottes, seine
Geburt, seine Wanderungen und Leiden den andachtsvollen Gläubigen vor
Augen führte.^) Zu solchen mimischen Darstellungen boten wohl auch die
Mythen anderer Götter Stoff, wie die von dem Kampfe Apollos mit dem
Drachen Python^) und von der Bewachung des jungen Zeus durch die
Daktylen und Korybanten; aber zur Zeit, als die Geburt des Dramas nahte,
war in den Mysterien der Kult der alten Götter hinter dem des lakchos
und der Demeter zurückgetreten. Namentlich aber war es der erstere,
der mit Mummenschanz und heiterem Spiel verbunden war und durch den
Charakter enthusiastischer Begeisterung die Gemüter der Festgenossen für
die neue Art von Poesie empfänglich machte. Die ausgelassene Weinlaune
und der Schwärm der bocksfüssigen Satyren musste von selbst die Griechen,
die mit ihren Göttern auf vertraulichem Fuss zu stehen liebten, zu nach-
ahmendem Spiele reizen. Dazu löste der Gott, der von der Freiheit die
Zunamen 'EXsvdegsvg und AvaTog führte, den Menschen an seinem Feste
die Zungen, so dass die Festgenossen teils vom Wagen herab die Vorüber-
gehenden neckten, teils selbst mit ihren drolligen Aufzügen unter Voran-
tragung eines grossen Phallos das Lachen und den Scherz der Zuschauer
wachriefen.''^) Aber auch wer zum Ernst und zur Reflexion angelegt war,
fand an den Dionysosfesten Gelegenheit zur erbaulichen Vorstellung. Dafür
^) Die letztere Meinung vertritt Rüther-
ford, Zur Geschichte des Atticismus, über-
setzt von Funck in Jhrb. f. Phil. Suppl. XIII,
355—399. Zum thatsächlichen Verhältnis
bemerke ich, dass in dem Dialog der Tra-
giker, selten der Komiker, sich finden Dative
^1. auf otfffc, aiGi, EGGi, die ablativen Genetive
ejueS^sy, os&sv, die lonismen yovraiog, (fovQi,
^eiyog, 8i(QV(f&ep (Eur. Hipp. 1247), eGxav
(Eur. Phoen. 1246), die nichtattischen Wörter
nc'iTQtt statt naiQLg, laiQui statt (uqw^ doiMg,
(crQ8X7jc, (iQ&fxtog, dficplnoXog, ccXvco, svcpQOPt],
i^Q^io. x^sÖTTQonog, xc(Giypr]Tog, xixXiJgxüj, xol-
(i«i'og, oQ-yeiör, GTvyeoj, (fÜQog.
^) Nach Arist. Poet. 3 suchte man aus
diesem Namen den dorischen Ursprung des
Dramas zu beweisen, weil die Dorier dgay,
die Athener ngaTreiv sagten.
^) Daher der Gegensatz bei Paus. II,
37. 2 (vgl. III, 22. 2): t« leyo^eya inl xoJg
(yQioftei'oig. Vgl. Bergk, Gr. Litt. III, 4.
'*) Dass derselbe auch wirklich mit nach-
ahmender Kunst dargestellt wurde, darüber
siehe oben S. 103 An. 4.
■'') Noch in später Zeit bestand die Ge-
wohnheit an gewissen Götterfesten dem
Spott freien Lauf zu lassen, wie im 2. Jhrh.
n. Chr. zu Smyrna an dem Fest des Dio-
nysos; s. Aristides tjsqI rov ^n) t^eh' xio-
(xm^eTv p. 509.
llandbucli der klass. Allcrtiiiuswisscnschaft. VII. 2. Aufl. 11
162 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
hatten die Mysterienpriester gesorgt, die den Gott des Weines zum Re-
präsentanten der zeugenden Naturkraft erhoben, das Einschlafen der Natur
im Herbste und ihr frohes Wiedererwachen im beginnenden Lenze mit dem
Wandel seines Wesens in Verbindung brachten und demselben frühzeitig
auch allerlei ernste, mit der Verbreitung seines Kultes zusammenhängende
Mythen andichteten. Diese Vorstellungen und Mythen hatten dem feier-
lichen Dithyrambus Nahrung gegeben, und aus diesem ist die zweite Art
des dramatischen Spiels herausgewachsen. Der Ursprung aber beider Arten
des Dramas aus dem Mummenschanz der alten Dionysosfeste zeigte sich
auch später noch darin, dass die Schauspieler wie die Choreuten verkleidet
auftraten und das Gesicht entweder mit Hefe verschmierten oder mit einer
Maske {rrQdacoTTov, persona) bedeckten.
127. Arten des Dramas.^) Aus den Elementen des Dionysoskultes
haben sich 3 Arten des Dramas entwickelt, die Tragödie, die Komödie und
das Satyrspiel. Die Tragödie {rgayfodia), die speziell aus dem Dithy-
rambus hervorgegangen ist,-) muss als rgäyan' o^Sr] gedeutet werden, hat
also den Namen nicht von dem Bock, der als Preis dem Sieger zugefallen
sein soll, 3) sondern von den Böcken, in welche die Sänger, eben weil sie
das Gefolge des Gottes darstellten, ursprünglich verkleidet waren. Von vorn-
herein ernsteren Charakters hat sie sich allmählich zu jener ergreifenden und
reinigenden Darstellung einer ernsten Handlung entwickelt, welche Aristoteles
Poet. 6 mit den berühmten Worten definiert: saTiv TQayo^Sia iiu\ar]aig nqd-
'^€(jog (TTTOvdafac xal rskeiag ^.itysO^og i^^ovar^g t]Svai^ikV(o ^öyo) xwQig ixaazo)
Tcov siScov SV ToTg ßoqtoig Sqmvtwv xal ot di' duayysXiag, 6i' iXtov xal (fößov
TTSQaivovaa Trji' rwr toiovtcov irad^ijindTcov xä&aqaiv^^) d. i. die Tragödie ist
die Nachahmung einer ernsten und abgeschlossenen Handlung von einiger
Länge, welche in schöner Sprache, deren verschiedene Arten in den
Teilen derselben getrennt vorkommen, durch Handelnde und nicht durch
Erzählung vorgeführt wird und durch Mitleid und Furcht die Reini-
gung derartiger Affekte bewirkt. — Die Komödie {xw/^upöia) ist aus
den Gesängen der Phallosprozessionen hervorgegangen,^') welche sich auch
später noch neben den Dithyramben und der ausgebildeten Komödie er-
') Diomed. p. 487 - 492 K. | eines Bockes.
^) Arist. Poet, 4: '^ f^si^ Tgaytodla and | ^) Unter den zahlreichen ErJäuterungs-
Tioy E^aQ/oPTioy ToV ö)x)^vQ(c^ußoi' y.urd fxixQov j Schriften verdienen besondere Beachtung
^) Hör. a. p. 220: carmine qui tragieo
vilem certavit oh hircum ; ein rgäyog als
Preis angeführt Marni. Par. 43, ebenso von
Eusebios zu Ol. 48, 1. Es liegt hier wahr-
scheinlich eine Anlehnung an den Dithy-
rambus vor, für den der Preis in einem Ochs
bestund ; s, S. 157 An, 4, Die richtige Ety-
mologie im Et, M, 764, 6: iQayoyö'Lct, ori rd
71 oXkd ol %oQol ex 2^ccivQ(0P ovviajctvro, ovg
ixuXovy TQayovg. Zu ihrer Bestätigung dient
der Vers in des Aischylos' llQofutjtf^svg nvg-
xaevg fr. 219 Herrn., wo Prometheus den
Satyrchor anredet: TQuyog ysveiov uqcc nsv-
^hjastg av ys : Müller, Gr. Litt. I, 487 denkt
an den Gesang um das brennende Opfer
ausser Lessing's Dramaturgie, J. Bernays,
Grundzüge der verlorenen Abhandlung des
Aristoteles über Wirkung der Tragödie 1857,
Zwei Abhdl. über die aristot. Theorie des
Dramas, Berlin 1880, L, Spekgel, Über die
xdS^aQaig xmv ■na&rjfj.dxMv, Abhdl, d. b, Ak.
IX Bd, (1859), Meiser, Beitrag zur Lösung
der Katharsisfrage, Blatt, f. bayer. Gymn.
1887 S. 211 ff. Eine andere, dem Theophrast
zugeschriebene Definition steht bei Diomedes
487, 12 K.: iQayMdLa iaxlv rjQioixrjg Ti'/i]g
nEQLOTctaig.
•") Arist, Poet. 4: ^ (ff xiofiMÖia and
XMV rd cpallixd e^aQ/opnoy, d stl xal yvv
iy 7?o/lA«rc Tioy n6?,sioy ^tauevsi yofut^oueya.
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 127 — 128.) 16.3
halten haben. Nach Aristoteles Poet. 3 haben einige, wohl durch die länd-
lichen Dionysien verführt, das Wort von xoi/i/;, Dorf, abgeleitet, womit die
Dorier dasselbe wie die Attiker mit dr^fxog bezeichnet haben sollen. Aber
die Komödie hat mit dem Dorfspiel nichts zu thun; das erste Element des
Wortes ist vielmehr xo\aog, lustiger Schwärm, wovon auch xcofxa^siv und
das lat. comissari gebildet ist.^) Daneben kommt bei Aristophanes das
scherzhaft gebildete TQvyo)öia vor, das entweder von Tovyrj „Weinlese" oder
TQv'^ „Hefe" herkommt. 2) Mit den Phallosliedern war der Komödie von
vornherein Scherz und Lustbarkeit als Angebinde mitgegeben, aber erst
mit der Zeit erhob sie sich zur erheiternden und verspottenden Darstellung
einer lächerlichen Handlung. 3) — Das Satyrs piel (ol aüzvooi) hat seinen
Namen davon, dass in ihm der Chor aus verkleideten Satyrn gebildet wurde.
Der Zusammensetzung und dem Charakter des Chors entsprechend, wählte
es aus den Heroenmythen diejenigen aus, welche einen lustigen Anstrich
hatten. Das Satyrdrama hat auf solche Weise am getreuesten den ursprüng-
lichen Charakter des Dionysosspieles festgehalten und kann, da auch bei
der Tragödie ehedem der Chor aus Böcken bestund, als Vorstufe der letz-
teren bezeichnet werden. Als die Tragödie ernste und fernabliegende Mythen
in ihren Kreis zu ziehen und die Komödie das Leben der Gegenwart statt
die Überlieferungen der Vergangenheit zur Zielscheibe ihres Witzes und
Spottes zu nehmen begonnen hatte, wurde das Satyrspiel zwar nicht ganz
zur Seite geschoben, aber an letzter Stelle nach den Tragödien zur Auf-
fühiung gebracht.^) — Die Unterschiede der drei Arten von Dramen waren
auch äusserlich in der Kostümierung des Chors und der Schauspieler aus-
geprägt; insbesondere war für die Tragödie bezeichnend die stelzenartige
Fussbekleidung {xo^ogvog) und der hohe Haaraufsatz (oyxog), welche die
Heroen über das Mass der gewöhnlichen Menschen erhöhten. Umgekehrt
trugen die Personen der Komödie einen niederen Schuh {socciis) und banden
sich als Diener des befruchtenden Gottes der Zeugung einen grossen Phallos
um. Die Choreuten des Satyrdramas trugen einen Schurz aus Ziegenfell,
vorn mit Phallos, hinten mit dem Satyrschwänzchen.
128. Athens Bedeutung für das Drama. Nach Aristoteles Poet. 3,
erhoben die Dorier den Anspruch, das Drama erfunden zu haben, die Megarer
die Komödie, andere Peloponnesier die Tragödie.'') Das war gewiss nicht ganz
^j Dioniedes p. 488, 5 K. : comoedia i äxlv^vvog neoio/rj.
d'icta MIO Tojy xoi^wv . . , vel clno lov xojjuoV; ^) Casaubonüs, De satyrica Graecorum
id est comessatione. \ poesi et Romanoriim satura, der Ausgabe
-) Schol. Arist. Ach. 498; Ath. 40'^; Et. j des Persius angehängt (1605). Dort ist zuerst
M. 7G4, 12; Anon. de com. III; davon Ho- I der Unterschied des griechischen Satyrdra-
raz a. p. 277 : qui canerent agerentque per- \ mas und der römischen Satire (alt Satura)
uncti faecibus ora. \ festgestellt. Aber wenn auch die litterarische
^) Arist. Poet. 5: ?/ xw^awcT/« ioil f^lf^it]- | Satire der Römer von dem ^Qäf/cc aarvQLxoi^
aig cfccvXoxtQcoy fxc'y, ov fxspioi y.aru rräauy der Griechen verschieden war, so scheint sie
y.a-Auv, d'Ald rov «la/Qov iarl t6 yt'koLov doch gleicher Wurzel entsprossen zu sein;
^oQiov. Die Definition im Traktat nsQL i s. Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung I, 9. —
xüjfxoidUcg des Cod. Coislin. 120 ist eine un- j Wieselee, Das Satyrspiel, Gott 1848. Ein-
geschickte Nachbildung der aristotelischen ! ziger Repräsentant ist für uns der Kyklops
Definition der Tragödie. Durch den Charakter des Euripides.
der neuen Komödie ist beeinfiusst die De-
finition des Theophrast bei Diomedes p. 488, wenn Arion bei Suidas heisst tQayixoii tqq
4 K. : xojuojöi« ioili^ idiomxoiv Tioo.yuö.xiov nov evQsnjg
'") Damit in Zusammenhang steht es,
11
1(34 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
unbegründet, da thatsächlich durch Pratinas das Satyrspiel von Plilius nacli
Athen verpflanzt wurde und die in dorischem Dialekt geschriebenen und zur
Aufführung in einer dorischen Stadt bestimmten Stücke des Komikers Epi-
charmos sicher nicht von Athen aus ihre Anregung empfangen haben. Aber
zur Entwicklung und glänzenden Entfaltung kam das dramatische Spiel erst
in Attika, wo es von den volkstümlichen Dionysosfesten des rebenreichen
Ortes Ikaria ausging und seit 536 ^) in die Reihe der städtischen Festagone
aufgenommen wurde. Athen begann damals zum Gipfel seiner Macht und
Grösse emporzusteigen und in den Kranz seines Ruhmes auch das edle
Reis dichterischen Glanzes zu flechten. In der Blütezeit des Epos hatte
Attika keine Rolle in der Litteratur gespielt; aber während die stamm-
verwandten lonier der fruchtbaren kleinasiatischen Küste früh in Üppigkeit
und Sklaverei versanken, erhielt sich auf dem sterilen Boden Attikas un-
geschwächt die Vollkraft des tüchtigen, im Kampf mit dem Leben gestählten
Volksstammes. Allmählich erst wuchsen und entfalteten sich hier am Baume
der Bildung die Zweige und Fruchtknoten, die dort rasch und üppig empor-
geschossen waren. Erst im 6. Jahrhundert brachte Athen den weisen Selon
hervor und zogen die Peisistratiden Dichter und Gelehrte an ihren Hof. Der
grosse Aufschwung, den die Volksherrschaft nach Vertreibung der Tyrannen
und der Reichtum der Stadt nach den Siegen der Perserkriege nahm, kam
der Entwicklung der dramatischen Poesie wesentlich zu statten. Die Pracht
der Feste stellte an die Freigebigkeit und das Vermögen der Choregen
ungewöhnlich hohe Anforderungen, und die Freiheit der Rede im Theater
hatte die Freiheit des Wortes im öffentlichen Leben zur Voraussetzung. Wie
das Epos im ruhigen Sonnenglanze der kleinasiatischen Fürstenhöfe erblüht
war, die Lyrik im Drange der Kämpfe, welche dem Sturze der patriarchali-
schen Könige folgten, geboren wurde, so war das Drama ein Kind der
Volksherrschaft und desjenigen Staates, der als das Bollwerk der Demo-
kratie in ganz Hellas angesehen wurde. ^') Auch der Charakter des atheni-
schen Volkes war der Entwicklung des Dramas günstig: seiner Beweg-
lichkeit sagte das farbenreiche Spiel auf den Brettern zu, seine Neigung
zur dialektischen Diskussion fand in dem Wortstreit des dramatischen
Dialoges willkommene Nahrung, sein heftiges und tiefgehender Erregung
zugängliches Naturell Hess sich gern durch mimisches Spiel in Leidenschaft
versetzen.
129. Ehe wir uns zu den Dichtern und zur geschichtlichen Entwick-
lung der dramatischen Poesie wenden, müssen wir uns zuvor über die
Hauptpunkte der szenischen Altertümer,^) das Theater, die Spieltage, die
Aufführungen, sowie über die Ökonomie des Dramas orientieren.
Das Theater. QtatQov bedeutet der Etymologie nach Ort zum Schauen;
^) Dieses Datum ist bezeugt für den i Worten aus : '^weImv Xaya) jiqp nohy ri^g
ersten Erfolg des Thespis in Athen durch die | EXXäö'og ncd^evaip dvai. Über die Vorzüge
parische Marmorchronik und durch Suidas; des attischen Dialektes, seine xoivörijg xal
das Jahr ist auch wahrscheinlich an der
verderbten Stelle des Eusebios herzustellen.
'') Wie die Macht Athens wesentlich auf
jusT^iözfjg spricht hübsch Isokrates 15, 295.J
") A. Müller, Lehrbuch der griech.l
Bühnenaltertümer, Freiburg 1886. In diesem
dem geistigen Vorrang lieruhto, drückte Handbuch gibt von den scenische-n Alter-
I'erikles (Thuc. II, 41j mit den berühmten i tümern eine spezielle Darstellung Oehmichkn.
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 129.)
165
gibt es aber etwas zum Schauen, so stellen sich die Zuschauer im Kreis (corona)
um den Künstler; kreisrund war auch in der älteren Zeit der Markt {dyoQo),^)
der das natürliche Lokal für solche Produktionen abgab, und im Kreise stellte
sich seit Arion der dithyrambische Chor {xixhog /o^oc) auf, der inmitten der
Corona, ursprünglich um einen Altar (^v/iiehj) seine Reigen und Gesänge auf-
führte. Nachdem aber die Corona gewachsen war, musste man dafür sorgen,
dass auch die Hinteren, die nicht immer die Grösseren waren, etwas zu sehen
bekamen ; das führte naturgemäss zum Aufschlagen von Gerüsten (ixQia),
so dass sich die Zuschauerbänke terrassenförmig, die einen über den andern
erhoben. Bei grossem Zudrang aber konnte leicht ein solches Gerüste zu-
sammenbrechen, wie uns von einem derartigen Unfall in der 70. Olympiade
(500/497) Suidas unter Pratinas berichtet. 2) Man schaute sich also nach
einem festeren Gebäude um. Dafür gleich ein freistehendes Theater aus
Stein zu errichten, wäre zu kostspielig gewesen; man verfiel daher auf den
Gedanken, zum Zuschauerplatz die natürliche Abböschung eines Hügels zu
benützen, und dazu bot in Athen der Südostabhang der Akropolis die
willkommenste Lokalität. In der Einbuchtung (xotXov) des Hügels Hessen
sich leicht Sitze in den Stein hauen und durch geringe Nachhilfe bis über
den Umfang eines Halbkreises hinausführen. So entstand das Theater des
Dionysos in Athen, das allen anderen Theatern des Altertums zum Vorbild
diente und das in unserer Zeit durch die gemeinsamen Bemühungen deut-
scher und griechischer Archäologen wieder blossgelegt wurde. Ein so
grosser Bau mit den Räumlichkeiten für die Bühne und die Bühnenrequisite
ist nicht auf einmal entstanden und nicht unverändert im Laufe der Zeiten
geblieben. Nach Suidas hat man gleich nach dem Unfall der 70. Olympiade
mit dem Bau eines festen Theaters begonnen; eingeweiht wurde dasselbe
im Jahre 472. 3) Zum Abschluss und zur Ausschmückung mit den Statuen
der grossen Meister Aischylos, Sophokles und Euripides gelangte der Bau
erst unter der Finanz Verwaltung des Lykurg (330). '^) Die heutigen Reste
zeigen die Umbauten, welche das Theater unter gänzlich veränderten Bühnen-
verhältnissen in der Zeit Hadrians erlitten hat.
Das antike Theater hatte demnach in seiner ersten Anlage nur zwei
Teile, den Zuschauerplatz {ihsaxqov oder xoiXoi', cavea), der durch Umgänge
{6ici^c6fxaTa) und radienförmig angelegte Treppen in mehrere Abteilungen
(xsQxiSfg) gegliedert war,'') und den kreisrunden, je nach Bedarf mit Bret-
tern belegten Raum in der Mitte, wo der Chor seine Tänze, ursprünglich
um einen Altar aufführte und der davon bqxrjaTQa oder Ovfiehj hiess.^) In
^) IL 2" 304, wo die Richter auf Steinen
sitzen Isqu) svl xvy.X(o. Rund war auch der
durch Schliemann blossgelegte Markt von
Mykenä.
^) Da Pratinas nur einmal, Aischylos
erst 485 den ersten Sieg erlangte, so ist bei
Suidas vielleicht die Zahl 0 (70) aus os (75)
verderbt.
■^) Dieses Datum ist aus der neugefun-
denen Urkunde über die Theatersiege, CIA. II,
971, durch scharfsinnige Kombinationen er-
wiesen von Oemichen, Anfänge der drama-
tischen Wettkämpfo in Athen, Stzb. d. b.
Ak. 1889, II, 142 ff.
'^) WiLAMowiTz, Die Bühne des Aischy-
los, Herrn. 21, 598 ff. stellt die paradoxe Be-
hauptung auf, dass das steinerne Theater
Athens unter Lykurg nicht ausgebaut, sondern
überhaupt erst gebaut worden sei.
^) 13 xeQXL^ag hat das Dionysostheater
in Athen nach der Zahl der Phylen unter
Hadrian.^
^) Über das schwer entwirrbare Ver-
hältnis von ÖQ/TJaiQcc zu y^v{ÄiXr], über das
die verschiedensten Hypothesen aufgestellt
wurden, s, Müller, S. 129 ff".
166
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
der Orchestra mochte anfangs mit dem Chor auch der Schauspieler seinen
Platz gehabt haben, wenn auch die Angaben der Alten von dem Fleischtisch
(sAsog), von dem herab der Schauspieler vor Thespis mit dem Chor agiert
haben soll, auf dem Miss Verständnis einer Komikerstelle beruhen, i) Als
aber mehrere Schauspieler auftraten und deren Spiel den Hauptanziehungs-
punkt zu bilden begann, schnitt man das äussere Segment der Orchestra ab,
um hier speziell für die Schauspieler ein oblonges Gerüst {loysTov, oxgißag,
^ndpitum) zu errichten.^) Die Handelnden waren also jetzt auf zwei, durch
Treppen verbundene Räume verteilt, von denen jeder seine eigenen Zugänge
{at avM xal cct xavo) tkxqoSoi) hatte. Die weitere Vervollkommnung drehte
sich wesentlich um den Ausbau des schon aus akustischen Gründen über-
deckten Bühnengebäudes mit den rückwärts und zur Seite gelegenen Kou-
lissen. Dasselbe ward durch eine in mehrere Stockwerke gegliederte, mit
einer Hauptthüre und 2 oder 4 Seitenthüren versehene, aber leicht durch
Holzverkleidung und Malerei (rtQoaxrjvior) umzugestaltende Rückwand ab-
geschlossen. Diese stellte in der Tragödie meistens die Vorderseite eines
Königspalastes vor, hiess aber (Txrjvt'j, weil im alten Satyrdrama die Phan-
tasie der Zuschauer sich eine Hütte in dem Hintergrunde vorstellen sollte.^)
Die beiden Seitenwände hiessen TiaQaaxi]via] an ihnen befanden sich die
hölzernen, drehbaren Prismen {neQiaxToi, versurae), die mit je 3 Tafelbildern
bedeckt waren und durch deren Drehung eine Veränderung der Szene an-
gedeutet werden konnte. Dazu kamen bei der Aufführung die speziellen
Ausrüstungen, das Gerüste für den Standplatz des Chors, die Dekorationen
der Bühne und der Orchestra, die Rollmaschine (sxxvxhjfjLo), die Götter-
bühne (d^soXoyalov), die Schwebemaschine, die Hadesleiter u. a.
130. Spieltage und Agone. Der Ursprung des Dramas aus dem
Kulte des Dionysos gab sich bei den Athenern bis in die spätesten Zeiten
darin kund, dass Dramen nicht alltäglich und nicht zu beliebigen Zeiten,
sondern nur an den Festen des Gottes Dionysos zur Aufführung kamen.
Den Ehrenplatz hatte deshalb im Dionysostheater zu Athen in der Mitte
der ersten Reihe der Priester des Dionysos Eleuthereus.-^) Das Drama trat
so in den Kreis der musischen Wettkämpfe {aywvec p.ovaixoi), indem zur
Feier der Götterfeste durch poetische und musikalisch-orchestische Produk-
tionen vom Staat ein Preisbewerben eingerichtet wurde. Die Hauptfeste,
an denen Dramen zur Aufführung kamen,'') waren die grossen Dionysien,^)
gefeiert zur Zeit der wiedererwachenden Natur im Monat Elaphebolion
') Die Hauptstelle über jenen eleog bei
Pollux IV, 123. Ein Missverständnis einer
Komikerstelle nimmt Hiller, Rh. M. 39,
329 an.
2j Nach AViLAMOwiTz a. 0. fand dieses
und der Bau der Rückwand erst um 460
vor Aufführung der aischylischen Orestie statt.
^) So auch im Aias des Sophokles.
^) Sein Sessel mit der bezüglichen In-
schrift \\'ard aus den Ruinen hervorgezogen;
die Abbildung bei Müller a. 0. 94. Ange-
spielt ist auf den Platz bei Arist. Equ. 536.
•') Un verlässig Diog. IV, 56: dQd/uaaiy
7Jyi02^i^oyTo JiovvGLOig. Arjvcdoig, JJavaf^rj-
vcdoig{(deoiv'ioig em.l^öckh), Xvzqoig [Xvtqol
hiess der 3. Tag des ältesten Dionysos festes,
der Anthesterien, gefeiert am 13. des Monates
Anthesterion, Februar/März); richtiger Schol.
Arist. Ach. 503; vgl. Müller, S. 309 f.
^) Auch genannt r« si^ aar et Jiopvaiu.
im Gegensatz zu den Dionysien auf dem
Land oder denen in der Vorstadt. Ihre Su-
periorität zeigte sich auch darin, dass an
ihnen nur ein Bürger, an den Lenäen auch
ein Metüke (s. Schol. Arist. Plut. 953) die
Chorcgie leisten durfto.
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 130.)
167
(März/April), und die Lenäen oder das Kelterfest, begangen im Monat
Gamelion (Januar Februar).^) Die Dionysien überstrahlten seit den Perser-
kriegen, namentlich seitdem sie nach Errichtung des steinernen Theaters
im Jahre 472 scenisch geworden waren, 2) an Glanz und Dauer alle anderen
Feste: Athen zeigte sich dabei im Festgewand gegenüber ganz Hellas, ins-
besondere auch gegenüber den Bundesgenossen, deren Abgesandte um jene
Zeit die Tribute nach Athen brachten und dem Festspiel im Theater bei-
wohnten. Tragödien, und zwar nur neue, kamen mindestens an r5 Tagen
hintereinander zur Aufführung,^) und zwar regelmässig je 3 Tragödien und
1 Satyrdrama. Die würdevolle Tragödie bildete eben den Glanzpunkt des
Festes; dass immer 3 Stücke auf einmal zur Aufführung kamen, scheint
auf die ältere Zeit, wo das Festgedicht in einem dreigliederigen Dithy-
rambos oder Nomos bestund, zurückzugehen. Die 3 Tragödien zusammen
hatten den Namen Trilogie, wobei Logos soviel als dialogisches Festspiel
bedeutete.'^) Neben Tragödien wurden schon zu Aischylos Lebzeiten,*'') w^ahr-
scheinlich schon seit 472, auch Komödien gegeben;*^) über die Stelle, welche
dieselben einnahmen, widersprechen sich die Zeugnisse. Aus den Versen
der Vögel des Aristophanes 789 ff., wo den Zuschauern Flügel gewünscht
werden, um während der langweiligen Tragödie hinauszufliegen und nach
gutem Gabelfrühstück zur lustigen Komödie wieder zurückzukommen, möchte
man schliessen, dass damals auch an den Dionysien die Komödie am selben
Tage wie die Tragödie, und zwar an letzter Stelle nach den Tragödien ge-
geben wurde. '^) Nach dem Gesetze des Euegoros hingegen^) und nach den
^) Das Fest genannt nach dem Kelter-
platz, daher der Ausdruck ovni Arjvcao)
(cyoju bei Arist. Ach. 503; vgl. Hesych.
inl ArjvaUo u. Bekker An. gr. 278. Auf das
Theater im Lenaion scheint sich der von
Eratosthenes (bei Hesych., Suid., Bekker An.
gr. 354 u. 419) erläuterte sprichwörtliche
Ausdruck bei Kratinos aiysLQov S^sa = Sitz
bei der Pappel, zu beziehen. Ob mit Lenaion
der gleiche Ort bezeichnet wurde wie mit
eV Xl^vaig, wo nach dem Zeugnis des Thu-
kydes II, 15 das ältere Dionysosfest der An-
thesterien begangen wurde, ist strittig. Aller-
dings haben Hesychios s. v. Xi^pca und der
Scholiast zu Arist. Ach. 970 den Jiowaog
6 iv Xi^vciigxmA den Jiovvoog Atjvcuog gleich-
gestellt, aber die Stelle der an den Lenäen
aufgeführten Frösche des Aristophanes V.
216 ff. lässt erkennen, dass der Ort iy lifxvccig
verschieden war von dem, wo die Frösche
selbst aufgeführt worden. Jedenfalls lag der
Bezirk ev XlfAvaig ausserhalb der Mauer, wie
auch Thuk. II, 15 andeutet, so dass die
Dionysien im Theater als r« ev äarsi Jio-
vvoici dem älteren eV lifxvaig gefeierten Dio-
nysosfest der Anthesterien entgegengesetzt
werden konnten. Die Kontroverse ist ein-
sichtsvoll behandelt von Oehmichen a. 0.
S. 122 ff.
'^) Musisch waren sie wohl schon zuvor,
aber der musische Teil wird vor 472 (e|
01; TTQioToi' xiofÄoi riücii') nur in Dithyramben
bestanden haben; in noch älterer Zeit scheint
das Fest apollinisch gewesen zu sein, wie
T. MoMMSEN. Heortologie 59 hauptsächlich
daraus, dass auch später noch der Preis
in einem Dreifuss bestand, vermutet hat.
^) 4 Tage zur Zeit des Schauspielers
Polos bei Plut. an seni 3; 5 Konkurrenten
hatte Aristophanes im Plutos (i. J. 388 ; s. arg.
IV) ; ebenso gross war die Zahl in den Jahren
354-3 nach GIG. 231 : s. Usenee, Com. phil.
Bonn, p., 583 ff., Rohde, Rh. M, 39, 161.
*) Über den Gebrauch von Xoyog = (fuf-
loyog vergl. Aristot. Polit. VII, 17 p. 1336'^
14, Antiphanes fr. 190, 2 und die Bezeich-
nung löyoi 2:iox()aTixoi für sokratische Ge-
spräche. Später hat man auch Reden des
Antiphon und Dialoge des Piaton zu Tetra-
logien verbunden,
^) Dieses steht fest durch das Sieger-
verzeichnis CIA. II, 971, wo ein Sieg des
Komikers Magnes neben einem des Aischy-
los verzeichnet ist.
*^) In der älteren Zeit versah wohl das
Satyrspiel allein die Stelle des heiteren Festes;
nach der Aufnahme von Komödien wurde das
Satyrspiel an seiner Stelle belassen, der Ko-
mödie aber ein neuer Tag, und zwar vor
dem tragischen Agon eingeräumt.
') Davon geht aus H. Sauppe, Ber. d.
Sachs. Ges. d. W. 1855 S. 19 ff.
^) Das Gesetz des Euegoros, erhalten
in Demosthenes Midiana 10 lautet: Ei' tjyoQog
168
Griechische Literaturgeschichte. I. Klassische Periode.
Didaskalien im CIA. II, 971 folgten in umgekehrter Reihenfolge lyrische,
komische, tragische Aufführungen aufeinander, i) wahrscheinlich so, dass am
6. und 7. Elaphebolion die lyrischen Wettkämpfe stattfanden, am 10. die
Komödien und am 11. — 13. die Tragödien zur Aufführung kamen. 2) An
dem älteren Feste der Lenäen war umgekehrt die ausgelassene Komödie
das Hauptfestspiel, wenigstens in der Zeit nach 472, nachdem für die Tra-
gödie ein glänzenderer Platz an den grossen Dionysien geschaffen war. Die
Athener waren da, wie Aristophanes Ach. 503 sagt, unter sich allein und
konnten sich so ungescheuter über ihre politischen Verkehrtheiten lustig
machen. Übrigens wurden auch Tragödien an den Lenäen gegeben; das
war sicher in der Zeit vor 472 der Fall, wo die Lenäen das einzige sce-
nische Fest in Athen waren, aber auch aus späterer Zeit erfahren wir von
einem Sieg des Tragikers Agathon an den Lenäen."^) , Neben diesen zwei
städtischen Festen waren durch theatralische Vorstellungen die ländlichen
Dionysien bekannt, an denen aber in der Regel nur Stücke zur Aufführung
kamen, welche in der Stadt bereits die Probe bestanden hatten. Besucht
waren besonders die Dionysien im Piräus; Theater gab es ausserdem in
Thorikos, Munichia, Eleusis, Aixone. Ausserdem wurden in der älteren
Zeit und dann wieder seit Lykurg auch an den Chythroi, dem dritten Fest-
tage der Anthesterien, Komödien in der Stadt aufgeführt.
131. Wollte nun ein Dichter ein Stück zur Aufführung bringen, so
musste er bei dem Leiter des Festes, bei dem Archen eponymos an den
Dionysien, bei dem Archon basileus an den Lenäen um einen Chor nach-
suchen {xoQov ahelv). Gab der Archon einen Chor, so ward dem Dichter
ein Chorleiter {xoQriyog) zugewiesen, 4) der aus Sängern seiner Phyle einen
Chor zusammenzusetzen und für dessen Einübung {ötSaaxaXia) durch den
als Chormeister {didäaxaXoq) fungierenden Dichter zu sorgen hatte. Die
Bestellung und Ausstattung der Schauspieler {vrcoxqiTaC) ging denselben
stnspy orav rj nofinrj ri tco Jlovvgio ev JIsi-
QctieT xcd ol XMfxoj&ol xal ol rQccyoj&ol, xcd
7] int Arjvttiio no^mj xcd ol TQayo)dol xcd ol
xwucodoi, xcd tolg ev ccarei Jiovvaioig rj nofxnrj
xccL ol ncdds? <xcd ol cipdQegy xcd 6 xiö^og
xcd ol X(jD/Liu)dal xal ol jQayco&ol, xcd ©aqyt]-
'Aloiv rrj 71 0^71 fi xal reo dycopi firj e^eTvav
fA.rjte Eve^vQccacii [xrjTS XafxßavEiv eregov
ersQov xtX.
') Caesar, Quaestiones duae ad Ar ist.
Aves spectantes, Marb. Ind. lect. 1881 hilft
sich mit der bedenklichen Annahme einer
Änderung nach der Aufführung der Vögel
(414). Am ehesten hat der Dichter einen
auf die Lenäen passenden Witz auf die
dramatischen Agone überhaupt übertragen.
Auch das yQiarsvrca cT' i^aQxovt/rcxyg in Arist.
Ran. 317 spricht gegen die Aufführung der
Komödie nach der Tragödie.
2) Die verschiedene Folge der dramati-
schen Spiele an den Dionysien und Lenäen
scheint mit der Neuorganisation des Festes
i. .L 472, zufolge welcher 3 Arten von Spielen,
TQc<yo)dic<.(, ochvQoi, xojfucocflat, gegeben wur-
den, zusammenzuhängen.
^) Der Sieg des Agathon an den Lenäen
ist bezeugt durch Ath. 217 a; dass Aischylos
an den Lenäen wie an den Dionysien Siege
errang, steht aus den Verzeichnissen der
dionysischen und lenäischen Siege CIA. 11, 972
fest, wenn auch der Name des Dichters nur
zum Teil erhalten ist. Ob sich die litterari-
schen Angaben über die Zahl der Siege des
Sophokles, Euripides u. a. bloss auf das Haupt-
tragödienfest, die Dionysien, beziehen, ist
ungewiss; vielleicht sind die Divergenzen
bezüglich der Zahl der Siege darauf zurück-
zuführen, dass die lenäischen Siege teils ein-
gerechnet wurden, teils nicht.
'') Die liturgische Leistung der Choregie
datiert nach Marm. Par. von 509/8; seit dem
Archontat des Kallias 406/5 traten zwei zur
Leistung derselben zusammen (Schol. ad Arist.
Ran. 406); an die Stelle der Choregen traten
in der Zeit nach Alexander die Agonotheten;
s. Müller 339 f. Die Kosten einer tragi-
schen Choregie betrugen nach Lysias 19, 14
an 3000, einer komischen, an 1600 Drach-
men. — A. Brimck, Inscr. fjr. ad chorec/iam
pertinentes (Diss. phil. Hai. VII) 1886.
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 131.)
169
nichts an, da diese eigens vom Archen den Dichtern zugelost ^) und vom
Staate honoriert wurden. Der Schauspieler waren es anfangs nur 1, unter
Aischylos wurde die Zahl auf 2, unter Sophokles auf 3 erhöht,^) unter welcher
Zahl sich auch bis auf Sophokles der Dichter selbst befand; in der Regel spielte
überdies ein Schauspieler mehrere Rollen. Aber auch so waren dem griechi-
schen Dichter durch die geringe Zahl der Schauspieler starke Beschrän-
kungen auferlegt. Der Chor bestund in der Komödie aus 24, in der Tra-
gödie aus 12, später seit Sophokles aus 15 Mann; 2) ausserdem waren dem-
selben ein oder zwei Musiker beigegeben, ein Flötenspieler zur Direktion
der Marschbewegungen und Chorgesänge, ein Kitharist für die Monodien.'^)
Das ganze Personal war aus Männern zusammengesetzt; die strenge Sitte
verbot den Frauen Anteilnahme am öffentlichen Spiel. Aufgestellt war
beim Einzug der Chor im Viereck {zsTQaywvog xoQog), nicht im Kreis {xm-
Xiog x^Q') wie beim Dithyrambus. Mit der viereckigen Aufstellung war die
Gliederung des Chors in mehrere Lang- und Querreihen {arolxoi^ ^vyd) ver-
bunden. Während des Spiels trat derselbe, um den Blick auf die Bühne
nicht zu hindern, in 2 sich gegenüberstehende (avTiTTgodcoTtoi) Abteilungen
auseinander, welche Stellung auch die Regel bei den in Strophen und Anti-
strophen gegliederten Stehliedern [ardaiiia) bildete.^)
War alles für das Festspiel vorbereitet und bei der Generalprobe im
Odeon als richtig befunden worden,^) so fand an den Dionysosfesten selbst
im Theater, zu dem jeder Bürger, anfangs unbedingt, später gegen ein
massiges Eintrittsgeld,^) Zutritt hatte, die Aufführung statt. Die Auffüh-
rung war zugleich eine Preisbewerbung [äydiv); die Entscheidung lag in
dem Urteil von besonderen Preisrichtern, 5 an der Zahl.^) Preise wurden
^) Phot. Hes. Suid. u. j^SfX7]osig imo-
•/.QiKJov. ol noiritid e^^dy^ßuvov rgeig vno-
xQUug xlriQio psfxtjS^errag t>noxQiPovfj,si^ovg
rd (^Qdfiara, mu 6 viX7]aag slg Tovnidv cixQi-
rog nuQEXnfxßdvsTo. Trotz der Regel des
Loses wussten die grossen Dichter, wahr-
scheinlich durch Verständigung mit ihren
Mitbewerbern, bestimmte Schauspieler sich
ständig zu gewinnen.
■^) Über die Zeit der Vermehrung unten
bei Aischylos und Sophokles.
^) Wahrscheinlich ist man dabei von
den 50 Mann des älteren dithyrambischen
Chors ausgegangen, und hat von den 48 Mann,
die man für eine viereckige Aufstellung
allein brauchen konnte, die Hälfte (24) dem
minder angesehenen Spiel der Komödie, die
ganze in 4 Partien geteilte Zahl (4 >c 12)
dem vollständigen aus 4 Abteilungen be-
stehenden Spiel der Tragödie mit Inbegriff
des Satyrspiels zugewiesen. Eine andere
Erklärung wird aufgestellt von Zielinski,
Gliederung der altatt. Komödie S. 278 f.
^) Lyra neben Flöte angewendet im
Wettstreit des Aischylos und Euripides in
Arist. Ran, 1304. Bloss Auleten erwähnt
Demosth. 21, 13.
•') Über die Gliederung des Chors han-
delte zuerst 0. Müller im Anhaue seiner
für die scenischen Altertümer epochemachen-
den Ausg. von Aesch, Eumeniden. Neueres
bei Christ, Teilung des Chors, in Abhdl. d.
b. Ak. XIV, 198 ff. und A. Müller, Bühnen-
alt. 202 f. Für die Aufstellung beim Vortrag
ist das Hauptzeugnis bei Hephaest p. 73 W. :
xalErrca de nciqäßaaig, ineid'rj siffEkd^opteg
Eig To &EcaQou xcd cIvtitt qöa lonoi (<X?.ij-
^oLg arccvTsg ol ^oQEVTcd nccQEßaivov etc.,
wonach die Choreuten bei den Stasima sich
gegenüber stunden.
^) Dieser Proagon fand wenige Tage
vor den Dionysien statt nach Schol. Aesch.
in Ctes. 67. Den Proagon sucht als blosse An-
kündigung des Stückes zu erweisen Rohde, Rh.
M. 38, 251 ff. Mit der Annahme von 3 Arten
von Proagon eu sucht sich zu helfen Oeh-
iviicHEN a. 0. S. 103 ff.
^) Das Eintrittsgeld {S^siO()ix6v) betrug
für einen Spieltag 2 Obolen, daher Dem. de
cor. 28: sv roip (fvoip oßoXoiu iß^ecogovy.
Seit Perikles wurde dasselbe aus der Staats-
kasse den Bürgern wieder vergütet.
^) Sprichwörtlich ii^ ttepte xqirwv yov-
vaai xsiTcci. Die 7 Richter bei Luc. Harm.
2 und Vitruv 1. Vll prooem. scheinen auf
spätere Zeiten, wo die Zahl der Phylen auf
13 vermehrt war, zu gehen. Die Redu-
zierung von 10 urteilenden Richtern auf 5
170 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
3 verteilt, so dass, da in der Regel auch 3 Dichter oder Choregen kon-
kurrierten, jeder derselben einen Preis erhielt und nur ein Unterschied im
Grad des Preises stattfand, jedoch so, dass nur der erste Preis als Sieg
galt. Höher standen im Ansehen die Siege bei den grossen Dionysien
(aarixai vTxai) als die bei den Lenäen {Arjvaixal vTxai); von Siegen und
Preisen bei den ländlichen Festen hören wir ohnehin nichts. Der Preis
galt nominell der Phyle, die den Chor gestellt, und dem Choregen, der
die Kosten getragen hatte; er bestand in einem Dreifuss (TQirrovg),^)
der in feierlicher Weise von den Choregen zum ehrenden Andenken an den
Sieg aufgestellt wurde. Auf solche Weise ist das berühmte choragische
Denkmal des Lysikrates entstanden, das unter dem Namen der Diogenes-
laterne bekannt ist. Der Dichter erhielt als Chormeister einen Ehrenlohn
(iiiad^ög),^) dessen Höhe in den verschiedenen Lagen des Staates verschieden
war; auch den Schauspielern oder richtiger den Protagonisten wurden seit
456 Preise zuerkannt. Über die Preisverteilung wurde eine Urkunde {öiSaa-
xaX(a) aufgenommen, von denen uns noch mehrere inschriftlich, andere
durch Vermittelung der Schrift des Aristoteles ttsqI didaaxaXicov durch
Notizen der Grammatiker erhalten sind.^)
132. Ökonomie des Dramas. Die Anlage und Gliederung des
Dramas^) harmonierte mit den Teilen des Theaters und der Zusammen-
setzung des Theaterpersonals. Schon im Dithyrambus traten die Verse des
Vortänzers den Gesängen und Tänzen des Chors gegenüber; ausgeprägter
wurde dieser Unterschied im Drama, wo sich bestimmter die Gesänge des
Chors [td xoQixd)^ die Reden der Schauspieler {Siäloyog, diverhium oder
deverbium) und die Wechselreden des Chors und der Schauspieler schieden.
Die eigentliche Handlung ruhte in den Reden und Aktionen der Schau-
spieler; der Chor nahm zwar, seltener in der Tragödie, öfter in der Komödie,
am Fortgang der Handlung teil, repräsentierte aber mehr den zuschauenden,
beobachtenden Teil, in der Tragödie speziell das die verschiedenen Phasen
der Handlung mit seinen Sympathien begleitende Volk. In der älteren Zeit
hatte der Chor, entsprechend dem Ursprung des Dramas, den Vorrang.
stimmende hat Sauppe, Über die Richter bei i erläuterung von Böckh, CIG. I p. 350 ff. ;
scenischen Spielen, in Abhdl. d. sächs. Ges. seit der Zeit hat sich das Material durch
d. W. Bd. VII aufgeklärt; vgl. Müller a. j neue Funde in der Nähe des Dionysos-
0. 369 ff. ! theaters bedeutend vermehrt (CIA. II, 971 —
') Der Dreifuss als Preis speziell für
einen dithyrambischen Männerchor bezeugt
von Lys. 21, 2, für die dramatischen Agone
in Abrede gestellt von Bergk und Lipsius
bei Müller S. 418. ^T, Mommsen, Heortologie
S. 59 bringt die Verleihung des Dreifusses
977), so dass Bergk, Rh. M. 34, 292 ff. die
ganze Frage von neuem behandelte. Die |
neu aufgefundenen Inschriftenplatten ent-
halten Didaskalien der grossen Dionysien
nach Jahren geführt (n. 971), und Dichter-
verzeichnisse mit Angabe ihrer yTxca aGZLXcd
damit in Verbindung, dass die Dionysien i und rTxm h]vaixcd (n. 977),
ursprünglich apollinisch gewesen seien. ^) Arist. Poet. 12; Pollux IV, 53; Eu-
2) Arist. Ran. 367; wie gross der Lohn j kleides bei Tzetzes tisql TQayiodlag, dazu
war, können wir nach den bei den Pana- j Westphal, Proleg. z. Aesch. Tragödien,
thenäen ausgeteilten bemessen; bei diesen ! Leipz. 1869; Ascherson, Umrisse und Glie-
erhielt nach CIA. II, 965 der erste Kitharode I derung des gr. Dramas, in Jahrb. f. Phil,
einen goldenen Olivenkranz von 1000 Drach- | Suppl. IV, 419 ff. ; Oehmichen, De eompo-
men und 500^Dr. Silber, der zweite 1200 Dr., sitione episodiorum trag, graecae externa,
der dritte 600, der vierte 400, der fünfte 300. Erlang. 1881; Zielinski, Gliederung der alt-
•■') Schol. Arist. Ran. 367, Eccles. 102. attischen Komödie, Leipz. 1885.
Über diese Didaskalien die erste Haupt-
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 132.) 171
Damals also eröffnete^) und schloss der Chor das Spiel; aus seiner Stellung
in jener Zeit erklärt es sich, dass auch später noch beim Beginn des
Spiels der Herold den Dichter oder Choregen aufforderte, den Chor herein-
zuführen. 2) Das Lied, mit dem der Chor von dem Seitenzugang {rtaQoSog)
in die Orchestra einzog, hiess Parodos,^) das, mit dem er die Bühne am
Schlüsse verliess, Ex 0 dos; zog er während des Stückes nach zeitweiliger
Entfernung zum zweitenmal in die Orchestra ein, wie im Aias, so hiess
dieser zweite Einzug sowie das begleitende Lied Epiparodos. Die Marsch-
bewegung erheischte ein entsprechendes Metrum; dazu eignete sich in der
feierlichen Tragödie zumeist der Anapäst, in der ausgelassenen Komödie
der Trochäus oder lambus. Bei der grösseren Raschheit des Aufbruchs
erschien auch für die Tragödie in der Exodos der trochäische Tetrameter
nicht unpassend. Diese Rhythmen eigneten sich mehr zum recitierenden
Vortrag {TTaQaxaraXoyrj) als zum vollen Gesang, weshalb auch die Parodos
von Aristoteles als ^e'^ig, nicht als f^iskog bezeichnet wird. Aber bei blossen
Einzugsversen blieb es nicht; es reihten sich daran noch andere Gesänge,
welche der Chor, nachdem er bereits auf der Thymele Platz genommen
hatte, vortrug. Es kam auch der Fall vor, dass der Chor stumm während
der Reden der Schauspieler in die Orchestra einzog oder dass der Gesang
sich zu einem Wechselgesang zwischen dem Chor und den Personen der
Bühne gestaltete. Aber immer verblieb dem ganzen ersten, beziehungs-
weise dem ganzen letzten Gesang der Name Parodos oder Exodos. '') Bei
der Exodos nahmen sogar mit der Zeit die Schauspielerpartien einen solchen
Umfang an, dass Aristoteles die Exodos unter den scenischen, nicht den
chorischen Partien aufführt. Die mittleren Chorlieder, welche die Dialog-
partien unterbrachen und in der Regel bei leerer Bühne vorgetragen wur-
den, hiessen in der Tragödie Stasima, d. i. Stehlieder, im Gegensatz zu
den Marschanapästen. 5) Solche Stehlieder zwischen dem Abtreten und
Wiederauftreten der Schauspieler sind auch der Komödie nicht ganz fremd,
doch haben sie hier keine gleich ausgebildete, regelmässige Stellung gehabt.^)
^) So noch in Aescli. Suppl. Pers. und
in den Boukoloi des Kratinos, die mit einem
Dithyrambus anfingen.
^) Arist. Ach. 10: 6 ö'^ uveItiev * EXoay''
fc> Seoyvi, TOP x^Q^^- dreier gebraucht ist
TTQosiaccysip vom Schauspieler bei Aristot.
polit. VII, 17 p. 1336'^ 29.
^) Aristoteles definiert: /oqixov naQodog
jxev 7] nQcSrr] Xi^ig 0X7] (oXov cod.) /oqov.
Aus der falschen Lesart oXov entwickelte sich
die falsche, schon bei Plutarch, an scni p.
785 a vertretene Meinung, dass in Soph.
Oed. Col. das Loblied auf Athen (668—719).
das erste, welches der Gesamtchor singt,
als die Parodos angesehen werden müsse.
Im übrigen stimme ich ganz L. Schmidt,
Rh. M. 28, 286—91 u. Ind. Marb. 1889 bei,
der den vorwitzigen Fragen neuerer Ge-
lehrten, welche Verse in den einzelnen Dra-
men nach des Aristoteles Definition sei es
der Parodos, sei es den Stasima zuzuweisen
der Terminologie das nachklassische Zeit-
alter angehen, und dass leicht Aristoteles
mit dem ersten Versuch einer Feststellung
der Terminologie nicht alle Fälle der Praxis
getroffen habe.
^) Daher Arist. Poet. 12: naQo^og /uer
Tj nQMTf] ?.€^Lg oh]. So hat in Aesch. Agam.
die Parodos 3 Teile: anapästisches Einzugs-
lied (40-103), daktylische Perikope aus
Strophe, Antistrophe, Epode (104 — 169), tro-
chäische Strophenpaare (170—269).
^) Daher Arist. a. 0.: oiclaifxoi' tfe fxt-
log /oQov To ilvEv uvuncüorov xal TQO/ciLov.
Der Ausdruck oidoifxou scheint mit dem
technischen Ausdruck fabula stataria im
Gegensatz zu fahula motoria zusammenzu-
hängen, indem auch die Stasima dem Drama
einen ruhigen, die Hyporchemata einen be-
wegten Charakter gaben. Hingegen deutet
Hermann, Epit. doctr. metr. § 665 das Wort
de choro tenente stationes suas.
seien, den Satz entgegenhält, dass die Fragen *■') Zielinski a. 0. nimmt, zumal Ari-
der tragischen Technik das klassische, die | stotcles jene Teile speziell bei der Tragödie
172
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Eine besondere Klasse dieser Zwischengesänge bilden die Hyporchemata,^)
bei denen der Chor in jubelnder Stimmung den Fuss zum Tanze hob, wie
in Soph. Aias 693 ff. und Arist. Lysistr. 1247 ff. Welche Ausdehnung dieser
Tanz hatte und inwieweit auch mit dem Vortrag der übrigen Chorgesänge
eine Bewegung verbunden war, ist schwer zu sagen. Unterschieden wurden
3 Arten dramatischen Tanzes, die feierliche Emmeleia der Tragödie, der
lascive Kordax der Komödie und die hüpfende Sikinnis des Satyrdramas.-) |
Ausser den genannten Chorliedern, welche allen Arten des Dramas gemein- =•
sam sind, hat die Tragödie und Komödie noch einige spezielle. In der
Komödie, in welcher der Chor auch durch Zwischenlieder weit öfter in den
Gang der Handlung eingriff, war ein Hauptchorgesang die Parabase,
eigentlich ein ganzes Zwischenspiel, das der Chor den Zuschauern zugekehrt
aufführte und das, wenn die Parabase vollständig war, sich in 7, teils
gesungene, teils gesprochene Teile [xofiiuiccTiov, nagäßaaig i] ävanaiaToi^
liaxQov rj TivTyog, (p^rj, iniQQrßia, avTcoörj^ avT£7riQQrjf.ia) gliederte.^) Der
Tragödie speziell eigen w^aren die Klagegesänge, xof.iiJ.oi genannt, weil
sich die Klagenden dabei ehedem in lebhafter Erregung die Brust zer-
schlugen; sie wurden nicht vom Gesamtchor, sondern von einzelnen Cho-
reuten oder einzelnen Abteilungen des Chors und einer oder der anderen
Person der Bühne abwechselnd gesungen {futlrj aiiioißaia).^) Überhaupt
aber war der Chor durchaus nicht immer als geschlossenes Ganze thätig;
vielmehr entwickelte er ein lebhaftes, wechselreiches Leben dadurch, dass
er bald in seiner Gesamtheit als militärisch geordnete Rotte (^o/og) auf-
trat, bald sich in Einzelchoreuten auflöste (aTTOQäSrjv), bald in 2 Reihen
sich gegenüberstellte {dvTiTtQÖaomoi), bald reihenweise sang, bald durch
seine Führer {xoQV(faTog oder riyeiiövsg tcov r]iii%oQi(x)v) sich vertreten liess.^)
133. Die scenischen Partien, die Gespräche der Bühne oder der Schau-
spieler, sind der Prolog und die Epeisodia. Der Prolog, oder diejenige
Partie, welche dem ersten Auftreten des Chors voranging, fehlte, wie be-
reits bemerkt, in den ältesten Stücken ganz, später hat er bei den verschie-
denen Dichtern verschiedene Gestalt angenommen. Der Name Epeisodion
bezeichnete zur Zeit, als es noch keinen Prolog gab, das erste Zwiegespräch
der Schauspieler, indem dabei zu dem Chor, der zuvor schon eingezogen
war, nun auch die Schauspieler in das Theater eintraten {sTisiafieaav)-^ des
weiteren hiessen so dann auch die übrigen Dialogpartien zwischen den
einzelnen Stehliedern, in denen die Schauspieler, welche in der Regel wäh-
aufzählt, eine schärfere Scheidung von Tra-
gödie und Komödie an, indem er jener die
episodische, dieser die epirrhematische Kom-
position zuweist.
^) Eukleides bei Tzetzes de trag. 115.
Aristoteles hat das vnoqy^ijfxa offenbar wegen
seines seltneren Vorkommens ganz über-
gangen. Die getanzten Chorgesänge gingen
aus der älteren Form der Tragödie hervor,
in welcher nach Arist. Poet. c. 4 und Ath.
p. 22 a der Tanz eine grössere Rolle spielte,
■') Bekker, An. gr. p. 101; Poli. IV, 99.
Vgl. H. BüCHHOLTZ, Die Tanzkunst des Eu-
lipides, Leipz. 1871; Chr. Kirchhoff, Die
orchestische Eurythmie der Griechen, Al-
tena 1873.
■') KoLSTER, De 2)arahasi 1829; Agthe,
Die Parabase, Altona 1866; Christ, Metrik'^
§ 734 ff.
4) Arist. Poet. 12: xofxfxog &i &Qrjvog
y.oivog /oQov xcd dno axijyfjg.
^) S. obenS. 169 An. 2. Leider sind diese
Unterabteilungen des Chors in unseren Hand-
schriften und Scholien selten angemerkt und
sind wir fast lediglich auf Kombinationen
angewiesen, in denen sich besonders G. Her-
mann in seinen Ausgaben versuchte.
C. Drama. 1. Anfänge und äussere Verhältnisse. (§ 133) — 2. Die Tragödie. (§ 134.) 173
rend des Chorgesaiigs abwesend waren, von neuem auf die Bühne traten.
Man ersieht leicht, wie sich daraus die später bei den Römern und bei
uns übliche Einteilung in Akte {actus) entwickeln konnte;^) dieselbe ver-
drängte die alte Gliederung des Dramas in Prolog, Parodos, Epeisodia,
Stasima, Exodos, nachdem der Chor und damit auch die alten Chorlieder
in Wegfall gekommen waren. Prolog und Epeisodien wurden einfach ge-
sprochen, wozu das herrschende Versmass des Dialoges, der iambische Tri-
meter, trefflich passte.^) Aber auch das Recitativ der Vorsänger des Dithy-
rambus lebte teilweise im Drama wieder auf. Dasselbe hatte zunächst
seine Stelle in der Exodos und den Kommoi, welche abwechselnd von den
Schauspielern und dem Chorführer vorgetragen wurden; dasselbe erhielt sicli
aber auch in den Tetrametern, welche, häufig namentlich bei Aristophanes,
auf Strophe und Antistrophe folgten und durch ihren symmetrischen Bau
sich über die Stufe der einfach gesprochenen Trimeter erheben.^) Endlich
fehlte auf der Bühne auch nicht der förmliche Gesang; er machte sich in
den Einzelgesängen {inovoiSiai) und Duetten der Schauspieler {rd dno
(Txrjvrjg seil, lislrj) breit, welche in der jüngeren Tragödie in demselben Grade
zunahmen, in dem die schlichte Weise des alten Chorgesangs in den Hinter-
grund gedrängt ward, so dass sie schliesslich bei Plautus und in dem
römischen Drama den einzigen Rest des Gesangs im Theater [Cantica)
ausmachten.
2. Die Tragödie/)
I a. Die Anfänge der Trag'ödie bis auf Aischylos.^)
134. Nach Aristoteles, Poet. 4 ist die Tragödie von den Vorsängern
des Dithyrambus {dno tcov s'^aQxövTcov xov diOvqaixßov) ausgegangen und
^) Westphal, Prolegomena zu Aischylos
S. 188 fr.
^) Dem iambischen Trimeter ging zur
Zeit, als das Drama noch mehr den Charakter
einer Tanzaufführung hatte, der trochäische
Tetrameter voraus; s. Arist. Poet. 4: to
fxiiqov FX TFTQafxtTQov iafxßsTop sytvexo • to
fxev yc<Q TiQixixov rszQaf^erQio e/Qwi^ro cTt« ro
GcavQLxijf y.al 6QX^]Gziy.Mxiqav Bivca riju
nobjGiy. Mehrere Gelehrte, namentlich West-
phal, nehmen gestützt auf Flut, de mus. 28
teilweises Recitativ der Trimeter bis in die
Zeit des peloponnesischen Krieges an.
^) Sehr weit gehen in der Annahme
symmetrischen Baues der Dialogpartien, auch
der iambischen Trimeter Prien und Oeri,
denen gegenüber ich meine beschränkenden
Thesen in der Philologenversammlung zu
Wiesbaden im J. 1877 (Vrhdl. S. 141-161)
aufstellte.
*) Im Altertum schrieben: Asklepiades
Tragilensis, ein Schüler des Isokrates, Tq(4-
yio^ovfXBPa d. i. von den Mythen der Tragödie
(fragm, coli. Werfer in Acta phil. Mon. U,
4); Duris der Historiker und Istros aus Kal-
latis TTfrn T()«y(odL«g (s. Ad. Trendelenburg,
Gvammaiicormn graec. de arte trag, iudicid,
Bonn 1867); Herakleides Pont. nsQi nur
XQioJy TQCiyiüd'onoudp (Diog. V, 88). Der
letztere und der Peripatetiker Dikäarch
handelten auch von dem Inhalt {x6(pc<ha(()
der Tragödien, speziell des Sophokles und
Euripides (Ath. 134^ und Sext. Emp. 3, 3),
worauf die vnod^sGsig {argumenta) des Aristo-
phanes von Byzanz basierten, von denen uns
noch Reste in den Schollen erhalten sind
(s. ScHNEiDEWiN, De liypothesibus trag. gr.
Aristopliani Byzantio vindicandis, Abhdl.
d. Gott. Ges. VI, 3-37). — Neuere Werke:
Welcker, Die griech. Tragödien mit Rück-
sicht auf den epischen Cyklus geordnet,
Bonn 1839, 3 Bde. (Hauptwerk); Boeckh,
De tragoediae graecae principibus, Heidelb.
1808; W. K. Kayser, Historia critica trqgi-
corum graecorum, Gott. 1845; Patin, Etu-
des sur les tragiques grecs, 6. ed. Paris 1884,
ästhetische Analysen mit geistreichen Seiten-
blicken auf das moderne Drama. — Frag-
mentensammlungen der Poetae traqici (jr.
von Fr. W. Wagner, Bresl. 1844—52' 3 Bde.,
und von Nauck, 2. Aufl., Lips. 1889.
^) Bentley, De origine tragoediae, in
174 Crriechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
zuerst im Peloponnes aufgekommen. Beide Angaben hängen zusammen.
Denn in Korinth hatte Arion den ersten dithyrambischen Chor aufgestellt,
und in Sikyon wurden nach der bekannten Nachricht des Herodot schon
vor dem Tyrannen Kleisthenes tragische Chöre aufgeführt, welche anfangs
die Leiden des Gottes Dionysos, später auch die tragischen Geschicke des
Helden Adrastos zum Gegenstand hatten.^) Sikyon war auch die Heimat
des mythischen Dichters Epigenes, der in seinen Dichtungen den engen
Kreis der Dionysosmythen überschritten und dadurch das Sprichwort ovdtv
nqog Jiövvaov hervorgerufen haben soll.'^) Dass auch in Phlius derartige
chorische Aufführungen bestanden, dafür zeugt der Dichter Pratinas aus
Phlius, der von seiner Heimat das Satyrdrama nach Athen brachte. Da
so in dem Dithyrambus die Wurzel der Tragödie erblickt wurde, so ward
Arion von Suidas Erfinder der tragischen Art {rQccyixov tqottov svQSTr^g)
genannt und von Tzetzes geradezu in den Anfang der Reihe der Tragiker
gestellt.^) Von den Führern der Dithyrambenchöre aber leitet Aristoteles
die Tragödie ab, weil ihm die Dialogpartien als die Hauptsache des Dramas
erschienen, die Rollen der Schauspieler aber aus denen der Chorführer
gleichsam herausgewachsen waren. Solche Vortänzer {e'^ccQxoi) und zwar
zwei treffen wir neben dem Chor schon bei Homer J^ 606 und S 19; gewiss
haben dieselben auch in den Epithalamien der Sappho und den Parthenien
Alkmans'eine Rolle gespielt. In der Natur der Sache lag es, dass ihre
Worte in ein anderes, dem Einzelvortrag besser angepasstes Metrum ge-
kleidet wurden "^j und auch inhaltlich in Gegensatz zum Gesang des Gesamt-
chors traten. Denn dem Führer kam es zu, den Chor zum Gesang oder
Tanz aufzufordern und demselben in erzählender Rede den Anlass zur Klage
oder Ekstase darzulegen. Stellte nun der Chor irgend eine Handlung, wie
im Mythus des Pentheus die Verwunderung über das Erscheinen des Gottes,
die Verfolgung des Gegners, die Klage über den Tod des Gefallenen mit
mimischem Gesang und Tanz dar, so bedurfte es nur noch der Anreden des
Koryphaios und des Gegenübertretens zweier Halbchöre mit ihren Führern,
und das dramatische Spiel war da.
Opusc. 276 ff.; Hiller, Rh. M. 39, 321 fF.;
Nietzsche, Die Geburt der Tragödie aus dem
Geiste der Musik, Leipz. 1872.
^) Her. V, 67: ol ^^ixvwvioi iii^ucoi^ xov
' Adqriaxov xcd ^rj TTQog rd ncix^sa avrov tqk-
yixoTac ^oqoTgl eyeQuiQov. Von Arion be-
richtet Suidas: acavQovg eVf/xf/V tfXfxsxQa
)JyovTaq.
2j Zenob. V, 4; Suidas u. Phot. s. h. v.
Das Sprichwort wird indes weder von Strabon
p. 381 noch von Plut. Symp. T, 1 speziell
auf Epigenes gedeutet; umgekehrt deutet es
der letztere auf die Neuerungen des Phry-
nichos und Aischylos. Von Epigenes datiert
Suidas u. Otanig den Beginn der Tragödie.
Die Sikyonier nennt Erfinder der Tragödie
Themistios or. XXVH, p. 406 Dind.
&s ©ianig eV« vnoxQnrjv eisvQSv. Ath. 630 c:
Gvpsairjxs <^e xcd acnvQixrj nciaa nolrjaLg jo
TjaXciidv ix /OQMV log xcd t) rore tQccyojdicf.
BöCKH, Staatsh. d. Athener 11 \ 361 ff., hat
daraus die vielberufene lyrische Tragödie
gemacht, welche Anschauung seinerseits G.
Hermann, De tragoedia comoediaque lyrica, ■
1836 (== Opusc. VIT, 211-240) als leeres 1
Phantom bekämpfte. Den Gedanken Böckh's '
nahm in unseren Tagen wieder Lübbert,
De Pindari carminibus dramaticis, Bonn.
Ind. 1884/5 auf, wo mit freier Phantasie de-
finiert wird: ^Qccfxcaa TQccyixcK carmina sunt
argumenti heroici, in quibus Bacclii loco
heroes prodibant, qui pro genere humano
propugnantes forhmae tela et ictus intrc-
pido p)ectore exciperent
2) Tzetzes Proleg. in Lycophr.; vgl. Diog. ^) Zuerst trochäische Tetrameter, dann
HI, 56: To Tjcdcaov iv jfi TQCiyM^iic nQÖxeQou ' iambische Trimeter nach Arist. Poet. 4,
^ev ^ovog o /o^;oV disÖQcttichiCey; vdTSOoy I Rhet. Ill; 1.
C. Drama. 2. Die Tragödie. (§ 135-136.)
175
135. Jene unbedeutenden Vorspiele im Peloponnes wurden bald in
Schatten gestellt durch die entwickelteren Formen, welche die neue Kunst
in Attika annahm. Hier war es das rebenreiche Dorf Ikaria, in dem zuerst
mit dem Dienste des Weingottes zugleich auch das dramatische Spiel, das
der Komödie wie der Tragödie, erblühte. 0 Aus Ikaria stammte Thespis,
der mit Umgehung des oben genannten Epigenes als der eigentliche Er-
finder der Tragödie bezeichnet wurde. 2) Von dort wurde unter dem kunst-
sinnigen Regiment der Peisistratiden die Tragödie nach der Stadt ver-
pflanzt; im Jahre 536 führte daselbst Thespis die erste Tragödie auf; für
das Jahr 508, nach Verjagung der Tyrannen, ist uns die Übernahme der
Chorleistung durch Bürger bezeugt.^) Wie die Tragödie in jener ältesten
Zeit beschaffen war und worin sich die altattische von der peloponnesischen
unterschied, darüber lässt sich nichts bestimmtes aufstellen und davon hatte
selbst Aristoteles keine klare Vorstellung mehr. Es werden uns zwar von
Suidas mehrere Titel von Tragödien des Thespis überliefert: 'ÄS^Xa IlsXiov
Tj (IfoQßag, IsQsig, ^Hi^soi, Usv^evg, aber dass Thespis schriftlich abgefasste
Tragödien hinterlassen habe, ist sehr fragwürdig; wahrscheinlich waren jene
Stücke junge Fälschungen, welche Herakleides Pontikos dem Ahnherrn der
Tragödie untergeschoben hatte.*) Eher darf man aus den Angaben des
Diogenes-'*) abnehmen, dass bei Thespis schon der Schauspieler aus der Rolle
eines blossen Chorführers zur selbständigen Stellung einer ausserhalb des
Chors stehenden Person herausgetreten sei und davon, dass er auf die
Fragen des Chorführers antwortete (vTiexQivsTo), den Namen vTroxQiirjg er-
halten habe.^) Aber was Horaz a. p. 276 von dem Wagen fabelt, mit dem
Thespis seine Tragödien herumgefahren habe, beruht auf Verwechselung
der Tragödie mit den Spottreden der vom Wagen herab die Leute necken-
den Festschwärme {axco/nfiaTa €'§ «/xa^/;c), und was der späte Rhetor The-
mistios or. XXVI p. 382 Dind. von der Erfindung des nQÖloyog und der
^r^cig durch Thespis berichtet, ist mit freier Phantasie aus den Andeutungen
des Aristoteles Poet. 4 herausgelesen.
136. Ausser Thespis werden noch als älteste Tragödiendichter und
Vorgänger des Aischylos genannt: Choirilos, Pratinas, Phrynichos. Von
^) Ath. 40b: dnö fisd^rjg y.al rj rrjg xco-
fiM&lag y,al t) rrjg TQayiü&Ucg svQsaig kv 'ixa-
Qia jrjg 'Aixixtjg.
'^) Plato Min. 321a; Dioscorides Anth.
yil, 410u. 411; Horaz a. p. 275, deren An-
sicht Bentley a. 0. verfocht. Dagegen
nennt Suidas den Thespis den 16. oder 2,
Tragiker nach Epigenes.
•') Marm. Par. 58 (nach sicherer Ver-
besserung), u. 61.
*) Diog. V, 92: cp7]al J" ^AQiazö'^evog 6
fxovGixdg xai TQCcyw&lag 'ÜQux'küi^rjV Hovtixov
nois7v xai BeoTiidog eniyQdcpeiv. Bentley
a. 0. 287 bezieht darauf die citierten Titel
und erhaltenen Fragmente. Daub, De Suidae
hiogr., Jahrb. f. Phil. Suppl. XII, 412 zeigt,
dass jene untergeschobenen Stücke nicht in
den Katalogen der Alexandriner stunden.
^) Diog. 111, 56: eV rrj tgayco^la iiqö
TSQoy fÄ6i^ ^ovog 6 /oQog i^te^Qtcfxchi^Ev, va-
rsQov di Geanig Hva vttoxqli'^v s^evQSv.
Vgl. Pollux IV, 123.
6) So deutete eben Pollux IV, 123 das
Wort vTToxQiztjg, und so gebraucht das Ver-
bum vnoxQivofiai, synonym mit uTJoxQLvofxai,
Homer // 407, M 228, o 170. Vgl. Apoll.
Soph. lex. p. 160 B., Hesychius u. vnoxQivono
und G. CuKTius, Ber. d. sächs. Ges. d. W.
1866, S. 148 u. Rh. M. 23, 255 ff. Ob diese
Deutung des Wortes richtig sei und ob nicht
vnoxQnt'jg vielmehr denjenigen, der die Worte
eines Anderen, des Dichters, wiedergab, be-
deutete, ist freilich eine strittige Frage,
worüber Sommerbrodt, Rh, M. 22, 513 ff.
u. 30. 456 ff.
176 Öriechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
diesen hat Pratinas, der aus Phlius im Peloponnes stammte, das Satyr-
spiel in Athen eingebürgert. Suidas legt ihm 50 Dramen, darunter 32
Satyrspiele bei; ausserdem hat sich von ihm ein hübsches Hyporchem er-
halten, dessen rasche und wechselnde Rhythmen uns die lustigen Bocks-
sprünge seiner Satyrn erraten lassen. In des Vaters Fusstapfen trat sein
Sohn Aristias; eines von dessen Satyrdramen hatte den Titel Kvxko)il>,
behandelte also den gleichen Stoff wie das einzige uns erhaltene Satyr-
drama des Euripides.
Der bedeutendste unter den älteren Tragikern scheint Phrynichos,
der Sohn des Polyphradmon, gewesen zu sein; er hat nach Suidas zuerst
weibliche Personen auf die Bühne gebracht und mit Vorliebe trochäische
Tetrameter in seinen Tragödien gebraucht, i) Teils durch Suidas, teils durch
andere kennen wir noch 9 oder 10 Tragödientitel, AlyvitTioi, ^Axtaicov,
A^-xr^arig, 'AvTOiog rj A'i'ßveg^ Jixaioi [tj IltQaai rj ^vvd^Mxoi]^'^) Javäidsg, Mi-
Xr^Tov aXwcng, UXsvQwviai^ TärraXog, (J)oiviaaai.^) Am berühmtesten davon
waren die Q>o(viaaai^ welche Themistokles im J. 476 mit besonderem Glänze
in Scene setzte*) und bald nachher Aischylos in seinen Persern nachahmte.
Politischen Inhaltes war auch das Stück MiXtjtov alcoaig, berühmt geworden
durch die Nachricht des Herodot, dass die Athener, welche durch das
Drama an eine dunkle Partie ihrer Politik erinnert wurden, den Dichter
mit einer Geldbusse bestraften und für die Zukunft derartige politische
Tragödien sich verbaten.'') Auch Phrynichos hinterliess wie all die
grossen Tragiker einen Sohn, Polyphradmon, als Erben seiner Kunst ;^)
derselbe trat mit einer Trilogie Lykurgeia gegen die Sieben des Aischylos
in Wettstreit.
Choirilos hat auf die Aufstellung und die Bewegungen des Chors
der älteren Zeit wesentlichen Einfluss geübt, so dass Sophokles gegen ihn
und Thespis seine Streitschrift über den Chor richtete. Auch die Erfindung
der Masken und prachtvollen Gewänder legten nach Suidas einige dem
Choirilos bei. Aber Bedenken erregt die Angabe des Lexikographen von
160 Dramen und 13 Siegen.'^)
^j Die Angabe des Suidas svQsrijg xov
TeiQccfiSTQov eyivero ist insofern schief, als
nach Arist. Poet. 4 der Tetrameter das
alte Metrum des tragischen Spieles überhaupt
war.
2) Jixuioi scheint aus JaMxcu, dem
Namen eines persischen Volksstammes, ver-
derbt zu sein; ferner scheinen Ivvx^coxoi, oder
UtQaai und Zvvd^oixoi Doppeltitel der ^o'lvig-
am gewesen zu sein.
^) Suidas erwähnt noch einen zweiten
Tragiker Phrynichos, den Sohn des Melan-
thas, dem er eine Andromeda und Erigone
beilegt; beide identifiziert Weloker, Gr. Tr.
I, 19 unter Missbrauch des interpolierten
Scholion zu Arist. Vesp. 1481.
'^) Flut. Them. 5: ii/lxi]a6 dt xcu /oqtj-
yojp TQaycpö'oTg, /nsyuhjp rjdr] rors anovdrjv
X(d cpilorifxlav tov dyojyog €/oyrog xal ni-
i^ovra ' Qe^iöxoxlfjg ^QEÜQQioq i/OQTJyti,
4>QVPixog iMdaaxsv, ^Adslfu,avrog i]QX€i^. Der
Name des Stückes ist nicht genannt; dass
es die Phoinissai waren, ist eine wahrschein-
liche Vermutung von Bentley.
^) Herod. 6, 21 : 'J0-7]ycaoi dijXoy inolij-
acif vnsQCix^sod^EVTEg t>j Mi7,rjrov ccXioasi Tfj
Tf aX'Afj TToXXa/fi xcd drj xal -noirjocwri ^qv-
VL/io (J'Qafxa MiXi^TOv aliooiv xcd di&d^ui^ti,
ig ddxQvd rs ensffs ro d^eaiQov xal st,t]^'L(oadv
fxiv log dvafxvriaavTa oixfjia xaxd X'^^^fi^'
ö'Qa/fxrjai xal enixa'^av fxij&ei^a /Qaax'hu
roiTO) TM ö'Qd/xari. Es verschwand so all-
mählich die Politik aus der Tragödie, um
später in der Komödie wieder aufzutauchen.
^) Diese Vererbung der Kunst hing z. T.
damit zusammen, dass der Sohn Erbe der
Stücke des Vaters wurde.
Auf seine Berühmtheit im Satyrspiol
raxa rijg rixi^g di'sfhjxe roiavTr^v intyQacp^jy geht der Vers Ifi'ixa fA£i^ ßaaiT^si'g ijy XoiQi?.og
C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 137.)
177
b. Aischylos (525— 456). i)
137. Aischylos, Sohn des Eiiphorion, enstammte einem edlen Ge-
schlechte des Gaues Eleusis, worauf Aristophanes in den Fröschen 886 den
Dichter selbst mit den Worten anspielen lässt: Jt^it^tsq ry d^Qtxpaaa r/jv
sjjirjv (fQkva. Geboren wurde derselbe nach der parischen Chronik ^) Ol.
63, 4 =^ 525/4, nach der alten Lebensbeschreibung dagegen Ol. 64, 4.
Die Jahre des heranreifenden Mannesalters unseres Dichters fielen in die
grosse Zeit der Perserkriege, die nicht bloss mit hohen Gedanken des
Dichters Brust schwellten, sondern an denen er auch selbst mit seinen
Brüdern in den Schlachten von Marathon, Salamis und Platää heldenmütigen
Anteil nahm. Rühmend ist seiner Tapferkeit bei Marathon in der Auf-
schrift seines Grabdenkmals gedacht:^)
Äla^v^ov Ev(fOQi(ovog 'A^rjvatov tqSs xsvd^si
füvrjiJicc xaTa(px^ifX€vov nvQOiföqoio Fskag,
a^xijv S'svSöxifxov Maga^cüvwi' ccXaoq av si'rcot
xal ßa^vxc<iT7]€ig MrjSog snio'Tccixsvog.
Sein Bruder Kynegeiros war jener Held, der bei Marathon mit der Hand
ein persisches Schiff zurückzuhalten suchte und seinen Mut mit dem Tod
besiegelte (Herod. VI, 114). Auch den Ameinias, der sich in der Schlacht
von Salamis hervorthat, geben mehrere für einen Bruder des Dichters aus;*)
da aber dieser nach Herodot VHI, 84 aus Pallene stammte, so können wir
darin nur eine unhistorische Ausschmückung der Dichterlegende erblicken.^)
Über die Erziehung des Dichters und seine Lehrer fehlen uns nähere Nach-
richten. Im eigenen poetischen Schaffen versuchte er sich frühe, und zwar
wandte er sich mit fast ausschliesslicher Vorliebe^) derjenigen Dichtungs-
gattung zu, die seinem fürs Hohe und Erhabene angelegten Geist am besten
entsprach und die damals in Athen am meisten Pflege und Anklang fand. Die
Dichtersage Hess den Gott Dionysos selbst dem jungen Aischylos, als er die
Trauben hütete, erscheinen und zum Dichten von Tragödien anfeuern. Schon
vor seinem 30. Lebensjahre trat er Ol. 70 = 500/497 als Mitbewerber um
den tragischen Kranz mit Pratinas und Choirilos in die Schranken.'^)
SV IcnvQoig. Über einen Wettstreit des
Choirilos mit Pratinas und Aischylos und
dem dabei erfolgten Zusammensturz des
Brettergerüstes in der 70. Olympiade be-
richtet Suidas u. Hqajivag.
^) Erhalten ist uns aus dem Altertum
ein zum Teil auf Chamaileons Schrift TteQL
Aia^vlov zurückgehender Biog Jia/vXov und
ein Artikel des Suidas, zusammengestellt mit
den anderen Zeugnissen des Altertums von
Fb. Scholl in der Ausg. der Sieben von
Ritschi. Neuere Bearbeitungen der Vita
Aeschyli von Stanley in der Ausgabe des
Dichters (1663); Che. Petersen, De Aesch.
rita et fabulis, Kopenh. 1814; Dahms, De
Aesch. vita, Berl. 1860; Teuffel-Wecklein
in Ausg. der Perser 1886.
'^) Mit der Chronik stimmt nach leichter
Verbesserung Suidas: ^yioviCero avrog er rr
0 (0 cod.) oXv/nniädt haiv wV Tis' .
3) Ath. 627c; Paus. I, 14; Vit. Aesch.
Nach Eustratios zu Arist. Eth. Nie. III, 2
ward er verwundet von dem Schlachtfeld
weggetragen.
4) Diodor XI, 27; Aelian V. H. V. 19;
Aristodem 3; Suidas und die Vita.
^) G. Hermann, Op. II, 166 hat zuerst
den Irrtum erkannt.
^) Ausser Tragödien dichtete er auch
Elegien, so eine auf die Gefallenen von Ma-
rathon im Wettstreit mit Simonides; auch
zur Dichtung eines Päan war er durch die
Priester von Delphi aufgefordert worden
nach Porph. de abstin. II, 18.
^) Suidas u. ügatipag. Ob aber damals
schon ein regelmässiger Agon bestand, wird
bestritten.
Hai (Ibnch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2. Aufl.
12
178
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
Den ersten Sieg indes errang er erst im J. 485, als er bereits im 40.
Lebensjahre stund. ^)
In die spätere Lebenszeit des Dichters fallen seine Reisen nach Sikilien.
Wie uns die bereits erwähnte Grabschrift meldet, starb er in Sikilien bei
Gela (456), zwei Jahre nachdem er noch einen glänzenden Erfolg in Athen
mit seiner Orestie davongetragen hatte. Aber er war schon zuvor einmal,
bald nach dem Ausbruch des Ätna, um 470, einer Einladung des Königs
Hieron nach Syrakus gefolgt, bei welcher Gelegenheit er zur Verherrlichung
der Neugründung der Stadt Ätna ein Lokalstück Ahvcctai dichtete. 2) Den
Grund seines Weggangs nach Sikilien sucht das Epigramm Anth. VII, 40
in einer Missstimmung über die Feindseligkeit der Bürger. Die Verstim-
mung selbst erklärten die einen aus der Niederlage, die er in dem Wett-
streit mit Simonides um die schönste Elegie auf die Gefallenen von Marathon
erlitt (489), die anderen aus dem Siege, den Sophokles im dramatischen
Wettkampf des Jahres 468 über ihn errang, 2) die dritten aus dem Prozess,
den ihm die Athener wegen Profanierung der Mysterien angehängt hatten.
Die beiden ersten Gründe sind aus leicht ersichtlichen, chronologischen An-
ständen unzulässig; sie sind von Leuten erdacht, welche die Grössen der
Vergangenheit nach ihrer eigenen kleinlichen Gesinnung bemassen. Denn
wie anders der selbstbewusste Aischylos über solche Niederlagen dachte,
zeigt die von Athenaios überlieferte Anekdote, wonach er, als ihm einmal ^
die Theaterrichter den Preis aberkannten, ruhig sagte, er vertraue der
Zeit, die werde schon seinen Tragödien die gebührende Ehre bringen.'')
Einen besseren Boden hat der dritte Grund, da schon ein alter, unver-
dächtiger Zeuge, Aristoteles, in der Nikomachischen Ethik III, 1 von jener
Klage spricht,^) und der Kommentator des Aristoteles, Eustratios, zu der Stelle
aus Herakleides Pontikos des weiteren berichtet, der Dichter habe sich bei dem
im Theater entstandenen Tumult zum Altare des Dionysos flüchten müssen
und sei, vor Gericht gestellt, nur dadurch, dass er seine Unkenntnis der Myste-
rienlehre vorschützte, freigesprochen worden.^) Aber wenn es auch seine
^) Ich habe das früher damit in Ver-
bindung gebracht, dass überhaupt erst um
diese Zeit tragische Wettkämpfe und Preis-
bewerbungen in Athen eingeführt worden
seien. Dafür schien auch zu sprechen, dass
von dem Rivalen unseres Dichters, von Pra-
tinas nur ein einziger Sieg angeführt wird.
Aber diese Hypothese ist trotzdem angesichts
der neu aufgefundenen Theaterurkunden,
CIA. II, 977, nicht zu halten: Oehmichen
a. 0. S. 161 hat durch geschickt angestellte
Berechnung herausgefunden, dass vor Ai-
schylos mindestens 9 Namen siegender Tra-
giker stunden.
'^) Der Ausbruch fand 479 nach Mann.
Par., 475 nach dem verlässigeren Zeugnis
des Thuc. III, 116 statt. Vergl. Vit. Aesch.:
xziCopTog inedeUaro rag Jlzvaiag, oicoyi^o-
fxsvog ßiov dyud^op ToTg avvoixil^ovGV irjv
Tiohv. Unklar ist, warum Pausanias I, 2. 3
den Aischylos mit Simonides, nicht auch mit
Pindar bei Hieron weilen lässt. Dass Aisch.
zwischen 471 u. 469 in Syrakus gewesen,
habe ich nachgewiesen Stzb. d. b. Ak. 1888
S. 371 ff.
^) Ausser der Vita Plut. Cim. 8.
*) Ath. 347 e: ojiri^x^elg ddixtog nore, cog
QsocpQCiGTog rj XajuatXecDy iy ria tieql rj&ovrjg
eXQtjxev, eq)7] /qopo) rag r^ayM^iag civcni-
^Evcii, sidojg otl xo^ieTxca xiqp TiQoaTJxovaav
^) Ausser Aristoteles s. Älian V. H, V,
19; Clem. Alex, ström. II p. 387 und Eustra-
tios zu Aristoteles. Schon Aristophanes Ran.
807 sagt oilrs yccQ 'J&rjvcäoioi Gvpißaiv 'Aio-
/vXog.
*^) Über das Stück oder die Tetralogie,
welche einen solchen Tumult erregte, waren
schon die Alten auf das Raten angewiesen.
Eustratios nennt, auf seinen Gewährsmann
Herakleides Pontikos gestützt, unter anderen
die Toxoiides und Hiereiai. Spätere, der Ver-
fasser der Vita und Apsines in Rhet. gr. III,
C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 138.)
179
Richtigkeit mit jenem Prozess wegen Entweihung der Mysterien hat, so ist es
doch noch sehr zweifelhaft, ob gerade dieser ihn zum Weggang nach
Sikilien bestimmte. Das Ganze sieht mehr wie eine leere Kombination der
Grammatiker aus, gegen deren Verlässigkeit schon die Unbestimmtheit
spricht, mit der, ohne Unterscheidung der beiden Reisen, einfach von dem
Weggang des Dichters nach Sikilien gesprochen ist. Es bedurfte über-
haupt keines bestimmten Anlasses, um den Aischylos für die Einladung
nach Sikilien empfänglich zu stimmen. Der strenge Aristokrat und An-
hänger der alten Ordnung war ohnehin verstimmt durch das Umsichgreifen
der Demokratie und der sophistischen Aufklärung, die ihm die grollende
Klage über die neuen Götter und Tyrannen im Prometheus und in den
Eumeniden entlockte.
Bei dem zweiten Aufenthalt in Sikilien fand er den Tod bei Gela
Ol. 81, 1 = 456/5. Die Sage hat auch diesen in ein dichterisches Ge-
wand gehüllt: ein Adler, der eine Schildkröte in den Krallen trug, Hess
diese auf das kahle Haupt des Dichters fallen und zerschmetterte so
seinen Schädel.^) Die Sage hat man aus einem Grabrelief zu erklären
versucht, auf dem ein Adler mit einer Schildkröte als Symbol der Dicht-
kunst über dem Haupte des vergötterten Dichters geschwebt habe;'-) wahr-
scheinlich aber ist sie nur eine Übertragung einer alten, schon dem Demo-
krit bekannten^) Fabel auf unseren Dichter, zu der den Komikern dessen
Kahlköpfigkeit die Handhabe bieten mochte.*) Hinterlassen hatte er zwei
Söhne Euphorion und Bion und einen Neffen Philokles, die zugleich Erben
und Fortpflanzer seiner Kunst wurden. Mit seinen Stücken durften näm-
lich auch noch nach seinem Tode die Überarbeiter derselben in den Wett-
kampf eintreten, und viele sollen nach Quintilian X, 1. 66 mit denselben
Siege errungen haben. ^) Auch sonst ward in Athen das Andenken des
grossen Dichters in Ehren gehalten : zur Zeit des peloponnesischen Krieges
galt er dem Aristophanes und den Leuten seiner Richtung als unüber-
troffenes Ideal, später wurde auf Antrag des Redners Lykurg sein Stand-
bild neben denen des Sophokles und Euripides in dem Dionysostheater
aufgestellt. ^)
138. Die Einrichtung der attischen Bühne, welche an den Dionysien
nur neue Stücke zuliess und jedesmal 3 Tragödien und 1 Satyrspiel ver-
340. 7 Sp., fabeln von den Eumeniden, die,
wie wir uns selbst überzeugen, nichts von
Mysterienentweihung enthalten; vgl. G. Her-
mann, Opusc. II, 163 ff.
1) Sotades bei Stobaios 98, 9; Val. Max.
9, 12; Plin. N. H. 10, 3; Aelian H. A. 7,
16; Vita und Suidas.
2) GöTTLiNG, Opusc. 230 if.; Welcker,
Alt. Denkm. H, 237 ff. Danach wird der
kapitolinische Kopf, den die Tafel 4 gibt,
i)ut' Aischylos gedeutet, wofür sich neuer-
dings auch Kroker, Berl. Phil. Wochen-
schrift 1885 S. 897 ff. ausspricht.
^') Eudemos fr. 22 Sp.
4) RoHDE, Jahrb. f. Phil. 121, 22 ff.,
0. Crusius, Rh. M. 38, 308 ff.; Keller,
Tiere des klass. Altertums S. 258 bringt die
Erfindung mit dem Adlerflug des Aischylos
in recht zweifelhafte Verbindung.
5) Vgl. Schol. Arist. Ach. 10, Ran. 868;
Philostr. vit. Apoll. VI, 11; s. Rohde, Rh.
M. 38, 289 ff. Schön sagt Aisch. bei Arist.
Ran. 868: ort ij noii]aig ov/i avyie&pijxe fnoi.
^) Vs. Plut. vit. X orat. 7: eiaijyeyxe v6-
fxovg . . (6g )(c<).xäg aixövag dvn&aTvai tmi^
nou]T(oi^ Jia/vXov 2'oqpoxÄeot;ff Ev()cniöov xai
jccg xgctyioMcig avruiy eV xoivco yQaxpafievovg
(pvXaTTEiP xcd ZOP rrjg 7i6),€(og yQctjUficaaa
TiaQ(xvayivi6axBLv roTg vnoxQivofiEvoig. Vgl.
Diog. II, 43; Paus. I, 21; Ath. 19 e; s. Wel-
cher, Alt. Denkm. II, 465 ff.
12^
180
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
langte, stellte an die Fruchtbarkeit der Dichter ausserordentliche Anforde-
rungen. Ihnen wurde, wie von den anderen grossen Tragikern, so auch von
Aischylos entsprochen. Ein altes Verzeichnis der Dramen im cod. Laur. enthält
72 Titel; Suidas gibt die runde Zahl von 90 Tragödien (richtiger Dramen) an;
die Vita spricht von 70 Tragödien und beiläufig 5 Satyrspielen. Siege errang
er nach der Vita 13, nach Suidas 28 ; in der letzteren Zahl scheinen eben auch
diejenigen inbegriffen zu sein, welche mit Stücken des Dichters nach dessen
Tod gewonnen wurden.') Jedenfalls hat Aischylos mit mehr als der Hälfte
seiner Tragödien den ersten Preis errungen, wiewohl ihm erst im J. 485
das erste Mal ein voller Sieg zu teil wurde. 2) Auf uns gekommen sind nur
7 Tragödien in folgender Ordnung: Jla'gaai,, 'Ayajusfxvcov, XorjcfOQoi, JlQOfAtj-
■d-svg^ Evi^ievidsg, 'Etttcc inl Orjßag, ^IxsTiSsg. Von diesen sieben sind wiederum
nur drei, Prometheus, Septem, Persae, häufig in der byzantinischen Zeit ge-
lesen und kommentiert worden. Die Erhaltung gerade dieser Stücke scheint
nicht auf Zufall zu beruhen, sondern dem ästhetischen Urteil eines Gram-
matikers aus der letzten Zeit des Altertums verdankt zu werden. Wir sind
der Auswahl um so mehr dankbar, als sie uns nicht bloss eine vollständige
Trilogie erhalten hat, sondern uns auch den Entwicklungsgang des Dichters,
mehr als man bei einer so geringen Anzahl von Stücken erwarten sollte,
erkennen lässt. Denn bei Aischylos treten mehr als bei Pindar und Sophokles
die Stufen der allmählichen Ausbildung seiner Kunst hervor; er half eben
selbst an der Schaffung der Tragödie mit und verschmähte es zugleich nicht,
aus den Fortschritten, welche jüngere Genossen einführten, seinerseits Nutzen
zu ziehen. In der Besprechung der einzelnen Stücke verlassen wir die ver-
wirrte Folge der Handschriften und halten uns an die zeitliche Ordnung,
die sich aus didaskalischen Angaben und inneren Anzeichen mit ziem-
licher Sicherheit feststellen lässt. Da aber von den Tragödien unseres
Dichters keine ein abgeschlossenes Ganze für sich bildete, sondern mit
zwei andern zu einem grösseren, in Inhalt und Anlage zusammenhän-
genden Ganzen (Trilogie) verknüpft war, so wird es auch unsere Aufgabe sein,
mit der Besprechung der nur vereinzelt erhaltenen Tragödien (SuppL, Pers.,
Sept., Prom.) zugleich die der damit zusammenhängenden Stücke zu verbinden.
139. Die ^Ixtzidsg haben ihren Namen von dem Chor der Töchter
des Danaos, welche vor den Verfolgungen der Söhne des Aigyptos in Argos
Schutz suchen. Die Tragödie von schlichter Einfachheit der Anlage, die
bei dem Überwiegen des lyrischen Elementes mehr einer Kantate als einem
Drama gleicht, teilt mit den Persern die Eigentümlichkeit, dass sie eines
Prologes entbehrt und gleich mit dem Einzüge des Chors beginnt; sie hat
die geringste Anzahl von Personen, nämlich nur drei (Danaos, König von
Argos, Herold der Agyptier), die so nacheinander auftreten, dass sie mit
Leichtigkeit von zwei Schauspielern gespielt werden konnten. Der span-
nenden Entwicklung und des aus dem Kontrast der Handelnden entspringenden
Konfliktes entbehren die Schutzflehenden gänzlich; gleichwohl haben sie in
den reichgegliederten Chorliedern und namentlich in den weihevollen Segens-
^) Es kann die Differenz aber auch da-
her kommen, dass einmal bloss die dionysi-
schen, das andere Mal die dionysischen und
lenäischen Siege gerechnet waren,
2) Bezeugt durch Marm, Par.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 139—140.) 181
gesängen des Schlusses grosse Schönheiten, deren Genuss nur durch die
schweren und zahlreichen Verderbnisse des Textes gestört wird. — Ver-
bunden waren die Schutzflehenden zu einer Trilogie mit den OaXa^xorrowi,^)
welche die Hochzeit der Söhne des Aigyptos und der Töchter des Danaos
zum Gegenstand hatten, und den Javcädsg,'^) in denen die Hypermestra,
welche allein vor dem Frevel, ihren neuvermählten Gatten Lynkeus in der
Brautnacht zu ermorden, zurückgeschreckt war, vor Gericht gestellt, aber
durch Vermittelung der Aphrodite freigesprochen wurde. Die Trilogie und
insbesondere das uns erhaltene erste Stück tragen eine grosse Zuneigung
zu Argos und zu den Einrichtungen jenes Landes zur Schau; aber gleich-
wohl verbietet die Altertümlichkeit der Tragödie an Anspielungen auf das
im J. 461 abgeschlossene Bündnis zwischen Argos und Athen zu denken. 3)
140. Die IJsQaai bildeten nach der uns erhaltenen Didaskalie das
Mittelstück einer Trilogie und wurden im J. 472 aufgeführt. Sie sind ein
historisches Drama und haben die Feier des Sieges der Hellenen bei Salamis
zum Gegenstand; da aber die Tragödie nicht Jubel, sondern Klage und
Jammer fordert, so hat der Dichter die Scene nach der persischen Haupt-
stadt Susa verlegt, wohin der König Xerxes nach seiner schmählichen,
durch die eigene Überhebung verschuldeten Niederlage in zerlumptem Ge-
wände zurückkehrt. Der Stoff unserer Tragödie ist also nicht dem Mythus,
sondern der Geschichte entnommen, worin Aischylos dem Phrynichos ge-
folgt ist, dessen 4 Jahre zuvor aufgeführten (^oiviaaai nach dem Zeugnis
des alten Grammatikers Glaukos dem Aischylos zum Vorbild dienten.^)
Auch die Perser erfordern wie die Schutzflehenden nur zwei Schauspieler
und entbehren wie diese des iambischen Prologs; aber die Darstellung zeigt
weit mehr künstlerischen Aufbau, indem uns zuerst die unheilahnende Stim-
mung des Chors und die schweren Träume der Königin Atossa in die
dumpfe Atmosphäre vor dem Herannahen des Gewitters versetzen, bis dann
mit der Unglücksnachricht des Boten und der Rückkehr des niedergeschmet-
terten Königs sich das Gewitter mit all seinen Schrecken entlädt.^) Kunst-
voll ist auch die Weise, wie durch Beschwörung des Geistes des Königs
Dareios ein Gegensatz von heute und ehedem geschaffen und der Blick der
Zuschauer über die Seeschlacht bei Salamis hinaus auf die Zukunft und
^) Die von Pollux 7, 122 citierten, aber in
dem Verzeichnis des Laur. nicht aufgeführten
f>cdafxonoioL hat Hermann, Verh. d. sächs. Ges.
d. Wiss. IV, 123 f. und Ausg. I, 329 mit
den Alyvmioi identifiziert. Welcker zog
anfangs die OaXafionoioi zur Iphigeniatrilogie,
stimmte aber später Rh. M. 13, 189 flf. Her-
mann bei. Westphal, Proleg. 4 stellt die
AiyvnxLoi als ein von den fiaXa^onoi.oi ver-
schiedenes Stück zu Mifxvoyv u. ^'vx^^^^^^'^^^-
^) Hermann, De Aeschyli Danaidibus,
Opusc. H, 319 ff.
^) 0. Müller in Ausg. d. Eumeniden
p. 123 u. Gr. Litt. I, 546 hat im Anschluss
urteilt dagegen Wilamowitz, Herm. 21, 608
Anm. Dass unser Stück vor dem Prometheus
gedichtet war, davon gleich nachher.
^) Argum. Pers.: rXavxog iv tm tisqI
Jla/vXov I.IV&10V ix xiov ^oiviaaMV 4>Qvvi)(ov
(prjal Tovg HbQaag fxerccnsnoi/^a&ai, exxid^r^oi
xal rrjv f^QXV^ ^°*^ ^gdfiatog xcivrrjv:
rwcT' eaxl UeQüiou Xixv nalai ßeßt]x6xü)y.
nXrjp exsT Evvov)(6q iaxiv dyye'k'ko)v sv ^QXfj
xrjv SsQ^ov rjxxar axoQvvg xe &Q6vovg Xivccg
xoTg xrjg c<Q)(rjg nciQedQoig, evxav&cc de nqo-
XoyiCsi /oQog nQSffßvxaiy.
^) Lückenhaftigkeit des Schlusses der
Perser nahm an und ergänzte denselben
an Böckh unsere Schutzflehenden an den j durch eigene Nachdichtung Köchly, Vhdl.
Schluss von Ol. 79 setzen wollen. Auf \ d. Phil, in Innsbruck v. J. 1875; doch da-
das .1. 460/59 will Bücheler, Rh. M. 40, : gegen erhob die Kritik allseitigen Wider-
(•28 auch den Vers 152 deuten. Richtig | Spruch.
182
Griechische Literaturgeschichte. I. Klassische Periode.
die Niederlage bei Platää gelenkt wird. Aber sicher noch weit mehr wirkte
im Theater zu Athen der nationale Hintergrund, den der Dichter noch
durch die Erkundigungen der Königin über die Zustände Athens zu steigern
verstund; lauter Beifall lohnte sicher den Dichter bei den Versen 241 f.
AT. Tig 6t TToifxccvwQ sTisöTi xaTTiSscTTUo^si arqaxoi;
XO. ovTivog SovXoi xsxXrivrai (pcordg ovo' vnrjxooi.
Die vollständige Tetralogie bestand aus den Tragödien ^ivsvg, lltQaai,,
rXadxog JIoTvisvg^) und dem Satyrdrama /7^o/tryi9^frc nvQxasvg,^) Im ersten
Stück, das von dem alten Thrakerkönig der Argonautensage benannt war,
war wahrscheinlich der Durchzug des Perserheeres durch Thrakien, im
Glaukos, der von dem Dorfe Potniä auf dem Wege von Platää nach Theben
seinen Beinamen hatte, die Schlacht von Platää und der gleichzeitige
Seesieg der Griechen Sikiliens über die Karthager bei Himera berührt.
Es sind also auch hier die Stücke der Trilogie in einem inneren Zusammen-
hang gestanden, wenn sie auch nicht Teile einer und derselben Handlung
bildeten.
Die Tetralogie der Perser mit ihrem grossartigen nationalen Hinter-
grund kam auch bei einer besonders feierlichen Gelegenheit zur Aufführung.
Mit ihr wurde nämlich im J. 472 das neuerbaute Dionysostheater zu Athen
eingeweiht, wie wir jetzt aus den neuaufgefundenen Theaterurkunden (CIA.
II, 971) wissen. Die Ausstattung der Bühne hatte Perikles übernommen, 3)
dessen Stern eben damals aufzugehen begann und der sich mit dem Dichter
in den Ruhm des Tages teilte. Später wurde die Tetralogie nochmals in
Syrakus aufgeführt, wahrscheinlich im J. 470, als der Dichter selbst in
Syrakus weilte.*)
14:1. Die 'ETtra stcI Qrjßag wurden als drittes Stück zusammen mit
Laios, Oedipus und dem Satyrspiel Sphinx im Jahre 467 aufgeführt.
Aischylos siegte mit dieser Tetralogie über Aristeas und Polyphradmon,
die Söhne seiner alten Nebenbuhler Pratinas und Choirilos. Wir begreifen
leicht an dem einen uns erhaltenen Drama das Urteil der athenischen
Richter. Dasselbe ist nicht bloss ein SQcifia "Aqso^g ßsatöv, wie es Aristo-
phanes in den Fröschen V. 1021 nennt, sondern lässt auch weit mehr den
Dialog zur Geltung kommen, ohne dass deshalb die melischen Partien des
von banger Furcht geschüttelten Frauenchors an wirkungsvoller Schönheit
etwas eingebüsst hätten. Einen Glanzpunkt der Tragödie bildet die Schil-
derung der 7 feindlichen Heerführer und der 7 Thebaner, welche an jedem
der 7 Thore der Stadt einander
entgegenstanden,
wobei mit fein berech-
') Der Zusatz JIotviEvg fehlt in der alten
Mediceerhandschrift, rührt aber trotzdem
sicher aus alter Tradition her; er sollte
unsern Glaukos von dem Satyrdrama Glaukos
unterscheiden. Welcker, Aeschyl. Tril. 47
u. Rh. M a. F. 5, 236 dachte an den Meer-
gott Glaukos Pontios und nach Fr. 35 und
Pind. P. I, 75 an eine Verherrlichung des
mit der Schlacht von Salamis gleichzeitigen
Sieges über die Karthager bei Himera.
2) Der Zusatz nvqxaevg steht nicht in
der Didaskalie, woraus Sittl, Gr. Litt. III,
255 schliesst, dass die Prometheustrilogie
erst nach den Persern aufgeführt sei. Aber
der Zusatz wird überhaupt, wie die ähnlichen
anderer Stücke (z, B. Oed. Tyr.), erst von
den Grammatikern zugefügt sein.
3) Siehe oben § 129.
^) Diese zweite Aufführung in Syrakus
wird ausser durch die Vita auch noch durch
Eratosthenes und Herodikos in den Scholien
zu Aristoph. Ran. 1028 bezeugt; vgl. Schö-
MANN, Rh. M. 42, 467 ff.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 141.)
183
nender Kunst der mit besonderer Liebe nach dem Muster des tugendhaften
Aristides i) gezeichnete Amphiaraos und das unselige Brüderpaar Polyneikes
und Eteokles, deren Zweikampf den Höhepunkt des Dramas bildet, an den
Schluss gestellt sind. Indes die volle Herrschaft über den Dialog hat doch
auch hier der Dichter noch nicht gefunden, indem in jener langen Partie
die Handlung nicht vom Fleck rückt und wir mehr nur einen Zyklus von
lebenden Bildern zu schauen vermeinen. Auch bedarf bezeichnenderweise
das Stück noch nicht eines dritten Schauspielers, sondern nur eines weiteren
Sängers {TraQaxoQrjyrjina) für das Klageduett der Antigene und Ismen e. Auf-
fällig ist, dass der Schluss des Stückes (996 — 1070) einen durch den Ver-
lauf der Handlung nicht begründeten Hinweis auf das Verbot der Bestat-
tung des Polyneikes und die heroische Weigerung der Antigene enthält.
Derselbe hat die Gelehrten, bevor Franz im J. 1848 die Didaskalie im
Cod. Laurentianus entdeckte, zu allerlei, jetzt abgethanen Vermutungen
über das den Sieben nachfolgende Stück verleitet.-) Aber jene Partie, in
der wir auch ganz und gar die Kühnheit der äschylischen Diktion ver-
missen, scheint erst später bei wiederholter Aufführung der Tragödie zu-
gefügt zu sein.^)
Von den mit den Sieben verbundenen Stücken Laios, Oedipus, Sphinx
sind uns leider nur ganz dürftige Überbleibsel erhalten.-*) Aber so viel
lernen wir auch aus der erhaltenen Tragödie kennen, dass der Dichter mit
grossem Geschick die tragischen Momente der alten Mythe teils beibehalten,
teils durch wirksamste Um- und Zudichtung verstärkt hat: die Selbst-
blendung des Oedipus, welche das alte Epos entweder gar nicht kannte
oder doch erst in eine spätere Lebenszeit des Königs (Od. A 271 ff.) ver-
legte, Hess Aischylos gleich auf die Erkenntnis der blutschänderischen Ver-
bindung mit der eigenen Mutter folgen (Sept. 763 ff.); die 4 Kinder, Eteokles,
Polyneikes, Antigene, Ismene, welche nach dem alten Epos Oedipus mit
seiner zweiten Gemahlin, Euryganeia, erzeugt hatte, 5) machte er durch
schaudererregende Modifikation der alten Sage zu unseligen Sprossen der
gottlosen Ehe des Sohnes mit der Mutter.^) Im übrigen passte der grause
Fluch, den nach dem alten Epos der Vater über seine lieblosen Söhne aus-
stiess, dem Tragiker trefflich in seinen Plan, und diente der trilogischen
Verknüpfung einzig die zwiefache Schicksalsfügung, dass der Sohn den
Vater, welcher die Mahnung des Orakels in den Wind geschlagen hatte,
ohne Vorwissen tötet, und dass an den Söhnen hinwieder sich der Fluch,
^)^Den Vers 579 ov yccQ ^oxeXv cigiarog,
uXV slvai d^iXei bezog das Theater unter lau-
tem Beifall auf Aristides nach Plut. Arist. 3.
2) Vgl. Müller, Gr. Litt. I, 540; das
Richtige erkannte schon vor Aufdeckung
der Didaskalie Näke, Rh. M. 27, 194 ff.
^) Oberdick, De exitu fabulae Aeschyli
quae Septem adversus Thebas inscribitur,
Arnsberg 1877.
^) Vermutlich bildete in den 3 Stücken
ein öffentliches Unglück den Hintergrund
der Handlung: in den Sieben die Belagerung
der Stadt, in dem Oedipus ähnlich wie im
Oed. Tyr. des Sophokles eine verheerende
Pest, im Laios das Unheil der Sphinx. Die
rätselgebende Sphinx war dann selbst in
burlesker Weise in dem zugehörigen Satyr-
spiel vorgeführt.
^) So sicher der Dichter der Oidipodeia
nach dem Zeugnis des Pausanias IX, 5. 11 ;
wahrscheinlich aber dachte sich so auch
Homer a. 0. das Sachverhältnis. Nach Pau-
sanias hat auch noch der Maler Onasias,
ein Zeitgenosse des Polygnot, auf einem Ge-
mälde dargestellt xazrjcprj rrjp EvQvyaveiuv
«) Sept. 739. 913. 1023.
134 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
den der gereizte Vater im Zorne ausgestossen hatte, in schrecklicher Weise
vollzieht.
142. Der IlQOfxrjx^svg 6€(f(ji(6T7]g, benannt von dem Hauptträger der
Handlung, ist der berühmte Repräsentant einer Göttertragödie. Zu einer
Trilogie verbunden war derselbe mit dem ÜQoiiri&svg Xvöiuvog und dem
ÜQoixr^d^svg rrvQcpoQog. Der erstere folgte unmittelbar auf den gefesselten
Prometheus, wie aus einer Angabe des Scholiasten zu V. 527 feststeht; der-
selbe enthielt nach einer alten, bereits bei Hesiod. Theog. 525 ff. vorkom-
menden Mythe die Erlösung des gefesselten Prometheus durch Herakles,
der den Adler, welcher dem Halbgott die Leber abfrass, mit seinem Bogen
wegschoss.i) Den JlQOjjirj^svg rcvQcpoQog hat man ehedem das erste Stück
der Trilogie bilden lassen, in welchem der menschenfreundliche Heros den
göttlichen Feuerfunken den hilflosen Menschen gebracht habe. 2) Da aber
Prometheus nach den Schollen zu V. 94 in jenem Stücke sagte, dass er
30,000 Jahre gefesselt gewesen sei, so nahm Westphal, Proleg. zu Aisch.
S. 207 if. an, dass der feuertragende (nicht der feuerbringende) Prome-
theus vielmehr den Schluss der Trilogie gebildet habe und ähnlich wie
die Eumeniden zur Verherrlichung eines attischen Festes, der Prometheia,
bestimmt gewesen sei.^) Die hohe Bedeutung des uns erhaltenen Stückes
liegt nicht in dem Aufbau der Handlung, die vielmehr sehr geradlinig
verläuft und durch die locker eingelegte Episode der gleichfalls durch Zeus
ins Unglück gestürzten und auf ihren Irrfahrten bis zum Kaukasus kom-
menden lo *) mehr gedehnt als verwickelt wird ; sie liegt vielmehr in der
grossartigen Zeichnung des Titanen, der als gemarterter Dulder für die
dem Menschengeschlecht erwiesenen Wohlthaten an die hehre Gestalt des
christlichen Menschenerlösers erinnert,^) in dem gewaltigen Trotz aber,
mit dem er die Aussöhnungsversuche der neuen Götter von sich weist,
die heroische, selbstherrische Natur des Dichters selbst widerspiegelt. Von
überwältigender Wirkung ist namentlich der Schluss der Tragödie, wo der
Fels, an den der Heros geschmiedet ist, unter Donner und Blitz versinkt.
Im übrigen gehört das Drama zu der Klasse der TQayioSiai rsgarröSsig, da
schon die äusseren Erscheinungen des an den Fels geschmiedeten Prometheus,
der durch eine Maschine niedergelassenen Okeaniden, des auf einem Wunder-
') Nach den zahlreichen Fragmenten
des griechischen Originals und der lateini-
schen Bearbeitung des Accius hat Schömann,
Greifsw. 1844 eine poetische Rekonstruktion
des gelösten Prometheus versucht. Die
schöne Mythe wurde auch durch die bildende
Kunst verherrlicht, wie auf dem kapitolini-
schen Prometheussarkophag, einem pom-
peianischen Wandgemälde (Heibig n. 1128),
einem Gemälde der Villa Pamfili (0. Jahn,
Abh. d. b. Ak. VIII, 2), einer neuerdings auf-
gefundenen, von MiLCHHÖFER, Befreiung des
Prometheus, 42. Winckelmann's Programm
(1882), richtig gedeuteten Marmorgruppe von
Pergamon.
2) Welcker, Die äschyl. Trilogie Pro-
metheus und die Kabirenweihe zu Lemnos,
nebst Winken über die Trilogie des Aesch.
überhaupt, Darmstadt 1824, mit Nachtrag,
Frankfurt 1826.
^) Zu beachten ist dabei, dass der Ko-
miker Diphilos eine travestierende Komödie
lIvQcpÖQog dichtete. Vgl. Pollux 8, 116: tivq-
(poQog ' Tialg nvQ enl rovg ßüjjuovg enixid^eig.
Aber wankend macht an der gegebenen Auf-
fassung das Citat des Philodemos de pietate
p. 39 ed. Gomp. : Aio/vlog ev zm X<vo-> ^i-
V <M TIq-) ofXf]&£L . . . . (.vn> 6 Jiog d6d<€ad^ca>;
vgf. Nauck, TGF.2 p. 69.
■*) Näher ward die lo dem Prometheus
dadurch gerückt, dass der 13. Nachkomme
derselben, Herakles, dem Prometheus Er-
lösung bringen sollte ; s. V. 897 fF.
^) Lasaulx, Prometheus, die Sage und
ihr Sinn, Würzb. 1844.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 142-143.) 185
vogel herbeigekommenen Okeanos und der in eine Kuh verwandelten lo
Staunen bei den Zuschauern hervorrufen mussten.^) — Über die Zeit der
Aufführung fehlen uns didaskalische Zeugnisse. Der Hinweis auf die Sikiliens
Fluren verwüstenden Feuerströme Typhons (V. 383 ff.) zeigt, dass das Stück
nach dem Ausbruch des Aetna, der im J. 475 ^) stattfand, gedichtet wurde.
Ebenso lehrt die Vergleichung von Prom. 876 und 883 mit Suppl. 45 und
230, dass unser Prometheus nach den Schutzflehenden anzusetzen ist.^)
Weiter herab, auf die Zeit nach 468 führt der Prolog des Dramas ; nicht
bloss beginnen noch die 472 gegebenen Perser nach altertümlicher Weise
direkt mit dem Einzug des Chors ohne jeden Prolog, es konnte auch unser
Prolog kaum anders als mit drei Schauspielern (Heph aistos, Kratos, Pro-
metheus) gespielt werden.^) Wenn daher nicht die Verse 1 — 87 des Pro-
logs erst bei einer späteren Aufführung nach dem Tode des Aischylos
hinzugefügt wurden,^) was doch bei der altertümlichen Strenge und der
echtäschylischen Diktion dieser Partie äusserst unwahrscheinlich ist, so
kann der Prometheus erst nach Einführung des 3. Schauspielers gedichtet
sein. Nahe an die Eumeniden rücken ihn auch die beiden Tragödien ge-
meinsamen Klagen über die neuen Götter und die neuen übermütigen
Machthaber, aus denen der Unmut des alten Optimaten über die frei-
geisterischen und demokratischen Grundsätze der perikleischen Staats-
verwaltung deutlich herausklingt. Hat, wie ich vermute, Pindar P. lY, 291
mit Xv(fs dt Zsvg a(f&itog Tnävag, ip 6t XQOVoi i^szaßoXal Xif^avTog ovqov
lariMv auf unsere Trilogie angespielt, so muss dieselbe, da jene Ode des the-
banischen Sängers auf einen pythischen Sieg des Jahres 466 geht, zwischen 468
und 466 aufgeführt worden sein, von welchen drei Jahren wiederum das eine,
467, wegfällt, da in diesem Aischylos mit der thebanischen Trilogie siegte.
143. '4yaf.i€ijiV(tiv, XovjCfÖQOi und Ev^xtviSsg bilden zusammen die
sogenannte Orestie,^0 welche 458 zur Aufführung kam und den ersten Preis
erhielt.'^) Das Satyrspiel dazu war der Proteus, auf den schon im Aga-
memnon V. 834 hingewiesen wird ^) und der mit den 3 Tragödien insofern
zusammenhing, als der Meergott Proteus bei Homer Od. S 511 ff. dem
Menelaos das schauerliche Geschick des Agamemnon weissagt. Die uns
^) Auch die Parodie in Aristophanes schliefen Hesse, was schon wegen der tech-
Vögel 1494—1551 hat den Charakter des nischen Schwierigkeit imwahrscheinlich ist.
Wunderbaren. Bezüglich der Vorausschickung eines Pro-
-) Vgl. S. 145 An. 1. Die glänzende loges bemerke man indes, dass schon 470
Schilderung Pindars P. 1, 15 — 28 scheint Phrynichos seine Phönissai mit Versen des
das Vorbild für die matten Verse Prom, | Schauspielers beginnen Hess.
367 — 388 gewesen zu sein; siehe indes die j "') Vgl. Röhleke, Septem adv. Theha»
obige Stelle. j et Prometheum vinctitm esse fahulas post
^) Wenn die Irrfahrten der lo in Prom. j Äeschylum correctas, Berol. 1882.
819 if. etwas abweichend von Suppl, 556 ff. j ^') Nach Aristoph, Ran, 1127 war Ore-
erzählt sind, so hängt dieses mit der dem steia ein anderer Name für das Mittelstück,
Prometheus eigentümlichen Neigung zum | die Choephoren; erst von den Neueren wurde
Wunderbaren zusammen. i der Name auf die ganze Trilogie übertragen.
^) Ausser diesen 3 Schauspielern be- ^) Arg. Agam,: ididd/d^t] x6 ÖQä^a snl
durfte es noch der stummen Person der Bia. «pj^oiro? <^iXoxX6ovg 6X. n' ersi ß' . nQuitog
Mit 2 Schauspielern und 1 stammen Person Aia/vXog 'Jyctfxefxfopi, XotjcpoQoig, Ev^evioi.
käme man nur aus, wenn man den Kratos \ IJQMxei acavQixw ^ sxoQtjyEt Bsroalrjq^AcfiövEvc:.
V. 84 verschwinden und rasch, vor V. 88, | ^) Dieses ist fein bemerkt von Böckh,
m die den Prometheus vorstellende Puppe j De traf/, gr. princ. p. 208.
186
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
erhaltenen 3 Tragödien waren wahrscheinlich die letzten, welche Aischylos
in Athen zur Aufführung brachte, da er bald darauf nach Sikilien aus-
wanderte und dort den Tod fand. Jedenfalls sind sie die vollendetsten
unter den uns erhaltenen, und ist namentlich der Agamemnon wohl das
erhabenste und ergreifendste, was überhaupt ein Diener der Melpomene
geschaffen hat. Den Stoff zur Trilogie, deren 3 Teile, Mord des heim-
kehrenden Königs, Rache des Orestes an der unnatürlichen Mutter und
ihrem Buhlen, Sühnung des von den Furien verfolgten Muttermörders, ein
grosses, in sich geschlossenes Ganze ausmachen, hatte der Dichter in der
Hauptsache von Homer entlehnt, ') doch so, dass er in der Verwertung der
alten Sage, selbst in kleineren Einzelheiten derselben eine wundervolle
Kunst bewies, wie in der Hereinziehung der Kassandra,^) die einerseits die
Eifersucht der Klytaimestra mit Recht erregt und somit deren Schuld
mindert, anderseits mit ihrem Seherblick die grauenhaften Vorbereitungen
zur entsetzlichen Mordthat vorausschaut und den Zuschauern verkündet.
Neu hinzugedichtet ist der wesentliche Inhalt des dritten Stückes, die
Freisprechung des Orestes auf dem Areopag durch den Stichentscheid der
Göttin Athene {calcultis Minervae) ^) und die Versöhnung der Erinyen, die
aus bluttriefenden Furien in segenspendende Huldgöttinnen sich wandeln.
Der Dichter hat diesen Teil speziell für Athen und die Verherrlichung des
gerade damals von der demokratischen Partei hart angegriffenen Gerichts-
hofes auf dem Areopag gedichtet.^) In dem Mittelstück, das von den die
Todesspende zum Grabhügel des Agamemnon tragenden Chorjungfrauen den
Namen XorjgjOQoi erhielt, rührt die Art der Wiedererkennung des Geschwister-
paares von der Erfindung des Dichters her."^) Diese letzte Partie, wo Elektra
den Bruder an der dem Toten geweihten Haarlocke und an der Grösse
der Fusstapfen erkennt, ist freilich wenig geglückt, namentlich wenn man
die Feinheit der sophokleischen Elektra daneben hält.^) Um so wirkungs-
voller aber waren die aus Stesichoros herübergenommenen und für die
Bühne weiter entwickelten Motive der treuen alten Amme und des unglück-
ahnenden Traumes der Königin. Mehr indes als alle einzelnen Vorzüge
bedeutet der grosse Fortschritt, den die Kunst des Dichters in der ganzen
1) Hom. Od. y 262 -314 u. X 405-434.
Vorgänger des Aischylos waren die Lyriker
Xanthos und Stesichoros, die schon in ihren
Orestien den gleichen Mythus behandelt
hatten, vgl. Raoul-Rochette, Oresteide, in
Monura. ined. 1833.
'^) Dem Aischylos folgt in diesem und
in anderen Zügen sein Geistesverwandter,
Pindar in P. XI; s. oben S. 154 An. 3.
^) Diese Abstimmung der Minerva ist
dargestellt auf dem berühmten corsinischen
Silberbecher, Baumeister, Denkm. d. kl.
Alt. n. 1316.
**) Die Einsetzung des Areopag wird feier-
lich von Athene verkündet Eum. 684—713;
diese Rede will indes Wecklein, Stzb. d. b. Ak,
1887, S. 64, hauptsächlich wegen der lokalen
Schwierigkeit, welche das Pronomen 'ö&s in
nc'cyov "jQSioy royde (688 u. 691) bietet, für
eine junge Interpolation ausgeben. — Über
die Verbindung des Areopag mit dem Kulte
der Is/ufcii, die an der Erdschlucht des
Areshügels einen altehrwürdigen Gottesdienst
genossen, s. Töpffek, Attische Genealogie
170 ff.
^) Der Traum der Klytaimestra und die
Amme des Orestes kamen, worauf mich
Sitzler aufmerksam machte, schon bei Stesi-
choros fr. 41 u. 42 vor.
^) Die Wiedererkennungsscene beruht auf
klügelnder Schlussfolgerung, was Arist. Poet.
16 tadelnd bemerkt; über sie witzelt selbst
Aristophanes Nub. 536. Über das Verhältnis
der Choephoren und der Elektra ist unend-
lich viel geschrieben ; ich begnüge mich zu
verweisen auf A. W. Schlegel, Vorles. üb.
dram. Kunst 1, 222- 245; Fleischmann, Kri-
tische Studien über die Kunst der Charak-
teristik bei Aesch. u. Soph., Erlangen 1875
u. Jahrb. f. Phil. 115, 513 ff.
C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 144.) 187
Anlage dieser seiner letzten Trilogie genommen hat. Er hat nicht bloss
von dem dritten Schauspieler vollen Gebrauch gemacht, er hat denselben
auch meisterhaft verwertet, um eine spannendere Entwicklung in die Hand-
lung zu bringen und die Charaktere durch gegenseitige Hervorhebung
schärfer hervortreten zu lassen. Dabei bewährte er zugleich die alte
Grossartigkeit seiner Natur in der grandiosen Zeichnung der rachebrütenden,
nach dem Blute des gehassten Gemahls lechzenden Klytaimestra, ^) in der
grausigen Scene des die Mutter zur Mordstätte zerrenden Orestes (Choeph.
880 — 930), in der wirkungsvollen Gegenüberstellung der alten und neuen
Weltordnung in den Eumeniden. In den Chorliedern aber hat er anfangs
durch Rückblicke in die Vergangenheit, den Auszug der Achäer, die Opfe-
rung der Iphigeneia, den Raub der Helena, die Züchtigung der Troer, die
Gewitterwolken sich allmählich aufthürmen lassen, dann aber nach voll-
brachter Blutthat das Walten der höheren Mächte und die hehre Not-
wendigkeit unerbittlicher Bestrafung begangenen Frevels in erhabenster
Sprache verkündet. Wenn irgendwo, so sieht man aus den Eumeniden,
dass Aischylos nicht so sehr den Zuhörern einen Genuss durch Entfaltung seiner
dichterischen Kunst bereiten, als vielmehr Lehrer seines Volkes und Verkünder
der höchsten Sittengesetze sein wollte. Einen gewaltigen Eindruck hat
namentlich zu allen Zeiten auf jeden empfindenden Leser die grandiose,
tiefsittliche Auffassung der Rachegeister gemacht; wiedergegeben hat denselben
niemand besser und ergreifender als Schiller in den Kranichen des Ibykus.
144. Verlorene Dramen. Aischylos hat seine Dramen Tsindxrj
iwv ^OjXTiQov iieyccXwv dsinviov genannt. 2) Das hat, wenn wir, wie billig,
auf den Inhalt schauen, nur zum Teil seine Richtigkeit, und überhaupt
nur, wenn wir unter dem Namen Homer an den Dichter des gesamten
epischen Kyklos denken. Aus dem troischen Sagenkreis nämlich entlehnte
er den Stoff zur Trilogie von Hektors Tod und Lösung, oder zu den Tra-
gödien MvQfJiiSdvsg, Nr^Qtjldsg, (^Qvysg rj "ExroQog Xvrqa (nach Ilias / — /2),
ferner zu den Käqsg (von Sarpedons Tod),^) zu Mä/nvcov und ^vxoaraaia
(Wägung der Todeslose, nämlich des Memnon und Achill, nach der Aithiopis
unter Anschluss an II. X, 209 ff.), zw^OtcImv xQiaig, OQiaaai (von Aias Tod)
und 2aXaixivi(xi (nach der kleinen Ilias), zu <I>iXoxvrjTrjg^) und Arjiivioi (eben-
falls nach der kleinen Ilias), zu ^Icpiyävsia, Tr^Xsipog und üalai^Li^d^^g (nach den
Kyprien),^) zu ^vxc^YOiyof, JlrjvsXÖTjrj^ KiQxrj aaTVQixrj (nach Telegonie). Dem
Dionysosmythus, der alten Quelle der tragischen Kunst, war entnommen die Te-
tralogie AvxovQysia, zu welcher die 'Hdcovof, Baaaaqai, Nsaviaxoi, Avxovqyog
^) Das Mass überschreitet Aisch., wenn
er Agam. 1388 den Blutstrahl des hinge-
schlachteten Königs mit dem segenbringen-
den Regen vergleicht. Den Anstoss, den
unser Gefühl an der Unthat der Gattin und
des Sohnes nimmt, hat mein Freund Siegert
in seiner Tragödie Klytämnestra durch voll-
ständige Umdichtung zu beseitigen gewagt.
^) Ath. 347 e; beachtenswert ist, dass
keiner der Titel des Phrynichos auf Homer
hinweist.
"') Von den Kuqeg (im Sinne von Avxioi)
wurde ein Fragment, in welchem Europe, des
Sarpedon Mutter, um ihren Sohn bangt, aus
einem Papyrus ans Licht gezogen von Weil,
Nouveaux fragments d' Buripide et d' autres
poetes, Paris 1879; Bläss, Rh. M. 35, 74 ff.,
jetzt auch bei Nauck TGP.'"^ 33.
^) Über die Abweichung des äschylischen
Philoktet vom sophokleischen s. Dio Chrys.
or. LH. Der Chor bestand aus Lemniern.
"'') T^Xecpo? und Hcdafi 'df]g sind in dem
Verzeichnis des Mediceus durch Zufall, wie
es scheint, ausgefallen.
Igg Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
(tavvQixög gehörten, ferner die Stücke Jlfvd^svg, Sccvrqim^ ^sfjishj r] vÖQOifOQoi^
Jiovvaov TQocfof, welche gleichfalls zusammen eine Tetralogie gebildet zu
haben scheinen. Der Argonautensage gehörten an 'Ad^ä^ag^ ^VifuTivkrj, 'ÄQyw,
KdßsiQüi,^) vielleicht auch 0€(oqoi r] 'la^/juacTtai, Nsiisa. Auf verschiedene
andere Sagenkreise bezogen sich die 'ÄQystoi, 'EXsvaivioi, ^Eniyovoi (Adra-
stossage), (PoQxiSsg, noXvSexrr^g (Perseussage), 'Alxinrjvr], ^HQaxleiSai (Hera-
klessage), 2) ^Hliddsg (Tod des Phaethon), To^otiSsg (Untergang des Aktaion),
Nioßrj,^) 'AraXarTTj, ^I'^icov, HsQQccißiSsg, 2iav(fog. Nimmt man noch hinzu,
dass Aischylos auch die Göttermythe auf die Bühne gebracht, das Wagnis einer
politischen Tragödie versucht, in den Ahvaiai die Lokalsage dramatisiert, ge-
legentlich auch Elegien und Epigramme gedichtet hat, 4) so bekommt man eine
Ahnung von der Vielseitigkeit und der Originalität des Begründers der Tragödie.
145. Die eigentlichen Verdienste des Aischylos um die dramatische
Kunst liegen nur zum kleineren Teil in dem Reichtum des Stoffes, sie sind
vorzüglich in der Gestaltung des Mythus und in der Ausbildung der dra-
matischen Darstellungsmittel zu suchen. Die letzteren fasst Aristoteles,
Poet. 4 in die Worte zusammen: t6 ts %wv vnoxQiTcov nXrjd^og i^ ivog flg
dvo TiQcoTog ÄlaxvXog Tjyays xal tcc tov %oqov ijXccttmös xai tov Xöyov tvqm-
ray(x)naTi]v naqeaxsvaas.^) Wir sahen oben, dass in diesen Punkten sich
der Dichter allmählich vervollkommnete: in seinen älteren Tragödien, wie
besonders in den Schutzflehenden, nehmen die Chorlieder noch einen über-
mässigen Raum ein und ermüden nicht selten durch die Wiederholung-
gleicher Gedanken; erst nach und nach erweiterte er die Dialogpartien,
fügte den Prolog hinzu ß) und nahm von Sophokles auch den 3. Schauspieler
an. Sehr richtig antwortete deshalb der Verteidiger des Aischylos den
Bewunderern des Sophokles, weit schwieriger sei es nach Thespis und
Phrynichos die Tragödie auf solche Höhe zu bringen, als sie nach Aischylos
zur Vollendung des Sophokles zu erheben.'^) Auch auf die Erhöhung des
Glanzes der äusseren Darstellungsmittel verwandte er grosse Sorgfalt: er
heisst bei Horaz a. p. 278 personae pallaeque repertor honesfae;^) auch die
Erfindung mannigfacher Maschinen und Dekorationen wird ihm beigelegt,'^)
f
^) Aufgeführt wurden dieselben nach
den Feldzügen am Strymon um 466, nach
WiLAMOwiTZ, Herm. 21, 612.
-) Von den Herakliden wurde ein neues
Fragment aus Schol. Aristidis des Cod. Marc.
423 hervorgezogen von Wilamowitz, De
Mhesi scholns, Ind. lect., Greifsw. 1877.
^) In der Niobe sass nach der Vita die
Heldin stumm in den Mantel gehüllt auf
dem Grabe der Kinder; ähnlich verhüllt sass
Achill da in Hektors Lösung, was den Spott
der Komiker, wie des Aristoph. Ran. 912
herausforderte.
^) Päane zu dichten lehnte er ab nach
Porphyrios de abstin. II, 18.
') Vgl. Diog. III, 56; auch die Erfin-
einen vierten Schauspieler, der aber nur we-
niges zu sagen brauchte {naQct/oQTjyr/fLia),
führte er in dem Memnon ein; s. PoUux,
4, 110.
^) Ein Prolog fehlt in Suppl. u. Pers.,mit
der Zufügung desselben war Phrynichos in
den Phönissen vorangegangen. Auch ein
Epilog findet sich im Agamemnon, der aber
keine weitere Aufnahme fand.
') Vita § 14.
«) Vgl. Vita 13 u. Scholl p. 29 ff.
•') Ckamer, An. Par. I, 19: et juei^ i^i]
ndvja ctg Aia^vXio ßovXerca rd ttsqI rrjv
ax't^vrju EVQrjfj,aia Tiqoovi^Eiv, ixxvxhjjbidcrcc
xal neQidxxovg xctl ^u}]/aydg, E^coarqav rs
xal TiQoaxrjvia, xal diarsyiag xal xsqavvo-
dung des 3. Schauspielers wird ihm zuge- 1 axonsTa xal ßQovre7a xal &Eo'koyeTa xal ye-
schrieben von Themist. or. XXVI p. 382 D. 1 qdvovg xai nov xal ivari&ag xal ßaxQaxi^ccg
und von einigen in der Vita; mit welchem | xal ngoacona xal xod^oQvovg xal ravil rd
Recht, haben wir oben bei den Sieben, Pro- ■ noixlXa, arQ/uard re xal xaXimxQav xal xol-
metheus und Orestie gesehen. Sogar noch nuy^a xal naQdnr^x^^ ^^^' aQyijvoi' xal ino-
|C. Drama. 2. Die Tragödie, b. Aischylos. (§ 145—146.)
189
und man braucht nur den Prometheus und die Eumeniden zu lesen, um
sich eine Vorstellung zu machen, welche ausserordentliche technische Mittel
zu ihrer Aufführung nötig waren. Dabei war Aischylos selbst Chormeister
und ersann ausser dem Text auch noch die Melodien und Tänze. An der
Darstellung der Rollen nahm er noch selbst als Schauspieler teil; zu Ge-
nossen hatte er dabei die berühmten Schauspieler Kleandros und Myniskos/^)
146. Das hervorstechendste Merkmal der äschyleischen Poesie, das
Grossartige und Titanenhafte, zeigt sich in den Gedanken, dem Versbau
und der Sprache. Den sprachlichen Ausdruck zeichnet Kühnheit der Meta-
phern, Pracht der Bilder, Grossartigkeit des Periodenbaus aus; doch fehlt
auch nicht die Härte im Satzgefüge, der Bombast, die Eintönigkeit des
Pathos, die Liebe zum Grotesken und Wunderbaren.'-^) Lieblingsausdrücke,
wie oiaxa vo)fxcov, ov SixoQQÖrrcog u. a. kehren zu oft wieder; das Mass ist
überschritten, wenn mit schwülstiger Überschwenglichkeit im Agam. 887 ff.
der heimkehrende König gleich in 6 Bildern hintereinander gepriesen
wird.^) Die Späteren, welche durch Sophokles und Euripides an einfache
Schönheit und ruhiges Ebenmass gewöhnt waren, nahmen an dieser Seite
der äschylischen Dramen Anstoss;^) den nüchternen Alltagsmenschen
schien er gar seine Dramen im Rausch gedichtet zu haben. 5) Wenn indes
Pindar Erhabenheit der Sprache mit anmutsvoller Grazie besser als
Aischylos vereinigt hat, so darf man den Einfluss der Masken und Stelzen
und des ganzen dionysischen Spiels nicht ausser acht lassen,^) — Unbe-
dingtes Lob verdient die melodische Schönheit und symmetrische Strenge
der Rhythmen des Aischylos: zu gewaltigen Perioden, der Grösse und
Tiefe der Gedanken entsprechend, bauen sich bei ihm die Verse auf; ") die
synkopierten Trochäen, die er mit Vorliebe verwendet, malen mit ihren
langangehaltenen Längen vortrefflich den Ernst der Lage und die Tiefe
der Empfindung.^) Auch der Dialog ist strenge gebaut, so dass Verteilung
eines Verses unter mehrere Personen noch nicht vorkömmt; ein Streben
XQitfjy Eni TW dtvreQio roy tqlioi\ Vitruv
praef. 1. VIT: namque primum Agatharchus
Äthenis Äeschylo docente tragoediae scenam
fecit et de ea comnientarium reliquit. Dazu
SoMMERBKODT, Scaenica, Berl. 1876. Über
die Bühne Wilamowitz, Herrn. 21, 598 ff.,
wonach wohl die Orestie eine Rückwand
voraussetzt, in den früheren Stücken aber
die Scene rund und für den Chor und die
Schauspieler zugleich bestimmt gewesen
sein soll.
') Aus späterer Zeit erwähnt Aristoph.
Vesp, 579 den Oiagros.
^) Das Wunderbare tritt namentlich
auch in der phantastischen Schilderung von
fernen Ländern hervor, was schon der Scho-
liast tadelt (zu Prom. 371 u. 733) und die
Komiker parodierten, s. Meineke, Hist.
com. gr.
'') Ähnlich Choeph. 995 ff. u. Sept. 559 ff. ;
in unerträglicher Weise sind die Epitheta
gehäuft Suppl. 802 ff.
^) Das Urteil der Späteren gibt gut
wieder Quintil. X, 1. GG: Aescliylus suhlimis
et gravis et grcmdiloquus saepe iisque ad.
Vitium, sed rudis in plerisque et incom-
positiis. Vita Aesch. 5 : ^rj^ol ro ßccQog tisql-
Tiihivca rotg TiQOGconoig, aQX^^^^ slvca xqivimv
rovxo ro fj.6Qog fxeyaXonQsneg re xal t^qohxov,
ro de navovQyov xofA.tpo7TQ£n6g rs xcci yvm-
fMoXoyixov ulXörQiov rrjg rgayiodlag ^Qov/usyog.
Vgl. Arist. Nub. 1370: iyoj yaq Ala/vlov
t'Ofj.iC(o TTQOjrov Ev 7i.oii]rc(Tg, xjjocpov tiAemv,
d^vararov, arofxfpaxa, XQrjfxvoTioioi^ ;\^. Lech-
KEE, De arte Aeschyli rhetorica, Hof 18G7.
^) Ath. 22 a u. 428 c.
^) Über das Verhältnis von Aischylos
und Pindar siehe oben S. 154.
^) Diese langen Verse und Perioden
treten freilich in der schlechten Versteilung
{x(x}lo{j.ErQLa) der Handschriften nicht zu
Tage; am besten sind die ursprünglichen
Versformen auf Grund der Untersuchungen
der neueren Metrik von Dindorf in der Aus-
gabe der Poetae scen. gr. hergestellt.
^) Das Urteil der Alten drückt Aristoph.
Ran. 1254 aus: ccy&gl no nolv n^ETara dt]
xcd xdXhara fxt'h] noirjacivri rioy tri vvi'l.
190 Öriechische Litter aturgeschichte. 1. Elassische Periode.
nach symmetrischer Anlage ist unverkennbar, wenn auch neuere Forscher,
wie Ritschi,!) mit der gewaltsamen Herstellung gleicher Reden in den
Sieben über das Ziel geschossen haben. — Die Gravität der Gedanken
wurzelt bei ihm in der Strenge der alten Sitte und in den Weisheitslehren
der Priester und Mysterien. Daher galten seine Tragödien auch später
noch den Anhängern der alten Zucht und Ordnung, wie dem Aristophanes,
als das Ideal kerniger Poesie. In dem Glauben an das Walten einer höheren
Macht 2) ist insbesondere die Idee des Schicksals begründet, die den Hinter-
grund aller seiner Tragödien bildet und sich mit der frommen Anschauung
des Dichters von der Hinfälligkeit und Ohnmacht alles Sterblichen paart.
Dass dabei der Held des Stückes, um Mitleid zu erregen, nicht von jeg-
licher Schuld frei sein dürfe, hat er besonders in dem Agamemnon, der
aus ehrgeiziger Schwäche seine eigene Tochter geopfert hatte, trefflich zum
Ausdruck gebracht. Am gewaltigsten aber wirkt in seinen Tragödien die
Idee von der Verkettung der menschlichen Geschicke und von dem auf
Kind und Kindeskinder sich forterbenden Fluch der bösen That. Mit ein-
ziger Kunst hat er zur Durchführung dieser Idee den alten Brauch, mit
3 Tragödien und 1 Satyrdrama den Festtag auszufüllen, benützt: aus 3 nur
äusserlich nebeneinander gestellten Tragödien entstand unter seinen genialen
Händen der grossartige Bau einer zusammenhängenden, nicht bloss aus
demselben Mythenkreis genommenen, sondern auch durch Einheit der Hand-
lung und der leitenden Grundidee zusammengehaltenen Trilogie. Auch die
Kunst der Motivierung der Handlung und der Retardierung wie Steigerung
der Affekte war ihm nicht fremd; wenn er darin und in der Individualität
der Charakterzeichnung hinter Sophokles und Euripides zurückblieb, so lag
dieses in der Richtung seiner Zeit, die im Leben, wie in der Poesie und
Kunst das Grosse und Erhabene liebte und in der Verleugnung gefälliger
Anmut bis zum Harten und Eckigen ging. — Was schliesslich mehr als
alles Einzelne bedeutet, das ist die geniale Begabung unseres Dichters, die
überall durchschlägt und seine Poesie zum Ausfiuss unbewusster dionysischer
Begeisterung macht. Sophokles hatte einst von ihm gesagt (Ath. 22^), er
thue das Rechte, aber ohne es zu wissen. Das sollte ein Tadel sein in
dem Munde des jüngeren, reflektierenden Dichters, ist aber in der That
das höchste Lob; ja, Aischylos dichtet wie berauscht in gottbegeistertem
Wahne; seine Dichtungen sind nicht Schöpfungen der Kunst, sondern Gaben
des göttlichen Genius; bei ihm ist keine Rede von klügelnder Künstelei,
keine Spur von kühler Reflexion, kein Schein von fremder, aus anderer
Mund entlehnter Weisheit: aus dem unerschöpflichen Born seiner eigenen
göttlichen Natur quellen in nie versiegendem Strome Gedanken wie Worte.
Handschriftliche Überlieferung: Die Tragödien des Aisch. Soph. Eur. wurden auf
Lykurgs Antrag (s. Müller, Bühnenalt. 859 An. 1; 0. Korn, De puhlico Aesch. Soph.
Eur. fahularum exemplari Lycurgo auctore confecto, Bonn 1863) in einem Staatsexemplar
aufgeschrieben, das später nach Alexandria gebracht wurde. Der Hauptcodex der 7 er-
haltenen Stücke des Aisch., den Burgess, Dindorf (Phil. 18, 55 ff.), Wecklein für den Arche-
^) RiTSCHL, Parallelismus der 7 Rede- I jenigen, welche, wie später Epikur, die Götter
paare in den Sieben des Aeschylus, Opusc. ' sich um die Sterblichen nicht kümmern
I, 300 ff. I liessen, ist besonders Agam. 381 ff. gerichtet.
'^) Gegen die Gottesleugner und die- I
C. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 147.)
191
typus aller Codd. halten, ist ein Mediceus sive Laurentianus XXXII 9 s. XI (von Aurispa
i. J. 1423 aus Griechenland gebracht und von Cosmo Medici der Bibliothek einverleibt),
der zugleich den Sophokles und die Argonautika des Apollonios enthält; ein faksimilierter
Abdruck dieses Cod. von R. Merkel, Aeschyli quae super'sunt e cod. Law. descripta,
Oxon. 1871 foL, die zuverlässigste Vergleichung mit Unterscheidung der verschiedenen
Hände von Vitelli in Weckleins Ausg., ßerl, 1885. Von den jetzt fehlenden Blättern des
Agam. bietet die beste Abschrift der Florent. XXXI 8 s. XIV. Für die 3 in Byzanz zu-
meist gelesenen Stücke Prom. Pers. Sept. muss jedenfalls ausser dem Laur. der Paris. 2884
s. XIII herangezogen werden.
Der Grundstock der Scholien, der ebenso viele feine Bemerkungen über die Kunst
des Dichters enthält als für die Wortkritik wichtig ist, aber früh durch die Albernheit
jüngerer Erklärer zurückgedrängt wurde (s. Römer, Stud. zur handschr. Überl. des Aeschylus,
in Stz. d. b. Ak. 1888 11 231), geht auf den Grammatiker Didymos zurück und stimmt
vielfach mit Glossen des Hesychios überein (s. Frey, De Äesch. sclioliis Mediceis, Bonn
1857). Diese alten Scholien sind samt ßlog, t>no&ea€ig, Interlinearglossen und kritischen
Zeichen aus dem Laur. am besten herausgegeben von Vitelli-Wecklein Davon sind zu
scheiden jüngere Scholien (besonders ausführlich zu Prom. Sept. Pers.) von Tzetzes, Thomas
Magister und Triklinios in codd. Paris. 2785. 2787 und Leidenses Is. Vossii (s. Franken,
De ant. Äesch. Interpret, auctoritate, Utrecht 1845), herausgegeben von W. Dindorf im
3. Bde. der Oxforder Aischylosausgabe 1851.
Ausgaben: ed. princ, Aldina 1518, worin Agamemnon und Choephoren (am Anfang
verstümmelt) noch nicht getrennt sind. Ausgezeichnete Emendationen des stark korrupten
Textes lieferten Turnebüs (f 1565) und Auratüs (f 1588), der letztere wird von Hermann
ad Agam. 1396 „omnium qui Aeschylum attigerunt princeps" genannt. Ausgabe mit ge-
lehrtem Kommentar von Stanley, London 1663. Die äschyl. Studien wurden wieder belebt durch
die Ausgaben von Porson 1794; Schütz ed. III 1839 — 41 in 5 vol. Die lang ersehnte Aus-
gabe von G. Hermann ward nach dessen Tod besorgt von Haupt, Lips. 1852, 2 vol. Neueste
kritische Gesamtausg. von Weoklein- Vitelli, Berol. 1885, nach der ich, da sie zur Vers-
teilung der Handschriften zurückkehrt, citiere. — Textesausg. von Kirchhoff, Berl. 1880,
mit den Varianten des Medic.; Weil bei Teubner 1885; von dem letzteren eine ed. mai.,
Gissae 1858—67, 2 vol. — Spezialausgaben der Sieben von Ritschl ed. II. Lips, 1875;
des Prometheus von Schümann, Griech. u. deutsch, Greifsw. 1844; der Orestie von Franz,
griech. u. deutsch, Leipz. 1846, von Th. Heyse, Halle 1884, von 0. Marbach mit deutscher
Nachdichtung Leipz. 1874, von Wecklein, Leipz. 1888; des Agamemnon von Enger-Gilbert,
Leipz. 1874, Schneidewin-Hense, Berl. 1883, Keck, Gr. u. deutsch mit Einl. u. Komment.,
Leipz. 1863, Wilawowitz, Text u. Übers., Berlin 1885; der Eumeniden von 0. Müller
(wichtig für Bühnenaltert.), Gott. 1833. — Schulausgaben mit erklärenden Anmerkungen
der Perser von Teuffel- Wecklein, Leipz.; des Prometheus von Wecklein, Leipz. — Glos-
sarium von Blomfield in dessen Ausg. des Agam., Cambr. 1818, Lips. 1822. Lex. Aeschy-
leum comp. Wellauer 2 vol., Lips. 1830. Lex. Aesch. ed. W. Dindorf, Lips. 1873.
c. Sophokles (496— 406). 0
147. Sophokles stammte aus dem nahe bei Athen in reizender Lage
gelegenen Demos Kolonos Hippios. Sein Vater hiess Sophillos und hatte
eine Waffenfabrik, welche der Familie reiche Einkünfte und eine angesehene
Stellung verschaffte. 2) Das Jahr seiner Geburt war nach der alten Vita
495/4, nach der verlässigeren Angabe der parischen Marmorchronik 497/6.^)
In der Jugend erhielt er sorgfältigen Unterricht in der Gymnastik und
Musik, so dass er in beiden Künsten wiederholt bekränzt wurde und bei
^) Aus dem Altertum ist uns erhalten
ein aus Angaben des Aristoxenos, Satyros,
Istros zusamengesetzter ^ocpoxXtovg ßlog,
mit Suidas und den anderweitigen Zeugnissen
zusammengestellt von Jahn in Ausg. der
Elektra. Nach Suidas hatte Philochoros ein
Werk in 5 B. tisqI twv ZocpoxXiovg fxvy^coy
geschrieben. — Aus neuerer Zeit Lessing,
Leben des Sophokles, unvollendet hinter-
lassen; Ferd. Schultz, De vita Soj)Jwclea,
Berl. 1835; Ad. Scholl, Sophokles, sein Leben
und Wirken, Frankf. 1842, hypothesenreich; ,
Dindorf in 3. Oxforder Ausg., und Bergk
in Ausg. von 1858.
'^) Der Vater war /ua/caQonoiog; bei
Plinius H. N. 37, 40 heisst Sophokles: p?-<?«-
cipe loco genitus Athenis.
'') Die Vita geht wie Diodor 13, 103
davon aus, dass Soph. rund 90 Jahre alt
geworden sei; das Marm. Par. gibt ihm 92,
Ps. Lucian, Macrob. c. 24 nach der Emendation
von Schultz 91 Jahre. Vergl. Mendelssohn
Act. soc. Lips. II, 171 f.
192
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische iPeriode.
der Siegesfeier der Schlacht von Salamis die ehrenvolle Aufgabe erhielt,
dem Chor der Knaben, der tanzend und singend den Päan vortrug, mit
der Leier voranzuziehen. ^) Die harmonische Vereinigung von körperlichen
und geistigen Kräften kam ihm auch später im Leben zu statten, indem
er bei der Aufführung seiner Nausikaa durch die Grazie im Ballspiel ent-
zückte, 2) und vom Maler Polygnot als zitherspielender Thamyris in der
bunten Halle dargestellt wurde. Zum Lehrer in der Musik hatte er den
von Aristoxenos hochgepriesenen Lampros; sein Unterricht befähigte ihn
die Melodien zu den Chorgesängen selbst zu komponieren, während sich
Euripides dabei fremder Beihilfe bedienen musste. In der Tragödie, heisst
es in der Lebensbeschreibung, ging er bei Aischylos in die Schule; ob im
engeren Sinne, als dass er demselben im Theater seine Kunst absah, bleibt
zweifelhaft. Zum erstenmal trat er als Dramatiker auf und zum erstenmal
siegte er zugleich im J. 468 mit dem Triptolemos.^) Der Mythus von dem
einheimischen Heros, den die hehre Göttin Demeter von ihrem Heiligtum
in Eleusis auf schlangenbeflügeltem Wagen hatte ausziehen lassen, um die
Pflege des Ackerbaues und die damit verbundenen Lehren milder Gesittung
in die Ferne zu tragen, war so glücklich gewählt und so fesselnd durch-
geführt, dass im Theater eine ungewöhnliche Aufregung zwischen den An-
hängern des Altmeisters Aischylos und den Bewunderern des neu aufgehen-
den Gestirns unseres Sophokles entstund und der Archen, der die Spiele
leitete, in ausserordentlicher Weise dem siegreich heimkehrenden Kimon
und seinem Mitstrategen die Entscheidung überliess. Die Entscheidung
fiel gegen Aischylos zu Gunsten des Sophokles aus, der also schon im
28. Lebensjahre der Ehre des ersten Preises teilhaftig wurde. '^) In den
folgenden 10 Jahren beherrschten die beiden grossen Tragöden mit ab-
wechselndem Erfolg die attische Bühne, indem es Aischylos nicht ver-
schmähte, auch von dem jüngeren Genossen zu lernen,^) Sophokles aber bei
aller Verehrung gegen den älteren Meister sich doch sorgsam vor den Ver-
irrungen desselben hütete.^) Von einem Wettstreit mit Euripides hören
wir zum erstenmal im J. 438, wo Sophokles den ersten Platz, Euripides
mit der Alkestis den zweiten erhielt. Auch im J. 431, wo Euripides seine
Medea aufführte, behauptete Sophokles den Vorrang.') Im übrigen Hess
^) Die Freunde der Synchronismen heben
hervor, dass zugleich Aischylos bei Salamis
mitkämpfte. Sophokles den Siegesreigen führte,
Euripides in Salamis das Licht der Welt er-
blickte; siehe dagegen § 162 An. 1.
^) Vita und Ath. 20 f.: xal rov OäfzvQiv
(^i&daxo)u civiog ixiS^aQiasi^, (ixQcog Je iocpai-
QiaEv, brf rrjv Navatxdav xa^TJxe.
^) Chron. Par. Dass es der Triptolemos
war, mit dem Soph. siegte, schloss Lessing
aus Plinius H. N. XVIII, 65: ante mortem
eius (Alexandri) annis fere CXLV So-
lihocles poeta in fabida Triptolemo fru-
mentum Italicum ante cuncta laudavit.
') Plut. Cim. 8. Ebenda und in Vit.
Aesch. ist weiter erzählt, dass infolge der
Niederlage Aischylos Athen verlassen und
nach Sikilien gegangen sei; das letztere ist
jedenfalls Fiktion; s. § 137.
•'*) Gleich 467 siegte wieder Aisch. mit
den Sieben, 458 mit der Orestie; beidemal
machte Aisch. vom 3. Schauspieler Gebrauch.
^) Von der Verehrung des Soph. gegen-
über dem älteren Meister, den er, als er selbst
zum Hades hinabkam, küsste und durch Hand-
schlag begrüsste, s. Aristoph. Ran. 788 ff. u.
1516 ff. Auf der anderen Seite lesen wir
bei Ath. 22''^: fxe&vMu de inoisi, rag xqa-
yio&iag Jia/vXog, aig cp7]ot XafzaiXecoy ' locpo-
xXrjg yovv (oveUi^sv cwko, otl si xal rd
Jeopxci noLsr, «AA' ovx Etd(6g ye. Auch den
oyxog Alaxvlov tadelte er nach Plut. de
prof. virt. 7.
"') Auch liess er nach Eur. Vorgang im
Hipponus den Chor seine persönliche Sache
führen; s. Pollux IV, 111.
C. Drama. 2, Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 148.)
193
derselbe in späteren Jahren sich auch von dem jüngeren Rivalen beein-
flussen. Das zeigt besonders der Deus ex machina im Philoktet (aus d.
J. 409) und die Art des Prologs in den Trachinierinnen. i) Ausserdem trat
er auch mit Choirilos, Aristias, Euphorion und mit seinem eigenen Sohne
lophon in die Schranken; 2) Euphorion, der Sohn des Aischylos, gewann
ihm im J. 431 den 1. Preis ab.^)
148. Als guter Bürger beteiligte sich Sophokles auch an dem öffent-
lichen Leben und ward von seinen Mitbürgern mit mannigfachen Ehren
ausgezeichnet. Bekannt ist seine Ernennung zum Strategen im samischen
Kriege (441 — 439) infolge des Beifalls, den seine Antigene gefunden hatte.*)
Perikles, sein mächtiger Gönner und Kollege im Amt,'') scheint indes nicht
viel von dem Feldherrntalent des Dichters gehalten zu haben; man legte
ihm den Scherz in den Mund: zu dichten verstehe Sophokles, nicht aber
das Heer zu führen.^) Er verwendete ihn daher mehr zu diplomatischen
Sendungen an die Bundesgenossen. In Chios kam Sophokles bei dieser
Gelegenheit mit dem Tragiker Ion zusammen, der uns bei Athenaios p. 603 e
die nette Anekdote erzählt, wie der lebenslustige Dichterfeldherr beim
Wein einem schönen Knaben einen Kuss abgewinnt und dieses dann als
dasjenige Strategem erklärt, auf das er sich verstehe.') Um diese Zeit
ist er auch zu Herodot, wahrscheinlich durch Vermittlung des Perikles,
des gemeinsamen Gönners beider, in nähere Beziehung getreten; denn nach
Plutarch, an seni 3, hat er 55 Jahre alt eine Elegie an Herodot gerichtet,
deren Anfang lautete: o^^tp' ^Hqoö6t(i) tsv'^sv ^ocfoxXr^g htMv o)v tt&vt' inl
TU€VTr^xovTa.^) Ausser dem Strategenamt im samischen Krieg bekleidete er
Ol. 84, 2 ~ 443/2 die Würde eines Hellenotamias oder Schatzmeisters der
Bundesgenossenkasse. '^) Eine zweite Strategie des Dichters erwähnt Plu-
tarch, Nie. 15, wobei er, von Nikias aufgefordert als ältester seine Meinung
zuerst zu sagen, in liebenswürdiger Bescheidenheit erwiderte: eya] naXaiö-
') Argum. Eur. Ale. et Med.
2) Vita Soph.
^) Argum. Eur. Med.
^) Argum. Antig.: (fciol de xov Ioq)o-
doy.i^qaciVTa iv rfj di&aaxa'Aia rijg 'Jptiyorrjg.
Vita Soph. : xcd ^Jx^rjicuoi cT' aviop ve {'ixf oder
is codd., ve' stimmt zu der Elegie an Hero-
dot) STMV ovra aTQar7]y6v sYlovro tjqo tmu
JJslonovvrjGiaxdv exsoiv C (corrige <9^' vel f]')
iv TW TTQog 'Avaiovg noXsfzio. Suidas u. Me-
'AiGffog: V716Q ZafA.i(x}p axQaxrjyi^dag evav^d-
Xi]GS TiQog Zoffoxlriv xop xgaytxou 6X. ttcT'
{Tis' coni. Bernhardy). Danach war Sophokles
wahrscheinlich im J. 440 Stratege. Vgl.
noch Strab. p 638; Plut. Nie. 15, Pericl. 26,
adv. Col. 32, Justin III, 6, 12.
^) Das Verzeichnis sämtlicher 10 Stra-
tegen in Sehol. Aristid. 111, p. 485 D, mit
Ergänzung von Wilamowitz, De Bhesi scho-
liis, Greifsw. 1877.
'^j So Sophokles selbst bei Ath. 603 d:
T[sQix'kt/)]g 7Toi,f£tv US tfp7], axQCix^jyseiy J" ovx
iniGxuaOai. Indes berichtet Suidas u, Ms-
Haiulh'.icli der klass. Altertumswi.sscnscbaft. TU. 2.
hGGog, dass der Philosoph Melissos dem
Tragiker Sophokles eine Seeschlacht ge-
liefert habe.
^) Weiter ausgeschmückt ist der Vorfall
von Cicero de off. 1, 144: bene Perides, cum
h'iberet collegam in praetura Sophoclem
poetam iique de communi officio convenis-
sent et casu formosus puer praeteriret
dixissetque Sophocles „o puevum pulchrum,
Fericle," „at enim iiraetorem, Sophocle, decet
non solum manus, sed etiam oculos absti-
nentes habere "
«) Vgl. ZuRBORG, Herrn. X, 206 ff., Clas-
SEN in Verh. d. Kieler Philol. Vers. 114 ff.
Von dem Studium, das Sophokles dem Hero-
dot zuwandte, zeugt die Anlehnung von Oed.
Col. 337-41 an Herod. II, 35, von Electr.
417-23 an Herod. I. 108; hingegen wird
der Anklang von Ant. 905 — 14 an Herod.
HI, 119 auf spätere Interpolation zurück-
zuführen sein, und kann ebensogut Oed. R.
261 f. dem Herod. IX, 68 als umgekehrt
nachgeschrieben sein.
'') Bezeugt durch CIA. I, 237.
Aull. 13
194
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
rarog eiiu, av S^ TtQsaßinaTOQ. ^) Im hohen Alter ward er nochmals in die
Politik hineingezogen, wenn anders die Nachricht bei Aristoteles Rhet. III,
18 auf unseren Tragiker bezogen werden darf. 2) Danach verteidigte sich
Sophokles, als er im J. 411 Probulos des Rates gewesen war und nach
dem Sturz der Oligarchen vor Gericht gestellt und der Mitschuld der Ein-
setzung des Rats der Vierhundert beschuldigt wurde, mit der Verlegen-
heitsausrede, dass er keine bessere Wahl gehabt habe. Auch ein geist-
liches Amt, das Priestertum des Heros Alkon, verwaltete er und bezeugte
seinen frommen Sinn durch Stiftung einer Kapelle des '^HQaxXrjg ^r^vvrr^g^)
und durch Dichtung eines Päan auf Asklepios, ^) von dem neuerdings Bruch-
stücke in einem Asklepiosheiligtum am Südabhang der Burg gefunden
wurden.-'') Übrigens ward es ihm noch zu besonderer Ehre angerechnet,
dass er nicht, wie Aischylos, Euripides und andere verlockenden Ein-
ladungen an Fürstenhöfe folgte, sondern als avrjQ (fiXa^r^vaiog ähnlich wie
Sokrates stets in Athen geblieben ist.*^)
149. Im Privatleben gewann Sophokles durch Liebenswürdigkeit und
Anmut die Herzen Aller und wusste durch heiteren Witz und Humor die
Unterhaltung zu würzen. Den süssen Gaben der Aphrodite war er keines-
wegs abhold; auch von der Verirrung des griechischen Altertums, von der
Liebe zu schönen Knaben, scheint er sich nicht frei gehalten zu haben. '^)
Verheiratet war er mit Nikostrate ; Sprosse dieser Ehe war lophon, der,
wie sein Vater, die Laufbahn eines tragischen Dichters einschlug. Die
Dichterlegende weiss ausserdem von der Liebe des greisen Dichters zur
Sikyonerin Theoris und dem Ariston als Frucht dieser Verbindung zu er-
zählen.*) Enkel des Dichters war Sophokles, der aber nicht von Ariston,
^) Im Schol. zu Aristoph. Pac. 696 wird
dem alternden Sophokles der Vorwurf der
Gewinnsucht gemacht mit der Bemerkung
'Atyeica (fe ort ix rijg axQtarjyiag rfjg fV ^afxo)
7]QyvQia(iTo. Hier ist die zweite Strategie
mit der ersten verwechselt; vielleicht ist
dasselbe oben Anm. 4 mit der doppelten Zeit-
angabe der Fall, und war Sophokles im 55.
und im 69. Lebensjahr oder 441 und 427
Stratege.
2) Bestritten wird dieses von Dindorf,
Vit. Soph. p. XX, sq.
") Cic. de div. I, 54: Sophocies, cum ex
aede Herculis patera aurea (jrcwis surrepta
esset, in somnis vidit ipsum deum dicentem
qui id fecisset, quod semel ille iterumque
neglexit. uhi idem saepius, ascendit in
Ariopagum, detulit rem. Ariopagiiae com-
prehendi iuhent eum, qui a Sophocle erat
nominatus; is quaestione adhihita confe^sus
est pateramque rettuUt, quo facto fanum
illud Indicis Herculis nominatum est. Die
Vita fügt hinzu, dass Soph. für die Anzeige
eine Prämie von 1 Talent erhalten habe.
^) Et. M. 256, 6, Philostratus iun. Imag.
13 und andere (s. Jahn zur Vita Z. 88) er-
zählen von der Bewirtung des Asklepios
durch den Dichter und von der Asklepios-
kapelle des Sophokles an der Burg.
^) KUMANUDES, ^AS^r]V. 5, 340 U, BÜCHELEF,
Rh. M. 32, 318 u. 34, 302.
^) Seine eigene Gesinnung bekennt er
fr. 711: oaiig yccQ wg rvQapi^ov SfxnoQsvsrai.
X6LV0V Vrfc cTovAo? x«V eXsv&SQog /uoXr}.
'') Bei Ath. 603 e heisst Sophokles ^/Ao-
jwer^)«!^, wie Euripides cpi'koyvvrjg. Ausser dem
schönen Knaben von Chios, von dem uns Ion
bei Ath. 603 e erzählt, nennt Ath. 592b noch
einen Knaben Smikrines.
^) Hermesianax bei Ath. 598c u. Poll.
IV, 111. Welckee, Gr. Trag. I, 304 sucht
geistreich den Ursprung der Legende in dem
miss verstandenen Halbvers (piXrj yilg ?/ d^eioQig.
Suidas erwähnt noch als weitere Kinder des
Sophokles den Leosthenes, Stephanos, Mene-
kleides. Von Ath. 592 wird nach der trüben
Quelle des Anekdotenschreibers Hegesander
noch eine zweite Geliebte des Dichters ge-
nannt, die Hetäre Archippe, die er zur Erbin
eingesetzt habe. Scholl, Leben d. Soph.
365 ff, verwirft alles dieses als Missver-
ständnis, entstanden aus den bösen Nach-
reden der Komiker, indem er sich auf die
Darstellung des Piaton de rep. I, p. 329 b
(Ammianus Marcell. XXV, 4) berief, wo
Sophokles sich rühmt, im Alter des bösen
Tyrannen der Liebesleidenschaft losgeworden
zu sein.
C. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles (§ 149).
195
sondern von lophon abstammte.^) Übrigens scheint es in dem Hause des
alten Sophokles nicht an Zwistigkeiten zwischen Vater und Sohn gefehlt zu
haben; nach einer vielfach bezeugten Überlieferung klagte lophon seinen
Vater bei den Geschlechtsverwandten {(fQccTOQsg) wegen Geisteszerrüttung
(nagavoiag) an, worauf dieser zum Beweise seiner Geisteshelle das herrliche
Preislied auf Attika im Oedipus Col. vortrug und damit die Richter zu
solchem Enthusiasmus fortriss, dass sie mit Entrüstung die Klage des
Sohnes abwiesen. 2) Die Sage ging in dieser ausgeschmückten Form auf
irgend eine Komödie zurück, welche den Handel des lophon auf die Bühne
gebracht hatte. ^) Aber an der Sache wird doch etwas wahres gewesen
sein, da auch Aristoteles Rhet. HI, 15 von einem Prozess des Sophokles
meldet, in dem derselbe sein Zittern mit der Last der 80 Jahre entschul-
digte. Auffällig ist nur, dass Aristophanes in den Fröschen V. 73 nichts
von einem Streit des lophon mit seinem Vater weiss, sondern nur abwarten
will, ob derselbe auch nun, wo er nicht mehr des Vaters Beihilfe habe, etwas
zu leisten im stände sei. Gestorben ist Sophokles als hochbetagter Greis von
91 Jahren unter dem Archen Kallias, im Herbste 406.*) Sein Tod war
ruhig und sanft; Spätere dichteten, dass er bei dem Verschlucken einer
unreifen Traube, die ihm der Schauspieler Kallipides vom Lande geschickt
hatte, den Erstickungstod gestorben sei.^) Kurz zuvor hatte er noch um
den Tod seines Kollegen Euripides Trauerkleider angelegt. ^) An den
Lenäen des folgenden Jahres (405) beklagten schon die beiden grossen
Komödien dichter Aristophanes in den Fröschen und Phrynichos in den Musen
den Hingang der zwei Meister des tragischen Kothurn. Das Grabdenkmal
in seinem Heimatort an der Strasse nach Dekeleia war mit einer Sirene
als Symbol der Totenklage geziert.'^) Wie einem Heros wurden ihm dort
alljährlich nach einem Volksbeschluss Opfer dargebracht.^) Die Sage, dass
der spartanische Feldherr Lysander erst nachdem er gehört, dass Sophokles
gestorben sei, den Trauerzug aus der Stadt herausgelassen habe,'-^) lässt
') CIA. 11, 072, 37.
^) Satyros in Vita 13; Cic. de sen, 7,
22 und de fin. V, 1. 3; Plut. an sen. 3; Apul.
apol. 37; Ps. Lucian Macrob. 24.
^) Vita 13: x(d nore eV &Qdfxciji etaijyaye
'locptjivxa. Vermutet wird Aristophanes, der
eine Komödie jQccfÄaza schrieb, oder Leu-
kon, von dem ein Stück 4>QdT€Q€g betitelt
war.
■*) Marm. Par. aq^ouTog ^J^tjrf]ai KctXXlov,
ebenso Diodor 13, 103. Die Zeitangabe neQc
rovg Xoag ist weder mit der p]rzählung von
der Traube noch mit der Aufführung von
Aristophanes Fröschen an den Lenäen (Jan.
Febr.) vereinbar, ausser man denkt an die
ländlichen Dionysien, die allerdings einmal
zur Zeit des Demosthenes (or. 18, 160 und
262) in Kolytos zur Zeit der Weinlese ge-
feiert wurden.
') Vit. Soph.; Anth. Vll, 20; Sotades
bei Stob. 98, 9; Ps. Lucian Macr. 24. Die
Angabe des Satyros in der Vita, dass er
beim Vorlesen der Antigone erstickt sei, war
vielleicht ursprünglich ein Spott auf die
lange, pausenlose Monodie der Antigone in
Oed. Col. 243—53, kann sich aber auch auf
die ßotenrede Ant. 1215 — 8 beziehen. Von
diesen Todesursachen weiss noch nichts
Phrynichos, der in seinen Movaca (Argum.
Oed. Col.) umgekehrt von Soph. sagte: x«-
X(og cF' ETslevTTja^ ov^sp vno^eirccg xaxov.
Das Todesjahr und die Fabeln über den Tod
des Dichters sind neuerdings besprochen von
Mendelssohn, Acta phil. Lips. 11, 161 ff.
^) Vita Eur. : Xeyovai (^s xtd 2LocpoxXta
dxovGccpxa oii hslsvTijaev, aviov ^ev Ifxci-
TLM cpaiM TJQosX&eh', TOP (fe /oQop xal Tovg
vnoxQixdg daiecfciVifixovg eiaayayeTv eV rw
TXQoayüJvL.
'') Die Grabschrift soll nach dem wenig
verlässigen Lobon (anders bei Val. Max. 8, 7)
gelautet haben:
y.Qimru) nods xdrpM locpoxlrj ttqmxsTcc ?,aß6px(c
xrj XQccyixrj xe/i'rj G/i]U(c xo OEfAvoxaxov.
^) Vita und Et. M. 256. 6.
9) Vita; Plinius H. N.,VII, 109; Paus.
1, 21. 1. Bergk deutet die Überlieferung auf
das Todesopfer, welches die Angehörigen im
19(3
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
sich mit der geschichtlichen Wahrheit nicht vereinigen, da die Einschlies-
sung Athens erst im folgenden Jahre begann. Das Bild von der Gestalt
und dem Gesichtsausdruck des grossen Toten können wir uns noch durch
die Marmorstatue des lateranischen Museums vergegenwärtigen, i) die wohl
eine Kopie des auf Antrag des Redners Lykurg dem Dichter im Theater
errichteten Standbildes ist: eine hohe Gestalt von kräftigen Formen mit
vollem Bart- und Haarwuchs, den Kopf nur wenig nach oben gerichtet,
voll Klarheit und mildem Ernst. In den Epitheten, welche ihm die Zeit-
genossen gaben — svxoXoi' nennt ihn Aristoph. Ran. 82, 7Tai6i(66rj naq'
oivor xal ös^iöv Ion bei Ath. 603 f. — und in dem Beiwort Biene
[lisXiTTo), welches ihm die Grammatiker und Epigrammatiker mit Vor-
liebe beilegten,'-^) drückt sich noch mehr als in den Zügen seines Por-
träts die gewinnende Anmut seiner Umgangsformen und die bezaubernde
Grazie seiner Rede aus. Der Vorwurf des Geizes, den ihm Aristophanes
im Frieden V. 696 macht, dass er, alt geworden, wie Simonides nur dem
Gewinne lebe, stimmt schlecht zu seinem sonstigen Wesen.-) Ein schöner
Zug von Geselligkeit liegt in der von ihm veranlassten Gründung eines
Musenvereins von Gebildeten oder Theaterkünstlern. '^)
150. Gedichtet hat Sophokles nach der Angabe des Grammatikers
Aristophanes ausser wenigen Elegien und Päanen 123 Dramen.^) Erfolge
erzielte er im dramatischen Wettkampf mehr als Aischylos und Euripides,
indem er 18 bis 20 Siege errang,^) oft den 2. Preis davontrug, niemals
auf die 3. Stelle herabgedrückt wurde. Erhalten haben sich von ihm nur
7 Tragödien in folgender Ordnung: Äiag, ^HXtxTqa, OiSinovq TVQavvog,
AvTiyovri, Tga^iviai, <t>iXoxTijTrjg, OiöiTiovg enl KoXmvojJ) Wahrscheinlich
waren diese die besten Stücke nach dem Urteil des Grammatikers, der
gegen Ende des Altertums die Auswahl traf.^) Der Ordnung lag vielleicht,
nächsten Jahr am Sterbetag dem Toten dar-
brachten.
^) Siehe Tafel; über die Statue siehe
Welcker, Denkm. d. alt. Kunst I, 457 ff.
2) Dio Chrys. or. LH, p. 273; Gramer,
An. Par. I, 19; Suidas; Schol. zu Ai. 1199,
Oed. Col. 17; Anth. VIT, 22 u. 36. Aus-
gegangen sind die Späteren von den Versen
des Aristophanes: 6 cT' av locpoxXeovg rov
fithiL xe/QiOf^ei'ov | mgtisq xadiaxov neQie-
Xsi/s ro öTÖfxa. Ath. 20 e: nQog tw xalög
ysyevfJGxfai Tr]p wQai' ijr xcd 6Q/7]azixrjv
dsö'idayfAepog xcd fxovaixijy. Vita: rov ij&ovg
Toaavrrj yiyovE %«Q(^g, wate ndvxi] xcä TjQog
icTiiiVTMv aviop aTSQyead^ai,.
^) Welcker, Gr. Trag. I, 208 u. Bergk,
Vita Soph. p. XVIII vermuten, dass sich der
Vorwurf auf die häufigere Dichtung von
Dramen während des peloponnesischen Krie-
ges bezogen habe, was bei der Höhe des
Dichterhonorars (s. § 131) als Gewinnsucht
gelten konnte.
^) Istros in der Vita: raTg de Movoaig
xhiaaop ix tüjp TiSTiaK^evfxei^wy avvayaysTv.
Vgl. Sauppe, De coUcqio artificuvi scaen.
Ind. Gott. 1870 p. 4 f. Die ai^odog tlov
7i€^l Jiopvaoy T6/ytTior will davon getrennt
wissen Köhler, Rh. M. 39, 293.
^) Diese Zahl gibt Suidas an, und damit
stimmt auch die Zahl der echten Stücke der
Vita, wenn wir mit Bergk lesen: s/si de
dQiifXttra, vijg (pr]Oiv 'Aqiarocpcivrjg qX , rovTtoi'
ÖS rspöx^evicii t,' [it,' codd.). Die Zahl kann
nicht ganz richtig sein, da sie nicht mit 4
in Tetralogien zerlegbar ist.
*') 20 Siege gab Antigonos Karystios
nach der Vita an, 24 Suidas, 18 Diodor
XIII, 103; 18 Siege an den Dionysien gibt auch
die didaskalische Urkunde CIA. II, 977; ob er
auch an den Lenäen gesiegt, wissen wir nicht.
"') Es haben sich also ebenso viele
Stücke von Sophokles wie von Aischylos
erhalten; ebenso wurden von Sophokles in
der byzantinischen Zeit, wie man aus den
Schohen sieht, nur 3 Stücke (Aias, El., Oed. R.)
häufiger gelesen; vgl. § 138 u. 105.
^) Von Antigone u. Elektra heisst es bei
Dioskorides Anth. VII, 37 uficpozeQai yuQ
axQoy, von Oed. R. in der 2. Hypothesis
i^e/SL 7i((Of]g rry? Zocfoxleovg 7toi7]G€(og und
ähnlich bei Ps. Longin 33 u. Statilius Anth.
XI, 98, von Oed. Col. ro dQajucc jiov xhav-
fuctoTidy, Philoktet erhielt den 1. Preis und
wird von Dio Chrys. or. 52 bewundert.
C. Drama. 3. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 150-151.)
197
wie Sclineidewin vermutete,') ein chronologisches Prinzip zu gründe, das
nur ein wenig durch die Voranstellung der drei im Mittelalter am meisten
gelesenen Stücke (Aias, Elektra, Oed. R.) gestört wurde. Ehe wir aber
auf die erhaltenen Tragödien im einzelnen eingehen, wollen wir zuvor von
den Verdiensten des Sophokles um die attische Bühne im allgemeinen handeln.
151. Unter den Neuerungen, welche Sophokles in der äusseren Gestalt
des dramatischen Bühnenspiels vornahm, war die augenfälligste die Ver-
mehrung der Schauspieler von 2 auf SJ) Dieselbe muss von ihm gleich
bei seinem ersten Auftreten (468) oder doch bald nachher durchgesetzt
worden sein, da alle seine erhaltenen Tragödien mindestens 3 Schauspieler
zur Aufführung fordern und auch Aischylos schon in der Orestie (458),
wahrscheinlich auch schon im Prometheus und in den Sieben (467) von
3 Schauspielern Gebrauch machte. Denn es ist ja selbstverständlich, dass
die Gewährung von 3 Schauspielern zu gleicher Zeit allen Dichtern zu
statten kam. Zur Einführung eines 3. Schauspielers fügte Sophokles die
Neuerung, dass er sich wegen seiner schwachen Stimme von der Ver-
pflichtung entheben Hess, selbst die Rolle eines Schauspielers bei Auffüh-
rung seiner Dramen zu spielen.^) Das geschah wahrscheinlich im J. 456,
da von diesem Jahre an in den Siegerverzeichnissen neben dem siegenden
Dichter auch der siegende Schaupieler erwähnt ist.^) An die Einführung
des 3. Schauspielers knüpft mit Recht Diogenes die Vollendung der griechi-
Niir von den Tracliinierinnen fehlt ein aus-
drückliches anerkennendes Zeugnis.
^) ScHNEiDEWiN, Abhdl. d. Gott. Ges. VI,
264. Vgl. das Referat von Wecklein, Jahr-
ber. d. Alt. XIV, 1. 242. Einwendungen
erhebt Bergk, Vit. Soph. p. XL hauptsäch-
lich deshalb, weil in der Ordnung der Stücke
der übrigen Tragiker auf die Chronologie
keine Rücksicht genommen sei. Aber dass
es eine Ordnung nach der Zeit gab, beweist
die Angabe der aristophanischen Hypothesis
der Antigene, dass dieselbe an 32. Stelle stund.
Eine ähnliche Angabe findet sich in Argum.
Eur. Ale. und Aristoph. Aves; s. Böckh,
Ausg. der Antig. S. 120 An. Der Annahme
einer chronologischen Ordnung fügen sich
gut Aias, Philoktet, auch Oed. Col., wenn
man von der bezeugten (zweiten) Aufführung
ausgeht. Einige Bedenken erregt die Elektra,
die indes ebenso wie der Oed, R. vor die
Antigene nur infolge der Voranstellung der
3 meist gelesenen Stücke (Aias, El., Oed. R.)
gekommen war. Von Bedeutung für die
Erkenntnis der chronologischen Folge ist
namentlich der Versbau, für die mir mein
ehemaliger Schüler Probst folgende Tabelle
zur Verfügung gestellt hat: Auflösungen im
Trimeter hat El. 3, 16, Ant. 4, 05, Oed. C. 5,
06, Trach. 5, 9, Oed. R. 5, 93, Phil. 11,00 auf
1 00 Verse. Versteilung durch Personenwechsel
Ant. 0, Ai. 4, Trach. 4, Oed. R. 12, El. 27, Phil.
32, Oed. C. 48, mehr wie einmaligen Per-
sonenwechsel El. 1, Oed. C. 1, Oed. R. 2,
Phil. 4. Dazu kommen aber noch Eigen-
tümlichkeiten der lyrischen Versmasse, wo-
von unten bei den einzelnen Stücken.
2) Arist. Poet. 4; Diog. III, 56: (vansQ
ro nalaiop ep tfj TQayioöia tiqotbqov fxev
(.lovog 6 /oQog ^iE&Qa^chi^ev, varsQov de
(^Eonig eva vnoxQit'rjp iievQSv vnsQ rov ccvc(-
navsodca top ^oqop, xal deiheQOP Aia^vlog,
TOP ÖS tqLtov liofpoy.Xrjg, xal avven'kiJQioae
xrjv TQayioöiai'. Vgl. Dikäarch in Vit. Aesch.
13, Suidas und Vita Soph.
^) Vita: xcil noXXd exaivovqyrjaap ii^
Totg aycoai, tiqmtov fiEv xaralvGag rrjv vno-
XQiaiv rov nottjrov dt« ryi' idlccf fjLLXQO(p(jiv'iCiv '
TJc'iXca yccQ xcd 6 nonjTTJg vttexqli^sto avrog.
"*) Dieses Jahr ist aus der grossen di-
daskalischen Inschrift CIA. II, 971 ermittelt
von Oehmichen, Stzb. d. b. Ak. 1889 II, 145.
Dass die Zufügung des siegenden Schau-
spielers auf den Siegerlisten mit der Neue-
rung des Sophokles oder mit der Abschaffung
des alten Brauches, nach welchem der Dichter-
didaskalos zugleich die erste Schauspieler-
rolle spielte, zusammenhing, ist meine eigene
Vermutung, die sich leicht auch einem an-
deren aufgedrängt haben wird. Wenn des
weiteren nun in dem Leben des Sophokles
überliefert wird, dass der Dichter selbst in
der Rolle der ballspielenden Nausikaa und
des die Laute spielenden Thamyris excelliert
habe, so müssen wir nach obigem annehmen,
dass beide Stücke, die Nausikaa und der
Thamyris, in die Zeit vor 456 oder zwischen
468 und 456 zu setzen sind.
198
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
sehen Tragödie; denn über sie gingen die Alten nicht hinaus und mit ihr
erst hat Sophokles die kunstvolle Durchführung einer verschlungenen Hand-
lung und die wirksame Gegenüberstellung verschiedener Charaktere, wie
der Antigene und Ismene, der Elektra und Chrysothemis, ermöglicht. —
Ebenso wie die Zahl der Schauspieler vermehrte er die der Choreuten,
und zwar von 12 auf 15.^) Diese Neuerung ist später wie die zuvor be-
sprochene eingeführt worden, da wir sie noch nicht im Agamemnon des
Aischylos und selbst noch nicht im Aias unseres Dichters treifen. Wiewohl
von minder hoher Bedeutung, hat sie doch eine ebenmässigere Aufstellung
des Chors beim Stand auf der Thymele ermöglicht und ausserdem dem
Koryphaios eine selbständigere Stelle verschafft, zumal wenn derselbe in
zwei gegenüberstehende Reihen [avxiTiQoawTioi) auseinandertrat. Darin
beruht aber auch der Zusammenhang der beiden Neuerungen, indem nun-
mehr der Chorführer in den Wechselgesprächen gleichsam als 4. Schau-
spieler den 3 Schauspielern der Bühne gegenübertrat.-) Der Lexikograph
Suidas erwähnt auch eine eigene, in Prosa geschriebene Schrift des Sophokles
TtsQi Tov xo^oi5, worin derselbe gegenüber Thespis und Choirilos, den ersten
Ordnern des Chors, die Vorteile seiner Neuerung auseinandersetzte. —
Seine weittragendste Neuerung bestand in der Loslösung der einzelnen
Dramen von ihrem tetralogischen oder trilogischen Zusammenhang, was
Suidas mit den unklaren Worten ausdrückt: tjq^s tov dgäfjia nqog ^Qocfia
aycovf^ead^cci, äXXd ixi] rsTQakoysiCi^^ai (v. 1. TSTQaXoytav). Die Erklärung
der Worte geben uns die Tragödien des Sophokles selbst an die Hand,
wenn wir es auch schwer empfinden, dass uns gerade von ihm keine
einzige vollständige Didaskalie und keine Angabe über die mit den ein-
zelnen 7 Tragödien zugleich gegebenen Stücke erhalten ist. Vor wie nach 1
aber traten die Tragiker an den grossen Dionysien mit 4, nicht etwa mit ij
1 Drama in den Wettkampf; vor wie nach auch erhielten die einzelnen i
Choregen und Dichter nur 1 Preis auf Grund ihrer Gesamtleistung in den !
4 Stücken.^) Ob seit Sophokles' Neuerung die 3 Stücke einer Trilogie {
auf 3 Tage verteilt und das Gesamturteil erst aus dem Urteil über die j
einzelnen Stücke gewissermassen zusammengerechnet wurde, darüber lassen j;
sich nur Vermutungen aufstellen.^) Aber was wir aus den erhaltenen ,
^) Vita : rovg de /oQSvrclg noiTJaag avxl
tß' le, ebenso Suidas.
^) Darauf ist besonders aufmerksam ge-
macht von Hense, Der Chor des Sophokles,
Berl. 1877; vgl. auch meine Metrik, 2. Aufl.,
S. 670. Beachtenswert ist auch, dass gegen-
über den vielen nach dem Chor benannten
Stücken des Aischylos fast alle Stücke des
Sophokles nach der Hauptperson den Namen
haben.
^) Die zahlreichen Belege für die beiden
Sätze sind zusammengestellt von Bergk, Gr.
Lit. III,.231.
*) Über diese Vermutungen s. Bergk,
Vita Soph. p. XXIX. Dindobf, Vita Soph.
p. XXXV bezweifelt die Echtheit der Über-
lieferung und will den Absatz in der Fassung
rov fxrj dQufxa . . dem Artikel 4>{)vri/og zu-
weisen. Ad. Scholl, Gründlicher Unterricht
über die Tetralogien des alten Theaters,
Leipzig 1859, polemisiert ohne Glück gegen
die im Texte gegebene, wesentlich auf
Welcker zurückgehende Deutung und er-
klärt S, 37 den Satz des Suidas für eine
falsche Vorstellung der Späteren. Schöll's
Anschauung von einem inneren Zusammen-
hang der Oedipusstücke sucht geistreich,
aber ohne Erfolg Vischer, Allg. Zeit. Beil.
1861 Nr. 186 — 9 zu verteidigen. Die Sache
ist endgültig zum Austrag gebracht von
L. Schmidt, Bilden die 3 thebanischen Tra-
gödien eine Trilogie? in Comm. phil. Bonn.
219 — 259. Die Annahme einer Verteilung
der 3 Stücke auf 3 Tage rät allerdings der
Vi'^ortlaut der Suidasstelle an und wird neuer-
dings verteidigt von Freericks, Eine Neue-
D. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 152.)
199
Tragödien sehen, ist, dass Sophokles jede einzelne Tragödie in sich ab-
rundete, so dass sie auch ohne die beiden andern verstanden und gewürdigt
werden konnte. Er entschlug sich also der beengenden Notwendigkeit aus
einem kleinen Mythus, wie es z. B. der des Lykurgos war, 3 Tragödien
herauszuschlagen und brachte zugleich in die einzelnen Dramen mehr Leben
und Handlung, indem er aus dem Gesamtmythus den Punkt herausgriff,
der sich zur lebensvollen dramatischen Handlung am meisten eignete. So
sind also die 3 Tragödien Oed. Rex, Oed. Col., Antig., welche dem
Inhalt nach zur trilogischen Zusammenfassung wie gemacht scheinen, jede
für sich gedichtet und jede zu einer anderen Zeit aufgeführt worden. —
Bezüglich anderer unbedeutender und bestrittener Neuerungen des Sophokles
hören wir, dass er den Krummstab der Greise und die weissen Schuhe der
Schauspieler und Choreuten erfunden, i) die Scenenmalerei vervollkommnet, 2)
die phrygische Tonart und dithyrambische Weise in die Theatermusik 3)
eingeführt hat.
152. Die Neuerungen in der Form des dramatischen Spiels waren
gute, zum Teil ausgezeichnete Griffe unseres Meisters; aber höher steht
doch der geistige Gehalt, den er den Schöpfungen seines dichterischen Genius
einzuatmen verstand.^) Lob verdient da zuerst die Charakterzeichnung so-
wohl in Bezug auf Naturwahrheit, als auf Idealität der Auffassung. Seine
Personen sind unserem Herzen und unserer Empfindung näher gerückt als
die des Aischylos; nicht übermenschliche, gigantische Kräfte lässt er spielen,
die zarten Regungen der Liebe, die staatsmännische Weisheit des Herr-
schers, die Gegensätze des Geschlechtes und Alters kommen zum klar
umrissenen Ausdruck. Aber es fallen deshalb nicht, wenn wir von den
nebensächlichen, mit Humor nach dem Leben gezeichneten Boten- und
Wächterrollen absehen, die Personen aus der erhabenen Höhe der Heroen-
zeit in die platte Trivialität der gemeinen Gegenwart herab. Sophokles
selbst war sich dieser seiner Vorzüge in der Charakterzeichnung klar be-
wusst; sagte er doch in einem berühmten Ausspruch, er stelle die Menschen
dar wie sie sein sollten, Euripides wie sie wirklich seien. ^) Dabei ver-
stand er es durch scharf markierte Gegensätze in den Charakteren, wie
der heroischen Antigene und der zartbesaiteten Ismene, des schlauen Odys-
seus und des offenherzigen Neoptolemos, des starrsinnigen Aias und der
hingebenden Tekmessa, Konflikte geistiger Mächte in die Tragödie zu bringen.
Mit Geschick hat er endlich in der Charakterzeichnung auf die Natur und
Fähigkeiten seiner Schauspieler, von denen uns Apollonios und Tlepolemos
rung des Sophokles, in Comm. Ribbeckianae
1888 S. 205-15.
^) Vita: ^ccrvQog de cprjaiu ort xcd rr]y
y.ccfxnvXrjy ßaxrrjQiap avrog i7isv6't]Gev ' cprjol
&6 xcd lazQog rag ?.svxdg XQtjnWag uinov
i^€VQf]X€yat, äg vnodovvTUi ot t€ vnoxQiTctl
xccl ol j(0Qsvrai, xat riQog rüg (pvasig avxMv
yQuxpca T« &Qdfxara.
'^) Arist. Poet. 4: TQEig (fs vnoxQiTug
x((i GX7jvoyQttCfiav locpoxlijg TKtQsaxEvaasp.
Aber schon für Aiscliylos hat Agatharchos
nach Vitruv VII praef. Dekorationen gemalt.
^) Vita: (ftpl de 'jQiaxo'^svog wg nQMXog
Tioy ^AdrjVfjS^Ev 7ion]XO}V xrjv 4>Qvy'Lav fielo-
noiiav eig xd tdia lia fxaxa naoelaße xcd xov
dii^j^Qa^ußixov XQOTTov xaxefii^ev. Die dithy-
rambische Weise scheint sich auf die Frei-
heit des häufigen Rhythmenwechsels in den
Gesangspartien zu beziehen.
■*) 0. Ribbeck, Sophokles und seine
Tragödien, in Sammlung wiss. Vorträge,
88. Heft.
•'') Arist. Poet. 25: locpoxX^g ecprj ctvxog
fj.ey oi'ovg &£c noiety, EvQinidfjv de oloi eicjiv.
200 Griechische Litteratiirgeschichte. I. Klassische Periode.
genannt werden, 1) Rücksicht genommen, wie denn ganz unverkennbar An-
tigene und Elektra, Ismene und Chrysothemis denselben Schauspielern, wie
man sagt, auf den Leib geschrieben sind. — Im Aufbau des Dramas hält
er immer den Blick fest auf die eine Handlung und die in ihr verkörperte
Idee gerichtet; alles Beiwerk, was den Blick zerstreuen und die Aufmerk-
samkeit von dem einen Ziele ablenken könnte, wird sorgsam vermieden.
Mit bewusster Geistesklarheit, nicht nach den Eingebungen eines dunklen
Gefühles hat er sich den Plan seiner Stücke bis ins Einzelne entworfen
und ihn in strenger Gesetzmässigkeit so durchgeführt, dass kein Glied
aus der Reihe fällt. Insbesondere zeigt sich das in den Chorgesängen,
die stets bei der Sache bleiben und den Gefühlen, welche die Handlung
auf der Bühne in jeder fühlenden Brust erregen musste, entsprechenden
Ausdruck leihen. Auch diese Seite der Kunst des Sophokles hat gerechte
Würdigung bereits bei Aristoteles gefunden, der Poet. 18 die Weise, wie
er den Chor behandelte, als Muster hinstellt: xal t6v xoqov öt t'va ösT
imoXaßslv iMv vtioxqitmv xal fxoQioi' sivai, tov oXov xal avvayMvi^eaO^ai^
ixi) &(STieQ EvQiTiiSi] ccXX' McfTüfQ 2o(foxXei. Aber nicht die Stelle eines be-
liebigen Schauspielers nimmt der Chor des Sophokles ein; er vertritt das
in der Stimme des Volkes zum Ausdruck kommende sittliche Bewusstsein;
er steht mit seiner ruhigen Klarheit über dem Kampf der Leidenschaften
und bildet so recht das ideale Element in der sophokleischen Tragödie.'-^) —
Die Hauptaufgabe der Tragödie, die Erregung und Reinigung von Furcht
und Mitleid, lässt sich, wie Sophokles richtig erkannte, nicht lösen ohne den
erschütternden Umschwung {neQmsTeia) des Geschickes der Hauptpersonen.
Unglück, Tod und Jammerklage bildeten von jeher die Sphäre der Tragödie ;
aber den Umschwung von der sonnigen Höhe des Glückes zum finsteren
Todesgrauen den Zuschauern vorzuführen, sie in banger Spannung um ihre
Helden zittern zu lassen, das verstand er meisterlich. Dazu diente ihm
der glückliche Griff in der Wahl des Stoffes und das rechte Geschick in
der Bearbeitung desselben. Einfache Handlungen {änXai tQay(odiai), wie sie
Aischylos liebte, taugten ihm nicht; selbst im Aias und Oedipus Col. wusste
er die geradlinige einfache Bewegung durch Zwischenfälle zu unterbrechen
und zu beleben. Verwickelte Mythen (nenXsy^isvai TgayioSiai) also mit
grossartiger Peripetie suchte er aus und half durch geschickte Zudichtungen,
wie von der unglücklichen Liebe des Haimon oder dem Missgeschick des
Orestes bei den pythischen Spielen, der Dürftigkeit des überlieferten Mythus
nach, ohne, wie Euripides, den Pfad der Überlieferung gänzlich zu verlassen
und sich ins Romanhafte zu verlieren. Die Lösung des Knotens (Ivaig)
führte er durch geschickte Schürzung desselben {nXoxrj) und den in dem
Charakter der Personen und der ganzen Anlage des Stückes begründeten
Fortgang der Handlung herbei. Nur einmal, in dem Philoktet, nahm er zu
dem bequemen Ausweg der Göttermaschine seine Zuflucht. Indem er aber so
dem sittlichen Willen des Einzelnen erhöhten Einfluss auch auf sein Geschick
zumass, milderte er die Herbheit der alten Vorstellung von einem blind-
waltenden Verhängnis. Es ist nicht bloss allegorisches Spiel, wenn er im
^) Schol. Arist. Nub. 1266, Ran. 791 ; | ^) Auf den sophokleischen Chor passt
vgl. Vita 6. I Horaz a. p. 193 ff. u. Aristot. Probl. XIX, 48.
C. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 153.)
201
Oed. Col. lo81 dem Zeus, dem Lenker der Welt, die Dike zur Beisitzerin
gibt. In diesem Glauben an eine sittliche Weltordnung und in der ehr-
furchtsvollen Scheu vor den ewigen Gesetzen edler Menschlichkeit, offen-
bart sich zugleich auch die tiefe Religiosität, welche die Alten an ihm
rühmten und welche ihn mit demutsvollem Glauben selbst an Seher- und
Orakelsprüche erfüllte.') — Auch auf die kleineren Hilfsmittel der Span-
nung und Gemütserregung verstand er sich einzig. Die Wiedererkennungs-
scene in der Elektra steht an ergreifender Wirkung keiner euripideischen
nach. Mit besonderem Geschick aber handhabt er die Kunst der tragi-
schen Ironie in einzelnen Ausdrücken wie in ganzen Scenen.^) Wie musste
nicht der Zuschauer, der schon den Verlauf und Ausgang der Verwicklung
voraus wusste, tief von der Nichtigkeit alles menschlichen Witzes durch-
drungen werden, wenn er den Oedipus die Worte sprechen hörte dXX'
ovtiot' si{.a Tolg (fvzevaaaiv f ofiov (V. 1007), während er thatsächlich
schon längst in unseliger Nähe mit seiner eigenen Mutter zusammenlebte.
153. Edel und erhaben wie die Charakterzeichnung ist auch die
Sprache des Sophokles. Auch hier hielt er, seinem grossen Zeitgenossen
Pheidias vergleichbar, das schöne Mass, die rechte Mitte zwischen den
Extremen : den Schwulst des Aischylos hat er abgestreift, von dem Markt-
gezänke des Euripides hielt er sich fern.^) In der Anmut der Sprache, nicht
bloss in dem Anschluss an die Mythen des epischen Kyklos erkannten
die Alten den homerischen Zug in der sophokleischen Poesie.^) Von dem
Honigseim, den Aristophanes in seiner Rede fand, war bereits oben die
Rede; doch vom Süsslichen ist seine Sprach- und Denkweise weit ent-
fernt, umgekehrt sind für unser Gefühl die Gedanken und Worte der An-
tigene und Elektra oft zu herb und verstandesmässig.^^) In dem Versbau
und den Rhythmen entfernte er sich ein wenig von der Strenge und Gesetz-
mässigkeit des Aischylos. Insbesondere erlaubte er sich im Trimeter des
Dialoges häufigere Auflösung der Längen und Zerschneidung des Verses
durch Personenwechsel, ja selbst einigemal den Apostroph am Versschluss.^)
Die freien Masse seiner Chorgesänge und Monodien haben weder die
Mannigfaltigkeit noch den einfach durchsichtigen Bau des Aischylos ; doch
schliessen sich die Rhythmen gut der jedesmaligen Stimmung an, und wenn
manche Strophen schwerer zu recitieren sind und uns nicht so leicht ins
Gehör gehen, so ist daran der Verlust der Melodien schuld. Jedenfalls steht
der rhythmische Formenreichtum des Sophokles weit über dem Leierkasten
des Euripides und bilden gerade die Chorgesänge wegen der Tiefe und
Hoheit der Gedanken und der schmiegsamen Schönheit des sprachlichen
Ausdrucks die schönsten Perlen im Ruhmeskranz unseres Dichters.'') Fassen
^) Schul, ad El. 831 : rf Aew? dfirj/ai/sr
6 lofpoidfjg Big rovg S^sovg ß'kaacprjfj.wv ' xal
yciQ 8ig iju TöiV d^soasßeatchojy.
^) Thiklwall, On tlie irony of So-
phodes, Phil, Mus. 11, 483 ff. = Philol. 6,
81 ff.
^) Plut. de profectu virt. 7.
^) Polemon bei Suidas: tXsysp ovv'Ofxr]-
Qov fAFr Io(foxX£C( 8711x6}/, locfoxXici öaOfxr]-
Qoy XQayixöv. Vgl. Dionys. de comp. 24;
Dio Chrys. or. 52 p. 272.
^) Diog. IV, 20 von Polemon : »yV cTe xtd
cpiXoaocfox'kfjg xal juccXiara ev ixeivoig . .
fW« i^v xatcc xov 4>Qi^Pi/oi/ ov yXv^tg ovd^
vTTo/vTog aXXd TlQäfxPiog.
6) Ath. 543 e. Vgl. meine Metrik, 2.
Aufl., S. 304; man nannte diese Nachlässig-
keit nach Schol. Heph. p. 143 W. oxrjfxa lo-
cp6x?:eiop.
') Schol. ad Ocd. C. GG8: Io(poxXi]g
202 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
wir alles zusammen, so begreifen wir die Verehrung, welche selbst die
Komiker dem Sophokles entgegentrugen, und welche die Künstler durch die
Tänie, die sie ihm ins Haar flochten, zum Ausdruck brachten. i) Das Urteil
der Zeitgenossen gibt Xenophon wieder, wenn er Mem. I, 4 im Epos dem
Homer, im Dithyrambus dem Melanippides, in der Tragödie unserem
Sophokles die Palme reicht. 2)
154. Der erhaltene Ai'ag ist fxacfTiyocpoQog im Gegensatz zu dem Al'ag
AoKQog zubenannt von der Geissei, welche Aias über dem Widder, dem
vermeinten Odysseus, schwingt (V. 110). Der Stoff, schon von Aischylos
in den OQJjaam behandelt, war der kleinen Ilias des Lesches entnommen,^)
hatte aber für Athen ein spezielles lokales Interesse, da der Salaminier
Aias zu den Stamm heroen Attikas gehörte. Im Anschluss an das Epos
stellt Sophokles im Eingang den Aias dar, wie er rasend über die Tiere der
gemeinsamen Beute herfällt in dem Wahne, dass diese seine Feinde, die
Atriden und Odysseus, seien. Die unheimliche Gestalt der feindseligen
Göttin Athene, die dem Odysseus das schreckliche Bild des rasenden Aias
zeigt, ist neu, wie der Verfasser der Hypothesis bemerkt; sie ist hinzu-
gefügt, teils um die Macht der Gottheit über die in ihrem Stolze sich über-
hebenden Menschen klar vor Augen zu führen (V. 118 — 133), teils um den
Zuschauern den Anblick der grausen Mordscene zu ersparen. In der alter-
tümlich gebauten, durch anapästische Systeme eingeleiteten Parodos be-
jammert sodann der Chor der salaminischen Schiffsmannen die durch der
Götter furchtbaren Zorn herbeigeführte Sinnesverblendung des geliebten
Führers. Bald darauf sehen wir den Helden selbst, durch ein Ekkyklema
auf die Bühne gerollt, in dumpfer Verzweiflung dasitzend. Erweicht durch
die rührenden Zureden der Tekmessa und den Anblick seines einzigen Kindes
Eurysakes, scheint er nochmals von Todesgedanken abzustehen und sich
unterwürfig der Notwendigkeit zu fügen, so dass der Chor in einem Tanz-
lied an Pan (693 — 718) seiner Freude über die Umstimmung des Führers
Ausdruck gibt. Aber die Umstimmung war Täuschung; schon am Schlüsse
des nächsten Epeisodion erblicken wir, nachdem wir durch Kalchas War-
nungen auf das nahende Geschick vorbereitet worden, den Aias in ein-
samer Waldesgegend vor dem scharfgeschliffenen Schwert, in das er sich
nach dem berühmten Monolog (815 — 865) an den bitteren Todesbringer
stürzt. Mit dem Tode des Helden endigt aber nicht die Tragödie; der
zweite, über 500 Verse füllende Teil dreht sich um die Bestattung des
Leichnams, den die Atriden den Hunden vorwerfen wollen, den aber doch
nach langem Streit der treue Halbbruder Teukros dem Mutterschoss der
Erde übergibt. Dieser 2. Teil missfällt uns, da wir nach der Katastrophe
inl To tdiop dnuvTsT ^uQay.xi](iiam6v, x6 j 470 ff.
y'AaqjvQov xcd loJoxoi^ fis'Aog. Dazu Dio Chrys. '') Ähnlich der Grammatiker der Vita
or. LH fin.: t« de ^eh] ovx t/SL nolv ro ' Aesch., der die Tragödie unter Sophokles
yycDjLiixoy ov'ö's itjp TiQog ÜQsrtjy TtciQuxhptr, \ ihren Höhepunkt {Ts'Asiorrjg) erreichen lässt.
j
iöaneQ rd EvQinidov, rj&ovrjv de &avjxciax'i]v
y.al f^eyaXoTiQeneiuy, (oars fxi] slxrj loiavicc
ttsqI ccinov Tov ^jQiarocpdyi] EiQt]xevca '
6 (V civ locpoxXeovg xov /uehTt xe/Qi^fuei^ov
dioTieQ xad'iay.ov neQulei^e to (jn\ua. j i'eiai x«l eavtdi^ dvai^el
^) Welckeb, Denkm. d. alt. Kunst. I,
^) Proklos ehrest, p. 238 W.: ?; rwv
07iXa)y ygiotg yivezcii xal 'Odvoaevg fisrd
(3oi'Xf]aii' 'AS^ijydg Xa^ßdvsi. AXag de e^uavvjg
yevofxepog ri]v ts Xeiav tior 'A^aiaiv Xvjuccl-
C. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 154 -155.)
20:
nicht noch ein so langes Nachspiel erwarten, und wurde daher von ver-
schiedenen Seiten auf eine spätere Überarbeitung des Stückes zurück-
geführte) Aber der Dichter hat ihn deutlich in dem Monologe des Aias
V. 827 f. angekündigt, und die alten Zuschauer werden ihn bei dem religiösen
Gewicht, das sie auf die Totenbestattung legten, günstiger beurteilt haben.
Der lange Streit, zumal des Teukros mit dem übermütigen Agamemnon
und dem Menelaos, dem Repräsentanten des rohen Spartanertums, war
überdies Sirenenmusik für die Athener, die gewiss mit lautem Beifall den
Vers 1102 ^TtdQrrjg dvaaawv rjX&sg, ovx rj^iMv xQaron' aufnahmen. Viel-
leicht rechtfertigte auch der trilogische Zusammenhang die lange Aus-
dehnung des Schlussteiles; denn bei dem hohen Alter unseres Stückes ist
es erlaubt anzunehmen, dass dasselbe noch nach Art der äschylischen
Tragödien mit dem Teukros und Eurysakes^) zu einem Ganzen verbunden
war. Dass aber der Aias aus der älteren Periode des Sophokles stamme,
dafür spricht ausser dem äschylischen Bau der dreigliederigen Parodos
und der steifen Gestalt der grinsenden Athene auch der Umstand, dass die
wahrscheinliche Verteilung der Epiparodos 866 — 878 unter Einzelchoreuten
auf einen Chor von 12, noch nicht von 15 Mann führt. ^)
155. Die 'AvTiyovr], das gefeierteste Drama der griechischen Litteratur ,
das dem Dichter die Ernennung zum Strategen im samischen Krieg eintrug,
wurde nach der wahrscheinlichsten Berechnung 442 oder 440 aufgeführt.*)
Der Mythus ist der alten Thebais entnommen, in welcher der Kampf und Tod
der feindlichen Brüder Eteokles und Polyneikes und die Übernahme der
Herrschaft durch Kreon erzählt war. Ob das alte Epos auch schon das
Verbot der Beerdigung des Vaterlandsverräters Polyneikes und die heim-
liche Bestattung desselben durch seine heldenmütige Schwester Antigonep)
kannte, bleibt ungewiss, da Pindar Ol. VI, 15 und Nem. IX, 24 von 7
Leichenhügeln bei jenem Kampfe spricht.'^) Selbst ob Aischylos in diesem
') Beegk. Gr. Litt. III, 378 ff. ; 0. Rib-
beck, Sophokles 19; van Leeuwen, De au-
thentia et integritate Aiacis Sophoclei, Ut-
recht 1881. Auch die häufigen Auflösungen
im Trimeter scheinen die Annahme eines
späteren Ursprungs oder einer späteren Um-
arbeitung zu begünstigen. Dass schon die
Alten ungünstig über diesen zweiten Teil
des Aias dachten, lehren die Schollen zu
V. 1123 u. 1126. — Eine lateinische Überse-
tzung des Aiax lorarius lieferte Jos. Scaliger.
'^) Über den Inhalt des Eurysakes, den Ac-
cius übersetzte, s. Welckek, Gr. Trag. II, 197 ff.
^) So G. WoLFF in der Ausgabe, dem
Muff, Chorische Technik des Sophokles, bei-
stimmt. Wendt in seiner Übersetzung S. 12
macht mit Recht für die frühe Abfassung
auch den Charakter der Versmasse und den
Umstand geltend, dass nur an 2 Stellen, im
Prolog und kurz vor Schluss 3 Schauspieler
gleichzeitig an der Handlung teilnehmen,
etwas was auf die Zeit hinweist, in der man
den Vorteil des 3. Schauspielers erst all-
mählich auszunützen begann.
') Vgl. oben S. 193 An. 4; das Jahr
sucht festzustellen Böckh im ersten Exkurs
seiner Ausg. Es dreht sich um 442 oder
440, da ins .1. 441 der erste Sieg des Eu-
ripides fällt. Bekgk, Gr. Litt. Ill, 415 wollte
deshalb, um die Antigone 441 setzen zu
können, in der Hypothesis des Stückes
schreiben : decUdaxiat de ro dgä/ua tovto
XQiaxoarov. devrsQog tjv statt XQiaxoaxop dsv-
TSQov. Eher kann man an den Ausweg
eines Sieges an den Lenäen denken, da die
Verschiedenheit der Angaben über die Zahl
der Siege des Sophokles (s. S. 196 An. 6)
möglicherweise so zu deuten ist, dass er
18 Siege an den Dionysien und 2 oder 6
an den Lenäen davontrug.
^) Die Vorstellung einer starken, gegen
Herrschergebot ankämpfenden Jungfrau ging
offenbar von der Etymologie des Namens
^ivriyovi] aus.
*^) Wahrscheinlich gehören die knrc.
nvQal der Lokalsage an (s. Böckh zu Ol. VI,
24) und beziehen sich auf die Kämpfe an
den 7 Thoren, so dass aus ihnen über Poly-
neikes Bestattung nichts sicheres geschlossen
werden kann.
204
Griochische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Teil des Mythus dem Sophokles vorangegangen sei, ist zweifelhaft, da die
Echtheit des Schlusses der Sieben, der das Verbot des Kreon und den
Entschluss der Antigone enthält, starken Zweifeln unterliegt, i) Jedenfalls
ist ganz neu von Sophokles hinzugedichtet die Bestrafung der Antigone
durch Einsperrung in ein unterirdisches Grabverlies, wozu dem Dichter die
Sage der Danae und die alten unterirdischen Grabkammern im Lande der
Argiver und Minyer die Handhabe boten, 2) und ebenso das Liebesverhältnis
der Antigone und des Haimon, von dem das alte Epos so wenig etwas
wusste, dass in ihm vielmehr Haimon ein Raub der Sphinx geworden war.^)
In diesen beiden Zudichtungen offenbart sich das geniale Erfindungsver-
mögen des Sophokles: der zarte Liebesbund der Antigone und des Haimon
lässt einesteils in das Todesgrauen wilder Rachsucht den milden Lichtstrahl
süsser Empfindungen fallen und reisst anderseits den kaltblütigen Tyrannen
Kreon durch den Tod seines Sohnes und seiner Gattin mit in den Abgrund
des Verderbens. Die unterirdische Grabkammer aber war schon an und
für sich dazu angethan, wie die Heldin selbst, so auch die Zuschauer mit
Grauen zu erfüllen, ward aber vollends zur Stätte grausigster That, als
Haimon, indem er sich um den Leichnam der erhängten Geliebten schmiegte,
das Schwert erst gegen den eigenen Vater zückte und dann sich selbst
in die Brust stiess. Aber so bewunderungswürdig auch diese beiden Zu-
dichtungen sind, so hat doch noch mit mehr Glück der Dichter die Per-
sonen und Züge der alten Sage selbst benützt, um in Antigone, welche an
die ungeschriebenen, ewigen Gesetze der Natur appellierend die Bestattung
des geliebten Bruders fordert, und in Kreon, der als Vertreter der Staats-
weisheit den Leichnam des Verräters den Tieren und Vögeln zum Trasse
hingeworfen haben will, zwei sittliche Anschauungen^ von denen keiner die
Berechtigung ganz abgesprochen werden kann, in verhängnisvollen Konflikt
zu bringen und so eine neue, höhere Gattung tragischer Verwicklung zu
schaffen. 0 Dabei wiegt er die beiden sittlichen Mächte so gegeneinander
ab, dass wohl die Wagschale des Kreon sinkt, weil Menschensatzung gegen
die Heiligkeit ■ ewiger Naturgesetze zurücktreten muss,'') dass aber auch
Antigone nicht von jeder Schuld frei bleibt, indem sie in hochfahrendem
Tone die Beihilfe ihrer Schwester Ismene zurückweist und in heftiger Über-
hebung das Mass der Besonnenheit und Gesetzesschranke überschreitet.
Den Vorzügen der Ökonomie des Stückes gesellen sich andere der Cha-
rakterzeichnung und des Stiles zu. Wirkungsvoll sind die Gegensätze der
heroischen, die Grenzen der Weiblichkeit überschreitenden Antigone und
der weichen, in jungfräulicher Schüchternheit vor einem Konflikt mit der i|
Staatsgewalt zurückschreckenden Ismene, und trefflich hat der Dichter in
dem einzigen Vers ov toi awe^d^siv dXXd avficpi^sTv £(pvv (V. 523) den
•) Vgl. § 141.
-) Vermutlich wurden dieselben damals
noch für Grabkammern und noch nicht, wie
bei Pausanias, für Schatzhäuser ausgegeben.
3) Schol. zu Eur. Phoen. 1760.
■^j Nebenbei, in dem Stasimon V. 594 ff.,
verschmäht Sophokles auch nicht die Wirkung
des düsteren Hintergrundes eines im Labda-
kidenhaus sich forterbenden Fluches.
^) Ph. Mayer, Studien zu Homer und
Sophokles, Gera 1874, hat in dem schönen
Aufsatz, Über den Charakter des Kreon, sich
die richtige Auffassung dadurch erschwert,
dass er die gleiche Charakterzeichnung des
Kreon in den 3 Stücken, Ant., Oed. R. und
Oed. Col, durchzuführen sich abmüht.
C. Drama. ^. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 150.)
205
ganzen Charakter der Heldin und zugleich das geheimste Wesen des weib-
lichen Herzens enthüllt. ^) Auch die herzlose Staatsklugheit und der trotzige
Starrsinn des Kreon, der nur auf dem Gipfel des Unglücks und da zu spät
gebrochen wird (V. 1095 ff.), ist in guten Gegensatz gestellt zur zarten,
fast weiblichen Liebesempfindung des Haimon. Die Chorlieder der Antigone
aber sind aufs engste mit der Handlung verknüpft und begleiten mit der
Klarheit des Gedankens und der Tiefe des Gemütes die Wechsel der Scenen
von dem ersten Sonnenstrahl des Sieges nach langer Kampfesnot bis zur
ernsten Schlussmahnung des abziehenden Chors. — Nach einer Notiz bei
Cramer, An. Ox. IV, 315, gaben einige die Antigone für ein Werk des
lophon aus, was sich auf eine nochmalige Aufführung und Umarbeitung
durch lophon beziehen wird. 2) Euripides hat sich an dem gleichen Stoff
versucht, mit der unglücklichen Abänderung, dass er Haimon und Antigone
zusammenführte und eine Frucht ihrer heimlichen Liebe erdichtete.^) Accius
hat das sophokleische Stück für die römische Bühne bearbeitet.*) In unserer
Zeit wetteifern die humanistischen G3^mnasien aller Länder in Aufführung
des griechischen Textes der Antigone und hat Böckhs Übersetzung und
die Komposition der Chöre von Mendelssohn das antike Werk auch in
unseren Theatern und Konzertsälen populär gemacht.
156. Die 'HXsxTQa lasse ich hier folgen wegen der Verwandtschaft
der Anlage. Die Verwandtschaft beruht in der Ähnlichkeit des Gegensatzes
zwischen der heroischen, vor Rachedurst jede Regung kindlicher Liebe ver-
leugnenden Elektra und der schüchternen, aus weiblicher Schwäche auch
gegen die unnatürliche Mutter innerhalb der Schranken kindlicher Ergeben-
heit verharrenden Chrysothemis. Es hat allen Anschein, dass Sophokles,
durch den glänzenden Erfolg seiner Antigone bestimmt, sich nach einem
ähnlichen Stoff in dem Heroenmythus und nach ähnlichen Rollen für seine
erprobten Schauspieler umsah. Den Stoff und die Rolle der ersten Heldin
fand er in den Choephoren des Aischylos. Die Schwester gab ihm der
Vers des Homer / 145 ^) an die Hand. Da aber bei Aischylos die Choe-
phoren das Mittelstück einer Trilogie gewesen waren, so musste er, um
seinem Drama eine selbständige Stellung zu geben, die letzte Partie der
Choephoren, welche das Herannahen der Rachegeister ankündigt, weg-
schneiden.^) Sodann galt es ebenso wie in der Antigone die weibliche Rolle
in den Vordergrund zu rücken. Das gelang ihm, indem er den Orestes in
die zweite Stelle schob und die Elektra nicht bloss selbständig den Plan
der Ermordung des Buhlen Aigisthos fassen, sondern auch dem Bruder,
^) Daher das Urteil der alten Kunst-
richter in der Vita: o/cTf de xcuqop at\u/ns-
jQrjGui xcd TiQÜyfxmci, wffr' ex fXLXQov rjfxi-
azi/iov ij Xe^siog fxicig ölov ii]yhonoie?p tjqo-
GOJTlOy.
'^) Stelle dazu die Angabe des Satyros
in der Vita von einer Vorlesung der Anti-
gene durch den sterbenden Dichter, oben
S. 195 An. 5.
^) Vergl. Argum. Soph. Ant. ; Wecklein,
Sitz. d. b. Ak. 1878 II 186-98; über eine
Antigone des Astydamas s. Nauck TGF-
777; Heydemann, Nacheuripideische Antigone,
1868.
'*) Ribbeck, Rom. Trag. S. 483, wo un-
geschickte Abweichungen von dem Original
nachgewiesen sind.
•') Auf ihn ist angespielt El. 157: oYu
XQva6x)^£fXig Ciöet xcd ^Icpiäpaaaa. Ein Unter-
schied besteht darin, dass die Tragiker die
ylaoö'ixj] Homers 'fTAexTQa, wie die ^Enixäajij
Homers 'loxuarr,, entweder nach einer alten
Textesvariante oder nach einer anderen Sagen-
quelle, nannten.
*^) Eine leise Andeutung liegt in dem
Verse 1425.
20G Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
als er den tödlichen Streich gegen die Mutter führte, in wildem Rachedurst
zurufen lässt naiaor ei a&tieig SiTrXr^v (V. 1415). Mit gutem Recht konnte
er daher auch das neue Drama, wie ehedem die Antigone, nach der weib-
lichen Hauptrolle benennen. ^) Von dem, was er sonst gegenüber Aischylos
neuerte, ist das wirkungsvollste die Wiedererkennungsscene, wobei er sich
die anachronistische Fiktion, dass Orestes bei den pythischen Spielen ge-
fallen sei, erlaubte. In solchen Dingen hatte man seit Aischylos viel gelernt,
aber etwas ergreifenderes als die Scene, wo Elektra zuerst die Urne mit
der vermeintlichen Asche des Bruders von Orestes in die Hände nimmt und
dann in dem Überreicher der Urne ihren leibhaftigen Bruder erkennt, hat
das athenische Theater nicht gesehen. 2) Über die Abfassungszeit der
Elektra gehen die Meinungen der Gelehrten stark auseinander, so dass
sie z. B. Ribbeck für die älteste, Gruppe und Wilamowitz für eine der
jüngsten Tragödien unseres Meisters erklärten.^) In Ermangelung be-
stimmter Zeugnisse hängt die Entscheidung von dem Kunstcharakter des
Stückes, namentlich seiner metrischen Form und seinem Verhältnis zu ver-
wandten Stücken ab.^) Die kommatische Form der Parodos, die kurze,
aus nur 1 System bestehende Exodos, die häufige Verteilung eines Verses
auf mehrere Personen, endlich das Zurücktreten der Chorgesänge gegenüber
den Wechselgesängen führen uns in die jüngere Entwicklungsstufe unseres
Dichters, worauf auch die Anspielung auf das unterirdische Grabgemach
der Antigone (V. 381) hinweist. Die Elektra des Euripides ist zwar mehr
gegen Aischylos als Sophokles gerichtet, aber nicht bloss geht der Vor-
wurf des leichtgläubigen Vertrauens auf eine blosse Haarlocke (Eur. El. 530)
auf beide, sondern kehrt sich auch der Hinweis auf die Fiktion der pythi-
schen Spiele (V. 883) speziell gegen Sophokles.'') Also vor 412 und nach
440 müssen wir unsere Tragödie setzen; unentschieden lasse ich es, ob
sie vor oder nach dem König Oedipus zu setzen ist,^') und ob Euripides im
Hippolytos (428) mit der glänzenden Schilderung von den scheu gewordenen
Pferden des unglücklichen Jünglings (Hipp. 1230 — 48) die Erzählung des
Sophokles vom Wagenunfall des Orestes (El. 743 — 56) überbieten w^ollte
oder für Sophokles das nicht ganz erreichte Vorbild war.')
157. Der OiSitiovq TVQarvog,^) die erschütternde Schicksalstragödie,
^) Beachte, dass die aeschylische Tra- j eingeführt wurde, der homerh'ebende Dichter
gödie auch den Namen ^OqtoTsia hatte s. aber hier einfach den homerischen Leichen-
S. 185 An. 6. \ spielen des Patroklos gefolgt zu sein scheint.
^) Dabei war Sophokles zu nobel, als dass | ^) Erkannt von 0. Ribbeck, Leipz. Stud.
er sich, wie Eur. El. 530, über seinen Vor- VIII, 382-6.
ganger lustig gemacht hätte; umgekehrt lässt ^) Für die erstere Annahme spricht die
er im Anschluss an Aiscln-los den Orestes ; Stellung des Stückes in den Handschriften;
eine Locke am Grabe des Agamemnon s. § 150.
niederlegen (900) und Chrysothemis daraus ') Eine Wechselbeziehung zwischen t^w?;-
auf die Rückkehr des Bruders schliessen. riov Ihüptmv Hipp. 1245 und T/u7]ToTg luuoi
^) Flessa, Prioritätsfrage der soph. und El. 747 ist schwer abzuweisen, ebenso wie
eur. Elektia, Bamb. Progr. 1882, wo über die , zwischen xa&aQjijg /doi'ög Vesp. 1043 und
frühere Litteratur sorgfältig referiert ist; Rib- xa&c(Qrrjg doj/uarog El. 10. Ausserdem scheint
BECK, a. 0. 13; Wilamowitz, Herrn. 18. 214jff. j die Bemerkung des Aristoph. Equ. 558 von
^) Mit dem Gebrauch des Zweigespanns den Unfällen bei den Wagenrennen, und
(702 und 721 f ) ist für die Zeitbestimmung Nub. 534 von der Locke des Bruders mit
nichts anzufangen, da dasselbe thatsächlich ' unserm Stücke zusammenzuhängen,
erst nach dem Tode des Sophokles in Delphi ^) Das Beiwort ist erst später zugesetzt
C Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 157.)
207
wurde vermutlich zur Zeit oder nicht lange nach der Pest im Anfang des
peloponnesischen Krieges gedichtete) Der alte thehanische Mythus von
Oedipus, der ohne Wissen seinen Vater erschlug, seine Mutter heiratete,
und als er nach langen Jahren von seinen Verirrungen Kenntnis erhielt,
sich in Verzweiflung die Augen ausstach, war zur tragischen Darstellung
wie geschaffen. 2) Die drei grossen Tragiker haben ihn wetteifernd be-
arbeitet;'^) Sophokles hat die äschyleischen Stücke Laios und Oedipus ge-
schickt in der Art zu einem zusammengezogen, dass er die früheren Ge-
schicke des Oedipus in der Form episodischer Erzählungen den Zuhörern
vorführte. Die unerreichte Kunst des Sophokles aber besteht darin, dass
er erst nach und nach den Schleier von der unseligen Vergangenheij: des
Königs wegzieht, und mit glücklichster Anwendung der tragischen Ironie
den König selbst das Geheimnis enthüllen lässt. Oedipus sendet seinen
Schwager Kreon zum delphischen Orakel ab, um von Apoll ein Mittel zur
Abwendung der Pest zu erfahren: das Orakel befiehlt, die Mörder des
Laios aufzusuchen und zu bestrafen. Oedipus lässt den Seher Teiresias
kommen, um von ihm eine Spur des unbekannten Mörders zu erfahren :
der Seher bezeichnet in dunklen, den Zuschauern aber w^ohl verständlichen
Worten ihn selbst als den Mörder. Durch den lauten Streit gerufen, kommt
lokaste aus dem Palaste und erzählt, um den aufgeregten Gatten zu be-
ruhigen, die Aussetzung des jungen Oedipus und die Ermordung des Laios
am Dreiweg in Phokis: die Erzählung lässt im Geiste des Oedipus die
schreckliche Ahnung, dass er selbst der Mörder des Laios sei, aufdämmern.
Die Hoffnung, dass ihm doch wenigstens das vom Orakel angedrohte Los,
seinen eigenen Vater zu erschlagen, erspart bleibe, scheint durch die Mel-
dung vom Tode des Polybos zur Gewissheit zu werden: da verkündet der
Bote, dass Polybos und Merope nur die Nähreltern des Oedipus waren.
Vor lokastes Auge zerfliessen bereits die Nebel, Oedipus klammert sich
noch an einen Hoffnungshalm und verlangt stürmisch, den Diener zu sehen,
der den kleinen Knaben dem Hirten des Königs Polybos übergeben habe:
er kommt und löst, von Oedipus selber befragt, die letzten Zweifel, so
dass nun die ganze schauerliche Wahrheit enthüllt vor den Augen des
unglücklichen Königs liegt. So ist spannend und erschütternd die Handlung
worden, so dass er von Andern nach der
Hypothesis Oid\ TiQorsgog genannt werden
konnte. In späterer Zeit deutete man nach
der Hypothesis das Beiwort auf den Vorzug
des Stückes: /((Qityrojg ö't jvQarpov uTiccvreg
uvTov enLyqd(povaiv wg i^e/oyTu Tiuar^g rtjg
^oqjoy.Xtovg 7ioiija6(hg, xciLTiSQ iqxTrj&ivTu vno
^iXoxXtovg, (jjg (pjöt JixaiuQ/og. P^benso
der Rhetor Aristides vntQ roiy xeiruQuyp
p. 334.
') Auf diese Zeit weist die Schilderung
der Pest im Eingang der Tragödie. Ob
Perikles, der im Herbst 429 starb, noch am
Leben war, steht nicht fest; nach ihm scheint
die Herrschei macht und der freigeisterische
Sinn des Oedipus gezeichnet zu sein. Ath.
l'TGa überliefert, dass Euripides in der Medea
1.481) und Sophokles in unserem Oedipus die
grammatische Tragödie des Kallias in der
Disposition des Chors nachgeahmt habe,
woraus man jedenfalls so viel entnehmen
darf, dass das btück des Sophokles nach dem
des Kallias zur Aufführung kam; aber das
letztere ist chronologisch nicht fassbar.
'^) Arist. Poet. 14: cTeT yuQ xul i'iyev rov
OQÜP ovTOj ovfeGtKyiU rov fxvOov, üjaxe tuv
ay.ovovxa rd TTQÜyuaxa yiyvofxev« xal cpQLX-
xeip y.(d iXseiv ex xujy avjußaivovxcov, (ctieq
äv Tiü^oL xig icxovioy xov xov Oif^ino^og fxv&ov.
^) Aischylos schrieb einen Laios und
Oedipus, P]uripides einen Oedipus, worin ev
wie in Antigone, Elektra, Philoktet die Sage
stark umgestaltete, so dass Oedipus sich
nicht selber blendet, sondern von den Kriegs-
genossen des Laios geblendet wird.
208
Griecliische Litter aturgeschichte. 1. Klassische Periode.
dargestellt, wie es trefflicher kaum geschehen konnte. Fraglich ist nur,
ob auch das versöhnende Element, die Katharsis, vom Dichter nach Gebühr
berücksichtigt und die höhere Auffassung vom Schicksal und der sittlichen
Weltordnung zur Geltung gebracht worden sei. Da wird man nun zugeben
müssen, dass er gleichsam im Banne des Stoffes die alte Idee von dem
blinden Walten des Verhängnisses mehr als sonst zur Erregung von Furcht
und Mitleid verwendet hat. Aber er hat doch auch auf der anderen Seite
den furchtbaren Eindruck der dämonischen Schicksalsgewalt gemildert,
einmal durch den versöhnenden Ausgang, indem der schwergekränkte Kreon,
von Mitleid gerührt, dem geblendeten König seine beiden geliebten Töchter
zum Tröste schickt, dann durch die Zeichnung des Oedipus selbst, der,
über die Massen herrschsüchtig, jähzornig und argwöhnisch, nicht ganz
ohne eigene Schuld dem schweren Geschick verfällt. Die Tragödie fand
bei ihrer ersten Aufführung in Athen nicht die verdiente Anerkennung;
Sophokles musste gegen Philokles zurückstehen, vielleicht weil die Athener
nicht durch die Schilderung der Pest auf dem Theater an dem Feste des
Dionysos an das Unglück der Wirklichkeit gemahnt werden wollten. Aber
Aristoteles führt in der Poetik kein Drama so oft als Muster an wie den
Oedipus, und die Späteren, wie der Verfasser der Hypothesis und Aristides,
skandalisierten sich über den schlechten Geschmack der Athener, welche
einen Philokles dem Sophokles vorziehen konnten.^)
158. Die Tga^iviai haben ihren Namen von dem Chor, der aus
Jungfrauen von Trachis gebildet ist. Der Chor selbst spielt aber nur eine
sehr untergeordnete Rolle. Das Interesse der Leser verteilt sich einerseits
auf die edle Deianeira, die, wiewohl erregt durch die Ankunft ihrer neuen
Nebenbuhlerin, der schönen lole, doch nur in bester Absicht dem Herakles
das Nessusgewand schickt und, als sie von Hyllos das angerichtete Unheil
erfährt, schweigend weggeht, um durch freiwilligen Tod ihre Schuld zu
büssen, anderseits auf den Heros Herakles, dessen fürchterliche Qualen,
als das Gift des lodernden Gewandes ihm Mark und Bein verzehrt, den
Schlussteil des Dramas bilden. Durch den Prolog, in welchem Deianeira
ihr Missgeschick von der Zeit an, wo Herakles und der Flussgott um ihre
Hand warben, bis zur Gegenwart, wo sie schon 15 Monate den abwesenden
Gatten missen muss, in epischer Breite erzählt, und durch den Epilog, in
dem Herakles, über die Zeit der Handlung hinausgreifend, dem Sohne
Hyllos die kriegsgefangene lole zu heiraten befiehlt, 2) erinnert das Stück
stark an euripideische Manier. Ein grosser politischer Hintergrund und
^) Aus der modernen Litteratur gleicht
kein Stück dem Oedipus mehr wie Shake-
speare's König Lear, nur hat der grosse
Britte nicht bloss den Inhalt der beiden
Oedipus, Blendung und Tod des Königs, in
ein Stück zusammengezogen, sondern auch
die Handlung noch durch Hereinziehung
eines ähnlichen Geschicks des Hauses Glo-
cester verwickelter und krasser gestaltet,
2) Die Schlusspartie 1216—1278 erklärt
für unecht Bergk, Gr. Litt. ITT, 394 f.;
Wendt in Übers. S. 7 möchte eher ver-
zumal dieselbe weniger
In dem ganzen
muten, dass der Schluss der Tragödie ver
loren gegangen sei
Verse als alle anderen zähle
Stück wollte Schlegel eine Bearbeitung durch
lophon finden; mit der Annahme doppelter
Rezension fand sich Hermann in seiner Aus-
gabe ab. Gegen jene Hypothese wendet
sich in übertriebenerßewunderung desStückos
R. Schreiner, Zur Würdigung der Trachiniai
des Soph, 1885, Progr. von Znaim; auch
Weokletn, Bay. Gymn. Bl. XXII (1886). 399
stellt die Trach. höher als selbst die Elektia.
C. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 158 159.) 209
ein in die Zeitverhältnisse hineingreifendes Hauptmotiv fehlt unserer Tra-
gödie; dadurch steht sie namentlich der Antigone und den beiden Oedipus
nach. Der Dichter hat sich hier einfach darauf beschränkt, den Mythus
in seiner überkommenen Gestalt beizubehalten und aus den gegebenen
Motiven eine ergreifende Tragödie unglücklicher Gattenliebe zu schaffen.
Was indes dem Stück an Grossartigkeit abgeht, wird durch die Zartheit
der Empfindung und die Feinheit psychologischer Zeichnung glücklich er-
setzt. Über die Zeit der Abfassung fehlen uns bestimmte Angaben. Nach
dem unverkennbaren Anklang der Verse Trach. 1101 — 4 an Eur. Herc.
für. 1353—7, und Trach. 416 an Eur. Suppl. 567 0 fällt das Stück in
dieselbe Zeit, wie jene euripideischen, also um 420 — 415. Unter den
Römern hat Seneca im Hercules Oetaeus den Stoff frei behandelt oder
vielmehr misshandelt.
159. Der ^iloxTrjTr^g, nach der didaskalischen Überlieferung 409
aufgeführt und mit dem I.Preis ausgezeichnet, 2) behandelt denselben Stoff,
wie die gleichnamigen Stücke des Aischylos und Euripides. Der Rhetor
Dio Chrysostomos, dem noch die 3 Dramen vorlagen, vergleicht dieselben
und gibt dem Sophokles den Vorzug.'^) Euripides, dessen Philoktet 431
zusammen mit der Medea auf die Bühne kam, hatte sich noch enger
an Aischylos angeschlossen und wie jener den Chor aus einheimischen
Lemniern bestehen lassen; Sophokles, welcher auch noch einen zweiten, früh,
wie es scheint, verloren gegangenen Philoktet schrieb,^) nahm stärkere
Veränderungen vor, um aus einem Stoff, der zunächst nur zur Darstellung
schweren körperlichen Leides {rgayo)6ia rraO^r^Tixrj) geeignet schien, ein
Intriguenstück (Tgay. TisTrXsyiiu'vrj) mit glücklichem Ausgang zu schaffen.
Quelle der Fabel waren die kyklischen Epen der Kyprien und der kleinen
Ilias, worin die Zurücklassung des von einer Schlange gebissenen Philok-
tetes auf der öden Insel Lemnos und die Abholung desselben nach Troia
im letzten Jahre des Krieges erzählt war. Nach dem Auszug des Proklos
und dem Gemälde des Polygnot in der Pinakothek^) war es Diomedes,
der den Helden, von dessen Bogen die Einnahme der Priamosveste ab-
hing, von Lemnos zurückholte. Aischylos setzte an dessen Stelle nach
einer anderen Version der Sage ^) oder nach eigener Erfindung den schlauen
Odysseus, der sich für die Ausführung eines auf Täuschung berechneten
Unternehmens ungleich besser eignete. Euripides vereinigte die Darstellung
^) Darauf macht Wilamowitz, Herrn. I {^ccdeg xal dnXovf lo rov Aio/vXov e^ioi^
XVlll. 244 aufmerksam ; auf wessen Seite | oilre rd dxQißeg xal dgi/iv xal noXixixov rov
das Original, auf wessen die Nachbildung
stehe, lässt sich nicht mit Sicherheit ent-
scheiden. Aus den Nachahmungen schliesst
auf 420 — 415 Schröder, De iteratis aj). trag,
gr., in Diss. Ärgent. p. 113. Wilamowitz,
Eur. Herakl. 1, 343: Die Trachinierinnen des
Sophokles enthalten nicht nur deutliche An-
klänge an den Herakles, sondern sind ge-
radezu durch ihn angeregt; vgl. 1, 382 f.
2) Argum.: Mi^d^x^rj inl TXavxinnov,
TJQdoTog 7]v Zo(pox'krjg.
^) Dio Chrys. or. LH, p. 272: 6 :£ocpo-
xlfjq fAtaog soixep dfU(fo?y eiycti, oiJie ro cw-
llaudbncb der tlass. Altortuniswissonschaft. VII. 2. Aufl. 14
Et'Qinldov, ae^vrjp Je nva xccl f^eyccXoTiQenij
noirjaiv jQccyixiorara xal Evenearccrcc e^ovaay.
■*) Dieser zweite 4>tXoxTrJTt]g spielte in
Troia, wie der erhaltene in Lemnos; eine
klare Idee über ihn sich zu bilden, ist bei
der Spärlichkeit der Fragmente schwer; s.
Welcher, Gr. Trag. 1, 138 f.
5) Paus. 1, 22. 6.
6) Find. Pyth. I, 53 spricht, vielleicht
nach Stesichoros, von mehreren Abgesandten.
Möglicherweise wich auch in diesem Punkte
Arktinos von Lesches ab. Vgl. § 52.
210
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
des Lesches mit der des Aischylos, indem er dem Diomedes den Odysseus
beigesellte. Sophokles warf den steifen Diomedes ganz weg und gab dem
Odysseus den jungen Sohn des Achill, den Neoptolemos, an die Seite,
offenbar nach eigener Erfindung. In dieser Veränderung, mit der auch
die Zusammensetzung des Chors aus Schiffsleuten des Odysseus zusammen-
hängt, wurzelt die Stärke der neuen Tragödie des fast neunzigjährigen
Greises, in deren lebensvoller Frische wir nichts von der schwächenden
Einwirkung des Alters wahrnehmen. Denn die ganze Verwicklung ent-
springt wie von selbst dem Charaktergegensatz des klugen Odysseus, der
in seiner Schlauheit ohne jeden Gewissensskrupel Lüge und Hinterlist an-
wendet, wenn es sich um die Durchführung eines im Interesse des Gemein-
wohles geplanten Unternehmens handelt, und des offenherzigen, edlen
Neoptolemos, der sich von vornherein nur widerstrebend dazu hergibt,
sich durch falsche Vorspiegelung in das Vertrauen des Philoktet zu
stehlen, und dann, als der unglückliche, von einem neuen Krankheitsanfall
erfasste Einsiedler ihm treuherzig den Bogen übergibt, Vertrauen mit Ver-
trauen erwidert und das künstliche Gewebe der Täuschung zerreisst. Damit
geriet aber auch der ganze Anschlag, dessen Fäden Odysseus aus der Ferne
gelenkt hatte, so in Verwirrung, dass menschliche Kunst den Knoten zu
lösen nicht mehr im stände gewesen wäre und nach euripideischer Art ein
deus ex machina, Herakles, dazwischen treten musste.^) In diesem Aus-
gang, sowie in den zahlreichen Auflösungen des Trimeters und den ein-
förmigen Rhythmen der Chorgesänge erkennt man den Einfluss des Euripides.^}
160. Der OiSinovQ enl KoXmvo) ist in alten Erzählungen, wie wir
oben sahen, mit dem Greisenalter des Dichters in Verbindung gebracht und
nach einer didaskalischen Notiz ^) erst nach des Meisters Tod im J.401 von
dessen Enkel auf die Bühne gebracht worden. Aber sicher war dieses nur
eine Wiederaufführung ^) und kam das Stück zum erstenmal schon vor den
Phönissen des Euripides, deren Schluss V. 1705 ff. unverkennbar auf unsere
Tragödie anspielt,'') wahrscheinlich auch vor dem Philoktet, dessen Versbau
eine ungleich grössere Laxheit verrät, auf die Bretter, aber ob schon zu
Anfang des peloponnesischen Krieges, wie K. Lachmann, Rh. M. I, 313 ff.
und Ad. Scholl, Philol. XXVI, 385 ff. annahmen, oder erst nach dem
Frieden des Nikias im J. 420, wie Böckh, Ges. Sehr. IV, 228 ff. glaub-
würdig machte, wage ich nicht zu entscheiden.^) Jedenfalls fällt unser
^) Doch ist der Gott bei Sophokles keine
Drahtpuppe, nur gemacht, um dem Stücke
einen Schluss zu geben; er repräsentiert
vielmehr die göttliche Stimme der Liebe und
Versöhnung in der Menschenbrust, welche
den Starrsinn und den Eigenwillen der Leiden-
schaft (toiT &v}xoEi4ovg) bricht; man kann
ihn dem ^ai^oviop des Sokrates vergleichen.
^) Mein Freund Römer macht mich da-
rauf aufmerksam, wie wir auch in der Zeich-
nung der Hauptcharaktere, namentlich in
der des schlauen Odysseus, die neuere Rich-
tung der realistischer gewordenen Schau-
spielerkunst zu erkennen haben.
") Arg. II: ^^ocfo/.lrjc: 6 vidovg iö'lö'a^ei^
vlog loy ^jQiGicopog inl uQ/optog Mixonvog.
og Eüxv xirciQrog and Ka?/Mov, scp^ ov (faaii-
ol n'keiovg xöv ^iocpox'kea xelevirjota.
^) Auch die Wiederaufführung der An-
tigene war, wie wir oben sahen, in den
Didaskalien angeführt. Die bezeugte Auffüh-
rung des Oed. Col. wird für die erste und ein-
zige gehalten von Müller, Gr. Litt. I^, 582.
^) Freilich hat man diesen Schluss selbst
als spätere Zudichtung verdächtigt, worüber
unten. Auch Aristophanes Av. 1473 ff. scheint
eine Parodie von dem Hymnus auf Athen
in Oed. C. 694 ff. zu sein.
^) Beide Ansichten gehen von den zahl-
reichen Anspielungen auf das Verhältnis
C. Drama. 2. Die Tragödie, c. Sophokles. (§ 160-161.) 211
Oedipus nach dem König Oedipus ^) und hat der Dichter auf das schönste
mit dem Abendglanz seiner Kunst Athens Vergangenheit und seinen Heimat-
ort Kolonos verklärt, indem er den geblendeten König im Haine der Eume-
niden bei Kolonos Ruhe und Erlösung von seiner Mühsal finden lässt. Der
Gegenstand lud von selbst zu einer ruhigeren, mehr die Seele ergreifenden,
als die Leidenschaft erregenden Behandlung ein ; dieser Ton ist dem Dichter
trefflich geglückt, so dass heutzutage noch das Stück mit seiner Majestät
des Todes selbst auf unser verwöhntes Theaterpublikum den tiefsten Eindruck
zu machen pflegt.'^) Aber es bemühte sich überdies auch der Dichter mehr
Verwicklung in die an und für sich übereinfache Handlung zu bringen,
indem er nicht bloss dem blinden König seine Töchter als Wegführerinnen
beigibt, sondern denselben auch mit Kreon, der dem armen Greis seine
einzigen Stützen wegführen will, und mit Polyneikes, der auf dem Zug
von Argos nach Theben durch Attika kommt, in lebhaft erregten Scenen
zusammenführt. Die Hereinziehung des Kreon gab zugleich dem Stück,
ähnlich wie den Herakliden, den Schutzflehenden und dem rasenden Herakles
des Euripides, eine glanzvolle politische Staffage ; denn wie dort, so erscheinen
auch hier Athen und sein Herrscher als grossmütige Beschützer der Fremden,
die auf dem gastlichen Boden Attikas Schutz vor ihren Bedrängern suchen.
Aber der schönste Schmuck der sophokleischen Tragödie sind doch die er-
greifenden Chorgesänge und vor allem die Krone derselben, der herrliche
Hymnus auf Attika {66S — 719), welcher das euripideische Seitenstück in
der Medea V. 824 — 845 weit hinter sich lässt.
161. Von den nicht erhaltenen Dramen des Sophokles sind nur sehr
spärliche Reste auf uns gekommen, die uns in vielen Fällen nicht einmal
eine sichere Vermutung über ihren Inhalt erlauben.^) Zu einem grossen
Teile derselben hatte er als Homerfreund den Stoff aus Homer und dem
epischen Kyklos entnommen;"^) so bezogen sich auf den troianischen Sagen-
kreis 'Ah'^avdQog, 'EXe'vrjg yäfiog (Satyrdrama), ^xvQim, ^Oövaasvg }jiaiv6i.i€vog,
^I(fiYi--reia (Opferung in Aulis), 'Axmißv avXXoyog i] ^vvSsittvoi (Satyrdrama),
Mv(Toi\ TrjXs(fog, noi{.ibveg (Protesilaos Tod, wahrscheinlich Satyrdrama),
^E?.h'v7]g anaiTY^aig^ Tgooikog, naXaj^irjdrjg, (I>Qvy8g, (Potvi'^, Al^iOTifg rj M^ivmv,
^ViXoxTYiTVjg SV TQoia, Aäxaivai (Raub des Palladiums), AaoxoMv^ ^ivoov,
TlQiai,iog^ Al'ag Aoxqög^ AixfJiceXcoTiSfg, JloXv^evrj, ^AvTi^vogidai (Abzug der
Söhne des Antenor nach der venetischen Hadria), NavnXiog xaranXeMv,
NavnXiog rrvQxasvg (Schiffbruch an den kaphereischen Felsen), Navaixcca tj
j JlXvvTQiai (neu entworfen von Göthe), (I>aiaxsg^ 'OSvaasvg dxavO^onXrj^ /y
NinxQa (Tod des Odysseus durch den Rochenstachel seines Sohnes Tele=
Athens zu Theben iiHd die Unbesiegbarkeit Stückes am Schlüsse auf die allein uns be-
Attikas (V. 702) aus, die sicher auf die letzte
Zeit des peloponnesischen Krieges nicht
])assen. Scholl nimmt ausserdem starke Um-
arbeitungen des ursprünglichen Textes an.
^) Arg. Oed. tyr. : eIol 6e ymI ol ttqo-
TSQov, ov Tvqarvov imyQdcpoyrsg dicc rovg
/Qovovg T(op ^i^aoxaliixjp y.cd did tu nQay-
f^icaa. Indes möchte ich selbst auf diese
Notiz nicht allzu fest bauen, da sie möglicher- | inixio xvxho, i6q xccl oXa dgdjuaTcc noirjacd
weise ebenso wie die Stellune unseres : dxo'kovS^iov Ttj ii^' tovtü) uvdoTiotia
zeugte Aufführung durch den Enkel des So-
phokles geht.
'^) Wie günstig die Alten urteilten, sagt
uns das Argumentum: rö tff (^qc</jc< tmv
3) Welcker, Griech. Trag, im 1. Band
und im Nachtrag des dritten.
"*) Ath. 297 d: e/aige J" 6 ^ocpoy.Xrjg tm
' ' XT
14*
212 Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
gonos; danach Pacuvius' Niptra), EvQvaXog (Sohn des Odysseys und der
epirotischen Königstochter Euippe, vom Vater ohne Wissen getötet). Die
nächstgrösste Aufmerksamkeit wandte Sophokles der einheimischen attischen
Sage zu ; ausser dem Triptolemos und Oedipus Col. waren aas derselben ge-
nommen die Stücke Tr^qevg, 'ÜQsid^VKx, KQiovaa^ "icov, ÜQÖxQig^ Aiy^vg, 0afdQa,
TsvxQog, EvQvadx7jg, JaiSaXog. Endlich finden wir in den Fragmenten des
Sophokles neben den altberühmten Sagen des Hauses der Tantaliden und
Labdakiden ^) auch die Argonautenfahrt (A^a/nag, KoX%idsg^ ^xvd^cci, 'Pi^orofxoi),
den Heraklesmythus und die Sagen des Thamyris, Minos, Meleager, Bel-
lerophon (loßärrjg), der Niobe, Danae, Tyro, Andromeda vertreten. Gänzlich
verschmäht hat Sophokles Stoffe aus dem Göttermythus und der Zeit-
geschichte.
Codices: das Verhältnis ist das gleiche wie bei Aischylos: Hauptcod. ist Laurentianus
XXXII, 9 s. XI (L), nachträglich mit Scholien versehen und von verschiedenen Händen
korrigiert und ergänzt, so dass z. B. Oed. R. 800 von später Hand s. XIII zugefügt ist;
in phototypischem Druck die ganze Handschrift herausgegeben von Thompson-Jebb, Fac-
simile of the Laur. man., London 1885. Ausserdem beachtenswert Paris. 2712 s. XIII
(A mit kurzen Scholien), der nicht aus dem Laurent, abgeschrieben ist, sondern von einem
gemeinsamen Archetypus abstammt, da er die Verse Oed. R. 800 und Oed, Col. 1130, die
in L von erster Hand fehlen, sowie das dort fehlende ys'yog locpoxleovg enthält, Vergl.
A. Seyffert, Quaest. crit, de Soph., Halis 1864, Unbrauchbar sind die jüngeren, aus der
Rezension des Triklinios stammenden Codd.
Scholien : die alten aber stark gekürzten gehen auf Didymos zurück, der zu Ant, 45,
Oed. C. 237 u. a. mit Namen angeführt ist; dazu eine Vita (fehlt in L) und vnod^easig in
prosaischer und metrischer Form, welche auf Aristophanes (genannt zu Ant. u. Oed, R.)
und Salustius (genannt zu Antig. u. Oed. C.) zurückzuleiten sind. Jüngere wertlose Scho-
lien von Moschopulos u. Thomas Magister zu den im Mittelalter zumeist gelesenen 3 Stücken
Aias, Elektra, Oedipus Rex, von Demetrios Triklinios zu Aias, El,, Oed. R,, Ant.; Ausgabe
der Scholien von Elmsley-Dindorf, Oxon. 1825 — 52, 2 Bde,; neue Ausg. von Papa georgios
in Bibl. Teubn. Über die Quellen der Scholien und ihre Bedeutung für die Kritik G.
WoLFF, De Soph. scholiis Laurentianis, Lips. 1843; über ihr Verhältnis zu Suidas P, Jahn,
Quaestiones de scholiis Laurentianis, Berl, 1884.
Ausgaben: ed. princ. bei Aldus Ven. 1502, Mit den Scholien von H. Stephanus,
Paris 1568, welche Ausg, mit ihrem triklinianischem Text bis in unser Jahrh, die Vulgata
blieb, Fortschritt in der Versteilung der Cantica von Canter, Antw, 1579, — Eindringende
Studien wurden dem Soph, später als dem Eur. zu teil ; grundlegend die kritisch-exege-
tische Bearbeitung von Brunck, Argent. 1786; fruchtbringend die wiederholten Neuauflagen
der Ausgaben von Erfurdt durch G, Hermann, Lips. 1817 — 48; bedeutend für die Kritik
durch Zurückgehen auf den Cod, Laur. mit genauem Apparat die Ausg, von Dindorf,
Oxon, 1860, In der von Jacobs u, Rost geleiteten Biblioth, graec, mit lat. Anmerk, gab
den Sophokles Wunder heraus; die 4. Neubearbeitung besorgt Wecklein. — Ausgaben
mit erklärenden Anmerkungen von Schneidewin-Nauck bei Weidmann ; von Wolff-Beller-
mann bei Teubner; von Wecklein bei Lindauer in München; von Semitelos, Athen 1887,
im Erscheinen, — Kritisch-berichtigte Textesausgaben von Nauck bei Weidmann; von
Dindorf-Mekler in Bibl, Teubn,; von Schubert in Bibl, Schenkl, — Einzelausgaben: Aiax
cum scholiis et commentario j^ß'i'P^t^o ed. Lobeck, ed, II Lips, 1835, - Antigene griech.
deutsch mit Exkursen von Boeckh, Berl, 1843; cum scholiis et virorum doctorum ciiris
ed. Wex, Lips, 1831, 2 vol. — Electra in usum scholarum ed. 0, Jahn, mit Vita u. kri-
tischem Apparat, ed, III cur, Michaelis, Bonnae 1882; dazu Michaelis, Arch. Zeit. 38,
75 ff. — Oedipus Mex cum annot. ed. tertium Elmsley, Lips, 1821; adnot. van Herwer
DEN, Trai, 1867, — Oedip)us Col. cmn schol. et suis comment. ed. Reisig, Jenae 1820.
Lexicon Sophocleum von Ellendt, ed. II cur. Genthe, Berl. 1882, — Brambach,
Metr. Studien zu Sophokles, Sophokleische Gesänge, Leipz, 1869 u. 1870, — Gleditsch,
Die Cantica der sophokl, Tragödien, 2, Aufl, Wien 1883, — Chr, Muff, Die chorische
Technik des Soph,, Halle 1877, - 0, Hense, Der Chor des Soph., Berl, 1877 u, Rh, M.
1
^) Aus letzterem waren ausser den oben j welche der römische Tragiker Accius nach-
bereits genannnten (Oedipus etc.) auch noch i bildete,
die 'Eniyoroi (oder Eriphyle) genommen,
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. § 162.)
213
32, 485 ff. — Genthe, Index comment. Soph. 1874; die neuere Litteratur besprochen von
Wecklein in Bursian-MüUer's Jahrber. d. Alt.
d. Euripides (480— 406). 0
162. Euripides, der jüngere Zeitgenosse des Sophokles, trat schon
durch seine Abkunft in Gegensatz zu seinen grossen Mitbewerbern um den
tragischen Kranz; enstammten Aischylos und Sophokles vornehmen und
reichen Geschlechtern Attikas, so dass sie schon durch die Geburt zu an-
sehnlicher Stellung unter ihren Mitbürgern berufen schienen, so war hin-
gegen Euripides, dessen Eltern, Mnesarchides und Kleito, eine Zeit lang
in der Verbannung in Böotien gelebt hatten und nach ihrer Rückkehr
Krämersleute in dem Dorfe Phlya^) waren, in bescheidenen Verhältnissen
aufgewachsen.^) Sein Geburtsjahr fiel nach der einen Version^) mit der
Seeschlacht von Salamis zusammen, was dann die litterarische Sage so aus-
schmückte, dass sie den Dichter an dem Tage der Schlacht und auf der
Insel Salamis ^) geboren sein liess, nach anderen war er ein oder ein paar
Jahre früher geboren. In der Jugend erhielt er eine sorgfältige Erziehung,
so dass er an den Götterfesten der Heimat als Tänzer und Fackelträger
des Apoll mitwirkte*') und im Ring- und Faustkampf sich auszeichnete.
Der Turnkunst sagte er bald wieder Valet.^) Auch der Malerei, der er
sich in seiner Jugend widmete, scheint er nicht lange obgelegen zu haben,
obwohl er stets für das Malerische in der Poesie ein grosses Talent an
den Tag legte. ^) Es war die Tragödie, in der er das eigentliche Feld
seines Schaffens fand. Im J. 455^) erhielt er zum erstenmal mit seinen
Peliades einen Chor, musste aber bei diesem ersten Debüt mit dem dritten,
^} Aus dem Altertum ein Ttvog Eigi-
7IL&0V yal ßiog. Dazu ein Artikel des Suidas
und ein Kapitel bei Gellius XV, 20. Die
5 Briefe des Eur. sind, weil unecht, ohne
Wert. — Sämtliche Quellen zusammengestellt
und verwertet von Nauck, De Eur. vita
poesi ingenio, in seiner Ausg. Das Leben
des Dichters mit seinen Werken dargestellt
von Härtung, Eurip)ides restitutus, Hamb.
1843, 2 Bde. — 0. Ribbeck, Euripides und
seine Zeit, Bern 1860. - Wilamowitz, Das
Leben des Euripides, in Eur. Herakles 1, 1- -42.
") Suidas und Harpokration u. ^Ivsia.
^) Vita Eur.; Arist. Ach. 457. 478, Equ.
19, Thesm. 456, Ran. 840. 947. Anders
Philochoros bei Suidas : EvQtnldfjg Mi^tjaaQ/ov
rj MvrjGciQ^i^ov xal KXeitovg, oX cpevyov-
X€g Eig BoiMxiap fisjMxrjauv^ shf< ey rfj
'Jttix^ (ähnlich Stob. Flor. 44, 41) • ovx r'cXr}-
i^eg df tijg Xa^ccvoTKxyXig rju rj fj^tjrt]Q avrov '
xkI yuQ TMP a(p6^Qn evysvoJv izvy/avsp, (vg
d-no^eixvvoi 4>LX6/oQog. Die Witze der Ko-
miker, welche die Mutter des Dichters zu
einem Hökerweib machten, mögen nicht viel
Glauben verdienen, aber mit dem hohen
Adel, den Philochoros seinem Euripides
nachrühmt, wird es auch nicht weit her
gewesen sein; das ncdg ((QovQalag ^sov des
Arist. Ran. 840 muss seine Richtigkeit haben.
Daraus, dass nach der Vita und Gellius Euri-
pides in Salamis eine Grotte mit Ausblick auf
die See hatte, lässt sich noch nicht auf er-
erbten Grundbesitz auf jener Insel schliessen.
4) Vita; Diog. H, 45; Plut. Symp. VIII,
1. 1. Die Angabe des Eratosthenes in der
Vita, der den Dichter 75 Jahre alt werden
lässt, führt auf 481/80. Die parische Chronik
setzt die Geburt Ol. 83, 4 -= 485/4, was
Mendelssohn, Acta Lips. II, 161 ff. ver-
teidigt.
') Vita; in GIG. 6052 heist Eur. 2VJ«-
(xlviog. Gellius XV, 20: Philochorus refert
in insula Salamine speluncam esse taetram
et horridavi, in qua scriptitarit Euripides.
^) Ath. 424 e und Vita, vermutlich nach
Philochoros, der damit den Vorwurf niederer
Abkunft widerlegen wollte.
"') Hart ist sein späteres Urteil über die
Athleten fr. 284: ov^ev xaxiou eaxiv ad^lrjtMu
yevovg.
^) Nach der Vita zeigte man von ihm
Bilder {niväxia) in Megara. Die Kunst in
der Beschreibung von Bildern tritt in Ion
190 - 218 glänzend hervor. Vgl. Kinkel zu
Phoen. 127.
^) Irrtümlich lässt Gellius XV, 20 den
Dichter schon im 18. Lebensjahr Tragödien
schreiben.
214
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
d. i. letzten Preis vorlieb nehmen. Der Bühne blieb er bis zu seinem Ende
treu, wiewohl er erst spät mit der Richtung seiner Poesie durchschlug ^
und auch dann noch manchen Wandel in der Gunst des Publikums zu
erfahren hatte.
163. Fand Euripides in dem tragischen Spiel sein Lebenselement,
so zeigte er doch auch für andere Geistesrichtungen und insbesondere für
die Philosophie ein lebhaftes Interesse. Er besass eine auserlesene Biblio-
thek'^) und war Hörer der Philosophen Anaxagoras, Protagoras und Pro-
dikos. 3) Dem Sokrates war er befreundet und erfreute sich dessen wohl-
wollenden Beifalls; Aelian V. H. II, 13 erzählt, Sokrates habe nur selten
das Theater besucht und nur dann, wenn neue Stücke des Euripides zur
Aufführung kamen. Dabei ist aber nicht daran zu denken, dass Euripides
in ein förmliches Schülerverhältnis zu jenen Philosophen getreten sei ; er
suchte nur im freien Verkehr mit ihnen und im Lesen ihrer Bücher über
die höchsten Probleme, die damals die Geister bewegten, Aufschluss zu
erhalten. Und indem er selbst ein eifriger Anhänger des Rationalismus
und ein Verächter des alten Götterglaubens wurde, trug er durch seine
Tragödien mehr als jene Philosophen selbst zur Verbreitung der philo-
sophischen Aufklärung bei.-^) Nicht unverdient war der Ehrentitel eines
Philosophen der Bühne.'') Hingegen hielt er sich dem thatkräftigen politi-
schen Leben fern;^) er verriet auch darin im Gegensatz zu Aischylos den
Dichter der Neuzeit. Nur in seinen Dichtungen nahm er lebhaft an den
politischen Tagesfragen teil, indem er namentlich in den Tendenztragödien
aus der ersten Hälfte des peloponnesischen Krieges jede Gelegenheit er-
griff, um seine Vaterstadt zu Ehren zu bringen und gegen dessen Feinde
zu Feld zu ziehen.')
') Erst 441 siegte er nach Marm. Par.
zum erstenmal.
2) Ath. 3a; Suidas setzt dafür den jün-
geren Euripides, über den unten § 174.
^) Vita: (cxovazTJg yevöfxevog 'Ava^ayoQOv
xcd JlQodixov xal UQinxayÖQOv xcü ^cjXQchovg
ETcaQog. Cicero Tusc. IV, 14: fuerat ayditor
Protagorae, In Versen des Alexander Ätolus
bei Gellius XV, 20 heisst er 'Jva^ayöqov
TQÖcpifxog, auf Anaxagoras scheint zu gehen
Eur. Ale. 903—10. Auch mit Heraklits
Lehre wurde Eur. bekannt: s. Diog. II, 22
u. Eur. fr. 639. 830; Arist. Ran. 1082.
■*) Von Beweisen sind die Stücke des
Eur. voll. ; besonders sprechend sind Hec. 799,
Ion 436-51, Iph. Taur. 385-91, Troad.
884 — 8 (nach Diogenes von Apollonia), Belle-
rophon fr. 288 u. 294, Chrysippos fr. 836,
Theseus fr. 392. Peir. fr. 596, fr. ine. 904.
Dass Eur. die Lehren des Anaxagoras auf
die Bühne gebracht, deutet Piaton Apol. 26 d
an. Vgl. Luc. Jup. trag. c. 41. Bei einem
Prozess bezichtete ihn nach Arist. Rhet. III,
15 p. 1416 a 29 sein Gegner der Asebie.
Die Litteratur bei Ueberweg, Grundriss d.
Gesch. d. Phil. P 81, wozu jetzt Wilamo-
wiTz, Eur. Herakl. I, 22—30.
•') Ix7]pix6g cfilöaocfog heisst er bei Ath.
158 e u. 561a, Vitruv VIII praef. , Sext.
Empir. I, 288, Clem. Alex, ström. V, 688.
Vgl. Plat. de rep. VIII p. ^568a: rj rs rfta-
ycodici oXiog oocpov doxeT sivca xal 6 Evqi-
Tiidrjg diaq)iQ8iv sv avTrj,
6) Von Aristoteles Rhet. II, 6 p. 1384b
16 wird eine EvQinl&ov ctnöxQiaig riQog 2!vq((-
xoaiovg erwähnt, was der Scholiast auf ein
sonst nicht bekannte Gesandtschaft bezieht,
Von einer Klage,
die dem Dichter ein ge
wisser Hygiainon durch das Anerbieten des'
Vermögenstausches anlässig einer zu leisten-
den Liturgie anhängte, meldete Arist. Rhet.
III, 15.
^) So pries er Athen, indem er zum
Teil die alten Mythen ummodelte, als Schir-
merin der Verfolgten in Med. Heracl. Herc.
Suppl. Phoen. Im Menelaos der Andromache
(s. Schol. zu Andr. 445) und des Orestes
brandmarkte er die treulose Härte und Geld-
gier der Lakedämonier. Durch die Heraklideu
wird das Bündnis mit Argos empfohlen.
Gegen die Demagogen und Volksschmeichler
sind gerichtet Hec. 254 if. , Suppl. 232 ff.
Wegen der im Kresphontes repräsentierten
Vaterlandsliebe preist den Dichter Lycurg
adv. Leoer. 100.
1
I
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 163-164,)
215
164. Eine grosse Rolle spielten in dem Leben und in der Beurteilung
des Euripides seine häuslichen Verhältnisse. Verheiratet war er zweimal;
die erste Frau hiess Melito, die zweite Choirine (v. 1. Choirile);i) aber mit
beiden scheint er schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Die Skandal-
geschichte wusste namentlich von einem Famulus des Dichters, Kephisophon
mit Namen, zu erzählen, mit dem die Frau in ehebrecherischem Umgang
lebte. 2) Die Alten führten auf diese ehelichen Misshelligkeiten den Weiber-
hass zurück, den Euripides in seinen Tragödien zur Schau trägt und der
die Frauen in den Thesmophoriazusen zur Verschwörung gegen den Dichter
bewegt. Aber mit diesem Weiberhass muss es so weit nicht her gewesen
sein. Witzig entgegnete Sophokles, als einer ihm von dem Weiberhasser
Euripides sprach: sv ys ratg TQayuiSiaic^ iitsl sv ys T'fj xh'vrj (fiXoyvvrjg.
Söhne hatte er drei: Mnesarchides, Mnesilochos, Euripides, von denen der
letzte hinterlassene Stücke des Vaters nach dessen Tod zur Aufführung
brachte. Die letzte Zeit seines Lebens brachte er an dem Hofe des musen-
liebenden Königs Archelaos von Makedonien zu,^) der damals die erwähl-
testen Geister Griechenlands an seine neue Residenz in Pella zu ziehen
suchte und ausser Euripides auch den Tragiker Agathen zur Übersiedelung
von Athen nach Makedonien veranlasst hatte. ^ Vielleicht auf dem Wege
dahin wurde er in Magnesia eine Zeitlang festgehalten und durch öffent-
liche Auszeichnungen gefeiert.^) Wie Aischylos für Sikilien ein Lokalstück,
die Aitnaiai, gedichtet hatte, so dichtete auch er zu Ehren seines könig-
lichen Gönners den Archelaos, in welchem er den regierenden König unter
der Gestalt des Ahnherrn der makedonischen Dynastie verherrlichte.^)
^) Vita: yvt^(uxa df yrj^cti tiqwtijp Ms-
liTWy ö'evrsQay de XoiQLvrjp. Das Verhältnis
umgekehrt bei Suidas, zu einer Bigamie ge-
staltet bei Gellius XV, 20. Die Heirat mit
der Choirile erklärt für eine Fabel Wila-
MOWiTZ, Anal. Eur. 149 u. Eur. Herakl. 7,
vielleicht mit Recht.
-) Dieser Kephisophon gehört mit zum
Haushalt des Euripides in Arist. Ran. 1408 und
1452. Vers 944 derselben Komödie wird in
den Schollen so gedeutet, als ob Kephisophon
dem Euripides geholfen habe, namentlich
in den Liedern. Von dem Umgang desselben
mit der Frau des Dichters erzählt die Vita,
wohl auch nach W^itzen der Komödie. Eben-
daher wird die Anekdote von dem Verhältnis
des Dichters zur Schaffnerin im Hause des
Königs Archelaos stammen; s. Hermesianax
bei Ath. 598 d.
^) Vita; Philodemos de vitiis 10: So-
linus IX, 16; Lucian de paras. 35; Paus. I,
2. 2; Syncellus p. 500, 7. Von einem gol-
denen Becher, den der König beim Mahl
dem verehrten Dichter schenkte, erzählt
Plut. Mor. p. 531 d.
^j Von einer Liebkosung des jüngeren
liebenswürdigen Dichters Agathon durch Eu-
ripides erzählen Plut Mor. 770c und Aelian
V. H. XllI, 4, wahrscheinlich nach einer
Schrift des Peripatetikers Praxiphanes. Von
einem Zerwürfnis des Dichters mit einem
Höfling, der den Dichter wegen des übel-
riechenden Atems verspottet hatte, erzählen
Aristot. Polit. V, 10, p. 1311'^ 33 und Sto-
bäus Floril. 41, 6.
^) Vita: fiezear?] de iu Mayvrjaia xcd
TiQo^EVLa sTi/uijO^f] xcil dzalsnc', welches Ma-
gnesia geraeint sei, ist leider nicht ange-
geben. Auch an dem Tyrannen Dionysios
von Syrakus hatte er einen enthusiastischen
Bewunderer, der aus seinem Nachlass um
hohes Geld Leier, Griffel und Schreibtafel
erstund; s. Hermippos in der Vita. Damit
vergleiche Plut. Nie. 29: evioi xai i)V Evqi-
nl&i]v eGoi&r]oav. ^aXiara ydq wg eoixe tmv
ixTog 'EX^tji'coy €n6&t]Cc(f avrov trjv fiovaav
Ol nsQi Iixsliciv.
^) Damit steht nicht in absolutem Wider-
spruch Diomedes p. 488, 20 K: Euripides
petente Archeiao rege, ut de se tragoediam
scriberet, ahnuit ac j)recatiis est ne accideret
Archeiao aliquid tragoediae proprium^ osten-
dens nihil aliud esse tragoediam quam mi-
seriarum comprehensionem. Über den histo-
rischen Hintergrund der Sage, durch welche
das makedonische Königsgeschlecht auf den
dorischen Ahnherrn Temenos zurückgeführt
wurde, siehe Gutschmiü, Die makedonische
Anagraphe, in Comm. phil. Bonn. p. 118 ff.
216
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Seine Heimat sah Euripides nicht mehr wieder. In Arethusa bei Amphipolis
starb er im Frühjahr 406, noch vor dem Feste der grossen Dionysien;
die Sage erzählte, dass Hunde des Königs den Dichter zerrissen hätten.^)
Bei Amphipolis, an dem Zusammenfluss zweier Bäche, befand sich auch
sein Grab, das noch in später Zeit ein Wanderziel der Verehrer des Dichters
Avar.2) In Athen riss sein Tod eine grosse Lücke, ^) die auch sein bitterer
Feind Aristophanes bereitwillig anerkannte. Seine Mitbürger ehrten ihn
durch ein Kenotaph, für welches Thukydides oder Timotheos die Aufschrift
dichtete.*) Später fügten dieselben auf Antrag des Lykurg die Ehre eines
ehernen Standbildes im Theater des Dionysos hinzu. Die erhaltenen
Porträte des Dichters^) zeigen uns den Tragiker in älteren Jahren mit
spärlichem Haar über der Stirne und mageren Backen; die ganze Physio-
gnomie verrät mehr den herben Ernst eines grübelnden Moralisten als die
leichte Schaffenslust eines gottbegnadeten Dichters.
165. Werke des Euripides. Verfasst wurden von Euripides ausser
einem Epinikion auf einen Wagensieg des Alkibiades und einer Elegie
auf die bei Syrakus gefallenen Bürger 92 Dramen oder 23 Tetralogien.^')
Davon hatten sich in die Zeit der gelehrten Grammatiker 78 Stücke ge-
rettet,') darunter 8 Satyrspiele ;^) für unecht galten unter "diesen ein Satyr-
drama und die 3 Tragödien Tervrjg, ^PaSd^avd^vg, IIsiQfd^ooq. Auf uns ge-
kommen sind 19 Dramen, darunter 1 Satyrspiel KvxlMip und 1 Tragödie
von zweifelhafter Echtheit ^Prj(fog. Von diesen 19 Stücken wurden im
byzantinischen Mittelalter am meisten gelesen und allein kommentiert
die 3 Tragödien 'Ejcäßt], ^OQi'aTrjg, (ItohiaGai, Unter den erhaltenen Dramen
befinden sich mehrere, wie MijSeicc, ^oiviaaai, 'InnoXviog^ Bäxxcci, ^I(fiyeveia
SV TavQoig, die sich schon im Altertum eines hohen Ansehens erfreuten;
aber viele andere sind geringwertig und wurden von den Grammatikern
^) Älteste Zeugen für diese Sage sind
Sotades bei Stob. 98, 9 und Diodor 13, 103;
gegen die Richtigkeit derselben spricht, dass
Aristophanes von ihr nichts weiss. Nach
einer anderen bei Suidas und Anth. 7, 51
erwähnten Fassung waren es Weiber, nicht
Hunde, die den Dichter zerrissen.
'^) Ammianus Marcell. XXVII, 4.8: ^jj'o-
xima Arethusa convallis et statio, in qua
risitur Euripidis sej)ulcru7n. Vgl. Vitruv
X, 3; Plinius H. N. 31, 19; Paus. I, 2. 2.
^) Nach Athen kam nach der Vita die
Nachricht vor dem Proagon der Dionysien.
4) Vit. Eur. und Ath. 187 d.
^) S. die angefügte Tafel. Erhalten sind
uns von dem meistgefeierten und meist-
gelesenen Dichter mehrere Hermen und
Statuen; s. Visconti, Iconogr. gr. I, 5, 3;
G. Krüger, Arch. Ztg. 1870 Taf. 26 u. 1871
Taf. 1; Jahrb. d. arch. Inst. 1889, S. 98. Als
Ergänzung diene die Charakterisierung der
Vita: ay.v&Qiondq de xal avvvovg xckI aiairj-
Qog icpaivero xul fxiaoyt'kojg xal fAiaoyvvr]g . . .
iXsysTo de xcd ßa&vv ntoycova S^Qtxpca xcci
inl xrjg oxpsoig (paxovg ia/t]X6yai. Von seinem
übelriechenden Atem spricht die Vita und
Aristot. Polit. V, 10.
^) Die Zahl schwankt in der Vita und
Suidas zwischen 92 und 98 infolge der Ver-
wechselung der Zahlzeichen ß und t]; die
nicht geretteten kannten die Grammatiker
wahrscheinlich nur aus den Didaskalien.
^) Varro bei Gellius XVII, 4 spricht
von 75 Stücken; die Abweichung kommt
wahrscheinlich daher, dass die einen die
3 unechten Tragödien einrechneten, die an-
deren dieselben ganz ausser Betracht Hessen.
Auf der Rückseite der sitzenden Statue des
Euripides im Louvre ist ein alphabetisches
Verzeichnis von 37 Stücken bis 'OQsartjg
geschrieben; s. Welcker, Gr. Trag. 444 f.
Ein anderes gleichfalls verstümmeltes Ver-
zeichnis in teilweise alphabetischer Ordnung
findet sich auf einem Stein des Piräus, bei
WiLAMOWiTz, Anal. Eur. p. 139.
^) Wenn trotz23 Tetralogien Euripides nur
8 Satyrdramen dichtete, so erklärt sich dieses
daraus, dass, Avie das Beispiel der Alke-
stis zeigt, für ein Satyrspiel auch eine Tra-
gödie mit glücklichem Ausgang eintreten
konnte.
I
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 165.)
217
in zweite Linie gestellt. ^ Dieses scheint damit zusammenzuhängen, dass
die 19 Dramen, ähnlich wie die Reden des Lysias, aus zwei Sammlungen
stammen, von denen die eine eine Auswahl der besten Stücke enthielt
(Hec, Orest., Phoen., Hipp., Med., Ale, Androm., Rhes., Troad., Bacch.),
die andere sämtliche Stücke in alphabetischer Ordnung umfasste.^) Anklang
fand Euripides mit seinen Tragödien bei dem athenischen Publikum weniger
als Aischylos und Sophokles : nach der parischen Marmorchronik errang er
erst im 39. Lebensjahre unter dem Archon Diphilos (441) den ersten Sieg,
und im ganzen genommen erhielt er nur 5 mal den ersten Preis. ^) Tn
das rechte Fahrwasser scheint er erst im Beginne des peloponnesischen
Kriegs gekommen zu sein, wo der alternde Sophokles allmählich in den
Hintergrund trat und er selbst durch Anspielungen auf politische Zeit-
verhältnisse und durch Einflechtung sophistischer Weisheit der bewunderte
Liebling der jüngeren Generation ward.^) Aber um so heftiger befehdeten
ihn dann als den Stimmführer des neuen Zeitgeistes die Dichter der Komödie,
von denen namentlich Aristophanes ihn erbarmungslos hei jeder Gelegen-
heit, insbesondere in den Acharnern, den Fröschen, den Thesmophoriazusen
verspottete.^) Aber die Rhetorik und philosophische Aufklärung, sowie die
Vorliebe für das Pathetische gewann in dem Geistesleben der Griechen
immer mehr die Oberhand, und so fand auch Euripides nach seinem Tod
bei Aristoteles gerechte Anerkennung^) und bei den Dichtern der neuen
Komödie, wie Menander und Philemon, geradezu abgöttische Bewunderung.^)
Von den Griechen der späteren Zeit ging dann die Bewunderung desselben
auf die Römer über, so dass Ennius, Pacuvius, Accius, Seneca sich haupt-
sächlich ihn zum Vorbild nahmen. Auch bei den Philosophen, namentlich
dem Stoiker Chrysippos und dem Akademiker Krantor stand er in hohen
Ehren, und auf die Kunst hat er wie kein zweiter Dichter des Altertums
befruchtend eingewirkt.^) Sein Ansehen erhielt sich im Mittelalter;^) in
der neueren Zeit ward hinwiederum die Aufmerksamkeit der Gelehrten und
') Von der Andromache lesen wir in
der Hypotliesis ro dgäf^a rcou dsvzEQMu. da-
gegen von dem Hippolytos ro dgufxa ri^v
TTQWTMV.
'^) Alphabetische Ordnung gewahrt man
in der Reihenfolge des Laur. 32, 2; 'EXsv}],
HkexTQtx, 'HQccxXrj^, 'IlQaxXsidca, Icop, Ixert^sg,
'icpiyeyeia; darüber Wilamowitz, Anal. Eurip.
136 ff., der die ähnlich mangelhafte Ordnung
auf dem Stein des Piräus vergleicht; ich
erkläre mir die Störung der alphabetischen
Folge aus der Verlegung der Bände, die
ursprünglich nach dem Alphabet geordnet,
und in deren jedem wiederum die darin ent-
haltenen Stücke alphabetisch geordnet waren.
^) Gellius XVII, 4: Euripidem quoipie
M. Varro ait, cum quinque et septuaginta
tragoedias scripserit, in quinque solis vi-
cisse, cum cum saepe vincerent aliquot poetue
ignavissimi.
'*) aocfojTcaov nennt den Euripides der
Vertreter der Jugend, Pheidippides, in Ari-
stoph. Nub. 1370.
'') Heimgezahlt hat P^uripides den Ko-
mikern ihren Spott durch die bitteren Verse
in der zweiten Melanippc fr, 495:
up^Qoiv ^6 nokXol rov ye'kcozoq ovvexa
ctaxovat /('cgitag xsQTOfxovg. iyai de mag
f^iiaui yskolovg, oitiveg aocpöiv nsQi
(i/c'(Xip^ s^ovai fftofiar« xcX.
^) Arist. Poet. 13: 6 Evgini^rjg si xtd
xd alXcc fir) sv oixopojusT, dXXcc rgayixwrccTÖg
ys Tvov 7T0it]rwi^ cpcävsKa.
^) Philemon Hess nach der Vita P^urip.
in einem Lustspiel einen Freund des Eur.
sagen: st tccTg dXrjd^eicaaty ol tsd^vrjxoteg
aXa&rjaiy si/oy. äv^gsg, Mg cpaaip riveg,
dnr]y^('ifit]v dv, a/nr' i^sTt/ Evqmi^yjy. Quintil.
X, 1. 69: Euripidem admiratus maxime est,
ut saepe testatur, et secutus Menander.
^) JüL. Vogel, Scenen euripideischer
Tragödien in griechischen Vasengemälden,
Leipz. 1886.
^) Aus Centonen euripideischer Verse
ist das mittelalterliche Drama Kgiarng nda-
/MP zusammengesetzt, was am ausführlich-
sten von Brambs in der neuen Ausgabe des
Stückes. Lips. 1884 nachgewiesen ist.
218
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Schöngeister, die erst durch den römischen Tragiker Seneca die griechischen
Meister kennen lernten, zuerst auf Euripides gelenkt, so dass derselbe vor
Aischylos und Sophokles Eingang in die moderne Litteratur fand.^)
166. Chronologie der Dramen. Bestimmte, aus den Didaskalien
geschöpfte Angaben über die Zeit der Aufführung haben wir nur von
wenigen Tragödien unseres Dichters; nach ihnen wurden aufgeführt die
Peliades bei dem ersten Auftreten des Dichters im J. 455, 2) Alkestis=^)
zusammen mit Kressai, Alkmeon aus Psophis und Telephos 438, Medea
mit Philoktetes, Diktys und Theristai 431, Hippolytos stephanephoros
428, Troades mit Alexandres, Palamedes und Sisyphos 415, Helena und
Andromeda 412,^) Orestes 408,'') Iphigenia in Aulis, Bakchen und
Alkmeon in Korinth nach des Dichters Tod.'^) Im übrigen sind wir zur
Bestimmung der Abfassungszeit auf Kombinationen, hauptsächlich aus der
metrischen Form, den politischen Anspielungen und den Parodien bei
Aristophanes angewiesen. In erster Beziehung ist von Hauptgewicht die
Beobachtung Hermanns,'^) dass Euripides in seiner letzten Periode von
Ol. 91 an (um 418) den trochäischen Tetrameter neben dem iambischen
Trimeter in die Dialogpartien wieder einführte, und in der Auflösung der
Längen, sowie im Gebrauch des vielgestaltigen (polyschematischen) Gly-
coneus eine grössere Freiheit walten Hess. Auch in der Wahl der Stoffe
zeigen sich bemerkenswerte Unterschiede in den verschiedenen Lebensaltern
des Dichters. Während er anfangs (etwa 455 — 431) vorzugsweise durch
neue Stoffe (Rhesos, Alkestis, Alkmeon, Medea) Interesse zu gewinnen
trachtete, versuchte er in der ersten Hälfte des peloponnesischen Krieges
sein Glück mit nationalen Tragödien, welche zu Anspielungen auf die
politischen Zeitverhältnisse Gelegenheit boten (Heraclidae, Andromache,
Hercules, Supplices, Ion), und kehrte in der dritten Periode seines Schaffens,
als das Interesse am Krieg und an der Politik zu erkalten begonnen hatte,
wieder zu den alten Mythen zurück, aber in der Art, dass er in der Be-
handlung derselben teils in Einzelheiten von seinen Vorgängern, nicht ohne
polemische Seitenhiebe ^) abwich (Elektra, Phoenissae, Orestes), teils eine
ganz neue Romantik in dieselben brachte (Helena, Andromeda, Iphigenia
Taurica). Nach diesen und ähnlichen Gesichtspunkten '•^) haben die Ge-
lehrten die Chronologie der euripideischen Stücke zu fixieren gesucht; ^^)
') Viele Leser fanden insbesondere die
lateinischen Übersetzungen der Hecuba und
der aulischen Iphigenia von Erasmüs (1506)
und die Excerpta traßtcorum et comicorum
von Hugo Grotius (1G26).
•^) Nach der Vita; die folgenden Zeug-
nisse stehen in den Hypotheseis der betref-
fenden Stücke.
^) Es war die Alkestis das 17. Stück,
was sich wahrscheinlich auf eine chrono-
logische, schwerlich auf eine alphabetische
Anordnung der Stücke bezieht; vgl. oben
S. 197 An. 1.
4) Schol. ad. Aristoph Thesm. 1021 u.
1069.
•^) Schol. ad. Orest. 371.
^) Schol. ad. Aristoph. Ran. 67.
"') G. Hermann, Elem. doctr. metr. p. 83 f.
^) Seitenhiebe gegen Aisch. in Phoen.
751, gegen Aisch. und Soph. El. 530 und
872, Antig. fr. 165.
^) Ein wichtiges Anzeichen sind die
Wiederholungen, worüber Schröder, De
iteratis apud tragicos graec, 1882 in Diss.
phil. Argent. tom. VI.
^°) ZiRNDORFER, De chvonologia fabu-
larum Eur., Marburg 1839; Fix, Chron.
fab. Eur., vor der didotischen Ausg , und
besonders Wilamowitz, Analecta Eur., p.
172 ff. Die wahrscheinliche Folge ist: Rhe-
sus, Alcestis (438), Medea (431), Hippolj^tus
(428), Hecuba, Cyclops, Heraclidae, Herc. für.,
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 166-167.)
119
aber die gewonnenen Resultate sind doch nicht so sicher, dass ich dieselbe
der Ordnung der Dramen zu gründe zu legen wagte. Auf der anderen
Seite ist die Zahl der erhaltenen Tragödien so gross und ist ihr Gehalt
so verschieden, dass ich mich begnügen werde, einige hervorragende Stücke
herauszuheben und die anderen in alphabetischer Ordnung summarisch
aufzuzählen.
167. Die Mt'jdsia wurde nach der Hypothesis 431 zusammen mit
dem Philoktetes, Diktys und dem Satyrspiel Theristai ^) aufgeführt. Die
Tragödie ist benannt nach der Hauptheldin, der unheimlichen Zauberin
aus dem Kolcherland. Aus ihrem Mythus hatte Euripides schon zu seiner
ersten Tragödie, den Peliaden, den Stoff genommen. Aber während er dort
ebenso wie Sophokles in den '^Pi^oroßoi einfach der Sage folgen konnte,
musste er hier erst die alte Überlieferung umformen, um den Boden für
eine Tragödie zu gew^innen. Schon der korinthische Epiker Eumelos (Paus.
II, 3. 8) hatte von der Herrschaft lason's in Korinth und seiner Entzweiung
mit Medea erzählt; dem hatte Kreophylos 2) die Sage von der Ermordung
des Königs Kreon durch Gift und von der Flucht der Medea nach Athen
zugefügt (Schol. ad. Med. 273). Auch des unglücklichen Loses der Kinder
war schon in beiden Erzählungen gedacht worden. Aber erst bei den
Tragikern ermordet die Mutter ihre eigenen Kinder, um sich an dem treu-
losen Gemahl, welcher der reichen Königstochter zulieb die unglückliche
Gattin Verstössen hatte, in furchtbarer Weise zu rächen. Diese entsetz-
liche, von Eifersucht und Rachedurst eingegebene That, die mit den Kindern
zugleich die von den Geschenken der Nebenbuhlerin bethörte junge Frau
des lason mit ins Verderben zog, hat Euripides zum Mittelpunkt der
Tragödie gemacht. Den Ausgang der erschütternden Handlung, die Flucht
der Medea, nahm er wieder aus dem alten Mythus; er erfand nur die
spezielle Richtung der Flucht nach Athen und liess zur Vorbereitung der-
selben schon in der Mitte des Stückes (663 — 758) den König Aigeus auf
dem Heimweg von Delphi mit Medea zusammenkommen. 3) Damit verband
er zugleich den Zweck, das ehrliche und bundesfreundliche Verfahren der
alten Athener gegen Korinth herauszustreichen (723 — 730) und in still-
schweigenden Gegensatz zur Feindseligkeit der Korinther beim Ausbruch
des peloponnesischen Krieges zu stellen. Die uns erhaltene Medea ist die
Umarbeitung einer älteren, von der mehrere, ehemals als Parallelen an den
Rand geschriebene Verse in den Text unseres Stückes gekommen sind.^)
Andromache, Supplices, Troades (415), Iph.
Taur., Ion, Electra, Helena (412), Phoenissae,
Orestes (408), Bacchae u. Iph. Ad. (407).
^) Euripides erhielt den 3. Preis; erster
warEuphorion, zweiter Sophokles. DerPhilok-
tet war ein bewundertes Stück, über dessen
Anlage wir durch den Rhetor Dio Chrysost.
or. 52 u. 59 Aufschluss erhalten. Dass auch
der Diktys, der in die Perseussage eingriff,
viel gelesen wurde, zeigen die zahlreichen
Fragmente. Die &eqiotkI waren nach der
Didaskalie schon zur Zeit des Grammatikers
Aristophanes verloren.
^) Schwerlich der alte Homeride, eher
der von Ath. 361c erwähnte Verfasser von
'Eqpsatofcw^ofc, s.WiLAMOWiTZ,Herm.XV,485ff.;
vgl. Max Groeger, De Argonauticarwm
fabularum liistoria, Diss. Vratisl. 1889, p. 22 ff.
^) Unentschieden ist es, ob der Tadel
des Aristoteles, Poet. 25: oQd^rj de €7jLzl/j.7]ai,g
xcd aXoyicc xcd /uo/y^ijQia, örav ^rj dvciyxrjc:
ovG7jg fifjdsp' /Q7Ja7]Tai TM (c'Aoya), wansQ Ev-
Qini&ijg Tili JiyeT, auf unsere Stelle oder auf
die Tragödie Aigeus ging.
^) Der ersten Medea gehörten wohl auch
die Verse in Schol. Arist. Ach. 119 und
Ennius Med. bei Cic. ep. ad fam. 7, 0 an. Die
Dittographien unseres Textes sind V. 723.
220
Griechische Litteratnrgeschichte. I. Klassische Periode.
Ausserdem hatten die alten Grammatiker Kenntnis von der Medea eines
sonst wenig bekannten Tragikers Neophron,i) aus der uns drei längere
Fragmente erhalten sind, und die Dikäarch und der Verfasser der dem
Aristoteles fälschlich zugeschriebenen Hypomnemata für das Original des
euripideischen Stückes ausgaben. 2) Dass aber Euripides, der erfindungs-
reiche Kopf, einem obskuren Neophron die herrliche Fabel abgestohlen
habe, hat gar keine Wahrscheinlichkeit. Auch hätte schwerlich Aristo-
teles in der Poetik so oft unserer Medea mit besonderer Auszeichnung
gedacht, wenn er sie für ein blosses Plagiat angesehen hätte. Eher
haben alte Gelehrte irrtümlich die erste Bearbeitung der euripideischen
Tragödie dem Neophron zugeschrieben, oder hat Euripides selbst das erste
Mal das Stück unter fremdem Namen auf die Bühne gebracht.^)
168. Der ^InnoXvtoq, speziell ^InnöXvTog aTfcpavrjifoQog genannt, hat
grosse Verwandtschaft mit der Medea und wurde bald nach ihr im J. 428
mit durchschlagendem Erfolge aufgeführt. 4) Wie dort die grausige Rach-
sucht eines gekränkten Weibes, so bildet hier die verzehrende Glut unreiner
Liebe den Angelpunkt der Tragödie. Der StoflP ist der attischen Sage ent-
nommen unter Anknüpfung an den lokalen Kult eines gleichnamigen Halb-
gottes in Trözen.'') Der Mythus von der verbrecherischen Liebe der Phaidra,
der Gemahlin des Theseus, zu ihrem Stiefsohn Hippolytos und von dem
tragischen Ende des von seinem Vater verfluchten Sohnes hatte bereits
Sophokles angezogen ^) und war von Euripides selbst schon einmal vor
428 behandelt worden.'') Der Titel Phaidra, den Sophokles seiner Tragödie
gab und den mit Recht wieder aus Seneca der grosse französische Tragiker
Racine aufgriff, zeigt, dass derselbe den Stoff am rechten Zipfel gefasst
hatte. Denn dadurch, dass Phaidra, als sie, dem Weibe Putiphars vergleichbar,
ihre Liebe von dem keuschen Jüngling verschmäht sah, den unschuldigen
Sohn bei dem Vater der Verführung anklagt, wird sie die treibende Kraft
der ganzen Handlung und büsst in echt tragischer Weise mit ihrem frei-
willigen Tod die Schuld unseliger Liebe und falscher Scham. Euripides
hat sein Drama Hippolytos getauft und in Einklang damit auf die edle
Gestalt des unschuldigen Jünglings und dessen grauses Ende durch den
Fluch des eigenen Vaters die Hauptaufmerksamkeit der Zuschauer gelenkt.
Damit wird aber, entgegen einem Hauptgesetz der tragischen Kunst, ^) ein
724. 729. 730 = 785—8; 798-810 = 819—
823; 1231 f. = 1233-5. Wilamowitz, Herni.
15, 488 ff. wil] diese Dittographien auf den Zwie-
spalt der Textesüberlieferung zurückführen.
') Suidas u. JSeücfQMp; Diog. II, 137.
-) Argum.: lo ö^ccfia doxst imoßuXea^ca
7TciQ(( NeocfQoi'og [TiavcaöcfQovog codd.) ^la-
(Txei'äaagy oJ? jLxaiuQ^og tisqI tov rijg E'A-
?A<dog ßiov y.cd ^jQiaTOTeXrjg iv vno^ipjjf^aair.
^) Die Fragmente des sogenannten Neo-
phron haben ganz den Versbau der Dittogra-
phien des älteren Euripides. Vgl. 0. Ribbeck,
Leipz. Stud. 8, 386 ff. Wecklein schlägt in
der Einleitung seiner Ausgabe einen Mittel-
weg ein und setzt die Medea des Neophron zAvi-
schen die erste und zweite Bearbeitung des Eu-
ripides. EineScene der Medea auf einem Wand-
gemälde von Pompeji s. Baumeister n. 1948.
■*) Argum. sdiö('c/x)t] inl 'Enafxs'ivopog
uQ^ovrog 6h\UTTidJ'i nC' srei &' . JiQWTog Ev-
Qinidtjg, &8VT£Qog ^lofpdiv, rgnog ^Imv.
^) Nähere Nachweise bei Wecklein in
der Einleitung seiner Ausgabe.
^) Ob die Phaidra des Sophokles älter
sei, dafür haben wir freilich keine Zeug-
nisse; Wilamowitz, Herm. 18, 239 nimmt
das Gegenteil an.
^) Der erste Hippolytos wurde zugleich
mit Aigeus und Theseus gegeben; s, Wila-
mowitz, Herin. 15, 483.
^) Arist. Poet. 13: diiXoy ort ovrs rovg
inisixsTg ar&Qctg dsT fierccßdXXopTag cpaivea^fa
f| £t'Tv/ic(g eig dvarv^inp — ov yuQ cpoßsQoi'
ot'Jf i^seiyoi' Toijo. i'.'kla fAictQÖP eariv —
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 1G8 ~1G9.) 221
Unschuldiger zum Helden der Tragödie. Denn die Weise, nait der Euripides
dem Hippolytos eine Schuld beimisst, weil er nämlich den Kultus der Aphrodite
vernachlässigt habe (87 — 105), genügt an und für sich nicht und zieht
obendrein die Menschen auf die Stufe willenloser Drahtpuppen in der Ge-
walt widerstreitender Dämone herab. Aber auch sich selbst hat Euripides
korrigiert und gleichfalls nicht zum Besseren. In dem ersten Hippolytos,
dem im wesentlichen Seneca und Ovid, Heroid. 4, gefolgt zu sein scheinen,^)
hatte Phaidra selbst dem schönen Amazonensohn ihre Liebe bekannt und
dieser sich aus Scham über den sittenlosen Antrag der Stiefmutter das
Haupt verhüllt, wovon das Stück den Zunamen ^InnöXvTog xaXvnTo^isvoc.
erhielt.-) Diese Schamlosigkeit der Phaidra hatte nach der Hypothesis
unseres Stückes bei dem Publikum Anstoss erregt, und der Dichter hat
deshalb in dem zweiten Hippolytos, der von dem Kranz, den Hippolytos
der jungfräulichen Göttin Artemis weiht (V. 73 fP.), den Beinamen (iTS(favr-
(foQog oder acstpaviaq erhielt, das Stück so umgearbeitet, dass Phaidra selbst
ihre von Aphrodite ihr eingegebene Liebe aus züchtiger Scham in sich zu
verschliessen sucht, und somit statt ihrer die Amme halb gegen den Willen
der Herrin das Geheimnis dem Jüngling verrät. Aber während so Phaidra
in diesem Punkt entschuldbarer und bemitleidenswerter erscheint, wird die
schwarze That, mit der sie aus falscher Scham in dem zurückgelassenen
Briefe den unschuldigen Stiefsohn verleumdet und ins Verderben stürzt,
um so unentschuldbarer. Wenn wir aber auch so in der Ökonomie der
Tragödie keinen Fortschritt des Euripides gegenüber Sophokles, und des
älteren Euripides gegenüber dem jüngeren anerkennen können, so begreifen
wir doch, dass das erhaltene Stück den ersten Preis erhielt und von den
alten Kunstrichtern zu den besten Werken des Dichters gerechnet wurde. "^)
Denn mit feinster psychologischer Kunst ist die verzehrende Glut der im
Liebesgram hinsiechenden Fürstin dargestellt, und tiefergreifend ist die
Schilderung von dem grausen Geschick des unglücklichen Jünglings, den
die durch ein Meerungeheuer scheu gewordenen Rosse durch die Felsen
schleifen. Gut wirkten gewiss auch bei den alten Athenern, die das Un-
glück des Krieges und der Pest zur Frömmigkeit und Einkehr in sich
zurückgeführt hatte, die Deklamationen gegen die Rechtsverdrehungen und
Prahlereien der Rhetoren und Tugendlehrer. ^) Nachgebildet wurde die
Tragödie von Seneca und Racine.^)
169. Die 'l(fiy£V£ia iv TavQoig, so benannt im Gegensatz zu der
in Aulis, wird durch den Versbau (die trochäischen Tetrameter und die
häufigen Auflösungen) in die Zeit nach Ol. 90 verwiesen. '^) Der Dichter,
OVIS rovg juo;(07]Qovg e| aiv/iug eig €VTv/iai^. j Gegensatz die ungeschminkte Wahrheitsliebe
Dagegen Hipp. 1390: tö J" evyevig as riHv des Hippolytos 984 ff.) 921 f. Manche der
cfQevMV ilnoj'ksosp.
Sprüche sind heutzutag noch gang und
') Hiller, De Soph. Phaedra et de Eur. I gäbe, wie V. 430 ccl (yevTSQal nwg cpQopTiiisg
Hipp, priore, in Über miscell. pJiilol. Bonn. \ oocpoijeQai.
p. 34 ff.; Kalkmann, De Hippolytis Eiiri- 1 ^) W. Schlegel, Comparaison entre Ja
pidis quaest. novae 1882. ! Phedre de Eacine et Celle d" Enripide,
'-) Der Kommentar dazu liegt in dem
V. 243: XQvxpoy xs(fctXr]P • aiö'ovfus^a yocQ xd
'^eXeyfxeva juoi.
'^) Argum.: to ds ö'gccf^a riof TiQohiov.
*j Besonders V. 436 ff. (dazu steht in
Paris 1807: neuere Litteratur bei Patin,
Euripide I, 42 ff. und Wecklein in seiner
Ausg. S. 21.
^) Einer bestimmten didaskalischen An-
gabe entbehren wir. Der Verfolgung des
222
Griecliisclie Litter atur geschieh te. I. Klassische Periode.
iineniiüdlicli in der Aufspürung und Verwendung lokaler Sagen und reli-
giöser Gebräuche, ging auch in unserem Stück von attischen Tempelsagen
aus. An der Ostküste Attikas war der Kultus der Artemis-Hekate seit
alter Zeit heimisch.') In Halai befand sich ein Tempel der Artemis Tauro-
polos;-) in Brauron zeigte man das Grab der Tempel Wärterin Iphigenia^) und
ward die Göttin selbst unter dem Zunamen 'Icpiysveia verehrt;^) hier auch
wurden an dem Feste BQavQMvia junge Mädchen der Göttin als Bärinnen
(ccQXToi) geweiht, was darauf hindeutet, dass hier wie anderwärts der orien-
talischen Göttin ehedem Menschen geopfert wurden.^) Nun bekamen die
Griechen Kunde, dass noch zu ihrer Zeit im taurischen Chersones von den
Barbaren einer jungfräulichen Göttin, die sie ihrer Artemis verglichen,
Menschenopfer dargebracht wurden. Daraus wob Euripides die Mythe, dass
die in Aulis der Artemis dargebrachte, von der Göttin selbst aber nach
Tauri versetzte Königstochter Iphigenia^) später mit Hilfe ihres in jenes
ferne Barbarenland verschlagenen Bruders Orestes das heilige Götterbild
nach Attika gebracht habe. Zu diesem Behufe dichtete er die den Athenern
geradezu heilig gewordene Darstellung des Aischj^los teilweise um : ein Teil
der Erinyen steht nach dem freisprechenden Urteil der Pallas Athene von
weiterer Verfolgung des Muttermörders ab, ein anderer aber setzt dieselbe
bis zur vollständigen Entsühnung des Orestes fort. Um aber dem Zusammen-
hang der Iphigeniasage mit dem attischen Kult der Artemis die göttliche
Weihe zu geben, lässt er gegen Schluss die Göttin Athene selbst auf der
Göttermaschine erscheinen und feierlich die religiöse Feier Attikas ein-
setzen. Der meisterhaft erfundene Mythus ist mit nicht minderer Meister-
schaft durchgeführt. Wahre Muster anschaulicher, fesselnder Erzählung
sind die beiden langen Botenreden von der Gefangennahme des Orestes
und Pylades (260 — 339) und von den Wechselfällen ihrer Entweichung
(1327 — 1419); voll von Leben und Geist sind die wiederholten Stichomy-
thien, in deren Anwendung sich Euripides in dieser Tragödie besonders
gefällt; einzig schön aber sind die beiden Wiedererkennungsscenen, von
denen namentlich die erste, wo Iphigenia dem Pylades den für den Bruder
bestimmten Brief vorliest und so unwillkürlich das Geheimnis ihrer Her-
kunft enthüllt (755 — 797) , das volle Lob des Aristoteles Poet. 14 fand.
Selbst die Chorlieder erheben sich über das gewöhnliche Niveau euripidei-
scher Melik; namentlich in dem 2. Stasimon (1089 — 1152) ist mit rührender
Zartheit die Sehnsucht der ins Barbarenland verkauften Jungfrauen nach
dem Boden und den Götterfesten der geliebten Heimat ausgedrückt.') Für
Orestes durch die Furien bis nach dem
TaurerJand wird weder in Electra noch in
Orestes gedacht. Gleichwohl führt der Um-
stand, dass die Helena einer schlechten Neu-
auflage der Iphigenia gleichsieht, auf die
nächste Zeit vor der Aufführung der Helena
oder vor 412.
') Paus. I, 23. 7; 33. 1; HI, 16. 7.
2) Strab. p. 399; Eur. Iph. Taur. 1457;
Ilesychius : TuvQonöhcc, ä sig ioQr?]y ayovair
■^) Iph. T. 1464; Euphorien in Schol.
Arist. Lys. 645.
4) Paus. II, 35. 2; I, 43. 1; VII, 26. 3.
Vgl. WiLAMOWiTz, Herm. 18, 256 ff.
^) Iph. T. 1458 ff., Arist. Lys. 646 und
dazu die Schol.; Harpocr. u. ^exareveip. Vgl.
Schöne in der Ausg. Einl. XVIII sqq.
^) Procl. arg. Cypr. : 'A^Ts^xig ds ((vrijr
s^agnaffCiGa sig TavQovg jusTuxo/uiCsi y.c.l
ud^dvcaov noieT.
^) In der nächsten Zeit nach Euripides ha-
ben der Sophist Polyeidos (Arist. Poet. 16 u. 17)
und der Tragiker Timesitheos (s. Suidas)
den gleichen Stoff bearbeitet. Dass unter
den Römern Pacuvius in seinem Dulorestes
C. Drama. 3. Die Tragödie, d. Euripides. (§ l7Ö.)
223
uns Deutsche hat die Tragödie noch einen besonderen Wert, weil sie unseren
Goethe zu einer seiner schönsten Dichtungen angeregt hat. Derselbe hat
bekanntlich an der Lüge, mit der Iphigenia den König Thoas hintergeht,
Anstoss genommen und deshalb eine andere, truglose Lösung des Konfliktes
erdichtet. Den Griechen, denen Barbaren gegenüber auch List und Betrug
erlaubt schien, lag jener Anstoss fern; umgekehrt wird bei ihnen die er-
finderische Klugheit, mit der Iphigenia den Argwohn des Thoas einzu-
schläfern versteht (1153 — 1233), rauschenden Beifall geerntet haben. ^)
170. Die ^oiviacrai, benannt nach dem aus Phönikerinnen zusammen-
gesetzten Chor, gehören gleichfalls der letzten Periode des Dichters an
und wurden zusammen mit dem Oinomaos und Chrysippos aufgeführt.^)
Euripides erhielt mit diesen Stücken den 2. Preis, aber die Grammatiker
erkannten die Phönissen als eine der vollendetsten Schöpfungen des Dichters
an,^) und dieses mit Recht, wenn auch mehr einzelne Scenen als das Ganze
Lob verdienen. In 7 Dramen behandelte Euripides die altberühmten Sagen
des Labdakidenhauses: in den beiden 'AXxiatwvsg, im. XQvcyiTiTvog und in den
'IxtTiösg gewann er dem alten Mythus neue Stoffe ab; in dem Oedipus, der
Antigene '') und in unseren Phönissen suchte er durch Neugestaltungen das
Interesse des Publikums für den alten Stoff zu beleben. Die Phönissen
haben im allgemeinen denselben Inhalt wie die Sieben des Aischylos, aber
wie Euripides im Oedipus die Mythen des Oedipus und der Sphinx in eins
zusammenzog, so hat er auch in den Phönissen nach allen Seiten über den
engen Rahmen des äschylischen Stückes hinausgegriffen und damit dem
neuen Drama eine ausserordentliche Mannigfaltigkeit und Ausdehnung (von
1766 Versen) gegeben. Mehr aber noch hat er in der Ökonomie des
Dramas geneuert: in den Sieben bestand der Chor aus thebanischen Jung-
frauen, die angstvoll zu den Altären der Götter flüchteten ; Euripides setzte
an ihre Stelle phönikische Mädchen, die, vom König Agenor als Beute-
teil nach Delphi geschickt, auf ihrem Wege Theben berührten. Das war
keine gute Neuerung, zumal der Seeweg, den sie kamen (V. 210), nicht
über Theben nach Delphi führte, hatte aber für Euripides den Vorteil, dass
nun die Chorlieder über Kadmos (638 — 689) und die Sphinx (1019 — 1066),
die er nach seiner Art einlegte, wenn nicht zur Handlung, so doch zur
Person des Chors einige Beziehungen gewannen. Aischylos hatte ferner
in eintöniger und breitgesponnener Weise die 2 mal 7 Führer nach einander
aufmarschieren lassen; das missfiel dem Euripides, und mit Recht ;^) er er-
reichte das Gleiche wirkungsvoller teils durch die Teichoskopie, in welcher
der Pädagoge der x^ntigone ähnlich wie in der Ilias dem Priamos die Helena
die Handlung der Iph. Taur. behandelthabe, be-
zweifelt Ribbeck, Römische Tragödie S. 239 ff.
Auch die Kunst hat sich der dankbaren Mo-
tive unserer Tragödie mit Vorliebe bemäch-
tigt, wovon zahlreiche Vasen, Wandgemälde,
Sarkophage zeugen.
^) Geistreiche Parallele von Ph. Mayer,
Die Iphigenien des Euripides, Racine und
Goethe, in dessen Studien, Gera 1874; 0.
Jahn, Pop. Aufsätze 353 ff.
-') Nach dem Argumentum unter dem
sonst nicht bekannten Archen Nausikrates
um 409. Schol. Arist, Ran. 53 lässt das Stück
kurz vor den Fröschen gegeben sein; vgl.
Schol. Arist. Av. 348.
^) Argum. und Schol. Arist. Ran. 53.
■*) Auf die Antigene und ihren Ausgang,
die Vermählung des Haimon und der Anti-
gene, bezieht sich Phoen. 1C37 und 1G72 ff.
^) Phoen. 751 : orofua tf ' kxäaxov (ha-
TQißrj nol^rj "kiysir ex^QMv vn^ avroTg rel/e-
224
Grrieciiische Litteraturgeschiciite. I Klassische Periode
die einzelnen Helden zeigt (88 — 201), teils durch die effektvollen Sclilachten-
berichte des Boten (1090—1199, 1217—1269). Bei Aischylos sodann
blieben lokaste und Oedipus ganz ausser dem Spiel; Euripides lässt sie ent-
gegen der Darstellung des Sophokles beide noch in Theben am Leben sein
und versteht es nun, ihre Anwesenheit zu ergreifenden Scenen zu verwerten.
Denn die ganze Tiefe der Mutterliebe thut sich in dem genial erfundenen
Versuche der Aussöhnung der feindlichen Brüder auf (355 — 637), und die
Summe des Jammers zeigt sich am Schluss, wo der blinde Greis durch
die Weherufe der Antigene aus dem Haus gezogen (1539 ff.) und von dem
herzlosen Kreon aus dem Lande gestossen wird (1589 ff.) Ganz neu hin-
zugekommen ist der heldenmütige Opfertod des Menoikeus, des Sohnes des
Kreon, von dem nach der Weissagung des Teiresias Euripides den Sieg
abhängen lässt (834 — 1018).^) Versäumt hat es auch Euripides nicht,
Stellen zur Verherrlichung Athens einzulegen (852 — 857 und 1705—7),
wenn auch dazu, wie namentlich an der ersten Stelle, die Gelegenheit
mit den Haaren herbeigezogen werden musste. Man wird zugeben, dass
der Dichter mit diesen Neuerungen und zugleich durch die Kunst der
sprachlichen Darstellung 2) das Stück reicher, erschütternder und zugleich
unserem Geschmack entsprechender gestaltet hat. Wir begreifen, dass
dasselbe den gelehrten Kenner des Euripides, Valckenaer, zur gelehrten
Bearbeitung (1754) und Hugo Grotius und Schiller zur Übersetzung reizten.
Freilich von einer gewissen Breite und zerstreuenden Überfülle ist das
Stück nicht frei zu sprechen; 3) besonders leidet der Schluss unter dem
Streben, alles Mögliche in denselben hereinzuziehen, die Heirat des Haimon
und der Antigene, die Bestattung des Polyneikes durch Antigene, die Be-
gleitung des verbannten Oedipus durch Antigene.*)
171. Die übrigen Dramen sind in alphabetischer Ordnung folgende:
"A?.xrjaTig wurde 438 an vierter Stelle, also anstatt eines Satyrdramas
aufgeführt. Zu dieser Stellung stimmt die burleske, an Shakespeare er-
innernde Erzählung des Dieners über die Ungeniertheit und Gefrässigkeit
des Herakles (747 ff.) und der glückliche Ausgang der Handlung, indem
Alkestis, die junge Gattin des Admet, die allein für ihren Mann zu sterben
bereit ist, von Herakles den Armen des Thanatos wieder abgerungen wird.
Von den Dramen des Euripides war die Alkestis nach der Didaskalie das
16. (oder 17.) Stück. Bei der Einfachheit der Handlung hatte in ihr der
3. Schauspieler noch eine sehr untergeordnete Rolle, so dass sie zur Not
mit 2 Schauspielern und einem Nebensänger gegeben werden konnte.)
^) Die Gestalt des freiwillig den lodern-
den Altar besteigenden Menoikeus findet
sich auf Glaspasten, s. Oberbeck, Her. Gal.
S. 133.
'^) Besonderes Lob verdienen die Monodie
der im Schmerze rasenden Antigene (1485 if.)
und der Chorgesang auf den Kriegsgott
Ares, den Stifter des Elends (784 ff.).
^) Manche Verse kamen aber erst durch
Interpolation hinein, worüber Zipperer, De
lEiir. PJioen. rersihiis i^uf^pectis et interpolatis.
Wirceb. 1875.
'') Man hat deshalb in der Exodos starke
Interpolationen angenommen; Böckh, De
trag. gr. princ. c. 21, und ihm folgend
Kinkel in seiner Ausg. haben den ganzen
Schluss von 1746 an verurteilt; aber damit
wird die andere Schwierigkeit, wie Anti-
gone zugleich den Vater nach Attika be-
gleiten und den Bruder in Theben beerdigen
soll, nicht gehoben. Vgl. § 160.
5) A. Müller, Bühnenalt. 173, An. 3.
Vielleicht behalf sich das Satyrdrama länger
mit 2 Schauspielern.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 171.)
225
Das Stück gehört nicht zu den besten des Euripides; auch durch seine
Stellung am Schlüsse der Tetralogie werden nicht alle Schwächen desselben,
weder der Mangel an Einheit noch die jämmerliche Zeichnung des Admet
entschuldigt. Aber wie wenig trotzdem es ein moderner Dichter und selbst
ein Wieland mit seinem Gegenstück Alceste dem antiken Tragiker gleich
thun konnte, hat mit jugendlichem Übermut Goethe in seiner geistreichen
Farce „Götter, Helden und Wieland" dargethan. ^)
'AvSqoiiccxri ist ein politisches Intriguenstück, dessen Hauptpersonen,
Menelaos und Hermione, die Treulosigkeit und Ränkesucht der Spartaner
repräsentieren. Andromache selbst, die dem Sohne des Achill als Beute-
anteil zugefallen war, hatte die Eifersucht der Hermione, der rechtmässigen
Gattin des Neoptolemos, erregt; eingewoben ist die Ermordung des letz-
teren im Tempel zu Delphi durch die Leute des Orestes, indem Euripides
sich schon in diesem alten Stück erlaubte, die alte Sage zu seinen Zwecken
umzugestalten. 2) Schon von den Alten wurde die Andromache zu den
Dramen zweiten Ranges gestellt; der Hauptfehler des Stückes besteht in dem
Mangel der Einheit, indem es in zwei ganz lose verbundene Teile aus-
einanderfällt. ^)
Die Bdxxcci wurden erst nach dem Tode des Dichters durch dessen
Sohn zur Aufführung gebracht.^) Sie behandeln einen echt dionysischen
Stoff, ^) die Feindseligkeit des Königs Pentheus gegen den Dionysoskultus
und dessen furchtbare Bestrafung durch den Gott, der seine Glieder durch
seine eigene, in bacchantische Raserei versetzte Mutter Agave zerreissen
lässt. Die Tragödie ward von Accius ins Lateinische übersetzt; die erschüt-
ternde Botenrede von der Raserei der Agave ward sogar am parthischen
Hofe aufgeführt.*^) Manche Mängel, namentlich gegen Schluss, rühren wohl
daher, dass der jüngere Euripides vor der Aufführung noch manche Er-
gänzungen vornahm.'^)
^Exaßrj heisst die von Ennius den Römern nahegebrachte Tragödie,
die zwar der Einheit entbehrt, aber durch das ergreifende Pathos der un-
glücklichen Königin und des geblendeten Verräters Polymestor einen grossen
Erfolg auf den Brettern erzielt haben muss.^) In der philologischen Litteratur
') Geschrieben 1774 bei einer Flasche
guten Burgunders in einer Sitzung, auf-
genommen in Ges. Werke, Bd. 33; vgl.
Steinberger, Goethe und die Alkestisfrage,
Bayr. Gymn. Bl. XXV, 24 ff.
2} Die alte Sage, die von einer Betei-
ligung des Orestes an der Ermordung des
Neoptolemos noch nichts weiss, steht bei
Pindar N. 7, 41 ; die euripideische Fassung
liegt dem Vasenbild Ann. d' Instit. 1868
Tav. d'agg. E zu gründe.
") Nach den Scholien zu V. 445 wurde
das Stück nicht in Athen, sondern auswärts
aufgeführt, und zwar unter fremdem Namen
(Demokrates, wofür Bergk Menekrates ver-
mutet). Die politischen Anspielungen, na-
mentlich V. 733, bestimmten Böckh, De
trag. gr. princ. 189 f. das Stück in d. J. 418
zu setzen; Zirndorfer und Bergk, Herrn. 18,
490 treten für Ol. 89, 2 = 423 ein; das zu
V. 445 angeführte Scholion verlegt mit Recht
das Stück in den Anfang des Krieges.
4) Schol. Arist. Ran. 67.
^) Derselbe war schon von Aischylos im
Pentheus und von Xenokles in den Hax/ca
behandelt worden.
^) Plut. Grass. 33. Eine Partie aus dem
Schluss übersetzte Goethe, Ges. W. 46, 58 ff.
^) BoECKH, De trag. gr. princ. c. 24.
^) Die Parodien in den Wolken (1165
= Hec. 172; 718 = Hec. 141) weisen auf
die Zeit vor Ol. 89, 1, etwa 425 hin, so dass
die durch diis Pathos entfesselter Weiber-
leidenschaft ausgezeichneten Tragödien Mo-
dea, Hippolytus, Hecuba auch zeitlich nahe
aneinander liegen.
Uauclbnch der klass. Altcrtuiuswissenscliaft. VII. 2. Aufl.
15
226 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
spielt das Drama eine Rolle durch die für Erkenntnis der Metrik der
Tragiker epochemachenden Ausgaben von Person und Hermann.
^EXtvrj ist neben Ion das Mustereines romantischen Intriguenstückes
und wurde zugleich mit der verwandten Andromeda 412 aufgeführt.') In
der Fabel lehnte sich Euripides an Stesichoros Helena an,'-^) erlaubte sich
aber eine ganz freie Umdichtung der Überlieferung.^) Helena, von der
Paris nur ein Schattenbild nach Troia entführt hatte, wird in Ägypten von
dem Königssohn Theoklymenos, der um die Hand der schönen Griechin
wirbt, bedrängt und sucht an dem Grabe des Proteus Schutz. Von der
Bedrängnis wird sie durch die Ankunft des Menelaos befreit, mit dem sie
gemeinsam Flucht und Täuschung des Barbarenkönigs plant und ausführt.
Das Stück, das in seinem Schluss ganz der taurischen Iphigenia ähnelt,
fand viele Leser im Altertum und hat daher viele Interpolationen erfahren ;
Horaz Od. III, 3 scheint die Verse 878 ff. vor Augen gehabt zu haben.
'HXäxTQa zeigt uns am besten die Manier des Euripides, alte Stoffe
neu zu gestalten und die Erhabenheit der Heroen weit in die Niedrigkeit
des Alltagslebens herabzuziehen: Elektra, des Königs Agamemnon Tochter,
ist an einen gemeinen Bauern verheiratet; Klytämnestra, durch List auf
das Land gelockt, muss sich, bevor sie den Todesstreich empfängt, noch
ihr ganzes Sündenregister von ihrer Tochter vorhalten lassen (1004 — 1131);
aber einzig schön ist die Botenrede (774—858) von der Abschlachtung des
Buhlen, wobei der Dichter mit genialer Erfindungsgabe den Agisthus selbst
dem Orestes das Messer in die Hand geben lässt. Verfasst ist das Drama
413 kurz vor der Helena, die V. 1280 angekündigt ist; auf diese Zeit führt
auch der Hinweis auf die sikilische Expedition und den Verrat des Alki-
biades am Schlüsse der Tragödie.^)
^HQaxXetdai, ein einfaches, mattes Drama ohne spannende Verwick-
lung, das nur durch die erhabene Scene von dem heldenmütigen Entschluss
der Makaria, sich dem freiwilligen Opfertod für der Brüder Rettung zu
weihen, einigermassen gehoben wird. Die politischen Nebenabsichten treten
zwar nicht so grell wie in der Andromache hervor, sind aber unverkennbar.
Der Dichter will vor allem Athen verherrlichen, dessen König Demophon
den nach Attika geflüchteten Kindern des Herakles Schutz bietet und um
ihretwillen den Kampf nicht scheut; er will aber zugleich den Undank von
Argos und Sparta (V. 742) brandmarken, welche in der Gegenwart die den
Herakliden ehedem erwiesenen Wohlthaten mit feindlichem Einfall vergalten.
BöcKH, de trag. gr. princ. 190, hat die Tragödie auf 417 setzen wollen,
als die Argiver nach Bruch des Bündnisses mit den Lakedämoniern Frie-
den machten. Aber die Einfachheit der Handlung und die Strenge des
Rhythmus, sowie die Voraussagung des Einfalls der Spartaner (V. 1027)
weisen auf die ersten Jahre des peloponnesischen Krieges.'^)
') Nach Schol. Arist. Thesm. 1021 und
1069. ZiELiNSKi, Gliederung der altatt. Koni.
97 ff. findet in Arist. Eq. 80 ff. eine Parodie
von Eur. Hei. 835 ff. und setzt demnach
Helena u. Elektra ins Jahr 425.
2) Dazu vgl. Od. (1227 u. Herod. II, 112.
^) Als erwiesen kann gelten die Parodie
in Arist. Ran. 1317 f., nicht die in Av. 414
oder Nub. 423. Über das Verhältnis zur
Elektra des Soph. s. § 156.
•') Die aus einer didaskalischen Angabo
^) Aristoph. Thesm. 850 nennt sie y.ca- \ genommene Stelle des Ammianus Marcel-
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 171.)
227
'HQaxJ.rjg iLiccivo^is i'og^) erinnert durch das erschütternde Pathos und
den Mangel der Einheit an die Hekabe. Der erste Teil endet glücklich,
indem die dem Herakles angetraute thebanische Königstochter Megara mit
ihren Kindern im Augenblick der Todesgefahr durch die unerwartete Rück-
kunft des Herakles gerettet wird. Auch der Schrecken des zweiten Teiles,
in welchem der in Raserei versetzte Vater seine eigenen Kinder mordet,
erhält einen versöhnenden Abschluss durch die edle Freundschaftsliebe des
Theseus und die religiöse Sühnung, welche der dankbare Freund seinem
unglücklichen Genossen auf attischem Boden in Aussicht stellt. Die Tra-
gödie enthält Stellen grossartiger Tragik, aber daneben auch abschweifende
Deklamationen, wie 188—203, und alberne Reflexionen, wie 637 — 700. Die
politischen Anspielungen führen auf die Zeit nach der Schlacht von Delion
(424), der Hinweis auf das Alter, das den Dichter nicht hindere dem Musen-
gesang zu huldigen (678), in die späteren Lebensjahre des Dichters. 2) Das
griechische Original hat Seneca in seinem Herakles frei bearbeitet.
Die ^Ixäriösg werden in der Hypothesis passend ein iyxw^iov 'A^rjvcov
genannt; sie sind von dem gleichen Gefühl des Hasses gegen Theben wie
der Herakles beseelt und scheinen auch um dieselbe Zeit, nur etwas später,
421 oder 420, gedichtet zu sein.^) Das Drama griff die bereits von Aischylos
in den Eleusinioi (Flut. Thes. 29) und von Herodot IX, 27 berührte Sage
auf, wonach Theseus die Bestattung der vor Theben gefallenen argivischen
Heerführer den hartherzigen Thebanern zum Trotz gewährte. Seinen Namen
hat dasselbe von dem Chor der Schutzflehenden oder den Müttern der Ge-
fallenen.4) Die rührenden, eng an die Handlung sich anschliessenden Chor-
lieder und die effektvolle Scene der in den Scheiterhaufen ihres Gemahls
Kapaneus sich stürzenden Euadne werden dem Werke bei der Aufführung
grossen Erfolg verschafft haben trotz der unpassenden Digressionen V.
840 — 917, und der leeren, an den rasenden Herakles V. 655 erinnernden
Reflexionen des Iphis V. 1080 ff.
'J(fjiy€V€ia rj iv ÄvXidi geht dem Mythus nach der taurischen Iphi-
genia voraus, fällt aber der Abfassungszeit nach in die letzte Lebenszeit
des Dichters. Euripides hinterliess dieselbe unvollendet; davon zeugen die
unverkennbaren Spuren späterer Zusätze in unserem Text, namentlich am
Schluss und in der Parodos. Einzelne Verse stammen aus noch späterer
Zeit, aber diese können die Annahme einer vollständigen Überarbeitung in
römischer oder gar byzantinischer Zeit nicht beweisen.^)
linus XXVIII, 4. 27 zeigt, dass die Hera-
kliden zusammen mit Kresphontes und Te-
menos aufgeführt wurden ; s. Wilamowitz,
Herrn. 11, 302 u. 17, 337 ff.
^) Ursprünglich einfach 'UQaxlijg betitelt,
welchen Titel noch Seneca vorfand.
2) Wilamowitz, Eur. Herakl. I, 344
u, 380 setzt demnach den Herakles in das
vorletzte Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts, zwi-
schen die Hiketiden (421) und die Troades
(415). Über das Verhältnis zu Soph. Trach.
s. § 158.
^) Anspielung auf das argivische Bünd-
nis in V. 1190 ff. ; auf die Weigerung der
Thebaner nach der Schlacht von Delion die
Toten herauszugeben (Thuc. 4, 97 ff.) bezieht
sich die ganze Fabel der Tragödie.
^) Über die Zusammensetzung des Chors
aus 5 Müttern und 10 Dienerinnen, s. Ar-
NOLDT, Die chorische Technik des Eur. 72 ff.
^) A. Hennig, De Ii^h. Aul. forma ac
condidone, Berol. 1870, unterscheidet Inter-
polationen aus 3 verschiedenen Zeiten. Aus
einer andern, mit einem deus ex macliina
schliessenden Ergänzung stammen die Verse
bei Aelian V. H. VII, 39, wenn nicht hier
ein schwerer Irrtum des Aelian vorliegt;
sonst müsste der handschriftlich überlieferte
15*
228 Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
"lot)v, eine verschlungene Tragödie mit glücklichem Ausgang, durch
spannende Disposition und zarte Empfindung ausgezeichnet. Die Fabel ist
von Euripides unter Verwertung alter Überlieferungen zur Verherrlichung
des reinen Geblütes des attischen Stammhauses erfunden. Das Drama spielt
in Delphi, wo wir den unschuldigen Knaben Ion, den einst Apoll mit
Kreusa, der Tochter des Erechtheus, erzeugt hatte, im Tempeldienst des
Gottes treffen, und wohin Kreusa und ihr Gemahl Xuthos gekommen waren,
um wegen ihrer Kinderlosigkeit das Orakel zu befragen. Die Enthüllung
der dunklen Abkunft des Ion und die Wiedererkennung von Mutter und
Sohn spielen sich auf so verschlungenen Wegen ab, dass zur vollen Auf-
klärung am Schlüsse das Erscheinen eines Dens ex machina nötig war.
Über die Abfassungszeit des Stückes fehlen zuverlässige Anzeichen; doch
ist dasselbe jedenfalls nach dem Erechtheus (421) gedichtet worden. ^) Eine
freie Nachbildung hat in unserer Zeit A. W. Schlegel gedichtet.
KvkXmxP, das einzige uns erhaltene Satyrdrama, das nicht geeignet
ist, uns von dieser Dichtungsgattung einen sehr hohen Begriff zu geben,
das aber doch in neuer Bearbeitung auch heutzutage noch im Wiener Burg-
theater ausserordentlichen Beifall finden soll. Der Stoff ist der Erzäh-
lung der Odyssee vom Abenteuer des Odysseus bei dem Unholden Kyklops
entnommen.
^ÖQtaTtjg, nach den Schollen zu V. 371 im Jahre 408 aufgeführt,
zeigt den Verfall der euripideischen Kunst. Die Fabel, die zur Zeit der
Rückkehr des Menelaos spielt und sich um die Rache dreht, welche der
zum Tode verurteilte Muttermörder Orestes mit Elektra und Pylades an
Menelaos und seinem Hause nehmen, ist ganz willkürlich vom Dichter zu-
sammengebraut. Alle Personen sind ins Gemeine herabgezogen: Menelaos
ist ein herzloser feiger Egoist, Elektra ein ränkespinnendes Weib, Orestes
gleicht dem nächtlichen Raufbold undBieh'OQtarrjg ßaiv6i.isvog der Komödie.-)
Schon Aristoteles' Poet. 15 verurteilt den Menelaos unseres Dramas als
7TaQ(xd€iy!.ia TTovtjQi'ag rjd^ovg firj dvayxaiag, gleichwohl machte dasselbe wegen
seiner blendenden Scenerie und des musikalischen Bravourstückes V. 136D
bis 1502 grossen Effekt, s)
Die Tqoictdeg wurden nach der erhaltenen Didaskalie 415 zusammen
mit Alexandros, Palamedes und dem Satyrdrama Sisyphos aufgeführt und
mit dem 2. Preise bedacht. Die 3 Tragödien sind durch den zusammen-
hängenden Inhalt zu einer sogenannten Thementrilogie verbunden. Dem
erhaltenen Stück — und bei den beiden andern wird es nicht viel anders
gewesen sein — ist der Charakter der epischen Darstellung trotz der
Dramatisierung des Stoffes geblieben : es sind mehr einzelne, locker an-
Schluss der Tragödie von V. 1510 an erst
später im byzantinischen Mittelalter ergänzt
worden sein.
^) BöcKH, De ffr. traff. ^^rinc. 191 macht
die feine Kombination, dass die V. 190 ff,
beschriebenen Gemälde der Tempelhalle die-
selben seien, welche Athen infolge des See-
sieges bei Rhion (429) gelobt hatte (Paus.
XTI, 5 und Ion 1592); aber deshalb braucht
das Stück noch nicht bald nach 429 ge-
dichtet zu sein. Enthoven, De lone fa-
hiila Euripidea, Bonn 1880 setzt das Stück
412 auf Grund der häufigen Auflösungen im
Trimeter und der Bezugnahme auf die Grotte
des Pan in Arist. Lys. 911.
2) Vgl. OQeaifjg fj.aiv6^6voq in Arist.
Ach. 1166 u. Av. 1487.
^) Argum.: t6 dQäju« rojy sttI axijptiq
evdoxiuovfiwy.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 171.)
229
einander gereihte Episoden aus der Einnahme der Stadt als Teile einer
einzigen, straff zusammengefassten Handlung. Die Person der Hekabe
bildet fast allein das Band, welches die verschiedenen Akte zusammenhält.
Da hat es der gleichzeitige Toreute Mys, auf dessen Iliupersis der berühmte
Silberbecher des Münchener Antiquariums zurückgeht, besser verstanden,
aus den gleichen Scenen eine höhere Einheit zu schaffen. Aber gleichwohl
müssen wir es unserem Euripides lassen, dass er seinen Athenern, die an
den regelrechten Tragödien der alten Schule genug hatten, mit diesem
neuen Versuch einer Tragödie in Bildern eine anziehende Ohren- und
Augenweide geboten hat.
^Praog ist nichts anderes als ein Iliadis Carmen didiictimi in actus.
Die Echtheit der Tragödie ward nach der Hypothesis schon in dem Alter-
tum angezweifelt,^) indem die alexandrinischen Kunstrichter in ihr mehr
den sophokleischen Charakter finden wollten. Das kann sich nun kaum
auf etwas anders als den Mangel an euripideischem Pathos beziehen ; denn
von der eigentlichen Kunst des Sophokles lässt sich noch weniger etwas
in der Tragödie finden. Aber dieselbe weicht so sehr von der Art der
Medea, der Troades und aller erhaltenen Tragödien des Euripides ab, dass
sie entweder aus einer ganz anderen Kunstperiode unseres Dichters stammt
oder überhaupt fälschlich demselben zugeschrieben wurde. Für die Unecht-
heit sprachen sich Valckenaer, Diatribe in Eurip. p. 88 ff., und G. Her-
MATTN, Opusc. III, 262 ff. aus; aber dass Chorlieder von so kunstvollem und
reichem Versbau, wie die des Rhesos sind, in der Zeit der alexandrinischen
Pleias, an welche Hermann dachte, noch gedichtet worden seien, hat
durchaus keine Wahrscheinlichkeit. Glaubwürdiger ist die Ansicht der
alten Grammatiker Krates, Dionysodoros und Parmeniskos, denen sich in
unserer Zeit Vater in seiner Ausgabe (Berl. 1837) und Härtung, Eurip.
re^it. I, 38 angeschlossen haben, dass der Rhesos ein Jugendstück des
Euripides sei. 2) In der That hatte Euripides nach den Didaskalien, wie in
der Hypothesis des Stückes bezeugt ist, einen Rhesos geschrieben, und es
kann demnach höchstens nur davon die Rede sein, dass der euripideische
Rhesos durch das gleichnamige Stück eines anderen Tragikers verdrängt
worden sei.^) Auf die Jugendzeit des Euripides führt auch der politische
Hintergrund der erhaltenen Tragödie, der mit der Gründung von Amphipolis
am Strymon (um 453) zusammenzuhängen scheint.^) Der Rhesos ist also,
^) Dazu ein Scholion zu V. 41: to /, ort
ovx eaxLv EvQinidov 6 ari^og.
^) Astronomische Irrtümer des Stückes
erklärte daraus Krates nach den Scholien
zu V. 529 (vergl. zu V. 5, 499, 528, 541).
Sonderbarerweise haben die alexandrinischen
Grammatiker nicht zur Entscheidung der
Frage das athenische Staatsexemplar der B
Tragiker eingesehen. Wilamowitz, De Rhesi
scholiis, Greifsw. 1877, lässt den Rhesos in
der Zeit des Demosthenes mit Nachahmung
des Sophokles und Euripides gedichtet sein.
■'') Wenn nicht von 2 Tragödien Rhesos,
so doch von 2 oder vielmehr 3 Prologen
I eines Rhesos, dem erhaltenen in Anapästen
und zweien in iambischen Trimetern, haben
wir durch das Argumentum Kenntnis. Ähn-
lich haben wir in der Iphig. Aul. Spuren
von 2 Prologen, einem anapästischen und
einem iambischen; ebenso gab es 2 Aus-
gänge derselben Iphigenia und des Arche-
laos; s. Welcker, Gr. Trag. 700 f.
^) Wilamowitz, Anal. Eur. 147 f. und
Eur. Herakl. I, 41 An. 81, führt diese poli-
tische Bedeutung aus, setzt aber dann un-
seren Rhesos aus Gründen der Metrik und
Ökonomie (das Stück erfordert wie Oed. Col.
4 Schauspieler) nicht in die Zeit der Grün-
dung von Amphipolis, sondern des zweiten
Seebundes im 4. Jahrh.
230
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
wenn echt, das älteste Stück des Euripides, so dass man aus dem Ver-
gleich desselben mit der Medea ermessen kann, welche ausserordentliche
Fortschritte der Dichter in der Darstellung der Leidenschaft und der Er-
regung tragischer Effekte gemacht haben müsse.
Ausser den 19 vollständigen Dramen sind noch zahlreiche Fragmente
des vielgelesenen und wegen seiner schönen Sentenzen vielcitierten Dichters
auf uns gekommen. Zahlreich sind namentlich die Bruchstücke der beliebten
Tragödien Antiope, Alkmeon, Andromeda, ^) ßellerophontes, Stheneboia,
Kresphontes, Melanippe (rj ao(frj und rj deaf-iMrig)^ Palamedes, Philoktetes,
Protesilaos,2) Telephos. Die umfangreichsten haben wir vom Phaethon,^) die
unseren Goethe zur Wiederherstellung der Umrisse der ganzen Fabel reizten.^)
In einem der Codices, dem Palat. 287, findet sich am Schluss auch noch
der Anfang der Danae, der aber nicht von Euripides, sondern von irgend
einem Fälscher des Mittelalters oder der Renaissance herrührt.
172. Kunstcharakter des Euripides. Euripides fand bei seinem
Auftreten die Tragödie bereits vollständig ausgebildet vor. In ihrer äusseren
Form verdankt sie daher seinem Eingreifen keine wesentlichen Fortschritte.
Was hier von ihm neu eingeführt und weiter entwickelt wurde, der Pro-
log und der Dens ex machina war nicht wesentlich und sicher kein
Fortschritt. In fast allen Stücken orientiert uns Euripides im Eingang
durch den von einer handelnden Person oder einem Gott gesprochenen Prolog
über den Mythus und die auftretenden Personen. Diese Art der Vorrede,
die öfters auch schon den ganzen Gang der Tragödie vorausverkündet,
musste die Spannung der Zuhörer schwächen, hatte aber ihren Grund und
ihre Entschuldigung in der selbständigen, aus dem trilogischen Zusammen-
hang losgelösten Stellung seiner Dramen und in der dem Euripides eigen-
tümlichen Freiheit der Umgestaltung des überlieferten Mythus, die eine
vorausgehende Aufklärung des Publikums fast zur Notwendigkeit machte.
Aber Euripides gebrauchte dieses Mittel in einförmiger, handwerksmässiger
Weise, so dass mit Recht dasselbe von Aristophanes verspottet und von
den Grammatikern getadelt wurde. ^) — Ein Pendant zum Prolog bildete
der Dens ex machina, mit dem Euripides fast alle seine Stücke schliessen
lässt,^) den er aber auch nicht selten mitten im Stücke zur Anwendung
^) Von der grossartigen Wirkung, welche
die Andromeda noch zu Neros Zeit machte,
erzählt uns Eunapios p. 54 D und Lukian,
Quomodo hist. conscr. 2 ; vgl. Arist. Ran. 53.
2) Mayek, Herm. 20, 101 ff.
^) Blass, De Phaeth. Eur. fragm. Cla-
romantanis, Kiel 1885. Restitutionsversuche
von WiLAMowiTz in Herm. 18, 396 ff.
^) Goethe, Ges. Werke 46, 33 ff. Die
zerstreuten Fragmente zu sammeln und zur
Rekonstruktion der Dramen zu verwerten,
bildete überhaupt eine die Gelehrtenwelt viel
beschäftigende Aufgabe. Hauptleistungen von
Valckenaer, Diatribe in Euripidis perdi-
forum dramatum rell. LB. 1767; Härtung,
Euripides restitutus, Hamb. 1843; Welcker,
Griech. Trag., 2. Bd. Wecklein, Drei ver-
lorene Tragödien des Euripides (Antiope,
Antigene, Telephos), Stzb. d. b. Ak. 1878;
Über den Kresphontes des Eur. 1880 in der
Festschrift für ürlichs; Über fragmentarisch
erhaltene Tragödien des Eur. (Andromeda,
Bellerophon etc.), Stzb. d. b. Ak. 1888. Neue
Bruchstücke aus den Temeniden (nach Weck-
lein aus Diktys) aus Pariser Papyri publiziert
von Weil, Nouveaux fragments d' Eur., Par.
1879; BLASS, Rh. M. 35, 74 ff.; Wecklein,
Philol. 39, 406 ff.
5) Arist. Ran.^ 946 u. 1198 ff. Vgl. Vit.
Eur.: xal ev roTg TiQoXoyotg de o/XtjQog.
Übrigens haben namentlich die Prologe viele
Interpolationen erfahren, worüber Klinken-
berg, De Euripideorum prologoruni arte
et interpolatione, Bonn 18"^1.
^) S. WiLAMowiTz, Anal. Eur. 180.
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 172.) 231
bringt. Götter hatte schon Aischylos mittelst der Maschine erscheinen
lassen, aber Euripides benützte dieses Mittel in bequemer und einförmiger
Weise, um den Knoten durch das Dazwischentreten der Gottheit zu lösen,
zum Teil auch, um den Blick des Zuhörers über die Grenzen der Hand-
lung hinaus zu leiten. Manchmal wird so ein Kultusbrauch, wie in Iph.
Taur. 1450 ff., Med. 1381 ff., Rhes. 962 ff., oder eine politische Einrich-
tung, wie in Ion 1571 ff. u. Andrem. 1244, vorausverkündet und gewisser-
massen sanktioniert. In solchen Fällen wird der Deus ex machina seine Wir-
kung geübt haben und der gespannten Aufmerksamkeit sicher gewesen sein;
aber meistens verhüllte er nur schlecht die Eilfertigkeit des Dichters und
die Mängel der Anlage, weshalb mit gutem Takt Seneca denselben in der
Nachahmung der Medea und des Hippolytus wieder weggelassen hat.
Wesentlicher und bedeutsamer ist was Euripides in der tragischen
Kunst innerhalb ihrer alten Formen geneuert und teils gebessert, teils ver-
schlechtert hat. Beginnen wir mit dem Stoff, so war es natürlich, dass
das athenische Publikum an der wiederholten Vorführung von Personen
der alten berühmten Sagenkreise genug hatte. Euripides trug dem Rech-
nung und da er den von Aischylos angezeigten Weg des historischen
Dramas verschmähte und politische Stoffe bereits durch die Komiker vorweg
genommen fand, so suchte er mit erfinderischem Sinne teils neue, ent-
legene Lokalsagen auf, ^) teils gestaltete er, namentlich in seinem späteren
Leben, alte Mythen um, teils endlich flocht er, in dieser Beziehung nahe
an die neue Komödie streifend, aus kleinen Anhaltspunkten ganz neue roman-
hafte Erzählungen zusammen. Man muss ihm die Anerkennung lassen,
dass er auf diese Weise neue tragische Figuren, wie die Medea und
Iphigenia, für die Ewigkeit geschaffen und der neuen Gattung selbst-
erfundener Dramen in seiner Helena und Andromeda die Wege gebahnt
hat. — Aber der Stoff an und für sich bedeutet noch wenig; er erhält
erst Bedeutung durch den dramatischen Funken, der ihm entlockt wird:
auf die Leidenschaften {Tiä^rj), die auch die Zuschauer mitfortreissen,
verstand sich Euripides wie kein zweiter. Longin rühmt ihm nach, dass
er die Liebe und Raserei auf die Bühne gebracht habe;^) als echter Kenner
der menschlichen Natur hat er die dämonische Gewalt dieser Leidenschaften
zumeist in Frauen, wie in der Medea und Hekabe, zum Ausdruck ge-
bracht. Indes auch die zarten Saiten des Herzens weiss er anzuschlagen,
und von Thränen der Rührung wird der Leser in mehr wie einem Stücke
übermannt. Diese letztere Wirkung erzielte er hauptsächlich durch einen
weiteren Vorzug seiner Kunst, durch die Geschicklichkeit in den Wieder-
erkennungsscenen. In ergreifender Weise hat er dieselben in mehreren
Stücken mit dem Höhepunkt der Peripetie in Verbindung gebracht. Ausser
dem Ion und der Iphigenia Taur. war in dieser Beziehung besonders be-
rühmt der Kresphontes, in welchem Drama Merope in falschem Wahne
^) Das ist wohl der Nebengedanke von i ^ccvlaq rs xcd jQCorag, ixzQccyM&^aai xdv
Arist. Ach. 398: o vovg ^ev (sc. EvQinidov) rovroig cog ovx oi&^ ei rig stegog sntTvxsatct-
e^o) H}.X6y(0P invXXm. | rog. Vgl. Schol. Soph. Oed. R. 264: rmg
-) Ps. Longin de subl, 15: effr«. fjeu ovf xivijxixwg iyyoiaig TiXsoydCei EvQinid7]g.
rpiXonovuhajog 6 EvQin'i&y]g dvo lavil nudi], j
232
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode,
bereits das Beil über dem schlafend daliegenden Jüngling schwang, als der
Alte in ihm den Sohn der Merope erkannte und die Mutter von der un-
seligen That zurückzog. Durch die bezeichneten Vorzüge ist Euripides der
tragischste {TQayixcoTaTog) Dichter i) und der vollendetste Meister der ver-
schlungenen Tragödie {TQccy. nsnleyiitvi]) geworden. — Aber den Vorzügen
stehen auch grosse Schattenseiten gegenüber. Euripides entnahm zwar die
Stoffe der Heroenzeit, aber er entkleidete die Heroen ihrer erhabenen Grösse
und legte ihnen Gedanken und Handlungen der gemeinen Gegenwart unter. '^)
Die Vertreter der grossen alten Zeit, wie Aristophanes, entrüsteten sich
über den Telephos in Lumpen und über den Dichter von Prozessreden, ^)
und auch wir wenden uns mit Unmut von dem Bauernweib Elektra und
dem Banditen Orestes ab. Der ganze Versuch, die Politik in die Tragödie
zu ziehen, war eine Geschmacksverirrung, und auch die philosophischen
Sprüche und rhetorischen Deklamationen passen nicht in den Mund der
Heroen oder gar Heroinnen, am wenigsten die Sophismen nach Art von
Tj ylwaa' oiiw^iox\ i] 6h (fqriv dvwfjioiog (Hipp. 612), oder ti S' alaxQov, rjv
Hl] loiai %Qw}X6voig doxfj (fr. 19). Es hing aber diese Degradation der
Tragödie mit dem Streben des Euripides zusammen, sich nicht einzig dem
Dienste der Musen zu weihen, sondern durch die Muse auch für seine
politischen und philosophischen Ideen Propaganda zu machen. Vergessen
aber wollen wir über dem Tadel nicht, dass wir dieser spekulativen Rich-
tung des Dichters auch die vielen herrlichen Sentenzen [yvw^im) verdanken,
die wir noch heutzutag so gern in den Mund nehmen.
173. Die sprachliche Kunst des Euripides zwang selbst seinem
bitteren Feinde Aristophanes unumwundene Anerkennung ab. ^) Indem
Euripides den Schwulst des Aischylos wegwarf und die Sprache des Lebens
durch hübsche Verbindungen veredelte,-^) schuf er eine gemischte Diktion,
die allen leicht verständlich war und sich doch über die Plattheiten des
Marktes erhob. ^') Zur Geltung kam selbstverständlich dieser Charakter
der euripideischen Sprache zumeist in den Dialogpartien, in den pointierten
Stichomythien und in den sorgfältig nach den Regeln der Symmetrie aus-
gearbeiteten Monologen und Botenreden {Qr^asig)J) In ihnen zeigte sich zu-
^) Diesen Ehrennamen gibt ihm Arist.
Poet. 13; vgl. Quintilian X, 1. 67: Euripides
in iis quae in miseratione constant facile
2)raecipuus. Ähnlich urteilt Freytag, Technik
des Dramas 239: Keiner seiner grossen Vor-
gänger versteht wie er die epischen Bilder
mit flammender, markzerfressender Leiden-
schaft zu füllen ; keiner hat so viele wahre,
schön empfundene, individuelle Züge in sie
hineingetragen, keiner so reiches Detail, in
welchem die Zuschauer das gebildete Em-
pfinden ihrer Tage wiederfanden.
^) Arist. Poet. 25: ^orpoxXijg ecprj ccvTog
neu oXovg &si noisTp, EvQiTiiö'?]^ di olol staiv.
^) Arist. Ach. 432: Tt]Xs(fov (5«xw^«t«,
Ran. 850 w nzM^onoLe xal QaxtoavQQKnrddi],
Pac. 534 noir]Tiqv QijficiTLOir dixccptxiou, Ran.
943 ^vXdi^ diifotg aTvo^v^fuhcov and ßtßkUoy
unrjd^ay. Vgl. WoLD. Rtbbeck, Die dramati-
schen Parodien bei den attischen Komikern,
im Anhang seiner Ausgabe der Acharn er
S. 277—316.
^) Arist. fr. 397 D. : /Qüifxcii ydq avxov
xov aro^arog xo) axQoyyvlM, xovg vovg &^
ayoQcdovg r]xxov ij xsTpog noiw. Vgl. Schol.
Plat. VI, p. 227 Herrn.: 'JQiaxocpdyrjg ixto-
jUM^sixo STIL xcp axojnxsip fxev EvQ07il&t]i^,
fii/neiffS^ca tf' avxoi^.
^) Arist. Rhet. III, 2: xXenxsxai J" €tK
euu xig ex xrjg elm&viag diaXexxov ixXeycoy
Gvvxi&fi, OTTSQ EvQiTTiörjg noiei xal vnedsi^e
TiQiuxog.
^') Dion. Hai., Vet. Script, cens. II, 11;
Diog. IV, 26 ; Alexander Aetolus bei Gellius
XV, 20.
') HiRZEL, De Fjuripiclis in componen-
(Iis diverhiis arte, Lips. 1862. Zu weit geht
in der Annahme des symmetrischen Baues
C. Drama. 2. Die Tragödie, d. Euripides. (§ 173.)
233
meist die rhetorische Stärke des Dichters, welche seine Dramen auch haupt-
sächlich zum Studium für angehende Redner empfahl.^) Weit stehen den
Dialogpartien die Mele, namentlich die Chorlieder nach, die fast wie ein
unbequemes Vermächtnis aus älterer Zeit erscheinen. In den Vordergrund
treten die Monodien und Wechselgesänge, was in der ganzen Richtung der
Musik, welche sich von der Pflege des Chorgesangs den Kraftproben der
Solosänger in den Arien und Monodien zuwandte, seinen Grund hatte.
Das Band zwischen den Chorliedern und der Handlung wird zunehmend
lockerer; selbst in einer so vorzüglichen Tragödie, wie die Phönissen,
gleichen die meisten Chorgesänge eingelegten Musikstücken {sfjbßohima),^)
welche das Umkleiden der Schauspieler erleichterten, im übrigen aber,
unbeschadet des Fortgangs der Handlung, ebensogut wegbleiben konnten.
Ausserdem löst sich bei Euripides die Strenge der metrischen Form und
die Gesetzmässigkeit des Rhythmus. Im Trimeter häufen sich namentlich
seit Ol. 91 die Auflösungen der Längen und die Verteilung eines Verses
unter mehrere Personen. In den lyrischen Partien überwiegen in den Tra-
gödien der letzten Periode bis zum Überdruss die frei gebauten Glykoneen.^)
In den Melodien glaubten die Theaterbesucher die Weisen gemeiner Kneip-
und Hurenlieder wiederzuhören.*) Ein guter Teil der gerügten Fehler
scheint indes nicht dem Euripides zur Last zu fallen, sondern dem Kephi-
sophon und Timokrates, deren Beihilfe er sich in den lyrischen Partien
bediente.^) Auch in der obersten Anforderung des Stils, in der Gruppie-
rung zu einem Ganzen, lässt es Euripides in den geringeren Stücken viel-
fach fehlen. Das Streben nach Reichtum und Mannigfaltigkeit des Inhaltes,
das dem Dichter wohl halb durch das Publikum aufgenötigt war, that der
strengen Durchführung einer Idee und einer Handlung Eintrag; wollte
eine Handlung nicht ausreichen, dann thaten es zwei, wie in Hekabe und
Herakles, oder löste sich das Drama in eine Reihe von Bildern, wie in
den Troades, auf. Schliesslich dürfen wir bei der Beurteilung des Euripides
nicht vergessen, dass wir durch das blosse Lesen seiner Tragödien nur
eine mangelhafte Vorstellung von ihrer Wirkung im Dionysostheater be-
kommen. Denn Euripides lebte und schrieb für die Bühne : im axrjvrjg
8vSoxiiiiH, oXog Tov d^eäxQov sariv urteilten die Alten von ihm, halb lobend
und halb tadelnd. Für den Effekt auf der Bühne waren die Botenreden
mit ihrer unübertroffenen Anschaulichkeit, die Abschieds- und Erkennungs-
scenen mit ihrem ergreifenden Ethos, das erschütternde Pathos des rasenden
Oeri, mit dem ich über diesen Punkt dis-
putierte in Verhdl. d. Phil. Vers, in Wies-
baden 1877, S. 142—161.
^) Quint. X, 1. 68: illud quidem nemo
non fateatur necesse est iis, qui se ad agen-
dum comparcmt, utiUorem longe fore Euri-
pidem. nmnque is et sermone . . . magis
accedit oraforio generi et sententiis densus
etc. Vergl. Die Chrys. or. XVIII, p. 47:
noXiTiXM ccy^QL Tidvv lorpehfxog ' exi de rjf^t]
xcct ndS^f] deiyog 7ih]Q(xiocii xcd ypwfxag TfQog
(cncivTci i6(peXi^ovg y.ciTK^iyvvai roTg Tjoirj-
'') Tadel bei Aiist. Poet. 18 und Schol.
Eur. Phoen. 1018. Besonders anstössig ist
Hei. 1301 ff. ^
•^) Das ist das ^M^exafirixcivop bei Ari-
stoph. Ran. 1327, wozu noch das Anhalten
einer Silbe durch mehrere Zeiten, das famose
sleieieiXiaaere (Aristoph. Ran. 1314) kommt.
^) Aristoph. Ran. 1301: otroc cf' änc
ndvriop fisv (peget tioqviMioi', (TxoXiMy Mehjtov.
•'') Vit. Eur.: xd (xilr] ai'X(o cpaat Ktjcpi-
Gocpiovxa TTOieip rj TifioxQdxT]v \4QysiOP. Dun-
kel bleibt die Entlehnung der didOeaig fxeXujt'
der Medea aus der grammatischen Tragödie
des Kallias, die Ath. p. 4530 bezeugt.
234 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Herakles und des geblendeten Polymestor, die Schlagwörter und geistreichen
Sentenzen, kurz das Schönste und Beste in der Kunst des Euripides berechnet. ')
Codices: Die Dramen des Eur. sind in 2 Abteilungen auf uns gekommen; die erste,
9 Stücke (Ale. Androni. Hec. Hipp. Med. Orest. Rhes. Troad. Phoen.) umfassende liegt
uns in Handsclir. des 12. Jahrh. vor, Vatic. 909, Marc. 471, Paris. 2712, ferner in Marc.
468, Paris. 2713, Havn. 417; die zweite, sämtliche 19 Stücke umfassende Sammlung findet
sich nur in jungen Handschriften, nämlich in Laur. 32, 2, ferner in Palat. 287 u. Laurent,
abb. Flor. 172, welche beide zusammengehören und ursprünglich 1 Handschrift bildeten.
Ein jetzt in Berlin befindlicher Papyrus aus Fajjum, der Hippol. 242—515 enthält, ist
bekannt gemacht von Kirchhoff, Monatsber. d. Berl. Ak. 1881 S. 982 ff., ein anderer der
Rhes. 48 — 96 enthält, von Wilcken, ebenda 1887, 814 und Wilamowitz, Eur. Herakl. I,
214. — Ausgaben mit kritischem Apparat, in denen das bezeichnete Verhältnis festgestellt
ist, von KiECHHOFF, (grössere Ausg. v. 1855), Prinz, (bis jetzt. Med. Ale. Hec), Barthold
(bis jetzt Hipp. Med.).
Scholien haben wir nur zu den 9 Tragödien der 1. Samml., die reichhaltigsten zu
Hec. Phoen. Orest. Die imoO^saEig gehen auf Aristophanes und Dikäarch zurück. In den
Scholien sind uns Reste der kritischen Studien des Aristarch, Kallistratos, Krates, Didymos
erhalten. Über die letzte Quelle der Scholien unterrichtet die Subscriptio zu Orest: naQa-
yiyQanTcii ix rov Jiovvolov vno^vijfiarog oXoa/SQwg xal xiop ^vxxmv, und zu Med.: n^og
(fidcpoQCi civiiyQaq)a Jiouvalov oXoa/SQeg xal ziva xiüv JLdi'juov; s. Barthold, De scholioruvi
in Eur. veterum fontibus, Bonn 1864. Im Mittelalter kamen zu den 3 gelesensten Stücken
die breitgetretenen Scholien des Thomas Magister, Moschopulos und Triklinios hinzu. Die
alten Scholien des Vat. B sind herausgegeben von Cobet hinter den Phoenissen von Geei
LB. 1846. Gesamtausg. der Scholien von Gu. Dindorf, Ox. 1863, 4 Bde., neue sorgfäl-
tigere Ausg. von Ed. Schwartz, Berol., im Erscheinen.
Ausgaben: dieselben wurden erst nach und nach vervollständigt; zuerst bloss 4 Stücke
in ed. princ. Flor. 1496, weitere in der Aldina 1503, besorgt von dem Kreter Musuros;
die Elektra kam zuletzt hinzu durch Victorius 1545. - Gesamtausg. mit Scholien und
Kommentar von Barnes, Cant. 1694; von Musgrave, Ox. 1778. — Epochemachend Valcke-
naer's Ausg. der Phoenissae 1755 und Diatribe in Em. perd. dram. rell. 1767. — Ein-
schneidende Kritik geübt von den Engländern Markland (Suppl. Iph. Aul. et Taur. 1771),
Porson (Hec. Orest. Phoen. Med. 1797), Elmsley (Med. 1818, ed. II Lips. 1822), Monk
(Hipp. Ale. mit guten Noten), neuerdings Badham (Iph. Taur. Hei. 1851). — Gesamtausg.
von Matthiae, Lips. 1813- 1836, 10 vol.; fruchtbarer die Separatausgaben der meisten
Stücke von G. Hermann; für Kritik bahnbrechend durch den ersten kritischen Gesamt-
apparat die grosse Ausgabe von Kirchhoff, Berol. 1855, 2 Bände. — Textausgabe von
Nauck in Bibl. Teubn.; Ausgabe mit lateinischen Noten in Bibl. Goth. (11 Stücke) von
Pflugk und Klotz, neubesorgt von Wecklein. — Spezialausg. mit erklärenden Anm. von
Wecklein (Bacch. Hipp. Iph. Taur. Med), von Weil (Hipp. Hec. Iph. Taur. et Aul.);
Phoen. von Geel LB. 1846, von Kinkel, Leipz. 1871; Iph. Taur. von Schöne-Köchly 3. Aufl.
Berl. 1872; Hippol. von Barthold, Berl, 1880, von Badham 2. Aufl. London 1867, von
Herwerden, Utr. 1875; Iphig. Aul. von Vitelli, Flor. 1878; Eur. Herakles von Wilamo-
witz, 2 Bde. Berl. 1889, Hauptwerk mit umfassender, die ganze Litteraturgeschichte be-
rührender Einleitung.
Erläuterungsschriften: R. Arnoldt, Die chorische Technik des Eur., Halle 1878. —
H. BucHHOLTZ, Die Tanzkunst des Eur., Leipz. 1871. — Ein Glossar im 9. Bde. der Glas-
gower Ausg. 1821.
e. Die übrigen Tragiker.
174. Aischylos, Sophokles, Euripides waren die Meister der griechi-
schen Tragödie, aber nicht die einzigen Tragiker ihrer Zeit: um sie grup-
pierte sich eine ganze Schar verwandter Dichter, und ihre Kunst dauerte J
über ihren Tod hinaus im 4. Jahrhundert fort. Neben ihnen haben zunächst
Achaios und Ion im Kanon der alexandrinischen Kunstrichter Platz ge-
funden ; aber enger schliessen sich an sie ihre Verwandten und Anhänger an,
die gleichsam eigene Schulen bildeten.
') Unter den Schauspielern des Euripides l ix xvfxäxwv yaq avx^ig av yaXrjv' oqm so
ist durch die "Witze der Komiker (Arist. Ran. \ aussprach, dass man yuXrjv (Wiesel) statt
303, Strattis fr. 1) Hegel ochos berüchtigt
geworden, der den Vers des Orestes 279
yaXrjvä (Windesstille) verstand.
C. Drama. 2. Die Tragödie, o. Die übrigen Tragiker. (§ 174.)
235
Zu der Schule des Aischylos gehörte vor allem sein Sohn Euphorion.
Derselbe hat 4 mal mit Stücken seines Vaters gesiegt, aber auch eigenes
gedichtet. Der Schwestersohn des Aischylos, Philokles, erscheint in
Aristoph. Thesm. noch als lebend; nach Suidas hat er 100 Tragödien ge-
dichtet, darunter eine Tetralogie Pandionis. Dass er nicht ohne Talent war,
zeigt sein Sieg über den König Oedipus des Sophokles. Söhne des Philokles
waren Mors im OS, Tragödiendichter und Augenarzt, und M el an thios, welche
beide den bitteren Spott des Aristophanes in den Vögeln V. 801 erfuhren.
Sohn des Sophokles war der Tragiker lophon,^) dem Suidas 50 Dramen
beilegt. Schon 428 erlangte er neben dem Hippolytos des Euripides den
2. Preis, aber man kannte sich, wie Aristophanes in den Fröschen V. 79
boshaft bemerkt, nicht recht aus, inwieweit derselbe auf eigenen Füssen
stund oder durch die Beihilfe seines Vaters in die Höhe kam. Ob auch
der uneheliche Sohn des Sophokles, Ariston, Tragödien gedichtet hat, steht
nicht fest, da Diogenes 7, 164 nur einen ^Agicfrcov Tioirjtrjg TgaymSiag ohne
Angabe des Vaters erwähnt. Der Enkel des grossen Tragikers, Sophokles
der Jüngere, trat wieder als Tragödiendichter auf. Wir sahen bereits
oben, dass er den Oedipus auf Kolonos nach dem Tode des Grossvaters
auf die Bühne brachte: einen Sieg desselben im Jahre 396 erwähnt Diodor
XIV, 53. Im ganzen soll er nach dem letzteren 12, nach Suidas aber nur
7mal gesiegt haben.
Euripides der Jüngere, Neffe des berühmten Tragikers, 2) brachte
dessen Iphigenia in Aulis auf die Bühne und dichtete auch drei eigene
Stücke, Orestes, Medea, Polyxene. Von einem Sieg desselben hören wir
nichts. Alterer Zeitgenosse des Euripides war Aristarchos aus Tegea,'^)
der unter andern zum Dank für seine Genesung einen Asklepios schrieb
(Aelian fr. 101) und nach Suidas die Tragödie auf ihren jetzigen Umfang [dg
%o vvv civTMv ßrjxog) brachte, das ist von beiläufig 1000 Versen, wie viel des
Aischylos Perser und des Euripides Alkestis hatten, auf 1300 und darüber.
Ion aus Chios,^) Zeitgenosse der grossen Tragiker, kam in frühen
Jahren nach Athen, wo er in den Kreisen des Kimon verkehrte und den
Aischylos kennen lernte."') Später, während des samischen Krieges, traf
er in seiner Heimat mit Sophokles zusammen. Der Tod traf ihn vor dem
Frieden des Aristophanes (421). Mit einer für jene Zeit merkwürdigen
Vielseitigkeit dichtete er ausser Tragödien noch Elegien, Hymnen, Dithy-
ramben und schrieb in Prosa Reisememoiren (ETridrj/xim) und ein Geschichts-
werk über die Gründung von Chios.*^) Den Athenern machte er sich in
^) Osw. Wolf, De lophonte poeta tra-
gico,^ Lips. Diss. 1884. Die 6 Titel bei Sui-
Aas/^/tXXevg, Trj'kB(poq/A7tTc(i(ov,'I'kiov neqaiq,
Je^afxEvög, Büx/at, kommen bei demselben
Suidas alle auch unter Klsocpiov ^A&7]vmog
rqayixog vor, woran Susemihl, Jahrber. d.
Alt. XI, 1. 18 die Vermutung knüpft, dass
jener Tragiker Kleophon auf eine Verschrei-
bung von lophon hinauslaufe.
^) Nach Schol. ad Aristoph. Ran. 67 u.
Vita Eurip. war er ein Sohn des grossen
Tragikers, nach Suidas ein Neffe.
3) Eusebius zu Ol. 81, 2 -- 454: Ari-
starchus tragoediographus agnoscitur: vgl.
Welckek, Gr. Tr. 931 f.
'^) Eine alte Monographie von Baton,
angeführt von Ath. 436 b; aus neuerer Zeit
Bentley, Op. 494 — 510; Köpke, De lonis
Chii vita et fraqtnentis 1836. Fr. Scholl,
Rh. M. 32, 1 45 ff.
5) Plut. Cim. 9 u. 16; de prof. in virt. 8.
^) Schol. Arist. Pac. 835; die Fragmente
gesammelt von Müller FHG. 11, 44—51.
236 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
artiger Freigebigkeit dadurch verbindlich, dass er nach einem Siege jedem
Bürger einen Krug Chierwein schickte.^)
Achaios^) aus Eretria, jüngerer Zeitgenosse des Sophokles, den er
aber, wie man aus den Fröschen des Aristophanes schliessen muss, nicht
überlebte, brachte 44 Stücke zur Aufführung, erlangte aber nur 1 Sieg;
einen Namen hatte er im Satyrdrama. ^)
Neophron aus Sikyon gehört der gleichen Periode an, wenn wirk-
lich seine Medea Vorbild für Euripides war oder Euripides seine Medea
unter Neophrons Namen aufführen Hess. Suidas, der im übrigen ihn mit
Nearchos, einem Tragiker aus der Zeit Alexanders, verwechselt, legt ihm
120 Tragödien bei und schreibt ihm die Neuerung zu, Pädagogen*) und die
Folterung von Sklaven in die Tragödie eingeführt zu haben.
Xenokles trug im Jahre 415 mit der Tetralogie Oldmovg, Avxdon\
Bäxxccf, 'A^dfüiag den Sieg über Euripides davon, worüber sich die Freunde
des Euripides skandalisierten, wohl mit Recht, da ihn und seine Sippe
Aristophanes, gewiss kein Freund des Euripides, als erbärmliche Dichter
verspottet.-^) Sein Vater, Karkinos, war von Akragas nach Athen über-
gesiedelt und trat in Athen als Tragödiendichter und Tänzer auf; sein
Sohn, Karkinos, gleichfalls Tragödiendichter, ^) stand am Hofe des jüngeren
Dionysios in Ehren.
175. Agathon,^) Sohn des Tisamenos^) aus Athen, mehr bekannt
durch die witzige Charakteristik, welche Aristophanes in den Thesmophoria-
zusen von ihm entwirft, und die Rolle, welche er in Piatons Gastmahl
spielt, als durch seine eigenen Werke. Er blühte in den letzten Dezennien
des 5. Jahrhunderts; 416 gewann er den Sieg an den Lenäen,^) dessen
Feier Piaton Anlass zu dem erhaltenen Symposion bot. Durch seine feinen
und eleganten Manieren mehr wie jeder andere zum Hofmann geeignet,
folgte er bald nachher mit seinem Liebling Pausanias einer Einladung des
Königs Archelaos nach Makedonien, wo er wieder mit seinem älteren
Genossen Euripides zusammentraf.^^) Zur Zeit als dieser starb, weilte er
noch in Pella, was Aristoph. Ran. 82 mit den Worten oi'x^Tai eg fxaxccQayv
€i>(i)Xiai> andeutet. Aber nach Athen scheint er nicht mehr zurückgekehrt
zu sein, wie man aus den Worten des Scholiasten zu jener Stelle ent-
nehmen muss. Die Kunstrichtung des Agathen entsprach ganz seinem I
geschniegelten und gebügelten Äussern; in der Sprache ahmte er die ge-
suchten Antithesen des Gorgias nach;i>) in der Musik liebte er die süss-
^) Ath. 3 f. als Vater des Tragikers Akestor genannt; das
^) Uelichs, Achaei Eretriensis quae veranlasste Müllee-Stkübing, Aristoph. und
die bist. Kritik 562 f. zu kühnen Hypothesen.
^) Ath. 172a; dazu stimmen die langen
Nächte in Plat. Symp. 223 c.
^^) Nette Anekdote von Euripides, der den
schönen, aber schon 40jährigen Agathon beim
Gelage küssen will, bei Aelian V. H. XIII, 4.
^') Schol. ad Luc. rhet. praec. 11. Bei
Aelian V. H. XIV, 13 sagte er witzig zu
einem, der die Antithesen aus seiner Rede
super sunt collect n et ülustrata, Bonn 1834
3) Diog. II, 133.
^) Ein Pädagoge tritt in der Medea auf.
■^) Arist. Thesm. 169 u. 441, Ran. 86;
vgl. Vesp. 1501, Nub. 1261.
'^) Suidas erwähnt von ihm 160 Dramen,
aber nur 1 Sieg.
') RiTSCHL, De Aqathonis tragici aetate,
1829,' jetzt in Opusc. I, 411 ff.; Welckeb,
Gr. Trag. 981 ff. ! entfernen wollte: 'AsX7]i)^cig aavrdv rov 'Jyd-
^) Suid.; Schol. Arist. Ran, 83; Ceamee, j &Mva ix tov l^ydffojrog K(pc<riC(oy.
Anecd. Oxon. IV, 269. Tisamenos wird auch |
C. Drama. 2. Die Tragödie, e. Die übrigen Tragiker. (§ 175—176.) 237
liehen Triller, so dass die 'AyäO^on'oq avXtjaig sprichwörtlich wurde; ^) seine
Chorgesänge sanken zu einem blossen Ohrenschmaus herab und hatten
nur noch die Bedeutung von musikalischen Zwischenspielen {si^ißoXiiaajJ)
Im Inhalt wagte er die grosse Neuerung, zu seiner Tragödie 'JvOog die
Fabel ganz frei zu erfinden."^) Übrigens fand er mit seiner feinen, geist-
reichen Art vielen Anklang; insbesondere hat Aristoteles für ihn fast nur
Worte der Anerkennung.
176. Mit dem Tode des Euripides und Sophokles verödete die tra-
gische Bühne. Es lebten zwar noch im 4. Jahrhundert Dichter genug,
welche für die Bühne schrieben und die Aristoteles der Beachtung wert
hielt; aber die Trift der tragischen Muse war abgepflückt, und da das
Hinübergreifen auf historische und rein fingierte Stoffe keinen Anklang fand,
so bewegten sich die Tragödiendichter wesentlich in dem Geleise der alten
Fabeln und hatten ihre liebe Not, den vergriffenen Stoffen durch Änderung
in Kleinigkeiten, wie des Ortes oder der Erkennungsweise, irgend eine
neue Seite abzugewinnen;'^) nur selten glückte es einem Dichter mit einer
ganz neuen Tragödie zu debütieren, fand dann aber auch aussergewöhn-
lichen Beifall, wie Astydamas mit seinem Parthenopaios. Leichte und
elegante Handhabung der Sprache war damals eine sehr verbreitete Kunst
und die Tragiker verstanden sich auf dieselbe um so mehr, als sie meist
aus der Schule von Rhetoren hervorgegangen waren; aber die geschickte
Mache und die geistreichen Metaphern vermochten nicht den Mangel an
Naturwahrheit und warmer Empfindung zu ersetzen. Drei Dinge waren
es insbesondere, welche diese Periode der Nachblüte der tragischen Kunst
charakterisierten. Erstens wurde es üblich, auch an den grossen Dionysien
neben neuen Tragödien auch alte zuzulassen; die neuaufgefundenen Didas-
kalien CIA. II, 973 zeigen uns, dass in den Jahren 341 — 339 regelmässig eine
alte Tragödie den neuen Tragödien vorausging. Zweitens begann das
Publikum Aufmerksamkeit und Beifall fast in höherem Grade der Schau-
spielerkunst als den Dichtern und den Texten zuzuwenden,'') so dass der
Schauspieler in den Didaskalien genannt und für die Schauspieler ein be-
sonderer Wettkampf eingerichtet wurde. ^) Drittens kam die Unnatur von
Dramen, die zum Lesen {ccrayvcoaTixä), nicht zum Spiel auf den Brettern
[ayu)via%i7ca) bestimmt waren, auf; ') speziell hat, wie wir aus Aristoteles
Rhet. III, 12 erfahren, Chairemon solche Lesetragödien, wie Likymnios
derartige Dithyramben gedichtet. Weniger berührte die Kunst und das
Wesen des Dramas der äusserliche Umstand, dass seit dem 4. Jahrhundert
Athen aufhörte, einzige Pflegestätte der dramatischen Kunst zu sein, und
') Suidas und Hesychius unter ^Jydl^M-
vog avX.; Plut. Symp. III, 1.
2) Arist. Poet. 18.
'•") Arist. Poet. 9.
"*) Arist. Poet. 13: tjqiotov ol TioirjTcu
Tovq Tv^oi^Tag uvx^ovg ccnriQiS^fxovv, vvv tFf
tjeqI öllyag otxiag cd TQay(üdica avvxi&evxca,
oioy ntgl 'JXxfjaioji^a xal Oid'movv xccl Oge-
ajv.v xcd MeXeaygoi' xcd Qvioiijy xal Tij}.€g)oy.
^) Arist. Rhet, III, 1 ; fAeiCoy dvyayrai
VW TODv noi^]Hi)v ov vnoxQiTca,
®) Plut. Vit. dec. orat. 841 e, Alciphron
ep. III, 48; vergl. Müller, Gr. Bühn. 321).
Berühmte Schauspieler waren damals Polos,
Theodoros, Aristodemos, Neoptolemos, Ai-
schines. Vgl. Welckek, Gr. Tr. 911 ff.
') Schon in Aristophanes Fröschen V. T);*.
liest Dionysos während des Feldzugs auf
dem Kriegsschiff für sich die Audromeda
des Euripides.
238
Crriechische Litteraturgeschiclite. I. Klassische Periode.
dass auch in Syrakus, Korinth, Argos, Pherä, Megalopolis und anderen
Städten Tragödien aufgeführt wurden.^)
Von Dichtern werden aus der Wende des 5. Jahrhunderts genannt
Kritias und Theognis, die beide zu den 30 Tyrannen gehört hatten,
und Meletos. der als Ankläger des Sokrates eine traurige Berühmtheit
erlangt hat.-) Nur zum Gespötte diente Dionysios der Altere, Tyrann
von Syrakus, der auch als Dichter glänzen wollte^) und sogar in Athen
kurz vor seinem Tod (367) mit einer Tragödie ''Emogog Xvtqu den ersten
Preis gewann.*) Dem 4. Jahrhundert gehörten ferner an: Astydamas, Sohn
des Tragikers Morsimos, der anfangs den Rhetor Isokrates hörte, sich aber
dann zur Tragödie wandte. Ein ausserordentlich fruchtbarer Dichter (Suidas
legt ihm 240 Tragödien bei) erfreute er sich zugleich einer grossen
Gunst des Publikums; er trug 15 Siege davon ''^) und erhielt ob seines
Parthenopaios die Ehre einer Statue. Die Kunst des Vaters vererbte sich
auf seinen Sohn, den jüngeren Astydamas. Theodektes aus Phaseiis in
Lykien, Schüler des Piaton und Isokrates, war gleich angesehen als Redner
und Tragiker. Ein schöner und gewandter Mann war er in den Kreisen
der Platoniker, namentlich von Aristoteles, gern gesehen; auch am Hofe
der Artemisia stund er in Ehren und ward nach Halikarnass berufen, um
dem Mausollos die Leichenrede zu halten (352). <^) Gestorben ist er in
Athen im Alter von 41 Jahren; an der heiligen Strasse nach Eleusis stand
sein grossartiges Grabdenkmal, auf dem er sich rühmte bei 13 Wettkämpfen
8 Siegeskränze davongetragen zu haben. '^) Ausser Tragödien hatte er Reden
und eine berühmte itjvrj ^rjroQixr'j geschrieben.^) Moschion, ein oft auf-
gezogener Gourmand, griff nochmals zur politischen Tragödie zurück in
seinem Themistokles und seinen Pheräern,^) von welchen Dramen das erste
den Tod des Themistokles behandelte, das zweite sich auf den Unter-
gang des Alexander von Pherä bezogen zu haben scheint. Sonstige
Tragiker unserer Periode waren Chairemon, Verfasser von Lesetragödien
und eines aus verschiedenen Versen zusammengesetzten Gedichtes KtvravQog,
Polyeidos, der nach Arist. Poet. 17 eine neue Lösung der Wiedererkennung
der Iphigenie ersann, Karkinos der Jüngere, Dikaiogenes, Aphareus,
Kleainetos, die Kyniker Diogenes von Sinope und Krates, Anti-
phon, Python u. a.
') Müller, Gr. Bülm. 376 ff. In Syra-
kus, wo Epicharmos lebte und Aischylos
seine Perser aufführen liess, gab es gewiss
schon früher ein Theater.
'^) Meletos war Verfasser einer Oidi-
7i6(^£i((. Der Scholiast zu Plat. Apol. 18b
nennt ihn TQayMÖ'iag cfccvXoq noiijir/g; vgl.
Welcker, Gr. Trag. 970 ff.
^) Nach Suidas hat er Tragödien und
Komödien gedichtet und demnach die For-
derung des Sokrates in Plat. Symp. extr.
erfüllt; aber die Komödien werden bezwei-
felt, s. Welcker, 1229.
4) Tzetzes, Chil. V, 180; nach dem-
selben Chi]. V, 185 spottete er in einem
Drama über Piaton. Eine Darstellung aus
der Tragödie von Hektors Lösung findet sich
auf einem Wandgemälde von Pompeji; s.
Baumeister n. 1949.
^) Einen Sieg, vielleicht den ersten, er-
wähnt die parische Chronik zu 373; vergl.
Welcher, 1052 ff.; den Sieg mit dem Par-
thenopaios bezeugt CIA. II, 973.
^) Gellius X, 18. 7 spricht von einer
Tragödie Mausolus.
') Steph. Byz. u. 'f>«ai]kig, und Paus.
I, 37. 3.
^) Daher von Cicero Or. 51 artifex ge-
nannt; auf dieses Handbuch scheinen auch
die QEo^ixreici des Aristoteles Bezug zu haben ;
vgl. Spenoel, Artium scrii'tiores p. 108.
'') RiBBEOK, Rh. Mus. 30, 147 ff.
C. Drama. 3. Die Komödie, a. Die Anfänge der Komödie. (§ 177--178.) 239
3. Die Komödie.^
a. Die Anfänge der Komödie in Griechenland und Sikilien.
177. Die Komödie lässt Aristoteles, wie wir oben § 127 sahen, von
den Vorsängern der Phallosiieder {dito tmv i^aQxovTMV rd (faXhxd) ent-
standen sein. Solche Aufzüge von Phallosträgern {cfaXXocpoQoi), die mit
einem grossen Phallos, dem Symbol der Zeugungskraft des Naturgottes,
umherzogen, fanden an vielen Orten statt. Von ihrem Brauch an den
ländlichen Dionysien gibt uns Aristophanes in den Acharnern 259 ff. ein
anschauliches Bild. 2) In Lindos auf Rhodos zog nach Athen, p. 445 schon
zur Zeit der Sieben Weisen Antheas in bacchischem Anzug, gefolgt von
phallostragenden Genossen in dem Lande umher, den nachfolgenden Seh warm-
gesellen lustige Verse vorsingend. Genauer beschreibt uns Semos bei
Athen, p. 622 aus späterer Zeit solche Aufzüge in Delos: die Phallophoren
ziehen zuerst im raschen, iambischen Takt in die Orchestra ein; dann laufen
sie auf die Einzelnen zu und überschütten dieselben mit Spottversen.
Ähnlich war die von Herodot V, 83 geschilderte, in Aegina heimische
Feier der Fruchtgöttinnen Damia und Auxesia, von der die Spottverse in
Aristophanes Fröschen 416 ff. ein Abbild geben. ^) Verwandter Natur waren
die Spässe der Deikelisten in Sparta, die mit Geberden und Worten bald
einen fremden Quacksalber, bald einen Krautdieb nachahmten, ^) die Scherze
der vermummten Hirten in Sparta und Sikilien,^) die komischen Gesänge
der Hilaröden und Magöden in Unteritalien. ^)
178. Aus diesen volkstümlichen Schwänken und Neckereien sind die
verschiedenen Arten der komischen Muse hervorgegangen. Die Komödie
knüpfte zunächst an die Phallika an; denn sie war und blieb mit dem
^) Von den Alten handelte Aristoteles
im 2. Buch der Poetik von der Komödie,
woraus verzettelte Reste auf uns gekommen
sind, die J. Bernays, Zwei Abhandlungen i
über die arist. Theorie des Dramas 133 ff. j
ins rechte Licht gestellt hat. Ausserdem i
schrieb der Peripatetiker Chamaileon tisqI '
xojfXMMug in mindestens 6 B., und beschäf-
tigten sich in Alexandria Lykophron, Era-
tosthenes, Eumelos, Aristophanes Byz., Ari-
starch mit der Komödie. Der Krateteer Hero-
dikos schrieb Kw^mögv^aev«, die den 7'^«-
yMÖovfisi'K des Asklepiades entsprochen zu
haben scheinen. Erhalten sind uns aus rö-
mischer Zeit mehrere, den Aiistophanes-
scholien vorausgeschickte Traktate, nämlich
Platonios ix tmp 71€qI diacpoQccg xio/xa)diüjp
(I) und 7J€Qi diacpogag )(aQCiXTr]QO)v (II), ferner
ein Anonymus tieqI xiOfxoiSiag (III) mit wert-
voller Charakteristik der Dichter (Neudruck
von Studemund in Philol. 46, 13), endlich
Andronikos neQi rd^scog noirjXMv (X). — Aus
dem Mittelalter stammen die Verse desTzETZES,
TTSQi xiüf^io&iag und dessen Prolegomena in
Äristophnnem (ed. Keil in Ritschl, Opusc.
I, 197 ff.), womit das Scholium Plautinum,
neu bearbeitet von Studemund, Phil. 46,
1 — 26, zusammenhängt. — Neuere Bearbei-
tungen: Bekgk, Commentationes de reliquns
comoediae atticae antiquae, Lipsiae 1838;
Aug. Meineke, Historia critica comicorum
graec, Berol. 1839, 5 vol., Hauptwerk; der
erste Band enthält die Litteraturgeschichte
der Komödie, die übrigen die Fragmente; ed.
minor., Berol. 1847, 2 vol.; Comicorum atii-
corum fragm. ed. Kock, Lips. 1880 — 8, 3 Bde. ;
KANNEGIESSER, Die alte kom, Bühne in Athen,
Bresl. 1817, geistvoll aber antiquiert: Du-
meril, histoire de la comedie ancienne, Par.
1869. -
^) Entartet ist der von Schmeichelei
überströmende Phallosgesang der Athener zu
Ehren des vergötterten Demetrios bei Athen,
p. 253, doch so, dass man auch da noch im
Rhythmus und Ton die Spuren der alten
dionysischen Spottverse erkennt.
^ Von Phallophoren in Sikyon, der alten
Heimat des Bocksgesangs, spricht Ath. 621.
4) Ath. 621 d.
^) Vgl. den Traktat neQL xrjg svQeasojg
Tvüp ßovxoXixüjy vor den Theokritscholien.
^) Ath. 621; vgl. Grysar, De Dorien-
sitim comoedia, Colon. 1828.
240 Crriecliische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Kultus des Dionysos und seinen Festen aufs engste verknüpft. Ihre An-
fänge sucht Aristoteles Poet. 3 bei den dorischen Megarern, den nisäischen
im griechischen Festland und den hybläischen in Sikilien.O Im fest-
ländischen Megara gab die Ochlokratie nach dem Sturze des Tyrannen
Theagenes (um 600) dem Spott der Phallophoren freien Lauf;-) zur kunst-
v^ollen Entwicklung ist aber der megarische Scherz {MsYaQixov axcofjifia)
nicht gekommen; man sprach in Athen von ihm nur im Sinne von grober
Posse und plumpem Einfall.") Eine Hauptfigur desselben war der Maison,
worunter man sich die stehende Maske eines drolligen Koches zu denken
hat.^) Nach Attika, und zwar nach dem Demos Ikaria, wo wir auch die
Wiege der Tragödie fanden, verpflanzte die Komödie Susarion. Es sind
uns von ihm noch 5 Verse, freilich von zweifelhafter Echtheit erhalten,
worin er sich als Sohn des Philinos aus Megara einführt und die grosse
Weisheit verkündet xal yccg t6 yfjfnat xal to /t/y yrjfxai xaxov. Die parische
Chronik lässt ihn zwischen 581 und 562 in Ikara auftreten und als Sieger
einen Korb von Feigen und eine Amphora Wein davontragen. Aber die
Stegreifwitze [amoaxeSiäai-iaTa) dieses alten Lustspiels zogen nicht in glei-
chem Grade wie die Anfänge der Tragödie die Aufmerksamkeit der Gebil-
deten und der Stadt auf sich. So blieb, wie Aristoteles sagt,'^) die Komödie
verborgen, und dauerte es an 100 Jahre, bis in Athen von Staats wegen
Wettspiele für Komödiendichter eingerichtet wurden.
179. Inzwischen waren schon in Sikilien die Keime der dorischen
Komödie aufgegangen und hatte bereits Syrakus neben Phormis und
Deinolochos ^) den grossen Dichter Epicharmos'') hervorgebracht. Der-
selbe stammte aus Kos, war aber schon als Knabe nach Megara in Sikilien
und später nach Syrakus gekommen, wo die Tyrannen Gelon und Hieron
den Glanz ihrer Herrschaft durch musische und theatralische Festspiele zu
erhöhen suchten. Seine philosophische Bildung gab sich in vielen weisen
Sprüchen kund, so dass die Pythagoreer die Fabel aufbrachten, er habe
ehedem zu ihrem Bunde gehört und sei erst später zur Komödie über-
getreten.^) Suidas setzt ihn 6 Jahre vor die Persika, d. i. 486, was wohl
^) Aspasios zu Arist. Eth. Nie. IV, 6
nennt die Megarer Erfinder der Komödie;
vgl. Anth. XI, 32. Wilamowitz, Die mega-
rische Komödie, Herrn. 9, 319 ff. will die
megarische Komödie auf Witze attischer
Komödiendichter reduzieren.
2) Flut. Quaest. gr. p. 295 d; Anth. XI,
440.
•') Aristoph. Vesp. 57 ; Eupolis in den
Scholien z. St.; Ekphantides bei Aspasios a. 0.
^j Aristophanes Byz. bei Ath. 659; Mei-
NEKE I, 55 f.
■') Arist. Poet. 5 : i) de xMfXiodici dia ro
fxr] anovdd^sa&ca e^ (<QXV^ e^aS^ey ' xcd yuQ
'/oQw y.üjjutoÖMP otps noT€ 6 ccQ/ioy tdcoxey.
aXk^ i&eXopTul TJaay ' ijdrj 6s a/TJ/uard nva
(cvirjg iyovatjg oi 'Asy6fj.svoi (wr^g 7ioit]rtd
^vrifxovsvovTca. Suidas u. ^Enl/aQ^og nennt
aus jener älteren Zeit die Namen Euetes.
E u X e n i d e s , M y 1 1 o s ; der letzte steht auch
bei Diomedes p. 488, 24 K.
^) Der von Epicharraos in Logos und
Logina erwähnte Dichter Aristoxenos war
wahrscheinlich kein Komiker, sondern ein
lambograph.
"') Über Epicharmos ein Artikel dos
Suidas und Diog. 8, 78. Lorenz, Leben u.
Schriften des Koers Epicharmos, Berl. 1864;
Leop. Schmidt, Quaestiones Epicharmene,
Bonn. 1846. Die Fragmente gesammelt von
Ahrens, De gr. ling. dial. t. II im Anhang. Ein
neues Bruckstück aus dem 'Odvaaevg aino-
IxoXog gefunden von Gomperz, Mitteil, aus
der Sammlung der Papyrus des Erzherzogs
Eainer, Bd. V; wozu vgl. Blass, Jahrb. f.
Phil. 139 (1889) S. 257 ff.
^) Gedichte des Epicharmos mit pytha-
goreischer Weisheit hat Euripides benützt,
nachgewiesen von Wilamowitz, Eur. Herakl.
I, 29 f.
C. Drama. 3. Die Komödie, a. Die Anfänge der Komödie. (§ 179 180). 241
mit seiner Übersiedelung nach Syrakus zusammenhängt. Bei unge-
schwächter Geisteskraft erreichte er das hohe Alter von 90 Jahren, ^j Das
Andenken des Dichters ehrten die Syrakusaner durch ein ehernes Stand-
bild, wozu Theokrit ein Epigramm dichtete. Seine Komödien, deren Zahl
zwischen 36 und 52 schwankt, waren zum grösseren Teil mythologische
Travestien, die sich, wie schon die Titel KvxXMifi, ^'A^xvxog, Bovaigig, ITqo-
fia&svg zeigen, am meisten dem attischen Satyrspiel näherten. Da war
im Busiris eine Hauptperson Herakles, wie er sich in den Vorratskammern
des erschlagenen Unholdes gütlich that; da bildete in ''Hßag ycc/^wg den
Mittelpunkt der Hochzeitsschmaus mit den leckeren Speisen von Fischen,
Austern, Vögeln, Kuchen; da war in dem ''Hifaiaxog die Fesselung der
Hera auf dem Throne dargestellt, weil sie aus Eifersucht dem Herakles
Nachstellungen bereitet hatte. 2) Andere Stücke boten Bilder aus dem
gewöhnlichen Leben, wie der Bauer {'ÄyqmaTtvog) und die Festbesucher
(Osagoi), oder witzige Wettkämpfe und philosophischen Wortstreit, wie
Aöyog xal Aoyiva und Av^avoiievog löyog.^) Geschrieben waren seine Lust-
spiele im dorischen Dialekt der Syrakusaner; von Versen gebrauchte er
ausser dem iambischen Trimeter insbesondere den trochäischen und ana-
pästischen Tetrameter, den letzteren in zwei Komödien, den XoQsvovxsg
und dem 'Enivixiog, durchweg;^) seine trochäischen Tetrameter hatten durch
die häufigen Auflösungen der Längen einen ungleich bewegteren Charakter
als die entsprechenden Verse des attischen Dramas. Mit der Raschheit des
trochäischen und anapästischen Rhythmus paarte sich die Lebhaftigkeit der
Aktion, so dass seine Komödien zu den fabulae motoriae gerechnet wurden,
worauf sich der bekannte Vers des Horaz epist. H, L 58 bezieht: Plautus
ad exemplar Skull properare Epidiarmi. Einen Hauptanziehungspunkt aber
in den Gedichten unseres Epicharmos bildete die Fülle treffender Sentenzen,''^)
weshalb Piaton Theat. 152 e ihn auf eine Linie mit Homer stellt. Ennius
hat sein philosophisches Lehrgedicht, weil es mit Sentenzen des sikilischen
Komikers angefüllt war, geradezu Epicharmus überschrieben. Das Stu-
dium des Dichters erhielt sich noch lange bei Philosophen und Gram-
matikern, von denen Apollodor aus Athen eine Ausgabe mit Kommentar
in 10 B. veranstaltete;^) auf uns gekommen ist nur ein Trümmerhaufen
von Fragmenten.
180. In demselben Syrakus bildete sich im Anschluss an das volks-
tümliche Possenspiel der Mimus aus.'^) Die ganze dramatische Dichtkunst
beruht auf Nachahmung; Mimus aber hiess speziell die Nachahmung einer
bestimmten Situation oder Person. Er unterschied sich also von der Ko-
mödie dadurch, dass er des Chors entbehrte und keine Handlung zur
') Von 90 Jahren nach üiog. 8, 78;
von 97 nach Luc. Macr. 25.
'-) Darauf ward ehedem das Vasenbild
bei Wieseler, Theatergebäude Taf. 9, 14
bezogen, während Wieseler selbst die Dar-
stellung auf ein anderes Stück bezieht.
^) J. Bernays, Epicharmos und der
Av^avofxevog Xöyog, Ges. Abh. I, 109—117.
Über die Verspottung des äschylischen Bom-
bastes durch Epicharm s. Schol. ad. Aesch.
Haiulbaoh dov klass, Altortiiniswisspuscliaft. VII. 2
Eum. 626.
^} Hephaestion c. 8.
"'') Vielcitiert ist der Vers: racps y.Kt
^') Porphyrios in Vit. Plotin. 24; wahr-
scheinlich umfasste jedes Buch, oder rich-
tiger jeder Tomos eine Tetralogie.
^) Fuhr, De mimis Graecorum, Berlin
1860. Im Altertum schrieb Apollodor einen
Kommentar zu Sophion.
Aufl. 16
242 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Durchführung brachte. Der berühmteste Vertreter dieser Gattung war
Sophron, von dem Suidas folgendes überliefert: „Sophron aus Syrakus,
Sohn des Agathokles und der Damnasyllis, lebte zur Zeit des Xerxes und
Euripides und schrieb i^iii^iovg ävÖQsiovg (wie ayysXog, ^vvvo^rjQag, y&QovTsg,
dhsTg) und /iiifxovg yvraixetovg (wie axtargiai, vvix(fon6vog^ nsv^tqa^ ^lad^iiid-
^ovaai); sie sind in Prosa, in dorischem Dialekt geschrieben; man sagt,
dass der Philosoph Piaton immer mit ihnen verkehrte, so dass er sogar
zuweilen auf ihnen schlief." Dem Piaton warfen seine Neider sogar vor,
dass er in seinen Dialogen nur die Mimen des Sophron kopiert habe; in
den Idyllen des Theokrit sind uns noch einige Nachahmungen erhalten,
welche uns für den Verlust der Originale entschädigen müssen, i) Neben
Sophron wird als Mimendichter sein Sohn Xenarchos aus der Zeit des
Tyrannen Dionysios genannt. 2)
b. Die altattische Komödie.
181. Festen Boden und dauernde Heimstätte gewann die Komödie in
Attika, dem Lande demokratischer Freiheit und geistreichen Scherzes. Doch
kam dieselbe hier erst später zur Entfaltung und nahm, da das ältere Satyrspiel
einen Teil ihres Gebietes, die mythologische Posse, bereits okkupiert hatte,
eine etwas abweichende Richtung. Das Leben der Gegenwart, das öffentliche
und private, bildete für die attische Komödie in allen ihren Wandlungen
den Hauptgegenstand des heiteren Spieles. Ausser an die phallischen Auf-
züge der Dionysien knüpfte sie hier an die scherzhaften Neckereien
der sogenannten Gephyrismen {yeifwqiaixoi) an. Es war nämlich bei den
jährlichen Prozessionen zur Mysterienfeier in Eleusis Sitte, dass an der
Brücke (yt(fVQa), welche über den Kephissos führte, Witzbolde sich zu beiden
Seiten aufpflanzten und in bald scherzenden, bald beissenden Versen die Vor-
übergehenden neckten. •') Auch die Freiheit, mit der man vom Wagen herab
bei bacchischen Aufzügen auf die Leute rechts und links seinen Spott
ausgoss, gab der attischen Komödie Nahrung und zog in ihr das Ele-
ment des aus dem Leben und der Gegenwart genommenen Scherzes und
Spottes gross.
Zur Blüte kam in Attika die Komödie erst, nachdem dieselbe in die
öffentliche Feier der Dionysosfeste aufgenommen war, oder mit anderen
Worten, nachdem der Archen auch für sie einen Chor zu geben und einen
Wettkampf (ayon') konkurrierender Choregen und Dichter zu eröffnen be-
gonnen hatte. Das geschah später als bei der früher zu Ehren gekom-
menen Tragödie,*) begreiflich, da ernste und haushälterische Bürger nur
zögernd sich dazu verstanden, das ausgelassene Spiel mit öffentlicher Au-
torität zu umkleiden. Aus der späteren Aufnahme erklärt es sich auch,
dass nunmehr 2 Repräsentanten der heiteren Muse, das früher im Gefolge
der Tragödie eingeführte Satyrdrama und die urwüchsige, erst später auf-
genommene Komödie nebeneinander zur Aufführung gelangten.'^) Indes
') Der rhythmische Hymnus Gregors 1 ^) Fritzsche in Ausg. von Arist. Ran
von Nazianz in meiner Anth. christ. p. 29 wird [ p. 197.
von alten Grammatikern missverständlich auf | ^) Aristot. Poet. 5.
das Vorbild Sophrons zurückgeführt. ' ^) Vergl. S. 163.
'^) Suidas u. ^rjyiyovg. Arist. Poet. 1. |
i
C. Drama. 3. Die Komödie, b. Die altattische Komödie. (§ 181.)
243
wurden doch nach den neuerlich aufgefundenen didaskalischen Urkunden
CIA. II, 971 schon zu Aischylos Zeiten, wahrscheinlich schon seit 472 Komödien
unter staatlicher Leitung aufgeführt.^) Die alte Komödie begann aber sicher
erst nach den Perserkriegen, und ihre Anfänge fallen mit der ungehinderten
Freiheit (TraQQrj(Tia) der durch Perikles grossgezogenen Demokratie zusammen.
Das bestimmte ihren Charakter:-) öffentlich geworden, richtete sie auch
ihren Witz und Spott gegen die Gebrechen des öffentlichen Lebens und der
leitenden Personen des Staates. Bei einer Schrankenlosigkeit der Rede-
freiheit, wie sie kein Zeitalter in gleichem Grade sah, brauchte sie sich
nicht auf dem matten Boden der Allgemeinheiten oder versteckten An-
spielungen zu bewegen, sondern durfte offenen Hauptes den Gegner, auch
wenn er zu den angesehensten und höchstgestellten gehörte, angreifen. In
der persönlichen Persiflage knüpfte sie an die bitteren Spottverse des
Archilochos und der ionischen lambographen an; über sie ging sie aber
dadurch hinaus, dass sie statt Privatpersonen Männer des öffentlichen
Lebens angriff und in einer Zeit, wo es noch keine Presse und keine Flug-
blätter gab, das Zensorenamt der öffentlichen Meinung übte. Wiederholt
zwar ward das Verbot erlassen, die Durchgehechelten, zumal wenn sie ein
öffentliches Amt bekleideten (tovq aQ^oizag), bei Namen zu nennen (ovo-
liaarl xo)iiio)6sh');^) aber die Polizei war in Athen schwach, und die Lust
an der politischen Komödie gross, so dass immer wieder die zügellose Rede-
freiheit durchbrach, bis mit dem unglücklichen Ausgang des peloponnesi-
schen Krieges der Freiheit des Theaters feste und dauernde Fesseln an-
gelegt wurden. Für uns sind so die Stücke der alten Komödie ein Spiegel-
bild der Zeit, wie denn schon Piaton dem Tyrannen Dionysios, um sich
vom athenischen Staat ein Bild zu machen, die Lektüre der Komödien des
Aristophanes empfohlen haben soll.*)
Aber bei allem Ernst des persönlichen und politischen Spottes blieb
doch die attische Komödie ein mutwilliges Kind der heiteren Muse Thalia,
') Nach Bergk, Rh. M. 34, 305 fanden
die ersten Siege der Komiker an den Lenäen
statt, da an den Dionysien erst später, um
Ol. 84, ein regelmässiger Agon für Komiker
eingerichtet worden sei; siehe dagegen oben
§ 130. Dass schon vor 472 an den Lenäen
Preise für Komödien ausgesetzt wurden,
lässt sich zwar nicht beweisen, ist aber wahr-
scheinlich; aber in dem ersten Teil des
Zeitraumes von 536 — 472 müssen nach dem
Zeugnis des Aristot. Poet. 5 nur Tragödien
gegeben worden sein.
'^) Anon. de com. III: ysyovuai (ff fisra-
ßoXm x(ji)fx(t)diag TQsTg ' y.cd r] fxey uQ^aia, rj
cTf via, iq de fiiarj • ol fxhv ovv r?;? «^/«t«?
y(x)fXMdiag 71017]tkI ov/ {no&eaecog uh]\^oig,
alh} Tiaideltcg svjQa-niXov yivGfxevoi Cf]^Mrccl
Totlg uycüpag inotovy ' y.ai (fegsrai avXMv
nävia X(< dQci^ara j^s oiip joTg iperdsni-
yQ('((poig.
^) Das erste Verbot wurde unter dem
Archon Morychides Ol. 85, 1 = 440/39 er-
lassen; dasselbe wurde 3 Jahre später unter
dem Archon Euthymenes (s. Schol. Arist.
Ach. 67) wieder aufgehoben; neue Beschrän-
kungen scheinen 428/7 durch Antimachos
ergangen zu sein (s. Schol. Arist. Ach. 1150)
und wurden durch ein Psephisma des Syra-
kosios 417/6 (s. Eupolis in den Poleis und
Schol. Arist. Av. 1297) erneut eingeschärft,
durch das insbesondere die namentliche Ver-
höhnung der Beamten untersagt wurde (s.
Phrynichos im Monotropos; vgl. Schol. Arist.
Nub. 31, Ran. 501; Xen. de rep,.Ath. 2, 18).
Vgl. Meineke I, 40 ff.; Bergk, Über die Be-
schränkungen der Freiheit der älteren Ko-
mödie zu Athen, Kl. Sehr. 444 ff.; Lübke,
Quaest. crit. in hist. vet. com., Berl. 1883.
^) W. ViscHER, Über die Benützung der
alten Komödie als geschichtliche Quelle, Basel
1840, in Klein. Sehr. I, 459 ff.; Müller-
Strübing, Aristophanes und die historische
Kritik. Leipzig 1873; Muhl, Zur Geschichte
der alten attischen Komödie zur Zeit des
peloponnesischen Kriegs, Augsb. Progr. 1881.
16^
244
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
ein tolles Fastnachtspiel. Die Ausgelassenheit gab sich gleich äusserlich
in der Erscheinung der Spielenden kund; nicht bloss die Schauspieler trugen
bizarre Anzüge und groteske Masken, auch die Choreuten waren phanta-
stisch ausstaffiert, bald als Vögel, bald als Wespen, bald als Frösche und
ähnliches verkleidet. Der Chor spielte überhaupt in ihr eine viel aktivere
Rolle und blieb dadurch dem Charakter des lustigen Seh warmes getreu,
aus dem das ganze Spiel hervorgegangen war. Er sang also nicht bloss
Einzugs-, Auszugs-, Stehlieder; er griff auch beständig mit kleinen Gesängen
und durch Organisierung förmlicher Streitscenen in die Handlung ein und
bewahrte in der Parabase, in der er sich als Vertreter des Dichters an das
Volk wendete, eine lebensfrische Erinnerung an die alten Aufzüge des
neckenden Festschwarmes. ') Dem gegenüber blieb die Handlung etwas
in der Entwicklung zurück; sie erhob sich zwar über die megarische Posse
und die lose Aneinanderreihung burlesker Scenen, aber die kunstvolle Ver-
knüpfung und die Spannkraft der Peripetie und der Wiedererkennung kamen
erst in der neuen Komödie zur Geltung, in der alten überwogen die
trunkenen Orgien des ausgelassenen Weingottes, die in saftigen Zoten
und Spässen sich gefielen und in phantastischer Genialität über die be-
engenden Schranken des Anstandes und Philistertums sich wegsetzten; es
war ein Spiel, das vor allem die Zuschauer zum Lachen bringen und
durch derbe Witze und kecke Einfälle in launige Feststimmung versetzen
wollte. In diese Stimmung versetzt selbst uns die Lektüre der erhaltenen
Stücke, und doch fehlt uns dabei eine Hauptsache, der Anblick der phan-
tastischen Masken und der lasziven Sprünge des Kordaxtanzes.
Die Sprache der Komödie schloss sich selbstverständlich eng an
die Umgangssprache des Volkes an, so dass epische Formen aus dem
Dialog mehr als in der Tragödie ausgeschlossen waren und die hervor-
ragendsten Komiker, wie Pherekrates und Aristophanes, zugleich als
die reinsten Vertreter des Attikismos galten. 2) Daneben aber verstanden
es die Dichter durch kühne Wortbildungen, eingelegte Fabeln, Parodien
lyrischer und tragischer Verse der Diktion Reiz und poetischen Anstrich
zu geben. Die Rhythmen, namentlich der gesungenen Stellen tragen ent-
sprechend der ausgelassenen Art des Spiels und Tanzes einen munteren
und bewegten Typus; neben den anapästischen Tetrametern spielen die
raschen Trochäen und kräftigen Päonen eine Hauptrolle. Auch der Haupt-
vers des Dialoges, der iambische Trimeter, wird durch die häufigen Auf-
lösungen und die Einmischung von Anapästen beschwingter zugleich und
^) Ungenügend ist die Aufzählung der
HbQi] y.uj/uoiJ'iag im Anecd. Paris. Vollstän-
diger ist das den Aristophanesscholien zu
gründe liegende S5'stem des Heliodor; vergl.
oben § 132. Zielinski, Die Gliederung der
altatt. Komödie, stellt die Komposition und
Gliederung der Komödie in scharfen Gegen-
satz zu der der Tragödie; ihm gebührt das
Verdienst, die Bedeutung des Agon als alten
Hauptelementes der Komödie zur Geltung
gebracht zu haben; demselben sucht er auch
ähnlich wie der Parabase eine feste Glie-
derung in Ode, Katakeleusmos, Epirrhema,
Pnigos, Antode, Antikeleusmos, Antepirr-
hema, Antipnigos, Sphragis zu geben.
'-) Der strengere Attikismos der Komödie
zeigt sich besonders in dem Gebrauch von
TT statt <J(T, in den Pluralen innrjg, U/aQ^'i^g
statt (TTTTsTg, ^J/ugreTg, und in der Selten-
heit von Formen und Wörtern des epischen
und ionischen Dialektes; s. Ruthekford,
Zur Geschichte des Atticismus, Jhrb. f. Phil.
XIIT, 359-392, und oben § 125.
C. Drama. 3. Die Komödie, b. Die altattische Komödie. (§ 182-183.) 245
lässiger. Im übrigen sind uns die Komödien auch dadurch leichter ver-
ständlich, dass sie frei von verwickelten Versformen fast nur populäre,
leicht ins Gehör gehende Sangweisen enthalten. ')
182. Die ältesten Komödiendichter Athens nach den Perserkriegen
waren Chionides, Ekphantides, Magnes. Des Magnes gedenkt rühmend
Aristophanes in den Rittern 520 ff.; nach dem Anonymus de com. III hatte
er 11 Siege davongetragen,-) hatte sich aber von ihm nichts erhalten. 3)
Titel seiner Stücke waren Ba^ßtrixTrai, Bdr^axot, "Ogvi^sg, Av6oi\ Wjvsg,
woraus man ersieht, dass er in der phantastischen Ausstattung des Chors
dem Aristophanes vorangegangen war.
183. Kratinos (gestorben zwischen 423 und 421),'^) der neben Eupolis
und Aristophanes in den Kanon aufgenommen wurde, ''^) war der Begründer
des archilochischen Tones der politischen Komödie und erhob zugleich durch
Einführung des 3. Schauspielers die Komödie zu gleichem Rang mit der
Tragödie. Ein Anhänger des Kimon^) und der konservativen Partei ver-
folgte er heftig den Perikles, den er in den Ogatrai den zwiebelköpfigen
Zeus schalt und in den XsiQwveg von der Zwietracht und dem Kronos geboren
sein liess.'^) Im Privatleben war er ein Freund lustiger Gelage und setzte
mehr als gut der Weinflasche zu; von ihm rühren die hübschen Verse her:
oivog TOI y^aQisvti nsXsi ta^vg IrcTiog aoiSm,
vöooQ dii TVivcov ovötv av TtXOC (focföv.^)
Als Komödiendichter trat er nach Eusebios erst spät im J. 453 auf; Siege
errang er 9 (6 an den Lenäen, 3 an den Dionysien), Komödien hinterliess
er 21, welche von den alexandrinischen Grammatikern fleissig gelesen und
kommentiert wurden. Berühmt waren die 'äqxiXoxoi, die Spötter, worin
ein Wettstreit von Dichtern vorkam, die QqaTxai und Xeigcov^g, welche
gegen Perikles gerichtet waren, die Evi'HÖai, die man bei dem Tode Ale-
xanders d. Gr. unter dem Kopfkissen des Königs fand (Phot. bibl. 151a 11),
die ^Odvaar^g, mit denen er die Reihe mythologischer Travestien eröffnete,
insbesondere aber die JJvtivtj. Als nämlich Aristophanes in den Rittern
V. 524 über ihn als morsche Ruine zu spotten gewagt hatte, trat er im
nächsten Jahr (423) mit jener Pytine auf, in welcher Frau Komödia sich
beklagte, dass ihr einst so getreuer Ehemann nun in wilder Ehe mit der
Flasche lebe, und mit ihren Künsten ihn wieder aus den Schlingen der
bösen Buhlin befreite; die Athener stellten sich auf die Seite des gekränk-
ten Dichters, indem sie ihm den ersten Preis zuerkannten, Aristophanes
') Sehr viele Metra sind nach Dichtern
der alten Komödie benannt, wie Cratineum,
Eupolideum, Pherecrateum, Aristophaneum,
Phrynicheum.
^) Ein Sieg gleichzeitig mit einem des
Aischylos ist urkundlich bezeugt CIA. II, 971 ;
die Siege desselben waren gewiss ebenso
wie die des Kratinos teils lenäische, teils
dionysische.
^) Nach einer Notiz des cod. Salomonis
(publiziert von Useneb, Rh. M. 28, 418) hatten
die Stücke der älteren Komiker nicht mehr
als 300 Verse.
^) Tot war er zur Zeit der Aufführung
von Arist. Pac. 701, was Zielinski, Rh. M.
39, 301 fF. wegzuklügeln sucht.
">) Horaz Sat. I, 4. 1; Velleius I, 16. 3;
Quint. X, 1. 66; Platonios de com., wonach
Kratinos der bittere (nixQorsQog) , Eupolis
der feinere {ini/ciQisareQog) war, Aristophanes
sich in der Mitte hielt; vgl. Persius I, 123.
Vom Anonym, de com. III wird Kratinos
dem Aischylos verglichen.
6) Plut. Cim. 10.
') Plui. Pericl. 3 u. 24.
^) Nach Epigramm des Nikainetos bei
Ath. 39 c; vgl. Horaz Ep. I, 19. 1; Meineke
bist. com. I, 47.
246 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
selbst aber ehrte den einstigen Rivalen in den Fröschen V. 357 durch den
Preis der stiergewaltigen Sprache des Kratinos.
K rat es diente anfangs als Schauspieler dem Kratinos, trat dann
aber auch als selbständiger Dichter auf; zum erstenmal siegte er 449.
Nach Aristoteles Poet. 5 war er der erste, der von der Form des persön-
lichen Spottgedichtes abgehend, eine allgemeine Fabel seinen Stücken zu
gründe legte.') In der Weise des Epicharmos liebte er den heiteren und
lustigen Ton; auch soll er zuerst Trunkene auf die Bühne gebracht haben. 2)
Suidas nimmt zwei Komödiendichter Krates an ^) und schreibt dem unseren
7 Komödien zu; wir haben im ganzen noch 15 Titel. Von genialer Erfin-
dung waren seine OrjQia, die das goldene Zeitalter schilderten, wo die wilden
Tiere noch Sprache hatten und in allem dem Menschen zu Diensten stunden.
Pherekrates war ein erfinderischer Kopf, der, in Krates Fusstapfen
tretend, an die Stelle regellosen Spottes fein erfundene Fabeln setzte.
Seine Wilden (AyQioi) wurden 420 an den Lenäen aufgeführt, den ersten
Sieg scheint er 437 errungen zu haben. ^) Von seinen 16 Komödien, von
denen drei als unecht galten,'') behandelte der JovXoSiSdaKaXog die Zucht-
losigkeit der Sklaven, die KoQiavro) die Trunksucht der Hetären, die Mvq-
jurjxdv^QcoTtoi die Fabel von der Entstehung der Menschen aus Ameisen, der
X€iQ(07> die Misshandlungen der Frau Musica. Aus den MsraXXijg (Bergkobol-
den) hat uns Athenaios ein langes Fragment erhalten, in dem das Schlaraffen-
leben des goldenen Zeitalters launig geschildert ist. Übrigens verzichtete
auch Pherekrates nicht ganz auf die politische Satire; in einem Stück (bei
Ath. 535b) verspottete er mit bitterem Hohn den Weiberhelden Alkibiades.
Zur Zeit des Kratinos blühten noch mehrere andere Komödiendichter
gleicher Richtung, aber niederen Ranges, so Telekleides, der mit Heftig-
keit den Olympier Perikles verspottete und die Dichter seiner Zeit in den
^HaioSoi geissei te, 6) Hermippos der Einäugige, der gleichfalls als Gegner
des Perikles auftrat und gegen die Aspasia eine Klage wegen Gottlosigkeit
einbrachte;') eines seiner Stücke, die ^oQiioiföqoi, enthielt viele Parodien auf
Homer; ferner Myrtilos, Alkimenes, Philonides.^)
184. Eupolis, ausgezeichnet durch feinen Witz und anmutige Darstel-
lung, erhielt sich neben Aristophanes am längsten in der Gunst der Leser. ''^)
Seine Blüte fällt in die Zeit des peloponnesischen Krieges; frühreif brachte
er schon als junger Mensch von 17 Jahren Komödien auf die Bühne. Den
Tod erlitt er im Hellespont, wahrscheinlich 411, im Kampfe für das Vater-
land, infolge dessen die Athener den Dichtern Befreiung vom Kriegsdienst
') Arist. Poet. 5: Kgart^g nQOJtog tiq^ev
(iq^ifXEvog Trjg ia^ßixrjg iöeag x(x(^6Xov notsiy
j^.6yovg xal fxvd^ovg.
2) Anon. de com. III; Arist. Equ. 537 ff.
^) Auch der zweite Krates wird von Sui-
das der uQ/cda xtü/uM&la zugewiesen, aber
die Titel seiner Stücke QrjaavQog, "Ogyi^eg,
4>iX((QyvQog weisen mehr auf die neue Ko-
mödie; vgl. Meineke I, 64.
■*) Das erste überliefert Ath. 218 d, wo-
zu stelle Plato Protag. 327 d; das zweite
^) Den XeiQüiv soll nach anderen Niko-
machos oder Piaton gedichtet haben; s. Ath.
364 a, Meineke I, 75, Bergk 290 ff.
^) Von ihm 5 Siege verzeichnet CIA.
II, 977.
^) Plut. Pericl. 32. über seinen Hyper-
bolos s. Aristoph. Nub. 547.
^) Andere Namen, wie Xenophilos, Phi-
lokles, Aristokrates, Kallistratos, Emmenides,
Sokrates, gibt mit Angabe der Siege die
Liste der Komiker CIA. II, 977.
beruht auf der Emendation des Anon. de com. ^) Vergl. Persius II, 92; Lucian adv
vixa enl dsi'nqov {eil GeoJojQov em. Dobree). ; ind. 27.
C. Drama. 3. Die Komödie, b. Die altattische Komödie. (§ 185.) 247
gewährt haben sollen, i) Man kannte von ihm 14 oder 17 Stücke, 2) von denen
7 mit dem ersten Preis gekrönt wurden. 3) Mit Aristophanes war er anfangs
infolge der gleichen Abneigung gegen die zügellose Demokratie und die neu-
modische Bildung gutbefreundet; später entwickelte sich zwischen beiden
ein gespanntes Verhältnis, das in dem gegenseitigen Vorwurf des Plagiates
gipfelte.^) Die berühmtesten seiner Komödien waren die KoXaxsg (421),
in denen er den reichen Kallias, der mit Schmarotzern, Sophisten und Lit-
teraten sein Erbe verprasste, an den Pranger stellte, der MaQixäg, in dem
er den Hyperbolos, den Nachfolger des Kleon, unter falschem Namen ver-
höhnte, die BccTiTai oder Täufer, •'^) die gegen Alkibiades und die von ihm
begünstigten fremden Kulte gerichtet waren, die Jrjinoi^ in denen die Geister
der grossen Staatsmänner der alten Zeit citiert wurden, um ihre Meinung
über die verzweifelte Lage des Staates abzugeben. Andere angesehene
Stücke waren die Ziegen, die Städte (der Bundesgenossen), das goldene
Zeitalter,*^) die Astrateutoi, die Taxiarchoi, der Autolykos, die Heloten.
Phrynichos, der 429 zuerst auftrat und in Sikilien umkam, wird
zwar von Aristophanes in den Fröschen V. 13 übel mitgenommen,^) hatte
aber guten Witz und schneidigen Charakter. Von seinen 10 Komödien
waren besonders angesehen der Konnos, benannt nach dem Lehrer des
Sokrates in der Musik, die Schmauser, der Einsiedler (MovfkQOTrog), die
Mysten, Ephialtes, die Musen; in den letzteren nahm er ähnlich wie Aristo-
phanes in den Fröschen, den Tod des Sophokles und Euripides zum Aus-
gangspunkt.
Piaton 8) spielte von der Mitte des peloponnesischen Krieges an bis
über 390 hinaus eine hervorragende Rolle auf der komischen Bühne Athens.
Von seinen 28 Stücken richtete sich nur ein Teil gegen die politischen
Umtriebe, wie der ^YntQßolog, der Kleocpcov (405), die ^vfifiaxicc, welch'
letzteres Stück sich auf die Verbindung des Nikias, Albikiades und Phaiax
zur Verbannung des Hyperbolos durch das Scherbengericht bezog; die
meisten, namentlich die aus der späteren Lebenszeit des Dichters, griffen
nach Art der mittleren Komödie in das Gebiet der Parodie, so die TIonjTai,
2o<fiaTai\ "A6o)ng, Evqcötttj, Adiog. Berühmt war besonders der (Ddcov, in
dem der Titelheld mit seiner von Aphrodite ihm verliehenen Salbe allen
Weibern den Kopf verrückte.^)
Andere von Aristophanes und Eupolis verdunkelte Komödiendichter
dieser Zeit waren Kallias, der wahrscheinlich auch Verfasser der Buch-
stabentragödie war, ^0) Ameipsias, der sich an Aristophanes zu reiben
^) Suidas u. Ei'nohg. Das erinnert an
die vacaiio militiae bei Porphyrio zu Hör.
Epod. 1, 7. Die Fabel, dass Alkibiades den
bösen Komiker ertränken Jiess, widerlegte
schon Eratosthenes nach Cic. ad Att. 6, 1.
Nach Paus. 2, 7 befa,nd sich sein Grabdenk-
mal bei Sikyon.
^) Die 1. Zahl bei dem Anon. de com.,
die 2. bei Suidas.
^) 3 dionysische Siege bezeugt die Ur-
kunde CIA. II, 977.
"*) Den Vorwurf erhebt Arist. Nub. 558;
dagegen Eupolis bei Schol. Arist. Eq. 528
und 1288.
5) So Lehrs, Popul. Aufs.2 396 f.
^) Das Stück handelte nicht vom Glück
des goldenen Zeitalters, sondern de statu
pessimo cum irrisione tmnquam aureo.
^) Aus den Scholien z. St. ersieht man,
dass die Kunsturteile der alexandrinischen
Gelehrten über ihn geteilt waren.
^) CoBET, Observationes crit. in Pia-
tonis comici rell., Amsterd. 1840.
«) Servius ad Verg. Aen. III, 279.
1") Ath. 453; vergl. Hense, Rh. M. 31,
582 ff.
248
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
liebte, 1) Aristomenes, den die Grammatiker zu den Komikern zweiten
Eanges {sTuSevregoi) rechneten, 2) ferner Aristonymos, Leukon, Lysippos,
Metagenes, Aristagoras.
Endlich sei, ehe wir uns zum Haupt Vertreter der attischen Komödie,
zu Aristophanes, wenden, noch des Hegemon, mit dem Beinamen (l^axi^g,
aus Thasos gedacht, der eine Komödie Philine dichtete, mehr aber als Erfinder
der parodischen Dichtung berühmt war. Er blühte während des pelopon-
nesischen Krieges und soll durch seine Titanomachie das leichte Völkchen
der Athener so zum Lachen gebracht haben, dass sie darüber die Nieder-
lage in Sikilien vergassen. Besonders war es Alkibiades, der ihm seinen
mächtigen Schutz lieh und einmal eine gegen den beliebten Dichter ge-
richtete Klage einfach mit dem nassen Schwamm ausgelöscht haben soll.^)
Erhalten ist uns von ihm durch Athenaios p. 698 ein Gedicht in parodi-
schen Hexametern, worin er den Spott böswilliger Landsleute, dass er aus
dem armen Thasos in die Fremde nach Athen gegangen, aber von dort
nicht, wie andere Rhapsoden, Haufen von Geld nach Hause gebracht habe,
witzig abwehrt.
c. Aristophanes (um 450 bis um 385).^)
185. Von den äusseren Lebensverhältnissen des Aristophanes wissen
wir und wussten bereits die Alten nur weniges. Von Geburt war er ein
Kydathenäer; Aginete hiess er, weil er ein Ackerlos auf jener Insel er-
halten hatte. Das attische Geblüt der Mutter ward nie angefochten,'')
aber die Zweifel an der Herkunft des Vaters zogen dem Dichter schon
bald nach seinem ersten Auftreten eine Klage wegen unbefugter Anmas-
sung des Bürgerrechtes zu. ^) Daher stammen die verschiedenen Vermutungen
der Grammatiker, die ihn bald für einen Rhodier aus Lindos oder Kameiros,^)
bald gar für einen Agyptier aus Naukratis ausgaben.^) Aber mochte auch
kein athenisches Vollblut in seinen Adern rollen, nach Gesinnung und
Bildung war er Athener wie kein zweiter. Sein Geburtsjahr wird nicht
angegeben; da ihm aber sein Alter erst in den Rittern (aufgeführt 424)
einen Chor für sich zu verlangen erlaubte,^) so muss er damals mindestens
^) Vit. Aristoph.
2) Suidas 11. 'AQiaro^evrjg. Wahrschein-
lich gab es der Aristomenes zwei; s, Bergk,
Rh. M. 34, 307.
^) Chamaileon bei Ath. 406.
'*) Ausser einem Artikel des Suidas, mit
dem das gute Scholion zu Piaton VI, 227
ed. Herm. gleiche Quelle hat, ist erhalten
ein \4Qiato(p(cvovq ßiog und ein Absatz im
Anon. de com. Von Neueren ; C. Fk. Ranke,
De vita Aristoph., in Ausg. von B. Thieesch
(1830) und abgekürzt in Ausg. von Meineke
(1860); Rötscher (mehr Hegelianer als Phi-
lolog), Aristophanes und sein Zeitalter, Berl.
1827; Bergk zu den Fragmenten im 2. Bd.
von Meineke's Fr, com. gr. ; Müller-Strü-
BiNG, Aristophanes und die historische Kritik,
Leipz. 1873.
-') Dieses geht daraus hervor, dass er
! sich bei dem Prozess auf den Vers der Odys-
see ci 215 ovng kov yovov avrog civäyvM
berief.
^) Vita: ^eviag xaz^ avrov yQacprjv eff^STo
KXecop. Der Streit beendet durch einen Aus-
gleich nach Arist. Vesp. 1285.
') Auf Grund von Ach. 653 berichtet
das Schol. Plat. : xarsxXiJQcoae de xcd rijv
Alyivav, lug Osoyeyrjg cprjalp sv ra ttsqI At-
yivrjg. Wahrscheinlich erhielt dieses Acker-
los der Dichter erst nach der totalen Unter-
werfung der Insel im J. 431 ; s. Bergk, Gr.
Litt. IV, 74. ^
^) Suidas: ^AQiarocpdvrjg 'Podiog rjroi Alu-
diog, OL &6 Aiyvnxiov acpaocw (vergl. Schol.
Nub. 271 u. Ath. 229 e), ol de KafiiQea, t9eaei
de ^Ad^r]vcaog.
^) Nub. 530: xuyoS, 7Jc<Qd^evog ytcQ er'
t]P xovx e'^rjv 71 c6 fxoi xexeTr, e^e&r]X(x.
C. Drama. 3. Die Komödie, c. Aristophanes. (§ 185.)
249
schon volljährig, wahrscheinlich aber bereits 25 bis 30 Jahre alt gewesen
sein;^) bereits 421, als er den Frieden aufführte, war er ein Glatzkopf. 2)
Über seine Erziehung und Bildung sind uns keine besonderen Zeugnisse
erhalten; aus seinen Werken sehen wir, dass er nicht bloss die ihm nächst-
stehenden Dichter, die Komiker und lambographen, gut kannte, dass er
auch in den Tragödien des Aischylos und den Gesängen des Stesichoros
und Pindar wohl zu Hause war, kurzum, dass die Grazien und Musen seine
Wiege umstanden und seinen Lebenslauf begleitet hatten. Besonderen Ein-
fiuss auf den jungen Dichter übte das politische Parteileben in den Klubs
oder Hetärien. Mit der ganzen Heftigkeit seines Wesens schloss er sich
den Friedensfreunden und der aristokratischen Partei an, denen die Herr-
schaft der bürgerlichen Emporkömmlinge, wie Kleon und Hyperbolos, und
die neue Richtung der rhetorisch-sophistischen Bildung ein Dorn im Auge
war.^) So gelang es ihm, indem er Witz und Humor mit politischer Heiss-
blütigkeit und sittlichem Ernste verband, die Bretter der ausgelassenen
Thalia zu einer Erziehungsstätte des Volkes und zu einer politischen Macht
ersten Ranges zu erheben. Über 40 Jahre (von 427 bis nach 388) be-
herrschte er die komische Bühne Athens und machte innerhalb derselben
auch die Wandlungen durch, welche das Lustspiel infolge der geänderten
Zeitverhältnisse und des geänderten Geschmacks erlebte. Die aristokrati-
sche Partei des Dichters war gegen Ende des peloponnesischen Krieges
ans Ruder gekommen, ohne es wesentlich besser zu machen; der Bühnen-
freiheit waren durch Gesetz und mehr noch durch die Furcht vor den
Machthabern beengende Schranken gezogen worden ;i) der Staat war durch
den unglücklichen Ausgang des langjährigen Krieges verarmt und hatte
für Festspiele und Chorausstattung wenig Geld übrig; der Dichter selbst
wurde allgemach alt und verlor die Schneidigkeit rücksichtslosen Angriffs.
So trat seit dem Frieden des Nikias die politische Parteileidenschaft in
seinen Komödien zurück und ward er schliesslich mit seinem Plutos, Aiolo-
sikon und Kokalos Begründer der neuen Komödie.^) Die letzten zwei Stücke
gab er schon nicht mehr unter seinem Namen, sondern unter dem seines
Sohnes Araros, um denselben empfehlend bei dem Publikum einzuführen.*^)
Den uns erhaltenen Plutos dichtete er noch für die Dionysien von 388;
') Von der Altersgrenze, die zur For-
derung eines Chors berechtigte, wussten
schon die alten Erklärer nichts sicheres;
das junge Scholion zu Nub. 510 spricht von
30 Jahren. Kenntnislos ist die Angabe der
Scholien zu den Fröschen V. 504, wo aus
ü/s&oi' f^eiQaxlaxog rj&r] rjnreio zixiv ayoJpMv
gar nichts zu schliessen ist.
^) Pac. 767 : xal roTg cpalcixQoTai tiuqui-
j vovfxsv avanovdaCsiy 71€qI rijg pixr]g. Y^\.
\ Bergk, Comment. p. 203. Auch die Büsten
stellen den Dichter kahlköpfig dar. Dass er
dei Flasche fleissig zugesprochen, bezeugt
Ath. 429 a: 'AXy.caog de 6 fislonoidg xal ^Jqi-
axocpävrjg 6 xiofxiod'vonolog fxsx^^vovreg tyqacpov
T(c Tioiijfxara.
^) Dass wir in der Polemik des Aristo-
phanes nicht das objektive Urteil eines Hi-
storikers, sondern die subjektiv gefärbte An-
sicht eines politischen Parteiraannes zu er-
kennen haben, betont besonders MüUer-
Strübing.
4) Vgl. Pac. 739 flf., Vesp. 1023; vgl.
S. 243 An. 3.
^) Vita Aristoph.: xprjcpiauaTog yevoixevov
^'OQtjyixov WÜTE fxrj opofMaari x(j)fX(a&eiP ripcc
x(d X(x)p ^oQfjycip ovx dprs/öpttop nqog ro
^oQfjyeip , . . eyQccxpE KojxaXop, sp 0. eiadysi
(fSoQCiP xcd dpaypcoQiGfxop xal rciXla ndpTcc,
ä i^rjXioae Mspap&Qog. Vgl. Platonios tieql
dicccpoQug x(ou. : roioviog ovp iarip 6 t^?
fiEor]g X(x)^(o6iag Tvnog, olog eüxip 6 Jiolo-
(Tixiop ^jQiaro(pc'<povg.
*^) Vgl. Arg. Plut. ; vielleicht auch, weil
Aristophanes zu alt war, um selbst noch als
Schauspieler die erste Rolle zu spielen.
250
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
bald nachher aber muss er gestorben sein; sicher war er Ol. 101, wo nach
Suidas sein Sohn Araros mit eigenen Stücken auftrat, schon tot; wahr-
scheinlich enthält das 384 geschriebene Gastmahl des Piaton ein Gedenk-
blatt für den kurz zuvor verstorbenen Dichter. Söhne hinterliess er 3 oder 4,
von denen sich Philippos und Araros gleichfalls der komischen Bühne
widmeten.')
180. Hinterlassen hat Aristophanes 44 Komödien, von denen 4 als
unecht galten. 2) Auf uns gekommen sind 11 Stücke, die anderen kennen
wir nur nach Titeln und Bruchstücken.'^) Die Zahl der Dramen ist kleiner
als die der grossen Tragiker, weil an den Dionysosfesten immer nur eine
Komödie gegenüber drei Tragödien zur Aufführung kam. Die 3 ersten
Komödien brachte er unter fremdem Namen, die JaiTaXrjg oder Schmauser
durch Philonides (427), die BaßvXun'ioi (426) und 'Axccgrrjg (425) durch
Kallistratos auf die Bühne. ^) Beide Männer dienten ihm auch später noch
als Schauspieler, und zwar soll Philonides die Rollen von Männern in
öffentlicher Stellung, Kallistratos die von Privatpersonen gegeben haben. •'^)
In dem Frieden Hess er nach der Hypothesis die Hauptrolle durch den
Schauspieler Apollodor spielen. Übrigens verschmähte er auch selbst nicht
die Aufgabe eines Schauspielers; speziell wissen wir, dass er in den Rit-
tern den Kleon gab, angeblich weil keiner der Schauspieler die gefährliche
Rolle zu übernehmen wagte.") Nach dem Tode des Dichters konnten sich
natürlich seine Dramen nicht wie diejenigen der Tragiker auf der Bühne
erhalten. Das verbot der Ton und Inhalt der speziell für die jedesmaligen
Zeitverhältnisse gedichteten Werke der alten Komödie. Aber um so eifriger
wurden sie von den alexandrinischen Grammatikern gelesen und kommentiert.
Wiewohl daher unser Dichter bei den zahmeren Geistern der Kaiserzeit,
wie Dion Chrysostomos und Plutarch,'^) wegen seiner derben und unflätigen
Spässe in Verruf kam und dem feinen, wohlgezogenen Menander nachstehen
musste, so haben sich doch von ihm nicht weniger als 11 Stücke, offenbar
die berühmtesten und charakteristischsten, erhalten und dazu gelehrte und
scharfsinnige Schollen, ohne deren Beihilfe wir vielfach bei der Erklärung
und Zeitbestimmung im Stiche gelassen würden. Diese 11 Stücke wollen
wir nun ihrer chronologischen Folge nach einzeln betrachten.^)
^) Nach Dikäarch hatte er noch einen
Sohn Philetairos; Apollodor nennt statt dessen
Nikostratos,
2) Die 4 zweifelhaften Stücke nohjatg,
JiövvGog pccvayog, N^aot, Nloßog wurden von
andern dem Archippos zugeschrieben; über
die Gründe dieses Urteils ^ibt Vermutungen
Kaibel, Herm, 24 (1889) S. 42 ff.
^) Ein alphabetisches Verzeichnis von
42 Stücken im Cod. Ambros. entdeckt von
NovATi; vgl. WiLAMOWiTZ, Herm. 14, 161 ff.
Merkwürdigerweise fehlt Aristophanes unter
den Siegern an den Dionysien; er errang
unter eigenem Namen nur an den Lenäen
Preise; s. Oehmichen, Stz. d. b. Ak. 1889.
II, 156.
^) Den Kallistratos nennt auch für die
Janaliig der Anon. de com.; vergl. Schol.
Nub. 531. Übrigens versteht Arist., wenn
er, wie Ach. 644, vom Dichter jener Stücke
spricht, sicher sich selbst, nicht jene Stroh
männer. Die Vita bemerkt weiter: saxMnrov
avTov 'jQiaiojvvfxög rs xal 'JfXEixpiccg, rsTQädi
Xeyoyreg avjov ysyovivca xard riijv naQoi^iav
(og aXXoig noyovpra.
^) Vita: dV« ^usv ^iXtavl^ov rcc &r]fionxc<,
dui ds KaXXioxQchov rd IdiMTixu. Dazik
Schol. Nub. 531, und Bekgk bei Meineke-
II, 916 ff. ^ ^
^) Vita: ovdsyog jmv oxcvonoiiov roXfirj-
acivxog ro tiqocsmtiov avrov (sc. KXs(Dvogy
oxsvdGai, cT/' iavrov jQiaxocpiprjg vTXSXQivcao^
avrov xö TXQÖaionov ^ilxio /Qioag, was aus
Arist. Eq. 230 ff. geschlossen scheint.
') Dion or. 16, 6; Plut. IvyxQiaig 'Aql- I
axocpdi'ovg xfd Msydi'dQov.
^) In den Handschriften stehen die
Stücke in folgender Ordnung: Plut. Nub.
C. Drama. 3. Die Komödie, c. Aristophanes. (§186—188.) 251
187. ^AxaQiniq ist der Titel des ältesten der erhaltenen Stücke, auf-
geführt 425 an den Lenäen durch Kallistratos und mit dem 1. Preis ge-
krönt.') Auf die Festzeit spielt der Dichter selbst V. 504 an: amol yag
€(ffX€v ovnl yir^va((o t' aycov^ xovttco ^svoi itccQsiaiv. Kleon hatte nämlich
gegen den Dichter Klage bei dem Senat erhoben, weil er im Jahre zuvor
an den grossen Dionysien in den Baßvlonnoi vor ganz Hellas den Staat
der Athener und die Beamten desselben lächerlich gemacht habe.'-^) Den
Namen hat unsere Komödie von dem Chor, der aus Kohlenträgern des
Dorfes Acharnä, handfesten vierschrötigen Kerlen, zusammengesetzt war,
zu deren sehniger Kraft trefflich der rasche und kräftige Rhythmus der
Kretiker und Trochäen stimmt. Ausgangspunkt für den Dichter bildete
der Gegensatz zwischen dem Friedensbedürfnis der Landleute, die der
Plackereien des Krieges überdrüssig waren, und den Wühlereien der Dema-
gogen und Eisenfresser nach dem Schlage des Kleon und Lamachos, deren
Weizen in den Unruhen des Krieges am üppigsten blühte. Repräsentant
der ersten Partei ist der Biedermann Dikaiopolis, der durch Amphitheos
einen Separatfrieden von den Lakedämoniern erhandeln Hess und nun mit
heiterer Lust, wie ehedem im Frieden, seine ländlichen Dionysien begeht.^)
Verwicklung bekommt die Handlung durch den Chor der Acharner, die den
Verräter, weil er einen Privatfrieden mit den Feinden der Stadt zu schliessen
gewagt, mit Steinen verfolgen und zur Verteidigung auf dem Hackblock
nötigen, mehr noch durch den effektvollen Kontrast des schlichten Land-
manns und des Pascha mit 3 Rossschweifen, des kriegs wütigen Lamachos,
der zum Krieg gegen den Einfall der Böotier auszieht, während jener zum
Mahle sich laden lässt, und schwerverwundet auf die Bühne zurückgetragen
wird, während jener nach fröhlichem Mahle jubelt und tanzt. Dieses alles
ist belebt durch sprudelnden Witz und ergötzlichste Scenen, wie von den
Gesandten der Perserkönige, dem Studierzimmer des Euripides, dem Ferkel-
verkauf der Megarer. Über dem Ernst des politischen Hintergrundes, der
immer wieder und wieder durchbricht, verläugnet sich eben doch nicht
die Ausgelassenheit des Dionysosfestes, das die gröbsten Zoten hervorrief
und entschuldigte.'^)
188. Die Ritter {innrjq) wurden im J. 424 an den Lenäen vom Dichter
selbst siegreich auf die Bühne gebracht, ^) aber bereits in den Acharnern
Ran., Eq. Ach. Vesp. Pac. Av. Thesm. Eccl.
Lys. Massgebend war für diese Folge offen-
bar nicht die Abfassungszeit der Stücke,
vielmehr stehen voran die 3 Stücke, welche
den späteren Grammatiker die lesenswer-
testen schienen, der Plutus als Vorbild der
neuen Komödie, die Wolken und Frösche
wegen ihrer Beziehung zu Euripides und So
Autor erhoben werden; den Aristophanes
belangte Kleon nach Schol. ad Ach. 377 mit
einer cftxjy '^Eviag.
3) Mit einer aller Illusion spottenden
Freiheit versetzt Arist. von V. 240 an die
Scene aus der Stadt aufs Land, worüber M.
Haupt. Opusc. II, 458 ff.
^j Müller-Strübing S. 498 ff. nahm eine
krates; den Schluss bilden die 3 Weiber- i Überarbeitung des Stückes an, da Lamachos
komödien. \ bald als Stratege, bald als Lochage (1074)
') Nach dem Argumentum erhielt den j erscheint. Die Hypothese unterstützt Zie-
2. Preis Kratinos mit den XetfAaCofxsyoi,
den 3. Eupolis mit den JSov^TjvUa.
2) Schol. Ach. 502. Der Scholiast zu
Vesp. 1285 bezeichnet die Anklageform als
siaay(oyij eig jfjy ßov'Atji^. Diese Anklage
konnte indes nur gegen den nominellen
LiNSKi, Gliederung 54 ff. durch den Nach-
weis, dass an Stelle der schalen Polterscene
593 ff. in der ersten Bearbeitung ein voll-
ständiger Agon gestanden habe.
•'') Zweiter war nach der Hypothesis
Kratinos mit den ^üxvqoi. dritter Aristo-
252
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
V. 300 in Aussiebt gestellt. Anlage und Tendenz des Stückes liegen
schon im Titel: die Elite der athenischen Bürgerschaft, die Kitter und
Söhne der edlen Geschlechter hatten dem Aristophanes die Ehre angethan,
selbst den Chor zu bilden.^) Das hob das politische Selbstgefühl des jetzt
vor aller Welt von den Besten des Staates unterstützten Dichters, der mit
einer unserem Polizeiregiment schwerbegreiflichen Redefreiheit nicht bloss
dem Mächtigsten des Staates, dem Kleon, rücksichtslos sein Sündenregister
vorhält, sondern auch dem souveränen Demos unverblümt die bittersten
Wahrheiten sagt. Auch durch die Sorgfalt der Disposition und der streng
durchgeführten Fabel erheben sich die Ritter über die geniale Ungebunden-
heit der Acharner: der Demos, ein alter, jähzorniger, dem Aberglauben
nicht minder als der Schmeichelei zugänglicher Herr, wird ganz beherrscht
von seinem neuen Diener Kleon, der auf jede Weise den alten Herrn zu
ködern weiss und erst allerjüngst den Feldherrn Nikias und Demosthenes
bei Sphakteria den besten Bissen abgejagt hatte. In dem Prolog treten
zwei andere Sklaven des Demos, welche die Grammatiker Demosthenes
und Nikias getauft haben, ''^) auf, um sich über ihren neuen Genossen, den
Paphlagonier, zu beklagen, der sie durch seine Schmeicheleien ganz um die
Gunst ihres Herrn bringe. Ein Orakelspruch, wie sie damals zu Dutzenden
bei öffentlichen Angelegenheiten in Umlauf gebracht wurden, zeigt ihnen
den Weg, den durchtriebenen Gesellen zu stürzen: sie treiben einen vierten
Sklaven, den Wursthändler Agorakritos,^) auf, der an Unverschämtheit
noch den Gerber Kleon zu übertrumpfen versteht und zuletzt auch von
dem Demos das Staatssiegel {SaxTvXiov V. 947) eingehändigt bekommt.
Die Gliederung des Stückes in Akte ist vermittelst Parabasen und Scenen-
wechsel angedeutet: zuerst wird Kleon von dem Wursthändler auf offener
Strasse unter lautem Schreien und Toben, aber mit dem Beistand der Ritter,
der geschworenen Feinde des Demagogen, verhaftet; sodann berichtet nach
einer Parabase der Wursthändler in einer langen parodischen Rede die
Verhandlung vor dem Senat; darauf folgt die weitläufige Hauptverhand-
lung vor dem Demos selbst; nach einer zweiten Parabase wird, damit
das Stück, dem Charakter des Lustspiels entsprechend, einen heiteren Aus-
gang habe, der Demos von den beiden Nebenbuhlern mit wetteifernder
Geschäftigkeit regaliert, und hält zum Schluss der Sieger Agorakritos als
Repräsentant des neuen Regiments mit dem umgekochten Demos seinen
festlichen Einzug. Durchwoben ist die Handlung mit tausend pikanten
Einfällen und Witzen, zu denen das Demagogentum der Zeit Stoff in Fülle
bot. Prachtstücke sind ausserdem in Rhythmus und Inhalt die lustigen
Reiterlieder und die historischen Rückblicke auf die Vorgänger des Dich
inenes mit den YXocfoQoi. Von den Kittein
sagt dieselbe: to de ÖQäfxa itov iiyav xalöig
iienoLTi^epiov.
') Dankbar erkennt der Dichter Vesp.
1023 die hohe Ehre an.
'^) Die Namen stehen jetzt in den Aus-
gaben und Handschriften, sind aber, wie die
Hypothesis lehrt, erst von den alexandrini-
scheu Grammatikern eingesetzt worden.
^) Name und Person dieses Rivalen sine
aus der Phantasie des Dichters hervor
gegangen ; aber manche Striche zur Zeich
nung mochte dem Dichter die Figur des
gleichgemeinen Demagogen Hyperbolos ge-
liefert haben. Müller-Strübing S. 556 An,
will den Namen aus 'JyÖQarog -f OeoxQiroi
herleiten.
C. Drama. 3. Die Komödie, c. Aristophanes. (§ 189.) 253
ters in der ersten Parabase (505 — 610). Aristophanes rühmt sich in den
Wolken Y. 549 seines durchschlagenden Erfolges, aber der kühne Angriff
auf den mächtigen Lederhändler Kleon trug ihm Verfolgung und eine
Klage ein, wie er in den Wespen 1285 ff. andeutet.^) Sein Beispiel indes
regte andere, speziell den Eupolis und Hermippos, zu ähnlichen Angriffen
auf den Lampenfabrikanten Hyperbolos an.^)
189. Die Wolken (vecptXcci) wurden zuerst für die Dionysien von 423
gedichtet und dann, da dieselben eine kühle Aufnahme gefunden hatten, ^)
nochmals umgearbeitet. Diese zweite Bearbeitung, die aber nicht zum
Abschluss und noch weniger zur Aufführung kam, liegt uns allein vor.
Die alten Grammatiker waren im stände, auch noch die erste Bearbeitung
zum Vergleiche heranzuziehen,'^) und bezeichnen insbesondere die Parabase,
in der sich der Dichter über die Unbill des Publikums beklagt (518 ff.), ^)
den Streit zwischen dem dixaiog und ccdixog Xoyog (889 — 1104), und den
Schluss, wo das Haus des Sokrates in Brand gesteckt wird, als neue Zu-
thaten. Das Stück fand, wie erwähnt, bei den Athenern keinen rechten
Anklang, indem die Masse sich für die philosophischen Grübeleien nicht
interessierte und die Besseren an der ungerechten Verzerrung der Gestalt
des Sokrates Anstoss nahmen. Der Dichter selbst hingegen hielt dasselbe
für sein feinstes Werk, und die Nachwelt hat ihm insofern Recht gegeben,
als keine andere Komödie in alter und neuer Zeit mehr gelesen und kom-
mentiert wurde. Aber das Interesse knüpft sich mehr an die welthistori-
sche Persönlichkeit des Sokrates als an die poetischen Schönheiten des
Stückes. Es können doch eben die vollständige Verzeichnung des Philo-
sophen und die mangelhafte Zusammenarbeitung der einzelnen Teile nicht
als besondere Ehrentitel angesehen werden. Die Wolken also sind gegen
den Geist der Neuzeit und die neue Richtung der sophistisch-rhetorischen
Erziehung gerichtet.^) Als Repräsentanten dieser Richtung stellt Aristophanes
den Sokrates hin, lediglich deshalb, weil dieser schon in seiner äusseren
Erscheinung eine komische Figur bildete, und weil unter den Philosophen
seiner Zeit keiner bekannter und einflussreicher als er war. Sokrates also
erscheint, ganz entgegen den Lehren, die er zeitlebens vertrat, als ein
grübelnder Naturphilosoph, auf einer Schwebemaschine nach den Sternen
lugend und die luftigen Gestalten der Wolken als die Götter seines Himmels
anrufend. Bei ihm sucht ein ungebildeter Landmann, Strepsiades, den die
Vornehmheit seiner adeligen Frau und die noblen Passionen seines Sohnes
Pheidippides in Schulden gestürzt haben, Hilfe in der Hoffnung, mittelst
der Kunstgriffe der neuen Weisheit sich der Plackereien seiner Gläubiger
') Auf die Klage des Kleoii bezieht
Bergk, Kl. Sehr. II, 467 die Stelle in Ps -
Xenophon de rep. Athen. 2, 18.
2) Aristoph. Nub. 553 ff. Schol. ad Nub.
554 führt aus den Bapten des Eupolis an:
xci^sivovq xovq Inneag ivy£7ioi'>]aa reo cpa-
hiXQM rovrto xci&ioQt]ac'cjLitjy, was die Alten
auf die 2. ' Parabase 1288-1315 bezogen.
Eine Erklärung, wie dieses zu verstehen
1. Kratinos mit der V/tTtV?/, den 2. Ameipsias
mit dem Konnos.
*) Darüber die 6. Hypothesis und P]ra-
tosthenes in den Scholien zu V. 553. Vgl.
Teuffel in der Ausg. der Wolken ; Dindobf,
De Arist. fragm. 15—23; Zielinski, S. 34 ft".
■0 Ebenso Vesp. 1044 ff.
*^) SüvERN, Über die Wolken des Ari-
stophanes, Berl. 1826; F. V. Fritzsche^ De
sei, stellt Kirchhoff, Heim. 13, 287 ff. auf. | Socrate reterum comicorum, in Qnaest. Ari-
^) Aristophanes erhielt den 3. Preis, den j stoph. p. 97-295.
254 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
zu entledigen. Zuerst tritt er also selbst in das Studierzimmer ein ; als er
aber von Sokrates wegen seiner Ungelehrigkeit und Vergesslichkeit davon-
geschickt wird, bewegt er seinen Sohn Pheidippides, sich selbst dem
Sokrates in die Lehre zu geben. Dieser zeigt sich denn auch so gelehrig,
dass der Alte schon über die langen Nasen seiner Gläubigen jubelt; aber
bald muss er zu seinem Schaden erfahren, dass die Schlauheit der neuen
Lehre an ihm ausgeht, indem der Junge ihn durchprügelt und ihm dann
rite vordemonstriert, dass es ganz in der Ordnung sei, wenn die Alten
von den Kindern die Prügel der Jugendzeit zurückgezahlt bekommen.
Mit einem grossen Feuerwerk, der Verbrennung des Hauses der Gottes-
leugner Sokrates und Chairephon, schliesst das Stück. Piaton misst in der
Apologie die Hauptschuld an dem irrigen Urteil, das sich über Sokrates
gebildet hatte, den Komikern bei und spielt dabei p. 19 deutlich auf unsere
Wolken an; später Hess er denselben Aristophanes mit Sokrates beim
Symposion gemütlich zusammensitzen, zum Zeichen, dass er tollen Fast-
nachtscherz von gemeiner Verleumdung zu trennen wusste.
190. Mit den Wespen {a<frjx€g), aufgeführt andenLenäen 422,^) kehrte
Aristophanes wieder zur politischen Komödie zurück, doch folgte er in dem
Aufbau des Stücks ganz der Anlage der Wolken, indem er nur die Rollen
umkehrte. Während dort der alte Strepsiades den jungen Pheidippides in
die neue Schule einführt, bemüht sich hier umgekehrt der junge Hasse-
kleon, Bdelykleon, den alten Kleonfreund, Philokieon, von seiner Prozess-
wut zu heilen. Er sperrt ihn also zuerst peinlich ab und weist die Richter-
kollegen, die ihn früh morgens zum Gerichtshof abholen wollen, mit Gewalt
zurück. Dann lässt er ihm infolge eines Kompromisses zu Hause ein
Privatgericht herrichten, in welchem der Prozess der 2 Hunde ver-
handelt wird, der den Streit des Kleon und Lachest) auf das witzigste
parodiert. In diesem Hauptteil des Stückes herrscht der Ernst der sitt-
lichen Entrüstung vor, der sich zunächst gegen ein Erb- und Erzübel
{vdaov aQxociccv €v rfi noXti svTsroxvTav V. 651) des athenischen Volkes, die
durch Erhöhung des Richtersoldes von 1 oder 2 auf 3 Obole masslos
gesteigerte Prozesssucht, wendet, daneben aber auch die spitzigsten Pfeile
gegen Kleon und die anderen Volksschmeichler richtet, welche die Mara-
thonskämpfer mit dem armseligen Lohn des Richtersoldes abspeisten, um
desto schamloser den weit grösseren Teil der öffentlichen Einkünfte in
ihre Taschen zu schieben. Der Schluss des Stückes ist dann wieder für
die Freunde der Posse und der lustigen Kneipscenen hergerichtet: der alte
Philokieon wird von seinem Sohne, um gründlich kuriert zu werden, in
ein fröhlich 3s Gelage eingeführt, wo er bald seinen mürrischen Griesgram
so völlig auszieht, dass er die schöne Flötenspielerin zerrt, die Tischgenossen
schlägt und zuletzt tanzend und jubelnd mit dem Chor zur Bühne hinaus-
zieht. Den Namen hat die Komödie von dem Chor der Richter, die wegen
ihrer grimmen Härte als Wespen mit spitzem Stachel dargestellt waren;
') Arg. Vesp. : Mi^dx^t^ snl uQ^oriog
Tid- oXvuTTiuöt ' ^BihsQog rjv, xccl Evlxa #t-
'/.(üvld'rjq llQoicyojvi. AerxMv IJQeaßeai TQLTog.
Gegen die Prozesssucht waren gleichfalls
gerichtet die Prospaltier des Eupolis.
^) Dass Ac(/7]g unter dem Hundsnanien
A((ßr]g steckt, vermutet Schol. Vesp. 832,
C. Drama. 3. Die Komödie, c, Aristophanes. (§ 190—192.)
255
begleitet waren sie, da sie schon vor Tagesgrauen zum Richtplatz auf-
brachen, von 3 lampentragenden Knaben,^) die am Schluss als die tanzenden
Söhne des Tragödiendichters Karkinos wiederkehren. Das Stück, wiewohl
von den Athenern nur mit dem 2. Preis bedacht, gehört zu den vorzüg-
lichsten des Dichters: es vereinigt den sittlichen Ernst des unbestechlichen
Politikers mit dem unverwüstlichen Humor des erfindungsreichen Dichters.
Nachgebildet wurde dasselbe von Racine in seinen Plaideurs.
191. Der Friede {slQTjvri) wurde an den Dionysien 421 kurz vor Ab-
schluss des Friedens des Nikias aufgeführt und mit dem 2. Preis bedacht. 2)
Nach der 3. Hypothesis hatten die alten Grammatiker noch Kenntnis von einer
zweiten ElQi]vt]^ die in dem Jahre zuvor, noch zu Lebzeiten des Kleon ge-
dichtet war. Aus ihr scheinen die Verse 45 ff. und 479 f. zu stammen,
in denen Kleon noch als lebend gedacht ist.^) Unsere Komödie ist ge-
wissermassen eine Vorfeier des sicher erwarteten und bald abgeschlossenen
Friedens. Im Eingang lässt der Dichter in spasshafter Verkehrung des
euripideischen , auf dem Pegasus durch die Luft reitenden Bellerophon
den Trygaios als Repräsentanten der friedliebenden Landleute auf dem Mist-
käfer gen Himmel fahren, um von dort die Opora und Theoria zum lang-
ersehnten Friedensfest abzuholen. Im zweiten Teile, der auf der Erde
spielt, werden dann die Vorbereitungen zum Festopfer getroffen und wird
zum Schluss Trygaios mit seiner Schönen vom Chor unter Hochzeitsgesang
aufs Land geleitet. Das Stück entbehrt der kunstvoll verschlungenen
Handlung sowohl als des lebhaften Streites; im übrigen sind die Freuden
des friedlichen Landlebens reizend geschildert (1127 — 1190), und hat ge-
wiss die grosse Parabase (729— 818) durch die gelungene Verteidigung
des Dichters und die hübsche Aufforderung an die Musen zum fröhlichen
Tanzlied ihre Wirkung nicht verfehlt.
192. Die Vögel {oQvi^sg), die geistreichste Schöpfung der aristophani-
schen Phantasie, erhielt bei ihrer Aufführung an den Dionysien des Jahres 414
auffälligerweise nur den 2. Preis.*) Das Argument ist gewissermassen
der Welt der äsopischen Fabel entnommen. Zwei Athener, Euelpides,
Hans Hoffegut, ^) und Peithetairos, Beschwatzefreund, des Lebens in der
händelsüchtigen Vaterstadt müde, kommen auf Kreuz- und Querwegen zum
Wiedehopf, dem aus der Vorgeschichte Attikas berühmt gewordenen Vogel,
um sich von ihm einen schikanenfreien Ort, eine Seligeninsel, anweisen zu
, lassen. Aber mit den vorgeschlagenen Orten wenig einverstanden, ent-
j schliessen sie sich, bei den Vögeln selbst zu bleiben und diesen die Grün-
I düng eines neuen Staates anzuraten. Die Vögel gehen auf den phanta-
stischen Vorschlag ein und gründen Wolkenkuckucksheim [NtifsXoxoxxvyia)
') Über die Anordnung des Chors und
der begleitenden Knaben s. Rice. Arnoldt, Die
Chorpartien des Arist., Leipz. 1873, Kap. 1.
^} Den 1. Preis erhielt Eupolis mit den
KoXaxeg, den 3. Leukon mit den 4>QcaoQsg.
•^) Stanger, Umarbeitung einiger aristo-
phanischei Komödien, Leipz. 1870; Zielinski,
Gliederung S. G3 ff. ; dagegen Müller-Strü-
BiNG 169 f. Fritzsche, Quaest. Arist. 112
und Stanger glauben, dass die zweite EiQyp't]
nur dem Titel nach von den reioQyoi ver-
schieden gewesen sei.
^) Nach der Hypothesis erhielt den 1.
Preis Ameipsias mit den Ktüfxccarat, den
dritten Phrynichos mit dem MovoxQonog. In
demselben Jahr Hess Arist. nach dem 2. Arg.
den Amphiaraos durch Philonides aufführen.
•'*) So übersetzt von Goethe in der ge-
nialen Nachbildung des Eingangs der Vogel,
Ges. Werke Bd. 14.
256 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
in der Luft zwischen Himmel und Erde. Die Gründung der Stadt und die
bei solcher Gelegenheit herkömmlichen Zudringlichkeiten von Poeten, Wahr-
sagern, Aufsehern, Sykophanten werden in ergötzlichster Weise geschildert,
ebenso die Verwirrung der Götter, die durch die neue Vogelstadt sich der
Ehren und Opfer der Menschen beraubt sehen, so dass Zeus genötigt wird,
eine Gesandtschaft an den Vogelstaat abzuordnen, um einen Modus vivendi
herzustellen. Der Pakt kommt unter der Bedingung zu stände, dass Zeus
dem Peithetairos die Basileia, die Personifikation der Weltherrschaft, i)
abtrete. Das leitet zum Schluss des Stückes, das in der Art der meisten
Lustspiele des Aristophanes mit einem Triumph- und Hochzeitszug der
Hauptpersonen, des Peithetairos und der Basileia, endet. Dass wir hier
ein Meisterwerk des Witzes und der Phantasie voll duftiger Natur- und
Waldpoesie vor uns haben, ward zu aller Zeit anerkannt,^) nicht minder
dass in der utopischen Zauberumhüllung eine Reihe kräftiger Soitenhiebe
auf stadtbekannte Persönlichkeiten, wie den Fresser und Feigling Kleony-
mos (V. 289 f.), den von Schmeichlern und Weibern ausgebeuteten Kallias
(285 ff.), den Geometer und Kalenderverbesserer Meton (992 ff.), den Dithy-
rambendichter Kinesias (1373 ff.) u. a. abfallen. Aber über die Tendenz
der Gesamtkomödie hat man viel gestritten. Süvern^) wollte in ihr eine
bis ins Einzelnste durchgeführte Allegorie auf die Begebenheiten der
Zeitgeschichte finden; umgekehrt leugnete Droysen in seiner Über-
setzung des Aristophanes jede tiefere Tendenz und sah in dem Stück nur
ein harmloses Spiel der Phantasie nach Art des Sommernachtstraumes.
Die Wahrheit liegt in der Mitte und ist trefflich entwickelt von Bur-
sian,'^) der dem poetischen Spiel sein volles Recht lässt und in den
Hauptträgern der Handlung keine Verspottung bestimmter Individuen
annimmt, aber doch dem Dichter die Absicht zuschreibt, dem atheni-
schen Volk in der tollen Projektenmacherei des Peithetairos und der
raschen Erwärmung der Vögelschar für abenteuerliche Pläne einen Spiegel
der eigenen Leichtgläubigkeit und maulaufsperrenden Gedankenlosigkeit
vorzuhalten.
193. Die AvcnaTQccTrj, aufgeführt an den Lenäen 411,^) ist die
älteste der erhaltenen 3 Weiberkomödien unseres Dichters. Dieselbe ist
benannt nach der Hauptperson, welche in einer Versammlung von Frauen
aus allen Teilen Griechenlands den Vorschlag macht, die Männer dadurch
zum Frieden zu zwingen, dass sie ihnen den Beischlaf kündigen,*^) infolge
dessen es denn auch wirklich nach allerlei obscönen Zwischenfällen zur
Versöhnung der Lakedämonier und Athener kommt. Eine Parabase fehlt?
der Chor ist wie in Schillers Braut von Messina in 2 feindliche Parteien,
^) Müller-Strübing, Jahrb. für Phil.
121, 104, schliesst aus V. 1738 im Zusammen-
hang mit Aesch. Eum. 827, dass unter der
{kcaileia die Stadtgöttin Athen gemeint sei.
Dagegen Cäsar, Ind. leet, Marb. 1881.
'^) Arg. I: To dQccfia tovto tmu ayav
övvaziog 7isrioLt]fMsviüv. Eine ähnliche Idee
hatte indes schon Pherekrates in seinen
' 4yoioi durchgeführt.
^) SüYERN, über Aristophanes' Vögel,
Abhdl. d. Berl. Ak. 1827.
■*) BuRSiAN, Über die Tendenz der Vögel
des Arist., in Stzb. d. b. Ak. 1875 S. 375 ff.
'^) Arg. Lys. ; eine Angabc des Preises]
und der Mitbewerber fehlt.
ß) Ähnliche Situation von burgbesetzen-
den Frauen aus altfranzösischen und mitte;
hochdeutschen Stoffen weist nach Jak. Grimi
Kl. Sehr. V, 408 ff.
C. Drama. 3. Die Komödie, g. Aristophanes. (§ 193.) 257
die der Frauen und die der Grreise, geteilt. Die lüsternen Einfälle und
unflätigen Witze des Stückes waren nur im Theater zu Athen denkbar,
wo die Männer unter sich waren und auch die Frauenrollen von Männern
gespielt wurden. Unter diesen Voraussetzungen ist aber auch unerreicht
die Scene des stanzengeplagten Kinesias und der den Mann mit ergötz-
lichsten Ausflüchten hinhaltenden Myrrhine (845—979).
Die QsapioifOQicc^ovaai^ aufgeführt in demselben Jahr,i) giud gegen
Euripides gerichtet, dessen neumodische Manier schon in den Acharnern
die Zielscheibe des beissenden Spottes unseres Dichters gebildet hatte. Das
dreitägige Fest der Thesmophorien zu Ehren der Demeter war ausschliess-
lich für Frauen bestimmt; zum Thesmophorion, dem Ort der städtischen
Feier am Abhang der Akropolis, hatte kein männliches Wesen Zutritt.
Gelegentlich dieses Festes also lässt Aristophanes die Frauen den Plan
fassen, den Euripides, den grossen Verleumder ihres Geschlechtes, in die
Acht zu thun. Euripides, der von der Sache Wind bekommen, sucht zu-
erst den eleganten Liebling der Frauen, den Dichter Agathon, und als
dieser sich nicht dazu hergeben will, seinen Schwager Mnesilochos 2) zu
bewegen; sich als Frau verkleidet in die Weiberversammlung einzuschleichen
und seine Verteidigung zu führen. Der Aufgabe entledigt sich Mnesilochos
mit Witz und Geschick, vornehmlich durch den Nachweis, dass die Frauen
thatsächlich noch viel wollüstiger und schlechter seien, als Euripides sie
dargestellt hatte. Aber während so der Anschlag trefflich abzulaufen be-
ginnt, kommt plötzlich die Verlegenheit durch die Anzeige des Kleisthenes,
dass sicherem Vernehmen nach ein als Frau verkleideter Mann sich ein-
geschlichen habe. Die Anwesenden werden unter allerlei zotigen Witzen
untersucht, und Mnesilochos nach vergeblichem Sträuben als Mann erkannt.
Der Bösewicht soll durch einen skythischen Polizisten (ro^oirryg) verhaftet
und vor die Prytanen geführt werden; da gelingt es noch den erfinderi-
schen Listen des Euripides, sich mit den Frauen abzufinden und den Mnesi-
lochos seinem Wächter zu entreissen. Die Stärke der Komödie liegt in
der Parodie des Euripides und Agathon, wobei der geschniegelte und ge-
bügelte Weiberpoet Agathon mit seinen gedrechselten und verschnörkelten
Versen noch schlechter wegkommt als der erfindungsreiche Weiberfeind
Euripides. Die Chorlieder sind, wie bei der Situation des Stückes erklär-
lich, ganz anderer Art als in den anderen Komödien; sie enthalten herr-
liche Tanzlieder zu Ehren der Götter, in denen aber gewiss auch die Parodie
eine grosse, nur uns bei der Magerkeit der Scholien wenig mehr erkenn-
bare Rolle spielt. Das Stück fand solchen Anklang, dass Aristophanes
später noch ein zweites Stück gleichen Namens folgen liess. Dasselbe
war keine Überarbeitung unserer Komödie, sondern ein ganz neues Stück,
das, wie man aus der Sprecherin des Prologs, Kalligeneia, erkannt hat,
am vierten oder letzten Festtage spielte, während unsere Thesmophoria-
') Nach Schol. Thesm. 190; Andere, Titel hatten die 'J^tavid^ovaca des Phile-
woiunter Hanow, Exerc, crit. in com. gr. tairos.
82 ff., RiTscHL, Opusc. I, 429 plädieren für ^) Der Name ist nicht genannt, indem
410; eine Didaskalie zu dorn, wie es scheint, ! die Person nur als xy&earijg EvQtnldov ein-
weniger gelesenen Stück fehlt. Verwandten , geführt wird; s. Hiller, Herrn. 8, 449 f.
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII 2. Aufl. 17
258
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
zusen auf den dritten Festtag fallen. Mit Bezug darauf hat der Gram-
matiker Demetrios aus Trözen nach Athen, p. 29a die zweiten Thesmophoria-
zusen QsafxoifOQidaaaai getauft.^)
Die 'ExxXrjaid^ovaai, nach dem peloponnesischen Krieg im Jahre 889
(nach anderen 392) aufgeführt, ^) sind ein loser Schwank, der allerdings
auch aus den politischen Zeitverhältnissen erwachsen ist, aber ganz der
ätzenden Schärfe persönlicher Persiflage entbehrt. Denn die Angriffe auf
die neuerungssüchtige Gesetzgebung (V. 813 ff.), den korrumpierenden Ein-
fluss des Ekklesiastensoldes (308 ff.), das Demagogentum des Agyrrios
(102. 184) sind alle so zahm, dass sie selbst unsere Theaterzensur passieren
könnten. Der Schwank zerfällt in zwei locker verbundene Abschnitte. In
dem ersten ziehen Frauen als Männer verkleidet mit Stiefeln und Schnurr-
bärten in aller Frühe in die Volksversammlung (SxxXrjcria), um durch ihre
Wortführerin Praxagora den Beschluss durchzusetzen, dass die Angelegen-
heiten der Stadt, nachdem die Männer alles schlecht gemacht, nunmehr
den Frauen überlassen werden. Im zweiten Teil treten dann die Frauen
mit ihren weltverbessernden Ideen der Güter- und Weibergemeinschaft
heraus, machen aber gleich bei dem ersten Versuch der Durchführung
ihrer Prinzipien glänzend Fiasko, teils infolge der Schlauheit einzelner
Bürger, die mit der Auslieferung ihres Vermögens an den Gesamtstaat
zurückhalten, teils und mehr noch infolge der Geilheit der alten Weiber,
welche von der Bestimmung der Männergemeinschaft zunächst für sich
Vorteil zu ziehen suchen. Die sozialistischen und kommunistischen Ideen
des aristophanischen Weiberstaates haben vieles mit der Republik Piatons
gemein; aber ob Aristophanes dieselben aus Piaton entnommen und mit
seiner Komödie eine Satire auf den Staat des Piaton habe schreiben wollen,
ist fraglich. 3) Nicht nur fehlt jede Anzüglichkeit auf Philosophen, wiewohl
der Dichter, wenn derartige Lehren von einem Philosophen bereits auf-
gestellt worden wären, sich schwerlich die Gelegenheit der Philosophen-
verspottung hätte entgehen lassen;^) auch die Chronologie macht Schwierig-i
keit: die uns erhaltene Politeia des Piaton in 10 Büchern ist zweifelsohne]
weit später ediert worden, und ob die angebliche ältere Ausgabe in 2 Buchen
in so frühe Zeit hinaufgerückt werden dürfe, lässt sich bezweifeln. Das]
Wahre an der Sache wird also sein, dass infolge der allgemeinen Ver-
armung der Bürger nach dem peloponnesischen Krieg kommunistische]
Ideen in den Köpfen der Bürger spukten, und dass dieselben zuerst dei
^) Das Verhältnis klar gelegt von Fritz-
scHE in Ausg. (1838); vgl. A. Mommsen,
Heortologie S. 301 ff. Dagegen Zielinski
79 ff.
'^) Auf das Jahr 392 führt die Angabe
des Philochoros zu V. 193. Götz, De tempo-
ribus Eccles. Aristoph. in Act. Lips. 11, 335 ff.
verwertet die geschichtlichen Verhältnisse für
das Jahr 389 und erklärt den Irrtum des Phi-
lochoros daraus, dass Demostratos, unter dem
nach der verlorenen Didaskalie das Stück
gegeben Avorden sei, Ol. 97, 3 und 96, 4. Ar-
chon war. Die Winterzeit_, in welche die
Lenäen fallen, ergibt sich aus V. 289.
^) Bergk, Comment. p. 81 : locupletis-'
simus auctor Aristophanes, qui in Eccle^
siazusis ipsam hanc doctrinam, quam JPlato,
in Ulis lihris proposuit, scite exagitat ipsum-
que etiani Platonem ohscurato quidem no
mine {'jQLfftvXkog für nXchotv 6 ^Agloxcovog)
ohiurgat. Ebenso Meineke, Hist. crit, com.
I, 288. Dagegen Susemihl, Plat. Phil. II,
1. 296 ff.
^) Der Ausdruck cpiX6ao(poq cpQovxig
V. 571 beweist nichts dagegen.
C. Drama. 2. Die Komödie, c. Aristophanes. (§ 194.)
259
geniale Komiker zu einem drolligen Schwank benützte und dann der tief-
sinnige Philosoph in ein durchdachtes System brachte.
194-. Die Frösche (ßdvQccxot), an den Lenäen 405 aufgeführt, wurden
nicht bloss mit dem 1. Preis gekrönt, sondern auch mit einem so ausserordent-
lichen Beifall aufgenommen, dass sie zu einer zweiten Aufführung kamen ^)
und der Dichter ihretwegen mit einem Zweig des heiligen Ölbaums bekränzt
wurde. 2) Stoff bot dem Aristophanes und in merkwürdiger Übereinstimmung
zugleich seinem Rivalen Phrynichos der kurz zuvor eingetretene Tod der
beiden grossen Tragiker Sophokles und Euripides. Es standen die grossen
Dionysien bevor und jeder Theaterfreund fragte sich besorgt, was wird jetzt
mit dem dramatischen Agon werden, w^o die grossen Meister zu den Seligen
gegangen sind und nirgends ein Ersatz sich zeigen will. Da macht sich
also der Gott Dionysos mit seinem Diener Xanthias auf den Weg, um den
Euripides wieder aus der Unterwelt heraufzuführen. 3) Bei Herakles, der
dereinst den Kerberos aus dem Hades geholt hatte, holen sie sich Rat
und steigen dann bei dem melitischen Thor, wo Herakles einen Tempel
hatte und sich zugleich der Eingang zu einer Begräbnisstätte befand, in
die Unterwelt hinab. Nach der Fahrt über den Styx und nach allerlei
Fährlichkeiten kommen sie in der Behausung des Hades gerade zu der
Zeit an, wo zwischen Aischylos, der bisher den tragischen Thron inne ge-
habt hatte, und dem neuangekommenen Euripides, der jetzt auf denselben
Anspruch erhob, sich ein Streit entsponnen hatte. Sofort wird das Schieds-
richteramt dem Dionysos zugewiesen; der zugleich den Sieger mit in die
Oberwelt hinaufzunehmen verspricht. Der berühmte Streit, von Aristo-
phanes nach sorgfältiger Disposition und mit feinster Komik durchgeführt,'*)
bildet für uns gewissermassen den Kanon des ästhetischen Urteils über
das Verhältnis der grossen Tragiker zu einander. Aristophanes steht
natürlich auf Seiten des Aischylos, des Vertreters der alten, ehrbaren Zeit;
aber so schonungslos er auch die Erniedrigung der tragischen Kunst durch
Euripides geisselt, so lässt er doch auch dem Sophisten unter den Dichtern
Gerechtigkeit widerfahren, indem er schliesslich sein Urteil über die Ver-
dienste beider in den schönen Vers (1413) zusammenfasst: tov ^tv ydq
iiyoviiai (focpöv, to) d' ridofxcci. In noch ehrenderer Weise drückt er sich
über den edlen, milden Charakter des Sophokles aus, der in seiner Be-
scheidenheit gar keinen Anspruch auf den Thron erhoben hatte, von Aischylos
^) Arg. 1 : To 6e dQcifia rioy stJ ndvx^ I
KofAAtoy Tov fX6T(c ^AvTiyev)] (^id 4>i'Aiovi^ov
sig Arjvcaci ' nQiorog tjv, dei'iEQog 4>Qvvt/og
Movaaig, Wkchiop jQixog KlEO(f<avii . o'vtü) di
ix^avfxuadr] to d^äfÄCc öid rrju ev aihw nagd-
ßaaiv (cft« xriv Eig Jl'dov xcitctßaaiP corr.
Weil), waxE xcd ((yE&Ldd^&f].
^) Vit. Arisi, wo die Auszeichnung spe-
ziell auf die Partie toV lEgoy /ogov dixcaoy
noXhc /QtjGxd xrj noXsi av^nagaLVEiv xx'k.
(V. 68G) zurückgeführt wird. Spuren einer
Diorthose versuchen nachzuweisen Stanger
[ a. 0. 6 ff., ZiELTNSKi a. 0. 150 ff.
^) In dieser Erfindung war dem Aristo-
phanes teilweise Eupolis vorausgegangen, der
in den Jrjfxoi die grossen Staatsmänner wie-
der von den Toten hatte auferstehen lassen,
worüber Meineke, Hist. crit. com. 126 f.
^) In jenem Streit enthält, um das ge-
legentlich zu bemerken, das berühmte Xi]-
xvOiov unoJlE'JEv, womit die Eintönigkeit der
euripideischen Verse verspottet wird, einen
Anklang an den Paroden Hegemon, von dem
es in Paroem. gr. I, 40G heisst: 'HyrjfÄOjy 6
Gdaiog, otiÖxe tiuqm^mv ccnogriaEiE, nQOGExi&Ei:
X(d xo TiEgdtxog axilog.
260
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
aber beim Weggehen zu seinem Vikar eingesetzt wurde. Jener Wettstreit
der Tragiker bildet den Mittelpunkt und für uns den hauptsächlichsten
Anziehungspunkt des Dramas; aber dem Umfang nach nimmt er kaum
die Hälfte der Dichtung ein. Aristophanes trug eben auch in unserer
Komödie dem Geschmack des gewöhnlichen Publikums Rechnung, wie
gleich in der Eingangsscene, wo der als Herakles mit Keule und Löwen-
fell bekleidete Weibergott Dionysos und sein auf dem Esel reitender und
das Gepäck gleichwohl auf dem Rücken tragender Diener Xanthias Pracht-
figuren bilden, ferner beim Eingang in die Unterwelt, wo die Köchinnen ein
Zetergeschrei über den vermeintlichen Vielfrass Herakles erheben und der
finstere Unterweltswächter Aiakos den Dionysos und seinen Begleiter Spiess-
ruten laufen lässt, endlich am Schluss, wo, um den Ernst des Streites zu
verwischen, Pluton den Theatergott und Theaterdichter zum Abschied be-
wirtet. Aber auch der politische Charakter der alten Komödie ist nicht
ganz ausser acht geblieben; er drückt sich in zahlreichen derben An-
spielungen aus, besonders aber in der auf die Aussöhnung der Parteien
bezüglichen Parabase (675 — 737), die bei dem athenischen Theaterpublikum
ganz besonderes Gefallen fand. Den Namen hat indes unsere Komödie
nicht von dem Chor der Eingeweihten (^varai), welcher diese Parabase
vorträgt, sondern von dem lustigen Nebenchor der Frösche, welche mit
ihrem ßQexsxsat^ xoa§ xoa^ die Überfahrt des Gottes über den See der
Unterwelt begleiten.^)
195. Der üXovtoc, ist in der uns erhaltenen zweiten Fassung 388
aufgeführt worden, nachdem der erste Plutos bereits 408 über die Bretter
gegangen war. 2) Im Geiste der mittleren Komödie ist hier an die Stelle
der persönlichen Persiflage eine allegorische Fabel vom Gott des Reichtums
getreten. Der Chor ist so gut wie ganz verschwunden; einen schwachen
Nachklang bildet die nach Motiven des Dithyrambus eingelegte Neckscene
zwischen der herbeigerufenen Schar der Armen und dem Sklaven Karion
(V. 288 — 321). 3) Von der Politik hält sich der Dichter ganz fern und
führt nur einmal (V. 176) ganz nebenbei einen Seitenhieb auf den Dema-j
gogen Agyrrios. Hingegen gaben auch im Plutos, wie in den kurz zuvor
aufgeführten Ekklesiazusen, die sozialen Zustände dem Dichter den Stoff
an die Hand. Ein verarmter, biederer Bauer, Chremylos, der sich auf des
Orakels Rat dem Gefolge des blinden Plutos angeschlossen hatte, heilt mit
seinem verschmitzten Sklaven Karion den Gott von der Blindheit, indem
er ihn im Asklepiostempel durch den köstlich verspotteten Humbug des
Traumschlafes kurieren lässt. Nun, nachdem der Gott sieht, an wen er
seine Gaben verteilt, kehrt sich die ganze Welt um: die Gerechten
schwimmen in Überfluss, die Sykophanten und alten Huren kommen in
Not, die Götter und ihre Priester sind um die fetten Opfergaben gebracht.
i
^) Dem Inhalt nach berührten sich die
Frösche zumeist mit dem gleichfalls nach
dem Tode des Euripides gedichteten FrjQv-
2) Der erste Plutos wurde aufgeführt Ol.
92, 4 nach Schol. ad Flut, 173; über die Zeit
des zweiten belehrt Arg. IV, wonach Mit-
bewerber waren Nixo/aQt]g Aäxiaaiv, \4qi-
axofxivrjg ^JJ/uiJTio, J^iyocpiov 'JdcSyiifi, ^JX-
xaiog naaicpäri. Der erste Plutos war wahr-
scheinlich ganz verschieden; s. Kock zu den
Fragmenten desselben.
^) Pauseausfüllende Musikstücke müssen
eingelegt gewesen sein V. 627 und 958.
C. Drama. 3. Die Komödie, c. Aristophanes. (§ 195-197.)
261
Zum Schluss wird der vergötterte Plutos auf der Burg in dem Opisthodom
der Göttin Athene aufgestellt, zum guten Augurium für die Stadt, damit
es dem dort aufbewahrten Staatsschatz nie an Gold und Geld fehle.
Das alles ist recht hübsch und mit feinem Verständnis der sozialen Ver-
hältnisse *) dargestellt, aber ohne die jugendliche Keckheit ausgelassenen
Witzes.
196. Von den verlorenen Komödien seien hier noch erwähnt: die
Nrj(foi, in denen das Glück des Friedens gepriesen war und von denen
eine Stelle (fr. 1) Horaz in der hübschen 2. Epode auf die Freuden des
Landlebens nachgeahmt hat ; der 'AiKfidqaog, eine Komödie der Wunderkuren,
welche in dem gleichen eTahr wie die Vögel (414), als durch das Gesetz des
Syrakosios die Freiheit der politischen Komödie eingeengt war, über die Bretter
ging; die 'OAx«()Vg, in denen Aristophanes dieselbe Tendenz wie in dem Frieden
verfocht; die Jga^ara i] Ksvrccvgog und jQaf^iaza rj Nioßog, in welchen der
Handel des lophon mit seinem Vater Sophokles vorgekommen zu sein scheint; 2)
die TayrjvKTTai und der T()i(fähjg, in welchen Stücken Alkibiades und seine
lustige Gesellschaft die Kosten des Spieles tragen mussten; das Alter
(Fr^Qac), worin die Greise nach Art der Schlangen die alte Haut abgeworfen
hatten und sich wie mutwillige Jungen geberdeten; der rrjQvvddrjg, der
sich im Inhalt mit den Fröschen berührte; endlich die Störche, die Da-
naiden, der Daidalos u. a.
197. Zum Schluss noch einige Bemerkungen über den Kunstcharakter
und den Stil des Aristophanes. Die Kunst, die ein Komödiendichter in
erster Linie haben muss^ die Kunst, seine Zuhörer und Leser zum Lachen
zu bringen, besass unser Dichter in eminentem Masse. Über das ganze
Repertoire von Scherzen, Bummelwitzen {ßoifioloxia), Zoten, Verhöhnungen,
unerwarteten Ausgängen {nagd TCQoaöoxiav), Parodien, Anspielungen ver-
fügte er mit souveräner Herrschaft. Die Schwächen der menschlichen
Natur, insbesondere die Nacktheiten des Geschlechtstriebes bei Männern
und Frauen, hat er nicht minder wie die lächerlichen Auswüchse des
gesellschaftlichen und staatlichen Lebens, die Aufgeblasenheit der Empor-
kömmlinge, die noblen Passionen der adeligen Jünglinge, die Durchtrieben-
heit der Sklaven, den Humbug und Eigennutz der Wahrsager für seine
Stücke verwertet. In Erfindung lustiger und burlesker Scenen zeigt er
eine geradezu unerschöpfliche Originalität;^) auch da, wo der Ernst der
Situation und die Subtilität des Themas die Heiterkeit fröhlicher Scenen
auszuschliessen schien, hat er wenigstens zum Schluss durch irgend einen
Aufzug oder einen lustigen Schmaus dafür gesorgt, dass die Zuschauer
nicht mit sauertöpfischer Miene nach Hause gingen. Aber so hoch auch
') Sehr hübsch setzt die Penia V. 507—
609 auseinander, wie nicht der Reichtum,
sondern sie, die Armut, die treibende Macht
im Staate sei, ohne die alles in träges Schla-
raffenleben verfallen würde. Das Stück ward
im Mittelalter am fleissigsten gelesen, wes-
halb wir zu ihm die meisten Scholien haben.
^) Siehe oben § 149. Wilamowitz, Oh-
''■n\ crit. in com. graec. 11 ff. bezieht hier-
auf das Scholion zu Vesp. 60: eV lolg tiqo
Tovrov de&iduyfxei'oig ^Qa^aaiv eig xrjv 'Hqcc-
xXeovg fcnlrjarlciv ■noXXd TiQoeiQrjrcct, wonach
die jQdfxaza vor den Wespen oder vor 422
aufgeführt worden seien.
'■'') KocK, Aristophanes als Dichter und
Politiker, Rh. M. 39, 118- 140. Arist. selbst
Nub. 747 : <iXX' üel xairdg t&eag siacpeQtov
262
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
die witzige Ader und die derbe Natürlichkeit unseres Aristophanes anzu-
schlagen sind, die Hauptsache waren sie bei ihm nicht. Eine höhere sitt-
liche Tendenz zieht sich durch alle seine Komödien: er wollte das Gemeine
und Verkehrte dadurch austreiben, dass er es lächerlich machte; das
horazische ridentem dicere verum stand ihm überall obenan ; ^) ja er ging
selbst hie und da über die Grenze des poetischen Spieles hinaus und stellte
mit sittlicher Entrüstung direkt ohne die Beihilfe des Lächerlichen die
Gemeinheit von Sykophanten und politischen Gaunern an den Pranger.
Die Grundsätze, die er auf solche Weise durch seine Komödien zur Geltung
zu bringen suchte, betrafen teils die Politik, teils die Poesie und Erziehung;
die Kunst und die Künstler Hess er unberührt, wie sich auch umgekehrt
die Kunst um seine Komödien nicht gekümmert hat. In der Politik neigte
er, wie Kratinos und die meisten Dichter der attischen Komödie, zur
Friedens- und Ordnungspartei und vertrat den Standpunkt der ehrenfesten
Aristokratie. Nikias, Theramenes, Kritias, Alkibiades blieben so gut wie
ganz verschont, 2) die Ochlokratie und das damit verbundene Demagogen-
tum des Kleon, Hyperbolos, Agyrrios haben an ihm den galligsten Gegner
gefunden. 3) In dieser Stellungsnahme berührte er sich mit dem aristo-
kratischen Philosophen Piaton, der, wie man sich erzählte, dem Tyrannen
Dionysios, als er die Staatsverfassung der Athener kennen lernen wollte,
die Dichtungen des Aristophanes übersandte.^) In der Poesie zeigte er
sich gleichfalls als einen Freund der alten Zeit: Aischylos war sein über-
schwenglich gepriesenes Ideal, ^) die ganze Lauge seines Spottes ergoss
er über die neumodische Richtung des Euripides;^) von ihm., dem beliebten
Dichter der Jugend, fürchtete er zumeist einen schlimmen Einfluss auf das
Volk, ihn verfolgte er daher über das Grab hinaus mit erbarmungslosem
Spott. Mehr nur nebenbei werden die Schnörkel des weichlichen Agathen
und die ätherischen Tiraden des Dithyrambendichters Kinesias verhöhnt.
Seine Feindseligkeit gegen Euripides hing mit seiner Abneigung gegen die
ganze Richtung der modernen Erziehung zusammen: die alte Thatkraft,
Schlichtheit, Frömmigkeit wollte er genährt sehen, wenn er auch selbst als
Spassmacher sich gelegentlich über die Göttermythen lustig machte ; von den
Wortverdrehungen der Rhetorik, den Spekulationen und den Trugsätzen
der Sophistik befürchtete er den Ruin seines Vaterlandes. In seinem
eigenen Felde, der komischen Poesie, war er, im Bewusstsein seiner
Kraft, gegen seine Rivalen nichts weniger als rücksichtsvoll; dafür hat
Kratinos ihm den Spott über die ausfallenden Saiten seiner Leier (Eq. 531 — 6)
^) Ach. 500: To ydg ^Ixuiov oids xal
r^vyiodla.
2) Auf Alkibiades wandte er in den
Fröschen 1432 den berühmten Ausspruch
des Aischylos an: ov XQV '^^optog axvfxpov
iv nöXei XQecpsiv, rjy d" ixzQaq^fj rig, roTg
TQonoig vn7]QSTsTv. Vermutlich gingen auf
den Alkibiades der Triphaies und die Ta-
genistai.
^) Vesp. 1043 preist er sich selbst als
a'As^lxaxou rrjg /oigag rtjaös xa&aQT^y.
^) Vit, Arist. : (paol de xcd Tlhh^va
Jioyvalü) TW rvQäyyo) ßovXt]%96yn ^aS^sTv rtji
' A&rjvciLMv TToXirsLCip nifixpai rrji^ 'Jqlgto-
(pävovg nolr]Giv.
^) Hennig, Aristoplianis de Aeschyli
poesi iudicia, Lips. 1878.
^) W. Ribbeck, Die dramatischen Paro-
dien, in der Ausg. der Acharner; van dk
Sande Bakhüysen, De parodia in comoediis
Aristophaneis, Utr. 1877. Über nichtattische
Ausdrücke in den Parodien s. Rutherford
Zur Gesch. d. Atticismus in Jhrb. f. Phil
Suppl. XIII, 384---99.
C. Drama. 3. Die Komödie, c. Aristophanes. (§ 198.) 263
in dem nächsten Jahre mit seiner „Flasche" gut heimgezahlt, und Eupolis
ihm den Vorwurf des litterarischen Diebstahls (Nub. 554) in seinen Bdittat
mit Bitterkeit zurückgegeben. ^)
198. In dem Aufbau und der Ökonomie seiner Komödien erhob er
sich wohl, wenn wur seiner eigenen Darlegung im Frieden V. 748 ff. glauben
dürfen, hoch über die Possenreissereien der älteren Schule; aber die Kunst
spannender Anlage und geschickter Verschlingung war erst den Dichtern
der neuen Komödie vorbehalten. Der ganze Charakter des ausgelassenen
Karnevalspieles vertrug sich nicht mit der Feinheit einer regelrechten
Disposition. Nur wo musikalische Rücksichten mit in Frage kamen, finden
wir bei ihm eine merkwürdige Strenge des symmetrischen Baues, und zwar
nicht bloss in lyrischen Gesängen, sondern auch in parakatalogisch vor-
getragenen, aus anapästischen, trochäischen, iambischen Tetrametern be-
stehenden Partien. 2) Von den beiden Bestandteilen des antiken Dramas
weiss man nicht, welchen man bei Aristophanes höher stellen soll, ob den
leichtfliessenden, spannenden Dialog, oder die melodischen, wechselreichen,
tiefste Empfindung und schwungvollste Kraft atmenden Chorgesänge. In
der Regel preist man die letzteren mehr, weil man so etwas, wie die
aristophanischen Parabasen in anderen Litteraturen nicht hat.^) Aber auch
abgesehen von den Parabasen entwickelt Aristophanes in den Chorpartien
eine ausserordentliche Kunst; weit inniger wie bei den Tragikern bleibt
der Chor mit der Handlung und dem Spiel auf der Bühne in Kontakt,
weit grösseres Leben entfaltet er in sich selbst dadurch, dass er sich bald
in Halbchöre und Reihen auflöst, bald alle einzelnen Choreuten hinter-
einander zu Wort kommen lässt.^) Dem Dialog wie den Chorpartien aber
gibt einen besonderen Reiz die korrekte Schönheit des sprachlichen Aus-
drucks und der leichte Fluss des Verses. In der Sprache eignete sich
Aristophanes von Euripides den gerundeten Ton der gebildeten Umgangs-
sprache an."^) Bei den Grammatikern galt er als Muster des reinen Atti-
kismus, welchen er auch bei dem grösseren Reichtum seiner in den ver-
schiedensten Lebenssphären sich bewegenden Sprache vollständiger als die
Tragiker und Sokratiker zum Ausdruck brachte.^) Im Versbau steigt er
einerseits durch den freien Bau des Trimeter zur Lässigkeit der Umgangs-
sprache herab und erhebt er sich anderseits durch die befiederten Anapästen
und energischen Kretiker zu kühnem Fluge, "^j Die Kola der lyrischen
Gesänge aber gehen alle leicht ins Gehör, so dass wir auch nach dem Ver-
luste der Melodien ihre melodische Schönheit leicht herausfühlen. Die Natur
der altattischen Komödie bringt es mit sich, dass die Jugend an unseren
humanistischen Gymnasien nicht mit der aristophanischen Muse vertraut
') S. oben § 188; vgl. Clemens Alex, i mantischen Oedipus und im engeren An-
strom. VII, 763: Jlhhoji' 6 xcofiiy.og xccl
' jQiarocfdvtjg ev zm JcciduXo) rd c'cX?.7]X(oy
vfpaiQovvxai.
schluss an Aristophanes von Richter in den
^Insg, Koxxvysg, Xeh&öyeg nachgeahmt.
*) R. Arnoldt, Die Chorpartien bei Ari-
'^) Vieles der Art ist erst in unserer i stophanes scenisch erläutert, Leipz. 1873.
Zeit erkannt worden, worüber meine Metrik, ■') Vgl. »S. 232 An. 4.
2. Aufl., S. 602 ff. «) Vgl. S. 244 An. 2.
^) Nur in unserer Zeit von Platen in i ^) Nach Aristophanes ist in der Metrik
der Verhängnisvollen Gabel und dem Ro- | der anapästische Tetrameter benannt.
264
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode,
gemacht werden kann; aber Griechenland und Athen kennt nicht, wer
nicht diesen ungezogenen Liebling der Grazien gelesen hatJ)
Die Scholien, zu Plut. Nub. Ran. Pac. reichhaltig, zu Lys. Thesm. Eccl. ganz spär-
lich, bestehen in vTTo&eaeig, vnofxvrjfiara und metrischen Analysen. Die ersten, in ver-
schiedenen Fassungen auf uns gekommen, gehen auf Aristophanes Byz. und Dikäarch
zurück. Die metrischen Analysen rühren von dem Metriker Heliodor her. An der Exe-
gese und Kritik beteiligten sich Aristophanes Byz. und dessen Schüler Kallistratos,
Aristarch, Didymos und die Pergamener Herodikos und Asklepiades. Die Re-
daktion der alten Scholien erfolgte durch Phaeinos und Symmachos nach der Sub-
scriptio zu Nub. u. Pac; von diesen lebte Symmachos um 100 n. Chr. (s. Wilamowitz
Eur. Heracl. I, 179 f.), Phaeinos, ein elender Skribent, jedenfalls später, vielleicht erst im'
Beginne des Mittelalters. Vgl. 0. Schneider, De veterum in Aristopli. schoUorum fontibus,
Stralsund 1838; R. Schnee, Ein Beitrag zur Kritik der Aristophanes-Scholien, Berlin
1879; Thiemann, Heliodori colometria Aristoph., Halle 1869. Manche der alten Scholien
sind besser im Suidas erhalten, worüber 0. Buenger, De Arist. apud. \Suidam rell., in
Diss. Argent. 1, 149 ff. — Aus dem Mittelalter ist der Kommentar des Eustathios verloren
gegangen; die Prolegomena in Aristoph. von Tzetzes, welcher Plut. Nub. Ran. Av. kommen-
tierte, publizierten aus Cod. Ambros. 222 Keil, Rh. M. 6, 108 ff., Ritschl, Op. I, 197 ff.,
Nauck, Lex. Vind. 233 ff. Ausserdem haben wir verwässerte Scholien von Thoraas
Magister und Triklinios. Gesamtausg. der Scholien von W. Dindorf, Ox. 1858, 3 vol.,
und DüBNER, Par. 1842; Martin, Les scoUes du manuserit d' Aristophane ä Ravemie,
Paris 1882, wozu ergänzende Berichtigungen von R. Scholl, Sitzb. d. bayer. Ak. 1889,
II, 39-46.
Codices: Ravennas 180 s. XI mit Scholien; Venetus 474 s. XII ohne Ach. Eccl.
Thesm. Lys., mit Scholien, welche die Lücken des Ravennas ergänzen. Zur 2. Klasse ge-
hören Paris. 2712 s. XIII (A); Laur. 31, 15 s. XIV (r), wozu die Ergänzung der Leidensis 9 J
bildet. Ein paar Blätter aus dem Altertum, Verse der Vögel enthaltend, sind publiziert I
von Weil, Rev. de phil. VI, 179. Kritischer Apparat in den Sonderausgaben von Blaydes I
und Ad. v. Velsen (von letzterem nur erschienen Eccl. Eq. Plut. Ran. Thesm.).
Ausgaben: ed. princ. Aid. 1498 ohne Lys. Thesm., besorgt von Musurus; die
11 Stücke vereint Bas. 1532. — Ausg. mit Kommentar von Küster, Amstel. 1710 (mit
PJmendationen Bentley's); von Brunck, Argent. 1781. — Weitläufige Hauptausg. von
Invernizzi, fortgesetzt von Beck und Dindorf, Lips. 1794 — 1826, 13 vol. — Textausg.
von Meineke, Lips. 1860; von Blaydes, Hai. 1886, 2 vol. mit Conspectus codicum et
praecipuarum editionum. — Ausgewählte Komödien (Wolken, Ritter, Frösche, Vögel) mit
erklärendem Kommentar von Kock, bei Weidmann. — Acharn. ed. Elmsley, 2. Aufl.,
Lips. 1830; von Alb. Müller, Hann. 1863; von Blaydes, Halle 1887; von W. Ribbeck,
griech. u. deutsch, Leipz. 1864. — Ritter von W. Ribbeck, griech. u. deutsch, Berl. 1867. —
Wolken von F. A. Wolf mit metrischer Übersetzung, Berlin 1812; von CI. Hermann,
Lips. 1830; von Teuffel-Kähler, Leipz. (1867) 1888. — Ran. emend. et comment. Fritz-
sche, Turici 1845. — Wespen und Frieden von Jul. Richter, Berl. 1858. 1860.
Erläuterungsschr. : Beer, Über die Zahl der Schauspieler bei Arist., Leipz. 1844. — j
Chr. Muff, Vortrag der chorischen Partien bei Arist., Halle 1872; besser R. Arnold
Die Chorpartien bei Arist., Leipz. 1873. — Übersetzung mit Erläuterungen von J. G.
Droysen, Berl. 1835 (1869), neueste wohlfeile Ausg. 1871. — Ein Lexikon wird erwartet
von Bachmann; vorerst hilft Jacob, Comicae dictionis index, in Meineke Fragm. com. t. V.
I
d. Mittlere und neue Komödie. 2)
199. Der alten Komödie wurde nach dem peloponnesischen Krieg in
doppelter Weise der Boden unter den Füssen entzogen. Die eine deutet
Horaz an, wenn er in der Ars poet. 284 von dem Chor der Komödie sagt:
turpiter obticuit suhlato iure nocendi.'^) Das Recht des Spottes liess sich
^) So nennt Goethe unsern Aristophanes
im Epilog der Vögel, Ges. W. 14, 116; Bergk
nennt irgendwo die ältere attische Komödie
den Höhepunkt der griechischen Poesie.
'-) Grauert, De mediae Graecorum co-
moediae natura, Rh. M. a. F. II, 50 ff.;
0. RibBECK, Über die mittlere und neue
Komödie, Leipzig 1857. In den Kanon auf-
genommen waren von den Dichtern der mitt-
leren Komödie Antiphanes u. Stephanos (nach
Lex. Bodl. : Antiphanes u. Alexis), von denen
der neuen Philemon, Menander, Diphilos,
Philippides, Poseidippos, Apollodoros.
^) Den Unwillen über die Ausschreitun-
gen der politischen Redefreiheit der Komiker
spricht Isokrates de pace 14 und ad Nicocl.
2, 44 aus, den über die persönlichen Verun-
glimpfungen Piaton in der Apologie.
C. Drama. 3. Die Komödie, d. Mittlere und neue Komödie. (§ 199 - 200 265
zwar so rasch die Komödie nicht nehmen; sie rieb sich an den Dichtern
und Musikern, nachdem sie die Archonten und Beamten aus dem Spiel
lassen musste; aber die Feinheit ästhetischer Ausstellungen konnte doch
nicht den Widerhall finden, wie die kecken Angriffe auf die leitenden
Staatsmänner. Die zweite Schädigung ging von der finanziellen Lage des
Staates und der Beschränkung der Ausgaben für den Chor aus. Um für
3 Schauspieler an 2 Festen des Jahres, den Lenäen und Dionysien, zu
sorgen, dazu reichten immer noch die Mittel des Staates leicht aus; aber
um an einzelne Bürger wiederholt die Zumutung der Choregie zu stellen,
dazu waren die Vermögens Verhältnisse der athenischen Bürgerschaft zu
sehr herabgekommen. Da die für die Existenz des Staates notwendigsten
Leistungen, wie die Trierarchie, nur mit Mühe aufgebracht werden konnten,
so musste man sich in den Luxusausgaben, wie eine die Choregie war,
notwendigerweise Beschränkungen auferlegen. Dithyramben konnten nun
einmal nicht ohne Chöre aufgeführt werden; aber in der Tragödie und
Komödie hatte sich der den Schauspielern zufallende Teil so sehr ent-
wickelt, dass man sich mit einem geringeren Chorapparat begnügen, ja
des Chors zur Not ganz entraten konnte.^) In dem Chor aber und der
Parabase lag der Schwerpunkt der alten Komödie; mit ihrem Wegfall
musste die Komödie entweder ganz verstummen oder eine andere Richtung
nehmen. Sie that das letztere. Die Feinheit des attischen Witzes war
noch lange nicht erschöpft; die Komödie war darin besser daran als die
Tragödie, dass, während jene sich immer in den alten Mythenkreisen be-
wegen musste, diese in den veränderten sozialen Zuständen neue Nahrung
fand. 2) Sie bequemte sich daher nicht bloss den veränderten Verhältnissen
an, sondern hat sich auch noch über die Zeit des Untergangs der helleni-
schen Freiheit hinaus auf ihrer Höhe erhalten. In der ganzen Anlage und
Diktion aber der neuen Komödie treffen wir dieselbe Vorliebe für das Feine
und Glatte (adrdüv xcd yXaifvqöv), welche die plastische Kunst und Malerei
dieser Zeit gegenüber dem Erhabenen und Grossen der früheren Kunst-
richtungen charakterisiert.
200. Kunst und Poesie entwickeln und verändern sich allmählich;
es lässt sich nicht mit Messerschneide eine Periode von der andern ab-
sondern. So hat sich auch die neue Richtung der Komödie, welche in der
Beiseitesetzung der persönlichen Verhöhnung und der Ausbildung der Fabel
beruhte, erst allmählich Bahn gebrochen. Während daher die älteren unter
den griechischen Grammatikern nur einfach alte {aq^ccict) und neue {vta
oder TiaivrD Komödie unterschieden,^) nahmen spätere eine Übergangsstufe,
^) Schol. Arist. Nub. 404: XQoyo) tf' oi'
noXXo^ vorsQor xcd xud^dna^ nsQiElXe Kivrjaiag
Tag xoQf]yiccg. Nach der Vita Aristoph. fand
sich auch in den Stücken der neuen Ko-
mödie, des Philemon und Menander, öfters
die Überschrift Xoqov, wie es scheint zur
Bezeichnung der Stelle, wo entweder ein be-
liebiges, von mehreren Personen zu singendes
rjesangstück oder ein Zwischenspiel des Flö-
tenbläsers, wie in Plautus Pseudulus 573,
einzulegen war. Vgl. Aeschin. in Tim. 157.
2j Die Lage der Komödie gegenüber
der Tragödie vom umgekehrten Standpunkt
aus witzig geschildert von Antiphanes fr. 191.
^) FiELiTZ, De Atticorum comoedia bi~
partita, Bonn 1866. Die Unterscheidung
von uQ/aUi und xaii^rj xcof^codia findet sich
schon bei Aristoteles Eth. Nie. IV, 14. Der
Name /ueat] Jässt sich erst bei Schriftstellern
nach Hadrian nachweisen, geht aber doch
wohl in frühere Zeit zurück; die Zweiteilung
weist den Pergamenern, die Dreiteilung den
266
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
die mittlere {ixeaij) Komödie, an und bemerkten von mehreren Stücken der
alten Komiker, wie von dem Plutos des Aristophanes und den Odysses des
Kratinos, dass sie im Charakter der mittleren oder neuen Komödie ge-
dichtet seien. ^) Als spezielle Eigentümlichkeit der mittleren Komödie be-
zeichneten sie die versteckte Anspielung und die Vorliebe für Parodie und
Verspottung der Dichter und Mythen, 2) während die neuere in die feine
Zeichnung der Sitten und die Erfindung kunstvoll verschlungener Hand-
lungen ihre Hauptkraft gesetzt habe. Beiden gemeinsam war der Mangel
von Chorgesängen und die Einfachheit der metrischen Form. Der fast zur
ausschliesslichen Herrschaft gelangte Vers war der iambische Trimeter;
daneben trat an gehobenen Stellen der trochäische Tetrameter ein; ausser-
dem fanden anapästische Dimeter oder Systeme in den Gesangspartien,
namentlich der mittleren Komödie, ihre Stelle.^) Auch in der Prosodie
und dem Sprachgebrauch merkten die Grammatiker manche Abweichungen
von den strengeren Regeln der alten Komödie an.^) Der Zeit nach setzte
man die mittlere Komödie zwischen den peloponnesischen Krieg und den
Regierungsantritt Alexanders (400—336), die neue unter Alexander und
die Diadochen (336—250).
201. Zur alten Komödie zählten die Grammatiker noch mehrere
Dichter, welche nach ihrer Lebenszeit und der Richtung ihrer Poesie der
mittleren näher stunden. Es waren dies Strattis, Theopompos, Alkaios,
Nikochares. Von Strattis zählt Suidas 16 Stücke auf; mehrere derselben,
wie Mi'j6€i(x, Tgcöilog, (t>oiviaaai, XqvaiTiTiog waren offenbar parodischer
Natur; sein Kivrjaiag war gegen die bekannte Klappergestalt des Dithy-
rambendichters Kinesias gerichtet; den Maxsdorsg rj Uavaaviag lag der
Aufenthalt des Agathon und seines Freundes Pausanias an dem Hofe des
makedonischen Königs Archelaos zu gründe. — Theopompos schrieb
nach Suidas 24, nach dem Anon. de com. 17 Komödien; eine derselben,
EiQrjvrj, scheint, nach dem gleichnamigen Stück des Aristophanes zu ur-
teilen, politischer Natur gewesen zu sein, ebenso wie seine Stratiotides an
die Ekklesiazusen des Aristophanes erinnern. Aus dem 'H^vxo^grjg ist uns
eine Anspielung auf den Phaidon des Piaton erhalten.
Die mittlere Komödie zählte nach dem Anon. de com. 57 Dichter und
617 Dramen;'^) ich bespreche kurz die namhaftesten. Antiphanes von
Alexandrinern zu Kaibel, Zur att. Kom,,
Herrn. 24 (1889) S. 56 ff.
^) Platonios de diff. com.: loiovrog iarw
ö r^g ^8arjg xwfLKixfiag tvnog, oiog sgtiv 6
AioXoaixMv ' jQiiTocpdi'Ovg xal ol O&vaarjg
Kq«tIpov xal nXeiGia twv TiuMaaür dga/uaTiop.
OVIS }(OQLX(< ovrs TiicQaßdasig s/oyra.
^) Die Erfindung einer solchen Hand-
lung gehört zum Trhia/ja, daher Anon. de
com. HI: o iTAoviog t'SiOTSQtCei xard ro
TiXdafia ' Tt]v re yaQ vno&eGir ovx uX7]{^i]
Xsyei . . . Die Lateiner nannten eine solche
erfundene Handlung argumentum im Gegen-
satz zu fahula.
■^) Die Cantica bestehen aus Monodien
und Duetten; Plut. Symp. VH, 5. 4 stellt die
^sXrj des Menander neben die des Euripides;
ausser Trochäen und Anapästen kommen
noch vor Kretiker bei Eubul. Nutr. 2, Anax.
Circe 9; versus Eupolidei sind nachgewiesen
von Meineke I, 300 u. 442 f.
') Meineke I, 294 ff.
•>) Noch mehr Stücke (über 800) nimmt
Ath. 836 d an. 39 Dichternamen sind er-
halten und aufgezählt von Meineke I, 303.
Neue Namen von Dichtern lehren uns die
neuaufgefundenen didaskalischen Verzeich-
nisse CIA. II, 971 — 7 kennen. Im Altertum
schrieb Antiochos aus Alexandria nsQi riov
SV rfj utöT] x(Of4iodif< xia^ioSovfAEvwv noiijKoy;
s. Ath. 482 c.
I
C. Drama. 3. Die Komödie, d. Mittlere und neue Komödie. (§ 201.) 2(37
fremder Herkunft trat Ol. 98 in Athen als Komödiendichter auf. Ein überaus
fruchtbarer Dichter schrieb er 260, nach andern sogar 365 Komödien, mit
denen er aber nur 13 Siege davontrug. Wir haben noch Fragmente von
mehr als 200 Stücken, die sich besonders in der Schilderung von Gastereien
ergehen, aber auch viele hübsche Sentenzen enthalten. Die Kunst vererbte
sich in seinem Geschlecht. — Anaxandrides aus Kameiros in Rhodos errang
nach der parischen Chronik im J. 376 einen Sieg in Athen und beteiligte
sich im J. 348 an den Festspielen, welche König Philipp nach der Einnahme
Olynths veranstaltete. 0 Ein© hübsche Schilderung seiner Persönlichkeit
hat uns aus dem Werke des Chamaileon nsgl xcofKo^iccg Athenaios p. 374
aufbewahrt. Danach war er ein schöner, grosser Mann, der die natürliche
Schönheit seiner Figur noch durch langes Haar und purpurnes, mit goldenen
Franzen besetztes Gewand zu heben wusste; dabei war er aber so heftigen
und hochfahrenden Sinnes, dass, wenn er mit einer Komödie durchfiel, er
dieselbe nicht umarbeitete, sondern als Makulatur zum Einwickeln verkaufte.
Indes kann er nicht immer so gegen sich und das Publikum gewütet haben,
denn er siegte nur lOmal, hinterliess aber doch 65 Stücke. Aus seinen
JloXeig haben wir ein hübsches Fragment über die Verschiedenheit der
griechischen und ägyptischen Sitte, wobei auch das Schweinefleisch, das
der Agyptier nicht isst, dem Griechen aber als Leckerbissen gilt, eine Rolle
spielt. In einem Canticum des Protesilaos verspottet er mit feiner Ironie
die kolossalen Zurüstungen bei der Hochzeitsfeier des athenischen Feldherrn
Iphikrates mit der Tochter des Thrakerkönigs Kotys. Neben Komödien
dichtete er auch Dithyramben.^) — Alexis (Ol. 97 — 123) stammte aus
Thurii in Unteritalien; vermutlich war aber schon sein Vater infolge der
Einnahme der griechischen Kolonie durch die Lukaner (390) nach dem
attischen Demos Oion, den Stephanos Byz. als Heimat unseres Dichters
angibt, übergesiedelt. Viele seiner Komödien, wie Al'acoTtog, ^Aqyiloyog^
^Eke'vrj, ^Emd im Grjßag, ^Hcriovrj, Atvog, 'OSvaa^vg, 'ÖQt'aTrjg tragen den
Charakter der mittleren Komödie an der Stirne geschrieben; aber dem
Lebensalter nach ragte er tief in die Zeit der neuen Komödie hinein. Denn
in dem Hypobolimaios berührte er die Verbindung des Ptolemaios Phila-
delphos mit seiner Schwester Arsinoe.^) Es hatte sich eben unser Dichter
durch heiteren Witz gesund und lebensfrisch erhalten, so dass er ein Alter
von 106 Jahren erreichte und in seinem Element, auf der Bühne, starb. ^)
Komödien hinterliess er nach Suidas 245, von denen einige nach Gellius
II, 23 auch in das Lateinische übertragen wurden. Ausser der Parodie
und Philosophenverspottung spielten Liebesabenteuer und Parasitenwitze
eine Hauptrolle in seinen Dichtungen; die ersteren hatte schon Anaxandrides
') Mit seiner Beliebtheit am makedo- ! iriutuiig wird bezweifelt von Fk. Scholl in
nischen Hofe hängt vielleicht auch seine seiner Ausg. der Capt. p. XVI sq.
häufige Berücksichtigung bei Aristot, (Rhet
ni, 10. 11. 12; Eth. Nie. VII, 11; Eth. Eud
VI, 10) zusammen.
■') Bergk, Gr. Litt. IV, 151 lässt die
betreffenden Verse von zweiter Hand zuge-
fügt sein.
^) Nach Vermutung von Muret und j "*) Plut. an seni p. 785 b: 4>iXij^oim t6i'
Ladewig sind die Captivi des Plautus nach j xwtuiy.oy xai "AXehp inl j^g <jy7]t^ijg uyMvi-
einem Stücke des Anaxandrides gedichtet i Cojueyovg y.cd OTecparovfx^voiK o 'hircaog
wegen der Ähnlichkeit von Capt. ITl, 4. 10)^ f. xureXcißer.
mit Anaxandrides bei Ath. ()88b. Die Ver- |
268 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
eingeführt, die Erfindung der Parasitenrolle galt als spezielle Erfindung
des Alexis. 1) Kulturhistorisch interessant ist ein längeres Fragment aus
dem 'laoarccaiov von den Mitteln der Kosmetik und Phelloplastik, mit denen
die Hetären den Mängeln der Natur nachzuhelfen wussten. — Andere
Dichter der mittleren Komödie waren Eubulos, der nach Suidas in der
Mitte zwischen der alten und mittleren Komödie stund, Archippos, der
mit seinen Fischen und dem Plutos in dem Fahrwasser des Aristophanes
sich bewegte ^) und dessen 'AinfiTQimv vielleicht das Vorbild für den Am-
phitruo des Plautus abgab, ferner Araros, Amphis, Anaxilas, Ephip-
pos, Nikostratos, Stephanos, Timokles, Philetairos u. a.^)
202. Die neue Komödie geht der Zeit nach über die Grenzen des
ersten Teiles unserer Litteraturgeschichte hinaus, hängt aber so sehr mit
der Poesie vor Alexander zusammen, dass sie von derselben nicht wohl
losgerissen werden darf. Ihre Blüte fällt zusammen mit der Zeit der
politischen Ohnmacht Griechenlands und des Niedergangs nicht bloss der
öffentlichen Freiheit, sondern auch der häuslichen Sitte. An Stelle des
strengen Familienlebens war der Umgang mit feingebildeten Hetären ge-
treten, an Stelle patriotischer Freiheitskämpfer die Grossprecherei vater-
landsloser Söldnerführer, an Stelle frommen Glaubens teils beschränkte
Gespensterfurcht (SsiaiSaiiaoria), teils flacher Atheismus. Das ist der Hinter-
grund, von dem sich das Bild der neuen Komödie abhebt. Von kühnem
Eingreifen in das öffentliche Leben war daher bei ihr noch weniger als
bei der mittleren Komödie die Rede. Zwar führte gelegentlich noch einmal
Philippides einen kräftigen Hieb gegen Stratokies, den elenden Schmeichler
des Demetrios Poliorketes,'*) und stellte Archedikos den makedonischen
Gewalthabern zu liebe die Lüderlichkeit des Demochares an den Pranger,"^)
aber das geschah nur selten und nur nebenher. Auch die Verspottung
der litterarischen Ausartungen in Musik und Poesie, welche der mittleren
Komödie noch einigen Stachel gegeben hatte, trat jetzt zurück, begreiflich,
da damals in der Tragödie neues so gut wie nichts mehr geleistet wurde.
Nur die Anmassung und die finstere Morosität der Philosophen boten noch
den Komikern einige Gelegenheit zu Spott und Hohn.^) Im übrigen suchte
die neue Komödie in ganz anderen Dingen ihre Stärke, in der künstlichen
Schürzung und Lösung des Knotens und in der Feinheit der Charakter-
zeichnung. In erster Beziehung war den Dichtern Euripides Vorbild, den
sie auch in der Einfachheit und Klarheit des sprachlichen Ausdrucks und
in der Einlage ethischer Sentenzen {yvM^ai) nachahmten. Die Tragödie
hatte eben früher als die Komödie die Kunst spannender Fabelanlage aus-
gebildet; es Hess sich aber leicht die packende Wirkung von Wieder-
erkennungsscenen, in denen Euripides sich als unübertroffener Meister be-
1) Ath. 235 e; Poll. VI, 35. Dass dieses
jedoch mit Einschränkung anzunehmen ist,
lieh bezeugt in den Siegerlisten der komischen
Dichter CIA. II, 971-7.
zeigt Meineke I, 377. ! ^) Plut. Dem. 12; der harpalische Handel
2) Dass die Fische den Vögeln des Ari
stophanes nachgebildet waren, ist gut er-
wiesen von Kaibel. Zur attischen Komödie,
Herrn. 24 (1889) S. 49 ff,
ist auf die Bühne gebracht von Timokles
bei Ath. 341 f.; weitere Beispiele gibt Mei-
NEKE I. 436 ff.
•') Polyb. XII, 13 und Meineke I, 459.
^) Einige weitere Namen sind urkund- \ ^') Philemon schrieb ein Stück ^ilöaocpoi.
C. Drama. 3. Die Komödie, d. Mittlere und neue Komödie. (§ 202 203.) 2ß9
wählt hatte, auf die bürgerlichen Verhältnisse der Komödie übertragen.
Dazu traten in dem Lustspiel die Motive der Verwechselung von Doppel-
gängern und die kunstvoll eingefädelte Intrigue. Zur Erfindung verwickelter,
unerwartet sich lösender Handlungen bot aber das Leben jener Zeit, wo
statt des Jupiter optimus maximus Frau Fortuna herrschte und verschmitzte
Sklaven mit verliebten Jünglingen gegen die alten Herrn ihre Minen spielen
Hessen, überreichen Stoff. Für die Charakterzeichnung hatte, von Epi-
charmos und Sophron abgesehen, bereits Alexis die Figur des Parasiten,
Timokles die des eisenfressenden Kraftmenschen ausgebildet; zu ihnen
kamen der abgefeimte Sklave, der tölpelhafte Bauer, der geizige Alte, der
leichtsinnige Sohn, die kokettierende Hetäre, der rohe Hurenwirt, der ahnen-
stolze Aristokrat, der anmassende Parvenü. ^ In der zutreffenden Zeich-
nung und in der Würzung des Dialogs mit geistreichen Pointen und feinen
Witzen suchten die Dichter das aaxsiov und xofxijjov, was als Hauptvorzug
der neuen Komödie galt und was auch in den gleichzeitigen Werken der
Plastik und Malerei das Genremässige und Niedliche vor dem Grossartigen
und Erhabenen hervortreten Hess. Auch aus der neuen Komödie ist kein
vollständiges Originalwerk auf uns gekommen, so sehr auch bis tief in die
römische Kaiserzeit hinein Menander sich in der Gunst des Publikums er-
hielt. 2) Doch sind wir immerhin bei ihr etwas besser daran als bei der
mittleren, indem uns in den Fabulae palliatae des Plautus und Terenz
mehr oder minder getreue Kopien der griechischen Originale überkommen
sind. Griechische Originaldichter der neuen Komödien werden 64 gezählt,
also weniger als von der mittleren, dafür aber mehrere ersten Ranges.
203. Menandros (342 — 291)'^) aus Athen war ein Glückskind, dem
schon mit der Geburt ein leichtes Lebenslos in den Schoss gefallen war. Er
w^ar der Sohn vornehmer Eltern : seine Mutter hiess Hegesistrate, sein Vater
war Diopeithes aus Kephisia,^) sein Oheim Alexis, der gefeierte Dichter der
mittleren Komödie. Ein Mann von schönem Wuchs hatte er nur den Makel
eines schielenden Auges. ^) Mit Glücksgütern reichlich gesegnet, verbrachte
er die meiste Zeit auf seiner Villa im Piräus im genussreichen Verkehr mit
seiner geliebten Glykera.*^) Durch seinen Oheim in die Kunst des Lustspiels
^) Typenzeichnungen nach der Komödie
sind uns in Theophrasts Charakteren er-
halten. Die einzelnen Figuren geistreich
entworfen von 0. Ribbeck, Gesch. der röra.
Dichtung I, 63 ff., und in den ethologischen
Studien über Kolax, Alazon, Agroikos. In
der Theatergarderobe, wie sie uns der Lexi-
kograph Pollux IV, 133 ff. beschreibt, hatten
dieselben einen stehenden Platz, so dass in
den Scenenüberschriften plautinischer Stücke
teils neben, teils statt der Eigennamen der
('harakter der auftretenden Personen {senex,
])arasitus, servus) verzeichnet ist.
^) Erdichtet wohl ist die Angabe des De-
metrios Chalkondylas bei Meineke, Menandri
rell. p. XXIX, dass die byzantinischen Kaiser
den Geistlichen die Verbrennung der Gedichte
des Menander und Philemon gestatteten.
^) Meineke, Menandri et Philemonis
rell., Berol. 1823, wo p. XXIII sqq. an der
Hand des Suidas die Lebensverhältnisse dar-
gestellt sind. Apollodor bei Gellius XVII, 4
und CIG. 6084 geben dem Menander 52 Le-
bensjahre, indem sie Geburts- und Todesjahr
einrechneten.
^) Verwechselt wurde derselbe früher
mit dem aus Demosthenes bekannten Feld-
herrn Diopeithes aus Sunion.
^) Suidas sagt von ihm mit witziger Anti-
these ßTQCißog rag oxpeig, o^vg de tov vovv.
Seine Statue von Kephisodotos und Timar-
chos auf der beigegebenen Tafel.
^) Alciphron ep. II, 3, wo von seiner
Berufung durch Ptolemaios Soter ausgegan-
gen wird. Im folgenden Brief II, 4. 5 wird
erzählt, wie Glykera voll Spannung in den
Kulissen auf den Erfolg ihres geliebten Me-
nander gewartet und dann ihm wie neu-
270
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
eingeführt und im Umgang mit Theophrast und seinem Altersgenossen
Epikur ^) philosophisch gebildet, errang er schon im Ephebenalter (321 v. Chr.)
einen dramatischen Sieg. Im übrigen ward ihm bei der Nachwelt grössere
Anerkennung als von seinen Zeitgenossen zu teil; 2) denn nur 8mal siegte
er, indem sein Rivale Philemon mit allerlei Mitteln besser die Gunst des
Publikums auf sich zu ziehen verstand;^) auch warf man ihm ein gröb-
liches Plagiat vor, da er nach Caecilius bei Euseb. praep. ev. X, 3. 13
seinen Jeiaidaii^icov von Anfang bis zu Ende dem Olcoviarrjg des Antiphanes
entnommen haben soll. Aber nach seinem Tode wurde er der Lieblings-
schriftsteller der gebildeten Welt, so dass unendlich oft bis in die christ-
liche Ära hinein von griechischen und römischen Autoren auf seine Verse
angespielt wurde. Hinterlassen hat er nach Apollodor 105, nach andern
108 Komödien.^) Die Briefe an den König Ptolemaios und die andern von
Suidas erwähnten Schriften in Prosa werden wohl spätere Fälschungen ge-
wesen sein.^) Im Lateinischen nachgebildet wurden Evvovxog, 'Adslifoi^
'EavTov Tii^ia)Qoi>i.i€vog, JIsQiv^ia und 'Avöqia von Terenz, dem dimidiatus
Menander, vielleicht auch der Jlg i'^anavdyv (Bacchides), KaQx^j66viog
(Poenulus)^) und die (DilccdsXifoi (Stichus) von Plautus;^) ausserdem hören
wir, dass von lateinischen Dichtern Caecilius Statins die Stücke NavxXrjQog,
^YnoßoXijxcciog, nl6xio\\ XalxsTa, Luscius Lavinius das (I^dafia, Turpilius
den JtjiiuovQyog, Atilius den Miaoyvvrjg unseres Menander übertragen haben.
In der Originalsprache sind zahlreiche Fragmente auf uns gekommen, die
noch in unserer Zeit durch ein von Tischendorf gefundenes, losgerissenes
Blatt einer Handschrift des 4. Jahrhunderts vermehrt wurden.^) Ausser-
belebt um den Hals gefallen sei. Ich setze
die schöne Stelle gleich griechisch her: tI
yuQ ' ASrjvca /oiQig Mevc'iviSQOv ; iL Je Ms-
vtiv^Qog /loglg rXvyJqag ; rjXi? avTco xal rd
TTQoaajTTsTci diaaxevciCd) ycd jag ea&rjzag ii^dvio
xdy toig nciQaaxtjvioig earrjxa rovg &axTvXovg
suavr^g nieCovaa xcd TQ8^ovaa, ecxig clv xqo-
ia'/.iarj To d^eicxQov ' rors vt] rrjv ^'jQTSfxiv
uvaxpv^o) xcd nsQißdX'kovGd ge rrju Isqdv
ix6Ly7]y x£(puXi]i^ Evuyxci)dt,ofj.ai.
^) Strab. p. 638: 'EnixovQio ovvicprjßov
MevcivJQou. Ganz als Epikureer schildert
den Menander Phaedrus V, 1. 12: unguento
delibutus, vestitu adfluens veniebat gressu
delicato et lanquido.
2) Quint. X, 1. 69; Dio Chrys. or. XVIII.
7; Plut. comp. Men. et Aristoph. p. 853;
Anth. VII, 370. IX, 187; Append. 185.286.377.
Genannt wird er 6 xaXög bei Ath. 248 du. 364 d,
6 /Qvffovg bei Themistios or. XX p. 236.
^) Gellius XVII, 48: Philemonein cum
forte liahuisset obviam, quaeso, inquit, Phi-
Jemo, bona venia die mihi, cum me vincis,
non erubescis?
^) Gellius XVII, 4 und Suidas. Diö
Anga]3e des Leo Allatius bei Fabricius Bibl.
gr. X, 69, dass im 16. Jahrh. noch 23 von
Psellos kommentierte Stücke des Menander
in Konstantinopel existierten, geht auf die
von R. Förster, De antiqiiitatibus et libris
manuscr. Constantino2)olitanis, Rostock 1877,
publizierten Kataloge aus d. J. 1565/75 p.
20 u. 29 zurück.
^) In Alexandria wird auf ihn haupt-
sächlich der Grammatiker Aristophanes auf-
merksam gemacht haben, der nach dem PJpi-
gramm CIG. 6083 ihn zunächst nach Homer
stellte.
®) Die Fragmente des KaQ/t]d6yiog stim-
men indes nicht zum Poenulus. Wahrschein-
lich hingegen ist auch die Cistellaria des
Plautus dem Menander nachgebildet.
^) Die Mostellaria des Plautus führt
Meineke, Hist. com. I, 487 auf ein Stückj
des Theognetos ^aafia rj 4>iXdQyvQog zurück,}
während Luscius das 'Pdafxa Menanders be-
arbeitet habe. Übrigens schrieb auch Phi^
lemon ein 'Pda^a, und dieses wird wohl das
Vorbild des Plautus gewesen sein.
^) Die neuen Fragmente publiziert von
CoBET in Mnem. IV, 285; Kock, Com. att. fr.
t. III p. 151 ff.; vgl. WiLAMOWiTZ im Herrn.
XI, 498 ff. An den alten hat glänzenden Scharf-
sinn geübt Bentley, Emendationes in Me-
nandrum et Philemonem (1710), neu abge-
druckt in Meineke's ilfen. et Phil. rell.
p. 435 ff.
C. Drama. 3. Die Komödie, d. Mittlere und neue Komödie. (§ 204-205.) 271
dem hat man in späterer Zeit aus seinen Komödien ähnlich wie aus den
Mimen des Publilius Syrus eine Blütenlese von Sentenzen ausgezogen, die,
mit fremden Zusätzen stark vermischt, als MsvarSgov yvwixai ^loröatixoi
(850 Verse) auf uns gekommen sind.^ Sonderbarer Weise fehlen aber in
dieser Sammlung gerade die schönsten, durch sonstige Citate sicher als
menandrisches Gut bezeugten Sprüche, wie xoivd rd zmi (fiXo)v (fr. 9),
rd xaxcog TQtcpovra XmqC dvÖQSiovq 7X0i6i (fr. 63), to rrj^g tvx^^ Y^Q QSVficc
ftsTam'TTTsi zaxv (fr. 94), 6v ot ^sol (fiXovaiv dnod^vrjaxH vt'og (fr. 125),
(p^siQovaiv rjd^r] XQ^]^^ o^iliai xaxai (fr. 218), so dass der neueste Heraus-
geber der Fragmente der attischen Komiker die Monosticha gar nicht in
seine Sammlung aufgenommen hat.
204, Philemon, Sohn des Dämon (361 — 263), 2) ward des zweiten
Platzes unter den Dichtern der neuen Komödie gewürdigt.^) Als seine
Heimat bezeichnen Suidas und der Anonymus de com. Syrakus in Sikilien,^)
während ihn Strabon p. 671 den berühmten Männern von Soli beizählt.
Seinen Ruhm erntete er in Athen, wo er sogar den Menander in der Gunst
des Theaterpublikums ausstach. Doch muss er auch auf Neider und Gegner
gestossen sein, da er bei Stobaios Flor. 40, 8 vom Leben in der Verban-
nung spricht. Nach Alciphron ep. II, 3. 17 lebte er eine Zeitlang an dem
Hofe des Königs Ptolemaios in Ägypten. Bei der ägyptischen Reise soll
ihm das Unglück begegnet sein, durch einen Sturm nach Kyrene ver-
schlagen zu werden und in die Gewalt des Tyrannen Magas, den er
früher durch Spöttereien gereizt hatte, zu kommen.-') Den Tod fand er
in hohem Alter mitten im fröhlichen Schaffen.^) Hinterlassen hat er
97 Komödien, von denen viele schon dem Namen nach sich mit Stücken
des Menander berühren. Zwei, den 'EfxrcoQog und OrjaavQog, kennen
wir aus den lateinischen Bearbeitungen des Plautus, Mercator und Tri-
nummus.
205. Diphilos aus Sinope, ein lebens- und wanderlustiger ') Dichter,
der sich nicht scheute, die eigenen Liebeshändel mit der witzigen Gnathaina
auf die Bühne zu bringen, dichtete nach dem Anon. de com. 100 Komödien.
In den Stücken, welche nach ihm Plautus bearbeitete, in Casina {KXijqov-
fiivoi), Rudens und Vidularia (^xfJ'/«),^) zeigt er sich als Meister des In-
^) Die Verse wurden erst allmählich
vollständiger bekannt. Neue Beiträge gibt
W. Meyer, Die urbinatische Sammlung von
Spruchversen des Menander, Euripides u. a.
in Abb. d. b. Ak. XV, 397 fF. Vgl. Horkel,
Die Lebensweisheit des Komikers Menan-
der (1857), in dessen Reden u. Abhandl.
■^.23 fF.
'^) Diodor 23, 7 nach Apollodor.
^) Quint. X, 1. 72: Philemon consensu
omnium meruit credi secundus. Eine Ver-
gleichung desselben mit Menander gibt Apu-
leius Flor. 16; darauf stützten Rigault und
Meineke die durch das Zeugnis des Chorikios,
Apologia mimorum 18, 2 unterstützte Ver-
mutung, dass in den r^io^uat, Meydy&Qov xal
'PiXiaiiioyog (neuestens herausgegeben von
Stüdemund, Index Bresl. 1887) der Name
4>iXiaTi(üyog an die Stelle des ursprünglichen
^iXrjfxovog getreten sei; vgl. Kock, Com. gr.
fragm. t. III praef. IV sq.
'^) Ein Stück von ihm hiess lixeXLxög.
^) Plut. de ira p. 458a und 449 e.
^) Verschiedene Variationen über seinen
Tod bei Ps. Lucian Macrob. 25; Val. Max.
IX, 12; Aelian bei Suidas u. Philemon; Plut.
an seni p. 785 b; Apul. Flor. 16.
') Gedichtet und gespielt (Ath. 583 f.)
hat er zumeist in Athen, gestorben ist er in
Smyrna.
^) Die dem Rudens und der Vidularia
zu gründe liegenden Stücke des Diphilos
waren Parallelkomödien, worüber Stüdemund,
Über 2 Parallelkomödien des Diphilos, Vhdl.
d. 36. Vers. d. Phil. S. 33-42.
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
trigiienspiels. Von seiner Kunst in geistreicher Verwicklung der Hand-
lung zeugt auch die Asinaria des Plautus, wenn anders dieses eng an das
griechische Original sich anschliessende Stück des witzigen Sarsinaten nach
unserem Diphilos, und nicht nach Demophilos, einem obskuren Dichter
der mittleren Komödie, gedichtet ist. ^) In anderen Dramen, wie in der
Sappho, in der er mit kühnen Anachronismen den Archilochos und Hip-
ponax als Geliebte der Dichterin einführte, schloss er sich mehr dem
Geist der mittleren Komödie an. Die derbe Prügelscene mit dem Kuppler
Sannio in Terenz Brüder II, 1 ist aus den 2vva7rod^vrjaxovTsg des Diphilos
entnommen.
Andere Dichter der neuen Komödie waren Apollo doros aus Ka-
rystos, 2) dem Terenz im Phormio (EniSi>tat,6p.8voQ) und der Schwieger-
mutter (ExvQo) folgte; Philippides, der bei dem König Lysimachos in
hohen Ehren stund und noch mit altattischem Freimut die Schmeichler
des Demetrios Poliorketes und die Geldmänner unter den Metöken anzu-
greifen wagte ;^') Poseidippos aus Kassandreia in Makedonien, der nach
Menanders Tod die attische Bühne beherrschte und dessen Stücke auch
die Lateiner nahahmten;*) Epinikos, welcher in seinem Mnesiptolemos
die Geziertheit des gleichnamigen Geschichtsschreibers, der bei König An-
tiochus d. Gr. in grosser Gunst stund, mit feinem Witz verspottete; So-
sipater und Euphron, aus deren Komödien Athenaios p. 377 u. 379
ganze Lehrsätze der Kochkunst ausgezogen hat, die lebhaft an die Weis-
heit des Catius in Horaz Episteln II, 4 erinnern; ferner Anaxippos,
Archedikos, Baton, Eudoxos, Damoxenos, Hegesippos, Hippar-
chos, Lynkeus, Sosikrates, Theognetos.
Die grosse Zahl der Dichter der neuen Komödie und ihre Fruchtbar-
keit gegenüber den alten Komikern hängt damit zusammen, dass, wie
man aus den Inschriften über die Feier der Soterien (Inscript. de Delphes
n. 3 — 6) sieht, nicht mehr 1 Komödie 3 Tragödien gegenüberstund, son-
dern im Durchschnitt die gleiche Zahl von Komödien und Tragödien
zur Aufführung kam. Im allgemeinen blieb die neue Komödie, wenn
auch einzelne Vertreter derselben, wie Machon, ihre Stücke auswärts
und namentlich in Alexandria zur Aufführung brachten, eine echte
Pflanze des attischen Bodens; dieselbe hat zumeist den Ruf attischen
Geistes und attischer Feinheit begründet und zusammen mit der Philo-
sophie Athen bis in die römische Zeit hinein zur Heimstätte höherer Bil-^
düng gemacht.
^) Im Frologus des Stückes heisst es
nämlich hiiic est nomen graece Onago fa-
hulae, Demophilus scvipsit, Maccius vortit
harhare. Dieses Demopliihis scripsit korri-
gierte aber Ritschi, Par. Plaut. 272 in eam
Dijjhilus scripsit.
^) Davon verschieden ein älterer Apol-
lodoros aus Gela, Zeitgenosse des Menander
(Suidas).
3) Piut. Dem. 12 u. 2G. Die Athener
ehrten ihn durch einen im Dioiiysostheater
jetzt wieder aufgefundenen Volksbeschluss,
worüber Zink in Eos I, 24 ff.
*) Gell. IT, 53: comoedias ledit^tmu.^
nostrorum poetarum sumptas ac versas del
Graecis, Menandro aut Posidippo aut ApolA
lodoro aut Alexidc. Die Menächmen oder
die Komödie der Irrungen des Plautus führt
auf AWOnoioi des Poseidippos zurück Lade-
wig, Phil. I, 275 ff.; vergl. Ribbeck, Rom.
Dicht. I, 125. Die sitzende Statue des Po-
seidippos neben der des Menander ward aus
den Thermen des Diokletian (jetzt im Vati-
kan) hervorgezogen; s. Tafel.
1. Anfänge der Prosa. (§ 206-207.) 273
II. Prosa.
1. Anfänge der Prosa.
206. Es entspricht dem naturgemässen Gang der griechischen Litteratur,
dass die Prosa, für welche der Ausdruck löyoq sich im alten Homer noch
gar nicht findet, i) erst nach der Poesie hervorgetreten ist. Denn das Denk-
vermögen, an das sich vornehmlich die Prosa in ihren verschiedenen Formen
wendet, kommt später bei dem Menschen zur Entwicklung als die in der
Sinnenwelt wurzelnde Einbildungskraft, und während Lieder sich leicht
von Mund zu Mund fortpflanzen, haben Sätze der prosaischen Rede ohne
schriftliche Aufzeichnung keinen Bestand. Ihren Anfang hat die Prosa in
demselben Land genommen, in welchem auch die älteste Gattung der Poesie,
das Epos, seine Blüte gefunden hatte. Ihre frühesten namhaften Denkmale
waren daher auch in ionischem Dialekt abgefasst.^) Aber in der univer-
selleren Natur der Prosa lag es, dass sie, die nicht für lokale Feste und
enge Kreise bestimmt war, ein allgemeineres Verständigungsmittel anstrebte.
Daher kamen in der Prosa nicht in gleicher Weise wie in der Poesie die
einzelnen Dialekte nach- oder nebeneinander zur Geltung; vielmehr ge-
brauchten gleich anfangs auch Nichtionier, wenn sie in Prosa schreiben
wollten, den ionischen Dialekt, und kam bald nachher der verwandte atti-
sche Dialekt, dessen Klangfarbe sich zum präzisen und energischen Aus-
druck der Gedanken am meisten eignete 2) und der zugleich die Sprache
der tonangebenden Vormacht Griechenlands war, zur allgemeinen, fast aus-
schliesslichen Herrschaft. In den Inschriften zwar bedienten sich die ein-
zelnen Staaten bis über die Zeit Alexanders hinaus ihrer lokalen Dialekte,
aber in der Litteratur spielte die Aeolis gar keine Rolle und war die Doris
auf die paar Werke pythagoreischer Philosophen und des Mathematikers
Archimedes beschränkt.'^)
207. Zur Anwendung kam die Prosa zuerst bei den Aufzeichnungen
in Stein oder Erz. Bei diesen Aufzeichnungen, bei denen es vor allem auf
exakte Bestimmtheit ankam, wäre der poetische Redeschmuck und der
rhythmische Satzschluss dem nächsten Zweck nur hinderlich gewesen. Hier
waren ausserdem der Natur der Sache nach ganz besonders häufig Eigen-
') Für Rede gebraucht Homer die Aus-
drücke fxvdog und eni], das Wort Xoyog steht
nur in einer interpolierten Stelle der Ilias
'> 393 und in der jungen Telemachie a 5(5,
au welch letzterer Stelle obendrein Nauck
eneaat statt 7.6yoioi vermutet; häufiger findet
sich das Wort schon bei Hesiod.
'^) Über den Einfluss des homerischen
Epos auf den ersten Prosastil s. Ed. Zarncke,
Die Entstehung der griechischen Literatur-
sprachen, Leipz. 1890, S. 12 ff.
^) Voraus hatte der attische Dialekt vor
dem ionischen den Dual und die bestimmtere
Scheidung der Relativ- und Demonstrativ-
pronomina. In der bündigen Kürze des Aus-
statten. Dass die Breitmauligkeit des dori-
schen ci sich weniger als das dünne tj für
die Schärfe der Dialektik und Schneidigkeit
der Rede empfahl, bedarf keiner weiteren
Ausführung. Vgl. Isokrates 15, 296, wo er
von den Vorzügen der Athener spricht: nQog
cTe rovToig xcd ii^v rrjg cfwvyjg xoiv6ti]tu xw
fxcTQi6Ti]Ta xcd TTJy uXhjy evTQcmsXiuy xcd
cfiloXoylciv ov ^ixQÖv rjyovvzai av^ßccXea(^ca
jueQog TJQog ttju rioy "koyiov Tica^eiccv.
^) Dass im Volke die Dialekte noch
bis in die Kaiserzeit hinein gesprochen
wurden, bezeugt Strabon p. 383; ja, dass
sich dieselben bis ins Mittelalter vererbten,
machen die Dialektreste im heutigen Grie-
drucks kam dem attischen Dialekt auch die i chcnland, namentlich im Zakonischen, wahr-
strengere Durchführung der Kontraktion zu | scheinlich.
Haiidbiu-h dor klass. AUf rt\iniswissonscliaft. VII. 2. Ana. 18
274
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
namen und Zahlwörter anzubringen, die sich nicht so leicht ohne willkür-
liche Umgestaltungen der metrischen Form anpassen Hessen. ^ In den in-
schriftlichen Aufzeichnungen also war, von den Weihinschriften abgesehen,
von vornherein die Verslosigkeit die Regel. In diesen hat man daher auch
die Anfänge der Prosa zu suchen, und die Inscriptiones graecae antiquissimae
von Röhl enthalten zugleich die ältesten Denkmale griechischer Prosa.
Aber die kleinen, weder durch einen höheren Plan, noch eine sorgsamere
Form hervorragenden Inschriften kommen für die Litteraturgeschichte
wenig in Betracht. Am ehesten erheischen hier die Aufzeichnungen
von historischen Listen und von Gesetzesvorschriften eine spezielle Be-
sprechung.
208. Listen {drayQa(pcct) wurden am frühesten von den Siegern an
den grossen Nationalspielen abgefasst. Am berühmtesten waren die der
Sieger in Olympia, über die wir die Hauptkunde der 'OXvinTTiddcov dva-
yqaifii] des Julius Africanus und dem Gymnastikos des Philostratos ver-
danken. Dieselben begannen mit der 1. Olympiade oder 777/6 und enthielten
zu den 13 ersten Olympiaden nur die Sieger im Lauf, von da an auch
die in den übrigen, nach und nach eingeführten Arten von Wettkämpfen.-)
Daneben existierten Aufzeichnungen von den Königsgeschlechtern einzelner
Staaten und den Successionen der Priester und Priesterinnen berühmter
Heiligtümer. Dieselben gingen bis in die mythischen Zeiten zurück, be-
ruhten aber in ihrem älteren Teil meistens auf Ergänzungen, welche Schrift-
gelehrte des 6. oder 5. Jahrhunderts auf Grund müssiger Kombinationen
veranstalteten. Am ältesten waren die Listen der Priester innen der
Hera in Argos, nach denen man, wie uns Thukydides II, 2 mitteilt, in
Argos, ebenso wie in Athen nach Archonten, rechnete.^) Im CIG. 2655
ist uns ein ähnliches Verzeichnis von Priestern des isthmischen Poseidon
von Halikarnass inschriftlich erhalten. Reichhaltiger war die lakonische
Chronik (yiaxon'ixal drayQacfai), die bis in die Zeit des Agesilaos fort-
geführt war*) und ausser den Namen der Könige gewiss auch die der
Sieger an dem nationalen Fest der Karneen enthielt. Wichtiger noch war
die sikyonische Tafel (tj ^ixvcoii dvaxsijitvrj dvayQaiprj). Dieselbe ent-
hielt nach Plut. de mus. 3 die Priesterinnen von Argos, die alten Dichter
^) Im Gegensatz zu den gewöhnlichen,
sozusagen prosaischen Eigennamen sind die-
jenigen der Götter, wie 'Jg^Qodiii], IJoasi-
(^diop, UnoXXojy, ^'OXv/nnog dem daktylischen
Rhythmus angepasst; vgl. § 14. Auch in
den Bildungen der Zahlwörter iQuiat] und
ißdofnurt] statt rgtri] und ißdofXT], Eivctersg
statt EvvedsTsg, rEGaccQfixovra neben nevit]-
xopra wird man den Einfluss des dakty-
lischen Versmasses erkennen. Aber was
sich ein göttlicher Sänger, wie Homer, er-
lauben durfte, stund nicht einem beliebigen
Steinhauer zu, und was bei fingierten Namen
poetische Weihe gab, das hätte bei bürger-
lichen Namen Verwirrung gebracht.
2) Nach der ausdrücklichen Angabe des
Polybios VI, 2 und Euseb. I, 194 Seh. be-
gannen erst mit der 1. Olympiade die Auf-
zeichnungen; es ist daher poetische Aus-
schmückung, wenn Pindar Ol, X schon bei
Gründung der Spiele durch Herakles Namen
von Siegern im Ringkampf, Faustkampf und
Viergespann aufführt. Auffälliger ist es,
dass zu Ol. 18 ein Zweifel über den Sieger
im Ringkampf gelassen war, woraus man
auf nachträgliche Aufzeichnung schliessen
könnte.
^) Nach Dionys, Arch. I, 22 ging die
Aufzeichnung bis auf die Zeit vor den Troika
hinauf, d. h. so weit wurde sie von Hella-
nikos vermittels fingierter Namen hinauf-
geiechnet.
^) Plut. Ages. 19. Joseph, c. Ap. I, 4
leugnet geradezu das Vorhandensein grie-
chischer Städtechroniken.
1. Anfänge der Prosa. (§ 208-209.) 275
o
und Musiker, die Könige von fast 1000 Jahren, ^) ward aber wahrscheinlich
erst um 590 unter dem Einfluss des Tyrannen Klisthenes angelegt.'^)
209. Nebst Verzeichnissen waren es Verträge und Gesetze, welche
frühzeitig auf festes Material geschrieben wurden. Die Etymologie des
Wortes QtjTQa, d. i. Spruch, zeigt zwar, dass auch die Gesetze, namentlich
die QTjTQai der Lakedämonier, anfangs mündlich fortgepflanzt wurden; aber
das Wort nahm bald die allgemeine Bedeutung von Gesetz oder Vertrag
an, und so heisst pQäxqa auch der schriftlich abgefasste Bundesvertrag
der Eleer und Euväer (CIG. 11), den Böckh in die 50. Olympiade, neuere
Gelehrte erheblich später setzen.^) Bis in den Anfang der Olympiaden
hinauf reicht der zwischen Lykurg und Iphitos vereinbarte Gottesfrieden
(ixsxsiQicc), den Pausanias V, 20. 1 auf einem Diskus in Olympia eingegraben
fand. Sodann hat bereits in der 23. Olympiade Ono mastos aus Smyrna
nach Philostratos Gymn. p. 267, 27 K. Regeln über den Faustkampf {v6f.iovg
TTvxTixovg) niedergeschrieben. Die ältesten staatordnenden Gesetze, von
denen wir Kenntnis haben, waren die des lokrischen Gesetzgebers Zaleukos
(662). Von denselben ist aber nichts auf uns gekommen, da das bei Sto-
baios Flor. 44, 20 erhaltene Vorwort eine plumpe Fälschung ist, die sogar
zu Zweifeln an der Existenz des Zaleukos selbst geführt hat.'^) Bestimm-
teres wissen wir von der athenischen Gesetzgebung des Drakon (621)
und Solon (594). Die letztere war in furchenförmiger Schrift auf vier-
eckige Holztafeln (a^oveg oder xvQßeig) geschrieben und auf der Burg zur
allgemeinen Einsichtsnahme aufgestellt. Doch auch von dieser sind nur
wenige Bruchstücke, darunter inschriftlich ein Absatz eines drakonischen
Gesetzes (CIA. I, 61), auf uns gekommen.^) Dagegen sind uns vollständig
mehrere Volksbeschlüsse ß) und die Gesetzestafeln von Heraklea (CIG.
5774 — 5) erhalten. Allerneuestens wurde durch Halbherr und Fabricius
auch ein grosser Abschnitt des Rechtes von Gortyn ans Tageslicht ge-
zogen."^) Dasselbe war auf 12 Tafeln eines runden Gerichtssaales (Tholos)
geschrieben und bildet eine äusserst interessante Novelle des Personen-
und Erbrechtes der kretischen Stadt Gortyn in dorischer Sprache. Die
Rechtsbestimmungen desselben zeugen von einem weit höheren Stand der
Kultur als das römische Zwölftafelgesetz, indem sie den Übergang aus dem
ius talionis des barbarischen Faustrechtes zur Humanität der Sühnesatzungen
repräsentieren.^) Auch der Satzbau ist wider Erwarten korrekt und ent-
wickelt, so dass wir es mit einem litterarischen Denkmal nicht aus den
^) Die Liste der 26 Könige in teilweise | ^) R, Scholl, Über attische Gesetzge-
abweichender Fassung erhalten durch Pau-
sanias II, 5. 5 — 6 u. 7 und Eusebios p. 11
56 Seh.
2) Frick, Jahrb. f. Phil. 1873, S. 707 ff.; [ 448 ff.
bung, Stzb. d. b. Ak. 1886 S. 87-139.
^) Vgl. HiNRiCHS, Griech. Epigraphik im
Handb. d. klass. Altertumswissenschaft II,
LiJBBERT, De Pindaro Clisthenis censore,
Bonn 1884.
") Kirchhoff, Stud. z. Gesch. d. griech.
Alph.^ p. 150 geht auf Ol. 70 herab.
^) Ausgabe von Bücheler u. Zitelmann,
Das Recht von Gortyn, Frankf. 1885, mit
sachlichem Kommentar; von den Gebrüdern
Baunack, Leipz. 1885, mit sprachlichen Er-
*) Von demselben spricht bereits Diodor ; läuterungen.
12, 20; vgl. Strab. p. 260. Die Existenz 1 ^) Ein Sühngeld {noiv}]) für einen Tot-
des Zaleukos leugnete Timäus nach Cic. de ' schlag kommt schon bei Homer - 488 vor.
leg. II, 6. 15. 1
18*
276 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Anfängen des Prosastils, sondern aus den nächsten Jahrzehnten nach den
Perserkriegen zu thun haben.
210. Eine prosaische Litteratur im eigentlichen Sinne datiert erst
aus der Zeit, in der man förmliche Bücher in Prosa schrieb. Ihr Auf-
blühen hängt mit der Beschaffung eines leichteren Schreibmaterials zu-
sammen; das ergab sich, nachdem König Psammetich (663 — 610) Ägypten
dem Handel der lonier geöffnet hatte und infolge dessen auch die Ausfuhr
der Papyrusstauden (ßvßXot) oder ihrer bastartigen Häute (dältoi) gestattete.
Dieselben verdrängten rasch das teure und schwer zu bereitende Material
von gegerbten Ziegen- und Schafhäuten, auf das die Griechen vor Ein-
führung der Papyrusrollen zu schreiben pflegten, i) Die ersten Schriftsteller
in Prosa blühten in der Mitte des 6. Jahrhunderts; 2) als solche werden
Kadmos von Milet und Pherekydes von Syros genannt.^) Beide stammten
aus lonien und schrieben daher auch in dem gleichen Dialekt wie die
epischen Dichter, nur nicht in der alten, sondern in der jüngeren las.
Pherekydes wird den Philosophen beigezählt; sein Ruhm, der erste Pro-
saiker gewesen zu sein, gründete sich auf seine kosmogonische Schrift
über die Natur und Götter,^) von welcher aber schon Diogenes nur durch
Theopomp Kenntnis hatte. Aber dieselbe ist nicht bloss früh verschollen,
sie hat auch keine Nachfolge gefunden ; hingegen schliesst sich an Kadmos ,
eine ganze Reihe ähnlicher historischer Schriften an, so dass man mit \
Recht in den Anfang der griechischen Prosa die Geschichtsschreibung setzt.
2. Die Geschichtsschreibung/)
a. Die Logog'raphen.^^)
211. Die ältesten Geschichtsschreiber hat man sich seit Creuzer ge-
wöhnt mit dem Namen Logographen [XoyoyQÜqm) zu bezeichnen. Die Be-
zeichnung ist nicht ganz zutreffend, da der Name speziell mit der Ge-
schichtsschreibung nichts zu thun hat und mehr den Rednern, welche, wie
Lysias für Andere Reden schrieben, zukam.') Aber wir bleiben, um Ver-
^) Herod. V, 58, wonach auch die ältesten
Bücher dirp^sQai hiessen.
^) Diog. I, 121 setzt den Pherekydes
Ol. 59, Eusebios OL 60, Suidas Ol. 45. Man
ging davon aus, dass Pherekydes etwas vor
Pythagoras lebte.
^) Strab. p. 18: TjQioxiazci i] 7ioor]Tixi]
TiccQccaxsvrj nciQfj'k^Ev eig t6 jusaoy xcd evdo-
xifirjasv ' eilet ixsiv^ju fiifiov/UEyot kvaapzeg
To fxizQov, xciX'ka dh (pvla^avxe<; rd noLrjnxd
avv^yQtixpav ol nsQt Kddfiov xcd 4'€Q6xvdr]
xul Exurcdov. Vgl. Suidas u. 4>eQ8Xv^r]g.
^) Dieselbe heisst bei Suidas STirdfAv/og
(neyrefxv/og corr. Preller nach Eudemos p.
170 Sp.) und ward, wie man ebenfalls aus
Suidas sieht, frühzeitig mit der ®eoXoyla des
Pherekydes von Leros verwechselt. Vergl.
0. Kern, De Orphei Epimenidis Pherecydis
theogoniis, Berl. 1888 p. 83 ff.
^) G. J. Vossius, De historicis graecis lihri
(1623), aiictiores et emendatiores ed. Wester-
mann, Lips. 1838; Creuzer, Die historische
Kunst der Griechen (1803), 2. Aufl., Leipzig
1845; Ulrici, Charakteristik der griech. Hi-
storiographie, Berl. 1833, mit philosophischem
Geiste erfasst; C. Müller, Fragmenta lii-
storicorum graecorum, Paris 1841 — 70, 5 vol.;
Schäfer, Abriss d. Quellenkunde der griech.
und röm. Gesch. (1867), 3. Aufl., Leipz. 1882;
Herm. Haupt, Jahresberichte in der Revue
historique. In den Kanon wurden aufge-
nommen: Herodot, Thukydides, Xenophon,
Philistos, Theopomp, Ephoros, Anaximenes,
Kallisthenes, und dann nachträglich noch
Hellanikos, Polybios.
^) I. Lipsius, Quaest. logographicae,
Ind. Lips. 1886.
') G. Curtius, Über zwei Kunstaus-
drücke der alten Litteraturgeschichte, in Kl.
Sehr. \l, 239 ff.
2. Die Geschichtsschreibung, a. Die Logographen. (§210-212.) 277
wirrung zu vermeiden, bei dem herkömmlichen Namen, zumal denselben
schon Thukydides I, 21 auch von den Vorläufern der Historiographie ge-
braucht hat und löyoi schon bei Herodot der geläufige Name für Geschichts-
werk war.
Die Geschichtsschreibung der Logographen ging von den loniern
Vorderasiens und der Inseln aus. Dort war durch das Epos die Kunst
des Erzählens genährt und der Sinn für Beobachtung der Aussenwelt ge-
weckt worden; dort strömten auch am reichhaltigsten die Nachrichten über
die fernen Gegenden des Westens und die weiten Reiche des Ostens zu-
sammen. Das war in der Natur des Landes begründet, dessen gute Häfen
zur Schiffahrt einluden und in das die grossen Strassen des Perserreiches
ausliefen. Die Logographen knüpften, wie das schon Strabon p. 18 her-
vorhob, in ihrer ganzen Darstellungsweise an Homer und das Epos an;
sie waren gewissermassen nur Nachahmer Homers, Darin wurzelte die
Anschauung der Alten von der Inferiorität der Geschichte, die Aristoteles,
Poet. 9 mit den vielbesprochenen Worten ausspricht: (filo(So(f(ßT€Qov xal
(snovdmoxeQov noiriaiq latoQiaq saziv.^) Indem also die Logographen an
die epische Poesie anknüpften, gebrauchten sie nicht bloss den ionischen
Dialekt und zahlreiche Wendungen der epischen Sprache, sondern be-
trachteten auch hauptsächlich die äusseren Erscheinungen, ohne tiefer den
Zusammenhang der Dinge und Ereignisse zu ergründen. Vorzüglich be-
schäftigten sie sich mit den Gründungen der Städte, den Genealogien der
herrschenden Geschlechter, den Gebräuchen und Einrichtungen der einzelnen
Völker, den geographischen Merkwürdigkeiten der fremden Länder.'^) Ihre
Bücher wurden früh durch die kunstvolleren und kritischeren Werke der
attischen und alexandrinischen Schriftsteller in den Hintergrund gedrängt,
so dass nichts von denselben auf uns gekommen ist. Ich begnüge mich
daher mit einer kurzen Aufzählung, indem ich nach Dionysios de Thuc. 5
zwei Klassen, die älteren und die jüngeren Logographen, unterscheide.
212. K ad mos aus Milet war, wenn anders den Nachrichten über ihn
zu trauen ist, der älteste der Logographen. Suidas erwähnt von ihm eine
KTiaig MiXrjtov xal xvg oXr-g^Imviaq in 4 B., erhalten hat sich von ihm nichts.^)
Hekataios, Sohn des Hegesander von Milet, der bedeutendste der
Logographen, lebte in der Zeit der Perser kriege und nahm eine hervor-
ragende Stellung in seiner Vaterstadt ein. Vor dem Ausbruch der Feind-
seligkeiten mahnte er in der Bundesversammlung der lonier vom Krieg
mit dem mächtigen Perserreich ab;*) später (494) ging er als Abgeord-
neter der lonier zum persischen Statthalter Artaphernes und erwirkte, dass
dieser den ionischen Städten ihre Verfassung zurückgab. Von ihm existierten
2 Werke: rsveaXoyfai in mindestens 4 B. und ThQiodog //yc in 2 B. Von
') Ulrici, Charakteristik 294 f.
'^) Eine gute Charakteristik der Logo-
,ii,raphen oder der naXcciol avyygacpsig gibt
Dionysios, de Thuc. 5. 6. 23.
■') Nach Clem. Alex, ström. VI, p. 752
machte der Prokonnesier Bion davon einen
Auszug. Dionys. deThucyd. 23 bezweifelt die
Echtheit des unter Kadmos Namen umlaufen-
den Werkes, Neuere gehen noch weiter und
glauben, dass die Vorstellung, der Phöni-
kier Kadmos sei der Erfinder der Buch-
staben gewesen, Anlass gegeben habe, einem
Kadmos das älteste Prosawerk zuzuschreiben ;
dagegen besonnene Einwürfe von Kühl,
•laiirb. f. Phil. 137 (1888) S. 110 ff.
■*) llerod. V, 3«; vgl. VI, 2 u. 5.
278 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
dem letzteren Werke, in dem der Verfasser die reife Frucht seiner aus-
gedehnten Reisen niederlegte und insbesondere vom Westen Europas ge-
naue Nachricht gab, sind uns ziemlich zahlreiche Fragmente (bei Müller
FHG. I, 1 — 31; IV, 623 u. 627) erhalten. Von einzelnen Abschnitten des-
selben, wie von denen über Asien und Ägypten, wurde die Echtheit aus
nichtigen Gründen bestritten. ^ Der Beschreibung in Worten war eine
Karte (Triva'^) beigegeben, wie schon vor ihm der Philosoph Anaximander
eine solche entworfen hatte. ''^)
Zu den älteren Logographen gehörten ausserdem Akusilaos von
Argos, Verfasser von r&vsaXoy(ai^ deren Echtheit angefochten wurde, •^)
Charon von Lampsakos, dem von den vielen Werken, die ihm Suidas
beilegt, mit Sicherheit nur die üsQaiKä in 2 B. und die ^qoi yiafjupaxr^vMv
in 4 B. angehören,^) Eugeon von Samos, Verfasser von 'S2qoi, 2a^iaxoi^^)
Dionysios von Milet, der UsQaixd in ionischem Dialekt verfasste,^) ferner
Deiochos von Prokonnesos, Eudemos von Faros, Demokies und Ame-
lesagoras, ausserdem Theagenes, der erste Grammatiker, der zur Zeit
des Kambyses über Homer und seine Abstammung schrieb.
213. Als jüngere Logographen, die kurz vor dem peloponnesischen
Krieg blühten und bis auf Thukydides herabreichten, werden von Dionysios
namentlich angeführt: Hellanikos, Damastes, Xenomedes, Xanthos.
Xanthos der Lydier, der nach Suidas zur Zeit der Einnahme von |
Sardes (499) lebte, sicher aber erst unter Artaxerxes (465 — 425) schrieb,^)
war Verfasser von Lydiaka in 4 B. Ephoros bei Ath. 515 e lässt durch
diese dem Herodot Anregung und Stoff [acfOQi^im) zu seinem Geschichtswerk
gegeben sein. Dabei ist aber merkwürdig, dass nach Dionysios, Arch. I, 28,
bei Xanthos von der durch Herodot I, 94 berichteten Gründung des Staates
der Tyrrhener durch die Lydier nichts zu finden war. Übrigens hatte nach
Diogenes VI, 103 ein gewisser Menippos das Werk des Xanthos in einen
Auszug gebracht, und hielt der pergamenische Grammatiker Artemon den
Kyklographen Dionysios für den wirklichen Verfasser der unter Xanthos
Namen umlaufenden Lydiaka.^) Benützt und ausgeschrieben wurde Xan-
thos vielfach von dem hellenistischen Historiker Nikolaus Damascenus.
Pherekydes der Genealoge von Athen ist verschieden von dem Phi-
I
^) Kallimachos bei Ath. 70b u. 410 e,
und Arrian V, 6; vergl. Eratosthenes bei
Strab. 7 tov (äev ovv (sc. ^Ava^lfxctvdQov)
ix^ovvca TTQMTov yBioygacfixdp niraxa, rov
6e 'ExcctaTov xuraXinslv ygafx^a niarov^evov
iy.slvov eivcti ix rrjg äXXrjg aviov yQacprjq.
Die Bedenken widerlegt Diels, Herrn. 22,
411 ff.
'^) Agathemeros in Müllee, Geogr. gr.
min. II, 471, und Schol. Dionys., ebenda
II, 428; Strabon p. 7 scheint dieselbe nicht
gekannt zu haben.
"*) Suidas u. 'Exaraiog : TiQMtog laroQiav
TieCojg s^-tjyeyxe, avyyQCicprjv de 4>€Q6xvdt]g.
T« yc(Q ' AxovGiXciov i'Or^svsTaf. Dagegen
tritt I. Lipsiüs a. 0. für die Echtheit ein.
Die Ansicht des Akusilaos vom Chaos führt i Quaest. log. p. 12 ff,
Piaton Symp. 178 b an ; Commentare zu seinem |
Werk verfasste in Hadrians Zeit Sabinus.
*) Neumann, De Charone Lampsaceno,
Bresl. 1880.
5) Müllee, FHG. IV, 653.
^) Suidas konfundiert denselben mit dem
jüngeren, um 100 v. Chr. lebenden Dionysios.
^) Das letzte geht aus dem Fragment
bei Strabon p. 49 hervor; damit lässt sich
die Angabe des Suidas ysyovoyg em ri]g
uXojoeiog lagdetoy nur vereinbaren, wenn
man yeyovojg mit natus est deutet, oder an-
nimmt, dass er in seinem Werke die Ein-
nahme von Sardes se puero erwähnt habe.
8) Ath. 515e; Müllee, FHG. l p. XXII
nimmt eine Ummodelung der Lydiaka dos
Xanthos durch Dionysios an. Vgl. Ltpstus,
2. Die Geschichtsschreibung, a. Die Logographen. (§ 213).
279
losophen Pherekydes von Syros, aber wahrscheinlich eine Person mit dem
Pherekydes aus Leros, von dem ihn Suidas in einem konfusen Artikel
unterscheidet. Er scheint eben in Leros geboren und Athener nur deshalb
genannt worden zu sein, weil er den grösseren Teil seines Lebens in Athen
zubrachte und dort sein Hauptwerk schrieb. 0 Seine Blüte wird von Eu-
sebios auf Ol. 81, 3 = 454/3 gesetzt; nach Ps. Lukian Macr. 22 erreichte
er ein Alter von 95 Jahren. Sein Hauptwerk, das bald ^I(TTOQiai, bald
revsaXoyiai oder Amöx^ovsg betitelt wird, enthielt in 10 B. die Abstam-
mungen der Götter und edlen Geschlechter und war in ionischem Dialekt
geschrieben. Es handelte aber das 1. Buch von der Theogonie und dem
Gigantenkampf, das 2. von Prometheus, das 3. von Herakles, das 4. von
den argivischen und kretischen Sagen, das 6. 7. 8. von den äolischen Sagen
und dem Argonautenzug, das 9. und 10. von den arkadischen, lakonischen
attischen Stammessagen. Dionysios, Arch. I, 13 nennt unseren Logographen
Pherekydes den ersten unter den Genealogen; wie leicht es aber derselbe
in seinen Genealogien mit der Wahrheit nahm, ersieht man aus der Unzahl
fingierter Namen. So nahm er, und Hellanikos nach ihm, eine Abstam-
mung des Homer von Orpheus an und dachte sich beide durch einen Zeit-
raum von 10 Geschlechtern von einander geschieden; flugs erdichtete er
10 Ahnen des Homer EvxXrjg, (I>iXüi6QTrrjg, XaQi6rj^og etc., denen man die
Fiktion ebenso wie den von der Schiff'ahrt benannten Ahnen des Phäaken-
königs Alkinoos bei Homer Od. 7, 62 an der Stirne geschrieben sieht. Frag-
mente bei Müller, FHG. I, 70-99 u. IV, 637—9.
Hellanikos von Mytilene^) war Zeitgenosse des Herodot und Thu-
kydides und muss, wenn die Angabe des Scholiasten zu Aristoph. Ran.
706 u. 732 richtig ist, das Jahr 407 überlebt haben. 3) Ein Mann von lebhafter
Wissbegierde hat er Griechenland nach allen Seiten durchreist und überall
Erkundigungen eingezogen. Auch am Hofe der Könige von Makedonien weilte
er eine Zeitlang;^) den Tod fand er in hohem Alter bei Perperene gegenüber
der Insel Lesbos, Seine zahlreichen Schriften waren teils chronologischen In-
haltes im Anschluss an die alten Tempelchroniken, wie die ^ItQeiai al ev^ÄQysi
in 3 B. und die KaQvsovtxai,^) teils behandelten sie die Geschichte einzelner
Landschaften, wie die 'Ar^fg in 4 B..^) die d^ogcorfg (Geschichte von Argos),
^ActcoTiig (Geschichte von Böotien), JevxaXixovsia, 'ÄQxaSixd, Alohxa, Aeaßixä,
Urlavifg, teils endlich hatten sie denkwürdige Unternehmungen zum Mittel-
^) Lipsius, Quaest. logogr. p. 18 unter-
scheidet wieder beide und nimmt neben dem
älteren Pherekydes aus Athen einen jüngeren
Pherekydes aus Leros an, der nach der
Stelle im Leben des Hippokrates p. 449, 4 W.
fjivrjfjtovsvet df z ~? yei^eaXoyiag mnov ^Eqcc-
Toar^sj/r^g xal 'PsQSxvö'ijg xal JnoXXoÖMQog zwi-
schen Eratosthenes und Apollodor gelebt habe.
^) Pkeller, De Hellanico Leshio liisto-
rico (1840), in Ausgew. Aufs. 23 ff.
•') DiELS, Rh. M. 31, 53 setzt nach
Pamphila bei Gellius XIV, 23 u. Ps. Lucian
Macrob. 22, d. i. nach Apollodor unsern
Hekatäus auf 49G 411. Dagegen lässt
WiLAMOwiTZ, Herrn. 11, 292 denselben um
454 geboren sein.
*) Nach Suidas weilte Hellanikos am
Hofe des Amyntas und überlebte die Re-
gierungszeit des Perdikkas.
^) Nach Ath. 635 f. waren dieselben in
Prosa und Vers geschrieben, womit Suidas
stimmt: avvsyQc'ixpixto de n^elarcc ttcCw? re
xai 7J0(t]TiXMg.
^) Dass Herodot die Atthis des Hella-
nikos noch nicht kannte, zeigt Her. IX, 73.
Gegenseitige Unabhängigkeit des Hellanikos
und Herodot beweist Bass, Wien. Stud. 1,
1()1 ff. Thukydides erwähnt I, 97 abfällig
die Atthis und die Medika.
280
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
punkt, wie die Tqohxcc und n^qaixccA) Den ionischen Dialekt, die an-
reihende Satzform und die kritiklose Leichtgläubigkeit teilte er mit den
anderen Logographen; seine Ungenauigkeit in chronologischen Dingen
tadelt kurz Thukydides I, 97, härter Ephoros bei Photios p. 48b, 29, lose-
phos c. Ap. I, 3, Strabon p. 366, 426, 451, 602. Fragmente bei Müller,
FHG. I, 45—69 u. IV, 629—637.
Andere Logographen der jüngeren Klasse waren Stesimbrotos von
Thasos, Zeitgenosse des Kimon und Gegner des Perikles, der eine littera-
rische Schrift über Homer und ein politisches Pamphlet über Themistokles,
Thukydides, Perikles verfasste;^). Hippys aus Rhegion zur Zeit der Perser-
kriege, von dem Suidas unter andern eine Kriaig 'iraXiag, Xqovixcc und
2ix€hxd in 5 B. anführt (Müller FHG. II, 12 — 15); Glaukos von Rhegion,
dessen Schrift tisqI tmv aQxaiwv noirjtMv xal /movaixon' noch von Harpo-
kration^) und Plutarch ttsqI /novaixrjg benützt wurde; ^) Damastes aus dem
troischen Sige, Schüler des Hellanikos,"^) der über die Ahnen der griechi-
schen Führer vor Troja, über Völker und Städte, über Dichter und Philo-
sophen schrieb und ausserdem einen, wesentlich auf Hekataios fussenden
Periplus verfasste;^) Herodoros aus Heraklea, Vater des Sophisten Bryson,
der mit kritischem Urteil über Herakles und die Argonauten schrieb (Müller
FHG. II, 27—41); der Sophist Hippias aus Elis, dem neben verschie-
denen Deklamationen auch eine 'OXvf.im,ovix(av dvayqaifi] beigelegt ward
(Müller FHG. H, 59—61).
b. Herodotos (um 484 bis um 425).^)
214. Herodot wird von Cicero de leg. I, 1 Vater der Geschichte
genannt, da er zuerst ein grosses welthistorisches Ereignis darzustellen
unternahm und zuerst über genealogische Verzeichnisse hinausgehend den
Plan eines gross angelegten Geschichtswerkes fasste. Über die Person des
Verfassers sind wir nur mangelhaft unterrichtet; selbst einer Vita, abge-
sehen von dem Artikel des Suidas, entbehren wir. Die Zeit desselben
bestimmt unsere älteste Quelle Dionysios, Thucyd. 5, mit den paar Worten:
„Herodot aus Halikarnass war kurz vor den Perserkriegen geboren und
^) Von bestrittener Echtheit waren die
BccQßaQiy.ä vof^ifxcc und 6ie ^lyvnriaxd, welche
einen Teil jenes Werkes bildeten und von
Müller I p. XXX einem jungen Hellanicus
Aegyptius beigelegt werden.
•^) Die Echtheit jenes Pamphletes (Mül-
ler, FHG. II, 52—8), das eine Hauptquelle
des Plutarch war, Avird verteidigt von Wila-
MowiTz, Herrn. 12, 361 ff. und Ad. Schmidt,
Das perikleische Zeitalter I, 183 ff.
^) Harpokration u. Movacaog.
"•) Hiller, Die Fragmente des Glaukos
von Rhegion, in Rh. M. 41, 388—436. Ob
der Homeriker Glaukos und der rXavxog
tisq'l Jla/vXov fxvSixiv in Argum. Aisch. Pers.
u. Schol. Eur. Hec. 41 eine Person ist, bleibt
dahingestellt.
•') Suidas setzt ihn mit ysyorwq ttqo
Tojy [T€^o7Toi'i^7](n((XiOi' zu früh; schon als
Schüler des Hellanikos muss er an das Ende
des 5. Jahrh. gerückt werden; er folgte
ausserdem dem Gorgias in der Zurückführung
des Geschlechtes des Homer auf Musaios.
Seine Verlässigkeit perhorresziert der kri-
tische Strabon p. 47. Dagegen war sein
TlEQiTiXovg oder KaräXoyog ed^pcov xcd noleiav
einem Antiquar wie Avien eine erwünschte
Quelle.
6) Müller, FHG. II, 64-67; vgl. Aga-
themeros in Müller, Geogr. gr. min. H, 471.
"') Quellen sind ein Artikel des Suidas
und Plutarch, De Herodoti malignitate.
Neuere Bearbeitungen : Dahlmann, Herodot,
in Forschungen II, 1 ff.; Bahr, De vita et
scriptis Herodoti, im 4. Bde. seiner Ausg.:
Ad. Bauer, Herodots Biographie, in Sitzb.
der Wien. Ak. 89, 301-420.
2. Die Geschichtsschreibung, b. Herodotos. (§ 214 )
281
lebte bis in den peloponnesischen Krieg hinein". Bestimmter, aber ohne
sichere Gewähr setzt Pamphila, die gelehrte Schriftstellerin aus der Zeit
des Nero, das Geburtsjahr unseres Autors auf 484 an.^) Dass er den An-
fang des peloponnesischen Krieges und die Einfälle der Lakedämonier in
Attika noch erlebte, geht aus seinem Werke selbst, namentlich aus IX, 73,
hervor; ebenso aus VII, 170, dass er zur Zeit der grossen Expedition der
Athener nach Sikilien nicht mehr unter den Lebenden weilte. Wahr-
scheinlich starb er kurz vor oder bald nach dem Hingang des Perserkönigs
Artaxerxes (425).^) Seine Heimat war die dorische Kolonie Halikarnass
in Kleinasien, die damals zum Vasallenstaat der durch unseren Historiker
berühmt gewordenen Königin Artemisia gehörte. Die Eltern des Herodot,
Lyxes und Droio, gehörten zu den angesehensten Familien der Stadt; sein
Bruder hiess Theodoros; einer seiner fernerstehenden Verwandten, sein
Oheim oder Vetter, war Panyassis, der bekannte Epiker. Beide wurden
in die Freiheitskämpfe ihrer Vaterstadt gegen die Gewalthaber Kariens,
die Nachfolger der Artemisia, verwickelt. Panyassis kam bei diesen Kämpfen
um; Herodot, der anfangs zur Auswanderung nach der ionischen Insel
Samos sich genötigt sah,'^) soll später nach seiner Rückkehr zur Verjagung
des Tyrannen Lygdamis mitgewirkt haben. ^) Aber bald nachher verliess
er, wie es in der Grabschrift heisst wegen der Missgunst der Bürger, seine
Vaterstadt für immer. Im J. 445 treffen wir ihn in Athen, wo er, wahr-
scheinlich in dem neuerbauten Odeon, eine Partie seiner Geschichte vorlas
und mit einer glänzenden Staatsbelohnung von 10 Talenten ausgezeichnet
wurde. ^) Antragsteller des Ehrendekretes war Anytos, der eigentliche Ur-
heber aber Perikles, der weitsehende Staatsmann, der in dem Unternehmen
des Herodot einen Hebel für die Hebung der Macht Athens sah und viel-
leicht auch als gemeinsamer Gönner die Freundschaft des Herodot und
Sophokles vermittelte.^) Später schloss er sich der im Jahre 444 von Athen
') Gellius XV, 23; wahrscheinlich ging
Pamphila oder ihr vermutlicher Gewährs-
mann Apollodor davon aus, dass 444 die
uxfirj unseres Herodot war. Ad. Scholl,
Über Herodots Lebenszeit, im Phil. 9, 193 ff.
will mit dem Geburtsjahr auf 489 hinaufgehen.
^) Darius, Xerxes, Artaxerxes sind allein
als Perserkönige erwähnt VI, 98 und ange-
deutet VII, 106. Ohne Nötigung wurde früher
die Nachricht 1, 130 von dem Abfall der Meder
auf die Ereignisse von 408 bezogen.
^) Bauer a. 0. hält die Angabe von
einer Auswanderung nach Samos für er-
funden, um den ionischen Dialekt seines
Oeschichtswerkes zu erklären; beides bringt
allerdings Suidas in Zusammenhang. Dass
man aber auch in Halikarnass damals ionisch
schrieb, zeigen die Inschriften, namentlich
das unter der Oberhoheit dos Lygdamis zu
stände gekommene Gesetz der Gemeinden
Halikarnass und Salmakis, in dem auch ein
Panyatis vorkommt.
*) Das muss vor 454 stattgefunden
haben, da nach der Inschrift CIA. I, 90 da-
mals schon Halikarnass dem atiienischen
Seebund beigetreten war.
^) Die Hauptnachricht darüber bei Plu-
tarch de Her. mal. 26, geschöpft aus Diyllos,
einem Historiker derDiadochenzeit; als Jahr ist
Ol. 83, 3 oder 83, 4 von ICusebios angegeben.
Die Staatsbelohnung lässt vermuten, dass der
vorgelesene Abschnitt auf den Ruhm Athens
Bezug hatte. Dem entsprechen am besten
die 3 letzten Bücher von den Perserkriegen;
höchstens könnte man noch an den Ab-
schnitt von Kroisos und Selon I, 26 — 92 mit
dem Exkurs über Attika und Peisistratos
denken. Die Sache selbst wurde später ins
Fabelhafte ausgeschmückt: Lukian, Herod. 1
und Suidas u. &ovxvJ'. machten aus einer
Vorlesung in Athen eine solche in Olympia;
Suidas, Marcellinus c. 54 u. Photios p. 00 b,
19 lassen den Knaben Thukydides unter
den Zuhörern sein; alles schon widerlegt
von Dahlmann a. 0. 30 ff. Von weiteren
Vorlesungen in Theben und Korinth melden
Plutarch de Her, mal. 31, Ps. Dio Chrys.
or. XXXVIL p. 103 H.
'•) S. § 148.
282
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
neugegi'ündeten Kolonie Thurii in Unteritalien an,') die ihm zur zweiten
Heimat wurde, so dass ihn schon Aristoteles, Rhet. III, 9 als Thurier be-
zeichnete.''^) Von dort besuchte er Italien und Sikilien; von dort muss er
aber auch nochmals nach Athen zurückgekehrt sein; denn in Athen finden
wir ihn V, 77 nach der Vollendung der Akropolis oder nach 432 wieder. 3)
In den ersten Jahren des peloponnesischen Krieges starb er, ungewiss ob
in Athen oder in Thurii.^) Sein Bild, zugleich mit dem des Thukydides
auf einer Doppelherme erhalten,'') ist wohl nur ein Idealporträt aus spä-
terer Zeit.
215. Reisen Herodots. In dem Leben des Herodot und in seiner
Stellung als Historiker spielen seine Reisen eine wichtige Rolle. Heutzu-
tage sammelt ein Geschichtsschreiber, wenn er nicht Selbsterlebtes erzählt,
sein Material aus den Archiven und Bibliotheken. Herodot konnte aus den
Schriften seiner Vorgänger nicht viel lernen, wenn er auch keineswegs die
Logographen Hekataios und Xanthos unbenutzt liess;*^) wesentlich war er
aber doch auf persönliche Erkundigungen bei den Leuten der älteren
Generation und auf den direkten Besuch der beschriebenen Länder ange-
wiesen.'') Dazu bedurfte es ausgedehnter Reisen^) und längeren Aufent-
halts in den Hauptzentren der alten Welt. Zunächst führten ihn seine
oben geschilderten Lebensverhältnisse nach Kleinasien, Athen, Unteritalien
und die verschiedenen Städte des eigentlichen Hellas. Ausserdem unter-
nahm er mehrere grössere Reisen in entlegenere Länder, teils zu Land,
') Ob gleich im Jahr der Gründung, be-
zweifelt mit Recht Böckh zu Soph. Ant.
IS. 144, weil Herodot noch 441/40 mit So-
phokles in Verkehr stund; s. oben § 148.
Auch der Redner Lysias war nicht gleich
in dem ersten Jahr nach Thuiü gegangen.
-) Vergl, Strab. p. 656; Duris bei
Suidas u. Ilayvecaaig : Steph. Byz. u. Oovqloi ;
Julian ep. 22; Plinius H. N. XII, 4. 18.
Das Citat des Aristoteles Rhet. III, 9:
HQod'orov 0OVQLOV ^cT' lajoQirjg aTiod's^ig geht
wohl auf ein italisches Exemplar des Herodot
zurück, wie auch die Werke Piatons zuerst
in Sikilien in den Buchhandel kamen.
^) Die Worte des Textes to ds tlQiGrsqrjg
/stQog sarfjxs TiQioroy iaioyri eg rd nQonvhaa
TU ev Tri cixQOTicXei machen freilich der
Exegese Schwierigkeit, aber die muss mit
Wachsmuth, Jahrb. f. Phil. 119, 18 durch
die Änderung shövri tu nQoni'Xaia gehoben
werden.
^) In Thurii auf dem Markt war er nach
Suidas begraben ; das Epigramm lautete nach
Stephan. Byz. u. Sovqioi:
HqöÖotou Av^£(jo xqvtttsl xövtg cide (^avorta,
'iddog ciQ^carjg loTOQirjg iTQVTaviv,
JojQidog 6X nÜTQrjg ß'AaaiovT^ ccötuov ydq
ccT^rjTou
juojfxof vTiexTiQocpvyoiv Qovqiop sG/e nuTQt^v.
x\ndere bei Suidas lassen ihn in Pella sterben,
welche Variante ursprünglich zu Hekatäus
gehört zu haben scheint. Nach Marcellinus
c. 17 befand sich ein Grabdenkmal des
Herodot neben dem des Thukydides in den
kimonischen Gräbern zu Athen.
^) Siehe beigegebene Tafel.
^) Porphyrie bei Eusebios praep. ev. X, o
bemerkt auf Grund der speziellen Nachweise
des Grammatikers Polio, dass Herodot im
2. Buch vieles wörtlich aus Hekataios herüber-
genommen habe; dieses begründet den Zwei-
feln der Neueren gegenüber Diels im Herm.
22, 44 if. Herodot selbst II, 143 u. VI, 137
verweist auf den Hekataios. Die Benützung
des Xanthos, welche Ephoros bei Ath. 61 5 e
andeutet, lässt sich nicht in gleicher Weise
nachprüfen; siehe Heil, Logopraphis num
Herodotus usus esse videatur, Marburg,
Diss. 1884.
'') Herod. II, 123: i/uol de Tragd ndi/ta
TOP Xöyov i'TioxesTai, otl t« Xeyöfxsva vno
sxddTov dxofj yQuipü). VII, 152: iya) de ocpelXo)
leyeiv tu Xeyöfxeva, nei&eGd^cd ye fxev ov
navTanciaiv ocpei^aD xai juoi tovto to enog
i/eTü) ig ndpTa top löyov.
^) NiEBUHR, Die Geographie Herodots,
mit einer Karte, Kl. Sehr. I, 132—258; Fr.
Hildebrand, De üinerihus Herodoti Euro-
2)aeis, Lips. 1883; R, Müller, Die geogra-
phische Tafel nach den Angaben Herodots,
1881. Im Westen ist Herodot weit weniger
als im Osten bewandert; so macht er 11,33
u. IV, 49 TIvQiji'f] (die Pyrenäen) zu einer
Stadt und lässt bei ihr im Land der Kelter
den Ister entspringen.
1
2. Die Geschichtsschreibung, b. Herodotos. (§ 215 216.)
283
teils zur See: zur See nach dem schwarzen Meer bis zum kimmerischen
Bosporus, sowie nach Kypern, Ägypten, Kyrene, Tyrus; zu Land durch
ganz Ägypten von Naukratis bis nach Elephantine, und durch das weite
persische Reich von der Küste bis nach Susa. Die letztgenannte Reise,
die bedeutendste von allen, machte er wahrscheinlich auf dem leichteren
Weg von der syrischen Küste aus,i) nicht auf der grossen, von Sardes aus-
gehenden Königsstrasse, wiewohl er von der letzteren gelegentlich (V, 52
und VIII, 98) eine genaue Beschreibung gibt. 2) Wann und in welcher
Reihenfolge er diese Reisen unternahm, lässt sich nur teilweise ermitteln.
Nach Ägypten kam er sicher erst einige Zeit nach der Niederwerfung des
ägyptischen Aufstandes, wie aus III, 12 und II, 30 und 99 erhellt, wahr-
scheinlich von Athen oder Thurii aus zwischen 445 und 432. 3) Schon zu-
vor war er in Assyrien und Persien gewesen,^) wahrscheinlich schon vor
454, als er noch Unterthan des Perserkönigs war. Diese grösseren Reisen
hingen wesentlich mit dem ersten Teile seines Werkes zusammen. Für den
zweiten und hauptsächlichsten Teil war er vornehmlich auf Erkundigungen
in den Städten Griechenlands selbst und auf den intimeren Verkehr mit
den hervorragenden Staatsmännern angewiesen; und da kann kein Zweifel
sein, dass Athen und die Kreise des Perikles^) zumeist ihn fesselten und
beeinflussten.
216. Das Geschichtswerk Herodots. Seinen Namen hat Herodot
unsterblich gemacht durch sein Geschichtswerk ^[aroQirjg dTioSe'^ig, das von
den Grammatikern in 9, nach den Musen benannte Bücher eingeteilt wurde. ^')
Mittelpunkt desselben bilden die Kämpfe der Hellenen und Barbaren unter
den Perserkönigen Darius und Xerxes. Diese Kämpfe werden schon im
ersten Buch durch Zurückgehen auf die ersten Zusammenstösse Asiens und
Europas in der mythischen Vorzeit eingeleitet, werden aber erst vom
5. Buche an in fortlaufender Erzählung vorgeführt. In den vorausgehenden
Büchern greift der Autor zunächst auf die Geschichte der Lydier, deren
König Krösus den ersten Angriff auf die Griechen Kleinasiens gemacht
hatte, zurück; Krösus führt ihn auf die Perser, die Besieger der Lydier,
diese wieder zu den Ägyptiern, Babyloniern und Skythen, welche der Reihe
nach den Persern unterlegen waren. Es ist also ein lockeres Band, welches
die Teile, die ursprünglich eigene, für sich bestehende Schriften (Xoyoi TleQ-
oixof, AlyvTitioi^ Aißvxoi\ AvSixoi\ ^xv^ixot, 2dj^uoi etc.) gebildet zu haben
scheinen,') zu einem Ganzen verbindet. Dazu kommen noch innerhalb der
') Matzat, Herodots Angaben über Asien,
im Herrn. VI, 392-486.
'^) W. Götz, Die vorderasiatische Reichs-
poststrasse der persischen Grosskönige, in
Jahrb. d. geogr. Ges. München 1885, S. 90 ff.
'-") Nach Thuk. I, 112 hielt sich im Jahre
449 noch Amyrtaios in den Marschen des
Nüdeltas, während Herodot III, 15 dessen
Sohn Pausiris schon wieder mit seines Vaters
Herrschaft von den Persern belehnt sein lässt.
') Dies folgt aus II, 150.
•') Ein Denkmal hat Herodot VT, l'H
dem Perikles in der Erzählung gesetzt, dass
seine Mutter Achariste in ihrer Schwanger-
schaft geträumt habe, einen Löwen zu ge-
bären und dann nach wenigen Tagen den
Perikles geboren habe.
*^) 'laTOQitjg di6(f€^i(; benennt sein Werk
Herodot selbst in dem Proömium. Die sehr
unsachgemässe Einteilung in 9 Bücher kennt
bereits Diodor 11, 37: nach den Musen fand
dieselben benannt Lukian, de bist, conscr. 42.
Ebenso haben nach den Musen der Historikei'
Kephalion (Phot. 34 a 8), der Rhetor Bion
(Diog. IV, 58), der Lateiner Opilius (Gell.
N. A. I, 25) die Bücher ihrer Werke be-
nannt.
') Ob man annehmen darf, dass diese
284
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
einzelnen Teile zahlreiche Digressionen (rrQocrd^rjxcci IV, 30), durch das alles
das erste historische Werk der Griechen dem ersten Epos derselben sehr
ähnlich wird. Das regt zur Frage an, ob denn auch die Teile des Werkes
in derjenigen Reihenfolge entstanden seien, in der sie jetzt uns vorliegen,
und ob die geschlossene Einheit, die sich jetzt in zahlreichen Rück- und
Vorwärtscitaten, direkten und indirekten Verweisen kundgibt, schon von
vornherein dem Autor als fester Plan vorgeschwebt habe. In bejahendem
Sinne werden beide Fragen beantwortet von Kirchhoff,') der die Bücher
I— III, 119 zwischen 445 und 443 in Athen,^) III, 120— V, 76 zwischen
448 und 432 in Thurii,^) den Rest in Athen zwischen 431 und 428 ent-
standen sein lässt. Damit lässt sich aber die Nachricht von der Vorlesung
des Geschichtswerkes in Athen schwer vereinigen, da diese uns eher ver-
muten lässt, dass Herodot zuerst den zweiten Perserkrieg oder die 3 letzten
Bücher geschrieben habe.^) Sodann fehlt es nicht an Anzeichen, dass die
engere Zusammenfügung der einzelnen Teile erst das Werk einer späteren Über-
arbeitung war. Das 2. Buch über Ägypten sieht ganz wie eine ursprünglich
für sich bestehende Schrift aus, und schwerlich hätte sich Herodot zweimal
II, 33 und IV, 49 so ausführlich und ohne jede Rückbeziehung über den
Ursprung und den Lauf des Ister ausgesprochen, wenn das zweite Buch
von vornherein bestimmt gewesen wäre, mit dem vierten einen Teil des-
selben Werkes zu bilden.^) Noch auffälliger ist die zweimalige Erwähnung i
der Lage von Pedasos und des langen Bartes der Athenapriester in genannter]
Stadt (I, 175 u. VIII, 104). Doch ist es bedenklich aus den beiden letzten Stellen
etwas zu schliessen, da im 8. Buch sich die betreffenden Sätze so schlecht!
in den Zusammenhang einfügen, dass sie eher von einem späteren Inter-
polator als von Herodot selbst herzurühren scheinen. Überhaupt aber sprechen
der lange Zwischenraum zwischen den einzelnen Reisen des Historikers und
die Analogie der anderen grösseren Prosawerke des Altertums, wie insbeson-j
dere der Politeia des Piaton und der Politika des Aristoteles, für die Annahme^
dass auch Herodots vielgliederiges Geschichtswerk erst allmählich durcl
Zusammenfügung von Büchern (?^6yoi) kleineren Umfangs entstanden istJ
Eine zweite Kontroverse betrifft die Frage, ob Herodot selbst seid
Xoyoi auch getrennt publiziert worden waren,
hängt wesentlich von dem gleich nachher
zu besprechenden Citat der ' Joavqioi Xöyoi
bei Aristoteles ab.
^) Kirchhoff, Über die Entstehungszeit
des herodotischen Geschichtswerkes 2. Aufl.,
Berl. 1878. Dagegen Ad. Bauer, Die Ent-
stehung des herodot. Geschichtswerkes, Wien
1878, der hauptsächlich darin abweicht, dass
er viele spätere Einfügungen infolge der
zwischen 445 u. 432 gesetzten ägyptischen
Reise annimmt und den Xerxeszug oder die
letzten 3 B. früher, vor 445, entworfen sein
lässt. Vgl. Ammer, Her od. Hai. quo ordine
Ijhros suos conscripserit, Virceb. 1881, und
Über die Reihenfolge und Zeit der Abfas-
sung desherod. Geschichtswerkes, Straubinger
Progr. 1889.
'^) Der Endtermin ergibt sich daraus,
dass Sophokles Antig. 905 ff. an einer Stelle,
die freilich andere für eine spätere Interpo-
lation ausgeben, auf Herod. III, 119 Bezug
nimmt.
'^) In Thurii ist sicher geschrieben IV,
99, wo die Gestalt des kimmerischen Bos-
porus an Attika und Japygien erläutert ist.
^) Für die frühere Abfassung dieser
3 letzten Bücher spricht auch, dass er VII,
39 und VII, 114 noch nicht die ähnlichen,
erst IV, 84 und III, 35 erzählten Fälle ge-
kannt zu haben scheint.
•') Auch in VI, 60, wo eine Ergänzung
zu II, 167 über gemeinsame Sitten bei den
Lakedämoniern und Ägyptiern gegeben ist,
hätte auf II, 167 zurückverwiesen werden
sollen; eine indirekte Bezugnahme auf II,
68 ff. liegt IV, 44 vor, aber in einem leicht
später erst zugesetzten Nebensatz.
2. Die Geschichtsschreibung, b. Herodotos. (§ 217.)
285
Werk zum Abschluss gebracht habe. An zwei Stellen nämlich 1, 106 und
184 verspricht der Autor später er 'Äaavqioiai Xoyoiai etwas zu erzählen,
was wir nirgends in dem erhaltenen Werke zu lesen bekommen. Nun
erwähnt aber Aristoteles in der Tiergeschichte VIII, 18 etwas aus Herodot,
was aller Wahrscheinlichkeit nach in den 'AaavQioi Xöyoi gestanden hat.')
Das führt zur Vermutung, dass Herodot, als er die Schlussredaktion des
1. Buches vornahm, auch die ehedem gesondert herausgegebenen ^Aaavqioi
Xoyoi in vollem Umfange seinem Hauptwerk, etwa nach III, 150, einzu-
verleiben beabsichtigte,-) durch den Tod aber an der Ausführung des
Planes verhindert wurde. Wichtiger noch für unsere Frage ist die Stelle
VII, 213, wo er später {iv Tolg onia&sv Xöyoig) von dem Tode des Ver-
räters Ephialtes zu berichten verspricht, während thatsächlich in den nach-
folgenden Büchern davon nichts zu lesen ist.^) Es scheint nämlich danach
die Absicht Herodots gewesen zu sein, sein Werk, das jetzt mit der Ein-
nahme von Sestos schliesst, noch über dieses Ereignis hinaus fortzuführen.
Denn wenn man auch zugeben muss, dass mit jener Expedition der Flotte
nach dem Hellespont der Krieg einen teilweisen Abschluss fand und dass
die Erzählung von dem Zwiegespräch des Artembares und Kyrus mit dem
Schlusssatz aq^siv sl'Xovco XvTiQrjv olxsovTsg iiaXXov r] nsSiäöa aneiQovrsg
aXXoiai SovX&vsiv sehr passend das Buch oder den ganzen aus den letzten
3 Büchern gebildeten Abschnitt schliesst,^) so erwartet man doch die Fort-
führung des Werkes bis zu einem entscheidenderen Wendepunkt und über-
dies die Abrundung desselben durch einen förmlichen Epilog. "') Im übrigen
wird es kaum möglich sein, die Zeit zu bestimmen, in der Herodot die
einzelnen Teile geschrieben, umgearbeitet und dem Ganzen einverleibt hat.
Wir begnügen uns daher bei Herodot und Thukydides mit dem, was der
Autor schliesslich gab, und verzichten auf die undankbare Mühe, dem
Schriftsteller ins Konzept schauen zu wollen.^)
217. Sprache des Herodot. Geschrieben ist das Geschichtswerk
^) Arist. Hist. an. VIII, 18: r« fxev ovv
yajuxpujyv/ci . . . änora ndfAnav eoriv ' dXk'
'HQodoTog (Haio^og var. lect., 'Eq66iOQoq coni.
Bergk) t]yv6et tovto • Tisnoirjxs yuQ xov rijg
fxuvreiccg ttqos^qov deroy fcV t»j ^irjyrjosi tfi
nsol TTJt' nolioQyACiv T7]p Nlpov ti'lvovxu.
Die Variante 'Hoioöog, an der viele festhalten,
bat in der Poesie des Hesiod keinen Anhalt.
'^) ^Einwendungen gegen diese Schluss-
folgerungen erhebt E. Bachof, Die 'Aaavgioi
Uyoi des Herodot, in Jahrb. f. Phil. 1877,
S. 577 ff., und Stein, Jahrber. d. Alt. VI,
1. 325 ff.
■^) Gegen den gezogenen Schluss erhebt
Einwendungen Ed. Meyer, Rh. M. 42, 146 ff.
In VIII, 120 ist uns durch cod. B eine
kleine Lücke bezeugt; aber es wäre doch
ein sonderbarer Zufall, wenn die Erwähnung
des Versprochenen gerade in der kleinen
Lücke von 20 Zeilen gestanden gewesen
wäre. Auch das Versprechen V, 22 wird
später VIII, 137 nicht ganz erfüllt.
^) Dieser Gedanke ausgeführt von Gom-
PERZ, Herodotische Studien, in Sitzb, d. Wien.
Akad. 103, 141 ff.; dagegen Kirchhoff in
Sitzb. d. Berl. Ak, 1885 S. 301 ff. Dem
Inhalt nach vergleicht sich die Stelle des
Herodot mit Hippokrates Tie^t cUqmv v^drwv
TÖniop p. 565 K.: dno /uey ijav/hjg xmI qcc-
d^vfxbjg i] ^Biklr] ccv^siat, an 6 de rrjg raXai-
7iu)QL7]g xcd rü)v nöpwv ai dv^Qsua • did
TOVTO eioi ^a)[ifxi6TeQ0L oi t^i^ EvQiuTDji/
olxovvTsg, xcd did Tovg vöfxovg, oti or ßaai-
'kevovTCii (jjansQ ol ^ Jaujvoi.
^) Wenig Glauben verdient die Angabe
des unzuverlässigen Ptolemaios bei Photios.
p. 148b, 10: (og nXrjaloQoog 6 OeaaccXog 6
v^voyqdcfog SQio^svog ysyovt^g IlQodozov xcd
xktjQoyouog tmv ccvtov , ovrog noitjösie to
TJQOoi/ULOy Tfjg 7lQi6T7]g LGTOQLCig 'liQodoTOV
'Jhxc(Qi/c(Gae(üg • Tr}y yccQ xcud cpvoiv elvca
TtJüv '^HQodoTOl' laiOQKiii/ dQ)(7]y ,UsQatMv ol
Xoyiot". Danach sucht die Unechtheit des
Pioömium zu erweisen P. La-Roche, Phil.
14, 281 ff.
^) Bei der Ilias und Odyssee, wo die
Einheit des Verfassers zweifelhaft ist, liegt
die Sache doch ganz anders.
286
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Herodots in ionischer Sprache, nicht, wie man erwarten könnte, in dori-
scher oder attischer. Dazu ward der Autor zunächst wohl durch seine
Vorgänger in der Geschichtsschreibung bestimmt, da diese alle in ionischer
Sprache geschrieben hatten. Aber ionisch brauchte er nicht erst, wie
Suidas meint, in Samos zu lernen; auch in der dorischen Kolonie Hali-
karnass sprach ein Bruchteil der Bevölkerung ionisch, und wurden Staats-
dokumente, wie die unlängst aufgefundene Urkunde von Halikarnassos und
Salmakis,!) \yi ionischer Sprache abgefasst. Attisch aber schrieb Herodot
nicht, weil erst nach ihm das Attische die Bedeutung einer allgemeinen
Vermittlungssprache erhielt, vielleicht aber auch, weil er schon, ehe er
nach Attika kam, sein Geschichtswerk begonnen hatte. Herodot gilt uns
so neben Hippokrates als Hauptvertreter des ionischen Dialektes. 2) Mit
der Weichheit und Flüssigkeit des Dialektes steht in schönstem Einklang
die Einfachheit des Stils und die Naivität der Erzählung. Aristoteles Rhet.
HI, 9 bezeichnet unseren Herodot als Hauptrepräsentanten der HQoiiev)^
Xs'^ig, welche die Sätzchen einfach mit ts und d& aneinanderzureihen, statt
zu kunstvoll gebauten Perioden zu verknüpfen pflegt.^) Selbst uns werden
manchmal der ts zu viel; noch weniger war die schlichte Kunstlosigkeit
dieses Stiles im Geschmack der rhetorisch gebildeten Leser der nächsten
Jahrhunderte nach Herodot. Erst in der römischen Kaiserzeit scheint man
wieder mehr, wie das Urteil des Dionysios von Halikarnass "^j und die
Nachahmungen des Arrian und Ps. Lukian zeigen, die hübsche Harmonie
dieses einfachen Stils mit dem naiv^en Ton des ionischen Erzählers gewür-|
digt zu haben. "
218. Charakteristik des Geschichtswerkes. Der Hauptwert des
herodotischen Werkes beruht in seinem Inhalt. Gilt dieser Satz der Natur
der Sache nach von allen historischen Werken, so doch in erhöhtem Grade
von Herodot; er hat einerseits die glänzendste Partie der alten Geschichte,
den heldenmütigen Kampf des kleinen Griechenvolkes gegen die persische
Übermacht, den Sieg des freien Geistes über knechtische Unterwürfigkeit')
^) Die Inschrift besprochen von Kirch-
hoff, Studien zur Gesch. d. griech. Alph.,
3. Aufl., S. 4 ff. und Rühl, Phil. 41, 54 ff.
2) Dass indes Herodots Sprache kein
reiner Lokaldialekt war, sondern viele poe-
tische Elemente namentlich aus Homer auf-
genommen hatte, bemerkten bereits die
Alten; s. Hermogenes in Rhet. gr. ed. Sp.
n, 421. Bredow, Quaest. critic. de dialecto
Herodotea lihri IV, Lips. 1846; Merzdorf,
Quaest. gramm. de dial. Herod. in Curtius
Stud. VIII, 125 ff. u. IX, 199 ff.; Stein in
der Ed. mai. praef. XLIV, sqq. Dionys.
Halic. ep. ad Pomp. 3: 'Hgo^orog xiig 'Icafog
((Qiazog xapoiv. Unsere Handschriften schwan-
ken vielfach, wie zwischen ^£/iw u. iS^ekio,
ixeivog u. xsh'og, sirexu u. eYvexbi^, und haben
falsche Formen, wie iysptcuo, Kgolaea) u. a.
^) Cicero Orat. 12 vergleicht den Hero-
dot einem sedatus amnis; ähnlich Quintil.
IX, 4. 18; Dio Chrys. or. 18 p. 479 R. u.
or. 53 p. 278 R.; Athen. 78 e.
^) Dion. Hai, ep. ad Pomp. 3, wo eine
sehr lesenswerte Vergleichung des Thuky-
dides und Herodot zu Gunsten des letzteren
gegeben wird; ich hebe aus ihr nur den
Satz hervor: »/ ^ev 'Hqo^otov didß^saig ip
ilnaaiv inisixrjg xccl rotg fxsv dyaS^oTg avv-
Tjdofispf], xoTg de xaxoTg avvaXyovacc. Damit
vgl. Dio Chrys. or. 53 p. 278 R. Günstig
urteilt auch Hermogenes de ideis II, \2
p. 421 Sp.: fXEToi rov xaS^aQov xcd EvxQivovg
noXvg iari rmg rjdovaTg ' xal ydcQ rcdg £v-
voLcag fxvihiXKig a/Edop dnc'iaaig xcd rfj Xe'^ei
noi7]Tixfj x6/Qi]TC(i dioXov. Homerische Wen-
dungen, aber auch Anklänge an die Tragiker
finden sich zahlreich.
^) Wie sehr er von diesem Hochgefühl
erfüllt war, zeigen besonders die herrlichen
Worte der Spartaner VII, 135. Übrigens
sind von den Griechen, und nicht am min-
desten von Herodot selbst, die Perserkriege,
ähnlich wie im Mittelalter die Freiheits-
kämpfe der Schweizer gegen die Burgunder
weit über ihre wirkliche Bedeutung erhoben
worden.
2. Die Geschichtsschreibung, h. Herodotos. (§ 218.)
287
zum Mittelpunkt seiner Darstellung erkoren, und er hat anderseits sein
Werk so eingerichtet, dass er in dasselbe die reichsten Notizen über Sitten
und Einrichtungen von Hellenen wie Barbaren einflechten konnte. Die
Welt war damals noch nicht uniformiert, und Herodot verband mit der
Wissbegierde des loniers das offene Auge eines unbefangenen Beobachters.
So bietet er uns eine unerschöpfliche Fülle ethnographischer Mitteilungen
über die Ägyptier, Skythen, Thraker, Perser, fast alle Völker der damals
bekannten Erde, und entwirft uns anziehendste Schilderungen bald von den
Pyramiden Ägyptens und den Bauten der Assyrier, bald von den Rosen-
gärten Makedoniens (VIII, 138) und den Kornfeldern der Gelonen (IV, 108).
Er hat in der That mit seinem Geschichtswerk erreicht, was er im Ein-
gang verspricht, wc fbirjTs rd ysvöiisva s'^ dv^QooTiMV reo XQovo^ s'^i'TtjXa yt-
VTjTai fiirjTs egya nsyccXa rs xal O^cüDfiaard rd ^itv 'EkXrjdi rd St ßaQßüQoiai
dnodsxd^svTa dxXsd ysvijTai.
Aber hatte er auch die notw^endigste Eigenschaft eines Historikers,
die Fähigkeit und den Willen, das Wahre zu ermitteln und zu sagen?
An Eifer, durch ausgedehnte Reisen überall direkte Erkundigungen ein-
zuziehen und mit eigenen Augen die Dinge zu schauen, hat es ihm sicher
nicht gefehlt. Bei zwiespältiger Überlieferung hat er gewissenhaft beide
Parteien zu Wort kommen lassen, oft dem Leser selbst die Entscheidung
überlassend. Die Perser, Ägyptier und Thraker benennt er zwar mit dem
landläufigen Namen Barbaren, aber keiner seiner Landsleute hat je gegen
die Barbaren einen gleichen Gerechtigkeitssinn gezeigt. Absichtlich hat er
nie täuschen wollen, und viele seiner fabelhaften Angaben, die den Alten
ungeheuerlich erschienen, haben durch die Entzifferung der Hieroglyphen
und Keilschriften ihre Bestätigung gefunden. Aber er kannte als echter
Grieche keine fremden Sprachen, er sah sich den Fremden gegenüber auf
die zweifelhafte Vermittelung von Dolmetschern angewiesen und huldigte
dazu der bösen Sitte, fremde Verhältnisse und Götter mit griechischen
Namen zu benennen. Er hielt sich ausserdem mit Vorliebe bei seinen Er-
kundigungen in Hellas wie in Ägypten und Assyrien an die Priester und
ward so unwillkürlich in deren abergläubische oder auf Täuschung berech-
nete Auffassungen hineingezogen. Irrtümer konnten unter solchen Um-
ständen nicht ausbleiben, wie wenn er I, 131 durch die Endung verleitet
den iranischen Sonnengott Mithra für eine Göttin ausgibt, oder III, 31 im
Widerspruch mit den heiligen Schriften der Iranier die Heirat mit einer
Schwester als unerlaubt bezeichnet. ') Auch in den griechischen Angelegen-
heiten beging er Irrtümer und Hess sich namentlich von einer gewissen
A^oreingenommenheit für Athen und die Kreise des Perikles leiten, was zu
harten und ungerechten Urteilen gegen andere, insbesondere gegen Korinth,
xsif^svci Kqoöötco laioQtijy, dXhl xcd \p6vaT}]i'
uvxov dnsXsy/cjy iv noXXoTg y.ai XoyoTioior
(tnoxalwv. Vergl, Diodor 11, 15. Ahnlicli
urteilt Manetho über die ägyptischen Partien
seines Geschiclitswerkes bei Josephus c. Ap.
I, 14: 7T0ÄA« löu "^Hqö&oiop sXsy/et Tcoy Ji-
yrnTiaxivf vn'' äyvoiag ixpsvofxevov. Sogar
Bestechlichkeit Avird ihm vorgeworfen von
Ps. Dio Ghrysost. or. 37, p. 103 R.
') Die neuen, durch die grossartigen
Fortschritte der orientalischen Philologie be-
dingten Anschauungen gegenüber Herodot
vertritt nicht ohne viele zweifelhafte Auf-
stellungen Sayce, The ancient enqnres of
the east and Herodots bools I— III, Lond.
1883. Sehr ungünstig urteilte unter den
Alten sein Zeitgenosse, der Arzt Ktesias, bei
l'hütios p. 35b, 41: Kr7]au<g tV unaaip ih'ii-
288 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Theben und Themistokles führte. Wir haben darüber eine freilich selbst
wieder von thebanischem Lokalpatriotismus diktierte Anklageschrift von
Plutarch Tregl rrjg ^HqoSotov xaxorjd^siccg, und erfahren aus Suidas, dass
auch Aelius Harpokration ein Buch tisqI tov xarsipeva^ai xirv ^HqoSötov
laioQiav geschrieben hatte. ^) Weit mehr aber als diese doch immerhin
nur massige Parteinahme für Athen hielt das Urteil Herodots seine reli-
giöse Anschauung und seine ethische Richtung befangen. Herodot war
nicht bloss Historiker, er war auch Theologe; er teilte mit der Mehrzahl J
seiner Zeitgenossen den Glauben an Vorzeichen und Wunder, er hatte sich "
eine eigene Vorstellung von dem Neide der Götter gebildet und wollte
insbesondere in der Geschichte überall das Walten der Gottheit, speziell
in den Perserkriegen das Strafgericht der Götter über menschlichen Frevel
und Übermut erkennen. Infolgedessen merkte er nicht, dass die ihm vor-
gelegten Orakel zum grossen Teil nur vaticinia ex eventu waren, und
liess sich selbst, um Zusammenhang in die Naturerscheinungen und mensch-
lichen Ereignisse zu bringen, zur Verrückung chronologischer Daten ver-
leiten, 2) wie das alles sehr gut Wecklein, Über die Tradition der Perser-
kriege, dargethan hat. Aristoteles, de gen. an. III, 5, hat unseren Herodot
einen f.ivd^oX6yog genannt, und wir werden zugeben müssen, dass derselbe,
wenn er auch nicht geradezu kritiklos schrieb, •'^) doch noch weit von einem
kritischen Geschichtsforscher entfernt war. Aber auf der anderen Seite
bekundet Herodot in allen litterarischen Fragen ein feines, von Vorurteilen
freies Urteil, und berührt uns sympathisch der warme Ton, welcher sein
Werk durchzieht und der nur von einem Manne ausgehen konnte, der selbst
von Vaterlandsliebe und sittlichem Adel getragen, auch in der Geschichte
der Völker das Walten höherer sittlicher Mächte fand.
Codd. : 2 Familien, von denen die ältere vertreten ist durch A (Flor. 73, 5 s. XI) B
C (A u. B mit stichometrischen Angaben), die jüngere, von Cobet und Gomperz höher ge-
schätzte durch R (Vatic. 123) P (Paris. 1633), Vindob., Sancroftianus. Kritischer Apparat
am besten in den Ausgaben von Gaisford und von Stein.
Hypomnemata schrieben nach Suidas die Rhetoren Heron aus Athen, Salustius
und Tiberius. Kritische Studien stellte in Hadrians Zeit der Grammatiker Alexander
von Kotyaion an. rXöioaca '^Hqo&oxov von Apollonios erwähnt Et. M. p. 500. Auf uns
gekommen sind kaum nennenswerte Scholien und dürftige ^Hqo^ötov 'Ae^eLg, abgedruckt im
Anhang von Steins Ausgabe; vgl. Kopp, Beiträge zur griech. Exzerptenlit. 72 ff.
Ausgaben: cum annot. Galei, Fr. Gronovii, Valckenarii, ed. Wesseling, Amstel.
1763 — cum annot. Wesselingii et Valckenarii aliorumque ed. Schweighäuser Argent.
1816, 6 Bde. — ed. Gaisfokd, ed. III Oxon. 1849 — ed. Bahr mit Kommentar, ed. 11
Lips. 1856, 4 Bde. — ed. Stein, Berol. 1869, 2 Bde. mit erlesenem kritischen Apparat,
ed. min. 1884. — Textausgabe mit kurzem Apparat von Holder in Bibl. Schenk. — P]r-
klärende Schulausg. von Stein bei Weidmann; von Abicht bei Teubner; von Hintner in
Wien. — Herodotus 1. I — III ivith notes introdnction and appendices von Sayce, Lond.
1883, worin die neueren Forschungen der Orientalisten verwertet sind. Englische Über-
setzung mit reichen sachlichen Kommentaren von Rawlinson, ed. II Lond. 1876, 4 Bde. --
Klassische Übersetzung von Lange, 2. Aufl., Berl. 1824. — Lexicon Herodottum von Schweig-
häüser, Strassb. 1824.
Eine Epitome des Herodot in 2 B. schrieb Theopomp; den Namen des Herodot
trägt fälschlich ein in ionischem Dialekt geschriebener Biog 'OfxtJQov, worüber oben S. 24.
') Vgl. Strab. p. 819; Joseph, c. Ap.
I, 14; Et. M. u. Aeovroxöfxog.
'^) So ist VII, 37 die Sonnenfinsternis
von 478 in die Zeit des Xerxeszuges gesetzt; | Kyprien II, 117
s. Wecklein, Über die Tradition der Perser- ,
kriege in Sitzb. d. b. Ak. 1876, S. 253.
^) Vergleiche besonders den hübschen
Nachweis des unhomerischen Ursprungs der
2. Die Geschichtsschreibung, c. Thukydides. (§ 219.)
289
c. Thukydides (um 455 bis um 400). 0
219. Thukydides, Sohn des Oloros und der Hegesipyle aus dem
attischen Demos Halimus,^) war der erste kritische Historiker und zugleich
der erste namhafte Prosaiker Athens. Durch den Vaternamen ward er
von dem Staatsmann Thukydides, dem Sohne des Melesias und politischen
Gegner des Perikles, unterschieden. Die Herkunft des Historikers ging
auf den thrakischen König Oloros zurück, dessen Tochter Hegesipyle Mil-
tiades, der Marathonsieger, geheiratet hatte. ^) Dass derselbe auch mit den
Pisistratiden verwandt war, berichtet der Litterarhistoriker Hermippos."*)
Zu dieser genealogischen Angabe wird zunächst der Exkurs über die Pisi-
stratiden VI, 54 — 59, der ein näheres Interesse unseres Historikers für die
Ehre jener vielverrufenen Tyrannen erkennen lässt, Anlass gegeben
haben; aber auch thatsächlich hatte Thukydides zu den Pisistratiden
insofern verwandtschaftliche Beziehungen, als ebensogut Pisistratos als
Kimon, in dessen Familiengrabstätte unser Historiker beigesetzt war,
zu dem berühmten Geschlecht der Phileidai gehörten. Von seinen thra-
kischen Ahnen oder von seiner Frau, die aus der attischen Besitzung
Skaptehyle an der thrakischen Küste stammte,^') hatte er die reichen
Bergwerke in Thrakien, nach denen er sich in der Verbannung zurückzog.
Aber auch in seiner Hinneigung zur Aristokratie und in seiner rücksichts-
losen, jeder Wortzier abholden Wahrheitsliebe dürfen wir den Einfluss des
adeligen Familienstolzes und der thrakischen, halbbarbarischen Abkunft
erblicken.*') Über sein Geburtsjahr und seine Erziehung scheinen die Alten
selbst nichts sicheres gewusst zu haben; aber wahrscheinlich war er zwi-
schen 460 und 454 geboren,') und übten auf seine Geistesrichtung und
seine Schreibweise die aufgeklärten Lehren des Philosophen Anaxagoras
und die strengen Stilregeln des Redners Antiphon bestimmenden Einfluss.^)
^) Ausser dem Artikel des Suidas haben
wir eine ausführliche Vita von Marcellinus
[ex Toüy sig Oovx. a^oXibJt^ tieqI tov ßiov
(iVTOv b)ovy.v^ii^ov y.al irjg tov loyov ideag),
wahrscheinlich demselben Rhetor, von dem
wir auch Scholien zu Hermogenes (Walz,
Rhet. gr. IV, 39 ff.) haben. Neuere Darstel-
lungen: Krüger, Untersuchungen über das
Lebendes Thukydides, Berl. 1832, mit Nach-
trag 1839 ; RoscHEK, Leben, Werk und Zeit-
alter des Thukydides, Gott. 1842; Wilamo-
wiTZ, Die Thukydideslegende, im Herm. 12,
326 ff., mit Pmtgegnungen von R. Scholl,
Herm. 13, 438 ff'., und Unger, Jahrb. f. Phil.
1880, S. 173 ff.
''^) Qovy.vdlJi]? ^OqoXov 'Ahfiovaiog stand
auf seiner Grabstele in der kimonischen Grab-
stätte (s. Mareen. 16).
^) Vermutungen über den Stammbaum
von Töpffer, Attische Genealogie 282 ff",
u. 320.
^) Marceil. 18 u. Schol. zu I, 20. Die
Vermutung des Hermippos sucht Müller-
Strübing, Aristoph. 534 ff. zu stützen.
^) Marceil. 19: ijydyeio öi yvt^cdy« und
Uandbiicb der tlass. Altortviuiswisseuschaft. VII. 2
ZxumrjavXrjg rijg QQaxijg nXovalay acpöS^K
xcd jWeV«AA« xsxxtjfAtvrjp iy rrj 0Qcicxrj. Nach
Plut. Cim. 4 hatte er die Bergwerke von
seinen thrakischen Ahnen.
") Ein strenger, die fremde Abkunft
nicht verleugnender Ausdruck liegt auch in
den Gesichtszügen seiner von Oinobios ge-
fertigten (Paus, l, 23. 9) Büste, worüber
Michaelis, Die Bildnisse des Thukydides,
Strassb. 1877; vgl. die beigegebene Tafel.
'') Zwei widersprechende Angaben haben
wir aus dem Altertum, die der Pamphila
bei Gellius XV, 23, wonach er im Beginne
des peloponnesischen Krieges 40 Jahre alt,
also ca. 470 geboren war, und die des Mar-
cellinus 34, wonach er im 50. Lebensjahre
starb, also um 450 geboren war. Auszugehen
ist von der sicheren Thatsache, dass Thuky-
dides 424 das Strategenamt bekleidete, also
damals mindestens 30 Jahre zählte
Diels, Rh. M. 31, 48.
**) Marcell. 22: ijxovas 6e didaaxuXioi'
'AvaSiCiyÖQov ^ev fV (pilooöcfoig 'öf^ey g:y-
o\i^ 6 Ai'Tv'kXog x(ci uSeog yQf'fja ii'Of^i-
ai^jj rijg exeTSey »Vew^t«? euq:^0Q7]9elg,
Ann. 19
Vgl.
290 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Was man sich von dem Einfiuss des Herodot erzählte, welcher, als er den
jungen Thukydides bei der Vorlesung seines Geschichtswerkes bis zu Thränen
ergriffen sah, sich an den Vater mit den Worten wandte : co "OXoqs, oQya
rj (fvaig Tov vtov aov irgog i^iaü^i]^ara^ ist novellistische Erfindung späterer
Grammatiker.^) Im Beginne des peloponnesischen Krieges stand Thuky-
dides bereits im urteilsfähigen Alter, 2) so dass er die Grösse des Krieges
voraussehen und den Plan zu seinem Geschichtswerk fassen konnte; 430
oder 429 ward er von der Pest befallen;-^) 423 leitete er als Stratege und
Flottenbefehlshaber die Operationen an der thrakischen Küste. Da er aber
zum Ersätze der von Brasidas bedrängten Stadt Amphipolis zu spät kam
und die Einnahme derselben durch den kühnen und geschickten Feldherrn
der Lakedämonier nicht zu verhindern vermochte, ward er wegen Hoch-
verrates zum Tod verurteilt. Der ungerechten Strafe entzog er sich durch
freiwillige Verbannung, in der er 20 Jahre weilte,*) bis er 404 mit dem
Ende des peloponnesischen Krieges, nach Pausanias I, 23 durch einen von
Oinobios beantragten Volksbeschluss,^) die Erlaubnis zur freien Rückkehr
in seine Vaterstadt erhielt. Die Müsse der Verbannung benützte er, um an
seinem Geschichtswerk zu arbeiten, zunächst um Materialien zu demselben
zu sammeln. Seine Besitzverhältnisse mussten ihn von selbst bestimmen,
sich nach Thrakien zu wenden und dort sein neues Domizil aufzuschlagen.
Aber sicher wird er nicht 20 Jahre lang in Thrakien festgesessen haben.
Der Geschichtsschreiber Timaios ^) lässt ihn nach Italien in die Verbannung
gehen; daran wird so viel wahr sein, dass er Italien und Syrakus, den
Schauplatz seiner grossartigsten Darstellung, irgendwann einmal besucht hat.
Ausserdem lebte er eine Zeitlang in Makedonien bei dem Könige Arche-
laos, der Dichter und Gelehrte an seinen Hof zog und durch Anlegung
von Strassen und Städten Makedonien auf die Bahn höherer Kultur lenkte.
Thukydides selbst schildert uns II, 100 den Eindruck, den das erleuchtete
Regiment des tüchtigen Königs auf ihn machte.'') Unsicher ist, wie lange
er die Zeit seiner Zurückberufung überlebte und wo und wie er gestorben
ist. Nach Didymos bei Marcellinus c. 32 und Pausanias I, 23. 9 ist er
in Athen unmittelbar nach seiner Rückkehr eines gewaltsamen Todes ge-
storben, während ihn Kratippos, der Fortsetzer seines Werkes, in der
cipdQog, ov xcd ^8^vi]xca sv rfi oydorj (VIII,
G8). Aus dieser Lobrede auf Antiphon wurde
wohl zunächst, und zwar zuerst von Caeci-
lius (Plut. p. 833 e) geschlossen, dass derselbe
sein Lehrer gewesen sei.
^) Marcell. 54, Suidas und Phot. cod. GO.
Nach Marcell. 36 fand man im Stile des
Thukydides auch Spuren der nagiaiöaeig u.
uvxcfhtGELg des Leontiners Gorgias und der
uxQvßoXoyia des Keers Prodikos ; vgl. Blass,
Att. Bereds. I'^ 218. Im übrigen scheint
Thukydides sich selbst gezeichnet zu haben,
wenn er I, 138 von seinem Helden Themi-
stokles sagt: avrjQ oixeia '^vvegei xcd ovrs
7iQ0fj.aS^ujv ig avt^i' ovd^y ovr^ intfAcc&oJt^
y.(j(<TiaTog yvio^uop.
'') Thuc. V, 26.
3) Thuc. II, 48.
4) Thuc. IV, 103-7 u. V, 26.
^) Mit Pausanias stimmt Plinius N. H.
VII, 110. WiLAMOwiTZ a. 0. 344 ff. bestreitet
die Richtigkeit dieser Angabe, da dem Thu-
kydides ohnehin durch die allgemeine Am-
nestie von 404 die Rückkehr freistand. Da-
gegen R. Scholl, Herrn. 13, 438 und Unger
a. 0. 138.
6) Marcell. 25 u. 33.
^) Marcell. 29 : avvEXQovrjGS cT', Mg (frjat
JlQa^icpdi^rjg sv r(p ttsqI iaroqiug, J7A«rw^fc
rw y.tüfjLXM, 'Jydx^MVi riö TQccyixio, Nixr^Qchcp
enonoiM xcd XoiqlXm xcd Malccvimii&ri, xcd
inel jusy f'C^y ^Q/^^f^og, cido^og ijp w? eni
tiXeTgtov, (og avTog ÜQa^Lcpc'iyrjg ^rjXoT, vare-
Qov de dc((fxoyiiog e\hccv{j.c'(a&^].
2. Die Gescliichtssclireibuug. c. Thukydides. (§ 220.)
291
Fremde, im Lande der Thraker sterben Hess.") Dass er eines unvorher-
gesehenen Todes starb, lässt auch der unfertige Zustand seines Werkes ver-
muten. Der Tod ereilte ihn wahrscheinlich vor dem Hingang des Königs
Archelaos (399), sicher vor 396, wo ein erneuter, von Thukydides III, 116
nicht gekannter Ausbruch des Aetna stattfand. 2)
220. Die Geschichte des peloponnesischen Krieges ist das
einzige Werk unseres Historikers, und dieses eine Werk ist obendrein ein
Torso geblieben, da es mitten im Krieg mit dem J. 411 abbricht. Denn
den ganzen Krieg hatte er zu schreiben im Sinn, wie er gleich im An-
fang mit klaren Worten ausspricht und noch bestimmter im Eingang des
zweiten Teiles V, 26 wiederholt. Auch hatte er unzweifelhaft das Material
zur Darstellung des ganzen Krieges gesammelt, mit welcher Arbeit er
gleich im Anfang des Krieges in Voraussicht seiner Bedeutung begann
und welche er während desselben ununterbrochen fortsetzte. 2) Aber ein
jäher Tod verhinderte ihn, die Verarbeitung des Stoffes zum Schluss zu
führen,^) so dass die Geschichte der letzten Jahre ungeschrieben blieb ^)
und auch das letzte Buch des ausgearbeiteten Werkes die letzte Feile ver-
missen lässt. Denn von den 8 Büchern, in welche das Werk nach unserer
Bucheinteilung zerfällt, hat das letzte etwas skizzenhaftes und entbehrt der
für Thukydides Darstellungsart charakteristischen Reden in direkter Form.<^)
Dass indes auch dieses Buch echt ist, daran ist nicht im mindesten zu
zweifeln; wenn dasselbe von einigen der Tochter des Thukydides zuge-
schrieben wurde, ^) so war das nur eine miss verständliche Deutung der
guten Überlieferung, dass nach dem Tode des Vaters seine Tochter die
Herausgabe des Gesamtwerkes besorgte.*^) Die Einteilung des Werkes in
8 Bücher rührt nicht von Thukydides selbst her, wie man schon daraus
ersieht, dass daneben eine solche in 9 und 13 B. existierte.'-^) Wohl aber hat
derselbe durch die neue Einleitung in V, 26 ^^ytyqacfs St xal ravra GovxvSiSrjg
^) Marceil. 33. Nach Stephanos Byz.
u. UccQnf'iQiJiP starb er bei Perperene, einem
äolischen Städtchen der Aeolis gegenüber
Lesbos, wo Suidas mit mehr Wahrschein-
lichkeit den aus jener Gegend stammenden
Hellanikos sterben lässt. Wilamowitz findet
in der Angabe des Marcellinus c. 31 von
einem Kenotaph des Thukydides in Athen
ein grobes Missverständnis, das Unger mit
kühnen Hypothesen zu zerstreuen sucht.
'') Diodor XIV, 59. Unger a. 0. 164 fF.
lässt den Thukydides erst zwischen Spätsommer
395 und Sommer 393 sterben, weil die Stelle
IV, 74 voraussetze, dass die 394 in Megara
aufgekommene Aristokratie seitdem wieder
abgeschafft worden sei.
•') Thuc. I, 1 u. V, 26.
'*) Aus dem Perfekt yiyQucpe &6 xai
Tccvra 0ovxvdl&t]g (V, 25) schliesst Müller-
Strübing, Thuk. Forsch. 74, dass Thuk.
den ganzen Krieg geschrieben habe, dass
aber der Schlussteil des Werkes durch Be-
raubung und Ermordung des Verfassers zu
Verlust gegangen sei.
^) Nachgetragen wurde dieselbe durch
Xenophon und Kratippos; über den ersteren
gleich nachher, den Kratippos setzt Mar-
cell. 33 nach Zopyros, so dass derselbe der
alexandrinischen Zeit angehörte, wie Scholl
im Herrn. 13, 466 richtig nachweist.
^) Nach Dionysios de Thuc. 16 hatte
Kratippos, der Fortsetzer des Werkes, die
verkehrte Vermutung aufgestellt, Thukydides
habe absichtlich im 8. ß. die Reden weg-
gelassen, weil sie die Erzählung der Hand-
lung störten und den Lesern lästig seien.
^) Marcell. 43: Xiyovai &s riveg xrlv
oy^örju laioQUiv vo&evea^ui xal fxrj eipai
0ovxv(fidov, «AA' ol /nsy cpaaiy eivai rfjq
d^vyttXQÖq avxov, ol de Bspocpixiviog.
^) Den Xenophon nennt als Herausgeber
Diog. II, 57.
^) Marcell. 58: Trjv nQayfxarsiav avxov
ol fxev xaxixsfjioy sig XQ€ig xal dexa laxoQiag,
ciX'Aoi de ccXXojg • ofiiog de ?; nXeiaxt] xal t)
XOLVT] XeXQÜxrjXE XÖ [XS/QI X(xJV OXXÜJ difi-
Q'qoH^ai xt]i' TiQayjuax8Lay. Eine Einteilung
in 9 B. kennt Diodor 12, 37 u. 13, 42; s.
Wilamowitz, Curae Thucyd. p. 6 f.
19*
292
Griechische Litteraturgeschichte, I. Klassische Periode.
'A^ijvaiog^' klar angedeutet, dass das Ganze aus 2 Teilen zusammenge-
wachsen ist, dass mit andern Worten Thukydides anfänglich nur den zehn-
jährigen, sogenannten archidamischen Krieg darzustellen gedachte, und erst
später, als der Friede des Nikias sich ohne Bestand erwies und aus dem-
selben neue Kämpfe hervorgingen, den ursprünglichen Plan erweiterte
und auf den archidamischen Krieg die Erzählung der sikilischen Expedition
und dann die Geschichte des erneuten Krieges in Hellas, des sogenannten
dekeleischen Krieges folgen Hess. Man hat Anzeichen dieses Sachverhält-
nisses auch noch in unserem Texte finden wollen, namentlich darin, dass in
dem 1. Teil (T, 1 — IV, 48 oder I, 1 — V, 24) noch das Wort 6 TtoXsfxog, in dem
Sinne ,archidamischer Krieg' genommen sei.^) Diese Anzeichen sind aber
bis auf kleine Spuren dadurch verwischt, dass der Verfasser den ersten
Teil nach Abschluss des Krieges nochmals überarbeitete, 2) mit der Neu-
redaktion des Ganzen aber nicht über die 4 ersten Bücher hinauskam, so
dass Unebenheiten, wie die zweimalige Widerlegung der Erzählung von
den Tyrannenmördern Harmodios und Aristogeiton (I, 20 und VI, 54 — 57),
stehen geblieben sind.^)
221. Von seinen Vorgängern unterschied sich Thukydides schon durch
die Wahl des Stoffes, indem er nicht in die Vergangenheit zurückgriff,
sondern das, was er selbst miterlebt hatte, erzählte. Er betont mit Selbst-
gefühl wiederholt diesen Umstand, *) weil er sich so über die leitenden
Persönlichkeiten ein sicheres Urteil bilden konnte und bezüglich der That-
sachen nicht wie Hellanikos und die Logographen auf die fabelhaften Über-
lieferungen der Vergangenheit, sondern auf eigene gewissenhafte Erkundi-
gungen angewiesen war.-^) Demgemäss bleibt er auch, im Gegensatz zu
Herodot, streng bei der Sache und erlaubt sich, abgesehen von orientierenden
Einleitungen, wie von der Vorgeschichte Griechenlands (I, 1 — 21), von der
nächsten Vergangenheit Athens (I, 89 — 118. 128 — 138), von der Lage und
') Thuc, I, 10. Diese Ansicht wurde
aufgestellt von Ulrich, Beiträge zur Jjr-
klärung des Thukydides, Hamb. 1840; da-
gegen polemisiert Classen, in der Einleitung
seiner Ausgabe. Die Hypothese Ulrichs
wurde teilweise modifiziert von Steup, Quaest.
Thucyd., Bonn 1808, weiter verfolgt von
Müller-Strübing, Thukydideische Forschun-
gen, Wien 1881, S. 42 flf.
^) Daraus stammt z. B. die Charakteiistik
des Perikles II, 05, wobei ein Blick auf die
ganze Folge des Krieges bis zu seinem Ende
geworfen ist. War der erste Teil wirklich
bald nach 420 nicht bloss geschrieben, son-
dern auch herausgegeben worden, so hatten
sich von dieser Sonderausgabe keine Exem-
plare in die spätere Zeit gerettet.
^) CwiKLiNSKi, De tempore quo Thuc.
priorem historiae suae partem composuerit,
Berl. 1873, und, Entstehung der Thukydi-
deischen Geschichte, Herm. 12, 23—87 stellt
folgende Chronologie auf: 1. archidamischer
Krieg I, 1--V, 24, nach 421 aber vor 404
geschrieben ; 2. der sikilische Krieg, eben-
falls vor 404 abgefasst; 3. Geschichte der
Friedenszeit und des ionisch-dekeleischen
Krieges, Buch V von c. 25 an. einzelne
Partien von B. VI, endlich B. VII u. VIII,
geschrieben nach 404; 4. Einreihung des
sikilischen Krieges und vollständige Um-
arbeitung des ganzen Werkes, die nur bis
zum Ende des 4. Buches gedieh.
'*) Thuk. V, 20; ineßtoDu diu napTog
avTov alaS^(iv6fj.sp6g re rrj rjhxla xcd ngoa-
E/toy irjv yvi6fxi]i^, oneog axQtßag n staouat.
I, 1 : TCi yccQ TiQo avTioy (sc. noX. TTeXon.)
Y.al rd an na'kciiorEQcc aa(ptog fihv svqsTv
did XQoyov nlrj&og cl^vrcau rji^. Vgl. VI, 2.
Abschätziges Urteil über Hellanikos I, 97;
verdeckter Vorwurf gegen Herodot I, 22.
^) Wir können hier teilweise noch an
der Hand epigraphischer Funde den Histo-
riker kontrollieren. Der in Stein uns er-
haltene Bundesvertrag der Athener und Ar-
giver weicht in Kleinigkeiten von dem Texte
des Thukydides V, 47 ab; s. Kirchhoff,
Herm. 12, 308 ff. Bezüglich der Strategen
I, 51 überführt die Inschrift CIA. I, 179 den
Historiker eines kleinen Irrtums.
2. Die Geschichtsschreibnng. c. Thukydides. (§ 221 -222.) 293
älteren Geschichte Sikiliens (VI, 1-5),^) fast gar keine Abschweifungen.
Nur einmal (VI, 54— -57) hat er sehr zur Unzeit, lediglich um ein ein-
gefleischtes Vorurteil seiner Mitbürger zu zerstreuen, eine aufklärende Di-
gression über die Ermordung des Hipparch durch Harmodios und Aristo-
geiton einzulegen sich gestattet.''^) In seinem Hauptthema galt ihm, wie
er dieses auch in dem Titel des Werkes ausdrückte, die Darstellung des
Krieges als seine eigentliche Aufgabe. Infolge dessen kümmerte er sich
um Kunst und kulturgeschichtliche Verhältnisse gar nicht und berührte
auch die inneren Vorgänge Athens und Spartas nur wenig, so dass er uns
z. B. wohl sein Verhalten bei der Einnahme von Amphipolis ausführlich
erzählt, aber von seiner Verurteilung und den dabei doch gewiss laut ge-
wordenen Parteikämpfen auf dem Forum nichts sagt. Die Kriegsereignisse
selbst erzählt er in annalistischer Weise, indem er obendrein in jedem Jahr
Sommer und Winter scheidet. Diese kunstlose Einförmigkeit, die oft Zu-
sammengehöriges auseinanderzureissen nötigte, missfiel nicht ohne Grund
den späteren Rhetoren,^) entsprach aber der Weise der Kriegsführung und
der Gewohnheit der alten Historiker. Gestritten hat man in unserer Zeit
viel, ob Thukydides dabei vom natürlichen Jahr oder von dem Kalender-
jahr ausgegangen sei. Die Natur der Sache begünstigt die erstere Annahme,
da man sich ja auch in den Operationen nicht nach den Wirren des dama-
ligen Kalenders, sondern nach der Norm der Natur wird gerichtet haben.*)
222. Thukydides gilt mit Recht als der grösste Historiker des Alter-
tums. Er brachte zur Geschichtsschreibung eine reife, aus eigener prakti-
scher Thätigkeit stammende Kenntnis der Staatsgeschäfte und des Kriegs-
wesens mit. Sein aufgeklärter Geist war frei von jeder religiösen Be-
fangenheit und erhaben über die engherzigen Parteivorurteile der Politiker
gewöhnlichen Schlages. Die mit prüfendem Blick erkannte und auf un-
parteiischer Erkundigung beruhende Wahrheit war das höchste Ziel seiner
Geschichtsschreibung, vor dem seine innere Empfindung und seine Hinneigung
zur aristokratischen Regierungsform zurücktreten mussten. Der Grösse der
Zeit und des Gegenstandes entsprach die Grösse seiner Seele, die Hohes
') In diesen Abschnitten war denn auch ' seines Verfahrens veranlasst, da andere —
Thukydides auf ältere Quellenschriftsteller an- j und unter diesen wird gewiss Hellanikos
gewesen sein — eine Erzählung nach Ar-
chonten wünschten.
^) Die zweite Meinung wird vertreten
durch Unger, Das Kriegsjahr des Thukyd..
im Philol. 43, 577 ff. und 44, 622 ff., die
erste unter andern durch Wilamowitz, Curae
Thucydideae, Gott, 1885. Über den natür-
lichen Frühlingsanfang ist allerdings einige-
mal (II, 103. in, 116. IV, 52. VII, 19) hin-
übergegriffen, aber das erklärt sich aus stilisti-
schen Rücksichten. DiechronologischeSchwie-
gilt der Tereussage und scheint durch das : rigkeit bezüglich des Anfangs des Krieges
Interesse an dem sophokleischen Stück her- und des Anschlags auf Platää II, 2 kommt
vorgerufen zu sein. ; ohnehin hier nicht in Betracht, da hier das
^) Hart urteilt Dionys. de Thucyd. 9 u. überlieferte ^vo ^rjvccg mit Vömel und Krüger
epist. ad Pomp. 3. Schon Thukydides selbst in &' ^urjpag, d. i. TsanaQKc firjvag gebessert
sah sich im Eingang der Fortsetzung seines werden muss.
Geschichtswerkes V, 20 zur Hechtfertigung [
gewiesen, und zwar hat er in dem Abschnitt
über Sikilien den Antiochos ausgebeutet,
wie durch feine sprachliche Beobachtungen
\VöLFFLi]>5, Antiochos von Syrakus und Coelius
Antipater, Leipz. 1870 zur Gewissheit er-
hoben hat. In dem 1. B. hat er Herodot,
Hellanikos und eine chronikartige Aufzeich-
nung benützt, worüber Köhler, Über die
Archäologie des Thuk., in Comm. in honor.
Momms. 270-7.
Eine ähnliche kürzere ICpisode II, 29
294
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode,
und Grosses auch mit dem entsprechenden Massstab zu beurteilen verstand
und sich namentlich in der ebenso scharfen als grossartigen Charakteristik
der handelnden Hauptpersonen kundgibt. Als Mittel dazu dienten ihm die
Reden, welche er seinen Staatsmännern und Feldherrn in den Mund legt
und die man mit Recht als die eigentlichen Glanzpunkte seines Werkes
bezeichnet hat. Wie er dieselben aufgefasst haben wollte, hat er selbst
I, 42 klar ausgesprochen: o<icc \xlv ^oyo) dnov sxaarot rj ixäXXovrsq, ttoXs-
Hrjaeiv rj iv avToi r^rj ovtsQj ^aXinov ttjv axqißsiav avrrjv twv Xsx^svtmv
6iafjivrifxov6V(Sai -ijv sfioi ts cor avrog rjxovcfa xal zoTg aXXo&sv nod^ev iixol
ciTtayysXXovtyiv (og S'ccv iSoxovv ifioi exacfroi ttsqI tmv asl Tiaqovtoav rd
Ssovra ixccXiar' slnsiv, sxofjisrfo ort eyymara Trjg ^vjiiTidarjg yvcofir^g toov dXrj^wg
Xexd-tvTfjöv^ ovTMg el'qijrai. Wir haben also in den eingelegten Reden nicht
so sehr Proben der rednerischen Fertigkeit der sprechenden Personen, als
des Thukydides selbst zu erkennen. i) In den Reden, sowie in dem langen
Zwiegespräche der athenischen Gesandten und der melischen Behörden
(V, 85 — 111) erkennen wir zumeist die Reife des politischen Urteils unseres
Historikers, zugleich aber auch die oft recht hartherzigen Grundsätze,
welche damals die athenische Politik leiteten. Die Ereignisse selbst schildert
Thukydides mit ruhiger Objektivität, 2) zugleich aber mit einer Anschaulich-
keit, durch die wir die Dinge selbst mitzuerleben glauben. 2) In dieser
Kunst lebensvoller Schilderung, die am glänzendsten in der ergreifenden
Darstellung des sikilischen Feldzugs hervortritt,*) erkennt man den Ein-
fluss des attischen Theaters. Durch das Gefallen an dramatischer Dar-
stellung Hess sich selbst unser Geschichtsschreiber in einigen Partien, wie
in der Erzählung von den Kämpfen um Platää, über die Linie streng kriti-
scher Darstellung zur phantasie vollen, halb romanhaften Ausmalung der
Dinge verführen.'') Auf der anderen Seite kann als wahres Muster einer
^) Entgegen den Worten des Thukydides
selbst nimmt H. Welzhofek, Tkukydides und
sein Geschichtswerk, München 1876, genaue
Wiedergabe der gehaltenen Reden an. Be-
achtenswert ist, dass die 2 Wendungen,
welche Aristoteles Rhet. p. 1365 a, 31 und
1411a, 1 aus dem Epitaphios des Perikles
anführt, nicht in der berühmten Leichenrede
des Perikles bei Thuk. II, 35 — 46 stehen;
vielleicht stammten dieselben aus Perikles'
Leichenrede von 439. Selbst in den Ur-
kunden hielt sich Thukydides nicht ängst-
lich genau an den Wortlaut der Originale,
wie dieses aus dem wieder aufgefundenen
Bruchstück des Ol. 89, 4 mit Argos, Man-
tinea und Elis geschlossenen Bundesvertrages
hervorgeht, worüber Kiechhoff, Herrn. 12,
368 ff. Über den Charakter der Reden des
Thukydides s. Blass, Att. Bereds. P, 203 ff.
Seinem Grundsatz entsprechend führt Thu-
kydides die Reden ein mit Totale (nicht
wie Herodot rd^eyAeyei; vgl.j Schnorr v.
Carolsfeld, Über die Reden bei Sallust
S. 1 ff. u. 75 ff,
^) Die Objektivität zeigt sich besonders
darin, dass er den Empfindungen des Ge-
fühls Schweigen gebot und selbst mit dem
Ausdruck lobender Anerkennung äusserst
kargte. Uns will die erbarmungslose Staats-
räson, welche er bei der grausamen Ver-
gewaltigung der Melier seinem Athener ohne
ein Wort der Missbilligung in den Mund legt
(V, 105), zu objektiv und kalt erscheinen.
2) Plut. de glor. Athen, p. 347a: 0ov-
xv(^l^r]q cisl rio '/-6y(p TTQog javxrjy df^ctXXärai
Tijy evdqysiav , olov &earrjp noirJGai xov
dxQoarrjv xal xä yevofASva ttsqI xoi^g oQMvxaq
sxTi'krjxxLxä xal xaqaxxixd nd&r} xoTg dva-
yiviäaxovaiv ifSQydaaaS^ai 'ki)(vev6fxsvog.
^) Plut. Nie. 1 : inl xalg dcrjy^asai (sc.
xiop 2:ixsXix(x)y) SovxvM^rjg avxog avxov nsgl
xavxa 7iax^7]xixi6xaxog, svagyeaxaxog yevo-
fXBvog dfXifxrjXMg eS.syrjP0X8.
^) Müller-Strübtng, Die Glaubwürdig-
keit des Thukydides, geprüft an seiner Dar-
stellung der Belagerung von Platää, Jahrb.
f. Phil. 131, 289 ff. Ein starker geographi-
scher Irrtum bezüglich der Lage des Vor-
gebirgs Maleia in Lesbos findet sich III, 4.
Die schweren Angriffe, die Müller-Strübing
namentlich in seinem Buche Aristophanes
und die historische Kritik, gegen die Ünvoll-
ständigkeit und Parteilichkeit unseres Histori-
kers vorgebracht hat, prüft und widerlegt
2. Die Geschichtsschreibung, c. Thukydides. (§ 222.) 295
gedrängten kritischen Geschichtsschreibung die sogenannte Pentakontie oder
der kurze Überblick über die athenische Geschichte in den 50 Jahren vor
Beginn des peloponnesischen Krieges (I, 89 — 118) gelten. Im Gegensatz
zu den vielschreibenden Dichtern und Logographen jener Zeit hat er seine
Thätigkeit um eine grosse Aufgabe konzentriert und in dieser selbst seinen
Ruhm in gedrängtem Gedankenreichtum, nicht in voluminösem Umfang ge-
sucht. Mit berechtigtem Selbstgefühl nennt er I, 22 sein Werk ein xTrjfjia
sg del fxccXXov rj dycovKTf^ia ig ro TiaQaxQrjficc dxovsiv.
Die sprachliche Darstellung entspricht der Schärfe und Tiefe der Ge-
danken. Die Glätte und Rundung des Ausdrucks verschmähte er, wäre ihm
auch, selbst wenn er sie gewollt, schwerlich gelungen. Die häufigen Hyperbata,
Sinnkonstruktionen und Anakoluthien, die verschränkte Wortstellung, der be-
liebte Gebrauch des genetiven Infinitivs zur Bezeichnung der Ursache haben
ihren Grund in einer gewissen Unbeholfenheit und in dem übermässigen
Streben, die Fülle der zuströmenden Gedanken in wenige Worte zusammen-
zufassen. Manchmal glaubt man in dem schwerfälligen Satzbau das Werden
des Werkes aus wiederholten Zusätzen und Selbstbesserungen zu erkennen.
Dionysios de Thuc. 24 bezeichnet ihn als Hauptvertreter der avarrjQa xal
axorsiVTi £xg)Qa(ng, und schon dem Cicero erschienen seine Reden schwer-
verständlich, i) Von den Neueren hat etwas derb Fr. A. Wolf von einem
Feldwebelstil unseres Historikers gesprochen. Aber man darf nicht übersehen,
dass er der erste namhafte attische Prosaiker war und mehr wie die Späteren
mit der Sprödigkeit des sprachlichen Stoffes zu ringen hatte. ^) Auch
fällt ins Gewicht, dass er den grössten Teil seines Lebens ausserhalb Athens
im Barbarenland verlebte und so die grosse Stilentwicklung der attischen
Dichter und Redner in den letzten Decennien des 5. Jahrhunderts nicht
mit durchmachte.^) Jedenfalls hat er trotz der Härte seines Stiles durch
die Gedankentiefe und Reife des politischen Urteils grosse Anerkennung bei
den nachfolgenden Generationen gefunden: Philistos, Sallust, Prokop eiferten
ihm nach;*) Dionysios fand sich mit seiner abfälligen Kritik zahlreichen Be-
wunderern gegenüber, welche den Thukydides für den grössten aller Historiker
hielten.^) In der römischen Kaiserzeit hat man auch sein Werk zu kommen-
tieren begonnen. Didymos schrieb eine Vita, die wahrscheinlich den Eingang
eines Kommentars bildete;*^) Numenios verfasste Hypotheseis, Sabinos und
Heron unter Hadrian Hypomnemata, hauptsächlich vom rhetorischen Stand-
punkt.'') Aus dem Studium der Kommentatoren stammen die nicht seltenen
Edm. Lange, Zur Frage über die Glaubwürdig- I ■') Dionys. de Thuc. 2.
keit des Thukydides, Jahrb. f. Phil. 135 ! ^) Meier, Opuso. II, 61 und M. Schmidt,
(1887) S. 721- 48. j Didijmi fracjm. p. 384.
^) Cic, Orat. 30: ipsae illae contiones \ '') Hauptausg. der Scholien von F. Haase,
ita multas hahent oh^^^curas abditasque sen- j ed. II, Paris 1846. Neue Scholien aus einem
tentias, vix ut intellegantur. Vgl. Brutus 83. Codex von Patmos publizierte Sakkelion,
-) Ein Zeichen der üngelenkigkeit liegt
auch in der zahlreichen Anwendung und Neu-
bildung von Verbis denominativis.
'') Müller, Gr. Litt. l[\ 140.
^) Ahnlich ausgerüstet von Natur war
auch der grosse römische Historiker Tacitus,
über dessen Verhältnis zu Thukydides s.
Lehrs, Pop. Aufs.- 450 ff.
Reime de philol. 1877 p. 182—8. Doberentz,
De scholüs in Thucydidem, Halle 1876;
E. Schwabe, Quaestiones de Thuc. scholio-
ruvi fontibus, Leipz. Stud. IV, 67 ff. ; Altinger,
De rhetoricis in orationes Thucyd. scholiis,
München. Progr. 1885. Citiert sind in den
Scholien Antyllos (ob aus Didymos verderbt?),
Asklepiades, Phoibammon (4. Jahrb.).
296 Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
Interpolationen, wie die moralisierenden Betrachtungen des Kapitels III, 84,
die aber schon von den alten Kritikern durch den Obelos als unecht be-
zeichnet wurden.^)
Codd. bilden 2 Familien; die eine vertreten durch Laur. 69, 2 s. X (C) und Monac.
sive Augustanus 430 (F), die andere durch Vatic. 126 s. XI (B), der aber selbst nicht
durchweg der gleichen Rezension folgt. Dass Stephanos Byz. noch einen reineren Text
hatte, beweist Niese, Herrn. 14, 423 ff.
Ausgaben: cwm diversorum comment. (Hudson, Wasse, Düker) ed. Poppo, Lips. 1821 ff..
11 vol.; desselben Poppo edit. minor, neubesorgt von Stahl 1883, 4 vol.; comment. Göller,
ed. II, Lips. 1836, 2 Bde. — Kritische Ausgabe von 1mm. Bekker, Berlin 1821, 3 vol.;
edit. min. gleichfalls mit kritischem Apparat 1868; von Haase, Par. 1846 (1868); — rec. et
annot. Herwerdmn, Lips. 1877, 5 Hefte. — Thukyd. I. I et II ed. A. Schöne, Berol. 1874
mit Scholien u. kritischem Apparat. — Ausgaben mit erklärenden Anmerkungen von Krüger,
3. Aufl., Berl. 1861; von Classen in Weidm. Samml.; von Böhme-Widmann bei Teubner.
Lexicon Thucyd. von Betant, Genf 1843; Index Thucydideus von v. Essen, Berlin
1887. Gute Übersetzung mit inhaltreichen Anmerk. von Heilmann, Lemgo 1833.
d. Xenophon (um 434 bis nach 359). 2)
223. Xenophon, den die Historiker wie die Philosophen zu den
Ihrigen zählten, war Sohn des Gryllos und der Diodora und entstammte
einer wohlhabenden Ritterfamilie des Demos Erchia. Sein Geburtsjahr wird
nicht angegeben; ausgehend von der Überlieferung,^) dass Sokrates in der
Schlacht von Delion (424) den vom Pferde gesunkenen Xenophon gerettet
habe, und dass Xenophon selbst 90 Jahre alt geworden sei^) setzte das-
selbe Krüger auf 444 an. Aber da Xenophon in der Anabasis noch als
junger Mann erscheint,^) so verwarf Cobet, Nov. lect. 534 ff. jene Über-
lieferung von der Errettung des Schülers durch den Lehrer als tendenziöse
Erfindung und Hess im Einklang mit Athen, p. 216 d, wonach Xenophon
im J. 421 noch ein Knabe war, unseren Autor um 434 geboren sein.^)
In der Jugend schloss sich derselbe an Sokrates an; der hatte ihm einst
in einem Engweg die Frage vorgelegt, nov xaXol Tcayad-ol yivovTai ccv^qw-
noi; und ihm dann, als er um die Antwort verlegen war, zugerufen: snov
Toivvv xal nävd^avsJ) Aber so warm er auch seinem edlen Lehrer anhing,
so fühlte er sich doch mehr zum praktischen Leben hingezogen und trat
durch Vermittelung seines Freundes Proxenos in die Dienste des jün-
geren Kyros.'^) Als dieser in der Schlacht von Kunaxa (401) gefallen
und die hellenischen Führer von den Persern hinterlistig ermordet worden
') Sehr weit geht in der Aufstöberung
von Interpolationen Müllee Stkübing, Thu-
kydideische Studien, Wien 1881, wonach
ganze Partien, wie z. B. die von der Er-
mordung der Lesbier (HI, 35-50) erst später
von andern zugesetzt sein sollen.
2) Biographie in Diog, II, 49-53, neben
Avelcher der Artikel des Suidas nichts neues
enthält. Diogenes geht auf Demetrios Magnes
zurück, der sein Hauptmaterial aus Dinarch's
Rede für Aischylos, einen Freigelassenen
des jüngeren Xenophon, schöpfte; s. Wila-
2)hon, son caractere et son talent, Par.
1873; RoQTJETTE, De Xenophontis vita, Kö-
nigsberg, Diss. 1884, wozu Stahl im Philol.
Anz. 1886.
^) Diog. II, 22; Strab. p. 403.
*) Ps. Lucian, Macrob. 21.
^) Vgl. besonders Anab. III. 1. 14. 25;
VI, 4. 25.
^) Habtmann, Analecta Xenophonten,
Leiden 1877 geht mit dem Geburtsjahr auf
425 herab.
') Diog. II, 48 und Strab. p. 403.
MOwiTz, Phil. Unt. IV, 330—5. Die Briefe «) Anab. III, 1. 4 ff. Nach Philostr
der Sokratiker 18—22 sind eine mit Vor- Vit. soph. I, 12 hatte er den Proxenos, der
sieht zu benützende Quelle. — Krüger, De
Xenophontis vita, in dessen Histor.-philol.
Stud. II, 262 ff. ; F.Ranke, De Xenophontis
dort Hvog aQ/caog heisst, in Böotien als
Kriegsgefangener gehört, was ein Pendant
zu der Anekdote von der Schlacht bei Delion
vita et scriptis, Berl. 1851; Croiset, Xeno- \ zu sein scheint.
2. Die Geschichtsschreibung, d. Xonophon. (§ 223-224.) 297
waren, leitete er selbst mit staunenswerter Klugheit und Unerschrockenheit
den Rückzug der 10,000 mitten durch Feindes Land. An dem Hellespont
angekommen, Hess er nicht bloss die Geretteten in das Heer der Spartaner,
die bereits die Befreiung der kleinasiatischen Griechen vom Joche der
Perser begonnen hatten, eintreten, sondern Hess sich auch selbst im wei-
teren Verlauf der Dinge bestimmen, mit Agesilaos nach Griechenland gegen
die Feinde der Spartaner zu ziehen. An der Schlacht von Koronea (394)
gegen die mit Athen verbundenen Thebaner nahm er, wenn auch nicht als
Kämpfender, teil. Infolge dieser seiner Verbindung mit den Feinden des
Vaterlandes wurde er wegen Hochverrats von den Athenern verurteilt.^)
Die Lakedämonier hingegen entschädigten ihn, der mit der Verbannung
jedenfalls auch seine Güter in Attika verloren hatte, durch Verleihung eines
Landgutes in Elis bei dem Städtchen Skillus.^) Dort lebte er mit seiner
Frau Philesia und seinen zwei Söhnen Gryllos und Diodoros in friedlicher
Zurückgezogenheit, litterarischen Arbeiten und den Freuden des Landlebens
hingegeben, bis die Kämpfe der Thebaner und Lakedämonier ihn aus dieser
Ruhe wieder aufscheuchten. Nach der Schlacht von Leuktra wurde er
aus Skillus verjagt (370) und rettete sich mit Mühe nach Korinth. Von
hier aus trat er wieder in gute Beziehungen zu seiner Vaterstadt, die sich
damals mit den Lakedämoniern gegen Theben verbunden hatte. Der Ver-
bannungsbeschluss wurde förmlich aufgehoben;^) er selbst zwar nahm an
den Kämpfen keinen Anteil mehr, aber er Hess seine beiden Söhne in die
athenische Reiterei eintreten. Von diesen starb Gryllos bei Mantinea den
Heldentod (362).^) Den Tod des Sohnes überlebte der Vater noch um
einige Jahre; sicher starb er erst nach 359, in welches Jahr die in Hell.
VI, 4. 36 gemeldete Ermordung des Tyrannen Alexander von Pherä fällt, ^'')
vielleicht auch erst nach 355, wenn anders die Schrift IIoqoi mit Recht
ihm beigelegt wird. Nach Diogenes II, 56 starb er in Korinth; danach
scheint er also trotz der Aufhebung des Verbannungsbeschlusses nicht
mehr nach Athen zurückgekehrt zu sein.
224. Xenophon wird von seinem Biographen Diogenes II, 48 ein
avYiQ 8vSaifio)i' T€ xal eveiSeataTog dg vitsQßohp' genannt; er kann als Re-
präsentant der von den Griechen zuoberst in der Reihe der Tugenden ge-
stellten xaXoxccycc^ia gelten, indem er körperliche Schönheit und geistige
') Das Jahr der Verbannung steht nicht | denselben Eubulos. Die Sache selbst, nicht
fest, scheint jedoch vor die Schlacht bei | bloss die Person des Antragstellers wird
Koronea gesetzt werden zu müssen. Nach i bezweifelt von Cobet, Nov. lect. 757 f.
Paus. V, 6. 3, Dio Chrys. or. VIII in.. Diogen. ■*) Diog. II, 54 erzählt die schöne Anek-
II, 51 wurde er infolge seiner Beteiligung ; dote, wie Xenophon, dem beim Opfern die
am Zuge des Kyros als eines Feindes der Nachricht vom Tode seines Sohnes überbracht
Athener verbannt; wahrscheinlich war auch | wurde, anfangs den Kranz vom Haupte nahm,
hierauf in dem Verbannungsbeschluss, den \ dann aber, als er vernommen, dass sein Sohn
nach Istros bei Diog. II, 59 Eubulos be-
antragte, Bezug genommen. Sicher erfolgte
die Verbannung weder während des Zuges
noch unmittelbar danach; das erhellt aus
Anab. V, 3. 6 f. u. VII, 7. 57.
^) Eine Schilderung desselben Anab. V,
3. 7 ff.; vgl. Paus. V, 0. 5 f.
") Nach Istros bei Diog. II, 59 durch
erst nach tapferer Gegenwehr gefallen sei,
denselben wieder aufsetzte. Auf den Helden-
tod des einen der Dioskuren wurden Tau-
sende von Enkomien abgefasst nach Aristo-
teles bei Diog. II, 55.
■*) DiodorXVl, 14 berichtet dieselbe zum
Jahr 357; s. aber Schäfer, Demosth. I, loo
An. 2.
298 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Begabung auf das schönste in seiner Person vereinigte. Von praktischem
Thatendrang erfüllt, verschmähte er die blosse Stubengelehrsamkeit und
dürre Spekulation; auf der anderen Seite aber entbehrte er der schöpferi-
schen Originalität, um im Denken und Handeln sich zu hohen Idealen zu
erheben. Ein schwarzer Fleck in seinem Leben bleibt der Mangel an Vater-
landsliebe. Die Abneigung gegen die athenische Demokratie und die Vor-
liebe zum aristokratischen Lakedämon teilte er mit Piaton und anderen
Sokratikern; aber keiner von diesen war so weit wie er gegangen, dass
er in den Reihen der Feinde seinen Landsleuten gegenübertrat. Mit Ent-
rüstung hat ihn deshalb ein deutscher Patriot ^ den ausgeartetsten Sohn
genannt, den jemals ein Staat ausgestossen habe. In religiösen Dingen
ging seine Anhänglichkeit an das Alte bis zur Beschränktheit; namentlich
huldigte er in dem Glauben an die Macht der Opfer und den Seherblick
der Wahrsager ganz den abergläubischen Meinungen der Menge. Gerade
dieses hat aber später in der römischen Kaiserzeit viel zur Erhöhung seines
Ansehens beigetragen ; das Hauptansehen indes verdankte er der bezaubern-
den Schönheit seiner Sprache, die immer neue Nachahmer hervorrief und
für die Blüte des Attikismus galt.-) Er hiess die attische Biene ^) und auf
seinen Lippen soll die Göttin Peitho gesessen haben.*) Am meisten Lob
verdient die Rundung und Durchsichtigkeit seines Satzbaues, in dem sich
die ganze Klarheit und einfache Bestimmtheit seines Geistes widerspiegelt.'')
Nach Diogenes II, 56 hat er an die 40 Bücher (nicht Schriften) hinter-
lassen;^) alle dann von Diogenes namentlich aufgezählten Schriften sind
auch unversehrt auf uns gekommen,') darunter manches unechte. Die-
selben gehören zum grösseren Teile dem Gebiete der Geschichte an, andere
der philosophischen Litteratur, Nationalökonomie und Taktik.
225. KvQov avdßaaig in 7 B.^) hat den Namen von dem kleineren
ersten Teil (I, 1 — 6), in welchem der Zug des Kyros vom Meere zu dem
höher gelegenen Asien beschrieben ist. Den Hauptgegenstand aber bildet
die von Xenophon geleitete Heimkehr der 10,000 Griechen nach der Schlacht
von Kunaxa. Die Kühnheit und die geschickte Ausführung dieses Unter-
nehmens, dem sich der Rückzug des Generals Moreau durch die Pässe
^) NiEBUHR, Kl. Sehr. T, 4G7. | ^) Die erhaltenen Schriften machen zu-
sammen 37 B. aus, wenn man aber die Ein-
teilung der Hellenika in 9 B. zu Grunde,
legt, 39; von der letzteren Zahl lässt daher
Wachsmuth, Rh. M, 34, 334 den Diogenes
ausgehen.
') Nicht erhalten ist uns die von Stobaios
Flor. 88. 14 erwähnte Schrift ttsqI Geoyvi^og,
''^) Nach Suidas hatten über seinen Stil
gehandelt Harpokration tieqi tmv tkxqk Ss-
pofpMVTi <jvvxd'is(x)v, ferner Heron, Zenon, Me-
trophanes, Theon, Tiberios. Auch Ps. Longin
de subl. 8 spricht von einer Schrift, die er
über Xenophon geschrieben habe.
•^) Suidas u. Seyocpujy. In den Wort
formen entfernte er sich indes vielfach von | deren Echtheit neuerdings Immisch, Xenophon
dem strengeren Attikismus des Aristophanes, ! über Theognis, in Comment. Ribbeck 71--98
indem er z. B, Innslg statt Inmjg schrieb. [ zu erweisen sucht.
Vgl. H. Sauppe in Proleg. seiner Ausg. ' ^) Die Einteilung in Bücher rührt von
p. XV.* später Hand her, von derselben auch die
*) Cic. Orat. 32 u. G2; Quint. X, 1. 82; j über den Inhalt orientierenden Einleitungen
Diog. II, 57; Tac. dial. 31. ! zu Anfang jedes Buches; vgl. Birt, Ant.
'") Vgl. Dionys. ep. ad Pomp. 4: Sspo- \ Buch. 464 ff. Arrian las jene einleitenden
(jpöji/ 'Uqo^oxov ^rjliorrjg iyeysro xai' dfAcpo- Interpolationen noch nicht in seinem Exem-
TSQovg Tovg xaQuxrrJQag j6p ts TTQayiuanxoy plar, da er die Bücher seiner Anabasis ohne
■/(d roy XsxTixuy. jede Einleitung beginnt
ä. Die Geschichtsschreibung, d. Xenophon. (§ 225-226.)
2Ö9
des Schwarz waldes im Jahre 1796 zur Seite stellen lässt, üben die vor-
züglichste Anziehungskraft des Werkes. Unter den historischen Aufzeich-
nungen des Altertums dürften unserer Anabasis nur die Kommentare
Cäsars über den gallischen Krieg den Rang streitig machen. Die Darstel-
lung gibt Xenophon wie später auch Cäsar so, dass er von sich immer in
der dritten Person redet, *) offenbar um so der Erzählung den Schein
grösserer Objektivität zu verleihen; einigemal (T, 8. 6. 18. V, 4. 34)'^) wird
sogar eine Ansicht mit Xeyovai rivsg eingeführt, wo der Verfasser recht
gut die Sache ohne dieses Mäntelchen hätte erzählen können. Daraus geht
hervor, dass Xenophon die Schrift ohne Nennung seines Namens in die
Welt schickte. Auffällig aber ist, dass er Hell. III, 1. 2 sogar einen anderen,
Themistogenes aus Syrakus, als Verfasser derselben bezeichnet. Danach
hat er dieses sein schönstes und anziehendstes Werk nicht bloss anonym,
sondern sogar pseudonym erscheinen lassen. Denn dass von diesem Zug
ausser von Xenophon und dem Stymphalier Sophainetos, dessen Anabasis
der Geograph Stephanos von Byzanz 4mal citiert,^) auch noch Themisto-
genes eine eigene Darstellung gegeben habe, ist wenig glaubwürdig.*)
Sicher hat das Altertum, wie man aus Plutarch, de glor. Ath. 1 und
Tzetzes Chil. VII, 930 sieht, nur an Pseudonymität gedacht. ■'^) Verfasst
wurde die Anabasis von Xenophon wohl erst, nachdem er durch den Besitz
von Skillus Müsse zu litterarischen Arbeiten gefunden hatte, wie auch die
Schilderung dieses Landsitzes Anab. V, 3. 9 wahrscheinlich macht.*^) Ein
neuerer Forscher') glaubte sogar aus den Imperfekten in der Schilderung
der religiösen Volksfeste in Skillus, wie snoist ^vaiav, jusTfTxov zrjg eogrijc,
folgern zu müssen, dass Xenophon zur Zeit der Abfassung Skillus schon
wieder verlassen habe. Aber ein solcher Schluss ist nicht zwingend, und
die angegebene Stelle der Hellenika zeigt, wofür auch die jugendliche Frische
der Darstellung spricht, dass die Anabasis zu den frühesten Schriften unseres
Autors gehört.
226. KvQov naiösia in 8 B. ist eine Art historischen Tendenz-
romanes, indem darin der ältere Kyros als Muster eines rechten Herrschers
aufgestellt wird. Die Abweichung von der historischen Treue geht bis zur
Fälschung allbekannter Thatsachen.^) Während Kyros, wie jedermann aus
') Nur in dem unechten Schlusskapitel
VII, 8. 25, steht die erste Person sTrijk^ouey.
'^) Die Echtheit der beiden ersten Stellen
wird von Cobet und andern Kritikern be-
zweifelt, vielleicht mit Recht; das Xeysrai
von II, 2. 6 hat nichts auffälliges,
^) Steph. unter A'«(>(fotJ;^o6, Tdo^oi,^voxoi,
XciQfxdv^i]. Benützt scheint diesen und viel-
leicht auch den Ktesias Diodor XIV, 19—31
durch Vermittlung desEphorosan denjenigen
Partien zu haben, die von Xenophon ab-
weichen.
■*) Die entgegengesetzte Meinung ver-
tritt ScHENKL, Xenophontische Studien, Stzb.
d. Wien. Ak. 1868 S. 635 ff. Suidas erwähnt
von diesem Themistogenes ausser der Ana-
basis noch (lila rii'd ttsqI rrjq tccvToii tkctqi-
^og. Zweifellos erweist der Stil, dass die
uns erhaltene Anabasis von Xenophon selbst
verfasst ist.
^) Dunkel bleibt das ccllri yeyQamai
Anab. II, 6. 4 von einer Sache, wovon
Xenophon nirgends in seinen Schriften etwas
geschrieben hat.
^) Ganz verlässig ist dieser Schluss des-
halb nicht, weil möglicherweise, wie Bergk,
Gr. Litt. IV, 313 annimmt, jener Passus über
Skillus ähnlich wie der Epilog der Kyropädie
erst später bei einer Neuausgabe des Buches
zugefügt wurde. Von Bedeutung ist auch,
dass Xenophon I, 8. 26 auf die persische
Geschichte des Ktesias, die sicher erst 398
erschien. Rücksicht nimmt.
'') ScHENKL a. 0.
^) Auch ohne ersichtlichen Zweck ver-
kehrt Xenophon den Thatbestand, indem er
300
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode,
Herodüt I, 214 wissen konnte, eines gewaltsamen Todes in dem Kampfe
gegen die Massageten gestorben war, lässt ihn Xenophon Cyr. VIII, 7 sanft
liinüberschlummern, nachdem er noch zuvor den Göttern geopfert und in
langer Rede von seinen Kindern und Freunden rührenden Abschied ge-
nommen hatte. 9 T)em Titel nach sollte man bloss eine Darstellung der
Erziehung des Kyros erwarten, das Buch gibt aber eine Geschichte des
ganzen Lebens jenes Herrschers. Der Titel will eben von vornherein die
Tendenz des Buches andeuten, dass nämlich die Erfolge des Königs und
seine guten Regierungsmaxime in der richtigen Erziehung ihre Wurzel
gehabt haben. 2) Der Gedanke gerade in Kyros das Ideal eines rechten
Herrschers zu zeichnen ist vielleicht nicht erst in dem Kopfe unseres
Xenophon zuerst entstanden. Wir erfahren wenigstens aus Diogenes VI,
16, dass auch der Sokratiker Antisthenes einen Dialog Kvgog rj ttsqI ßaoi-
Xsiag geschrieben hat; freilich ob vor oder nach Xenophon, lässt sich nicht
so leicht entscheiden, zumal die Abfassungszeit der Kyropädie selbst nicht
ausgemacht ist. Von dem Epilog VIIT, 8, worin die Entartung der da-
maligen Perser und ihr Abfall von der alten Sitte (Tiaidsia) dargethan wird,
steht allerdings fest, dass er nicht vor 364 geschrieben sein kann;^) aber
derselbe wird von namhaften Kritikern für unecht erklärt und scheint jeden-
falls erst nachträglich, sei es nun von Xenophon selbst oder einem anderen
zugefügt zu sein.*) Die Überlieferung des Gellius XIV, 3, dass Xenophon
mit seiner Kyropädie ein Gegenstück zu der ersten Ausgabe der platoni-
schen Politeia habe liefern wollen, setzt voraus, dass das xenophontische
Werk vor der uns erhaltenen Politeia des Piaton verfasst wurde.
227. Die ^EXX^jvixcc in 7 B.'^) enthalten die griechische Geschichte
von 411 bis 362 oder von dem Zeitpunkt, wo das Werk des Thukydides
endigte, bis zur Schlacht von Mantinea. Das Werk fängt ganz abrupt mit
jjiSTd 6t xama an, will also sicher in seinem ersten Teil nur eine Fort-
setzung oder Ergänzung des unvollendeten Werkes des Thukydides bieten.
Aber auch der fade Schluss ^J^ioi f^itv örj fi^xqi romov y^acptfr^M, rd 6t
f^ifTa Tavra l'aoK dlXoi /tfArVff" sieht nicht so aus, als ob der Verfasser
selbst sein Werk zum Abschluss gebracht habe. Doch es fehlt nicht bloss
ein kunstvoller Eingang und Schluss, das ganze Werk ist trotz einiger
gelungenen Partien weit entfernt von der feinen Durcharbeitung der Ana-
basis und Kyropädie. Da nun Xenophon an demselben, wie wir aus einer
z. B. I, 1, 4 und VIII, 7. 20 Ägypten, wel-
ches erst Kambyses unterwarf, bereits durch
Kyros dem persischen Reiche einverleibt
werden lässt.
\) Schon Cicero epist. ad Quint. I, 1, 8
bemerkt: Cyrus üle a Xenoplionte non ad
historiae fklem scriptus, secl ad effigiem iusti
imperii. Vgl. Dionys. ep. ad Pomp. 4: Kv-
Qov TKiiöeUa^. Eiy.6in< ßaoiXecog aycu9ov xal
evd\dfxovog.
'^) Cyr. I, 1, 6: noia Tui tku^sUc nai-
JevS^slg Toaovrov Sirjvsyxev sig to ciQ)^eiv ur-
^oomiov. Von Einfluss für die Benennung
war aber hier, wie ähnlich bei der Anabasis,
zumeist, dass die Darstellung mit der nut-
6elci KvQov begann.
^) In die letzten Regierungsjahre des
Artaxerxes (gestorben 362) setzt Diodor XV,
92 die in jenem Epilog erwähnte Roheit des
Rheomitres.
^) Für unecht erklärten den Epilog
Valckenaer und F. A. Wolf; s. Schenkl,
Jahrb. d. Phil. 1861, S. 540 ff. Beckhaus,
Ztschr. f. Gymn. XXVI, 226 ff. schreibt dem
jungen Xenophon den Epilog zu; ähnlich
Bergk, Gr. Litt. IV, 312.
•^) Daneben existierte eine Ausgabe in
9 B., wie aus den Citaten des Harpokration
Schäfer, Jahrb. f. Phil. 1870, S. 527 nach-
gewiesen hat.
2. Die Geschichtsschreibung, d. Xenophon. (§ 227—228.) 301
gelegentlichen Bemerkung zu VI, 4. o6 sehen, noch über das Jahf o59
hinaus arbeitete, so ist man zur Annahme gedrängt, dass er dasselbe nicht
zur Herausgabe als Ganzes abgerundet, nicht die letzte Feile an dasselbe
angelegt hat.') Auf solche Weise sind in demselben auch die Spuren ge-
blieben, welche auf Abfassung der einzelnen Teile zu verschiedenen Zeiten
hinführen. Niebuhr'^) hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass, wenn
es am Schlüsse des 2. Buches von den unter sich ausgesöhnten Parteien
Athens heisst eti xal vvr o^iov %€ TCoXiTevovrai xal toig oQxoig sjjiiitvsi ö
^rj{.iog, Xenophon unmöglich zur Zeit der Schlacht bei Mantinea, nachdem
jene Aussöhnung längst vergessen und ganz andere Verhältnisse eingetreten
waren, noch so habe schreiben können. Er nahm deshalb an, dass Xeno-
phon zuerst nur die 2 ersten Bücher als Fortsetzung des Thukydides ge-
schrieben habe. Weiter gingen Neuere, indem sie auf den stärkeren Ein-
schnitt nach V, 1 und die stilistische Verschiedenheit der einzelnen Teile
hinwiesen.^) Die ersten 2 Bücher oder genauer I, 1 — II, 3. 10 führen in
annalistischer Form und trockenem Ton sine ira et studio die Geschichte
des peloponnesischen Krieges zu Ende; sie waren ursprünglich bestimmt,
mit dem Werke des Thukydides als Supplement desselben herausgegeben
zu werden. Daran schliesst sich in freierer und lebhafterer Darstellung
und mit entschiedener Parteinahme für Sparta die Erzählung der Ereignisse
bis 387 oder bis zum Frieden des Antalkidas. Dieser Abschnitt ist gewisser-
massen eine Verherrlichung der Politik des Agesilaos und scheint von
Xenophon um 384 in dankbarer Anerkennung der von Agesilaos erhaltenen
Wohlthaten abgefasst zu sein.^) Mit V, 4 wird zur Darstellung des Miss-
brauchs, den die Spartaner Theben gegenüber von ihrer Macht machten,
mit einem neuen Proömium in der Art übergegangen, als ob hier ehedem
ein neues Buch begonnen habe. Ob die Schlussredaktion oder die Zu-
sammenordnung der zu verschiedenen Zeiten geschriebenen und wahrschein-
lich auch herausgegebenen Teile von Xenophon selbst herrührt, ist schwer
zu entscheiden. Sicher von späterer Hand sind noch zur Ergänzung und
chronologischen Fixierung Glosseme in nicht geringer Zahl hinzugekommen.'')
228. Der 'AyrjaiXaog, eine Lobrede auf den verstorbenen König
') Grosser. Jahrb. f. Phil. 93 (1866), | Xen. Hellenika, Progr. des Berliner Sophien-
721 ff-.; 95, 737 tf.; 105, 723 ff. sucht die j gymn. 1881; vgl. Roquette, S. Gl, der mit
Hellenika als einen späteren Auszug zu er- Dittenberger, Herrn. XVI, 330 auch Eigen-
weisen, worauf insbesondere auch das «X^»? ! tümlichkeiten des Sprachgebrauchs (nament-
yeyQC(7iicci der Anab. II, 6. 4 hinzuweisen
scheine, da er dort etwas verspricht, was
in unseren Hellenicis nicht steht. Zuvor schon
lieh von ,M»?V) für die Scheidung verwertet.
^) Hell. IV, 3. 16 wird die Schlacht von
Koronea genannt ol'a ovx ((XX)] tiop y' i(p'
hatte Kyprianos, ti€qI xiov 'EXXrjyixcou rov rj^iuv, was nach der Schlacht von Leuktra
aei'o(fo)VTog, Athen 1859. den Gedanken i nicht mehr recht zutraf; aber derselbe Aus-
einer Epitome ausgesprochen. Dem tritt mit druck kehrt wieder im Agesilaos 2, 9, der
gesundem Urteil Vollbrecht, De Xenophon- \ sicher nach der Schlacht von Leuktra ab-
tis Hellenicis in epitomen non coactis, Hann. j gefasst ist. Die Ansicht von Leutsch, Phil.
1874 entgegen. Dass die den Agesilaos be- | 33, 97, dass Xenophon die ersten 4 Bücher
treffenden Abschnitte uns nicht im Auszug j unter dem Pseudonym Kratippos veröffent-
erhalten sind, dafür haben wir eine Garantie licht habe, widerlegt RiJHL, Jahrb. f. Phil,
an der Lobrede auf Agesilaos. 1883, S. 738 f. Auf Hell. V, 1. 36, nimmt
'"*) Niebuhr, über Xenophons Hellenika, Isokrates Paneg. § 139 Bezug.
Kl. Sehr. I, 464 ff. ^) Unger, Die historischen Glosseme in
^) Nitsche, Über die Abfassung von Xen. Hellenika, Sitzb. d. b. Ak. 1882.
302
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
Agesilaos, hängt mit den Hellenicis eng zusammen; waren doch diese in
ihrem Hauptteile der Verherrlichung der politischen Ziele und der krie-
gerischen Tüchtigkeit des ausgezeichneten Mannes gewidmet. Nachdem
derselbe im Winter 361/60 auf der Heimkehr von dem ägyptischen Feld-
zug gestorben war, regnete es förmlich Enkomien auf ihn.^) Zu diesen
gehört auch die uns erhaltene, von Cicero, epist. ad. fam. V, 12. 7 über-
schwenglich gepriesene Schrift, in welche aus Xenophons Hellenicis ganze
Abschnitte fast wörtlich herübergenommen sind. 2) Ob Xenophon wirklich
Verfasser der Lobrede sei, ist zweifelhaft.^)
^l€QO)v, eine kleine Schrift von verwandtem Charakter, referiert ein
Gespräch des Dichters Simonides mit dem älteren Hieron über den Vorzug
des Lebens eines Privatmannes vor dem eines Tyrannen und über die
Mittel, mit denen ein Herrscher sein Land glücklich machen kann. Die
Schrift hängt wohl mit Beziehungen zusammen, welche Xenophon zu dem
Hofe des Dionysios, an dessen Tafel ihn Athenaios p. 427 f. sitzen lässt,
unterhielt; aber unsicher ist es, ob man dabei an den Aufzug der Ge-
sandten des älteren Dionysios bei den olympischen Spielen des J. 384 oder
an die Thronbesteigung des jüngeren Dionysios im J. 367 zu denken hat.^)
229. Die 'Anoiivriiioreviiaxa ^mxqcctovq (Memorabüia Socratis) in
4 B. haben dem Xenophon den Ruhm eines Philosophen eingetragen, sind
aber in der That nur allgemein verständliche Denkwürdigkeiten aus dem
Leben des Sokrates ohne tieferen philosophischen Gehalt. Veranlasst waren
dieselben durch die Verunglimpfungen des Sophisten Polykrates, der um
394 eine Anklagerede gegen Sokrates geschrieben hatte. ^) Gleich im Ein-
gang führen sie sich als eine Verteidigungsschrift gegen die ungerechten
Beschuldigungen der Ankläger, nicht sowohl des Anytos und Meletos, als
eben jenes Sophisten ein. Sie stehen also auf einer Stufe mit Piatons
Apologie; aber während Piaton die Form einer Verteidigungsrede des an-
geklagten Sokrates wählte, spricht Xenophon in eigener Person, indem er
an die Anklagepunkte anknüpfend ein allgemeines Lebensbild des weisen
Lehrers entwirft. Die Treue des Bildes brachte es mit sich, dass die Dar-
stellung fast ganz in Gesprächen sich bewegt, ^0 da ja Sokrates im Gegensatz
zu den Sophisten gerade auf diese Weise seine Gedanken mitzuteilen liebte.
Gewiss waren auch damals schon manche sokratische Gespräche ans Licht
^) Isoer. epist. 9, 1.
''^) Die kleinen Abweichungen sind be-
achtenswert; sie zeigen, dass inzwischen der
Einfluss des Isokrates Fortschritte gemacht
hatte, indem der Hiatus zwar nicht ganz,
aber mit grösserer Sorgfalt als früher ver-
mieden ist.
^) Anstoss erregt insbesondere der hi-
storische Irrtum I, 6, dass Agesilaos als
junger Mann {tn v8og ixip) den Thron be-
stiegen haben soll, während er thatsächlich
damals bereits 40 Jahre alt war. An den
Enkel des Xenophon denkt auch hier Beck-
HAUS, Ztschr. f. Gymn. 26, 225 ff. Nach
einem Citat bei Ath, 138 e erkannte Polemon,
der berühmte Antiquar, die Schrift als xeno-
phontisch an. Vgl. Nitsche, Jahrber. d. Alt.
V, L 31 ff.
4) NiTSCHE, Jahrber. d. Alt. V, 1. 25 ff.
erklärt sich für die zweite Annahme und
widerlegt Sitzlek, der die Echtheit auch
dieser Schrift bezweifeln wollte.
^) Über jene Schrift s. Isocrates Bus. 5
und Schol. Aristides III, 480 D. Das Ver-
hältnis der Memorabilien zu derselben ward
aufgedeckt von Cobet, Nov. lect. 661 ff. und
gegen Breiten bach's Einwände (Jahrb. f.
Phil. 99, 301 ff. u. 115, 455 ff.) verteidigt
von ScHENKL, Xenoph. Stud. II, 1 ff.
^) Ein wichtiges Kapitel III, 9 über die
Identität von Tugend und Wissen ist refe-
rierend gehalten.
2. Die Geschichtsschreibung, d. Xeuophou. (§ 229.)
303
getreten und wollte Xenophon zum Teil aus eigener Erinnerung, zum Teil
nach Mitteilung anderer weitere Beiträge zum ehrenden Andenken des ein-
zigen Mannes liefern. Wenn dabei öfters in den Gesprächen über dieselbe
Sache andere Personen bei ihm als bei Piaton erscheinen, so hat das an
und für sich nichts auffälliges, da ja Sokrates über die Vorbildung des
Staatsmannes, über das Schöne, über die Gottesfurcht u. a. mit vielen wird
gesprochen haben. Eher können die Ideen von der Zweckmässigkeit der
Weltschöpfung, von der göttlichen Vorsehung und der Gottähnlichkeit der
Menschenseele in I, 4 und IV, 3 befremden, da dieselben der Entwicklung
der griechischen Philosophie gewissermassen vorzugreifen scheinen. Im
allgemeinen aber machen die Denkwürdigkeiten unseres Xenophon den Ein-
druck grösserer Objektivität und treuerer Wiedergabe der Wirklichkeit als
die Dialoge Piatons. Es liegt dieses schon darin, dass Xenophon kein
philosophischer Kopf war und deshalb weniger in die Versuchung kam,
eigene spekulative Ideen den Gesprächen des Sokrates zu unterlegen. Frei-
lich hinderte ihn auf der anderen Seite jener Mangel an philosophischer
Anlage vielfach, den eigentlichen Kern der sokratischen Lehre zu begreifen, i)
Der Abfassungszeit nach gehören die Denkwürdigkeiten zu den frühesten
Schriften Xenophons. Nach dem 22. Briefe der Sokratiker wurden sie zu
Megara geschrieben, womit ausgesprochen scheint, dass ihre Abfassung
vor die Belehnung des Xenophon mit Skillus fiel;-) jedenfalls sind sie vor
dem Gastmahl, also vor 384 abgefasst.
Das 2van6aiov ist gewissermassen eine Ergänzung der Denkwürdig-
keiten, indem damit Xenophon den Sokrates nun auch in der heiteren Ge-
selligkeit eines Mahles vorführen wollte.^) Das Mahl war an den Pana-
thenäen von dem reichen Kallias zu Ehren seines Lieblings Autolykos, der
einen Sieg im Pankration errungen hatte (422), gegeben worden; Sokrates,
Antisthenes und einige andere waren als Gäste geladen. Das Mahl wird
so geschildert, wie derartige Gelage in reichen Häusern gewesen sein mögen:
neben dem philosophischen Tischgespräch und der Rede des Sokrates über
die Liebe nehmen die Tänzerinnen, der Spassmacher und die Lauten-
spielerinnen einen übermässig breiten Raum ein. Nirgends zeigt sich der
Abstand des Piaton und Xenophon stärker als in der Vergleichung der
beiden Symposien: dort geniale Phantasie und Tiefe der Spekulation, hier
nüchterne Prosa und platte Alltäglichkeit. Dass wir in ihnen Gegenstücke
von Rivalen vor uns haben, ist unzweifelhaft; aber ob zuerst Xenophon oder
zuerst Piaton mit seinem Gastmahl hervorgetreten sei, darüber sind die
Meinungen der gewiegtesten Kenner geteilt. Auf der einen Seite scheint
sich Xenophon, Conviv. 8. 32 mit eigrjxs Ilavaaviag auf Piaton, Symp. 178c
zurückzubeziehen; auf der anderen Seite aber hätte sich derselbe doch einer
') Zeller, Gesch. d. Phil. 11*, 1. 236 ff.;
Sehr weit geht in der Ausscheidung von an-
geblich Unechtem Kohn, Sokrates und Xeno-
phon, 1875. Dagegen F. Dümmler, Acade-
mica, 1889; Joel, Xenophons Verhältnis zur
echten Sokratik, 1890.
'^) Die Glaubwürdigkeit des Briefes wird
abgewiesen von Bentley, Epist. Phaler., in
Opusc. 54. In der Bemerkung über die Be-
rechtigung der Mantik, Mem. I, 1 , 8 ovtb tw
(TtQcatjyixco dtjXoi^ si ovfj.cpeQei OTQairjysTy
könnte man eine Rückbeziehung auf die be-
kannte Erzählung in Anab. KI, 1. 5 er-
blicken.
^) Conviv. I, 1 : (<XX' i/uol (^oxei tmu
xctXuiv xdycid^MP (iy&güij/ tgya ov fxovoy tC
fxsxd anovd^g TJQatxofXEva (c^iofiytjuui^evT«
eivat dXXd xccl rd iy xccTg n(ad\cag.
3Ö4
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
unerhörten Selbsttäuschung hingegeben, wenn er geglaubt hätte, dem pla-
tonischen Gastmahl mit dem seinigen Konkurrenz machen zu können.^)
Der ülxoro^uixög ist eine Ergänzung zu den Denkwürdigkeiten des
Sokrates, wie der Verfasser selbst gleich im Eingang andeutet. Die kleine,
anziehende Schrift enthält ein Gespräch des Sokrates mit Kritobulos und
Lochomachos über die beste Führung des Hauswesens, besonders in Bezug
auf den Ackerbau. Cicero hat dieselbe ins Lateinische übersetzt.-) Der
abrupte Eingang rjxovaa 6t' tioh-, der an dem ähnlichen des Symposion sein
Analogon hat, veranlasste einige schon im Altertum, das Schriftchen als
5. Buch der Denkwürdigkeiten auszugeben.^) Aber die Person des Sokrates
ist hier viel freier gezeichnet, indem Xenophon, ähnlich wie das Piaton in
seinen Dialogen zu thun liebte, seine eigenen Gedanken dem Sokrates
unterlegt.^)
Die'ÄTioXoyia ^coxQcxTovg TTQog Tovg dixuardg enthält eine weitere
Ausführung des Schlusskapitels der Denkwürdigkeiten, steht aber hinter
der Kunst der übrigen Schriften Xenophons zurück und scheint demselben
von einem Späteren, vielleicht seinem Enkel, untergeschoben zu sein.^)
230. Von den übrigen kleineren Schriften Xenophons gehören mehrere
dem Zwischengebiet von Geschichte und Politik an:
Die AaxsS ccip.ovi(x)v TcoXixsia ist im Geiste der Kyropädie und zur
Empfehlung des spartanischen Königtums geschrieben. Sie sucht den Grund
der Macht und des Ansehens des kleinen Staates in der Verfassung des
Lykurg, gibt aber zugleich im Epilog (c. 14—15) zu, dass die Gesetze des
Lykurg nicht mehr in voller Kraft bestehen, und dass nur die Stellung
der Könige die gleiche geblieben sei. Auf die Abfassungszeit im Beginn
des athenischen Seebundes (378) führt die Bemerkung 14, 6, dass früher
die Hellenen Spartas Führerschaft sich erbeten hätten, jetzt aber zu einander
Gesandtschaften schickten, um eine neue Herrschaft Spartas zu verhindern.")
Nach Diogenes II, 57 hat Demetrios Magnes diese und die folgende Schrift
für unecht erklärt; diese Bemerkung scheint sich aber in der Vorlage des
Diogenes lediglich auf den Staat der Athenei bezogen zu haben. Nur das
letzte Kapitel von den Königen Spartas sieht wie ein ursprünglich nicht
^) Die Priorität des Xenophon behauptet
von BöCKH, De simuUate quae inter Pla-
tonem et Xenopliontem intercessisse fertur,
Ber. 1811 = Kl. Sehr. IV, 5 ff., und von
IIuG, Philol. 7, 638 ff. und in Ausg. von
Plat. Sympos. ; die umgekehrte Meinung
vertreten von K. Fk. Hermann, Num Plato
an Xenophon convivium suum prius scrip-
serit, 1835 u. 1841, neuerdings mit sprach-
lichen Gründen von Schanz, Herm. 21, 458.
Vgl. ScHENKL, Xen. Stud. II, 46.
'-) Vgl. Cic. de,,off. II, 24. 87. Sonder-
barerweise soll die Übersetzung Ciceros nach
Servius zu Verg. Georg. I, 43 drei Bücher
umfasst haben; s. Schenkl, Xen. Stud. III, 5.
^) Galen, Comm. in Hippocr. de artic.
I, 1 : OIL tO ßiß'Aior TOVTO XMV ^LCOXQCiTlXÜjip
icn ofAvrj^uov ei\uia cov iaii t6 ta/«Toi\ Ebenso
Stob. Flor. 55, 19.
^) C. Lincke dachte deshalb an starke
Interpolationen durch den jüngeren Xeno-
phon, den Sohn der Gryllos, der nach Photios
bibl. 260 Schüler des Isokrates war.
'') Verworfen von Valckenaer zu JVIem.
I, 1, dem Enkel zugeschrieben von Beck-
haus a. 0., in das 2. Jahrh. v. Chr. ver-
wiesen von Schenkl, Xen. Stud. II, 146 f.
Dass umgekehrt der Schluss der Memorabilien
aus der Apologie genommen sei, suchen
nachzuweisen Geel, De Xen. apologia, Lei-
den 1836, und R. Lange, De Xen. quae
dicitur apologia, Halle, Diss. 1873. Vergl.
HuG im Anhang zu Köchly's Reden I, 430 ff.
^) Diese Abfassungszeit ist aaf den Epilog
beschränkt und das übrige in 387 — 5 gesetzt
von Naumann, De Xenophontis libro qui
AaxedaiuoiniOi' nohTsl« inscrihitar , Berlin
1876.
2. Die Geschichtsschreibung, d. Xeuophou. (§ 230.)
301
zur Sache gehöriges Anhängsel aus. Polybios aber, wenn er VI, 45 den
Xenophon von der Verwandtschaft der kretischen Verfassung mit der
spartanischen reden lässt, scheint keinen vollständigeren Text unserer
Schrift vor Augen gehabt, sondern nur ungenau referiert zu haben, i) Die
Schrift in ihrer heutigen Gestalt war eine Hauptquelle Plutarchs im Leben
Lykurgs und in den Lakedämonischen Einrichtungen.
Die ^A^rjvaio)^' nolixsia ist ein Seitenstück zum Staat der Lake-
dämonier, ist aber viel älter, wahrscheinlich das älteste Denkmal attischer
Prosa, und von einem ganz anderen Geiste durchweht. Die Abfassung der-
selben wird von Kirchhoff ^) mit Wahrscheinlichkeit in das J. 424 gesetzt,
fiel sicher vor 413 oder vor die Auflösung der athenischen Seeherrschaft.
Ihr Verfasser ist im Grunde des Herzens ein Feind der Demokratie, zeigt
aber vom Standpunkt eines Realpolitikers, wie der Staat der Athener, nachdem
nun einmal die Demokratie zu Recht bestehe, regiert werden müsse und in
der Hauptsache auch wirklich regiert werde. Man könnte die Schrift eine Re-
lation nennen, welche ein Proxenos über die athenische Demokratie an eine
auswärtige aristokratische Regierung erstattete; im Ton und in einzelnen
Wendungen erinnert sie stark an die sokratischen Gespräche, weshalb Cobet
geradezu annahm, dass sie ursprünglich die Form eines Dialoges gehabt
habe.^) Leider ist dieselbe in sehr zerrüttetem Zustand auf uns gekommen.*)
Der eigentliche Verfasser ist schwer mehr zu eruieren; Böckh'') hat an
den Aristokraten Kritias, Müller-Strübing an Phrynichos gedacht.
UoQoi ij 716qI TCQoa 66(üv ist der Titel einer interessanten Schrift,
der wir mannigfache Belehrung über das athenische Finanzwesen verdanken ;
sie ist eine Gelegenheitsschrift, in der Xenophon Mittel angibt, wie den
schlechten Finanzen der Stadt bei dem drohenden Abfall der Bundesgenossen
abgeholfen werden könne. Die Zeitverhältnisse, aus denen die Vorschläge
erwachsen sind, führen nach Cobets Auffassung (Nov. lect. 756 ff.) auf das
Jahr 356/5. Andere ^) gehen, anknüpfend an 5, 9, wo von der versuchten
Verdrängung der Phoker aus der Vorstandschaft des delphischen Orakels
die Rede ist, bis auf 346 herab. Ist die letztere Meinung richtig, dann ist
nicht Xenophon der Verfasser, der damals bereits tot war, sondern irgend
ein Parteigänger der Friedenspolitik des Eubulos.")
') Auf einen Auszug schliesst aus jener
Stelle Cobet, Nov. lect. 707. Aristot. Polit.
VII, 14, p. 1333b, 18 nennt unter denjenigen,
welche über den Staat der Lakedämonier
geschrieben haben, nur den Thimbron mit
Namen ; neuerdings verteidigte die Echtheit
Naumann a. 0.
^) Kirchhoff, Über die Schrift vom
Staat der Athener, Abhdl. d. Berl. Ak. 1874
lind 1878. M. Schmidt, Memoire eines Oli-
garchen in Athen über die Staatsmaximen
des Demos, Jena 1876, setzt die Schrift in
j 430/29, Müller-Strübing, Die attische Schrift
I vom Staat der Athener, Philol. Suppi. IV,
j 1 ff. in 417-414, und so im wesentlichen
' auch Bergk, Gr. Litt. IV, 238 An. 7.
^) Belehrend ist zum Vergleich die poli-
tische Diskussion, welche Thukydides 5,
Handbuch der klass. Altorlumswissenschaft. VII. 2
85 — 113 zwischen den Meliern und den Ab-
gesandten der Athener geführt werden lässt.
^) Eettig, Über die Schrift vom Staate
der Athener, Zeitsch. f. österr. Gymn. 1877
S. 241 ff.; L. Lange, De prUtina libelU de
rep. Ätheniensium forma restituenddy Leipz.
1882, u. Leipz. Stud. V, 395 ff.
^J Böckh, Staatshaushaltung der Athener
I^ 432, indem er sich auf ein Citat des
Kritias bei Poll. VIII, 25 = Rep. Ath. 3, 6
stützt, über die ganze Schrift in ihrer Stel-
lung zur Zeit handelt R. Scholl, Über die
Anfänge einer politischen Literatur bei den
Griechen, akad. Rede, München 1889.
<5) Hagen, Eos II, 149; Holzapfel, Philol.
40, 242 ff.
') Schon Onken, Isokrates und Athen
S. 90 hat die Schrift für unecht erklärt.
Aufl.
20
306 Griechische Literaturgeschichte. I. Klassische Periode.
231. Mit der speziellen Kenntnis und Liebhaberei des Xenophon hängen
folgende kleinere Schriften zusammen:
Der ^iTTTTccQxiyiog^ geschrieben für einen Reiterführer, gibt fromme
und sachgemässe Anweisungen zur Verbesserung der athenischen Reiterei.
Der Hinweis auf die mit den Athenern verbundenen Lakedämonier (9, 4)
und auf den drohenden Einfall der Böotier (7, 3) führt auf die Zeit kurz
vor der Schlacht bei Mantinea.
IIsQi iTTTvixrjQ ist nach dem Hipparchikos, der am Schluss (12, 14)
citiert wird, geschrieben. Wie jene Schrift für einen Reiterobersten bestimmt
war, so diese für einen gemeinen Kavalleristen {Idiornj Innst); sie gibt
praktische Ratschläge für Ankauf und Schulung des Pferdes, sowie für
Ausrüstung des Reiters. Aus 1, 3 und 11, 6 ersehen wir, dass schon vor
Xenophon ein gewisser Simon über denselben Gegenstand geschrieben hatte;
aus des letzteren Schrift wird das in den Geoponika 19, 5 unter dem falschen
Namen des Xenophon angeführte Kapitel stammen.
Der KvvrjysTixog enthält das Lob der Jägerei und viele praktische
Anweisungen für die Abrichtung der Jagdhunde. Sehr hübsch wird gegen
Schluss das Waidwerk als Vorschule des Kriegsdienstes gepriesen und der
Wortklauberei der Sophistik entgegengesetzt. Das Werk wird von dem
Grammatiker Tryphon bei Athen. 400a als xenophontisch anerkannt, weicht
aber im Stil und hyperbolischen Ausdruck stark von der Schlichtheit des
Xenophon ab, so dass man es demselben entweder ganz absprechen oder
in eine jüngere Periode seiner Schriftstellerei verlegen muss. ^)
Angehängt endlich sind den Werken des Xenophon 7 Briefe, deren
ünechtheit schon Bentley, Opusc. 54, erwiesen hat.
Scholien sind zu Xen. so gut wie keine erhalten, da die von Dindorf veröffent-
lichten das wegwerfende Urteil von Cobet Nov. lect. 546 verdienen. Die handschriftliche
Überlieferung ist zu den einzelnen Büchern verschieden; durchweg aber haben wir nur
verhältnismässig junge Codd.; die besten sind: zur Anabasis Paris. 1640 (C) v. J. 1320,
der aber auf einen Cod. s. IX zurückgeht (Hug, De Xen. anab. cod. C, Turici 1878); zur
Cyropädie Marc. 511 s. XII, Paris. 1640 (C), 1635 (A); zu Hellen. Paris. 1738 (B), 2080
(G), 1642 (D), Marc. 368 (M); zu Memorab. Paris. 1302 s. XIII (enthält nur 1. I u. II) u.
1740. Kritischer Apparat in der Oxforder Ausg. Dindorf's 1857; bereichert in der Ausg.
von ScHENKL, Berl. bis jetzt vol. I u. II, dazu Mitteilungen über die benützten Codd. in
Xen. Stud., 3 Hefte.
Gesamtausgabe von J. G. Schneider, Lips. 1790-1849, 6 vol. (einzelne Bände be-
arbeitet von Bornemann) ; rec. et comment. instr. Bornemann, Kühner, Breitenbach, Gotha
1828, 4 vol.; ed. G. Sauppe, Lips. 1865, 5 vol. — Anab. em. Cobet LB. 1859; Hell. eni.
Cobet, Amst. 1862. — Expeditio Cyri und InstiHiHo Cyri rec. Hug., Lips. 1878, bedeu-
tendste kritische Ausgabe mit Facsimiles des Cod. Paris. 1640. — Anabasis mit erklärenden
Anm. von Krüger, 6. Auflage 1871; von Vollbrecht bei Teubner; von Rehdantz-Carnuth
bei Weidmann. — Cyropaedie von Breitenbach bei Teubner; von Hertlein-Nitsche bei
Weidmann. — Hellenika von Breitenbach bei Weidmann; von Büchsenschütz bei Teubner;
von ZuRBORG u. Grosser bei Perthes; von E. Kurz, München 1874 (dazu Progr. des Ludw.
Gym. 1875); von 0. Keller, Lips. 1888. — Memor. mit Anm. von Kühner bei Teubner;
von Breitenbach bei Weidmann. — De reditibus lihellus, rec. Zurborg, Berl. 1876. —
Die Echtheit verteidigt der verdiente Heraus- j aus Cobet, Nov. lect. 774, und Roquette
geber der Schrift Zurborg, De XenopJiontis \ a. 0. Auffällig ist der dem Xenophon sonst
lihello qui IIoqoi inscrihitur, Berl. 1874; ! fremde Gebrauch des Infinitiv absolutus in
ebenso Maüvig, Adv. crit. I, 364, der das j dem Sinn eines Imperativs. Sittl, Gr. Litt,
chronologisch anstössige snsiQwvxo 5, 9 in ' 11, 462 findet Anzeichen späteren Ursprungs
7tetQ(x)i'To bessert. auch in der Form der Aeneassage 1. 15.
'} Für eine .Jugendschrift sprachen sich
2. Die Geschichtsschreibung, e. Geschichtswerke. (281—234.)
307
Xen. qiii fertur libellus de repuhlica Athenieimum, rec. Kikchhoff, Berl. 1874. — Lexi-
logus Xenophontis von G. Saüppe, Lips. 1808.
e. Die kleineren und verlorenen Geschichtswerke.
232. Antiochos von Syrakus war Verfasser einer ^ixekiMTig avy-
yQccifi'j in ionischem Dialekt, welche mit dem König Kokalos begann und
bis auf das Jahr 424 oder den Frieden von Gela herabgeführt war. Die-
selbe, noch von Thukydides ^) benützt, ward später durch die berühmteren
Werke des PhiJistos und Timaios in Schatten gestellt und war schon zu
Strabons Zeit verschollen. Länger erhielt sich sein Buch 'iraXiag ohio^xög, von
dem uns durch Dionysios von Halikarnass, Strabon und Stephanos von
Byzanz noch manche Angaben erhalten sind. 2)
233. Ktesias von Knidos aus dem Geschlecht der dortigen Asklepiaden
war um 415 in die Kriegsgefangenschaft der Perser geraten und verbrachte,
von den Königen wegen seiner ärztlichen Kunst hoch geehrt, 17 Jahre in
Persien. ^) In der Schlacht von Kunaxa befand er sich im Gefolge des
Artaxerxes und heilte den König von der ihm durch Kyros beigebrachten
Wunde.^) Später ward er vom König zu diplomatischen Sendungen an
Euagoras und Konon verwendet, wobei er um 398 wieder nach seiner Heimat
kam, um nicht mehr nach Persien zurückzukehren.^) Die reichen Kenntnisse,
die er sich vom Orient an Ort und Stelle durch den Verkehr mit dem persi-
schen Hof und durch das Studium der einheimischen Geschichtsbücher ^)
erworben hatte, legte er in seinen IIsqüixü^ einem umfangreichen, in ioni-
schem Dialekt geschriebenen Werk von 23 B. nieder. Dem Patriarchen
Photios Cod. 72 verdanken wir einen Auszug aus demselben.') Danach
behandelten die 6 ersten Bücher die assyrische und vorpersische Geschichte,
und gingen die folgenden Bücher bis auf das Jahr 398 herab. In der
Erzählung hofmeisterte Ktesias mit Vorliebe den Herodot, indem er den-
selben nicht bloss vielfach berichtigte, sondern geradezu als Lügner
hinstellte.^) Ein zweites Werk 'Tv6ixä gab im 1 Buch die ersten Nach-
richten von dem Wunderland Indien, besonders von seiner Tier- und
Pflanzenwelt. Auch von ihm hat uns Photios a. 0. einen Auszug er-
halten. Ausserdem wird von ihm ein geographisches Werk IlsQinXovg oder
Usoiodog erwähnt.^)
234. Aineias, der Taktiker, lebte zu gleicher Zeit mit Xenophon
und berührte sich mit ihm durch die gleiche Vorliebe für die praktische
') S. oben § 221.
2) Fragmente hi Müller FHG. 1, 181-4.
WöLFFLiN, Antiochos von Syrakus und Coe-
lius Antipater 1872.
•') Diodor 11, 32.
^) Xenoph. Anab. I, 8. 26.
■') Photios p. 44b nach Ktesias selbst.
^) Das waren die ßaaihxcd öicp&SQca des
Diodor 11, 32.
') Pamphila unter Nero verfasste nach
Suidas eine Epitome in 3 B. Ausser durch
Photios, der auf seine Gesandtschaftsreise
nach Persien den Ktesias als Reiselektüre
mitzunehmen besonderen Anlass hatte, ist
durch die ersten Bücher des Diodor und
Plutarch's Leben des Artaxerxes manches
von Ktesias auf die Nachwelt gekommen.
^) Aber vielfach gaben dem Herodot
die Monumente recht; s. Haug, Die Quellen
Plutarchs S. 88 f.
^) Fragmente gesammelt von C. Müller
im Anhang der Didot'schen Herodotausgabe
1858. Dazu kommen aber die Stellen, in
denen Ktesias bloss benützt, nicht citiert
ist, wie namentlich in Plutarchs Leben des
Artaxerxes. Spir. Lambros 'lajoQixd fxeXe-
Tij^uccTcc p. Gl — 68 teilt drei neue Bruch-
stücke der Indika des Ktesias mit.
20*
308 Griechische Litteraturgeschichte. 1, Klassische Periode.
Beschäftigung eines Kriegsmannes. Derselbe ist wahrscheinlich, wie be-
reits Casaubonus vermutete, identisch mit dem von Xenophon, Hell. VII,
3. I erwähnten Stymphalier Aineias. ^) Die von ihm erhaltene Schrift
TaxTixor vTTOfuvrjfjia 7T8qI tov Ticijg xQr] TToXioQxovfisvovg ävTtxeiv ist nur ein
Abschnitt eines grösseren, von Polybios X, 44 unter dem Titel Td tzsqI
Toov aTQaTt]yrjjj,ccTixcov vTiofjivrjiiiaTa aufgeführten Werkes. Die Regeln der
Taktik, die eine noch sehr niedere Stufe des erst unter den Diadochen
ausgebildeten Geniewesens erkennen lassen, werden durch zahlreiche Bei-
spiele erläutert, und diese geben dem Buche den Hauptwert. Nach ihnen
lässt sich auch die Abfassungszeit desselben dahin bestimmen, dass es in
den nächsten Jahren nach 860 entstanden ist. 2) Später machte Kineas,
der Feldherr des Königs Pyrrhos, von dem Werke einen Auszug, dessen
Arrian, Takt. 1, Erwähnung thut.
Ausgabe mit Polybios von Casaubonus, Par. 1609; neuere kritische Bearbeitung von
Herchek, Berl. 1870; von Hüg, Lips. 1874.
235. Philistos aus Syrakus, ^) der berühmte sikilische Historiker,
war schon herangewachsen, als der spartanische Feldherr Gylippos die Ver-
teidigung von Syrakus gegen die Athener leitete;^) später spielte er als
Parteigänger und Feldherr der beiden Dionysii eine hervorragende Rolle
in seiner Heimat. In den Kämpfen des Dion gegen den jüngeren Dionysios
kam er 357 um, sei es dass er sich nach seiner Niederlage zur See selber
entleibte, wie Ephoros und Diodor IV, 16 erzählen, sei es dass er gefangen
genommen und von den wütenden Gegnern unter schmählichen Insulten
ums Leben gebracht wurde, wie ein Augenzeuge bei Plutarch im Leben des
Dion c. 35 berichtet. Sein Geschichtswerk, 2ixshxd betitelt, begann er in
der Müsse der Verbannung, als er von dem älteren Dionysios infolge von
Zerwürfnissen aus Syrakus verwiesen worden war (386). Der erste Teil
{avvta'^ig) in 7 B. behandelte die ältere Geschichte Sikiliens bis zur Thron-
besteigung des ersten Dionysios (406); im zweiten Teil gab er zunächst
in 4 B. eine Geschichte des älteren Dionysios; dieser Hess er dann später
noch die Geschichte des jüngeren Dionysios von 366 — 362 in 2 B. nach-
folgen.^) Cicero^) nennt den Philistos ptisiUmn TJmci/didem;'') mit seinem
grossen Vorbild teilte er die gedrungene, jede Digression vermeidende Dar-
stellung, die aus eigener Erfahrung entsprungene Sachkenntnis und die
Belebung der Erzählung durch eingelegte Reden; aber er stand ihm weit
nach an mannhaftem Freiheitssinn; Dionysios in dem Brief an Pompejus
c. 5 wirft ihm die niedrige Gesinnung eines Tyrannenschmeichlers vor. Im
Stil und der rhetorischen Technik hatte er sich an seinem Lehrer Euenos
') Über diese neuerdings lebhaft behan-
delte Kontroverse s. Schenkl, Jahrber. d.
Alt. XII, 1. 261 ff.
'^) HuG, Aeneas von Stymphalos, Zur.
1877 nimmt d. J. 359-8, Gutschmid, Lit.
Centralbl. 1880 N. 18 d. J. 357-6 an.
^) Zwei konfuse Artikel des Suidas.
Körber, De Philisto verum Sicularum scrip-
tore, Bresl. 1874.
') Plut. Nie. 19.
^) Diodor 13, 103 u. 15, 89; Dionys.
ep. ad Pomp. 5. Suidas lässt das Werk aus
11 B. bestehen, indem er die spätere Fort-
setzung nicht berücksichtigt.
^) Cic. ad Quint. fr. II, 11. 4; ähnlich
Brut. 17, 66; de or. II, 13. 57; Quint. X,
1. 74.
^) Ähnlich Dionysius, Cens. vet. Script. 3,
2. In der Kunst durch passende Verbindung
auch gewöhnlichen Wörtern Glanz zu geben
vergleicht Longin de subl. 40 den Philistos
mit Aristophanes und Euripides.
2. Die Geschichtsschreibung, e. Geschichtswerke. (§ 235—237.)
309
aus Faros gebildet. Die Fragmente gesammelt bei Müller FHG. 1, 185 — 192 ;
IV, 639 f.
Eine Fortsetzung des Pbilistos lieferte Äthan as, der die Geschichte
des jüngeren Dionysios zu Ende führte und daran die des Dion und Timoleon
(362-337) reihte.
236. Die grossen Historiker, die wir bisher betrachtet, hatten sich
durch praktische Thätigkeit im Staats- und Kriegsdienst ihre Berechtigung
zur Geschichtsschreibung erworben. Gegen Ende unserer Periode begann
die Übung in der Redekunst für eine bessere Vorschule gehalten zu werden
als die Teilnahme am öffentlichen Leben: statt Staatsmänner treten nun-
mehr Rhetoren als Geschichtsschreiber auf. Das hat die griechische Historie
in falsche Bahnen geleitet. Die ganze Rhetorik hatte es nicht auf Wahr-
heit, sondern auf blendenden Schein abgesehen, und so konnte es nicht
fehlen, dass auch in der Geschichtsschreibung unter dem Streben nach
schönen Phrasen und geistreichen Wendungen die Sorgfalt in der Erforschung
der Thatsachen und die Unbestechlichkeit des Urteils litten. Die beiden
Hauptvertreter dieser rhetorisierenden Geschichtsschreibung waren Ephoros
und Theopompos. 1)
237. Ephoros aus Kyme'^^) im äolischen Kleinasien war nicht bloss aus
der Schule des Isokrates, in der er den Curs zweimal durchmachte,-^) hervor-
gegangen, sondern hatte auch von seinem Lehrer in der Beredsamkeit das
Thema zu seinem Geschichtswerk erhalten.*) Denn in der eigentlichen
Redekunst scheint er es nicht sehr weit gebracht zu haben; auch wird
von ihm nur eine einzige rhetorische Schrift, tisqI Xt'^sMg, und diese nur
gelegentlich einmal vom Rhetor Theon (Rhet. gr. H, 71 Sp.) angeführt.
Sein historisches Werk in 30 B. war die erste Universalgeschichte der
Griechen {laTOQiat xoivmv TjQa^sMv);^) sie begann mit der Rückkehr der
Herakliden als dem ersten beglaubigten Ereignis und ging herab bis auf
die Belagerung von Perinth (340). Dass gerade hiemit das Werk schloss,
daran scheint der Tod des Autors schuld gewesen zu sein. Denn jenes
Ereignis bezeichnet keinen einschneidenden Abschnitt in der Geschichte,
und Ephoros selbst hatte die ganze Regierung des Philipp und auch
noch den Zug des Alexander gegen das Perserreich miterlebt. Auch be-
sorgte nicht er, sondern sein Sohn Demophilos die Herausgabe des Ge-
saratwerkes, indem er zugleich im letzten Buch die Erzählung des heiligen
Krieges zu Ende führte. ^) Das vielgerühmte ') Werk war so angelegt,
dass jedes Buch mit einem eigenen Proömium anfing und einen in sich
0 Cicero de orat. II, 13. 57 u. III, 9.
36: ex clarissima rhetoris Isocratis officina
duo praes^tardes ingenio , Theopompus et
Ephorus, ah Isocraie magistro impulsi sc
ad historiam contulerunt; dicebat Isocrates
se calcaribus in Ephoro, contra auteni in
Theopompo frenis uti solere. Suidas u.
^i,(poQog: laoxQchrjg xov ^ev ecpt] ^aXtPov
Seixs&ui, TOP &6 ^Eq)OQoy xeyTQov.
-) Artikel bei Suidas. Makx, Epliori
f'itmaei fragm.. Karlsruhe 1815; Klügmann,
De Ep)horo historico graeco, Gott. 1860.
•^) Deshalb scherzweise M(foQog genannt
von Ps. Plut. vit. dec. orat. p. 837 e.
^) Ps. Plut. a. 0. : y-ccl t>;V vnö&eaiv
r^g /Qelag ccvrog vnsS^i^yaxo.
^) Dieses rühmend anerkannt von Polyb.
V, 33: E(poQOP xov TiQMXOv xal fxovov emßs-
ßXfjfieuop xd xar^oXov y^dcpeip.
«) Diodor XVI, 14; vgl. Ath. 232d.
') Polyb. VI, 45; XII, 28. loseph. c.
Ap. I, 12.
310
Griechische Litteratnrgeschichte. I. Klassische Periode.
abgerundeten Stoff behandelte.^) Neben den geschichtlichen Ereignissen
war der Geographie, zum Teil in Verbindung mit den Städtegründungen
eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt; 2) das 4. Buch hatte von seinem
geographischen Inhalt den Titel EvQomtj; Pseudoskymnos bekennt, seine
Darstellung von Hellas dem Ephoros entlehnt zu haben. In der Sammlung
des Stoffes war Ephoros, da der weitaus grösste Teil seines Werkes jen-
seits seiner eigenen Beobachtungen und Erinnerungen lag, auf die Benützung
der älteren Geschichtswerke angewiesen. Aus Herodot namentlich hat er
ganze Partien, wie man aus Diodor, der hauptsächlich dem Ephoros folgte,
entnehmen muss, fast wörtlich herübergenommen. ^) In der Benützung
seiner Quellen ist ihm Urteil und Wahrheitsliebe nicht ganz abzusprechen;
zu rühmen ist es besonders, dass er die genealogischen Fiktionen des
Hellanikos scharf zurückwies^) und die ganze mythische Zeit aus dem
Bereiche der Geschichte ausschloss. Aber die guten Vorsätze haben nicht
immer vorgehalten, indem er z. B., wie Strabon p. 422 tadelnd hervor-
hebt, die Mythen über den Kampf des delphischen Apoll mit dem Drachen
wie historische Thatsachen gläubig nacherzählte. Ausserdem mangelten
ihm die praktischen Kenntnisse eines Militärs, um die kriegerischen Opera-
tionen richtig darzustellen: ein guter Kenner, Polybios XII, 25, bezeichnet
seine Darstellung der Schlachten von Leuktra und Mantinea als geradezu
lächerlich, während er ihm die Anerkennung einer sachkundigeren Be-
schreibung der Seetreffen lässt. Der Stil unseres Autors trug etwas von
der Mattigkeit der Schulrhetorik an sich;"») gleichwohl ward er gern und
viel gelesen: an sein Werk knüpften die Historiker der Diadochenzeit an,
Diodor nahm es sich zum Muster und plünderte es nach seiner Art, andere
machten Auszüge aus demselben. Unter den letzteren scheinen die unter
seinen Werken von Suidas aufgezählten Bücher IIsqI ayad^wv aal xaxah'
und UaQado'^cov tcov ixa(/iaxov ßißXia is zu gehören. Ob die 2 Bücher
Erfindungen {e '(>?y/i«Ta)r ßißXia ß') auch aus den Historien ausgezogen
waren oder ein selbständiges Werk für sich bildeten, lässt sich schwerer
entscheiden. Fragmente bei Müller, FHG. I, 234—277.
238. Theopomp, ^) Sohn des Damasistratos aus Chios, geboren um
380, kam, aus seiner Heimat vertrieben, mit seinem Vater nach dem gast-
lichen Athen, von wo er erst im 45. Lebensjahre wieder nach Chios zurück-
kehren durfte. Nach Alexanders Tod von neuem in die Fremde gestossen,
wandte er sich an den König Ptolemaios in Ägypten, aber ohne bei dem-
selben eine freundliche Aufnahme zu finden. Wahrscheinlich ist er in der
^) Diodor V, 1 u, XVI, 76; es sind da-
her auch gewiss einzelne Bücher längst vor
Abschluss des Gesamtwerkes herausgegeben
worden.
'^) Daher besonders geschätzt von dem
Geographen Strabon VII p. 302, VIII p. 332,
IX p. 422.
^) Bauer, Benützung Herodots durch
Ephoros bei Diodor, Jahrb. f. Phil. Suppl. X,
279—342. Lysimachos hatte nach Euseb.
Praep. ev. X, 3 tjsqI EcpoQov y.lonrjg ge-
schrieben.
^) los. c. Ap. I, 3: 'EcpoQog 'EXXdvLxoi
EP loTg nXsiaroig xpev^ofMEvov inideixpixni
5) Dio Chrys. or. 18 p. 479 R; Suidi
u. 'E(foQog xcil Geönofinog: Tfjv de EQ^rjvsicii
irjg laroQtag vmiog xal ywS^Qog xal ^Tj&efxlcci
s/wp enlraoiv.
•^) Artikel des Suidas; Phot, cod. 176;[
Pflugk, De Theopompi Chii vita et scnx)tis\
Berl. 1827, wozu berichtigend Meier, Opusc.
II, 284 flf. ; Dellios, Zur Kritik des Geschichts-f
Schreibers Theopomp, Jen. Diss. 1880.
3. Die Geschichtsschreibung, e. Geschieh tswerke. (§288.) 311
Fremde auch gestorben. In jüngeren Jahren verfolgte er die Richtung
seines Lehrers Isokrates und trat in verschiedenen Städten mit Erfolg als
epideiktischer Redner auf. Insbesondere erhielt er in einem Panegyrikus
auf den König Mausollos von Karien den Siegespreis. Seine beiden grossen
historischen Werke waren die Hellenika in 12 B., welche, an Thukydides
anknüpfend, die Geschichte von 410 — 394 oder bis zur Schlacht von Knidos
behandelten, und die Philippika in 58 B., welche die Regierung des Königs
Philippos von Makedonien zum Mittelpunkt hatten, aber in zahlreichen
und ausgedehnten Digressionen die ganze Zeitgeschichte umfassten; so
enthielten dieselben 3 Bücher sikilische Geschichte (Diod. 16, 71), eine
Musterung der Demagogen Athens im 10. B., einen Abschnitt wunderbarer
Geschichten, einen Exkurs über die aus Delphi geraubten Schätze. Die
Philippika wurden später vom König Philippos III. unter Weglassung des
Fremdartigen in einen Auszug von 16 B. gebracht. Ausserdem verfasste
Theopomp oder ein anderer unter seinem Namen ^) eine Epitome des Herodot
in 2 B. Die 3 Werke scheinen dann später, ähnlich wie die Annalen und
Historien des Tacitus, zu einem Gesamtwerk von 72 B. vereinigt worden
zu sein.'-^) Untergeschoben aus Bosheit wurde unserm Historiker von dem
Rhetor Anaximenes die Schmähschrift TQixdgarog, worin alles Unheil
Griechenlands auf die Häupter der 3 Städte Athen, Sparta, Theben geladen
war. 3) Uns sind nur Fragmente und Auszüge erhalten; von der lateini-
schen Bearbeitung der Historiae Philippicae durch Trogus Pompeius ist
selbst hinwiederum nur die Epitome des Justinus auf uns gekommen. Wir
sind daher auch in der Charakterisierung des Theopomp wesentlich auf die
Urteile der Alten angewiesen. Die gehen aber stark auseinander: Dionysios
im Brief an Pompeius c. 6 rühmt an ihm die reine Diktion und markige,
an Demosthenes anstreifende Kraft der Darstellung, besonders aber das
Eindringen in die geheimen Motive der Handelnden. Polybios hingegen
findet an ihm viel zu tadeln, namentlich seine von Schmähsucht getriebene
Parteilichkeit in der Schilderung des Königs Philipp und seiner Genossen
und den Mangel an militärischen Kenntnissen in seinen Schlachtenberichten. ^)
Die damit in Verbindung stehenden langen Reden mitten in den Schlachten
veranlassten Plutarch, reip. ger. praec. 6, auf ihn den Vers des Euripides
anzuwenden: ovSt^ig aidr>Qov Tavia ^iMgahsi ntXaq. Mochte übrigens auch
Theopomp den Namen maledicefitissimus scriptor^) verdienen und in seinen
Darstellungen mehr den gewandten Rhetor als den erfahrenen Politiker
verraten, einer der bedeutendsten Historiker Griechenlands war er jeden-
falls doch. Davon zeugt schon der Umstand, dass er eifrigst von den
Späteren gelesen und benützt wurde; eine Hauptquelle war er namentlich
für die Paradoxographen und den Freund der chroniqiie scandaleuse, Athe-
naios, durch den uns auch die meisten Fragmente erhalten sind.
^) Voss, De hist. gr. 60 f. ' Jebb. Nach dem griechischen Vorbild dich-
'^) So erklärt sich die Angabe des Suidas tete der Römer Terentius Varro die Satire
'PiXimnxd ev ßißXloig oß', wie Müller FHG. TQixuQavog auf Pompeius, Cäsar und Crassus ;
I p. LXIX nachgewiesen hat. s. Riese, Varr. sat, Men. p. 232.
'') los. c. Ap. I, 24; Lucian Pseudol. 29; ^) Polyb. VIII, 11—18; XII, 25.
Paus. IV, 18. 5; Aristid. Romae cncom. p. 211 ; •') Corn. Nepos, Alcib. 11.
312 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Theoponipi fragni. coli. Wicherö, LB. 1829; Müller, FHG. I, 278—333; Bünger,
Theopompea, Argent. 1874, der besonders dem Sprachgebrauch Theopomps nachgeht.
239. Unbedeutender waren andere Historiker der gleichen rhetorischen
Richtung, die wir kurz aufzählen: Kephisodoros von Theben, Verfasser
einer Geschichte des heiligen Kriegs; Deimon von Kolophon, Verfasser
umfangreicher Persika, die bis auf die Eroberung Ägyptens durch Arta-
xerxes III (340) herabgingen; Theokritos aus Chios, Gegner des Theo-
pomp, von dem Suidas eine Geschichte Libyens und Wunderbriefe anführt
(Müller II, 86 f.); Asklepiades von Tragilos, Schüler des Isokrates, der
in den 6 Büchern TQaycndovfxsvun' die von den Tragikern auf die Bühne
gebrachten Mythen zusammenstellte (Fragmente gesammelt von Werfer,
Acta phil.Monac. II, 491 — 557, und Müller III, 301 — 6); Anaximenes aus
Lampsakos, Schüler des Zoilos und Diogenes, dem Victorius und Spengel die
unter dem Namen des Aristoteles laufende isxvri QrjTOQixt] nQog ^Als^avSqov
zugeschrieben haben, und der an geschichtlichen Werken ^EXlrjvixd von
der Götter Geburt bis zur Schlacht von Mantinea in 12 B., (I>iXi7i7iixä in
8 B. und ein Epos auf Alexander schrieb;^) Kallisthenes aus Olynth,
Schüler und Schwestersohn des Aristoteles, der Hellenika^) und Persika
verfasste, aber durch ein freies Wort sich den grausamen Zorn Alexanders
zuzog. ^) Ausser den Genannten stellten die Geschichte Alexanders dar:*)
Kleitarchos, Sohn des Deimon, von dem nach Quintilian X, 1. 74 mehr
das Talent der Darstellung als die historische Treue gelobt wurde; Ptole-
maios Lagu^) und Aristobulos, die Arrian in der Einleitung seiner
Anabasis als die zuverlässigsten Autoren preist, Marsyas von Pella, Ver-
fasser von Makedonika,^) Chares aus Mytilene, der als Zeremonienmeister
viel von dem Privatleben des Königs zu erzählen wusste, Eumenes und
Diodotos, Verfasser von Tagebüchern {i(friix8QiSeq) des Königs u. a. Die
Atthidenschreiber, die zum Teil auch noch unserer Periode angehören, werden
wir unten in Zusammenhang mit ähnlichen Werken der alexandrinischen
Periode besprechen.
240. Die Geographie und Ethnographie bildeten in der klassischen
Zeit noch nicht selbständige Wissenschaften für sich; sie waren der Ge-
schichte nicht bloss verschwistert, sondern machten geradezu integrierende
Teile derselben aus. Bei Hekataios, Herodot, Ephoros waren gelegentlich
interessante Mitteilungen über fremde Länder, Städtegründungen, Sitten
und Bräuche fremder Völker eingestreut. Wichtig für die Ethnographie
') Diodor 15, 89; ein längeres Fragment
der Philippika bei Stob. Flor. 36, 20; über
den dem Theopomp fälschlich zugeschriebenen
Trikaranos s. § 238. Als schlechter Poet ist
er mit Choirilos aufgeführt in einer herku- } Schäfer, Quellenk. P 71 if.
lanischen Rolle, s, Usener, Rh. M. 42, 150.
-) Nach Diodor 14, 117 reichten die-
selben von 387 oder dem Frieden des An-
talkidas bis zum phokischen Krieg 357.
') Ein Fragment bei Synesios in der
Lobrede auf die Kahlköpfigkeit c. 16, nach-
gewiesen von RoHDE, Rh. M. 38, 301.
^"^ Es gab zwei Marsyas, einer aus Pella,
^) Untergeschoben wurde ihm eine lo- | ein anderer aus Philippi, die beide Maxedo-
manhafte Alexandergeschichte (JXe^dydQov vixd und manches andere (s. Suidas) schrie-
nga^Sig), auf die wir unten zurückkommen ' ben; über ihre Unterscheidung s. Ritschl.
werden. | De Marsyis verum scriptoribus. in Opusc. T,
^} St. Croix, Examen critiqiie des cm- \ 449 — 70.
ciens liistoriens d' Alexandre le Grand, 2.
edit., Par. 1804; Müller, Scriptores rerum I
Alexandri 31.; Paris 1877; Fränkel, Die
Quellen der Alexanderhistoriker, Bresl. 1883;
3. Die Beredsamkeit, a. Anfänge der Beredsamkeit. (§ 239-241.) 313
waren auch die Schriften der Arzte; namentlich teilt uns der berühmte
Arzt Hipppokrates (geb. 460) in dem letzten Teile seines Buches
TTfQi cibQMr iSävMv t6tio)1' äusscrst interessante Beobachtungen über die
von Luft und Boden abhängigen physischen und geistigen Eigenschaften
der Bewohner Europas und Asiens mit. Die Beobachtungen sind uns dop-
pelt interessant, da der Verfasser mit dem erfahrenen Blick des Arztes
zugleich den hohen Sinn des für Freiheit begeisterten Hellenen verband ;
insbesondere erhalten wir durch ihn in Verbindung mit dem 4. Buch des
Herodot die ersten genaueren Nachrichten über die Anwohner des schwarzen
Meeres, die Skythen und Sauromaten.^) Leider ist durch eine grosse Lücke
der von Ägypten und Lybien handelnde Abschnitt verloren gegangen. 2)
Erst gegen Ende unserer Periode, als unter Alexander grossartige Unter-
nehmungen zur See ausgeführt wurden, entwickelte sich die selbständige
Litteratur der Seefahrtsberichte {Tt^QinXoi oder TräQajiXoi). So schrieb
Nearchos, der Admiral der indischen , Flotte, einen Bericht über seine
Fahrt längs der persischen und indischen Küste {to. aii(fl tfp TrccgaTiho)^
den noch Strabon und Arrian fleissig benützten. Neben ihm veröffentlichte
sein Obersteuermann Onesikritos von Astypalaia wunderreiche Mittei-
lungen über die durch Alexander erschlossenen Länder Asiens. Ein anderer
Admiral Alexanders, Androsthenes von Thasos, beschrieb in seinem
naQänXovQ ^IvStxrjg die Küste Arabiens. Etwas später unter Seleukos Nikator
gab Patrokles, der als Befehlshaber von Babylon (seit 312) den Osten
aus eigener Anschauung kennen zu lernen Gelegenheit hatte und die Auf-
zeichnungen des Xenokles, des Schatzmeisters Alexanders, benützte, 2) eine
Beschreibung der Länder am kaspischen Meer. Aber alle diese Seeberichte
sind verloren gegangen ; auf uns gekommen ist nur eine Küstenbeschreibung
unter dem Namen des Skylax. Der echte Skylax stammte aus Karyanda
in Karlen und hatte im Auftrag des Darius Hystaspes die Küsten des
arabischen Meerbusens umfahren.^) Der erhaltene JIsQinXovg rfjg ^aXdcrcrrjg
TT-g ohovfisvrjg EvQwrcr^g xal 'Aaiag xal yiißvr^g ist eine allgemeine Küsten-
beschreibung und rührt aus viel späterer Zeit her. Nach den in demselben
enthaltenen Anzeichen setzt ihn Unger, Philol. 33, 29 ff. in das Jahr 356.
Ausgabe in Müller's Geogr. graeci min., Par. 1855, t. I p. 15 — 96.
3. Die Beredsamkeit.^)
a. Anfänge der Beredsamkeit.
241. Das natürliche Geschick zum Reden war den Griechen von der
Natur als schönes Angebinde in die Wiege mitgegeben worden. Schon
^j Über die Pfahlbauern am Phasis s.
]>. 551 K. : fj TS ^ittira roTg cfy&Qionoig ev
Totg eXeoLP eorlv tu rs olyrjfxara ^vliva xal
y.aXd^iva. iv v^ccGi fie/urj/ai^fjiusya, damit
vergleiche man Herodot 5, 16 über die Pfahl-
bauten der Päonier und die ähnlich zu deu-
tenden 'J/eXioldsg naQoixoi G)Qrjxi(t)i^ inavhoi/
in Aisch. Pers. 872.
^) Zu dem berühmten Buche des Hippo-
krates hatte Galen einen Kommentar ge-
schrieben, der aber nur durch eine lateinische
Übersetzung auf uns gekommen ist; leider
lässt sich auch aus diesem nichts zur Aus-
füllung jener Lücke gewinnen; s. Ilberg in
Comm. Ribbeck. p. 343 An.
=>) Strab. p. 69.
4) Herod. IV, 44.
■^) Von den alexandrinischen Gelehrten
wurden die Redner wenig beachtet; erst die
Pergamener und dann in Rom Dionysios
314
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Homer in der Presbeia erfreut uns durch wirkungsvolle, dem Charakter
der Redenden best angepasste Reden, und an Nestor und Adrastos priesen
die alten Sänger den honigsüssen Mund. Auf die Kraft der überzeugenden,
hinreissenden Rede stützten dann in der Zeit des aufstrebenden Athen
Themistokles und Perikles ^) vornehmlich ihre politische Macht. Aber die
Geschichte der Beredsamkeit beginnt erst mit dem Zeitpunkt, wo die Rhe-
torik als Kunst {^^%vi]) gelehrt zu werden begann und die gehaltenen
Reden auch herausgegeben und durch Abschreiber vervielfältigt wurden.
Jene Kunst ging nach dem Zeugnis des Aristoteles,'^) der zuerst eine Zu-
sammenstellung der rhetorischen Theorien unternahm, von Sikilien und
Syrakus aus, wo nach dem Sturze der Tyrannenherrschaft (465) die vielen
Privatprozesse der gerichtlichen Beredsamkeit reiche Nahrung gaben. Der
erste Lehrer der Beredsamkeit war Korax, der die Rhetorik als eine
TsxvYj neiO^ovg Srj/iuovQYog fasste und vermittelst der Sätze der Wahrschein-
lichkeit ^) auf die Richter zu wirken suchte. Sein nächster Nachfolger war
Teisias oder Tisias, der die Regeln seines Lehrers zu einer T&xvrj qi^toqix/j
zusammenfasste und bereits, wie man aus Piatons Phaidros sieht, direkten
Einfluss auf das Studium der Rhetorik in Attika ausübte. Bekannt und
für den rabulistischen Charakter jener Anfänge der Rhetorik bezeichnend
ist die Anekdote, die man sich von dem Verhältnis dieses Teisias zu seinem
Lehrer Korax erzählte:^) Teisias machte sich verbindlich, dem Korax ein
ausbedungenes Honorar (fiiad-ög) zu bezahlen, wenn er den ersten Prozess
gewonnen habe; als Teisias die Kunst erlernt hatte, aber mit der Über-
nahme eines Prozesses zögerte, kam es darüber zum Streit zwischen Lehrer
und Schüler: Teisias behauptete, in keinem Falle etwas bezahlen zu müssen,
weder wenn er im Streite siege, noch wenn er unterliege; wenn er siege
nicht, eben weil er Sieger sei; wenn er unterliege, ebensowenig, weil das
Übereinkommen ihn verpflichte, nur dann zu zahlen, wenn er gesiegt habe.
und Cäcilius brachten das Studium der
Redner in die Höhe. Erhalten sind uns
ausser den Schriften des Dionysios die Bioi
riüu dexa QrjzoQOiu des Ps. Plutarch, die
auf Dionysios undCaeciHus zurückgehen. Mit
diesen stimmen im wesentlichen die betref-
fenden Abschnitte des Photios Cod. 259 —
268; über ihr Verhältnis A. Schöne, Die
Biographien der zehn att. Redner, in Jahrb.
f. Phil. 1871 S. 761 ff., und dagegen Zückeb,
Quae ratio inter vitas Lysiae Dionysiacam
Pseudoplutarcheam JPliotianam intercedat,
Erlangen 1877. — Neuere Werke: Ruhnken,
Hist. critica oratorum yraecoriim, in der
Ausg. des Rutilius Lupus 1768 = Opusc. 1,
310 ff.; Westermann, Gesch. der Bered-
samkeit in Griechenland und Rom. Leipzig
1833, 2 Bde.; Blass, Die attische Bered-
samkeit, Leipz. 1868 — 80, 4 Bde., in 2. Aufl.
der 1. Bd. 1887; Perrot, L'eloquence po-
litique et judiciair e ä Athen es, Par. 1873;
GiRAUD, Etudes sur Veloquence aitiqne, Par.
1874, ed n (unver. Abdr.), Paris 1884; Jebb,
The Ättic orators from Antiphon to Isaeos
London 1876, 2. Aufl. 1880, 2 vol.; Volk-
mann, Die Rhetorik der Griechen und Römer,
2. Aufl., Leipz. 1885. — ^ Saramelausgaben :
Oratorum graecorum quae supersunt monu-
menta ingenii ed. Reiske, Lips. 1770 — 5,
12 vol.; Oratores attici ex rec. Imm. Bekkeri,
Berol. 1823-1824, 5 vol.; Oratores attici
rec. J. G. Baiterus et Herm. Sauppius 1838—
50, 9 fasc. mit Fragmenten, Scholien und
Onomastiken. — Indices graecitatis orato-
rum atticorum auf Grund von Reiske's Sonder
indices von Mitchell. Ox. 1828, 2 vol.
^) Eupolis von Perikles in den Jrjfioi \
fr. 94:
TleiS^io Tig enexdS^t^sv enl roTg ^eiXsavv '
ovTüyg exrjXei xccl ^övog tmv qtjtoqmv
x6 TiEVTQov iyxateXms xoig dxQOM^evoig.
danach Cic. Brut. 9, 38 u. 11, 44.
^) Bei Cicero, Brut. 46.
■') Arist. Rhet. II, 23 p. 1402a, 17.
^) Sext. Emp. adv. math. II, 96 ohne
Nennung des Tisias; vollständiger in Walz,
Rhet. gr. IV, 13.
3. Die Beredsamkeit, a. Anfänge der Beredsamkeit. (§ 242— 243.) 315
Die Richter aber warfen nach kurzem Besinnen beide aus dem Gerichts-
saal hinaus, indem sie riefen: ix xaxov xoQccxog xaxdv c^ov.
242. Von Sikilien wurde die Rhetorik nach Athen verpflanzt, wo sie
bei der Prozesssucht der Bürger und der sophistischen Richtung der Zeit
einen besonders günstigen Boden fand. Vermittler war der Rhetor und
Sophist Gorgias von Leontini.^) der 427 als Abgesandter seiner Vaterstadt
nach Athen kam und dort so sehr sich gefiel, dass er in Hellas zu bleiben
sich entschloss und in Athen und anderen Städten, namentlich Thessaliens
teils als Redner, teils als Lehrer der Beredsamkeit auftrat. Gleichzeitig
mit ihm hielt Thrasymachos aus Chalkedon, den wir aus Piatons Re-
publik kennen, und den schon Aristophanes in den Daitales (i. J. 427)
fr. 211 erwähnte, Vorträge über gerichtliche Beredsamkeit in Athen. Wie
gross ihr Einfluss, namentlich der des ersteren, war, erhellt vorzüglich
aus Piaton, der seine Polemik gegen das Scheinwissen der Rhetoren an die
Person des Gorgias in dem nach ihm benannten Dialoge anknüpfte. Aus-
gebildet hat Gorgias vornehmlich die Prunkrede oder das ytvog imSeix-
tixov. Am berühmtesten waren unter seinen Reden der UvOixog (sc. ^öyog),
gehalten in Delphi an der Stelle, wo er nachher in Erz aufgestellt wurde, ^)
der 'OkvfjLTTixog, in dem der später zum Überdruss oft wiederholte Gedanke,
die Hellenen sollten ihre inneren Händel lassen und ihre vereinten Kräfte
gegen die Barbaren wenden, zum erstenmal glanzvoll durchgeführt war,^)
der Epitaphios, der für die später so häufigen Grabreden auf die
Vaterlandsverteidiger Vorbild wurde. Leider haben wir von diesen be-
rühmten Reden des Gorgias nur Inhaltsangaben (bei Philostratos) und spär-
liche Fragmente; hingegen sind unter seinem Namen zwei sophistische
Reden, ^EXt'vrjg eyxo}p.iov und IlaXai^irj^i^g, auf uns gekommen, über deren
Echtheit die Meinungen der Kenner geteilt sind. ^) In seinen Werken ^)
hat Gorgias vorzüglich den durch den Schmuck von Figuren und Metaphern
gehobenen, halbpoetischen Stil^) ausgebildet; unter seinen Figuren werden
hauptsächlich die Antithesen, die Parisa und Paromoia von Cicero Or. 175
hervorgehoben; für die Verbreitung des attischen, durch lonismen seiner
Heimat [nQccaa^iv statt ngäzTsiv) gemilderten Dialektes hat er, der von
allen Griechen gesuchte Redner, vorzüglich beigetragen.^)
24-3. Ihre weitere Entwicklung nahm die Beredsamkeit in Athen;
liier vereinigte sich alles, um die neue Kunst zur Blüte zu bringen. Vor
'■) Philostr. Vit. soph. I, 9; Foss, De
Gorgia Leontino, Halle 1828; Frei, Quaest.
Protagoreae, Bonn 1845; Gorgias erreichte
darum, ob derjenige, gegen den Isokrates
seine Helena schrieb. Gorgias oder ein an-
derer war; sind die Reden nicht von Gor-
nach Apollodor ein Alter von 105 oder 109 ! gias, so ahmen sie doch glücklich die Eigen-
Jahren; sein Leben setzt demnach Foss
496—388, Frei 483-375; vergl. Blass I''*,
47 f. Über die späteren Anhänger des Gor-
gias siehe den Brief des Fhilostratos, epist.
72 an die Kaiserin Julia.
''') Philostr. a. 0.; Ath. 505 d.
•^) Auch in Olympia wurde ihm später
eine Statue gesetzt, wovon die Inschrift jetzt
gefunden ist; s. Arch. Zeit. 35, 43. Über
tümlichkeiten seines Stiles nach. Für die
Echtheit bringt neue Gründe vor Maass,
Herrn. 22, 566-81.
^) Nach Dionys. de Thuc. 23 hatte man
von ihm auch Sätze einer rhetorischen Techno.
^) Arist. Rhet. III, 1 : notrjTixrj ti()i6t7]
iyeysTo Xe^ig, oiop rj FoQyiov.
^) WiLAMOWiTZ, Entstehung der griech.
Schriftspraclien, in Verh. der Vers. d. Phil.
eine übersehene Stelle des Olympikos siehe ! in Wiesbaden, S. 311 u. Phil. Unt. VII, 312 f.
J. Bernays, (ies. Abb. I, 121. j vgl. Ed. Zarncke, Die Entstehung der gr.
■*) Namentlich handelt es sich dabei i Literaturspr. S. 18 f. u. 49 f.
316
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
allem war es die Redefreiheit (jTaQQi^aia). die ein Grundpfeiler des attischen
Staatswesens zugleich und ein Lebenselement der Beredsamkeit war. Dazu
kamen die Öffentlichkeit der Verhandlungen, die Macht der Volksversamm-
lungen, die Häufigkeit der Prozesse, das Wohlgefallen an schönen Reden,
das bei den Schützlingen der Athene nicht minder entwickelt war als
anderwärts das für Musik, Theater und Fechterspiele. So kamen denn in
Athen zwischen der Zeit des peloponnesischen Krieges und der Herrschaft
Alexanders alle 3 Gattungen von Reden zur Blüte, die Reden vor Gericht
[yspog dixavixoi'), die bei den Beratungen im Senat und in den Volks-
versammlungen {ys'rog (fviißovXsvTixor oder drjfxriyoqixov), endlich die in
den Festversammlungen {ysvog sTtidsixTixöv oder ysvog TrarrjyvQixov). An-
fangs scheuten sich noch die grossen Staatsmänner ihre Reden heraus-
zugeben; ') bald aber, gegen Ende des peloponnesischen Krieges, wurde
auch diese Scheu überwunden und betrachteten die Politiker geradezu die
Veröffentlichung ihrer Reden als ein Hauptmittel zur Stärkung ihres politi-
schen Einflusses. Theorie und Praxis ist in dieser ganzen Periode insofern
nebeneinander hergegangen, als die Lehrer der Beredsamkeit zugleich Redner
waren, nur dass bei den einen die Thätigkeit des Lehrens, bei den andern
der Glanz des öffentlichen Auftretens in den Vordergrund trat. ^) Von
den Grammatikern, und zwar von den Pergamenern um 125 v. Chr. wurde
ein Kanon von 10 attischen Rednern aufgestellt;^) dieselben sind: Antiphon,
Andokides, Lysias, Isokrates, Isaios, Aischines, Demosthenes, Hypereides,
Lykurgos, Deinarchos. In ihre Besprechung werden wir zugleich die
anderen, nicht in den Kanon aufgenommenen Redner miteinflechten.
b. Antiphon und Andokides.
244. Antiphon, 4) des Sophilos Sohn aus dem Demos Rhamnus, fand
bei den politischen Wirren gegen Ende des peloponnesischen Krieges den
Tod. Ein eifriger Anhänger der Oligarchen und Mitbegründer des Rates
der 400 ward er nach dem Misslingen der Staatsumwälzung von seinen
Gegnern des Landesverrates angeklagt und zum Tod verurteilt (411). Das
veranlasste den Thukydides, den Spätere zu einem Schüler des Antiphon
machten, das Andenken des gesinnungstüchtigen Mannes durch ein ehrende
Charakteristik zu feiern.^) Antiphon war als Redner in der Volksversamm-
1) Plat. Phaedr. 257 d.
'^) Von den Rednern Athens gilt nament-
lich der sprichwörtliche Ausdruck Piatons,
Legg. I p. 642. dass, wenn die Athener wo
tüchtig sind, sie dieses in hervorragendem
Masse sind: t6 vno no'kXuiv "ksyofispor, tog
daoi 'AS^rjvaioyv sialv (cyuS^oi^ ^LcicpEQÖvTiug eial
roiovTOL, öoxsi dXrjd^eaTcaa XtyEO&ai.
^) Über das Verzeichnis Meier, Opusc.
L 120 fF. und besonders Studemund, Herrn.
II, 434 ff., wo die abweichenden Angaben
über die Zahl der Reden bei Ps. Plutarch-
Photios und einem anonymen, in mehreren
Handschriften erhaltenen Verzeichnis der 10
Redner und ihrer Werke erörtert sind. Die
erste bestimmte Kunde von dem Kanon haben
wir bei Cäcilius (in der Zeit des Augustus),
der eine Schrift iisql rov /ciQaxitjgog rwi
dexa QrjroQMv schrieb. Dass aber derselbe
von den Pergamenern ausging, beweist in
musterhafter Diskussion Brzoska, De canont
deceni oraiorum atticorum, Bresl. Diss. 1883
^) Ausser Plutarch-Photios, Philostr. vit
soph. I, 15 und Suidas dient als Quelle ein
wesentlich auf Plutarch zurückgehendes Fayoc
'AvTKpöivzog unserer Handschriften. Ruhn
KEN, Disputatio de Antiphonte oratore, ii
Opusc. I, 142 - 182, eine scharfsinnige un
gelehrte Untersuchung des lÖjährigen Ge
lehrten.
'') VIII, 68: ^Ai'Xicpiov r]v avrjq 'A&i]V{dm
TMP xciS^^ Eavrov (CQsrfj ts ovdspog varsQof
XML XQartoiog iy(^vjur]fh]pf((, yero^usvog xal
av yyoif] stneip. xal ig fisy d^juop ov naQUo
3. Die Beredsamkeit, b. Antiphon und Andokides. (§ 244.) 317
lung nicht aufgetreten, auch seine Thätigkeit als Lehrer der Beredsam-
keit i) trat bald hinter den Erfolgen jüngerer Rhetoren, wie Lysias und
Thrasybulos, zurück; sein eigentliches Feld fand er in der Gerichtsrede,
indem er seine Freunde, wenn sie angeklagt waren, mit seinem Rate, wie
Thukydides sagt, unterstützte, d. i. ihnen Verteidigungsreden schrieb. Es
war nämlich in Athen Gesetz, dass die Streitenden vor Gericht selbst ihre
Sache führen mussten, damit die Richter nicht durch die Kniffe der Ad-
vokaten überlistet würden; aber die heilsame Absicht des Gesetzgebers
wurde dadurch vereitelt, dass Ankläger und Verteidiger vor der Gerichts-
verhandlung die kundige Hilfe ihrer Freunde in Anspruch nahmen und
sich von denselben geradezu förmliche Reden ausarbeiten Hessen, die sie
dann selbst vor Gericht auswendig vortrugen. Indes war Antiphon auch
in eigener Sache, wenigstens einmal, nämlich bei jenem Hochverratsprozesse
aufgetreten; die Alten hatten noch die betreffende Rede ttsqI i^isTaaräaeMg
oder über die Staatsveränderung. 2)
Unter dem Namen des Antiphon waren 60 Reden in Umlauf, von
denen Cäcilius 25 für unecht erklärte.^) Auf uns gekommen sind nur 15,
und zwar sind dieselben alle Reden in Kriminalprozessen (dixai (povixai);
man hat also den Antiphon als eine Hauptautorität im Kriminalrecht, wie
den Isaios in Erbschaftssachen, angesehen. Von jenen 15 Reden sind 12
blosse Skizzen in 3 fingierten Rechtsfällen (unerwiesener Mord, <f6vog ana-
QÜaijf^wg, unfreiwilliger Todschlag, cpovog dxovaiog, endlich Schlag mit nach-
gefolgtem Tod), so angelegt, dass immer je 4 (Anklage, Verteidigung,
Replik, Gegenreplik) zu einer Tetralogie zusammengehören.^) Die 3 grös-
seren Reden sind: xaTrjyoQi'a cpagfiaxeiag xazd rf^g fjirjTQViäg (1), nsQi tov
^Hqmöov (fcrov (5), Tt€Ql Tov %oQ8VTov (6). Dio vorzüglichste und als solche
schon von den Alten anerkannte ist zweifellos die zweite, mit der sich
ein gewisser Euxitheos •'•) gegen die Anschuldigung verteidigt, den auf einer
Fahrt von Mytilene nach Ainos spurlos verschwundenen Kleruchen Herodes
ermordet zu haben. ^) Interessant ist auch der erste Rechtsfall, in dem ein
unehelicher Sohn gegen seine Stiefmutter wegen eines ihrem Manne ge-
reichten Liebestrankes klagend auftritt. Aber die Stellung der Erzählung
[dn]yi^aig) mitten zwischen den Beweisen und der Mangel einer eigentlichen
Peroratio haben Anstoss erregt und Zweifel an ihrer Echtheit hervor-
gerufen.') Der Stil des Antiphon zeigt noch ganz die Strenge und schlichte
odJ" ig uXXop ccyMva txovaiog ovdt'ycc, u)iX^
t'TioTTrcüg TU) ttXtJx^sl ö'id Jb'l«!^ dstyortjrog
diaxsifxspog, lovg /lerroi ayiavi^ofxsvovg xctl
SV (^ixaoTTjQiio Y.al iv dtjfico TiXeToTu elg üt^fJQ
ooxig ^vfjßovXevaaiTo ti dvvccfASvog v^cpsleTv.
') Plat. Menex. 236 a.
'') Aiist. Eth. Eud. III, 5 p. 1232b 0.
•') Verwirrung erregte, dass es neben dem
Redner noch einen Sophisten Antiphon gab.
■*} Die Tetralogien haben als Skizzen
a,uch ihre Eigentümlichkeiten im sprach-
lichen Ausdruck, namentlich wie L. Spengel,
Rh. M. 17, 1G7 hervorhob, häufiges te . . . re.
Davon ist man bis zur Verwerfung ihrer
Echtheit gegangen; anstössig ist der öfter
vorkommende Aorist dneXoyij&^jv.
^) Euxitheos genannt von Sopatres bei
Walz, Rhet. gr. IV, 316, wie Meuss, l)e
anayioyrjg ratione apud Äthenienses, Breslau
1884 p. 27 und Bohlmann, Antiphontis de
caede Herodis oratio (1886) nach einer An-
deutung im Antiphonkommentar von Mätz-
ner p. 205 ermittelten.
^) Gehalten ist dieselbe geraume Zeit
nach der Einnahme von Mytilene (427), als
die Seemacht der Athener noch nicht er-
schüttert war, um 417; s. Blass I- 178.
'') Gegen die Ausstellungen von Mätzner
und Blass wird die Rede in Schutz genom-
men von Wilamowitz, Herm. 22, 194 ff. und
Br. Keil, Jahrb. f. Phil. 135 (1887) S. 89 ft.
318 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Einfachheit der alten Zeit; nur im ebenmässigen Satzbau, der seine Reden
denen des Thukydides gegenüber auszeichnet, und in der häufigen Wieder-
kehr von Gemeinplätzen und Sentenzen erkennt man den Einfluss der rhe-
torischen Schule des Gorgias. Eine Eigentümlichkeit seiner Reden, die
Br. Keil ^) gut mit dem Gesetze ^ii] ovoiiaazl xo^iKodsTv in Verbindung ge-
bracht hat, besteht darin, dass die Namen der in dem Prozess irgendwie
kompromittierten Personen in der Regel nicht angegeben werden.
Der Text des Antiphon und der kleinen attischen Redner überhaupt beruht auf Cod.
Crippsianus (A) s. XIII und Oxoniensis (N) s. XIV, die zwei selbständige Abieiter desselben,
nicht mehr erhaltenen Archetypus sind. — Ausg. mit Kommentar von Mätzner, Berol.
1838: von Jernstedt, Petersb. 1880; von Blass in Bibl. Teubn, — Ignatius, De Äntijihontis
Bhamn. elocutione, Berl. 1882. Neuere Litteratur besprochen von Hüttner, Jahrber. d. Alt.
XIV, 1. 14-23.
245. Andokides,2) Sohn des Leogoras aus Kydathen, Sprosse eines
alten, mit dem Amte eines heiligen Heroldes [xtqv'^) bekleideten Geschlech-
tes,-^) ist der geringste der in den Kanon aufgenommenen Redner, da er
weder als Lehrer der Beredsamkeit auftrat, noch als Logograph eine aus-
gedehnte Sachwalterpraxis entfaltete, sondern nur einige wenige, in eigener
Sache gehaltene Reden hinterliess. Geboren war derselbe nicht viel vor
440;^) sein unstetes Leben datierte von der Zeit des Hermokopidenprozesses
(415), wo er in der Hoffnung auf eigene Straflosigkeit sich zur Denunziation
seiner Genossen herbeiliess, hintendrein aber doch von Markt und Opfer
ausgeschlossen ward."') Er verliess daher seine Vaterstadt und kehrte
erst 402 unter dem Schutze der allgemeinen Amnestie zurück, nachdem
er inzwischen zweimal (411 und 407) die Aufhebung der gegen ihn
verfügten Acht zu erwirken fruchtlos versucht hatte. Aber auch jetzt
noch wurden ihm Chikanen bereitet, indem ihn im Jahre 400 der Dema-
goge Kephisios wegen unbefugter Teilnahme an den Mysterien auf die
Anklagebank brachte. Aber diesesmal sprach ihn der aus Mysten zu-
sammengesetzte Gerichtshof frei, und wurde er sogar bald nachher im
korinthischen Krieg mit der Mission betraut, den Frieden mit Sparta zu
unterhandeln. Aber die Unterhandlungen verliefen resultatlos, ^) so dass er
selbsjb infolgedessen von neuem ins Exil wandern musste. Während seiner
wiederholten Abwesenheit von Athen war es ihm indes gelungen, durch
gute Handelsgeschäfte grosse Reichtümer zu erwerben, so dass er durch
glänzende Ausstattung eines kyklischen Chores die Augen auf sich zu ziehen
vermochte.'^) ']
Unter dem Namen des Andokides sind 4 Reden auf uns gekommen,
und schon die Alten scheinen nicht viel mehr gehabt zu haben. Von diesen
4 Reden, 718qI tmv fivaTtjQfcDV^ nsgl njg tavxov xa^ödov, iregl Tfjg ngog
') Jahrb. f. Phil. 135 (1887) S. 101. mit dem Strategen Andokides bei Thuc 1,
'^) Vater, Herum Andocidearum ccipita ' 51 identisch sei; s. Meier, Opusc. I, 90 ff.
•') Thuc. VI. GO; Andoc. I, 25 ff.; Ljs.
adv. Andoc. 21 ff.
^) Philochoros im Argumentum der 3.
Rede,
^} Ps. Plutarch p. 835 b stützt sich bei
IV, Berol. 1840-5. M. H. E. Meier, De
Andocidis quae vulgo fertur oratione contra
Alcihiadem dissert. VI, Halle 1837—42.
Opusc. I, 94 ff.
") Darüber Töpffer, Attische Genealogie
83 ff. ' dieser Angabe auf die Inschrift eines Drei-
*) Lysias adv. Andoc. 46; Ps. Plutarch | fusses; bezeugt ist die Liturgie durch die
p 834c lässt ihn viel älter sein, von der I Inschrift in CIA. 11, 553.
falschen Voraussetzung ausgehend, dass er j
3. Die Beredsamkeit, c. Lysias und Isaios. (§ 245—240.)
319
Aax£6aip.oviovg eiQr'jvrjg, xaid 'Alxißiddov, sind nur die zwei ersten un-
zweifelhaft echt. Die Veranlassungen, bei denen sie gehalten wurden, sind
bereits im Lebensabriss des Redners erwähnt; sie sind für Kenntnis des
Mysterienwesens und der Parteiverhältnisse in der letzten Zeit des pelo-
ponnesischen Krieges äusserst wichtig; der ersteren sind auch die ein-
schlägigen Urkunden beigegeben. Das Interesse an dem Rechtsfall, welches
der 1. Rede zu gründe liegt, wird noch dadurch erhöht, dass uns auch die
Anklagerede gegen Andokides unter den Reden des Lysias erhalten ist.
Die 4. Rede ist ein sophistisches Machwerk und dem Andokides fälschlich
untergeschoben.') Ihr liegt die Voraussetzung zu grund, dass die Strafe
des Ostrakismus einen von den dreien, Nikias, Alkibiades oder den Sprecher
(Phaiax) treffen sollte, und dass nun der Sprecher die drohende Verbannung
von sich auf den Alkibiades abzuwälzen suchte. Auch die 3. in das J. 392/1
verlegte Rede erregt Anstoss,^) namentlich wegen der argen historischen
Verstösse, an denen die Darstellung der früheren Friedenschlüsse (§ 3 — 9)
leidet. Aber gerade diese Paragraphen sind wörtlich von Aischines in seine
Gesandtschaftsrede (§ 172 — 5) herübergenommen, und ihre historischen
Irrtümer müssten bei einem späteren Fälscher noch mehr als bei einem
unstudierten Praktiker des 5. Jahrhunderts befremden. Einen entwickelten
Kunstcharakter zeigen die Reden des Andokides nicht; sie entbehren be-
sonders der Kunst berechneter Ökonomie und leiden an ermüdender Weit-
schweifigkeit; am meisten Lob verdient die Frische und Anschaulichkeit
der Erzählung.
Die Textesüberlieferung ist die gleiche wie bei Antiphon. Kritische Textesausgabe
von Blass in Bibl, Teubn. — Nabek, Mnem. III QQ ff. will sämtliche Reden des Andokides
der Schule des Isokrates zuweisen.
e. Lysias und Isaios.
246. Lysias und Isaios stelle ich in diesem Abschnitt als die Haupt-
vertreter der gerichtlichen Redeschreibekunst zusammen. Beide waren
Fremde und konnten schon so nicht als Staatsredner eine Rolle in Athen
spielen oder auch nur vor Gericht in eigener Sache eine bedeutende Thä-
tigkeit entfalten. Aber beide waren die berühmtesten Sachwalter ihrer
Zeit und beide haben, wenn sie auch nicht in Athen geboren waren, den
Ton der attischen Rede in mustergültiger Weise getroffen.
Lysias 3) war der Sohn des Kephalos, den Perikles bewogen hatte
von Syrakus nach Athen überzusiedeln, wo er als Metöke wohnte und
mehrere Häuser und eine bedeutende Schildfabrik besass. In dem Hause,
das er im Piräus hatte, spielt die Republik Piatons, welchem Gespräch
Piaton auch den Lysias, aber als stumme Person beiw^ohnen lässt, sei es
') Die Unechtheit ward zuerst erkannt
von Taylor, Lcctiones Lysiacae c. 6; gegen-
über inzwischen erhobenen Zweifeln ist die-
selbe streng bewiesen von Meier, Opusc. I,
74 ff. Andokides war damals (418) als Po^
litiker noch unbekannt und schrieb über-
haupt nicht Reden für andere. Nach Ath.
408 c wurde die Rede von andern dem Ly-
sias zugeschrieben.
'^) Gegen die Echtheit erklärte sich schon
Dionysios in der Hypothesis der Rede; für
die Echtheit tritt mit überzeugenden rirründeu
ein BLASS, Att. Ber. P, 329 "ff.
^) Aus dem Altertum haben wir neben
den allgemeinen Quellen die spezielle Ab-
handlung des Dionysios Halic. über Lysias.
Aus neuerer Zeit Taylor in Reiske's Orat.
gr. VI, 100 ff.; BLASS, Att. Ber. l\ 839 ff.;
Pretsch, De vitae I/ysiae tfuiporihnfi deft-
niendis, Halle Diss. 1881.
320
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
dass er ihn damit als einen noch ganz jungen Menschen, oder als einen
unphilosophischen, der aktiven Beteiligung an einem philosophischen Ge-
spräch unfähigen Kopf darstellen wollte. Das Geburtsjahr unseres Lysias
lässt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Die Alten lassen ihn 459/8
unter dem Archon Philokles geboren sein; aber diese scheinbar so bestimmte
Angabe beruht nur auf unsicherer Schlussfolge. Dionysios wusste nämlich,
wahrscheinlich aus einer Rede des Lysias selbst, dass er 15 Jahre alt mit
einem seiner Brüder nach Thurii ausgewandert war; indem er nun voraus-
setzte, dass diese Auswanderung gleich bei Gründung der Kolonie statt-
gefunden habe, kam er auf 444 -[- 15 = 459. Aber diese Voraussetzung
steht nicht auf festen Füssen, da Lysias auch später erst nach Thurii gegangen
sein konnte; sicher falsch ist die weitere Angabe desPs. Plutarch, dass Lysias
erst nach dem Tode seines Vaters Kephalos, der doch zur Zeit der plato-
nischen Republik noch lebte, 0 Athen verlassen habe. Auf der anderen
Seite ersehen wir aus Piatons Phaidros p. 278 e, dass Lysias erheblich älter
als Isokrates war, dass also sein Geburtsjahr geraume Zeit vor 436, in
welchem Jahre Isokrates geboren wurde, anzusetzen ist. Nehmen wir
hinzu, dass Kephalos nach dem Zeugnis des Lysias selbst (or. in Erat. 4)
30 Jahre in Athen lebte,-) so kommen wir zu dem wahrscheinlichen Schluss,
dass Lysias um 450, und zwar in Syrakus geboren ward,^) um 440 mit
seinem Vater nach Athen übersiedelte, später aber, um 435, mit einem
seiner Brüder wieder nach Westen und zwar nach Thurii, der von Perikles
gegründeten und begünstigten Kolonie, zurückkehrte. Einen Teil seiner
Jugend verlebte er demnach in Unteritalien, wo er den Unterricht des
Teisias in der Rhetorik genoss.^) Als aber nach dem unglücklichen Aus-
gang des sikilischen Feldzugs die antiathenische Partei in Thurii die Ober-
hand erhielt, kehrte er wieder nach Athen zurück (412).') Hier sehen wir
ihn erst in der nächsten Zeit nach dem peloponnesischen Krieg eine Rolle
spielen. Das grosse Vermögen seines Hauses hatte die Hab- und Blutgier
der 30 Tyrannen gereizt; so ward, wie er anschaulich und ergreifend in
der Rede gegen Eratosthenes erzählt, sein Bruder Polemarchos von den
Schergen der Gewalthaber ermordet, und entkam er selbst nur mit knapper
Not und mit dem Verluste des grössten Teiles seines Vermögens nach
Megara. Von hier setzte er sich mit Thrasybul in Verbindung und wirkte
für die Rückkehr des Demos. Zur dankbaren Anerkennung seiner Ver-
dienste beantragte Thrasybul die Aufnahme des Metöken unter die atheni-
schen Bürger; aber das Dekret ward von Archinos, einem Rivalen des
Thrasybul, als gesetzwidrig angefochten und annulliert.
mir das Urteil des Tiraaeus, des guten Ken-
ners der sikilischen Verhältnisse, von dem
Cicero an derselben Stelle berichtet: qimm-
qiiam Timaeus eum quasi Licinia et Mucia
lege repetit Syracusas.
^) Ps. Plutarch p. 835 d: xuxeT (seil.
it^ QovQLOig) dtsfistfe nui^Evöfxsvog nuQa
Ttai^ xal Nixiu xoTg ZvQaxovaioLg xt}]od{i^vÖQ
r' oixiav xal xXtjgov Xa/ioy inohisvacao itog
KXsoxQiTov (418/2).
') Ps. Plutarch a. 0. nach Dionysios. .
^) Dieses Gespräch fällt wahrscheinlich
410, worüber indes gerade infolge der An-
gaben über Lysias die Meinungen geteilt
sind; siehe § 288 und Blass, Att. Ber. I-,
339 ff.
^) Pketsch a. 0. ist so kühn, die Schwie-
rigkeiten der Chronologie durch Änderung
von TQiäxovTcc in nevxrjxovTu heben zu wollen.
") Kein Gewicht lege ich auf Cicero,
Brut. 16, 63: est enim Atticus, quoniam
certe Athem's est et natus et niortuus et
functus omni civiiim munere. Mehr wiegt
3. Die Beredsamkeit, c. Lysias und Isaios. (§ 246.) 321
Lysias musste also auf die Ehre dem athenischen Gemeinwesen als
Bürger anzugehören verzichten und sich mit der bevorzugten Stellung eines
gleichsteuernden {laoTsXrig) Metöken begnügen, i) Diese erlaubte ihm bald
nach seiner Rückkehr (403) gegen Eratosthenes, den Mörder seines Bru-
ders, vor Gericht als Ankläger aufzutreten. Die Rede ist uns noch er-
halten, sie ist die einzige, die nach einer alten Beischrift Lysias selbst vor
Gericht gesprochen hat, und sie verdient wie keine andere gelesen und
studiert zu werden. Aber schon zuvor hatte er der Beredsamkeit in an-
derer Weise seine Dienste gewidmet. In Piatons Phaidros, dessen Scenerie
um 404 zu setzen ist, begegnet uns Lysias als angesehener Lehrer der Be-
redsamkeit. Die Rede über die Liebe [löyog €Q0)Tix6g), die er als Muster
seinen Schülern zum Auswendiglernen diktiert hatte, behandelt freilich ein
so schlüpfriges Thema und entbehrt so jeder Wärme, 2) dass man begreift,
wie Lysias mit sophistischen Machw^erken der Art die Konkurrenz des
Theodoros und Isokrates nicht zu bestehen vermochte. Er wandte sich
also einer anderen Seite rhetorischer Thätigkeit zu; 3) das war die eines
Logographen, der anderen Reden schrieb, die diese dann selbst vor Gericht
vortrugen.^) Hier kam es darauf an, den Klienten, schlichten einfachen
Bürgern, die durch rabulistische Sykophanten vor Gericht gezogen waren
oder ihr Eigentum und ihr Hausrecht gegen böswillige Angriffe zu schützen
hatten, solche Reden in den Mund zu legen, wie sie sich für einfache
Leute, die von ihrem Recht ergriffen waren, geziemten; es galt ohne ge-
suchtes Pathos, ohne spinöse Rechtsdeduktionen, ohne Weitschweifigkeit,
klar und einfach den Thatbestand darzulegen und den Mann aus dem Volke
die Sprache der sicheren Überzeugung und des gekränkten Rechtsgefühles
sprechen zu lassen. Lysias brachte dieses fertig in unerreichter Meister-
schaft mit den Mitteln einfacher Beweisführung und anschaulicher Erzäh-
lung. Das Schlichte {t6 a(f€kig), das Einfache (t6 xa^^agov), das Klare
(tvdqyeia 7] aa(f7]V€icc) waren es, worin schon die Alten die Charakterzüge
der lysianischen Rede fanden.^) Er bedurfte, um zu wirken und die Richter
zu einem günstigen Entscheid zu bewegen, keiner langen Reden, die sich
auch schlecht in dem Munde einfacher Bürger ausgenommen hätten und
schon durch die Wasseruhr (xXeipvSqa) ausgeschlossen waren: eine kurzie
markige Darlegung des Thatbestandes und der Rechtsgründe genügte, so
dass die Reden des Lysias in der Regel nicht mehr als 1/2 bis 1 Stunde
') Darüber Weiteres aus einer verloren
gegangenen Rede des Lysias tieql näp iSiiai^
sv£Qy€(THüi^ bei Ps. Plutarch. Über die Pri-
vatverhältnisse des Lysias, namentlich seinen
Umgang mit der Hetäre Metaneira erfahren
wir Näheres aus der ps. demosthenischen
Rede gegen Neära 21 f.
'^) Über den Streit, ob der Xöyog sqmti-
xog von Lysias selbst herrühre oder boshafter
Weise von Piaton dem Lysias untergeschoben
sei, s. BLASS, Att. Ber. 1 2, 424 ff. L. Schmidt,
Über die lysianische Rede im plat. Phaedrus,
Vhdl. d. 18. Vers. d. Phil. S. 98-100 erweist
den Erotikos als ein wirkliches Erzeugnis
Lysiam primo profderi solitum artem di-
cendi, deinde quod Theodorus esset in arte
subtilior, in orationibus ieiunior, orationes
eum serihere aliis coepisse, artem removisse.
^) Die Privatreden, die uns erhalten
sind, fallen nach 404; nur die für Polystratos
(20) ist zwischen 411 u. 407 gehalten; aber
dieser Umstand erhöht nur noch das Gewicht
der Verdachtgründe gegen die Echtheit dieser
Rede.
^) Aristoteles scheint diese Vorzüge we-
nig gewürdigt zu haben ; er berücksichtigt
den Lysias fast gar nicht in seiner Rhetorik ;
hingegen sagt Dionysios Lys. 2 von ihm:
des Lysias aus einer früheren Lebensepoche, yMd^uQog iaii xijv sQfitjysiay Tiavv y.cd rfjq
'Ö Cicero Brut. 12, 48 nach Aristoteles: ATxixijg yhÖTDjg uQiarog xapnöv.
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2. Aufl. 21
322 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
zum Vortrag bedurften. Eine besondere Kunst aber, ohne als Kunst zu
erscheinen, entwickelte derselbe in der Erzählung. Man kann kaum etwas
hübscheres, anschaulicheres lesen, als die Erzählung von den schurken-
haften Gewaltthaten des Eratosthenes und seiner Spiessgesellen in dem
Xoyog xccT ^EgaToad^svovg, oder von der raffinierten Überlistung des Ehe-
mannes und seiner gerechten Notwehr in der anoXoyia neql tov ^EqaTo-
ad^ivovq (fovov. Die Sachlichkeit der lysianischen Rede zeigt sich auch in
dem Mangel wiederkehrender Gemeinplätze; schon Dionysios in seinem Auf-
satz über unseren Redner c. 17 macht die, wenn auch nicht ganz richtige
Bemerkung, dass, wiewohl Lysias so viele Reden geschrieben habe, doch
alle Proömien ihr Eigentümliches haben.') Treffend aber bemerkt Favo-
rinus bei Gellius II, 5 über das Verhältnis der Redeweise des Piaton zu
der des Lysias : si ex Piatonis oratione verhuni aliquod demas mutesve atque
id commodatissime facias, de elegantia tarnen detraxeris, si ex Lysia^ de sen-
tentia. Kein Wunder also, dass Lysias mit diesen Vorzügen auch glän-
zende Erfolge bei den Richtern erzielte, dass er ein vielgesuchter Rechts-
anwalt wurde und mit seiner Redeschreiberei sich wiederum ein anständiges
Vermögen erwarb. So begegnen uns denn in den nächsten zwei Dezennien
nach 404 zahlreiche, in einzelnen Jahren sich häufende Reden; die letzte
chronologisch fixierbare Rede, die für Pherenikos, fällt um 380, und viel
länger wird er wohl auch nicht gelebt haben. 2)
247. In Umlauf waren im Altertum von Lysias 425 Reden; von
diesen haben die alten Kritiker 233 als echt anerkannt.^) Auf uns ge-
kommen sind 34 Reden und diese nicht alle vollständig und nicht alle von
unzweifelhafter Echtheit,^) überdies einige Briefe in gefälligem Ton, aber
von unbedeutendem Inhalt. Die Reden gehören zum grössten Teil der
Klasse der Gerichtsreden an; doch fehlen auch nicht ganz die Xöyoi avß-
ßovlavTixoi und inideixTixoi. Eine Demegorie, wenn auch vielleicht keine
wirklich gehaltene, war die Rede jisqI tov fxrj xaraXvacci zip' nÜTQwv
noXiTsiav ^A^t'jvtjai, von der uns Dionysios ein Bruchstück erhalten hat; sie
ist in die Zeit unmittelbar nach Vertreibung der Dreissig (403) gesetzt
und tritt mit Nachdruck für die Wiederherstellung der vollen unbeschränkten
Demokratie ein. — Von den epideiktischen Reden bezieht sich der Epi-
') Das Lob muss eingeschränkt werden,
wie Meier, Opusc. 315 nachweist, da er z.
B. or. 19 das Proömium aus Andokides 1
entlehnt hat. — Auch der politische Stand-
punkt ist nicht immer der gleiche, indem
Lysias auch hier sich dem Charakter und
den Anschauungen seiner Klienten anbe-
quemte, wie besonders die Vergleichung der
21. und 25. Rede lehrt.
2) In noch spätere Zeit fallen 2 dem
Lysias zugeschriebene Reden für Iphikrates,
deren eine dem Jahre 371, die andere dem
Jahre 354 angehört; aber Dionysios verwarf
beide; s. Blass, Att. Ber. l-, 344. Die An-
gaben über das Lebensalter des Lysias dif-
ferieren zwischen 76, 80, 83 Jahren.
2) Die Zahl von 233 echten Reden wird
rückgeführt; ausserdem soll nach Photios
p. 489a 35 ed. Bekk. u. Suidas sich Paulus
von Germe aus Mysien mit der Kritik der
Echtheit beschäftigt haben.
*) Die 11. Rede ist eine blosse Epitome j;
der 10., die 15. der 14.; die 20. pro Poly-
strato entbehrt des Proömiums und stellt
das Sachverhältnis so unklar dar, dass sie
entweder verstümmelt oder unecht ist; s.
Pohl, De or: pro Pohjstrato Lysiaca, Argent.
1881, u. Blass 1^508 ff.; Nowack, Leipz.Stud.
72, 1—106 über die 14. u. 15. Rede. Die Echt-
heit der 6. Rede gegen Andokides ebenso wie
die der 9. vtieq tov aiQaxiojTov war schon
dem Harpokration zweifelhaft; die 8. erregt
wegen der Sorgfalt in Vermeidung des Hia-
tus Verdacht; s. Blass T^ 658 und Röhl,
bei Plutarch auf Dionysios und Cäcilius zu- Ztschr. f. Gymn., Jahrber. 1881 S. 191 ff. 1
3. Die Beredsamkeit, c. Lysias und Isaios. (§ 247.)
323
taphios auf die Vaterlands Verteidiger im korinthischen Krieg; die Rede
greift aber in übermässiger Breite auf die früheren Zeiten bis auf die
Amazonenkämpfe zurück und spricht von dem korinthischen Krieg in so
allgemeinen Wendungen, dass man nicht einmal weiss, auf welches Jahr
man dieselbe ansetzen soll. Demnach haben wir in derselben keine wirk-
lich gehaltene Rede, sondern eine sophistische Schulübung zu erblicken, die
fälschlich dem Lysias zugeschrieben wurde, i) — Zur Klasse der epideik-'
tischen Reden gehört auch der 'OXvuniaxög, gehalten 388, von dem uns
ein Fragment mit den bei solchen Festreden üblichen Phrasen vom ein-
trächtigen Zusammengehen der Griechen gegen ihre Zwingherrn erhalten
ist. Die Spitze der Rede war aber nicht gegen den Perserkönig, sondern
gegen Dionysios, den Tyrannen von Syrakus, gerichtet und hatte den Er-
folg, dass die Festversammelten über die von Dionysios geschickten Zelte
herfielen und dieselben plünderten. 2) — Eine sophistische Tendenzrede war
die arcoloyia ^coxQdzovg, die sicher nicht wirklich gehalten wurde, sondern
nur bestimmt war, um die mehrere Jahre nach dem Tode des Sokrates
geschriebene Anklagerede des Sophisten Polykrates zu widerlegen. 3)
Weitaus am wichtigsten für die Kenntnis der lysianischen Beredsam-
keit, sowie der politischen Verhältnisse Athens sind die gerichtlichen Reden.
Voran stehen unter diesen die schon oben berührte Rede gegen Eratos-
thenes (403) und die verwandte, ein paar Jahre später gehaltene Rede
gegen Agoratos, einen schandbaren Sklavensohn, der als Helfershelfer der
Oligarchen den Tod des Dionysodoros und anderer Häupter der Demokratie
herbeigeführt hatte. In ihr bewährt Lysias nicht bloss seine Meisterschaft
in lebensvoller Schilderung der Schreckensherrschaft, sondern zeigt auch
ein besonderes Geschick in der kunstvollen Anordnung, indem er den
schwächsten Teil, dass die Anklage erst viele Jahre nach dem Verbrechen
und vor dem unstatthaften Gerichtshof der Elfmänner angebracht worden
war, in die Mitte zwischen die packende Erzählung und die pathetische
Peroratio stellt. Einen politischen Hintergrund haben auch die Anklage-
reden gegen Philon und Euandros und die Verteidigungsreden für Manti-
theos und einen andern wegen oligarchischer Gesinnung verfolgten Unge-
nannten (25), die alle vier bei der Dokimasie oder der Prüfung, ob der
ausgeloste Senator oder Beamte auch die Würdigkeit zur Übernahme des
Amtes habe, gehalten wurden. Auf die Rechenschaftsablage {sv&vvai) nach
Verwaltung des Amtes beziehen sich die Reden gegen Epikrates (27) und
Nikomachos (30); die erstere dieser Reden ist bloss ein kurzer Epilog, in
') Für die Echtheit tritt ein Le Beau.
Lysias Epitaphios als echt erwiesen, Stuttg.
1863. Dagegen Sauppe in der Rezension,
Gott. Gel. Anz. 1864 S. 824 ff. Gegen die
Echtheit spricht sich auch Blass, Att. Ber.
1 ^, 437 ff. aus, glaubt aber, ausgehend von
1 einer Stelle des Theon, Rbet. gr. II, 63,
i dass die sophistische Übungsrede in der Zeit
des Lysias vor dem Panegyrikus des Iso-
krates entstanden sei. Reuss, Rh. M. 38.
149 setzt sie nach Isoer. Areop. oder nach
853. Zweifelhaft ist, ob Aristot. Rhet. III,
10, wo er eine Stelle unserer Rede mit iy
IM iniTucfiw citiert, wirklich unseren Epita-
phios gemeint habe, etwas was selbst wieder
davon abhängt, ob dort das jedenfalls irr-
tümliche IcihtfÄTpv in Aafxuc oder sonstwie
geändert werden dürfe.
'') Diodor. XIV, 109; Dionys. de Lys.
29; Ps. Plutarch im Leben des Lysias.
^) Über das Verhältnis zur Apologie des
Piaton siehe unten § 286. Dass die Reden
des Lysias und Polykrates noch von dem
Rhetor Libanios in seiner Apologie benützt
wurden, führt nach einer Andeutung Dindorfs
RuD. HiKZEL, Rh. M. 42, 239 ff. aus.
21 *
324
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode
der letzteren Rede handelt es sich um willkürliche Änderungen, die sich
der Angeklagte als dvayQcc(f8vg bei der Aufzeichnung von Gesetzen, nament-
lich von Sakralgesetzen hatte zu schulden kommen lassen. ^) Interessanter noch
sind die 2 Reden gegen Alkibiades (gehalten 395/4) wegen Versäumung
militärischer Pflichten (Xsittotoc'^iov), sowie die Rede vTitg tcov 'AQiaTO(pcevovg
XQrjf.iäT(jov TTQog %d dtjjjiöaiov, und das vorzügliche Bruchstück rregl rrjg
dr^svasMg rcor tov Nixiov ddsXcfov sniXoyog^ in denen sich der Streit um
Güterkonfiskationen wegen Staatsverbrechen dreht. 2) In die humane Für-
sorge der Athener für erwerbsunfähige Mitbürger gewährt einen erfreu-
lichen Einblick die kleine Rede imtq döwärov (24), mit der ein Krüppel
den Fortbezug der Pension, die Missgünstige ihm entziehen wollten, von
dem Rate sich erbittet. Ein besonderes sakrales Interesse knüpft sich an
die Rede vntq tov (fr^xov, in welcher der Angeklagte sich gegen den Vor-
wurf verteidigt, dass er einen auf seinem Grundstück befindlichen heiligen
Ölbaum (jiioQia) ausgerodet und mitsamt der Umzäunung (arjxog) habe ver-
schwinden lassen. Im übrigen drehen sich viele der Reden um Bagatell-
sachen, die nur durch die Art der Behandlung einiges Interesse erregen;
eine, die achte, hat nur private Zänkereien zum Gegenstand und ist ein in
die Form einer Rede gekleideter Absagebrief. Von der am meisten ge-
rühmten Privatrede xccrd JioysiTovog wegen schurkenhafter Vormundschaft
(sTTiTQOTiijg) sind uns leider nur Bruchstücke durch Dionysios überkommen.
Die einzige Grundlage des Textes ist für die meisten Reden, wie zuerst H. Sauppe,
JEpist. crit. ad God. Hermanum nachwies, der cod. Palalinus s. X in Heidelberg; nur die
Reden über Eratosthenes Mord und der Epitaphios sind auch noch durch eine andere
Quelle auf uns gekommen, die am besten durch Marcianus F vertreten ist, worüber R.
Scholl, Stzb. d. b. Ak. 1889 II, S, 26 — 38. Die übrigen 29 Reden gehen auf 2 Sammlungen
zurück, von denen die eine sämtliche Reden nach den Prozessarten geordnet enthielt und
von der die Reden neQi jQuv^caog, aaeßeiag, y.ay.oloyiiov (3 — 11) auf uns gekommen sind,
die andere eine Auswahl der politisch interessantesten Reden umfasste (12 — 31), unter
denen die Rede gegen Eratosthenes (12.) voranstund.
Hauptausgabe von Reiske cum annot. Taylori, Marclandii, suis, Lips. 1872, 2 vol.
Kritische Textesausg. von Cobet, Amstel. 1863; von Scheibe in Bibl. Teubn. Erklärende
Ausgabe ausgewählter Reden von Rauchenstein-Fuhk bei Weidmann; von Frohberger-
Gebauer, bei Teubner mit überlangem kritischen Anhang.
248. Isaios,^) Sohn des Diagoras aus Chalkis,^) ward von Hermippos
unter den Schülern des Isokrates aufgezählt, wirkte aber so ziemlich zu
gleicher Zeit wie jener, um 390 bis 340. Da er Fremder war, so war ihm
die Laufbahn eines Staatsredners versagt, er beschränkte sich daher auf
die Stellung eines Lehrers der Beredsamkeit und eines Logographen. Seine
Spezialität waren Erbschaftsangelegenheiten, bei deren Behandlung er Rechts-
kenntnis mit geschickter Beweisführung und Anordnung verband. Es sind
daher von den 64, oder richtiger, nach Ausscheidung der unechten, von
den 50 Reden, welche er hinterliess, nur die löyoi xhjgixoi auf uns ge-
kommen. Es waren deren 13, aber durch den Wegfall der Schlussblätter,
des Cod. archetypus sind uns nur 10 und die Hälfte der 11. erhaltenJ
^) 0. Gülde, Quaestiones de Lysiae
oratione in Nicomachum. Berl. Diss. 1882.
'^) R. Scholl, Quaestiones fiscales iuris
attici ex Lysiae orationihus illustratae, in
Comment. in honorem Mommseni, Berl. 1873.
^) Ausser den gewöhnlichen Quellen
(Dionys., Ps. Plut., Suidas) ein yivog 'lauiov
bei Westermann, Biogr. p. 261 f. und eil
Artikel des Harpokration 'laaiog.
^) Diese Angabe geht nach Suidas aui
Demetrios Magnes zurück; wenn er nach
andern (Hermippos?) Athener hiess (Dionysios,
Suidas, yei'og 7ff,), so bezog sich dies wohl
auf die Adoptivheimat.
3. Die Beredsamkeit, d. Isokrates. (§ 248—249.) 325
Ausserdem hat uns Dionysios ein grosses, in den Ausgaben an 12. Stelle
gedrucktes Bruckstück aus einem anderen Rechtsfall aufbewahrt, in dem
ein gewisser Euphiletos gegen die Gemeinde der Erchiäer wegen wieder^
rechtlicher Streichung aus der Bürgerliste Appellation ergreift. Die Auf-
nahme in den Kanon verdankte Isaios der entwickelten Kunst der Beweis-
führung, durch die er zur sachlichen Schlichtheit des Lysias in Gegensatz
trat. Das Verhältnis beider ist von dem Biographen gut mit dem Satze be-
zeichnet, dass Lysias überzeugte, auch wenn er für ungerechte eintrat,
Isaios Verdacht erregte, auch wenn er für gute sprach. Der schlauen Ge-
wandtheit in der Behandlung des Rechtsfalls entspricht auch das grössere
Pathos und die gesuchte Weise der Rede.
Zu 9 Reden ist einzige Quelle der Cod. Crippsianus A. - Ausgaben: recogn. adnot.
crit. et comment. adi. Schömann, Greifsw. 1831; rec. Bükmann. Berl. 1883, wozu textkri-
tische Beiträge in Herrn. 19, 325 ff. Textesausg. in ßibl. Teubn. von Scheibe.
d. Isokrates und die sophistische Beredsamkeit.
249. Isokrates (436—338) ^ war der Sohn des Theodoros, eines
wohlhabenden Flötenfabrikanten aus dem Demos Erchia; geboren war er
nach seiner eigenen Angabe de antid. 9 im J. 436. Mit aller Sorgfalt
erzogen, 2) hörte er in den Jünglingsjahren von Philosophen den Prodikos,
von Rednern den Gorgias und Theramenes. Auch mit den Kreisen des
Sokrates stand er in Verbindung; Piaton lässt am Schluss des Phaidros
den Sokrates glänzende Erwartungen von dem jungen Isokrates aussprechen,
und der Peripatetiker Praxiphanes führte in dem Dialog über Dichter den
Isokrates als Gast des Piaton auf dem Lande ein.^) Aber die Hoffnungen
des Sokrates und Piaton, den talentvollen jungen Mann ganz für die Philo-
sophie zu gewinnen, scheiterten. Isokrates fühlte sich mehr zu der prakti-
schen Thätigkeit eines Redners hingezogen. Anfangs trat er, wie Lysias,
als Redenschreiber [loyoyQCKfog) auf; aus dieser seiner Laufbahn sind uns
noch 6 Reden erhalten, welche in die Zeit von 402 bis 393 fallen. 4) Aber
bald suchte er infolge von Unannehmlichkeiten, welche ihm diese Anwalts-
praxis zugezogen haben soll,'^) ein anderes Feld rednerischer Thätigkeit.
Von der Beteiligung an den öffentlichen Kämpfen auf dem Markt und in der
Ratsversammlung hielt ihn eine angeborene Schüchternheit und die Schwäche
seiner Stimme ab; aber zu einem Lehrer der Beredsamkeit glaubte er das
Zeug in sich zu haben. Um 390 also eröffnete er eine förmliche Schule,
nach der Angabe des Ps. Plutarch p. 837b zuerst in Chios (ßm Xiov).
^) Quellen sind ausser Ps. Plutarch, Eutliynus; der Trapezitikos ist einige Jahre
Photios und Suidas die Spezialschrift des | nach Wiederaufrichtung der athenischen See-
Dionysios über Isokrates und eine anonyme
Vita, vielleicht von dem Rhetor Zosimos,
alles zusammengestellt bei Westermann,
Biog. gr. 245—259. Wichtig ist überdies
Socraticorum epist. 30 aus den gegnerischen
Kreisen der Akademie. Zur Lebens- und
Quellenkunde Bruno Keil, Analecta Isocra-
tea, Prag-Leipz, 1885.
2) Isocrat. 15, 161.
•) Diog. in, 8.
macht oder nach der Schlacht von Knidos
(395) gehalten (17, 36). Wie weit man unter
393 herabgehen dürfe, ist nicht ausgemacht.
^) Cicero Brut. 12, 48 nach Aristoteles:
cum ex eo, quia quasi committeret contra
legem quo quis iudieio circumveniretw ,
saepe ipse in iudicium vocaretur, orationes
aliis destitisse scribere totumque se ad artes
componendas transtulisse. Da das Institut
der Logographen auch später noch fortdauerte,
"*) In die Zeit unmittelbar nach Herstel- ] so ist die Nachricht wenig glaublich,
lung der Demokratie fällt die 21. Pede gegen |
326
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Aber dass ein Athener statt in seiner Heimat, dem Sitze der Beredsamkeit,
in dem fernen Chios eine rhetorische Schule gegründet haben soll, ist
wenig glaublich; wahrscheinlich steckt in jenem im Xtov ein altes Ver-
derbnis, und war in der Vorlage des Ps. Plutarch vielmehr das Lokal in
Athen angegeben, in dem der gefeierte Rhetor zu lehren begann. Das
Programm, mit dem er seine Schule eröffnete, liegt uns in der Rede gegen
die Sophisten vor. Er versprach darin, seine Schüler nicht bloss zu Red-
nern zu bilden, sondern überhaupt in die Bildung und praktische Lebens-
weisheit einzuführen. Damit trat er als Konkurrent der Sophisten und
Philosophen auf, und wenn auch der Ausfall gegen die Wortspaltereien
der Eristiker zunächst gegen Antisthenes gerichtet war, so verstimmte
doch der ganze Tenor der Programmrede auch den Piaton, der sich dafür
in dem Dialog Euthydemos p. 304 d mit geringschätziger Bitterkeit, ohne
gerade den Isokrates bei Namen zu nennen, über die Anmassung der Halb-
wisser erging, welche das Zwischengebiet zwischen Philosophie und Politik
kultivierten, es aber in keinem von beiden zu etwas rechtem brächten. i)
Aber die Feindseligkeit der Philosophen that dem Aufblühen der rhetorischen
Schule des Isokrates keinen Eintrag. Das Programm übte von vornherein
auf die praktischer angelegten Naturen grosse Anziehungskraft, und der
Leiter der Schule sorgte bei seinem hervorragenden Lehrgeschick für eine
glückliche Lösung der Aufgabe. Von allen Seiten strömten Schüler herbei;
nicht bloss künftige Redner, sondern auch solche, welche sich der Staats-
verwaltung widmen oder nur einen höheren Grad von Bildung überhaupt
sich erwerben wollten, drängten sich in seine Schule. Cicero de orat. II,
22, 942) hat den berühmten Ausspruch gethan: Isocratis e ludo tamquani
ex equo Troiano meri principes exierunt^ und der alexandrinische Gram-
matiker Hermippos schrieb ein eigenes Buch nsQi tmv 'laoxQarovg uad^rjTcov.^)
Staatsmänner, wie Timotheos und Leodamas, nannten sich seine Schüler;
die Historiker Ephoros und Theopomp und der Tragiker Theodektes hatten
aus seiner Schule die Anregung erhalten; die grossen Redner der nächsten
Zeit, Isaios, Lykurgos, Aischines, Hypereides, waren durch ihn in die Rede-
kunst eingeführt worden; mit den bedeutendsten und mächtigsten Persönlich-
keiten seines Jahrhunderts, mit den Königen Euagoras von Kypern, Archidamos
von Sparta, Philippos von Makedonien trat er durch seine Schule in Ver-
bindung. Der Kurs in derselben dauerte gewöhnlich 3 — 4 Jahre, ^) wofür
er ein Honorar von 1000 Drachmen verlangte, was ihm bei der Masse der
Schüler mit der Zeit ein grosses Vermögen eintrug. Allmonatlich fand ein
Certamen statt; der Preis bestand in einem Kranz. s) Dem Unterricht lag
eine entwickelte Theorie {rs'xvr]) zu grund, von der sich manches noch in spätere
') Dies Verhältnis überzeugend klarge-
legt von L. Spengel, Isokrates und Piaton,
Abhdl. d. b. Ak. VII (1855), mit einem Nach-
trag im Philol. 19, 597. Vgl. Reinhardt,
De Isocratis aemulis, Bonn 1873. Nichts
bedeuten die Ilerumredereien von Nowak,
Piaton u. die Rhetorik, Jahrb. f. Phil. Suppl.
XIII, 537. Vgl. Epist. Socrat. 30.
'') Vgl. Cic. Brut. 8, 32: Isocratis äo-
mus cunctae Graeciae quasi ludus quidam
patuit atque officina dicenäi.
^) Ath. 342 c u. 451 e; Dionys. de Isaeo 1;
Ps. Plutarch p. 837 c. Manche waren von
der Schule des Piaton in die des Isokrates
und umgekehrt übergetreten, wie Lykurgos,
Klearchos aus Heraklea, Isokrates von Apol-
lonia.
"*) Isoer. de antid. 87.
^) Menander in Rhet. gr. TU, 398 Sp.
3. Die Beredsamkeit, d. Isokrates. (§ 250.)
327
Zeiten vererbt hat; die Hauptsache aber bildeten die zur Einübung be-
stimmten Vorlagen von Musterbeispielen und die Anleitung zum Ausarbeiten
von Reden und Redeteilen. Sein eigentliches Ansehen verdankte aber doch
Isokrates nicht seiner Thätigkeit als Lehrer der Beredsamkeit; dieses gründete
sich vorzüglich auf seine epideiktischen und politischen Reden, die er nicht
wirklich hielt, die vielmehr Schulreden in dem Sinne waren, dass sie zu-
gleich den Schülern als Muster in der Redekunst dienen sollten. Mit ihnen
suchte er, wie mit politischen Broschüren, Einfluss auf den Gang der Er-
eignisse zu gewinnen und vornehmlich sein politisches Ideal, die Vereini-
gung aller Hellenen zum gemeinsamen Krieg gegen die Barbaren, der Ver-
wirklichung entgegenzuführen. Der unpraktische Doktrinär erreichte sein
Ziel nicht und starb, als er seine Hoffnungen durch die Kriegserklärung
des Königs Philipp zusammenbrechen sah, zur Zeit der Schlacht von
Chaeronea, indem er, wie man sagte, durch Verweigerung von Nahrung
freiwillig seinem Leben ein Ende machte. ^ Er hinterliess einen Stiefsohn
Aphareus, den ihm seine Frau Plathane, die er in späten Jahren als Witwe
heiratete, mit in die Ehe gebracht hatte, und eine Tochter, die er mit einer
Hetäre, Lagiske mit Namen, erzeugt hatte. Eine Statue, gefertigt von dem
berühmten Künstler Leochares, hatte ihm sein Schüler Timotheos, eine Büste
auf einer Säule sein Stiefsohn Aphareus gesetzt; das auf der angefügten
Tafel abgebildete Bildnis der Villa Albani zeigt die griesgrämigen Mienen
eines dem frischen Puls des Lebens entfremdeten Schulmeisters.
250. Vom litterarischen Nachlass des Isokrates sind 21 Reden und
10 Briefe auf uns gekommen; die Alten hatten von echten Werken nur
wenig mehr: Cäcilius kannte 28, Dionysios 25 unter den 60 zirkulierenden
Reden als echt anJ) Auch ein Handbuch der Beredsamkeit, eine i^sxvrj,
war von ihm in Umlauf; Aristoteles soll desselben nach dem anonymen
Biographen in der avvayoyyr^ tsxvmv Erwähnung gethan haben,-) Quintilian
II, 15. 4 aber bezweifelt die Echtheit des damals vorhandenen Abrisses.
Wahrscheinlich waren es nur Regeln, welche die Jünger nach Erinnerungen,
vielleicht auch Diktaten aus der Schule des Meisters nachträglich zusammen-
gestellt hatten. Was sich von ihnen erhalten hat, ist bei Spengel, 2vva-
yMyr] T^x^Mv ^. 154 — 172, zusammengetragen und erläutert. Die erhaltenen
Reden stehen in unseren Ausgaben in der Reihenfolge, die ihnen Hieronymus
Wolf gegeben hat, voran die paränetischen (3), dann die epideiktischen
(12), zuletzt die gerichtlichen (7). Zeitlich am frühesten fallen die 6 ge-
richtlichen {718Q1 Tov ^fvyovg, TQarvs^iTiHog, ttqoq KaXXifxaxov, Alyivrjiixog,
xard Xoxhov, TiQog Evi>vvovv), welche, wie schon bemerkt, zwischen 402
und 393 gehalten oder vielmehr von unserem Redner für andere geschrieben
worden sind.^) Von ihnen hat die zweite ihren Namen, weil es sich in ihr
') Dagegen spricht Isokrates im ?). (un-
echten) Brief an Philipp so, als ob er auch
noch nach der Schlacht an ein Zusammen-
gehen der Griechen und Philipp gehofft habe.
^) Br, Keil, Anal. Isoer. c. 2 weist
nach, dass schon Hermogenes nicht mehr
als unsere 21 Reden, und zwar in der Ord-
nung unserer Hdschr. hatte.
^) Angeführt wird dasselbe von Philo-
demos in Vol. Herc. XI, 96: 'laoxQcariv x«t
Ts/yccg yMTCiXmeTy.
') Wie wir aus Dionysios de Isoer. 8
sehen, hat Aphareus nach dem Willen des
Vaters die Autorschaft dieser gerichtlichen
Reden später verleugnet. Die Echtheit des
Trapezitikos wegen der sprachlichen Be-
328 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
um ein Depot bei einem Banquier {TQarif^itrjg) handelt, die vierte, weil sie
vor einem äginetischen Gerichtshof gehalten worden ist. Die letzte, in
ihrer heutigen Gestalt nur ein Bruchstück, ist der berühmte Xdyog anäq-
TVQog, so genannt, weil in der Sache keine Zeugen beigebracht werden
konnten. In dem bezüglichen Streit, der um 402 kurz nach Vertreibung
der Dreissig zum gerichtlichen Austrag kam, stand Isokrates dem Lysias
gegenüber und gaben die beiderseitigen Reden dem Antisthenes Anlass zu
einer gegen Isokrates gerichteten Streitschrift Tiegl tmv dvTiyQacpcov i] Avaiac
xal 'laoxQatr^g, ngog tov 'laoxqärovg af^iaQTVQov.^) Auch in der Rede rceQl
Tov ^evyovg, in der es sich um ein fremdes Gespann 2) handelt, mit dem
der berühmte Alkibiades, der Vater des Angeklagten, in Olympia gesiegt
hatte, trat Isokrates den Kreisen des Lysias feindlich gegenüber, da dieser
zu den Gegnern des Alkibiades, des Freundes der Sokratiker, gehörte und
einige Jahre später (395/4) die uns noch erhaltene Rede gegen Alkibiades
hielt. ^) Isokrates, damals noch mit Piaton und den Sokratikern befreundet,
ergriff die Gelegenheit, um sich in überschwenglichem Lobe der Verdienste
des Alkibiades zu ergehen.
Einen ganz anderen Charakter trägt die erst in unserem Jahrhundert
durch Mustaxides aus dem Cod. Ambros. 415 vervollständigte Rede tisqI
avTiSocrscog. Dieselbe ist 353 *) von dem Redner in eigener Sache im
82. Lebensjahre geschrieben, hat aber nur die Form einer Gerichtsrede.
Veranlasst war dieselbe durch eine Chikane des Lysimachos, der ihm durch
das Anerbieten des Vermögenstausches die Leistung einer kostspieligen
Trierarchie zuschob. Es konnte nämlich in Athen einer, dem eine Liturgie
zugemutet wurde, einen anderen Bürger, den er für reicher hielt, dadurch
zur Übernahme der Leistung zwingen, dass er ihm im Falle der Weigerung
Vermögenstausch (avTidoaig) anbot. Nun stund Isokrates im Rufe, sich
durch seine Lehrthätigkeit und vornehmen Verbindungen ein enormes Ver-
mögen erworben zu haben, und es bot ihm daher jener Lj^simachos zweimal
Vermögenstausch an. Darüber kam es zur gerichtlichen Verhandlung, und
bei dem zweiten Mal musste sich wirklich Isokrates, wollte er nichts
schlimmeres über sich ergehen lassen, zur Übernahme der Trierarchie ver-
stehen. Hintendrein schrieb er dann unsere Rede, die längste und lang-
weiligste von allen, in welcher er sich gegen die Missgunst seiner Mit-
bürger zu verteidigen und seine Verdienste in helles Licht zu setzen suchte.
251. Den eigentlichen Gerichtsreden stehen der Zeit nach zunächst
die schon erwähnte Programmrede xazd rcov aotfiarm' und die 2 sophisti-
sonderheiten und sachlichen Unklarheiten
angezweifelt von Benseier und Grosse; siehe
Hüttner, Jahrber. d. Alt. XIV, 1. 37 f.
Herausgeber Frohberger annimmt, Teisias
der Sohn des Diomedes.
') Die Rede des Isokrates setzt Blass
^) Diog. VI, 15. Die Parteinahme des j II, 205 auf das Jahr 397; sie fällt nach § 40
Antisthenes für Lysias erkannt von Usener, [ jedenfalls vor den Wiederaufbau der Mauern.
Quaest. Anax. 7 ff., von demselben in weitere Fr. Now^ack, De Isocratis tieqi tov Cevyovg
Kombinationen gezogen Rh, M. 35, 135 ff. oratione, in Comm. Ribbeck. 461—474 er-
'^) Auffälligerweise heisst der Eigen- j klärt die gegenseitige Bezugnahme von Isoer.
tümer des Gespanns in unserer Rede Teisias, | XVI § 10. 11. 12. 13 und Lys. XIV § 30.
bei Andokides 4, 26 aber, mit dem Diodor 37. 32. 31 aus einer nachträglichen Um-
13, 74 und Plutarch, Alcib. 12 stimmen, i nrbeitung der Rede des Isokrates.
Diomedes. Wahrscheinlich war, wie der | ^) Das Jahr gibt Isokrates selbst § 9.
I
3. Die Beredsamkeit, d. Isokrates. {% 251.) 329
sehen Schulreden Bovcnqig und '^Atr/yc eyna^iiiov^^) mit denen erden Sophisten 2)
zeigen wollte, wie man ein solches Thema anfassen müsse. Paränetische
Reden sind uns 3 überliefert, der Fürstenspiegel {nQog NixoxXea), gerichtet
an Nikokles, den Sohn des Euagoras, der um 378 seinem Vater in der
Herrschaft von Kypern gefolgt war; die Mahnrede an die Unterthanen des
Nikokles, Nixoxlrjg betitelt, weil sie dem Nikokles selbst in den Mund ge-
legt ist; die Spruchrede an Demonikos, den Sohn eines dem Redner be-
freundeten Mannes. Alle 3 Reden enthalten eine Fülle schöner, ohne sicht-
bares Band aneinandergereihter Sentenzen ; aber die letzte wird von Harpo-
kration u. sTtaxToq oQxog als Werk des Isokrates von Apollonia citiert und
enthält auffällige Abweichungen vom Sprachgebrauch unseres Redners.'')
Mit den Ermahnungen an Nikokles hängt die Lobrede auf Euagoras zu-
sammen. Sie war die erste dieser Gattung, da man zuvor das Gebiet der
fyxMfiia auf Zeitgenossen ganz den Dichtern überlassen hatte ;'^) geschrieben
ist sie nach dem Tod des Euagoras (374) und nach der Mahnrede an
Nikokles (s. 9, 78), um 370.
Den Glanzpunkt der isokratischen Beredsamkeit bilden die epideiktischen
Reden: //«r/^yr^/xo^, Preisrede auf Athen, geschrieben im Sinne einer in Olympia
vor dem versammelten Hellenenvolk gehaltenen Rede (um 380); nXaraixog, den
Platäern in den Mund gelegt, die, von den Thebanern aus Haus und Hof ver-
trieben, den Schutz der Athener anflehten (373);'^()X/'(^a/iog, von Archidamos in
der spartanischen Volksversammlung gehalten,'') um die Bürger zur Ausdauer
in dem Kampf gegen Messenien zu bewegen (365);^) ^vfxiiccxixog r] negl eigrjvrjg,
Flugschrift aus dem Jahre 357 oder 355, worin Isokrates der Kriegspartei des
Chares entgegentritt und ein gerechtes Entgegenkommen gegen die Bundes-
genossen befürwortet; 'AgeouayiTixog^ wahrscheinlich nach dem Bundesge-
nossenkrieg (um 354) geschrieben zu Gunsten des Areopag, indem Isokrates
einen Ausweg aus den zerfahrenen Zuständen nur in der Rückkehr zur alten
Verfassung und in der Wiederherstellung des Areopags sah; Wilimrog^ Send-
schreiben an den König Philipp nach Abschluss des philokrateischen Friedens
(346), in welchem der altersschwache Greis den siegreichen König auf-
fordert, die Städte der Hellenen unter einander zu versöhnen und die
Führerrolle im Krieg gegen die Perser zu übernehmen ; Ilavad^rjvaixog, ge-
') Beegk, Fünf Abhandl. S. 34 rückt | '^) Dieses hebt mit Stolz auf diese neue
diese Rede, weil in ihr Antisthenes als ge- 1 Erfindung seiner Weisheit der Redner § 8
altert bezeichnet werde, in spätere Zeit [ hervor. Auch ein eV^w^to»/ auf Gryllos, den
herab; ebenso setzt sie Br. Keil, Anal, j Sohn des Xenophon, soll er geschrieben
Isoer. p. 6 um d. J. 366. Blass P, 74 f. haben, nach Diog. 11,55: äXXd xaVEg^mnog
geht wieder auf das J. 393 als vermutliche \ iv tm tisqI SEocpQuaxov xcd iMXQazt] (7(rw-
Abfassungszeit zurück. xqüii] em. Meier, Opusc. II, 287) (py]ai
'^) Wer die Bekämpften seien, ob Gor- ; rQvXho iyxiö^iou ysyQctcpsvca. Auch bei
gias mit seiner Helena, oder Anaximenes und | dem Wettstreit der Lobredner auf Mausollos
Polykrates, darüber waren schon die Alten soll er beteiligt gewesen sein ; s. Gellius X,
nach den Argumenten uneins. 18. 6 u. Meier a. 0.
^) Die Echtheit ward zuerst verworfen von \ ^) Natürlich war die Rede nicht wirklich
Benseier; die Untersuchung fortgeführt von ' von Arcliidamos gehalten worden; dieselbe
jW. Jahr, Quaest. Isocrateae. Halle 1881, I wurde von den Alten wegen ihres ethischen
und Albrecht, Philol. 43, 244 ff. u. Ztschr. Gehaltes besonders hoch geschätzt; s. Dionys.
|f. Gymn., Jahrb. 1885 S. 95 f. Von ihrer de Isoer. 9 u. Philostr. Vit. soph. I, 17.
Beliebtheit zeugt die syrische Übersetzung, I ^') Gerichtet war die Rede gegen Alki-
publiziert von Lagarde, Anal. Syr., Lips. 1858. damas; s. § 253.
330 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
schrieben 342—339, eine schlechte Neuauflage des Panegyrikos, ^) in welcher
mit dem Lobe Athens die Verherrlichung der eigenen Kunstrichtung in
ermüdender Breite verbunden ist.
Den Reden sind 10 Briefe angefügt, über deren Echtheit das Urteil
der Kenner schwankt, die aber jedenfalls ganz im Geiste und im Stil des
Isokrates geschrieben sind. Dieselben sind gerichtet an Dionysios den
Tyrannen von Syrakus, an König Philipp, -) den jungen Alexander, an
Antipater, Timotheos (Tyrannen von Heraklea), Archidamos, die Kinder des
lason, die Archonten von Mytilene. In dem 3. Brief an Philipp, der nach
der Schlacht von Chäronea geschrieben ist, geht der Schreiber in seiner
Einfältigkeit so weit, auch noch nach der Niederwerfung der Athener von
einer Führerrolle des Königs in einem Perserkrieg zu träumen. Endlich
bewahrte man in den Rhetorenschulen das Andenken an die vielen hübschen
Aussprüche {ano(fd^€yp,ata) des Lehrers, darunter den schönen rrig TzaiSeiac
n]v fxtv Qi'^av eivai tcixqccv tov dt xagiidv yXvxvv.^)
252. Die Bedeutung des Isokrates liegt in der Ausbildung des Stils
{^e'^ig, chcutio); seine Perioden sind von vollendeter Rundung. Ebenmass
der Glieder ist mit gefälligem Wechsel gepaart; wohlklingender Rhythmus
schlägt an das Ohr des Lesenden, ohne dass doch derselbe ein bestimmtes
Metrum herauszufinden vermöchte. Insbesondere wandte unser Redner dem
Wohlklang {numenis) der Rede am Schluss der Perioden und der Ver-
meidung des Zusammenstosses zweier Vokale (Hiatus) und gleicher Kon-
sonantengruppen in der Aufeinanderfolge zweier Wörter seine Aufmerksam-
keit zu. Die von ihm geforderte Sorgfalt in der Fügung der Rede ist dann
auch für die Folgezeit, insbesondere für die Historiker Polybios, Dionysios
und Plutarch massgebend geworden.*) Auch die Bedeutung der lumina
orationis, der Metaphern und Figuren, hat er wohl gewürdigt; doch hielt
er auch hierin Mass und fiel nicht in den Fehler gesuchter Künstelei.
Aber so hoch man auch diese formalen Vorzüge der Reden des Isokrates
anschlagen mag, so merkt man denselben doch zu sehr die darauf ver-
wendete Mühe an. Auf die Ausarbeitung des Panathenaikos hat er nach
seinem eigenen Geständnis 3 Jahre verwendet, und für sein schönstes Werk,
den Panegyrikos, soll er gar 10 Jahre gebraucht haben, wozu Cäcilius in
dem Buche vom Erhabenen 4, 2 witzig bemerkt, dass Alexander in weniger
Jahren Asien erobert, als Isokrates den Panegyrikos geschrieben habe.
Infolge dessen fehlt seinen Reden die anregende Frische und die natür-
liche Kraft; ihre Schönheit ist zu sehr gemachte Zier. Hübsch verglichen
deshalb die Alten ^) den Isokrates mit dem zum festlichen Agon gerüsteten
Athleten, den Demosthenes mit dem zur Schlacht gewappneten Hopliten.
') Der Titel kommt daher, weil den | att. II, 227.
Hauptteil der Rede das Lob Athens bildet, j ^) Benseler, De hiatu in oratorihus
und weil dazu das nahende Fest der Pana-
thenäen (§ 17) Anlass bot.
'^) Von einem bissigen Feind des Redners
stammt der 30. Brief der Sokratiker, in dem
speziell das Verhältnis des Isokrates zu Phi-
lipp, bei dem er auch mit seinen Reden
betteln ging, begeifert wird.
•*) Zusammengestellt von Sauppe, Orat,
atticis et historicis graecis, Freiburg 1841;
Blass, Gesch. d. Bereds. II, 130 ff.
•^) König Philipp nach Ps. Plut. p. 845 c,
Kleochares bei Phot. p. 121b, 9. ^ihnlich
urteilte der Peripatetiker Hieronymus bei
Dionys. de Isoer. 13 und Philodemos Rhet.
col. 17. I
!
3. Die Beredsamkeit, d. Isokrates. (§ 262 253.)
331
Aber immerhin bleibt doch noch das beste an Isokrates die formale Voll-
endung; der Inhalt seiner Reden dreht sich um wenige Gemeinplätze der
Politik, vermischt mit abgeschmackten Tiraden auf die Grösse seiner Kunst.
Das Lob der Bildung, die Ermahnung der Hellenen zum einträchtigen
Zusammenstehen, die Vorschriften der Humanität, Gerechtigkeit, Mässigung
vernimmt man gern aus seinem beredten Munde; aber das sind Gedanken,
die jeder in den Mund nehmen konnte, und deren stete Wiederholung einen
langweiligen Eindruck macht. Der Panathenaikos ist zur Hälfte aus Phrasen
älterer Reden zusammengesetzt, und in die Rede über den Vermögenstausch
hat Isokrates zum Belege seiner patriotischen Gesinnung ganze Stellen aus
seinen früheren Reden eingelegt. Das zeugt von starker Geistesarmut.
Dabei war aber unser Rhetor so eitel, seine Redekunst für das Höchste
zu halten und dieselbe als die eigentliche Weisheit auszugeben. Wie er
mit dieser hohlen Einbildung den gerechten Spott des Piaton herausforderte,
werden wir weiter unten sehen. Bei aller Sorgfalt in der Glättung der
Rede hing doch dem Isokrates gegenüber der Energie des Demosthenes
die Mattigkeit eines Schulmeisters, gegenüber dem Tiefsinn des Piaton die
Oberflächlichkeit eines Dilettanten an.
Die Codices bilden 2 Familien; die ältere und bessere bildet der ürbinas CXI der
Vaticana (r), in welchem aber die 18. und 21. Rede fehlen (beschrieben ist der Cod. von
Martin, Le manusc. (V Isoer. Urhin., Paris 1881); die 2. Familie ist vertreten durch Vat. 65
vom Jahr 1063 [J] u. Laurent. 87, 14 s. XIII (0). Reste stichometrischer Angaben in r weist
nach Fuhr, Rh. M. 37, 468 ff. Die 2. Rede (§ 1 — 30) ist auch in einem Papyrus erhalten,
worüber A. Schöne, De Isoer atis papyro MassiUensi, Melanges Graux p. 481 — 504, Par.
1884; BLASS, Jahrb. f. Phil. 129, 417 ff. u. Br. Keil, Herm. 19, 596 ff. Dürftige Schollen
und Inhaltsangaben bei Baiter-Sauppe p. 3—11.
Ausgaben: Die Vulgata bildete bis in unser .Tahrh. die Ausg. von Hieronymus Wolf,
Basel 1551; rec. Benseler-Blass, Lips. 1882. — Ausgewählte Reden mit Anmerkungen
für die Schule von Rauchenstein-Reinhardt bei Weidmann, von Schneider bei Teubner.
253. Nebenbuhler des Isokrates und Vertreter der sophistischen Be-
redsamkeit waren Antisthenes, Alkidamas, Thrasymachos, Polos, Lykophron,
Polykrates und des letztgenannten Schüler Zoilos. Von den beiden ersten
sind ein paar Deklamationen auf uns gekommen. Auf Antisthenes, den
Sokratiker, von dem eine theoretische Schrift rceQi Xs^sMq rj uegl xf^Qf^^^^rjQon'
angeführt wird, und von dem uns die 2 kurzen Schulreden Ai'ag und'OSva-
(tsvg erhalten sind,^ werden wir unten bei den Philosophen nochmals zurück-
kommen. Alkida mas aus dem äolischen Eläa war Schüler des Gorgias
und lehrte in Athen gleichzeitig mit Isokrates. Gegen diesen seinen Zeit-
genossen und Rivalen ist die erhaltene Rede tcsqI aoifiardyv /; negl imv
Tovg YQaTTTovg koyovg yQacfovxorv 2) gerichtet, indem darin der Verfasser als
eine Haupterfordernis des Redners die Fähigkeit bezeichnet, sofort über
jeden Gegenstand frei reden zu können. Auch der verlorene Messenikos
stand zu des Isokrates Archidamos in Gegensatz, indem darin Alkidamas
den Lakedämoniern die Freilassung der Messenier empfahl; in ihm kam
bereits der denkwürdige, den Anschauungen der Zeit vorauseilende Satz vor:
^) Im Katalog der Schriften des Anti-
sthenes bei Diog. VI, 15 werden ausserdem
angeführt: 'Oq^otov fcnoXoyia, nsQi tmv (hxo-
yqäcpMv ij ylnaiag xcd laoxQuTrjc. TiQog loy
laoxQihovg cI^iuqxvqov.
-) Die Rede steht im 5. Bande von
Bekker's Orat, Attici p. 073—9. - Ein Bruch-
stück einer anderen Rede gegen Isokrates
ward aus dem Papyrus Erzherz. Rainer ans
Licht gezogen.
332 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
^XfV^fQovc a^rjxf TTccvtag ^foc, ovSera dovXov i) (fixTic TTSTiohjXfr. Einen
weiteren Gesichtskreis hatte des Alkidanias Schrift MovrrsTor, in der unter
anderm die Erzählung von dem Tode des Hesiod vorkam; es lag dem
Museion der durch Beispiele beleuchtete Satz zu gründe, dass die Dichter
Kinder der Musen sind und unter dem Schutze der Götter stehen;^) viele
Anekdoten der älteren Litteraturgeschichte gehen auf dieses Buch des
sophistischen Rhetors zurück.
e. Demosthenes (383—322).
254. Wir kommen zur glänzendsten Stufe der Beredsamkeit, zur
Redegewalt der athenischen Staatsredner. Wie wir oben sahen, hatten
schon im 5. Jahrhundert die grossen Staatsmänner Athens im Gegensatz
zu denen der Spartaner durch überzeugende Darlegung ihrer Politik und
feuerigen Appell an den Patriotismus des Volkes ihren Einfluss begründet.
Themistokles und Perikles waren nicht bloss weitsehende, thatkräftige
Staatsmänner, sie arbeiteten auch unablässig im Verkehr mit Dichtern
und Philosophen an ihrer geistigen Bildung und trugen mit der Gewalt
der Rede ihre erleuchteten Ideen in die Massen. Aber in jener Zeit der
That, wo es noch keinen Buchhandel gab und kaum ein Werk in attischer
Prosa existierte, lebten die Reden der grossen Staatsmänner nur in dem
Gedächtnis der Zuhörer und Zeitgenossen fort, so dass wir z. B. von der
berühmten Leichenrede des Perikles nur durch den Historiker Thukydides
Kenntnis erhalten. Die Dinge waren inzwischen anders geworden: rasch
hatte sich seit dem Anfang des peloponnesischen Krieges ein blühender
Buchhandel in Athen entwickelt, 2) der für Vervielfältigung und Verbreitung
der Schriften sorgte; die Bürger, auch die schlichten und armen, verstanden
sich nicht mehr bloss auf die Handhabung der Waffen, sondern auch auf
Lesen und Schreiben; die Lesesucht war so gross geworden, dass selbst
Tragödien und Dithyramben zum Lesen gedichtet wurden.^) Was Wunder,
wenn nun auch die Staatsmänner mit geschriebenen Reden sich an das
Volk wandten, um auf solche Weise in nachhaltigerer Weise auf dasselbe
zu wirken und in weiteren Kreisen für ihre politischen Ideen Propaganda
zu machen. Von diesem Standpunkt aus sind die publizistischen Werke
des Xenophon über den Staat der Lakedämonier, über die Staatseinkünfte,
über Agesilaos, zu beurteilen, von diesem auch die in die Form der Rede
gekleideten Mahnschriften des Isokrates; sie repräsentieren die Anfänge
der Publizistik und Flugblätterlitteratur. Aber man war doch damals noch
nicht zum papierenen Zeitalter der Zeitungen und Tageblätter herabgesunken ;
der Staatsmann, der wirklich etwas leisten und durchsetzen wollte, durfte
sich nicht auf das Schreiben von Broschüren und Artikeln beschränken,
er musste auch selbst vor das Volk im Ratsaal und auf dem Markte treten
und mit hinreissender Beredsamkeit die Stimmen für seine Politik gewinnen.
^) Vahlen, Der Rhetor Alkidamas, Stzb. j Aristot. Poet. 8 für älter als die attischen
d. Wien. Ak. 1861 S. 491 528. ! Komiker ausgegeben), des Philolaos (von
2) Mit Athen konkurrierte zumeist Si- Piaton in Sikilien gekauft), Piaton u. a.
kilien. wo die Werke dos Herodot (daher 1 erschienen.
'HQotfikov G)ovQioi'), des Theognis (daher zum ") Sie heissen bei Aristoteles, Rhet. IIT,
Sikilier gemacht), des Epicharm (daher bei | 12 p. 1418 b, 18 Lesedramen {(h'aymoariyM).
3. Die Beredsamkeit, e. Bemosthenes. (§ 254—255.)
333
Von den alten Staatsmännern unterschied er sich nur dadurch, dass er auf
doppelte Weise, durch die gehaltene und durch die geschriebene Rede auf
das Volk einwirkte. Gelegenheit aber zu solchem doppelten Redekampf
boten zumeist die Parteiungen und politischen Stürme, welche in der Zeit
des Philipp dem Untergang der hellenischen Freiheit vorangingen. In den
Reden aus jener Zeit fesselt uns nicht bloss die rhetorische Kunst, sondern
noch mehr der Widerhall der gewaltigen Kämpfe um die höchsten Güter
der Nation. Der redegewaltigste von allen war Demosthenes, aber neben
ihm hat die Zeit noch eine ganze Reihe bedeutender Redner hervorgebracht.
255. Leben des Demosthenes. Die Herkunft des Demosthenes i)
drückt sich in dem Formelvers aus Jrji^ioa^tivijg Jrjjj.o(T^£vovg Ilaiavisvg
TciS' siTTsv. Der Vater des Redners war Besitzer einer Waffenfabrik
[nu%aiQOTioi6q), in der 30 Sklaven arbeiteten, und hatte ausserdem noch
durch Pfändung eine Stuhlfabrik mit 20 Arbeitern erhalten. Das Geschlecht
der Mutter stammte aus dem Skythenland. 2) Als Geburtsjahr lässt sich
aus den eigenen Angaben des Redners das Jahr 383 berechnen.^) Der
junge Demosthenes hatte noch nicht das 8. Lebensjahr erreicht, als sein
Vater starb und durch Testament 3 Vormünder seiner Kinder, eines Sohnes
und einer Tochter, bestellte. Aber die Vormünder rechtfertigten nicht das
in sie gesetzte Vertrauen, sie brachten das Vermögen von 15 Talenten,
statt es durch gute Verwaltung zu verdoppeln, fast ganz durch, so dass
es des volljährig gewordenen Demosthenes erste Handlung war, seine Vor-
münder, zunächst den Aphobos, vor Gericht zu ziehen (364). Die nötigen
Rechtskenntnisse und rhetorischen Kunstgriffe hatte er sich bei Isaios er-
worben, als dessen Schüler ihn Hermippos bei Dionysius de Isaeo 1 bezeichnet.
Die beiden Reden, die Anklagerede gegen Aphobos und die Replik auf dessen
Verteidigung, sind uns noch erhalten, und so überzeugend wirkte die Dar-
stellung des 20jährigen Jünglings auf die Gemüter der Richter, dass sie
den Aphobos zum Schadenersatz von 10 Talenten verurteilten. Es reihte
sich aber an diesen Prozess ein anderer gegen Onetor, den Schwager des
Aphobos, der, als es zur Pfändung kam, ein Grundstück des Aphobos als
^) Die Quellen, gedruckt bei Wester-
mann, Biogr. gr. p. 281 — 312 u. Quaest. De-
mosth. IV, sind Ps. Plutarch im Leben
der 10 Redner, mit dem im wesentlichen
Photios cod. 265 stimmt; Plutarch, Vita
Demosth. (Gebhakd, De Plutarchi in riia
Dem. fontihus, München 1880; Stükm, l)e
foniibus historiae Demosthenicae, Halle 1881);
Dionysios ad Ammaeum c. 4u. 10 (wichtig
für Chronologie der Reden) und tisqI 6eiv6-
xrjiog J^jjjioaxievovg; Ps. Lucian, Dem.
encom ; L i b a n i 0 s , Vita et hypotheses Dem. ;
Zosimos, VitaDem.; anonyme Vita;Suidas,
3 Artikel. Die uns erhaltenen Biographien
gehen auf die Reden des Demosthenes und
seiner Gegner und die biographischen Nach-
richten des Demetrios aus Phaleron (siehe
Dionys. de Dem. 53), Hermippos und Satyros
zurück. — Neuere Bearbeitungen: Schäfer,
Demosthenes und seine Zeit, Leipz. 1856,
3 Bde., 2. Aufl. 1889 nach dem Tod des
Verfassers; Blass, Gesch. der attischen Be-
reds. im 3. Bde.; Köchly, Populäre Vor-
träge über Demosthenes, in Ges. Reden;
HuG, Demosthenes als politischer Denker, in
Studien aus dem klass. Alt., Treib. 1881 ;
Maur. Croiset, Les idees morales dans
Veloqiience polit. de Demosth., Montpell.
1874; Bredif, Deloquence politique en
Grece, Demosthene, Par. 1879.
'^) Dinarch adv. Dem. 15 schilt ihn des-
halb einen Skythen. Curtius, Gr. Gesch.
III, 549: „Die ausserordentliche Spannkraft
seines Geistes mag damit zusammenhängen,
dass etwas von dem Blute der nordischen
Völker in seinen Adern floss. Auch der
geistesverwandte Thukydides stammte müt-
terlicherseits von einem nordischen Bar-
barenvolk."
'•^) In Betracht kommt besonders 30, 17
u. 21, 154; s. Blass 111, 7 ff., Schäfer 111,
2, 38 ff.
334 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Unterpfand für die nicht zurückbezahlte Mitgift seiner von Aphobos ge-
schiedenen Schwester in Anspruch nahm. Auch die Rede gegen Onetor
ist uns erhalten, der Ausgang des Prozesses aber unbekannt; wahrscheinlich
kam es schliesslich zu einem Vergleich, bei dem Demosthenes weniges aus
dem Schiffbruch seines Vermögens rettete. ^) So ward denn auch er, ähnlich
wie vordem Lysias, durch äussere Verhältnisse, durch die Nötigung, an
einen Ersatz des verlorenen Vermögens zu denken, auf die Bahn eines
XoyoyQccffoc oder Sachwalters gedrängt. Auf diesem Wege fand er aber
zugleich auch Gelegenheit, sich in der Ausübung der Beredsamkeit zu üben
und die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich zu lenken, wie später auch
Cicero durch die Thätigkeit vor Gericht sich den Weg zur politischen
Laufbahn bahnte. Freilich konnte infolge der athenischen Verhältnisse
Demosthenes nicht, wie Cicero, sich selbst dem Volke zeigen und zum ge-
schickten Entwurf der Rede auch noch die packende Gewalt des Vortrages
fügen. Er schrieb eben bloss die Reden, damit der Angeklagte oder Kläger
sie vor Gericht vortrage; nur in der Rede für Phormion gegen Apollodoros
ist er selbst in der Eigenschaft eines Fürsprechers {avvriyoQog) vor den
Richtern aufgetreten.-) Im übrigen muss er grossen Anklang und Erfolg
mit seiner Advokatenpraxis gehabt haben. Zahlreiche Reden in Privat-
angelegenheiten, die bis zum J. 345 herabreichen, ^) sind dessen Zeuge, und
doch hat er gewiss nur einen ganz kleinen Teil seiner gerichtlichen Reden
der Veröffentlichung wert gehalten. Wenn ihm der Vorwurf der Zwei-
deutigkeit und des Verrates der Sache seines Klienten an die Gegenpartei
gemacht wurde, '^) so beruht dieses wohl nur darauf, dass er für und
gegen Apollodor, den reichen Bankpächter, auftrat; dieses that er aber bei
verschiedenen Prozessen, nicht bei demselben Rechtshandel. Dass er da-
neben auch als Lehrer der Beredsamkeit wirkte, erfahren wir nur aus
Aischines I, 117 und 175, hat aber bei der in Athen herkömmlichen Ver-
bindung der beiden Thätigkeiten eines Redners und eines Heranbildners
von Rednern durchaus nichts unwahrscheinliches.
256. Die Thätigkeit als Sachwalter bildete die Stufenleiter, auf der
Demosthenes zur höheren Stellung eines leitenden Staatsmannes emporstieg.
Das Aufsteigen war ein stufenmässiges; bevor er in der Volksversammlung
sich direkt an das souveräne Volk wandte, trat er vor Gericht und im
Senat in Streitfällen auf, welche die öffentlichen Angelegenheiten berührten.
Die erste Rede derart war die über den trierarchischen Kranz [naql tov
areifävov rfjg tqujquqxi^^), die er 359 nach der Niederlage der Athener im
Seetreffen bei Peparethos zu Gunsten eines Unbekannten^) hielt, der von
^) Darauf führt Aischines in Ctes. 173:
ix TQiVjQUQ^ov XoyoyQacfog ccpecpupf], rcc ncc-
TQ(oci xtiTCiyekdajMg TiQoefxsvog.
2) Dass der avpijyoQog nicht Demosthe-
nes, sondern ein anderer war, nimmt Blass
in, 30 an.
^) Die Privatrede nQÖg 4>cävinnov fällt
erst 330, ist aber unecht. Demosthenes be-
merkt selbst 32, 32: ifxol avfAßtßt]y.6v ttcp^
TiQog tV 7TQccyfA.cc idtoy ■nQoosT.rjXvd^Evca. Vgl.
jedoch Blass 111, 30.
4) Aisch. II, 165; Plut. Dem. 15.
^) Nach Libanios war es Apollodor, was
man daraus vermutet zu haben scheint, dass
die Rede mitten unter solchen steht, welche
für Apollodor gehalten wurden. Über die
Rede, deren Echtheit bestritten wird, siehe
KiRCunoFF, Rede vom trierarchischen Kranz,
ov tjsqI Tioy y.oivaiv Xt'ysiy ?;^|«^>yi/, fAiföt i Abhdl. d. Berl. Ak. 1865 S. 65 — 108.
3. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§ 256-257.)
335
dem Senate nach dem Gesetze den Kranz verlangte, weil er zuerst seine
Triere fertig gestellt hatte. Schon im folgenden Jahr (358) soll er nach
Aischines III, 52 gegen den Feldherrn Kephisdotos als Ankläger wegen
Hochverrates aufgetreten sein ; doch hat er die bei dieser Gelegenheit ge-
haltene Rede nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Aber in die nächste
Zeit fallen die 4 grossen staatlichen Gerichtsreden, die er veröffentlichte
und in denen er zu den öffentlichen Angelegenheiten durch Klagen wegen
gesetzwidriger Anträge (y^atpal naQav6}xwv) bestimmte Stellung nahm.
Zuerst schrieb er 355 für Diodoros eine solche Anklagerede gegen Androtion,
weil dieser eine Bekränzung des Rates der 500 beantragt hatte, wiewohl
derselbe während seines Amtsjahres nichts für die Flotte gethan hatte. ^)
Daran schloss sich die Rede gegen Timokrates, einen Genossen des Andro-
tion, der zu Gunsten der Staatsgläubiger Ausstand für die Rückzahlung
der dem Staate schuldigen Gelder beantragt hatte. Zum erstenmal trat
Demosthenes persönlich in der Eigenschaft eines Synegoros an der Seite
des Ktesippos, eines Sohnes des Chabrias, in einer öffentlichen Prozess-
sache mit der Rede gegen Leptines auf (355/4). Dieser hatte, um der
finanziellen Bedrängnis des Staates abzuhelfen, die Abschaffung der Steuer-
befreiung (dreXsia) für alle mit Ausnahme der Nachkommen der Tyrannen-
mörder Harmodios und Aristogeiton beantragt. Demosthenes, der bei aller
Sorge für die Hebung der Finanzen doch kein Knauser zu unrechter Stunde
war, befürwortete in einer glänzenden, wohl durchdachten Rede das Recht,
ja die Pflicht des Staates, hervorragende Verdienste einzelner Männer zu
belohnen und auf solche Weise die andern zum Wetteifer in Erfüllung der
Bürgerpflichten anzuspornen. 2) In die auswärtige Politik griff die 4. öffent-
liche Rede xard 'ÄQiaToxQctrovg ein (352), in der er, gegenüber dem Aristo-
krates, der besondere Vergünstigungen für den Odryserkönig Kersobleptes
und dessen Schwager Charidemos beantragt hatte, den Satz verfocht, dass
Athen am besten seine Besitzungen im Chersones behaupten könne, wenn
es den Zwiespalt und die Eifersucht der angrenzenden thrakischen Fürsten
möglichst nähre. Diesen Reden schliesst sich die Rede gegen Meidias von
der Ohrfeige {negl tov xovdidoi^) an, mit der Demosthenes 348 ^) den
Meidias, der ihn als Choregen beschimpft und damit das Fest gestört hatte,
I zu belangen gedachte. Die Rede wurde indes nicht gehalten, da es Demo-
1 sthenes noch in letzter Stunde vorzog, einen Vergleich einzugehen und die
j Klage fallen zu lassen.^)
I 257. Inzwischen hatte Demosthenes auch direkt als Volksredner in
1 die Politik einzugreifen begonnen, und wir kommen somit zu seiner bedeut-
isamsten Thätigkeit als leitender Staatsmann und Verfasser von Volks-
^) Dionj'S. ad Amm. 4 nennt sie die
I erste öffentliche Rede, indem er die Rede
1 wegen des trierarchischen Kranzes aussei-
Betracht lässt.
' -') Die Rede ward mit der Gegenrede
<U'S Rhetors Aristides herausgegeben und
nläutert von F. A. Wolf, Halle 1790.
•') Nach § 154 war er dvo y.cd rQiüxov-
nc tif] alt, was Schäfer in ctaaccQu x. t(>.
änderte; s. Böckh, Zeitverhältnisse der dem.
Rede gegen Meidias, Ges. Sehr. V, 153—205.
^) Strittig ist es, ob Demosthenes auch
nur die Rede herausgegeben hat, oder ob
dieselbe erst nach seinem Tod aus seinen
Papieren herausgegeben wurde; über diese
Kontroverse s. Hüttner, Jahresb. d. klass.
Alt. 1887 S. 218 f.
336
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
reden {Stj^ijoYiai).'^) Zur Zeit seines ersten Auftretens waren die Ver-
hältnisse Athens überaus traurig und zerfahren. In den Kämpfen mit den
Thebanern und Thessaliern war die Grenzstadt Oropos an die Thebaner
verloren gegangen (366), und konnte es der Tyrann Alexander von Pherä
nach der Niederlage des athenischen Admirals Leosthenes bei Peparethos
wagen, mit seiner Flotte in den Hafen des Piräus einzulaufen (361). So-
dann war Athen durch den unglücklichen Ausgang des Bundesgenossen-
krieges (357 — 5) fast all seiner auswärtigen Besitzungen beraubt und auf
den dürftigen Besitz von Lemnos, Imbros, Skyros und der Südküste des
thrakischen Meeres beschränkt worden. Im Innern war auf die kräftige
Leitung des Staates durch Kallistratos, der 361 in die Verbannung gehen
musste, eine Periode der allgemeinen Erschlaffung und spiessbürgerlichen
Friedens- und Handelspolitik gefolgt. Ihr Träger war Eubulos, der, hoch-
fahrenden Plänen abhold, lieber die verringerten Kräfte des Staates der
Pflege gemächlichen Lebens als dem Ruhme der Hegemonie zuwenden
wollte. Demosthenes ganze Natur widerstrebte von vornherein einer so
mattherzigen Politik; doch ist die volle Energie seines Wollens erst durch
das Vorgehen des Königs Philipp geweckt worden, und selbt diesem gegen-
über war sein Verhalten anfangs noch zaudernd und zurückhaltend, bis
erst allmählich die helle Flamme des Hasses gegen die Vertreter der
Friedenspolitik, die Vaterlandsverräter, wie er sie schalt, emporschlug.
Bis zum ersten Auftreten gegen Philipp in der L philippischen Rede (351)
war überhaupt sein politisches Auftreten mehr ein gelegentliches, aus dem
noch nicht die feste Richtung auf ein bestimmtes Ziel hervortrat.
Die Volksreden, die er in jenem vorbereitenden Stadium seiner politi-
schen Thätigkeit hielt, waren nachfolgende: In der trefflich disponierten
Rede 7T£qI avfbifiOQiwr (über die Steuerverbände) suchte er 354, als ein Krieg
mit dem Perserkönig auszubrechen drohte, das überstürzte Kriegsfieber der
Athener zu dämpfen, indem er vor allem zur besseren Ausrüstung der Flotte
durch Vermehrung der zur Trierenleistung verpflichteten Bürger und durch
Erhöhung der Zahl der Schiffe auf 300 drang. Im folgenden Jahr (353),
als Gesandte der Spartaner und der von denselben hartbedrängten Stadt
Megalopolis in Athen erschienen waren, warnte er in der Rede vntQ MeyaXo-
TioXiTMv vor einem unbedingten Eintreten für die Megalopoliter und empfahl
eine blosse Aufforderung zum billigen Ausgleich an die streitenden Par-
teien. Ahnlich wie in der Aristokratea verfocht er auch hier den Satz, dass es
dem Staate fromme, wenn die Lakedämonier wie die Thebaner schwach seien
In der Rede VTitg Trjg ^Podmv nohTsiag (351) tritt er schon für eine aktiver
Politik ein, indem er den alten Gedanken, dass die Athener sich als ei
Bollwerk der Demokratie hinstellen müssten, aufnahm und der Unterstützun
der Demokraten von Rhodos gegen die von Mausollos begünstigten Oli
garchen trotz der im Bundesgenossenkrieg bewiesenen Undankbarkeit de
Rhodier das Wort redete.
258. Von da an konzentrierte sich die ganze politische Thätigkeit
unseres Redners um die Abwendung der grössten Gefahr, die Athen und
^) L. Spengel, Die Demegorien des De-
mosthenes, Ablidl. d. b. Ak. IX (1860);
Hartel, Demostheiiische Studien, Stzb. der
Wien. Ak. 1877-8.
S. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§ 258—269.) 337
ganz Hellas von Norden, von dem König der Makedonier, drohte. Demo-
sthenes erkannte gleich im Anfang die Gefahr und setzte dann mit immer
steigender Energie all seine Beredsamkeit und all seinen Einfluss ein, um
die Athener aus ihrem Schlafe aufzurütteln und die Gegenpartei des Eu-
bulos, Aischines, Philokrates, Demades niederzudonnern. Die erste Rede,
die er in dieser Richtung hielt, ist die 1. philippische Rede, gehalten 351
bald nach dem Zuge gegen Pylä, auf den § 17 angespielt ist. Mit Ein-
sicht und Kraft, ohne Rücksicht auf den Beifall der genusssüchtigen Menge
mahnte er zur Rüstung, namentlich zur eigenen Beteiligung der Bürger,
die wenigstens V^ des Heeres stellen sollten. Ernst in der Kriegsführung
that in der That äusserst not, da Philipp nicht bloss Pydna, Methone,
Potidäa bereits weggenommen hatte, sondern auch schon die alten Be-
sitzungen der Athener auf Imbros und Lemnos bedrohte. Auffälligerweise
nahm Dionysius ad Amm. 4 an, dass mit § 30 eine neue Rede beginne,
wahrscheinlich verleitet durch die Überschrift IIöqov d/iöSsi^ig, die aber
nicht eine neue Rede einleitete, sondern der eingelegten Urkunde galt.^)
In die nächste Zeit fallen die 3 olynthi sehen Reden, von denen die letzte
im Jahre 349/8 gehalten wurde. Philipp begann schon 351 Olynth, die
mächtigste Stadt der Chalkidike, zu bedrängen, und die Athener, wohl ein-
sehend, dass es sich dort um ihre vitalsten Interessen handle, sandten im
ganzen 3 Hilfkorps zum Ersatz der bedrängten Stadt ab; aber die Situation
bei der 1. und 2. Rede ist im wesentlichen die gleiche,-) und nur zwischen
die dritte und die beiden ersten Reden fiel ein kleiner Erfolg der atheni-
schen Hilfstruppen. 3) Demosthenes trat mit aller Kraft für eine entschie-
dene Hilfeleistung ein, und die markige Wucht der Sprache stempelt die
3 kurzen Reden für Olynth zu den vorzüglichsten Erzeugnissen der demo-
sthenischen Beredsamkeit. Aber die Anstrengungen des Redners blieben
ohne Erfolg; er selbst wagte es nicht, einen förmlichen Antrag auf Ver-
wendung der Theatergelder für Kriegszwecke zu stellen,^) und ehe sich
Athen zu einer thatkräftigen Hilfeleistung mit einem Bürgerheer aufraffte,
fiel die Stadt durch den Verrat der beiden Reiterführer Lasthenes und
Euthykrates in die Gewalt des Makedonerkönigs.
259. Schon in das 10. Jahr ging der Krieg mit Philipp; die Kräfte
Athens waren erschöpft, ein Staat, der wie Athen so ganz auf den Handel
und den Export von Artikeln der Kunst-Industrie angewiesen war, konnte
') Barak, Die einheitliche Komposition
der 1. phil. Rede, Wien. Stud. VI, 173—205.
^) Schon 1, 2 u. 17 ist, wie Hartel,
Dem. Stud. I, 15 hervorhebt, aller Nachdruck
darauf gelegt, dass die Bürger selbst in das
Feld ziehen sollen, war also wahrscheinlich
schon die Absendung von Söldnertruppen
Reden gegen Philipp (Stzb. d. b. Ak. 1880
8. 273 ff.) insofern bei, als er die 1. olynth.
Rede im J. 352 vor der 1. philippischen ge-
halten sein Hess; dagegen Baran, Zur Chro-
nologie des euböischen Krieges und der
olynthischen Reden des Dem., Wien. Stud.
VII. 190-231.
vorausgegangen. I ■*) Bloss eine Anregung enthält Olynth.
^) Dem. 3, 35. Dionys. ad Amm. hatte, i 3, 10; einen förmlichen Antrag hatte im
wohl durch Philochoros Nachrichten von den ! Frühjahr 349 bei der Expedition nach Euböa
verschiedenen Hilfszügen verleitet, einen und Olynth ApoUodor gestellt, war aber in-
grösseren Zwischenraum zwischen der 1. u.
folge der Anklage des Stephanos wegen ge-
2. Rede angenommen und die 2. vor die 1. | setzwidrigen Antrags nicht durchgedrungen
gesetzt. Ihm pflichtete in neuester Zeit (in Neaer. 3 f.)
Unger, Zeitfolge der 4 ersten demosthen. |
Ilaiulbucb der klass. Altertumswisscuschaft. VII. 2. Aull, 22
338 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
nicht auf die Dauer die Unsicherheit der Meere und den alles gefährdenden
Kriegszustand ertragen. Auch an seinen Verbündeten hatte Athen keine
Freude erlebt: der schändliche Tempelraub der Phokier musste die frommen
Seelen unter den Athenern mit Abscheu erfüllen ; die Jahre lang fortdauernde
Verwüstung griechischen Landes durch die gegenseitigen Raubzüge der
Phokier und Thebaner war gewiss nicht bloss einem unpraktischen Friedens-
freund wie Isokrates, sondern auch vielen anderen Athenern ein Greuel.
Auf der anderen Seite litten auch die Küsten des makedonischen Reiches
schwer unter dem langjährigen Krieg mit einem zur See überlegenen Feinde,
so dass sich auch Philipp zum Frieden, namentlich zu einem Separatfrieden
mit Athen geneigt zeigte. So beschloss Athen auf den Antrag des Philo-
krates hin eine Gesandtschaft von 10 Männern an den Philipp zur Ein-
leitung von Friedensverhandlungen abzuordnen, und nachdem diese über
die zu erwartenden Friedensbedingungen günstigen Bericht erstattet hatten,
durch dieselben Gesandten den Frieden zu ratifizieren und den Philipp zu
vereidigen. So kam 346 der Friede des Philokrates zu stände. An seinem
Zustandekommen hatte Demosthenes mitgewirkt; denn er war beidemal
zugleich mit Aischines Mitglied der Gesandtschaft, und wenn er auch mit
seinen Kollegen in Bezug auf die Langsamkeit der Reise und die Schön-
färberei der Berichterstattung nicht einverstanden war, so hatte er sich
doch auch nicht entschieden von ihnen getrennt und seine Mitwirkung offen
versagt. Er war wohl gleich den andern von der Notwendigkeit des
Friedensschlusses überzeugt und sah sich ausser stand, den Philipp zur
schleunigeren Eidesleistung und zur Einbeziehung der Phokier in den Frie-
den zu zwingen. Aber wenn er nicht mit gleich guter Hoffnung an dem
Friedenswerk mitarbeitete, so zeigte sich bald, wie sehr seine Besorgnisse
begründet waren. Der schlaue Philipp hatte sich nicht bloss durch sein
Säumen vor der Eidesleistung in den Besitz mehrerer wichtigen Punkte
der thrakischen Küste gesetzt, er warf auch nach dem Abschluss des
Separatfriedens offen bezüglich der Phokier die Maske ab, setzte sich mit
seinen nun freigewordenen Regimentern sofort gegen Thessalien in Be-
wegung und nahm in Ausführung eines Amphiktionenbeschlusses an den
Phokiern, den vormaligen Bundesgenossen der Athener, blutige Rache für
ihre Frevel. Über eine solche Treulosigkeit, die so gar nicht den ver-
lockenden Vorspiegelungen der Gesandten entsprach, geriet man in Athen
ausser sich, war aber ihr gegenüber vollständig ohnmächtig, da man keine
Macht hatte dem Philipp entgegenzutreten und da obendrein die formellen
Friedensbedingungen von demselben nicht verletzt worden waren. Aber
um so mehr wütete man im Innern gegen die Verräter, die durch das Geld
des Philipp bestochen, den ungünstigen Frieden herbeigeführt hätten. Zu-
erst fiel der Hauptanstifter Philokrates; bald kam auch Aischines an die
Reihe, gegen den Timarchos und mit ihm Demosthenes eine Klage wegen
Truggesandtschaft {7TaQaTTQ8(T ßsiag) eixihrachte. Die Klage kam nicht so-
gleich zum Austrag, da ihr Aischines mit einer Klage gegen Timarchos in
den Weg trat, indem er denselben schändlicher Hurerei beschuldigte, wo-
durch er als aiiiiog das Recht öffentlicher Klage verscherzt habe. So kam
der Prozess gegen Aischines erst 343 zur Verhandlung; die Anklagerede
3. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§ 260.)
339
des Demosthenes wie die Verteidigungsrede des Aischines sind uns erhalten,
doch muss Demosthenes seine Rede erst hintendrein sorgfältig ausgearbeitet
und zum Teil auch umgearbeitet haben. Denn wie man aus Aischines II, 86
sieht, kamen in der wirklich gesprochenen Rede des Demosthenes Dinge
vor, die in der geschriebenen und uns erhaltenen nicht stehen. ^) Die lange
Anklagerede nimmt gegen Aischines ein, genügt aber nicht, um uns von
der vollen Schuld desselben, dass er sich nämlich nicht bloss durch den
schlauen König überlisten Hess, sondern um Geld die Interessen seines
Vaterlandes verraten hat, vollauf zu überzeugen. Auch die Geschworenen
Athens traten nur zum Teil auf die Seite des Demosthenes: mit einer
Mehrheit von 30 Stimmen wurde Aischines freigesprochen. 2)
260. Nun folgt eine Periode der Friedenslockerung, indem die Athener
die Feinde Philipps unterstützten und allmählich einen latenten Krieg zu
führen begannen, ehe es zum förmlichen Bruch kam. Demosthenes trat
anfangs noch für Aufrechthaltung des Friedens ein; das that er 346 mit
der Rede TtsQi siQrjvrjc, in welcher er von der Opposition gegen die Auf-
nahme Philipps in den Amphiktionenbund abriet. Nach und nach aber
stellte er sich immer entschiedener an die Spitze der antimakedonischen
Partei, indem er die Umtriebe Philipps aufdeckte und ihm die Schuld des
Friedensbruches zuzuschieben suchte. Die in diesem Sinn von Demosthenes
gehaltenen und zur Verbreitung seiner Gedanken auch durch Abschriften
veröffentlichten Reden sind: die 2. philippische Rede (342), die Rede
über die Angelegenheiten im Chersones (341), die 3. philippische Rede (341).
Von diesen ist weitaus die schönste und kraftvollste die 3. philippische
Rede, von der uns zwei, schwerlich beide auf Demosthenes selbst zurück-
gehende Rezensionen, eine kürzere und eine erweiterte überliefert sind.^)
Ausserdem haben wir aus jener Zeit noch 4 Reden, deren Echtheit zweifel-
haft ist: erstens die über Halonnesos, ein Inselchen, das Philipp den See-
räubern entrissen hatte, und das die Athener als alten Besitz von ihm
zurückforderten. Demosthenes hatte in der Sache wirklich gesprochen, aber
die erhaltene Rede rührt nicht von ihm her, sondern von einem radikaleren
und derberen Vertreter der Kriegspartei, ^) wahrscheinlich von Hegesippos,
dem sie nach der Hypothesis des Libanios ^) von einem Teil der alten Ge-
lehrten zugesprochen wurde. Die zweite verdächtige Rede ist die 4. phi-
lippische, in die ganze Paragraphen aus der Rede usqI twv ev XsQcrovt'jdo)
übertragen sind, in der aber auch mehreres, sonst nicht bekanntes, wie
^) Über die neuere Litteratur hierüber
s. Hüttner, Jahresb. d. klass. Alt. 1887,
217 f.
'^) So ein Gewährsmann des Plutarch
Dem. 15; Flut, selbst und vielleicht auch
Dionys. ad Amm. 11 nahmen an, dass der
Prozess gar nicht zur Entscheidung kam.
Aber Demosthenes selbst de cor. 142 spricht
gegen diese Annahme ; s. Blass III, 308 f.
^) Die kürzere liegt uns im cod. 2' vor,
nach dem die Rede von Westermann in
seiner Ausgabe abgedruckt ist. Die kürzere
Fassung liegt auch den stichometrischen
Angaben der Attikusausgabe zu gründe;
s. Christ, Die Attikusausg. des Dem. 55 ff.
Über die 2 Redaktionen handelt Dräseke,
Überlieferung der 3. phil. Rede des Dem.,
in Jahrb. f. Phil. Suppl. VII. Neuerdings
weist auch A. Spengel, Stzb. d. b. Ak. 1887
S. 272 ff, nach, dass die längere Redaktion
nicht von Dem., sondern von unverständigen
Interpol atoren herrührt.
^) Dem. spricht nicht so derb wie der
Verf. der Rede § 45: sitisq v/usTg tw iy-
xecpuXoy fV ro?g XQOidcfOig y.ai y.i] iv xcuq
nxBqviug xcnansncntjfÄti'oy cpoQSiTs.
•') Ebenso von Harpokration u. iTyr^atn-
\ 71 og und von Photios p. 491a, 11.
22*
340 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Über Abführung des Fürsten Hernieias von Atarneus nach Innerasien vor-
kommt. In der erhaltenen Gestalt ist die Rede niemals gehalten, in ihr
auch schwerlich von Demosthenes selbst veröffentlicht worden; wahrschein-
lich rührt sie von einem Rhetor her, der eine Ausgabe der philippischen
Reden ohne die Rede über die Angelegenheit des Chersones besorgte und
dabei Papiere des Demosthenes über konzipierte, aber nicht veröffentlichte
Reden benützte. Unecht ist drittens auch die Rede nqog TijV €Tn(fTo?,r]r
Ttp' (I>iXi7T7Tov, in die gleichfalls mehrere Paragraphen aus anderen Reden
eingelegt sind, auf die Sache selbst aber, die Zurückweisung der von
Philipp in dem Brief erhobenen Beschwerden, wenig eingegangen ist.
Dieser Brief selbst ist mit der Rede erhalten; schwankend aber ist das
Urteil über seine Echtheit. Aus der Rede des Demosthenes ist er sicher
nicht von einem späteren Rhetor zusammengestellt; hat ihn ein Rhetor
fingiert, so hat derselbe dazu jedenfalls die zeitgenössischen Geschichts-
werke des Theopomp und Hieronymos von Kardia benützt.') Endlich ist
eine allgemein gehaltene und daher chronologisch gar nicht fest datierbare
Deklamation ti8qI awra^ewa auf uns gekommen, in der für Aufhebung der
Theorikenkasse plädiert wird.
261. Zur offenen Kriegserklärung kam es auf Betrieb des Demosthenes
340, als Philipp die den Athenern verbündeten Städte Perinth und Byzanz
am Bosporus angriff. Anfangs waren die Athener glücklich; der Bered-
samkeit und diplomatischen Geschicklichkeit des Demosthenes gelang es
sogar, eine Aussöhnung und ein Bündnis der Athener und Thebaner zu
stand zu bringen, aber die entscheidende Niederlage bei Chäronea (338)
machte allen Berechnungen und Hoffnungen ein Ende. Demosthenes, der
persönlich an der Schlacht teilgenommen hatte, legte auch nach der ver-
hängnisvollen Niederlage die Hände nicht in den Schoss; er hielt nicht
bloss die Leichenrede auf die Opfer der Vaterlandsverteidigung, 2) er be-
antragte auch die Ausbesserung der Mauern und trat selbst in die be-
treffende Kommission ein, wobei er zu den vom Staate ausgeworfenen
Mitteln noch Geld aus seiner eigenen Tasche zuschoss. Wegen dieser Ver-
dienste beantragte Ktesiphon im Jahre 336 kurz vor Philipps Tod 3) eine
öffentliche Bekränzung des Demosthenes und zwar, um die Demonstration
der Patrioten und Makedonierfeinde desto glänzender zu gestalten, im
Theater, an den Dionysien, vor den versammelten Bundesgenossen. Sofort
erhob Aischines gegen den Antrag Einsprache und verhinderte dessen Aus-
führung, indem er den Ktesiphon mit einer Klage wegen Gesetzwidrigkeit
belangte. Der Prozess verschleppte sich, man weiss nicht warum, 6 volle
Jahre und kam erst im Jahre 330 zur Verhandlung. Die Klage war äusser-
lich gegen Ktesiphon gerichtet, sie galt in der That aber dem Demosthenes
*) BöHNEKE, Demosthenes, Lykurg, Hy- i Machwerk eines unbekannten Rhetors mit
perides S. 482- 607 verteidigt die Echtheit \ Benützung des platonischen Menexenos und
von Rede und Brief. Schon Philochoros ^ des Hypereides; s. Schäfer III, 33.
kannte den Brief nach Dionys. ad Amm. 11. | ^) Aesch. 3, 219; fälschlich lassen Ci-
Vgl. W. NiTSCHE, Progr. d. Sophiengymn, \ cero de opt. gen. orat. und Plut. Dem. 24
in Berlin, 1876. | die Klage schon vor der Schlacht von Chä-
2) Dem. de cor. 285. Der erhaltene ; ronea angebracht sein; s. Böhneke, For-
iniiu(piog indes ist unecht, ist ein klägliches j schungen 587 ff, und Schäfer III, 78.
3. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§261—262.)
341
lind der von ihm vertretenen Politik; sie hängte sich an Nebenpunkte,
weil die ßekränzung beantragt war, ehe Demosthenes Rechenschaft abge-
legt hatte, und weil die Gesetze eine Bekränzung im Theater verpönten;
sie sollte in Wahrheit aber die Handlungsweise des Demosthenes treffen,
der weit entfernt eine solche Auszeichnung zu verdienen, an allem Unglück
der Griechen schuld sei. Der Prozess war so von vornherein ein hoch-
politischer; er erhielt noch mehr den Charakter einer grossen Staatsaktion,
in der ein Verdikt über die beiden sich gegenüberstehenden Parteien, der
käuflichen Friedensfreunde und der ungebeugten Verteidiger der Ehre des
Vaterlandes, gefällt werden sollte, durch die Kunst der beiden Redner, die
sich einander im entscheidenden Redekampf massen, des Anklägers Aischines
und des Verteidigers Demosthenes. Cicero sagt in der seiner Übersetzung
der demosthenischen Rede vorausgeschickten Einleitung: ad quod iudicium
concursiis dicihtr e tota Graecia f actus esse; quid enim tarn aut visendum
aut audiendum fuit quam summorum oratorum in gravissima causa accurata
et inimicitiis incensa contentio? Beide Reden sind uns erhalten; die demo-
sthenische, die Rede vom Kranz (nsQl arecpdvov, nicht vrrbQ aT€(p.), ist
ein unübertroffenes Meisterstück, in welcher der Redner durch geschickte
Anordnung die schwachen Punkte verkleidet^) und mit der Verteidigung
seines Klienten die Verherrlichung seiner Verdienste und die moralische
Zerm.almung seines Gegners verbunden hat; sie ist ein glänzendes Denkmal
des Patriotismus und zugleich der Beredsamkeit des Mannes, der durch
seine flammende Vaterlandsliebe und hinreissende Redegewalt selbst diese
Zeit des Niedergangs der hellenischen Freiheit verklärt hat. 2) So urteilten
auch bereits die Geschworenen Athens, die so zahlreich für die Politik des
Demosthenes eintraten, dass Aischines nicht einmal ein Fünftel der Stimmen
erhielt.
262. Die grossen Siege Alexanders in Asien überstrahlten mit ihrem
Glänze so sehr die Streitigkeiten der Griechen untereinander und die ohn-
mächtigen Versuche einer Auflehnung gegen die makedonische Oberherr-
schaft, dass auch ein Politiker von dem Scharfblick und der Redegewalt
des Demosthenes nichts auszurichten vermochte. Es fällt zwar in jene
Zeit^) die unter seinem Namen umlaufende Rede tt^qI tmv ngog ^AXt'^avSqov
avvd^r^xcov, die eine Aufforderung zum Aufstand gegen die Makedonier
wegen Bruchs der Verträge enthält; aber dieselbe ist, wie bereits die Alten
sahen, 4) weit entfernt von demosthenischem Charakter. Auch kam die
') Den schwachen Punkt bilden die
rechtlichen Seiten der Frage; diese sind in
die Mitte genommen, so dass Demosthenes
durch Darlegung seiner Politik der Ehre
und des Patriotismus im ersten Teil die
Richter für sich einnimmt und im dritten
diejenigen, welche durch die schwache Recht-
fertigung der Rechtspunkte wankend gewor-
den waren, wieder für sich gewinnt und
durch' das Pathos des Epiloges zur bedenken-
losen Parteinahme fortreisst.
2) L. Spengel, Demosthenes' Verteidigung
des Ktesiphon, Abhdl. d. b. Ak. X (18G3);
Reich, Beweisführung des Aeschines in
seiner Rede gegen Ktesiphon, 2 Progr. von
Nürnberg 1884—5: Fox, Die Kranzrede des
Dem., Leipz. 1880.
^) BöHNEKE, Forschungen 1, 628, ebenso
Spengel, Blass setzen die Rede vor Thebens
Zerstörung im Sommer 335; hingegen Schä-
fer III, 191 in 330, ebenso Windel, De ora-
tione Demosthenis decima septima, Gott.
1881, und KoRNiTZER, Ztschr. f. östr. Gymn.
1882 S. 249 -70.
^) Nach Libanios in der Hypothesis
fanden einige in ihr den Charakter des
Hypereides.
342 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Leitung der beiden Parteien Athens allmählich in andere Hände, in die
des Hypereides auf der einen und die des Demades auf der anderen Seite.
Eine neue Bewegung, in die leider auch unser Redner verwickelt werden
sollte, brachte die Angelegenheit des Harpalos. Dieser war mit Schätzen
des Königs Alexander durchgegangen und begehrte Einlass in Athen.
Demosthenes erklärte sich gegen die Aufnahme und riet, nachdem Harpalos
doch Einlass gefunden hatte, zur Deponierung der Gelder auf der Akropolis.
Als hintendrein, nachdem Harpalos nach Kreta geflohen war, das Depot
untersucht wurde, fand sich ein bedeutendes Defizit, und entstand der Ver-
dacht, dass die fehlende Summe zur Bestechung der Redner verwendet
worden war. Der Areopag nahm selbst die Voruntersuchung der faulen
Sache in die Hand und veröffentlichte eine Liste derjenigen, welche Geld
von Harpalos empfangen hätten (tÖ)v ^MQoSoxriadvrcov). Auf dieser stund
auch Demosthenes mit 25 Talenten.^) Die Sache kam darauf vor Gericht
und da Demosthenes nicht leugnen konnte, Geld empfangen zu haben, und
nur behauptete, dasselbe nicht für sich, sondern für die öffentlichen Be-
dürfnisse der Stadt erhalten zu haben, so verurteilten die Richter, ohne die
Sache näher zu untersuchen,^) den Redner zu einer Geldbuse von 50 Ta-
lenten (324). Da er die Summe nicht bezahlen konnte, so entfloh er nach
Aegina und weiter nach Trözen. Seine Rechtfertigung und Bitte um Rück-
berufung, die den Inhalt des zweiten an das Volk und den Rat der Athener
gerichteten Briefes bilden, fruchteten nichts; eine Wendung trat erst ein,
als nach dem Tode Alexanders (323) Athen, Argos und Korinth sich gegen
die makedonische Zwingherrschaft erhoben. Demosthenes schloss sich noch
als Verbannter den athenischen Gesandten, welche den Krieg gegen die
Makedonier predigten, an und ward bald feierlich auf Demon's Antrag
zurückberufen. Aber der Traum der wiedererstandenen Freiheit sollte
nicht lange währen; die Niederlage bei Krannon vernichtete vollständig die
Hoffnung der Patrioten. Athen wurde eingenommen und mit einer Be-
satzung belegt. Demosthenes und Hypereides, auf Antrag des Demades
zum Tode verurteilt, ergriffen die Flucht. Demosthenes gelang es nach
Kalauria in den Poseidontempel zu entfliehen; aber die Schergen des An-
tipater rissen ihn vom Altar. Glücklicherweise hatte er Gift in einem
Siegelring oder Schreibrohr bei sich, so dass er sich durch freiwilligen Tod
den Insulten seiner Feinde entziehen konnte.^) So starb Athens grösster
Redner im Oktober 322, nachdem er in seinen letzten Jahren ein ähnliches
Geschick, wie später der grösste Redner Roms zu erleiden gehabt hatte.
263. Kunst des Demosthenes. Die Sache hat es mit sich gebracht,
dass wir in die Darstellung des Lebens unseres Redners auch schon die
^) Plut. Dem. 25 erzählt nach feind- [ Q((^yxV^ stk^cpS^ca vvxtioq toV dfjjuccyMyop.
seliger Quelle die Anekdote von dem gol- j '^) Wir haben aus dem Prozesg noch
denen Becher, der bei der Musterung dem 1 die von Invektiven überfliessende Rede des
Dem. in die Augen gestochen sei, und den i Dinarch und Teile der Rede des Hyperides.
ihm Harpalos dann gefüllt mit 20 Talenten
zugeschickt habe; ebenso den schlechten
Witz, den einige über Dem. machten, als
er mit verbundenem Halse auf den Markt ' auf einem in England befindlichen Terra-
kam und nicht sprechen zu können erklärte : kottarelief; s. Baumeister, Denkm. 425.
oi'x V7i6 ovvdy)(rjg e(fQat,oy, al/C vii' aqyv- \
i
Über mangelhafte Untersuchung beschwert
sich Dem. im 2. Brief.
2) A^]^oG^ivi]q inißtofxiog ist dargestelll
3. Die Beredsamkeit, e. Demostheues. (§ 263.)
343
Aufzählung seiner Reden und Bemerkungen über seine rednerische Be-
gabung einflochten. Daher kann ich mich hier über diese beiden Punkte
kurz fassen. Um mit dem letzteren zu beginnen, so war Demosthenes bei
Isaios in die Schule gegangen,') aber in seinem ganzen Auftreten merkte
man ihm wenig von der Schule an, bildete er vielmehr eine Persönlichkeit
für sich. Diese seine eigentümliche Stellung hatte ihre Wurzel in dem
sittlichen Ernst seiner Politik, in der mannhaften Entschiedenheit, mit der
er in einer Zeit der Verweichlichung und des Kleinmutes für die Ehre und
Freiheit seines Vaterlandes eintrat, in dem Feuer, mit dem er seine Ideale
ergriff und seine Zuhörer fortzureissen verstand. Dionysios, der feine
Kenner der Redner, hat mit dem Worte deivÖTifi die charakteristische
Eigenschaft unseres Redners bezeichnet. Er hat dieselbe zunächst in der
sprachlichen Kunst seiner Reden nachgewiesen ; weit ergiebigeren Stoff noch
hätte ihm der Inhalt, die in den Reden vertretene Politik und die schlag-
fertige Gewalt der Argumentation, geliefert. Aber wenn auch seine Reden
ganz aus dem Leben und aus den Kämpfen einer bewegten Zeit hervor-
gegangen sind und dadurch einen ganz anderen Eindruck auf uns machen
als die in dem Schatten der Schule gezeitigten Deklamationen, so war er
doch nicht ein einfaches Naturgenie, sondern hatte sich erst mit Mühe und.
Sorgfalt zu dem grossen Redner herangebildet. Dass er alle Kunstgriffe
der Rhetorik kannte, dass er ganz nach den Regeln der Schule die schwa-
chen Teile durch die Kunst der Anordnung [Tcc^iq) zu verstecken und durch
das Pathos und die Zuversicht der Rede die Schwäche der Beweisgründe
zu übertönen suchte, das hat uns besonders Spengel, der gründliche Kenner
der alten Rhetorik, einzusehen gelehrt. Ist durch dessen Nachweise der
Glaube an die Unparteilichkeit des Demosthenes und an die Wahrheit seiner
Anklagen in nicht wenigen Fällen herabgemindert worden, so ist die Be-
wunderung seiner Kunst um so höher gestiegen. Die Regeln dieser Kunst
und die Gewandtheit im sprachlichen Ausdruck hat Demosthenes zunächst
in den Rhetorenschulen und in dem Studium geistesverwandter Autoren,
wie Thukydides, gelernt. 2) Geweckt wurde dann sein Entschluss, dereinst
als Redner seine Kräfte dem Staate zu weihen, durch das Vorbild des
grossen Staatsmannes Kallistratos; nach alter Überlieferung^) v/ar es dessen
Rede über Oropos (gehalten 366), welche zündend auf den jungen Demo-
sthenes wirkte und seine Lebensrichtung bestimmte. Natürlich Hess es
derselbe aber auch nicht an der Übung fehlen, die für ihn um so not-
wendiger war, als er verschiedene Hindernisse der Natur zu überwinden
hatte. Um sich das anstössige Heben der einen Achsel abzugewöhnen,
stellte er sich während des Deklamierens unter ein von der Zimmerdecke
^) Dionys. de Isaeo 1 ; Schäfer I, 254 fF.
'') In dem 5. Brief p. 1490 preist Dem.
die Unterweisung des Piaton {jrjv llXäxMvog
^latQißrjp), und danach sagt Cicejo Brut.
81, 121: lectitavisse Platoncm studiose,
audivisse etiaiii DemostJienes dicitur. Abei'
die Reden des Dem. verraten durchaus keinen
Einfluss riatons; die praktische Natur des
Dem. war von vornherein der philosophischen
Spekulation abgekehrt; s. Schäfer I, 280 ff.
Mehr glaublich ist sein Studium des geistes-
verwandten Thukydides, den er 8 mal ab-
geschrieben haben soll; s. Lucian adv. ind. 4;
aber auch dafür bieten seine Reden keinen
greifbaren Anhalt. Nachahmungen des Ly-
kurgos u. Isaios wies der Rhetor Theon in
Rhet. gr. II, 63. 27 Sp. nach; vgl. M. H. E.
Meier, Opusc. II, 317 ff.
•) Plut. Dem. 5; vgl. Schäfer I, 275 If.
344
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
herabhängendes Schwert; um den Buchstaben q anstandslos aussprechen zu
lernen, nahm er Steinchen bei den Übungen in den Mund; um durch das
Lärmen der Volksversammlung nicht ausser Fassung gebracht zu werden,
deklamierte er häufig am Meeresgestade bei brandender See.^) Ganz be-
sondere Aufmerksamkeit wandte er der von den früheren Rednern wenig
beachteten 2) Kunst des Vortrags {viroxQiaig) zu. Gefragt, was beim Reden
das erste sei, soll er der Kunst des Vortrags die erste, zweite und dritte
Stelle zugewiesen haben. 3) Er ging deshalb auch bei den Schauspielern
in die Lehre und Hess sich insbesondere von dem berühmten Schauspieler
Satyros öfters einzelne Stellen vorsagen. '^) Mit der Zeit brachte er es
aber auch selbst im Vortrag und Gebärdenspiel zu grosser Virtuosität.
Beobachteten die Früheren eine steifleinerne Haltung, indem sie die Rechte
unverrückt im Gewände behielten, so sprach er zuerst degagiert, frei und
lebhaft die Hand bewegend."^) Der Geist, der ihn beseelte, trat dann in
seine Augen und gab seinem Gesicht jenen energischen, zornglühenden
Ausdruck, den wir an seiner Büste bewundern.^) Ausserdem verwandte
er auf die Ausarbeitung und Feilung der Reden den grössten Fleiss. Deine
Reden riechen nach der Öllampe, warf ihm Pytheas vor; ') andere schalten
ihn einen Wassertrinker, der sich vor lauter Studieren nicht die Zeit zu
lustigen Gelagen nehme. Jedenfalls hat er die Reden, bevor er sie ver-
öffentlichte, sorgfältig durchgearbeitet, vielleicht auch bei zweiter Heraus-
gabe nochmals revidiert. Wir haben dieses bereits oben bei der Rede von
der Truggesandtschaft angedeutet; bei der Rede vom Kranz scheint er
auch auf die inzwischen veröffentlichte Gegenrede des Aischines Rücksicht
genommen zu haben. ^) Vorzüglich aber wird sich die Feilung vor der
Veröffentlichung auf die Feinheiten des sprachlichen Ausdrucks und den
Rhythmus der Rede erstreckt haben. Demosthenes trat hier insofern in
die Fussstapfen des grossen Stilmeisters Isokrates, als er den Hiatus durch
Wahl der Wörter und Änderung der vulgären Wortstellung, wenn auch
nicht peinlich, so doch sorgsam zu vermeiden suchte. Eigentümlich ist
ihm selbst die Abneigung gegen gehäufte Aufeinanderfolge von kurzen
Silben; eine solche schien ihm die Kraft des Ausdrucks zu brechen.^)
Wirkungsvoll ist aber bei ihm namentlich die rhetorische Kunst der Wort-
stellung und der nicht überhäufige, aber doch gern gesuchte Schmuck der
Rede durch Figuren, von denen er einige, wie die Leiter {xXtjua^), zuerst
in den Stil einführte. ^<^) Auf diese Weise vereinigen die Reden des Demo-
sthenes auf das schönste das Feuer und die Kraft, welche die Hitze des
'•) Demetrios Phalereiosbei Plut. Dem. 1 1 ;
ferner Ps. Plut. p. 844 d; Zosim. p. 299 West;
Cic. de fin. V, 2. 5; Quint. X, 3. 30; Val.
Max. VIII, 7.
2) Vgl. Arist. Rhet. III, 1 p. 1403b, 21.
3) Philod. Rhet. 4, 16; Cic. de orat. III,
56. 213, Brut. 38. 142 u. a.; s. Schäfer I,
298 f.
4) Plut. Dem. 6.
^) Darauf spielt an Aisch. I, 25 und
Dem. de fals. leg. 255; vgl. Philodem de
rhet. 4, 16 und das Bild des Redners.
'') Siehe Abbildung auf der angefügten
Tafel und die Büste der Münchener Glypto-
thek n. 149. Vgl. H. Schröder, Abbild, d.
Demosthenes, Braunschweig 1852; Michaelis
in Schäfers Demosthenes 1887 t. III, 165.
^) Libanios Z. 79: Uv&eccg axconruiv e(fr]
ror? Xoyovg rov J7]^oaS^eyovg Xv^viov dno^sir.
ähnlich Plut. Dem. 8.
^) Schäfer III, 68 ff. ; Reich a. 0.
^) Das wichtige Gesetz wurde erst in
unserer Zeit von Blass III, 100 erkannt.
^^) Straub, De tropis et fipuris qiiae
inveniuntur in orationihus Demosthenis et
Ciceronis, Aschaffenburg 1883.
3. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§ 263.) 345
Redekampfes auf dem Markte erzeugte, 'und die Sauberkeit und Sorgfalt
des Stiles, welche die nachträgliche Feilung im Studierzimmer dem ersten
Ergüsse der Rede hinzufügte.^)
Um das Gesagte an Beispielen zu erläutern, greife ich aufs Geratewohl
ein paar Stellen aus der 3. olynthischen Rede heraus: § 13 lesen wir eh' oi'sa-y
avxöv, dl sTtoiijCav ßh' ov6h' av xaxöv, f-uj nad^etv d' iqjvXcc'^avT;' av i'acog, tov-
lovg p.^v i^anazäv aiQeiai^ai liiaXXov rj TiqoXsyovta ßiä^ecfS^ai, vf.uv 6' sx tcqoq-
QYjaswg 7roXsfjirj(f€iv xai TavS^' scog av sxövrsg e^anaTccaS^s; Wir haben hier ein
konditionales Sachverhältnis, aber das bringt der Redner nicht in der langwei-
ligen Form der Logik mit Vorder- und Nachsatz vor (wenn . . . so), sondern
in kraftvoller Nebeneinanderstellung der Gegensätze und mit wirksamstem
Appell an das eigene Urteil der Zuhörer {oi€(y&' aviov . . . Ttoleiiriastv;). Ge-
stellt sind die Worte so, dass nicht ein nichtssagendes Pronomen dem Relativ-
satz vorangeht, sondern das Relativum ot mit dem Demonstrativum romovg
wirkungsvoll aufgenommen wird, dass ferner die entgegengesetzten Prono-
mina Tomovg und vixtv an der Spitze stehen und dass die Gegensätze s'^a-
TTaräv und ßia^eaü^ai die nichtsbedeutenden Worte alfyeXad^ai — TCQoXsyovTa
in die Mitte nehmen. Um dem Zweifel, ob die Duodezstaaten sich über-
haupt zur Wehr setzen würden, kräftigeren Ausdruck zu geben, ist von
der gewöhnlichen Stellung i'(To)g av €(fida^aiTo Umgang genommen und
das zweifelnde /b-wg mit Nachdruck an den Schluss gesetzt; um endlich den
anstössigen Hiatus aigetad^ai rj TUQokeyovra zu vermeiden, erlaubt sich der
Redner ein überflüssiges oder doch nicht notwendiges fiäXlov zwischen die
klaffenden Vokale zu schieben. Ein ähnliches Sach Verhältnis liegt in § 17
vor: 0 Y^Q ^^? ^^' ^Y^^ Xrjcp&sirjv, ravTa tt gäzTwv xal xaraaxsval^ö^svog,
ovTog efxol noXs^st xav ^rjTKx) ßäXXrj fxriSt ro^sviß. Auch hier wird zweimal
das Demonstrativum zama und ovxog dem Relativsatz kraftvoll nachgestellt,
im übrigen aber ist zum Ausdruck des logischen Verhältnisses eine andere
Form gewählt; die gleiche Form, wenn auch noch so gut, hätte bei öfterer
Wiederholung Uberdruss erzeugt; aber auch so kein mattes Wenn, sondern
ein direktes Hinweisen auf den alle Vorbereitungen zur Überlistung der
Stadt treffenden Feind (o . . ovTog . . sixoi), dann aber auch nichts mehr
von einem blossen Glauben, sondern bestimmte, kategorische Behauptung
(tioXsi.ih). Auffällig aber ist in unserer Periode der Unterschied in den
Satzschlüssen ovvog sfnol 7ToXsf.i8T und f^trjSt ro'^svi]: im ersten vermeidet
Demosthenes, in dessen Rede schon die Alten, vorzüglich der Rhetor Dio-
nysios, einen gewissen Rhythmus fanden, selbst nicht die Ähnlichkeit mit
der ersten Hälfte des Hexameters, in dem zweiten führt er durch die
Schwere der gehäuften Längen den Athenern eindringlichst die Grösse der
Gefahr zu Gemüt und schliesst zugleich, ähnlich wie im Eingang der Kranz-
rede TZQCoTov iJ^bv CO avSqsg ^A^ijvaToi ToTg O^eotg sv^onai näai xal rudaaig,
mit wuchtigem Rhythmus die Periode. Von besonderem Interesse aber
sind die ziemlich zahlreichen Stellen, an denen uns die Rede in 2 Recen-
sionen, einer demosthenischen und nachdemosthenischen, erhalten ist; denn
*) Quintil. X, 1. 76; oratorum Jonge ' quibysäam nervis intenta sunt, tarn nihil
'princeps Demosthenes ae paene lex orandi otiosum, is dicendi modus, ut nee qnod dc-
fuit: tanta vis in eo, tarn densa omnia, ita sit in eo nee quod redundet invenias.
346 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
an ihnen kann man zumeist den grossen Unterschied zwischen dem ge-
drungenen, wuchtigen Stil des echten Demosthenes und der matten Breite
seiner Nachtreter kennen lernen. Gerne würde ich auf die Stelle § 46
eingehen, wo der spätere Herausgeber, weil er die konzise Sprache des
alten Redners nicht verstand, eine lange breite Sauce über die alte ge-
drängte Argumentation geschüttet hat. Aber das würde einer zu langen
Auseinandersetzung bedürfen; ich erwähne daher nur einen einfachen kurzen
Fall. In § 25 hatte Demosthenes auf die Ankündigung ndv^' ocr' i^rj^xag-
TT^zai AaxsSaiixovioig eXccTTov' ecniv, co avSgeg 'dO^rjvaioi, cor 0f-
XiTiTtog €v TQial xal ösx' ovx oXoig eT8(yiv olg inirtoXä^si r6ixrjx€ rovg ^'ElXr^-
vag, iiäXXov 6' ovSt TvsfjiTrTov iit-Qog tovtcov sxelva sofort das Sündenregister
des Philipp mit OXvvd^ov ^ihv drj xal Ms^wvrjv xal ^AnoXXan'iav xtX. folgen
lassen. Was thut der Nachtreter und was würden wir Epigonen in ähn-
lichem Falle thun? er ersetzt das individuelle Tiefimov mit dem verwaschenen
TToXXoaTov und schiebt zwischen die kurz abgebrochene Propositio und die
Schlag auf Schlag erfolgende Begründung den langweiligen Satz xal tovto
€x ßqaxi-og Xöyov ^äSiov ds7'§ai. Ich könnte noch viele Stellen aus der-
selben Rede zur Beleuchtung der markigen Kunst des Demosthenes an-
führen, aber diese paar Beispiele mögen genügen.
264. Charakter des Demosthenes. In der Hoheit der Gesinnung
und der rhetorischen Kunst besteht der hohe Wert, den die Kenner zu
allen Zeiten den Reden des Demosthenes beigemessen haben. Diese Vorzüge
würden bleiben, auch wenn er selbst im Leben weichlich und feige gewesen
wäre. Aber die Vorwürfe, die in dieser Beziehung gegen ihn erhoben
wurden, sind gewiss nur aus dem Hass und Neid seiner politischen Gegner
hervorgegangen. Hätte er wirklich, wie ihm Aischines III, 152 vorwirft
und Plutarch, Dem. 20, gläubig nacherzählt, in der Schlacht von Chäronea
in feiger Flucht den Schild weggeworfen, so hätten ihn sicherlich nicht
seine Mitbürger der Ehre gewürdigt, den Gefallenen die Grabrede zu halten, i)
Und dass er kein Wüstling war, der durch Ausschweifungen die Sehnen
seiner Kraft brach, beweist die nachhaltige Energie, mit der er für seine
politischen Ideale zeitlebens eintrat. Der Spitzname BavaXog, der ihm
möglicherweise nur wegen einer äusserlichen Kleinigkeit (Stotterns oder
weichlichen Ganges) in der Jugend gegeben wurde, kann dagegen nichts
beweisen. Dass er 7 Tage nach dem Tode seiner einzigen Tochter 2) auf
die Nachricht vom Tode Philipps hin Festkleider anlegte,^) darf nicht als
rohe Gemütlosigkeit ^) gedeutet werden, sondern war ein Ausfluss jener
hochentwickelten Vaterlandsliebe der Alten, für deren Grösse die neue Zeit
kaum ein Verständnis hat. Für seine Unbestechlichkeit aber spricht schon
das Zeugnis seines Erbfeindes Philipp, der, als einst seine Ratgeber in
losen Schimpfreden über den attischen Redner sich ergingen, dieselben mit
den Worten zurechtwies : Demosthenes darf schon ein freies Wort sprechen.
^) Das hat schon richtig Reiske geltend j von derselben Mutter, die den Vater über-
gemacht. Dass früher seine Gegner eine j lebten; s. Ps. Plut. 847c.
Klage Uinozaiiov gegen ihn planten, be- ; •") Über die unbewiesenen Nachreden
merkt er selbst (Mid. 103) mit Entrüstung.
■') Aesch. III, 77.
''') Ausserdem hatte er noch 2 Söhne
vom Umgang mit Hetären bei Ath. 592 f,
Diog. 6, 34 u, andern s. Schäfer III, 360.
3. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§ 264—265).
347
denn von ihm allein findet sich der Name nicht in meinen Ausgabebüchern/')
Und so haben denn auch seine Mitbürger 42 Jahre nach seinem Tod, als
ein ruhiges Urteil der erregten Parteileidenschaft Platz gemacht hatte, in
dankbarer Anerkennung seiner patriotischen Gesinnung und der gemein-
nützigen Opferwilligkeit, die er durch freiwillig übernommene Staats-
leistungen, Loskauf von Kriegsgefangenen, Unterstützung bedürftiger Bürger
bethätigt hatte, ihm ein Standbild gesetzt 2) mit der vielsagenden Inschrift:
el'neq i'arjv QMjurjr' yvMfxij, Jrjfxoff^^reg, f^x^c,
üv ttot' av ^EXXtjvcov rjQ'^ev AQrjg MaxeSojv.
265. Werke des Demosthenes. Unter dem Namen des Demosthenes
sind auf uns gekommen 61 Reden oder richtiger, nach Ausscheidung des
Briefes des Philipp, 60, ferner eine Sammlung von Einleitungen {nqooiixia)
und 6 Briefe, welch' letztere alle mit Ausnahme des 5. von Demosthenes
aus dem Exil an den Rat und das Volk der Athener gerichtet sind. Die
Echtheit der Briefe wird bezweifelt; ob von allen mit Recht, ist noch nicht
ausgemacht.^) Unter den Proömien decken sich mehrere mit den Ein-
gängen wirklicher Reden, andere sind Schul Variationen, welche schwerlich
den Demosthenes selbst, eher seine Schüler und Anhänger zu Verfassern
haben. '^) Von den Reden ist so ziemlich alles erhalten, was die Alten als
demosthenisch anerkannten. Ps. Plutarch gibt die Zahl der echten Reden
auf 65 an,^) es fehlen demnach nur 4, die wahrscheinlich von den späteren
Kritikern noch ausgeschieden wurden, darunter die sicher unechte nsQil
Tov iir] sxdovvai ^'ÄQTcaXov.^) Aber auch viele von den erhaltenen Reden
sind mit teils grösserer, teils geringerer Wahrscheinlichkeit von der modernen
Kritik und teilweise schon von alten Kritikern verworfen worden.
Eingeteilt werden die Reden in koyoi dr^fioaioi (27) und iöiomxoi (34),
neben der die Einteilung in Sixavixoi', av^ißovXevrixoi und stciöhxtixoC ein-
hergeht. Die 2 epideiktischen Reden, der sTTizag^iog'^) und sqwtixoc, sind
zweifellos unecht; von der letzten, einer Lobrede auf einen schönen Knaben
Epikrates, ist es schwer zu begreifen, wie sie sich überhaupt unter die
Reden eines Demosthenes verirren konnte. Von den öffentlichen Reden,
den in der Volksversammlung {drjfjirjyoQiai) und den vor Gericht gehaltenen,
ist bereits oben im Lebensabriss unseres Redners gehandelt worden. Unter
denselben stehen auch zwei gegen Aristogeiton (25. und 26.), die ziemlich
allgemein als unecht gelten. 8) Dieselben geben sich für Deuterologien
') Lucian. Dem. enc. 33: ^ixaiog 6 j7]{xo-
cS^evrjg -^aQQtjalag rry/äfsty • fxovog ys tüjv
STIL trjg 'E'AXu6og dfj/uayioyüjj/ ovdafxov C(no-
loyiafxoig iyyeyQamm, iiop ifxcot^ avaX(i)fj,caüiv.
'') Plut. Dem. 30; Zosim. p. 302. Das
Dekret im Wortlaut bei Ps. PJut. p. 850.
^) Gegen eine Unechterklärung in Bausch
und Bogen erklärt sich Blass III, 383 ff. u.
Jahrb. f. Phil. 115, 541 ff., indem er nament-
lich die beiden umfangreichen Briefe 2. u. 3.
dem Demosthenes zuweist; gegen die Echt-
heit Alb. Neupert, De Demosthenicarwn
quae feruntur epistidarinn flde et auctori-
tate, Lips. Diss. 1885. Quintilian X, 1. 107
gibt die Briefe unbedenklich für echt aus.
^) SwoBODA, De Dem. quae feruntur
prooemiis, Vindob. 1887 spricht sie insgesamt
dem Demosthenes ab, lässt sie aber bald
nach seinem Tod entstanden sein.
*'') Das von Studemund, Herm. II, 43
veröffentlichte Verzeichnis gibt 71 Reden.
^) Unsicher ist es, ob die Rede vtisq
xmr QYjToQwv, gegen die Auslieferung der
Redner, wirklich existierte; s. Blass III, 59.
Über nicht erhaltene Privatreden s. Schäfer
III, 2. 316.
"') Rede auf die Gefallenen von Chä-
ronea, s. § 261.
^) Die Gründe der Unechtheit der 1.
Rede, meist sachlicher Natur, sucht abzu-
348 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
(Reden an zweiter Stelle) aus, gehalten bei der Klage, welche unter Alexan-
ders Regierung Lykurg gegen jenen der Atimie verfallenen Demagogen er-
hoben hatte. Dionysios de Dem. 57 hatte bereits mit gesundem Urteil
die Unechtheit der beiden Reden erkannt; wenn bezüglich der ersten andere,
wie Plinius ep. IX, 26, Ps. Longin 27, Photios p. 491a 29, für die Echt-
heit eintraten, so Hessen sie sich durch die allerdings schönen Gemein-
plätze, wie namentlich über den Wert der Gesetze, täuschen. Ein geringeres
Interesse bieten selbstverständlich die Privatreden, von denen die gegen Konon
(54.) und für Phormion (36.) am meisten gelesen zu werden verdienen.
Die unechte Rede gegen Neaira, eine durchtriebene Hetäre, hat ein be-
sonderes kulturhistorisches Interesse. Schwierig ist bei den Privatreden
die Echtheitsfrage, da zur Veröffentlichung derselben Demosthenes selbst
weniger Grund hatte, so dass dieselben alle, abgesehen von den 5 Vormund-
schaftsreden (Xoyoi sTTiTQOTnxof),^) vermutlich erst nach dem Tode des Red-
ners von den Herausgebern seiner Werke aus den Papieren derjenigen, für
die sie geschrieben waren, gesammelt und herausgegeben wurden. Dabei
konnte es aber leicht vorkommen, dass die Inhaber der Reden, wie namentlich
die Familie des Apollodor,^) auch manche Rede hergaben, die sie sich von
andern hatten aufsetzen lassen. Einige derselben (52. 53. 49.) können
nicht von Demosthenes geschrieben sein, weil sie in eine Zeit fallen, in
der derselbe noch zu jung war, andere wiederum nicht, weil er zu ihrer
Zeit bereits sich ganz den Staatsgeschäften gewidmet hatte (48. 56. 58. 59.).
In einer, der Anzeige gegen Theokrines, die indes für die Parteistellung
des Demosthenes sehr wichtig ist, wird gegen Demosthenes selbst wacker
losgezogen (58, 42). Wieder andere sind aus sprachlichen oder stilistischen
Gründen der Unechtheit verdächtig,^) so dass schliesslich Blass ausser
den Vormundschaftsreden (27. — 31.) nur noch 10 Privatreden (36. — 39. 41.
45. 51. 54. 55. 57.) als echt anerkennt und andere noch unter diese Zahl herab-
gehen.'*)
266. Der Ruhm und der Einfluss des Demosthenes überdauerten sein
Leben. Nachdem der Alp der makedonischen Herrschaft von Athen ab-
gewälzt war, wurde ihm im Jahre 280 auf Antrag seines Schwestersohnes
Demochares das oben schon erwähnte Ehrendenkmal gesetzt und seinen
schwächen und wegzuemendieren Weil, Re- als echt anerkennt; s. Sigg, Der Verfasser
vue de phil. 1882 p. 1—21 und in Melanges der neun angeblich von Demosthenes für
Renier p. 17 ff.; dagegen J. H. Lipsius, Apollodor geschriebenen Reden, Jahrb. für
Über die Unechtheit der ersten Rede gegen < Phil. Suppl. VI, 397 ff.
Aristogeiton, Leipz. Stud. VI, 317— 31; R. ^-j in der Rede gegen Euergos (47.) steht
Wagner, De priore quue Demosthenis fer- \ nur t'ya, nie oViw? in Absichtssätzen; Über
tur adversus Aristogitonem oratione, Rost. \ andere sprachliche Anzeichen s. Sittl, Gr.
üiss. 1883. I Litt. II, 223. Vgl. Paul Uhle, Quaestioncs .
') Es sind derselben 5 (27.— 31.), die j de orationum Demostheni falso addictarumfi
wahrscheinlich, weil in eigener Sache ge- j scriptoribus, 2 part., Lips. 1883 u. 1886.
halten, von Dem. selbst herausgegeben Einige unter den unechten Privatreden sind
wurden; von der 3. wird indes die Echtheit | unter sich durch den Stil verwandt, Avie die
bezweifelt; siehe dagegen Reichenberger, j gegen Apaturios, Phormion, Dionysodoros,
Demosthenis tertiam contra Aphohuvi ora
tionem esse (jenuinam, Würzb. 1881.
^) Es sind der für Apollodor geschrie-
ferner die gegen Makartatos, Olympiodoros.
Lakritos.
^) Ein chronologisches Verzeichnis der
benenReden8(45. 46. 47. 49. 50. 52.^53. 59.), | echten und unechten Reden bei Schäfer
von denen Blass nur die 45. gegen Stephanos \ III, 2. 316.
2. Die Beredsamkeit, e. Demosthenes. (§ 266.) 349
Verdiensten in einem Ehrendekret öffentlich Anerkennung ausgesprochen.^)
Um dieselbe Zeit muss in Athen eine in seinem Geist und seinem Stil sich
versuchende rhetorische Schule geblüht haben, durch deren Bemühungen
die Reden des Meisters gesammelt und verbreitet wurden, und aus der
auch die meisten untergeschobenen Reden und vielleicht auch die Erweite-
rungen der echten hervorgegangen sind.^) In Alexandria fanden zwar die
Werke des Demosthenes Aufnahme in die Bibliothek und wurden von
Kallimachos katalogisiert,^) aber ein besonderes Studium scheint ihnen dort
ebenso wenig wie den übrigen Prosawerken zugewendet worden zu sein.
Die eingehenderen Studien datieren aus dem Beginn der römischen Kaiser-
zeit und gehen auf die beiden Rhetoren Dionysios von Halikarnass und
Cäcilius von Kaiakte zurück. Von dem ersteren sind uns die für die ästhetische
Kritik und die Chronologie der Reden wichtigen Schriften tisqI ösivözrjTog
Jrj^oaO-tvovg und smGcoXrj nqog 'Ajniiiaiov erhalten. Hypomnemata des
Didymos zu Demosthenes werden erwähnt von dem Lexikographen Harpo-
kration p. 73, 5 Bekk. In den nächsten 2 Jahrhunderten, wo Demosthenes
der Redner schlechthin hiess, entstanden die nicht zum kleinsten Teil auf
Demosthenes fussenden lexikalischen Verzeichnisse der Attikisten, die Spezial-
schriften über den Stil des Demosthenes, wie die erhaltene Monographie des
Tiberius ttsqi tcov naQcc Jr^^oa&srH axrjj^iccTwr (Rhet. gr. II, 59 — 82 Sp.),
endlich die Inhaltsangaben (viroO^tasig) zu den einzelnen Reden. In dieser
Zeit kamen die Erklärer auch auf den Gedanken, zu den gelesensten Reden,
von dem Kranz, von der Truggesandtschaft, gegen Midias, gegen Timokrates,
Urkunden, die im Text nur durch Überschrift angedeutet waren, zu fabri-
zieren und in die Reden selbst einzulegen. 4) Sie mochten zu diesen Fäl-
schungen besonders dadurch veranlasst werden, dass sie in einigen Privat-
reden, wie gegen Neaira,^) Lakritos, Makartatos, Stephanos schon aus alter
Zeit Urkunden in den Text eingelegt fanden. Denn dass die Urkunden jener
öffentlichen Reden, welche so lange die Forscher in die Irre führten, zum
grösseren Teil erst nachträglich von den Grammatikern fabriziert wurden,
steht durch die glänzenden Nachweise von Droysen fest,^) so dass es sich
nur um die Hilfsmittel handelt, welche dieselben bei ihren Fälschungen
^) Das Ehrendekret bei Ps. Plutarch 1 decretis in Demosthenis Aeschinea, Mar-
p. 850; über sein Bild, in dem er mit Hi- j bürg 1877.
niation und Schwert dargestellt war, siehe ^ i Die Urkunden zur Rede gegen Neära
ebenda p. 847. ] stunden sicher schon in der Attikusausg.,
') Hier ist wohl auch die alte von j wie ich a. 0. 43 nachgewiesen habe; über
Dionys. ad Amm. c. 4 u. 10 benützte Biographie i ihre Glaubwürdigkeit s. Kirchner, Rh. M.
entstanden, in der die auf die Zeitfolge der | 40, 377 ff. Ebenso ist das Erbschaftsgesetz
Reden bezüglichen Daten nach Archonten
unter Benützung der Atthides gegeben waren.
^) Darüber Rehdaktz bei Schäfer III,
2. 317 ff.
*) In meiner Schrift, die Attikusausgabe
des Dem, 40 ff. habe ich bewiesen, dass die
Urkunden zu den bezeichneten Reden noch
nicht in der Attikusausgabe stunden und die
zur Midiana selbst den Scholiasten noch
nicht vorlagen, so dass dieselben kaum vor
dem 3. Jahrhund, entstanden sein können.
der Makartea als echt erwiesen von Bür-
MANN, Rh. M. 32, 354 ff.; über anderes gibt
Auskunft Hüttner, Jahresb. d. klass. Alt.
1887 S. 223 ff.
^) Droysen, Die Urkunden in Demo-
sthenes Rede vom Kranz, Ztschr. f. Alt. 1839
N. 68 ff. mit Nachtrag 1842 N. 2—4; Wester-
mann, Untersuchungen über die in die atti-
schen Redner eingelegten Urkunden, Abh.
d. Sachs. Ges. I, 1 ff. (1850); Christ, Die
Attikusausg. des Dem. in Abh. d. b. Ak.
Kleinasiatischen Ursprung weist aus der XVI (1882); R. Scholl, Über attische Gesetz-
j Form der Urkunden nach Wortmann, De \ gebung, Sitzb. d. b. Ak. 1880 S. 87 139.
350 Griechische Litter aturgeschichte. I. Klassische Periode.
benützten. Auf uns gekommen sind ausser jenen Urkunden von Erläute-
rungsschriften aus dem Altertum die Hypotheseis des Rhetors Libanios
und die Scholien des Zosimos aus Askalon und des Grammatikers Ulpian,
welche auf die älteren Scholien des Menander und Zenon zurückgehen. ^
Die Codd. des Dem. gehen, wie die Subscriptio zur Rede ad ep. Phil, in B u. F
diiüQ&ioTai £x dvo 'JxTLxicivöiv wahrscheinlich macht, auf eine Ausgabe zurück, die in der
römischen Buchhandlung des Attikus erschienen war; auf diese scheinen auch die sticho-
metrischen Angaben in 2' 1i F zurückzugehen, worüber Christ, Die Attikusausg. d. De-
raosth., mit berichtigenden Nachträgen von Bürmann, Herm. XXI, 34, und Burger, Herm.
XXII, 650. Infolge der Interpolationen der Kaiserzeit und der Umschrift aus Papyrus-
rollen in Pergamenthandschriften entstanden 2 Familien von Codd., die sich besonders in
Phil. III durch kürzere und längere Fassung des Textes unterscheiden. Die Hauptcodd.
sind: 2'= Par. 2934 membr. s. X; F =^ Marcian. 416 membr. s. XI und der davon ab-
geschriebene B = Monac. (Bavaricus) 85 bomb. s. XIII; J = Monac. (Augustanus) 485
membr. s. XII.
Scholien zu 18 Reden von Ulpian und Zosimos, meistens rhetorischer Art, am
besten bei Sauppe-Baiter, Or. att. II, 49 — 126. Kritische Zeichen insbesondere zur
Midiana von mir nachgewiesen in Attikusausg. 25 ff. und aus 2 von Weil, Mel. Graux
p. 13 — 20. In meiner Schrift S. 11 f. gab ich auch aus den Codices Nachweise von
Kolenteilung durch die Rhetoren Lachares und Ps. Kastor; s. Walz, Rhet. gr. III,
721 f. und Stijdemund, Ps. Castoris excerpta rhet., Breslau 1888, p. 23. — Neue Scholien
aus einem Cod. von Patmos publiziert von Sakkelion in Bull, de corr. hell. 1877 p. 1 — 16.
Bruchstücke eines gelehrten Speziallexikons zur Aristokratea aus den Papyri von Fajjum,
veröffentlicht von Blass, Herm. 17, 148 ff.
Ausgaben: ed. princ. ap. Aldum 1504. — Grundlegende Ausg. mit Übers, u. Noten
von Hier. Wolf, Basil. 1549, öfters wiederholt — cum comment. Wolfli Taylori Mark-
landi suis ed. Reiske in Orat. graeci, Lips. 1770; in verbesserter Aufl. von Schäfer, Lips.
1821, 5 vol. — ex rec. G. Dindorfii mit Noten der Früheren und Scholien, Oxon. 1846 — 51,
9 vol. — Ausg. mit kritischem Apparat von Bekker (1824) und Sauppe (1843) in Orat.
attici: Dem. rec. Dindorf, ed IV cur. Blass, Bibl. Teubn. — Spezialausg. : Dem. adv. Lept.
c. comm. perp. ed. F. A. Wolf, Hai. 1790; in Midiam ed. Buttmann, ed. V Berol. 1862. —
Dem. contiones, de Corona et de fals. leg. ed. Vömel, Lips. 1856 u. 1862. — Les haran-
gues und les plaidoyers poUtiques ed. Weil mit krit. und exegetischen Noten, Par. ed. II
1881 u. 1883. — Dem. de cor. explic. Dissen, Gott. 1827; ed. Lipsius mit krit. Apparat
u. Scholien, Lips. 1876. — Ausgewählte Reden mit erklärenden Anmerkungen von Wester-
mann-Müller-Rosenberg bei Weidmann; von Rehdantz-Blass bei Teubner (in letzterer
Ausgabe auch treffliche rhetorische Indices); von Sörgel bei Perthes. — Demosthenes
Staatsreden nebst der Rede vom Kranz übersetzt mit Einl. u. Anm. von Jacobs, 2. Aufl.,
Leipz. 1833; die erste Auflage 1805 veröffentlicht, um den von Napoleons Gewaltherrschaft
bedrohten Deutschen ein Mahnbild aus alten Zeiten vorzuhalten.
f. Die Zeitg'enossen des Demosthenes.
267. Lykurgos,-) Sohn des Lykophron aus dem alten Geschlecht
der Butaden, erwarb sich seine grössten Verdienste als Staatsmann durch
die ehrliche, mannhafte Politik, die er in jenen schweren Zeiten der Be-
drohung Athens durch Makedonien vertrat, insbesondere aber durch die
geschickte Finanzverwaltung, die er 12 Jahre lang (338—326), anfangs in
eigener Verantwortlichkeit als Finanzminister (o sttI rf] dioixijasi), später
unter dem Namen vorgeschobener Freunde zum Heile der Stadt leitete.
Lange scheint er das letzte Jahr jener Verwaltung (326) nicht überlebt zu
haben, da noch Demosthenes sich für seine Kinder, die man nach deni
Tode des Vaters wegen angeblicher Kassendefekte in den Kerker warf, in
treuer Anhänglichkeit für seinen ehemaligen Parteigenossen verwandte.
I
^) Über die Quellen der Scholien Din-
dorf im 7. Bande der Oxforder Ausgabe;
ScHUNK, De scholiortnn in Demosihenis
orationibus fontibus, Koburger Progr. 1879;
Em. Wakgrin, Quaestiones de scholiorum
Demosthenicorum fontibus, Halle Diss. 1883.
2) Quellen: Ps. Plutarch und Suidas.
3. Die Beredsamkeit, f. Bemosthenes Zeitgenossen, (§ 267—268.) 351
Erst lange Zeit nach seinem Tode im J. 307 erstatteten ihm seine Mit-
bürger den Tribut des Dankes durch ein Ehrendekret, das uns durch
litterarische (Ps. Plutarch p. 852) und inschriftliche Überlieferung (CIA. II,
240) überkommen ist. ^) Lykurg war also in erster Linie Staats- und
Finanzmann. Ein Staatsmann konnte aber in jener Zeit in Athen, wo
alles öffentlich verhandelt wurde, nicht bestehen ohne die Fertigkeit der
Rede; bezeichnete man ja den Staatsmann mit keinem anderen Namen als
dem eines Redners {qtjtwq). Lykurg bedurfte überdies in besonderem Grade
der Fertigkeit im Reden, da er es sich zur speziellen Aufgabe stellte, alle
Defraudanten und Vaterlandsverräter rücksichtlos vor Gericht zu ziehen.
Die Alten hatten von ihm 15 Reden, von denen er 2 in eigener Sache zur
Rechtfertigung seiner Verwaltungsgrundsätze gehalten hatte. Auf uns ge-
kommen ist die einzige Rede gegen Leokrates, der nach dem Unglück von
Chäronea feige die Stadt verlassen hatte und den Lykurg, als er 321
wieder zurückzukehren wagte, mit einer Hochverratsklage {elaayy^h'ag)
belangte. Der Hauptvorzug der Rede liegt in der sittlichen Entrüstung,
die aus ihr spricht; der Angeklagte entrann mit knapper Not der Todes-
strafe, indem die Stimmen der Richter zu gleichen Teilen auseinander-
gingen und für diesen Fall die Bestimmung galt, dass das mildere Urteil
obsiegen sollte. Ausser in den Reden zeigte Lykurg seinen politischen
Scharfblick und seine Redaktionsgewandtheit in den zahlreichen Gesetzen,
die er beantragte und von denen nach dem Ehrendekret eine Gesanit-
abschrift auf der Akropolis aufgestellt wurde, von der uns mehrere Reste
(CIA. n, 162. 168. 173. 176. 180. 202) erhalten sind.
Die handschriftliche UberHeferuiig ist die gleiche wie bei Andokides. Spezialaus-
gaben mit Kommentar von Pinzger, Leipz. 1834; von Rehdantz, Leipz. 1876. Kritische
Bearbeitnng von Tahlheim, Berl. 1880,
268. Aischines (389—314)^) war der Sohn ehrbarer, aber in kleinen
Verhältnissen lebender Eltern, des Schulmeisters Atrometos, dessen Name
die Schmähsucht seiner Gegner in Tromes (Zitterer statt Unverzagt) ver-
wandelte,^) und der Glaukothea, die als Priesterin von Mysterien sich Geld
verdiente. Der Lebenszeit nach war er ein wenig älter als sein grosser
Rivale Demosthenes. Da er nach seiner eigenen Angabe I, 49 zur Zeit
des Prozesses wegen der Truggesandtschaft 45 Jahre alt war, so muss er
389 geboren sein.*) Der Vater wusste aus allen seinen 3 Söhnen etwas
zu machen: der eine, Philochares, wurde Vasenmaler, der andere, Apho-
betos, Stadtschreiber ;^) auch Aischines fing mit dem Schreiberdienst an,
wandte sich aber dann zum Schauspiel, wo er es indes nicht über den
Tritagonisten brachte. Vom Theater wandte er sich der öffentlichen Thätig-
') Eine Erzstatue des Lykurg erwähnt 1 Glaubwürdigkeit schon dadurch verringert
Paus. I, 8. 2; über die Basis eines Denk- wird, dass von den meisten Vorwürfen in der
j mals aus römischer Zeit mit Avxovqyog 6 Rede de fals. leg. noch keine Spur sich findet.
^riTbiQ s. CIA. III, 944. ') Dem. de cor. 129.
2) Ausser Ps. Plut. de X orat., einem "*) Dass er etwas älter als Demosthenes
I Kapitel des Philostr. I, 18 und 2 Artikeln j war, ist angedeutet Aesch. III, 2.
I des Suidas haben wir noch die Vitae eines j •'') Nach Dem. 19, 249 waren die Brüder
j gewissen Apollonios und eines Anonymus. anfangs Unterschreiber (r7To;'()«^MjW«rei'oj^ref),
j Die Lebensverhältnisse sind entstellt durch j brachten es aber dann beide zum Staats-
die Persiflage des Dem. de cor. 129 ff., deren 1 Schreiber {yqufxfÄcaevg t(J (^tjf^M).
352 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
keit als Redner und Staatsmann zu, nachdem er schon zuvor als Soldat für
das Vaterland mit Ehren gekämpft hatte. Zum erstenmal trat er 348 nach
dem Falle von Olynth auf, um den Zusammentritt eines hellenischen Kon-
gresses zu empfehlen, i) aber bald ging er ganz in das Lager der Friedens-
partei über, die unter Eubulos' Fahne um jeden Preis einen Ausgang aus
den kriegerischen Verwicklungen suchte. Wie wir schon bei Demosthenes
erzählt haben, wirkte er als Gesandter in hervorragender Weise zum Ab-
schluss des philokrateischen Friedens mit (346) und musste sich dann gegen
die Anklage der Truggesandtschaft vor den Gerichten verantworten, wobei
er zuerst den Hauptankläger Timarchos durch die Gegenanklage ehren-
rühriger Schamlosigkeit glücklich bei Seite schob, dann aber dem Demo-
sthenes gegenüber nur mit knapper Not und durch den Einfluss seiner
Fürsprecher Eubulos, Phokion und Nausikles der Verurteilung entging (343).
Im Jahre 339 war er Vertreter Athens (Tivkayogag) bei dem Amphiktionen-
bund und spielte in seiner Kurzsichtigkeit dadurch, dass er die Ächtung
der Amphissäer bewirkte, dem Philipp die Entscheidung griechischer An-
gelegenheiten in die Hände. Nach der Schlacht von Chäronea (338) sank
selbstverständlich das Ansehen seiner Partei, und kam er selbst in immer
weiteren Kreisen in den Verdacht, von Philipp Geld zum Verrate seines
Vaterlandes genommen zu haben. Die Ungunst seiner Mitbürger erfuhr er
330 in dem gegen Ktesiphon wegen gesetzwidrigen Antrags erhobenen
Prozess, bei dem er trotz des Aufgebotes aller Mittel der Beredsamkeit
gegen Demosthenes nicht aufzukommen vermochte und mit seiner Anklage
nicht einmal das Fünftel der Stimmen erhielt. Da er so der Atimie ver-
fallen war und das Recht, vor dem Volke aufzutreten, verlor, so verliess
er Athen und wandte sich nach Ephesos, später nach Rhodos und Samos;
in Rhodos soll er eine Rednerschule eröffnet haben. 2) Hier fand er so
festen Boden, dass er auch nach dem lamischen Krieg nicht nach Athen
zurückkehrte, sondern 75 Jahre alt in der Fremde starb. 2)
269. Aischines verdankt seinen Ruhm bei der Nachwelt dem Konflikt,
in den er mit seinem berühmten Gegner Demosthenes geriet. Denn auf
uns gekommen sind von ihm nur die 3 Reden, welche in denjenigen Pro-
zessen, in denen Demosthenes ihm gegenüberstund, gehalten wurden. Sie
sind uns erhalten infolge der Aufmerksamkeit, welche zu allen Zeiten den
Entgegnungen auf die demosthenischen Reden ttsqI nagarcgsaßeiag und neQl
aT£(fävov zugewendet wurde. Diese Vergleichung gibt denselben auch
heutzutage noch ihre hervorragende Bedeutung. Diese 3 Reden also sind:
xaTci TijudQxov (1.), Tcegl nagaTigsaßsiccg (2.), xaxd KTtjcfKfMVTog (3.). Über
die Veranlassung derselben ist bereits oben, im Leben des Demosthenes,
gesprochen worden ; die erste macht schon wegen des Gegenstandes einen
widerlichen Eindruck; in der dritten steht Aischines doch allzusehr der
hinreissenden Gewalt demosthenischer Beredsamkeit nach;*) am meisten
') Dem. 19, 10 u. 303.
2) Ps. Plut. p. 840 d, Philostr. imdSuidas:
zum Elementailehrer lässt ihn der unver-
lässige Anonymus herabsinken.
^) Die 75 Jahre gibt Apollonios an,
Verständnis einer Ermordung durch Anti-
pater, wodurch freilich auch jene Angabe
zweifelhaft wird.
*) Die Rede des Aisch. ist so wenig
aus einem Guss wie die des Dem.; sie
verbindet aber diese Angabe mit dem Miss- { scheint zum Teil schon zur Zeit der Klage-
3. Die Beredsamkeit, f. Demosthenes Zeitgenossen. (§ 269—270.) 353
Lob verdient die zweite, die auch ein englischer Praktiker in der Beredsam-
keit, Lord Brougham, für Aischines' bestes Werk erklärt hat. Die Alten
kannten unter seinem Namen noch eine delische Rede, hielten dieselbe
aber für unecht, zumal der Rat des Areshügels die Wahl des Aischines
zum Vertreter Athens in Dolos annulliert und dem Hypereides die Führung
der Sache der Athener aufgetragen hatte. Die 12 uns erhaltenen Briefe
sind unbedeutend und machen den Eindruck von Schul Übungen.^)
Die Codd. des Aisch., die auf einen schon stark interpolierten Archetypus zurück-
gehen, scheiden sich in 2 Klassen, denen sich eine 3. kontaminierte zugesellt- Ein Sterama
derselben stellt Ortner, Krit. Unters, zu Aisch. Reden S. 23 auf. Ein Fragment III, 178—186
enthält ein Papyrus aus Fajjum, worüber Hartel, Griech. Papyri, Wien 1886 S. 45. —
Scholien haben sich verhältnismässig viele und gute erhalten; am besten sind dieselben
herausgegeben in der Ausg. von Ferd. Schultz; den Grundstock bilden die Kommentare von
Aspasios und Apollonios; s. Ferd. Schultz Jahrb. f. Phil. 93 (1866) S. 289 — 315;
Freyer, JDc scholiorum Aeschineorum fontibus, in Leipz. Stud. V, 239—392, sucht als
Hauptquelle die Attikisten Ailios, Dionysios u. Pausanias zu erweisen. — Gesamtausgabe
mit Kommentar von Ferd. Schultz, Lips. 1865; Krit. Ausg. von Weidner Berol. 1872, Er-
klärende Ausg. der Ctesiphontea von Bremi, Gotha 1845; von Weidner bei Weidmann.
270. Hypereides,''^) Sohn des Glaukippos aus dem attischen Demos
Kollytos, war neben Demosthenes ein Hauptvertreter der antimakedonischen
Partei, zugleich aber ein leichtlebiger Freund von Hetären und Tafelgenüssen,
so dass er fast eine stehende Figur der neuen Komödie wurde. ^) In die
Beredsamkeit durch Isokrates eingeführt,^) wagte er sich bereits zur Zeit
des Bundesgenossenkrieges mit einer Klage an den damals allmächtigen
Staatsmann Aristophon.^) Feste Stellung zur Politik nahm er in der Hoch-
verratsklage gegen Philokrates, dessen Verurteilung er herbeiführte. Von
nun an kämpfte er als unerschrockener und uneigennütziger Patriot an der
Seite des Demosthenes gegen die feilen Vaterlandsverräter, bis er sich von
diesem in der Sache des Harpalos trennte und sogar als sein Ankläger
auftrat. Nach dessen Verbannung ward er der ausgesprochene Führer der
Partei, musste aber nach dem unglücklichen Ausgang des lamischen Krieges
seinen Patriotismus mit dem Tode büssen. Von dem Volke geächtet, floh
er nach Aegina, wurde aber dort von dem Schauspieler Archias ergriffen
und vor Antipater geführt, der ihm die Zunge ausschneiden und grausam
hinmorden Hess (322):^) sein Leichnam wurde unbeerdigt hingeworfen und
erst später nach Athen gebracht und im Erbbegräbnis vor dem Reiterthor
beigesetzt.
Als Redner wurde Hypereides sehr hoch geschätzt; man rühmte an
ihm die Anmut (x^gig), wie an Demosthenes die Kraft {Ssivottjg). Der Ver-
fasser der Schrift vom Erhabenen c. 34 vergleicht ihn einem Pentathlon,
Stellung, als Dem. noch nicht Rechenschaft
über sein Amt abgelegt hatte, verfasst zu
sein; s. Blass III, 2. 183 fF. Selbst Weidner,
der so sehr für die Politik seines Aischines
eintritt, meint, man werde bei dem Lesen
der beiden Reden an den Kampf des Riesen
mit dem Zwerge erinnert.
1) Philostr. Vit. soph. I, 18. 4 u. Phot.
490a, 34 u. 20a, 8 kennen nur 9 Briefe;
3 sind also erst nach Philostratos hinzu-
gekommen.
2) Die Vita des Ps. Plut. und der Artikel
des Suidas bei Westermann, Biogr. gr.
312-6.
^) Ath. 341 e, wo er als ix(^voni6h]g,
der jeden Morgen den Fischmarkt besucht,
aufgezogen wird; die 4 Hetären, die er an
verschiedenen Orten hatte, zählt Ath. 590 c auf.
^) Daneben wird er von Ps. Plut. p.
848 b ein Hörer des Lykurgos und Piaton
genannt.
^) Hyper. pro Eux. 38.
f') Nach andern (Ps. Plut. p. 849 b) ward
er gefoltert und hat sich dabei selbst, um
nicht gegen seine Freunde zeugen zu müssen,
die Zunge abgebissen.
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2. Aufl.
23
354
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
weil er alle fünf Vorzüge zusammen besitze (x^^Qig, jnty^ihog, dtrtsiafjiög,
oixorofiia, navovQyia); einige haben ihn sogar über Demosthenes gestellt.^)
Einer seiner römischen Bewunderer, der Redner Messala Corvinus, über-
setzte seine Rede für die schöne Phryne ins Lateinische, wie das gleiche
Cicero mit der Kranzrede des Demosthenes gethan hatte. Die geistvolle
Freiheit, mit der er die Sache seiner oft recht zweifelhaften Klienten und
Klientinnen führte, spricht sich in der Anekdote von der Phryne aus: wie
andere im Epilog, um das Mitleid der Richter zu erregen, die weinenden
Kinder des Angeklagten vorführten, so entblösste er am Schlüsse seiner
Rede die Brust seiner Klientin, um durch den Anblick der Schönheit
die Richter zur Milde zu stimmen. 2) Reden hatte das Altertum von ihm
77, von denen 52 die Probe der Kritik bestanden. Noch zur Zeit des
Matthias Corvinus soll in Ofen eine Handschrift derselben existiert haben,
aber dieselbe ist, wenn nicht überhaupt ein Irrtum vorliegt, verschollen,
und so war man lange einzig auf die Berichte der Alten angewiesen,
bis in unserem Jahrhundert aus Gräbern von Theben in Oberägypten
5 Reden (xaxd /irifxoaO^tvovg vrctq tmv ^AQuaksio)}', virtg Avx6(fQOvog dno-
Xoyia^ VTitQ Ev'§sv(n7Tov drcoXoyia rrgog JJolvevxTor, fmTaqtog, xcctcc 'A^tjvo-
yi^'vovg) ans Tageslicht gezogen wurden. Am vollständigsten ist, neben der
erst allerneuestens aufgefundenen Anklagerede gegen den Salbenhändler
Athenogenes, die 3. erhalten, welche als Deuterologie in einem zwischen
330 und 324 wegen Verteilung der Ländereien von Oropos ausgebrochenen
Prozess gehalten wurde, und in welche interessante Mittheilungen über
frühere Rechtsfälle eingeflochten sind. Höheres Interesse hat der Epitaphios,
den Hypereides zu Ehren der im lamischen Krieg Gefallenen, besonders
des Führers Leosthenes hielt, und in der mit Anklängen an Piaton die
Gefallenen selig gepriesen werden wegen ihres ruhmvollen Loses und des
ehrenden Empfanges drunten im Hades. ^)
Der Papyrus mit den 3 ersten Reden publiziert von Hareis und Arden; dazu kamen
später 1856 der Epitaphios im Stobartschen Papyrus in London und neuerdings die von
Revilloud in der Revue des etudes grecqaes 1889 veröffentlichte Rede gegen Athenogenes.
Gesamtausg. von Blass in Bibl. Teubn. ed. 11, 1881.
271. Deinarchos, 0 Sohn des Sostratos aus Korinth, war um 342
als junger Mann nach Athen gekommen und hier als Fremder, wie
Lysias und Isaios, zunächst auf die Thätigkeit eines Redenschreibers an-
gewiesen. Einflussreiche Stellung gewann er überhaupt erst nach dem
Hingang der grossen Redner unter der Regierung des Demetrios von
Phaleron. Wegen der unter dessen Ägide entfalteten Thätigkeit ward er
307, als nach dem Einzug des Demetrios Poliorketes die demokratische
Partei wieder Oberwasser bekam, zum Tode verurteilt. Er zog sich nach
Chalkis in Euböa zurück, wo er 15 Jahre lang lebte, bis er 292 durch j
Verwendung seines Lehrers Theophrast wieder die Erlaubnis zur straffreien
Rückkehr erhielt. Li die Zeit unmittelbar nach seiner Rückkehr fiel der
1) Ps. Plut. p. 849 d.
2) Ath. 590 e; der Komiker Poseidippos
(Ath. 591 e), der den Prozess der Phryne auf
die Bühne brachte, wusste von jenem Kunst-
griff des Redners noch nichts.
^) Ps. Longin 34 sagt lobend von ihm:
Tof ETTiidcpiop iniösixrixojig log ovx o/cT' st
rig ciXXog ffts^eto.
'*) Ausser den allgemeinen Quellen die
wichtige Spezialschrift des Dionysios über
Dinarch.
3. Die Beredsamkeit, f. Demosthenes Zeitgenossen. (§ 271 272.) 355
Prozess gegen seinen ehemaligen Freund Proxenos, den er in einer dem
Dionysios noch vorliegenden Rede wegen Unterschlagung seiner Habe be-
langte. Er war damals schon Greis; wie lange er diesen Gerichtshandel
überlebte, wissen wir nicht. Als Redner bildete er keinen bestimmten
Charakter aus und ward deshalb von Dionysios nicht der Aufnahme in den
Kanon gewürdigt. Wiewohl er der entgegengesetzten Parteirichtung als
Demosthenes angehörte, so suchte er doch die Kraft {^sivozi^g) der demo-
sthenischen Reden nachzuahmen, freilich ohne sie zu erreichen, wovon er
den Beinamen xQiOivog Jrjij.oad^6'vrjg erhielt. 9 Über die Zahl seiner Reden
und die Echtheit derselben schwanken die Angaben. Ps. Plutarch und Photios
geben 64, das ambrosianische Verzeichnis 400 (viell. 60), Demetrios Magnes^)
und Suidas 160, Dionysios 59 echte und 27 unechte an. Leser fanden nur
diejenigen Reden, welche zu Demosthenes in Beziehung stunden, und so
sind auch nur 3, welche auf die harpalische Sache Bezug haben, auf uns
gekommen.^) Die erste ist die für Beurteilung des Demosthenes und der
Parteiverhältnisse Athens äusserst wichtige Rede xavd JrjfAoa^svovg; sie
ward nach der eigentlichen Anklagerede des Hauptanklägers Stratokies
gehalten; um so mehr schweifte Dinarch von der Sache ab, um sich in der
Verurteilung der Politik des Demosthenes und in Verunglimpfung seiner
Person mit schauspielerischem Pathos zu ergehen. Erklärende Spezialausg.
von Mätzner, Berol. 1842; kritische Ausg. von Thalheim, Berl. 1887.
212. Von sonstigen Rednern jener Zeit hatte einen Namen Demades,
ein witziger Lebemann und feiler Parteigänger der Makedonier, der aber
in jener Zeit des sittlichen Verfalls als genialer Redner und Erzähler sich
eines ganz ausserordentlichen Rufes bei seinen Landsleuten erfreute. Von
ihm haben sich geistreiche Aussprüche, Jrj^Kxdsicc, erhalten,'^) und ihm wur-
den in der Sophistenzeit 14 Reden untergeschoben,^) von denen eine, virtq
Ttjg SayöfxasTiag, uns noch in Exzerpten bekannt ist. ^) Ferner seien er-
wähnt Hegesippos mit dem Spitznamen Krobylos, dem wahrscheinlich die
Rede tt^qI ^Alovvriaov angehört;^) Stratokies, Hauptankläger des Demo-
sthenes in dem harpalischen Prozess und Verfasser des Ehrendekrets für
Lykurg; Pytheas, der anfangs auf Seiten der Patrioten stund und sich
der Vergötterung Alexanders widersetzte, später aber seit dem harpalischen
Prozess in den Sold der makedonischen Herrscher trat; Demochares,
Schwestersohn des Demosthenes, der 280 das Ehrendekret für Demosthenes
beantragte und in einer Rede imtq 2o(foxXt'ovg jiQog (DiXcova den Antrag des
Sophokles auf Vertreibung der Philosophen als geschworenen Feinden der
Volksfreiheit unterstützte.^) Ausserdem haben wir aus ägyptischen Papyri
ein Bruchstück einer Rede, in der ein Feldherr angegriffen wird (wahr-
^) Hermog. p. 413 Sp. ; dalier der la-
teinische Ausdruck hordearius rhetor bei
Suet. rhet. 2.
'^) Bei Dionys. de Din. 1.
3) Dionysios will ihm auch die unter
Demosthenes Namen laufende Rede gegen
Theokrines zuweisen, welcher Annahme aber
chronologische Bedenken entgegenstehen;
vgl. § 205.
^) Diese Ji]y.u^sici sind aus einer Wiener i melte Müller, FHG. II, 445 — .9
23*
Hdschr. nicht unerheblich vermehrt von
DiELS, Rh. M. 29, 107 fF.
^) Cic. Brut. 3G sagt noch: cuius nulla
extant scripta und ähnlich Quintil. XII,
10, 49.
^) Die Exzerpte aus einem Palat. 129
mitgeteilt von H. Haupt in Herm. 13, 489 ff.
') Siehe oben § 260.
^) Die Fragmente seiner Historien sam-
356 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
scheinlich Chabrias von Leodamas), weil er nach einem Seesieg die Toten
zu bestatten und die noch Lebenden zu retten versäumt habe.
4. Die Philosophen.^)
a. Anfängre der Philosophie.
273. Die Forschungen über den Urgrund des Seins und die Gesetze
des Denkens fallen ausserhalb des Bereiches der allgemeinen Litteratur.
Es wird daher die Philosophie der Griechen in der Regel als Gegenstand
einer speziellen Disziplin betrachtet, bei der dann auf den Inhalt der philo-
sophischen Werke und auf die allmählichen Fortschritte in der Erkenntnis
der obersten Gründe der Hauptnachdruck gelegt wird. Aber auch in einer
Geschichte der Litteratur verlangt die Philosophie einen Platz; sie darf am
wenigsten in einer griechischen Litteraturgeschichte beiseite gelassen wer-
den, weil sie einerseits eine der grossartigsten und originellsten Schöpfungen
des griechischen Forschergeistes ist, anderseits bei den Griechen noch einen
allgemeineren Charakter trug und mit Seiten der schönen Litteratur, wie
Rhetorik und Poetik, sich vielfach berührte. Aber wesentlich nur die
Philosophen, deren Schriften uns erhalten sind, werden wir eingehender
behandeln, diejenigen hingegen, von deren philosophischen Gedanken wir
nur durch andere Kenntnis haben, entweder ganz ausser Betracht lassen
oder nur kurz streifen.
274. Eine Vorstufe der griechischen Philosophie bildeten die Speku-
lationen der alten Theologen, welche von dem geistigen Kern der über-
lieferten Religion ausgehend, ein System der Weltentstehung (Kosmogonie)
konstruierten. 2) Von ihnen, insbesondere von Hesiod und Pherekydes,
ist von uns schon oben in anderem Zusammenhang gehandelt worden. Auch
die sogenannten Sieben Weisen, die ihrer politischen Klugheit und prak-
tischen Lebensweisheit ihre Berühmtheit verdankten, haben bereits bei
anderer Gelegenheit (§ 88) Erwähnung gefunden.
Die ersten, welche den Namen Philosophen verdienen und mit der
^) Haupt-Quellen: Diogenes Laert. 1862 -4; Zeller, Philosophie der Griechen
tisqI ^ii(i)v x(u doyjucniüi' rioy iy cfiXoaocpia in 3 Teilen, 3. Aufl., Leipz. 1859 — 68, 4. Aufl.
stdoxiu7]ac'(PT(oi^, 10 B,; Reste von des Por- im P]rscheinen; Zellek, Grundriss der Gesch.
phyrios (fiXöaocpog laxoQia ; Doxographi graeci,
zusammengestellt von Diels, Berl. 1879. —
Fragmentensammlungen: Philos. graec. vet.
der alten Philos., 2. Aufl. Leipz, 1886; Ueber
weg, Grundriss d. Gesch. d. Philos., 1. Teil
das Altertum, 7. Aufl. besorgt von Heinze,
rell. coli. Karsten, Brux. 1832—8; Fragm. Berl. 1886; Prantl, Übersicht der griechisch-
philos. graec. ed. Mullach, Paris 1875-81, röm.Philosophie, 2. Aufl. Stuttg. 1863; Prantl,
3 vol. noch unvollendet; Historia philos. Gesch. der Logik im Abendlande, Leipz. 1855,
graec. et rom. ex fontium locis contexta . 1. Band die griech.-röm. Philos. umfassend;
cur. Ritter et Preller, ed. VI (1878) cur. I Schwegler, Gesch. der griech. Phil., 3. Aufl.
Teichmijller, ed. VII (1886) cur. Schultess. : besorgt von Köstlin, Freib. 1883; Windel-;
Werke z. Gesch. d. Philos,, ältere: Jonsius, band, Gesch. d. alt. Philos., in diesem Hand-
De scriptoribus Imtoriae philo sophicae, buch im 11. Halbband, Nördl. 1888; Archiv
Francof. 1659, ex rec. Dornii 1716; Tenne- ; für Gesch. der Philos., herausgegeben von
MANN, Gesch. d. Phiios. (1798), 5. Aufl. von j Stein, Berl. seit 1887.
Wendt, Leipz. 1829. — Neuere Werke: ; '^) kristoi. Met. l,^: etol ^s xiveg o"i xid
Brandis, Handbuch d. Gesch. d. griechisch- rovg najunaXalovg y.cd noXv ttqo jrjg vvp
römischen Philos. in 3 Teilen bis Aristoteles yeveasoig y.cd nQojtovg &€oXoyij(TccyT(cg ovrojg ,
incl., Berl. 1835—66; Brandis, Gesch. der j oioyicansQirrjg g:vae(og vnoXccßeTy. Met.II,4:
Entwicklungen der griech. Philos, und ihre ol 71€qI 'Haiodoy xai ndvieg oaoi d^eoloyoi,
Nachwirkungen im röm. Reich, 2 Bde., Berl. j
4. Die Philosophen, a. Die Anfänge der Philosophie. (§ 273-274.) 357
Verbreitung naturwissensclmftlicher Kenntnisse das Nachdenken über die
Gründe des Seins anregten, waren die ionischen Physiologen. Ihre
Blüte fällt in dieselbe Zeit, wie die der Sieben Weisen, in das (5. Jahr-
hundert V. Chr. In die Litteratur sind auch sie wenig eingetreten. Der
älteste von ihnen, Thaies von Milet, dessen Zeit sich durch die von
ihm vorausgesagte Sonnenfinsternis von 585 bestimmt, hat überhaupt nichts
schriftlich hinterlassen. 1) Der erste, von dem ein Buch erwähnt wird, war
Anaximander von Milet, dem zugleich die erste Anfertigung einer ehernen
Erdtafel und Himmelskugel {(r(faTQa) nachgerühmt wird.^) Ihm folgte
Anaximenes, der gleichfalls eine Schrift tv€qI (fimog in ionischer Mund-
art verfasste. Alle drei suchten den Urgrund der Dinge in etwas Mate-
riellem, indem der erste aus dem Wasser,^) der zweite aus dem Unendlichen
(ccTTfiQov), der dritte aus der Luft die Dinge entstanden sein Hess.
Über diese plumpen Anfänge der Naturerklärung ging der Ausläufer
der ionischen Physiologen, der grosse Denker Herakleitos aus Ephesos
(um 535 bis um 475) weit hinaus. Sein Buch, das wegen der Dunkelheit
der Sprache verrufen war,*) hat bis in die Zeit der Neuplatoniker hinein
Leser gefunden, so dass uns von demselben nicht wenige Fragmente er-
halten sind.^) Seine philosophische Grundanschauung, die sich gegen die
Einheits- und Stillstandslehre der Eleaten kehrte,*^) wurzelte in dem Satze
von dem ewigen Fluss der Dinge (TTccrra qsi) und von dem Krieg als dem
Vater der Dinge {TroXf/nog TidvTon' TtaxriQ). Als Urstoff nahm er das Feuer,
das feinste und geistigste der Elemente, an und Hess die Dinge von diesem
aus und zu diesem zurück einen doppelten Weg gehen i)]v xcctm 666v und T:r]v
av(t) oSör. Die Ordnung der Bewegung wird ihm aufrecht erhalten durch
die ewigen, feststehenden Naturgesetze, die er nach seiner symbolischen
Sprachweise unter dem Namen EffiaQiiu'vrj zusammenfasste. Unter den vielen
Sentenzen des kernhaften, aristokratisch gesinnten Philosophen findet sich
auch der goldene Spruch 7ToXi\aa^rjirj voov ov diSäaxei, Die 9 unter seinem
Namen uns erhaltenen Briefe rühren von einem hellenistischen Juden aus
der Zeit der Kleopatra her.'')
^) Daher sagt vorsichtig Aristoteles Met.
I, 3 p. 984a, 2: &aXiig Xeysrat ovxMg dno-
^) Strab. p. 7; nach Diog. II, 2 stand er
Ol. 58, 2 im Alter von 64 Jahren.
^) vStatt des Wassers setzte als Urstoff das
von „auch" zu Ztjvdg ovofxa ziehe.
^) Heracliti Ephesii rcll. rec. I. Bywa-
TER. Oxon. 1877; Schuster, Heraklit von
Ephesus, Acta soc. philo). Lips. t. III; Pflei-
DERER, Die Philosophie des Heraklit von Ephe-
sus im Lichte der Mysterienidee, Berlin 188(J.
Nasse {vyQov) Hippon der Atheist dessen Über ein neues Fragment hervorgezogen aus
Zeit sich aus der Erwähnung in den Panoptai | den XQfjGfiol tmv "FXArjvixwv &e(op Neumann,
des Kratinos bestimmt. Herm. 15, 605 f. Die neuesten Leistungen auf
^) Heraklit selbst erhielt davon den Bei- dem überreichen Gebiet der Heraklitlitteratur
namen der Dunkle (6 ffxoretj'oV). Speziell rügt ] bespricht Cron, Philol. N. F. Bd. 1 H. 2 - 3.
Aristoteles Rhet. III, 5: TfrH^«xAf('Tov Jmd- \ ^) Wenn es auch wahrscheinlich ist,
T£'|«<. tQyoi' did TÖ i(&i]Xoy sivui, tioteqo) dass Heraklit sein Buch vor dem Erscheinen
TiQoaxsiTca tw i-arsgoy ij t(o nQoxsQov. Diese des philosophischen Lehrgedichtes des Par-
Schwierigkeit begegnet uns ausser in dem menides schrieb, so konnte er sich doch
von Aristoteles selbst angeführten Satze joi \ jedenfalls schon gegen Xenophanes wenden,
loyov tovd' eovTog dsi a^vvsxoi oi livd^Qionoi "') J. Bernays, Die pseudoheraklitischen
yiyvovTm, besonders in dem locus concla- Briefe, ein Beitrag zur philos. u, religions-
matus eV to aocpoy juoih'oy Xfysa'^ai ovy. geschichtlichen Litteratur, Berl. 1869; Pflei-
sdelsi xal if^eXei Zrjvog ovi^of^a wo ich mit i derer. Die ps.-heraklitischen Briefe und ihre
Cron tV als Prädikat fasse und xcd im Sinne Verfasser, Kh. M. 42, 153 ff.
358
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Auch der Vater der zweiten Richtung philosophischen Denkens, Py-
thagoras aus Samos, der um 530 sich in Kroton in Unteritalien ansiedelte
und Stifter des philosophisch-politischen Bundes der Pythagoreer wurde,
scheint selbst nichts geschrieben zu haben; schon das berühmte amoq
8(fa weist darauf hin, dass sich die Anhänger unseres Philosophen
nur auf mündliche Aussprüche, nicht auf irgend welche Schriften des
Meisters berufen konnten, i) Der erste Pythagoreer, der die Hauptsätze
der Lehre in einem Buche zusammenfasste, war Philolaos, ein älterer
Zeitgenosse des Sokrates, der nach Zersprengung der pythagoreischen Ver-
eine in Italien nach Theben gekommen war. Von ihm haben wir noch
umfangreiche Fragmente in dorischem Dialekt, für deren Echtheit Böckh
eingetreten ist. 2) Einige mathematische und physikalische Bruchstücke
sind uns auch von Archytas aus Tarent, einem Freunde Piatons, erhalten.^)
Zweifellos untergeschoben ist die aus dem platonischen Dialog ausgezogene
Schrift des angeblichen Pythagoreers Timaios neQi ipvxäg xal (pvaioq. Die
Lehre des Pythagoras von der Seelen Wanderung und die in seiner Schule
sich forterbende Liebe zur Mathematik und Harmonik scheinen auf den
Einfluss des Pherekydes und der ägyptischen Priester, welche Pythagoras
in seinen jungen Jahren gehört haben soll, zurückzugehen."*) Die mathe-
matischen Studien brachten ihn auf den Gedanken, die Zahl und die Zahlen-
verhältnisse, auf denen nicht bloss die Harmonie der Töne, sondern das
Wesen {saaia) aller Dinge beruhe, zum Prinzip zu erheben. Es bedeutete
dieses einen grossen Fortschritt in der philosophischen Erkenntnis, da da-
mit etwas Geistiges anstatt eines Materiellen in den Anfang trat. Aber
die Durchführung jenes an sich richtigen Prinzips artete bei den Schülern
des Meisters in einen phantastischen, spielenden Mystizismus aus.^)
275. Die Eleaten Xenophanes und Parmenides haben ihre philo-
sophischen Gedanken in Versen niedergelegt; von ihnen ist daher bereits
oben beim Lehrgedicht § 74 gehandelt worden. Der Begründer der eleati-
schen Schule, Xenophanes aus Kolophon, ging in seiner philosophischen Lehre
von einer höheren Auffassung Gottes aus und bekämpfte, indem er nur
einen Gott annahm und diesen Einen sich ewig gleichbleibend dachte, den
Polytheismus und die anthropomorphen Vorstellungen der Volksreligion. ^)
') Die Uvx^ctyoQov /Qvaci snr} (neuestens
herausgegeben von Nauck im Anhang des
Jamblichos) stammen aus halbbarbarischer
Zeit. Doch sind denselben ältere, schon von
Chrysipp bei Gellius VII, 2. 12 als pytha-
goreisch angeführte Verse beigemischt. Nach
Diog, VIII, 6 — 8 waren noch andere Verse
des angeblichen Pythagoras in Umlauf; s.§453.
'^) Böckh, Philolaos des Pythagoreers
Lehre nebst den Bruchstücken seines Werkes,
Berlin 1819. Neuere Litteratur bei Uebee-
WEG S. 54 u. 62.
^) BlasS; De Archytne Tarentini fragm.
math. in Mel. Graux p. 573—84.
*) Die Reise des Pythagoras nach Ägypten
berichtet als ältester Zeuge Isokrates, Bus.
11; die späteren Zeugnisse bei Zeller I^
277 ff. Auch die Lehre des Zoroaster soll er
gekannt haben; ebenda S. 275 f. Dass auch
indische Weisheit auf irgend welchem Wege
zu Pythagoras gedrungen, zeigt Schröder.
Im übrigen darf jetzt als ausgemacht gelten,
dass die Angaben der Späteren über Pytha-
goras Reisen zu den Magiern, Indern, Juden
nicht aus geschichtlicher Erinnerung stam-
men, sondern in der pythagoreischen Legende
und der Verlogenheit des Synkretismus seine
Quelle hat.
^) Über die Fortdauer der pythagorei-
schen Sekte in der alexandrinischen Zeit und
ihr Neuaufleben bei den Neupythagoreern
s. § 453 u. Zeller, Philos. d. Gr. III ^ 2. 79 ff.
^) Den Kern der Lehre enthalten die
Verse eu ^hsog tr xe S^soTai xcd drx^Qionotai
^EytGTog, ov ri de^uag ihvrjroTaiv ofuoUoc:
ovdi vorjfxcc. Vergl. Ps. Aristot. De Xeno-
1
4. Die Philosophen. A. Die Anfänge der Philosophie. (§ 275.) ^59
Parmenides erwies in dem ersten Teile seines philosophischen Lehrgedichtes
jenes Eins als das allein wahrhaft Seiende, das ewig und unveränderlich,
denkend und gedacht zugleich sei, behandelte aber dann doch im zweiten
Teile auch das Werden und Vergehen oder die Welt der trügerischen
Meinung (So'^a im Gegensatz zu aXrjO^eia), indem er dieselbe auf 2, durch
den Eros zusammengeführte Prinzipien, Licht und Finsternis ((päog xa)
(TxÖTog xal tu avaioixa^ cegaior (fxXrjQov etc.), zurückführte.^) Die Lehren
des tiefsinnigen Meisters wurden später von seinen Schülern Zenon und
Melissos auch in prosaischer Rede dargelegt und weitergeführt.
Mit Parmenides teilt sein Zeitgenosse Empedokles aus Akragas in
Sikilien die Form der poetischen Darstellung; auch von ihm ist daher
bereits oben § 74 die Rede gewesen. Die Philosophie verdankt ihm die
Unterscheidung von Stoff und Kraft. Den Stoff bilden ihm die 4 Elemente
[Ttaaaga tmv jkxvtmv Qi^M^aaTa), die er zuerst unterschied, aber noch alle-
gorisch mit Namen von Göttern {Zevg, ^'Hga, 'AiSwvevg, Nr^criig) bezeichnete.
Die Kraft tritt ihm in zwiefacher Gestalt auf, als Liebe {(l>iX6Tt]g), welche
alles in die eine Kugel zusammenführt, und als Streit (Nflxog), welcher das
Vereinigte wieder scheidet, bis von neuem wieder die Liebe ihr Werk
beginnt.
Von bedeutendstem Einfluss auf attische Geistesrichtung und Litteratur
war unter den älteren Philosophen Anaxagoras aus Klazomenä (geb. um
500). Derselbe ist, indem er den vovg als Prinzip in die Philosophie ein-
führte, nach einem bekannten Ausspruch des Aristoteles Met. I, 3 wie ein
Nüchterner neben Betrunkenen erschienen.'^) Im übrigen lehnte er sich in
seinen Anschauungen stark an Empedokles an, an den namentlich sein
viLiov TidvTa, aus dem er alles Seiende entstanden sein Hess, erinnerte. Der
rationalistische Zug seiner Philosophie bestand hauptsächlich darin, dass
er mit Ausschluss aller Symbolik seine Prinzipien mit sachlichen, nicht
von den Göttern hergenommenen Namen bezeichnete. Während seines
langen Aufenthaltes in Athen, wo er anfangs an Themistokles, später an
Perikles mächtige Gönner hatte, trug er zur Verbreitung religiöser Auf-
klärung wesentlich bei, bis er 432/1 infolge einer Anklage wegen Atheis-
mus (aa(:ßsia) die Stadt verlassen musste. Sein Einfluss überdauerte sein
Leben; das verdankte er dem Fortleben seines Werkes neq! (fmiog, das
noch zur Zeit des Sokrates und Piaton viel in Athen gelesen wurde. ^)
Bereits eine ausgedehnte litterarische Thätigkeit entfaltete neben dem
eklektischen Physiker Diogenes von Apollonia') der vielgereiste,^) von
seinen Zeitgenossen wegen des Umfangs seines Wissens angestaunte Philo-
'pliane Zenone Gorf/ia c. 3 und Freuden-
THAL, Die Theologie des Xenophanes, Breslau
1886, wonach bei Xenophanes doch noch
von keinem reinen, streng durchgeführten
Monotheismus die Rede sein kann.
') Zum zweiten Teil geht Parmenides
über mit den Versen
fi' TW aoi navou) ■niotov Xoyoi^ /ycTf v6rjy.ci
(}(ÄCplg uX}]x^siag ' d'6'^ag d" und Tovds ßgoisiug
iiävdccvSjXOGfxop s^uidi'entMi^ u7ifay]X6i'(ly.ovix)v.
Über den platonischen Dialog Parmenides s.
§288.
'■^J Ahnlich ist der Ausspruch des Piaton
Phaed. 97 c.
') Plat. Apol. '26d; von seinem Einfluss
auf Euripides s. § 1(33.
"*) Wiewohl aus Kreta gebürtig, schrieb
er doch ionisch.
') Er selbst bezeugt bei Clemens, ström.
T, 3)04 seinen Aufenthalt in Ägypten und
andern Ländern.
360 Griechische Litter aturgeschichte. I. Klassische Periode.
soph Demokritos von Abdera (geboren um 460),^) der mit seinem älteren
Genossen Leukippos die materialistische Atomenlehre aufbrachte und wegen
seiner auf heitere Seelenruhe abzielenden Ethik bei den Späteren den Bei-
namen des lachenden Philosophen {ysläcrovog) erhielt. 2) Unter seinen zahl-
reichen, meist naturwissenschaftlichen Schriften in ionischem Dialekt, welche
später Thrasylos in 15 Tetralogien ordnete,^) waren der fxey^g StdxoaiLiog'^)
und fxixQog SidxoapLog und das Buch neql svO^vnir^g am berühmtesten ; •'^) wir
haben aus ihnen nur wenige wörtliche Anführungen, die meisten bei Sextus
Empiricus adv. math. VII, 135. Auch sprachliche und litterarische Themen
behandelte er in den Schriften n8Ql ^Oixtjqov, tisqI oQ&osnsirjg xal yXwaaswv,
71€qI Qi]ßdTa)v, 6vop.aarix6v. Fälschungen aus späterer Zeit sind die auf
uns gekommenen 2 Briefe, die Bücher neql avfxna^siwv xal avTiTua^srnv,
(J^vcrixd xal MvfTTixd, FtMQyixd xeiQox^xriTa,^) Ausserdem haben sich aus
einer Sentenzensammlung viele Kernsprüche unseres Philosophen erhalten."^)
b. Die attische Periode der Philosophie.
276. Wie nach den Perserkriegen Athen nicht bloss die politische
Vormacht Griechenlands, sondern auch, und in noch höherem Grade, der
Mittelpunkt des geistigen Lebens der Nation überhaupt geworden war, so
begannen im 5. Jahrhundert auch die philosophischen Regungen sich all-
mählich von der Peripherie Griechenlands nach dem neuen geistigen Zentrum
zusammenzuziehen. Um dieselbe Zeit, in der die neue Gattung der dra-
matischen Poesie in Athen zur Entfaltung und Blüte kam, ward der Boden
Attikas auch zur Aufnahme der verwandten Gattung der prosaischen Lit-
teratur vorbereitet und tragfähig gemacht. Pythagoreer hatten nach Auf-
lösung ihres Bundes Schutz und Stellung in dem hellenischen Festland
gefunden; Parmenides war als Greis nach Athen gekommen, um in der
Kephissosstadt seine Lehre vom Eins und wahrhaft Seienden zu verkünden;
Anaxagoras hatte geradezu den bedeutendsten Teil seines Lebens in Athen,
im Verkehr mit den einflussreichsten Männern der Stadt zugebracht. Aber
eigentlich eingebürgert wurde die Philosophie in Athen erst durch die
Sophisten während der Zeit des peloponnesischen Krieges.
Die Sophisten^) bereiteten eine neue Richtung des Denkens und der
Lebensauffassung vor, indem sie die unfruchtbaren Spekulationen über den
Urgrund der Dinge und das Werden der Welt beiseite lassend, die näher-
liegenden Fragen der Ethik, der Politik und des Erkennens mit subjektiver
Denkfreiheit erfassten und in geschmückten, mehr auf den Schein als die
^) Sein Leben reichte nach Seneca \ *) Der (xeyag dtdxoa/uog wurde von Theo-
Quaest. nat. 7, 16 über 373 herab; s. Diels,
Rh. M. 42, 1 ff.; Zeller, Philos. d. Gr. I*,
761 ff.
■') Aelian V. H. IV, 20; Suidas u. Jf]-
fioxQixog; Anth. VII, 56; Hör. ep. II, 1. 194;
Seneca de tranqu. an. 15; Lucian vit. auct.
18; Juvenal X, 33.
^) Diog. IX, 45. Auch Schüler hinter-
phrast dem Leukippos beigelegt; s. Diog.
IX, 46.
^) Aus der Schrift nsgl svSv^irjg schöpfte
Seneca, De tranquillitute animi, worüber
HiKZEL, Herrn, 14, 354 ff. Die schönsten
Sentenzen aus Demokrit sind zusammenge-
stellt von Ritter-Pkeller, Hist. phil. n. 158.
6) Vgl. Meyer, Gesch. d. Botanik I, 277.
Hess Demokrit, darunter den Anaxarchos, I ') Vergleiche unten § 578.
den Gefährten Alexanders; siehe Gomperz, | ^) Grote, Hist. ofGreece VIII, 474— 544;
Anaxarch u. Kallisthenes, in Comm. in hon. i Schanz, Beiträge zur vorsokratischen Philo-
Momms. 471-86. | sophie, Gott. 1867.
I
4. Die Philosophen, b. Die attische Periode der Philosophie. (§276.) 361
Wahrheit berechneten Vorträgen [iTiiSsi^eic) verbreiteten. Der Hauptver-
treter dieser neuen Weisheit war Protagoras aus Abdera (geb. um 485), i)
der wie die meisten Sophisten ein Wanderleben führte, Athen aber zum
Hauptsitz seiner prunkenden Thätigkeit wählte, 2) bis er um 411 der Gott-
losigkeit angeklagt, aus Athen fliehen musste und auf der Flucht nach
Sikilien im Meere den Tod fand.^) Nächst ihm war am einflussreichsten
Gorgias aus Leontini, der 427 als Gesandter seiner Vaterstadt nach Athen
kam und über den Tod des Sokrates (399) hinaus als Lehrer und Fest-
redner den Samen der Rhetorik und Sophistik in Hellas ausstreute.*) Diesen
beiden Hauptträgern der Sophistik reihten sich Hippias aus Elis und
Prodi kos aus Keos an, die als jüngere Zeitgenossen neben jenen gefeierten
Lehrern in Athen und anderen Städten Griechenlands das neue Evangelium
der Aufklärung und subjektiven Lebensauffassung predigten.
Der Einfluss dieser Männer auf den Geist der Zeit, auf die Loslösung
vom Glauben an das Überlieferte, auf die gänzliche Umgestaltung der Er-
ziehung und des Unterrichtes ^) war ein enormer, dem der Enzyklopädisten
im vorigen Jahrhundert vergleichbar; aber ihre Stellung in der Litteratur
und im positiven Fortschritt des Wissens ist gering. Das liegt zum grossen
Teil darin, dass sie ihre Anschauungen weniger durch Schriften als durch
Vorträge und hochbezahlte Lehrkurse ^) verbreiteten. Von Hippias werden
mehr geschichtliche und rhetorische {avayqaifri 'OXvfXTiioviyiMv und TQmxog
Xoyog) als philosophische Schriften angeführt. Gorgias hatte ohnehin seine
Stärke in den Reden, neben denen seine dialektische, an die Lehre der
Eleaten anknüpfende Schrift ttsqI tov ^rj ovTog r] tt^qI (fvascog "') zurücktrat.
Von Prodikos kennen wir nur ein Buch 'ügai, in dem der schöne Mythus
von Herakles am Scheideweg stund. Protagoras war nicht bloss der
philosophischste Kopf unter den Sophisten, er hat auch am meisten von
ihnen geschrieben ; 8) von zweien seiner Schriften kennen wir die Anfänge,
in denen zugleich die Hauptsätze seiner Lehre enthalten sind: nävjwv
^) Frei, Quaestiones Protagoreae, Bonn
1845.
^) In Athen verkehrte er im Anfang des
peloponnesischen Krieges mit Perikles; dann
verliess er wieder Athen, um, als Kallias
Herr seines Vermögens geworden war, wieder
dorthin zurückzukehren.
^) Vor 411 oder vor die Zeit des Rates
der Vierhundert setzt die Anklage gegen
Protagoras Müller-Strübing, Jahrb. f. Phil.
121, 84. Einen der Vierhundert, Pythodoros,
nennt als Ankläger Aristoteles bei Diog. IX,
54. Über seine Hauptschrift KaraßccXkovres
oder \4vTiXoyix('c oder 'AXtjS^SLcc s. I. Bernays,
<4es. Abh. I, 117—121.
') Vgl. oben § 242.
") Bergk, Gr. Litt. IV, 830: Bisherhatte
sich der Unterricht auf Musik, Gymnastik
und die Elemente des Lesens, Schreibens und
Rechnens beschränkt; alles was darüber
hinausging, suchte sich der einzelne selbst
im öffentlichen Leben anzueignen. Jetzt
nahmen die Sophisten den wissenschaftlichen
Unterricht der Jugend in die Hand; die Ju-
gend, die seit alters in den Gymnasien und
Ringschulen den Leibesübungen oblag, sollte
jetzt in der Palästra der Sophistik geschult
werden, welche zu ihren Vorträgen gerade
jene Gymnasien mit Vorliebe wählten.
^) Protagoras und Gorgias haben für
den Kurs einen Lohn von 100 Minen ge-
nommen; s. Diog. IX, 52; Diodor XII, 53;
Suidas unt. Gorgias. Prodikos gab in der
Grammatik {nsQi oQxi^ötrjxog ovo^äTOJv) einen
Kurs für 50 u. einen kürzeren für 1 Drachme.
"') Der Inhalt -dieser Schrift steht bei
Sext. Empir. adv. math. VII, 55 ff. und Ps.
Aristot. de Melisso ; er gipfelt in den Sätzen :
ttqöjxov özi ovdsp eariv, dethsQoy oti €1 xal
tariv, dxardXrjnrov dpx^QconM, rqixov ort ei
xal xccTcc'kfjnrov, «AAor rot y'' civs^oiaxov xcd
dfEQfX'^vevxov X(o neXag.
^) In ionischem Dialekt ist das längere
Fragment bei Plutarch, Consol. ad Apoll. 33
geschrieben.
362 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
j(Qrji(xiwr fieTQor ai'^QMirog, to)i> fitr oriMV wg saii^ twv 6t fitj övxwv ok
ovx eanr und ttsqI /lui' d^ewv ovx f'xo) eiStvcu ovO-' ok darr, ovO^' wg ovx
eiair. Auch für die Entwicklung der grammatischen Terminologie waren
seine Schriften, wie die ttsqI oQ^^osirsiag, von Wichtigkeit; er unterschied
zuerst die 4 Aussageformen (tqotjoi, modi): svxoyXrj (Optativ), SQükrjaig,
anoxQiaig, evToXrj (Imperativ), und die 3 Geschlechter: aggsra, ^rjXea, axtinj.
In der philosophischen Theorie ging er von dem heraklitischen Satz vom
ewigen Fluss der Dinge aus, indem er damit den weiteren verband, dass
unser Wissen lediglich auf sinnlichen Wahrnehmungen beruhe J) Dadurch
gelangte er zu einem ausgeprägten sensualistischen Skeptizismus, wonach
es nichts Festes und Bleibendes, weder in den Dingen noch im Wissen
gibt, und wonach wir nur sagen können, wie die Dinge uns jedesmal zu
sein scheinen, nicht was sie immer und was sie an sich sind. Da er auf
solche Weise eine objektive Wesenheit der Dinge leugnete, so ward ihm
der Mensch zum Mass der Dinge in seinen positiven wie negativen Aus-
sagen. Der rhetorische Charakter seiner Philosophie drückte sich in dem
verrufenen Satze aus, er verstehe die Kunst, die geringere Sache zur bes-
seren zu machen [tov tjttco Xöyov x^bittm noieiv), natürlich mit den Ver-
drehungen der Rhetorik und den Winkelzügen sophistischer Dialektik.
Neben den längeren Vorträgen wurde von den Sophisten auch die
bereits von Zenon und den Eleaten gepflegte Kunst des Disputierens [Sia-
XsxTixrj) betrieben, die bei ihnen meist in Rechthaberei [sQKrrtxrj) ausartete.
Von solchen Disputationen wurden mit der Zeit auch Aufzeichnungen ge-
macht; eine derselben, JiaXs^sig r^d^ixai betitelt, in dorischem Dialekt aus
der Zeit nach Athens Fall ist uns zufällig erhalten. 2) Als Verfasser der-
selben ist Mystas (v. 1. Mymas) genannt, unter welchem, wahrscheinlich
verderbten Namen die einen den Pythagoreer Simmias, die anderen den
Schuster Simon erkennen wollen. 3)
Mit den grossen Sophisten des 5. Jahrhunderts starb die Sophistik
nicht aus, sie lebte noch im 4. Jahrhundert neben Piaton und teilweise
selbst neben Aristoteles fort; aber sie brachte keine namhaften Männer
mehr hervor. Zu den Vertretern der jüngeren Sophistik gehören Thra-
sy machos aus Chalkedon, jüngerer Zeitgenosse des Sokrates, bekannt als
rhetorischer Rechtsverdreher aus Piatons Republik; Polykrates, der im
J. 395 eine Anklageschrift gegen Sokrates schrieb; die eristischen Klopf-
fechter Euthydemos und Dionysodoros, die Piaton mit unübertroö'ener
Ironie im Dialog Euthydemos verspottet hat; Bryson von Heraklea,
aus dessen dialektischen Dialogen Piaton vieles entnommen haben soll
(Ath. p. 508 d).
277. Sokrates (um 469 — 399), Sohn des Bildhauers Sophroniskos
1) Diog. IX, 51: rÄsys ^t^rev elvm nagd I Fünf Abhdl. z. gr. Philos. (1883) S. 119— 3S, I
T«V c(ia&?JGstg. Die Erkenntnistheorie des | und von Blass, Jahrb. f. Phil. 1881 S. 739; j^
Protagoras lernen wir am besten aus dem | Simon von Teichmüller, Litterar. Fehden
platonischen Dialog Theätet kennen. i des 4. Jahrh. II, 97, wo auch der Text der }
'^) WiLAMowiTz, Ind. Gott. 1889 p. 9 ; Schrift mit Übersetzung gegeben ist. Über '
weist nach, dass die Schrift um 400 von j die Codd. und die Fmendation der Schrift
einem liyzantier oder Rhodier verfasst sei. s. Schanz, Herrn. 19, 3(39 ff.
•^) Simmias ward vermutet von Bergk, |
4. Die Philosophen, b. Die attische Periode der Philosophie. (§ 277.) 363
und der Hebamme Pliainarete, aus dem Demos Alopeke bei Athen, war der
erste grosse Denker Athens, der originellste und weiseste Mann des ganzen
Altertums. Wie alle grossen Männer der alten Zeit, stand er mitten im
Volke und versäumte über philosophischem Nachdenken nicht seine Pflichten
als Bürger und Mensch. Er hatte von seinem Vater die Bildhauerkunst
erlernt, und am Eingang zur Akropolis zeigte man später noch die von
ihm gefertigten drei Chariten.^) Im peloponnesischen Krieg trug er für
sein Vaterland die Waffen und focht tapfer bei Potidäa, Delion und Amphi-
polis; im Jahre 406 trat er als Prytane mutvoll für die mit dem Todes-
urteil bedrohten Feldherrn der Schlacht bei den Arginusen ein. Ver-
heiratet hatte er sich, auch darin den Bürgerpflichten nachkommend, mit
einer Athenerin Xanthippe. Philosoph von Profession war er so wenig,
dass er nichts schrieb, nie um Geld lehrte, in seinem ganzen Auftreten die
Regeln der Schulweisheit verleugnete. Noch weniger kann bei ihm von
dem Anschluss an eine bestimmte Schule die Rede sein; er hatte wohl den
Protagoras, Archelaos und Parmenides gehört und war in den Schriften
der älteren Philosophen nicht unbewandert, 2) aber seine Denkweise war
ebenso originell, wie seine Lehrweise. Mit den Sophisten teilte er die
gleiche Richtung des philosophischen Denkens : von ihm konnte man ebenso
wie von den Sophisten rühmen quoä pliilosopliiam devocavif e caelo et in
urbihus collocavit;^) von ihm gilt geradeso wie von den Sophisten, dass er
jede Beschränkung der Denkfreiheit durch die Schranken dogmatischer
Überlieferung von sich wies und in den richtig entwickelten Denkgesetzen
allein die Quelle richtigen Wissens erblickte. Es war daher nicht ganz
zu verwundern, wenn er von fernerstehenden unphilosophischen Köpfen
mit den Sophisten in einen Topf geworfen und für das von jenen an-
gerichtete Unheil verantwortlich gemacht wurde. Wer aber tiefer blickte,
sah den grossen, gewaltigen Unterschied: Sokrates lehrte nicht um Lohn,
sondern folgte in seinem Verkehr mit der Jugend nur dem inneren Drang
seines Geistes ; ^) er war in der Einfachheit seines Wesens hoch erhaben
über jeder Anwandlung des Hochmutes und der Eitelkeit; er verschmähte
die Prunkreden der Sophisten und suchte statt dessen mit der Hebammen-
kunst (fjiai&vTixrj) seiner Mutter, durch schlichte Fragen die Wahrheit aus
den Jünglingen herauszulocken; in seinem Bekenntnis des Nichtwissens
barg sich zwar ein Stück der gerühmten sokratischen Ironie, aber es war
ihm doch heiliger Ernst mit dem Satze, dass durch Erkenntnis der früheren
Selbsttäuschung sich jeder erst den Weg zu besserem Wissen bahnen müsse.
Den Boden des subjektiven Erkennens hatte er mit den Sophisten gemein,
aber aus einzelnen Vorstellungen sollte durch richtige Deduktion das Wissen
höherer Wahrheiten gewonnen und so von der 66^a zur iKiörri^ri fort-
geschritten werden. Als den grossen Fortschritt der sokratischen Philo-
sophie bezeichnet daher richtig Aristoteles 5) die induktive Erkenntnis-
1) Paus. I, 22. 8; IX, 35. 7.
'') Xen. Memor. I, 1. 14; IV, 7. 6.
^) Cic. Tusc. disp. V, 4. 10; Acad. post.
gucker machte; s. § 189.
*) Diog. II, 65: \4QLaxi7inog ntfiipag
I, 4. 15. Völlige Unkenntnis der Natur der stnövrog IioxQurovg ro diajj.6riov uvtio fn]
sokratischen Denkweise war es, dass Ari- ETurQeneiy.
stophanes in den Wolken ihn zum Stern- j ^) Arist. Met. XIII, 4: (h'o ydq iaiiy
304 Griechische Litteraturgeschichtp. I. Klassische Periode.
methode und die Entwicklung allgemeingültiger Definitionen. Diese betrafen
aber zunächst nur das Gebiet der Sittenlehre, in der er von der Anschauung
ausging, dass die Tugend auf Wissen oder der richtigen Einsicht in das,
was tapfer, gerecht, besonnen etc. sei, beruhe.^) Bei seinen Jüngern er-
zeugte das Zusammenarbeiten in der Herausschälung richtiger Erkenntnisse
enthusiastischen Weisheitseifer und schwärmerische Zuneigung zu dem ge-
liebten Lehrer. Aber die bornierten Anhänger des Alten und die Vertreter
verletzter Eitelkeit, Meletos, Anytos und Lykon, benützten die verkehrte
Meinung, welche die Komiker von der Richtung der sokratischen Philosophie
unter der Menge verbreitet hatten, und die Misstimmung, welche nach
der Rückkehr des Demos gegen Alkibiades und Kritias, die Schüler und
Freunde des Sokrates, herrschte, um den einzigen Mann in seinem 70. Lebens-
jahre mit einer Klage wegen Verführung der Jugend und Einführung neuer
Götter zu belangen. Zum Tode mit schwacher Majorität verurteilt, trank
er im Kerker den Giftbecher im Mai 399. Der Tod des Unschuldigen,
wie er uns von Piaton im Phaidon mit ergreifender Wahrhaftigkeit ge-
schildert ist, hat das Ansehen des edlen Weisen nur erhöht und die Ge-
meinde seiner Schüler und Verehrer nur zu engerem Anschluss an den
geliebten Meister zusammengeführt. Sokrates wirkte durch die schlichte
Wahrheit seiner Lehre und die mit dem Tod besiegelte Lauterkeit der
Gesinnung wie ein gottgesendeter Religionsstifter. Er legte den Gedanken
an eine solche Sendung seinen Jüngern nahe durch die Berufung auf das
Daimonion, das er als die in seinem Linern vernehmbare Stimme der Gott-
heit befrage, so oft er etwas wichtiges zu thun im Begriffe stehe, er be-
währte sich aber zugleich dadurch, dass er jeden Schein wunderwirkender
Kraft von sich ferne hielt, als echten Sohn Athens.
278. Sokrates hat selbst nichts geschrieben, 2) aber er hat einen reichen
Samen ausgestreut, der in seinen Jüngern aufgegangen ist und reiche lit-
terarische Früchte trug. Es haben insbesondere seine Schüler die Gespräche,
die er mit den verschiedensten Leuten und über die verschiedensten Gegen-
stände hielt, aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert. So reihen sich
an Sokrates die Sokratiker und die ^wxQaTixol köyoi an. Dem grössten
der Sokratiker, Piaton, widmen wir einen eigenen Abschnitt, von dem
sokratischen Historiker Xenophon ist bereits oben gehandelt worden; hier
stellen wir das Hauptsächlichste über die übrigen Sokratiker und ihre
Schulen kurz zusammen.^)
Ai seh in es aus Sphettos schrieb sokratische Dialoge, die mit beson-
derer Treue die Manier des Sokrates wiedergaben. Unter der grösseren
Anzahl der unter seinem Namen in Umlauf befindlichen Dialoge wurden
nur 7 [Mdziddrjg, KaXh'ag, 'A^ioxog, 'Aanaaia, 'AXxißiddrjc, Tr^Xavyrjg, 'Pivmv)
für echt befunden (Diog. H, 61); erhalten hat sich von ihnen keiner.
u rtg av anodoit] ^oDXQdrsi, tTtxraw? toi'g t' | ab, die er im Kerker in Verse gebracht
inaxTixovg loyovg xccl t6 oQlCear^ai xax^ölov^
vgl. ibid. I, 6 and De part. anim. I, 1.
M Xen. Meni. III, 9. 4: aotpov xai
awffQovu exQiVE • ecf^r] re xul r^v 6iy.aioovr7]i^ ='} Diog. II, 04: nurrm' fxsrToi- rior
■/.cd Ti]u uXXrji' Tiaaav äQ£T7)v aocpiav Sivdi. 1 iMXQatixior dudöywv llavctiriog ahjS^Eig sivai
2) Ich sehe von den äsopischen Fabehi I doxel rovg mdnorog, Sevocpiüvrog, 'Avri-
haben soll. Ausser Betracht bleiben ohnehin
die unechten Briefe des Sokrates und der
Sokratiker.
4. Die Philosophen, b. Die attische Periode der Philosophie. (§ 278.) 305
. Euk leides aus Megara, der die sokratisclie Lehre vom Guten mit
der eleatischen vom Sein und Eins verband und zuerst den Namen siStj
(Ideen) in die Philosophie einführte, ^ pflegte den Dialog als Werkzeug der
Dialektik. Wir haben nichts von ihm; das Altertum, das 6 Dialoge von
ihm besass, war über die Echtheit derselben in Zweifel (Diog. II, 64).
Unter den späteren Häuptern der megarischen Schule gelangte Stilpon
(um 380 — 300), der sich den ethischen Ansichten der Kyniker zuneigte,
seine Stärke aber im Disputieren hatte, zu besonderem Ansehen; auch von
ihm zirkulierten 9 Dialoge, die aber Diog. II, 120 als spitzfindig und frostig
(ipvxQf^O bezeichnet.
Phaidon aus Elis, nach dem der gleichnamige Dialog des Piaton
benannt ist, schrieb gleichfalls Dialoge; die 2 als echt anerkannten hiessen
ZamvQog und ^ifiwv (Diog. II, 105). 2) Die von ihm in Elis gegründete
Schule wurde von Menedemos im Anfang des 3. Jahrhunderts nach Eretria
verpflanzt.
Antisthenes aus Athen, Hörer des Gorgias, dann des Sokrates, war
Gründer der kynischen Schule, welche von dem Gymnasium Kynosarges,
wo der Stifter lehrte, ihren Namen hatte. In der Lehre und in den zahl-
reichen Schriften trat er, der Vertreter der Eristik und Dürftigkeitsmoral,
vielfach in Feindschaft zu Piaton, dessen Ideenlehre er ins Lächerliche zog,
und den er in dem Dialoge ^d3(ov ^) auch persönlich verspottete. Auf der
anderen Seite Hess es auch Piaton nicht an Ausfällen fehlen ; im Euthy-
demos verhöhnte er unter fremden Namen die unfruchtbaren Haarspaltereien
der antisthenischen Eristik. Die Alten hatten von ihm zahlreiche Schriften,
geordnet nach sachlichen Gesichtspunkten in 10 Bänden.*) Auf uns ge-
kommen sind unter seinem Namen 2 unbedeutende Deklamationen Al'ag
und 'Odva(r€vg.^) Von dem Dialoge ÄQx^Xccoq 1] nsql ßaaiXsiag gibt den
Hauptinhalt, dass nicht Geld und Macht, sondern nur sittliche Tüchtigkeit
den Menschen wahrhaft glücklich mache, ein Rhetor der Kaiserzeit, Dion
Chrysostomos in der 13. Rede wieder.*^) Schüler des Antisthenes war
Diogenes vonSinope (gestorben 323, an demselben Tag wie Alexander d. Gr.),
eine originelle Bettelmönchfigur, zu welcher schriftstellerische Thätigkeit
^ai^Mvog xcd EvxXsidov, ror? cT' aXXovg dpcuQsT.
0 Gegen Eukleides scheint nämlich ge-
richtet zu sein Plat. Soph. p. 246b: ol ngog
((VTovg afxcpiaßrjxovvxEg {xala evlaßiüg aviod^EP
£$ aogäiov nod^ep ufxvporTcn, vorjxd dtza xcd
«(TcouciTcc eiÖ7] ß(cX6fZ6Poi xrjv dXf]&ivi^v ovaiav
sJvai. Vgl. Zeller, Gesch. d. gr. Phil.* 11,
1. 252 ff.
•^) Andeutungen über den nach dem
Schuster Simon benannten Dialog lljucoi^
geben der 12. u. 13. Brief der Sokratiker,
worüber Wilamowitz, Herrn. 14, 187 ff. u. 476 f.
=') Vgl. Ath. 220 d u. 507 a; gegen die
Lehre des Antisthenes sind gerichtet ausser
dem Euthydem die Stellen in Theät. 155 e
u. Soph. 251b, vielleicht auch der Spott auf
den Schweinestaat in Polit. II p. 372 d. Über
seinen Dialog KvQog tj ttsqI ßaaiXeiag^ mit
dem er den Anstoss zur Kyropädie des Xeno-
phon gab, s. oben § 226. Der Name läd^iov
erinnert an den Brief des Augustus an
Horaz in dessen Vita: iyiter alios iocos
purissimuni penem et homuncionem lepi-
clissimum adpellat.
^) Das Verzeichnis steht bei Diogenes
VI, 15; vgl. DüMMLER, Antisthenica, Halle
1882; SusEMiHL, Jhrb. f. Phil. 135 (1887)
S. 207—14.
^) Ihre Echtheit verteidigt gegen mannig-
fache Anfechtungen Blass, Att. Bereds. II,
311 ff.
^) Dieses hat scharfsinnig erschlossen
Usener bei Dümmler, p. 10 aus der Ver-
gleichung des Verzeichnisses der Werke
des Antisthenes und Dion p. 424 u. 431 R.
366
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
nicht gut passte. Die ihm beigelegten Schriften wurden bereits von Sosi-
krates und Satyros für unecht erklärt (Diog. VI, 80).
Aristippos aus Kyrene war Antipode des Antisthenes und Vater
der kryenaischen Lehre von dem vernunftgemässen Lebensgenuss. Beide
stimmten darin überein, dass sie die Philosophie auf die Untersuchung über
die Tugend und das beste Leben beschränkten, die Fragen nach dem Wissen
als überflüssig oder doch gleichgültig ablehnten.^) Wenn Aristoteles Met.
p. 996a 32 den Aristippos einen Sophisten nennt, so hängt diese respekt-
widrige Benennung wohl damit zusammen, dass derselbe einerseits nach
Sophistenart um Geld lehrte, 2) anderseits mit der Annahme, dass einzig
die Eindrücke {näd^rD der Dinge auf uns massgebend seien, sich zum
Sensualismus des Protagoras bekannte. Mit Piaton, dessen Philebos haupt-
sächlich gegen ihn, ohne dass sein Name genannt sei, gerichtet ist, kam
er in Sikilien an dem Hofe des Dionysios zusammen. Seine teils in atti-
schem, teils in dorischem Dialekt abgefassten Dialoge werden von Diog.
II, 84 aufgezählt. Die Lustlehre des Aristipp schlug in einem jüngeren
Vertreter der kyrenaischen Schule, in Hegesias mit dem Beinamen o
TisKTi^dvaTog, der zur Zeit des Ptolemaios Lagu lebte, in vollständigen
Pessimismus um, indem derselbe, an der Erreichung der Glückseligkeit
{svdmfiiovfa) verzweifelnd, die durch den Tod am sichersten zu erreichende
Empfindungslosigkeit für das beste hielt. *'^)
c. Piaton (427—347).^)
279. Piaton, Sohn des Ariston und der Periktione aus dem attischen
Demos Kollytos, ^^) erblickte im Jahre 427 am 7. Thargelion (Mai), welcher
Tag in seiner Schule auch später noch festlich begangen wurde, das Licht
der Welt.^) Seine Familie gehörte zu den altadeligen Geschlechtern des
^) Sext. Emp. adv. math. VII, 11:
(foxovai &£ xard rii'ag xcd oi und rrjg Kv-
Qijyt]g ^övov (landCsox^ai t6 tjx^ixop ^EQog^
7i«Q(f.7j^^nEiv df To cpvaiy.ov y.cd t6 loyixov
wq fj,t]d6y TTQog to ev^ai^ovMg ßiovy avi'SQ-
yovvra. Aristot. Met. B 2 p. 996-'^ 32: tmp
aocfLOTMi^ xii'sg oiov ^Aglaximrog nQosTDßd-
xit,sv avTug sc. Tag utj&rjfxaxixug £7nazt']jAag'
ii^ /uiy yc<Q Tcag dXXaig rs/fcag xcd rcdg
ßayccvaoig, oiov iv Tsxrovixf] xal axvTixfj.
t^toTi ße'Aiioy rj /eTgov l^yeoihai nana, rag
&£ ficcd^ijfxaiixdg ov^iva noisTod^ai Xoyov nsQl
dyad^iov xal xaxöjv.
'') Diog. II, 65: nQioiog tmv iMxgari-
xiop fj.iGx9oi'g stasnQd'^aro.
^) Cic. Tusc. I, 34; PJut. de araore pro-
lis 5; Diog. II, 93.
^) Quellen: Diog. 1. III; Olympiodor,
Vita und Prolegomena zu Alkibiades; Apu-
leius, De dogmate Piatonis. Zurückgehen
diese Biographien auf Speusippos' Eyxiofiiov
JlXdriopog, Philippos den Opuntier, der nach
Suidas nsQl TlXdzoivog schrieb, auf die Pla-
toniker Xenokrates und Hermodoros, und
auf die Briefe unter Piatons Namen. —
Neuere Darstellungen: Ast, Piatos Leben
u. Schriften, Leipz. 181G; K. Fr. Hermakn,
Geschichte und System der platonischen
Philosophie, Heidelberg 1839; Steinhart,
Piatos Leben im 9. Band der Übersetzung von
Müller, Leipz. 1873; Grote, Plato and t}ie
other companions of Socrates, Lond. 1865,
3 vol. ; H. V. Stein, Sieben Bücher z. Gesch. d.
Piatonismus, Gott. 1862— 4, unvollendet. Son-
stige Litt, bei Ueberweg, Gesch. d. Phil. I, § 39.
Andere Litteratur über Piatons Schriften siehe
unten S. 371 An. 3.
'") Da der Vater des Piaton ein Acker-
los in Aegina hatte, so Hessen ihn einige
nach Diog. III, 3 aus Aegina stammen.
^) Die Angaben der Alten gingen von
dem Todesjahr unter dem Archen Theophilos
Ol. 108, 1 aus und kamen von da zu etwas
abweichenden Resultaten, je nachdem sie
den Philosophen 80 oder 81 oder 84 {IIJ
= 84 wohl verlesen aus IIA = 81) Jahre alt
gestorben sein Hessen: s. Diels, Rh. M. 31,
41 f. u. Zeller, Gesch. d. gr. Phil.^ II. 1.
390 f. Als sein Glück pries es Piaton be
Plut. Mar. 46 als Hellene und zur Zeit des
Sokrates geboren worden zu sein: vgl. Lac-
tant. Inst. div. III, 19.
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 279.) 367
Landes; sein Vater rühmte sich ein Kodride zu sein; ^) seine Mutter war
eine Schwester des Charmides und Geschwisterkind des Kritias, der als
vielseitiger Schriftsteller und als einer der Dreissig eine hervorragende
Rolle in der Geschichte Athens spielte. An Geschwistern hatte er zwei
leibliche Brüder, Adeimantos und Glaukon, deren Andenken er in der Re-
publik verewigte, und eine Schwester Potone,^) deren Sohn Speusippos das
Erbe des Philosophen in der Akademie antrat. Einem Halbbruder Antiphon,
Sohn des Pyrilampes, begegnen wir im Eingang des Parmenides. Er selbst
soll anfangs den Namen seines Grossvaters Aristokles geführt und erst von
seinem Lehrer in der Gymnastik wegen seines breitschulterigen Körperbaus
den Namen Piaton bekommen haben.'')
Als Sohn einer angesehenen Familie und jüngerer Verwandte hoch-
gebildeter Männer erfreute er sich in seiner Jugend aller Vorteile edler
attischer Jugenderziehung. Li der Musik, Gymnastik, Malerei erhielt er
Unterricht; in der Gymnastik brachte er es so weit, dass er bei den
isthmischen Spielen im Ringen einen Sieg gewann. 4) Auch in der Musik, die
damals zugleich die Poesie umfasste, ging er über das blosse Lernen hinaus
und dichtete selbst Dithyramben und Tragödien.'') Epicharmos und Sophron
bildeten auch später noch seine Lieblingslektüre; den ersteren soll er stets
unter seinem Kopfkissen gehabt haben. 0) Hohe poetische und mimetische
Begabung spricht auch aus der scenischen Einkleidung seiner Dialoge und
aus der Stellung des Mythus in seiner Philosophie. Aber indem er den
natürlichen Hang zum poetischen Spiel mit Gewalt zu Gunsten der Philo-
sophie in sich unterdrückte, eiferte er, gleichsam seiner ersten Liebe zum
Trotz, um so heftiger gegen den nachteiligen Einfluss, den die erheuchelte
Leidenschaft der Tragiker auf die Seelen der Menschen übe, und verbannte
die Dichter mitsamt dem Homer aus seinem Idealstaat. 0 In der Philo-
sophie hörte er nach dem Zeugnis des Aristoteles Met. I, 6 als junger
Mensch den Herakliteer Kratylos, zu dessen Andenken er später den Dialog
Kratylos schrieb.^) Vom 20. Lebensjahre an schloss er sich dem Sokrates
an,^) dem er bis zu dessen Lebensende in innigster Verehrung ergeben
blieb. Seine eigene Philosophie wollte er nur als Ausfluss der sokratischen
Weisheit betrachtet wissen, weshalb er den Sokrates zum Träger des
Gesprächs in seinen Dialogen machte und dieselben geradezu ^MXQarixol
^) Diog. III, 1 ; Apul. 1 ; die Annahme | V. H. II, 30. Fabel ist es, wenn ihn Dio-
einer Abkunft von Selon bei Olympiodor genes wegen der Dünne seiner Stimme der
scheint sich auf Timaios p. 20 e zu stützen, tragischen Kunst entsagen lässt.
wo Kritias den Solon einen Freund seines
TiQÖnunnog jQMTjidrjg nennt.
2) Nach einigen bei Diog. III, 1 hiess
Potone auch die Mutter des Piaton.
2) Diog. III, 4. Anders deutete der
Sillograph Timon bei Ath. 505 e den Namen
Tlh'aMv. indem er ihn mit nXcaro) in Ver-
' bindung brachte: oJf avenXccxiE Ilhhwv 6
TTsnlao^iva Oav/uaTa eidttig. Wahrscheinlich
ist das alles eitel Faselei.
'') Diog. III, 4 nach dem Zeugnis des
I Dikäarch.
6) Diog. III, 18; Olymp. 3: Valerius
Max. V, 7.
^) Meisee, Zu Piatos Phaedr., Protag.,
Theätet, München 1864; Reber, Piaton u.
die Poesie, Münch. 1864. Wie sehr die
Liebe zur Poesie und zu Homer in seinem
Innern fortdauerte, zeigt sein eigenes Ge-
ständnis Rep. 607 c.
^) Piaton selbst bezeugt dieses im Phae-
don p. 96 a, freilich ohne den Namen Hera-
klit zu nennen.
^) Hermodoros bei Diog. III, 6 lässt ihn
''} Diog. III, 5; Olympiodor 3; Aelian { 8 Jahre (407-399) mit Sokrates verkehren.
368
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Xöyol nannte. 1) Erst in späteren Jahren trat er auf seinen sikilischen
Reisen in engere Beziehungen zu den Pythagoreern und gestattete diesen
bedeutenden Einfluss auf seine philosophischen Anschauungen; auf die
Eleaten war er schon früher während seines Aufenthaltes in Megara durch
den Dialektiker Eukleides hingewiesen worden.
Bei einem gesunden, kräftigen Mann, wie Piaton war, verstand sich
in den kriegerischen Zeiten, in welche sein beginnendes Mannesalter fiel,
die militärische Dienstleistung für das Vaterland von selbst. Aber in den
Angaben des Diogenes III, 7, dass er das erste Mal gegen Tanagra, das
zweite Mal bei Korinth, das dritte Mal bei Delion im Felde gestanden sei, 2)
ist Falsches mit Wahrem gemischt. Dass er als Reiter gedient habe, macht
die genaue Pferdekenntnis im Phaidros p. 253 d, die weit über das Mass
eines Laien hinausgeht, wahrscheinlich. Dem politischen Leben hielt er
sich fern. Familientraditionen und eigene Überzeugung hatten ihn zum
entschiedenen Gegner der Demokratie gemacht; aber nachdem die Opti-
maten, denen er im Herzen zugethan war, zur Zeit der Dreissig einen so
schnöden Missbrauch mit der Gewalt gemacht hatten, zerfiel er überhaupt
mit dem politischen Leben Athens. 3)
280. Reisen. Von Athen entfernte sich Piaton zum erstenmal nach
dem tragischen Ende des Sokrates. Den letzten Stunden des teueren Lehrers,
die er später im Phaidon so ergreifend geschildert hat, konnte er selbst
infolge eigener Erkrankung nicht beiwohnen.^) Aber bald darauf verliess
er mit anderen Freunden aus Furcht vor weiteren Verfolgungen die Stadt
und begab sich nach Megara, wo sich um Eukleides ein Kreis Gleich-
gesinnter sammelte.^) Im Eingang des Theaetet hat er später der Liebens-
würdigkeit, mit der sich jener der Sokratiker annahm, ein schönes Denk-
mal gesetzt. Der Umgang mit Eukleides scheint ihn nicht bloss auf die
Schriften der Eleaten hingewiesen, sondern auch die Keime der Ideenlehre
in ihm geweckt zu haben. Wahrscheinlich von Megara aus ß) unternahm er
dann seine Reisen nach Kyrene und Ägypten. Nach Kyrene ward er durch
den Mathematiker Theodoros gezogen, den er zu Athen in den Kreisen des
Sokrates kennen gelernt hatte. ^) Von da besuchte er vielleicht auch das
alte Wunderland Ägypten, dessen alte Weisheit schon vor ihm den Selon
und Herodot angezogen hatte und von der er bereits im Phaidros nähere
Bekanntschaft zeigt. ^)
') Übertrieben heisst es im 2, Brief
p. 314c: ovdey noinoT^ iyio ttsqI xovroiv
yeyQaq)a ovd' ean avyyQa^fxa UXchiavog
ovdev oi'd" eaxca, tu de vvv lsy6fA,spct 2'w-
XQcicTovg eoTi xaXov xcd reov yeyovorog. Der
Titel I(i)XQcaixol Xöyoi bei Aristot. Poet. 1 ;
Rhet. III, 16; Polit. II, 6; Ps. Plato epist.
9 p. 363a; Ath. 505c; Diog. II, 64; III, 18.
2) Aelian V. H. VII. 14 spricht richtiger
nur von Tanagra und Korinth. Die Herein-
ziehung der Schlacht bei Delion beruht offenbar
auf Verwechselung des Piaton mit Sokrates.
^) Nach dem 7. Brief p. 325 c brach er
die Beziehungen zu den Optimaten ab, nach-
dem Sokrates von den Dreissig aufgefordert,
einen Bürger zum Tode abzuholen, sich dem
ungerechten Befehle widersetzt hatte.
4) Plat. Phaed. p. 59b.
^) Diog. II, 106: nqog EvxXsidrjy cpyjolv
6 'EQfj.6d(x)Qog ucpixea&ai JlXÜTiova xal roig
Xotnoi^g (piXoaocpovg fierd tiju ZiaxQKXovg rs-
?,6VTr]y deiaavTug rrjv cjfj.6Tr]ra tüjp xvQc'ivvMi^.
6) Diog. III, 6; vgl. den 7. Brief p. 329 a.
') Theodoros ist einer der Hauptträger
des Dialogs im Tbeätet.
^) Noch genauere Kenntnis von Ägyptens
Weisheit zeigt Piaton im Timäus u. Kritias;
s. meine Plat. Stud. S. 55 (507) ff. Da im
7. Brief von dieser Reise nach Ägypten
keine Erwähnung geschieht, so haben Neuere
4. Die Philosophen." c. Piaton. (§ 280.) 369
Eine grössere Rolle in seinen Lebensgescliicken spielen die Reisen
nach Sikilien, wo damals die Dionysioi ebenso wie ehedem Hieron Philo-
sophen und Dichter an ihren Hof zu ziehen suchten. Dreimal besuchte er
die dreieckige Insel und Italien, worüber wir den besten Aufschluss durch
den 7. Brief erhalten.^) Zum erstenmal kam er dorthin, als er nahezu
40 Jahre alt war, also um 388, in den letzten Zeiten des korinthischen
Krieges. Den Anziehungspunkt bildete gleich bei der ersten Reise der
König Dionysios von Syrakus, dessen Schwager Dion ein glühender
Verehrer Piatons und der sokratischen Philosophie war. Aber Piaton
fand bei seinem Freimut wenig Eingang am Hof: von Dionysios dem
spartanischen Gesandten übergeben, lief er sogar Gefahr, in Aegina als
Sklave verkauft zu werden. 2) Die zweite Reise unternahm er, durch
denselben Dion veranlasst, bald nach dem Tode des älteren Dionysios (368)
in der Hoffnung, den jungen König für die Philosophie und seine politischen
Ideale zu gewinnen. Aber als sich der König mit Dion aus eifersüchtigem
Argwohn überwarf und denselben vom Hofe verbannte, musste Piaton froh
sein, sich der peinlichen Lage durch Rückkehr nach Athen entziehen zu
dürfen. Gleichwohl Hess er sich nochmals verleiten, der wiederholten Ein-
ladung des jüngeren Dionysios Folge zu leisten und zum drittenmal die
Fahrt nach der Charybdis zu wagen (361 0). Aber dieses Mal richtete er
noch weniger aus; eine Aussöhnung des Königs mit Dion vermochte er
nicht zu erwirken und bei dem König und seinen Generalen verleumdet,
kam er selbst in Lebensgefahr, welcher er nur durch Vermittelung seiner
Freunde in Tarent entkam. Die politischen Absichten des Philosophen bei
seinen Reisen nach Syrakus scheiterten auf solche Weise gänzlich, aber
von dauernder Bedeutung waren die Verbindungen, die er in Italien mit
den Pythagoreern, besonders mit Archytas, anknüpfte. 3) Dieselben steigerten
in ihm die Neigung zu mathematischen und physikalischen Studien'') und
beeinflussten seine philosophischen Anschauungen derart, dass in seinen
späteren Schriften die Einfachheit der sokratischen Lehre immer mehr gegen
die Subtilität der Eleaten und die mystische Spekulation der Pythagoreer
zurücktrat.^)
die ganze Reise angezweifelt. Übertriebene j III, 18 von Piaton aus Syrakus nach Athen
Vorstellungen von ägyptischen Einflüssen
hegten freilich die Späteren, wie Clemens
Alex, ström, I, 303; auch Strabon schon
p. 806 berichtet Fabelhaftes von einem ge-
meinsamen. 13 Jahre dauernden Besuche
der Stadt Heliopolis durch Piaton und Eu-
doxos. Lactantius Inst. IV, 2 lässt den
Piaton auch zu den Magiern und Persern
reisen.
') Ausserdem Diog. III, 18 ff".; Plut.
Dion. 10 ff.; Cornelius Nepos, Dio 3.
2) Diodor XV, 7; Ath. p. 507 b; Diog.
III, 19; Plut. Dio 5 u. de tranqu. an. 12.
Der 7. Brief schweigt von jener Gefahr.
^) Über den Ankauf der Schrift des
Pythagoreers Philolaos berichtet Hermippos
bringen. Einfluss sikilischer Gelehrten zeigt
sich in seinen Angaben über Theognis, s.
§ 90 u.J 254 An.
*) Über die wahrscheinlich erdichtete
Aufschrift seines Hörsaales „fxtjdelg dysot-
fXETQriTog sioiro)'' berichten David, Schol. in
Arist. 26a 10, Philop. de an. D. 6, Tzetzes
Chil. VIII, 972. Die berühmte Stelle Rep.
VIII, p. 546 über die geometrische Zahl gibt
heutzutag noch den Mathematikern Rätsel
auf; s. CuRTZE, Jahrb. d. Alt. XII, 3. 13 ff.
^) Die Zahlenlehre der Pythagoreer muss
nach Aristoteles, Metaph. I, 6, in den Vor-
trägen des Piaton in seinen späteren Lebens-
jahren noch eine viel grössere Rolle gespielt
haben als in seinen späteren Schriften; vgl.
bei Diog. VIII, 85 und Timon bei Gellius I Trendelenburg, Plafonis de ideis et nunieris
III, 17. Auch Sophron's Mimen lässt Diog. \ doctrhia, 1837.
Haudbucb der klass. Altertuniswiasenschaft. VII. 2. Aufl. 2 {
370
Griechische Litteraturgeschichie. 1. Klassische Periode.
281. Schulgründung. Der Dichter verlangt nach Hörern, die sich
an seinen Schöpfungen erfreuen, der Philosoph nach Schülern, die ihm und
seiner Lehre anhängen. Zur Zeit Piatons war zwar mit der grösseren
Ausdehnung des Buchhandels auch schon die Möglichkeit gegeben, durch
Schriften Anhänger für philosophische Lehren zu werben;') aber die Haupt-
sache blieb doch noch der mündliche Verkehr des Meisters mit seinen
Schülern. Sokrates hatte sich nach der ganzen Anlage seiner Natur mehr
auf zwanglose, halb gelegentliche Gespräche mit jungen Männern beschränkt;
Piaton ging wohl auch vom freien Verkehr mit Einzelnen aus, errichtete
aber bald eine förmliche Schule, in der die Jünger sich regelmässig um
den Meister scharten. Dazu wählte er den etwa 20 Minuten vor dem
Thore Dipylon gelegenen, mit Gymnasium und Parkanlagen ausgestatteten
Platz, der von dem Heros Akademos den Namen Akademie hatte. Daneben
erwarb er einen eigenen Garten,'^) in den er sich zu stilleren Studien und
zu geselligen Zusammenkünften mit dem engeren Kreis seiner Schüler
zurückzog. 3) Die Gründung der Akademie wird von Plutarch, de exilio 10
mit der Rückkehr des Philosophen von seiner ersten sikilischen Reise in
Verbindung gebracht und fällt vermutlich in die Zeit des antalkidischen
Friedens (387).*) Bald drängten sich um den verehrten Lehrer edle Jüng-
linge aus allen Teilen Griechenlands, daneben der Sage nach auch eine
wissbegierige Frau Axiothea aus Arkadien in Männergewand. ^) An Rivali-
täten mit anderen Schulen und Schulleitern, wie mit dem Sokratiker Anti-
sthenes und dem Rhetor Isokrates, fehlte es auch nicht, zumal Piaton bei
aller Idealität seiner Anschauungen doch im Verkehr mit andern nicht frei
von Eifersucht und Animosität war.^) Neben dem Lehrberuf war es die
schriftstellerische Aufgabe, die Piatons Zeit in Anspruch nahm. Doch
sollten seine Schriften keine gesonderte Stellung neben seiner mündlichen
^) Belehrend ist Plat. Apol. p. 2Gd über
die Bücher des Anaxagoras.
2) Diog. III, 5 u. 20; Pliit. de exilio
10; vgl. Hermann S. 121.
2) In die Akademie oder die Schule
Piatons stiftete später Mithridates eine von
Silanion gearbeitete Statue des Piaton, auf
die wohl die sitzende Statue des Philosophen
und seine Büste (s. Helbtg, Jahrb. d. arch.
Instit. I (1886) 71 ff. und Abbildung im
Anhang) zurückgehen. In dem Garten be-
fand sich seit alters ein Altar der Musen
und die Gruppe der Chariten, worauf sich
die Erzählung bei Plutarch Coniug. praec. 28
stützt, dass Piaton dem Xenokrates geraten
habe, den Chariten zu opfern. Von den Sym-
posien in der Akademie rühmte man, dass
man sich nach ihnen auch am nächsten Tage
wohl fühle; s. Ath. 419c. Vgl. Usenek, Or-
ganisation der wissenschaftlichen Arbeit, in
Preuss. Jahrb. 1884; Wilamowitz, Phil. ünt.
IV, 283 ff.
') Eusebios zu Ol. 97, 4 = 389/8: Plato
philosophus agnoscitur, was sich aber auch
auf die 1. Reise Piatons nach Sikilien be-
ziehen kann; auf das 13. Jahr nach dem
Tod des Sokrates, also 387/6, führt die Notiz
bei Strabon p. 806. Schwerlich hat mit der
Schulgründung etwas zu thun die Nachricht
des Eusebios zu Ol. 101, 3 = 374/3: Plato et
Xenofon necnon et alii Socratici clari haben-
tur, die sich auf die Stelle irgend eines
Historikers bezogen haben wird.
5) Diog. III, 46, IV, 2; Themist. or. XXII;
unter den Schülern nennt Plut. adv. Col.
auch den Chabrias und Phokion.
^) Gegen Antisthenes ist gerichtet der
Euthydem, besonders p. 301a und der So-
phistes p. 251; gegen Isokrates der Schluss
des Euthydem; über das gespannte Ver-
hältnis zu Xenophon s. §^229. Vgl. Dionysios
epist. ad Pompeium: tjy juey r^ UXcaiovog
(fvaei 7io'A}.(<g (cQsrdg exovgj^ to cpilori^or.
Heftige Vorwürfe erhebt gegen Piatons Cha-
rakter Theopomp bei Ath. 508 c, Aristoxenos
bei Diog. III, 37 und 57, besonders Hege-
sander bei Ath. 507a. Bei seinen Vor-
trägen begegnete ihm dasselbe, wie so man-
chem akademischen Lehrer unserer Tage,
dass ihm die Mehrzahl der Schüler nicht
bis zum Schlüsse aushielt; siehe Aristoxenos
Harm. II, 30.
4. Die Philosophen, c. Platon. (§ 281 -282.) 371
Lehre einnehmen, sondern gewissermassen nur Erinnerungen an gehaltene
Gespräche und Vorträge sein. Nach einer langen, ehrenreichen Thätigkeit,
die ihn trotz seiner stillen Zurückgezogenheit nicht bloss mit auswärtigen
Herrschern, sondern auch mit hervorragenden Staatsmännern Athens, wie
Chabrias') und Timotheos,^) in Beziehung brachte, starb er hochbejahrt im
81. Lebensjahre Ol. 108, 1 = 348/7. Im Testament setzte er zum Erben
sein Söhnchen Adeimantos, zum Testamentsvollstrecker 3 Männer, darunter
seinen Schwestersohn Speusippos, ein.
282. Schriften Piatons, dialogische Form. Die Schriften Pia-
tons ^j bieten zwei Seiten der Betrachtung, von denen die eine den Inhalt
und das philosophische System, die andere die Form und das litterarische
Verhältnis betrifft. Die erste tritt in einer Litteraturgeschichte natürlich
zurück, die zweite muss um so sorgsamer besprochen werden, als unser
Philosoph zugleich der vollendetste Stilist gewesen ist und seine Dialoge
die litterarischen Verhältnisse des 4. Jahrhunderts am klarsten wider-
spiegeln. Das höhere Leben Attikas, den geselligen und geistig angeregten
Verkehr in den Hallen und auf den Spaziergängen, die zwanglos heitere
und geistreiche Unterhaltung bei den Trinkgelagen, die durch geistiges
Band zusammengehaltene Freundschaft der Jünglinge und Lehrer, kurzweg
die Glanzseiten des attischen und griechischen Lebens lernen wir durch
keinen Schriftsteller besser als durch Piaton kennen. Alle seine Schriften
sind mit einziger Ausnahme der Apologie in dialogische Form gekleidet.'*)
Diese Form ist keine von aussen hineingetragene, sondern eine natürliche
Wiedergabe der Art, wie Sokrates mit seinen Schülern verkehrte, weshalb
nicht bloss Piaton, sondern alle Sokratiker dieselbe anwendeten. Es war
ihnen der Stempel dieses ihres Ursprungs geradezu aufgeprägt, indem sie
in der Überschrift den Titel ^(oxQanxol Xoyoi führten. Es ist aber auch
zugleich die dialogische Form in der Auffassung Piatons vom Wesen des
Wissens und in seiner ganzen Lehrmethode tiefinnerlich begründet. Das
Denken war ihm eine Zwiesprache der Seele mit sich selbst,^) und nur
auf ein mit Einsprache und Gegenverteidigung, d. i. mit dialektischer Kunst
erworbenes Wissen legte er Wert. Er ist mit dieser Form der echteste
Vertreter hellenischer Philosophie und attischen Geistes geworden ; die Ab-
neigung der Griechen gegen einsame Abgeschlossenheit und der demokratische
Anspruch der Athener auf das sprichwörtliche sX^yx shjxov verschaffte
von vornherein einer Philosophie Eingang, in der die Sätze nicht in langer,
salbungsreicher Rede de tripode verkündet, sondern in dialektischem Zwie-
*) Plut. adv. Col. 32. | suchungen über die Echtheit und Zeitfolge
plat. Schriften 1861; Schaakschmidt, Die
Sammlung der plat, Schriften 1866; Zeller,
Piaton. Studien 1839; Bonitz, Plat. Studien,
3. Aufl. 1886; Teichmüller, Litterarische
Fehden des 4. Jahrhunderts v. Chr., Bres-
lau 1881 ff.; Chrlst, Plat. Studien, Abh. d.
b. Ak. 1885; Siebeck, Untersuchungen zur
Philosophie der Griechen, 2. Aufl. Leipz. 1888.
'^) Schlottmann, Ars dialogorum com-
ponendoTum quas vicissitudines apud Grae-
2j Diog. III, 23; über Beziehungen zu
den makedonischen Königen Archelaos und
Philippos spricht ungenau Ath, 506 e, womit
der 5. Brief Piatons zu verbinden ist.
^) Hierüber unterrichten ausser den im
Eingang genannten Schriften Schleiermacher
und Steinhart in ihren Übersetzungen Pia-
tons, SocHER, Über Piatons Schriften 1820;
Sijsemihl, Die genetische Entwicklung der
piaton. Philosophie, 1855, 2 Bde.; Suckow,
Die wissenschaftliche u. künstlerische Form i cos et Romanos suhierit, Rostock 1889.
der plat. Schriften 1855; Ueberweg, Unter- \ '•') Phaedr. 276 e.
24
*
372 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
gespräch entwickelt wurden. Ob Piaton der erste war, der philosophische
Dialoge schrieb, ist zweifelhaft, ^ aber jedenfalls hat er dem Dialog durch
anschauliche Schilderung der Scenerie,^) feine Zeichnung der Charaktere,
scharfsinnige Entwicklung der Begriffe, lebensvolle Frische im Fortgang
des Gespräches jene Vollendung gegeben, die seitdem ebensowenig wie die
Erzählungskunst des Homer von irgend jemanden erreicht worden ist.^)
Neider haben ihm vorgeworfen, er habe in seinen Dialogen die Mimen
des Sophron kopiert;^) aber dem gegenüber hat Zeller einfach auf die
Stelle des Aristoteles, Poet. 1, verwiesen, wo die totale Verschiedenheit
jener beiden Arten von Dialogen ausgesprochen ist. Übrigens versteht es
sich von einem Manne, wie Piaton, der sich nicht von einem krankhaften
Streben nach Originalität leiten Hess, von selbst, dass er auch von andern
gelernt und nicht umsonst die Mimen des Sophron gelesen hat.
In den 50 Jahren seiner philosophischen Lehrthätigkeit blieb sich
Piaton in der Art der dialogischen Form ebensowenig gleich, wie im In-
halt der Lehre und der Methode der Forschung. Mit zunehmendem Alter
und zunehmender Annäherung an die italische Philosophie büsste er auch
an Fertigkeit lebensvoller Darstellung ein. Im Parmenides, Sophistes,
Politikos entbehrt der Dialog des Zaubers individueller Zeichnung der
Sprechenden, und in dem Timaios und den Gesetzen überwiegt so sehr
bereits der Lehrton zusammenhängender Darstellung, dass die Beibehaltung
des Dialoges nur noch als eine lästige Fessel erscheint. Umgekehrt ist
Piaton in früheren Jahren von den einfachen, direkt beginnenden Gesprächen
mit 2 bis 3 Sprechenden zur verschlungeneren Gestaltung des Dialoges durch
Heranziehung mehrerer Personen (6 im Phaidon, 9 im Protagoras) •'♦) und
Einschachtelung des Hauptgespräches in ein einleitendes Gespräch über-
gegangen. Die letzte Form hatte etwas kompliziertes, ward aber von
Piaton gewählt, um die Art zu veranschaulichen, wie das Andenken an
die Gespräche des weisen Sokrates in den Kreisen der Sokratiker sich
erhielt und Verbreitung fand; sie gab ausserdem dem Autor die Möglich-
keit, über die das Gespräch begleitenden Umstände, wie so einzig schön
im Phaidon, zu referieren. Aber in rein dialektischen Gesprächen mussten
') Diog. JII, 47 und Proleg. in Plat. 5
nennen als Vorgänger die Eleaten Zenon
und Parmenides, wahrscheinlich irrtümlich.
Derselbe Diogenes II. 122 lässt den Sokra-
genaue Zeichnung der Zeitverhältnisse hin-
derte ihn aber nicht, sich über die Zeit, in
der das Gespräch spielt, bei Nebenbemer-
kungen wegzusetzen. So ist im Protagoras,
tiker Simon die ersten sokratischen Dialoge | der zu Perikles' Zeiten spielt, die Aufführung
geschrieben haben. Aristote]es tisql 7ioi7]Tojy \ der Wilden des Pherekrates erwähnt (p. 327 d), Ü
bei Diog. III, 48 u, Ath. 505 c bezeugt, dass
die Dialoge des Teiers Alexamenos ebenso
wie die Mimen des Sophron vor die sokra-
tischen fallen. Schon in der um 425 ge-
schriebenen Schrift über den Staat der
Athener zeigt sich der Einfluss, den die
Übung der Philosophen und Sophisten, einen
Gegenstand nach zwei Seiten zu erörtern,
gehabt hatte; vergleiche auch die Methode
des Protagoras bei Diog. 9, 51 und Thuky-
dides 5, 85—113...
'^) Teieksch, über die dramatische Natur
wiewohl dieselben 9 Jahre nach Perikles'
Tod zur Aufführung kamen. Über die Zeit-
verstösse im Menexenos siehe unten; vgl.
Zeller, Über die Anachronismen in den
plat. Gesprächen, Abhdl. d. Berl. Ak. 1873.
^) Plut. Cic. 24: nokXd cT' uvrov y.cd
unofivi]fxoi'Svovaiv, oiov ttsqI tiZp IlXäicoyog
(ftccXoycDy wg tov Jiug, st X6y(p /Q'^ad^ca ne-
(pvx£y, ovTü) ^ici'ksyo^evov.
4) Diog. III, 18.
^) Im Alter kehrte er in dialektischen
Dialogen wüeder zu einer kleineren Zahl von
J
der plat. Dialoge, Abh. d. b. Ak. 1837. Die j Sprechenden zurück, wie zu 3 im Philebos.
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 288 2 84.)
373
die stets sich wiederholenden %iy, r; J' oc, o Silva Überdruss bei den
Lesern erwecken, weshalb sich Piaton später erlaubte, auch wenn er erst
nach einer scenischen Einleitung das Gespräch beginnen Hess, dasselbe
gleichwohl in direkter Form vorzuführen. Zuerst that er dieses im Theätet,
in dessen Eingang p. 143 c er sich ausdrücklich dieses Fortschrittes rühmt.
Von weitertragender Bedeutung war der Versuch nach Analogie der dra-
matischen Trilogien und Tetralogien 3 und 4 Dialoge durch den Fortgang
der Untersuchung zu einem grossen Ganzen zu verbinden, wie er es in
Theaitetos, Sophistes, Politikos, ^) Politeia, Timaios, Kritias gethan hat.
Piaton ist auf diesen grossartigen Gedanken erst in seinen späteren Jahren
gekommen, hat aber dann die trilogische Verknüpfung auch äusserlich
dadurch, dass er eine Kontinuation der Sc3ne des Gespräches in den Ein-
leitungen herstellte, so deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dieselbe
schon den alten Erklärern und Herausgebern nicht entgehen konnte.
Diese sind aber dadurch auf lächerliche Abwege geraten, dass sie nun alle
Dialoge Piatons zu Trilogien und Tetralogien zu vereinigen suchten und
selbst, damit die Rechnung glatt aufgehe, die Briefe mit irgendwelchen
Dialogen zu einer Trilogie oder Tetralogie zusammenkoppelten. ^j
283. Zahl und Echtheit der Schriften. Unter Piatons Namen
sind auf uns gekommen 42 Dialoge, 13 Briefe, und eine Anzahl von Defini-
tionen (oQoi). Es sind das alle Werke, welche das Altertum von Piaton
kannte. Es zirkulierten allerdings daneben schon zu Aristoteles Zeit Be-
griffszergliederungen {ömiQi-asio), aber das waren Aufzeichnungen von Schul-
übungen, welche Piaton selbst nicht zur Veröffentlichung bestimmt hatte. ^)
Umgekehrt befinden sich unter den Dialogen und Briefen nicht wenige,
welche dem Piaton fälschlich untergeschoben worden sind. Von den Dia-
logen wurden 7 schon von den Alten als unecht [vöd^oi) bezeichnet;"^) in
unserer Zeit ist namentlich durch deutsche Kritiker noch von vielen anderen
') Zu diesen 3 Dialogen beabsichtigte
Piaton noch einen vierten 4>iX6aocfog zu
fügen, kam aber nicht zur Ausführung des
Planes. Ebenso sollte auf den Kritias noch
ein Hermokrates folgen.
'^) Aristophanes von Byzanz stellte nach
Diog. III, 61 folgende 5 Trilogien auf:
1) UohiSLCi, TlfÄaLog, KQiiiag, 2) 2:o(fiGT7Jg,
Jlohtixog, KQcatiXog, 3) No/noi,, Miyiog, 'Eni-
vojulg, 4) &ea'LirjTog, EvdvcpQOüy, ^AnoXoyUc,
5) KQLXiDv, ^ai&ijov, 'EniGTokctl. Die übrigen
Dialoge führte er noch einzeln auf. Thra-
sylos brachte alle Schriften, zum Teil unter
Anlehnung an alphabetische Reihenfolge, in
Tetralogien unter, nämlich: 1) Evx^vcpQcot^,
ArioXoyUi, Kq'lküv, 'Pai^ioi' , 2) KgcavXog.
'•^salrrjTog, ^ocpiarrjg, IJohiixog, 3) IlaQfis-
rtcT/yc, 't'iXfjßog, IvjLinöaioy, 'PurdQog, 4) AX-
y.ißidörjg «', 'AXy.ißKufrjg ß', ' InnaQ/og, 'Avts-
Quaxcü, 5) 0£c{yt]g, XaQf4L(^r]g. Ac(/?]g, ylvaig,
l>) Evd^v(^t]fÄog, UQMTayÖQag, Fo^ylag, Mei'mi^,
7) Imiiag jusICmi^, Inniag iXc'ntMv, ^Itoi', Ms-
rkSevog, 8) KletxofpMv , IJohrsia, Tifxcaog.
kQiTiag, 9) MiPiog, Nofxoi , 'Enirofjig, 'Etti-
(jrnXtä. Die Zusammenfassung: der kleineren
Dialoge zu einer Gruppe hatte wahrschein-
lich im Buchhandel seinen Ursprung, indem
man z. B, Apologie, Kriton und Euthyphron
leicht in 1 Rolle zusammenschreiben konnte.
Über die tetralogische Anordnung des Der-
kyllides haben wir eine Andeutung bei Varro
de ling. lat. VII, 37. Näheres geben meine
Platonischen Studien S. 5 ff.
^) Solche dicuQsaeLg sind erhalten bei Diog.
Hl, 80-109. Die Zergliederungen, welche
Piaton der Veröffentlichung wert hielt, stehen
im Sophistes und Politikos; s. meine Plat.
Stud. 30 ff. und Zeller IP 1. 437 ff.
"*) Ausser den tfidXoyoi vod^evöfxevoi
{'A'iio/og. nsQi dixaiov, ttsqI ccQSii^g, jtjfj.6-
donog, 2:l(Tv(fog, 'E^v^iag, Alxvujv) wurden im
Altertum noch angezweifelt die '^»Te^orcrrat von
Thrasylos bei Diog. IX, 37. die Epinomis bei
Diog. III, 37, der Hipparch bei Aelian V.
H, VIII, 2, der zweite Alkibiades bei Ath.
506c; s. Hermann, Plat. Phil. 413 ff. Noch
weiter scheint in der Athetese Proklos nach
Olympiodor's Proleg. gegangen zu sein, wo-
rüber Freudentiial, Hermes 16, 201 ff.
374 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Dialogen die Echtheit angefochten worden, aber nur zum kleineren Teil
mit durchschlagendem Erfolg. 9
284. Ordnung und Zeit der Schriften. Bei der grossen Anzahl
platonischer Dialoge schaut man sich selbstverständlich nach einem Prinzip
der Anordnung um. Eine alphabetische Ordnung wäre allerdings hier wie
sonst die einfachste; aber ihr schlechthin zu folgen, hiesse auf die wich-
tigsten Seiten philologischen und philosophischen Erkennens verzichten.
Man wünscht zu wissen, zu welcher Zeit die einzelnen Schriften entstanden
sind, und hat bei einem Philosophen noch die höhere Frage zu lösen, in
welchem Verhältnis die einzelnen Schriften zu einander stehen, und welche
Stellung sie im Ganzen des philosophischen Systems einnehmen. Hinsichtlich
der Zeit gilt es vor allem, die beiden Hauptgrenzen, Anfang und Schluss
der litterarischen Thätigkeit Piatons abzustecken. Bezüglich des ersteren
Punktes beginnt jetzt immer mehr die Ansicht des Engländers Grote durch-
zuschlagen, dass keiner der Dialoge vor dem Tod des Sokrates (399) ab-
gefasst sei. Es war ja auch in der Rücksicht auf den verehrten Lehrer
begründet, dass der Schüler nicht zu Lebzeiten des Lehrers Gespräche, die
dessen Eigentum waren, veröffentlichte, oder gar Dialoge, in denen dem-
selben fremde Gedanken untergelegt waren, für sokratische Gespräche
(loyoi, 2o)xQaTixoi) ausgab. Aufzeichnungen, private, mochten sich immerhin
schon zu Lebzeiten des Meisters einzelne Schüler machen, aber diese dürfen
mit den für die Öffentlichkeit bestimmten Dialogen nicht verwechselt werden.
Indes haben wir allerdings Überlieferungen aus dem Altertum, die auf ein
früheres Hervortreten Piatons hinweisen: so erzählt Diogenes HI, 35, So-
krates habe sich, als er den Lysis unseres Piaton gelesen, verwundernd
über die ihm in den Mund gelegten Reden geäussert; 2) das ist aber wahr-
scheinlich nur die Erfindung eines geistreichen Mannes, der auf solche
Weise seiner eigenen Verwunderung über die freie Zeichnung des Sokrates
Ausdruck gab. Wenn neuere Gelehrte noch weiter gegangen sind und selbst
den Phaidros und Protagoras vor 399 gesetzt haben, 3) so beruht dieses
auf totaler Verkennung der allmählichen Entwicklung der Darstellungs-
kunst und der philosophischen Erkenntnis Piatons. Auf der anderen Seite
hat Piaton erst sterbend die Feder aus der Hand gelegt; das sieht man
daraus, dass er die Gesetze und den Kritias unvollendet hinterliess und
zur Abfassung der geplanten Dialoge Philosophos und Hermokrates nicht
^) Am weitesten ging in der Manie der ysyovs nXntMvog xal rovg vn' uvrov awis-
ünechtheitserklärung Ast; am konservati- d^sifjLevovg Xoyovg {Xoyiöfiovg codd.) y.ofxiUov
visten ist der Engländer Grote; eine Orien-
tierung über die Unechtheitsfrage gibt Schaar-
scHMiDT, Die Samml. der piaton. Schriften
S. 15-60; Zeller, Gesch. d. Phil. II 3, 388 ff.
Die unechten Dialoge müssen in der nächsten
Zeit nach Piaton von Nachahmern und pytha-
goreisierenden Schülern ausgegangen sein.
Denn dem Aristophanes Bj^z. lagen bereits
unechte Dialoge, wie die Epinomis vor.
Wichtig ist die Nachricht von einem Handel
des Platonikers Hermodoros mit Dialogen
Piatons bei Zenobios V, G: XoyoiGip 'Eqjuo-
diüQog e^TTOQEverui • 6 EQfxödoDQog uxQoarrjg
Eig 2YxeAmr ernoXei.
^) Eine ähnliche Geschichte erzählt Ath.
505 e von einer Äusserung des Rhetors Gor-
gias über die ihm im gleichnamigen Dialog
zugewiesene Rolle, und ebenso von Phaidon
in gleicher Sache.
3) Über Protagoras Hermann, Plat. Phil.
S. 452 u. Anm. 323, über Phaidros Usener,
Rh. M. 35, 131 ff,; dagegen meine Piaton.
Stud. 49 f. Den Protagoras und Gorgias
lässt vor Sokrates Tod auch Bergk, Gr. Litt.
IV, 439 geschrieben sein.
i
4. Die Philosophen, c. Platon. (§ 284—285.)
375
mehr gekommen ist. Bei den einzelnen Dialogen ist die Zeit, in welcher das
Gespräch gesetzt ist, und die, in welcher dasselbe niedergeschrieben wurde,
wohl zu unterscheiden. Hier interessiert uns zunächst die letztere, aber
leider stehen uns zur Feststellung derselben nur sehr wenige Anhaltspunkte
zu gebot. Wenn wir sagen, dass Apologie, Kriton und Phaidon nach dem
Tode des Sokrates (399), Menon bald nach 395, Symposion bald nach 385,
Nomoi und Timaios nach der Politeia, Sophistes und Politikos nach dem
Theätet, Theätet nach 392, Euthydem nach dem Phaidros geschrieben sind,
so ist das so ziemlich alles, was man mit Zuversicht behaupten kann.
Um so mehr hat man in unserer Zeit die anderen Anhaltspunkte beachtet,
welche der Nachweis eines allmählichen Ausbaus des philosophischen Sy-
stems,^) der Wechsel in der Gesprächsform, 2) endlich die teils bewussten,
teils unbewussten Änderungen im Wortgebrauch und Stil an die Hand
geben. ^) Ist auch hier noch vieles problematisch geblieben, so haben sich
doch allmählich starke Umwälzungen in den Ansichten der Gelehrten voll-
zogen, und braucht man jetzt nicht mehr ganz an der Lösung des grossen
Problems der Chronologie der platonischen Dialoge zu verzweifeln.
285. Arten der Dialoge. Nach dem Charakter der Untersuchung
hat man bereits im Altertum die Dialoge in verschiedene Klassen einge-
teilt. Schon Aristot. Met. HI, 2 macht, wahrscheinlich nach den Traditionen
der Akademie, einen Unterschied zwischen dem prüfenden {rteiQuaiimi) und
erkennenden {yvMQiaTixTi) Teil der Philosophie. Zu jenem gehören die vor-
bereitenden und dialektischen Dialoge, in denen eine Begriffsbestimmung
^) Diesen Gesichtspunkt vertrat haupt-
sächlich Schleiermacher, wonach Platon sein
als Ganzes ihm vorschwebendes System all-
mählich in seinen einzelnen Schriften auf-
gerollt habe, so dass alle zusammen eine
zusammenhängende Reihe bildeten, in welcher
der Anfang des folgenden Dialoges an das
am Ende des vorausgegangenen festgestellte
Resultat anknüpfe. Diese grossartige, in sich
geschlossene Auffassung trägt der gelegent-
lichen Schriftstell erei und der allmählichen
Geistesentwicklung Piatons zu wenig Rech-
nung. Ihr gegenüber vertritt C. Fr. Hermann
den historisch-kritischen Standpunkt.
2) Vgl. oben § 282 und Munk, Die
natürliche Ordnung der plat. Schriften 1857;
Schöne, Piatons Protagoras 1862; Teich-
MÜLLER, Litterarische Fehden des 4. Jahrb.,
im 2. Bde.
^) Der Gebrauch einzelner Partikeln ist
zum Ausgangspunkt genommen von Ditten-
BERGER, Die Chronologie der plat. Dialoge,
Herrn. 16, 321 — 45; Schanz, Zur Entwick-
lung des platon. Stils, Herm. 21, 489 — 459.
Einwendungen erhob Frederking, Jahrb. f.
Phil. 1882 S. 534 ff,; vgl. Höfer, De particulis
Piatonis, Bonn 1882; Siebeck, Zur Chrono-
logie der platonischen Dialoge, in Unters,
zur Phil. d. Griech. S. 107—151 u. 253-274;
GoMPERz, Plat. Aufs. = Stzb. d. W. Ak. 1887.
II, 751 ff., der so weit geht, anzunehmen,
dass der Phaedrus, da das fatale ,M//i' in
den)selben sehr oft, im Phaedon nicht vor-
kommt, uns in zweiter Bearbeitung vorliege.
Beachtenswert ist namentlich das spätere
Hervortreten von t'l {Ärjp, ys f^fjy, xat urjy,
und der Gebrauch von ovxiog im Philebos,
Politikos, Timaios, Nomoi, Sophistes, hin-
gegen von T(J orzi in Apol., Euthyphro,
Gorg..Lach., Lys., Protag., Symp,, Phaedo. —
Die höheren Seiten des Stils bieten weniger
Ausbeute für die Chronologie der Dialoge;
in Betracht kommen besonders die Mythen
und Gleichnisse. Im allgemeinen liebte Pla-
ton Mylhen vornehmlich in seinen späteren
und dogmatischeren Schriften. Der erste
grössere Mythus findet sich im Phaidros p.
246 ff. ; der Mythus im Gorgias p. 523 ist
klein und bewegt sich noch ganz in dem
überlieferten Volksglauben; der im Menon
p. 81 besteht nur in der Wiedergabe einer
pythagoreisch gefärbten Stelle Pindars; auch
der Mythus im Protagoras p. 320 von Pro-
metheus und Epimetheus schliesst sich noch
eng an den Volksglauben an und wird oben-
drein, indem er dem Protagoras in den Mund
gelegt wird, als Manier dieses Sophisten
bezeichnet. Von den grossen Mythen in den
späteren Dialogen (Symp. 189 u. 203, Rep.
414 u. 614, Polit. 269, Tim. 21, Leg. 713,
Critias) ist besonders der im Politikos be-
achtenswert, da man einen solchen in einem
dialektischen Dialoge nicht erwartet.
376
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
oder ein anderes philosophisches Problem nach allen Seiten, meistens ohne
positives Ergebnis erörtert wird. In späterer Zeit hat man nach Diog.
III, 49 diese Dialoge ^r^TrjTixoi genannt, und innerhalb derselben wieder
SiäXoyoi yv^vaaTixoi und ayioviaxixoi unterschieden. Der erkennende Teil
der Philosophie gibt die positiven Resultate des philosophischen Denkens
und liebt mehr den lehrhaften, zusammenhängenden Vortrag; nach dem
Inhalt wurde innerhalb desselben wieder eine Teilung in physische, logische,
ethische und politische Dialoge vorgenommen. Da man durch Prüfung zur
Erkenntnis kommt, so dürfen wir im allgemeinen jene prüfenden Dialoge,
wie Lysis, Laches, Menon, der früheren Periode des Philosophen, die posi-
tiven, wie Politeia, Timaios, Nomoi, der späteren Zeit gereiften Denkens
zuschreiben. Aber ein Philosoph hört nie auf, den Prüfstein an seine Sätze
zu legen, und so darf es uns auch nicht wunder nehmen, wenn die dia-
lektischen Untersuchungen des Politikos und Parmenides in das höhere
Alter Piatons fallen. Auf der anderen Seite bricht auch schon bei der
prüfenden Voruntersuchung eine Ahnung des lichtumflossenen Glanzes der
Schlussresultate durch, und so thut sich uns auch bei Piaton schon im
Phaidros, wiewohl derselbe zu den Jugendwerken zählt, der ganze Himmel
der Ideenwelt auf. Ausserdem war Piaton als Dichter unter den Philo-
sophen auch Gelegenheitsschriftsteller, der nicht immerfort in der Weise
eines Kathederphilosophen an seinem System arbeitete, sondern auch über
Dinge, die ihm gelegentlich in den Weg traten, seine Gedanken aussprach.
Indem daher auch wir nicht einseitig einer einzigen Richtung folgen, zählen
wir unter Beachtung der Zeitfolge und des inneren Zusammenhanges in
nachfolgender Gruppierung seine Werke auf.
280. Kleinere Dialoge im sokratischen Geiste (vor 392). Ohne
für die zeitliche Folge innerhalb dieser Klasse einstehen zu wollen, stelle
ich die Dialoge und Schriften voran, die sich an das tragische Geschick
des Sokrates, das am ehesten zu pietätvoller Erinnerung an den Meister
einladen musste, anschliessen:
^Anoloyicc, Verteidigungsrede des Sokrates gegen die Anklage des
Anytos, Lykon und Meletos. Die Rede zerfällt in 3 Teile, nämlich:
1) eigentliche Verteidigungsrede vor den Richtern, 2) Rede über die Pro-
zessschätzung oder das Ausmass der Strafe, 3) Anrede an die Richter nach
der Abstimmung. Die Verteidigung ist ohne rednerisches Pathos, aber mit
unübertroffenem Ethos in jener schlichten Einfachheit durchgeführt, welche
der beste Beweis des reinen Gewissens ist. Der sokratische Charakter
zeigt sich zumeist in den eingeflochtenen Zwiegesprächen, in denen Sokrates
den Politikern, Dichtern und Gewerbsleuten beweist, dass sie sich wohl
einbilden etwas zu wissen, thatsächlich aber nichts wissen. Die Schrift
steht wohl im Zusammenhang mit der Deklamation des Lysias, in welcher
der Rhetor mit falscher Redekünstelei die Sache des edlen Weisen geführt
hatte, ^) wahrscheinlich auch mit der im Jahre 395 verfassten Rede des
') Cic. de or. I, 54. 231; Diog. II, 40;
Quint. II, 15. 80; Val. Max. VI, 4. Irrtüm-
lich wird hier nach einer gemeinsamen
Quelle die Sache so dargestellt, als ob So-
krates selbst die Rede als unpassend zurück-
gewiesen habe; vgl. § 247 u. 229.
Il
4. Die Philosophen, c. Piaton (§ 286.) 377
Sophisten Polykrates gegen Sokrates (Diog. II, 39), gegen dessen rabuli-
stische Darstellung sich auch Xenophon gewendet hatte.
Kgitcov, Dialog des Sokrates mit seinem Freunde Kriton im Gefängnis
zur Rechtfertigung seiner leicht als Starrköpfigkeit zu deutenden Weigerung,
durch Flucht sein Leben zu retten; herrlich ist die Figur der redend ein-
geführten Gesetze. Der Apologie wird p. 45 b ausdrücklich gedacht.
Ev^vcpQwv fällt, was die Abfassungszeit anbelangt, nach den beiden
zuerst genannten Schriften, der Scenerie nach vor dieselben. Die Scene
führt uns nämlich vor die Halle des Archon Basileus, wo Sokrates, im Be-
griffe sich vor dem Archon zu verteidigen, mit Euthyphron zusammentrifft,
der dort eine Klage gegen seinen Vater wegen Tötung eines Taglöhners
anbringen will. Das führt zur Erörterung des Begriffes der Frömmigkeit
(svfTe'ßsia), wobei Euthyphron der unklaren Vorstellung von dem, was fromm
und gottgefällig {o(Tlov xal svasßsg) ist, überführt wird. Der Dialog endet
ohne positives Resultat. Er ist von den Grammatikern an die Spitze der
Tetralogie Euthyphron, Apologia, Kriton, Phaidon gestellt, weil er das tra-
gische Drama vom Tode des Sokrates eröffnet und weil der Erörterung des
Göttlichen die erste Stelle zu gebühren schien.^)
Avaig ist nach einer un verlässigen Überlieferung bei Diog. III, 35
noch zu Sokrates Lebzeiten geschrieben. Der Dialog voll jugendlicher
Schönheit und mit reichem mimischen Beiwerk, spielt in einer Palästra und
handelt, an die Liebe des Hippothales zu dem schönen Lysis anknüpfend,
von der Freundschaft [ti8qI (piXfag), oder genauer von der Art, wie man
mit seinem Liebling (TiaiSixcc) umgehen soll, um seine Liebe zu gewinnen
und ihn zugleich sittlich zu veredeln. In echt sokratischer Weise endet
das Gespräch, indem Lysis und Menexenos von ihren Pädagogen abgerufen
werden, noch ehe der Begriff der cfiXia festgestellt ist. Die Liebe war
bei Sokrates und Piaton, die mit ihren Schülern durch das Band inniger
Freundschaft und Liebe sich verbunden fühlten, ein Lieblingsthema, auf
das Piaton nochmals im Phaidros und Symposion zurückkam und das So-
krates auch bei Xenophon, Mem. II, 6 mit Kritobulos bespricht. 2)
XaQßiSrjg, in der erotischen Einkleidung nahe mit Lysis verwandt,
behandelt das Thema der Sittsamkeit (acocfQOfrvvrj) und dient zugleich zur
persönlichen Erinnerung an den liebenswürdigen Charmides und den beredten
Kritias, mütterlichen Verwandten des Piaton, die im Kampfe gegen den
zurückkehrenden Demos gefallen waren (403), sowie an den Leiter des
Gesprächs, Sokrates selbst. Denn der Dialog beginnt mit der begeisterten
Aufnahme, welche der vom Feldzuge gegen Potidäa (422) heimkehrende
Sokrates bei seinen Freunden, namentlich dem wie verrückt auf ihn los-
springenden Chairephon fand. Im eigentlichen Dialoge werden verschiedene
Definitionen der aMipgoavvrj aufgestellt und nacheinander zurückgewiesen;
die letzte und oberste, dass das awipQoveiv auf Wissen beruhe und mit dem
yvMd^i aavTov zusammengehe, entspricht der von Xenophon Mem. III, 4 auf-
gestellten Lehre des Sokrates, aber auch diese kommt nicht zum Abschluss,
^) Nach Xen. Mem. IV, 6. 2: ttqmtov \ schrieb der Epikureer Kolotes nQoq jov
*U nsQi ei'!ae߀ic<g w(ft nwg eaxonsi. j Uhatoyog Avatr und 7700? 70/' nXc'aiorog
'') Nach Vol. Hercul. VI, 112 und 9G : l^v^vö^uo,'.
378 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
so dass schliesslich Kritias nur dem Charmides empfiehlt, sich auch ferner
ganz der Unterweisung des Sokrates hinzugeben, i)
AäxriQ rj TteQi ccvdqeiag. Das Gespräch schliesst an die Schauauf-
führung eines Fechtmeisters an, zu der Lysimachos und Melesias die Feld-
herrn Laches und Nikias eingeladen hatten, um ihren Rat darüber zu er-
holen, ob sie ihre Söhne Aristeides und Thukydides in dieser Kunst unter-
weisen sollten. In die Beratung zieht Laches den Sokrates herein, dessen
tapferer Beteiligung an der Schlacht von Delion (424) mit Ehren gedacht
wird. Wie in allen Xoyoi nsiQctarixoi werden mehrere Definitionen der
avÖQeia versucht; auch die von Laches aufgestellte, die Tapferkeit sei das
rechte Wissen vom Gefährlichen und Sicheren, führt zu keinem sicheren
Resultat, so dass zum Schluss nur Laches den Rat erteilt, die Söhne dem
Sokrates zur Unterweisung zu übergeben. Die Jünglinge haben ihrem
Lehrer keine Ehre gemacht, indem insbesondere Aristeides später 2) als
einer geschildert wird, an dem die guten Lehren keine Früchte getragen
haben.
'Ire Ti lag sXccttcov, der einfachste und unbedeutendste Dialog Piatons,
vielleicht auch der älteste. Seine Echtheit wird angezweifelt von Ast, ist
aber durch das Zeugnis des Aristoteles, Met, V, 29 geschützt. Das Ge-
spräch knüpft an einen Vortrag des Sophisten Hippias über Homer an,
indem Sokrates die Frage aufwirft, ob Achill oder Odysseus der tüchtigere
sei. Sokrates tritt für Odysseus ein, weil er mit Wissen lüge {ifxvSeTai).
Der Dialog endigt ohne Einigung der Sprechenden, hebt aber die sokratische
Fragemethode im Gegensatz zur epideiktischen Prunkrede der Sophisten
hervor. Ein ähnliches Verhältnis zwischen dem Thun mit Wissen und
Thun ohne Wissen stellt Sokrates bei Xenophon Mem. IV, 2. 20 auf.
"la)v von ähnlichem Kaliber wie der kleine Hippias, und gleich ihm
der Unechtheit verdächtigt, richtet sich gegen die eitle, im Ion repräsen-
tierte Zunft der Rhapsoden, die ihren Homer auswendig wissen und pathe-
tisch herdeklamieren, aber nichts von dem tieferen Inhalt desselben ver-
stehen. Indem aber auch von dem Dichter nachgewiesen wird, dass er
ohne eigentliches Wissen nur von göttlicher Begeisterung ergriffen, seine
Gesänge dichtet, arbeitet der Dialog der in dem Phaidros und der Republik
ausgeführten Anschauung Piatons von der Inferiorität der Dichtkunst vor.
Den gleichen Gedanken lässt Xenophon in seinem Gastmahl 3, 6 den An-
tisthenes mit den Worten aussprechen: oia^d xi oiv sO^vog rXi&iMTeQov
Qa^xodcov.
287. Grössere Dialoge der Übergangsperiode (ca. 392 — ca. 380),
in denen Piaton, indem er über die einfache sokratische Gesprächsform
hinausgeht und unter der Maske des Sokrates eigene Gedanken zu ent-
wickeln beginnt, tiefere und kunstvoller durchgeführte Untersuchungen
anstellt. Von diesen kennzeichnen die einen (Protagoras, Gorgias, Euthydem,
Kratylos) die Stellung des Sokrates und Piaton gegenüber den Sophisten,
die anderen (Menon, Phaidros, Symposion,. Phaidon, Theätet) enthalten die
Keime der neuen, über Sokrates hinausgehenden Spekulation.^)
') Die Echtheit des Charmides leugnet | ^} Theaefc. 150e und Theag. 130 b.
Schanz, Jahrber. d. Alt. VII, 1. 236. 1 ^) Bei einer systematischen Darlegung
4. Die Philosophen, c. Piaton» (§ 287.)
379
Der IlQwxayöoaq^ ein wahres Meisterwerk unseres Philosophen, bildet
gewissermassen den Schlussstein der kleinen Gespräche über die einzelnen
Tugenden der Tapferkeit, Freundschaft, Sittsamkeit, Frömmigkeit, indem er
das Wesen der Tugend im allgemeinen zum Gegenstand hat. Aber nicht
bloss durch den erweiterten Horizont geht der Protagoras über jene kleineren
Gespräche hinaus, er übertrifft sie auch durch den Glanz der Scenerie und
die Feinheit der Ironie, mit der die Aufgeblasenheit der Sophistik in ihrem
angesehensten Vertreter, dem Tugendlehrer Protagoras, getroffen wird.i)
Das Gespräch ist in die Zeit verlegt, wo eben Protagoras, sei es nun zum
ersten- oder zum zweitenmal, in Athen angekommen war und im Haus des
reichen Kallias, des freigebigen Protektors der Sophisten, sein Absteige-
quartier genommen hatte.-) Im Eingang erzählt Sokrates, wie Hippokrates,
der Sohn des Apollodor, ihn in aller Frühe abholte und wie sie dann, im
Hause des Kallias mit Mühe aufgenommen, bereits dort den Protagoras mit
seinen Verehrern gravitätisch auf- und abgehend fanden. In dem darauf-
folgenden Hauptteil ist es vorzüglich darauf abgesehen, den Vorzug der
schlichten Art des Sokrates, durch Frage und Antwort die Menschen zur
höheren Stufe des Erkennens zu führen, vor den pomphaften, langen Reden
der Sophisten darzuthun. Das geschieht an der Besprechung des Satzes
von der Lehrbarkeit der Tugend, welchen Protagoras und die Tugendlehrer
seines Schlages in ihren prahlerischen Ankündigungen als zugegeben voraus-
setzten, Sokrates aber als noch einer kritischen Prüfung bedürftig hinstellt,
wobei er die Methode der Sophisten, philosophische Sätze in das trügerische
Gewand von Mythen zu kleiden oder durch Stellen von Dichtern zu stützen,
teils als nichtsbeweisend ablehnt, teils für die gegenteilige Meinung ver-
wertet. Die mit reicher Abwechselung und spannenden Wendungen geführte
Disputation kommt nicht zum endgültigen Abschluss, so dass schliesslich
die Beantwortung der aufgeworfenen Frage, ob die Tugend lehrbar sei, von
einer neuen, vertieften Untersuchung abhängig gemacht wird. Dass damit
auf den Menon hingewiesen werde, wie die meisten Erklärer annehmen,^)
ist wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz ausgemacht, da auch dort die
Untersuchung nicht zum endgültigen Ziele führt. ^) Einen Anhaltspunkt
zur Zeitbestimmung gewährt die rühmende Erwähnung der Peltasten, welche
mit der im Jahre 392 durchgeführten und erprobten Heeresreform des Iphi-
krates zusammenhängt.^)
wird man auch in der Aufzählung und
Analyse der Dialoge von dieser Zweiteilung
ausgehen; hier habe ich mich an die ver-
mutete zeitliche Folge gehalten.
^) Menardus, Wie ist Piatos Protagoras
aufzufassen? Oldenburg 1865.
2) Perikles, dessen Söhne Paralos und
Xanthippos der Unterredung beiwohnen, ist
p. 319 e noch als lebend gedacht, weshalb
Cron in der Einleitung seiner Ausgabe das
Gespräch vor den Ausbruch des Krieges in
das Jahr 432 setzt. Dazu stimmt aber nicht,
wenn p. 327 d die 420 aufgeführten Wilden
! des Pherekrates im Jahre zuvor sollen ge-
geben worden sein, so dass man um einen
Anachronismus oder um eine Unklarheit in
dem Zeitansatz nicht herumkommt, mag man
nun das Gespräch 432 oder 419 setzen. Eine
weitere Schwierigkeit macht der Umstand,
dassEupolisinden 421 aufgeführten Schmeich-
lern fr. 10 bereits des Protagoras in dem
Hause des Kallias gedacht hatte.
") Hermann, Plat. Phil. 483; Susemihl,
Entwickl. I, 83.
*) Im positiven Sinne wird die Tugend-
lehre erst im 4. Buch der Republik behandelt.
^) Vgl. Prot. 350 a und Xen. Hell. IV,
4. 10; die Sache ist beleuchtet von Kroschel,
Ztschr. f. Gymn. 11, 561 ff. u. Teichmüller,
Litt. Fehd. I, 20 ff. Ich selbst bin in Plat.
380 Griechische Litter aturgeschichte, I. Klassische Periode.
Der Mävcov steht mit dem Gorgias und Protagoras in Zusammenhang,
indem in demselben einerseits gleich im Eingang auf die einflussreiche
Thätigkeit des Gorgias in Thessalien, woher Menon stammte, hingewiesen,
anderseits die im Protagoras nicht zum Austrag gekommene Frage über
die Lehrbarkeit der Tugend wieder aufgenommen wird. Die Erwähnung
der jüngsthin vorgekommenen Bereicherung des Thebaners Ismenias durch
das Gold der Perser^) führt uns in die Zeit nach 395. Im Hintergrund
spielt noch der Prozess des Sokrates, indem Anytos, einer der Ankläger
und Mitsprechenden, so gezeichnet wird (p. 91c), dass seine Schuld mehr
nur als Folge seiner geistigen Beschränktheit erscheint. Die Untersuchung
wird, dem Gegenstand und der Abfassungszeit entsprechend, in einfacher
Form geführt und dreht sich um die bei den Sophisten viel verhandelte
Frage, ob die Tugend lehrbar sei. Das führt zur Frage nach dem Wesen
der Tugend, und nachdem diese nach mehreren unglücklichen Definitions-
versuchen in hypothetischer Form auf Wissen zurückgeführt ist, zur Zwischen-
untersuchung, wie man denn überhaupt etwas wissen könne. Dabei wird
mit einer über Sokrates hinausgehenden Tiefe der Spekulation das Wissen
als ein Wiedererkennen [ccväi^ivriaic) aus früherer Existenz gefasst. Die
Hauptfrage kommt in echt sokratischer Weise nicht zum Austrag, sondern
es wird zum Schluss eine nochmalige Untersuchung über das, was Tugend
ist, gefordert.
Der fDatSgog, das vielbewunderte Gespräch, voll Lenzesduft und
poetischem Reiz, ist benannt von Phaidros, einem schwärmerischen Jünger
des Sokrates, dem wir auch im Symposion als Lobredner des Eros begegnen,
und den die Medisance zu einem Geliebten Piatons machte.-) Der Prolog
führt die beiden einzigen Unterredner, Sokrates und Phaidros, und uns mit
ihnen zum Kephissosbach unter die hohe Platane. Das Gespräch knüpft
an eine Schulrede des Lysias über das frostige Thema, dass man die Liebes-
gunst eher dem Nichtliebenden als dem Liebenden erweisen solle, an, indem
Sokrates an dem elenden rhetorischen Machwerk eine vernichtende Kritik
übt und dann demselben zwei eigene Reden entgegenstellt. Von diesen
steht die erste noch auf dem Standpunkt eines rhetorischen Aufsatzes, die
zweite aber enthüllt die ganze Tiefe philosophischer Spekulation, indem
sie den Eros als das Streben nach dem Urschönen und der Welt der Ideen
fasst. Damit ist die unmessbare Überlegenheit der philosophischen An-
schauung vor der Wortkünstelei und Gedankenleere der Rhetorik gegeben,
was dann noch in einer eingehenden Kritik der Redeschreiberei näher aus-
geführt wird. Der Dialog scheint anfangs von den Grammatikern und
Philosophen weniger geschätzt worden zu sein, da ihn Aristophanes nicht
in das Verzeichnis der Hauptdialoge aufnahm und Dikäarch an ihm etwas
Gesuchtes (^o^r/xor) zu tadeln fand.'O Um so mehr gelesen und bewundert
Ötud. 4t), gestützt auf die kunstvolle Anlage | geschrieben sei, wage ich nicht zu ent-
des Dialoges und die Erwähnung der La- \ scheiden; über das Verhältnis zu Protagoras j
konentümelei in Prot. 342 c, noch unter das | siehe S. 379.
Jahr 387 oder den Frieden des Antalkidas | '^) Diog. III, 31 ; nach Lysias 19, L)
herabgegangen. Dagegen wendet sich Zeller war Phaidros durch CTutmütigkeit in seinen
II'*, 1. 529 f. i Vermögensverhältnissen herabgekommen.
') Men. p. 90a u. Xen. Hell. III, 5. 1. | •' f D\og. lU,oG: Uyog &^ riQüiroy yQuipai
Ob Menon nach Gorgias oder umgekehrt i avroy rw ^«lÖQoy • xcd yuQ i/si ueiQcc-
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 287.) B81
wurde er in der späteren Zeit, so dass auf keinen der Dialoge öfter als
auf ihn angespielt wird.^) — Bezüglich seiner Abfassungszeit gehen die
Meinungen stark auseinander; schon die Alten ^) fassten ihn als Jugend-
werk Piatons, Schleiermacher stellte ihn als Programmrede in den Anfang
der platonischen Schriften, und üsener, Rh. M. 35, 131 ff., wollte ihn gar
zu Lebzeiten des Sokrates im Jahre 402 geschrieben sein lassen. Dem
gegenüber hat schon Hermann, Plat. Phil. 374, hervorgehoben, dass, wenn
man auch in dem erhabenen Schwung einzelner Stellen und in dem reichen
Schmuck des Ausdrucks mit Recht Spuren der jugendlichen Dichterversuche
des Philosophen finde, doch in dem philosophischen Inhalt vieles übrig
bleibe, was einer ganz anderen als der sokratischen Begriffssphäre angehört.
Sicher ist, dass der Phaidros vor den Euthydemos und vor die Rede des
Isokrates gegen die Sophisten fällt, '0 unsicher, ob derselbe den Gorgias
zur Voraussetzung habe und sich auf ihn stütze.^) Da überdies zu
jener Zeit Lysias noch Unterricht in der Beredsamkeit gegeben zu
haben scheint und die Weisheit ägyptischer Priester in unserem Dialog
(p. 274) eine grosse Rolle spielt, so werden wir in die letzten Jahre des
1. Dezenniums des 4. Jahrhunderts als die mutmassliche Entstehungszeit
unseres Dialoges geführt.
Der rogyiag ist gegen die After Weisheit der Rhetorik gerichtet, die
hier durch den Leontiner Gorgias repräsentiert wird. Das Gespräch zeigt
noch die alte Einfachheit sokratischer Dialoge und bewegt sich auch noch
wesentlich im sokratischen Gedankenkreis: es ist in direkter Gesprächsform
gehalten, und es beteiligt sich an ihm ausser den beiden Hauptsprechern,
Sokrates und Gorgias, und deren Sekundanten, Polos und Chairephon, nur
noch der vornehme Kallikles, bei dem der gefeierte Rhetor abgestiegen war.
Auch im Inhalt entfernt sich der Dialog insofern nicht von der Anschauung des
Sokrates, als auch dieser der Scheinweisheit der Rhetorik gram war und
die Beschäftigung mit der Philosophie als eine würdigere Lebensaufgabe
ansah. Aber auf der anderen Seite ist unser Dialog nicht bloss ungleich
grösser als die der ersten Periode, sondern zeigt auch in der dialektischen
Entwicklung der Hauptsätze eine weit kunstvollere Anlage."') In der De-
finition der Rhetorik als einer Ttj^rj dri^iovQyog neid^ovg TTsiaTixrjg ov di-
daaxaXixrjg ttsqI öixaiMv xal aSixcov, und in der Gegenüberstellung der
wahren Künste larQtxrj, yvixvaaTixri, voßo^sTixr^, aoqia tisqI dixaioavvrjV,
und der falschen, den Schein der Weisheit erheuchelnden Künste {xoXaxsvn-
xc(i), oipOTioiixr^, xofxi^ionixrj, ao(fiaTixrj, qiiToqixtj tritt uns nicht nur schon
xiwöeg Tfc To r[Q6ßXf]fj,c<, JixaiaQx^S <^£ x«« j krates zu suchen sei, erweist neuerdings
TOi/ TQonoy Tjyf ygacprjg oXov inifxe^cpsiai
(og (fOQXLxöv. Über cpogrixöv ^gekünstelt,
poetisch" s. Theophrast bei Dionys. Hai. de
Lys. 14, de Isoer. 13.
') 8. Lucian, Bis accus. 30, Pisc. 22,
Rhet. praec. 26.
''^) Diog. a. 0.
^) Nachgewiesen ist dieses von Spengel,
Isokrates und Plato, worüber S. 294. Dass
das Original der übereinstimmenden Stellen
im Phaidros und nicht in der Rede des Iso-
SvsEMiBL, De Platonis Phaeclro, Greifsw. 1887,
und Jahrb. f. Phil. 121, 10; dagegen Siebeck,
Unters. 129 ff. Dittenberger hat, indem er
sich von dem Gebrauch der Partikel firjt'
leiten liess, den Phaidros später als Phaidon
und Symposion gesetzt; s. oben S. 375 An. 3.
^) Phaedr. 260 e u. f. führt auf Gorgias
463b u. 453a zurück Siebeck, Unters, z. Phil,
d. Gr. 1.15 ff.; siehe dagegen S. 382.
^) Über den Gedankengang s. Bonitz,
Plat. Stud. 1 -46.
382
Griechisclie Litteraturgeschiclite. 1. Klassische Periode.
die dialektische Kunst Platoiis in ihrer vollen Feinheit entgegen, sondern
haben wir auch bereits den Kern der platonischen Lehre von den Gegen-
sätzen des Meinens und Wissens, des Scheines und des wahrhaft Seienden.
In den Dialog ist die heftige Verurteilung der mit rednerischen Künsten
das Volk berückenden Demagogen eingeflochten (c. 58), und zittert noch
mächtig die zornige Entrüstung über die ungerechte Verurteilung des
Sokrates und die Verteidiger des Justizmordes nach. Das hat zur Ver-
mutung geführt, dass der Dialog nicht allzulang nach Sokrates' Tod ge-
schrieben sei. ^) Doch fällt derselbe nicht bloss nach 394, da in ihm p. 469 e
die Wiederherstellung der athenischen Seemacht vorausgesetzt wird, son-
dern es kann derselbe auch erst nach dem Phaidros und nach dem ersten
Auftreten des Isokrates als Lehrer der Rhetorik gesetzt werden, da p. 463a
mit dem Satze 'Joxfr toivvv /to/, m Togyia^ eivai ri sTJiTrjdsvfia ts^vikov
fiUv ov, tpvxrjg St (TTOXcc(TTixrjg xal drSgeiag xccl (fvaei Ssivrjg ngocofiiXsir
ToTg avd^QiüTioig ganz offenbar auf die anpreisenden Worte des Isokrates
in der um 390 geschriebenen Rede xaxd tmv aotfiarmv § 17 \avTa dt
noXXrjg impsXsiag SsTaS^ai xal ipi^xrjg dvÖQixrjg xal So'^aaTixrjg sqyov sivai
Bezug genommen ist.^) Bei der grossen Bedeutung der Redekunst im
Altertum fand unser Dialog über die Rhetorik grosse Beachtung, Bewunde-
rung bei den einen und Anfeindung bei den andern. Der Rhetor Aristides
in der Zeit der Antonine hat eine eigene Schrift zur Widerlegung des-
selben geschrieben, in der es ausdrücklich heisst, dass viele diesen Dialog
allen anderen vorzogen.
KqaTvXog^ benannt nach dem Hauptsprecher, einem Schüler des
Heraklit, wendet ein Lieblingsthema der Sophisten über den Unterschied
von Natur und Satzung {(fvaig und ^taig) auf die Sprache an. Kratylos
vertritt die Ansicht, dass die Sprache ein Naturprodukt sei und benützt
diesen Satz nach Weise der Philosophen jener Zeit, um die Lehre seines
Meisters an der Hand sprachlicher Etymologien zu begründen. Das letzte
wird entschieden zurückgewiesen und zugleich angedeutet, wie die Lehre
vom ewigen Fluss der Dinge die Möglichkeit des Erkennens (yvwaig), das
auf das Ständige und Bleibende gerichtet sei, ausschliesse. Im übrigen hat
der Dialog für uns eine besondere Bedeutung, als der erste Versuch einer
Sprachphilosophie, freilich mit allen Schwächen eines ersten Versuchs, die
besonders in den haarsträubenden Etymologien, wie x)^sdg dno tov ^dr,
7jhog, dorisch dhog, dno xov dh'^siv, zutage treten.^)
Der Evd^vdr^iiog ist eine ergötzliche Satire auf die dialektische Klopf-
^) Vergl. WiLAMOWiTz, Philol, Unters.
I, 213 ff. Natorp, Arch. f. Gesch. d. Phil.
II, 394 fF. sucht zu erweisen, dass der Gor-
gias zwischen Protagoras, Laches, Charmides,
Menon auf der einen und Phädrus, Theätet
auf der anderen Seite zu setzen ist. Um-
gekehrt nennt Gompeez, Plat. Aufs. = Stzb.
d. W. Ak. 1887, II, 741 ff. den Menon wegen
seiner milderen Beurteilung der Staatsmänner
p. 93 — 94 eine Art Palinodie auf den Gorgias.
'^) Diese direkte Anspielung wurde be-
reits erkannt von Bake, Scholica hypom-
nemata III, 38; weiter verfolgt wurde sie h
unlängst von Sudhaus, Zur Zeitbestimmung |i
plat. Schriften, Rh. M. 44 (1889) 52 ff., der ;j
des weitern nachweist, dass Isokrates in der l
2. Rede an Nikokles (3, 2) auf die Vorwürfe
Piatons antwortete, weshalb er den Gorgias
bis auf 376 herabrücken will.
^) Deuschle, Die platonische Sprach-
philosophie, Marburg 1852; Steinthal, Gesch.
d. Sprachwissenschaft S. 39 — 110; Benfey,
Aufgabe des plat. Dial. Kratylus, Abhdl. d.
Gott. Ges. d. W. 1860.
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 287.) 383
fechterei des Euthydemos und Dionysodoros, unter denen wahrscheinlich
der Rivale des Piaton, derEristiker Antisthenes, mitgetroffen wird. Trefflich
ist die Unwahrhaftigkeit jener Eristiker gezeichnet, denen nichts an der
Ermittelung der Wahrheit gelegen ist, sondern die nur mit ihren verfäng-
lichen Fragen den Beifall der Zuhörer erhaschen wollen, im Grunde ge-
nommen aber nicht besser sind als die epideiktischen Sophisten mit ihren
langen Reden. Die Einkleidung des Dialoges ist ähnlich wie die des Pro-
tagoras und Symposion, indem Sokrates dem Kriton die gestrige Disputation
der Eristiker und des jungen Kleinias, welchen jene, mochte er das eine
oder andere sagen, in die Enge trieben, wieder erzählt. Der Schluss ent-
hält einen versteckten Seitenhieb auf den nicht mit Namen genannten, aber
deutlich gekennzeichneten Isokrates,i) der beim Weggehen sich verächtlich
nicht bloss über die Eristik, sondern über alle Dialektik äussert, in der
That aber hinter beiden, dem rechten Staatsmann und dem rechten Philo-
sophen zurücksteht. Verfasst ist unser Dialog nach dem Phaidros, in
welchem Piaton mit Isokrates noch auf bestem Fusse steht, und vor dem
Theätet, in welchem der Autor die besonders in dem Euthydem anstössige
Form des referierten Gespräches verlässt.
(I>ai6ü)v rj nsQi ifivxrj(; ward von Thrasylos mit Apologie, Kriton,
Euthyphron zu einer Tetralogie verbunden, weil er die Erzählung von den
letzten Stunden des Sokrates enthält, fällt aber offenbar, wie die kunstvolle
Einkleidung und der Einfluss pythagoreischer Philosophie zeigt, in die Zeit
nach der ersten sikilischen Reise. 2) Die Dramatik unseres Dialoges ist das
Ergreifendste, was Piaton geschrieben hat, und der Schluss desselben sollte
auch von denen gelesen werden, die der philosophischen Spekulation ab-
geneigt sind und die Beweiskraft der vorgebrachten Unsterblichkeitsbeweise
bestreiten. Das würdige Thema des Gesprächs der letzten Stunden des
sterbenden Sokrates bildet nämlich die Unsterblichkeit der Seele, deren
Annahme mit der Ideenlehre Piatons und mit der bereits im Menon ausge-
sprochenen Auffassung, dass das Erkennen ein Rückerinnern an früheres
Wissen oder Schauen {drätuvr^aig) sei, aufs engste zusammenhängt; ausserdem
nimmt der Philosoph in der Beweisführung auf die pythagoreische Lehre,
die er auf seiner sikilischen Reise kennen zu lernen Gelegenheit gehabt
hatte, ausdrücklich Bezug. Trotz der Abstraktheit der Beweise drang der
herrliche Dialog so sehr in weite Kreise, dass der Komiker Theopomp auf
der Bühne in seinem^HdvxccQtjg eine Anspielung auf denselben machen konnte.^)
Das 2vfX7i6aiov ist leicht das liebreizendste und kunstreichste Werk
Piatons, das schon bei den Alten von denjenigen, welche Piaton mehr seiner
Kunst als seiner philosophischen Lehre wegen lasen, vor allen anderen
Werken bevorzugt wurde. ^) Das Gastmahl, worüber Apollodoros, der selbst
wieder von Aristodemos Kunde erhalten hatte, seinen Freunden Mitteilung
macht, hatte der Tragiker Agathen zu Ehren seines ersten tragischen Sieges
'^ Erwiesen von Spengel, s. S. 381 An. 3. | beziehen sich auf Phaid. p. 96 e. Nachdem Kpi-
-) Eine Rückbeziehung auf den Phaidon i gramm des Kallimachos Anth. VII, 471 weihte
enthält die Republik p, 608 f., 611b u. 612a, | sich Kleombrofos aus Ambrakia mit demAus-
worüber Siebeck, Jahrb. f. Phil. 1885 S. 227; ruflÜtf X"^Q^ dem Tod, nachdem er den Dia-
umgekehrt geht Phaid. 72^ auf Menon zurück. I log des Piaton über die Seele gelesen hatte.
"} Die Verse, erhalten bei Diog. IIT, 26, { ^) Zeugnisse in der Ausgabe von 0. Jahn.
384 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
(416) gegeben; eingeladen war dazu eine bunte Gesellschaft; ausser dem
Sokrates, der noch den Aristodemos mitgebracht hatte, Phaidros, Pausanias,
der Arzt Eryximachos, Aristophanes. Als Thema der Tischreden wird auf
Phaidros Vorschlag der Eros gewählt. Die Kunst des Piaton nun zeigt sich
in der Art, wie er das Thema von den einzelnen Tischgenossen entsprechend
ihrem verschiedenen Charakter anfassen und nach und nach zu immer
höheren Zielen führen lässt. Am genialsten ist die Rede des Aristophanes,
der in einem geistreich erfundenen Mythus die Liebe als das Suchen der
einen Hälfte des ehemals vereinten, aber von Gott auseinandergeschnittenen
Urmenschen nach seiner anderen Hälfte hinstellt. Aber tiefer ist die an
den Schluss gestellte Auseinandersetzung des Sokrates, der seiner Rede die
Form einer Unterredung mit der weisen Mantineerin Diotima gibt und in
ihr die Liebe als den Trieb nach Unsterblichkeit fasst, der den Leib der
Frauen mit Kindersamen und die Seele edler Jünglinge mit Weisheit und
Tugend befruchtet. Indes wenn auch der philosophische Gehalt des Werkes
in den Reden steckt, so liegt doch der eigentliche Reiz in dem mimischen
Arrangement, den Zwischenreden und Zwischenfällen, welche uns statt in
einen langweiligen Sprechsaal in ein lebensvolles, heiteres Gastmahl ver-
setzen. Das tritt besonders in dem letzten Teil des Dialogs, in der Scene,
die Feuerbach zum Gegenstand seines grossartigen Gemäldes gemacht hat,
hervor: noch nicht war Sokrates mit der Diskussion, die sich an seine
Rede knüpfte, ganz zu Ende, da kommt Alkibiades halbberauscht herein
und hält, von den Tischgenossen aufgefordert, eine Lobrede auf Sokrates,
die von leidenschaftlicher Begeisterung für den verehrten Meister über-
strömt und an einem konkreten Fall die ganze Reinheit des Verhältnisses
des edlen Lehrers zu seinen geliebten Jüngern nachweist. Auch der
Schluss dient noch dazu, uns den Sokrates in seiner herrlichen, unendlich
über dem pedantischen Schulmeister stehenden Gestalt zu zeigen : eine neue
Schar von Nachtschwärmern war eingedrungen; über dem wüsten Zechen
schlichen die einen davon, die andern nickten ein, unter ihnen der Erzähler
des Dialoges Aristodemos; als der gegen Morgen erwacht, sieht er den
Sokrates noch ganz geistesfrisch mit den beiden Dichtern Agathon und
Aristophanes aus einem grossen Humpen zechen und über das Thema, dass
der rechte Dichter zugleich sich auf die Tragödie und die Komödie ver-
stehen müsse, eifrigst diskutieren. Für die Abfassungszeit des Dialogs
liegt ein Anzeichen in der Anspielung auf die Zerteilung der Stadtgemeinde
von Mantinea in 4 Landgemeinden p. 193 a, wonach derselbe im Jahre 385
oder bald nachher abgefasst wurde. ^)
Der 0£aiTi]Tog ist ein dialektisches Gespräch zwischen Sokrates,
Theaitetos und Theodoros über das Wissen (smairji^irj), wieder erzählt in
direkter Redeform '^) von Eukleides, dem megarischen Sokratiker, gelegentlich
des Rücktransportes des im korinthischen Kriege (392) erkrankten Theätet.^)
K
') Vgl. Xenoph. Hell. V, 2. Über das
Verhältnis zum xenophontischen Symposion
§ 229. L, Sybel, Piatons Symposion, Marb.
1888, nennt das Symposion, das nach dem
ersten Jahresfeste der platonischen Hochschule
geschrieben war, das Programm der Aka-
demie.
^) ^gl- § 282; die Änderung der Form
scheint darauf hinzuweisen, dass der Theätet
nach Protagoras, Euthydem und Symposion
geschrieben sei.
•') An den Kampf um Korinth des J. 3G8
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 288.)
385
Der Dialog von tiefem philosophischem Gehalt führt unter scharfsinniger
Bekämpfung entgegenstehender Meinungen, namentlich des Protagoras, die
Frage nach dem Wesen des Wissens zwar nicht zum letzten Abschluss,
der nur im Zusammenhang mit der Ideenlehre gegeben werden konnte,
aber doch so weit, dass wir über die erste Stufe der sinnlichen Wahr-
nehmung {ccl'aS^r^aig) und blossen Meinung {^6'^a) zur richtigen Meinung und
weiter zur richtigen Meinung mit Rechenschaftsgabe (dhjd^rjg 6o§a ^exd
Xoyov) emporsteigen. Zugleich ist die Behandlung des ganz abstrakten
Themas durch herrliche Bilder und Gleichnisse belebt, wie von der Heb-
ammenkunst (f.iai£VTixrj) des Sokrates (p. 149 — 151) und von der Seele als
dem Taubenschlag der Ideen (p. 197).') Der Dialog erhält seine Fortsetzung
in dem Sophistes und Folitikos, deren Abfassung aber geraume Zeit später
zu fallen scheint. Über seine eigene Abfassungszeit gehen die Meinungen
sehr auseinander; die einen, darunter Zeller, setzen ihn bald nach der Zeit
der Eingangsscene, um 392, andere nach dem Euagoras des Isokrates oder
nach 374,2) endlich Bergk nach den zweiten Kämpfen um Korinth im
Jahre 368 und nach dem Tode des Königs Agesilaos 357.
288. Die konstruktiven Dialoge, in denen Piaton seine eigene
philosophische Lehre in positiver Weise entwickelt und aus den früheren
Perioden seiner Schriftstellerei nur die Form des sokratischen Gespräches
beibehält. Das mimische Element und die künstlerische Umrahmung tritt
hier allgemach zurück; hingegen führt der Lehrton zu längeren Vorträgen,
wenigstens in den Schriften über Politik und Physik. Die hieher gehörigen
Dialoge gehören in das Gebiet der Staatslehre (Politeia und Nomoi), Dia-
lektik (Sophistes, Folitikos, Parmenides), Ethik (Philebos), Physik (Timaios).
Die üoliTsia^) umfasst 10 B., welche Bucheinteilung aber, da dieselbe
vielfach verkehrt und geradezu sinnwidrig ist,^) nicht vom Autor selbst
herrührt. Das Werk hat die Form eines Gespräches, das im Hause des
greisen Kephalos gelegentlich eines im Piräus zu Ehren der Göttin Bendis
veranstalteten Festes gehalten wurde.'') Anwesend waren ausser Kephalos
dachte Bergk, Fünf Abh. zur griech. Phil.
S. 3. Dagegen Einwendungen in meinen
Plat. Stud. 48 und Zeller, Über die zeit-
geschichtlichen Beziehungen des plat. Theätet,
Stzb. d. Berl. Ak. 1886 S. 631 ff. und 1887
S. 214, wo die Stelle über die Peltasten p.
165 d für die Zeit 392-390 geltend ge-
macht wird.
') Für uns Philologen ist auch die Paten-
rede des Sokrates auf die Philologie p. 146a
interessant; ov zl nov, w GEodajQS, syoj tno
(fiXoXoyUcg dyQoixiCo^ai, 7TQoS^i\uovfxei'ogrjfAccq
noirjaca diakeysa^ta xc<l (piXovg je xmI nQoa7j-
yoQovg diaXeysad^ai.
''^) lioHDE, Abfassungszeit des piaton.
Theätetos, in Jahrb. f. Phil. 1881 S. 321 ff.
und Gott. Gel. Anz. 1884 S. 13 ff., hielt, wie
zu gleicher Zeit Bergk, die Stelle p. 175 a
über die Lobreden auf Könige zusammen
mit Isoer. Euag. c. 8, wo sich der Rhetor
rühmt, die erste Lobrede auf einen berühmten
Mann der Gegenwart geschrieben zu haben.
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2.
Dagegen betont Zeller, dass Piaton nicht
von geschriebenen Lobreden wie Isokrates
rede, und bezieht die 25 Ahnen der piaton.
Stelle nicht auf den König Agesilaos, sondern
auf dessen Kollegen Agesipolis (394 — 380),
auf den besser die Zahl 25 passt. Ob uns
doch nicht der Dialog in einer zweiten Be-
arbeitung vorliegt, die aus der Zeit stammt,
in der Piaton zu dem Theätet den Sophistes
und Folitikos fügte?
^) Über den Titel Bohr eleu in Arist.
Polit. p. 1293b, 1 und Themist. or. II p. 38,
21 Dind.; s. Schneider im Eingang seiner
Ausgabe.
^) Vgl. meine PlaL Stud. 22.
•') Das über dieses Fest und den Fackel-
lauf im Eingang Bemerkte zeigt, dass sich
Piaton das Gespräch an einem bestimmten
Datum gehalten dachte. Auch ist die Schil-
derung des Festes und der Person des greisen
Kephalos so lebensvoll, dass man glauben
möchte, Piaton habe selbst noch den Ke-
Aufl. 25
386
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
und dessen Sohn Polemarchos, Sokrates, die Brüder des Piaton Glaukon
und Adeimantos, der Rhetor Thrasy machos und mehrere stumme Personen.
Aber die grosse Ausdehnung des Werkes passt durchaus nicht in den
Rahmen eines Gespräches, weshalb gewiss die Schrift ursprünglich kleineren
Umfangs war und erst allmählich durch Erweiterung zur Grösse von
10 Büchern angewachsen ist. ^) Das bezeugt auch eine Überlieferung des
Altertums bei Gellius,^) wonach von der Republik zuerst nur 2 Bücher in
die Öffentlichkeit kamen. Ganz verwischt sind die Spuren der allmählichen
Entstehung nicht, indem z. B. das Hauptthema des 3. und 4. Buches noch-
mals im 10. Buche behandelt und dabei p. 607 b auf die inzwischen auf-
getauchte Polemik Rücksicht genommen ist.^) Die Hauptteile, in welche
das umfangreiche Werk zerfällt, sind folgende: Buch I enthält die Ein-
leitung und die Untersuchung über das, was das Gerechte {to Sixaiov) ist,
in ähnlicher Weise wie in den kleinen Dialogen (Laches, Charmides, Lysis,
Euthyphron) das AVesen der dvSQsia, aMCfQoavvrj^ (filia, oaiÖTrjg untersucht
wird. Die Bücher H — IV umfassen die Gründung und Organisation des-
jenigen Staates, in welchem die Idee der Gerechtigkeit zur Verkörperung
kommt. Den Hauptgegenstand dieses Abschnittes bildet die Erziehung,
die geistige (ixovaixrj) und körperliche (yvf^ivaaTixri) der Staatsangehörigen,
woran sich im 4. Buch die Besprechung derjenigen Tugenden schliesst,
welche sich in einem wohlorganisierten Staat infolge jener Erziehung der
Staatsbürger finden müssen, die Weisheit {(pQÖrrjaig oder ao(ffa), die Tapfer-
keit (dvSQsia), die Selbstbeherrschung {c>o)(fQO(rvvrj), die ausgleichende Ge-
rechtigkeit (dixaioavvrj). Die Bücher V — VII bilden den 3. Teil. Im
Eingang des 5. Buches schickt sich Sokrates an, im Anschluss an das
vorausgegangene Buch, die Abarten des richtig organisierten Staates zu
phalos in seiner Häuslichkeit gesehen. Aber
die Zeit ist schwer festzustellen ; am meisten
Zustimmung verdient Böckh, Kl. Sehr. IV,
437 ff., der für 409 eintritt. Für eine so
späte Zeit spricht insbesondere, dass Sopho-
kles p. 329 b als Greis gedacht ist, und dass
die Brüder Piatons, Glaukon u. Adeimantos,
sich nach p. 368 a bereits im Kriege ausge-
zeichnet hatten. C. Fr. Hermann, Plat. Phil.
095 erklärt sich für 430, weil für den Anfang
des peloponnesischen Krieges am meisten
die Lebensverhältnisse des Lysias sprechen,
und versteht daher unter Glaukon u. Adei-
mantos die Oheime des Piaton. Vgl. Suse-
MiHL, Entw. n, 76 ff. und Ind. lect., Greifsw.
1884 p. XII und uns oben S. 320.
^) Von selbst drängt sich einem in dieser
Beziehung der Vergleich des bedeutendsten
Werkes der griechischen Prosa mit dem ge-
feiertesten der griechisclien Poesie auf.
^) Gellius XIV, 3: Xenophon inclito Uli
operi Piatonis, quod de optimo statu reipu-
blicae civüatisque administrandae scriptum
est, lectis ex eo duohus fere lihris, qui primi
in volgus exierant, opjwsuit contra conscrip-
sitque diversum regiae administrationis ge-
niis, quod nfudeiug KtQov inscriptum est.
I)ass zu dieser ersten Republik das 1. Buch
unserer Republik in seinen wesentlichen Teilen
gehörte, ist einleuchtend; dass darin auch
schon die Weibergemeinschaft gepredigt war,
möchte man aus Aristoph. Eccl. (aufgeführt
389) schliessen im Zusammenhalt mit p. 452 b:
ov (foßr]T£oy rd rdop ^^aQiiyiiov axoj^^axc:.
Aus Aristot. Polit. II, 4 ersieht man, dass
Piaton zuerst die Weibergemeinschaft gelehrt
hatte; vgl. indes oben S. 258. Auf die alte
Überlieferung, dass Piaton Jahre lang an
der Politeia gearbeitet und sie wieder und
wieder umgearbeitet habe, führt auch die
Anekdote bei Dion. Hai. de comp. verb. 25
u. Diog. 3, 37, dass nach dem Tode des
Philosophen ein Blatt gefunden worden sei,
auf dem der Anfang der Republik wieder-
holt umredigiert {noixlXoDg /usTaxei/usft]) ge-
standen habe.
^) Ebenso ist die beste Staatsform 1. VIT
p. 540 b als ausführbar, im 10. Buch als
unerreichbares Ideal hingestellt. Krohn, Der
platonische Staat (1876), betrachtet die Re-
publik als ein durch Aggregieren allmählich
entstandenes Werk; ähnlich Pfleiderer, Zur
Lösung dei- platonischen Frage. Freiburg
1888, der 3 separate Teile annimmt I--IV
u. VHI- IX; X; V— VH.
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 288.)
387
besprechen. Aber diese Diskussion wird infolge der Einsprache des Pole-
niarchos verschoben, so dass zuerst von der Kinder- und Weibergemeinschaft
und von der Erziehung der zukünftigen Herrscher des Staates, der sogenannten
Wächter ((fidaxsg), gehandelt wird. In diesem 3. Teil sind die tiefsten Gedanken
der Philosophie niedergelegt, so dass mein verehrter Lehrer, L. Spengel,
in demselben den im Eingang des Sophistes in Aussicht gestellten Dialog
Philosophos erkennen wollte, i) Die Bücher VIII und IX kehren zum An-
fang des 5. Buches zurück und besprechen im Gegensatz zur Staatsform des
Philosophenkönigtums die Abarten der Timokratie, Oligarchie, Demokratie,
Tyrannis, wobei dem Autor bei der Schilderung der Tyrannis der ältere
Dionysios, bei der der Oligarchie Sparta Porträt gestanden haben. Im
Anschluss an die Unterscheidung dieser 5 Staatsformen wird dann auf
die Glückseligkeit (svSaifjLovia) übergegangen, die in vollkommenem Grade
nur dem Gerechten zu teil werde. Damit ist Plato wieder zum Ausgangs-
punkt des ersten Buches zurückgekehrt. Im 10. Buch kommt zuerst Piaton
nochmals auf die Poesie zurück, indem er an seinem früheren Urteil über
die rechte Erziehung festhält und wider eigene Neigung jede nachahmende
Poesie, die Tragödie und den Erzvater der Tragödie, den Homer, aus dem
Idealstaat verbannt. Zum Schluss zieht er dann die Lehre von der Un-
sterblichkeit der Seele heran, die dem Gerechten zum Glück der inneren
Befriedigung auch noch ewigen Lohn in Aussicht stellt. Und wie sonst,
wenn die dialektische Erkenntnis nicht mehr ausreicht, so greift auch hier
Piaton zum Mythus, indem er den von den Toten wiedererstandenen Ar-
menier Er von dem, was er im Hades von dem Leben der Seligen und
Verdammten gesehen und gehört hatte, erzählen lässt.^) — Die Abfassungszeit
der Republik kann natürlich nicht auf das Jahr festgesetzt werden, da
Piaton an diesem seinem grossartigsten Werk viele Jahre, wenn auch nicht
gerade 20, gearbeitet hat^) und der erste Entwurf, was schon die referie-
rende Gesprächsart zeigt, noch in die 2. Periode seiner Schriftstellerei fällt. ^)
Anspielungen finden sich p. 577 a auf des Verfassers Aufenthalt am Hofe
des Dionysios und p. 471a auf die Grausamkeit der Thebaner gegen Platää
im Jahre 374. In weite Kreise war das Werk wohl schon vor der 2. Reise
des Piaton nach Sikilien gedrungen, da wir schwerlich fehl gehen, wenn
wir den Dion und seine Freunde ihre Hoffnungen an die in der Republik
niedergelegten Ideen knüpfen lassen. Es hat demnach Susemihl, Plat.
Phil. II, 296, unser Werk in die Jahre 380 — 370 gesetzt. Bis auf minde-
stens 360 müssten wir herabgehen, wenn wirklich, wie Reinhardt, De
') L. Spengel, in Münchener Gel. Anz.
1846 S. 653 und Philol. 19, 595; siehe da-
gegen meine Plat. Stud. S. 36 f. Aber wenn
man auch die Hypothese Spengels nicht
teilt, so wird man doch, wie auch Pfleiderer
thut, in diesen Büchern, V p. 471c — VII incl.
eine spätere, nachträglich in die ältere Re-
publik eingelegte Abhandlung erblicken
müssen.
^) Wieweit Piaton in seiner Politeia
nur eigene Ideen aussprach, lässt sich
schwer bestimmen. Nach Aristoxenos bei
Diog. 111, 37 fanden sich die Hauptgedanken
bereits in Protagoras' UfTiXoyixd
^) Krohn, Der plat. Staat, Halle 1876;
Die plat. Frage 1878, wonach die gesamten
Dialoge späteren Ursprungs als der Staat
sein sollen. Dagegen Nusser, Piatons Poli-
teia, Aniberg 1882. Siebeck, Unters. 148.
Zu Krohn kehrt teilweise wieder zurück
Pfleiderer a. 0.
"*) Der er.ste Entwurf müsste, wenn auf
ihn Aristophanes in den Kkkles. anspielte,
bald nach dem Phaidros, um 390 gesetzt
werden.
25
388
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Isoer. aemulis p. 39 annimmt, an der Stelle p. 498 d auf Isokrates Areo-
pagitikos Bezug genommen wäre.
Der Dialog Tif^iaiog ist nach der Fiktion des Proömiums am Tage
nach der Politeia gehalten worden, was aber nicht zur Annahme nötigt,
dass derselbe von Piaton unmittelbar nach jenem Werke verfasst worden
sei. Es enthält der Timaios im wesentlichen dasjenige, was die Späteren
als qjvaixi] (filoaoffia bezeichneten, die Lehre von der Hervorbringung der
Welt durch den göttlichen Schöpfer {SrnnovQyög), von der dem All inne-
wohnenden Weltseele und dem zur Aufnahme [imoöoxrj) der Formen oder
Ideen geeigneten unendlichen Raum, von der Bildung der Elemente und
der Schöpfung der diesseitigen Welt, von der Gestaltung des menschlichen
Organismus und der Harmonie von Seele und Leib. Die Darlegung dieser
mehr sublimen und dunklen, als die Naturerkenntnis fördernden Lehre ^)
übernimmt der Pythagoreer Timaios, womit Piaton selbst die Quelle dieser
Theorien angedeutet hat. 2) Von sokratischer Art ist in dem Dialog keine
Spur mehr, wenn auch Sokrates noch einer der Mitunterredenden ist; wohl
aber zeigt die Hereinziehung der Ideen, auf die schauend Gott die Welt
schafft, dass Piaton die pythagoreische Lehre nicht einfach herübergenommen,
sondern mit seinem eigenen Geiste durchdrungen hat. Die durch den
Kommentator Proklos uns erhaltene und im Anhang des platonischen Dia-
logs abgedruckte Schrift des Timaios nsQi ipvx^cc xoc^kx) xal cpvaiog ist nicht
ein Originalwerk, sondern ein jenem Pythagoreer untergeschobener Auszug
der platonischen Schrift. 2)
Der KQiTiaQ sollte nach dem Eingang des Timaios p. 19b die 3.,
der Hermokrates die 4. Stelle in der mit Politeia und Timaios begin-
nenden Tetralogie einnehmen. 4) Zur Abfassung des Hermokrates kam Piaton
gar nicht; der Kritias blieb Fragment, wie uns Plutarch, Solon 32, bezeugt.
Dasselbe enthält die Schilderung eines gewaltigen Reichs in der Atlantis,
dessen Macht später an einem kleinen, nach platonischem Muster ein-
gerichteten Staate scheitern sollte. Die Kunde von jenem Reich in der
Atlantis will Kritias von seinem Ahnen Solon erhalten haben, der sie selbst
von den ägyptischen Priestern in Sais erhalten hatte. Die hieroglyphischen
Urkunden, welche das Ereignis, auf das Piaton anspielt, nämlich den Sieg
der Agyptier unter Ramses über eine grosse, von Westen her in Ägypten
einfallende Völkermasse schildern, sind in unserer Zeit wieder ans Licht
gezogen worden.^)
2o(fiaTr-g und JIoXiTixog, zwei eng zusammenhängende Dialoge,
sollten nach dem Eingang des ersteren den Theätet fortsetzen und in einem
nicht mehr geschriebenen 4. Dialoge, (l^iXöaocfog, ihren Abschluss finden^.)
^) Vom Standpunkte des heutigen Natur-
forschers hat die ganze Naturlehre Piatons
einer für den Philologen und Philosophen
sehr lesenswerten Betrachtung unterzogen
Rothlauf, Die Physik Piatos, Münch. Progr.
der Realsch. 1887 u. 1888.
2) Im 13. Brief scheint unser Timaios
unter dem Namen TlvOayoQEia versteckt zu
sein; siehe meine Plat. Stud. 30 f.
^) Verfasst ist der falsche Timaios vor
dem 2. Jahrh. n. Chr., da er bereits von
Nikomachos Harm. F, 24 citiert wird.
4) Vgl. Grit. p. 108 a.
^) DüMicHEN, Hist. Inschr. I, 1-5, von
mir nachgewiesen Plat. Stud. 55 f.
^) T.. Spengel, Phil. XIX, 595 stellte
die bestechende Vermutung auf, dass der
Philosophos in den Büchern V — VII der
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 288.)
389
Die in ihnen angewandte Methode ist die der Spaltung der Art in ihre
Spezies {^laigfcrig, divisio), durch die schliesslich die richtige Definition des
Sophisten und Politikers gewonnen werden soll. Die ganze Methode, deren
haarspaltende Langweiligkeit dem Verfasser selbst nicht entging,^) ist weit
entfernt von der ethischen Wärme der sokratischen Gespräche und wird
von Piaton selbst als eine fremde dadurch bezeichnet, dass der Fremde
(^s'vog), den Theodoros mitbringt, und der junge Sokrates ^) Hauptträger
des Gespräches sind. Schleiermacher nahm an, dass Piaton selbst p. 246b
auf die megarische Schule hingewiesen habe und dass wir also in unseren
Dialogen die von Aischines weitergebildete Kunst der eleatischen Dialektik
vor uns haben. Dagegen weist Dümmler, Antisthenica p. 51 ff., nach, dass die
Spitze des Dialoges mehr gegen Antisthenes gerichtet ist. Die beiden Dia-
loge scheinen in dem 13. platonischen Brief unter dem Titel SiaiQEasiq er-
wähnt zu sein, wonach ich in meinen platonischen Studien ihie Abfassungs-
zeit um 364 setzte;^) dazu stimmen auch die von Schanz aufgedeckten
sprachlichen Indizien.^)
Der UccQiiisvidrjg, ein Gespräch'') des jungen Sokrates mit dem
greisen Parmenides, wird bereits im Sophistes p. 217 c als Xoyog rcdyxaXog
angekündigt. Das Gespräch wird von Antiphon, dem Halbbruder Piatons,
wiedergegeben, der seinerseits wieder dasselbe von Pythodoros gehört und
auswendig gelernt haben will. Im ersten Teile desselben bekämpft der
eleatische Philosoph die Ideenlehre, und weicht Sokrates so vor den Ein-
würfen des Gegners zurück, dass er selbst an der Möglichkeit einer dia-
lektischen Begründung jenes Grundpfeilers der platonischen Philosophie zu
verzweifeln scheint. Der zweite grössere Teil enthält eine äussert spinöse
Erörterung über das Eine und Viele, die eine Probe der eleatischen und
megarischen, mit Antinomien operierenden Dialektik sein will. Wie aber
dieser zweite Teil mit dem ersten zusammenhängt, oder mit anderen Worten,
wie derselbe dazu dienen soll, die im ersten halb fallen gelassene Ideen-
lehre wieder zu stützen, ist schwer zu sagen, ist sicher von Piaton nicht
klar gelegt.*^) Aber deshalb darf man nicht an der Echtheit dieses her-
vorragenden Werkes der Disputierkunst zweifeln;') mir scheint es am
wahrscheinlichsten, dass Piaton im Sinne hatte, dem Parmenides noch einen
andern Dialog nachfolgen zu lassen, der die Lösung bringen sollte.^) Die Ab-
fassungszeit des Parmenides kann von der des Sophisten nicht weit abliegen.
Republik enthalten sei: dagegen spricht die
Verschiedenheit des Tons und die Chrono-
logie; s. S. 387 Anm. 1.
') Vgl. 285 d.
^) Über diesen jungen Sokrates vergl.
ep. XL
3) Plat. Stud. 52.
4) Vgl. S. 875 An. 3.
^) Über die Zeit des Gespräches siehe
§ 74 ; der Ton spitzfindiger Dialektik passt
schlecht zur Person des Sokrates.
^) Zur älteren Litteratur bei Susemihl
II, 353 kommt noch Shorey, De Flatonis
idearum doctrina atque mentis humanae
rationihus, Monachii 1884. Ungenügend ist
der Ausweg Plotins VI, 8, dass das ev in
dreifachem Sinn genommen werden könne.
"') ScHAAKSCHMiDT, Plat. Schr. 164.
^) Gegen diesen Ausweg der Verzweif-
lung erklärte sich Apelt, der schon früher
in seinen Untersuchungen über den Parme-
nides des Piaton (1879) unseren Dialog der
fiüheren Zeit platonischer Schriftstellerei zu-
geschrieben hatte, in der Rezension meiner
Abhandlung in Phil. Anz. 1887 S. 27. Jack-
son, Journ. of Philol. XI (1882), 287 ff. u.
X, 258 ff. findet in Parmenides und Phile-
bos die spätere, dem Aristoteles vorschwe-
bende Form der platonischen Ideenlehre.
390
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Der (JfiXr:ßog teilt mit den dialektischen Dialogen der 3. Periode den
Mangel scenischer Einkleidung, so dass es selbst zweifelhaft bleibt, ob wir
uns unter Philebos eine wirkliche Persönlichkeit oder die abstrakte Fiktion
der Jugendliebe vorzustellen haben. Gegenstand des Dialoges ist die ethische
Frage nach der Glückseligkeit, die weder mit Aristippos in der reinen
Lust, noch mit den Megarikern in der blossen Einsicht, sondern in der
Vereinigung beider zu suchen ist. Der Verlauf der Diskussion führt zum
Schlussstein der Ideenlehre, dem avToayaO^ov, und der Herleitung alles Seins
aus der Idee des Guten.
Die Nof^ioi in 12 B. bilden das letzte Werk Piatons und fallen in
die Zeit des jüngeren Dionysios.^) Der Standpunkt des Philosophen in
diesem Werk bedeutet einen Abfall von dem Idealstaat und ein Anbequemen
an die Wirklichkeit: aus einem Philosophenkönigtum wird eine Aristokratie,
in der aber auch auf den Reichtum Rücksicht genommen wird ; die Güter-
gemeinschaft wird als unausführbar aufgegeben (V, p. 739 d) und durch
Vorschriften über Ackerverteilung und Beschränkung der Besitzfreiheit
ersetzt; die Ehe wird ebenso wenig wie das Privateigentum aufgehoben,
aber sie wie alle anderen Grundlagen des Gemeinwesens, Erziehung, Ver-
teilung der öffentlichen Gewalten, kriegerische Ordnung und Zucht werden
durch eine allseitige, bis ins einzelnste gehende Gesetzgebung geregelt.
Cicero hat das Verhältnis der beiden Werke nachgeahmt, indem er auf
den Dialog de republica in späteren Jahren die Leges folgen Hess. Piatons
Gesetze spielen in Kreta, also nicht mehr in Athen; in ihnen allein auch
fehlt die Person des Sokrates ganz. Dass das Werk unvollendet von
dem Autor hinterlassen wurde und sein Schüler Philippos aus Opus die
Herausgabe desselben besorgte, bezeugt Diog. III, 37. Der unvollendete
Zustand tritt uns in dem Texte vielfach entgegen, wie z. B. darin, dass
im 5. Buch, teilweise auch im 8., 11., 12., die Form des Dialoges völlig
aufgegeben ist, und dass im 5. und 12. Buch heterogene Bestandteile den
Fortgang der Untersuchung stören. Die Verwirrung stammt wahrscheinlich
daher, dass der Redaktor zwei Vorlagen des Autors ungeschickt miteinander
verschmolz.'^)
Für das richtige Verständnis dieser ausgedehnten theoretischen Be-
schäftigung Piatons mit der Staats- und Gesetzeslehre verdient die Über-
lieferung Beachtung, dass derselbe nicht bloss selbst von mehreren Staaten,
den Kyreneern, Thebanern, Arkadern, um Entwerfung von Gesetzen an-
gegangen wurde, ^) sondern dass auch einige seiner Schüler, wie Aristonymos,
Phormion, Menedemos, als Gesetzesgeber thätig waren. '^)
289. Unechte und zweifelhafte Schriften. Dahin gehören ausser
den 7 kleinen, im Altertum schon als unecht erkannten Dialogen 'A^toxog,^)
') Vgl. p. 709e; 710d und 658b mit
Ath. 541 d; dass die Nomoi nach der Repu-
blik geschrieben sind, bezeugt auch Arist.
Polit. 11, 6. Die Gesetze wurden bald nach
Piatons Tod herausgegeben, da dieselben in
Isoer. Phil. 12 berücksichtigt sind.
2) Bruns, Piatos Gesetze vor und nach
ihrer Herausgabe durch Philippos von Opus,
1880; ähnlich Bergk, Fünf Abb. zur griech.
Philos. S. 188 ff.
3) Aelian V. H. II, 42 u. XII, 30; Diog.
III, 23: Plut. vit. Luc. 2, ad princ. iner. 1.
4) Plut. adv. Col. 32.
^) Im Axiochos ist die Lehre Piatons
mit der epikureischen und orphischen ver-
mischt. Einen Axiochos und Alkibiades
schrieb auch Aischines.
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 289.)
391
TTfQi 6ixaiov, nsQi aQsrrjg, JrjjnoSoxog, 2iav(foc, 'EQv'^iag^ ^AXximv ^) noch
mehrere andere, deren Echtheit erst die neuere Kritik angefochten hat.
Der Osay^jg ist eine plumpe Nachbildung des Laches, worin das
Daimonion des Sokrates zum wahren Zerrbild geworden ist. 2)
'AlxißidSi^g a knüpft an den Protagoras und die Liebe des Sokrates
zu Alkibiades an. Der Dialog stund als Fürstenspiegel in grossem An-
sehen bei den Späteren, so dass keine Schrift des Piaton öfter kommen-
tiert wurde. Gut und echt sokratisch ist die Weise, wie Sokrates dem
jungen Alkibiades zu Gemüte führt, dass er, bevor er als Berater des Volkes
auftreten dürfe, zuerst über das, was gerecht (ö(xaiov) und nützlich ((svii-
(ftQov) ist, mit sich ins reine kommen müsse. Aber der Ton und die
Sprache lassen doch durchaus die Feinheit des Piaton vermissen. 3) Ver-
fasst wurde der Dialog nach dem Frieden des Antalkidas (p. 105 c, 120a)
zur Zeit des Bündnisses von Athen und Sparta gegen Theben (p. 121a)
um 374, vielleicht im Anschluss an Xen. Mem. III, 6. 1.
'AXxtßiädrjg ß' empfiehlt den Brauch der Lakedämonier, Gott einfach
um das Gute zu bitten, in Übereinstimmung mit Xenophon, Mem. I, 3. 2;
eben diesem haben nach dem Zeugnis des Athen, p. 506 c einige geradezu
den Dialog zugeschrieben.
^Jmiiag f.isiXcov schildert gleichsam als Ergänzung des Protagoras
mit vieler Feinheit und mit dankenswerter Sachkenntnis das aufgeblasene
Wesen der Sophisten. Ähnlich aber wie im ersten Alkibiades, thut Sokrates
in diesem Dialoge dar, dass es nicht angehe, über schöne Einrichtungen
{zd xaXa) viele Reden zu halten, wenn man nicht zuvor darüber mit sich
ins klare gekommen sei, was das Schöne ist. Ist der Dialog unecht,^) so
muss man jedenfalls zugeben, dass sein Verfasser sich gut in den Geist
und die Methode der platonischen Sokratik hineingearbeitet hat.
'iTTTvaQxog interessiert uns zumeist durch die Nachrichten über die
litterarische Thätigkeit des Peisistratiden Hipparchos. Der Hipparch unseres
Gesprächs wird von Sokrates über das Wesen des (fiXoxsgSrjg examiniert,
wobei die griesgrämige Schulmeistermanier des Sokrates himmelweit von
der feinen Ironie des platonischen Sokrates abweicht.
Mev£^8vog knüpft an die Beratung der Ratsversammlung über die
Wahl eines Redners zu Ehren der im Krieg Gefallenen an, wobei Sokrates
nach kurzem dialogischen Vorspiel, dem ein ebenso kurzes Nachspiel ent-
spricht, sich dazu hergibt, das Muster einer solchen Grabrede, welche er
von der Aspasia gehört haben will, zum Besten zu geben. Mit kecken
Anachronismen werden darin Dinge berührt, die längst nach Aspasias Tod
vorgefallen sind und der unmittelbaren Gegenwart angehören. Aus diesen
Anachronismen erhellt, dass die Rede nach dem korinthischen Kriegt) ge-
schrieben ist. Aristoteles kennt dieselbe bereits und bezieht sich zweimal
auf sie (Rhet. I, 9 und III, 4), aber ohne den Verfasser zu nennen.
^) Wkxvojv steht unter Lukians Werken;
nach Athen. 50G c schrieben ihn andere dem
Akademiker Leon zu.
2) Zu vergleichen ist Xenoph. Conv. 8, 5.
^) Schauerliche Hiaten, wie p. 105 a
xra et «ü ool e'i nov 6 aviög. Madvig, Ad-
vers, crit. I, 402 Anm. verwirft den Dialog,
zugleich aber auch den Charmides, Lysis
und Laches.
4) Die Echtheit verteidigt C. Fr. Her-
mann. Plat. Phil. 487 ff.
^) Men. 345 e.
392
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Dionysios erkennt sie als echt an und stützt sich in der Schrift über die
Redegewalt des Demosthenes c. 24—32 hauptsächlich auf sie, um die
Inferiorität des Piaton gegenüber Demosthenes darzuthun. Schwerlich aber
hat Piaton auch nur im Scherz es unternommen, dem Lysias und den
Rhetoren seiner Zeit ein Musterstück und dazu eines von so zweifelhaftem
Werte entgegenzustellen. 9
Die 'EQaazat' haben den Namen von den Geliebten zweier Knaben,
mit denen Sokrates in der Schule des Grammatikers Dionysios das Thema,
dass Philosophie und Viel wissen zwei ganz verschiedene Dinge seien, mit
entlehnten Phrasen bespricht. 2)
KXsiTocfMv schliesst sich an die Politeia an, passt aber eher in den
Mund eines Gegners der platonischen Staatslehre als des Piaton selbst.^)
'Enivoixig soll als Schlussstein der Gesetze die Erziehung zur Weis-
heit enthalten; aber der pythagoreische Zahlenmystizismus und die un-
platonische Sprache lassen über die Unechtheit keinen Zweifel. Einige
schrieben nach Suidas die Schrift dem Philippos, dem Herausgeber der
Gesetze, zu.^)
Ml vo)g, ein geschmackloser, eher eines Grammatikers als eines Philo-
sophen würdiger Dialog, wurde mit Nomoi und Epinomis zu einer Trilogie
zusammengefasst. Den Namen hat er von Minos, der als Gesetzgeber in
die fade Untersuchung über das Wesen des Gesetzes hereingezogen wird.
Entstanden ist der Dialog erst nach dem Tode des Philosophen um 339.^)
Briefe sind uns unter Piatons Namen 13 erhalten, oder vielmehr 12,
da der erste nicht von Piaton, sondern von seinem Freunde Dion an den
König Dionysios gerichtet ist. Die Sammlung ist aus verschiedenen Bestand-
teilen zusammengeflossen, wie man schon daraus sieht, dass der 13. Brief,
wiewohl er an Dionysios gerichtet ist, nicht bei den übrigen auf sikilische
Verhältnisse bezüglichen Briefen (1 — 8) steht. Die meisten und längsten
der Briefe betrefl'en die Beziehungen Piatons zu den Machthabern Sikiliens
und dienten den Parteiinteressen der Anhänger Dions; aber gerade diese
sind trotz der vielen Detailangaben entschieden unecht. Die im 2. und
7. Brief (p. 312d und 341 f) ausgesprochene Anschauung, dass Piaton seine
Lehren über die letzten Dinge nicht durch die Schrift veröffentlicht, son-
dern für enge Kreise von Eingeweihten zur bloss mündlichen Darlegung
vorbehalten habe, ist aus jener Geheimniskrämerei hervorgegangen, die
erst nach Piatons Tod mit dessen Lehre getrieben wurde. Die Stelle im
8. Brief p. 353 e von dem drohenden Untergang der hellenischen Zunge
durch die Herrschaft der Punier und 0 piker klingt wie ein augurmm ex
eventu aus der Zeit nach dem Pyrrhuskriege (280). Aber deshalb brauchen noch
nicht alle Briefe unecht zu sein; die Echtheit des für Piatons Charakter
^j Für die Echtheit spricht sich aus
Blass, Att. Bereds. II, 431 ff., und Diels,
Das 3. Buch der arist. Rhetorik 21 ff.; von
einem flüchtig hingeworfenen Scherz Piatons
spricht Bergk, Gr. Litt. IV, 460. Einen
Dialog Aspasia schrieb Aischines.
'-^j In Plat. Stud. 5G f. wies ich nach,
dass nach einer Stelle unseres Dialoges p.
135 e der Grammatiker Aristophanes von By-
zanz den Beinamen niutad^'kov erhielt.
^) KuNERT, Quae inter Glitoplwntem et
Plat. Rempuhlicam intercedat ratio, Gryph.
1881.
4) Zeller, Phil. d. Griech. II 3, 891 ff.
^) BoECKH, Comm. in Flatonis Minoem,
Halis 1806; Usener, Organisation der wiss.
Arbeit, Preuss. Jahrb. 53, 20.
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 290.)
393
und Lehre hochwichtigen 13. Briefes habe ich Plat. Stud. 25 ff. nach-
zuweisen gesucht; doch scheinen auch in diesen unechte Zusätze, wie über
das Merkmal ernst gemeinter und konventioneller Briefe (p. 363 b), ein-
geschoben zu sein.
290. Der Gesamtcharakter und die Lehre Piatons.') Wenn wir
statt die Lehre Piatons im allgemeinen darzulegen, so lange bei den ein-
zelnen Schriften verweilten, so hat dieses seinen nächsten Grund in der
speziellen Aufgabe einer Litteraturgeschichte, die sich mit der einer Ge-
schichte der Philosophie nicht vollständig deckt. Aber auch das Wesen
der platonischen Philosophie und die Eigentümlichkeit seiner Schriftstellerei
erheischt mehr ein eingehendes, liebevolles Hineinleben in seine einzelnen
Schriften, als eine zusammenfassende Darlegung seines philosophischen
Systems. Piaton lebte noch in der glücklichen Zeit der kleinen Bücher
und hatte, wenn er durch einen äusseren Umstand veranlasst oder durch
momentane Schaffenslust getrieben, bald seinen teueren Lehrer gegen un-
gerechte Angriffe in Schutz nahm, bald die Waffen der Polemik gegen die
Aufgeblasenheit der Sophisten oder die Streitsucht der Eristiker kehrte,
bald herz- und geisterhebende Scenen eines athenischen Gastmahls vor-
führte, nicht immer zugleich den Plan eines grossen, nach und nach im
einzelnen auszubauenden philosophischen Systems vor Augen. Er war
ausserdem nicht gleich im Anfang seines schriftstellerischen Auftretens mit
seiner philosophischen Lebens- und Weltauffassung bereits fertig ; er em-
pfing nicht bloss im Laufe der Zeit neue Anregungen von aussen, von den
Megarikern, Eleaten, Pythagoreern, er stiess auch vielfach erst im Aus-
arbeiten seines Systems auf Schwierigkeiten, die er nicht vorausgesehen
hatte und die ihn zur Modifikation und Ergänzung seiner früheren Auf-
fassungen nötigten. 2) Sicher liegt der Glanzpunkt Piatons in der Kunst seiner
einzelnen Dialoge, nicht in dem Ganzen seines Systemes, das schon dem
Aristoteles viele und bedenkliche Angriffspunkte darbot. '') Aber selbst-
verständlich gehört zur vollen Würdigung Piatons auch dieser Punkt.
Piaton also ist gleich im Anfang ausgegangen und immer wieder
zurückgekehrt zum Unterschied der zwei Welten, der Welt der im ewigen
Fluss begriffenen, sinnlichen Erscheinungen und der Welt der ewig sich
gleich bleibenden, allein wahrhaft seienden Ideen (ei'Si] oder iSsai). Der
Unterschied hat sich ihm aus der Methode seines Lehrers Sokrates und
aus erkenntnistheoretischen Untersuchungen ergeben: ein Wissen (s7TiaTrj!.irj)
gibt es nur von dem stets sich gleich Bleibenden, dem Wesenhaften der
') Über das System Piatons handeln
Tennemann, System der plat. Philosophie,
1792, 4 Bde.; Heusde, Initia philosophiae
Platonicae, Utrecht 1827, 5 Bde.; Ribbing,
1 Genetische Darlegung der plat. Ideenlehre,
1868, 2 Bde.; Peipers, Ontologia Platonica
1883, 2 Bde.
^) Tim. p. 48 e: r« ^ey yccQ dvo Ixavd
i r]v ETIL ToTg efxriQoad^Ey Xs/x^sTaiu, eV f/ey ojg
nccQa&Eiy/uarog Eidog vtiotex^ei^, vorjröv xal
UEL Xttl xatd ravzd 6V, fxifX7]fxa ds ttccqcc-
dEiyfiaTog, dEvrsQoi/ yEVEGip e^op xccl oQaiov '
TQuof ds rotE fXEP ov diEiXofXEdcc vofxiacivTEg
rci dvo e'^elv Ixaywg, pvv ds 6 Xoyog eoixev
Eiaavayxd^Etv ^^uXettov xal dfxvdgov Eidog
ini/EiQEiy Xoyoig E^cpavloai. Was hier Pia-
ton von dem vorderen Teil des Dialogs sagt,
gilt zugleich von der früheren Periode seines
Lebens.
^) Namentlich in Met. A 9 u. M, N.
Aristoteles geht in seiner Polemik allerdings
von der späteren, nicht schriftlich nieder-
gelegten Lehre Piatons aus, aber viele der
Angriffe treffen auch die Gestalt der Ideen-
lehre, wie sie uns in den erhaltenen Dialogen
vorliegt.
394
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
Dinge; die Sinneswahrnehmungen oder die Eindrücke, welche die veränder-
liche Welt der Erscheinungen auf uns übt, führen nur zu einem Meinen
{66'^a), keinem Wissen [iniaTrjixi]). Dass der Begriff (oqoc) eines Dinges
verschieden sei von den einzelnen Erscheinungen des Dinges, hatte bereits
Sokrates richtig erfasst, Piaton ging aber darin über seinen Lehrer hinaus,
dass er diesen Begriffen oder Formen (sl'Stj) der Dinge ein Sein für sich,
neben und über der sichtbaren Welt gab (Transcendenz). i) Ausgebildet
liegt dieses Zweiweltensystem bereits im Phaidros vor; hier wird auch
bereits das Verhältnis beider dahin bestimmt, dass die Dinge dieser Welt
nur Abbilder (el'Scola) der Ideen sind, was leicht zu dem weiteren Satze
hinüberleitete, dass dieselben überhaupt nur insofern sind, als sie an der
Idee teilhaben/^) Die Mängel der Lehre traten erst zutag. als Piaton die-
selbe zu einem System zu erweitern und aus jenen Grundbegriffen die ganze
Welt zu konstruieren versuchte. Schon das Hinausgehen über die Sphäre
des Ethischen, in der zuerst solche allgemeine Begriffe gewonnen worden
waren, führte zu Schwierigkeiten und nötigte Piaton das paradoxe Zu-
geständnis ab, dass neben den einzelnen Menschen ein Idealmensch {amo-
civ^QMTTog) und neben den einzelnen Tischen ein Idealtisch {avTOTQdrrs^a)
existiere. Weitere Schwierigkeiten machte der Begriff des Guten und
Einen, da doch eigentlich das ctvToayaO^öv und amo sv nur die Bedeutung
einer von vielen Ideen hatte, von Piaton aber zur Geltung des obersten
Prinzips oder Gottes, an dem wieder alle Ideen teil hätten, erhoben wurde. ^)
Vollends bei der Weltschöpfung gerät unser Philosoph auf den doppelten
Abweg, einmal den Schöpfer sich ganz in der Art der anthropomorphen
Religion des Altertums als einen nach einem Vorbild schaffenden Menschen
vorzustellen, und dann denselben, damit er überhaupt aus dem unendlichen
Raum, dem grossen Knetstoffe {ixiiayeTov), etwas formen könne, mehr mit
Zahlen und geometrischen Figuren, als mit begrifflichen Ideen operieren
zu lassen.
Entschieden glücklicher war Piaton mit seiner Ideenlehre auf dem
Gebiet der Ethik und Politik; hier blieb er eben mit den Ideen in dem
Kreise, aus dem dieselben hervorgegangen waren. Wenn er die Unsterb-
lichkeit der menschlichen Seele begründet und in der aufleuchtenden Er-
kenntnis einer Wahrheit nur ein Rückerinnern an ein früheres Leben sieht,
^) Arit. Met. A 6: ex veov ovvt]%^r]g ys-
vofxsvog (sc. nXciTMv) nQMTOP Kgarvlit) xal
rc(?g HQCixXeireioig do^mg, log dndpxMv xmp
aiad7]r(0P del ^soptcou xccl iniatTJ^t^g tisqI
ccvTwy ovx ovarig. xavxa fih' xal vaxsQov
ovxoig vTii'kccßev ' ZdiXQÜxovg de tisqI fxev rcc
tjx^ixd TTQayfxaxstwfxevov, ttsql de xrjg (fvaeiog
ot'cffV. eV fXEPXOi xovxoig t6 xa&oXov l^rjxovpxog
X(d ns()l oQiajUMP sniax accvxog tiqujxov xrjv
(^idvoiav, ixsTvop dno&e^dfisyog dtdxo roiovxov
vni'Außsv w? neQl txeQ(x)P xovxo yiypofxevov
xcd ov XMv (ciaür]X(oy ' dSvvaxov ydq elvai
TOP xoipop oQOP x(op ccla&rjxMP xipog. dsl ye
fA€Xußc<kX6px(OP . ovx(og fxep ovp xd xoiavxa
xwp övriop idiag TiQoarjyoQEDGS, xd cT' aia^rjxd
nuQd xavxa xal xaxd xavxa keysaf^ai ndpxa.
2) Plat. Phaed. p. 100 c: cpaipexat ydg
fxoi, si XL iaxip dXXo xakop Tihjp atho xd
xaXop, ovds dt' ep dXko xaXop eipai tj dioxi
f^exs/sL ixsLPov xov xaXov. Dagegen Aristot.
Met. A 9 p. 991^ 9 ff.
^) PJat. Phaed, p. 97c: ^Jpa'iayogov li-
yopxog Mg dga povg iaxiP 6 diaxocffxojp t£
xal idpxiop acxiog, xavxrj dtj xfj aixia ijoS^tjp
x£ xal edoSe juoi xqötiop xipd ev s/etp x6 xop
povp €ipai ndpxwp aXxiop, xal ijyrjadfiTjp, et
xovxh' ovxwg e/si, xop ys povp xoo^uovpxa
ndpxa xoOfXETp xal exaaxop xi&EPai xai'Xrj
071 n dp ßsXxiffxa £/r] xxX. Rep. VI p. 509 b:
ovx ovolag opxog xov dyaS^oxi, dW sxt ene-
xsipa xrjg ovaiag TiQeaßeia xal dvpdfjei vne-
QE/oixog.
fl
4. Die Philosophen, c. Piaton. (§ 291.)
395
wenn er den irdischen Leib (ö'w/ta) als ein Verliess (afjiJia) fasst, in das
hienieden die unsterbliche Seele gebannt sei, wenn er die im Kopfe sitzende
Weisheit {XoyiaTixov) als herrschende Macht den zwei anderen, mit dem
Körper enger verbundenen Teilen der Seele, dem ^vf,io€i6tg und srti^viJirj-
Ttxov, gegenüberstellt, wenn er endlich den Weisen auch im Staate zur
Herrschaft über die Krämer und Bauern berufen erklärt, so stützt er sich
hier überall auf jene Grundanschauung von der alles Sinnliche überstrahlenden
Hoheit der Ideen. Manche werden freilich auch diese Sätze nicht gelten
lassen, und dass die rauhe Wirklichkeit den Praktiker nötige, die Forde-
rungen der reinen Idee herabzustimmen, hat ja Piaton selbst in seinen
Gesetzen zugegeben. Auch wird der strenge Denker ebenso in dem die
Ethik, wie in dem die Physik betreffenden Teile der Schriften Piatons
daran Anstoss nehmen, dass der Philosoph da, wo der dialektische Beweis
versagt, zu dem Mythus seine Zuflucht nimmt. ^) Aber immerhin bleibt
der Idealismus Piatons der leuchtende Stern in dem Streben und Hoff'en
der Menschheit, und bleiben seine W^erke die glänzendsten Erzeugnisse des
hellenischen Geistes, in denen Tiefe der Gedanken mit farbenreicher Schön-
heit der Sprache in glücklichster Weise gepaart ist.
291. Für die Fortpflanzung der Lehre und die Erhaltung der Werke
Piatons sorgte vor allem die von ihm gestiftete Akademie, die sich unter
verschiedenen Wandlungen bis zum Ende des Altertums erhielt. 2) Nächster
Nachfolger Piatons war sein Neff'e Speusippos (347 — 339), der die Ideen-
lehre seines Lehrers mit der Zahlenlehre der Pythagoreer verquickte und,
indem er das Eins und die Zweiheit als die Anfänge {dgxcci) der Zahlen
und damit alles Seienden hinstellte, das Gute zum Ziel und Schlussstein
{vsXog) des Ganzen machte. Ähnliche Pfade wandelte dessen Nachfolger
Xenokrates aus Chalkedon (339 — 314), der zuerst die 3 Teile der Philo-
sophie, Dialektik, Physik, Ethik, unterschieden haben soll und 3 Stufen des
Seins, die Welt der Sinne {alad^rjTrj ovaia), die des Geistes (votjttj) und die
des Himmels oder der Gestirne (// öo'^aazri xal avvd^sxog Tj amov tov ovqavov)
aufstellte.^) Die Reihe der alten Akademiker beschliessen Polemon,
Krates, Krantor, die sich wieder mehr der praktischen Tugendlehre zu-
wandten und von denen sich namentlich der letzte, Krantor, durch sein
Erbauungsbuch über den Schmerz {neQi nsv^ovg) einen grossen Namen
machte. 4)
') Solche Mythen sind der von Prome-
theus und Epimctheus (Protag. 320 c ff.), von
der Beflügelung der Seele (Phaedr. 24Ga ff.),
von der Teilung des Urmenschen in Mann
und Weib (Symp. 189d ff.), von der Er-
I Zeugung des Eros (Symp. 203 a ff.), von den
1 Erlebnissen des Armeniers Er im Jenseits
I (Rep. 614b ff.), von den wechselnden Welt-
: Perioden und dem goldenen Zeitalter (Politic.
1 269c ff, Leg. 713b ff.), von den Atlantiden
' (Tim. 21a u. Kritias), von der Schöpfung der
lebenden Wesen (Tim. 41a ff.). Eine ähn-
I liehe Bedeutung hat die schöne Allegorie
I von der Höhle, in welcher die Menschen
I nach rückwärts gewandt sitzend nur die
Schattenbilder der Vorübergehenden sehen
(Rep. 514), oder der Vergleich des Guten
mit der Sonne, durch deren erleuchtende
und schaffende Kraft die Dinge zugleich er-
kannt und belebt werden (Rep. 509b).
'^) Man unterschied die ältere, mittlere
und neuere Akademie und die theologische
Richtung der Neuplatoniker. Auch ward zur
Zeit des Wiederauflebens der platonischen
Studien in der Renaissance gleich wieder
eine neue Akademie zu Florenz unter der
Leitung des berühmten Übersetzers Piatons,
Marsiglio Ficino, gegründet.
^) Sext, Empir. adv. math. Vll, 15 u
147 " ' ' ' ' '
bei Diog. IV, 11—14.
•*) Das Buch ward später von Cicero in
Die einzelnen Schriften sind aufgezählt
396
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
In der Akademie wurde aiicli das Studium und die Kommentierung
der Werke Piatons sorgfältig gepflegt. Während aber die ältere Zeit
sich auf Schriften über sein Leben und seine Werke beschränkte,^) begann
mit der römischen Kaiserzeit die fruchtbare Periode der Kommentare. Zu-
nächst beschäftigte man sich mit der Erklärung einzelner dunkler Stellen
(kt'^sig), deren es ja in Piatons Schriften, namentlich im Timaios, genug
gab; dann folgten Zusammenstellungen dunkler, später aus dem Sprach-
gebrauch verschwundener Wörter (yAo^o'ö'at), zusammenhängende Erläute-
rungen {imoixvriixaTo) und Einleitungen {slaayMyai), die sich namentlich gegen
Ende des Altertums in den Schulen der Neuplatoniker häuften.
Spezialwörterbücher verfassten Harpokration, Zeitgenosse Cäsars, der nach Suidas
AiHis IlhcTiDvog in 2 B. schrieb; Didymos Areios unter Kaiser Augustus, aus dessen
Schrift nsQi tmu dnoQovfisroDv ticcqk nXchcoyi Xe^scjy Miller, Melanges de litt, grecque
p. 399 — 406 dürftige Exzerpte mitgeteilt hat; Boethos (2. Jahrh.), dessen IvvayMyrj Xe^eiav
n'Acaayvixoiv Photios Cod. 154 erwähnt und in seinem Lexikon fleissig benützt hat; Theon
Smyrnäus aus der gleichen Zeit, dessen Schrift tisqI toov xard t6 fxaf^rj^ariTiou /Qr^al/ucov
€ig TTjt/ TlX(xt(x)vog dyayyioou^ HiLLER in Bibl. Teubn. herausgegeben hat; endlich Timaios
(3. Jahrh.), von dem uns ein kompendiarisches Glossar, tisql tiou Tiagd Wkdroivi Xs^eeov
xciid aroi/stoi' erhalten ist. — Altere Kommentare, die uns nicht mehr erhalten sind, ver-
fassten Potamon (vor Augustus, nach Suidas) zur Politeia, Calvisius Taurus (2. Jahrh.)
zu Gorgias (s. Gellius VII, 14,5), Severus und Atticus (s. Mullach FPG. III, 175-205),
Plutarch tisql rijg ev Ttfucdo) \pv/oyoyiag, und Galen zu Timaios. Im 4. und 5. Jahrh. waren
die Hauptkommentatoren: Hermeias, Schüler des Syrian, dessen weitschweifigen Kommentar
zum Phaidros Ast, Lips. 1810 herausgegeben hat; Proklos, von dessen Kommentaren zu Alki-
biades, Kratylos, Parmenides, Politeia (Comment. in i^mp. ed. R. Scholl, Berl. 1886, eine neue
Ausg. nach Cod. Vatic. 2197 von Pitka, in Spicil. Solesm. t. V, dazu Supplementa ad Prodi
comment. in Plat. de rep. Uhr. von Ric. Reitzenstein, Bresl. phil. Abh, 4. Bd.), Timaios wir
Kenntnis haben; Olymp iodoros, der ausser einer Lebensbeschreibung Kommentare zu Alki-
biades, Gorgias, Phaidon, Philebos verfasste, welche uns zum Teil, aber in der rohen Gestalt von
Kollegiennachschriften vorliegen; Albinos (irrig Alkinoos) dessen Eiaaycoyrj und Aoyog
öidaGxcchxdg tmv UldxMvog doy^drcoy auf uns gekommen sind. Ausserdem hören wir von
Kommentarendes Longinos zu Phaidon; des Porphyrios zum Sophistes ; des Syrianos
zu Phaidon, Politeia, Nomoi; des Damaskios zu Alkibiades.
Unsere Scholien, welche aus den Randbemerkungen der Piatonhandschriften allmählich
von Siebenkees, Ruhnken, Gaisford zusammengetragen wurden und zu Gorgias und Ti-
maios am umfangreichsten sind, enthalten Exzerpte aus philosophischen Kommentaren,
grammatische Glossen aus Lexicis, darunter auch aus Diogenian, Erläuterungen aus Sprich-
wörtersammlungen und geographischen Verzeichnissen ; vgl. Mettauer, De Plat. scholiorum,
fontibus, Zürich 1880; Naber, Prolog, in Phot. lex. I, 54 ff. u. 113 ff. ; Cohn, Unters, über
die Quellen der Platoscholien, in Jahrb. f. Phil. Suppl. XIII, 771 ff. Im Mittelalter ist bei
den Griechen in Byzanz das Studium des Piaton bis auf Psellos brach gelegen; im Abend-
land studierte man fleissig den Timäus, aber nach der unvollständigen Übersetzung und
Erklärung des Chalcidius aus dem 5. Jahrh. (ed. Wrobel, 1876). Bei den Arabern
blühten am meisten im Mittelalter die Piatonstudien neben denen des Aristoteles; aus
ihnen sind zahlreiche Übersetzungen und Kommentare zu den Hauptdialogen hervorgegangen,
wie zur Republik von Averroes.
Die Codices gehen auf eine Ausgabe der römischen Kaiserzeit zurück, in der die
Ordnung der Dialoge nach Thrasylos befolgt war; die besten sind: Clark ianus (B) ge-
schrieben 896, ehedem auf der Insel Patmos, jetzt in Bibl. Bodleiana; derselbe enthält nur
die 6 ersten Tetralogien (s. Schanz, Novae comment. 105 ff.); Parisinus 1807 {Ä) s. X,
enthält die 2 letzten Tetralogien; Venetus s. XII, Hauptvertreter der 2. Familie in den
6 ersten Tetralogien. Die Beschränkung des kritischen Apparates auf diese 3 Codd. führte
Schanz auf Grund neuer Vergleichungen durch, während Bekker noch eine zehnfach
grössere Anzahl von Codd. herangezogen hatte, und auch jetzt noch andere Gelehrte, wie
Jobdan, Wohlrab, Kral, die Heranziehung von mehreren Codd. zur Feststellung der Textes-
überlieferung für nötig halten.
der Schrift Consolatio und von Ps. Plutarch
in seiner Trostrede benützt.
') Über Speusippos Lobrede auf Pia-
ton, über Hermodoros Nachrichten vom
Leben und den Schriften seines Lehrers,
sowie über die Ordnung der Werke Piatons
durch Aristophanes von Byzanz, siehe oben
S. 366 An. 4 und Ueberweg V, 178 ff.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 292.)
397
Ausgaben: ed. princ. ap. Aldum 1513; ed. Stephan us 1578 fol. mit Seitenabtei-
lungen, nach denen gewöhnlich citiert wird; mit kritischem Apparat von Imm. Bekker, London
1826, 11 tom.; von Baiter Orelli Winckelmann, Turici 1842, 2 part. in 4^; von Schanz,
Lips. ed. maior et min., noch nicht vollendet mit grundlegendem krit. Apparat; mit lat. Kom-
mentar in Bibl. Goth. von Stallbaum, 10 vol., neubearbeitet von Wohlrab; Textausg. mit
Scholien in Bibl. Teubn. von C. Fr. Hermann-Wohlrab. — Dialogi sei. ed. Heindorf-Butt-
mann, Berl. 1827. — Ausgewählte Dialoge mit deutschem Kommentar von Deuschle-Cron-
Wohlrab bei Teubner; von Sauppe (Protagoras) und Schmelzer bei Weidmann; von Schanz
bei Tauchnitz. — Einzelausgaben: De civitate reo. et annot. Chr. Schneider, Lips. 1833,
3 vol. — Sympos. in usuni scliol. ed. 0. Jahn, ed. JI cur. Usener 1875 mit kritischem
Apparat und Scholien; von Hug mit erklärenden Anm., 2. Aufl., Leipz. 1884; von Rettig,
Balis 1875. — Martin, Etudes sur le Timee, Par, 1841, 2 Bde.; Archer-Hind, The Ti-
maeus of Plato, London 1887. — Phaedrus cuyn scJiolüs Hermiae ed. Ast, Lips. 1810. —
Phaedo explan. Wyttenbach, Lips. 1825.
Hilfsmittel s. S. 366 An. 4; 371 An. 3; 374 An. 1; 393 An. 1. — Lat. Übersetzung
von Ficinus, Flor. 1483. — Übers, mit epochemachenden Einleitungen von Schleiermacher,
3. Aufl. 1861. — Übers, von Hier. Müller, mit guten Einleitungen und mit dem Leben
Piatons von Steinhart, Leipz. 1859, — Lex. Platonicum von Ast, Lips. 1838, 3 vol. —
Teuffel, Übersicht der plat. Litteratur 1874.
d. Aristoteles (384— 322). i)
292. Aristoteles ward 384 zu Stageira, einem Städtchen der thraki-
schen Chalkidike, geboren. Sein Vater Nikomachos war Leibarzt des make-
donischen Königs Amyntas IL; von ihm hat der Sohn die Liebe zur Natur-
forschung geerbt, 2) durch ihn ward derselbe auch in Beziehungen zum makedoni-
schen Königshause gebracht. Seine Ausbildung erhielt er in Athen, wo er
im Umgang mit Piaton 20 Jahre bis zu dessen Tod weilte (367 — 347).
Er hörte also den Piaton in der letzten Phase seiner philosophischen Ent-
wicklung, wo er den Timaios und die Nomoi schrieb und bereits zur
mystischen Zahlenlehre der Pythagoreer hinneigte. Es ist das wichtig zur
Deutung der uns vielfach befremdenden, von den erhaltenen Schriften Pia-
tons abweichenden Darstellung der platonischen Lehre durch Aristoteles,
wichtig auch, um den geringen Grad der Anziehungskraft zu begreifen, den
der alternde Piaton auf den jungen Aristoteles übte. Der Gegensatz der
beiden Naturen, des schwärmerischen Idealismus des einen und des nüch-
ternen Realismus des andern, trat später un verhüllter hervor; doch zeigte
auch dann noch der Jünger eine gewisse Scheu, gegen den Meister zu
polemisieren, wie er das Eth. Nie. I, 4 mit den berühmten Worten ausdrückt:
af^KfoTv (i. e. dhjO^£iag xal IlXdicovog) ovtoiv (fiXoiv oaiov TiQonjiäv ti]v
dh'jd^eiav.^) In jüngeren Jahren, wo er seinen Gefühlen noch freien Lauf
in poetischen Ergüssen Hess, hat er selbst voll schwärmerischer Bewun-
^) Diog. V, 1 — 35, der aus Hermippos Buch
tisqI 'jQiazoieXovg, Demetrios Magiies tteqI
öfxo}vvf.ioiv, und Apollodors Chronik schöpfte.
Vita Menagiana (mit deren erstem Teile der
Artikel des Suidas stimmt) und Vita Mar-
ciana, beide kritisch berichtigt bei Flach,
Hesych. Mil. p. 245 — 255; mit der letzteren,
die wahrscheinlich von Olympiodor herrührt,
.stimmt wesentlich überein die Vita Aristot.
von Ps. Ammonios; Dionys. Halic. ep. ad
I Amm. I, 5. — Neuere Darstellungen: Buhle,
Vita Arist. per annos digesta, im 1. Band
jder Bipontiner Ausg.; Stahr, Aristotelia,
'Halle 1830-2, 2 Bde.; Lewes, Aristotle,
London 1864, ins Deiitsche übersetzt von
Carus, Leipz. 1865; Grote, Aristotle (post-
humes und unvollendetes Werk), II ed.
Lond. 1880.
2) Oncken, Staatslehre des Arist. I, 3 ff.
^) Spätere stellten in erdichteten Anek-
doten das Verhältnis schlimmer dar, wie
dass Piaton den Arist. mit einem Füllen ver-
glichen habe, das gegen seine Mutter aus-
schlage (Diog. V, 2). Aristoteles selbst be-
zeichnet sich noch häufig in der Metaphysik
durch den Plural "keyofxsv als Glied der pla-
tonischen P'amilie.
398
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
derung in einer Elegie an Eudemos des Mannes gedacht, den selbst zu
loben den Schlechten nicht zukomme {dvdQog ov ovo' alvelv zolat xaxoTai
^€\iug).^) Übrigens war er nicht jene 20 Jahre hindurch nur Schüler und
Hörer des Piaton; in der Akademie arbeiteten die jüngeren Genossen neben
dem Meister an freigewählten Problemen und hielten neben dem Schulhaupt
auch selbst in engeren Kreisen von Schülern Vorlesungen. So scheint Ari-
stoteles schon in jener Zeit Vorträge, 2) und zwar speziell über Rhetorik ge-
halten zu haben. Zum Schüler hatte er unter andern den jüngeren Theodektes,
dessen Namen seine erste Schrift über Rhetorik trug.^) Bei Errichtung
dieses Kursus über Rhetorik wird er wohl in Gegensatz zu Isokrates ge-
treten sein; ob er dabei auch den Vers gesprochen cclaxqov (fiMTiav, ^lao-
xQccTrj 6'iäv Isysiv"^) lassen wir dahingestellt sein. Schlecht stimmt dazu
die Anerkennung, die er dem Isokrates in seiner Rhetorik dadurch erweist,
dass er mit ausgesprochener Vorliebe aus dessen Reden Beispiele wählt. ^)
Übrigens behandelte er nicht bloss die Theorie der Beredsamkeit, sondern
bildete sich auch selbst zu einem Redner von überzeugender Klarheit aus,
wie Antipater bei Plutarch, Ale. et Coriol. comp. 3 bezeugt.
293. Nach dem Tode Piatons (347) verlebte Aristoteles zuerst einige
Jahre bei seinem Freunde Hermeias, Herrscher von Atarneus und Assos
in Mysien, den er schon bei Piaton kennen gelernt hatte ^) und dem er
bis zu dessen gewaltsamen Tode in warmer Liebe anhing. Seinem An-
denken widmete er eine Statue in Delphi') und ein weihevolles Skolion,
das uns zum Teil noch erhalten ist. Auch nahm er dessen Nichte und
Adoptivtochter Pythias zur Frau, neben oder nach der er noch mit einer
gewissen Herpyllis zusammenlebte, aus welcher Verbindung ihm ein Sohn
Nikomachos erwuchs. Im Jahre 342 folgte er, nachdem er inzwischen
(344—2) noch einige Zeit in Athen zugebracht hatte, ^) einer Einladung
des Königs Philippos ^) zur Übernahme der Erziehung seines Sohnes Ale-
xander, die er 3 Jahre lang leitete, gewiss nicht ohne in seinem königlichen
Zögling die hochstrebenden, durch die Lektüre Homers genährten Gedanken
zu wecken, welche derselbe später in Thaten umsetzte. Auch für seine
Heimat verwandte er seinen Einfluss bei dem königlichen Zögling, indem
er den Wiederaufbau der von Philipp zerstörten Stadt Stageira erwirkte.
Nach dem Regierungsantritt Alexanders siedelte er 33.5 wieder nach Athen
^) Die Elegie wird angeführt von Olym-
piodor zu Plat, Gorg. 160, und von ihm
ebenso wie vom Verfasser der Vita Marciana
auf Piaton bezogen, der freilich nicht ge-
nannt ist. Bernays, Ges. Abh. I, 141 ff.
denkt an Sokrates.
'') Von Vorträgen des Aristoteles wäh-
rend der Abwesenheit Piatons in Sikilieu
spricht Aristokles bei Euseb. Praep. ev. XV, 2.
^) Arist. Khet. III, 9: cd tf' ccQ/cd tmv
nsQiödioy g/e66v iy roTg Osotfexieloig i^i]Qi&-
^rjvzai. Vielleicht hatte Theodektes die Vor-
träge des Aristoteles veröffentlicht.
*) Diog. V, 3; darin 'laoxQdrf] gebessert
statt des überlieferten SeyoxQcin] nach Cic.
de or. III, 35. 141 und Quint. III, 1. 14.
^) Gegen Isokr. de antid. 83 ist ge-
richtet Arist. Eth. Nie. X, 10, p. 1181a, 15,
wie Spengel herausgefunden hat; umgekehrt
scheint Isoer. Panath. 17 gegen Aristoteles
zu polemisieren; s. Reinhardt, De Isocrati'i
aenmlis p. 40 ff. Bergk u. Susemihl setzen
die rhetorischen Vorträge des Aristot. in die
Zeit seines zweiten Aufenthaltes in Athen
in den Jahren 344—2.
^) An Hermeias ist der 6. Brief Piatons
gerichtet.
') Die Inschrift der Statue bei Diog. V, 5.
^) Dieser 2. Aufenthalt, der nicht be-
zeugt ist, wird angenommen von Bergk, Rh.
M. 37, 359 ff.
^) Der unechte Einladungsbrief bei Gel-
lius N. A. IX, 3 u. Plut. Alex. 7.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 293- 294.)
399
über, wo er durch Vorträge in den schattigen Umgängen {nsQinaioi) des
Gymnasiums Lykeion eine eigene Schule, die der Peripatetiker oder der
wandelnden Jünger gründete. Nach Gellius XX, 5 hielt er 2 Arten von
Vorträgen, des Morgens für den engeren Zirkel der vorgerückteren Schüler
(axQoajiiaTixd), des Abends in populärer Form für einen grösseren Kreis
von Wissbegierigen (s^coteQixd). In den letzteren scheint er auch wieder
seine Unterweisungen in der Rhetorik aufgenommen zu haben. Nach dem
Tode Alexanders, mit dem ihn während des asiatischen Feldzugs die Miss-
handlung seines Neffen Kallisthenes zeitweilig entfremdet hatte, ^ ward er
durch die antimakedonische Partei in einen Prozess wegen Gottlosigkeit
verwickelt, 2) dem er sich durch die Flucht nach Chalkis entzog, um, wie
er sagte, den Athenern die Möglichkeit zu benehmen, sich zum zweitenmal
an der Philosophie zu versündigen. Dort in Chalkis starb er bald nachher,
im Spätsommer 322, an einem Magenleiden.^) Sein Testament, zu dessen
Vollstreckung er den Antipater bestimmte, steht bei Diog. V, 11 ; sein auf
der angefügten Tafel reproduziertes Bild, welches die scharfen Züge des
Denkers zeigt, ist uns in einer Statuette der Villa Mattei und in einer
lebensgrossen Statue des Palastes Spada erhalten.'^)
294. Schriften des Aristoteles. Der staunenswerten Vielseitig-
keit und unermüdlichen Arbeitskraft des Aristoteles entspricht die Zahl
und der Umfang seiner Schriften. Es ist von denselben vieles und speziell
von den systematischen Werken nahezu alles auf uns gekommen. Aber
die populären und vorbereitenden Schriften sind fast sämtlich verloren
gegangen. Über die Gesamtwerke geben uns zunächst die Kataloge Auf-
schluss;^) aber diese weichen von einander ab und hängen mit den Schick-
salen der Schriften des Philosophen zusammen. Diogenes V, 22 — 27 gibt
uns ein Verzeichnis von 146 Werken in 445,270 Zeilen ^) und ungefähr
400 Büchern.') Dieses Verzeichnis, dessen Titel erheblich von denen der
Handschriften abweichen,^) enthält vermutlich den Bestand der alexandrini-
^) spätere (Plut. vit Alex. 77, Arrian
7, 27, Pliii. bist. nat. 30, 16) massen dem
Arist. die Schuld einer Vergiftung Alexanders
zu, weshalb der wahnwitzige Tyrann Cara-
calla nach Dion 77, 7 die Werke des Arist.
verbrannte. Von grossen Unterstützungen,
welche Alexander dem Arist. für seine natur-
wissenschaftlichen Bestrebungen zugehen Hess,
wissen Flinius N. H. VIII, 16, Athen. 398 e,
Aelian V. H. IV, 19 zu erzählen.
'^) Zum Vorwand diente der Päan auf
Hermeias, s. Ath. 398 e; Diog. V. 5; Aelian
V. H. IV, 19; Plin. N. H. VIII, 16. 44.
^) Censorinus de die nat. 14, 16; von
einer Selbstvergiftung fabeln Diog. V, 6 u.
Vit. Menag.
^) Die sitzende Statue trägt rückwärts
den nicht ganz lesbaren Namen des Arist. . .;
s. Matz-Duhn, Antike Bildwerke in Rom, I
n. 1174, Das Äussere seiner Gestalt blieb
hinter dem idealisierenden Bild zurück; denn
jin einem Vers der Vit. Menag. heisst er
GfxiXQog cpccXaxQog TQavXog 6 IraysiQirr}g,
myvog TiQoyüatOiq naXXccxccTg Gvv^]^fX£vog.
Vgl. Stahr I, 160 if.
^) Abgedruckt in der akad. Ausg. des
Arist. V p. 1463 ff.
^) Die Zeilenzahl gibt Diogenes oder
gab Hermippos auf Grund stichometrischer
Angaben, wie sie seit der alexandrinischen
Zeit üblich waren und zur Festsetzung des
Honorars der Abschreiber benützt wurden.
') In der Vita Menagiana ist der Nach-
trag, der aus einem anderen Katalog stammt,
ungeschickter Weise mit dem ersten Ver-
zeichnisverschmolzen, sodass nun viele Werke
doppelt, zum Teil mit verschiedener Buchein-
teilung, verzeichnet sind. Die übrigen Ab-
weichungen beruhen zum Teil auf Nachlässig-
keiten der Abschreiber, wie wenn bei Dio-
genes die Metaphysika ganz ausgefallen sind.
^) Der Katalog hat Uohnxrj axQouaig,
wir nohrixci, wir 'Pvaixrj iiXQociOtg, der Ka-
talog ^vaixä. Von der Schrift negl ipv)(ijg
kennt der Katalog nur 1 B,, von der re/^'V
QrjTOQixfj nur 2; das 4. Buch der Metaphysik
führt er gesondert unter dem Titel tteqI rvöy
7J0GC(/(x)g Xeyouet^ioy an.
400
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
sehen Bibliothek auf Grund der Angaben des Litterarhistorikers Hermippos. i)
Ihm steht ein zweites Verzeichnis gegenüber, das weit mehr Bücher (1000
statt 400) umfasst und auf den Peripatetiker Andronikos, der zur Zeit
Ciceros auf Grund eines neuen Handschriftenfundes eine vervollständigte
Ausgabe der Werke des Aristoteles besorgte, 2) zurückzugehen scheint. Von
diesem zweiten Verzeichnis kennen wir aus griechischen Quellen 3) nur die
Gesamtzahl der Bücher; die einzelnen Titel gibt die arabische Übersetzung
der Schrift eines gewissen Ptolemaios über Aristoteles und seine Schriften.*)
Mit dem neuen Handschriftenfund aber hat es folgende Bewandtnis.^) Nach
dem Tode des Theophrast war dessen Bibliothek, welche natürlich auch die
Werke des Aristoteles enthielt, in den Besitz eines gewissen Neleus aus Skepsis
übergegangen. Dessen Erben verbargen die Handschriften aus Furcht vor der
Bibliomanie der Attaliden in einem Gewölbe, wo sie den Motten und dem Moder
preisgegeben blieben. Um 100 v. Chr. entdeckte sie dort ein reicher Bücher-
liebhaber, Apellikon von Teos, und brachte sie nach Athen. Bei der Einnahme
der Stadt durch die Soldaten des Sulla kamen auch die Bücher in die Gewalt
des Siegers, der sie nach Rom verbringen Hess (86 v. Chr.). Dort erkannte der
Grammatiker Tyrannion den Wert der Bibliothek und veranlasste den Peripa-
tetiker Andronikos, sie durch Abschriften zu vervielfältigen und einen Katalog
derselben anzulegen. Mit diesem Handschriftenfund nahm das Studium des
Aristoteles, dessen Schriften nun vollständig und in besserer Ordnung publi-
ziert wurden, ß) einen neuen Aufschwung; ^) auf die neue Ausgabe geht im
wesentlichen auch die Rezension unserer Handschriften zurück.^)
Die Schriften des Aristoteles zerfallen, wenn wir von den poetischen
Kleinigkeiten 9) und den Briefen i*^) absehen, in 3 Kategorien, in Dialoge,
^) Diese Annahme stützt sich darauf,
dass Hermippos ein Buch über Aristoteles
geschiieben hatte, und dass er in einem
IScholion am Schluss der Metaphysik des
Theophrast neben Andronikos als Verfasser
von Katalogen der Schriften des Theophrast
genannt wird.
2) Von Andronikos wird ein Über quin-
itis de indice librorum Aristotelis angeführt
in dem arabischen Katalog unter No. 90.
Porphyr. Vit. Plotini 24: UyifQoyixog 6 IIsqi-
Tiaitjrtxog tu 'AQiaiozsXovg xal 0eo(pQciarov
slg ngay/uaTsiag disiXsu. — Fälschlich dem
Andronikos zugeschrieben ist die Fälschung
'Jv(^Qoi'ixov nsQi xä'isoig 7joi7]toi)p, worüber
CoHN, Phil. Abh. zu Ehren von Hertz S. 130 ff.
^) Vita Marciana 9; David in Arist.
categ. 24 a, 18.
"*) In der akademischen Ausgabe p. 1469
steht die von Steinschneider angefertigte
Rückübersetzung. Der Ptolemäus war nach
den Arabern Philosoph in Rom, vielleicht
eine Person mit dem Ptolemäus Chennus.
^) Strab. p. (308 f.; Plut. Sulla 2(3. Kon-
fundiert sind die Dinge bei Athenaios, der
p. 3 den Ptolemaios Philadelphos, p. 214
den Sulla die aristotelische Bibliothek des
Neleus erwerben lässt.
•*) So kennt das neue Verzeichnis, wie
unsere Handschriften, 3 nicht 2 Bücher der
Rhetorik, 3 nicht 1 B. de anima, 13 nicht
10 B. der Metaphysik, 2 nicht 1 B, der Poetik.
Die Einteilung der Werke in Bücher scheint
nicht von Aristoteles herzurühren : der Philo-
soph selbst würde nicht de an. l. HI und
Polit. 1. VIII an der Stelle begonnen haben,
wo sie in unseren Handschriften und Aus-
gaben beginnen.
^) Daher heisst es von den alexandri-
nischen Katalogen bei Philoponos in Categ.
39 a, 20: sv raTg naXaiaTg ßißXio&rjxcag.
^) Die Rezension unserer Handschriften
ward aber erst am Ende des Altertums an-
gefertigt und enthält einiges erst später
hinzugekommene. Dahin gehören nsQi x6-
G^ov, 71£qI /QMfiäriüy, nsQi &av^aai(au uxov-
^) An Gedichten haben wir ausser einer
Elegie auf Eudemos, einem Skolion auf die
Tugend und daktylischen Resten von Hymnen,
unter Aristoteles Namen eine Peplos betitelte
Sammlung von Epitaphien auf die Helden vor
Troja, die aber nicht von unserem Philo-
sophen herrührt und auch nicht in den Kata-
logen seiner Werke vorkommt. Erwähnt
wird dieselbe zum erstenmal von Porphyrios
bei Eustathios ad Hom. II. p. 285, 24; ins
Lateinische hat dieselbe Ausonius übertragen.
"^') Von Briefen sind uns G erhalten, ge-
druckt bei Herchek, Epist. gr, p. 172 -4 und
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 295.)
401
vorbereitende Sammlungen, systematische Werke. Sie wollen wir nach der
Reihe durchgehen, indem wir gleich im voraus bemerken, dass uns von
den beiden ersten Klassen nur dürftige Bruchstücke erhalten sind.
295. Die Dialoge.^) Die uns erhaltenen Schriften gehören alle der
Kategorie der systematischen Werke des gereiften Alters an. Diesen waren
populäre Schriften, die sich in gewählter Form an einen weiteren Kreis
von Gebildeten wandten, und Sammelschriften, welche das Material für
die Theorie und das System beschafften, vorausgegangen. Die populären
Bücher waren mit den exoterischen {s'^mtsqixoI Xoyoi) verwandt. Aristoteles
verweist selbst einigemal auf dieselben ^) und gebraucht für sie in der Poetik
p. 1454b 18 den Ausdruck er roTg sxSsSoiisvoig Xoyoig. Da in diesen eine
leichtverständliche Beweisform angewendet war, so sprach man auch im
weiteren Sinne von einer exoterischen Untersuchungsweise (axtipig) und
entwickelte sich daraus die besonders von Andronikos^) in Umlauf ge-
brachte Unterscheidung von einer exoterischen, an das allgemeine Ver-
ständnis gerichteten Lehre und einer streng wissenschaftlichen, nur für enge
Kreise von Eingeweihten bestimmten Theorie. Jene populären Schriften
hatten noch die Form der dialogischen Einkleidung, was auch in dem Worte
Xöyoi s'^coTSQixoi liegt, da man unter ?.6yoi, speziell Dialoge verstand; doch
fehlte denselben das mimetisch dramatische Element, und waren an die
Stelle kurzer Fragen und Antworten lange Vorträge getreten, in denen die
Sache von entgegengesetztem Standpunkt, ähnlich wie es später Cicero that,
besprochen war. 4) Zu ihnen gehörten der Eudemos über die Unsterblich-
keit der Seele, ^) die 8 Bücher tisqI (fiXoaocfiag, worin die Hauptsätze der ttqcötij
(fdoaocfia entwickelt und zugleich ein Überblick über die Geschichte der
Philosophie gegeben war,^) ein Buch tvsqI Taycc^ov, das sich mit dem vor-
genannten Dialog berührte und speziell die pythagoreisch gefärbte Lehre
Piatons von der Idee des Guten behandelte, ferner Msvt'^svog,'^) FQvkXog
in der akad. Ausg. des Aristot. p. 1578—82.
Die Alten hatten nach den Katalogen weit
mehr Briefe. Stahr II, 167 ff., Über die an-
geblichen Briefe des Aristot., geht in der
Verdächtigung der Echtheit zu weit; die
Briefe an Antipatros mindestens tragen den
unverkennbaren Stempel der Echtheit.
^) Aristot. fragmenta ed. Val. Rose
im 5. Bande der akad. Ausg., Berl. 1870;
Val. Rose, Aristoteles pseude'pigraplius
(weil die Schriften unecht sein sollen), Lips.
1863 und in der Bibl. Teubn. 1886; Heitz,
Die verlorenen Schriften des Arist., Leipz.
1865.
''^) Die Stellen bei Bonitz, Index Arist.
p. 104 f.; wichtig besonders Metaph. p.
1076a, 28: jed^gvlriTat ydq t« noXM y.cd
vno xiüv ii(üTSQixa)p Xoyiov. Polit. p. 1323a,
22: vo^iGcivTS? ovv Ixaviag noXld Xeyea&ai,
xcd Ev ToTg i^wrsQiyoTg loyoig ttsqI ri]g
uQLGTvg CMfjg. Vgl. Stahr II, 237 ff,; Ber-
NAYS, Die Dialoge des Aristoteles im Ver-
hältnis zu seinen übrigen Werken, Berlin
1863; DiELS, Über die exoterischen Schriften
des Arist., Stzb. d. Berl. Ak. 1883 S. 477 ff.;
SusEMiHL, Jahrb. f. Ph. 128, 265 ff.
") Gellius XX, 5. 10; durch Andronikos
ist beeinflusst Cicero de fin V, 5. 12; ad
Att. IV, 16. 2; Strabon p. 609; Galen de
subtil, facult. IV, 758; Alex. Aphrod. in Arist.
Top. 261a, 25; Simplicius 386 b, 25. Jene
Unterscheidung spukt schon in den Briefen
Piatons.
^) H. Schlottmann, Ars dialogorum
comjjonendorimi, Rostochii 1889 p. 19 — 25.
^) Dem Andenken des Genossen gewid-
met, der 353/2 im Feldzug des Dion gegen
Dionysios fiel; Beiträge zur Erklärung von
Bernays. Ges. Abh. I. 130—140.
^) Über ihre dialogische Form Bernays,
Ges. Abh. I, 148 ff'. ; neue Beiträge von By-
water, Journ. of Thilol. VII, 64 ff. Eine
Stelle daraus, die uns Aristoteles auch als
Mann der phantasievollen Darstellung kennen
lehrt, teilt Cicero de. nat. II, 37. 95 mit.
"') Der Titel erinnert ebenso wie der
:^ocp(aT7Jg, UoXiTixog an Dialoge Piatons.
Ilautlbiich der klass. Altertumswissenscliaft. VII. 2, Aufl.
26
402
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
r 7T8QI Q7^T0Qixrg, Nr^QivS^og, ^) 7T€qI ^ixaioavvrjg, ^) tisqI evysvsfag, ^) ttsqI
(fiXiag u. a. In die gleiche Klasse populär-philosophischer BiJcher gehörten
auch die beiden Sendschreiben an Alexander ttsq! ßaailsfag und tc£qI änoi-
xiMv, sowie der an Themison, König von Kypern, gerichtete Protreptikos,
der eine Mahnung zum Philosophieren enthielt und von Cicero in seinem
Hortensius nachgeahmt v^urde.
296. Vorbereitende und grammatische Schriften. Aristoteles
hat seine Theorie in Philosophie, Poetik, Politik auf Grund ausgedehnter
Voruntersuchungen über die geschichtlichen und thatsächlichen Verhält-
nisse aufgebaut; seinen systematischen Werken [TiQayfxaTsTai) gingen daher
historische und philologische Vorstudien voraus. Schon in den Dialogen
liebte er, seine Sätze durch Beispiele und historische Rückblicke zu be-
leuchten, wie uns dieses namentlich die Schriften über die Dichter und die
Philosophie zeigen. Dazu kamen nun aber noch viele andere, die mehr
Exzerpten^) und Zusammenstellungen glichen, als zu stilistisch abge-
rundeten Werken verarbeitet waren. Dieselben scheinen namentlich in den
philologischen Kreisen Alexandriens Verbreitung gefunden zu haben, wäh-
rend viele derselben, nach dem Katalog des Ptolemaios zu urteilen, in der
theophrastischen Bibliothek des Neleus fehlten, sei es nun, weil sie zur
Philosophie im engeren Sinne nicht gehörten, sei es, weil sie in den Kreisen
der Eingeweihten nicht für aristotelisch galten.^) Einige dieser Materialien-
sammlungen werden im Zusammenhang mit den erhaltenen systematischen
Schriften ihre Besprechung finden. Hier seien die grammatischen und
litterarhistorischen Schriften namhaft gemacht: ^inoqrifiaTa '^Of.irjQixä, Jiöa-
axaXtai, Jlv^iortxai, ^VTrofirr^fiaza laioQixä.^) Aus der Klasse solcher histori-
scher Schriften ist auf uns gekommen das Buch über Melissos Xenophanes
Zenon,') welches aber nicht in den Katalogen der aristotelischen Schriften
steht und im cod. Vat. H^ dem Theophrast beigelegt ist.^) Dasselbe weicht
so vielfach von den Angaben in den echten Schriften unseres Philosophen
ab, dass es nicht von Aristoteles herrühren kann.^)
297. Die systematischen Werke. Die wichtigste Stellung nahmen
unter den Schriften unseres Philosophen diejenigen ein, in welchen er seine
Lehre im Zusammenhang und in streng wissenschaftlicher Weise vortrug;
sie hiessen axQodaeig, weil sie von Aristoteles seinen Vorträgen zu gründe
^) Nerinthos war ein Bauer aus Korinth,
der das Feld verliess, um Piaton zu hören.
'^) Auf diese Schrift bezieht sich nach
der Vermutung Susemihl's Jahrber. d. Alt.
X, 1. 3 Piaton in den Gesetzen p. 860 d.
^) Die Echtheit bestritten bei Plut. Ari-
stid. 27, verteidigt von Immisch, Comm. Rib-
beck. 78.
^) Im Katalog des Ptolemaios Nr. 15
heisst es geradezu: in quo ahhreviavit ser-
ononem Piatonis = Td ix rrjg nohislag JlXä-
Tiovog. Exzerpte werden ferner gewesen sein
T« sx T(ov pöjucoi^ nXdrioyog, ex tmv Tifxaiov
x(d 'Jqxvtov. Kritische Polemiken enthielten
die Bücher TiQog rd Fo^yiov, ngog rd Me-
7üaaov, n^og rd 'JXxfiaiioi^og, tisqI tvHv JIv-
■&ciyo^€i(x)i'f ttsqI rrjg ^A^^vts'lov cpiloGocpiag,
TTSqI Jt]jLlOXQlTOV.
^) Alle diese Kollektaneen erklärt mit-
samt den populären Schriften Val. Rose,
Ärist. pseudeingra/phus, für unecht. Viele
mochten bloss unter der Leitung des Schul-
hauptes von seinen Schülern angefertigt sein.
^) Von andern wurden die historischen
Erinnerungsblätter dem Theophrast, gewiss
mit mehr Recht, zugeschrieben.
'') Überliefert ist der falsche Titel ne^l
Bevocfdvovg, tieqI Zrjywyog, tisqI Togylov.
^) Vgl. Simplicius im Kommentar zur
Physik p. 56.
'->) Zeller, Phil. d. Gr. I^ 463 ff. Diels,
Doxographi gr. S. 108 ff., setzt die Schrift in
die nächste Zeit nach Theophrast.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§296—297.)
403
gelegt wurden, 1) oder TiQaYficcrsim, weil sie die sachliche Darlegung der
einzelnen Wissensgebiete enthielten; in der Schule des Meisters wurden
sie am meisten in Ehre gehalten, und dieser Hochachtung verdanken wir ihre
fast vollständige Erhaltung. Um ein richtiges Verständnis und einen Eintei-
lungsgrund für die Besprechung dieser Schriften zu gewinnen, '^) müssen wir
uns zuvor im allgemeinen über den Charakter der aristotelischen Schriftstellerei
klar werden. Aristoteles bildete darin einen scharfen Gegensatz zu Piaton, dass
er sein Augenmerk lediglich auf die Sache gerichtet hielt und daneben der
sprachlichen Form nur geringe Sorgfalt zuwandte.^) Während Piaton sti-
listische Kunstwerke schuf und mit der Form des Dialoges ein poetisches
Element in die Philosophie einführte, hielt Aristoteles nur in seinen An-
fangsschriften und in den populär gehaltenen Werken die sokratische Form
des Dialoges bei, wandte aber in den Schriften des gereiften Alters und
in allen uns erhaltenen die lehrende Darstellung des Vortrages an. Mit
diesem lehrhaften und systematischen Charakter der Schriften hängt es
zusammen, dass dieselben von äusseren Einflüssen wenige oder gar keine
Spuren an sich tragen, etwas, was natürlich ihre chronologische Festsetzung
wesentlich erschwert. Da dieselben ausserdem alle aus den Vorträgen des
gereiften Alters hervorgegangen sind, so ist in ihnen auch so gut wie nichts
von einer allmählichen Entwicklung wahrzunehmen, ^) so dass z. B. die
philosophischen Kunstausdrüdke t6 ti tjv sivai^ ovaia^ Sina^ig, hrski-x^ia,
die Aristoteles nachweislich erst geschaffen hat, gleichwohl in allen Schriften
gleichmässig und in vollständig ausgeprägter Bedeutung vorkommen. Dazu
kommt, dass die nicht seltenen Verweisungen sich vielfach kreuzen, indem
z. B. in der Rhetorik 6mal auf die Poetik, aber auch Imal in der Poetik
auf die Rhetorik verwiesen ist.^) Es hängt aber dieses alles damit zu-
sammen, dass Aristoteles selbst zu seinen Lebzeiten von diesen systemati-
schen Werken wenig oder nichts in die Öffentlichkeit hinausgegeben hat,
dass aber Eudemos, Nikomachos, Theophrast, die nach seinem Tode die
Veröffentlichung des litterarischen Nachlasses besorgten, Manuskripte vor-
fanden, denen die Spuren wiederholter Revision und nachträglicher Erweite-
rung aufgedrückt waren, und die vor der Herausgabe noch einer genaueren
Zusammenordnung und nachhelfenden Redaktion bedurften.^) Da wir so
^) Daher (pvGixiq axgoccaig und ciXQodasig
Met. p. 994 b, 32. Aus der Vortragsform
stammt die Anrede vfxviiv rj rcoy dxQOMfxevMv
in Soph. el. p. 184b, 2 — 6, und die Über-
gangsformel (xsTa juvra oxi Met. p. 1069b,
85; 1070a, 4, Anal. pr. init.
''') Die Einteilung der Alten gibt Ara-
monios in cat. p. 6 tisqI dicagiaeMg riou \4qigto-
rsXixdjy avyyQct^^äzMv. Vgl. Stahr, Aristo-
telia II. 254 ff.; Titze, De Aristotelis operum
Serie et distinctione, Lips. 1826.
^) Sein Standpunkt, dass die Sprache
nur zum Ausdruck der Gedanken da sei,
ist ausgesprochen ttsqI tQfJLrjveiag 1.
"*) Über die Reihenfolge siehe ausser
Titze besonders Brandts, Gesch. d. griech.-
röm. Phil. IIb. 111 ff. Die Untersuchungen
stehen hier noch im Anfang.
5) Rhet. 1372a, 1, 1404a, 38, 1404b
7 und 28, 1405 a, 5, 1419b, 5, Poet. 1456 a,
35. Ganz wertlos sind deshalb die Citate zur
Bestimmung des Verhältnisses der Schriften
zu einander nicht; es kommt eben darauf
an, genau zu prüfen, ob dieselben leicht zu-
gesetzt oder mit der Umgebung eng ver-
wachsen sind, mit anderen Worten, ob sie
von Aristot. selbst oder von den späteren
Herausgebern u. Kommentatoren herrühren.
^) Ich habe in meinen Ausgaben aristo-
telischer Schriften die nachträglichen Zusätze
mit typographischen Mitteln von dem ur-
sprünglichen Entwurf zu scheiden versucht.
Zweckmässig ist dieses namentlich deshalb,
weil die Redaktoren oft die von Arist. am
Rand angemerkten Zusätze und Besserungen
an falscher Stelle einschoben. Eine totale
26*
404
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
unter den erhaltenen Schriften kaum eine haben, die in allen Teilen vom
Autor zur Herausgabe abgeschlossen war,^) so vermissen wir in ihnen auch
den goldenen Fluss der Rede, welchen die Alten, die noch die vollständigen
Werke des Aristoteles hatten und die populären Schriften lieber als die
systematischen lasen, an den Werken unseres Philosophen rühmten. 2) Dem
Inhalte nach zerfallen die erhaltenen Werke in 3 Klassen: 1) erkenntnis-
theoretische oder logische Schriften, 2) Schriften, die sich die Erforschung
{^scoQsTx') der objektiven Welt zum Ziele setzen, 3) Schriften, die sich auf
dem Gebiete des menschlichen Handelns {tcqüttsiv) und Schaffens {nmeh^
bewegen.
298. Die logischen Schriften verdienen unter den systematischen
Werken die erste Stelle, weil sie das Werkzeug der Dialektik und wissen-
schaftlichen Forschung bilden^) und deshalb auch von den späteren Peri-
patetikern*) unter dem Namen Organon, d. i. Werkzeug, der ganzen Samm-
lung vorangestellt wurden. Erhalten haben sich von denselben die wich-
tigeren alle, und zwar in folgender Reihenfolge:
KccTijyoQiat oder von den 10 Grundformen der Aussage vom Sei-
enden (?y ovaia^ t6 TToaov, t6 ngog ti, t6 ttoiÖv, to ttov, t6 Tiort', to xsTa^at
Tj 8%siv, TO noielv 1] näaxeir^.^) Die Schrift rührt nicht von Aristoteles
selbst, sondern von einem der jüngeren Peripatetiker her und ist unter dem
Einfluss der herrschenden Schulmethode im Anschluss an die Stelle der
Topik p. 103b 20 entstanden. e)
üegl €QiiirjV€iag, de interpretationc, oder vom Satz, den Teilen und
Formen desselben (ovo^tf«, ^^^t«, ^oyoq^ xardcpaaig, arröcpaaig). Auch die
Echtheit dieser Schrift wurde schon im Altertum von Andronikos bestritten."^)
Verwerfung der Blätter und Hefte des Ori-
ginals sucht in überkülmer Skepsis ICssen,
Der Keller zu Skepsis, und Ein Beitrag zur
Lösung der aristot. Frage, 1866 u. 1883, zu
erweisen.
^) Freilich besteht in Bezug auf den
Grad der Ausarbeitung ein grosser Unter-
schied zwischen den einzelnen Schriften und
sogar zwischen den einzelnen Büchern der-
selben Schrift.
■^) Cic. Acad. post. II, 38. 119: flumen
orationis aureuiu fundens Aristoteles-, vgl
Top. I, 3; de invent. II, 2. 6; Quint. X, 1
83. Nüchterner urteilt Dionysios, Cens. vet
Script. 4, 1 : 7TaQah]nieop' de xcd 'jQiGxorsh]
sig fxifXYiaiv rrjc. le ttsqI rrju eQ^tji^eiay detyo
Tfjrog xal Tijg a(((p7]y£iag xcd rov rjdeog xcd
noXvfxci&ovg. Die Schönheit der exoterischen
Schriften hebt speziell hervor Themist. or.
XXVI p. 385 D.; Philoponos in cat. 36b,
28, David in cat. 26b, 35. Blass, Rh M. 30,
481 ff. weist in den gefeilteren Schriften auch
eine grössere Sorgfalt in der Vermeidung
des Hiatus nach.
3) Arist. Met. p. 1005 b, 4 sagt selbst,
dass die Analytik der Physik und Meta-
physik vorangehen müsse. Die Analytik ist
vor der Physik verfasst nach p. 95 b, 11.
"^j David in categ. p. 26 a, 11: 00 de
"ksyovreg, ort c^el c}7i6 rtjg XoyixTjg ccQxsa&ai,
ecpaaxoi', ort oQyapov rj Xoytxij. Vgl. Diog.
V, 28. Ahnlich spricht schon Arist. selbst,
Top. p. 163 b, 11 von einem oQyayoy ngog
yycoaiy. Den Ausdruck Organon fand bereits
Alexander Aphrod. als allgemein verbreitet
vor; s. Peantl, Gesch. der Log. I, 532.
^) Der Sachtitel lautete nsgl rcoy yBvcHv
rov ovtog-, s. Waitz in der Ausg. des Or-
ganon. I, 265.
^) Prantl, Gesch. d. Log. I, 207 ff. Nach
Simplicius in categ. fol. 8 u, Philop. in categ.
39 a, 20 gab es noch ein 2. Buch Kategorien
[cfSQStca xcd üX'ko xctiv xatrjyoQiwv ßiß'kiov
i6g 'jQioxoTs'kovg). Den Schluss unserer Ka-
tegorien c. 12 — 15, die sog, postjiraedica-
menta {ctfxa und jiqoteqop, xivbTp und ex^iv
etc.) gab schon Andronikos für unecht aus;
s. Trendelenburg, De Arist. categoriis, Berl.
1833; Geschichte der Kategorienlehre, Berl.
1846.
^) Die von Andronikos gegen die Echt-
heit der Schrift erhobenen Zweifel sind zu-
rückgewiesen von Alexander Aphrod. in Anal.
I p. 160 ed. Wallies.
4. Die Philosophie, d. Aristoteles. (§ 298—299.)
405
'AvaXvTixd TtQovfQa und varsga in je 2 B.,^) benannt nach der Ter-
minologie der Mathematiker, weil sie die Zergliederung oder Rückführung
der Wahrheiten auf die Elemente, aus denen dieselben gewonnen werden,
bezwecken. Die erste Analytik enthält die Lehre vom wissenschaftlichen
Beweis (aTi66ei'§ig r] imarrnu] ccTroSsixnxr/) vermittelst Satz, Delinition, Schluss
{nQÖTaöig, oQog, avXXoyiai^iog); die zweite handelt vom Erkennen oder Wissen
überhaupt {fj^d^rjcfig ^lavorjzixrj), vom Wesen des Wissens, das in der Er-
kenntnis des Grundes wurzelt, von der Möglichkeit des Wissens unter der
Voraussetzung gewisser unmittelbarer Wahrheiten, von den Wegen des
wissenschaftlichen Erkennens durch syllogistischen Beweis, Induktion {sTta-
yo)yrj), Definition [oQKTfjiög), Zergliederung (Siaigsaig).
ToTTiKcc in 8 B., hervorgegangen aus der Dialektik oder der von den
Sophisten gepflegten Disputierkunst; sie enthalten die allgemeinen Sätze
{roTToi)/^) mit deren Hilfe es möglich ist über jeden aufgestellten Satz so
zu disputieren, dass man, ohne einen streng wissenschaftlichen Beweis zu
erbringen, doch für seine Thesis die Wahrscheinlichkeit erweisen kann.^)
Da sie so den Weg oder die Methode des Disputierens angeben, so werden
sie auch in den alten Katalogen und von Aristoteles selbst, Rhet. I, 2,
Me&oSixd genannt. Die Topik, in der sich der Autor in breiter Ausfüh-
rung gehen lässt,^) steht hinter der Präzision der Analytik weit zurück und
gehört der älteren, noch der platonischen Schuldialektik näher stehenden
Periode der aristotelischen Philosophie an.^)
2o(fiaTixol sXsyxoi oder die Trugschlüsse der Sophisten gehören
zur Topik und bilden in der Ausgabe des Organen von Waitz geradezu
das 9. Buch der Topik; ^) ihre Sonderstellung hängt mit der Scheidung von
Eristik und Dialektik zusammen.
Von den verloren gegangenen Schriften gehörten in das Gebiet der
Logik die Siaiqäasig^ ttsqI svavTiMV, ttsqI TCQoßXrji^idTMv, vjrofxrrjinaTa Xoyixd.
Aber alles bedeutende ist erhalten und damit das dauerndste, was der zer-
gliedernde Verstand des Aristoteles im Gebiet der Philosophie hervorge-
bracht hat. Denn legen wir auch heutzutag auf die formale Logik nicht
mehr den Nachdruck wie ehedem, so gebührt doch unserem Philosophen
das Verdienst die Gesetze der menschlichen Denkoperationen, die Wege des
Erkennens und die Arten der Schlüsse für alle Zeiten festgestellt zu haben.
299. Naturwissenschaftliche Schriften. Von diesen gehören
zur Lehre von der Natur im allgemeinen oder von dem W^ eltganzen:
^) Nach Philop. in cat. 39 a, 20 gab es
in den alten Bibliotheken eine Ausgabe in
jM (corr. 7]) ßißX. Die ersten Analytika werden
von Arist. selbst p. 9Ca, 1 mit iy roTg tiqw-
roig citiert.
'■') Diese rönoi sind als loci communes
bekannter geworden in der Rhetorik, die ja
mit der Dialektik nahe verwandt ist. Die
rhetorische Topik bildet den Gegenstand der
Schrift des Aristot. tisqI QrjxoQixrjg.
■*) Top. I, 1 : r; uev nQo&effig ri^g ngay-
(Äaisiag uix^o^ov svqeIv, iccp tjg ^vvrjao^Sx^a
cvXXoyii^eaO^aL neQl navxug rov TTQorsr^eyTog
7J Qoßjiijjucaog e| eVtfoIwi'.
^) Die Breite der Topika hängt, wie am
Schlüsse p. 184a 8 angedeutet ist, damit
zusammen, dass dieselben aus einem rhe-
torisch angelegten Lehrkurs hervorgegangen
sind.
^) Die Topik ist citiert in Analytik p.
24 b, 12.
^) Vgl. Waitz II. 528; entscheidend ist,
dass am Schluss der soph. el. eine Rekapi-
tulation der ganzen Topik steht. Die Hand-
schriften indes sondern die beiden Werke,
der cod. Laur 89 teilt obendrein die soph.
el. in 2 Bücher.
406
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
(PvaixYj axQÖaaig in 8 B.; dieselbe handelt von den Prinzipien (a^^at)
des in Bewegung befindlichen Seins und ist vor der Metaphysik, in der sie
wiederholt vorausgesetzt wird, abgefasst. Die Grundprinzipien der aristo-
telischen Lehre, vXi], vTioxsi'i^ievov, Svvaixig auf der einen, alSog, !JioQ(pi],
svvsXsy^sia auf der andern Seite, ferner to avvoXov, ro tsXog oder ro ov evsxa,
ovaia und (tvfxßsßrjxÖTa, to xivovv oder o&€v tj xfvrjcng sind hier zum
klarsten Ausdruck gebracht. Die Physik des Aristoteles hat also mit dem,
was wir heutzutag Physik nennen, wenig zu thun; sie erläutert nur die
Begriffe, unter denen wir die Erscheinungen der Natur anschauen, enthält
nicht auch die Gesetze, nach denen die Dinge werden und zu einander in
Beziehung treten; sehr bezeichnend nannte sie Hegel eine Metaphysik der
Physik. Der 2. Teil derselben (V— VIII) handelt von der Bewegung und den
verschiedenen Arten der Bewegung: des Raumes {(fjoga), der Beschaffenheit
(l^israßolrj oder aXXoiwaig), der Grösse {av^rjaig und (fd^iaig); er hatte davon
auch den speziellen Titel rteQi xivrja€0)g.^) Von dem 7. Buch liegen die
ersten 3 Kapitel in doppelter Redaktion vor. 2) Zu dem ganzen Werk
haben wir aus dem Altertum einen ausgezeichneten Kommentar von Simplicius.
neql ovqavov in 4 B."^) und nsQl ysvtaeMg xal (fd^oqag in 2 B.
schliessen sich eng an die Physik an und enthalten apriorische Spekula-
tionen über den Himmel und das Entstehen, und zwar handeln die ersten
von der Unvergänglichkeit des Weltalls (nqunog ovQavog) und von der Gestalt
und Bewegung der Gestirne mit Bezug auf die Elemente des Leichten und
Schweren,'*) die letzten von dem schlechthinigen Entstehen und Vergehen
und dem Entstehen und Vergehen durch Mischung und Änderung. Nament-
lich die letztere Schrift ist sorgfältig durchgearbeitet und von grosser Be-
deutung für die Erkenntnis der aristotelischen Lehre.
MsTSMQoXoyixd in 4 B. schliessen sich an die beiden letzten Schrif-
ten an und suchen die Dinge in der Höhe, Kometen, Milchstrasse, Winde,
daneben auch die Erscheinungen des Meeres und die Erdbeben zu erklären.
Das 4. Buch hat eine selbständige Stellung für sich und handelt von den
Gegensätzen des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuchten, als den
Elementen der Körperwelt. ^)
300. Von den Tieren oder lebenden Wesen und im Zusammenhang
damit von der Seele handeln:
AI nsql zd ^oja laTOQiai in 10 B.,^) von denen die beiden letzten
^) Andronikos hat, nach Simplicius fol.
216 a, 7, gestützt auf einen Brief des Eu-
demos, den 3 letzten Büchern den Titel tieql
xivtJGsojg gegeben.
^) Nachgewiesen von Spengel, Über das
7. Buch der Physik des Arist.. Abhdl. d. b.
Ak. III, 305—49, durchgeführt in der Ausg.
der Bibl, Teubn. von Prantl.
^) Met. p. 1078 b, 5 fV aXXoig i^ov^si^
wird von Schwegler auf die Schrift nsgl
ovQcivov bezogen, was scliwerlich richtig ist,
da umgekehrt die Metaphysik später abge-
fasst ist, wofür auch das Citat p. 1073a, 32
spricht.
^) Aristoteles schliesst sich hier an die
Sphärentheorie des Astronomen Kallipos aus
Kyzikus, eines Schülers des Eudoxos, an,
wonach Bekgk, Gr. Litt. IV, 486 das Werk
Ol. 112 setzt.
^) Der Kommentator Alexander Aigeus
sprach zuerst aus, dass das 4. Buch nicht
zu dieser ngay^xarsia gehöre, sondern eher
zu den Büchern tieqI ysyeas(og xal (fx^oQag,
s. Ideler, Meteor. II, 347 — 49; Spengel,
Reihenfolge der natur Wissenschaft!. Schriften
des Arist., Abh. d. b. Ak. V, 10 ff.
^) Exzerpte daraus von Konstantinos
Porphyrogennetos, publiziert von Spiridion
Lambros, Suppl. Aristot., Berol. 1885.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 300.)
407
unecht sind,^) TtsQi ^('}mv ^oqimv 4 B., ttsqI ^(omv ysvsaEwg 5 ß.,^) 7t:£qI
noQficcg ^f/iwr 1 B.^) Es gehen hier zwei Behandlungsarten der Zoologie
nebeneinander her, etwas, was noch deutlicher hervortritt, wenn man die
10 Bücher der Tiergeschichte in ihre Teile zerlegt. Es handelt nämlich
dieselbe nach einem allgemeinen Überblick (I, 1 — 6)*) von den Teilen der
Tiere (I, 7 — IV, 7), von dem Entstehen der Tiere (V — VII), von der Lebens-
weise und Nahrung der Tiere (VIII). Es sind also in den einzelnen Teilen
der Tiergeschichte dieselben Gegenstände behandelt wie in den bezeichneten
Spezialschriften. Aber die Betrachtungsweise ist verschieden: die Natur-
geschichte hat es mit dem oti oder den thatsächlichen Erscheinungen der
Tierwelt zu thun, die Spezialschriften, welche die Physiologie oder die Phi-
losophie der Tierlehre bilden,^) sind auf das 6i6ii oder auf den Grund der
Erscheinungen gerichtet, als welcher in letzter Linie die Zweckmässigkeit
oder das Gute in der Weltordnung gefasst wird. Auch der Zeit nach
liegen die beiden Arten von Schriften weit auseinander. Die Tiergeschichte
wird nicht bloss de part. animal. II, 1 p. 646* 9 als abgeschlossen voraus-
gesetzt, sie verrät auch an sich eine frühere Entwicklungsstufe im Geistes-
leben des Aristoteles, so dass sie nicht bloss vor dem Buch über die Teile der
Tiere, sondern auch vor der Physik ^) abgefasst zu sein scheint. Die ganze
Methode der naturwissenschaftlichen Forschung, woraus zugleich Plan und
Ordnung der diesbezüglichen Schriften hervorgeht, ist in dem 1. Buch der
Schrift von den Teilen der Tiere dargestellt, weshalb Titze und SpengeP)
jenes Buch als gesonderte Schrift allen zoologischen Schriften vorausgeschickt
wissen wollten; aber es genügt, wenn dasselbe gemäss der Überlieferung
den Eingang der philosophischen oder physiologischen Schriften bildet.
JIsqI ipvxr^g in 3 B.^) gehört mit zur Tierlehre, indem Aristoteles
die Seele als Entelechie des Leibes und somit als Sitz nicht bloss des Denk-
vermögens, sondern auch der Wahrnehmung, der Ortsbewegung, der Er-
nährung, des Lebens überhaupt fasst.^) Die Schrift, namentlich das 3 B.,
^) Das 10. Buch, welches auf die Be-
gattung der Menschen und speziell auf die
Gründe der Unfruchtbarkeit zurückkommt
und im Katalog des Diogenes unter dem
Titel t7T€Q rov juij ysvuäu angeführt wird,
ist eine im 14. odei- 15. Jahrh. gemachte
Rückübersetzung der latein. Übersetzung von
Mörbecke, wie Spengel, De Aristotelis libro
decimo hist. anim., Heidelberg 1842 nach-
gewiesen hat. Dass auch das 9. Buch,
welches nochmals die Gewohnheiten der
Tiere (t« nJov t,MMv r'jd-t]) behandelt, nicht von
Aristoteles herrührt, hat aus Sprache und In-
halt DiTTMEYER, Blätter für bayer. Gymn.
XXlIi (1887), 16-162 überzeugend nachge-
wiesen.
-) Eigentlich sind es nur 4 Bücher,
denen ziemlich lose ein Buch tibqI nad^y]-
fzcaojp Cmmv angehängt ist.
^) Prantl, De Aristot. lihrorum ad hist.
animal. pertinentium ordine. Monachii 1849
p. 35 beweist, dass das Buch negl TJOQsiuc
seinen Platz zwischen dem 9. u. 10. Kapitel
des 4. Buches de partihus anim. hatte.
^) Hist. anim. I p. 491a, 7: sXQrjxai eu
TV71M ysvficnog /ctQfy.
^) De longaev. p. 464 b, 33: oaoy int-
ßaX}.€i Trj (fvaixrj cpiXoGocpla, de part. anim.
p. 641a, 29: roi ns^tl cfvaecog d^scoQrjTiXio.
Vgl. p. 653 a, S!
^) Mit Einschluss des Werkes neQi ov-
Qccvov, das p. 645 a, 5 citiert wird.
') Spengel, Reihenfolge der naturwiss.
Schriften S. 19 ff.; Pkantl a. 0.
^) Die Einteilung in Bücher ist unge-
schickt durchgeführt; die Ordner hätten das
2. B. bis zu III, 3 erstrecken lassen sollen,
wie ich Plat. Stud. 23 gezeigt habe.
'^) Der Standpunkt ist klargelegt de part.
an. I, 1 : roiovzov {(6g r] xivovaa ^QXV ^^'^
log t6 rekog) rov C<f>ov rjrot -näaa rj xpv/ij
ij (.leQog TL (ivirjg ' ojots xal ovT(og «V Xsxrtoi^
elij T(o ne^l cpvGEMg 0^s(oq7]tix(o tisqI xpv/ijg.
Die niederste Stufe der Seele, x6 xhQenTixöi',
kommt nach Aristot. auch den Pflanzen zu.
408 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
welches vom voig handelt, berührt die obersten Probleme der Philosophie
und ist daher von grösster Wichtigkeit; leider ist aber dieselbe nicht zur
vollen Klarheit durchgearbeitet und enthält viele dunkle und abgerissene
Sätze, so dass schon unter den alten Kommentatoren über den Unterschied
des vovg noir^Tixog und vovg Tia&jjTixog, und über das, was an der Seele
trennbar (xmqiotov) vom Leibe und demnach unsterblich sei, lebhafte Dif-
ferenzen entstanden. Auf den unfertigen Zustand des aristotelischen Ma-
nuskripts weisen auch die Spuren einer doppelten Textesredaktion hin,
welche die neueren Herausgeber klar gelegt haben.
Die Abhandlungen 7T€qI al(yd^rj(^s(ag xal ala^rjrcov, ttsqI fxvr^firjg xal
avaijLvrj(f€(og, nfQi vnvov xal f'y^^T^yo^o'fwg, tt^qI svvttvicov xccl Trjg xal^' vnvov
jUccvTixrjg, neQi f^iaxQoßiorrjTog xal ßQaxvßioTrjTog, 718qI vsoTtjrog xal yiJQwg,
TisQi ^(orjg xal ^avdtov, rregl dvaTTvor^g pflegen unter dem Namen Parva
naturalia zusammengefasst zu werden und waren von Aristoteles selbst
bestimmt als Ergänzung der 3 Bücher über die Seele zu dienen. ')
301. Naturgeschichtliche Werke von zweifelhafter Echtheit sind:
JIsQi (fVTMv in 2 B. Das auf uns gekommene Werk ist nach dem
phrasenreichen Vorwort eine Rückübersetzung aus dem Lateinischen und
des weiteren aus dem Arabischen. Aristoteles hatte ein Buch über die
Pflanzen im Plan''^) und scheint nach der Stelle p. 539^ 20 den Plan auch
ausgeführt zu haben. 3) Aber das Pflanzenbuch des Aristoteles war, wenn
er überhaupt ein solches geschrieben hat, sicher schon zur Zeit des Ale-
xander Aphrodisiensis verloren gegangen.'^) Die uns erhaltene Schrift wird
von ihrem Herausgeber Meyer dem Nikolaos Damaskenos, der unter Augustus
eine Art Kompendium der aristotelischen Philosophie verfasste, zugewiesen.
IIsqI xodfiov, oder über das wohlgeordnete Ganze des Weltalls. Das
Buch ist mitsamt dem einleitenden Brief an Alexander^) fälschlich dem
Aristoteles beigelegt worden. Schon die Erwähnung der britannischen
Liseln p. 393^^ 17 führt über die Zeit des Aristoteles und Pytheas hinaus;
auch finden sich in demselben Einflüsse der stoischen Lehre ^) und Entleh-
nungen aus Poseidonios. Neuere Gelehrte haben dasselbe teils dem Stoiker
Chrysippos,') teils, und dieses mit grösserem Recht, dem jüdischen Peri-
patetiker Nikolaos ^) zuschreiben wollen ; in den Katalogen der aristotelischen
') Arist. de sensu init.
2) p. 244b, 23; 467b, 5; 656a, 3; 716a,
1; 783b, 10.
^) Wahrscheinlich rührt das Citat Ei^7]-
tca iv rfj ü^swqlcc rfj tieqI ruiy (pvxiov mit
seinem bedenklichen eXQrjrat von einem Inter-
polator her; Spengel wollte sXQrjxai in stQrj-
aexca ändern.
4) Alex, zu p. 442 b, 28.
5) Bergk, Rh. M. 37, 50 ff. und Ber-
NAYS, Ges. Abh. II, 279, denen Usener a. 0,
und Mommsen, Römisch. Gesch. V, 494 bei-
stimmen, verstehen unter dem Alexander
des Briefes nicht Alexander d, Gr., sondern
den Prokurator .Judäas von 46 — 8 n. Chr.;
Bücheler, der den Aufsatz von Bergk nach
dessen Tod herausgab, erinnert an Alexandres,
den Sohn des Antonius und der Kleopatra.
^) Spengel, De Aristotelis lihro decimo
liistoriae animalium et incerto auctore lihri
nsQL xoa/uov, Heidelb. 1842. Zuerst kommt
in dem Buch die nsfznzT] ovala oder qumta
essentia vor.
^) OsANN, Beiträge zur griech. u. röm.
Litteraturgesch. I, 141 ff.
8) Bergk, Rh. M. 37, 50 ff. und 294 ff.;
derselbe weist darauf hin, dass jener Niko-
laos aus Damaskus nach Simplicius zu Arist.
de caelo p. 469a eine Schrift nsgl ncivrog
geschrieben hat; dagegen Usener in Ber-
NAYS Ges. Abh. II, 281. Zeller IIF, 1. 631 ff.
begnügt sich, die Schrift der eklektischen
Richtung des ersten vorchristlichen Jahr-
hunderts und der Zeit nach Fosidonius zu-
zuweisen. Vgl. SusEMiHL, Jahrber. d. Alt.
X, 1. 33 ff.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 301.)
409
Schriften kommt dasselbe noch nicht vor; 9 lateinisch bearbeitet wurde die
interessante und gut geschriebene Schrift von Apuleius, de mundo.
TlsQi xirrjascog war der Spezialtitel des zweiten Teiles der Physik.
Das unter dem Titel negl f^wi' xivrjasoyq auf uns gekommene unechte Buch
sollte nach den Schlussworten desselben der Schrift de generatione animalium
vorausgehen, während thatsächlich die letzte Schrift sich unmittelbar an
das Werk de part. anim. anreiht.
IIsqI nvsvfxarog, ein kleiner Schulaufsatz verwandten Inhalts mit
dem Buche nsQi avaTtvoijg, rührt von einem Schulmeister her, der sich im
Aufwerfen von Fragen zu ergehen liebte.
IIsqI xodoiidroav, oder über den Grund der Farben bei Pflanzen und
Tieren. Das unechte, von einigen dem Theophrast zugeschriebene Buch 2)
steht nicht in den alten Katalogen; ebensowenig das Buch ttsqI axovcfTcov,
welches durch die Partikel Se eng mit dem vorausgegangenen verknüpft
ist und wahrscheinlich ebenso wie das vorausgehende auf den Peripatetiker
Straten zurückgeht.^)
Die <I>vaioyv(i)ßovixcc sind, wie schon das einleitende ort lehrt, ein
Auszug, der indes viele interessante, auch für die Kunstanalyse wichtige
Beobachtungen über Eigenschaften von Menschen und Tieren enthält. Dem
Auszug liegen 2 in den Katalogen der aristotelischen Werke aufgezählte
Originalschriften zu grund, die aus der Schule der Peripatetiker hervor-
gegangen waren und den von Aristoteles selbst in der Analytik ausge-
sprochenen Gedanken*) weiter ausführten. Über die Zeit der Abfassung
scheint die Erwähnung des Sophisten Dionysios (c. 3 p. 808* 16), der in
der Zeit Hadrians lebte, einen Fingerzeig zu enthalten.'»)
IIsqI d^avfiaaiwv axovafxccToov ist die älteste Schrift in der Lit-
teratur der Wundergeschichten, rührt aber gleichwohl nicht von Aristoteles
her, da sie vieles enthält, was erst nach des Aristoteles Tod sich ereignete,
wie über Agathokles c. 110 und Kleomenes c. 78. Die Zusammenstellung,
bei der aristotelische Schriften mit ausgezogen wurden, ist erst nach Posei-
donios gemacht worden, da dessen Schriften c. 87 und 91 benützt sind.^)
Die TlQoßXrjßara in 38 Titeln beziehen sich zum grössten Teil auf
naturwissenschaftliche Dinge, behandeln aber auch Fragen der Musik und
Poesie. Die Methode Fragen aufzuwerfen und Lösungen derselben zu ver-
suchen war dem Aristoteles eigen, und es gebraucht derselbe nicht bloss
häufig den Ausdruck TcpoßXrjßa, sondern scheint auch einigemaP) auf
Schriften zu verweisen, in denen solche Probleme besprochen und gelöst
^) Im jüngeren Nachtrag des Ind. Menag.
steht der auf unser Buch schlecht passende
Titel nsQt xoafxov yevsasoig.
'^) PRANTL in der Ausgabe der Schrift
S. 80 ff. weist die Unechtheit derselben
nach, will aber nicht gerade den Theo-
phrast als Autor anerkennen; es hatte auch
der Peripatetiker Straten über die Farben ge-
schrieben.
^) So vermutet Brandis IT, b, 1201; da-
gegen Zeller IP*, '2. 915.
^) An. pr. II, 27 p. 70^^ 6: rd cff cpvato-
yrMfxovEiu dvyaioy ifftip , st rig ^i^iooiu
(ifxa ^sxaßd'kXsiv xö aaüfxa xcd riji^ xpv/7]i^,
oaa cpi'Oixd eari nuy^rjfxara.
^) R. FöKSTEK, De Aristotelis quae fe-
rimtur physiognotnonicorum indole ac con-
dicione, in Philol. Abh. zu Ehren von M.
Hertz S. 283 ff.
6) Beckmann in Ausg. (1791) p. XVII,
sqq.: Westermann, Paradoxogr. XXV, sqq.;
ScHRADER, Jahrb. f. Phil. 97, 217 ff.
"') Bonitz, Index Arist. u. nQoßXtjfxaTCi.
410
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
waren. Aber unsere Sammlung enthält neben Aristotelischem auch manches
Fremde aus Hippokrates, Theophrast und Späteren.')
Die Mrjxccrixd bilden eine spezielle Art von Problemen; das Buch
wird in den beiden Verzeichnissen der Schriften des Aristoteles aufgeführt.
^Av€fiMv ^i'aeig xal TrQoarjyoQiai. Das Buch bezeichnet sich als
einen Auszug aus des Aristoteles Schrift ttsqI arj/jisicov. — Von der Schrift
7T€qI TT^g Tov NsfXov avaßäasMg ist nur eine lateinische Übersetzung aus
dem Arabischen bekannt; die Abhandlung hat die Form der Lösung eines
Problems, rührt aber nicht von Aristoteles, sondern von Theophrast oder
einem Zeitgenossen desselben her. 2)
Von naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles werden ausser-
dem genannt: nsQi vyieiag xal v6(fov, welches Buch aber bereits zur Zeit
des Alexander Aphrodisiensis verloren war, 3) ttsqI tmv dvaTo^wv,'^) welches
Werk den Alexandrinern noch in 7 B. und in einem Auszug von 1 B. vor-
lag,^) ferner tvsqI TQocprg, ^Omixcc und ^AatqoXoyixä.
Werfen wir schliesslich einen Rückblick auf die Gesamtheit der natur-
wissenschaftlichen Werke, so machen dieselben den grösseren Teil der
aristotelischen Schriften aus, und zeigt sich in ihnen die fruchtbarste und
erfolgreichste Seite der wissenschaftlichen Thätigkeit unseres Philosophen.
Wir interessieren uns ja als Philologen und Philosophen mehr um die
Poetik, Logik, Politik, aber in diesen Disziplinen wandelte Aristoteles alte
Wege, wenn auch mit selbständigem Geiste, aber in der Naturgeschichte
und Naturphilosophie hatte er nur unbedeutende Vorgänger, 6) so dass er
in ihnen wesentlich neue Bahnen der Wissenschaft erschloss. Mit einem
bei einem Philosophen doppelt anerkennenswerten Forschungssinn hatte er
auch für das Kleinste in der Natur ein offenes Auge'') und umfasste er
mit seinem Wissen eine geradezu staunenswerte Fülle von Thatsachen. Er
ist Schöpfer der Naturlehre geworden und hat damit die in spitzfindige
Verstandesoperationen sich verlierende Spekulation auf das fruchtbare Gebiet
des Thatsächlichen gewiesen. Er verzichtete freilich nicht auf den Ver-
such eines philosophischen Begreifens der Natur und ist damit zu Prin-
zipien gekommen, die heutzutage zum grössten Teil als veraltet angesehen j
werden müssen. Aber wenn wir auch über die 4 Elemente und ihre be-
griffliche Deduktion hinausgekommen sind und selbst gegen die teleologische 1
Auffassung der Naturerscheinungen Zweifel und Einwendungen erheben,
so wird doch die aristotelische Unterscheidung der Prinzipien der Form, '
der Materie, des Bewegenden und des Zweckes für immer eine wichtige
Etappe auf dem Wege zur Erkenntnis der Natur und des Kosmos bilden.
302. Die Metaphysika in 13 (14) B. nehmen dem Inhalte nach die ^
') Prantl, Über die Probl. d. Arist.,
Abhdl. d. b. Ak. VI, 341—77; E. Richter,
De Arist. prob!., Bonn. Diss. 1885; vergl.
Heitz, Die verlorenen Schriften des Arist.
103 ff.
2) Rose, Arist. pseudepigr. p. 239 ; Diels,
Doxogr. 226 f.
^) Alex, ad Arist, de sensu fol. 94. Arist.
selbst stellt sie in Aussicht p. 464b, 32; vgl.
436 a, 17; 480 b, 23; 653 a, 8.
^) Öfters von Arist. selbst citiert; siehe
Ind. Arist. p. 104.
^) Ind. Diog. et Menag.
^) Dass er jedoch viel den Schriften des
Hippokrates und der Ärzte entnahm, lehrt
PoscHENRiEDER, Die naturwissenschaftlichen
Schriften des Arist. in ihrem Verhältnis zu
den Büchern der hippokratischen Sammlung,
Bamberg Progr. 1887.
^) Arist. de part. animal. I, 5; p. 645 a 15.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§302.) 411
oberste Stelle unter den philosophischen Schriften ein. Denn sie bilden die
höchste Stufe der Philosophie, die Ttgakrj (pdoaocpia, und handeln von den
obersten Gründen alles Seienden, des beweglichen wie unbewegten.^) Sie
decken sich zugleich mit Theologie, da der Volksglaube mit dem Namen
Gott die Vorstellung des obersten Grundes verbindet. Das Wort Msra-
(fvaixcc findet sich bei Aristoteles selbst nicht und scheint diesem Komplex
von Büchern erst von den Peripatetikern gegeben worden zu sein, weil sie
denselben ihre Stelle nach den Physika anwiesen. 2) Aristoteles nahm mit
ihnen im gereiften Alter den Gegenstand, den er bereits früher in dem
populären Werk nsgl (piloaocfiag behandelt hatte, wieder auf, um ihn nach
den strengen Grundsätzen wissenschaftlicher Beweisführung und gestützt
auf die inzwischen in der Physik und in den Büchern vom Himmel ent-
wickelten Sätze durchzuführen. Zur vollen Klarstellung seiner Gedanken
und zur endgültigen Überwindung der dem menschlichen Geiste sich gerade
hier entgegentürmenden Schwierigkeiten hat er es indes nicht gebracht:
weder sachlich noch in der Form genügt seine Metaphysik. Das erstere
darzuthun ist Aufgabe der Geschichte der Philosophie; es genüge, darauf
hinzuweisen, dass die Definition der rrgokrj (filoaocfia als Wissen vom
Seienden als Seienden [rot ovTog f^ ov) Definition geblieben, nicht Aus-
gangspunkt für die nachfolgenden Untersuchungen geworden ist, 3) dass der
vovg oder die Gottheit als die den Sternenhimmel bewegende Kraft höchstens
die Bewegung der Sterne, aber nicht die Gebilde des Weltalls und das
Werden der Dinge erklärt, endlich dass die aus der Physik herüberge-
nommenen 4 Grundprinzipien: vXr^, s?6og, t6 xirovv, to ov svsxa, mit dem
vovg in keine rechte Verbindung gebracht, noch in ihrer Genesis und wechsel-
seitigen Einwirkung beleuchtet sind. Wo es so an der Klärung und Be-
herrschung der Sache fehlte, konnte auch die formale Durchführung und
die Zusammen webung der Teile zu einem Ganzen nicht gelingen, i) Gut
hängen zusammen und sorgfältig durchgearbeitet sind nur die 3 ersten
Bücher A B r, welche den Weg zur Lösung durch Kritik der Vorgänger
und Besprechung der Aporien ebnen sollen und von denen namentlich das
erste als kritische Rundschau über die früheren Philosopheme mit Recht
hochgeschätzt ist. Die eigentliche Ausführung enthalten die Bücher E Z
H 0 I A^ aber so, dass wir hier überall die feilende Hand, ja mehr, das
Ineinandergreifen und den Abschluss der einzelnen Untersuchungen ver-
') Neben dem Beweglichen und Unbe- ! auch noch die 2 letzten Bücher eine getrennte
wegten [xd xivovfxspa u. axivt^ra), dem Ver- Stellung,
gänglichen und Plwigen {cp^^ccQtd u. dWia) \ ^) Natokp, Thema und Disposition der
nimmt Arist. noch die durch Absonderung
von der Materie gewonnenen mathematischen
Dinge {tk ev dcpaiQEasi) an ; s. de coelo III,
1 p. 299=» 16 und Bonitz zu Met. ^ 2 p.
982-^ 27.
^) Im Verzeichnis des Diogenes fehlen
die Metaphj^sika ganz, vielleicht bloss infolge
eines Ausfalls; der Ind. Menag. hat (xsta-
(fvaixd X und /usTacpvaixd i. das arabische
Verzeichnis kennt unsere 13 B. Bei den
Alexandrinern ist das 4. B. unter einem
eigenen Titel tt8qI tmv 7ioaa/(og Isyo^ivMi/
aufgeführt; wahrscheinlich hatten bei ihnen
Metaphysik, in Philos. Monatshefte XXIV,
37—65 sucht die Schwierigkeit zu mindern
durch Streichung der Sätze E 1 p. 1026 a,
18 üiars — S^eoXoyixt] und xcd rrjy ri^ia)-
Tcctfjy — yivog sivai.
^) Das Beste darüber gibt Bonitz, Arist.
met. II, 3—35. Von vorausgehenden Ar-
beiten hebe ich hervor Ravaisson, Essai sur
la Metaphysique (VAristote, 1837. Meine
eigenen Ansichten habe ich teils in Studia
crit. in Arist. libros metaph. 1853, teils in
meiner Ausg. 1886 dargethan.
412
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
missen. Namentlicli zeigen sich diese Mängel in dem Buche A^ welches
die Krone des Ganzen, die Lehre von dem vovc, und den Göttern, enthalten
soll. Das Buch J behandelt die Vieldeutigkeit der in der Philosophie zur
Sprache kommenden Ausdrücke und bildet ein Buch für sich, das nicht
unpassend zwischen r und E gelegt, aber nicht mit denselben organisch
verbunden ist. Das Buch K enthält im ersten Teil eine gute Zusammen-
fassung der Bücher B r E, im zweiten einen weniger genügenden Abriss
derjenigen Kapitel der Physik, welche für die Metaphysik von Wert sind;
dasselbe stellt in Verbindung mit A und A einen kürzeren Kurs über Meta-
physik dar, und scheint von einem Schüler aus den Werken des Meisters
ausgezogen und nur mit einigen eigenen Zusätzen versetzt zu sein.i) Die
beiden letzten Bücher M N enthalten eine für sich bestehende Kritik der
platonischen Ideenlehre, gehören also zum Gedankenkreis der Metaphysik,
waren aber um so weniger bestimmt, mit den anderen Büchern zu einem
Werke vereinigt zu werden, als sie ganze Kapitel mit dem Buche Ä
(990'>6 — 99P9 = 1078^32—1080^11) bis aufs Wort gemeinsam haben. Nicht
in die Metaphysik aufgenommen, aber zu ihr gehörig ist die von Neueren
dem Theophrast zugeschriebene Abhandlung ttsqI atö/uicov yqapiimv. die mit
der Kritik der platonischen Ideenlehre zusammenhängt und eigentlich im
Anhang der Metaphysik gedruckt werden sollte. Mehr Gunst hat bei den
alten Aristotelikern das Büchlein a gefunden, welches nach Vorlesungen
des Aristoteles von seinem Schüler Pasikles herausgegeben,'^) aber sehr
unpassend zwischen Ä und B eingelegt wurde. Einen vorzüglichen Kom-
mentar zur Metaphysik haben wir aus dem Altertum von Alexander aus
Aphrodisias.
303. Schriften über Ethik und Politik. Der Betrachtung (d^ew-
Qeiv) der objektiven Welt stellt Aristoteles das subjektive Handeln gegen-
über, indem er hier selbst wieder zwischen dem vernunftgemässen Handeln
im engeren Sinn [nQäTT^iv) und dem künstlerischen Schaffen (ttoieTv), zwi-
schen Ethik und Ästhetik, unterscheidet.^) Der praktischen Philosophie
gehört zunächst die Sittenlehre {rj^ixr^ (filoaoffia) an; öffentliche Gestaltung
findet das vernünftige und sittliche Handeln im Staat, und so bildet die
Politik einen Anhang der Ethik.
'H^ixd Nixo}.i(xxsia in 10 B., 'H^ixa EvSijj^isia in 7 B. und
^Hd^ixd fxsyäXa in 2 B. enthalten alle in gleicher Weise die Grundsätze
der aristotelischen Sittenlehre; aber sicher hat Aristoteles nur in einem
Werk seine Lehre darlegen wollen, und dieses eine Werk ist die nach
seinem Sohne Nikomachos, vermutlich dem Herausgeber, benannte Ethik.]
Die Evöriiieia sind eine an die Vorträge des Meisters und an die nikomachi-
sehe Ethik sich anschliessende Bearbeitung des gleichen Gegenstandes durcl
seinen Schüler Eudemos von Rhodos,^) die einige Abschnitte mit dei
^) Auch sprachliche Gründe sprechen
gegen die Urheberschaft des Arist.; vergl.
meine Ausg. p. 218 Note. Der VeranstaUer
des Auszugs fand noch nicht Buch J ein-
gelegt.
'^) Vgl. Note des Cod. J^ in meiner Ausg.
p. 35. Die Einfügung geschah wohl in der
Zeit nach Andronikos, da keine Neuzählung
der 13 Bücher des Kataloges vorgenommen,
sondern das neuhinzugetretene Buch mit «
llaTTop bezeichnet wurde.
■') Met. ZI.
'^) Dieser Schüler des Arist., der den
Meister überlebte, ist verschieden von dem
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 303.)
413
nikomachischen Ethik ganz und gar gemein hat,^) in den meisten hingegen
eigene Zusätze und Änderungen enthält. Die 'Hd^ixd ^isyäXa, welche in
sonderbarem Widerspruch zu dem Namen den kleinsten Umfang haben,
sind ein jüngeres Werk der peripate tischen Schule, in welchem die beiden
älteren Ethiken zu einem kleineren, aber alle Punkte umfassenden Auszug
zusammengearbeitet sind;-) wenn sein Verf. gleichwohl sich p. 120P 25
wansQ €(fafi€v iv ToTg ccvaXvTixoiq mit Aristoteles identifiziert, so hat dieses
sein Analogen daran, dass Aristoteles selbst in der Metaphysik mit Xt'yo^isv
sich als Angehörigen des platonischen Kreises bezeichnet. Die Ethika sind
von unserem Philosophen weit mehr zur Abrundung gebracht als die Meta-
physika; gleichwohl erregt ihre Komposition mehrfach Anstösse. Ob die
der nikomachischen und eudemischen Ethik gemeinsamen Bücher dem
ersten oder zweiten Werke ursprünglich angehörten, ist eine schwer zu
entscheidende Frage. ^) Die Bücher VIII und IX, welche von der Freund-
schaft handeln, sind locker angereiht und bildeten ehedem eine eigene
Schrift 7T€qI (piliag, wie eine derartige noch in den alexandrinischen Kata-
logen aufgeführt ist. Das gleiche scheint bei dem 10. Buch, das von der
Lust und Glückseligkeit [tvSaißovia) handelt, der Fall zu sein, da auch
hier die alexandrinischen Kataloge ein eigenes Buch nsql rjSovijg registrieren.
In dem Inhalt der Lehre zeigt sich insofern ein Abfall von Piaton, als die
Untersuchung über die eine Wurzel der Sittlichkeit sich in dem Detail der
Einzeltugenden verliert.^) Aber in der Schärfe der Begriffsbestimmung, der
Klarheit der Auffassung hat er auch hier seine Meisterschaft bewährt.
Er geht aus von dem Begriffe des reinen Guten oder der Glückseligkeit
(svdm/jiovia) ; diese findet er nicht in der Lust, auch nicht im lleichtum
und in äusseren Gütern des Lebens, sondern in derjenigen denkenden und
handelnden Thätigkeit, durch die der Mensch die ihm als Menschen zukom-
menden Aufgabe erfüllt.^) Die Tugend ist ihm eine dauernde, auf Einsicht und
Übung beruhende Haltung der Seele {^"^ig), welche die rechte Mitte zwi-
schen dem zu viel [vnsQßolrD und dem zu wenig (elXeiipig) findet und auf
solche W^eise die Leidenschaften und Affekte im Menschen beherrscht und
regelt.^') In Übereinstimmung mit der Begriffsbestimmung der Eudämonie
älteren Mitschüler Eudemos, dem der Dialog
Eudemos gewidmet war. Das Altertum hatte
auch Ev&ijuov uvaXvxixä u. cpvoixd, die noch
Simplicius las; Eudemi fragm. ed. L, Spengel,
Berol. 1866, wo aber die Ethika ganz ausser
Betracht gelassen wird; Eudemi fragm. in
Mullach, FPG. III, 222—292.
') Nicom, 1. V-YII = Eud. 1. IV— VI.
'^) Dieses Verhältnis ist klar gestellt von
Spengel, Über die unter dem Namen des
Arist. erhaltenen ethischen Schriften, Abh.
d. b. Ak. III, 1841 ; dazu Spengel, Aristo-
I telische Studien I in Abh. d. b. Ak. X, 1863.
Vorgl, Ueberweg, Grundriss I', 195 f.;
Zeller 11^ 2. 101 f. Über die Abschnitte
der Moralia magna, welche in den beiden
j andern Ethiken nicht stehen, siehe Susemihl
in den Proleg. seiner Ausg. der ersten Schrift.
Bergk, Gr. Litt. IV, 494 will die grosse Ethik
dem Peripatetiker Phanias beilegen. Einfluss
der Stoa weist nach Zeller ll\ 2. 942.
2) Susemihl, Über die nikomachische
Ethik des Arist., in Vhdl. d. 35. Philologen-
vers. 1881 lässt sie in der Hauptmasse von
Arist. stammen, aber aus der eudemischen
Ethik ergänzt sein.
■*) Das that aber Aristoteles mit Absicht, wie
die Stelle in der Politik I, 13 p. 1260'-^ 27 zeigt:
noXvyaQ afj.Eivov Xsyovaiv ole'iaQix^fiovvxeg rag
ccqsicig, mqttsq rogyiag, xiov oviTMg oQil^ofitviou.
5) Eth. Nie. 1,6; vgl. IX, 9 p. 1169^ 29:
7^ evJ'aifxoyUi svtQysLcl xig iaxiy.
^) Eth. Nie. II, 5: ?; xov ay^gconov eXrj
«V e^ig, cicp^ rjg tlyK&og ap&Qconog yivsxKi
xcd dcp' rjg xo iavxov eqyop ('aiodcöasi . . .
fieoöxrjg rig aQa eaxiv rj dgext], Gxo/c«JXiX}j
ye ovffcK xov fitaov. Die Definition hat grossen
Nachklang in der alten Litteratur gefunden,
so auch bei Horaz ep. 1, 18. 9: virtus est
medium vitiorum et utrimque reductum,
414
Crriechische Litteraturgeschichte. t. Klassische Periode.
und ganz im Geiste des Piaton und des Altertums überhaupt unterscheidet
er des weiteren 2 Arten von Tugenden, die dianoetischen oder geistigen
und die praktischen oder ethischen im engeren Sinn. Die Ausführung und
Charakterisierung der einzelnen Bethätigungen der Tugend des Geistes und
des praktischen Handelns nimmt sodann den grösseren Raum seines
Werkes ein.
Die unechte Schrift tteqX agsicov xal xaxim' enthält dürre Definitionen
der einzelnen Tugenden und Laster.^)
304. Die IloXiTixä in 8B. haben die Ethik zur Voraussetzung; am
Schlüsse der nikomachischen Ethik ist auf den Staat hingewiesen, durch
den die Menschen zur Sittlichkeit erzogen werden sollen, womit der Zu-
sammenhang der Ethik mit der Gesetzgebung und Politik klar ausgesprochen
ist. Die Politika selbst handeln einleitungsweise im ersten Buch von der
Grundlage des Staates, dem Haus oder der Familie, und im Anschluss
daran, von der Hausverwaltung und dem Erwerb [xQWaiiaTixrj). Als Teil
des Haushaltes erscheinen auch die Sklaven, da diesen die körperlichen
Arbeiten des Hauses, welche der freie Grieche als seiner unwürdig be-
trachete,^) zuzufallen pflegten. Im zweiten Buch unterzieht sodann unser Autor
nach der ihm beliebten Methode die Ansichten der Früheren, der Theoretiker
wie der Gesetzgeber, einer kritischen Betrachtung, wobei er ausser Phaleas
von Chalkedon und Hippodamos von Milet,^) besonders die einschlägigen
Werke Piatons, den Staat und die Gesetze, in den Kreis der Untersuchung
zieht. Die eigentliche Aufgabe löst er in den 6 nächsten Büchern, und
zwar so, dass er den Unterschied der 3 guten Staatsformen, bei denen die
Herrschenden das Wohl der Gesamtheit im Auge haben [ßaaiXsia, agiaro-
xgaria, noXirsia), und der 3 Ausartungen, bei denen die Herrschenden von
ihren eigenen Interessen sich leiten lassen {rvQavvig^ bXiyaqyia^ druioxqaxia)^
zum Ausgangspunkt nimmt. Als beste Staatsform gilt ihm diejenige, in
welcher die Besten oder die durch Tugend, nicht bloss durch Geburt und
Reichtum Hervorragenden die Herrschaft in den Händen haben, als aller-
beste die, in welcher ein einziger, der zugleich allen andern an Tugend
und Einsicht überlegen ist, die Herrschaft führt.*) Von diesem besten
Staat ist in den Schlusskapiteln des 3. Buches (III, 14 — 18) und in den
sich daran unmittelbar anschliessenden Büchern VII und VIII gehandelt. 5)
0 Den Aufsatz hat Ps. Andronikos in
sein kompiliertes Buch nsQi nad^Mv aufge-
nommen, das C. ScHUCHHAKDT, Andronici JRho-
dii qui fertur UhelliTieQl na&iüv pars altera de
virtutibus et vitiis, Darmst. 1883 auf Grund eines
guten kritischen Apparates neu edierthat; frü-
here Ausgabe von Mullach FPG. 111,570—8.
^ 2) Arist. Pol. VIII, 2 p. 1337 '^ 6: 9?«-
pSQou ort rijüv roiovTiop dsL fisrexetp oaa rwy
^qrjalfXMy noiTJaet xov fxere/oyra fxfj ßdyav-
aop. ßdvavGov d'tQyoy eivca Sei rovro ro-
fxit,eiv y.cd jb)[vi]v rciihi]P xcd ^i'c&iqoip, 6aca
TTQog rag /Qrjaeig x(d rag TiQu^Eig rag Tfjg
aQSTTJg (i^QrjGToi' d7TEQyc!.t,ovTCii ro aiofxa
TMV iXsvO^tQMy i] irjp xpr/r^v xr/l. Vgl. p.
1277=^ 35.
'^) Von Hippodamos, der von Hause aus
ein Baumeister war und um die Mitte des
5. Jahrhunderts blühte, hat uns Stobaios einige
pythagorisierende Bruchstücke erhalten; s.
C. Fk. Hermann, De Hippodamo Milesio,
Marburg 1841.
^) Ein unbedingter Lobpreiser der Monar-
chie ist also Aristoteles nicht, noch weniger ein
solcher der erblichen Monarchie, bei der seine
Voraussetzungen noch weniger leicht ein-
treffen.
^) Dass in den Handschriften die Bücher
VII u. VIII an falscher Stelle stehen und in
der angedeuteten Weise umgestellt werden
müssen, hat schon im 16. Jahrh. der Italiener
Segni erkannt, und ist von Conring in der
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 304.)
415
Aber die Behandlung des Gegenstandes ist nicht zum Abschluss gekommen ;
besprochen sind nur die äusseren Grundbedingungen des besten Staates
und besonders im Hinblick auf Piaton die Erziehung und Bildung der
Staatsbürger. Und selbst dieser Teil ist unvollendet geblieben oder viel-
mehr unvollendet auf uns gekommen; behandelt sind nur die 4 Gegenstände
des gewöhnlichen Unterrichtes, Grammatik, Gymnastik, Musik und Zeichnen ;i)
zu den höheren Unterrichtsgegenständen, Philosophie und Ästhetik, ist der
Autor nicht gekommen. Die mittleren 3 Bücher IV — VI bilden eine Unter-
suchung für sich und handeln von den übrigen Staatsformen, von den
Teilen des Staates (Rat, Beamten, Gerichte) und deren Aufgaben, von dem,
was den Staat erhält und ihn zu gründe richtet. Auch hier ist die Reihen-
folge der Bücher nicht in Ordnung. Nach der von Aristoteles selbst IV, 2
gegebenen Disposition und nach dem Eingang des 5. Buches sollte man
erwarten, dass das 5. Buch den Schluss bilde und demselben das in den
Handschriften an 6. Stelle stehende Buch vorangehe.'-^) Aber da in dem
6. Buch wiederholt (p. 1316'>34, 1317^37, 1319^37) auf das fünfte Bezug
genommen ist,^) so hat es mir doch die grössere Wahrscheinlichkeit, dass
Aristoteles jenes 6. Buch, in welchem nochmals von der Demokratie und
Oligarchie und den durch Mischung entstandenen Schattierungen jener beiden
Staatsformen gehandelt ist, erst nachträglich verfasst und den bereits voll-
endeten Büchern IV — V als Ergänzung angehängt hat.
Die beste Einrichtung des Staates galt dem Aristoteles als eine der
würdigsten Aufgaben der Philosophie, wie auch seine Schule, mehr als selbst
die Stoa, sich mit politischen Fragen abgegeben hat. Aber zum befriedi-
genden Abschluss hat Aristoteles sein Hauptwerk, unsere Politik, nicht
gebracht; es fehlt nicht bloss die planmässige Ordnung in der Reihenfolge
der Bücher,*) es fehlt auch die Krönung des Gebäudes, indem ohne jed-
weden Epilog das Werk zu Ende geht, mag man nun die überlieferte
Ordnung der Bücher beibehalten oder ein anderes Buch, das 5. oder 6.,
an den Schluss stellen. Auch sonst reisst gar oft der Faden der Unter-
suchung und haben die Herausgeber ihre liebe Not, mit allen möglichen
Einleitung der Übersetzung des Giphanius
1647, und L. Spengel, Über die Politik des
Aristoteles, Abb. d. b. Ak. V, 1847, näher
begründet worden. Die jetzige falsche Ord-
nung ist vorausgesetzt in dem Citat VII, 4
p. 1325b 34 tisqI t«? aXXctg noXirsiag rj^Tv
T£d€i6Q7]Tca TiQoTSQoy, das demnach von den
Redaktoren oder einem späteren Gramma-
tiker herrührt. Vgl. Susemihl, Über die
Komposition der arist. Politik, in Verhdl. d.
30. Vers. d. Phil. S. 17-29.
') BiEHL, Die Erziehungslehre des Ari-
stoteles, Innsbruck 1875. Das Zeichnen war
nach Plinius N. H. 35, 76 um diese Zeit
durch den Makedonier Pamphilos, den Lehrer
des Apelles, unter die Unterrichtsgegenstände
aufgenommen worden.
'^) Dieses Verhältnis ist aufgedeckt von
Barthelemy de St. Hilaire in seiner Ausg.
1837 und festgehalten von L. Spengel a. 0. u.
Arist. Stud. II, Oncken, Staatslehre des Arist.
I, 98 ff. Vgl. Bendixen in den Jahresbe-
richten der Philol. XIII, 264 ff., XIV, 332 ff.,
XVI, 465 ff. und Susemihl in der griech.-
deutsch. Ausg. Einl. 4 f. u. 58 f.
^) Beachte auch, dass die Definition der
doppelten Art des laop im 5. B. p. 1301 '^ 30
gegeben und im 6. B. p. 1317^ 4 als ge-
geben vorausgesetzt wird.
^) Ich vermute, dass Arist. nur mehrere,
ursprünglich für sich bestehende Traktate,
wie tisqI oixopofXLccg (B. I), ttsqI clqiaToxQCi-
Tiag (VII, 4 — VIII), ti€qI rcoy vnaQ/ovadjt^
nolneiwu (B. IV — V, mit dem Nachtrag von
B. VI), und die Anfänge einer zusammen-
fassenden Darstellung (I, 1. 1; II; III; VII,
1 — 3) hinterlassen hat. Die Zusammenfas-
sung der Teile scheint Theophrast besorgt
zu haben, da einige denselben geradezu für
den Autor des Werkes ausgaben; s. Ilesychius
ind. Uhr. Arist.: ■nohTixrjg ((XQoiiGEcog [iog\
f'j &eocp^(<aTov.
416
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
Hausmitteln der Kritik einen einigermassen befriedigenden Text herzu-
stellen. Aber gleichwohl ist das Werk eines der bedeutendsten und inter-
essantesten, die uns das Altertum erhalten hat; namentlich machen die
zahlreichen Angaben über die Einrichtungen der buntgestalteten Staatswesen
des Altertums das Buch zu einer Hauptquelle für den Historiker und
Altertumsforscher. Der Gegensatz zu Piaton tritt eben besonders hier von
seiner guten Seite uns entgegen, indem der Autor ideologische Träumereien
grundsätzlich ablehnt und immer auf das Thatsächliche und Mögliche den
Blick gerichtet hält. Freilich hinderte dieser Realismus ihn auch, über die
Beschränktheiten und Vorurteile des Altertums hinauszukommen: er ver-
teidigt nicht bloss die Sklaverei, er sucht sie auch physiologisch durch
Annahme einer niederen Naturanlage dieser unglücklichen Geschöpfe zu
begründen;^) vor dem Handwerk und der Arbeit überhaupt hat er keinen
rechten Respekt, indem er den Körper und die Seele des Freien von ihr
nicht besudelt sehen möchte; 2) um dem Übel der Übervölkerung vorzu-
beugen, hat er Worte der Entschuldigung für die Abtreibung der Leibes-
frucht und die Unnatur der kretischen Knabenliebe. ^) Auf der anderen Seite
verkennt er doch wieder darin, dass er eine unumschränkte Gewalt nach
Piatons Vorgang dem Guten zuweist, die naturgemässe Berechtigung der
einzelnen Bürger, an der Ordnung des Gemeinwesens mit teil zu nehmen.^)
Für die Abfassungszeit des Werkes gibt einen Wink, dass die Ermordung des
Königs Philipp (338) erwähnt ist (p. 1311'^ 1), die Einnahme Babylons aber
durch Alexander und die Invasion Kretas durch Agis IL (332) nicht in
Betracht gezogen sind (p. 1276^ 28 und 1272-^ 22).'^) Sicherlich ist der
Staat des Aristoteles nicht nach dem Muster des Weltreiches Alexanders
eingerichtet, schweben dem Autor vielmehr durchweg, namentlich in dem
Kapitel von der Grösse des besten Staates (VII, 4 u. 5), die Verhältnisse
der kleinen Gemeinwesen der Griechen vor Augen. ^■)
Die Staatslehre hatte Aristoteles schon früher in dem populären Dialog
IloXnixög behandelt, auf den sich Cicero de fin. V, 4 und ad Quint. fr. 3, 5
bezieht. Es hatte aber derselbe ausserdem in einem grossartigen Sammel-
werk, JloXiTelai betitelt, welches die Beschreibung von nicht weniger als
158 Staatsverfassungen enthielt, sich das sachliche Substrat für seine
theoretischen Spekulationen verschafft. Jenes Sammelwerk, welches zur
^) Pol. I, 2; damit hängt die Ansicht
von der Gesetzmässigkeit des Krieges gegen
Barbaren zusammen, worüber I, 8 p. 1256'^
27 : ifi 7ioXEfny.fi det /Qija&ai nqog rs r(< d^rjQLcc
xal XMv dyS^Qüintüy, '6a oi nscpvxoreg i<Q/sa^aL
fxrj d^sXovaiv, 16g cpvosi dixcaov ovra tovtov
Tov Ti6Xefj,ov.
2) Vgl. die oben schon angeführte Stelle
p. 1337'^ G und p. 1255^ 35: oaoig siovoia
fxij avtolg xay.onad^sTy, inirQonog Xafxßavsi
Ti^v /Qr]aTiy.i]y rifXTji^, avTol <fe TToXi.tevopTm
i] cpiXoaocfovai.
•') Vgl. p. Vi^h^ 31 u. 1272^ 22; leider
fehlt die an letzter Stelle versprochene Aus-
führung.
"*) Nach Aristoteles wäre die absolute Mo-
narchie Louis XIV, die beste Staatsverfassung
gewesen; denn auch dieser hatte gesagt:
nous devons considerer les Mens de nos su-
jets plus que h notre proine und c'est Ja
volonte de Dieu, que quiconque est ne sujet_
oheisse sans discernement.
^) Der Kranzprozess des Demosthenes
und Aischines hatte ebenfalls noch nicht
stattgefunden, da es nach ihm nicht heissen
konnte p. 1299''*^ 29: ov ydg tjoj xgiaig ye-
yov£v dfxcpiGßr]TovvTix)v tteqI rov ovöfxciiog sc.
ccQXV^ x«t STTifieXsLCig.
'^) Vgl. p. 1327^ 31: t6 'EXXtjyeoy ;'fVo?|
iXev&SQoy rs diaTsXei xcd fxdXiaxa ttoXitsv-
ofuei'oy xcd (fvydfusyoy uQ/eiy TidyTtor, fiidg^
Tvy^dvop 7ToXireU<g.
I
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 305.) " 417
reichhaltigsten Fundgrube für die Grammatiker und Historiker wurde, i)
ist leider nicht auf uns gekommen; doch haben wir von ihm und dem
verwandten kleineren Werke Ncfxiiia noch zahlreiche und ausgedehnte
Fragmente, die neuerdings noch einen Zuwachs aus ägyptischen Papyri über
die ältere Yerfassungsgeschichte Athens erhalten haben. ^)
Die Oixovofjiixd in 3 B. sind unecht. Das zweite Buch enthält eine
Reihe von Beispielen, wie sich Staaten und Private aus Geldverlegenheiten
halfen, und rührt sicher nicht von Aristoteles selbst, sondern von einem
jüngeren Glied der peripatetischen Schule her. Aber auch das erste Buch,
von dem im griechischen Original nur Bruchstücke existieren, wird von
Philodemos ttsqI xaxicov xai ccqexwv col. 7 als Werk des Theophrast citiert
und ist nach Susemihl, dem neuesten Herausgeber der Ökonomik, um
250—200 V. Chr. entstanden; das 3. Buch, das den Spezialtitel vöiioi ccr-
Sqog xal yaixsxrjg hatte, ist nur in lateinischen Übersetzungen erhalten. 3)
Die echte Lehre des Aristoteles über das Hauswesen enthält das 1. Buch
der Politik.
305. Die Schriften über Poetik und Rhetorik. Rhetorik und
Poetik spielten seit Piaton eine grosse Rolle in den Untersuchungen der
Philosophen; die Rhetorik, weil sie in das Grenzgebiet der Philosophie fiel,
die Poetik, weil sie ebenso wie die Musik die Aufmerksamkeit des Gesetz-
gebers und Staatsmannes in Anspruch nahm.^) Die Stellung des Piaton
und Aristoteles zu diesen Künsten ist eine grundverschiedene: jener hat sie
verdammt und aus dem Idealstaat ausgeschlossen, dieser hat sie in ihrem
Wesen begriffen und an ihre richtige Stelle gewiesen.
Von der Poetik in 2 B. ist nur das erste Buch erhalten. Dasselbe
handelt von der Tragödie und dem Epos; das zweite Buch war der Komödie
gewidmet.^) Das kleine Büchlein, das nur durch Zufall als Anhang einer
Sammlung rhetorischer Schriften im Cod. Paris. 1741 uns erhalten ist, hat
in der neueren Zeit mehr Beachtung gefunden als irgend eine der philo-
sophischen Schriften des Aristoteles. Es verdiente eine solche Wertschätzung,
da Aristoteles hier mit bewunderungswürdigem Kunstverständnis und ge-
stützt auf ausgedehnteste Kenntnis der poetischen Litteratur in kurzen
Sätzen für alle Zeiten das Wesen der Poesie und die Hauptgesetze der
1 tragischen Kunst festgestellt hat.^) Ich erinnere an die berühmte Defini-
I tion der Tragödie im 6. Kapitel,') an das nicht minder wichtige 12. Kapitel
') Plutarch, Non posse suav. 10 be-
zeichnet die Politeiai des Aristoteles neben den
Geschichtswerken des Herodot und Xenophon
und der Erdbeschreibung des Eudoxos als
die anziehendste Lektüre. Von den Auszügen
des Herakleides wird später die Rede sein.
^) DiELS, Über die Berliner Fragmente
der 'A^t^vaiiov noXiieicc, Abh. d. Berl. Ak.
1885; der aristotelische Ursprung des Pa-
pyrusfragments ward zuerst mit glänzendem
Scharfsinn erkannt von Bekgk, Rh. M. 36.
87 ff. ; vgl. WiLCKEN, Herm. 23 (1 888) S. 446 ff.
^) Spengel, Arist. Stud. III, 65 ff. Auch
GöTTLiNG in seiner Ausg. verwirft die Echt-
heit des 2. Buches.
') Nach Polit. VIII, 7 p. 1341 '> 39 scheint
geradezu die Poetik zu dem von der Er-
ziehung der künftigen Bürger handelnden
Teile der Politik gehört zu haben; vgl. p.
1336'^ 25.
^) J. Bernays, Zwei Abhandlungen über
die arist. Theorie des Drama, Berl. 1880.
^) Wenn Arist. das Wesen der Poesie
und aller Künste in der Nachahmung (f^l-
^y]aLg) findet, so baut er auch hierin auf
Piaton (de rep. III p. 277, Phaedr. p. 44)
weiter, Jaefriedigt aber deshalb nicht voll-
ständig, weil er sich zu einseitig auf einzelne
bestimmte Künste und Arten der Poesie,
wie Malerei, Plastik, Drama, Dithyrambus
stützt. ^
') Siehe oben § 127. -
Ilaudbuch der klass. Altertumswissenscbalt. VII. 2, Aufl. 2?
II
418
Griechische Litteraturgeschichte. 1. Klassische Periode.
Über die Teile der Tragödie, an die Lehre von der Einheit der Handlang
und von dem episodischen Charakter der homerischen Komposition (c. 23), an
die Unterscheidung des Wesens der tragischen und epischen Poesie (c. 26).
Doch weist auch dieses Werk, das man das erste Buch über Ästhetik
nennen kann, viele Spuren wiederholter Überarbeitung und nachträglicher
Zusätze auf, so dass sogar Ritter in seiner Ausgabe die Echtheit desselben
zu verdächtigen suchte und viele Gelehrte in die Verwerfung ganzer Kapitel,
wie auch des eben gerühmten zwölften, einstimmten. ^ Die historische
Grundlage für die Theorie der Poetik hatte sich Aristoteles durch eingehende
litterarhistorische Studien erworben; von diesen war eine Frucht das ver-
loren gegangene, im Altertum aber vielbenützte Buch über die Didaskalien.^)
Abgefasst ist die Poetik nach der Politik, da in dieser p. 134 P 40 der
Philosoph von der Katharsis später in der Poetik genauer zu handeln ver-
spricht.
306. Die Rhetorik [Ts'xvr] Qrjrogixrj) umfasst 3 Bücher. Die beiden
ersten behandeln unter Anlehnung an die Dialektik^) das Wesen des red-
nerischen Beweises {iv^v^rnia) und die Hauptsätze {tötioi) desselben; das
dritte, weitaus interessanteste, das ursprünglich ein Buch für sich bildete,^)
gilt der sprachlichen und stilistischen Seite der Rhetorik und berührt sich
vielfach mit den Schlusskapiteln der Poetik. Dasselbe hat für uns Philologen
und Grammatiker ein besonderes Interesse dadurch, dass wir aus ihm die
Anfänge der Grammatik und die ersten Termini technici derselben, wie
aqd^Qov, avvd€ap.og, nsQioSog^ x6fji[bia kennen lernen. Bezüglich der Ab-
fassungszeit der Rhetorik herrschte schon im Altertum Streit, wahr-
scheinlich weil man wusste, dass Aristoteles schon bei seinem ersten oder
zweiten Aufenthalt in Athen über Rhetorik Vorträge gehalten hatte. Gegner
des Demosthenes wollten behaupten, dass der grosse Redner das beste aus
Aristoteles gelernt habe; diesen gegenüber wies der Rhetor Dionysios im
Brief an Ammaios nach, dass Aristoteles erst nach den grossen Reden des
Demosthenes seine Rhetorik geschrieben habe. Die Sache hat ihre Richtig-
keit;^) übrigens ist es auffällig, dass Aristoteles den Demosthenes so wenig
berücksichtigt, was wohl doch daher stammt, dass die Grundlinien seiner
Lehre aus früherer Zeit stammen, in der Isokrates noch ganz das Feld der
Beredsamkeit beherrschte.
Ts'xvrjg rr^g QsoSsxrov avvayiüyr^^ als 0€o6txTsicc in Rhet. III, 9 p. 1410^ 2
citiert, enthielt nach Valerius Maximus VIII, 14 Vorträge des Aristoteles
^) Zu dieser Hyperkritik Hessen sich
viele Gelehrte hinreissen, weil ihre Aristo-
telesstudien nicht über dieses einzige Büch-
lein hinausgingen; wer in seinem Aristoteles
bewanderter ist, weiss, wie wenig von seinen
Werken übrig bliebe, wenn mangelnder Zu-
sammenhang zur Athetese berechtigte.
'^) Über Anlage und Geschicke der Didas-
kalien siehe Richtek, Prol. ad Arist. Vesp.
p. 13-29.
^) Gleich im Eingang der Rhetorik heisst
es: '^ QijTOQixij iarip uvriaTQocpog TJj diaXsx-
Tix^. Daher wird sie T, 2 definiert als
dvi'af^ig ttsqI exdaxov &eiJiiQrjaca ro ev^exö-
■*) Im Ind. Diog. wird aufgeführt neql
Xe^EMg ß' und Te^^'^]? QijroQixijg ß', im Ver-
zeichnis des Ptolemaios ist bereits die Rhe-
torik mit 3 B. aufgezählt. Die von Sauppe
u. a. angezweifelte Echtheit des 3. Buches
verteidigt Diels, Über das 3. Buch der arist.
Rhetorik, Abh. d. Berl. Ak. 1887.
^) Hauptbeweisstelle II, 24 p. 1401b, 33:
(vg 6 Jrj^dt^rjg trjp Ji]fxood^Evovg nohrsLay
7j('<vru)v rioy xkxwu citrlap.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ SOG -308.)
419
aus früherer Zeit, welche derselbe dem Theodektes aus Phaselos, einem
Isokrateer, zur Herausgabe überlassen hatte. ^)
307. Unecht ist die Rhetorik an Alexander, der ähnlich wie dem
untergeschobenen Buche tisqI xoaßov ein unechter Brief an Alexander voraus-
geht. Das unmittelbar aus der Praxis der Redner hervorgegangene Buch,
das für Würdigung der Kunst der Redner namentlich an der Hand der
Spengelschen Ausgabe von einziger Wichtigkeit ist, weicht weit von dem
philosophischen Gehalt der echten Rhetorik des Aristoteles ab. Durch Ver-
gleichung des Buches mit der Angabe des Quintilian von den 2 Gattungen
und den 7 Arten der Rhetorik des Anaximenes^) hat schon Victorius er-
kannt und L. Spengel in seiner Ausgabe (1844)^) erhärtet, dass dasselbe
von Anaximenes, dem vielseitigen Litteraten, herrührt, den wir bereits
oben § 239 als Historiker und Epiker kennen gelernt haben.
308. Gesamtcharakter und Lehre des Aristoteles. Fassen wir
zum Schluss noch die Gesamtheit der Schriften des Aristoteles ins Auge,
so muss uns in ihnen vor allem die an Universalität grenzende Vielseitig-
keit des Mannes in Staunen setzen: in dem Reiche der Natur war er ebenso
zu Hause, wie in dem der Litteratur und des Geistes, und nicht bloss be-
trieb er die mannigfachsten Disziplinen, wie Rhetorik, Poetik, Mechanik,
Zoologie, Botanik, er verfügte auch in jeder derselben über eine erstaun-
liche Fülle von Einzelkenntnissen. Piaton nannte ihn den grossen Leser,
und wahrlich er muss unendlich viele Reden, Dramen, Geschichtswerke,
philosophische Schriften gelesen haben; aber daneben hatte er auch ein
offenes und geübtes Auge für die Schöpfungen der Natur, auch die kleinsten
und scheinbar unbedeutendsten. Während aber sonst durch solches Viel-
wissen das Licht des ordnenden und kombinierenden Verstandes verdunkelt
zu werden pflegt, verband Aristoteles mit der Fülle des Wissens eine sel-
tene Schärfe des Urteils und eine überaus glückliche Anlage zur konstruk-
tiven Spekulation. Ja es überwog bei ihm, wenn wir seine Leistungen
mit dem heutigen Masstab der Wissenschaft beurteilen, die von der Schule
des Piaton und der Sophisten auf ihn übergegangene Neigung zur speku-
lativen Betrachtung so, dass er, der der Begründer der Naturwissenschaften
war, gleichwohl im Mittelalter zum Vorbild dürrsten Wortkrams und leerer
Begriffsspalterei werden konnte. Was er aber nicht oder nur in geringem
Grade hatte, war das Vermögen der Abrundung und künstlerischen Gestal-
Es trat das zunächst in der Sprache und dem Stil hervor: Aristo-
tung
') Quintil. II, 15: a quo non dissentit
Theodectes, sive ipsius id opus est sive uf
creditum est Aristoteles; vergl. Rose, Arist.
pseud. 135 ff. Der Epikureer Philodemos er-
wähnt und benützte rctg rex^ag rag 'Jqiazo-
rfAovg, s. Usener, Epicurea p. 401.
2) Quint. III, 4, 9: Anaximenes iudi-
cialem et eontionalem generales j^ci^tes esse
voluit, Septem autem species hortandi, de-
hortandi. laudandi, vitup>erandi, accusandi,
defendendi, exquirendi == Rhet. ad Alex.
I, 1 : ^vo (tqIcc codd., (fvo aber Syrian ad
Hermog. IV, 60) ye'ft] T(Sv TTohiixajy eiol
koyoiy, To fxay örj^rjyoqixöv, t6 6s 6ixc<yix6y,
eidt] de xovxmv inra, TTQozQsnTixoy, clno-
TQenrtxoy, iyxwfiiaaTixoy, xpsxrixöy, xccrtj-
yoQixop, dnoXoyijTixoy, s^Ezaazixöv.
^) Seine These verteidigt Spengel, Phil.
18, 604 tf. gegen Campe, der in Jahrb. f.
Phil. 45, 59 ff. u. Philol. 9, 106 ff. das Buch
in die römische Kaiserzeit setzen wollte.
Dasselbe hat nur einzelne Zusätze oder Inter-
polationen aus späterer Zeit erhalten, wie
gleich im Eingang to de inideixzixou und p.
53, 21 xazd zic TTQoyi^^vua^uaza. Gegen
Spengel erklärt sich neuerdings Susemihl,
Jahrber. d. Alt. XIII, 1. 1 f.
27
420
Griechische Literaturgeschichte. I. Klassische Periode.
teles hatte zwar, wie das namentlich die Poetik und Rhetorik zeigt, ein
feines Verständnis für poetische Schönheit und rednerischen Schmuck, er
dichtete auch Elegien und Oden und schrieb überzeugende Reden und
Briefe, aber seine Rede hat keine Anmut und keinen Schwung, und seine
Darlegungen entbehren des fesselnden Aufbaus und des krönenden Ab-
schlusses.^) Der letzte Mangel ist aber nicht bloss in Fehlern des Stils zu
suchen, erliegt tiefer, erliegt darin, dass Aristoteles in seinem Denken bezüg-
lich der obersten Begriffe nicht zur vollen Klarheit mit sich selbst gekommen
war. Es ist gewiss die Unzulänglichkeit unseres philologischen Vermögens
nicht allein schuld, wenn wir über den vovg TioirjTixog und Tcccd^7]Tix6g, die
xd^agaig uad^vjiiidTMv, die zwei Arten des Zweckes nicht völlig ins Reine
kommen. Aber wenn nun auch Aristoteles zu keinem befriedigenden Abschluss
in der philosophischen Spekulation gekommen ist, der Weg, den er ein-
schlug, die liis&oSog, war vortrefflich : er geht erst zur Entwicklung seiner
eigenen Gedanken, nachdem er die Versuche der Früheren einer unbefangenen
Kritik unterzogen hat; wir verdanken diesem Verfahren die vielen Auf-
schlüsse über die älteren Philosopheme. Er sucht sich überall den Weg
zu ebnen durch Wegräumung der entgegenstehenden Hindernisse, er beginnt
daher ganz gewöhnlich seine Darstellung mit Aufstellung von Aporien und
deren Lösung. Er steigt sodann in allem, und das hatte er von seinem
Vater, dem naturwissenschaftlich gebildeten Arzte, gelernt, von dem Ein-
zelnen und Thatsächlichen zum Allgemeinen und zur Idee auf, und ver-
schmäht dabei, wie er de partibus anim. I, 5 so hübsch auseinandersetzt,
auch das Unscheinbarste nicht, weil die Erkenntnis des Grundes auch beim
Kleinsten lauterste Freude dem wahren Forscher bereite.
Bei dieser Richtung seiner Forschung ist es erklärlich, dass die Er-
folge derselben zumeist auf dem Gebiete der Einzelwissenschaften liegen.
Die Philosophie, die zuvor als Inbegriff aller spekulativen Thätigkeit galt
und die Keime der Naturkunde, Mathematik, Astronomie, Sprachlehre in
sich trug, verlor durch ihn jenen allgemeinen Charakter und trat in ver-
schiedene Disziplinen auseinander. Er schrieb nicht bloss eigene Bücher
über Logik, Psychologie, Ethik, er hat auch durch seine Rhetorik und Tier-
geschichte den Ausbau der von der gemeinsamen Mutter sich loslösenden
SpezialWissenschaften inauguriert. In der eigentlichen Philosophie bekämpfte
er mit Erfolg die transcendentale Lehre Piatons, indem er mit schlagenden
Gründen nachwies, dass die Ideen nicht ein gesondertes Leben für sich
führen, sondern nur in den Dingen selbst als deren wesenhafter Inhalt
Existenz haben. Indem er sodann die von ihm neuerdachten Begriffe
dvvaßig (Anlage etwas sein zu können) und svreXsxsia (Verwirklichung der
Anlage) zu Hilfe nahm, Hess er die Materie durch die Form zur Verwirk-
lichung des ihr vorgesetzten Seins {c6 ti tjv eivai) kommen. Damit traten
bei ihm Stoff und Form, Materie und Geist in ein natürliches, sich gegen-
seitig bedingendes Verhältnis. Damit war auch zugleich dem Guten seine]
^) Freilich mögen manche Nachlässig-
keiten des Stils daher rühren, dass Aristo-
teles die erhaltenen Werke nicht selbst zur
Herausgabe vorbereitet hat, da in einzelnen
gefeilteren Partien, wie Metaph. I, der Hiatus
und die rasche Wiederkehr desselben Wortes
mehr gemieden sind; vgl, § 297. Über
seinen schlichten, metapherlosen Stil urteilt
gut Longin in Rhet. gr. Sp. I, 325.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles, (§ 309.)
421
passende Stellung in dem Ganzen der Welt gegeben. Das Gute steht nämlich
dem Aristoteles nicht wie den pythagoreisierenden Akademikern als oberste
Stufe des Seins ausserhalb der Dinge; das Gute ist ihm vielmehr der Zweck
(iro Ol) €V€xa), der sich dadurch verwirklicht, dass die Anlage sich zu dem,
was sie zu werden geschaffen ist, entwickelt. Dadurch erwuchs unserem
Philosophen aber auch die schwierige Aufgabe, das Gute oder Zweckmässige in
der Welt nachzuweisen (Teleologie) ; er versuchte das in einzelnen Fällen,
setzte aber im allgemeinen mehr das Gute voraus, als dass er die These
selbst und die damit zusammenhängende Frage nach dem Zufall einer selb-
ständigen Prüfung unterzogen hätte. 0
Die Unzulänglichkeit der platonischen Ideenlehre zur Erklärung der
empirischen Welt erkannte Aristoteles zumeist in dem Mangel einer be-
wegenden Kraft, da den Ideen selbst, namentlich wenn sie für sich bestün-
den, eine solche Kraft nicht innewohnen könne. Den Mangel hat er richtig
erkannt, auch hat er im Einzelleben, wie in der Zeugung, die Bedeutung
jenes dritten Faktors gut nachgewiesen; aber sein oberster Beweger (t6
TTQMTov xivovr, primiis mofor), der die Bewegung der Sternenwelt bewirkende
göttliche Nus, hat weder die Eigenschaften eines Gottes noch eines denken-
den Geistes. Wenn daher ein neuerer Philosoph den Kernpunkt der ari-
stotelischen Philosophie in dem Bestreben, die sokratisch-platonische Be-
griffsphilosophie zu einer die Erscheinungen erklärenden Theorie umzubilden,
gefunden hat, so ist das richtig, nur darf man in dem Streben nicht auch
schon ein Erreichen des Zieles sehen. Gross war Aristoteles in der Auf-
stellung und Scheidung von Begriffen, und viele derselben, wie Potenz und
Aktualität, Materie und Form, Accidenz und Substanz leben noch in unserer
Zeit fort, aber mit der Scheidung von Begriffen sind noch nicht die Grund-
elemente der Dinge und die Gesetze der Bewegung gefunden. Zutreffend
sodann ist die Polemik des Aristoteles gegen die transcendente Ideenlehre
Piatons. Aber indem er so eine Seite der platonischen Philosophie erfolg-
reich bekämpfte und wesentlich zur Ernüchterung der wissenschaftlichen
Forschung beitrug, vergab er in [der Ethik und Staatslehre der Hoheit
der Ideen ihr unveräusserliches Recht; befangen in den Vorurteilen der
realen Wirklichkeit (Realismus) hat er selbst unnatürliche Verhältnisse,
wie die Sklaverei, nicht bloss als thatsächlich hingenommen, sondern sogar
als Naturgesetz zu begründen gesucht.
Fassen wir schliesslich unser Urteil über das Verhältnis der beiden
grössten Philosophen des Altertums zusammen, so hat Aristoteles mit
seinem Sinn für das Reale und Mögliche im einzelnen vieles richtiger er-
fasst, gewährt uns aber seine Philosophie als Ganzes bei dem ungenügenden
Ausbau seiner obersten Prinzipien weniger Befriedigung als der harmonisch
ausgeführte, wenn auch auf einseitiger Grundlage errichtete Kunstbau des
platonischen Idealismus.
309. Ein grosser Denker und Forscher wie Aristoteles konnte nicht
verfehlen einen mächtigen Einfluss auf Mit- und Nachwelt zu üben. Er
sammelte einen grossen Kreis von Schülern um sich und wurde Begründer
^) Dass Gott alles zum Guten erschaffen
habe, war ein von Sokrates (Xen. Mem. I, 4
u. IV, 3) überkommener Satz, der allen So-
kratikern wie ein Vernunftsaxiom feststund
422
Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode.
einer eigenen Schule, welche sich von den Spaziergängen (nsginaToi) des
Lykeion, in denen wandelnd der Meister seine Lehre vortrug, die peripate-
tische nannte. Sein nächster Nachfolger war Theophrast aus Lesbos, den
er sterbend vor Eudemos aus Rhodos zur Nachfolge dadurch empfohlen
haben soll, dass er von den Weinen, die man ihm zur Stärkung reichte,
den rhodischen für stark, den lesbischen aber für süsser erklärte (Gellius
XIII, 5). Dieser ebenso wie Eudemos i) und sein Sohn Nikomachos be-
sorgten nicht bloss die Herausgabe seiner Werke, sondern schlössen sich
auch in der Lehre und Methode eng an ihren Meister an. Aber über seine
Schule hinaus hat Aristoteles Jahrhunderte, ja Jahrtausende lang bestimmend
auf das philosophische Denken und die Entwicklung der Wissenschaft ein-
gewirkt.
Das gelehrte Studium und die Kommentierung der aristotelischen
Werke begann mit der Auffindung und Veröffentlichung seiner Gesamt-
schriften durch den Peripatetiker Andronikos^) in der Zeit nach Sulla.
Die Beiträge zur Erklärung erreichten dann seit dem 3. Jahrhundert nach
und nach einen solchen Umfang, dass Aristoteles selbst von ihnen förmlich
verschüttet wurde und ein richtigeres Verständnis des Philosophen erst
dann wieder eintrat, als man die weitläufigen Kommentare zur Seite zu
werfen und zum Texte des Autors selbst zurückzukehren begann. Die
Erläuterung nahmen zunächst die griechischen Peripatetiker in die Hand.
Im 6. Jahrhundert n. Chr. verpflanzte dann Boetius die gelehrte Bearbeitung
nach Latium und dem Abendland. Im Mittelalter beteiligten sich byzan-
tinische Griechen, Araber und lateinschreibende Scholastiker an der Arbeit.
Schon im Altertum war durch die Lebensgeschichte Alexanders von Ps.
Kallisthenes der Philosoph Aristoteles mit seinem königlichen Zögling Ale-
xander in das Gewebe romanhafter Wundererzählungen verwickelt worden.
Im Mittelalter wurden diese Beziehungen infolge des phantastischen Zuges
der Zeit noch mehr ins Romanhafte und Wunderbare gezogen. In dieser
Atmosphäre entstanden mehrere dem Aristoteles untergeschobene, zum Teil
aus dem Arabischen übersetzte lateinische Werke, darunter die ehedem oft
gedruckten Secreta secretorum, in denen Aristoteles als der Erfinder aller
möglichen Geheimnisse der Heilkunst und Lebensweisheit erscheint. Schon
früher hatte man dem grossen Philosophen den Physiologus angedichtet
und zirkulierten von ihm mystische Theologumena.'^) Beim Wiedererwachen
der Wissenschaften wurde der echte Aristoteles zur Bekämpfung des fal-
schen der Scholastik eifrig hervorgeholt, so dass im 16. Jahrhundert seine
Werke und die alten Kommentare derselben wiederholt in rascher Folge
hintereinander ediert wurden. Dann erkaltete das Studium des Philosophen,
') Die Fragmente des Eudemos sind ge-
sammelt von L. SpetsGel, Eudemi Rhodii
fragmenta Berolini 1866; vgl. Zeller IP,
2. 869 ff. Gross war das Ansehen des Eu-
demos als Physiker und Historiker der Astro-
logie und Mathematik.
2) Andronikos verfasste nebst einer
Schrift über die Ordnung der Schriften des
Arist. auch Kommentare zur Ethik, Physik
und zu den Kategorien. Über eine Para-
phrase der nikomachischen Ethik unter dem
falschen Namen des Andronikos s. Stahr,
Aristot. I, 131 ff. u. II, 262.
^) Macrobius, Saturn. I, 18. 1 : nam
Aristoteles qui theologumena scripsit, wo
andere Aristocles statt Aristoteles lesen; vgl.
§ 559 extr.
4. Die Philosophen, d. Aristoteles. (§ 309.) 423
bis dasselbe in unserem Jahrhundert durch Trendelenburg, Spengel u. a.
von neuem wieder belebt wurde.
Erläuternde Schriften: Dieselben zerfallen in Aufzeichnungen der Schriften («v«7(>«qp«t,
indices), in Kommentare [vnofÄvrj^uara, commentarii), und Sinnumschreibungen {nciQacpqccaeig).
Von den ersten, den Katalogen des Hermippos, Andronikos, Ptolemaios, ist oben § 294
gehandelt. Mit Inhaltsangaben verbunden wird des Peripatetikers Nikolaos Damaskenos
d^EMQia x(iip 'jQLdxoxelovg gewesen sein, von der ein Scholion zu Theophrasts Metaph. p. 323
Br. Kenntnis gibt.
Der bedeutendste Kommentator war Alexander Aphrodisiensis, der unter
Septimius Severus lebte (s. Philoponos ad Anal. pr. fol. 33'^) und nicht bloss treffliche
Kommentare zu Aristoteles, von denen uns die zu Analytika pr., Topika, (unecht
die zu Sophist, el.), Meteorologika, de sensu, Metaphysik erhalten sind, sondern auch nach
Weise der älteren Peripatetiker selbständige Schriften nsql ipv/T]?, negt siixaQ^iyrjg, cpvai-
xwy xccl ^r^ixüji/ anoQiMv xal Xvaseoi^ ßißX. ö", nQoßXrjfiarci [Alexandri Aphrod. scripta minora
ed. Bruns in Suppl. Aristot. 11) verfasste. Vorgänger Alexanders von Aphrodisias waren
Alexander von Aigai, Lehrer des Nero, der die Kategorien und die Bücher de caelo
kommentierte; Boethos, der Kommentare zu den Kategorien schrieb; Adrastos von Aphro-
disias (Adrantos, verschrieben bei Ath. 673 e), der neQL rijg rd^sMg raju ^AQiorori'kovg
avyyQC4/ufj.chü)i/ (s. Simpl. ad categ. fol. 4) schrieb; Aspasios (um 110 n. Chr.), der die
Ethik kommentierte; Herminos, Lehrer des Alexander Aphrod. Der hervorragendste
Exeget der letzten Zeit des Altertums war Simplicius, ein Schüler des Ammonios im
6. Jahrh. ; seine durch Sachkenntnis und gelehrte Berücksichtigung der älteren, nun meisten-
teils verloren gegangenen Litteratur ausgezeichneten Kommentare zu Physik, de caelo, de
anima sind erhalten. Andere Kommentatoren des untergehenden Altertums und begin-
nenden Mittelalteis sind Joannes Philoponos, gleichfalls Schüler des Ammonios, der
sich mit Philosophie und Grammatik abgab, und von dem wir Kommentare zu Analytik,
Physik, Meteorologie, de gen. anim., de gen. et corrupt., de anim,, Metaphysik besitzen;
Porphyrios (3. Jahrb.), der eine, wiederum durch Hermeias eingeleitete Eiaayojyt] stg
Tcig xcizrjyoQLctg verfasste; Dexippos (4. Jahrb.), von dem uns 'AnoQua xal Xi'aeig sig rag
'AQiaroTsXovg xaTtjyoQtag erhalten sind; ferner die Kommentatoren der logischen Schriften
Syrianos, Lehrer des Proklos (kommentierte von der Metaphysik 1. II. XII. XIII), Am-
monios, Sohn des Hermeias, Olympiodoros, Zeitgenosse des Simplicius, David der
Armenier (um 500 n. Chr.), Stephanos (um ßlO), der auch ein astronomisches Lehrbuch
verfasste (siehe Usenek, De Stejikano Alexandrino, Bonn 1880); dazu kommt Eustratios,
der im 12, Jahrh. auf Grund der alten Kommentare des Aspasios die Ethik kommentierte.
Die langweilige Litteratur der Paraphrasen wird eröffnet durch Them istios (um 400),
der Paraphrasen zu Anal. pr. (unecht ist die zu Anal, post.), Physik, de anima. Parva Naturalia
verfasste (herausgegeben von Spengel, Themistii puraphrases, Lips. 1856, 2 vol.). In seine
Fusstapfen trat im Mittelalter Sophonias, der im Eingang seiner Paraphrase der Ana-
lytik den Themistios und Psellos als seine Vorgänger bezeichnet und den Val. Rose,
Herm. II, 212 in die Wende des 13. und 14. Jahrh. setzt. Unter dem falschen Namen des
Andronikos oder Heliodoros von Prusa (über die Fälschung s. Cohn, Berl. Phil. Woch.
1889 S. 1419) geht eine Paraphrase der nikomachischen Ethik. Siehe im allgemeinen
Prantl, Gesch. d. Log. I, 617 ff.
Ausgabe der Scholia in Aristotelem (meist im Auszug) in dem 4. Band der Berl.
akad. Ausgabe von Brandts. — Eine neue vollständige Ausgabe Commentaria in Aristo-
telem graeca, in 25 vol. von der preuss. Akad. unter der Leitung von Torstrik und nach
dessen Tod von Diels vorbereitet, ist unter Mitwirkung von Wallies, Vitelli, Busse,
Hayduck, Heylbut im Erscheinen. Von den lat. Kommentaren des Boetius ist erschienen:
Comment. in librum Aristotelis ttsqI 8QfX7]vsLag rec. Meiser, in Bibl. Teubn. 2 vol.
Die Übersetzungen ins Syrische, Arabische, Lateinische haben ihre Hauptbedeutung
darin, dass einige Schriften nur durch sie uns überkommen sind, wie die Bücher neQi
cfvxMv durch eine arabische, die Kommentare des Themistios zu Metaph. A und de caelo
durch hebräische Übersetzungen. Über die Thätigkeit der Araber im Übersetzen und Kom-
mentieren des Aristoteles s. Prantl, Gesch. d. Log. II, 307 ff., Klamroth ZDMG. 41, 439.
Die latein. Übersetzungen beginnen mit dem 13. Jahrh.; einige von ihnen, wie die zur
Rhetorik und Politik, haben die Bedeutung von Handschriften, namentlich wegen der wort-
getreuen Wiedergabe des griech. Originals. Der bedeutendste Übersetzer war der Domini-
kanermönch Wilhelm von Moerbecke (um 1260), der durch Thomas von Aquin die
Anregung erhielt. Die Problemata sind übersetzt von Barth olomaeus Messanius, Rat
des Königs Manfred von Sikilien (1258-66). Näheres geben Jourdain, Recherches sur
Voricfine des traductions latines d' Aristot., Par. 1819, ed. II 1843, übersetzt von Stahr
1831; Prantl, Gesch. der Log. II, 99 ff. u. III, 3 ff. ; v. Hertling, Zur Gesch. d. aristot.
Politik im Mittelalter, Rh. M. 39, 446-457.
424 Griechische Litteraturgeschichte. I. Klassische Periode
Codices: ein kritischer Apparat wurde beschafft durch Imm. Bekker in der von der
preuss. Akad. ins Leben gerufenen Gesamtausg. d. Arist., Berol. 1831 — 70. Ergänzt,
namentlich durch Ausbeutung der alten Kommentare, teilweise auch berichtigt wurde der-
selbe durch mehrere, unten anzuführende Spezialausgaben und durch die in der Bibl. Teubn.
erscheinende Gesamtausg. Die massgebenden Codd. sind in den einzelnen Schriften ver-
schieden; ich nenne die besten: Paris 1741 s. XI (^^), einzige Textesquelle für die Poetik,
hauptsächlichste für die Rhetorik; Paris 1853 s. XII (E), Hauptquelle für Physik, de caelo,
de gen., de an., Metaphysik; Laurent. 87, 12 s. XII (A^), neben E Hauptquelle für Meta-
physik, mit Resten stichometrischer Angaben (s. Christ, Sitz. d. b. Ak. 1885 S. 405 ff.) ;
Marc. 201 s. X (B) und Urbin. 35 (A), wichtigste Codd. zu dem Organon. Über 12 Pa-
limpsestblätter des Vatic. 1298 s. X zur Politik s. Heylbut, Rh. M. 42, 102 ff., über einige
Papyrusblätter zu den Politien oben S. 417 An. 2.
Ausgaben: ed. princ. ap. Aldum 1495 — 8; ed. Bipont. besorgt von Buhle, 1791
bis 1800, 5 vol. (blieb unvollendet); ed. acad. reg. boruss., Berol. 1831—70, 5 vol. 4"
(nach ihr wird citiert; die ersten 2 Bde., besorgt von Imm. Bekker, enthalten dengriech.
Text., der 3. Bd. die lateinischen Übersetzungen von Pacius, Argyropylus, Bessario
etc., der 4. die Scholien, besorgt von Brandis, der 5. die Fragmente nach der Rezension
von Val. Rose und den Index Aristotelicus von Bonitz); ed. Didotiana, besorgt von
DÜBNER, Bussemaker, Heitz, Paris 1848—74, 5 vol.; Textesausg. der Bibl. Teubn. mit
krit. Apparat, besorgt von Biehl, Christ, Dittmeyer, Prantl, Römer, Rose, Süsemihl, noch
im Erscheinen. — Griech. und Deutsch mit sacherklärenden Anmerkungen, Leipzig bei
Engelmann, besorgt von Prantl (Physik), Süsemihl (Politik, Poetik) u. a.
Hauptsächlichste Spezialausgaben: Organon rec. comm. Waitz, Lips. 1844 — 6, 2 vol. —
Meteorologica rec. et comm. Ideler, 1834 — 6, 2 vol. - Arist. über die Farben erl. von
Prantl, Münch. 1849 — de anim. histor. rec. comm. J. G. Schneider, Lips. 1812, 4 vol.;
Tiergeschichte von Aubert u. Wimmer, Leipz. 1868 — de anima rec. comm. illustr. Tren-
DELENBURG, Jena 1833, ed. II cur. Belger 1877; rec. Torstrik, Berol. 1862. — Metaphys.
mit Übers, u. Kommentar von Schw^egler, Tüb. 1847, 4 Bde.; rec. et enarr. Bonitz, Bonn
1848, 2 vol., Hauptausg. — Eth. Nicomachea rec. comm. Ramsauer, Lips. 1878. — Politica
cum vetusta translatione ed. Süsemihl, Lips. 1872; mit sacherklärenden Anm. von Süsemihl
in Bibl. Engelm. 1879. — Oekonom. ed. Göttling, Jena 1830 — de arte poet. ed. ann.
Tyrwhitt, Oxon. 1794; ed. comm. G. Hermann, Lips. 1802; rec. Vahlen ed. III, Lips.
1885; mit sacherklärenden Anm. von Süsemihl, ed. II in Bibl. Engelm. — Bhetorica ed.
comm. ViCTORius, Flor. 1648 u. 1679; ann. L. Spengel, Lips. 1867, 2 vol.
I
Zweite Abteilung.
Nachklassische Litteratur des Hellenismus.
A. Alexandrinisclies Zeitalter.
1. Allgemeine Charakteristik.
310. Mit dem Untergang der Freiheit und Selbständigkeit der grie-
chischen Staaten war noch nicht das geistige Leben und die Litteratur der
Griechen zu Grabe getragen; aber dem freien, selbständigen Denken und
Dichten war seit der Schlacht von Chäronea die eigentliche Lebensader
unterbunden. 1) Was von da an die Griechen im Reiche des Geistes noch
schufen, hauchte nicht mehr jene frohe, ungebundene Schaffenslust, welche
den Werken der klassischen Zeit ihren unvergänglichen Reiz verliehen
hatte. Die geistige Kraft des Volkes, gelähmt und gebrochen, begnügte
sich im wesentlichen damit, die grossen Muster der Vergangenheit im kleinen
nachzuahmen und den herrlichen Schatz der klassischen Litteratur durch
Sammeln und Erläutern dem allgemeinen Verständnis näher zu bringen.
Die Gelehrsamkeit, die mühsam erworbene, auf kleine Kreise beschränkte,
nicht auf das ganze Volk wirkende, trat an die Stelle des von den freien
Gemeinden getragenen, mit den Festen des Volkes und der Öffentlichkeit
des politischen Lebens verbundenen Schaffens und Dichtens. Der Baum
der griechischen Litteratur, der einst so herrlich erblühte und so üppige
Schösslinge trieb, war alt und welk geworden, so dass es hohe Zeit war,
wenigstens die Früchte, welche er in früheren, glücklicheren Zeiten gereift
hatte, einzuheimsen. Wenn hie und da noch ein grünes Reis an ihm
emporschoss, wenn in der Philosophie, der Komödie, der bukolischen Poesie
die alte Triebkraft noch nicht völlig abgestorben war, so verrieten doch
diese späten Schösslinge nichts von der Urwüchsigkeit der alten Sprossen
und gediehen obendrein nur da, wo, wie in Athen und Syrakus, der Boden
seit alter Zeit vorbereitet war.
') Bergk, Kl. Sehr. II, 533 ff. lässt ! beginnen. Wir halten uns nicht an ein
unsere Periode erst mit dem J. 300 oder bestimmtes Jahr, gehen aber im allgemeinen
mit der Begründung der Diadochcnrciche j von dem Tode Alexanders aus.
426 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Aber der Verlust der politischen Freiheit und die dadurch hervor-
gerufene Erlahmung der Schaffenskraft des alten Griechenlands bildete nur
ein Moment in der Litteratur des alexandrinischen Zeitalters; ein anderes,
nicht minder wichtiges lag in der Ausdehnung der griechischen Kultur
über ihre alten natürlichen Grenzen, die mit Alexander begann und in den
hellenistischen Reichen, welche aus dem Weltreich des grossen Makedoniers
hervorgingen, immer weitere Kreise zog. Denn Alexander hat nicht bloss
die alten Reiche der Perser und Ägyptier zertrümmert, er hat auch, indem
er die Fackel hellenischen Geistes vorantrug, die weiten Länder der abge-
storbenen Despotien zu neuem Leben im Glänze des Hellenentums erweckt.
In Makedonien, Ägypten, Syrien, Kleinasien entstanden hellenistische Reiche,
deren Könige und Generale Griechen oder doch Halbgriechen waren, deren
Kraft in der Überlegenheit der griechischen Kultur ihre Wurzel hatte, in
denen sich vom Hofe aus die griechische Sprache über die breiten Massen
des Volkes verbreitete. Das hatte natürlich seinen grossen Einfluss nach
verschiedenen Seiten. Einesteils ward damit der geistige Horizont der
Griechen bedeutend erweitert; in Masse flössen den Naturforschern Berichte
über seltene Erscheinungen in der Tier- und Pflanzenwelt zu; in neue
Länder und Meere drangen wissbegierige Reisende vor und überraschten
ihre Landsleute mit den Beschreibungen neuerschlossener Erdteile. Ward
mit den zahlreichen Büchern über Wunderdinge (tvsqI ^avjjiaaicov) auch zu-
nächst nur der Neugierde der leichtgläubigen Menge gehuldigt, so ent-
wickelte sich doch däneben auch nach und nach der ernste Bau natur-
wissenschaftlicher, mathematischer und geographischer Wissenschaft. An
eigentlichen Geistesprodukten fanden die Griechen in den Ländern der älteren
Kunst nichts, was sich mit ihrer eigenen Poesie, Mythologie und Geschichts-
schreibung messen konnte; aber nichts desto weniger drangen fremde Götter-
gestalten in den hellenischen Olymp ein und mischten sich griechische
Bräuche mit orientalischen. Die starre Unterscheidung von Hellenen und
Barbaren geriet ins Wanken, noch ehe Eratosthenes förmlich erklärte, dass
dieselbe auf einer kurzsichtigen Überhebung der Griechen beruhe, da viele
der Hellenen schlecht seien und es unter den sogenannten Barbaren Leute
von feiner Bildung, wie die Inder und Arianer, und von überlegener poli-
tischer Tüchtigkeit, wie die Römer und Karthager, gebe.^ Ihren beredten
Ausdruck fand jene erweiterte kosmopolitische Auffassung der Verhältnisse
in dem Historiker Polybios und mehr noch in den Lehren der Stoa.
311. Hat so die Ausdehnung der hellenistischen Kultur zur Bereiche-
rung der Wissenschaft und Erweiterung des Gesichtskreises fördernd bei-
getragen, so litt auf der anderen Seite unter jenen fremden Einflüssen die
Reinheit des hellenischen Geistes und die Keuschheit der griechischen
Sprache. Die vielen, welche griechisch reden und schreiben mussten, ohne
dass sie die Kenntnis der griechischen Sprache mit der Muttermilch ein-
gesogen hatten, überschwemmten die Sprache mit Solökismen, und auch
die geborenen Griechen mischten, nachdem einmal die strenge Norm ge-
fallen war und Athens massgebender Einfluss aufgehört hatte, aus der
laxen Umgangssprache Wortformen, Wörter und Konstruktionen ein, die
^) PJratosthenes bei Strabon p. 66.
A. Alexandrinisches Zeitalter, 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 311—318.) 427
man bisher von der Schriftsprache ferne gehalten hatte. So machte in der
Prosa der Historiker, Philosophen und selbst der Grammatiker der reine
Attikismus der Nachlässigkeit des Gemeingriechischen {Sicclsxtog xoivi'j)
Platz. In der Poesie ward strenger und länger auf Korrektheit und Schön-
heit des Ausdrucks gesehen, begegnen uns sogar noch Gedichte in dorischem,
äolischem und ionischem Dialekt; aber das waren nur in seltenen Fällen
die Mundarten, welche die Dichter selbst redeten; meistens handelte es
sich dabei nur um affektierte Nachbildungen und dürre Früchte der Schul-
weisheit. Kurz, in allen Gebieten trat auf der einen Seite Fehlerhaftigkeit
und Nachlässigkeit, auf der anderen Künstelei und Spielerei an die Stelle
natürlicher Grazie.
312. Eine weitere natürliche Folge der Errichtung hellenistischer
Reiche war es, dass der Schwerpunkt der griechischen Litteratur von den
politischen Zentren des alten Griechenlands in die neuen Hauptstädte der
halbgriechischen Staaten verlegt wurde. Zwar blühte im Anfang unserer
Periode noch in Syrakus Poesie und Geschichtsschreibung und behauptete
Athen zu allen Zeiten, dank seinen Philosophenschulen und den Nach-
wirkungen alten Ruhms, eine angesehene Stelle im griechischen Geistes-
leben. Aber Sikilien ging mit dem Ende des 3. Jahrhunderts an die Römer
verloren, und in Athen flössen die materiellen Mittel, deren auch die Kunst
und Litteratur nicht entraten kann, von Jahr zu Jahr dürftiger. Hingegen
erfreuten sich in Alexandria, Antiochia, Pella und Pergamon die Dichter,
Gelehrten und Künstler der freigebigsten Unterstützung gebildeter und
ruhmbegieriger Könige. Diese Unterstützungen förderten die Wissenschaft
und veredelten das Leben und dürfen von uns um so weniger verkannt
werden, als wir ihnen zumeist die Erhaltung der kostbaren Schätze der
alten Litteratur verdanken; aber die Wissenschaft und Litteratur gerieten
dadurch in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis, das die Hoheit ihrer
Stellung um so mehr beeinträchtigen musste, als es unter den Herrschern
nicht an grausamen und wollüstigen Despoten fehlte. Keine fürstliche
Gunst aber vermochte die Impulse zu ersetzen, welche in der alten Zeit
der Beifall und die Preise eines freien, kunst- und redeliebenden Bürger-
tums auf Dichter und Redner geübt hatten. Freilich wussten ja auch im
freien Griechenland Aristophanes und Demosthenes über die Gunstbuhlerei
der Demagogen zu klagen, aber wenn auch das Zugefallenreden {tu xccqi-
^ea^ai T(p Srjjjro) jener Zeiten dem Gemeinwesen nicht weniger geschadet
hatte, so entbehrte es doch der erniedrigenden Hässlichkeit persönlicher
Schmeichelei und verleumderischen Intrigantentums.
313. Hauptsitz und gewissermassen Vorort der hellenischen Gelehrten-
litteratur war Alexandria, welche Stadt der ganzen Periode den Namen
gegeben hat. Von Alexander am Meere, an einem Arme der Nilmündung
angelegt, •) wies sie schon durch die Lage das neugegründete Reich auf
Griechenland hin. Die Ptolemäer selbst, die Herrscher des neuen Reiches,
sahen alsbald ein, dass sie in einem Land von uralter Kultur zum Schutze
ihrer eigenen Herrschaft der erstarrten Weisheit einheimischer Gelehrten
') Kiepert, Zur Topographie des alten 1 den Ausgrabungen von Mahmud Bey; Couat,
Alexandria, Berl. 1872, mit einem Plan nach j La x>oesie Alcxandrine, Paris 1882 p. 1—27.
428
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
die Pflege hellenischer Bildung entgegensetzen müssten. Sie knüpften dabei
an die alten Institutionen des Landes an, in welchem seit unvordenklichen
Zeiten die bevorzugte Klasse der Priester einem beschaulich gelehrten
Leben oblag. ^) Den Grund zu den neuen wissenschaftlichen Instituten legte
schon der erste Ptolemäer, Sohn des Lagos, der den gelehrten Peripatetiker
Demetrios von Phaleron nach Alexandria zog und nach dessen Ratschlägen
mit der Gründung grossartiger Büchersammlungen und stiller Musensitze
begann. In die Fusstapfen seines Vaters trat Ptolemaios Philadelphos
(284 — 247), der, weniger durch kriegerische Verwicklungen in Anspruch
genommen, die reichen Hilfsmittel des Landes ganz den friedlichen Be-
strebungen zuwenden konnte und als der eigentliche Vater der wissen-
schaftlichen Schöpfungen des Museums und der beiden Bibliotheken galt. 2)
Gleiche Liebe für die Wissenschaft bethätigte sein Nachfolger Ptolemaios
Euergetes (247 — 221), indem er insbesondere den mathematischen und geo-
graphischen Forschungen seine freigebige Unterstützung lieh. Nicht gleiches
Lob verdienten als Regenten die nachfolgenden Ptolemäer, Ptolemaios
Philopator (221—204), Ptolemaios Epiphanes (204—181), Ptolemaios Philo-
metor (181 — 146), Ptolemaios Physkon (146 — 117), doch hielten auch sie
an dem Vermächtnis ihrer Väter, der Pflege wissenschaftlicher Bestrebungen,
fest, und liebte es namentlich Ptolemaios Physkon, der im übrigen ein
grausames Regiment führte, sich mit seinem gelehrten Hofhalt an der
Besprechung kritischer und litterarischer Streitfragen zu beteiligen.
314. Bibliotheken wurden in Alexandria zwei gegründet, 2) eine in
Verbindung mit dem Museum beim königlichen Schloss, und eine andere
beim Serapistempel (Serapeum) im Quartier Rhakotis. Ihrer Bereicherung,
Ordnung, Katalogisierung galten vorzugsweise die Bemühungen der Könige
und Gelehrten. Mit Ehrlichkeit und Treue nahm man es dabei nicht allzu
genau; so entlieh Ptolemaios Euergetes von Athen gegen ein Depositum
von 15 Talenten das Staatsexemplar der 3 grossen Tragiker, um davon
Abschriften für die Bibliothek machen zu lassen, behielt aber, nachdem er
die Abschriften gemacht, das Original für sich und schickte den Athenern
nur eine Abschrift zurück.'^) Die Herstellung von Repertorien, in denen
Autor, Titel, Zeilenzahl genau angegeben waren, bildete eine Hauptaufgabe
der Bibliothekare."^) Natürlich galt es dabei nicht einfach zu registrieren,
sondern auch zu prüfen, zumal infolge der hohen Angebote der Könige sich die
Zahl der untergeschobenen Schriften mehrte.*^) Die Stelle eines Vorstandes der
'} Aristot. met. I, 1 : n€Qi AXyvmov al
fxaS^7]^uaTixccl ttqmtop ri^vai avpearrjaau ' ixsc
ydq dcpeid^f] o^oldl^siv ro tiov IsQewv eS^yog.
2) Atli. 203 e mit Bezug auf unseren
Ptolemaios: nsgl de ßißXLtoy nl'^&ovg xal
ßi,ßhoS^7]X(x)i' xataoxsvrjg xal rijg sig ro Mov-
GBiov awayoyyrjg zi JsT xal Xeysiv näai rov-
riov oPTiov xazd fxvrj^rjv ; Syncellus p. 271:
fxvQiddag ßißXiüjy i dneS^ETo xaxd jijy ^JXe-
^dvdQSiav SU rarg xm^ avrov avatdaaig ßtßXio-
^tjxatg. Tzetzes gibt die Bücherzahl bei
einer zwischen Ol. 123 und 135 vorgenom-
menen Schätzung auf 42,800 in der äusseren,
und 490,000 in der inneren Bibliothek, zu-
sammen 532,800 Rollen an; s. Ritschl, Die
alexandrinischen Bibliotheken, Opusc. I, 8 ff.
""') Ritschl, Die alexandrinischen Biblio-
theken in Opusc. I, 1 — 112; Parthey, Das
alexandrin. Museum, Berl. 1838; Klippel,
Über das alexandrin, Museum, Gott. 1838;
Demetriades. IffzoQixou doxi^iov rvou 'JXs-
^av^QELMV ßißhod^rjxöiv, Leipz. 1871; Couat,
Le musee d' Alexandrie, Annales de Bor
deaux, I, 1879 S. 7-28.
4) Galen t. XVII p. 607 K.
^) BiRT, Das antike Buchwesen S. 485 ff.
^) Galen in Hippocr. de nat. hom. I, 42
t. XV p. 105 K.: la^ßdvsip (f' aQ^a^evoiV
A. Alexandriuisches Zeitalter. 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 314.) 429
Bibliothek galt als die höchste in der Gelehrtenhierarchie Alexandriens. Die
gefeiertsten Gelehrten, Zenodot, Kallimachos, Eratosthenes, Apollonios, Aristo-
phanes, Aristarch versahen hintereinander das Amt eines Bibliothekars, i)
Der Verwertung der Schätze der Bibliothek durch Herstellung kritisch
gesichteter Textesausgaben [ix^dasig, diogMasig) und Erläuterung schwie-
riger Stellen (vTrofjivrjfxaTa) waren vorzugsweise die Bemühungen der Ge-
lehrten zugewendet. Daneben lebten dieselben dem Unterricht und der
Prinzenerziehung.-) Die Aufgabe des Unterrichtens führte dann von selbst
zur Abfassung grammatischer Lehrbücher und zur Auswahl lesenswerter
klassischer Dichter in massgebenden Verzeichnissen {xavovsg).^) Die alte
Vorstellung, als ob die Grammatiker Aristophanes und Aristarch in speziellen
W^erken einen solchen Kanon aufgestellt und begründet hätten, haben
zwar neuere Untersuchungen als irrig erwiesen;^) aber die ästhetische Be-
urteilung {xQiaig)^) und in Verbindung damit die Auswahl der empfehlens-
wertesten Dichter und Autoren ging doch von Alexandria und dem Gram-
matiker Aristophanes von Byzanz aus. Nach anderer Richtung wurde die
Thätigkeit der Gelehrten für Übersetzung fremder Schriften ins Griechische
in Anspruch genommen. Teils verlangten die Griechen aus Wissbegierde
die heiligen Bücher und Überlieferungen anderer Völker, namentlich der
Ägyptier, Juden, Babylonier kennen zu lernen, teils führte das Zusammen-
strömen der verschiedenartigsten Menschen in der Weltstadt Alexandria
zum gegenseitigen Austausch der Sprachen.^) Eine besondere Rolle spielten
fiia&oy Tcoy xofiitiörroyv avxoTg avyyQafXfxa
nccXciiov xivog dvögog, ovTcog rjdt] 7io}.Xc( xpev-
ö'cog snoyQÜcfopTsg exofxiCoy. Vgl. M. H. E.
Meier, Opusc. I, 78 ff.
^) Über die Zeit der Bibliothekare bei
RiTscHL I, 72 f. und Seemann, De primis
sex bihliothecae Alexandrinae custodibus,
Essen 1859. Annähernd lässt sich die Zeit
der einzelnen Bibliothekare dahin bestimmen:
Zenodot 285—260, Kallimachos 260-235,
Eratosthenes 235—204, Apollonios 204—200,
Aristophanes 200—185, Aristarch 185-150.
^) Als Prinzenerzieher bezeichnet Suidas
speziell den Zenodot und Aristarch.
^) Quintil. X, 1. 54: Äpollonius in or-
dinem a grammaticis datum non venu, quia
Aristarchus atque Aristophanes neminem
sui temporis in numerum redegerunt; vgl.
I, 4. 3. Erhalten sind uns 2 nur zum Teil
übereinstimmende Verzeichnisse der besten
Schriftsteller der einzelnen Redegattungen,
eins von Montfaucon aus der Bibl. Coislin.
veröffentlichtes, und ein anderes von Gramer,
An. Par. IV, 197 aus der Bibl. Bodleiana
ans Licht gezogenes, beide abgedruckt bei
Steffen, De canone qui dicitur Aristophcmis
et Aristarchi, Leipzig 1876. Ausserdem
kommen in Betracht die rhetorischen Schriften
des Dionysios Halic, das 10. Buch Quinti-
lians, Velleius I, 16, Proklos' Chrestomathie
und Tzetzes' Proleg. zu Lykophrons Alexandra.
Der von Montfaucon veröffentlichte Kanon
lautet; tjsqI noitjTioy ' <inidy> noitjrccl nivxe'
^'Ojur]Qog, "Hfflodog, JlELffccy&Qog, Tlavvaaig, ^Avti-
f^cc/og /lafißLXol rgstg ' Iifxo)yLÖ7]g, 'jQ/iXo/og,
'InTKoyu^ . TgayM^onoiol nevis ' Jia/vXog, ^'o-
cpOTcXfjg, Et>Qi7iiö'f]g,'I(oy/J/ciL6g . KiofxcodoTiotol
ccQ/alag inrd • 'Enix^^Qf^og, KqaxTyog, EvnoXig,
^jQiaxocpdyijg, 4>6QSXQäxr]g, KQcht]g, nXcacop •
fj.£<Jr]g x(ofX(x)&lag dvo ' 'JyxKfdyrjg, "AXe^tg 6
QovQiog ' yeicg XMfXM^lag neyxe ' Me'yayJ'Qog,
4>iXiTi7TL^r}g, Ji(piXogy ^iXi^^itty, 'jnoXXodiOQog .
'EXeyeiioy noirjxcd XEOoaQsg ' KaXXTvog, M'i^-
veQfj,og, 4>iXrjxag, KaXXi/aaxog . Avqixol iyyea'
'AXx^udy, ^AXxacog, luncpo}, Ixtial/ofiog, Uiv-
ddQog, BaxxvXidi]g, ^'Ißvxog, Uyaxgeioy, Iifiix)-
y'i^rjg . 'PtjXOQsg cTex« • J7]fxood^ey^]g, Avaiag,
YnsQeidijg, 'laoxgdxrjg, Aia/ip7]g, Avxovqyog,
'laaXog, 'Ayxicpioy, 'Aydoxiö'tjg, AsiyaQ/og .
'laxoQixol ^exa • 0ovxv&ldf]g, HQodoxog, Seyo-
Cpöjy, 'PiXiGxog, Geono/nnog, ^'Ecpogog, ' Aya-
^ifxeyf]g, KaXXiad^aytjg, 'EXXdyixog, JToXvßiog.
^) Die übertriebeaen Vorstellungen, von
denen Ruhnken, Hist. crit. oratorum grae-
corum ausging, wurden stark reduziert von
Bernhardt, Wissenschaftliche Syntax der
griech. Sprache S. 31 und Ferd. Ranke, De
Aristophanis vita p. 104 ff.
-') -Mit dem technischen Ausdruck XQiaig
X(oy noLrjjbidxMy, womit die Alten einen Teil
der grammatischen Aufgaben bezeichneten,
hängen die Wörter iyxQiyeiy und ixxgiysiy
(Suidas unter JelyccQxog. Phot. cod. Ol) zu-
sammen.
^') Syncelhis p. 271 von Ptolemaios
Philadelphos: ndyiojy 'EXh]viüy re xcd X«A-
430
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
dabei die Juden, welche seit alters viel in Ägypten verkehrten, und auf
deren Anhänglichkeit die Ptolemäer wegen der unaufhörlichen Streitig-
keiten mit Syrien grossen Wert legten.^) So entstand unter Ptolemaios
Philadelphos die Bibelübersetzung der sogenannten Siebenzig,^) und ent-
wickelte sich, indem die Juden Alexandriens griechisch zu reden und griechi-
sche Bildung in sich aufzunehmen begannen, eine spezielle Gattung jüdisch-
hellenistischer Bildung. Dieselbe hat ihre grosse Rückwirkung auf die
griechische Welt erst in der folgenden Epoche durch den alexandrinischen
Philosophen Philon geübt; aber auch schon in unserer Periode suchten die
hellenistischen Juden in ihrer rührigen und eingebildeten Art allerlei Ver-
bindungsfäden anzuknüpfen. 3) Insbesondere war es der jüdische Peripatetiker
Aristobulos (um 150 v. Chr.), der in seinem Kommentar zum Pentateuch,
um die Anfänge der hellenischen Weisheit auf die Bibel zurückzuleiten,
sich nicht scheute, dem Orpheus, Linos und Hesiod eine Masse erdichteter
Verse unterzuschieben. 4)
315. Aber nicht bloss Aufgaben stellten die Könige Ägyptens den
Gelehrten, sie suchten ihnen auch eine sorgenfreie Stellung zu gewähren,
damit dieselben ganz der Wissenschaft leben könnten. Einzelnen hervor-
ragenden Gelehrten bewilligten sie Jahresgehalte {(TvvTa^sig).^) Dieselben
waren mitunter sehr freigebig bemessen; so bezog Panaretos von Ptole-
maios Euergetes einen solchen von 12 Talenten, ß) Den Bedürfnissen
einer grösseren Zahl war im Musenhaus {MovasToi') vorgesehen,'^) einem
weitläufigen, um den Tempel der Musen gruppierten Gebäudekomplex
bei dem königlichen Palast, in welchem die Gelehrten zu gemeinsamen
wissenschaftlichen Besprechungen zusammenkamen und freier Verpflegung
{rj ev iiovasuf) aiT\](ng) sich erfreuten.^) Diese grossen wissenschaftlichen
Institute, die Bibliotheken und das Museum, überdauerten die Herrschaft
der Ptolemäer; zwar ging unter Cäsar ein grosser Teil der inneren Biblio-
thek in Flammen auf, aber der Verlust wurde durch Überführung der
(falcoy Aiyvnritoy re xal PM^cdoii' rag ßißXovg
Gv'kXe'^t'i^evog xal fxsracfQdaag rag dXko-
yXioaaovg sig rrjv EXXdda yXiuaaai^ [xvQiddag
ßLß?d(Jüy i dned^sxo.
^) Strabon bei losephus Ant. lud. 14, 7:
iv Atyvnro) xaroixia rcop 'lovdaiajy eazip
dnodedeiyutv^] X^Q^ xcd Ttjg tmp 'JXe^ar-
(fgetüf TToXfw? dcpojQiaro fxeya fxsQog no eS^pei
rovzh).
''') Euseb. ad Ol. 124: Tlzole^alog 6 ^i-
XddsXcpog Tovg x«t' Jiyvmou ai'/^aXcorovg
^lovifaiovg vno UTolsfxaiov rov natQog avxov
yevo^xtvovg i^svxHgovg dvrjxsv . . . rag 'lov-
daicoy yQacpdg ex jfjg 'EßQaiwp (poivfjg elg
xrjv ^EXXdda fxeraßlrid^rjvav ianovdaas dt«
XMV ißdofxijxopra cfi'o naQ^ 'Eßgaioig oocpüjv,
EV <f>dQ(p rfj p7Ja(ü JlQ(or€(t}g ev oß' oXxoig
ttvrovg dnoxXeloag, xal ev raig xard rrjv
' AXs^dv^Qeiav xaraaxevaa&eloaig avrw ßißXio-
■d^ijxaig dnix^ero fxerd rcSv dXXajv nXeiarcov
dno exdarr]g noXeoog qjOQoXoyrjaag nayroiMv
ßißXiwv. Ähnlich Epiphanios bei Lagarde,
Symmicta II, 155 f. Kritische Ausgabe der
Septuaginta von Tischendorf-Nestle, Vetus
Testamentum graece iuxta LXX interpretes,
Lips. 1887; der Ecciesiasticus ist uns nur
durch die Septuaginta erhalten, da der
hebräische Text verloren gegangen ist.
s) Zeller, Philos. d. Gr. IIP, 2. 242 ff.
^) Valckenaer, Diatrihe de Aristohulo
Judaeo, ed. Luzac, LB. 1806; vgl. Phocyl-
lidea oben § 89 und Zeller, Philos. d. Gr.
IIF, 2. 258 f. Bergk, Gr. Lit. IV, 534 hält
die durch Clemens u. Eusebios uns erhaltenen
Fragmente für die Fälschung eines jüngeren,
aber noch vor Philon lebenden Litteraten.
Die Zeit des Aristobulos fiel unter Ptolemaios
Philometor.
^) Nach Ath. 494a zahlte Ptolemaios
Philadelphos 5 Gelehrten (Soter, Sosigenes,
Bion, Apollonios, Dion) Jahresgehalte.
6) Ath. 552 c.
7\ Klippel a 0
«) Timon bei Ath. 22 d; Strabon p. 793.
In einem Epigramm der Memnonstatue CIG.
4748 = Kaibel ep. gr. 1009 nennt sich ein
'jQsTog "^OfxrjQixog noirjrrjg ex Movaeiov.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 315—316.) 431
pergamenischen Bibliothek nach Alexandria und durch neue Abschriften
wieder ersetzt, und der Ruhm der alexandrinischen Gelehrsamkeit erhielt
sich auch noch in den ersten Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit. Erst
durch wiederholte Brände und den Bürgerkrieg unter Aurelian, zuletzt
gegen Ende des 4. Jahrhunderts durch die Streitigkeiten der Christen und
Griechen unter Theodosius ging die alte Herrlichkeit gänzlich unter.
316. Mit Alexandria wetteiferte seit dem Ende des 3. Jahrhunderts
in der Förderung der Wissenschaft und Kunst Pergamon, die Hauptstadt
des Reiches der Attaliden. Begründet war der Ruhm von Pergamon durch
Attalos I. (241 — 197), der die Gallier, welche jahrzehntelang weit und
breit die hellenischen Staaten gebrandschatzt hatten, in entscheidenden
Kämpfen niederwarf und dann in Pergamon eine neue Stätte hellenischer
Bildung aufrichtete. Das Vermächtnis des Vaters ehrten die beiden Söhne
Eumenes IL (197—159) und Attalus IL Philadelphos (159-138); auch
nachdem der in thatenlose Schwermut versunkene Attalus III. sein Reich
den Römern vermacht hatte (133), behauptete Pergamon noch bis in den
Beginn der römischen Kaiserzeit hinein sein Ansehen als Sitz der Gelehr-
samkeit und Kunstpflege. 9 Die wissenschaftlichen Anstalten Pergamons
waren im wesentlichen denen Alexandriens nachgebildet. Die Hauptsache
war auch hier die Bibliothek,'^) die 200,000 Bände umfasste, als sie von
Antonius der Kleopatra geschenkt und nach Alexandria gebracht wurde. •^)
Der Eifer der Könige, sie zu vermehren, hatte unter Eumenes IL, als die
Ptolemäer aus Eifersucht die Ausfuhr des Papyrus untersagten, zur Ein-
führung des Pergamentes geführt.^) Den Gelehrten, unter denen Krates
eine hervorragende Stellung einnahm, lag die Anlage von Katalogen ob,
die neben denen der alexandrinischen Bibliothek eine Hauptquelle der
Litterarhistoriker bildeten.-^) Auch für naturwissenschaftliche Sammlungen
sorgten die pergamenischen Könige: im Vorhofe der Königsburg war ein
vielbewunderter Erdglobus aufgestellt; der König Attalus I. hatte selbst
ein geographisches Buch hinterlassen. ß) Die Richtung der Studien war in
Pergamon nicht ganz die gleiche wie in Alexandria. Zwar überwogen auch
hier die Beschäftigungen mit Grammatik und Dichtererklärung, aber ohne
dass daraus Männer vom Scharfsinn eines Aristarch oder der Gelehrsamkeit
eines Eratosthenes hervorgegangen wären. Aber im übrigen wehte in der
Hauptstadt Mysiens ein freierer Geist als in Alexandria, das sich dem dumpfen
^) Wegener, De aula Attalica artium-
que fautrice, Ilaun. 1836.
2) Die Räume derselben sind jetzt wieder
aufgedeckt worden; s. Conze, Die perga-
menische Bibliothek, Stzb. d. pr. Ak. 1884
S. 1259-70; sie bildete einen Anhang zum
Tempel der Athena Polias; vgl. Tkendelen-
BURG in Baumeister's Denkm. II, 1222.
^) Plut. Anton. 58: Kcdoviaiog de Kai-
aciQog ercci'Qog sri xcd xavra roHy eig K^so-
TidiQav 6yxX')]^u((T(oy ' Jfxwpio) TJQOvcpSQS /cc-
QiaaaO^cti fxsp ((vrfj rag ix ihgycciuov ßißXio-
i^ijxccg, EP (dg eXxoai ^vQiddeg ßißXlwy anXccip
^) Plinius N. H. XllI, 21 : chartam Äle-
xandri Magni victoria repertam auctor est
M. Varro condita in Aecjypto Alexandria
. . . mox aemulatione circa bibliothecas recfum
Ptolemaei et Eumenis supprimente Chartas
Ptolemaeo idem Varro memhranas Pergami
tradit repertas. Die Richtigkeit dieser An-
gabc wird bestritten oder doch beschränkt
von BiRT, Das antike Buchwesen S. 52 ff.
^) Dionys. de Dinarcho 1 : ((^a de oqmp
ovdep ciXQißeg ovre KaXXi^a^op ovre rovg
ex JJeQydfxov yQCiUfxarixovg -negl avroi~) yQc'c-
xpavrag. Vgl. Brzoska, De canone dccem
oratorum aitic, Breslau 1883 p. 50 ff.
c) Strab. p. 003.
432 Griechische Litteratnrgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Einfluss ägyptischen Priestertums nie ganz entziehen konnte. Die Attaliden
unterhielten engere Beziehungen zu Athen und entnahmen von dort die
Liebe zur Kunst und die Neigung zu philosophischen und rhetorischen
Studien. Die Weihgeschenke des Attalos auf der Akropolis von Athen
und der grosse Altar auf der Burg in Pergamon zeugen heutzutag noch
von dem kunstliebenden Sinn der Pergamener, und zur glänzenden Blüte
der Beredsamkeit in Rom hat auch Pergamon sein Seh erf lein beigesteuert.
Denn Pergamon begünstigte im Gegensatz zu Alexandria die Studien der
Rhetorik und ästhetischen Kritik, und durch pergamenische Grammatiker
und Rhetoren wurden die gleichen Studien in Rom geweckt, i)
317. Schon ehe Pergamon in die Arena der Konkurrenz eintrat,
wetteiferten andere Residenzstädte der Diadochenreiche mit Alexandria.
Antiochia in Syrien, die Hauptstadt des Reiches der Seleukiden, ward
von ihrem Gründer Antiochos d. Gr. (224—187) mit Bibliothek, Theater,
Zirkus und Kunstwerken ausgestattet. Der Bibliothek stand der kenntnis-
reiche und formgewandte Dichter Euphorien aus Chalkis vor, den Antiochos
um 220 nach Antiochia berufen hatte. Auch der Dichter Hegesianax und
Aratos weilten eine Zeitlang an dem Hofe der syrischen Könige. Aber
freier Geist und freie Wissenschaft konnten in der Umgebung der despoti-
schen Regenten Syriens nicht gedeihen. Antiochia hat durch die erste
Philosophenverfolgung eine traurige Berühmtheit erlangt; der famose Erlass,
womit Antiochos, man weiss nicht welcher, die Jugendverderber aus Stadt
und Land verwies, ist uns noch bei Athenaios p. 547 erhalten. Von der
Launenhaftigkeit am fürstlichen Hofe zeugt auch die Anekdote bei Lukian,
pro imag. 5, wonach Stratonike, die Gemahlin des Seleukos, die infolge einer
Krankheit kahlköpfig geworden war, einen Preis für das beste Lobgedicht
auf ihr Haar aussetzte.
Auch der kunstliebende König Antigenes Gonatas von Makedonien
(275 — 239) machte seine Residenz Pella zum Sammelplatz von Dichtern
und Philosophen. Insbesondere lebten längere Zeit in Makedonien Aratos
und Alexander Aetolus, und pflegte der König freundschaftliche Beziehungen
zu den Stoikern Zenon und Persaios. Eine dauernde Bedeutung gewann
aber Pella für die Entwicklung der Litteratur und Gelehrsamkeit nicht.
Auch einzelne Freistaaten haben in unserer Epoche den Ruhm gesucht,
als Pflegestätten der Bildung und Gelehrsamkeit gepriesen zu werden, so
ausser Athen noch besonders Rhodos, dessen berühmte Männer Strabon
p. 655 aufzählt, und Tarsos in Kilikien, dem derselbe Strabon p. 673 ob
der Sorge für philosophische und enkyklopädische Bildung das glänzendste
Zeugnis ausstellt. Sikilien und Syrakus blieben auch in unserer Periode
hinter ihrem alten litterarischen und künstlerischen Rufe nicht zurück,
aber ihre Kultur begann früh unter den Füssen des rohen Eroberers zer-
treten zu werden.
318. Ein Hauptcharakterzug der Litteratur unserer Periode ist die
Neigung zur Polymathie, der sich nicht bloss die eigentlichen Grammatiker,
sondern auch die Philosophen zuwandten. Da so die Forderung der Genialität
und Formvollendung zurücktrat und das stoffliche Interesse sich in den
1) Brzoska a. 0. 75 ff.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 317—320.) 433
Vordergrund drängte, so konnten auch untergeordnete Geister, wenn sie
nur den nötigen Fleiss mitbrachten, an der Lösung der gestellten Aufgaben
in Grammatik, Litteraturgeschichte, Altertumswissenschaft, Mathematik
mitarbeiten. Forscher und Arbeiter erzeugte auf diese Weise das Zeitalter
in Masse, hervorragende Schriftsteller kaum einen. Ganze Gebiete der
Litteratur blieben brach liegen, wie die Beredsamkeit, oder fanden nur
wenige Bearbeiter von Bedeutung, wie die Geschichtsschreibung. In jenem Zug
zur stofflichen Vielwisserei war es auch begründet, dass die Prosa sich
immer mehr breit machte und die Poesie in den Hintergrund drängte.
Doch gilt das letztere mehr von den 2 letzten Jahrhunderten unseres Zeit-
alters. Im 3. Jahrhundert oder im Beginne der Diadochenzeit ward die
Kunst der Versifikation noch hoch gehalten, so dass auch Gelehrte und
Bibliothekare, wie Kallimachos, ApoUonios, Eratosthenes Verse schmiedeten
und in den litterarhistorischen Aufzeichnungen zugleich als yquiiiiaTixoC
und irtoTcoioi oder slsysionoioi aufgeführt werden. Und wenn auch das
meiste in der alexandrinischen Poesie unnatürlich und ungeniessbar war,
so dass wir den Verlust desselben nicht besonders zu beklagen haben, so
hat doch auch dieses Zeitalter einige köstliche Früchte gereift, wie ins-
besondere in der Gattung des Idylls und der Elegie, um von den geist-
reichen Schöpfungen der neuen Komödie, die doch auch zum grössten Teil
in unsere Periode hereinragen, ganz zu schweigen.
2. Die Poesie. 0
319. In der klassischen Zeit hatten sich die Dichter streng nach den
Gattungen der Poesie geschieden. Jetzt, wo nicht mehr die poetische Ader
und die göttliche Begeisterung den Dichter machten, wo das Dichten zur
Kunst, zur Gewandtheit in der Versifikation herabgesunken war, fielen
auch jene Schranken und wandelten nicht bloss Jugenderzieher und Gram-
matiker in dem Haine der Musen, sondern versuchte sich auch ganz in
der Regel ein und derselbe Versifikator im Epos zugleich und in der Elegie,
manchmal auch noch im Drama. Unter solchen Umständen möchte man
leicht bei Aufzählung der Dichter unserer Periode von den Gattungen der
Poesie ganz absehen und sich lediglich an die zeitliche Folge halten.
Gleichwohl habe ich der Übersichtlichkeit halber die Scheidung nach Dicht-
gattungen beibehalten und dabei die einzelnen Dichter da eingereiht, wo
das Schwergewicht ihrer Leistungen zu liegen schien. ^) Zugleich aber
erlaubte ich mir, an derselben Stelle, um das Bild nicht zu zerstreuen,
alles das anzuführen, was der betreffende in anderen Spielarten der Poesie
oder auch auf dem Gebiete der gelehrten Forschung geleistet hat.
a. Die Eleg'ie und das Epig'ramm.^)
320. Im Vordergrund des poetischen Schaffens unserer Periode stund
') Meineke, Analccta Alexandrina, Be- 1 unter Befolgung eines Winkes meines lle-
rol. 1843. -- CouAT, La poesie Alexandrwe ! censenten (Crusius) im Centr. Bl. die Elegie
souslestrois 2)'i'e')tiiers Ptolemees, Var. 1882. — vorangestellt.
Gercke, Alexandrinische Studien, Rh. M. i ^) Härtung, Die griechischen Elegiker,
42/44 (übersubtil). j Leipz. 1859, 2 Bde. Die Fragmente auch
'^) Ich habe nur in der neuen Auflage \ bei Bergk PLG. und Anth. lyr.
Uandbuch der klass. Altovtxiuiswisscnscbaft. VII. 2. Aufl. 28
434 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
die Elegie und das damit verwandte Epigramm. Beide Dichtungsarten
stammten aus der klassischen Zeit, nahmen aber in unserer Periode einen
speziellen Charakter an. Das hatte seinen Hauptgrund darin, dass das
elegische Distichon zur fast einzigen Form des lyrischen Gedankenausdrucks
gewählt worden war. Die verschlungenen Formen der attischen Dithyramben
und dorischen Oden hatten nur Reiz, wenn ihnen durch die Modulationen
des Gesangs Leben und Seele eingehaucht wurde. Wer die Gedichte nur
lesen wollte, dem entschwand, wie wir das ja selbst erfahren, das Ver-
ständnis für die Schönheit und Kunst jener Perioden. In unserem Zeitalter
aber wollte man die Gedichte lesend geniessen; was war also natürlicher,
als dass auch die Dichter sich nicht mehr den Zwang solch schwieriger
Kompositionen anthaten, sondern eine einfache, leicht verständliche Form
des Verses und Rhythmus wählten? Dazu empfahl sich vor andern das
elegische Distichon, das sich über die Einfachheit der ständigen Wiederkehr
des gleichen Verses erhob und doch dem melodischen Satz eine gefällige,
jedem ins Ohr gehende Abrundung gab. Es zu wählen, lag um so näher,
als der Grundton der lyrischen Empfindungen unserer Zeit die Erotik war,
die mit der Abnahme des Interesses für die öffentlichen Angelegenheiten
wuchs und durch die den fürstlichen Frauen erwiesenen Huldigungen bei
den Höfen in besonderer Gunst stund. ^ Die Beliebtheit der Elegie, des
romantischen Liebesliedes und der Erzählung in engem Rahmen, ging Hand
in Hand mit der Abneigung gegen die langweiligen, weitschweifigen Epen; 2)
man wollte ein kleineres, geschlossenes Ganze und kehrte in der Erzählung
von Mythen und Liebesabenteuern wieder zur balladenartigen Form des
alten Heldenliedes zurück. Der Mangel des Umfangs sollte aufgewogen
werden durch die Neuheit der Erfindung und mehr noch durch die Sauber-
keit und Feile der Form.^) Sorgfältiges Studium und einiger Geschmack
schienen die dichterische Ader und göttliche Begeisterung ersetzen zu können.
Dichtkunst und Gelehrsamkeit fanden sich auf solche Weise ganz gewöhn-
lich in einer Person zusammen; der lateinische Ausdruck doctus poeta ent-
sprach recht eigentlich der Auffassung der Alexandriner von der Aufgabe
des Dichters. Immerhin aber waren die Leistungen derselben auf dem
Gebiete der Elegie nicht gering; bei den römischen Elegikern fanden sie
überschwengliche Anerkennung, Kallimachos und Philetas waren diesen
hochgefeierte Namen.*) Leider hat sich im Original nur weniges erhalten
und sind wir genötigt die alexandrinische Elegie zumeist aus den Nach-
ahmungen der römischen Elegiker, vornehmlich Catulls, kennen zu lernen.
321. Philetas,^) Sohn des Telephos aus Kos (daher Cous poetd),^)
^) RoHDE, Griech. Roman 59 ff.; Couat,
La poesie Älexandrine p. 24. Ausser den
Königinnen waren es die königlichen Curti-
sanen, denen Paläste und Denkmale in Ale-
xandria errichtet waren.
'') Vgl. Kallimachos in Anth. XII, 43,
und unten S. 437 An. 5.
^) Bezeichnend ist das Distichon Ovids
Am. I, 15 über den Hauptvertreter der Elegie;
Battiades semper toto cantahitur orbe:
Qiiatnvis ingenio non valet arte valef.
^j Quint. X, 58: elegiae princeps ha-
betur Callimaclms, secundas confessione
plurimorum Philetas occupavü. Ähnlich
Properz III, 1. 1; Ovid Ars am. III, 329;
Proclus ehrest. 242, 21 W.
•^) Bach, Philetae Hermesianactis Pha-
noclis rell., Halis 1829.
^) Rhodier nennt ihn der Schol. Theoer.
7, 40.
A. Alexandriuisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 321—324.)
435
lebte unter Alexander d. Gr. und Ptolemaios L, welch letzterer ihm die
Erziehung seines Sohnes übertrug. Auch Theokrit verehrte ihn als seinen
Lehrer, 1) und ebenso wird der Grammatiker Zenodot von Suidas als sein
Schüler bezeichnet. Er selbst war Dichter und Gelehrter zugleich ; ^) dabei
war er durch Studieren und Nachdenken so abgemagert, dass Witzbolde
ihm nachsagten, er trage Blei in den Schuhen, um vom Winde nicht davon
geweht zu werden. •'^) Hinterlassen hat er nach Suidas Elegien und Epi-
gramme, wozu noch ein in fortlaufenden Hexametern geschriebenes Epyllion
Hermes (Liebesabenteuer des Odysseus mit des Aolus Tochter Polymele)
kam. Die Elegien waren meist erotischer Natur; seine Geliebte Bittis stellt
Ovid Trist. I, 6. 1 neben die Lyde des Antimachos. Von dem grossen
Ansehen, dessen er sich erfreute, zeugt die Statue, welche ihm seine Lands-
leute in Kos errichteten. 4) Erhalten haben sich von ihm nur dürftige
Fragmente.
322. Hermesianax aus Kolophon war ein jüngerer Freund des Phi-
letas.'"») Seine Elegien umfassten 3 Bücher und galten zumeist dem Preis
seines Liebchens Leontion, enthielten aber auch andere erotische Erzäh-
lungen. Aus dem 3. Buch ist uns eine grosse Elegie bei Athen. 597 er-
halten, in welcher er die Dichter, welche vor ihm ihre Muse geliebten Frauen
und Mädchen geweiht hatten, in anmutigen Versen aufzählt. Auffällig sind
darin die vielen litterarischen Fabeleien, w^elche von da den Weg in die
Bücher der Grammatiker nahmen. So wird, um von Orpheus und seiner
aus dem Hades zurückgeholten Geliebten Agriope zu schweigen, dem Ana-
kreon ein Liebesverhältnis zur Sappho angedichtet und aus dem Buchtitel
'Hotat eine Geliebte Eoie des Hesiod herausgelesen.
323. Phanokles, dessen Zeit sich nicht näher bestimmen lässt,
dichtete einen Elegienkranz, "Egcorsg rj xaloi betitelt, in welchem er dem
Geschmack seiner Zeit folgend, die Liebe zu schönen Knaben an Beispielen
aus der Götter- und Heroenwelt besang. Die einzelnen Abschnitte des-
selben waren ähnlich wie bei Hesiod in den Eöen durch die Formel »] ojg
miteinander verknüpft. Eine Elegie von der Liebe des Orpheus zum jugend-
lichen Kaiais und der Ermordung des thrakischen Sängers durch die eifer-
süchtigen Frauen ist uns durch Stobaios Floril. 64 erhalten.
324. Kallimachos (um 310 — um 235),^) der gefeierteste unter den
griechischen Elegikern, stammte aus der dorischen Kolonie Kyrene. Sein
Geschlecht führte er auf Battos, den Gründer von Kyrene, zurück; sein
Grossvater hatte in der Vaterstadt das Amt eines Strategen bekleidet.^)
1) Theoer. 7, 40.
^) Strab. p. 657: ^ilriTccg noi7]T7]g iifxa
xftt TCQixixog; seine grammatischen Studien
betrafen insbesondere Homer.
3) Ath. 552 b 11. Aelian V. H. IX, 4.
4) Hermesianax bei Ath. 598 f.
^) Schol. Nicandri Ther. 3 : 6 'Egfiriadva^
oitog (fiXog tm ^'iXtjta y.al ypiüQifxog rjv '
tüvTM &e xit llsQGtxd ysyQamca xccl rcc sig
AeovTiov rrjy EQiofxipi]v. Aber in der Elegie
bei Ath. 498 f ist Philetas schon als tot ge-
dacht. CouAT, La imcsie Alex. 35 u. 57
lässt Philetas 340—336, Hermesianax 330—
326 geboren sein.
^) Eine Vita bei Suidas; Hecker, Com-
ment. CalUmacheae, Groning. 1842; über die
Lebenszeit Ritschl, Opusc. 1, 72 und Keil
ebenda p. 234 6, der Ol. 121 und 139 als
wahrscheinlichste Grenzen des Lebens unseres
Kallimachos angibt.
"') Suidas: KaXXifxa/og viog IktiTov X(d
Msadr/uag {Meycai^uag corr. Hcmsterhusius):
Procl. ehrest. 240, 22 W.: KaXkLuaxog 6
Ik'aiov. Das Strategenamt des Grossvaters
436
Qriecliisclie Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Nachdem er in Athen zusammen mit Aratos seine Studien gemacht hatte, ^)
begann er zu Alexandria, in der Vorstadt Eleusis seine Lehrthätigkeit als
Grammatiker. Von Ptolemaios Philadelphos zur Stellung eines Vorstandes
der Bibliothek erhoben, 2) wusste er sich auch noch bei dessen Nachfolger,
Ptolemaios Euergetes^) in Gunst zu erhalten. Mit ausgedehnter Gelehr-
samkeit verband er poetische Neigung: abhold der weitschichtigen Dich-
tungsart des Apollonios ,*) wandte er sich der Pflege des witzigen
Epigramms und der erotischen Elegie mit Vorliebe zu. Hinterlassen hatte
er über 800 Bücher, von denen uns Suidas ein nicht ganz vollständiges
Verzeichnis gegeben hat.^)
Von seinen Schriften in Prosa, um diese zuerst abzuthun, waren am
bedeutendsten seine Jlivaxsg tmv iv näajj naidsia diaXaixxpdvToov xai cov
avvsyqaipav in 120 B.,^) von denen der Iliva^ tcov xaxd xQovovg xal an
ccQX^^ y^vo^xtvcov diSccaxäXMV (sc. TQccycodiMv, xMjii(n6i(iov, Si&VQccfxßmv) nur ein
Teil war,'^) Es enthielt jenes grossartig angelegte Werk ein Repertorium
der hervorragenden Vertreter der einzelnen Litteraturgattungen mit genauer
Angabe ihrer Werke nach Titel, Seitenzahl, Abfassungszeit. ^) Ausserdem
verfasste er in Prosa Sammlungen von Glossen oder lokalen Ausdrücken^)
und Gedenkblätter (vnoiivrjiiaraY^) über Wundererscheinungen und Merk-
würdigkeiten der Geschichte, Geographie, Mythologie.'^)
In den gelehrten, umfangreichen Prosawerken beruhte die eigentliche
Bedeutung und der nachhaltige Einfluss des Kallimachos, aber den Glanz
des Namens verdankte er seinen dichterischen Schöpfungen, wiewohl ihm die
Innigkeit des Gefühls und der Schwung der Begeisterung, die zumeist den
Dichter machen, ebenso wie seinen anderen Zeitgenossen abgingen. Unter
seinen Dichtungen nahmen die Elegien die erste Stelle ein, so dass Quin-
deutet der Dichter selbst Anth. VII, 525 an.
Strabon p. 837: Xsysrca de 1] Kvqrivr] xiia^a
Bihrov, TiQoyovov de rovroy mvrov cpdoxei
KaX'klfxiixog, Von sich selbst sagt Kalli-
machos Anth. VII, 415 : ev fA.kv doidtji^ eidorog,
ey (f' olVw y.ciLQia üvyysldGai.
^) RoHDE, Gr. Roman 99 f.
2) Nach Gellius N. A. 17, 21 scheint
dieses bald nach Beginn des 1. punischen
Krieges (264) gewesen zu sein.
^) Zu Ehren von dessen Gattin dichtete
er das Haar der Berenike, das die Königin
bei der siegreichen Heimkehr ihres Gatten
vom syrischen Feldzug der Aphrodite ge-
weiht hatte.
^) Von Kallimachos stammt das ge-
flügelte Wort: fxeya ßißXioy fisya x«xoV,
Vgl. fr. 165: //»ycT' rm' i^usv dicpccre /usya
\po(pEovaay aoidrjv.
•') ScHNEiDEK, Callira. II, 19 ff.; Daub, De
Suid. biogr., Jahrb. f. Phil. Suppl. XI, 462 ff.
ß) Statt ()x' wollte Hecker, Phil. V, 433
y.d' = 24 schreiben.
') Als andere Spezialtitel werden ver-
mutet 7rtV«| inoTTOKoy xcd tmv Ioitimu non]-
Tioy, Tiiv. poy,oyQCi(pojy, niv. (f^loaöcfoji'. tili'.
laro^ixüii', nip. (jrjTOQixioy, tiiv. TiayTodarnov
avyyQcc^fxaTixiv. Über die ^rjTOQixd und ihre
oberflächliche Abfassung s. Rehdantz bei
Schäfer, Dem. III, 2. 317 ff.
*^) Wachsmuth, Die pinakographische
Thätigkeit des Callimachus, Phil. 16, 653 ff".;
Daub a. 0. 420 f. Unterrichtend ist das
Fragment bei Ath. 244 a: KaX?Ufxa/og ev im
T(t)v ncivrodcmcüv nlvaxt ygacpayv ovroig '
deTnva oaoi eyqaxpav • XaiQeqxiJiv KvQtjßiiovi,
5<\9^' i^ijg rrjv {(Q/rjv v7Te&t]xe „eneid?] ^uov
■noXXüxig eneaieiXctg'-' ajl^iov roe. Vergl. R.
Volkmann, Conim. phil. Bonn. p. 717 ff.
^) Der Gesamttitel war ^^vixai ovojua-
aUa, Abteilungen davon negi ave'^cov, //-
t9v(ov, oQveiüv, fif]Viüv TTQOcrrjyoQLai xar^ eS^vog
xal TToXeig.
'^) Die oft erwähnten vno^vrj^caa des
Zenodot (nicht des Ephesiers) waren davon
eine Epitome; s. Schneider, Callim. II, 354.
^^) Spezialtitel waren Ktiaeig vtjgwv xal
TToXecov, BccQßccQixd vo^ifxa, negl dycovojv.
Das letzte Buch benützte in Hadrians Zeit
Oinomaos, woraus Reste in Euseb. praep.
ev. V, 34. Vgl. LÜBBERT, De Pindari poetae
et Hieronis regis amicitia p. XV sqq. Schnei-
der wollte auch dieses Buch in das poetische
Werk Alna unterbringen.
A. Alexaudrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 324.)
437
tilian X, 58 ihn geradezu elegiae principcm nennt. Die meisten derselben
stunden zusammen in den Ahia. Im Eingang dieses aus 4 B. bestehenden
Werkes erzählte er, wie er von Kyrene nach dem Helikon getragen und
dort von den Musen in die Geheimnisse der Mythenwelt eingeweiht worden
sei.i) Den Namen hatte dasselbe davon, dass es der Dichter bei jeder
Erzählung darauf absah, den Grund des Vorfalls oder des an die Mythe
geknüpften Gebrauches anzugeben. 2) Die Aitia begründeten den Ruhm des
Kallimachos als Elegiker, enthielten aber zugleich so viele dunkle, erklä-
rungsbedürftige Stellen, dass sie Clemens Alex, ström. V, 676 einen Turn-
platz [yviiväaiov) der Grammatiker nannte.^) Von anderen gelegentlich
gedichteten Elegien war am berühmtesten das Haar der Berenike, gedichtet
246 zu Ehren der Königin Berenike, die beim Feldzuge ihres jungen Ge-
mahles Ptolemaios Euergetes gegen Syrien ihr Haar der Göttin Aphrodite
geweiht hatte; erhalten ist uns diese Elegie bekanntlich durch die klassische
Übersetzung des Catull c. %Q. Andere Gelegenheitselegien der Art waren
die Hochzeit der Arsinoe, der Preis des Sosibios u. a.
Durch die Nachahmung des Ovid bekannt ist das satirische Gedicht
Ibis in Distichen, worin der Autor in dunklen Anspielungen seinen Rivalen
Apollonios verspottete. 4) Beide stunden sich gegenseitig an dem Hofe des
Ptolemaios im Wege und gaben durch geringschätzige Herabsetzung der
Werke des andern der Zunft der Gelehrten das böse Beispiel giftiger Be-
fehdung. Kallimachos sprach unverhohlen sein Missfallen über den breiten
Strom der Argonautika des Apollonios aus.-^) Darauf antwortete Apollonios
mit dem bissigen Epigramm (Anth. XI, 275):
KaXh/idxov ro xccÖ^aq^xa^ t6 Traiynov, 6 '^vXivog vovg
aiTtog, 6 YQÜipag Äiria KaXXifiaxog.
Die Replik dagegen gab Kallimachos mit der Ibis, in welcher er den Ri-
valen mit dem unreinen, in seinem eigenen Unrat wühlenden Tier auf eine
Stufe stellte.
Vielgefeiert war neben den Elegien des Kallimachos sein Epyllion
Hekale, ein idyllisches Gedicht voll rührender Treuherzigkeit von der
gutmütigen Alten Hekale, welche den Theseus, als er zur Bezwingung des
Stieres nach Marathon kam, gastlich in ihre Hütte aufnahm.^) Striche des
liebreizenden Gedichtes hat Ovid in seine hübsche Erzählung von Phi-
lemon und Baucis (Met. 8, 610 ff.) übertragen.
^) Daher nennt sie Properz III, 33. 30:
inflati somnia Callimachi.
^) Nach Schneiders zweifelhafter Ver-
mutung handelte das 1. Buch der Aitia von
den Wettkämpfen, das 2. von den Städte-
gründungen im Anschluss an die Argonauten-
sage, das 3. von den Erfindungen, das 4.
von den Opfern. Dagegen Einwendungen
von RoHDE, Gr. Rom. 86. Über einzelne
Elegien der Aitia: Dilthey, De Callimachi
Cydippa, Lips. 1863; Knaack, Analecta Ale-
xandrina, Greifsw. 1880, u. Callimachea,
Stettin Progr. 1887.
^) Über die Kommentare des Theon
und Epaphroditos s. Schneider, Callim. II, 37.
"*) Ovid. 1 bis 55: nunc quo Battiades
inimicum devovet Ihin, hoc ego devoveo ieque
tuosque modo.
^) Callim. epigr. 28: e/^((Iq(o to noirjfxct
rd xvx'kixov etc.; hymn. in Apoll. II, 106:
ovx (iyccfxca rov doi^ov og orV oaa növtog
(cei^si. Darauf geantwortet von Apollonios
Argon. III, 932. Über den Geschmacksstreifc
beider Gercke, Alexandrinische Studien, Rh.
M. 44, 127 ff.
'^) Das Gedicht ist als xoqevtöv snog ge-
priesen in dem Epigramm Anth. IX, 545;
die Fragmente zusammengeordnet von Näke,
Rh. M. II, 509 ff. = Opusc. II.
438
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Ausserdem dichtete unser Autor lamben und Lieder (iäiißovg xal ixslrj).
Die letzteren waren durch die Eleganz und Mannigfaltigkeit ihrer Form
berühmt; zu ihnen gehörten wohl auch die Galliamben, die der begeisterte
Verehrer des Kallimachos, Catull n. 63 ins Lateinische übertrug, ij Suidas
zählt auch noch Satyrdramen, Tragödien und Komödien unter den Werken
des Kallimachos auf; aber das ist wahrscheinlich ein Irrtum; wenigstens
weiss von ihnen das ganze übrige Altertum nichts.
Vollständig erhalten sind uns 6 Hymnen und 64 Epigramme. Die
letzteren, welche durch die Anthologie auf uns gekommen sind, enthalten
teils Aufschriften für wirkliche oder fingierte Grabdenkmale 2) und Weih-
geschenke, teils Titel und Inhaltsanzeichen von Büchern, teils kurze Er-
güsse der Liebe, Trauer, Eifersucht; sie atmen nicht die sentimentale
Weichheit der Epigramme des Poseidonios, zeichnen sich aber vor ihnen
durch Witz und geistreiches Wortspiel aus. — Die Erhaltung der Hymnen
verdanken wir einem Grammatiker des beginnenden Mittelalters, welcher
die homerischen und orphischen Hymnen mit denen unseres Meisters zu
einem Sammelbande vereinigte. Von denselben sind fünf in der typischen
Form des Hexameters gedichtet, einer, der fünfte, in Distichen, was mit
dessen Inhalt zusammenhängt. Denn dieser 5. Hymnus auf das Bad der
Pallas und die Blendung des Teiresias, der mit sterblichem Auge die Göttin
im Bade geschaut hatte, könnte, von der Einleitung abgesehen, ebensogut
unter den erotischen Elegien oder unter den Aitia stehen. Von den übrigen
gilt der 1. der Geburt des Zeus, der 2. dem apollinischen Feste der Karneen
in Kyrene, der 3. dem Preis der Artemis, der 4. der Verherrlichung von
Dolos, der Geburtsstätte der Letoiden, der 6. der Demeter und dem von
Ptolemaios Philadelphos gestifteten Korbfest. ^) In den 4 ersten schloss
sich Kallimachos im Dialekt den homerischen Hymnen an, in den beiden
letzten gebrauchte er, wie später sein Landsmann Synesios, den dorischen
Dialekt seiner Heimat Kyrene; durchweg aber trägt er eine dunkle, glossen-
reiche Sprache und übel angebrachte Gelehrsamkeit zur Schau. Dazu
stimmt der schwerfällige Versbau, indem die zahlreichen Ausgänge auf
2 Spondeen stark von den zierlichen und schlanken Versen der Epigramme
abstechen. In der Anordnung der Gedanken hat man neuerdings die
Siebengliederung des terpandrischen Nomos wiederfinden wollen; am ehesten
ist dieselbe in dem 2. Hymnus, dem auf Apoll, durchführbar.*) Die ganze
Hymnenpoesie des Kallimachos aber ist aus dem Bestreben der Ptolemäer,
die alten Götterfeste wieder zu Ehren zu bringen und mit erhöhtem Glänze
^) WiLAMOwiTZ, Herrn. 14, 194 fF. Über
Fabeln des Kallimachos in Choliamben siehe
Bergk, Kl. Sehr. II, 552 f. u. 560 f. Horaz
Od. I, 3. 8 gibt 2 asklepiadeische Verse des
Kallim. fr. 114 wieder.
'^) Darunter auch die Aufschrift für sein
eigenes Grab
ßccrriddeb) naqu aijfxa cfiqeig nö^a, sv fxsv
eidorog, ev d" olVw xcclqicc avyysXciaai.
Das Epigramm 43 wurde unlängst in einem
Haus des Esquilin aufgefunden, worüber
Kaibel, Herrn. 10, 1 ff.
^) Dieses besagt ein altes Scholion zum
1. Vers. CouAT, La poesie Alex. 223 ff. denkt
hingegen, gestützt auf den dorischen Dialekt
des Hymnus, an eine Theorie zum karischen
Triopion. Die Bestrafung des Erisiclithon
durch unersättlichen Hunger ist nachgeahmt
von Ovid Metam. VII, 738 ff.
*) Käsebiek, Progr. von Brandenburg
a./H. 1873; Lübbekt, De Pindari studiis
Terpandreis, Bonn 1887; Crusius, Wochen-
schrift f. Phil. 1885 N. 41, Vhdl. d. 39. Vers,
d. Phil. S. 262 ff.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Poesie. (325—326.) 439
zu feiern, hervorgegangen; sie lässt sich in dieser Beziehung dem Carmen
saeculare des Horaz vergleichen, das ja auch durch eine ähnliche Strömung
der Politik unter Kaiser Augustus veranlasst war. Auch darin war die
Poesie des Kallimachos Vorbild für die römischen Dichter des augusteischen
Zeitalters, dass er mit dem Preise der Gottheit manchmal direkt, öfters
versteckt die Verherrlichung seiner königlichen Gönner zu verbinden liebte. 0
Scholien: im Altertum kommentierten The on und Epaph roditos die Aitia, Archi-
bios Apolloniu die Epigramme; Nikanor schrieb ttsqI oriyfxrjg rrjg nagd KaXXifxd/ia.
Mari an OS unter dem Kaiser Anastasios verfasste eine Metaphrase der Hekale, Aitia,
Hymnen und Epigramme in lamben (Suidas). Erhalten sind uns dürftige Scholien zu den
Hymnen, worüber Reinecke, De schol. Callim. (Diss. Hai. IX), 1887. — Die Hymnen haben
dieselbe handschriftliche Grundlage wie die homerischen, worüber oben § 42 ; der von
Aurispa 1423 aufgefundene, inzwischen verloren gegangene Archetypus hatte schon viele
Lücken und schwere Korruptelen. — Gesamtausg. mit Fragmenten von J. A. Ernesti, LB.
1761, 2 vol. auf Grundlage der berühmten Fragmentensammlung vouBentley; und von 0.
Schneider, Callimachea, Lips. 1870—3, 2 vol. — Kritische Spezialausgabe der Hymnen
von Meineke, Berl. 1861; von Wilamowitz, Berl. 1882. — Couat, Remarques sur la date
et la compostion des hymnes de Callimaque in Ann. pour Vencour. 1878 p. 68 — 117.
Schüler des Kallimachos im grammatisch-historischen Fach waren Hermippos der
Kallimacheer, von dem unten §391 gehandelt ist, und Philostephanos aus Kyrene,
aus dessen zahlreichen Schriften negl noXeiou, negl p^aiou etc. die Fragmente gesammelt
sind von Müller, FHG. IH, 28—34.
325. An die Hymnen des Kallimachos möge sich die Erwähnung des
schwungvollen Hymnus des Stoikers Kleanthes auf Zeus (bei Stobäus
Ecl. I, 2. 12) und der religiösen Gedichte des dorischen Lokaldichters
Tsyllos anschliessen. Von dem letzteren haben wir erst in neuester Zeit
durch die Ausgrabungen des Asklepiosheiligtums in Epidauros Kenntnis
erhalten. In Stein eingegraben fanden sich dort von Isyllos ein hexamet-
risches Gedicht, worin er von seiner Grossthat, der Anregung eines Bitt-
ganges zu Ehren des Apollon und Asklepios, in holprigen Versen und unge-
lenker Rede Kunde gibt, ein Päan auf die Heilgötter Apollon und Asklepios
in 78 frei gebauten lonikern, worin er in wesentlicher Übereinstimmung
mit Hesiod fr. 125 und Pindar Pyth. HI die Geburt des Asklepios von der
thessalischen Königstochter Aigla oder Koronis erzählt, endlich ein Dank-
gedicht in 23 Hexametern auf die Rettung Spartas und des jungen Dich-
ters selbst durch den Heilgott und Schirmer Asklepios. Nach dem letzten
Gedicht war Isyllos noch ein Knabe, als Philipp nach dem Sieg bei Chä-
ronea sich gegen Sparta wandte; seine Blüte setzt danach Wilamowitz, der
dem Dichter im 9. Hefte der Phil. Unt. eine gelehrte Besprechung widmet,
um die Zeit von 280.
Ähnlicher Art sind die Päane, welche unlängst am Abhang der Akro-
polis in Athen und in der ägyptischen Stadt Ptolemais gefunden wurden. 2)
Bloss den Namen des priesterlichen Dichters, Gorgos, ohne seine Oden
hat uns ein Epigramm aus dem Heiligtum des klarischen Apoll aufbewahrt.^)
326. Alexander Aetolus,^ so zubenannt nach seiner Heimat Pleu-
') Vgl. hymn. 1, 86 ff.; 4, IGl ff.; 2, 26 | 2) giß^e CIA. III, 1 n. 171 ^^ u. 171^ und
u. 68. Wichtig ist daher auch die Ermit- [ unten § 406.
telung der Zeit, in der die einzelnen Gedichte ■') Bull, de corr. hell. X, 514.
geschrieben sind, die sich besonders Couat, i ') Meineke, Alexander Aetolus, in An.
Im poesie Alex. 200 ff. und Gercke, Alex.
Stud.. Rh. M. 42 (1887) S. 624 ff. angelegen
sein Hessen.
AI. 215 ff. ; Fragmentensammlung von Capell-
MANN, Bonn 1830.
440
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
ron in Aetolien,') blühte um 280 und war ein vielseitiger Gelehrter und
Dichter. In der alexandrinischen Bibliothek besorgte er die Ordnung der
Tragödien und Satyrdramen; als selbständiger Dichter von Tragödien hatte
er die Ehre, dem alexandrinischen Siebengestirn zugezählt zu werden. Auf
uns gekommen sind grosse Fragmente der Elegien ^ÄTToXkMv^) und Movaai.
In der ersten erzählt er in gesuchter Sprache die Geschichte von der ver-
brecherischen Liebe der Gattin des Neliden Phobios, welche den keuschen
Antheus in einen Brunnenschacht hinabstürzte.^) Wie die anderen alexan-
drinischen Dichter suchte auch er eine Kunst im Gebrauch verschiedenster
Metra; dass er dabei kein rechtes Verständnis vom Wesen der metrischen
Form hatte, beweisen die anapästischen Tetrameter, mit denen er eine im
übrigen treffliche Charakteristik des Euripides gab (Gellius N. A. XV, 20).
Eratosthenes', des grossen Geographen, gemütvolle Elegie 'HQiyovr]
wird unten zur Sprache kommen; ebenso die Elegien des Epikers Eu-
phorien.
327. Parthenios aus Nikäa,'*) der jüngste Elegiker unserer Periode,
spielte eine nicht unwichtige Rolle als Vermittler der alexandrinischen und
römischen Bildung. Im mithridatischen Krieg kam er als Kriegsgefangener
nach Rom (72 v. Chr.); später treffen wir ihn in Neapel, wo Vergil sich
seines Unterrichtes erfreute. Suidas bezeichnet ihn als Verfasser von
Elegien und verschiedenen Dichtungen ; besonders scheint er die weiche und
wehmütige Art der Trauerelegie geliebt zu haben: dem Andenken seiner
Gattin Arete widmete er ein elegisches Gedicht in 3 B.;=^) auf die elegische
Dichterin Archelais, seinen Freund Bias und einen gewissen Auxithemis
dichtete er Trauerelegien {€7TixrjS€ia); einem unbekannten Freund gab er
in einem poetischen Geleitbrief {vfjivog ngoTTs^mixög) fromme Wünsche auf
die Reise mit. Ausserdem werden von ihm erwähnt die Elegien 'AcpQodiTrj,
JrjXog, KQivayoQcxg,^) und die Epyllien MsTafiioQCfojasig, ^H^axXrjg, MvTTcorog,
Das letzte Gedicht ahmten von den Lateinern Sueius und Ps. Vergilius in
dem Idyll Moretum nach; nach einer seiner Metamorphosen ist auch das
vermeintliche Jugendepyllion Vergils, die Ciris, gedichtet. Erzählungen un-
glücklicher Liebe scheinen eine Spezialität von ihm gewesen zu sein; aus-
drücklich rühmt er sich, Erot. 11, die rührende Geschichte von Byblis und
Kaunos in Hexametern behandelt zu haben. Auf uns gekommen ist eine
Sammlung 'Eqonind Ttad^rjiiaTa in Prosa, worin er für seinen Freund, den
römischen Elegiker Cornelius Gallus, zum praktischen Gebrauch eine Reihe
von Fällen unglücklicher Liebe aus verschiedenen Dichtern und Historikern
zusammenstellte.
') Der Zuname ist gegeben zur Unter-
scheidung von Alexander Ephesius.
^) Die Fragmente sind uns erhalten in
Parthenius Erot. 14.
^) Aus einem didaktischen Gedichte
über Planeten und Sterne stehen mehrere
Hexameter bei Theon Smyrnaeus p, 139 ff.
ed Hill.
^) Nach andern bei Suidas von Myrlea;
vgl. Meineke, An. AI. 255 ff. In der metri-
schen Inschrift eines Denkmals, das ihm
Kaiser Hadrian setzte (Kaibel epigr. gr. 1089),
heisst er aazog ^Jna^siag.
^) Diese Elegien auf seine Gattin Arete
müssen besonders berühmt gewesen sein,
da ihrer besonders Hadrian auf der erwähn-
ten Inschrift gedenkt.
^) Wahrscheinlich, wie Meineke ver-
mutet, der berühmte Epigrammatiker Krina-
goras, dem der gemütreiche Parthenios in
Freundschaft verbunden war.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 328—329.)
441
328. Das Epigramm. Die gelehrte und geistreiche Richtung der
Zeit kam hauptsächlich der Pflege des Epigramms zu gute und gab dem-
selben eine weit über seine ursprüngliche Stellung hinausgehende Bedeutung.
Das Epigramm sollte ursprünglich, wie der Name besagt, als Aufschrift
für ein Grabdenkmal, i) dann auch einen Tempel oder ein sonstiges Weih-
geschenk dienen, und diesem Zwecke entsprechen auch die meisten Epi-
gramme der klassischen Zeit, namentlich die des Hauptepigrammatikers
Simonides. In der alexandrinischen Periode aber wurde das Epigramm zur
beliebten Form für den kurzen, bündigen Ausdruck eines Urteils über Dichter,
Kunstwerke, Künstler, zum Begleitschreiben für Geschenke und Liebesgaben,
zum witzigen und satirischen Spiel der Gebildeten und Gelehrten, das sich
auch diejenigen erlaubten, welche sonst auf den Ruhm eines Dichters keinen
Anspruch erhoben. Diese kleinen, meist nur 1 bis 3 Distichen füllenden
Gedichte 2) vergleichen sich den Gemmen oder geschnittenen Steinen,-^) welche
gleichfalls in der klassischen Zeit gegenüber den öffentlichen Bauten und
Denkmalen zurückgetreten waren, nunmehr aber bei dem starken Hervor-
treten des privaten Lebens und Luxus ein besonders gangbares Erzeugnis
der Kunst und des Kunstgewerbes wurden. Der Zusammenhang der Kunst-
richtung und der Blüte des Epigramms in der alexandrinischen Periode
drückte sich auch äusserlich darin aus, dass auf die Idealstatuen, die man
damals den litterarischen Grössen der Vergangenheit zu setzen liebte, ganz
gewöhnlich Verse zeitgenössischer Epigrammatiker gesetzt wurden.^) Die
Feinheit des Urteils und der geistreiche Witz erforderten auch eine be-
sondere Feile der Form und des Verses; durchweg sind die Hexameter des
Epigramms mit mehr Grazie als die des zeitgenössischen Epos gebaut.
Über dem Geschick des Epigramms waltete ein günstigerer Stern als über
den übrigen Gattungen der alexandrinischen Poesie. Eben weil sie so klein
waren und dadurch leicht in ihrer Vereinzelung verloren gehen konnten,
hat man frühe angefangen, sie in Blumenlesen zusammenzufassen. Um
80 V. Chr. vereinigte so die besten derselben der Kyniker und Epigram-
matiker Meleager aus Gadara^) zu einem alphabetisch geordneten Kranz
[aTt(favoQ), welcher ebenso wie der im Beginne der römischen Kaiserzeit
zusammengestellte Kranz des Philippos Aufnahme in die uns erhaltene
Anthologie des Konstantinos Kephalas fand.
329. Wir zählen die hauptsächlichsten Epigrammatiker unserer
Epoche auf: ^)
Anyte aus Tegea blühte um 290;^) ihre Landsleute ehrten sie durch
0 Vgl. § 83.
^) Kyprianos, Anth. IX, 369 nennt das
schönste Epigramm das aus 2 Distichen be-
stehende.
3) Vgl. Anth. IX, 752.
^) Von einem Epigramm auf der Sappho-
statue des Silanion spricht Cicero, Verr. IV,
57. 126; vgl. Theoer. epigr. 16 u. 17, CIG.
3555.
^) Über die Zeit dos Meleager bemerkt
ein Scholion der Anthologie: ijxfxaCev inl
lehvxov Tov eo^fiiov, worüber Jacobs Anth.
t. VI p. XXXVI sqq.
^) Catalogus j^oetarum epigrammati-
corum VOR Jacobs in Anth. gr. tom. XIII;
Hänel, De epigr ammatis graeci historia,
Bresl. 1852.
') Auf Ol. 120 führt die Lebenszeit
der beiden Künstler, welche nach Tatian
adv. Graecos 52 ihr Standbild fertigten;
sichereren Anhaltspunkt böte das Epigramm
Anth. VII, 492 auf die 'S Jungfrauen von
Milet, welche beim Einfall der Gallier den
freigewählten Tod starben, wenn nicht die
442
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Errichtung einer Statue, welche die Künstler Euthykrates und Kephisodotos
anfertigten. Sie heisst bei Stephanos Byz. fusXoTToiog und wird von Anti-
pater, Anth. IX, 26 als weiblicher Homer gepriesen; aber wir haben von
ihr weder Epen noch Lieder, sondern nur 22 Epigramme, meistens Auf-
schriften für Weihgeschenke, Quellen und heilige Orte, alle von einer Fein-
heit des Gedankens und der Form, dass wir das hohe Ansehen der Dichterin
bei der Mit- und Nachwelt begreifen.
Andere Dichterinnen von Epigrammen aus jener Zeit waren Myro
(oder Moiro) aus Byzanz, Mutter des Tragikers Homeros, 9 Nossis aus
dem italischen Lokris, die sich der Sappho zur Seite zu stellen erkühnte, 2)
Hedyle aus Attika, deren Mutter, Moschine, gleichfalls Dichterin war.
Simmias (oder Simias) aus Rhodos^) wird von Strabon p. 655 Gram-
matiker genannt, 4) machte sich aber mehr als gewandter Versifikator und
geschmackvoller Dichter von Epigrammen bekannt. Suidas erwähnt von
ihm 4 Bücher gemischter Gedichte; eine Kuriosität sind seine durch die
Anthologie uns erhaltenen Spielereien, welche die Form von einem Flügel,
Ei oder Beil haben. ^) Sein von Stephanos Byz. unter ^AixvxXai citiertes Ge-
dicht Mrjvsg war vielleicht das Vorbild für Ovids Fasten. Über seine Zeit
gibt das Zeugnis des Hephästion c. 9, das ihn als Vorgänger des Philiskos,
eines Dichters der tragischen Pleias, bezeichnet, beiläufigen Aufschluss.
Auf den Anfang der alexandrinischen Periode weist auch die Mannig-
faltigkeit seiner Metra hin, da sich schon von Kallimachos an die Dichter
immer mehr auf einige wenige Versmasse beschränkten.
Asklepiades aus Samos,^) von Theokrit 7, 40 als sein Lehrer und
Meister gepriesen, läuft in Zartheit der Empfindung und Schönheit der Form
leicht allen Epigrammendichtern den Rang ab. Nur wenige seiner Epigramme
sind als wirkliche Aufschriften gedacht; andere gelten dem Preise der von
ihm verehrten Dichter Hesiod, Antimachos, Erinna; weitaus die meisten
sind erotischer Natur und hauchen die ganze Weichheit eines schmachtenden,
verliebten Dichterherzens; sie gehören zu den schönsten Blüten der Liebes-
poesie der Alten, zeugen aber auch zugleich von der leichten Weise, mit
der man damals die Liebe und das Leben überhaupt nahm; die niedlichen
Schilderungen des kleinen Gottes mit Flügel und Pfeil gemahnen an die
lieblichen Eroten von Tanagra und die Wandgemälde Pompeji's.
Poseidippos, durch den Beinamen ö iTiLyQap.iJiaTOQycc(fog von dem
gleichnamigen Komiker Athens unterschieden, blühte um 270, gleich-
zeitig mit Asklepiades, mit dem er auch öfters in der Anspielung auf
die gleichen Hetären zusammentrifft. Der erotische Ton seiner Epi-
Anyte dieses Epigrammes als Mytilenäerin
bezeichnet wäre.
') Von Moiro steht auch ein episches
F'ragment von der Geburt des Zeus bei Ath.
491a; nach Parthenios c. 27 hatte sie auch
Elegien unter dem Titel 'JQcd gedichtet,
2) Anth. VII, 718. Ihre Zeit ist be-
stimmt durch Erwähnung des Komödien-
dichters Rhinthon.
'0 Daneben kommt ein Epigrammatiker
Simmias Thebanus vor.
^) Zu seiner grammatischen Thätigkeit
gehört eine Sammlung von Glossen. Über
sein Epos ' Anollayv s. Düntzer, Fragm. d.
ep. Poesie II, 4 f.
^) Häberlin, Carmina figurata graeca,
Hann. 1887.
6) IixeXl&ag wird er, wohl nach dem
Vater, genannt von Theokrit VII, 40 und von
Meleagros Anth. IV, 1. 46. Über einen an-
deren Asklepiades s. Jacobs, Anth. t. XIII
p. 864.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Poesie. (§ 330.)
443
gramme erhält eine kräftigere Beimischung durch den Preis des Weins
und der Flasche, i) Geistreich ist die Gegenüberstellung der Freuden und
Leiden der verschiedenen Lebensstellungen (Anth. IX, 359. 360). Zu den
Epigrammen auf Dichter gesellen sich bei ihm solche auf berühmte Kunst-
werke, wie auf den Alexander und Kairos des Lysipp (Anth. IV, 119. 275). 2)
Auch ein episches Gedicht 'Aaomia und Elegien werden von ihm erwähnt.
Leonidas von Tarent^) aus der gleichen Zeit^) ward, selbst ein
armer, heimatloser Schlucker (Anth. VI, 300), der Dichter der kleinen,
armen Leute, indem er den Maurern, Weberinnen, Jägern, Flötenspielerinnen,
wenn sie am Lebensabend ihr Werkzeug an einen Baum der Gottheit auf-
hingen, Epigramme als Weihinschriften dichtete, auch in Versen polizei-
liche Anordnungen zur Warnung schrieb, damit nicht mutwillige Jungen
mit Steinen die Früchte herunterschlügen, oder die Mäuse seinen arm-
seligen Brotkorb zernagten. Da sich der Dichter fast durchweg-^) in der
Sphäre des niedrigen Lebens bewegte, so findet sich bei ihm eine Unmasse
gemeiner, sonst nicht vorkommender Wörter; staunenswert ist dabei nur,
wie leicht die neuen Wörter der formgewandte Dichter in den Vers zu
bringen wusste.
Ausserdem nahm Meleager, wie er selbst in dem geschmackvollen
Proömium seiner Epigrammensammlung angibt, noch von ein paar Dutzend
anderer Dichter Blumen in seinen Kranz auf. Darunter waren ausser
Theokrit, Kallimachos, Rhianos, Euphorien noch folgende, sonst nicht näher
bekannte Epigrammatiker: Demodokos aus Leros, der vor Aristoteles
lebte nach dem Zeugnis des Philosophen in Eth. Nie. VII, 9, Antagoras
aus Rhodos, der sich längere Zeit an dem Hofe des Antigenes Gonatas
aufhielt,^) Hedylos, Sohn der Hedyle unter Ptolemaios Philadelphos, Dios-
korides, jüngerer Zeitgenosse des Komödien dich ters Machon in Alexandria,^)
Nikias, Arzt und Freund des Theokrit, Mnasalkas und dessen Rivale
Theodoridas, Zeitgenossen des Dichters Euphorien, Alkaios von Mes-
senien, Epigrammatiker und Epikureer aus der Zeit des Königs Philippos III.,
Diotimos von Adramyttion und Phaidimos aus Bisanthe, von denen auch
Epyllien über die Thaten des Herakles existierten,^) Antipater aus Sidon,
den Cicero de erat. III, 50 als poetischen Improvisator preist und der eine
Reihe poetischer Grabepigramme auf alte Dichter verfasst hat; ferner
') Zwei neue Epigramme des Poseidippos
wurden aus einem Papyrus ans Licht gezogen
von Weil, worüber Blass, Rh. M. 35, 90 ff.
'^) Die Epigramme überhaupt bilden auf
solche Weise eine wichtige Quelle für
Litteratur- und Kunstgeschichte. Für das
34. u. 35. Buch des Plinius hat dieses 0.
Jahn, Berichte d. sächs. Ges. d. Wiss. 1850
S. 118 — 125, und Benndokf, De anth. gr.
epigrammatis quae ad artcm spectant, Lips.
1862 nachgewiesen. Dass auch bei Cicero
de inv. II, 1. 1 über Zcuxis' Helena unter
den muUi poetae Epigrammatiker zu ver-
stehen seien, bemerkt Uklichs, Über griech,
Kunstschriftsteller S, 40.
^) Verschieden von dem Epigrammatiker
ist Julius Leonidas Alexandrinus aus Neros
Zeit.
^) Die Zeit wird bestimmt durch An-
spielungen auf Pyrrhus und ein Epigramm
auf Arat in Anth. IX, 25. Auf etwas ältere
Zeit könnte ein Epigramm Anth. V, 206 hin-
weisen, wo die Töchter des Antigenides,
des berühmten Flötenbläsers, ihre musikali-
schen Instrumente den Musen weihen.
'') Wir haben jedoch von ihm auch einige
hübsche Epigramme auf Dichter und Kunst-
werke.
^) Antagoras hatte auch ein Epos The-
bais gedichtet.
I, 310.
') Anth. VII, 708.
^) Vgl. WiLAMOwiTz, Euripides Herakles
444 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratnr.
Archelaos aus dem ägyptischen Chersones, Nikainetos aus Samos,
Hermodoros aus Syrien, Simonides aus Magnesia u. a. Meleagros,
der Ordner des Kranzes, von dem Athenaios auch die parodischen Gedichte
^i\a7r6(fior, Aexi^ov xal (paxrjg avyxQiaiq^ Xaqirsg anführt, spendete selbst
zu seiner Anthologie an 130 hübsche Epigramme, meist erotischen Inhaltes;
besonderer Anerkennung erfreute sich in alter und neuer Zeit sein Früh-
lingsgedicht in Hexametern.
Ein Denkmal der am pergamenischen Hofe blühenden Verskunst
bilden die 19 Epigramme des 3. Buches der Anthologia Palatina. Dieselben
stunden unter den Reliefen im Tempel der Apollonis, der Mutter des
Attalos und Eumenes, zu Kyzikus und verdanken ihre Erhaltung dem
frommen Sinn, der sich in jenen Reliefen aussprach. Sie stellten nämlich
alle, wie die beigegebene Beschreibung in Prosa noch deutlicher ausspricht,
Beispiele aufopferungsvoller Mutterliebe dar, darunter auch schon eine
römische Legende, die Befreiung der Servilia von den Misshandlungen des
Amulius durch Remus und Romulus.
Die Anthologia Palatina rührt von Konstantinos Kephalas her, der im
J. 917 Protopapas des kaiserlichen Palastes war. Als seine Quellen gibt er selbst die
Sammlungen des Meleagros, Philippos, Agathias an deren Proömien er im 4. Buche
mitteilt; doch gehen auf diese nur die Bücher 4 — 7 und 9 — 11 zurück. Der Inhalt der
ganzen, aus 15 B. bestehenden Anthologie ist folgender: 1. B. XQiaxiavci smyQ., 2. B. Xqi-
(TTodojQov noirjrov @t]ßuiov (5. Jahih.) extpQuaig jwv tiyaXfA.c'czMv xiov etg to ^rj^iöaiov yv^u-
vuaiop Tov iniyaXovjueyov ZEv'^lmiov, 3. B. eniyQ. iv Kv^ixw stg xov vaov ' Ano'kX(Mv[6oq rfjg
fjirjTQog 'JiräXov xcd Evfzipovg, 4. B. rd TTQOoifxict rcoy diacpoQiov dvO^oloylayv, MeXedygov,
4>iU7T7iov, ^ Aya&iov, 5. B. intyq. igoDTixa, 6. B. sniyq. dyad^rjfiarixd, 7. B. intyQ. emxvfxßicc,
8. B. ETiiyg. FgtjyoQiov tov d^soXöyov, ursprünglich als Ergänzung des 7. B. gedacht, 9. B.
iniyQ. intdeiXTixd, 10. B. iniyQ. iJQOTQsmixd, 11. B. iniyq. avfxnonxd xal axconrixd,
12. B. lTQdra,rog rov laQ^iavov fuovaa ncadixrj, 13. B. intyq. diacpoQMv fietgioy, die im
3. Jahrh. v. Chr. von einem unbekannten Grammatiker zusammengestellt waren, 14. B.
dQii^fxi]Tixd, airlyfjcaa, yqlcfoi. 15. B. ffv/nfxixTcc. Diese Anthologie ist uns erhalten in dem
Cod. Palat. s. XI, der am Schluss noch die Anacreontea enthält und ehedem nach einem
alten Inhaltsverzeichnis auch noch den Nonnos umfasste.. Der Cod. gelangte 1623 durch
Schenkung nach Rom, von wo er 1797, in 2 Teile auseinandergenommen, nach Paris kam.
Nach dem Pariser Frieden kam der vordere Teil (B. 1 — 12) wieder nach Heidelberg zu-
rück, der zweite verblieb in Paris, nur ein photographisches Facsimile findet sich jetzt
auch in Heidelberg, Bekannt wurde der Cod. zuerst durch Salmasius, der ihn 1607 in
Heidelberg abschrieb. Zuvor kannte man nur die Anthologia Planudea in 7 Abt, (ed.
princ. 1494; beste Ausg, von Bosch, Utrecht 1795—1810, mit den meisterhaften Über-
setzungen von Hugo Grotius), welche im 14, Jahrh, der Mönch Planudes veranstaltet hatte.
Dieselbe ist auch nach dem Bekanntwerden der Anth, Palat, noch nicht wertlos, da sie<
nicht bloss an vielen Stellen bessere Lesarten hat, sondern auch mehrere Epigramme ent-
hält, die dort fehlen. Von einem dritten Florilegium, dem des Thessalos aus der Zeit
Leo X, (886 — 912), erhalten in einer Pariser und Florentiner Handschrift, gibt Schneide-!
WIN, Progymnasmata in anth. gvaec, Gott, 1855 Nachricht. Vgl, Finslee, Krit, Unt, zur
Gesch, d, gr. Anth., Zürich 1876; Wolters, l)e epigraiumatum graecorum anthologiis,
Halis 1882 u, Rh. M, 38, 97 — 119; Dilthey, De epigr. graec. syllogis quibusdam minori'
hus, Ind. Gotting 1887.
Ausgaben: Anth. vet. poet. graec. ed. Brünck, Argent. 1776; Anth. graec. ex rec.
Bruncldi, indices et comment. adi. Fr, Jacobs, Lips, 1794-1814, 12 vol.; kleinere Ausgabe
in 3 vol,, Lips, 1813—7, — Neubearbeitung von Dübner, Par. 1864; von Cougny, Par, 1890,
3 Bde. — Delectus ptoetarum anthologiae graecae von Jacobs, Gotha 1826; von Meineke,
Berl, 1842, — Hecker, Comment. crh. de anth. gr. ed. II, LB, 1852. — Herder, Acht
Bücher Blumen aus der griech. Anthologie, in sehr freier Übersetzung, worin unbekannte
PJigennamen weggelassen oder durch andere ersetzt sind.
Eine Ergänzung dieser handschriftlichen Anthologie bilden: Appendix epigranimatum
apud scriptores veteres et in marmoribus servatorum von Jacobs ed. min. II 745—880,
Avozu eine ergänzungbedürftige Nachlese von Welcker, Sylloge epigr. graecorum, ed, II,
Bonn 1829; Epigrammata graeca ex lapidibus collecta ed. Kaibel, Berl. 1878, wozu Er-
gänzungen von Allen, Greec versification in inscriptions, Boston 1888; Epigrammata
A. Alestandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 330—331.)
445
graeca in Aegypto reperta coli. Puchstein, in Diss. Argent. IV, 1 — 78; Preger, De epi-
grammatis graecis, Monachii 1889 als Vorläufer einer neuen Sammlung der in alten Autoren
erhaltenen Epigramme.
330. Ausser Idyllen, Elegien und Epigrammen ist von lyrischen Ge-
dichten in unserem Zeitalter nichts nennenswertes produziert worden. Es
begegnen noch ein paar Tändeleien in bizarren Formen, mit denen die Ver-
fasser von Tiaiyvia und SicKfoqa TToirjßaTa i) ihre Fertigkeit in der Versi-
fikation und im metrischen Spiel darthun wollten. So gab sich Simmias
aus Rhodos die undankbare Mühe, Gedichte in der Form eines Flügels,
Eis, Beiles zu dichten und fand damit so grossen Beifall, dass nach seinem
Beispiele andere eine Hirtenpfeife oder einen Altar dichteten. 2) Auch sonst
erwuchs die kunstvollere Form nicht der Situation und der Natur des
Liedes, sondern dem launenhaften Spiel der Versifikatoren, wie wenn Pha-
laikos Anth. III, 6 eine Grabschrift in Hendekasyllaben, Kallimachos die
Votivinschrift eines Tempels in Asynarteten dichtete. 2) Gleichwohl haben
die Metriker viele lyrische Metra, wie das Asclepiadeum, Phalaeceum,
Simmiacum, Callimacheum nach alexandrinischen Dichtern benannt;^) auch
die ionischen Sotadeen und die mit der Verbreitung des Kultus der Kybele
und des Priapus zusammenhängenden Priapeia haben nach Gedichten unserer
Periode ihren Namen erhalten. — Erhalten ist aus dem Ende unserer Periode
durch StobäusFlor. 7, 13 die sapphische Ode der Melinno auf die ewige Stadt
Rom, entstanden zur Zeit als Rom alle anderen Städte des Erdkreises in
Schatten stellte, nicht lange vor der Regierung des Kaisers Augustus.'^)
b. Die bukolische Poesie.
331. Die bukolische Poesie hatte in volkstümlichen Weisen ihren Ur-
sprung. ^^) Wie das liederfrohe Volk der Hellenen in den Weingegenden
den Gott der Rebe feierte, so begingen die Bauern in getreidereichen
Ländern zu Ehren der Artemis festliche Umzüge. Solche Feste gab es in
Lakedämon und in Sikilien. In Syrakus waren die Bauern vermummt,
ähnlich wie die Winzer an den Bakchosfesten ; ihre Lieder waren voll von
allerlei Scherz und schlössen mit dem frommen Spruch:
dt'^ai Tccv dya^dv Tv^^av^ öt^ai idv vyieiav^
dv ^6Q0jH€v Ttagd Tag ^€0v, a xekrjcfaro tivcc.
') Carmina figurata graeca ed. Haeber-
LTN, ed. II, Hannov. 1887; erhalten sind uns
dieselben im 13. Buch der Anthologie.
^) Die Syrinx wird demTheokrit bei-
gelegt, der Altar dem Dosiadas aus Kreta,
dessen Blüte Wilamowitz, De Lycoph. Alex,
p. 13 auf 285-270 setzt.
^) Auch diese erhalten in Anth. XIII.
^) Beispiele nach dem Metriker Hephä-
stion sind:
Xcd()\ (ö xQVGoxiqtag ßaßdxra fxrjXtav
Phalaikos.
^cdfxovEg evvfj.v6xarov 4>otß6 re xal Zev didv-
jxiov ysvÜQxct Kallimachos.
loi^ axvyvov MeXavinnov cpövov id nuxqo-
cpöpojy eQiS^ot Simmias.
jr] x^f^oyln juvaiixa J?jfj,t]TQl t€ xal 'PeQoe-
(fövri xal KXvfxevM ja Ja>()« Philiskos.
Wahrscheinlich war demnach auch Arche-
bulos, von dem das Archebidcum metrum
benannt ist, ein alexandrinischer Dichter.
^) So BiRT, De urhis Bomae nomine,
Ind. lect. Marb. 1888 p. XII. Welcker, Kl.
Sehr. II, 160 ff. hatte die Ode in die Zeit
nach Besiegung des Königs Philipp von
Makedonien, um 195 v. Chr. gesetzt. Sto-
baios selbst macht die Melinno zu einer alten
lesbischen Dichterin.
^) l'rolegomena zu Theokrit tteqI xrjg
EvQeaeiog xtoy ßovxoXixcjy, Probus im P]ingang
zu Vergils Georgica, Diomedes p. 48G K. —
G. Hermann, De arte poesis Graecorum
hucolicae, 1849; Welcker, Über den Ur-
sprung des Hirtenliedes, Kl. Sehr. I, 402 ff.;
A. Pritsche, De poeiis Graecorum hucolicis,
Gissae 1844.
446
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
Mehr aber als diese volkstümlichen Artemisfeste gab das Leben der Hirten
auf entlegenen, quellenreichen Triften mit dem Fernblick auf die blaue See
Anstoss zur Entwicklung der ländlichen Poesie. Hier erschallte die Schalmei
des Hirten, hier belebten sich im stillen Verkehr mit der Natur die
Schluchten und Gewässer mit Nymphen, Kyklopen und anderen Natur-
göttern. 9 Besonders Sikilien und ünteritalien mit ihren grossartigen Natur-
schönheiten und ihrer witzigen Bevölkerung waren der Entfaltung der
bukolischen Muse günstig. Schon Stesichoros sang das romantische Lied
von der schönen Kalyke und feierte den Haupthelden der Hirtenpoesie,
den schönen Daphnis.^) Er ward daher von einigen geradezu als der Er-
finder der bukolischen Poesie angesehen.^) Andere nannten als solchen
einen gewissen Diomos, von dem wir nur wissen, dass er vor Epicharm
lebte, der seiner in zwei Stücken gedachte.'^)
332. Bukolisch ward die Hirtenpoesie a potiore parte genannt; denn
thatsächlich spielten in derselben nicht bloss Rinderhirten {ßovxöXoi) eine
Rolle, sondern ebenso gut Geissbuben {ccIjiöXoi) und Hirten überhaupt. Ja
sogar über die Grenze des Hirtenlebens ging dieselbe hinaus, indem z. B.
in dem 10. Idyll des Theokrit Schnitter die sprechenden Personen abgeben.
Die Form des Hirtenliedes war ein Gemisch von Erzählung und Dramatik,
weshalb die alten Grammatiker demselben den gemischten Charakter bei-
legten.^) Der dramatische Dialog scheint aus der alten Weise des Wechsel-
und Wettgesangs der Hirten entsprungen zu sein. Der herrschende Vers
war der daktylische Hexameter, welcher der einfachen Schlichtheit des
Volksliedes entsprechend, sich ohne Abwechselung wiederholte. Doch näherte
sich das Hirtenlied dadurch der kunstvolleren Form der Lyrik, dass in der
Regel mehrere Verse, teils durch den Refrain,^) teils bloss durch den Sinn
zu grösseren Gruppen oder Strophen verbunden waren. Auch der Hexa-
meter ward von den Bukolikern anders als von den Epikern gebaut. Die
Eigentümlichkeit des bukolischen Verses besteht in dem regelmässigen Ein-
schnitt nach dem 4. Fuss, der sogenannten bukolischen Cäsur, die wahr-
scheinlich mit einer alten Melodieweise zusammenhängt. Wenn Vergil in
seinen Eklogen jenen Einschnitt vernachlässigte, so bestätigt dieses nur
die Beobachtung, dass der römische Dichter die Hirtenlieder Sikiliens nur
aus Büchern, nicht aus dem Munde des Volkes kannte."^) Die einzelnen
Gedichte der bukolischen Poesie pflegen wir Idyllen zu nennen. Das ist
nicht ganz in dem antiken Sprachgebrauch begründet; denn in dem ange-
gebenen Sinne gebrauchten die Alten dSidXiov ßovxoXixov, nicht sldvkliov
^) Schon bei Homer in der Ilias I 525
spielen Hirten auf der Syrinx, und schon
in der Odyssee treffen wir ausser dem ein-
äugigen Kyklopen die Nv/urpai dyQovofxoL
im Gefolge der Artemis, Od. C 105.
2) Vgl. Diodor IV, 84: fxvx^oXoyovai Se
xov Jc'icpviv (pvGSi dicccpoQio TTQog Ei^ueXeiccy
y,exoQ'>]yr}y.evop i^svQsTy ro ßovxohxop nobjfxa
ycd fj.t'kog, o f^s/Q^ ^^^ ^^^ xard rrjv Zi-
XE%L(tv Tvy/cipsi ^iafXEvop EP dno&o/fj.
^) Aelian V. H. X, 18: IxrjalxoQov ys
TOP IfxsQKiop xrjg xoicwTt]g fxeXojioitag vnt'c^-
iaa&av. Vgl. oben § 110.
^) Nach Ath. 619 a dichtete er einen
sogenannten ßovxohccGfxog.
^) Proleg. zu Theokrit c. 8.
^) Der alte Refrain ficcxQcd ö'Qvsg lo
Mspdkxcc wird von Ath. 619 d eine Sang-
weise, pofiiop, genannt.
') Auf der anderen Seite aber hat Ver-
gil die Verbindung mehrerer Hexameter zu
einer Art von Strophe aus seinem Vorbild
herübergenommen.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 332—334.)
447
allein.^) Das Wort dSvXXiov ist Diminutiv von siSog^ bedeutete aber nicht
ein niedliches Bild des Landlebens, sondern ein kleines zum Gesang be-
stimmtes Gedicht. EI'Stj wurden nämlich die grossen lyrischen Gedichte
Pindars genannt, weil über jedes die Tonart (dSog aQfxoviag), in der das-
selbe gesungen werden sollte, geschrieben war; von jenem siSog aber ist
HÖvXXiov das Diminutiv. 2) Der Form des griechischen Wortes entspricht
im deutschen das Neutrum, das Idyll, nicht das Femininum, die Idylle, wie
man sich in Deutschland irrtümlich nach der Analogie verwandter Wörter
zu sagen gewöhnt hat.
333. Zur Blüte kam die bukolische Poesie erst im alexandrinischen
Zeitalter. Das war nicht Zufall, das war im Charakter der Zeit begründet.
Die Welt war überfeinert geworden; die konventionellen Formen des Städte-
lebens beengten den natürlichen Menschen; die Üppigkeit der Mahlzeiten
und der Luxus der Kleidung gereichten ihm mehr zum Überdruss als zum
Genuss, er sehnte sich aus der x^tmosphäre der Stadt wieder hinaus in die
freie Natur und zu dem einfachen Leben der Hirten und Landleute. Dieser
Reaktion gegen die Unnatur des Stadt- und Hoflebens verdankt die buko-
lische Poesie ihre Blüte, ähnlich wie sich die Idyllendichtung Gessners und
die Dorfgeschichten Auerbachs im Gegensatz zur überfeinerten Kultur ihrer
Zeit entwickelten. Auf solche Weise war es unserer Epoche, die sonst
nur von Nachahmung und affektierter Empfindung lebte, vorbehalten, eine
neue köstliche Frucht am goldnen Baume der Poesie zu zeitigen. Sind der
bukolischen Dichter auch nur wenige, und wenige auch nur ihrer Gedichte,
so haben wir doch in dem wenigen wahre echte Poesie, die den Vergleich
mit den Blüten der klassischen Zeit nicht zu scheuen braucht.
334. Theokrit^) ist der erste und hauptsächlichste Vertreter der
bukolischen Poesie. Sein Leben ist leider stark in Dunkel gehüllt; über
Herkunft, Vaterland, ja selbst Namen'*) wird gestritten. Nach dem alten
Epigramm Anth. IX, 434"') stammte er aus Syrakus^) und war der Sohn
des Praxagoras und der Philine;') aber der Lexikograph Suidas berichtet,
') Idyllia werden kleinere, nicht dem
Hirtenleben angehörende Gedichte genannt
von dem jüngeren Plinius ep. IV, 14. 9 und
von Ausonius.
^) Dieses begründete ich in einem Vor-
trag über den Namen Idyll, in den Verh. d,
Philol. Vers, in Würzburg 1868 S. 49 ff.
^) Quellen: rivog Gsoxqitov in den Scho-
lien, ein Artikel des Suidas, ein altes Epi-
gramm in Anth. IX, 434:
JXXog 6 XTog, eyoj de Osoxqitos, og zdd^
eyQtixpa,
eig (<n6 nJüv Tiollixiv sifxl ZvQccxoaioov,
vlog llQa^ayoQcco nsQixXsiTrjg je ^iXiPtjg,
fÄOvaccv t) ' od^velap ov jiv icpsXxvaufX'rjv.
Aus neuerer Zeit: Hauler, De Theocriti
rita et carminihus, Frib. 1855; Brinker,
De Theocriti vita carminibusque suhditiciis,
I-ips. 1884. Vgl. Hiller, Jahrb. f. Alt. 1883
S. 24 ff.; Holm, Geschichte Siciliens im Alter-
I tum II, 299—324, und vor allem Gercke,
I Alexandrinische Studien, Rh. M. 42.
^) Aus dem Feyog erfahren wir, dass
einige Moschos als seinen ursprünglichen
Namen ausgaben; das scheint aber nur daher
zu rühren, dass einige seiner Gedichte von
andern dem Moschos beigelegt wurden.
^) Aus dem Eingang des Epigramms,
in dem an einen gleichnamigen Rhetor Theo-
kritos von Chios aus der Schule des Iso-
krates angeknüpft ist, vermute ich, dass der
Epigrammatiker jünger als der Litterar-
historiker Demetrios Magnes war, von dessen
Schrift ne()l o^iüvvfxiop iioir]Xitip xal dvyyQu-
(pE(ov er ausgegangen zu sein scheint.
^) Auch Ath. 284a nennt den Theokrit
Syrakusaner.
') Aus Id. 11, 7; IG, 8; 28, 17 kann
nicht geschlossen werden, dass Syrakus die
Vaterstadt unseres Dichters war; eher kann
der Dialekt seiner Idyllen, seine frühe Be-
kanntschaft mit dem sikilischen Mimographen
Sopliron und der geographische Hintergrund
der meisten seiner Gedichte für die alte
448
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
dass andere ihn für einen Koer ausgaben, und er selbst nennt sich im
7. Idyll ^ifiix'^örjv, wonach man in Simichides, der nach dem Zeugnis der
Scholien zu Id. 7, 21 von Orchomenos nach Zerstörung der Stadt durch
die Thebaner (367) nach Kos ausgewandert war, wenn nicht den Vater,
so doch den Ahnen unseres Dichters suchen möchte. ^) Auch vom östlichen
Griechenland aus, von Orchomenos, richtete er seine Anfrage an Hieron,
den Herrscher von Syrakus (16, 106), wobei er auffälliger Weise gar keine
Andeutung macht, dass Syrakus seine Vaterstadt und Hieron der Führer
seiner Landsleute sei. 2) Aber wenn es auch trotzdem wahrscheinlich bleibt,
dass unser Dichter Sikilien zur Heimat hatte, so treffen wir ihn doch jeden-
falls als angehenden Dichter zuerst im östlichen Griechenland. Dort haben
ihn der Elegiker Philetas und der Epigrammatiker Asklepiades, welche
beide die alte Biographie, vermutlich auf Grund der eigenen Worte des
Dichters 7, 30 ff., als seine Lehrer bezeichnet, in die Poesie eingeführt;
dort knüpfte er die Bande enger Freundschaft mit dem Arzt Nikias von
Milet und dem Dichter Aratos von Soloi, die er beide wiederholt in seinen
Dichtungen preist;^) dorthin endlich versetzt uns eines seiner ältesten Ge-
dichte, das schon erwähnte 7. Idyll Thalysia, dessen Scene die alten Aus-
leger nach der Insel Kos verlegten.'*) Eines der ältesten aber nannte ich
dieses Idyll, da in demselben der Dichter V. 103 auf den im J. 276 von
Arat zu Ehren des Antigones Gonatas gedichteten Hymnus auf Pan an-
spielt, so dass es auch selbst um die gleiche Zeit, bald nach 276, gedichtet
sein muss.
Die weiteren Lebensgeschicke unseres Theokrit sind mit den Höfen
von Syrakus und Alexandria verknüpft. Mit dem 16. Gedicht, XägiTsg 1]
^li'Qcov betitelt, •''') bietet er sich dem Hieron, dem Herrscher von Syrakus,
als Herold seiner Ruhmesthaten an. Im Eingang desselben klagt er, dass
seinen Charitinnen bisher überall im Osten [yXavxdv vn ^Hco) das traurige
Los geworden sei, mit leeren Händen abgewiesen zu werden. Auf wen
damit angespielt sei, ob auf Antigenes Gonatas, wie Häberlin meint, oder
ÜberHeferung, dass Theokrit ein Syrakusaner
von Geburt gewesen sei, verwertet werden.
^) Andere wollten nach den Scholien
zu 7, 21, wegen des Widerstreites mit der an-
deren Angabe, dass Praxagoras der Vater
des Dichters gewesen sei, das Wort Zi-^i-
/tcf?y? von oifÄog herleiten. Noch gesuchter
ist die von Häberlin, Carm. figur. p. 51
aufgestellte Etymologie von Zifxiag^ nach
dessen Vorbild Theokrit die Syrinx gedich-
tet habe.
2) Aus der Teilnahme, mit der er 16,
88 ff. die Zerstörung des schönen Landes
durch die Punier beweint, scheint indes
doch etwas Heimatsliebe zu klingen.
^) Der Frau des Arat brachte er bei
einem späteren Besuch in Milet eine Spindel
und dazu das schöne, Spindel {rjlaxchi]) be-
titelte Gedicht. Dem Arat widmete er sein
6. Idyll und bezeugte demselben 7, 98 und
17, 1 seine bewundernde Freundschaft.
■*) Diese Angabe der Scholien wurde
von G. Hermann, Opusc. V, 78 ff. bestritten,
hauptsächlich deshalb, weil der im Eingang
des 7. Idylls erwähnte "AXeig mit dem Flüss-
chen Haieis bei Velia in Lukanien, das der
Dichter 5, 123 anführt, identisch sei. Jetzt
ist inschriftlich auf Kos ein dä/uog xmv
^A'Asvj'lojp nachgewiesen, worüber Paton,
Class. Rev. II, 265 und daraus Hiller,
Jahresb. d. Alt. LIV (1888), S. 189.
^) Eine Anspielung auf diesen Titel fand
mit glücklichem Scharfsinn Gercke, Ale-
xandrinische Studien, Rh. M. 42, 610 in dem
32. Epigramm des Kallimachos
OfV '6xv fxoL Ti^ovrov xsveai /SQsg, aXkd
Ms y 171716
jU7] "keye TiQog Xagircdv xovfxop opeiqov i/uoi.
Aber dass dieses Epigramm mit Zerwürfnissen
des Theokrit am Hofe Alexandriens um 270 2GC
zusammenhänge, ist eine sehr unsichere Ver-
mutung, gegen die sich mit Recht Vahlen,
Ind. lect. Berol. 1889 p. 30 erklärt hat.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 834.)
449
auf die Könige von Ägypten, wie Bücheier mit den meisten Auslegern ver-
mutet,^) hängt von der Abfassungszeit jenes Gedichtes und von dessen
Verhältnis zu dem folgenden Gedicht der Sammlung, dem Preislied auf
Ptolemaios Philadelphos (iyxoöiiiov slq ntoXsiiaiov) ab.^) In diesem Hymnus
preist nämlich unser Dichter in überschwenglichen Worten die Freigebig-
keit des ägyptischen Königs, offenbar in der Absicht, auch auf sich den
Goldregen des fürstlichen Gönners der Dichter zu lenken. 3) Auch hielt
sich Theokrit zweifellos eine Zeit lang an den Höfen beider Fürsten auf:
nach Syrakus weist die ganze Richtung seiner sikilischen Hirtenpoesie,
weist auch das Andenken, das er seinen Landsleuten auch auf fremdem
Boden in den Idyllen 14 und 15 wahrt; in Alexandria spielen die Adonia-
zusen (id. 15), in Ägypten ist auch das 14. Idyll geschrieben, in welchem
er Söldner für das Heer des Ptolemaios wirbt; zum Ruhme des ägyptischen
Herrscherhauses hatte er auch das nicht erhaltene, aber von Athen. 284 a
angeführte Lobgedicht auf Berenike, die Mutter des Philadelphos, gedichtet.
Es fragt sich also nur, ist zuerst Theokrit in Syrakus am Hofe des Hieron
gewesen und von da erst nach Ägypten gegangen, vielleicht um später
wieder nach Sikilien zurückzukehren, oder hat er sich zuerst nach Ale-
xandria gewendet und ist dann später erst, als sich sein Verhältnis zu
Ptolemaios zerschlug, nach Syrakus an den Hof des Hieron gewandert.
Das hängt davon ab, ob das 17. Idyll vor dem 16., oder umgekehrt das
16. vor dem 17. abgefasst ist. Sicher lässt sich das nun leider nicht ent-
scheiden. Das 17. Gedicht auf Ptolemaios kann allerdings nicht vor der
Geschwisterehe des Ptolemaios II. und der Arsinoe geschrieben sein, da
in demselben auf die Liebe des Königs zu seiner Schwestergattin angespielt
ist; aber das Datum jener Ehe ist nicht urkundlich bezeugt und kann nur
im allgemeinen zwischen 276 und 270 gesetzt werden.^) Das 16. Gedicht
an Hieron aber enthält zwar auch einen deutlichen Hinweis auf ein ge-
schichtliches Ereignis, die Besiegung der Karthager in Sikilien durch die
griechischen Bewohner der Insel und Hieron, den Schirmherrn der Syra-
kusaner;^) aber während die meisten Erklärer dabei an die dem Ausbruch
des 1. punischen Krieges unmittelbar vorausgehenden Händel der Mamer-
tiner (266) denken, erinnert eine beachtenswerte Stimme daran, ^) dass in
dem Gedichte Hieron al^ur/Tag, nicht ßaaiXsvg heisse (16, 103), und dass
derselbe schon in seinem Strategement im Jahre 274 glänzende Lorbeeren
im Krieg mit den Puniern errungen habe. Eine Entscheidung ist, wie
gesagt, sehr schwer; aber doch etwas einfacher, deucht mich, schliessen sich
^) Häberlin, Carm. fig. 34; Büchelee,
Rh. M. 30, 55 ff.
^) Die Ansicht eines gewissen Munatius,
dass das Lobgedicht dem Ptolemaios Philo-
])ator, nicht Philadelphos. gelte, ist schon in
der alten Hypothesis mit chronologischen
Gründen zurückgewiesen.
^) Schon zuvor hatte sich Theokrit 7, 93
mit feiner Schmeichelei dem Ptolemaios em-
pfohlen,
'*) So bestimmt die Zeit Gercke, Rh. M.
42, 270 ff. ; genauer mit neuem Material setzt
Haudbuch der klass. Altertumswissenschaft. YII. i
WiEDEMANN, Phil. N. F. I, 81 die Ehe vor 273.
^) Wie grosse Erwartungen man damals
von Hieron hegte, zeigen besonders die
Verse 85 f. :
i/r^Qoiig ix vtlaoio yaxic ne^ipsiey clvdyy.a
2^aQd6vt,ov xccrd xvjua (fiXiav ^Öqov tlyyiX-
Xovisg.
^) Vahlen, Über Theokrits Hieron, Mo-
natsber. d. Berl. Ak. 1884 S. 823 ff., dem
Häberlin, Carm. fig. 57 beistimmt; dagegen
Beloch, .Thrb. f. Phil. 131, 3()() f. u. Gekcke,
Rh. M. 42, 270 ff. u. 001 ff.
Aufl. 29
450
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
die Ereignisse zusammen, wenn wir annehmen, dass Theokrit um 273 von
Kos aus, wo wir ihn im Jahre 276 zurückliessen, nach Alexandria gegangen
und 266 über Orchomenos wieder nach seiner Heimatinsel Sikilien zurück-
gekehrt sei. Über die letzten Tage des Dichters oder nur bis wie lange
er gelebt hat, lässt sich nichts sagen. Die Worte Ovids, Ibis 547
ütque Syracosio praestricta fauce poetae,
sie animae laqueo sit via clausa tuae
hat man ehedem auf Theokrit gedeutet und den liebenswürdigen Dichter
von dem argwöhnischen Tyrannen Hieron erdrosselt werden lassen; die
Deutung ist möglich, aber durchaus unsicher.
335. Als Werke des Theokrit werden von Suidas aufgezählt: ßovxo-
hxdy JlgoiTidsg, ilTiideg^^) v^ivoi, rjQMirai, sTTtxrjSeia jii&'krj,^) iXsyeTai^ la^ßoi,
€TiiyQo:fif.iaTa. Von diesen ist das meiste verloren gegangen; auf uns ge-
kommen ist eine Blumenlese von 31 Gedichten,^) zu denen aus der Antho-
logie noch 25 Epigramme und die Fistula, ein Gedicht in der Gestalt einer
Hirtenpfeife {(TVQiy'^),^) kommen. Die eigentlichen Perlen der Sammlung
sind die bukolischen Gedichte,^) welche der Grammatiker Artemidor gegen
Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. mit den verwandten Gedichten des Bion
und Moschos zu einer Gesamtausgabe vereinigte, welcher der metrische
Titel vorgesetzt war:
BovxoXixal MoTaai ajiOQaSsq noxä, vvv J'a/ta Tcaaai
ivTi fiiäg fiidvSQag, svtI f^iiäg dyeXag.
Nach dem römischen Grammatiker Servius in der Einleitung zu den
Eklogen Vergils zählte man ehedem nur 10 Idyllen, also gerade so viele
als Vergil nach dem Beispiel Theokrits gedichtet hat.^) Mit diesen 10
bukolischen Gedichten berühren sich zumeist in der dialogischen Form und
dem dorischen Dialekt die (^aQfiaxsvTQtai (2.) und ^Adcovidl^ovacci (15.),^)
welche, wie die Scholien uns lehren, den Mimen des Sophron nachgebildet
sind. Auch den Fischern (22.) diente ein Stück des Sophron, 0vvvo&rjQag,
zum Vorbild. Unter den anderen Gedichten der Sammlung sind noch
mehrere, welche zu dem Landleben und zur bukolischen Poesie in Beziehung
^) Den gleichen Titel ^EXril^sg finden wir
bei Kallimachos wieder; vgl. Birt, Elpides,
Marb. 1881, wonach das 21. Idyll, die Fischer,
zu dem Buche ^E^nideg gehört haben soll.
'^) Unsicher ist, ob inixfj&eia fxs'kT] zu-
sammenzufassen oder in 2 Titel zu tren-
nen ist.
^) Die besten und ältesten Handschriften
enthalten nur eine kleinere Zahl von Ge-
dichten; die Gedichte Jiogxovqoi, 'HQaxXrjg
'tksovTO(p6pog, Msyc'cQCi, liovxoXiaxog, JXieig,
KrjQLoxXemrjg, ^Jduiyi&og ennäcpiog, elg v^xqov
' Adtoyidcc , 'EQaaiTjg, eni&aXd^iog 'J^iXXeiog
bilden eine eigene Sammlung (Sylloge 4>),
in der nur die JioaxovQoi, Bovxokiaxog und
"^AXiEig als theokritisch bezeugt sind; über-
dies weichen die verschiedenen Klassen von
Handschriften in der Ordnung der Gedichte
von einander ab; s. Ahrens, Über einige
alte Sammlungen der theokriteischen Ge-
dichte, in Phil. 33, 385 ff.; dazu Birt, Das
antike Buchwesen S. 389 — 401; Hiller, Bei-
träge zur Texteskritik der Bukoliker, 1888.
Inhaltsangaben gibt es bloss zu den 18 ersten
Gedichten.
•*) Über diese s. Häberlin, Carm. fig.
40 ff.
^) Das 7. Idyll ist, wie wir oben sahen,
bald nach 276 gedichtet; die übrigen bukoli-
schen Gedichte scheinen nach den oben er-
örterten Lebensverhältnissen der späteren
Lebenszeit des Dichters anzugehören.
^) Zu diesen 10 bukolischen Idyllen ge-
hörten nicht die Trankmischerinnen (2.),
weshalb dieselben in 2 Codices, Ambros. 222
u. Medic. 37, nicht unter den Idyllen an
2. Stelle, sondern nach den Idyllen an 13.
oder 14. Stelle stehen. — Über die Nach-
ahmung des Theokrit durch Vergil s. Rib-
beck, Gesch. d. röm. Dicht. II, 16 ff.
^) ^ A&wpiccCovaai war auch der Titel einer
Komödie des Philetairos,
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 335—336.) 451
stehen, wie die anmutige Erzählung von dem schönen Hylas, den die
Nymphen in den Quell hinabziehen (14.), das nette Ständchen, welches die
Mädchen den Neuvermählten Helena und Menelaos darbringen (18.), die
Gedichte vom abgewiesenen Freier (20.), vom Honigdieb (19.), vom Doppel-
tod des verschmähten Liebhabers und der hartherzigen Geliebten (23.), auf
den toten Adonis (30.), das Liebesgeplauder (27.). Aber unter diesen sind
die 4 letzten unecht^) und des liebenswürdigen Dichters unwürdig. Theo-
krit verschmäht es zwar nicht, auch die derbe Seite der Hirtennatur zu
zeichnen, aber nie steigt er zu jener nackten Gemeinheit herab, welche aus
dem 27. Gedichte spricht. Sehr gut steht noch unserem feinfühligen, sen-
timentalen Dichter der weiche Rhythmus und die zarte Sprache der 3 äoli-
schen Gedichte an, der Spindel {r^laxarrj) und der beiden Liebeslieder
{7Tai6ixd)j von denen das letzte erst in unseren Jahren aus einer Mailänder
Handschrift ans Licht gezogen wurde. Von weit geringerem Wert sind
die epischen Gedichte auf die Dioskuren, die bacchantischen Kadmostöchter,
den jungen Herakles, 2) den löwenwürgenden Herakles. Von diesen hat das
letztere nicht den Theokrit zum Verfasser; die anderen sind spielende Ver-
suche aus der Jugendzeit des Dichters, noch ehe er in dem Idyll diejenige
Gattung der Poesie fand, zu der ihn die Natur geschaffen hatte. Endlich
stehen noch in der Sammlung die Lobgedichte {iyxMHio) auf Ptolemaios (16.)
und Hieron (17.), welche Gelegenheitsgedichte waren und wegen ihrer Be-
deutung für das Leben des Dichters in einer Sammlung seiner Werke nicht
fehlen durften.
336. Kunstcharakter. Theokrit ist Naturdichter und Kunstdichter
zugleich ; diese beiden Seiten treten in allen seinen Gedichten hervor. Er lässt
seine Hirten die Sprache des Volkes, die mildere Doris der Syrakusaner,^) reden;
er ist damit der Natur treu geblieben und hat die Gespreiztheit des Vergil,
dessen Hirten die hochtönende Kunstsprache der Stadt reden, glücklich ver-
mieden. Aber daneben wendet er in anderen Gedichten den äolischen und epi-
schen Dialekt an, deren Kenntnis er nicht mit der Muttermilch eingesogen,
sondern künstlich aus Büchern gelernt hatte,*) so dass man die Vermutung
nicht abweisen kann, er habe auch sein Dorisch nicht ganz aus dem Munde
der Landleute Sikiliens, sondern zum Teil aus den Mimen des Sophron
und den Komödien des Epicharm gelernt. Ebenso hat in den Gedanken
und dem Gesprächston Theokrit vortrefflich die derbe Natürlichkeit des
Hirtenvolkes wiedergegeben; seine Hirten haben Fleisch und Blut, sind
keine verkleideten Städter wie die des Vergil und keine zahmen Moralisten
wie die Gessners; dabei hat er mit feinem Sinn in den Neckereien und
Wettgesängen der Hirten an volkstümliche Sitten und Gebräuche ange-
knüpft. Aber so ganz fehlt doch auch bei ihm nicht die Anspielung und
^) Der Kr]QioxXtnrr]g, 'EQaartjg, stg vsxqov
'Ji^oivida sind gar nicht als theokritisch be-
zeugt; vgl. S. 450 An. 3.
2) Der fragmentarische Charakter dieses
Gedichtes zeigt sich auch darin, dass es
eines rechten Anfangs und Schlusses entbehrt.
") Die Doris mitior des Theokrit bildet
bei den Grammatikern den Gegensatz zur
Doris sererior der Lakedämonier.
*) Bei solchen Nachbildungen blieben
auch nicht Missverständnisse aus, wie wenn
Theokrit 12, 28 oixsiovai nach der falschen
Analogie dos homerischen TeXeiovot bildet,
wiewohl diese Form sich bei Homer nur bei
den Denominativen der Neutra auf oq findet.
29^
452
Griechisclie Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Allegorie. Die Adoniazusen enthalten den ausgesuchtesten Lobpreis der
königlichen Veranstalter des Festes; in dem 14. Idyll versteckt sich unter
der Maske des Werbers für den Kriegsdienst des Ptolemaios die vom
Preise seines Gönners überfliessende Person des Dichters, i) Endlich auch
in der Vortragsweise ist den Idyllen eine gewisse Zwitternatur aufgeprägt:
sie waren zum Singen bestimmt, und dem hätte am besten die Strophen-
bildung der Lyriker entsprochen; Theokrit aber wählte die epische Form
des gleichen wiederkehrenden Verses und näherte sich nur dadurch den
Lyrikern, dass er in der Regel eine gleiche Anzahl von Hexametern zu je
einem Satze verband. 2) Damit erhielt er eine Art Strophe, aber für den
Gesang und die Wiederholung der gleichen Melodie war dieselbe doch wenig
geeignet, weil die Struktur oder die Ordnung der Längen und Kürzen nicht
die gleiche in den sich entsprechenden Versen war. Und wiewohl der
Dichter auf solche Weise im Versbau nicht an Gleichheit der Silbenzahl
gebunden war, floss ihm doch der Vers nicht leicht, und erlaubte er sich
oft dem Metrum zulieb von der natürlichen W^ortstellung in sinnstörender
Weise abzugehen.^) Aber zwei Eigenschaften sind es, die den Theokrit
trotz dieser Mängel zu einem der lieblichsten, anmutigsten Dichter machen,
die verständnisinnige, schwärmerische Hingabe an die Natur und das her-
vorragende Talent anschaulicher Schilderung. Die erstere Eigenschaft zeigt
er nicht bloss in den bukolischen Idyllen, auch im Enkomion auf Hieron
Hess er sich die Gelegenheit nicht entgehen, den Segen des Friedens durch
Hinweis auf die blühenden Saatfluren, die blökenden Schafherden und das
liebliche Summen der Zikaden (16, 90 — 96) zu preisen. Man wird nicht
fehl gehen, wenn man die innige Freundschaft des Dichters mit dem Arzte
Nikias auf ihre geistige Verwandtschaft und ihre gemeinsame Liebe zur
Natur zurückführt. Die Beschreibung spielt in den Gedichten des Theokrit
fast eine zu grosse Rolle, indem derselbe nicht mehr wie Homer mit ein
paar Strichen etwas schildert und die Beschaffenheit einer Sache aus ihrer
Wirkung erkennen lässt, sondern mit Vorliebe bei der Zeichnung des ein-
zelnen verweilt, wie des geschnitzten Bechers, den der Geisshirt dem Thyrsis
zum Preise aussetzt (1, 27 — 56), und des Faustkampfes zwischen dem Dios-
kuren Polydeukes und dem Unhold Amykos (22, 80—120). Dabei tritt
überall die Neigung für das Genremässige und Niedliche in der Natur wie
im Leben hervor, was an die gleiche Richtung in der Kunst des ale-
xandrinischen Zeitalters und die hübschen Terrakotten von Tanagra er-
innert.*) Ist in der Beschreibung von Scenen und Gegenständen ein Über-
^) Unter dem Geisshirt Tityros versteckt
sich nach einer Vermutung Meineke's Ale-
xandros Aitolos, dessen Vater Satyros hiess.
Ausserdem vermutet Häberlin hinter dem
schönen Jüngling Ageanax den Dichter Her-
mesianax und findet Gercke in seinen Ale-
xandrinischen Studien versteckte Ausfälle
gegen Dichterrivalen in Masse.
'^) Siehe oben § 329. Der Refrain (ver-
sus intercalaris) ist zu Hilfe genommen 1,
64 ff. und 2, 17 ff. Die Strophenbildung
durch den Sinn und den Personenwechsel
liegt offen zu Tag in dem Wettgesang des
Baitos und Milon im 10. und des Daphnis
und Menalkas im 8. Idyll. Die Strophen-
bildung ist überall angedeutet in der Aus-
gabe von Ahiens; vgl. Köchly, Carminum
Theocriti in strophas restitutorum specimen,
Turici 1858.
^) Die ärgste Wortverstellung findet sich
29, 3: xtjyoj fxev xd (pQsviov igeu) xeai^
iy |M»'/w und 29, 32: xai fxoi jioQaf^ei^co
avviQav ßcToAa»? oid^sv.
'') Brunn, Die griechischen Bukoliker,
u. die bildende Kunst, in Stzb. d. b. Ak. 1879,
1, 1-21.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 337.) 453
mass zu tadeln, so muss man hingegen ganz des Lobes voll sein in
Anerkennung der lebenswarmen Charakterzeichnungen, die dem Dichter
ebenso bei den Hirten und Bauern des Landes, wie bei den neugierigen
Festfeierinnen der Stadt gelang. Hier machte sich zumeist die Kunst des
Sikiliers in mimischer Nachahmung und der Einfluss des Mimendichters
Sophron geltend.
Scholien: Die Gedichte des Theokrit waren seit der Zeit des Cicero Gegenstand
eifrigen Studiums der Grammatiker, insbesondere des Artemidor, Theon, Amarantes, Ni-
kanor, Munatius und zuletzt des Eratosthenes aus der Zeit des Justinian. Aus dem späten
Mittelalter stammen die wertlosen Scholia recentiora des Moschopulos, Maximus Planudes
und Demetrios Triklinios. Über alle diese handelt Ahrens im 2. Bde. seiner Ausgabe.
Von den Handschriften ist keine älter als das 13. .Tahrh. Dieselben gehen auf ver-
schiedene Stämme zurück, ohne dass bis jetzt die Aufstellung eines Stammbaumes gelungen
wäre. Die besten sind: Ambros. 222 (k) s. XIII, Vatic. 915 (m) s. XIII, Vatic. 913 (h)
s. XIII, Medic. 37 (p) s. XIV, Ambros. 75 (c) s. XV; für Sylloge * (s. S. 450 An. 3) Vatic.
1824/25, Paris. 2832. Einen kritischen Apparat bieten die Ausgaben von Gaisford, Ahrens
und am besten Ziegler.
Ausgaben: von Dan. Heinsius 1603 mit eleganter Übersetzung in lat. Versen; cum
commentariis Valckenarii, Beunckii, Toupii, Berol. 1810, 2 vol. — Poetae gr, min. ed.
Gaisford, Oxonii 1821 vol. II und IV. — Bucolicorum graecorum reliquiae ed. Ahrens,
Lips. 1855, 2 tom. — Theocriti reliquiae cum animadv. ed. Kiessling, Lips. 1819. —
Theocriti carmina, tertium ed. Zieglek, Tubing. 1879. — Theoer. Bion et Moschus ex
recogn. Meinekii, ed. III. 1856, mit scharfsinniger Textesrekonstitution. — Theocriti idyllia
commentariis criticis atque exegeticis instr. Arm. Fritzsche, ed. alt. Lips. 1870; erklärende
Ausgabe von Fritzsche, 3. Aufl. 1881 besorgt von Hiller. — Hiller, Beiträge zur Textes-
kritik der Bukoliker, mit dem Texte der Sylloge *, Lips. 1888. — Lexicon Theocriteum
compos. Kumpel, Leipz. 1879. — Morsbach, Über den Dialekt Theokrits in Curtius Studien
X, 1 — 38. — Kunst, De Theoer. versu heroico, in Dissert. phil. Vindob. I, 1 — 124.
337. Bion aus Smyrna war Zeitgenosse und Nachahmer des Theokrit.
Über seine Lebensverhältnisse klärt uns zumeist sein Verehrer Moschos im
3. Idyll auf. Danach lebte auch er eine Zeitlang in Sikilien, starb aber
noch vor Theokrit an Gift, das ihm seine Feinde beigebracht hatten. Von
ihm sind uns erhalten ein von weichlicher Empfindung überströmender
'E7TiTd(fiog 'ASau'idog und 17 kleinere Gedichte. Der Epitaphios des Bion
steht mit den Adoniazusen des Theokrit in engem Zusammenhang, da sich
beide Gedichte auf das unter Ptolemaios Philadelphos mit besonderem Glänze
gefeierte Adonisfest beziehen. An dem 2. Tage des Festes nämlich ward
die Wiedervereinigung des Adonis mit Aphrodite gefeiert und auf diesen
Abschnitt des Festes beziehen sich die 'Adwvia^ovaai des Theokrit. Am
ersten Tage hingegen ward die Todesfeier des auf der Jagd von einem
Eber verwundeten Lieblings der Göttin begangen, und für diese war das
Gedicht des Bion bestimmt. Dieses wie die andern Gedichte des Bion sind
reich an sprachlichen Schönheiten und Tiefe der Empfindung, aber es mangelt
ihnen die Kraft und die Naturwahrheit der theokritischen Muse. Das Über-
mass von Sentimentalität und erschlaffender Weichheit zeigt sich auch in
dem Versbau, indem der Dichter mit Vorliebe Versausgänge auf 2 Spondeen,
V wie MQvovTai, SaxqvovTi, anwendet.
Moschos aus Syrakus wird von Suidas Bekannter des Aristarch (Aoi-
aiccQxov yvMQipog) genannt und muss demnach um 150 v. Chr. seine Blüte
gehabt haben. •) Erhalten haben sich von ihm ausser einigen Kleinigkeiten
^) Die Zeit des Moschos möglichst an \ Leiirer gewesen sei. Bücheler, Rh. M. 30,
die des Aristarch zu rücken, nötigt die eigene i 30 ff. setzt den Epitaphios unseres Moschos
Angabe des Dichters (3, 101), dass Bion sein j in die Zeit des Bundesgenossenkrieges.
454
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
2 längere Gedichte, der schon erwähnte, von Ahrens und andern für unecht
erklärte 'EittTacfiog Mocrxov, und die Evgamrj, an deren Inhalt und Darstel-
lung das 64. Gedicht des Catull von der Verlassung der Ariadne anklingt. ^)
Artig ist auch das Gedichtchen "EQcog dgarcsTi^g, ein poetischer Steckbrief
auf den entlaufenen Eros. 2)
c. Das Kunstepos und das Lehrgedicht.
338. Das Epos kam im alexandrinischen Zeitalter am schlechtesten
weg. Vom eigentlichen Epos, dem volksmässigen Heldengedicht, konnte
selbstverständlich in einer Zeit, wo es keine Volkshelden gab und die ton-
angebenden Gelehrten, losgelöst vom Volk, eine Gesellschaft für sich bil-
deten, keine Rede sein. Zwar zogen die Könige jener Zeit, wie später in
Rom die Kaiser, Dichter an ihren Hof, die ihre kriegerischen Thaten in
epischen Gedichten verherrlichen sollten; aber die Epen des Choirilos aus
lasos auf Alexander d. Gr.,^) des Simonides Magnes auf Antiochos d. Gr.,
des Leschides auf Eumenes, des Musaios Ephesios auf Eumenes und
Attalos drangen nicht in das Volk und sind spurlos zu grund gegangen.
Einen schwachen Ersatz bot das mit mehr Liebe und Erfolg gepflegte
Kunstepos; dasselbe knüpfte an die letzten Ausläufer des Epos der klassi-
schen Zeit an und besang von neuem die alten Sagen von den Argonauten,
den Sieben von Theben, von Perseus, Herakles,^) den Städtegründungen. •'^)
Doch wärmten die Dichter nicht einfach den alten Kohl auf, sondern zogen
auch neue Stoffe, wie Rhianos die Heldenthaten des Aristomenes, in den
Kreis der Poesie und flochten, dem Zuge der Zeit folgend, mit Vorliebe
erotische Liebesabenteuer in die alten Überlieferungen ein. Auch historische
Partien der Geschichte wurden poetisch verherrlicht, wie der leuktrische
Krieg der Thebaner und Lakedämonier durch Hegemon aus Alexandria
Troas, die sikilische Geschichte durch Polykritos, und gegen Ende unserer
Periode der mithridatische und kimbrische Krieg durch den aus Ciceros Reden
bekannter gewordenen Dichter Archias aus Antiochia. Am meisten Boden
gewann das Lehrgedicht auf den verschiedenen Gebieten der Astronomie,
Geographie, Mythologie, Jagd und Naturkunde. Anfangs hielt man für
dasselbe die alte, durch Hesiod typisch gewordene Form des daktylischen
Hexameters bei;^) seit Apollodor machte demselben der iambische Trimeter
den Rang streitig.
^) Benützt ist dasselbe auch von Horaz
Od. 3, 27, worüber Lessing, Vademecum
für Lange.
2) Bion und Moschos wurden von Arte-
midor mit Theokrit zu einer Sammlung ver-
bunden; daher auch ihre Überlieferung und
ihre Herausgabe Hand in Hand geht mit
der des Theokrit.
^) Über die einzelnen Dichter geben
Auskunft die Artikel des Suidas, ferner
DüNTZER, Die Fragmente der epischen Poesie
der Griechen, 2. Bd.
^) Antagoras schrieb eine Thebais,
Rhianos eine Herakleia, Theolykos Bax-
Xixd env], Musaios eine Perseis. Epylh'en
der Art sind uns mehrere in der Auswahl
theokritischer Gedichte erhalten. Die beste
Vorstellung gibt uns das Epyllion des Catull
(64) von der Hochzeit des Peleus und der
Thetis, dem wohl ein alexandrinisches Ori-
ginal zum Vorbild diente.
^) Verse aus einer anonymen Aeaßov
xTiaig citiert Parthenios Erot. 21. Apol-
lonios dichtete Kglasig 'Podov, Kavyov,
^JXs^av^QELag , Philon negl IsQoaoXvfiioy,
Theodotos nsgl 'lov&aiuyy, Rhianos -^/wt-
X«, 'HXtaxd, Osaaahxci, Meaarjviaxci, Nikan-
der ®r]ßmxd, Demosthenes Bi&vyiaxd,
Gt]ßa'LXC(, Phaistos Aaxs&ctifxovixcc, Maxs-
doyixd.
^) Auch dem Inhalt nach lehnte sich
an Hesiod Nikainetos in dem Frauen-
katalog an.
I
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§338—339.)
455
339. Aratos,^) der Hauptvertreter des alexandrinischen Lehrgedichtes,
entstammte einer vornehmen Familie des kilikischen Soloi.^) Seine höhere
Ausbildung erhielt er in Athen. Der Grammatiker Menekrates und die
Philosophen Timon und Menedemos werden seine Lehrer genannt, mit dem
Stoiker Zenon und dessen Schüler Persaios war er befreundet. Um 276
folgte er einer Einladung des Königs Antigenes Gonatas an den Hof von
Pella.3) Hochgeehrt von den Königen Antigenes und Antiochos L, stand
er zugleich mit den bedeutendsten Dichtern seiner Zeit, insbesondere mit
Theokrit, Kallimachos und Alexander Aetolus in freundschaftlichem Ver-
kehr.*) Seinen Ruhm bei der Nachwelt') verdankt er dem uns erhaltenen
astronomischen Lehrgedicht ^mvö^sva in 1154 Hexametern. Ausserdem
hatte man von ihm einen Hymnus auf Pan, mit dem er sich bei Antigenes
eingeführt hatte, ^) ein Lehrgedicht über giftige Pflanzen,'') eine Sammlung
kleinerer Gedichte (td xard Xsjttov),^) eine kritische Bearbeitung der Odyssee,
Briefe u. a.^) Die Briefe galten jedoch als unecht und als Machwerk eines
gewissen Sabirius Pollio.^^) Sein Hauptwerk, die Phainomena, verfasste er
im Auftrag seines Gönners, des Königs Antigenes. Dem Gedicht legte er
ein in Prosa geschriebenes Werk des Eudoxos zu grund,^^) um durch den
Reiz der metrischen Form der Lehre des berühmten Astronomen weitere
Verbreitung zu sichern. Das Hauptgedicht zählt die Himmelserscheinungen
oder die Bewegungen der Gestirne auf. Ein Anhang (933 — 1154) handelt
nach Theophrast von den Wetterzeichen {jiQoyvMasig Sid ariixsioov)] derselbe
^j Über Arat haben wir ausser einem
Artikel des Suidas 4 ausführliche griechische
und 1 lateinische Biographie, gedruckt in
Westekmakn's Biogr. graec. 52 tf. Arat war
etwas jünger als Kallimachos nach der Vita:
yrjqaiio ö'i tm KvQrjva'iM insßäXXero ' vgl.
RiTSCHL, Opusc. I, 72.
2) Dieselbe Stadt Soloi brachte um die-
selbe Zeit den Dichter Kastorion hervor,
von dem uns Athen, p. 455 ein sehr gekünsteltes
Gedicht auf Pan, und p. 542, wenn die Än-
derung des überlieferten Namens I'iQOiv rich-
tig ist, einen Dithyrambus auf Demetrius
Phalereus mitteilt.
^) Suidas gibt als hervorragende Epoche
seines Lebens Ol. 124 an, die Vitae I u. IV
Ol. 125; vgl. UsENER, Rh. M. 29, 42; Koepke,
De Ärati Solensis aetate, Guben 1867.
*) Das schmeichelhafte Epigramm des
Kallimachos, Anth. IX, 507, auf sein Lehr-
gedicht lautet:
Haiodov ToV (ieiofin xal 6 rgonog ' ov rou
ta^utov, fl'kV öxptio fit] ro /ush/QoTcaoy
XMv e7iiix)v 6 loksvg anefxuiazo ' ^ai()ers
Xsnrai
()r]Gieg, Jq rov avvTovog uyQvnvb],
Theokrit widmete ihm das 0. Idyll; des Ver-
kehrs mit Antagoras und Alexander Aetolus
gedenkt die Vita.
^) Kallimachos in dem erwähnten Epi-
gramm; rtolemaios Append. cpigr. 70:
JIüpB^' 'Hyjpiava^ rs xal "Egfimnog rd xccz^
reiQea xccl ttoXXoI ravta tu (pcavofXEva
ßiß'Aoig EyxaxEx^evio ' dnoöxonioi cf' dcpd-
fxaQXov,
dlXd roXETiToXoyov axrjmQOP jQctxogexsi.
Ovid Metam. I, 15. 16: cum sole et luna
semper Äratits erit. Maximus Tyrius or. 30
nennt ihn gar noirjxtji^ ovdey ddo^oxsQOP xov
'OfXTjQov. Vgl. Cic. de orat. I, 16. In Soli
wurde dem Dichter ein Denkmal gesetzt
(Mela I, 13); sein Bild setzten die Solenser
auf ihre Münzen.
^) Dem Pan glaubte nämlich Antigonos
seinen Sieg über die Gallier bei Lysimachia
zu verdanken (277). Aus gleichem Anlass
hatte auch Kastorion einen Hymnus auf Pan
gedichtet; s. Häbeelin, Carmina figur. gr. 56.
0 Vgl. Meineke, Anal. Alex. 384.
") AQCiXog iv xoTg x(cxic Xsiixöv bei Strabo
p. 486; aus Catalepta entstand durch Miss-
verstand Catalecta Vergili, wie Bergk, Rh.
M. 20, 291 nachwies.
•') Ein ausführliches, aber doch nicht
vollständiges Verzeichnis gibt Suidas; die
Vita II nennt 4 Hauptwerke: 'JcdQixal dvvü-
fxsig, Kavovog xccTccTOfXjj, 4>cnv6^evc( , tisqI
dy{(xo}.rjg. Das letzte legten andere dem
Ilegesianax bei; vgl. Buhle, De Arati So-
lensis scrijitis, in Ausg. II, 449 ff.
'») Vita I, 101; vergl. Bentley, p]pist.
Phaler. 71.
' ') CouAT, Jja poesie Alex. p. 483 f.
456
Griechische Literaturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur,
hat jetzt den Titel JioarjfisTai; i) Cicero, der das Werkchen ins Lateinische
übersetzte, gab ihm die Aufschrift Prognostica. Die Verse sind fliessend,
bewegen sich aber meist in homerischen Wendungen, nicht ohne einige
Sprach Verstösse, die den Nachahmer verraten. 2) Im Ton des Lehrgedichtes
war dem Arat Hesiod Vorbild; von ihm hat er auch die Einlage von Epi-
soden, wie die von dem goldenen Zeitalter unter dem Zepter der Dike
(96—136), genommen. Die Beliebtheit des metrischen Lehrgedichtes bei
den Alten und die Aufmerksamkeit, welche die Gebildeten im Altertum den
Naturerscheinungen und dem Sternenhimmel zuwandten, verschafften dem
Gedicht einen ausserordentlichen Erfolg. Zahlreiche Gelehrte, Mathematiker
wie Grammatiker,^) schrieben Kommentare zu demselben; von den Römern
haben Varro Atacinus, Cicero, Germanicus, Avien um die Wette Über-
setzungen desselben geliefert. Den Kopf des Dichters selbst setzten neben
dem seines Landsmannes Chrysippos die dankbaren Bürger von Soloi, dem
späteren Pompeiopolis, auf ihre Stadtmünzen.*)
Ausgabe mit den lateinischen Übersetzungen und den alten Scholien von Buhle,
Lips. 1793, 2 Bde.; von Halma Par. 1822; mit kritischem Apparat u. Scholien von Imm.
Bekker, Berol. 1828. Eine neue kritische Ausg. bereitet E. Maass vor, der im Herm. 19,
92 ff. von seinen Hilfsmitteln vorläufige Anzeige gegeben hat. Danach beruhen Text und
Scholien auf der Überlieferung des Cod. Marcianus 476, den der Diakon Niketas s. XI
geschrieben hat, und geht dieser selbst auf eine kommentierte und mit kritischen Zeichen
versehene Recensio des Mathematikers Theon zurück. — Die von Theon herrührenden
Scholien nehmen auf Plutarch und einen älteren Erklärer Sporos Bezug. Von einer Para-
phrase, die teils dem Empedokles, teils dem Theon zugeschrieben wird, gibt Notiz Maass,
Phil. Unt. VI, 140. Von selbständigen Kommentaren sind erhalten: Hipparchos Tw//
^jQchov xal Evdo^oi^ (patvofxsPMv 6^t]y7](T6ig 8 B. (gedruckt in Petavius Uranologium,
Paris 1630 p. 171 ff.), in denen der berühmte Mathematiker mit selbständigem Urteil die
Irrtümer seiner beiden Vorgänger, namentlich die des Arat, berichtigt gegenüber einem
rhodischen Grammatiker Attalos, der überall den Dichter in Schutz genommen hatte;
ferner Geminus (oder Poseidonios) EiactyMyr] elg rd cpaivofxeva; Achilles Tatios TIqo-
Xsyouevci elg rd ^jQdzov (paivo^sva; Leontios tteqI xaraaxsvijg ^ Agarslov a(palQag.
340. Apollonios^) (um 280— um 200), 6) Sohn des Silleus, gewöhnlich
der Rhodier von seinem späteren Aufenthalt auf der Insel Rhodos genannt,
ist der bedeutendste unter den alexandrinischen Epikern. Seine Vaterstadt
war nach den einen Alexandria, nach den andern Naukratis.') In seinen
Studien schloss er sich der Richtung des Kallimachos an, welche Poesie
mit Gelehrsamkeit vereinigte ; Suidas nennt ihn geradezu einen Schüler des
Kallimachos.^) Aber beide vertrugen sich aus Eifersucht schlecht, indem
') Grauebt, Rh. M. a. F. I, 336 ff. lehrt,
dass Jioaf]fA€iM nicht Jtoarjfj^sTa zu schreiben
ist. Derselbe meint, dass ehedem zwischen
den beiden Teilen noch ein Abschnitt nsgl
xcivovog gestanden habe; dagegen Böckh,
Ges. Schrift. IV, 301 ff.
^) So ist "icpi V. 588 als Dativ, Innöia
V. 664 als Genetiv gebraucht; s. Loebe, De
elocutione Arati, Hai. 1864.
^) Ein Verzeichnis rviiv risgl rov noirjrov
GvvTKS;afXBv(x)v stcht in Vat. 191 u. 381, wo-
rüber Maass, Herm. 16, 385 und Boehme,
Rh. M. 42, 307 ff.
•*) Visconti, Iconogr. gr. I p .93, III p. 395 ;
Bükchnee, Griech. Münzen mit Bildnissen
historischer Privatpersonen, Zeitschrift f. Nu-
mismatik IX, 118.
^) Aus dem Altertum ein Artikel des
Suidas und 2 dürftige Vitae; aus neuerer
Zeit Weichert, Über das Leben und das
Gedicht des Apollonius von Rhodus, Meissen
1821.
6) Gercke, Rh. M. 44, 252 setzt die
Geburt des Apollonios auf 296/2 hinauf.
^) ^ JXs^av^QBvg heisst er bei Suidas und
Strabon p. 655, NavxQazLTrjg bei Ath. p. 283 d
u. Aelian H. A. XV, 23, wahrscheinlich weil
er von den Bürgern der griechischen Ko-
lonie Naukratis, deren Gründung er besungen
hatte, mit dem Bürgerrecht beschenkt worden
war.
^) Dieses bestreitet Gercke, Rh. M. 44,
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2. Die Poesie. (§ 340—341.) 457
der ältere Kallimachos das dickleibige Epos des jüngeren Genossen ver-
spottete und Apollonios die Schuld des Zwistes dem Dichter der Aitia bei-
mass.i) Infolge der Zerwürfnisse verliess Apollonios Ägypten und wandte
sich nach Rhodos, wo er von den bildungliebenden Bürgern der blühenden
Insel mit offenen Armen aufgenommen wurde. Später aber kehrte er
wieder nach Alexandria zurück; das wird nach dem Tod des Kallimachos
unter Ptolemaios Euergetes (247 — 221) gewesen sein, unter dessen Regie-
rung Suidas unseren Apollonios gelebt haben lässt. Erst in höherem
Lebensalter ward er als Nachfolger des Eratosthenes zum Leiter der Bib-
liothek bestellt. 2)
Die gelehrte Thätigkeit unseres Apollonios war nicht bedeutend; auf
seine Schrift TiQog Zi]v6Sotov wird in den Homerscholien öfters Rücksicht
genommen;'^) sein Buch über Archilochos, das auch auf sachliche Erklä-
rungen einging, citiert Athenaios p. 451 d. Grösser war sein Ansehen als
Dichter, und zwar wandte er sich hier ganz der Gattung des gelehrten
Kunstepos zu. Von den epischen Gedichten auf die Gründung verschiedener
Städte seiner alten und neuen Heimat, wie Alexandreia, Naukratis, Kaunos,
Rhodos, Knidos, haben sich nur ein paar Hexameter erhalten. Auch das
Gedicht über Kanopos, das in Choliamben geschrieben war, ist bis auf
wenige durch Stephanos Byz. erhaltene Verse verloren gegangen. Aber
sein berühmtestes Werk, die 'ÄQyovavrixd in 4 B., ist vollständig mit alten
Schollen auf uns gekommen. Dasselbe hat Apollonios als junger Mann in
Alexandria zu dichten begonnen, dann aber, als er damit in den massgeben-
den Kreisen der Gelehrtenstadt keinen Anklang fand, in Rhodos umge-
arbeitet und in zweiter verbesserter Gestalt herausgegeben.^)
341. Der Inhalt der Argonautika ist in dem Titel ausgesprochen.
Der Stoff war gut gewählt, weil er noch nicht durch einen berühmten
Dichter bearbeitet war'') und dem Interesse der Zeit für wunderbare Dinge
und fabelhafte Ortlichkeiten entgegen kam. Erzählt ist er in 4 Büchern,
also in so vielen als dramatische Stücke von einem Tragiker an einem
Festspieltag aufgeführt wurden; darin wird man den Einfluss des Aristoteles
erkennen dürfen, der Poet. 24 für das Epos einen kleineren, der Zahl der
an einem Tag aufzuführenden Tragödien entsprechenden Umfang verlangte.
Die beiden ersten Bücher, welche den Anlass des Zuges, die Ausrüstung
240 fF., und lässt eine treffliche, nur zu sehr
ns Schwarze gemalte Charakteristik des
Apollonios im Gegensatz zu Theokrit und
Kallimachos folgen.
0 Anth. XI, 275; vergl. S. 437.
'-) Ol. 144/5 nach Ritschl, Opusc. I, 73;
das ist vielleicht zu spät angesetzt, aber
schwerlich wird Apollonios schon unter Ptole-
maios Euergetes Bibliothekar geworden sein.
Ein Ehrenbegräbnis erhielt Apollonios nach
der Vita neben Kallimachos, vermutlich ep
ßccaiXsinig, s. Merkel, Proleg. p. XIV.
^) Die Stellen zusammengestellt von
Merkel. Proleg. I, 4.
^) Lesarten der TiQoex&oatg sind in den
wähnt, wonach der Dichter in der 2. Be-
arbeitung teils anstössige Formen, wie ßsiofica
entfernt, teils magere Schilderungen durch
neue Verse erweitert hat. Die auf die Zeug-
nisse einer doppelten Ausgabe gebauten An-
nahmen Gerhard's, Lect. Apoll., wies in
engere Grenzen Merkel, Prol. p. XLVI sqq. ;
vgl. Linde, De diversis recensiowibus Äjwll.
Argon. Gott. Diss. 1885.
^) Aus älterer Zeit stammen die Argo-
nautika des Epimcnides, von denen Diog.
I, 10 als Inhalt angibt: '.-iQyoiig yavntjyUcr
T6 xccl läaovo^ sig KöX^ovc: (<7inn?.oiw. en)j
6500. Bei Homer Od. f^ 70 heisst bekannt-
lich die Argo \4QyM ndai ^fXovaa, aber von
Scheuen zu 1, 285. 515. 543. 725 etc. er- jenen alten Liedern hat sich nichts erhalten
458
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
des Schiffes und die Fährlichkeiten der Hinfahrt umfassen, hängen enger
zusammen und sind durch ein Proömium eingeleitet, welches sich nur auf
diese beiden ersten Bücher bezieht. Der Dichter erzählt in ihnen mit epi-
scher Breite die allbekannten, auch durch die Kunst verherrlichten Sagen
von der Landung auf der Insel Lemnos, dem Verschwinden des schönen,
von der Nymphe in den Quell hinabgezogenen Jünglings Hylas, den Ring-
kampf des Polydeukes mit dem Riesen Amykos, die Erlösung des blinden
Greises Phineus von der Plage der Harpyien, die Fahrt durch die zusammen-
schlagenden Felsen u. a. i) Im 3. Buch hebt der Dichter gewissermassen
von neuem an, indem er die Erato, die Muse des Tanzes und der Liebes-
poesie, anruft, um die Bezwingung der Königstochter Medea durch die
Pfeile des Eros und den dadurch ermöglichten Sieg des lasen in den ihm
von Actes auferlegten Kämpfen zu besingen. In diesem Teile seines Ge-
dichtes ist Apollonios entschieden am glücklichsten, indem er, nicht er-
drückt durch die Massenhaftigkeit des Stoffes, desto liebevoller auf die
Ausmalung des Widerstreites der die Seele der Medea erfüllenden Gefühle
eingeht. 2) Der vierte und längste Gesang schildert die phantastisch ausge-
schmückte und doch phantasielos erzählte Heimkehr der Helden durch das
schwarze Meer, die Flüsse Ister, Eridanos, Rhodanos, das sardische Meer,
die Syrten, endlich an Kreta vorbei in den pagaseischen Busen. 2) Hier
drängt allzusehr ein Ereignis das andere, und tritt in aufdringlicher Weise
das Bestreben des Gelehrten hervor, dunkle Sagen in sein Gedicht herein-
zuziehen und nach dem Muster der Aitia des Kallimachos den Grund der
damals noch bestehenden Gebräuche zu erklären.^)
Das Gedicht hat im Altertum trotz der Ungunst, der es anfangs bei
den Kallimacheern begegnete, viel Beifall und Bewunderung gefunden:
zwei lateinische Dichter, Varro Atacinus und Valerius Flaccus, ahmten das-
selbe in freier Übertragung nach; zahlreiche Grammatiker (Chares,^) Eire-
naios, Lukillos, Sophokles, Theon) schrieben gelehrte Kommentare dazu;
die Kyklographen oder Fabelsammler benutzten es als Hauptquelle für die
Mythen des Argonautenzugs; Künstler, wie der Verfertiger der Ficoroni-
schen Cista, entnahmen aus ihm Motive der Darstellung; noch im Anfang
des Mittelalters verfertigte der Versifikator Marianos von ihm eine Meta-
phrase in lamben. Das Ansehen war nicht ganz unverdient; Apollonios
hatte sich als gelehrter Dichter durch fleissiges Studium der alten Mythen
und Dichter für seine Aufgabe sorgfältig vorbereitet,^) er zeigt eine voll-
^) Scenen der Argonautika sind dar-
gestellt auf der ficoronischen Cista, der Talos-
vase, kampanischen Wandgemälden mit der
Hylasdarstellung, Sarkophagen mit den Käm-
pfen in Kolchis.
^) Manches daraus hat Ovid in seinen
Metamorphosen 7, 86 ff. glücklich nach-
geahmt.
^) Apollonios ist in dieser Partie teil-
weise dem Timaios (bei Diodor IV, 56) ge-
folgt, der nachdem die Früheren die Argo-
nauten um Libyen hatten irren lassen, die
Irrfahrten in den Westen und Norden Europas
verlegte. Auch sonst hat Apollonios vieles
geneuert, so, dass er die Argonauten auf der
Hinfahrt nach Lemnos gelangen liess, wäh-
rend Pindar P. IV, 251 dieses Abenteuer
auf der Rückfahrt hatte geschehen lassen;
näheres über diese Punkte Max Gkoegek,
De Argonauticarum fahularum historia,
Vratisl. Diss. 1889.
^) Kallimachos hatte selbst im 2. Buch
seiner Aitia einen Abschnitt 'Jgyovg oixtafioi.
°) Chares, der über die Geschichten der
Argonautika schrieb, war nach Schol. zu II,
1052 ein Schüler des Apollonios.
6) Über die Nachahmung älterer Dichter,
wie z. B. des Kleon (I, 623), Promathidas
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2, Die Poesie. (§ 342.)
459
ständige Herrschaft über die epische Sprache Homers und bietet doch viele
neue Wendungen, Bilder und Gleichnisse;^) er versteht sich meisterlich auf
Schilderung von Ortlichkeiten und Ausmalung von Seelenzuständen. Aber
den Lichtseiten stehen grössere Schattenseiten gegenüber: sein Gedicht
ermangelt vor allem des einheitlichen Mittelpunktes, so dass es sich in
eine Menge mehr äusserlich zusammengereihter als innerlich zusammen-
hängender Scenen auflöst. Wie wir im Anfang über die Person des Pelias
schlecht aufgeklärt werden, so verläuft am Schluss die Handlung vollständig
im Sand, indem sogar die Hochzeit des lason und der Medea, welche das
Ganze einigermassen hätte abrunden können, mitten in das 4. Buch hinein-
verlegt wird. Von den Helden bekommen wir kein leibhaftiges, greifbares
Bild, sondern nur mythologische Notizen, welche mehr dem Grammatiker
als dem Dichter Ehre machen. Lediglich grammatische Exkurse sind der
Katalog der Teilnehmer an der Fahrt (I, 21 — 227) und die Beschreibung
der Stickereien des Mantels des Jason (I, 730 — 767); die plastische Natur-
wahrheit Homers verkehrt sich in traumhafte Romantik und lyrische Sen-
timentalität.
Die Codd. bilden 2 Familien : die eine repräsentiert durch den berühmten Laurent. XXXIT,
9 s. X, der auch den Aischylos und Sophokles enthält, die andere durch Guelferbytanus
s. XIII. Ein auserlesener kritischer Apparat mit testimonia grammaticorum in Ausg. von
Merkel, Lips. 1854. — Scholien beigeschrieben im cod. Laur. mit der Unterschrift
nccQKXsLtaL rd a^ölia ix tmp AovxlXXov TaQQctlov xal I^ocpoxXfovg xal Gicovog sind nach
neuer Kollation von Keil im 2. Bde. der Merkel 'sehen Ausg. herausgegeben. Vollständiger
lag der Auszug den Urhebern des Et. M. vor, worüber Merkel Prol. p. LXVII. — Aus-
gaben: rec. annot. schol. add. Wellauer, Lips. 1828, 2Bde. ; emend. appar. crit. et proleg.
adiec. R. Merkel, Lips. 1854. — Michaelis, De Apollonii Rhodii fragmentis, Halle 1875.
34-2. Rhianos^) aus Kreta, der aus einem Turnplatzwächter und
Sklaven ein Grammatiker und Dichter w^urde, blühte in der 2. Hälfte des
3. Jahrhunderts. Wenn er bei Suidas ein Zeitgenosse des Eratosthenes
heisst, so scheint das darauf hinzuweisen, dass er eine Zeitlang in Ale-
xandria lebte und mit Eratosthenes in Verbindung stund. Aus seinen gram-
matischen Studien ist die Diorthose der Ilias und Odyssee hervorgegangen,
über die uns noch ziemlich zahlreiche Zeugnisse in den Homerscholien vor-
liegen. Seine Gedichte gehörten, von den Epigrammen abgesehen, dem
gelehrten Kunstepos an. Ausser einer Herakleia, in der die Geschicke des
Halbgottes von seiner Geburt bis zu seiner Aufnahme in den Olymp er-
zählt waren, dichtete er OsacfccXixd, 'Axaixcc, 'Hhaxd, Msaarjviaxd. Am be-
rühmtesten war das letzte Gedicht, in welchem er den 2. raessenischen
Krieg erzählte; glücklich ahmte er in demselben den Homer nicht bloss in
der Diktion, sondern auch in einzelnen Scenen und in der Komposition des
Ganzen nach. Pausanias, der in der Beschreibung Messeniens wesentlich
dem Rhianos folgt, sagt IV, 16. 3 von dem Haupthelden jenes Krieges,
Aristomenes, dass derselbe bei Rhianos keine geringere Rolle als Achill
in der Ilias des Homer gespielt habe. 3) Erhalten ist uns durch Stobäus
(II, 911), Antiraachos (IV, 156) geben die
Scholien manche belehrende Winke; vergl.
Stender, De Argonautarum exx>editione,
Kiel 1874.
') Wie wenn er IV, 903 ff. die Lockungen
der Sirenen durch das Saitenspiel des Orpheus
vereitelt werden lässt, oder im Sprachschatz
aus Hipponax (II, 127) und den Lokaldia-
lekten (II, 1172) neue Worte heranzieht.
'^) Dürftiger Artikel des Suidas; Meineke,
Rhianus Cretensis, in An. AI. 171 ff,; May-
HOFF, De lihiani Cretensis studns Homericis,
Progr. Dresden 1870.
^) Von Athen, 599^ wird noch ein zweiter
460
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Flor. IV, 34 ein grösseres Fragment, man weiss nicht aus welchem Ge-
dicht, das in einfacher Diktion und in untadeligen Versen die Verkehrt-
heiten der Menschen beklagt. Die Epigramme bewegen sich in gewöhn-
lichen Geleisen und sind meistens erotischer Natur.
313. Euphorion aus Chalkis,^) der ebenso gut zu den Elegikern
wie zu den Epikern gestellt werden kann, gehört derselben Zeit an, aber
die Orte seiner Thätigkeit waren verschieden. Athen galt ihm als zweite
Heimat; nach Syrien wurde er im späteren Lebensalter von Antiochos d. Gr.
berufen und zum Vorstand der dortigen Bibliothek gemacht. Von Natur
war er hässlich, von gelber Farbe, dünnen Beinen, dickem Leib, in der
Liebe unmässig und cynisch; sein grosses Vermögen erwarb er sich durch
die einer reichen Frau erwiesene Gunst. 2) Seine epischen Gedichte waren
^HaioSog, Moifioma, Xiliädsg in 5 B. Von dem ersten ist uns nichts näheres
überliefert, die beiden andern waren von sehr mannigfachem Inhalt, so dass
die einzelnen Abschnitte besondere Titel hatten. Die Moiponia enthielt
in loser Form bunte Mythen aus der Geschichte Attikas und war von dem
alten Namen der Landschaft Moiliorria benannt. Die Chiliades weisen
schon im Titel, den im Mittelalter wieder Tzetzes für seine bunte Mythen-
sammlung wählte, auf die Mannigfaltigkeit des Inhalts hin; das 5. Buch
handelte speziell von den tausendjährigen Orakelsprüchen. 3) In den Elegien
fand Euphorion einen Verehrer und Nachahmer an dem römischen Elegiker
Cornelius Gallus, der dieselben auch ins Lateinische übersetzte. 4) Eine
Satire nach Art der Ibis des Kallimachos scheinen die 'A^al rj noxrjQioxXsTTTrig
gewesen zu sein.^) Ob er auch in Prosa ein antiquarisches Werk ^Yno-
fxvtiaaTa laTOQixd geschrieben habe, oder ob dasselbe ein Auszug aus seinen
epischen Gedichten gewesen sei, ist strittig. Wie Kallimachos und Lyko-
phron, so gehörte auch Euphorion zu den dunklen Autoren, welche die
Erklärungskunst der Grammatiker herausforderten ; ^) an Lykophron hat er
sich insbesondere in der Mythenbehandlung und noch mehr in der glossen-
reichen Art der Sprache angelehnt.'^)
344. Nikandros aus Kolophon,^) neben Arat als der bedeutendste Lehr-
dichter unsrer Periode von Cicero de or. 1, 16 gepriesen, blühte im 2. Jahrhundert
unter Attalos III., ^) den er im Proömium eines Gedichtes nach der genealogischen
Verfasser von fVr?; Meaarjviavf'c erwähnt, dei'
Alexandriner Aischylos, der auch eine Tra-
gödie 'Jfx(pttQvioy gedichtet hatte; vgl. Kohl-
mann, Qunestiones Messeniacae, Bonn 1866.
') Artikel des Suidas; Meineke, De
Euphorionis Chaicidensis vita et scriptis,
in Anal. Alex. 3 ff., wo auch die Fragmente
gesammelt sind ; die prosaischen Fragmente
bei Müller, FHG. III, 71—73. Durch den
Beinamen 6 XaXxidevg wurde er unterschie-
den von dem Euphorion aus Chersonesos (dem
ägyptischen), einem Dichter von Priapeia^
worüber Meineke, An. AI. 341 ff.
'^) Ausser Suidas hierüber Plutarch, De
tranq. anim. p. 472 d.
■') Vgl. Ed. Thrämer, Herrn. 25 (1890)
55 ff.
^) Über die Benützung durch Ovid s.
Rohde, Griech. Roman 128.
^) G. ScHULTZE, Euphorionea, Strassb.
Diss. 1888, lässt die ^Aqcü einen Teil der Chi-
liades bilden.
^) Darüber Clemens Alex. Strom. V, 676.
^) Vgl. Knaack, Euphorionea, Jhrb. f.
Phil. 137 (1888) 145 ff.
^) Ein Artikel des Suidas; ein Abriss
ttsqI yivovg ISixäv^QOv vor den Scholien. —
Volkmann, De Nicandri Colophonii vita ei
scriptis, Halis 1852, und Phil. XV (1860j
304 ff. ; 0. Schneider in Proleg. der Ausg. —
Plaehn, De Nicandro aUisque poetis graecis
ab Ovidio in Metatnorphosibiis conscrihendi^
adhihitis, Halle 1882.
•') Attalos III. nennt ausdrücklich die
Vita, wonach 0. Schneider bei Suidas schreibt:
aaxd xoy veou^' AxraXov rjyovv rov TeXevrcdov
A. Alexaudrinisclies Zeitalter. 2. Die Poesie. (§843—344.)
461
Manierseiner Zeit als Teuthraniden und Sprossen des Herakles anredete. Wegen
seines längeren Aufenthaltes in Ätolien und seines lehrreichen Spezialwerkes
über Atollen ward er von einigen geradezu für einen Atelier ausgegeben.
Aber er bezeichnet sich selbst (Ther. 958) als Kolophonier und bekleidete
ein in seiner Familie erbliches Priesteramt des Apoll im benachbarten
Klares.^) Er heisst bei Suidas Grammatiker, Dichter und Arzt; auch die Art
seiner litterarischen Thätigkeit war ausserordentlich mannigfaltig. In Prosa
war die Sammlung von Glossen geschrieben, ebenso die 'läcrscov avvayioyrj^
vielleicht auch die Aho)hxd,^) Srjßaixä, KaXocpcoviaxä und das Buch rcfgl
XQTjiyTrjQian' navToiMv. Aber sein Hauptansehen verdankte er seinen mytho-
logischen und didaktischen Epen. Sein bedeutendstes Werk waren die
^Etsqoiov^svu in 5 B., die verwandter Natur mit den KaTaarsgiai^ioi des
Eratosthenes waren und von Verwandlungen in Tiere und Pflanzen erzähl-
ten. Es waren aber diese Verwandlungsmythen hervorgegangen aus dem
poetischen Natursinn der Griechen, denen, wie Schiller in den Göttern
Griechenlands so einzig schön ausgeführt hat, alles in der Natur eines
Gottes Spur zu tragen schien. Viele jener Vorstellungen hatten seit Hesiod
durch Epiker und Dramatiker poetische Gestaltung erhalten, Nikander band
sie in der alexandrinischen Zeit zu duftigen Sträussen in 5 Bücher zu-
sammen. Ovid benützte dieselben mit genialer Kunst in seinen Metamor-
phosen; in einen prosaischen Auszug sind sie von Antonius Liberalis ge-
bracht. Von den eigentlichen Lehrgedichten sind uns ganz verloren ge-
gangen die FsMQyixd mit den dazu gehörigen MshaaovQyixcc, auf die Cicero
de erat. I, 16 anspielt, und die Vergil nach Quintilian X, L 56 nachgeahmt
hat.^) Erhalten sind uns ausser einigen Epigrammen die OrjQiaxd in 958
Hexametern, worin Mittel gegen den Biss giftiger Tiere, und die 'AXe'^i-
(fccQ^axa in 630 Versen, worin solche gegen Vergiftung durch Speisen auf-
geführt sind. In der Sache folgte unser Dichter dem Arzte Apollodor,
einem Schüler Demokrits, in der Form verstand er es nicht den trocknen
Stoff durch poetische Digressionen und ansprechende Bilder zu beleben. Es
gehörte die ganze Vorliebe der Alten für das Lehrgedicht dazu, um einem
so prosaischen Stoff Versifikatoren und deren Versen Leser zuzuführen.
Gleichwohl stund Nikander hoch in Ehren und übte auf die lateinischen
Dichter, wie Macer, Vergil, Ovid, grossen Einfluss; aber dieselben waren
nicht blosse Übersetzer, sie haben vielmehr an Anmut und Gefälligkeit der
Darstellung ihr griechisches Vorbild weit übertroffen.
Hauptausg. mit kritischem Apparat, Scholien und erschöpfenden Proleg. von 0.
Schneider, Nicandrea, Lips. 1856 (die Scholien bearbeitet von H. Keil); massgebend, aber
lückenhaft ist der cod. Paris. 1849 s. X. Ältere wertvolle Ausg. von J. G. Schneider,
Hai. 1792, Lips. 1816. ~ Die Scholien sind aus den älteren Kommentaren des Diphilos,
Pamphilos, Theon und Plutarch geflossen. Aus unbestimmter Zeit stammt die Meta-
phrase eines gewissen Euteknios.
!j<ot'> Tov TKXarovlxrjv. Die Synchronisten
(setzten ihn ungenau gleichzeitig mit Arat
lund Theokrit, oder unter Ptolemaeus V.,
iweshalb Volkmann für Attalos I. eintritt.
') Vgl. BuRESCH, Klares 34 if.
2) In Prosa lässt 0. Schneider die Ae-
tolika geschrieben sein ; Bedenken dagegen
erregt die durchsichtige hexametrische Form
von Fragm. 5.
^) Die grossen durch Athenaios erhal-
tenen Fragmente bewegen sich so in bota-
nischer Gelehrsamkeit, dass sie zum ein-
schmeichelnden Ton der Georgika Vergils
wenig stimmen. Erwähnt werden ausserdem
von unserem Autor '0(jc/«xtf, Oiruixii, (^)ijiicc'iy.<(,
462
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litter atui^.
345. Neoptolemos aus Parion in Bithynien ist den Freunden des Horaz
bekannt durch die Bemerkung des Scholiasten Porphyrie zur Ars poetica:
congessif sc. Iloratius praecepta Neoptolemi tov IlaQiavov de arte poetica.
Meineke, de Neoptolemo Pariano, in Anal. Alex. p. 360 hat die Vermutung
aufgestellt, dass damit das in Hexametern geschriebene Buch jieqI aaTslai^mv
gemeint sei. Ausserdem werden von demselben die Epen Jiovvaiäg und
^EQix^oviäg angeführt. Mehr bekannt war der versifizierende Grammatiker
durch ein glossematisches Werk in Prosa, nach dem er bei Strabon p. 589
den Beinamen yX(ßaöoyQ(x(fog, hat. Seiner Richtung nach gehörte derselbe
der pergamenischen Schule an, wie denn auch seine Vaterstadt gute Be-
ziehungen mit den Attaliden unterhielt.
Andere Verfasser didaktischer Gedichte waren Eratosthenes und
Apollo dor OS, über deren poetische Werke unten im Zusammenhang mit
ihrer gelehrten Thätigkeit gehandelt werden soll; ferner Menekrates,
dessen Gedicht vom Landbau Varro, de re rust. I, 1 unter seinen Quellen
aufführt; Numenios und Pankrates, deren ^AhsvTixd öfters Athenaios
citiert; Boios, dessen 'Ogvi^oyoria dem römischen Dichter Aemilius Macer
zur Vorlage diente, Alexander aus Ephesos mit dem Beinamen Lychnos
aus der Zeit Ciceros, der Phainomena und ein geographisches Lehrgedicht
schrieb. ^)
d. Dramatische und parodische Poesie.
346. In der dramatischen Poesie ist, von der neuen attischen Komödie
abgesehen, in unserer Periode wenig und nichts dauerndes geleistet worden.
Was zunächst die Tragödie anbelangt,^) so richtete Ptolemaios Philadelphos
nach Alexanders Beispiel mit fürstlicher Pracht dramatische Wettkämpfe
in Alexandria ein, und sprachen die Hoflitteraten mit Bezug auf einen
Ol. 124 = 284/1 V. Chr. veranstalteten Agon dramatischer Spiele, von
einer zweiten Blüte und einem neuen Siebengestirn tragischer Dichter.-^)
Die Sterne dieser Pleias waren: Lykophron aus Chalkis, *) Alexander
aus Atollen, 5) Dionysiades aus Tarsos,^) Homeros aus Byzanz,^) Sosi-
phanes aus Syrakus, Sositheos aus Alexandria Troas,^) Philiskos aus
Kerkyra.^) Ihr Glanz ist mit ihrem Tode erblichen; ihre Tragödien sind
^) Strab. p. 642: 'A'ki^av&Qog ^tjtmq 6
Av/i^og TiQoaayoQevx^eig . . . awey^axpeu laro-
QLav xcd €717] yMiehnsy, ep oig za re ovqcIvlu
^laxL&BTca y.cd rag tjneiQovg yEdiyQacpel x«^'
EyMaxt]v exöovg 7ioi7]/ua ' vgl. Meineke, Anal.
Alex. p. 371 ff.
-') Welckek, Griech.Trag.S. 1238-1331.
^) Theokrit. 17, 112: oi'de Jlmvvoov rig
fivrJQ IsQovg xar dyiovag | Xxsr iniarcifxspog
TiiyvQay dvccfxiXxpai ccoiddu I w ov ^iorivav
icvrd'^LOp (onaae ra/yag. Suidas setzt, wahr-
scheinlich nach dem Chronographen Apollo-
dor, und dieser nach der gelegentlichen
Notiz irgend eines Historikers die Blüte aller
Dichter der Pleias auf Ol. 124.
"*) Suidas zählt von Lykophron 20 Tra-
güdientitel auf, nach Tzetzes zu Lykophron
schrieb er 40 oder 56 Stücke. Fragmente
bei Nauck TGF.^ p. 817f.
^) Von Alexander Aetolus wird in den
Scholien zu 11. ^" 86 ein Drama, vermutlich
ein Satyrspiel, ^AGtQayaXiaxcd erwähnt.
^) Tarsos ist als Heimat angegeben von
Strabo p. 675, das kilikische Mallos von Suidas.
^) Seine Mutter war die Dichterin Myro;
von einer ihm errichteten Statue handelt
Anth. II, 407; über ein Epos EvQvnvXaia
Welcker, Gr. Trag. 1252.
^) Suidas : Zwair^eog I^vQccxovaiog ij ^A&rj-
vccTog, f^aXXou de ^AXe^ai^dgeiig rrjg TQmxrjg
AXe'^avdQeiag. Er wird als Erneuerer des
Satyrspiels von Dioskorides Anth. VII, 707
gepriesen; von seinem Satyrdrama Jcicpvig
ist uns ein längeres Bruchstück erhalten.
^) Nach ihm benannt ist das 4>di(Txeioi/
fzerQoy, ein choriambischer Hexameter. Als
A. Alexandrinisches Zeitalter. Ö. Die Poesie. (§ 345 —347.)
463
bis auf wenige Titel und spärliche Fragmente verschollen. Auch aus Ol. 145
oder 200 v. Chr. erfahren wir durch eine orchomenische Festinschrift CIG.
1584 von den Tragödiendichtern Sophokles aus Athen ^ und Dorotheos
aus Tarent, sowie einem Dichter von Satyrdramen Aminias;^) aber ihre
Werke teilten das gleiche Los, rasch vergessen und in den Wind zerstoben
zu werden. Daneben brachte man die erprobten Stücke der alten Meister
wieder und wieder auf die Bühne. In den Scholien des Euripides ist uns
darüber manche Andeutung erhalten. So lesen wir zu Eur. Or. 58, dass,
während bei Euripides einfach im Prolog der Eintritt der rückkehrenden
Helena erzählt wird, in Alexandria die Heimkehr mit grossem Pomp unter
Vorführung der Beute als stumme Scene dargestellt wurde. Auch kam
bereits in unserer Periode die Unsitte auf, nicht mehr ganze Tragödien,
sondern nur einzelne Kraftstellen auf die Bühne zu bringen.^)
347. Von Lykophron hat sich ein Gedicht Kassandra oder Alexandra
in 1474 iambischen Trimetern erhalten. Ihr Verfasser zählte, wie wir
eben sahen, zur alexandrinischen Pleias und war zugleich von Ptolemaios
Philadelphos mit der Ordnung der die Komödien umfassenden Abteilung
der Bibliothek betraut worden.^) Die Alexandra, welche der Dichter noch
während seines Aufenthaltes in Chalkis abfasste, ^) enthält in dunklen
Versen die Weissagung der troianischen Königstochter Kassandra von dem
Untergang der Stadt und den späteren Schicksalen der troianischen und
achivischen Helden in Verbindung mit der Gründung von Städten am
Mittelmeer. Eingeflochten sind auch Verse (1226 — 80 und 1446—51),
welche sich auf die Niederlassung des Aeneas in Latium und die Welt-
stellung des römischen Reiches beziehen, Dinge, welche kaum damals in
Griechenland bekannt sein konnten. <5) Niebuhr, Kl. Schrift. I, 438 flf., ver-
mutete daher, dass das Gedicht dem Lykophron untergeschoben sei und
thatsächlich erst aus der Zeit des Flaminius, auf dessen beutereichen Feld-
zug der Vers 1450 anspielt,') stamme. Einfacher ist die schon in den
Scholien zu V. 1226 aufgestellte Lösung, wonach bloss die beanstandeten
Verse von einem jüngeren Interpolator herstammen. Das abstruse Ge-
dicht mit seiner barocken Sprache und seinen versteckten Anspielungen
ist nicht, wie es verdiente, unbeachtet geblieben, sondern hat schon im
Altertum viele und ausführliche Erläuterungen gefanden. In neuerer Zeit
Dionysospriester fungierte er bei dem grossen
Aufzug {no^nri) unter Ptolemaios Philadel-
phos, nach Ath. 198 c.
^) Suidas: locpoxX'i^g 'Axhrjpalog rgayixog
xat XvQixog, cinoyovog xov naXaiov ' yayope
tTf x«r« Tiqv Tlkeicfifa.
^) Ausserdem dichteten noch Tragödien
Aiantides und Euphronios, die von
andern nach Schol. Heph. c. 9 statt Diony-
siades und Sosiphanes zur Pleias gerechnet
wurden, ferner Kleainetos, Zeitgenosse des
Alexis, xAischylos aus Alexandria, Klei-
sthenes, erwähnt in einer teischen Inschrift
CIG. 3105, Euphantos aus Olynth (Diog.
II, 110). Ptolemaios Philopator, der
einen Adonis dichtete.
^) Die Fortdauer dramatischer Spiele
bezeugen die neuaufgefundenen delphischen
Inschriften über die Agone an denSoterien;
s. Wescher u. Foucart, Inscriptions de Del-
phes N. 5 u. 6.
*) Strecker, De Lycophrone, Euphronio,
Eratosthene coviicorum interpretihus, Greifs-
walde Diss. 1884.
^) WiLAMOWiTZ, De Lycophronis Ale-
xandra, Ind. lect. Gryph. 1884.
ß) Irmisch, Leipz. Stud. VIII, 281 will
dieses glaublich machen, indem er sich auf
die Gesandtschaft bezieht, mit der Ptole-
maios den Römern zum Sieg bei Benevent
gratulierte.
^) Abenteuerlich ist die Deutung von
Wilamowitz auf den Perser Artabazus.
464 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
noch hat ihm Jos. Scaliger die Ehre einer Übersetzung erwiesen (1584) und
hat es Reinhard in der Prophezeiung vom Untergang Magdeburgs nachgeahmt.
Scholien des Theon (unter Tiberius) werden öfters von Stephanos Byz. angeführt.
Erhalten haben sich ältere Scholien im cod. Marc. 476 s. XI; byzantinische Paraphrasen
teilt ScHEEK in der Ausg. mit. Aus dem Mittelalter stammt der weitschichtige, die älteren
Scholien verwässernde Kommentar von Is. Tzetzes. — Ausgaben: rec. Bachmann, Lips.
1830; rec. Scheer, Berol. 1881 mit auserlesenem kritischen Apparat; ed. Kinkel in Bibl.
Teubn. 1880.
Ein ähnliches Kuriosum ist die 'E^ccyioyij oder der Auszug der Juden in 269 iam-
bischen Trimetern, verfasst von dem Juden Ezechiel. Erhalten ist uns der trockene Dia-
log, der sich Tragödie nennt, durch die Kirchenväter Clemens Alex, ström. I, 149 und
Eusebius, praep. ev. IX, 28. Neuestens abgedruckt ist derselbe mit dem Kgiardg nda/ojy
von DüBNEE, Paris 1847.
348. Im Lustspiel leistete unsere Periode das Meiste und Beste, da
ihr wesentlich die Blüte der neuen attischen Komödie angehört. Über
diese haben wir bereits oben im Zusammenhang mit der klassischen Poesie
Athens behandelt; dort erwähnten wir auch bereits, dass Menander und
Philemon Einladungen von den fürstlichen Höfen Kyrenes und Alexandrias
erhielten. Geradezu Alexandria gehörte an Machon aus Sikyon, der in
der ägyptischen Hauptstadt lebte und Lehrer des Grammatikers Aristo-
phanes Byz. wurde. ^ Von den Komödien, die er dort aufführen Hess,
kennen wir zwei Titel, Ayvoia und 'EttkttoXij. Ausserdem schrieb er in
iambischen Trimetern XgeTai^ d. i. Brauchbare Dinge, in denen Anekdoten
aus der histoire scandaleuse der Diadochenhöfe in gewandter Sprache zum
besten gegeben waren.-) Auch manche der oben genannten Tragiker mögen
zugleich Komödien für Alexandria geschrieben haben; Kallimachos und
Timon werden ausdrücklich als Verfasser von Tragödien, Komödien und
Satyrdramen aufgeführt.
Eine Besonderheit Alexandriens war das Automatentheater, das die
berühmtesten Mechaniker Ägyptens einrichteten. Von Heron aus Alexandria
ist uns die Beschreibung eines solchen Dramas, die von Lykophron be-
handelte Fabel des Nauplios darstellend, erhalten.^)
349. In ünteritalien kam in unserer Periode die aus dem Mimus
hervorgegangene Poesie der Phlyaken oder Spassmacher zur besonderen
Blüte.'*) Namentlich war es das üppige Tarent,^) wo man sich im Theater
an derartigen Spielen teils ernsteren, teils ausgelassenen Inhaltes erfreute.
Über die reine Posse der Spassmacher {yslanonoioi und O^avpLaronoioi)
erhoben sich die llaQOTQaycoöia und {.layo^Sia, von denen die erstere dem
Charakter der Tragödie, die zweite dem der Komödie sich näherte.^) In
die Litteratur eingetreten ist diese Gattung des volkstümlichen Spieles
durch Rhinthon aus Tarent,'^) den Begründer der Hilarotragodia.^) Er
0 Ath. 241 f u. 664a.
2) Ath. 577 hat uns solche Erzählungen
von den Hetären Leaina und Lamia erhalten.
^) Pkou, Les theatres d' automates en
Grece au 11^ siede avant Vere chretienne,
apres les AvTofxaxoTioüxd d' Heron d' Ale-
xandre, Paris 1881 in Memoires presentees
ä Vacad. t. IX.
^) 0. Jahn, Proleg. in Persium p. 84
sqq.; Bernhardt, Gr. Litt. II, 2. 535 ff. ;
Sommerbrodt, De phlyacographia Grae-
coruni, Vratisl. 1875.
■') Strabon p. 280 sagt, dass es in Tarent
mehr Feier- als Werktage gab.
^) Vgl. Aristoxenos, der berühmte Mu-
siker aus Tarent, bei Ath. 621.
'') In dem Epigramm der Nossis Anth.
Yll, 414 heisst er Syrakusaner, so dass er
wahrscheinlich in der einen Stadt geboren
ist, in der anderen gelebt hat.
^) Suidas: Vivxhiov TaQavjiPO(; X(0(utx6c;,
«QX't]yog lkcc()orQ«yo}<fic<g.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 2, Die Poesie. (§ 348-350.)
465
war von niederer Herkunft, Sohn eines Töpfers, i) und blühte zur Zeit des
ersten Ptolemaios. Dramen von heiterernster Natur hinterliess er 48; als
Titel werden genannt ^AfJKpiTQvcov^ ^HgaxXfjg, ^Icfiysveia, 'OqeaTTiq^ TrjXscpog.
Die Heroen- und Göttermythen waren also auch hier die unerschöpfliche
Fundgrube des dramatischen Spieles. Von der Weise, wie die unter-
italischen Dichter denselben behandelten, kann uns der Amphitruo des
Plautus eine Vorstellung geben, wenn auch nicht feststeht, dass das er-
götzliche Stück gerade dem Rhinthon nachgebildet ist. 2) Nach einer durch
Lydus uns erhaltenen Notiz hat Rhinthon auch eines seiner Stücke in
Hexametern geschrieben. 3) — Ausser Rhinthon werden als Phlyakendichter
genannt Blaisos aus Kampanien, Skiras und Sopater. Dramatisches
Leben hatten auch die neckenden Scherze des Herondas, vermutlich eines
Zeitgenossen des Theokrit, der in seinen Mimiamben aus dem Leben ge-
griffene Scenen in hinkenden Spottiamben darstellte.
350. Zu den verschiedenen Arten des dramatischen Spieles kamen
noch zahlreiche Aufführungen mehr musikalischer Natur von Kitharoden
und Auloden, welche bei keiner Fest Versammlung fehlten und zum grössten
Teil beliebte Musikstücke, Dithyramben und Nomen der älteren Zeit von
neuem zu Gehör brachten. Zur Entfaltung des Glanzes dienten zumeist
die religiösen Aufzüge (rvofXTvai), welche zu Ehren der Götter, mehr aber
noch zur Schaustellung des Luxus an den Höfen und Götterfesten auf-
geführt wurden. Von einem besonders grossartigen Aufzug der Art, der
in Alexandria unter Ptolemaios Philadelphos stattfand, hat uns Athenaios
V, 25—35 eine anschauliche Beschreibung geliefert.'^) Auf solche Weise
nahmen im dritten Jahrhundert, wiewohl es an schöpferischen Leistungen
im Drama und den verwandten Künsten sehr fehlte, doch die Feste mit
dramatischen und musikalischen Aufführungen eine ausserordentliche Aus-
dehnung.^) Das führte zur Umgestaltung der alten gymnischen Spiele in
musische und zur Einführung neuer Festspiele, wie der Olympien im
pierischen Dion, der Soterien in Delphi, der Charitesien in Orchomenos,
der Lysimachien in Aphrodisias, sowie zur Erbauung von Theatern und
Odeen alier Orte Griechenlands und der Diadochenreiche. Das hatte auch
die Begründung von Genossenschaften dionysischer Künstler {(tvvo^oi röov
nsql Jiovvaov) zur Folge, ^) in denen Schauspieler, Rhapsoden, Musiker zur
Förderung ihrer Interessen und zur leichteren Inscenierung von Dramen
und Festspielen sich vereinten.
^) Die Töpferei war, wie die neuen Ausgra-
bungen zeigen, ein Hauptgewerbe von Tarent.
'^) Lydus de magistr. I, 40 erwähnt unter
den Formen der römischen Komödie auch
die XM/uMdlcc "^Piv&cdvixtj, die er dann einfach
mit t} i^MTixij (ob elwdVx?;?) erklärt. Völker,
Mhintonis fragmenta, Leipz. 1887, dazu die
Besprechung von Crusius, Woch. f. klass.
Phil. 1889 n. 11.
^) Lydus de mag. I, 41 : e^afxaTQoig
syQaxl's TTQMTog xiOfiMdlay. Die Fragmente
weisen iambische Trimeter auf, aber an dem
Zeugnis des Lydus muss etwas wahres sein,
da er im weiteren Verlauf die Satiren des
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2.
Lucilius auf die metrische Form des Rhin-
thon zurückführt.
^) Kamp, De PtolemaiiPhiladelpJiipompa
hacchica, Bonn 1864.
^) Reisch, De musicis Graecorum cer-
taminibus, Wien 1886, S. 105 f.
ß) FoucART, De collegiis scenicorum ar-
tificum apud Graecos, Paris 1873; Lueders,
Die dionysischen Künstler, Berl. 1873; H.
Sauppe, De collegio artißcum scaenicorum
Ind. Gott. 1876; A. Müller, Griecli. Bühnen-
alt. 392 ff. Diese rs/yTrca oder Jiovvao-
xoXccxeg sind schon erwähnt von Arist. Rhet.
111, 2 und Demosthenes 19, 192.
Aufl. 30
466
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
351. Ein Seitenstück zur Komödie bildete in unserem Zeitalter die
von nicht geringen Talenten gepflegte parodische und skeptische Poesie, i)
zu der auch die ionischen Sotadeen und die launigen Schilderungen von
Gastereien gehörten. Die Parodie hatte bei den Griechen in der klassischen
Zeit an den Dichter x«t' s^oxrjv, an Homer, angeknüpft und von diesem
auch die Form des Hexameters entlehnt. Auf den Margites und die
Batrachomyomachia folgte dann in der Zeit des peloponnesischen Krieges
der Hauptvertreter der Parodie, Hegemon aus Thasos, von dem bereits
oben § 184 die Rede war. In unserer Periode war die um sich greifende
Skepsis und der die Satire herausfordernde Hang zum Luxus dieser Gattung
von Spottpoesie, die wie ein Sauerteig alle Richtungen und Anschauungen
des Lebens durchdrang, besonders günstig. Sie behielt zwar auch jetzt
noch die alte Form des Hexameters bei, nahm aber auch neue Vers-
formen hinzu.
352. Sotades aus Maronea^) ist der Hauptrepräsentant der lasciven
Possenreisserpoesie in ionischen Versen {xivai6oX6yog). Seine Zeit bestimmt
sich aus seinem Zerwürfnis mit dem König Ptolemaios Philadelphos. Athe-
naios p. 620 erzählt darüber, Sotades habe, wie die Hofnarren des Mittel-
alters, in Alexandria bei Ptolemaios über den König Lysimachos, in An-
tiochia bei Lysimachos über Ptolemaios seine schlechten Witze gemacht,
habe aber besonders den Ptolemaios durch den beissenden Vers über seine
Schwestergattin Arsinoe
elg ovx dairjv TQVfiah'r^v t6 xsvtqov mÖ^sTq
gereizt. Darauf sei er von Patroklos, einem Befehlshaber des Königs, auf
der Insel Kaunos gepackt und in einem bleiernen Fass ins Meer gesenkt
worden. Die Kinädenpoesie knüpfte zunächst an die Trinklieder des loniers
Pythermos^) und die unzüchtigen Tänze der alten lonier (motus ionici) an.
Solche Tänze führten gewiss damals schon, wie später zu Petrons Zeiten,'^)
gemeine, unflätige Possenreisser [xivaidoi) auf öff'entlichen Plätzen oder bei
Weingelagen zur Belustigung des Volkes und der Zechgenossen auf. Dazu
dichteten nun die Poeten Alexandriens, da zu allen Zeiten bei den Griechen
Tanz mit Gesang beliebter als blosser Tanz war, entsprechende Texte
im künstlich nachgeahmten ionischen Dialekt, aber im Ton und Ideenkreis
der gemeinen Gegenwart.^) Sotades war nicht der erste, der diese Gattung
pflegte; schon vor ihm hatten Alexander Aetolus, Pyres aus Milet und
Alexes solche ionische Lieder gedichtet;*^) aber er galt als Hauptvertreter
der Gattung, und nach ihm ist das herrschende Metrum dieser Gesänge
^) Weland, De praecipuis parodiai'um
Homeri scriptorihus, Gott. 1833.
^) Suidas: Itütu^rjg Kqrjg ij MaQ(av'n^]g.
y^^. Ath. 620, der aus den Biographen des
Dichters, Karystios und Apollonios, dem Sohne
des Sotades, schöpfte.
^) Über Pythermos als Dichter von
Skolien und Erfinder der den Sitten der
lonier angepassten ionischen Musik aus der
Zeit des lambographen Hipponax siehe Ath.
625 c.
'^) Strab. p. 648: »y^le ^e ZMrudtjg usv
TiQcijTog Tov xipaidoXoyeh', tTJSiTu \-1'Ae^c(i'dQog
6 JitioXog ' (xXX' ovtoi fxsu ep xjjlXm koyo), fU€T(<
fis^ovg de Avaig xccl exi TJQÖrsQog rovrov 6
2:iuog. Vg\. Meineke, An. AI. 244 f.
5) Petron c. 23; vgl. Horaz Od. III, Q,
21 und meine Metrik^ S. 488 ff.
^) Ath, 620 e: 6 ÖE ^Iw^ixog löyog tu
2wr«cFov ymI xd tiqo tovtov 'liovixu xalov-
y,Evc( 7ioii]fxc<Tcc 'JXe^dydQov je tov JiiioXov
xal üvQfjTog rov Milrjoiov xal ^AXe^ov xal
CilliJiV TOlOVriOy TTOirjliOV TlQOCpEQETai. Als
solche andere werden von Suidas in dem
Artikel über Sotades genannt Theodoros,
Timocharidas, Xenarchos.
A. Alexaudrinisches Zeitalter. 3. Die Poesie. (§ 351—354.) 467
Sotadeum metrum genannt. Als Titel einzelner seiner Gedichte werden
genannt slg ''AiSov xazccßaaig^ ngirinog^ elg BtXsaTixrjv (Geliebte des Königs
Ptolemaios), 'A^aa^oh'. Die Fragmente sind gesammelt und hergestellt von
G. Hermann, Eiern, doctr. metr. p. 445 ff. Sind dieselben auch nur los-
gerissene Trümmer, so zeigen sie doch, dass Sotades, weit entfernt nur
schlechte Witze zu reissen auch eine Fülle hübscher Sentenzen in seine
Spässe zu verflechten wusste. Ennius hat diese ionischen Schwanke und
Plaudereien unter dem Namen Sota ins Lateinische übertragen.
353. Timon aus Fhlius i) (um 315 — 226) war seiner Bildung und
Geistesrichtung nach Philosoph; in der Jugend hörte er den Eristiker
Stilpon in Megara, nachher warf er sich ganz dem Skeptiker Pyrrhon in
die Arme; seine späteren Lebensjahre brachte er in Chalkedon als Lehrer
und dann von ca. 278 an in Athen zu. Von Natur zwar einäugig, aber
sonst kräftig gebaut, brachte er es durch Enthaltsamkeit und Geistesruhe,
indem er fern von dem Geräusche der Welt der Einsamkeit und dem
Gartenbau lebte, zum Alter von nahezu 90 Jahren. Seine Schriften, von
denen uns Diogenes IX, 110 ein nicht ganz vollständiges Verzeichnis über-
liefert hat, waren sehr mannigfaltig; es waren darunter solche in Prosa
und solche in Versen. Unter den letzteren befanden sich 60 Tragödien
und Satyrdramen, die wahrscheinlich nicht zur Aufführung auf der Bühne,
sondern zum Lesen bestimmt, mehr nur Dialoge in iambischen Trimetern
waren, ferner Xoyoi xivmSoi und eine Elegie ^IvSaXpioi d. i. Gedanken Vor-
stellungen, von der uns ein paar an Pyrrhon gerichtete Distichen erhalten
sind. Am berühmtesten waren seine 2ilXoi in 3 B., von denen nach dem
Kommentar des Apollonides (unter Tiberius) bei Diog. IX, 111 das 1. Buch
die Form der Erzählung, die beiden andern die eines Dialoges in der Unter-
welt 2) hatten. Hauptträger des Dialoges war der alte Sillograph Xeno-
phanes, der die Lauge des Spottes über die dogmatischen Philosophen der
alten und neuen Zeit ausgoss. Das Gedicht war in daktylischen Hexametern
geschrieben und wendete Verse und Phrasen des Homer zur Verspottung
der Dogmatiker an, wie gleich der Anfang lautete
EansTs vvv jxoi oaoi 7ioXvTj:Qäyj.iov8g iars ao(fi(STai,
Von dem witzigen, durch beissende Urteile ausgezeichneten Werke sind
uns nicht wenige Fragmente erhalten, die in unserer Zeit Wachsmüth mit
ingeniöser Kombination in das ehemalige Gefüge des Werkes einzuordnen
versucht hat.
354. In die Fusstapfen des Timon traten die Kyniker, welche zu jeder
Zeit durch Freimut vor den anderen Philosophen sich auszeichneten und
in ihrer volkstümlichen Weise es besonders liebten durch leise Ummodelung
von Versen des populärsten aller Dichter witzig und beissend zugleich zu
sein. Ein paar Hexameter aus den Sillen des K rat es und Bion sind uns
noch erhalten. Mit diesen im Inhalt, nicht in der Form verwandt waren
die Schriften des Kynikers Menippos, der gleichfalls noch in dem 3. Jahr-
^) Diog. IX, 109 112; Wachsmüth,
Sillogr. graeci in fasc. II des Corpusculum
poesis epicae ludihundae, Bibl. Teubn. 1885.
-) Die gleiche Form eines Gesprächs
im Orciis haben selbständig Schiller und
Goethe in den Xenien 332 — 413 angewandt,
worüber Wachsmüth p. 40.
10=
468
Griechische Literaturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
hundert gelebt zu haben scheint.^) Dieser schrieb in einer aus Prosa und
Versen gemischten Sprache, indem er seine in gewöhnlicher Rede geschrie-
benen Angriffe auf die Philosophensekten, besonders die Epikureer, mit
parodischen Versen durchflocht. Den Menippos hat bekanntlich später in
Rom Varro Reatinus in seinen Saturae Menippeae nachgeahmt. 2) Bei den
Griechen fand er nicht bloss an Lukian, sondern schon früher an dem
Epigrammatiker Meleager, seinem Landsmann, Bewunderer und Nachahmer. •'^)
Es waren somit, worauf Wachsmuth aufmerksam macht, die 3 griechischen
Satiriker, Menippos, Meleager, Lukian, nicht Griechen, sondern Syrer oder
Semiten.
355, Eine besondere Art von Parodie waren die Jsijiva^ heitere, den
Mund wässerig machende Beschreibungen von leckeren Mahlzeiten, gewürzt
mit witzig gewendeten Versen aus Homer; sie blühte vornehmlich in der
Zeit der neuen Komödie und berührte sich mit ähnlichen Schilderungen
auf der damaligen Bühne. Erhalten sind uns von dieser Litteratur, die
seit Alexander viele und reiche Blüten trieb, ziemlich umfangreiche Reste
durch Athenaios, der ganze Seiten aus jenen Dichtungen seinem eigenen
Sophistenmahl einverleibt hat. Die Hauptvertreter dieser Gattung waren
Archestratos aus Gela, aus der Zeit des Aristoteles, dessen Gedicht
'H6v7Td^€ia, welches später Ennius unter dem Titel Heduphagetica ins
Lateinische übertrug, eine gastronomische Rundreise enthielt; Matron aus
Pitana, der gleichfalls zu Alexanders Zeiten lebte und dessen durch Athe-
naios IV, 134 — 7 uns erhaltenes Gedicht Jetnvov 'Jinxoi' mit dem paro-
dischen Vers anhob Jelnvcc ^loi tvvsns^ Movaa, TioXvtQocfa xal fxdXa noXXcc,
Timachides aus Rhodos, der ein kulinarisches Gedicht von nicht weniger
als 11 Rhapsodien schrieb (Ath. I, 5 a), daneben aber auch Euripides, Ari-
stophanes, Menander kommentierte; ferner Numenios aus Heraklea u. a.
Brandt, Corpusculum pocsis ejncae graecae ludibundae, t. I., Bibl. Teubn. 1888,
wo auch die dürftigen Reste des zur Zeit König Philipps lebenden Paroden Euboios aus
Paros und seines glücklicheren Rivalen Boiotos gesammelt sind. — Archesirati Syracusii
stve Gelensis reUquiae rec. W. Ribbeck, Berl. 1877.
3. Die Prosa.
a. Die Geschichtschreibung". 4)
356. Den Mittelpunkt der prosaischen Litteratur unserer Periode bilden
die Studien der Grammatik und gelehrten Erudition. Diese zogen auch
vieles von dem, was der Geschichte angehört, in ihren Kreis, so dass
man zweifeln kann, ob man Männer, wie Dikäarch, Eratosthenes, Apol-
lodor, die vorzugsweise das Gebiet der historischen Philologie anbauten,
unter den Historikern oder, wie wir vorziehen, unter den Grammatikern
behandeln soll. Überhaupt herrschte in der historischen Schriftstellerei
1) Früher setzte man auf Grund des
Zeugnisses bei Diog. VI, 99 den Menippos
gleichzeitig mit dem Epigrammatiker Melea-
ger, also um 80 v. Chr. Die Stelle ist richtiger
gedeutet von Maass bei Wachsmuth, p. 79.
'^) Meleager in Anth. VII, 417 u. 418.
^) Im Geist der Parodien des Menippos
und Timon ist auch geschrieben Horati sat.
II, 5.
') Über
oben § 211.
die litterarischen Hilfsmittel
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§355—357.) 469
unseres Zeitalters eine ungemeine Regsamkeit; aber der Masse der Produk-
tionen entsprach nicht ihr innerer Wert: unter den Hunderten von Histo-
rikern begegnet uns nur ein Autor von entschiedenem Talent und selb-
ständigem Geist, Polybios; ihn sparen wir uns zum Schluss auf und
durchwandern zuerst das Trümmerfeld der kleinen, fragmentarischen Lit-
teratur.
Unter den Geschichtsschreibern der Diadochenzeit steht voran
Hieronymos von Kardia, Historiker und Feldherr zugleich. Anfangs
stund er im Lager des Eumenes; nach dessen Vernichtung kam er bei
Antigonos, dann bei dessen Sohn Demetrios, und zuletzt bei Antigenes
Gonatas in Ehre und Gunst. Ein Mann von ungewöhnlicher Gesundheit,
erreichte er mit ungeschwächten Sinnen ein Alter von 104 Jahren, i) Sein
Werk ^lazoQiai tmv öiadoxMv begann mit der glänzenden Leichenbestattung
Alexanders und ging bis auf den Krieg des Pyrrhos in Italien herab. Den
letzten Abschnitt, der zuerst die Griechen mit Rom und dessen älteren
Geschichte bekannt machte, benützte Plutarch im Leben des Pyrrhos.
Pausanias I, 9. 8 wirft ihm gehässige Anfeindung aller Könige mit Aus-
nahme des Antigonos Gonatas vor. Fragmente bei Müller, FHG. H,
450—461.
Duris aus Samos, Schüler des Theophrast,^) der als Knabe einen
Sieg im Faustkampf zu Olympia errang ^) und später Herrscher von Samos
wurde, ^) ist Verfasser eines umfangreichen Geschieh ts Werkes, ^latogiai, nach
seinen Teilen auch ^E?.Xrjvixd und MaxsSovixd betitelt, das mit der Ge-
schichte nach der Schlacht von Leuktra begann (Diod. XV, 60) und min-
destens bis 281 oder den Tod des Lysimachos herab ging; dasselbe bildete
später eine Hauptquelle des Diodor.^) Ausserdem schrieb Duris eine Lokal-
geschichte seiner Heimatinsel, 2aiiiMv mqoi, ein Leben des Tj^rannen Aga-
thokles von Syrakus, Schriften ttsqI dyoh'on',^) tisqI ^(oyQdcfMv, tisqI toqsv-
Tixrjg,'^) TtsQi TQayfoSiag. Fragmente bei Müller, FHG. H, 466 — 88.
Andere Historiker der Diadochenzeit waren Nymphis von Heraklea,
der eine allgemeine Geschichte in 24 B. bis auf Ptolemaios HL und eine
Spezialgeschichte von Heraklea schrieb; Demetrios von Byzanz, der nach
Diogenes V, 83 den Einfall der Gallier in Asien und die Kämpfe des An-
tiochos und Ptolemaios behandelte; Herakleides von Kyme, der seine
Persika noch ehe das persische Reich über den Haufen geworfen war, zu
schreiben begonnen hatte. ^)
357. Sikilien, unerreicht von den Waffen der Makedonier, fuhr auch
nach dem Untergang der hellenischen Freiheit fort, eine bedeutende Rolle
in der Geschichte und Litteratur zu spielen. Die thatenreiche Regierung
^) Ps. Lucian, Macrob. 22.
2) Ath. 128 a.
^) Das von Hippias gefertigte Bild des
Siegers sah noch Paus. VI, 13, 5; über die
Heilung der stark verderbten Stelle siehe
LüBBERT, De Pindari et Hieronis amicitia,
Bonn. Ind. 1886 p. XXIV.
*) Pausanias a. 0. und Suidas unter
Lynkeus, dem Bruder des Duris.
^^ Haake, De Duride Diodori auctore,
Bonn 1874; Rosiger, De Duride Diodori
et Plutarchi auctore, Gott. 1874; Rössler,
De Daride Diodori, Hieronymo Duridis
auctore, Gott. 1876.
6) In dieser Gattung von Schriftstellerei
folgten ihm dann Kallimachos, Ister, Kleo-
phanes, Theodoros aus Hierapolis.
') Urlichs, Griech. Kunstschriftsteller
S. 21 f.
8) Vgl. RüHL, Jahrb. f. Phil. 137, 121 f
470
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
des verwegenen und rücksichtslosen Tyrannen Agathokles (317 — 289) fand
ihre Darstellung ausser durch Duris und Antandros, den Bruder des
Tyrannen, durch Kallias aus Syrakus, der die Geschichte des Agathokles
in 24 B. schrieb. Diodor XXI, 17 ergeht sich in heftigen Ausdrücken über
dessen Wahrheitsfälschung zu Gunsten des gottlosen Tyrannen. Fragmente
bei Müller, FHG. II, 382 f.
Timaios (um 352 — 256) aus Tauromenion in Sikilien, der berühm-
teste unter den Historikern Sikiliens, war der Sohn des Andromachos, des
Gründers und Herrschers von Tauromenion. Von Agathokles entweder
gleich bei seinem Regierungsantritt (317) oder vor seinem Feldzug gegen
Karthago (310) verjagt, brachte er 50 Jahre in Athen zu.^) Hier wurde
er durch den Isokrateer Philiskos, als dessen Schüler ihn Suidas bezeichnet,
in die Rhetorik eingeführt. Als Greis kehrte er nochmals nach Sikilien
zurück und starb in dem hohen Alter von 96 Jahren um 256. Seinen
Ruhm verdankte er seiner umfangreichen Geschichte {laroQiai) Sikiliens, die
mit der ältesten Zeit begann und bis zum Jahre 264 reichte, 2) sich aber
nicht auf Sikilien beschränkte, sondern auch die Geschichte Italiens und
Karthagos umfasste und in zahlreichen Digressionen auch auf die Verhält-
nisse Griechenlands einging. 2) Das Werk hatte 38 B.*) und scheint in den
einzelnen Abschnitten eigene Überschriften gehabt zu haben; angehängt
waren 5 B. über Agathokles, welche nach Diodor XXI, 1, den Schluss des
Werkes ausmachten. Auch die Geschichte des Pyrrhos bildete nach Dio-
nysios Arch. I, 6 und Cicero ad fam. V, 12. 2 ein Buch für sich. Ausser-
dem verfasste Timaios einen chronologischen Abriss 'OXviiniovTxai yJtoi Xqo-
vixd 7iQa'§idia.^) Die Schriften unseres Historikers waren im Studierzimmer
geschrieben und Hessen, was den wiederholten Tadel des Polybios hervor-
rief,^) das sachliche Urteil des praktischen Staatsmannes vermissen. Aber
derselbe hatte die Quellen mit grossem Fleisse zusammen gesucht, auch
die Inschriften der Säulen und Tempel verwertet (Polyb. XII, 11) und selbst
die Urkunden der Karthager und Phönizier studiert. In der Benützung
der Quellen war er von blindem Glauben weit entfernt, umgekehrt nur zu
sehr geneigt, seine Vorgänger Lügen zu strafen und die Tyrannen und
Könige von der schlechten Seite aufzufassen. Das zog ihm scharfe Zu-
rechtweisungen von Seite des Polybios zu und rief die Gegenschriften [avTi-
YQCKpai) von Polemon und Istros hervor. Der letztere hing ihm den Spott-
namen 'EniTiixaioQ 'Tadler an. Aber doch auch Polybios (XII, 10 f.) Hess
ihm die Ehre, die Chronologie berichtigt und die wahre Zeit vieler Städte-
gründungen erwiesen zu haben.') Er reduzierte nach jenem Zeugnis die
') Nach seinem eigenen Zeugnis bei
Polyb. XII, 25. Die Zeit seiner Vertreibung
wird geschlossen aus Diodor XIX, 8 u. XX, 4.
2) An diesen Schluss knüpfte später so-
dann Polyb. I, 5 an.
^) Ausdrücklich indes sagt von ihm Po-
lyb. XII, 23 : imeQ 'irayutg ^ovov xccl lixeXiag
nqayfxarevofJLSvog.
4) "krf statt ti schreibt Gutschmid bei
Flach im Artikel des 8uidas, indem er zu
gleich nach Ruhnken's Vorschlag den Pas-
sus avlXoyrjv qrjtoQiXMP acpoQfJiiov ßißXtcc ^ij
als fremden Zusatz einschliesst und ^hcdixa
xcd Iixshxä als Spezialtitel desselben Werkes
fasst. Über die Anordnung des Stoffes siehe
Beloch, Die Ökonomie der Geschichte des
Timaios, Jahrb. f. Phil. 123, S. 697 ff.
'"} Vgl. Censoiinus De die nat. 21.
6) Polyb. XII, 3 -28.
^) Die Gründung Roms setzte er indes
irrig 38 Jahre vor die 1. Olympiade, gleich-
zeitig mit der Karthagos.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 358.) 471
Ephoren Spartas, die Archonten Athens und die Priesterinnen von Argos
auf Olympiaden und setzte so an Stelle der lokalen Zeitangaben die all-
gemeine Zeitrechnung nach Olympiaden. Seinen Stil tadelt Dionysios, de
Dinarch. 8 als frostig und gesucht; auch Pseudo-Longin, de sublim. 4 ist
nicht gut auf ihn zu sprechen; aber Cicero, Brut. 95, 325 und de orat. II,
14. 58, der schon wegen seiner Beziehungen zu Verres und Sikilien den
Timaios fleissig las, fand an der überströmenden Fülle seiner Darstellung
Gefallen. Fragmente bei MIjller, FHG. I, 193 — 233; Charakteristik von
Chr. Clasen, Historisch-kritische Untersuchungen über Timaios von Tauro-
menion, Kiel 1883.
358. Hellenische Geschichte. Unter Alexander und seinen näch-
sten Nachfolgern war das zur Ohnmacht herabgesunkene Hellas fast ganz
vom Schauplatz der Geschichte verschwunden. Seit dem 3. Jahrhundert
erhob es sich wieder zu grösserer Bedeutung, indem namentlich die noch
unverbrauchten Kräfte der Atelier und Achäer zu Macht gelangten. Seit
der Zeit fand auch die hellenische Geschichte wieder eifrige Bearbeiter.
Diyllos aus Athen schrieb eine allgemeine Geschichte in 27 Büchern
und in mehreren Abschnitten (awra^eig).^) Das Werk begann mit dem
phokischen Krieg und reichte bis 296 herab. Eine Fortsetzung fand das-
selbe an Psaon aus Platää, dessen Geschichte 30 B. umfasste (Diod. XXI,
5). Fragmente bei Müller, FHG. II, 360 f. u. HI, 198.
Phylarchos nach den einen aus Athen, nach den andern aus Ägyp-
ten, setzte in seinen 28 Büchern ^laToqiarv die Werke des Hieronymos und
Duris fort, indem er nach Suidas die Zeit vom Zuge des Pj^rrhos gegen
den Peloponnes bis zum Tode des spartanischen Königs Kleomenes (220)
behandelte. Über seine Glaubwürdigkeit fällen Polybios II, 56 und Plu-
tarch Them. 32 ein ziemlich abfälliges Urteil; er war ein bewundernder
Anhänger des Kleomenes, bis zur Ungerechtigkeit gegen Arat, und liebte
theatralische, auf Rührung berechnete Darstellungen; besonders hob er
Frauentugend und Frauenheldenmut hervor. Nach Suidas schrieb er auch
über Erfindungen und über mythologische Gegenstände (juvO^ixrjv iTnioiirjv),
woraus uns manches durch Parthenios erhalten ist. Fragmente bei Müller
FHG. I, 334—358.
Menodotos von Perinth wird von Diodor XXVI, 4 zu Ol. 104, 4
= 217/6 V. Chr. als Verfasser von ^EXXv^vixal TTQay/^iarsiai in 15 B. erwähnt;
er scheint also den Psaon oder Phylarchos fortgesetzt zu haben. Derselbe
hatte auch ein periegetisches Buch ttsqI tctjv xard rrjv ^ajj.ov evSo^wv ge-
schrieben. Fragmente bei Müller FHG. III, 103 — 105.
Neanthes von Kyzikos lebte, da er nach Suidas ebenso wie Timaios
Schüler des Philiskos war, im 3. Jahrhundert. Ausser rhetorischen Schrif-
ten und einer allgemeinen hellenischen Geschichte schrieb er eine Spezial-
geschichte seiner Heimatstadt und der Regierung Attalos I. (241 — 197).
Am meisten Ansehen aber verschaffte er sich durch seine Biographien be-
1) Diod. XVI, 14 gibt 27; XXI, 5 hin-
gegen 26 B. an. Der erste Abschnitt reichte
bis zur Belagerung von Ferinth, mit der das
Werk des Ephoros schloss. Rühl, Jahrb. f.
Phil. 137, 128 ff. nimmt 3 avvTaieig zu je
9 Büchern an.
472
Griechische Litteraturgeschichte. II, Nachklassische Litteratur.
rühmter Männer (ttsqI svöö^mv av6Q(ov). Fragmente bei Müller FHG. III,
2-11.
Aratos von Sikyon (gest. 213), der berühmte Feldherr des achäischen
Bundes, machte Geschichte und schrieb Geschichte. Seine Denkwürdig-
keiten [vnoiivrjiiaTa) in mehr als 30 B.^) reichten nach Polyb. I, 3 und
IV, 2 bis zum sogenannten Bundesgenossenkrieg (220). Nachlässig in der
Form, 2) beanspruchten dieselben nur ein sachliches Interesse; benützt hat
sie Plutarch im Leben des Arat und Kleomenes. Fragmente bei Müller
FHG. III, 21—23.
359. Spezialgeschichten. In demselben Grad, in dem den Grie-
chen die Fähigkeit zur würdigen Auffassung grosser geschichtlicher Ereig-
nisse abzugehen begann, wuchs die Neigung für das Detail und den per-
sönlichen Klatsch. Daraus entstanden zunächst die Biographien, die litte-
rarischen Porträte, welche mit der Vervollkommnung der Porträte in der
Kunst Hand in Hand gingen. Es gibt eine ganze Reihe biographischer
Schriftsteller, meist aus der Schule der Peripatetiker, wie Dikaiarchos,
Aristoxenos, Phanias, Klearchos, Hermippos, Idomeneus von Lampsakos,
Antigonos von Karystos. Da aber die meisten Biographien dieser Männer
Persönlichkeiten der Litteratur und Philosophie betrafen, so verschieben
wir ihre Besprechung auf den Abschnitt über die Grammatiker. 3) Von den
viel gelesenen Biographien des Neanthes ist bereits oben gesprochen worden.
Verwandter Art war die Litteratur von Memoiren {vnoiivrjiiaTa).^)
Auch hier waren es die Peripatetiker, die zuerst mit derartigen Büchern
hervortraten. Schon von Theophrast gab es vTtoinvrjfiovsvfAaTa, aber der
Hauptvertreter dieser Gattung von Schriftstellerei war ein anderer Aristo-
teliker, Hieronymos von Rhodos, dessen ^laTOQixd iTrofjivr^f^iava ebenso
wie seine Bücher ttsqI Troirjrwv {ttsqI xi^agcoScov und tQayojdonoioov) häufig
von Athenaios und Diogenes angeführt werden.^) Von Feldherren und
Staatsmännern schrieben Demetrios und Arat Memoiren, von Königen
der Schüler Aristarchs, Ptolemaios Euergetes 11.;^) von ähnlicher Art
scheinen die ÄTaxra des Marsyas von Pella gewesen zu sein.
Eine dritte Art von historischer Speziallitteratur, gleichfalls von Ari-
stoteles und seiner Schule gefördert, betraf die Einrichtungen und Geschichte
der einzelnen Städte und Landschaften; voran stehen in dieser Sparte die
Werke über Attika.
360. ^At^iSec,'^) hiessen die auf Sage, Geschichte, Litteratur, Topo- '
graphie bezüglichen Darstellungen von Attika. In annalistischer, chronik- i )
^) Seine nolvßiß'kog laxoQiu vnsQ td X
ßißXia e/ovaa ist erwähnt in der Biographie
des Dichters Arat.
2) Flut. Arat. 3.
^) Selbst Biographien von Hetären er-
schienen die einen über die anderen, worüber
man näheres bei Athen. XIII p. 583 nach-
lesen kann. Spassgeschichten (laioQiai xm-
fiLxal) schrieb Protogenides unter Antio-
chos Epiphanes; vgl. 0. Schneider, Nicand.
Proleg. 15 f.
*) KöPKE, De hypomnematis graeeis,
pars I ßerl. 1842, pars II Brandenburg 1863.
^) Sein Urteil über Isokrates ist uns er-
halten durch Dionys. Hai., Isoer. 13 und
Cicero, Orat. 56, 189. Ob die geographischen
Notizen aus Hieronymos bei Strabon unseren
Hieronymos oder den aus Kardia angehen,
ist zweifelhaft. Die Fragmente gesammelt
von Hiller, Hieronymi Bkodii Peripatetici
fragm., in Satura philol. Herrn. Saupino
ohlata, Berl. 1879 p. 85-118.
6) Müller, FHG. III, 186—9.
') Müller, FHG. I prol. p. LXXXII-XCI
und I, 359-427.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 359—360.) 473
artiger Aufzählung, ohne rhetorischen Aufputz führten dieselben mit reichem
Detail die Ereignisse vor. Für die Kenntnis der attischen Einrichtungen
und der inneren Geschichte Athens waren sie von ausserordentlicher Be-
deutung, empfahlen sich aber weniger durch die Kunst der Darstellung,
weshalb Dionysios, Arch. I, 8 von seinem einseitig rhetorischen Standpunkt
aus verächtlich auf sie herabsieht. Das Vorbild zu denselben hatte Hel-
lanikos gegeben, aber die Atthiden im eigentlichen Sinn beginnen erst mit
der Zeit des Demosthenes und fanden ihre Blüte in der alexandrinischen
Zeit. Die einzelnen, zum Teil noch der vorausgehenden Periode angehörigen
Autoren sind: Kleitode mos, von Pausanias X, 15. 5 der älteste der
Atthidenschreiber genannt; Androtion, Schüler des Isokrates, gegen den
Demosthenes in der uns noch erhaltenen Rede auftrat; Phanodemos, der
neben einer Atthis auch eine Lokalgeschichte der Insel Ikos, einer der
Kykladen, schrieb; Demon, Verfasser einer Atthis und von Schriften tt^^^
TvaQoifxmv und ttsqI ^vamvA)
Philochoros, Sohn des Kyknos, war der bedeutendste der Atthiden-
schreiber; er lebte in der Diadochenzeit und fiel als Parteigänger des Pto-
lemaios Philadelphos nach der Einnahme Athens durch Antigenes Gonatas
(261). Seine Studien galten vorzüglich der Geschichte Attikas, ausserdem
den Mythen, Festen, Opfern, zu denen er durch seine Stellung als Seher
und Opferbeschauer besondere Beziehungen hatte. Seine Atthis in 17 B.
umfasste die ganze Geschichte Attikas von der ältesten Zeit bis auf 261
V. Chr. In den Anfängen summarisch, weitläufig in der Zeitgeschichte hielt
er sich durchgehends an den chronologischen Faden, indem er die Ereig-
nisse anfangs nach Königen, später nach Archonten ordnete. Von der
Gediegenheit seiner Forschungen geben die wörtlichen Anführungen bei
Dionysios einen sehr vorteilhaften Begriff. Von dem umfangreichen Werk
machte er selbst einen Auszug; ^) einen zweiten Auszug, den Suidas an-
führt, verfertigte Asinius Pollio von Tralles. Mit der Atthis standen Spezial-
untersuchungen über die attische Tetrapolis, die Gründung von Salamis,
eine Sammlung attischer Inschriften, chronologische Zusammenstellungen
der attischen Archonten und der Olympiaden in Zusammenhang. Auf den
Kultus bezogen sich seine Bücher nsql laavTixrjg^ tisqI ^vaicov, ttsqI twv
'Ad^rjVTiai ayü)vot)v, wahrscheinlich auch die Jrjhaxd und 'HnsiQcoTixd. Die
Durchforschung der Mythen und Feste führten ihn auch zu litterarhistori-
schen Arbeiten über die Mythen des Sophokles, über Euripides und Alkman.
Erwähnt ist in den Scholien zu Eurip. Hec. 3 ein Brief ttsqI rgayoidicov an
den älteren Asklepiades, den Verfasser der TgayoiSov^sva. Fragmente ge-
sammelt bei Müller, FHG. I, 384—417 und IV, 646—8. Böckh, Über
den Plan der Atthis des Philochoros 1832, jetzt in Ges. Sehr. V, 397 ff.
— In spätere Zeit fällt die Zusammenstellung der früheren Atthiden von
Istros, auf den wir unten zurückkommen werden. 3)
^) In weiterem Umfang gehört zur Klasse
der Atthidenschreiber auch Andren aus
Halikarnass, der in dem umfangreichen Werke
Zvyyivsiat auch attische Verhältnisse be-
rührt hatte; die Fragmente bei Müller,
FHG. II, 34G ff.
^) Daneben führt Suidas eine Epitome
xiig JioyvüLoi' n^ayfiazeiag an, worüber
ScHENKL, Jahrber. f. Alt. XL 1. 235.
^) Von Spezialschriften über einzelne
Geschlechter Attikas erwähnt der Lexiko-
graph Harpokration : Meli ton negl tiHv
474
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
361. Nach dem Muster der Atthiden wurden zahlreiche Spezialge-
schichteii von anderen Landschaften und Städten verfasst. Bereits oben
haben wir des Duris ^S2qoi 2a^iwv, des Neanthes ^Qqoi Kv^ixrjvoh', des
Nymphis Geschichte von Heraklea erwähnt, i) Ausserdem sind uns durch
gelegentliche Citate bekannt die ^ixvoDvixd des Menaichmos, der unter
den Diadochen lebte und nach Suidas auch eine Geschichte Alexanders
schrieb; 2) die MsyaQixä des Dieuchidas, der zur Zeit der älteren Atthiden-
schreiber lebte, ^) die ^AQyokixd des D einlas, der vor Agatharchides, wahr-
scheinlich zur Zeit des Aratos schrieb; die 'HnsiQMTixä des Proxenos, die
08(yaahxä des Kineas, die Mihjaiaxd des Lykos und Maiandrios (oder
Leandrios), die Na^iaxd des Andriskos, die Evßoixä des Aristoteles, die
yisaßiaxd des Myrsilos, die Jrjhaxd des Antikleides, ^) die TQonxd des
Hegesianax oder Kephalion (Ath. 393 d), das Buch des Peripatetikers
Phanias über die Prytanen seiner Heimatstadt Eresos, die Boiwxixd des
Aristophanes , auf die Plutarch de malign. Herod. p. 864c u. 867c bezug
nimmt, die erythräische Geschichte von Apollodoros aus Erythrä,^) die
von Polybios XVI, 14 gerühmten Spezialgeschichten der Insel Rhodos von
Zenon und Antisthenes, der Krieg des Königs Philipp mit Byzanz von
Leon dem Byzantier.^) Wahrscheinlich gehörte unserer Zeit auch Diony-
sios von Chalkis an, der eine allgemeine Städtegründungsgeschichte (o rag
xviaeig Tcov nöXswv yqdxpag) in 5 B. geschrieben hatte und den Ps. Skym-
nos in V. 115 f. als einen seiner Hauptgewährsmänner preist.
Vor andern aber verdienen auf diesem Gebiet hervorgehoben zu
werden die Forschungen des Lakoniers Sosibios. Derselbe gehörte den
Kreisen der Alexandriner an; schon unter Ptolemaios Soter war er nach
Alexandria gekommen,^) erlebte aber seine Blüte erst unter Ptolemaios
Philadelphos.^) Von seiner Geschicklichkeit im Lösen schwieriger Fragen
erhielt er den Beinamen o XvTixog.^) Die Studien über die Altertümer
seiner Heimat legte er in dem Buche tisqI tmv iv Aaxedmpiovi ^vaiMv und
in dem weitläufigen Kommentar zu dem altspartanischen Dichter Alkman
nieder. Von einem weiteren Gesichtskreis ging er in dem chronologischen
Buch Xqövoov dvccyQacfrj aus, das sich mit den obengenannten Xgovixd des
Timaios berührt zu haben scheint (Müller FHG. II, 625 — 630).
Wie Sosibios die antiquarische Spezialforschung mit der Dichtererklä-
Jx^rjfijai ysvMv, Drakon negi ysvixiv, das
E. M. 429, 26 Theodoros nsgl Kyjqvxmv
ysfovg, siehe Töpffer, Attische Genealogie,
Berl. 1889, S. 1 An.
^) In die Lokalgeschichte schlagen auch
die Schriften der Periegeten Polemon, Hege-
sander. Sokrates ein, von denen im Abschnitt
von der grammatischen Gelehrsamkeit gehan-
delt wird.
2) Seine Itxvooyixd citiert Ath. 471 d u.
Schol. Pind. N. IX, 20; aus ihnen schöpfte
Paus. 5, 6-6, 7 ; vgl. Lübbert, De Adrasti
regno Sicyonio, Ind. Bonn. 1884.
3) WiLAMOWiTz, Phil. Unt. V, 240 f.
'*) Derselbe Antikleides aus Athen hatte
eine Alexandergeschichte und ein mytholo-
gisches Buch NooToi, von dem Ath. 384 d
ein 78. Buch erwähnt, geschrieben; s. Mül-
ler, Script. Alex. M. p. 147.
^) Vgl. Maass, De sibyllarum indicibiis,
p. 27 ff..,
^) Über die Verwechselung dieses Leon
mit dem Leon von Alabanda und dem Peri-
patetiker Leon s. Müller, FHG. II, 328 f.
') Plut. Isis et Osir. 28.
^) Dass er mit dem Sosibios, auf den
Kallimachos ein elegisches Siegeslied schrieb,
identisch sei, bezweifelt 0. Schneider, Callim.
H, 220.
^) Die von Athen. 493 c mitgeteilte Lö-
sung der vermeintlichen Schwierigkeit im
homerischen Vers A 635 lässt uns nicht hoch
von dieser Kunst denken.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 361—362.) 475
rung verband, so noch mehr Demetrios aus Skepsis, der nach Strabon
p. 609 in der Zeit des Aristarch und Krates um 150 lebte. ^) Derselbe
verfasste, zum Teil auf den Arbeiten seiner Vorgängerin, der gelehrten
Alexandrinerin Hestiaia, fussend,^) einen Tgoiixog Siäxoaiiog in 30 B.,^)
worin er hauptsächlich die Lage der von Homer genannten Orte der troi-
schen Landschaft zu bestimmen suchte. Er ist in unserer Zeit viel ge-
nannt worden, da er, vielleicht infolge der Eifersucht der Bewohner von
Skepsis gegen die von Neuilion die Identität der Lage der homerischen
Ilios und der von Lysimachos neugegründeten Stadt bestritt und die Homer-
forscher lange ins Irre führte, bis in unserer Zeit Schliemann mit Spaten
und Schaufel die lang verhüllte Wahrheit ans Licht brachte.^)
362. Im Anschluss an die hellenische Spezialgeschichte, die auf die
alten Mythen und die in Stein und Erz geschriebenen Urkunden haupt-
sächlich Rücksicht nahm, erwähne ich hier noch einige auf den Mythus und
die Steinurkunden bezügliche Arbeiten.
Euhemeros von Messene,^) Vertrauter des Königs Kassander (gest.
297), ist der Urheber einer neuen rationalistischen Deutung der alten My-
then, wonach nicht bloss die Heroen, sondern auch die Götter ursprünglich
geschichtliche und dann wegen ihrer Verdienste in den Olymp versetzte
Personen sein sollten. Diese seine Theorie hatte er in einem Buche, ^leqd
dvayQa(frj betitelt, in romanhafter Weise vorgetragen: er wollte darin auf
einer Fahrt von Arabien in den Okean nach einer Insel Panchaia gekommen
sein, wo er auf einer Säule die Geschichte des Uranos, Kronos und Zeus
gefunden habe.^) Jene Methode der Mythendeutung, welche ihrem Autor
den Vorwurf eines Atheisten eintrug, fand bei den Zeitgenossen und den
Späteren vielen Anklang; Ennius hat sie unter den Römern eingebürgert.
Palaiphatos ist Verfasser einer von Westermann in die Sammlung
griechischer Mythographen aufgenommenen Schrift über unglaubliche Dinge
[ttsqI dniaTwv),'^) Dieselbe ist ganz im Geiste des euhemerischen Ratio-
nalismus geschrieben, indem ihr Verfasser für alle Mythen einen natür-
lichen Erklärungsgrund zu ermitteln sucht. ^) Die Sprache ist schlicht und
einförmig, der Ton trocken, die Begründung zum Teil flach und verfehlt,
wie wenn der Mythus, dass Lynkeus auch die Dinge unter der Erde sehe,
darauf zurückgeführt wird, dass derselbe ein Bergmann gewesen sei und
mit seinem Grubenlicht das Silber und Erz in der Erde entdeckt habe.
Auf der anderen Seite begegnen uns aber auch geistreiche und zutreff'ende
^) Nach Strabon, der ihn sehr oft zum
Zeugen nimmt, lebte er vor Apollodor, der
ihn in seinem Kommentar zum Schiffskatalog
stark benützte, und nicht vor Neanthes,
gegen den er polemisierte; s. Strab. I p. 45.
2) gtrab. XIII p, 599.
3) Strab. XIII p. 609.
^) Schliemann, Ilios 200 ff. u. 761 ff.; M.
Haupt, Opusc. II, 58 flF.; Gaede, Demctrii
Sceiisii quae supersunt, Greifsw. Diss. 1880.
^) Messene ist als seine Vaterstadt ange-
geben von Euseb. praep. ev. II, 2, 52, Plut.
de Is. et Osir. 23, Lactantius de fals. rel. I,
11; BEQymog heisst er bei Strabon p. 47 u.
104, infolge der Verwechselung mit Antipha-
nes von Berga; K(pog bei Ath. 658 e; Argen-
tinus bei Arnob. adv. gent. IV, 15.
^) Euseb. praep, ev. II, 2, 52 nach Dio-
dor V, 46. Vgl. Lobeck, Aglaoph. 987 f.;
RoHDE, Griech. Rom. S. 220 ff.
') Über die verschiedenen Recensionen
der Schrift und die Unzulänglichkeit der
Ausgabe von Westcrmann handelt unter
Hinweis auf den Cod. Par. 854 Fröiinek,
rhilol. Suppl. V, 34 ff. und Boyson, Philol.
42, 300 ff.
^) Davon hat die Schrift bei Suidas den
Titel ^vüsig rtJv fxvd^ixujg eiQ^j^tviov.
476
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Deutungen wie z. B. dass die Bildwerke des Daidalos sich wie lebende
Wesen bewegen, weil er zuerst Statuen mit auseinander gehenden Beinen
gebildet habe. Wahrscheinlich war unser Palaiphatos, der ein Zeitgenosse
des Euhemeros gewesen zu sein scheint,^) auch Verfasser einer Spezial-
schrift über die troische Landschaft (TQmxa).^)
Krater OS, wahrscheinlich der von Phlegon, Mir. 32 erwähnte Halb-
bruder des makedonischen Königs Antigonos Gonatas, machte in richtiger
Erkenntnis der Wichtigkeit der Inschriften für die geschichtliche Forschung
eine Sammlung von Volksbeschlüssen {avvaywyrj if)rj(pi(//iidTMv), die eine
reiche Fundgrube der Späteren, namentlich des Harpokration bildete.^)
Über die verwandten Arbeiten des Periegeten Polemon werden wir in
dem nächsten Abschnitt handeln.
Die parische Marmorchronik, auf der Insel Paros gefunden und
1627 nach England gebracht, ist verfasst unter dem attischen Archon
Diognetos Ol. 129, 1 = 264/3 oder 129, 2 = 263/2, von welchem Jahre
rückwärts die Datierungen zählen. Der anonyme Verfasser, der wesentlich
attischen Quellen, vielleicht auch dem Timaios folgte, gibt im Eingang selber
an, dass er eine chronologische Geschichtstafel von Kekrops bis auf den Archon
Diognetos habe geben wollen. In die Tafel nahm er nicht bloss die poli-
tischen Ereignisse, sondern auch die Gründung der Agone, die Lebenszeit
der Dichter, die Erfindungen und ähnliches auf, aber weder in wünschens-
werter Vollständigkeit noch mit der erforderlichen Kritik. Gleichwohl ist
die Chronik, die leider am Schlüsse verstümmelt und zum Teil nicht mehr
leserlich ist, eine der wichtigsten Urkunden für die alte Chronologie und
Geschichte. Neueste Ausgabe von Flach, Tübingen 1884.
363. Fremdländische Geschichte und Völkerkunde ward in
unserer Periode, wo das Hellenische die Sprache der Gebildeten des ganzen
Erdkreises geworden war, Gegenstand der Forschung und Darstellung so-
wohl von selten der Griechen, welche Gelegenheit hatten die Gebräuche
und Geschichte fremder Länder kennen zu lernen, als auch von seiten ein-
heimischer Priester und Gelehrten, welche die hellenische Welt mit den
Institutionen und der Vergangenheit ihres Volkes bekannt machen wollten.
Berosos, Priester des Bei in Babylon, schrieb XaXSaixd oder Baßv-
Xon'iaxä in 3 B.*) Er selbst sagt von sich bei Synkellos p. 28 B., dass
er unter Alexander, dem Sohne Philipps, gelebt habe; sein Geschichtswerk
widmete er dem Antiochos Soter. Von eitlem Stolz auf das hohe Alter
seines Volkes und der einheimischen Aufzeichnungen erfüllt, fing er seine
') Suidas zählt 3 Palaiphatoi auf und
bemerkt, dass die Schrift nsgl dnioiMv in
5 B. von den einen dem unter Artaxerxes
lebenden Palaiphatos aus Paros, von den
andern einem jüngeren Palaiphatos aus Athen
zugeschrieben werde. Gutschmid in Flach's
Ausg. des Hesychius nimmt an, dass diese
beiden Palaiphatoi eine Person seien. Das
Buch selbst scheint uns nur in einem Aus-
zug vorzuliegen.
2) Fragmente bei Müllek, FHG. II, 338 f.
•^) Fragmente gesammelt bei Müller,
FHG. II, 617—622; Krech, De Crateri xpt](p.
avy. Berl. 1887. Dass sich Krateros vor
Aufnahme von Fälschungen nicht hütete,
zeigt die Urkunde über den Kimonischen
Frieden bei Plut. Cim. 12.
'*) Tatian. adv. Graec. 58: Bt]Q(oa6g ccvrjQ
BaßvXwriog, Ieqsvs tov nciQ^ avxoTg B7JX0V x«r'
^ jii^cii^^Qov ysyoi^iog 'Jpn6/(o t(o /ust^ avioif
rgiTM rrjv XaXdaiMf laToqiav ey XQial ßißUoig
ovPTcc^cig xcd td tteqI tmv ßaaikecop exO^sfxsvog,
tc(pr]y8Lrai xrA.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 363.) 477
Geschichte mit dem fabelhaften Urwesen Oannes an und führte sie bis auf
Darius herab. Dieselbe erregte bei den Juden und Christen besonderes
Interesse durch die mit der Bibel übereinstimmenden, jetzt auch durch die
Keilinschriften bestätigten Mythen von der Sintflut, dem Turmbau, den
Zügen des Nabuchodonosar u. a. Infolgedessen ist uns auch das Meiste
aus ihr durch die jüdischen und christlichen Schriftsteller Josephos, Euse-
bios und Synkellos erhalten, deren Nachrichten freilich nicht direkt aus
Berosos, sondern aus Alexander Polyhistor und Apollodor geschöpft sind.
Fragmente bei Müller FHG. II, 495— 510. 0
Manetho,^) ägyptischer Erzpriester unter den beiden ersten Ptole-
mäern, der bei der Einführung des Serapiskultus in Ägypten eine Haupt-
rolle spielte (Flut. De Iside 28), hat mit seinem Hauptwerk^) Älyvmiaxd
in 3 B. den Zweck verfolgt, die herrschende Klasse mit dem Glauben und
der Geschichte des von ihnen eroberten Landes bekannt zu machen. Das-
selbe umfasste die mythische Vorzeit und die Geschichte der 31 ersten
Dynastien bis auf Alexander. Ihre hohe Bedeutung als urkundliche Dar-
stellung der Geschichte des merkwürdigen Landes gegenüber der auf der
Mitteilung von andern beruhenden Erzählung des Herodot wurde alsbald
erkannt; erst in unserer Zeit ist durch Entzifferung der Hieroglyphen eine
teilweise Kontrolle der Angaben des Buches ermöglicht worden. Die Dar-
stellung der ägyptischen Geschichte im 1. Buch des Diodor geht wesent-
lich, sei es nun direkt oder durch Vermittelung des Hekataios, auf Manetho
zurück.^) Länger als das geschichtliche Werk des Manetho erhielt sich
dessen Heiliges Buch {tsQa ßißXog), das Tacitus und Plutarch benützten und
dem die Römer der Kaiserzeit bei ihrer Vorliebe für orientalische und
ägyptische Kulte grösseres Interesse entgegenbrachten. Auch dieses hat
Diodor ausgeschrieben, so dass Eusebius die Darstellung des Diodor als
einen Auszug aus Manetho bezeichnet.'') Fragmente bei Müller FPIG. II,
511-616.6)
Neben Manetho war Hekataios aus Teos oder Abdera eine Haupt-
quelle der ägyptischen Geschichte. Der vielgereiste Mann hatte unter dem
ersten Ptolemäer auch Ägypten besucht und seine diesbezüglichen Erkun-
digungen in den AiyvnTiaxd niedergelegt.') Fragmente bei Müller FHG.
n, 384—396.
^) HoMMEL, Das neuaufgefundene Ori-
ginal der Dynastienliste des Berosos, Ztschr.
f. Keilschrift II Heft, 2.
2) Manthoth im Ägyptischen so viel als
datus a Totli.
^) Unter seinem Namen ging auch ein
astrolologisches Buch Sotheos, dessen Un-
echtheit Müller FHG. II, 512 erwiesen hat.
Einen Teil der ägyptischen Priesterlehre ent-
hielten die 4'voioloyixd.
^) Krall, Manetho u. Diodor, Stzb. d.
östr. Ak. 1880 (B. 96) 237—84, der aus
Diodor I, 9G- 8 nachweist, dass Manetho
ein Agyptier durch und durch war und be-
reits den Orpheus, Homer, Solon, Pythagoras,
Piaton ihren Landsleuten von Ägypten reli-
giöse Einrichtungen, Gesetze, Weisheit brin-
gen Hess.
^) Eus. praep. ev. III, 2: yQucpsi de tieql
^7]fX6P(Og (ff JlO&MQOg.
^) GuTSCHMiD, De verum AegyjH. scrip-
torihus, im Phil. X, 522—42 u. 6G3-70,
jetzt Kleine Sehr. I, 35 ff,; Böckh, Manetho
und die Hundssternperiode, Berl, 1845; Un-
GER, Chronologie des Manetho, Berl, 1867;
H, V. Pessl, Das chronologische System Ma-
nethos, Leipz. 1878.
') Den Manetho weist als Gewährsmann
des Hekataios nach 0, Gruppe, Die griech.
Kulte u, Mythen I, 424 ff. Gegen die Ver-
dächtigung der Echtheit der Fragmente von
478
Griechisclie Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Megasthenes, Verfasser von ^IvSixa, lebte unter Seleukos Nikator
und war dem Befehlshaber von Arachosia beigegeben, in dessen Auftrag
er mehrere Gesandtschaftsreisen an den indischen König Sandrokottos
(Chandraguptas) unternahm. Seine Indika in 4 B. waren mehr ethnogra-
phischen als historischen Inhaltes und gaben äusserst interessante Nach-
richten über die Geographie, Flora und Fauna Indiens, über das indische
Kastenwesen und sonstige Sitten der Inder. Ihr Autor schöpfte nicht wie
Berosos und Manetho aus einheimischen Originalschriften, sondern war auf
die Berichte der Brahmanen angewiesen ; aber er hatte doch mit eigenen
Augen Land und Leute gesehen und hatte so vor Herodot und den älteren
Historikern der Griechen einen grossen Vorsprung. Leider aber litt er
stark an den Fehlern der Historiker seiner Zeit, an der Vorliebe für das
Fabelhafte und an dem Bestreben griechische und fremde Mythen zu amal-
gamieren. So hat er die Sage von dem Zug des Gottes Dionysos nach
Indien aufgebracht und hatte die Unverschämtheit, diese Mythe den Ein-
geborenen, die von jenem Gott den Übergang ihres Landes zur gesitteten
Lebensweise abgeleitet haben sollten, in den Mund zu legen. Den Inhalt der
Indika gibt Diodor II, 85 — 42 im Auszug wieder. Dazu kommen zahlreiche
Fragmente bei Strabon und Arrian, gesammelt und geordnet von Schwan-
beck, Megasthenis Indica (1846), und von Müller FHG. II, 397 bis 439.9
Pytheas, der Massiliote, erschloss den Griechen den Nordwesten wie
Megasthenes den Osten der alten Welt. Er hatte gegen Ende des 4. Jahr-
hunderts, ausgerüstet mit guten mathematischen Kenntnissen, auf Schiffen
phönikischer Seefahrer zweimal die kühne Reise von Gades in den west-
lichen Okean bis nach den brittischen Inseln und darüber hinaus nach Thule
gewagt. Seinen Landsleuten machte er von diesen bisher ganz unbekannten
Gegenden in seinem Buche tvsqI Mxsavov Mitteilungen, welche von Seiten
der späteren Autoren, namentlich von Polybios und Strabon, nachdem in-
zwischen durch die Unternehmungen der Römer genauere Kenntnis von
den westlichen Ländern erlangt war, übermässige Anfechtungen erfahren
haben. Die Reste seines Buches, das wir nur aus den Entgegnungen der
Späteren und die Wahres mit Falschem mischende Ora maritima des Avien
kennen, beanspruchen als älteste Nachrichten über den westlichen Teil
unseres Kontinents unser besonderes Interesse. Sie gehören aber in noch
höherem Grad als die des Megasthenes der Geographie und Ethnographie
an. Beleuchtet sind sie am eingehendsten von Müllenhoff, Deutsche Alter-
tumskunde I, 211—497.^)
Über Rom hatten bereits Hieronymos von Kardia und Timaios Nach-
richt gegeben. Noch ehe dann aber Polybios den engen Gesichtskreis seiner
Landsleute überwindend eine grossartige Auffassung der aufgehenden
Manetho und Berosos durch E. Havef wendet
sich Gelzer, Jahresber. d. Alt. IV, 1. 74.
Vergl. Ed. Schwartz, Rh. M. 40, 223 fF.
^) Über seinen Zeitgenossen Patrokles,
den Strabon wegen seiner Wahrheitstreue
höher schätzt, siehe oben § 240. Nach Me-
gasthenes schrieb Daimachos 'Ifdixd, wo-
rüber Müller FHG. II, 440—2.
2) Die auf Avien bezüglichen Aufstellun-
gen Müllenhoffs sind von mir zurückgewiesen
in Jhrb. f. Phil. 1871 S. 707 ff.; meine eigenen
Ansichten über die östrymnischen Inseln und
die Kassiteriden (Avien und die ältesten Nach-
richten über Iberien und die Westküste Euro-
pas, Abhdl. d. b. Ak. XI, 1) berichtigte Unger,
Uh. M. 38, 157 ff.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 364.) 479
Weltmacht in seinen Schriften verbreitete, hatten die Kämpfe der Punier
griechischen Historikern Stoff zu historischen Darstellungen geliefert. Die-
jenigen, von denen uns Kunde, wenn auch nur spärliche, zugekommen ist,
waren: Philin os von Akragas, den Polybios I, 14 neben Fabius als Haupt-
quelle des ersten punischen Krieges bezeichnet, Silenos von Kaiakte und
Sosilos, welche beide im Lager des Hannibal gewesen waren und eine
parteiisch gefärbte Darstellung des zweiten punischen Krieges gaben, i)
Di 0 kies von Peparethos, der eine 'PMfujg xricsig schrieb und dem zumeist
Fabius Pictor folgte. 2) Auch die Annalen des Fabius Pictor und Cincius
Alimentus waren ursprünglich in griechischer Sprache abgefasst.
364-. Polybios (um 205 bis um 123) 3) ist der einzige namhafte Histo-
riker unserer Periode, der einzige zugleich, von dem uns etwas namhaftes
erhalten ist. Er stammte aus Megalopolis und war der Sohn des Lykortas,
eines mit Philopoimen engbefreundeten Strategen des achäischen Bundes.
Diese seine Abkunft und noch mehr seine eminente Begabung bahnten ihm
früh den Weg zu hervorragender Stellung in seiner Heimat. Noch als
Jüngling erhielt er die Ehrenaufgabe, die Asche des Philopoimen in seine
Heimat überzuführen;^) als junger Mann ward er 181 zu einer diplomati-
schen Sendung an den Hof von Alexandria ausersehen ; ^) im Jahre 169
bekleidete er das Amt eines Hipparchen im achäischen Bunde. ^) Drei Jahre
später nach der Besiegung des Perseus war er unter den 1000 edlen
Achäern, welche als Geiseln nach Rom übergeführt und IG Jahre daselbst
zurückgehalten wurden. Als Gegner der Römer, wenigstens als einer, der
sich der Umarmung Roms erwehren wollte und einer zuwartenden Neu-
tralität das Wort redete, war er nach Rom gekommen; es erging ihm
nicht, wie so vielen in Boccaccios Zeit, die aus dem Besuche Roms die
Verachtung der römischen Zustände mit in ihre Heimat zurückbrachten;
umgekehrt durch den Anblick des römischen Staatswesens und den intimen
Verkehr mit den römischen Grossen wurde er ein enthusiastischer Bewun-
derer Roms') und ein Hauptanwalt der römischen Weltherrschaft. Insbe-
sondere trat er zu. dem Hause des Aemilius Paulus in enge freundschaft-
liche Beziehungen und begleitete den jungen Scipio auf seinen Feldzügen
gegen die Keltiberer und Karthager. Auf solche Weise lernte er das
Räderwerk der römischen Politik aus unmittelbarer Nähe kennen und er-
warb sich zugleich jene ausgedehnten geographischen Kenntnisse, die ihm
') Sehr wegwerfend urteilt über Sosilos,
den Lehrer des Hannibal im Griechischen,
Frag-
Polybios III, 20. Silenos, dem Colins Anti
pater folgte, hatte überdies Sikelika ver-
fasst, welche Athen. 542a citiert.
mente bei Müller FHG. III, 99—102.
'^) Vgl. Plutarch Romul. 3. Die Frag-
mente des Diokles gesammelt von Müller
FHG. HI, 74-79.
^) Suidas u. Jlolvßiog. W. Henzen,
Quaest. Pohjb. de vita, BeÄ. 184:0; Werner,
I)e Pohjhii vita et itinerihus, Berl. 1877.
Sein Geburtsjahr ergibt sich beiläufig daraus,
dass er 181, als er zum Gesandten erwählt
wurde, vEUiieqog Ttjg xccid lovg ro^ovg rjXi-
xiag war (Pol. 24, 6), nach seiner eigenen
Angabe 29, 24 aber das 30. Lebensjahr den
Zugang zu den öffentlichen Amtern eröffnete.
4) Plut. Philop. 20.
^) Pol. 24, 6. Die Gesandtschaft kam
nachträglich nicht zustand; aber Polybios
muss nach seinem eigenen Zeugnis 34, 14
später unter Ptolemaios Physkon, also nach
146, wahrscheinlich 136 mit Scipio, in Ägypten
gewesen sein,
«) Pol. 28, 6. ^
^) Er pries nicht bloss den römischen
Soldaten und das römische Staatsregiment,
er lobte auch ihre Ehrlichkeit und LTnbestech-
lichkeit (6, 56 u. 32, 8).
480 Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
später bei Abfassung seines Geschichtswerkes zu statten kamen. ^ Im Jahre
150 ward ihm mit seinen Genossen nach 17 jährigem Exil freie Rückkehr
nach seiner Heimat gewährt. Aber später kehrte er noch zweimal nach
Rom zurück; im 3. punischen Krieg und im Feldzug gegen Numantia
befand er sich im Gefolge seines Freundes, des römischen Feldherrn Scipio.^)
In den Verwicklungen Roms mit Griechenland ward er von den Römern
vielfach zu politischen und militärischen Sendungen verwendet; dabei be-
nützte er seine Verbindungen mit den römischen Grossen, um bei den
Römern als Vermittler für seine besiegten Landsleute aufzutreten und eine
schonende Behandlung derselben zu erwirken.^) In dankbarer Anerkennung
seiner Verdienste ward er deshalb von vielen griechischen Staaten mit
Ehren überhäuft: die Basis eines Ehrendenkmals mit der Inschrift r^ jioXig
rj 'HXsimv UoXvßiov Avxoqtcc MsyaXoTToXiTrjv ward neuerdings in Olympia
aufgefunden;^) in Megalopolis sah Pausanias VIII, 30 auf dem Markte von
ihm eine Ehrensäule mit einer Inschrift in Versen, die seine Bemühungen
für die Erhaltung griechischer Städte und seine gesetzgeberische Thätigkeit
priesen. Den Tod fand er noch körperlich und geistig rüstig in dem hohen
Alter von 82 Jahren;^) er war bei einem Ritt vom Pferd gefallen und
starb infolge dieses Unfalls um 123.
365. Das Hauptwerk des Polybios waren seine ^Iai:oQiai in 40 B.; er
selbst spricht ausserdem 10, 21 von einer besonderen Schrift über Philo-
poimen in 3 B. und von Kommentaren über Taktik, ß) Nach Geminus,
Isag. in Arat. 13 hat er auch ein geographisches Werk nsQi Tr^g tcsqI t6v
iarjfxsQivov oixrjasMg geschrieben, vielleicht aber war dasselbe nur ein Teil
des ganz der Geographie gewidmeten 34. Buches seiner Historien ; '^) auch
das Buch über den numantinischen Krieg, das Cicero ad fam. V, 12 er-
wähnt, war vermutlich nur ein gesondert herausgegebener Abschnitt der
Historien. Über die Anlage seines Hauptwerkes spricht er sich selbst im
Proömium 1, 1 — 5, sodann im Eingang des 3. Buches und im Epilog (39,
19) ausführlich aus. Danach sollten die 2 ersten Bücher die Einleitung
{TzqoTTaQaaxsvri) bilden und die Geschichte Roms und Karthagos von 264 — 221
oder von dem Zeitpunkt, wo die Geschichte des Timaios aufhörte, bis zum
2. punischen Krieg enthalten. Mit Ol. 124 begann sein eigentliches Werk;
dasselbe war eine allgemeine Zeitgeschichte {rwv xad^olov Ttgayiiärcov 1, 4;
^) PJinius H. N. V, 9: Scipione Aemi-
liano res in Africa gerente Polyhius anna-
lium conditor ab eo accepta classe scrutandi
illius orhis gratia circumvectus. Der Reise,
die er 151/150 in Scipios Begleitung machte,
dürften aber mehrere eigentliche Forschungs-
reisen in die Gegenden Galliens voraus-
gegangen sein.
2) Pol. 39, 6; Diodor 32, 8; Ammianus
Marc. 24, 2.
3) Pol. 39, 14-17; mit Bezug darauf
sagt er 3, 5 von seiner Thätigkeit während
dieser Zeit: ruii' nXsiaroiyv fxrj fiorov avxon-
ry]g «AA' loy fxev avveQyog wv de xal /si-
Qiatijg yeyovEvui.
^) DiTTENBERGEK, Syll. 243; von anderen
Ehrendenkmalen s. Paus. VIII, 9. 1; 30. 8;
37. 2; 44. 5; 48. 8; vgl. Pol. 39. 16. Eine
von Milchhöfer auf dem Boden des alten
Kleitor gefundene und trotz des zu jugend-
lichen Aussehens auf Polybios gedeutete
Reliefstele findet sich in Mitteil. d. arch. Inst,
in Athen Band 6.
5) Ps. Luc. Macrob. 22; Ungee, Philol.
41, 614 f. setzt seinen Tod nicht lange vor
119, da er nach 3, 39 die Vollendung der
Heerstrasse von den Pyrenäen zur Rhone-
mündung erlebt habe.
^) Pol. 9. 20: '^^iv iy roTg ttsqI Tag
rassig vnofj.yrjfA.aaiv dxQißeazsQov dsdTJXcorca.
Dieselben erwähnt auch Arrian Tact. 1 und
Aelian Tact. I, 3. 19.
0 Max Schmidt, Jahrb. f. Phil. 125,
113.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 365—366.) 481
2, 2; 6, 6), die Vorkommnisse in Griechenland, Asien, Italien, Libyen gleich-
massig umfassend. Zur Einheit sollte diese reiche Mannigfaltigkeit ver-
bunden werden durch den leitenden Grundgedanken, wie die verschiedenen
Staaten der damals bekannten Welt allmählich unter die eine römische
Herrschaft gekommen seien. ^) Diese Ausdehnung des römischen Reiches
war zustande gekommen in den Kriegen mit Hannibal, Philipp und An-
tiochus in den Jahren 220 — 168 und wurde von unserem Historiker dar-
gestellt in den Büchern 3 bis 30. Dazu fügte derselbe dann später noch,
indem er, wie er 3, 4 sagt, gleichsam einen neuen Anlauf nahm, die Ge-
schichte von 168 — 146, in welchem Zeitraum sich die Weltherrschaft der
Römer befestigte und sich als notwendig und segensreich erwies. Den
ersten Teil verfasste er schon in Rom vor 150; an den zweiten scheint er
erst später um 132 gegangen zu sein; doch benützte er nicht bloss dazu
ältere, unmittelbar nach den Ereignissen abgefasste Tagebücher, sondern
schuf auch durch spätere Einfügungen die beiden Teile so zu einem Ganzen
um, dass die Fugen der Zusammenfügung kaum mehr erkennbar sind.'^)
Auf uns gekommen sind von dem Werke die 5 ersten Bücher voll-
ständig, 3) sodann umfangreiche Auslesen (ixloyai) aus den ersten 18 Büchern,
erhalten in einem Codex von Urbino, endlich Reste aus dem grossen Ex-
zerptenwerk des Konstantinos Porphyrogennetos. Da wir hier zum ersten-
mal auf dieses Werk zu sprechen kommen, später aber noch öfters auf
dasselbe zurückkommen werden, so seien hier gleich einige Notizen über
die Anlage desselben eingelegt. Der byzantinische Kaiser Konstantinos
(912 — 959) hatte in einer Zeit, wo man aus dem damals noch weit grösseren
Umfang der klassischen Litteratur das Lesenswerte auszulesen und zu prak-
tischen Zwecken zusammenzustellen liebte, aus 18 historischen Werken,
darunter aus Polybios^ Diodor, Dionysios Halik., Josephos, Appian, Dio
Cassius, Nikolaos Damaskenos, Dexippos, Eunapios, Zosimos, Prokopios,*)
Auszüge unter 53 Titeln anfertigen lassen. Von diesen Titeln sind fünf,
Tt8Ql TiQsaßsioov, TisQi ccQSTrjg xul xaxiag, nsgl yvMfXcov, ttsqI ijiißovXihv^ tvsqI
TTohoQxiMv nach und nach bruchstückweise aus dem Dunkel der Bibliotheken
ans Licht gezogen worden; dieselben enthalten umfangreiche Fragmente
aus den genannten Historikern in wörtlichen Anführungen, darunter auch
aus Polybios.
366. Charakteristik. In der Auffassung und Behandlung der Ge-
schichte vertritt Polybios eine neue Richtung, die der pragmatischen Geschichts-
schreibung. 5) Abhold der rhetorischen Phrase, scharf in der Begriffsbestim-
^) Pol. 3, 3: TTMs xal nore xccl &id rl
nccpzcc rd yvMQi^o^spa fisQf] xrjg oixoi\u8Pt]g
vno xrju xujv 'Pojjua.iwp i^vvafxiv iyevero.
2) Nissen, Die Ökonomie der Geschichte
des Polybius, Rh. M. 2G, 241 ff. R. Thommen,
Abfassungszeit der Geschichten des Polybius,
in Herrn. 20, 196 ff. Dagegen erweist ein-
schränkend Haetstein, Philol. 45, 715 ff.,
dass vor 146 Polybius nur die 2 ersten Bücher
publiziert hatte und dieselben später dann ohne
Veränderung in das Gesamtwerk aufnahm.
") Dass gerade 5 Bücher erhalten sind,
wird hier wie bei Diodor und Livius mit der
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2.
zur Zeit der Pergamenthandschriften erfolgten
Einteilung des Gesamtwerkes in Pentaden
und Dekaden zusammenhängen.
^) Die andern, Petrus Patricius, Geor-
gios Monachos (Synkellos), Joannes aus An-
tiochia, Joannes Malalas, Priskos, Malchos,
Menander, Theophylaktos gehören der byzan-
tinischen Zeit an.
'-') ÜLRici, Charakteristik 59--64 und
208-221; P. La-Roche, Charakteristik des
Polybios, Leipzig 1857; Markhausek, Der
Geschichtsschreiber Polybius, seine Welt-
anschauung und Staatslehre, München 1858;
Aufl. 31
482
Griechische Litter aturgeschichte. II. Nachklassische Litter atui*.
mung, ^) konsequent im Denken war er überall bemüht, in das Wesen der Dinge
zu dringen und die Gründe der Handlungen und Ereignisse zu erforschen. Als
letzter Grund galt ihm die Staatsordnung, wie er 6, 1 mit klaren Worten
sagt: fisyiaTf^v alriav i^yrjTsov iv ccttcivti ngäy^iaxi xal TCQog svtvxiav xal
TovvavTiov T}]v Ti;g nokiTsiag avdTaaiv. Dabei erkannte er die Abhängigkeit
der Menschen von der physischen Beschaffenheit des Landes wohl an, verlangte
aber zugleich Korrektur dieser Einflüsse durch die staatlichen Einrich-
tungen. 2) Die Religion hatte ihm keine Bedeutung an und für sich, son-
dern nur als Mittel, die Menge und diejenigen, welche der reinen Weisheit
sich nicht zugänglich zeigen, in Zucht und Ordnung zu halten: wäre es
möglich, sagt er 6, 56, einen Staat aus Weisen zusammenzubringen, so
bedürfte man des Hilfsmittels religiöser Einschüchterung {dsiaidai^ovia) gar
nicht. ^) Für die veredelnde Kraft der Poesie und der geistigen Genüsse
hatte ohnehin der praktische Mann, der überhaupt mehr schon Römer als
Hellene war, kein rechtes Verständnis.^) Neben der Macht der staatlichen
Einrichtungen und der Thatkraft des einzelnen wies er allerdings auch der
Tyche oder Fortuna, die ihm an die Stelle der alten Götter getreten war,
notgedrungen einen Platz an,^) aber sie galt ihm als eine unheimliche Macht,
deren Grenzen einzuengen ihm eine Hauptaufgabe wie des willensstarken
Menschen so auch des einsichtsvollen Historikers zu sein schien.^) Indem
er so mit der höheren Anschauung eines Philosophen der stoischen Richtung
die Aufgabe des Geschichtschreibers erfasste ') und die Geschichte zu einer
Lehrmeisterin der Menschen überhaupt und der Staatsmänner insbesondere
zu machen suchte, forschte er überall nach den Gründen und leitenden
Motiven und wandte der Schilderung der staatlichen Einrichtungen eine
besondere Aufmerksamkeit zu. Gleich im Anfang stellt er die Frage, durch
welche Art der Staatsverfassung die Römer Herrn der Welt geworden seien
(1, 1), und widmet dann fast das ganze 6. Buch der Darstellung des römi-
schen Staatswesens und dieses mit einer Einsicht und Genauigkeit, dass man
etwas besseres über die römischen Altertümer und die Wandlungen der
Staatsverfassungen nicht finden kann. In ähnlicher Weise verfährt er auch
bei anderen Staaten,'^) und wenn er auch manchmal etwas aufdringlich
in den Belehrungen und Zurechtweisungen ist, so folgt man doch gern
einem Führer, welcher der geschichtlichen Auffassung eine grössere Ver-
tiefung und einen weiteren, über die Enge der griechischen Heimat hinaus-
reichenden Horizont gegeben hat.^)
RüD. V. ScALA, Die Studien des Polybios,
Stuttg. 1890, 2 Bde.
') Vgl, die Unterscheidung von aiiUxi,
TtQocpuaFAg, ((Q/m -nQayfxc'aiov 3, 6 u. 32, 8.
^) Diese Idee ist durchgeführt an den
Arkadiern 4, 21.
^) Scharf zieht er 37, 9 gegen diejenigen
zu Feld, welche in Dingen, die von des
Menschen eigener Thätigkeit abhängen, auf
die Götter die Schuld schieben und von ihnen,
statt von sich Hilfe erwarten; vgl. 3, 4.
■*) Seine Abneigung gegen den Idealismus
spricht sich in seiner Beurteilung des pla-
tonischen Idealstaates G, 47 aus: w? «V ft
T(ji}v ccyaXfUKriov rig fV TiQoS^sfiEPog tovto
avyxQLVoi roTg Ct^ac xcclnsnyvfiepoig ap^gdaiv.
^) Pol. 29, 21. F. Baue, De Tycliae in
pragmatica Poh/hü historia, Tub. 1860.
^) Pol, 2, 38; daher bewundert er die
Römer zumeist weil sie durch die Schläge
des Schicksals sich nicht niederschmettern
Hessen.
^) Den gleichen Gesichtspunkt eignete
sich Cicero de or. II, 15 an.
8) Über die Achäer 2, 38.
^) Diese Wandlung der Anschauungstand
wohl in Verbindung mit der Wandlung der
Dinge, der Unterwerfung Griechenlands und
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 366.) 483
Auch nach einer anderen Seite erweiterte Polybios das Gesichtsfeld
der Historie, indem er die Beschaffenheit des Landes und die allgemeinen
Kulturverhältnisse mit in die Betrachtung zog. Die Geographie sah er als
historische Hilfswissenschaft an, ohne welche die Erkenntnis der Ursachen
und das Verständnis der kriegerischen Unternehmungen unvollständig bleibe.
Er hatte sich daher durch ausgedehnte Reisen für sein Geschichtswerk
vorbereitet, hatte Libyen, Iberien, Gallien und das äussere Meer besucht ^)
und sogar, um den Zug des Hannibal zu verstehen, eine damals mit ganz
anderen Beschwerden als heutzutag verbundene Reise über die Alpen ge-
macht. 2) Später um 136 hatte er dann die Gelegenheit ergriffen, um mit
Scipio Ägypten zu besuchen und diese Reise nach Kleinasien und Thrakien
auszudehnen. So gibt er denn in seiner Geschichte eine ausführliche Be-
schreibung von Italien (2, 14 — 17) und vom schwarzen Meer (4, 39 — 44)
und widmete das ganze 34. Buch der Erörterung geographischer Fragen.^)
Dabei geht er über die Figuration des Landes weit hinaus und gibt uns
auch über die Lebensverhältnisse, wie über die Preise der Lebensmittel
in Oberitalien, schätzenswerte Aufschlüsse.'^) In diesen wie in allen
anderen Dingen ist nun zugleich Polybios — und das gibt seiner Geschichte
den Hauptwert — ein strenger Kritiker. Ein aufgeklärter Geist steht er
weit über den Vorurteilen der Menge und entstellt nicht wie Livius seine
Geschichte durch abergläubische Mitteilung von Wundern und Zeichen.
Am liebsten suchte er selbst an Ort und Stelle Aufschluss über zweifel-
hafte Dinge zu erhalten oder von den Originalurkunden, wie den römisch-
karthagischen Verträgen (3, 22 — 28) Einsicht zu gewinnen. Wo er auf
Berichte anderer angewiesen war, übte er strenge Kritik,^) ging er sogar
nicht selten in seinem verwerfenden Urteil über das richtige Mass hinaus.
Belehrend ist sein Exkurs über die epizephyrischen Lokrer (12, 5 — 16),
in welchem er die Angaben des Aristoteles gegen die Tadelsucht des
Timaios in Schutz nimmt; entschieden zu hart ist seine Polemik gegen
Pytheas (34, 5 und 10).
Stil. Die schwächste Seite des Geschichtswerkes unseres Historikers
ist die sprachliche Darstellung. Er war nicht in Attika geboren, noch in den
Rhetorenschulen Athens gebildet worden; er hatte einen grossen Teil seines
Lebens in der Fremde, wo nur selten ein griechischer Klang sein Ohr traf,
zugebracht; er verschmähte grundsätzlich rhetorische Zieraten und die
Schminke der Rede. Seine Vernachlässigung der sprachlichen Form fand
daher scharfen Tadel bei Dionysios, der von seinem beschränkt attikistischen
Standpunkt aus den Polybios zu denjenigen Schriftstellern zählt, die ganz
der Resignation in die neue Lage. Bei Ti-
maios schlug die nationale Ader des Griechen
noch kräftig.
') Pol. 3, 59.
2) Pol. 3, 48.
^) Max Schmidt, De Polyhii geographia,
Berl. 1875; weiteres bei Schenkl, Jahrber.
d. Alt. XI, 1. 231 ff.
*) Pol. 2, 15; 34, 10. Nissen, Ital.
Landeskunde I, 12 urteilt darüber: Seine
Stärke ruht nicht in der Förderung der all-
gemeinen Probleme der Erdkunde, sondern in
der Behandlung der historischen Landschaft.
^) Vgl. 3, 20 : TjQog ^sp ovp Toiavja
T(av avyyQafx^uärcju, ota yQucpSL XctiQsag xcd
^^üiaiXog, ov&€i^ ccv d'toi nXsou XiysLv ' ov yccQ
laroQiag aXXd xovQSccxrjg y.cd 7iapd7Jfj.ov XaXiag
ifxoi ye &oxovaL rd^ty sxsty x(u iSvi'ccfÄir. Vgl.
Valeton, De Vohjbii fontihus et auctoritate,
Utr. 1879; Ad. v. Breska, Unters, über die
Quellen des Polyb. im 3. Buche, Berl. 1880.
31
484
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
durchzulesen man niemand zumuten könne. ^) Im übrigen kann man dem-
selben Klarheit und Bestimmtheit des Ausdrucks nicht absprechen; in der
Vermeidung des Hiatus Hess er sich sogar eine geradezu ängstliche Sorgfalt
angelegen sein. 2) Seine Sprache ist die gemeingriechische (xoivrj), mit wel-
chem Ausdruck der Gegensatz zum Attischen und der Mangel dialektischer
Färbung angedeutet werden sollte. Sie ist charakterisiert durch den Ge-
brauch einer Menge von Wörtern und Wortbedeutungen, die sich bei den
Attikern nicht finden, die aber zum Teil der Begriffssphäre der neuen
Philosophie angehören, zum Teil in den Staatsurkunden wiederkehren 3) und
demnach dem Kanzleistile eigentümlich gewesen zu sein scheinen. Mehr
aber drückt sich ihre Eigentümlichkeit in der Wort- und Satzbildung aus,
vor allem in der ausgedehnteren Anwendung von Nomina abstracta, in den
zahlreichen Neubildungen von abgeleiteten Zeitwörtern [jislexi^iß^ (fOQoXoya'a),
(fvvoQt'co, xaxo7TQay^aov6(o etc.), im Gebrauch von Adverbien statt präpo-
sitioneller Wendungen {Tragado^cog statt TcaQcc 66'^av, vovvsx^Q, Sidaaxa-
hxMg etc.), endlich in dem Umsichgreifen der die alten Yerba umschrei-
benden Phrasen mit noieiad^ai und yiyvea^ai. Durch alles dies bekommt
die Sprache einen eigentümlichen Charakter, der denjenigen, welcher von
Piaton und Demosthenes kommt, fremdartig anmutet.^) Bei solchen aber,
welche sich nicht vom Klange der Sprache leiten Hessen, fand Polybios
und seine gereifte Auffassung der Verhältnisse grossen Beifall. Nament-
lich waren es die Stoiker und die Römer, welche ihm ihre Bewunderung
zollten. Der Stoiker und Historiograph Poseidonios trat in seine Fusstapfen;
Brutus, der ihn vor der Schlacht von Pharsalos las, machte einen Auszug
aus ihm;^) von Livius zwar, der ebenso wie Diodor ihn überall benützte
und ausschrieb,^) wird er mit einem schillernden Ausdruck Jiaudqiiaquam
spernendus auctor (30, 45) genannt, aber Cicero, de rep. II, 14 nennt ihn
rückhaltslos Folyhium nostrum quo nemo fuit in exquirendis temporihus
diligentior.
Cod. Primarius Vatic. 124 membr. s. XI. Die Exzerpte zu 1— XVIII in cod. Urbinas
102, zuerst publiziert von Ursinus (1582). Exe. negl riQsaßsiiot^ in cod. Urb. et codd.
Monac. 185 u. 267, publ. v. Höschel (1603), ttsqI aQsrijg xcd xaxiag in cod. Peirescianus
(jetzt in Tour), zuerst von Valesius veröffentlicht (1634), negl yviofxixiv in cod. Vat. rescr.
73, publiziert von Angelo Mai in Script, vet. nov. coli. II (1827), nsgl intßovh(oy in cod.
Escorial., publ. von Feder (1855) und Müller, FHG. 11 p. V sqq., nsgl nolioQxiütp aus cod.
Athous (jetzt in Paris), publ. von Wescher, PoUorcetique des Grecs (1868).
Ausgaben von Casaubonus, Paris 1609; von Schweighäuser mit Kommentar, 8 Bde.,
Lips. 1789 — 95; von I. Bekker, Berl. 1844, 2 Bde.; von L. Dindorf, neubearbeitet von
Büttner- Wobst in Bibl. Teubn. 1882, dazu Jahrb. f. Phil. 1884 S. 111—122; von Hultsch,
^) Dionys. de comp. verb. 4: roaccvrag
(Jv^TCi^etg xciTslmov, oiag ot'^eig vno^evei
'^) Aus diesem Streben sind manche
Unrichtigkeiten des Sprachgebrauchs, wie
V718Q für neQL vor Vokalen zu erklären.
^) Jerusalem, Die Inschrift von Sestos
(ein langes Ehrendekret aus der Zeit von
120) und Polybios, Wien. Stud. 1, 32—58.
*) Lüttge, De Polybii elocutione, Nord-
hausen Progr. 1863; Stich, De Polybii di-
cendi genere, Acta Erlang. 11, 141-211;
Kälker, De elocutione Polybiana, Leipz.
Stud. III, 217—302; Götzeler, De Polybi
elocutione, Würzb. 1887. Krebs, Die Prä-
positionen bei Polybius, in Schanz Beitr ,
1, 1882. Vgl. ScHENKL, Jahrber. d. Alt.
XI, 1. 233 ff.
^) Suidas u. BQovrog: eyQaxpev ETiiGTo'kag
xal Tiou UoXvßiov rov laroQixov ßißXcjy em-
xo^'^v. Vgl. Plut. Brut. 4. Suidas erwähnt
auch von Skylax eine ^ AyTiyqacpi] nQog xrjp
JloXvßlov laZOQLCCP. I
^) Die Litteratur darüber bei Schäfer,
Quellenkunde 11 2, 32.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 367.) 485
Berl. (1867) 2. Aufl. 1888 mit 'bestem kritischen Apparat. -- Lexikon Polybianum von
Schweighäuser, separater Nachdruck, Oxon. 1822,
367. Die Zeit nach Polybios hat keine hervorragende Historiker mehr
hervorgebracht, am wenigsten griechische Nationalhistoriker. Es begegnen
uns nur noch Darstellungen römischer Geschichte in griechischer Sprache
und kompendiarische Zusammenfassungen der allgemeinen Weltgeschichte.
In letzterer Richtung war der namhafteste Schriftsteller Apollodor, der
um 144 vier Bücher Xqovixä in iambischen Trimetern schrieb. Eine Neu-
bearbeitung und Fortsetzung erhielt dieses vielbenützte, von Cornelius Nepos
ins Lateinische übertragene Kompendium durch Kastor, Schwiegersohn
des von Cicero verteidigten Königs Deiotarus, dessen XQovixd in 6 B. bis
auf 61 V. Chr. herabgingen. i)
Unter den eigentlichen Geschichtschreibern ragte Poseidonios
(128—45)2) hervor, der aus Apameia in Syrien stammte, aber Rhodos, wo
er eine berühmte Schule gründete, zur zweiten Heimat hatte. Von Hause
aus Philosoph und zwar Stoiker, warf er sich doch, dem enkyklopädischen
Charakter der Zeit folgend, mit Vorliebe auf historische und naturwissen-
schaftliche Studien. Mit den bedeutendsten Männern seiner Zeit war er
persönlich befreundet; im Jahre 87 kam er als Gesandter nach Rom, 78 war
Cicero sein Hörer in Rhodos, später besuchte ihn dort zweimal, im J. 67
und 62, Pompeius. Ausserdem hatte er von lebhaftem Interesse für Völker-
kunde und Naturkenntnis getrieben, ausgedehnte Reisen gemacht und kannte
nicht bloss Italien, sondern auch Gallien und Spanien aus eigener An-
schauung. In Gades, dem grossen Handelsemporium des Westens, weilte
er 30 Tage,^) um von dort aus Erkundigungen über den Okean und die
umliegenden Länder einzuziehen. So allseitig vorbereitet schrieb er sein
grosses Geschichtswerk {laiQQiai) in 52 B. Dasselbe sollte eine Fort-
setzung des Polybios sein und umfasste die Zeit von 145— 82."^) Es war
namentlich ausgezeichnet durch den Reichtum an geographischen und
ethnographischen Nachrichten. Ausserdem verfasste er ein eigenes Buch
7T8Qi wxsavov und ein physikalisches Werk MsrsMQoXoyixd, welches der
Astronom Geminus in einen Auszug brachte.^) Arrian im Eingang seiner
Taktik führt ihn auch als Verfasser von Taxtixd an, wie uns ein solches
Werk von seinem Schüler Asklepiodotos auch wirklich erhalten ist.*') Von
^) Nach Suidas war der Rhetor Kastor
aus Rhodos und der aus Galatien 1 Person;
s. Gelzer, lul. Africanus II, 70 if. Derselbe
hiess cpLXoQojfxaiog, wie auch Herodes auf
einer attischen Inschrift CIA. III 550 zu-
benannt ist. Über eine ihm fälschhch zu-
geschriebene rhetorische Schrift s. § 549.
■^) Über ihn ein Artikel des Suidas; viele
gelegentliche Zeugnisse bei Strabon. — Bake,
Posidonü Bhodii reliquiae doctrinae. LB.
1810; ScHÜHLEiN, Studien zuPosidonius Rho-
dius, Freisinger Progr. 1886; Unger, Phil.
41, 630 ff.; Müllenhoff, Deutsche Altertums-
kunde II, 126 ff, - Über einen älteren Hi-
storiker Poseidonios aus der Zeit des Make-
donerkönigs Perseus s. Müller, FHG. II [,
172,
3) Um 90 V, Chr.; s. Strab. p. 130; Mül-
lenhoff, a. 0, 128.
*) Die Angabe des Suidas eujg rov no-
Xe^ov rov Kvqtjpcüxov xcd UroXsfxaiov ver-
wirft Arnold, Jahrb, f. Phil, Suppl. XIII,
75 - 150, weil uns Fragmente aus der Zeit
bis zur Diktatur Sullas erhalten sind, Müllen-
hoff a, 0. nimmt seine Zuflucht zur An-
nahme einer späteren Fortsetzung des ur-
sprünglich nur bis zum Jahre 99 reichenden
Werkes.
^) Das erhellt aus Simplicius zu Arist.
phys. p. 291, 21-292, 29 ed. Diels.
•*) Auch ein anderer Schüler des Posei-
donios Athenodoros aus Tarsos gab sich
mit historischen Studien ab; s, Müller, FHG.
III, 485—8.
486
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
seinen philosophischen Schriften finden sich namentlich die negl dsMv
und nsQi fiavTixrjg in den entsprechenden Büchern Ciceros benützt. Die
Fragmente bei Bake, Posidonii RJiodii reliquiae ; Müller, FHG. III, 245 — 296.
Ausserdem verdienen noch genannt zu werden Theophanes von
Mytilene, der den Pompeius auf seinen Feldzügen begleitete und eine Ge-
schichte des mithridatischen Krieges, vielleicht auch ein Buch über Malerei
schrieb, 9 Metrodoros aus Skepsis (gest. 70 v.Chr.), der aus einem Philo-
sophen ein Politiker geworden war und in seinen Historien die zeitgenös-
sische Geschichte der Könige Mithridates und Tigranes behandelte,^) Tima-
genes aus Alexandria, der nachSuidas unter Pompeius als Kriegsgefangener
nach Rom kam (55) und dessen blendende Darstellung der Geschichte
Alexanders bei den Späteren, wie insbesondere auch bei Curtius, in grossem
Ansehen stund. ^)
368. Die Geographie blieb auch im alexandrinischen Zeitalter noch
wesentlich mit Geschichte und grammatischer Gelehrsamkeit verbunden,
weshalb wir die meisten Leistungen auf dem Gebiet der Länder- und Völker-
kunde, wie des Dikäarch, Eratosthenes, Pytheas, Apollodor, unter anderen
Kapiteln unterzubringen uns erlauben durften. Hier bleiben uns noch einige
speziell geographische Bücher zu besprechen übrig.'*)
Hanno ^) ist Verfasser der Beschreibung einer um 500 v. Chr. zum
Zweck der Kolonisation unternommenen Rekognitionsfahrt an der West-
küste Afrikas. Das Original ward zu Karthago im Tempel des Saturn
aufbewahrt; auf uns gekommen ist eine in der Zeit der punischen Kriege
gemachte griechische Übersetzung, die leider vor dem Schluss abbricht.
Der interessante Periplus hat auch in der Darwintheorie eine Rolle gespielt,
da er c. 18 die merkwürdige Kunde von den haarigen Gorillamenschen an
der Westküste Afrikas enthält. Ausg. in Müller's, GGM. I, 1 — 14.
Eudoxos war der Verfasser einer IIsQioSog yrjg in mindestens 8 B.,
der auch eine Karte {Ttiva'^) beigegeben war.^) Das Werk war hoch-
berühmt sowohl wegen des Reichtums seines Inhaltes als wegen der an-
ziehenden Form seiner Darstellung.^) Als Verfasser galt schon im Alter-
tum der berühmte Arzt und Astronom Eudoxos von Knidos, der grosse
Reisen unternommen hatte und im späteren Lebensalter in die Akademie
Piatons eingetreten war. Aber da in demselben die östlichen Galater er-
') Müller, FHG. III, 312—6; Arnold,
Untersuchungen über Theophanes u. Posido-
nius, Jahrb. f. Phil. Suppl. XIII, 79-150;
Fabricius, Theophanes und Dellius als Quel-
len des Strabo, Strassb. 1888.
2) Müller, FHG. III, 203—5.
^) Näheres über seine beissende Zunge
bei Schäfer, Quellenkunde 11^ 89 ff. Die
Fragmente bei Müller, FHG. III, 317-323;
ebenda p. 324—7 die Fragmente der gleich-
zeitigen Historiker Ariston des Peripateti-
kers und des Rhodiers Sokrates.
^) Die hauptsächlichsten Nachrichten
über die Geographen jener Zeit verdanken
"wir der Einleitung des Marcianus in die Epi-
tome des Menippos, bei Müller, Geogr.
graec. min. I p. 565 f.
^) Plinius H. N. II, 169: Hanno Car-
tliaginis yotentia florente circumvectus a
Gadibus ad finem, Arabiae navigationem
eam prodidit scripto, sicut ad extera Eu-
ropae noscenda eodem tempore Himilco.
Vgh V, 8. Unger, Philol. Suppl. 4, 197 ff.
u. Rh. Mus. 38, 182 sucht zu beweisen, dass
erst zwischen 390 und 370 der Periplus ver-
fasst sei.
^) Schol. in Dionys. perieg. in Müller's
Geogr. gr. H, 428, 9 u. 15.
^) Plut. Ne Buav. quid, c. 10; Philostr.
Vit. soph. p. 5, 4 K.; Aeneas Theophr. 72.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreibung. (§ 368.) 487
wähnt waren') und sein Verfasser 120 Jahre vor Geminus lebte, 2) so hat
derselbe nicht vor 280 v. Chr. geschrieben und kann nicht mit jenem
berühmten Eudoxos aus Knidos identisch sein. Wahrscheinlich war er eine
Person mit dem Historiographen Eudoxos aus Rhodos.^)
Timosthenes aus Rhodos, Befehlshaber der Flotte des zweiten Pto-
lemäus, war Verfasser eines von Eratosthenes stark benützten, von Strabon
abfällig beurteilten Werkes res gl Xiixsvmv in 10 B., von dem der Verfasser
selbst einen doppelten Auszug {sTiiTofirj und azadiaryfxog) in je 1 Buche
gemacht hatte. ^)
Mnaseas aus Paträ, angeblicher Schüler des Eratosthenes, schrieb
eine, mindestens 8 B. umfassende Periegese, deren Teile unter den Titeln
EvQMTTrp ^Aaiccy Aißi)}] citiert werden. Der Verfasser war ein Anhänger
des Euhemeros und behandelte Mythen wie historische Thatsachen. Frag-
mente bei Müller, FHG. III, 149—158.
Hipparchos von Nikäa (um 130), der bahnbrechende Astronom und
Mathematiker, hat sich auch um die mathematische Geographie in Be-
kämpfung und Verbesserung des eratosthenischen Systems grosse Verdienste
erworben. Wir kennen dieselben nur aus den Anführungen bei Späteren,
namentlich bei Strabon.^)
Agatharchides von Knidos, um 250 geboren, schrieb in hohem Alter
unter Ptolemaios VI. für seinen königlichen Zögling ein Buch tisqI rrjg
sQvd^qäg ^akdaarjg. Ein Vorgänger Strabons, verband er geographische
Studien mit historischen; sein umfangreiches Hauptwerk 'lazoQixd be-
handelte in 10 B. die Geschichte Asiens, in 48 die Europas. Auszüge
daraus gibt Photios cod. 213 und 250. Fragmente bei Müller, FHG. III,
190—197 und GGM. I, 111—195.
Artemidoros aus Ephesos um 100 v. Chr. verfasste nach ausge-
dehnten Reisen eine von Strabon, Plinius, Pausanias,^) Agathemeros fleissig
benützte Geographie in 11 B., von der eine ganz dürftige Epitome (Müller,
GGM. I, 574 — 6) auf uns gekommen ist.')
Skymnos aus Chios wird nach einer Vermutung von Holstein und
Is. Voss^) als Verfasser eines anonym auf uns gekommenen, am Schlüsse
verstümmelten Abrisses der Geographie der 3 Erdteile ausgegeben. Der
Abriss ist in iambischen Trimetern nach dem Vorbild des Apollodor ge-
') Aelian H. A. 17, 19.
2) Geminus, Isag. in Arat. Phaen. 6.
^) Dieses Verhältnis ist klar gelegt von
Brandes, Über das Zeitalter des Astronomen
Geminos und des Geographen Eudoxos, in
Jahns Arch. 13 ßd. (1847) S. 199—230, wo
zum Schluss auch die Fragmente gesammelt
sind. Nur eine schwache Seite hat die
Untersuchung in dem Ansatz des Geminus
auf 140 V. Chr., der zu hoch gegriffen ist,
wenn Geminus einen Auszug aus des Posi-
donios Meteorologika anfertigte. Über den
Rhodier Eudoxos siehe Rohde, Gr. Rom.
263 Anm. 3.
^) Siehe Marcian in Müller's GGM. I,
566; E. A. Wagner, Die Erdbeschreibung des
Timosthenes von Rhodos, Leipz. 1888. Mehr
das Historische war berücksichtigt von M e n e -
krates, einem Schüler des Philosophen Xeno-
krates, in seinen Kzioeiq und IIsQLodog iXXrj-
anovriaxi], s. Müller, FHG. H 342 — 5.
°) Bekger, Die geographischen Frag-
mente des Hipparch, Leipz. 1869.
^) Paus. V, 5. 9 meint unseren Arte-
midor mit axovaccg dp^Qog ^EcpEaiov Xeyco
roV Xoyop, s. Enmann, Jahrb. f. Phil. 1884
S. 510. Nach Kalkmann, Pausanias S. 159 ff.
hat Pausanias den Artemidor nicht direkt
benützt.
'^) Vgl. Marcian bei Müller, Geogr. gr.
min. I p. CXXXI.
^) Bezweifelt wird diese Vermutung von
Müller, Geogr. gr. min. I p. LXXIV. sq.
488 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
schrieben und einem König von Bithynien, Nikomedes mit Namen, ge-
widmet; ob darunter Nikomedes IL (147 — 95) oder III. (95 — 75) gemeint
sei, ist strittig. 0
b. Die Philosophie. 2)
369. Auch in der Philosophie hatte die griechische Spekulation mit
Piaton und Aristoteles ihren Höhepunkt erreicht. Deshalb hörte aber doch
die Philosophie noch nicht auf, einen wichtigen Faktor in dem Leben und
der Litteratur der Griechen zu bilden. Umgekehrt pulsierte seit dem Unter-
gang der politischen Freiheit das geistige Leben von Hellas zumeist in
den Philosophenschulen. Aber es war weniger das spekulative Denken
und Schaffen, das in den Sekten der Akademie, des Peripatos, der Stoa,
des Gartens blühte; der unbefangenen Forschung stand viel eher gerade
die Geschlossenheit und gegenseitige Feindschaft der Schulen hindernd im
Wege. Dagegen war es in einer Zeit der allgemeinen Auflösung des Götter-
glaubens vorzüglich die Philosophie, welche dem sittlichen Handeln der
Menschen Kraft und Richtung gab. Die Philosophie trat auf solche Weise
über den engen Kreis der Denker von Beruf hinaus und ward gewisser-
massen die Religion der Gebildeten. Viele der namhaftesten Dichter und
Historiker nahmen zugleich Stellung zur Philosophie. Der Komiker Me-
nander neigte zu Epikur, der Epiker Arat zur Stoa, die Satiriker Meleager
und Menippos bekannten sich als Kyniker, Poseidonios kann ebensogut den
Historikern als den Philosophen zugezählt werden. Und über Hellas hinaus
übte die Philosophie ihre Macht auf die Gebildeten der neugegründeten
Reiche. Von dem Herrscher Makedoniens Antigonos Gonatas ist es be-
kannt, dass er der stoischen Philosophie anhing und mit Stoikern, wie
Persaios und Zenon, intim zu verkehren liebte. Besonders aber unter den
Römern schieden sich seit der ersten Berührung mit griechischer Litteratur
die Gebildeten unter den Staatsmännern und Schriftstellern nach ihrer Stel-
lung zu den verschiedenen Philosophenschulen ; speziell die Stoa bildete als
Glaubensbekenntnis der charakterfesten Verteidiger des oligarchischen Frei-
staates eine grosse politische Macht.
Auch auf die Richtung des Stils übte die Philosophie Einfluss. Es
war nicht bloss der Verlust der Freiheit und die Einschnürung des öffent-
lichen Lebens, was die Beredsamkeit nach Alexander in den Hintergrund
drängte, auch der nüchterne Wahrheitssinn der Philosophen trat dem Wort-
gepränge der Rhetorik feindlich entgegen. Hatte schon Aristoteles einen
nackten, lediglich dem Ausdruck des Gedankens dienenden Stil ausgebildet,
so vernachlässigten jetzt die Philosophen geradezu die Feile des Ausdrucks
und bekämpften die phrasenhaften Schlagwörter der Rhetorik. 3) Da zu-
gleich die Philosophie eine stärkere Richtung auf das Ethische nahm, so
wurden die Zierereien der Rhetoren durch die Kernsprüche der Philosophen
^) Unger, Fhilol. 41, 613. Ausg. in
Müller, GGM. l, 196—237.
'^) Die allgemeine Litteratur s. oben § 273.
^) Daher der scharfe Tadel des Rhetors
Dionysios de comp. 4 über die Stilvernach-
lässigung des Stoikers Chrysippos. Die An-
schauungen des Chrysippos und seiner Kon-
sorten spricht Seneca ep. 100, 3 aus: oratio
solUcita philosoplmm non decet.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, b) Philosophie. (§ 369-370.) 489
und die Moralpredigten der Kyniker abgelöst. Von den letzteren geben
uns die durch Stobäus erhaltenen Reste der Erbauungsreden des Kynikers
Tel es (gegen Ende des 3. Jahrhunderts) nsQl tov ixrj sivai rsXog rjdovrjv,
nsgl avxaQxsiag, ttsqI (fvy^g einen Begriff. ^) Verwandter Art, nur mit mehr
Salz durchlau cht waren die Sermonen (ßia%Qißai) des Bion von Bory-
sthenis (3. Jahrhundert) 2) und des Kynikers Menippos, die später in
den Satiren der Römer und den Dialogen des Lukian von neuem auflebten.
B70. Philosophenschulen. Man charakterisiert die Philosophie
unserer Periode als Sektenphilosophie, weil sich in ihr die verschiedenen
Richtungen schärfer voneinander sonderten und in geschlossenen Schulen
(aiQf-asig) sich entgegentraten. Es hing diese Spaltung mit der Verengerung
des wissenschaftlichen Horizontes und der Popularisierung der Philosophie
zusammen; denn je mehr sich das Interesse um wenige Fragen der Ethik
und der Wissensmöglichkeit konzentrierte, desto schärfer traten die Gegen-
sätze hervor, und je mehr unselbständige Anhänger sich um die hervor-
ragenden Lehrer scharten, um so grösser wurde das Kampfgeschrei. Alle
die verschiedenen Systeme fanden ihre Ausbildung und hatten ihre Ver-
tretung in Athen. •'^) Die Häupter der Schulen zwar stammten zum grossen
Teil von auswärts, Zenon aus der phönikischen Stadt Kition in Kypern,
Chrysippos aus Soloi in Kilikien, Metrodoros aus Lampsakos; aber in Athen
lehrten sie, und Athen war der Sammelpunkt ihrer Anhänger. Erst gegen
Ende unserer Periode wurden auch andere Städte, wie Rhodos, Tarsos, Rom
Sitze von philosophischen Zweigschulen. In Pergamon und Alexandria
konnte wohl Gelehrsamkeit und eine höfische Kunstpoesie gedeihen, aber
für die Freiheit des Denkens war allein das eigentliche Griechenland der
fruchtbare Boden. In Athen hatten nur zeitweise die Philosophen Anfech-
tungen zu erfahren, indem im Jahre 306/5 Sophokles ein Gesetz ein-
brachte,*) das die Verjagung der Philosophen aus Athen bezweckte.
Aber das Gesetz scheiterte an dem Einfluss des Theophrast, und von da
an bildete bis auf Justinian Athen eine Freistätte der verschiedensten phi-
losophischen Lehren. Die Anhänger der einzelnen Schulhäupter bildeten
hier geschlossene Vereine, an deren Spitze in regelmässiger Folge [SiaSoxr])
ein Vorstand als Nachfolger des Stifters stund. Die Mitglieder fanden sich
täglich zum Studium und Vortrag, ausserdem jeden Monat einmal zu einem
gemeinsamen Mahle zusammen. Für ein gemeinsames Heim war bei den
meisten durch die Stiftung eines mit Bibliothek und wissenschaftlichen
Sammlungen ausgestatteten Platzes gesorgt, in welchem der Satz xoivd rd
Twv (fiXwv seine volle Geltung hatte. Religiöse Weihe hatte dieser Sammel-
platz und damit die ganze Genossenschaft dadurch, dass sich daselbst die
^) WiLAMOWiTz, Der kynische Prediger
Teles, Phil. Unt. IV, 292 ff. — Teletis re-
liquiae ed. 0. Hense, Freib. i. Br. 1889.
■^) Hense 1. J. prol. XLV sqq. Horaz ep.
II, 2. 60: Bioneis sermonihus et sale nigro,
wozu der Scholiast Ps. Acron bemerkt: sunt
autem disputationes Bionis philosophi, qui-
hus stultitiam vulgi arguit, cui paene con~
xcntiunt carmina Ijuciliana. Ric. Heinze,
])c Horatio Bionis imitatore, Diss. Bonn 1889.
^) ZuMPT, Bestand der philosophischen
Schulen in Athen und die Succession der
Scholarchen, in Abh. d. Berl. Akad. 1844;
WiLAMOwiTZ, Die Philosophenschulen und
die Politik. Phil. Unters. IV, 178—234 und
2ß3 291
4) Ath. 810e. Unger, Jhrb. f. Phil. 135
(1887) S. 755 erklärt sich für d. J. 315,
indem er unter dem dort erwähnten Deme-
trios den Phalereer versteht.
490 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Bilder teils der Musen, teils der als Heroen im frommen Andenken der
Jünger fortlebenden Stifter der Schule befanden.
371. Unter den verschiedenen Schulen stelle ich voran die Akademie;
sie war die älteste und hatte seit ihrem Gründer Piaton eine ununterbro-
chene Nachfolge.') In unserer Periode nahm ihre Lehre durch Arkesi-
laos (315 — 241) und Karneades (214—129) eine andere Richtung, die
man als die der mittleren Akademie zu bezeichnen pflegt. Der erstere,
angeregt vermutlich durch den Skeptiker Pyrrhon aus Elis, trat gegen den
Dogmatismus der Stoa auf, indem er an die Stelle der Gewissheit des
Wissens die blosse Wahrscheinlichkeit {Tri^avoTrjg) setzte und demgemäss
in allen Fragen mit der Zustimmung zurückzuhalten {sTtt'xsiv) und die Sache
nach zwei Seiten zu erwägen {in utramque partem disputare) empfahl. Er
selbst hatte aus lauter Zweifel, wie man sagte, nichts geschrieben. 2) Darin
war ihm auch sein einflussreicherer Nachfolger Karneades ähnlich, von
dem nach Diogenes 6, 62 nur einige Briefe an Ariarathes, König von
Kappadokien, existierten. Derselbe war indes nicht bloss ein gewandter
Dialektiker im Streit mit den Stoikern, sondern übte auch durch die Ge-
sandtschaft, welche er zugleich mit dem Stoiker Diogenes und dem Peri-
patetiker Kritolaos im Jahre 156/5 nach Rom unternahm, grossen Einfluss
auf die Entwicklung der philosophischen Studien in Rom. 3) Zur alten
Lehre der Akademie lenkten wieder im 1. Jahrhundert vor unserer Zeit-
rechnung Philon von Larissa und Antiochos von Askalon zurück, indem
sie zugleich in eklektischer Weise das Gemeinsame der verschiedenen
Schulen aufsuchten und die Schärfe der Polemik zu mildern suchten. Hörer
des letzteren war im Winter 79/8 Cicero, der uns in seinen Academica zu-
meist über diese Wandlungen der Akademie Aufschluss gibt.
Die Peripatetiker verehrten als ihr Haupt den Aristoteles, aber die
Schule, ein Garten mit Altar, Bildern der Musen, Weihgeschenken und
Hallen (TisqiJiaroi) stiftete erst sein Schüler Theophrast. Einer von dessen
Nachfolgern, Lykon aus Troas, entfaltete während seiner fast halbhundert-
jährigen Vorstandtschaft (270 — 226) in der Ausstattung der Räume und
der Veranstaltung von Symposien einen übertriebenen Luxus,*) aber bei
dem Mangel gesicherter Revenuen kam die Schule früh herunter und hatte
in den letzten Zeiten unserer Periode nur noch eine ideelle Kontinuität.
In der Lehre hielten sich die Peripatetiker strenger an die Grundsätze
ihres Meisters und Stifters; nur Straten, der Nachfolger Theophrasts,
warf den reinen, bewegungslosen Geist (vovq) ganz über Bord und nahm
nur die Natur als schöpferische Kraft des Seienden an, wovon er den Bei-
namen 0 (fvaixog erhielt. Im übrigen gewann bei den Peripatetikern die
Neigung zur Spezialisierung der Wissenschaft und zur Pflege der histori-
schen Forschung immer mehr die Überhand.^) Wie keine der übrigen
1) Siehe § 291.
^} Diog. 4, 30: (ficc ro tisql Tiävjiov ine-
/sip ovde ßißliop, cpuai riveq, avveyQcixpEv.
^1 Grossen Anklang fand allerdings ge-
rade bei den besten, willensstarken Römern
jenes Schwanken zwischen 2 Meinungen
nicht, ebensowenig wie die nagado^og svgs-
ailoyia der skeptischen Akademiker bei dem
Stoiker Polybios 12, 26.
4) Ath. 547 d nach dem Bericht des
Antigonos Karystios.
5) Vgl. § 309 u. 378-384.
■
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, b) Philosophie. (§ 371 -372.) 491
Schulen hat die peripatetische auch ausserhalb Athens in Alexandrien An-
hänger und namhafte Vertreter, wie Hermippos und Satyros, gefunden.
372. Den grössten Einfluss hatte unter den philosophischen Schulen
die Stoa, so benannt nach der mit Gemälden des Polygnot geschmückten
Halle ((TTod TToixihj), in welcher der Begründer der Schule, Zenon von
Kition in Kypern (um 345 — 265)^) zu lehren pflegte. Derselbe war aus-
gegangen von der Lehre des Kynikers Krates, hatte sich aber ein eigenes,
über den beschränkten Gesichtskreis der Kyniker hinausgehendes System
gebildet. Ein eigenes Heim scheint er für seine Schule nicht gestiftet zu
haben. 2) Unter seinen zahlreichen Schülern waren am berühmtesten sein
Landsmann Persaios, der Lehrer und Freund des Königs Antigonos Go-
natas von Makedonien, Aristo n von Chios, der populäre Morallehrer,
der von seiner einschmeichelnden Redegabe den Beinamen Sirene er-
hielt, Kleanthes aus Assos, Nachfolger des Zenon im Scholiarchat. Lit-
terarischer Begründer und Hauptvertreter der Stoa wurde Chrysippos
aus Soloi in Kilikien (um 280 bis 207),^) der seinem Lehrer Kleanthes
in der Vorstandschaft der Schule folgte und in zahlreichen Schriften alle
Seiten der stoischen Lehre darstellte.^) Seinem Ansehen und seiner Gelehr-
samkeit gegenüber traten die jüngeren Stoiker Diogenes der Babylonier
und Antipater von Tarsos zurück. Zu neuer Blüte gelangte die Stoa
durch Panaitios (170 — 100), '') der in Rom mit den bedeutendsten Staats-
männern seiner Zeit, Laelius und Scipio Africanus, in vertrautem Umgang
lebte und dadurch, dass er zwischen Gut und Schlecht das Schickliche
(iTQoarjxov) einschob und überhaupt sich gegen die Ansichten anderer Schulen
empfänglicher zeigte, <^) die doktrinäre Starrheit der älteren Stoa durch-
brach. Gegen Ende unseres Zeitraums nahm durch den Einfluss der stoischen
Pergamener auch die Stoa eine Wendung zur gelehrten Polyhistorie. Haupt-
vertreter dieser Richtung war Poseidonios, der durch seine vielseitige
Gelehrsamkeit die Aufmerksamkeit des Pompeius und Cicero auf sich zog.'')
Ihre welthistorische Bedeutung und ihren Einfluss auf die Zeitgenossen
verdankte die Stoa der Strenge ihrer sittlichen Grundsätze und dem kosmo-
politischen Charakter ihrer Lehre. In derselben gingen sie von dem Ideal
des Weisen aus, welcher dadurch, dass er die Vernunft zur Herrschaft
erhebe und nach ihrer Weisung (avyxaTäd^^aig) die Affekte (ncc^rj) regele,
das menschliche Handeln in Einklang mit der Natur ((pv(ng) und der in
der Natur verbreiteten Weltvernunft bringe. Ausgeprägt haben sie diese
^) Über die unsichere Überlieferung der
Lebenszeit s. Zeller IIP, 1. 27 f. In dem
Brief an Antigonos (Diog. YII, 8), dessen
Echtheit Zeller anzweifelt, bezeichnet er sich
als achtzigjährig.
'^) Über seine Schriften, von denen uns
nur triimmerhafte Reste erhalten sind, s.
Wachsmuth, De Zenone et Cleanthe, Ind.
Gott. 1874.
^) Apollodor bei Diog. 7, 184 und Suidas
lässt ihn 73 Jahre alt Ol. 143 sterben. Nach
Diog. 7, 183 rühmte man von ihm:
si (j,i] yccQ rjv XQvatnnog, ovx «V tjy aroa.
Von seinen Schriften werde ich unten § 376
handeln.
^) Als litterarischer Vertreter der Stoa
erscheint er bei Horatius sat. I, 3. 126: non
nosti, quid pater, inquit, Chrysippus dicat?
'') So bestimmt die Zeit Unger, Philol.
41, 625.
^) Cic. de fin. IV, 28. 79 : semper liabuit
in ore Platonein, Aristotelem, Xenocratem,
Theophrastum, Dicaearchum. Vgl. Zeller
III =\ 1. 560 fr.
^) In Pergamon ward diese gelehrte
Richtung durch Krates, in Rom durch
Varro vertreten.
492
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
erhabene, mit strenger Konsequenz durchgeführte Ethik in den weltberühm-
ten, wenn auch von Spöttern teilweise als paradox verschrieenen Sätzen: i)
TsXog sivai t6 ofioXoyovfxsvMg tf (fvasi ^rjv [naturae convenienter vivere) '
aya^d sivai zag agszäg, xaxd 6^ xd h avTia, nävxa xdXXa dSidcfoqa ' ndvx'
si noisTv Tov aog)6v, tov (focpov slvm judrov TtXovaiov xal sXevd^sQOv'^) %o
Sixaiov (fv(f€i elvai xal (xt] ^sdst'^) rtdvTag dvd^QCOTVOvg sivai SrjfxoTag xal
TToXkag^ 6va Sa ßiov xal xocTf^iov.^) Daneben aber haben sie doch auch die
beiden anderen Teile der Philosophie, die Physik und Logik, nicht ganz
vernachlässigt. In der ersteren schlössen sie sich mit der Lehre vom
Feuer, aus dem die Welt mit Einschluss des körperlich gedachten Geistes
entstehe und in das sie sich durch Ausströmung (exTivgcoaig) wieder auf-
löse, an Heraklit an; über ihn gingen sie hinaus mit der pantheistischen
Annahme einer alles beherrschenden und nach festen Gesetzen {xa^' sißag-
füsvrjv) sich bewegenden Weltvernunft. Damit hängt der breite Raum zu-
sammen, den in ihrer Philosophie die religiösen Fragen über das Dasein
Gottes, das Walten der göttlichen Vorsehung, die Mantik und die allego-
rische Auslegung des Volksglaubens einnahmen."') In der Logik verfolgten
sie mit der Richtung auf positive Wissensmöglichkeit die verschiedenen
Stufen des menschlichen Erkennens: die sinnliche Wahrnehmung, die Vor-
stellung vermittelst des von der Seele erfassten und derselben sich ein-
prägenden Bildes {(favxaaia xaTahjrmxrj, comprehensio), die allgemeinen,
teils von vornherein in dem Menschengeist schlummernden {xoival evvoiai
oder 7TQolrjip€ig, communis consensiis), teils erst durch Nachdenken und
Schlussfolge gewonnenen Gedanken und Sätze. Mit der Logik und Dia-
lektik verbanden sie das Studium der Grammatik, indem sie die Wörter
als Zeichen der Vorstellungen ansahen.^)
373. Den Gegensatz zu den Stoikern bildeten die Epikureer: hatten
sich jene an die Kyniker und Heraklit angeschlossen, so diese an die
kyrenaische Schule und Demokrit, indem sie einerseits in ihren ethischen
Anschauungen von dem Hedonismus des Aristipp ausgingen, anderseits in
der Lehre von der Weltentstehung und der durch Abbilder der Dinge
[imagines) erregten Sinneswahrnehmung die Atomenlehre Demokrits wieder
aufnahmen; hatten jene die Lebensaufgabe in die Tugend und das natur-
gemässe Leben gesetzt, so fanden diese das Lebensglück in der Lust {rjSovrj),
die sie von der Befriedigung sinnlicher Triebe nicht trennten; hatten jene
*) Cicero, Paradoxa Stoicorum, Plutarch,
^Oti naQadoHrsQa ol ItmixoI twv -noirjtMV
"keyovaiv. Die einzelnen Belegstellen bei
Ritter-Pkellek, Hist. phil. c. 413. 415. 420—1.
2) Ins Lächerliche gezogen durch Herein-
ziehung des sutor sapiens durch Horaz, sat.
T, 3. 124 ff.
3) Horaz sat. I, 3. 111 stellt entgegen
die Lehre des Epikur: iura inventa metu
iniusti fateare necessest, nee natura potest
iusto secernere iniquum.
^) Wenn hervorragende Stoiker in Rom
Republikaner waren, so kann man doch nicht
sagen, dass die republikanische Staatsform
von den Stoikern gepredigt wurde oder auch
nur eine Konsequenz ihrer Lehre war; wohl
aber hat der Epikureismus mit der Verherr-
lichung des gemächlichen Privatlebens dem
Despotismus der römischen Kaiserzeit in die
Hände gearbeitet.
^) Näheres unten bei Apollodor, Hera«
kleitos, Cornutus; vgl. Zeller IIP, 1. 309 ff.
6) Diog. 7, 41; Cic. de fin. II, 6. 17;
Prantl, Gesch. d. Log. I, 401 ff.; R. Schmidt,
Stoicorum grammatica, Halle 1839. Die 4
Kategorien der Stoiker, x6 vnoxeijueyoy, rd
notoy, ro rnog e/ov, i6 rrgög n nujg h/ov
scheinen den Redeteilen ovofxa, nQoarjyoQicc,
Qfj/ncc, üvvösoixog entsprochen zu haben.
I
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, b) Philosophie. (§ 373—374.) 493
die Beteiligung am politischen Leben als Pflicht des Weisen hingestellt, so
befürchteten diese von den Geschäften und den Stürmen des öffentlichen
Lebens eine Störung der Seelenruhe (araQu^ia); hatten jene der Ver-
nunft das Zepter in die Hand gegeben und die vernunftgemässe Weltord-
nung mit dem Gottesbegriff identificiert, so erhoben diese gleich im Anfang
ihrer Kosmogonie mit der Lehre von der Deklination der Atome den Zu-
fall oder die Tvxt] zur herrschenden Macht ^) und zogen sich bezüglich des
Gottesglaubens auf den skeptischen Satz zurück, dass es entweder gar
keine Götter gebe oder dass doch dieselben sich um die menschlichen Dinge
nicht kümmern. 2) Im übrigen waren die Epikureer wie die Stoiker Dog-
matiker, welche auf die Unfehlbarkeit ihrer Lehre pochten und ihre An-
hänger auf gewisse Hauptsätze gleichsam verpflichteten, dabei in gleicher
Weise der Ethik und den Fragen des praktischen Handelns vor der theo-
retischen Forschung den entschiedenen Vorzug gaben. Der tiefere Grund
ihres Unterschiedes ging auf die Gegensätze des heiteren, menschenfreund-
lichen, aber auf der Oberfläche verharrenden lonismus und des kosmo-
politischen, von orientalischen Elementen durchtränkten Hellenismus zurück.
Unter den Begründern und Lehrern der Stoa waren auffällig viele Männer aus
dem Osten, ihre Schulen waren allwärts in den hellenischen Reichen ver-
treten; der Epikureismus hingegen hatte seine eigentliche Stätte in Athen, er
reflektierte die Feinheit und Freiheit des attischen Privatlebens und galt daher
auch später den Christen als der Inbegriff des griechisch-heidnischen Geistes.
Begründer der epikureischen Schule war Epikur (341 — 270), der zu-
gleich auch für ein sicheres Heim der Schule sorgte, indem er in seinem
Testament den zwischen der Stadt und der Akademie gelegenen Garten
(xrJTiog) seinen natürlichen Erben mit der Auflage vermachte, denselben
seinem Schüler Hermarchos und dessen Nachfolgern in der Schule zum
Gebrauche zu überlassen. Freund und Lehrgenosse des Epikur war Me-
trodoros aus Lampsakos, der aber noch vor dem Tode des Stifters der
Schule starb. Ein anderer jüngerer Genosse, den wir aus den Gegen-
schriften des Plutarch näher kennen, 3) war Kolotes aus der gleichen Stadt,
der in aggressiver Weise die Lehre des Meisters gegen dessen Gegner ver-
teidigte. Auch die epikureische Lehre hat sich wie die stoische nicht bloss nach
Rom verbreitet, wo sie an dem Dichter Lucretius Carus einen begeisterten
Anhänger fand, sondern auch noch im 3. und 4. Jahrhundert unserer Zeit-
rechnung dem Ansturm der christlichen Schriftsteller hartnäckigen Wider-
stand geleistet. Aber trotz dieser langen Zeit ihres Bestehens hat die
epikureische Philosophie nur einen sehr geringen Ausbau und fast gar keine
Weiterentwicklung erfahren; mehr wie die Stoiker blieben die Epikureer
einfach bei den kanonischen Sätzen ihres vergötterten Meisters stehen.
374". Neben diesen 4 grossen Schulen erhielten sich noch aus früherer
Zeit die Kyniker,^) die zwar keine geschlossene Schule bildeten, aber mit
^) Damit hängt die immer mehr um sich
greifende Verehrung der Tv^t] oder Fortuna
zusammen.
'^) Im IG. und 17. Jahrhundert erwach-
ten wieder unter den philosophisch angeleg-
ten Philologen die gleichen Gegensätze.
Hauptvertreter derselben waren Lipsius, Ma-
nuductio ad Stoicam 'pliilosopliiavi, Ant-
werpen 1(504. und Gassendi, De vita mori'
bus et doctrina Epicuri, LB. 1647.
•') Vgl. unten § 481.
4) Siehe oben § 278 u. 3G9.
494
Griecliische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
ihrer kernigen Moral und ihrer drastischen Sprache grossen Einfluss auf
die einfachen Leute aus dem Volke übten. Der geistreichste Vertreter der-
selben war Krates, Zeitgenosse des Theophrast, aus einem vornehmen
Geschlechte Thebens, der den ererbten Reichtum verschmähend sich nach
Athen wandte, um ein eifriger Anhänger des Kynikers Diogenes zu wer-
den. ^) Dabei besass er ebenso die Kraft eindringlicher Rede wie die Kunst
poetischen Spieles. Von seinen beissenden lamben und seinen Scherzen in
fliessenden Hexametern (8Trrj) und Distichen ist uns noch mancher hübsche
Rest erhalten. 2) Die Echtheit der 36 meist ganz kurzen, an Freunde und
Freundinnen gerichteten Briefe unterliegt schweren Bedenken.^) Aus der
kynischen Schule gingen auch die schon oben erwähnten Moralpredigten
und witzigen Satiren des Teles, Bion und Menippos hervor.
Im Gegensatz zu den dogmatischen Schulen gewannen schon in unserem
Zeitraum steigenden Einfluss die S k e p t i k e r. Hauptvertreter des älteren Skep-
tizismus waren Pyrrhon aus Elis (um 365 — 275) und Timon der Sillograph
aus Phlius, welche beide zugleich in dem Verzicht auf sicheres Wissen eine
Quelle der Gemütsruhe und Glückseligkeit fanden. Neuen Aufschwung nahm
die Opposition gegen die von den Stoikern ebenso wie von den Epikureern
vorausgesetzte Möglichkeit sicheren Wissens durch Ainesidemos aus dem
kretischen Knossos, der in der Zeit Ciceros lebte und dessen Einwände
sich der jüdische Philosoph Philon in der Schrift über die Trunkenheit
(rtsQi (i&d^rjg) c. 41 — 48 aneignete.^)
375. Die Zahl der Philosophen unserer Periode war gross, ihr Ein-
fluss auf das geistige Leben der Zeit hochbedeutsam; auch ihre Systeme
lassen sich noch ziemlich vollständig rekonstruieren, aber in der Litteratur-
geschichte können sie keinen bedeutenden Platz beanspruchen. Viele der-
selben waren geradezu illiterati; Diogenes prooem. 16 hebt insbesondere
von Stilpon aus Megara, Pyrrhon aus Elis, Menedemos aus Eretria und
Karneades dem Akademiker hervor, dass sie nichts geschrieben haben. Von
dem Stoiker Ariston hielt man nur einige Briefe für echt; von dem Kyniker
Diogenes zählt zwar Diogenes 6, 80 mehrere Schriften auf, fügt aber hinzu,
dass die bedeutendsten Kritiker dieselben entweder alle oder zum grössten
Teil für unecht erklärten. Diese alle haben also in einer Geschichte der
litterae keine Stelle. Aber auch diejenigen, welche ihre Lehre in Schriften
niederlegten, und darunter waren einige, wie der Stoiker Chrysippos, die
sehr viel schrieben, und andere, wie der stoische Eklektiker Panaitios, die
durch glänzende Darstellungsgabe hervorragten, kommen hier wenig in
Betracht, teils weil ihre Schriften, wie die der meisten Peripatetiker, auf
einem anderen Gebiete liegen, teils und hauptsächlich weil sich von ihnen
fast so gut wie nichts erhalten hat. Ich begnüge mich daher im Folgenden
damit, die wenigen Philosophen zu besprechen, von denen ganze Bücher oder
doch erhebliche Bruchstücke auf uns gekommen sind.
') Diog. Laert. VI, 85-93.
2) Bergk PLG. Vielverbreitet waren
nach Diogenes die witzigen Verse:
TLx^si ^((ys'iQix) fxväg dtx\ iccTQÖ) ^Qa/fi-^v,
xoXaxL rdlapTci nivTE, avfißovXio xunyoy,
loQyr] raXcivrov, cpiXoaocpio TQiuißolov.
^) Angeführt sind die Briefe schon bei
Diog. VI, 98, der auch Tragödien von ihm
anführt; Ausgabe in Hercher Epist. gr.
208—217.
^) Siehe v. Arnim, Philo und Aenesidem,
in Phil. Unt. H. 11, S. 53-100.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, b) Philosophie. (§ 375.) 495
Theophrastos (um 372 — 287)^) aus Eresos in Lesbos, ward nach
seines Lehrers Aristoteles Tod Vorsteher der peripatetischen Schule (322
bis 287), 2) die unter seiner 34jährigen Leitung zu grosser Blüte gelangte.
Die Blüte der Schule war wesentlich das Werk ihres Vorstandes, der bei
der Bürgerschaft Athens sowohl als bei den auswärtigen Fürsten Kassander
und Ptolemaios in hoher Achtung stund. Seinem Ansehen ward die An-
nullierung des Gesetzes des Sophokles (306/5) verdankt, das unter Androh-
ung von Todesstrafe die Errichtung und Leitung einer Philosophenschule
von der Genehmigung des Senates und Volkes abhängig machte. 3) In der
Lehre trat Theophrast genau in die Fusstapfen seines Meisters; er hielt
wie jener Vorträge über Philosophie, Naturlehre und Rhetorik^) und gab
auch den meisten seiner Schriften den gleichen Titel, ^) wie 'Avalvrixa,
Tomxd, (J^vaixd, Msracfvaixd^ IIoXiTixd, Jlgoßkrj^aaTa, offenbar weil seine
Vorlesungskurse die gleichen waren und seine Schriften ebenso wie die des
Aristoteles zum grossen Teil die Bedeutung von Kollegienheften hatten.
Die Kunst anziehender populärer Darstellung zeigte er in den ethischen
Schriften ttsqI evSaifxoviag, KaXXia^svrjg r] ttsqI jr&v^ovg, ttsqI (fikiag u. a.,
in denen er von der Strenge rigoroser Tugendlehre abging und auch den
höheren Lebensgenüssen ihr Recht Hess; aus seinem Kallisthenes erwähnt
Cicero Tusc. V, 9 den Ausspruch: vitam regit fortmia non sapienüa. Er-
halten sind uns von ihm:
TleQl (fVTCüv latoQiag 9 B. und ttsqI (fVTMv ahiMv 6 B. Die beiden
Werke unterscheiden sich in ähnlicher Weise voneinander, wie die be-
schreibenden und spekulativen Bücher des Aristoteles über Tiergeschichte;*^)
während aber in der Tiergeschichte das Ansehen des Aristoteles sich auch
nach seinem Tode ungeschmälert erhielt, ward er in dem Gebiete der
Pflanzenkunde von seinem Schüler in Schatten gestellt, so dass des letz-
teren Schriften über Botanik sich erhalten haben, die des erster en früh
verschollen sind.'')
0 Diog. V, 36—57. 99 Jahre erreichte
er nach dem Proömium der XaQaxirJQsg, an
welcher Angabe Meier, Opusc. II, 193 fest-
hält. Wir halten uns an Diog. V, 40 u. 58,
der ihn 85 Jahre alt werden und Ol. 123
gestorben sein lässt.
'^) Die Anekdote über seine Wahl siehe
^) Diog. V, 38: locpoxh'ovg rov ^Jfxcfi-
xXsUfov po^ov siGsvsyxoPTog, fxt]^eva nJÜv
(piXoGocpcop a^oh^jq dcpriysToxhai, uy fxrj rrj
ßovXfj xal IM dijfxu) do^p . sl de fxrj, d^ävatov
Bivca T?;V ^rj^lcip .... top vofxov fxsy lixvQov
tnoh]aciy ^A&rjvaloi, jou de locpoxlea nevze
rccXdpToig iCrjf^icDacty xitd^odop T£ toTg cpiXo-
Gocpoig expYjfpiaciVTo, i'ya xal &e6(pQa(Trog xa-
riXS^oi xal ev roTg o/noloLg eh].
^) Unter den Schriften des Theophrast
befand sich auch eine negl QrjTOQixrjg und
neQi Xt'^e(x)g, s. M. Schmidt, De Theophrasto
rhetore, Halle 1839. Von der göttlichen
Kunst seiner Rede soll er auch den Namen
&e6(pQa(nog erhalten haben, während er von
Hause aus den unverständlichen Namen
TvQxa^og hatte; s. Cic. Orat. 19, 62; Quint.
XI, 83; Strabon XIII p. 618. Dinarch und
Demetrios aus Phaleron werden Schüler des
Theophrast genannt, so dass er wie Aristo-
teles früh mit rhetorischen Vorträgen hervor-
getreten sein muss.
^) Das Verzeichnis der Schriften bei
Diog. V, 42 — 50; dasselbe rührt wahrschein-
lich von Hermippos her, neben dem noch
ein zweites von Andronikos existierte, wie
das Scholion am Schluss der Metaphysik
des Theophrast lehrt. Das erhaltene Ver-
zeichnis ist zerlegt und mit den anderen Zeug-
nissen zusammengestellt von Usener, Anal.
Theophrastea, Lips. 1858 und Rh. M. 16,
259 ff. u. 470 ff.
6) Siehe oben § 300.
"') OsK. Richter, Die botanischen Schrif-
ten des Theophrast, Jahrb. f. Phil. Suppl.
VII, 449—539 nimmt die Exaktheit der Be-
obachtungen Theophrasts in Schutz.
496
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
IlsQi Xi^cov, Fragment eines grösseren Werkes über Mineralogie, das
speziell von den geschnittenen Steinen handelt und für unsere Kenntnis von
der Steinbearbeitung der Alten von hervorragender Bedeutung ist.^)
XagaxTTjQsg, kurze Charakterschilderungen, die ins Gebiet der Ethik,
zugleich aber auch in das der Poetik einschlagen. Das grosse Interesse,
das von jeher dieses Büchlein erweckte, gründet sich darauf, dass Theo-
phrast, der Freund des Menander, seine feinen Charakterzeichnungen nicht
nach dem Leben, sondern nach der Bühne oder neuen Komödie entwarf,
so dass dieselben, wie zuerst Casaubonus in seinem berühmten Kommentar
der Schrift dargethan hat (1592), für das Verständnis der neuen attischen
Komödien, sowie des Plautus und Terenz von hoher Bedeutung sind. 2)
Nach dem Proömium hätte Theophrast ausser unserem Büchlein, das lauter
lächerliche oder tadelnswerte Charaktere enthält, auch noch in einem zweiten
Buch von den guten Eigenschaften gehandelt; aber die Echtheit des Pro-
ömiums unterliegt trotz der Verteidigungsversuche Meiers, Opusc. II, 190 ff.,
den schwersten Bedenken. Das Büchlein selbst liegt uns in einer wenig
geordneten Fassung vor und scheint überdies in dem ersteren Teil uns nur
auszugsweise erhalten zu sein. 3)
IIsqI ala&i]as(x)v xal aia^ijrm', ein Bruchstück aus der Geschichte der
Physik {^vaixMv So^ai), das uns eine Vorstellung von der Methode des
Theophrast gibt, der ähnlich, nur einlässiger wie Aristoteles seiner eigenen
Lehre einen historischen Abriss der Entwicklung der betreffenden Disziplin
und eine Kritik der früheren Systeme vorausschickte.^) Im Zusammen-
hang mit unserem Fragment steht die Metaphrase des Neuplatonikers Pris-
cian t:mv Osocfgac^Tov negl al(T^rja£oog xal (pavTaaiag..^)
MeTa^vaixd, Bruchstück der Metaphysik, welches die Aporien bezüg-
lich der obersten Gründe des Seins enthält und somit auf einer Linie mit
dem 2. Buche der aristotelischen Metaphysik steht. Dasselbe ist von Brandis
zusammen mit der Metaphysik des Aristoteles (Berl. 1823) herausgegeben
worden.
Ausserdem sind noch viele kleinere Fragmente von verschiedenem
Inhalt, wie Tregl uvQÖg, tusqI odfucov, ttsqI arsf^iMV, ttsqI (Srji^isioijv vSdrcov xal
nvsvixccTwv xal yf^siimvoav xal avöiwv,^) ttsqI xottmv, ttsqI ISqcotcov, tvsqI
X6i7ioipv%iag, auf uns gekommen. Aus den ^vaixal öö'^ai haben viele Sätze
ihren Weg zu den Doxographen gefunden; ebenso ist aus den historischen
Vorstudien zur Politik [rcokiTixa rd rrgog rovg xaiQovg 4 B., vo^oi und
vöiiiixa ßaqßaqixd) vieles auf die Späteren, namentlich Plutarch überge-
') Über den xvctpog dieser Schrift siehe
Helbig, Hom. Ep. 79 ff.
2) Verwandten Inhalts war die Schrift
718QI xm^oi^iag, von der ein Bruchstück bei
Ath. 261 d.
^) Erhalten sind c. 1 — 15 in den alten
Pariser Codd. J u. B, c. 16 — 30 vollständig
nur im Palatino-Vaticanus, und Exzerpte in
anderen Codd., wie dem Monac. Vgl. Gom-
PERZ, Über die Charaktere Theophrast's, Stzb.
d. Wien. Ak. 1888, dagegen Ribbeck, Rh.
M. 44 (1880) S. 305 ff.
*) UsENER, Anal. Theophr. 27 f.; Diels,
Doxogr. graec. p. 91 ff.
^) Prisciani Lydi quae exiant ed. By-
WATER in Suppl. Aristot. I, 2, Berl. 1886.
Die 4>va(y.ior ifo^cci selbst reichten bis auf
Sokrates und hatten 16 B., woneben Dio-
genes eine Epitome in 1 Buch anführt.
^) Über dieses aus Theophrast und Eu-
doxos gezogene Exzerpt, das eine Quelle
des Arat war (s. S. 385), handelt lo. Boehme,
De Theophrasti quae feruntur tisqI a7;ijeUoy
excerptis, Hamburg 1884.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, b) Philosophie. (§ 376—377.) 497
gangen ; i) in ähnlicher Weise lebte bei den frommen Schriftstellern der
Kaiserzeit, insbesondere dem Neuplatoniker Porphyrios wieder das An-
denken an Theophrasts Schrift von der Frömmigkeit (ttsqI svasßsiag) auf. 2)
Ausg.: ed. princ. Venet. 1497; vermehrte Ausg. von I. G. Schneider, Lips. 1818;
kritische Textausg. von Wimmer in Bibl. Teubn. 1862 und Paris 1866. — Spezialausg. der
XciQaxrrJQEg mit Kommentar von Casaübonus, LB. 1592; von Koraes, Par. 1799; von
Petersen, Lips. 1859; von Ussing, Haun. 1868; von Jebb, Lond.; dazu M. H. E. Meier, Oow-
mentationes Theophrasteae V, in Opusc. II. 190—262; s. oben § 202 An. — Diels, Theo-
pJirastea, Berl. Progr. 1883 über die handschriftliche Überlieferung.
376. Schriften der Stoiker. Die Schriften der Stoa, so zahlreich
sie waren, sind doch früh aus den Bibliotheken und dem Buch verkehr ver-
schwunden;^) daran war wesentlich das verhältnismässig frühe Verschwin-
den der stoischen Philosophen von dem Schauplatz der Weltgeschichte und
der Mangel an klassischen, auch in der Form vollendeten Werken der
Stoa schuld. Durch die Chrestomathie des Stobaios ist uns von Klean-
thes ein Hymnus auf Zeus erhalten.^) — Von dem betriebsamen und
schreibseligen Chrysippos sind nur Fragmente und Nachahmungen auf
uns gekommen.^) Die Schriftstellerei desselben betraf nicht bloss die
3 Teile der eigentlichen Philosophie, Logik, Physik, Ethik, sondern auch
die Grammatik und Dichtererklärung. Viele Stellen aus seinen Werken
hat Plutarch in seine gegen die Lehre der Stoa gerichteten Bücher tvsqI
Tcov xoivoov svvoiMv uud ttsqI ^tcjoixmv svttVTicofiaTMv wörtlich herüber-
genommen; das gefeierte Buch über die Vorsehung {tvsqI nqovoiag) ist
später von Aelian in seinem gleichnamigen, freilich gleichfalls nur bruch-
stückweise erhaltenen Buche stark benützt worden; mit besonderer Aner-
kennung erwähnt wiederholt Athenaios im Sophistenmahl das anziehende
Buch tisqI xaXov xal rj6ovrjg, — Panaitios, der Freund des Laelius, war der
Verfasser des berühmten Werkes ttsqI tov xad^rjxovrog, das Cicero seinen
3 Büchern de officiis zu gründe legte. — Über Poseidonios habe ich, da sein
Schwergewicht in ein anderes Gebiet fällt, bereits oben § 367 unter den
Historikern gehandelt; ebenso werde ich auf Apollodor und sein Buch Ttfgl
&6MV in anderem Zusammenhang zurückkommen. Von der jüngeren Ent-
wicklung der stoischen Lehre steht vieles in den Schriften des alexandrini-
schen Juden Philo, was an seiner Stelle zur Besprechung kommen wird.
377. Epikuros (341— 2 70) 6) stammte aus dem attischen Demos
Gargettos, verlebte aber seine Jugend in Samos, wohin sein Vater als
Kleruche gegangen war. Der Vater war einfacher Schulmeister [ygaf^if^aTO'
SiddaxaXog) in Samos; der Sohn trat als höherer Lehrer anfangs in Myti-
^) DüMMLER, Zu den historischen Ar-
beiten der ältesten Peripatetiker, Rh, M. 42,
179 ff.
2) Jak. Bernays, Theophrastos Schrift
über Frömmigkeit, ein Beitrag zur Religions-
geschichte, Berl. 1866.
^) Simplicius in ^Arist. categ. 49 ^ 16:
TTKQCi rolg 2Yft>txor?, loy i(p^ rjfXiou xal r] 61-
(^ccaxaXlcc xcd rd nXeiffrct xixiv avyyQa^^ccroii/
ini'kt'koLnBv.
') Vgl. oben § 340.
^) Baguet, De Chrysippi vita doctvina
et reliquiis, Annal. Lovan. IV, 1822; Gkrcke,
Handbuch der klass. Altertumswissenschaft. VII. 2.
Chrysippea, in Jhrb. f. Phil. Suppl. XIV,
649—780 gibt die Fragmente von tieql tiqo-
voiaq u. nsQL elfxciqfiEvrjg. Der Schriften
waren so viele, dass dem Abschreiber des
Diogenes die Geduld ausging und er den
Schlussteil des Bücherkataloges des Chry-
sippos wegliess. Sein ausdrucksvoller Kopf
auf einer Münze von Pompeiopolis oder Soli; s.
BüRCHNER, Griechische Münzen mit Bildnissen
historischer Privatpersonen, Zeitschr. f. Nu-
mism. 9, 127 tab. IV, 13.
^) Diog. X und ein Artikel des Suidas;
vgl. UsENER, Epicurea p. 404 f.
Aufl. 32
498
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
lene und Lampsakos, seit 306 in Athen auf, wo er eine eigene Schule
gründete. In der Philosophie war er von Demokrit ausgegangen, in dessen
Weisheit ihn der Demokriteer Nausiphanes eingeführt hatte. Sein eigenes
philosophisches System entwickelte er in zahlreichen Schriften; man hatte
an 300 Rollen von ihm.^) Stilistische Vollendung und sorgfältige Durch-
arbeitung wurde keiner derselben nachgerühmt; 2) Epikur schrieb eben zu
rasch und zu viel. Die hauptsächlichsten seiner Schriften zählt Diogenes
X, 27 auf; obenan stund das Werk nsql (fvascog in 37 B., von welchem
uns nicht unbedeutende Bruchstücke durch die herkulanischen Rollen aus
der Bibliothek eines Epikureers erhalten sind.^) Ausserdem haben wir von
Epikur 3 grössere Briefe an Herodotos, Pythokles,^) Menoikeus, die uns
Diogenes im 10. B. zusammen mit mehreren Sätzen der nvqiai So^ai über-
liefert hat.^) Epicurea ed. Usener, Lips. 1887.
Durch die herkulanischen Rollen sind uns ausserdem von epikureischen
Schriften bekannt geworden das Büchlein TieQi aXoyov xaTa(fQovrj<T€(üg des
Poly Stratos (die Reste entziffert von Gomperz, Herm. 11, 398 ff.) und
mehrere, teils philosophische, teils rhetorische Abhandlungen des Philo-
demos aus Gadara. Der letztere, Hausfreund des Piso (Konsul 58 v. Chr.),
war früher schon durch Cicero bekannt, der ihn de fin. II, 35 doctissimimi
viruni nennt und in der Rede gegen Piso c. 29 von ihm rühmt, dass er
ein Mann sei non philosoplüa solurn, sed etiam ceteris studiis^ qiiae fere Epi-
cureos ncgiegere dicunt^ perpoUtus.^) In unserer Zeit sind von ihm aus der
Bibliothek eines Epikureers in Herculanum eine Reihe von Büchern, wenn
auch meist nur bruchstückweise ans Licht gezogen worden, die unsere
Kenntnis der epikureischen Philosophie bereichert, den Ruhm ihres Ver-
fassers aber gerade nicht besonders erhöht haben. Das interessanteste der-
selben ist das Buch ttsqI evaeßsiag, das inhaltlich mit Cicero de nat. deor.
I, 10. 25 — 15. 41 übereinstimmt, und das man früher, verleitet durch
Cic. ep. ad. Attic. XIII, 39 und auf grund falscher Lesung des verblichenen
Titels für das Werk des Epikureers Phaidros ttsqI d^suyv ausgegeben hatte. '^)
Ausserdem kamen von ihm allerlei Kleinigkeiten von Schriften über Ethik, '^)
') Diog. X, 26,
2) Cic. de nat. deor. T, 26; Sext. Empir.
adv. math. I, 1.
2) Epicuri fragm. de natura ex t. II
vol. Herc. ed. Orelli, Lips, 1818; Gomperz,
Neue Bruchstücke Epikurs, Sitzb, d. Wien,
Ak. 1876, S. 87 ff.; Herrn, V, 386 ff.; Wien,
Stud, I, 27 ff.; CoMPARETTi, Framm. ined.
di Epicuro, Riv. di phil. VII, 401 ff, und
Mus. di ant. I, 67 ff., angeblich aus der
ethischen Schrift nsgi alQeascov xcd cpvy<oy,
was UsENER, Epicurea p, LI zweifelhaft
macht. Unlängst wurden neue Funde von
Epicurea in der Vaticana gemacht,
^) Nach Usener's Nachweisen p, XXXIX
ist dieser 2. Brief unecht und aus Epikurs
Büchern tisql cpvaeoig kompiliert,
^) Über Auszüge aus den vielgelesenen
Briefen Epikurs haben wir eine Notiz in den
Hercul. vol. bei Usener p. 132, 1. Unter
den Briefen Epikurs M'ar auch einer an seinen
Landsmann Idomeneus aus Lampsakos ge-
richtet (Diog. X, 22), von dessen historischen
Schriften tieqI ziop ItoxQatixuJy und nsgl
(^t]fxayioy(Sv Müller FHG. II, 489—494 die
Fragmente gesammelt hat,
^) Von seinem Ansehen zeugt auch
Horaz Sat. I, 2, 121,
^) Phaedri Epicurei de nat. deor. fragm.
ed. Petersen. Hamb, 1833; L. Spengel, Abh.
d. b. Ak.X, 127-67; Gomperz, Herkulanische
Studien, Leipz. 1866, Den Phaidros hält für
die gemeinsame Quelle des Cicero und Philo-
demos Diels, Doxogr. graec. 121 ff.
^) Fhüodemi 7T€qI jcccxkoi^ lib, X ed, H,
Sauppe, Lips. 1853; neuerdings herausgeg.
von UssiNG in der Ausgabe von Theophrasts
Charakteren, Haun. 1868; Philod. negl oQyijg
ed, Gomperz, Lips. 1864; Philod, ttsqI &ai'(i-
Tov lib. quart. ed, Mekler, in Stzb. d. Wien.
Ak. 1.-85 (B. 110) S. 305-54.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur, (§ 378,) 490
Oekonomik,^) Rhetorik, 2) Musik, 3) Dichtkunst,-^) Homer, ^) sowie von einem
Abriss über die Philosophenschulen und ihre Lehrsätze^) zum Vorschein.
Über seine Epigramme s. § 404. — Dem Kirchenvater Eusebios verdanken
wir mehrere Abschnitte aus den Schriften des Epikureers Diogenianos,
eines heftigen Gegners des Stoa, gesammelt von Gercke, Jhrb. f. Phil.
Suppl. XIV, 748-55.7)
Kebes nennt sich der Verfasser eines früher viel gelesenen Buches,
TTiva^ oder Gemälde betitelt, das eine allegorische Darstellung des Lebens
im platonisch-pythagoreischen Geiste gibt.^) Dem Verfasser desselben
werden von Suidas auch noch zwei Dialoge ^EßSoixrj und ^qvvixog zu-
gewiesen. Dass derselbe nicht mit dem Sokratiker Kebes aus Theben
identisch sei, zeigt schon die Erwähnung der Peripatetiker in dem Pinax
c. 13. Auf der anderen Seite muss derselbe geraume Zeit vor Lukian ge-
lebt haben, da derselbe, Rhet. praec. 6 und De merc. cond. 42 von Kebes
als einem allgemein bekannten Autor spricht. Ein Kyniker Kebes aus
Kyzikus wird von Athenaios p. 156d erwähnt; ob derselbe aber mit dem
Verfasser unseres Büchleins identisch sei, dafür fehlen bestimmte Anzeichen.^)
Eher hat ein anonymer Autor aus dem 1. Jahrh. n. Chr. nur die Maske
des aus Piaton allbekannten Kebes aus Theben angenommen. ^<^)
c. Grammatische und g-elehrte Litteratur.
378. Dem Charakter unserer Periode entsprechend stand die gelehrte
Litteratur im Vordergrund der litterarischen Thätigkeit. Von dieser werde
ich diejenigen Werke, welche den Fachwissenschaften, Mathematik, Astro-
nomie, Medizin angehören, einem eigenen Abschnitt am Schlüsse des Werkes
vorbehalten und hier nur das behandeln, was dem Gebiete der Grammatik
angehört. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass den Grammatikern die
erste und massgebende Stelle unter den Gelehrten unserer Periode gebühre.
Umgekehrt sind die grössten Entdeckungen und die wertvollsten Arbeiten
an die Namen eines Euklid, Hipparch, Archimedes geknüpft, und verdanken
unter den Grammatikern mehrere der bedeutendsten, wie Eratosthenes und
Apollodor, den Ruhm bei der Nachwelt nicht ihren grammatischen Schriften,
sondern ihren Untersuchungen über Erdvermessung und Chronologie.^^) Aber
^) Mit Aristoteles Oekonomik heraus-
gegeben von GöTTLiNG 1830; mit dem 10. B.
TiEQi y.axiojp von Härtung, Leipz. 1857.
2j Herausgegeben von L. Spengel in
Abb. d. b. Ak. t. HI.
^) Ed. Kempke in Bibl. Teub. 1884.
^) Philod. negl noirjfMccKoy ed. Dübner,
Paris 1840; Philippson, De PMlodemi lihro
qid est ttsqI arjfxeiwy xal arjfiecujGscoy, Berol.
1881 ; das 2. Buch hergestellt von Hausrath,
Jahrb. f. Phil. Suppl. XVII, 213—76.
^) Vgl. § 38.
^) Diog. X, 3: 4>tX6df]fxog 6 'EmxovQeiog
iy TW &6X(hio Tfjg rwp (piXoffocftoi' avPTcc^so)?.
\ Das Verzeichnis der Akademiker aus den
Herkul. Rollen publizierte Bücheler, Ind.
Gryph. 1869/70, das der Stoiker Comparetti,
Riv. di philol. Ill; vgl. Wilamowitz, Phil.
Unt. IV, 109.
') Über andere Epikureer, wie Kolotes,
Hermarchos, Metrodoros, Karneiskos, von
deren Schriften uns Fetzen in den herkula-
nischen Rollen erhalten sind, siehe den
sorgfältigen Index von Usener, Epicurea
am Schluss.
^) Neueste Ausg. von Fr. Kraus, Wien
1882.
^) Diesen Kebes nimmt Sittl, Gr. Litt.
11, 276 als Verfasser an.
^^) C. Praechter, Cebeiis tabula quanam
aetate conscripta esse videatur, Marb. 1885.
Von der Beliebtheit des Büchleins zeugt ein
Relieffragment, nach einem Berliner Kupfer-
stich herausgegeben von K. Müller, Archäol.
Zeitung 1884 S. 115 if.
^^) Mit Recht klagt Danaldson, Hist. of.
gr. lit. 1, 335: ü is only to he rcgretted,
that ive have so often saved from the ruins
32*
500
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
in dem Plane dieses Werkes liegt es, dass von den Mathematikern unserer
Periode erst weiter unten im Zusammenhang mit verwandten Erscheinungen
gehandelt wird.
Unter Grammatik verstand man im Altertum nicht bloss die sprach-
liche Analyse und Texteskritik, sondern auch die taroQia oder die Unter-
suchung über die Mythen und sachlichen Verhältnisse.') Beide Rich-
tungen der philologischen Thätigkeit hingen in Alexandria auf das
engste zusammen, indem einerseits bei dem Studium der Autoren die
Kritik der Lesarten und die Erklärung der sachlichen Beziehungen in glei-
cher Weise berücksichtigt und anderseits auch die von der Texteserklärung
losgelöste, selbständige Behandlung von Fragen der Mythologie, Staats-
altertümer, Topographie, Litteratur- und Kulturgeschichte von den Gelehrten
in den Kreis ihrer Studien gezogen wurde. Es waren aber nicht die
Grammatiker allein, welche sich mit der grammatischen Erudition in diesem
weiten Umfange abgaben, auch viele, die sich Philosophen nannten und
einer philosophischen Schule angehörten, beschäftigten sich mit den Auf-
gaben der Gelehrsamkeit. Insbesondere waren es die Peripatetiker, welche
von ihrem Lehrmeister Aristoteles die Richtung auf die historische und ge-
lehrte Forschung ererbt hatten. Die Thätigkeit auf dem Felde der sprach-
lichen und historischen Grammatik war ebenso emsig als erfolgreich; nicht
bloss die Schätze der Bibliothek wurden auf das eifrigste von den Gelehrten
ausgebeutet, auch die Zeugnisse auf Stein und Erz wurden von ihnen ge-
sammelt und die Hilfsmittel der Technik für Vervollkommnung der geo-
graphischen und mathematischen Kenntnisse verwertet. Leider haben sich
nur wenige und nur kleine Denkmale der gelehrten Betriebsamkeit unserer
Periode erhalten; das meiste lernen wir aus den Auszügen und Kompila-
tionen kennen, welche auf Grund der grossartigen Arbeiten der Alexandriner
die nachfolgenden Generationen veranstalteten. Um das massenhafte Ma-
terial zu bewältigen könnte es am einfachsten scheinen, die Namen der
Gelehrten einfach nach dem Alphabet aufzuführen; wir haben uns aber doch
bemüht, den reichen Stoff in Absätze zu gliedern und dabei die Richtungen,
Orte und Zeiten zur Geltung zu bringen.
Ein Corpus grammaticorum graec. im engeren Sinn ward 1823 von Dindorf mit
unzureichenden Hilfsmitteln begonnen und wird jetzt unter der Leitung von Uhlig unter
Mitwirkung von Bölte, Cohn, Egenolff, Hilgard, Ludwich, R. Schneider, R. Scholl,
Studemund ins Werk gesetzt. — Gräfenhahn, Gesch. d. klass. Philol. im Altertum, Bonn
1843; 4 Bde.; Lersch, Die Sprachphilosophie der Alten, Bonn 1841, 3 Teile; H. Stein-
thal, Gesch. d. Sprachwissenschaft bei den Griechen u. Römern, Berl. 1863 : La Roche,
Homer. Textkritik, Leipz. 1866.
371). Unter den Philosophen, welche sich mit Grammatik beschäftigten,
steht Herakleides Pontikos von Heraklea am Pontus voran. Derselbe
hörte zuerst in Athen Piaton, der ihn nach Suidas während seiner Ab-
of ihe library the residts of scholastic in-
dustry instead of the efforts of origincd
genius, lohish have left their impress on the
intellectual world.
^) Sext. Empir. adv. gramm. p. 619,
16 B. : ri]? yQafj.fxctrLxrjg ro fxiv bgtlv Ioto-
Qixov, ro 08 TS/i^txop, ro (fe I^icÜtsqov . . .
iatoQixdv de 'önov tisqI nQoaioTJMy olovel
i^^eiioy T£ x(d livd^Qionivioi' xcd rjQOjixoJv ^l-
ddaxovoip rj tieqI roncou dirjyovvrca xa&unsQ
oQüjy rj nozafxoüv rj tieql nXaa/ucncoi^ xcd
fxvd^cou nagcididouaiy rj et xi xrjg avzrjg ideag
soz'lv. Vgl. Dionysios Thrax im Eingang der
re/t^t] yQafj,fxciTix7J , Choiroboskos, Prol. in
Theod. p. 104, 29 Hilg., Lehrs, De vocahtdis
cpiXoXoyog yQafXfxaiixog xQiXLXÖg, Anhang zu
Herodiani scripta tria, Berl. 1857.
!'
A. Aloxaudrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 379—380.) 501
Wesenheit in Sikilien zu seinem Stellvertreter aufstellte, schloss sich aber
später an Aristoteles an, mit dem er die Neigung für Polyhistorie und ge-
lehrte Forschungen teilte. Seine zahlreichen, zum Teil in dialogischer Form
geschriebenen Bücher werden von Diogenes V, 86 eingeteilt in r^^ixä, (fvaixä^
yQajiifiiaTixd xal ^ovaixä^ grjroQixa, laTOQixa.^) Während aber seine philo-
sophischen Werke früh in Vergessenheit kamen, erhielten sich lange seine
biographischen und grammatischen Schriften. Mit Unrecht wurden ehedem
die ^AXXriyoQiai 'Ofir^xcci unserem Herakleides, statt ihrem rechten Verfasser
Herakleitos zugeschrieben. Auch die erhaltenen Exzerpte €x tmv ^HgaxXsiSov
jT€qI TioXiTsiMv sluö. usLch Schneidcwiu's Nachweisen ^) eine unechte, viel-
leicht von dem Grammatiker Herakleides Lembos herrührende Kompilation
aus den Politien des Aristoteles. Der Stil unseres gelehrten Philosophen
wird von Diogenes gerühmt; Cicero de nat. deor. I, 13 und Plutarch, Cam.
c. 22 tadeln an ihm die Neigung zum Fabelhaften; in die Litteratur-
geschichte hat er die Fabeln über die angeblichen Vorgänger Homers,
Amphion, Lines, Philammon etc. eingeführt.-^) Die Fragmente gesammelt
bei MüLLEK, FHG. II, 197 — 207, die des Heraclides Lembos III 167—171.
Chamaileon, Landsmann und Rivale des Herakleides, den er be-
schuldigte ihm seine Ideen über Homer und Hesiod gestohlen zu haben, "i)
war einer jener Peripatetiker, die sich mit Vorliebe den litterarhistorischen
Forschungen zuwandten. Erwähnt werden von ihm Schriften über Homer,
Hesiod, Stesichoros, Sappho, Anakreon, Lasos, Pindaros, Simonides, Thespis,
Aischylos, ttsqI aarvQcov oder die Anfänge der Tragödie, und ein umfang-
reiches Werk über die alte Komödie, von dem Athen, p. 406 e ein 6. Buch
citiert. Daneben hören wir von einer Mahnrede {nQOTQsnTixog Xoyog) zum
Studium der Philosophie und einer von andern dem Theophrast zugeschrie-
benen Schrift ti8qI rj6ovrjg, von der die Abhandlung ttsqI jjLsO^riq nur ein Teil
gewesen zu sein scheint. In seinen litterarhistorischen Arbeiten liebte er
weniger die nüchterne Wahrheit als die poetische Ausschmückung; wie
damals die Bildhauer die Idealporträte des Homer, Anakreon und anderer
Grössen der Litteratur schufen, so gefielen sich auch die Litterarhistoriker
vom Schlage des Chamaileon darin, den grossen Männern der Vergangen-
heit allerlei ideale Züge und geistreiche Aussprüche anzudichten.^)
380. Dikaiarchos aus Messene in Sikilien, der mit Aristoxenes aus
Tarent Hörer des Aristoteles war, wandte sich ganz der historischen und
geographischen Forschung zu. Auf Grund einer Reihe von Höhenmessungen,
von denen Suidas die xaTai^isT^rjcfsig tmv sv IlirXoTrovvrjafo ogorr anführt,
^) Manche der aufgezählten Schriften
mögen nicht ihm, sondern einem der jüngeren
Gelehrten gleichen Namens, dem Herakleides
Kallatianos, mit dem Beinamen 6 "kefxßog,
der nach Suidas unter Ptolemaios VI. Philo-
metor lebte, oder dem Herakleides, der über
Inseln und Städte schrieb, oder dem Didy-
meer Herakleides Pontikos aus dem 1. Jabrh.
n. Chr. angehören. Eine Ausscheidung ver-
suchten ÜNGER, Rh. M. 38, 489 ff. und
SfiHRADER, Heraclidea im Philol. 44, 236 — 61.
Dagegen hält Cohn, De Heraclide Pontico
eiymologiarum scriptore antiquissimo (1884)
daran fest, dass auch das Buch nsgl ovo-
{Äihiov und die Citate im Etym. Orionis
unserem alten Herakleides zu vindizieren
seien. — Über Tragödien des Herakleides s.
§ 135. — F. Schmidt, De Her aclidae Pont,
dialogis dei^erditis, Bresl. 1867.
''^) HeracUdis 2mlitiarum quae extantf
rec. ScHNEiDEWiN, Gott. 1847.
■') S. Bergk, Gr. Litt. I, 404 f.
4) Diog. V, 92.
^) KöPKE, De Chamaeleonte Heracleota,
Berol. 1856.
»02
Griechische Litteraturgeschichte, H. Nachklassische Litteratur.
entwarf er eine Beschreibung der Erde, die er durch beigegebene Tafeln
erläuterte. ^) Sein bedeutendstes, vielgelesenes Werk war der Biog ^EXXdSog in
3 B., der erste Versuch einer Kulturgeschichte, in welcher von den An-
fängen der Geschichte, dem goldenen Zeitalter, ausgegangen und dann die
Entwicklung des griechischen Lebens bis auf Alexander verfolgt war, so
zwar, dass neben der Staatenbildung auch die Musik, die Spiele und Dichter
Berücksichtigung fanden. Wohl Vorarbeiten zu diesem auch in der Form
vollendeten Werke waren die Schriften tc8qI ^ovaixMv aya)va)v, ynod^äaeic,
TMV 2o(poxXsovg xal EvQiniSov fxvd^o^v^^) noXiTsiai JlsXXrjvaicov Koqiv^iorv
'Ad-rjvaicov. Mit der Sammlung von Politien hing der Dialog TQmoXnixog
zusammen, in welchem Dikäarch als Vorläufer Ciceros die aus Monarchie,
Aristokratie und Demokratie gemischte Verfassung als sein Ideal aufstellte
und in der Staatseinrichtung Spartas verwirklicht fand. 3) Andere von
Cicero hochgeschätzte Dialoge waren der KoQiv^iaxög und Aeaßiaxög^ von
denen jeder wie der berühmte Dialog des Aristoteles txeqI (filoaotpiag in
3 Bücher eingeteilt war.^) Für Geschichte der Litteratur waren bedeutsam
seine von den Späteren vielfach ausgebeuteten Lebensbeschreibungen; an-
geführt werden Bücher über die sieben Weisen, über Pythagoras, Piaton,
Alkaios; schwerlich aber berechtigen uns die aus Dikäarch angeführten
Nachrichten über Homer, Sophokles, Euripides, Aristophanes, demselben
auch spezielle Biographien dieser Dichter beizulegen; sie können recht
wohl aus seinem Hauptwerk vom Leben Griechenlands oder aus seinem
Buch über die dionysischen Wettkämpfe herrühren. Bei allem dem war
Dikäarch kein blosser Stubengelehrter, er gab vielmehr ausdrücklich dem
praktischen Leben vor dem theoretischen den Vorzug.^) Auch als Redner
trat er in Olympia und an den Panathenäen auf und heisst deshalb bei
Suidas (fjMaocpog xal qtjtwq xal yso^iexQrjg. Erhalten haben sich von ihm
nur wenige Fragmente. Eine Zeitlang glaubte man auch noch grössere
Reste aus den Werken des Dikäarch in einer in iambischen Trimetern
abgefassten Beschreibung Griechenlands {ävayQacpK] ^ElXäSog) zu haben; ^)
aber dieselbe rührt, wie Lehrs Rh. M. 2, 354 mit glänzendem Scharfsinn aus
den Anfangsbuchstaben der ersten 23 Verse erschlossen hat, von Dionysios,
Sohn des Kalliphon, her. Ebensowenig ist Dikäarch der Verfasser der 3 län-
geren, in dem Cod. Paris. 443 erhaltenen Bruchstücke einer Periegese Griechen-
lands, welche vielmehr nach einem Citat des Apollonios, Mirab. 19 zu dem
Werk des Herakleides Kretikos') nsql rcoy iv tf] ^EXXäöi ttöXscov gehörten.^)
1) Cic. ad Att. VI, 2.
^) ScHRADER, Quaestionum iieripatet.
part. Hamb. 1884 macht wahrscheinlich,
dass dieselben einen Teil des Buches ttsqI
JiovvaiaxMP dyiövMV bildeten.
^) OsANN, Beitr. zur röm. und griech.
Litt. II, 9 ff.
^) Cic. Tusc. disp. I, 3L 76: acerrime
autem deliciae meae Dicaearchus contra
lianc immortalitatetn disseruit; is enim tres
libros scripsit qui Leshiaci vocantur quod
Mitylenis sermo habetur, in quibus vult
effjcere animos esse mortales; über den Ko-
rinthiakos ebenda I, 10. 21.
^) Cic. ad Att. II, 16, wozu stimmt Plut.
an seni s. 26.
^) Text bei Müller^ Geogr. graec. min.
I, 238-43.
^) Seit Olearius schreibt man xQuixög;
ob mit Recht ist zweifelhaft. Die verwandte
Schrift tisqI vrjawv wird von Harpokration
u. ItQvfxr] dem Herakleides oder Philoste-
phanos, von Stephanos Byz. u. ^Oliagog dem
Herakleides Pontikos zugeschrieben.
^) Müller, Geogr. graec. min. I praef.
LH; vgl. Wachsmuth, Stadt Athen I, 44;
Unger, Rh. M. 38, 484 setzt die Fragmente
Ol. 147, 1 ^ 192/1 V. Chr,
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 381—382.) 503
Die Fragmente gesammelt und besprochen von Fuhr, Dicaearchi quae supersunt,
Darmstadt 1841; Müller, FHG. II, 225—253; GGM. I, 97-110 u. 238-243.
381. Aristoxenos entstammte einer musikalischen Familie ausTarent,
wanderte aber zeitig nach dem griechischen Festland aus, wo er in Man-
tinea seine Ausbildung fand. In die Musik wurde er durch seinen Vater
Spintharos, den Erythräer Lampros und den Pythagoreer Xenophilos ein-
geführt. In der Philosophie hatte er den Aristoteles zum Lehrer und zeich-
nete sich so vor seinen Genossen aus, dass er auf die Nachfolge in der Vor-
standschaft der Schule sicher rechnete und, als ihm Theophrast vorgezogen
wurde, auf seinen toten Lehrer bitter schmähte. Seine schriftstellerische
Thätigkeit galt in erster Linie der Musik, wovon er auch den Beinamen
6 iLiovaixog erhielt; ein Anhänger der strengen alten Richtung vereinigte
er praktische Tüchtigkeit mit theoretischer Einsicht. Auf uns gekommen
sind 3 Bücher über Harmonik («(>;(«/' und arotx^ta dgi^orixa), leider in stark
überarbeiteter Gestalt, und wertvolle Bruchstücke der Qvd^iiixd aToixeta.
Nur aus gelegentlichen Anführungen haben wir Kenntnis von seinen
Schriften ttsqI inovaixrjg und 7T6qI f^islorcouag (beide in wenigstens 4 B.)
und von den Einzelabhandlungen nsQv fLUTaßoXcov, negl aidcov xal oQydvcov,
TTfQi avhjTÖov, jTSQi TQayixtjg oQxijf^soog. Grossen Ansehens erfreuten sich
auch seine Biographien, in welcher Litteraturgattung er selbst den Dikäarch
in Schatten stellte, so dass er vom Kirchenvater Hieronymus geradezu als
Begründer derselben angeführt wird.^) Zunächst waren es Philosophen und
Italiker, mit deren Leben er die Griechen bekannt machte, Pythagoras,
Archytas, Xenophilos, Telestes, Sokrates, Piaton; aber auch über die Tra-
giker, speziell über Sophokles handelte er in dem Buche ttsqI TQayuidonoiwv.
Endlich ist Aristoxenos auch in der Memoiren- und Miszellenlitteratur den
Alexandrinern vorangegangen; doch haben sich von seinen imoiivri^ara
laTOQixd und aviiiiixTa avjiiTroTixd nur wenige Bruchstücke erhalten.
Die Fragmente gesammelt bei Müller, FHG. II, 269-292; vgl. Zeller, Gesch. d. gr.
Phil. 11,^ 2. 881 ff. — Die harmonischen Fragmente von Aristoxenus, griechisch u. deutsch
von F. Marquard, Berl. 1868. — Westphal, Aristoxenus' von Tarent Melik u. Rhythmik
des klassischen Hellenentums 1883, dazu die kundige Besprechung von v. Jan in Wochen-
schr. f. klass. Phil. 1884 Nr. 24, — Westphal, Die Musik des griech. Altertums nach den
alten Quellen neubearbeitet, Leipz. 1883. — Westphal, Die Fragmente u. Lehrsätze der
griech. Rhythmiker, Leipz. 1861, und im Anhang zum 1. Band der Metrik der Griechen
2. Aufl.
382. Phanias (v. 1. Phainias) aus Eresos in Lesbos wird in dem
Leben des Aristoteles 2) neben Theophrast, Eudemos, Klytos, Aristoxenos
und Dikaiarchos als unmittelbarer Schüler des Aristoteles aufgeführt. Auch
er ererbte von seinem Lehrer die Neigung zu antiquarischen und litterar-
historischen Forschungen. Ein Buch von ihm galt den Einrichtungen seiner
Heimat, ttsqI nqvTäveMv ^Egsafarr, andere, wie ttsqI ^coxQaTixcov, 718qI TToirjTcov,
nqog Tovg (TocpiaTag, den litterarischen Fragen. Die Fragmente, gesammmelt
bei Müller FHG. II, 291 — 301, lassen uns in ihm einen sorgfältigen, auch
auf die Chronologie genau eingehenden Spezialforscher erkennen, aber kri-
^) Hieronymus, Proleg. ad Dextrum im
Buch De viris illustribus: Hortaris me,
Dexter, ut Tranquillum sequens ecclesiasti-
cos scriptores in ordinem digeram . . . fe-
cerunt hoc idem apud Graecos Hermippus
peripateticus, Antigonus Carystius, Satyrus
doctiis vir, et longe omnmm doctissimus
Aristoxenus musicus. Vgl. Plutarch, Non
posse suar. c. 10.
2) Vita Marciana c 9.
,
504
Griechische Lifcteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
tisches Urteil verrät sein Bericht über das Wunder des Fischregens bei
Athen. 333 a nicht.
Dem gleichen Kreis der Litterarhistoriker unter den Peripatetikern
gehörte ausser Hieronymos von Rhodos, von dem wir bereits oben § 359
gesprochen, noch Klearchos von Soli in Kypern an, dessen Bioi in min-
destens 8 Büchern eine Hauptquelle des Athenaios bildeten. Dieselben
waren indes nicht Lebensbeschreibungen berühmter Männer, sondern Schil-
derungen der Lebensweise verschiedener Menschenklassen, wie der Para-
siten, Schlemmer, Spartaner, Perser, Lyder. Den Schmeichlern hatte er
ein eigenes Buch gewidmet, das er nach einem Musterexemplar dieser Sorte
von Menschen FfQ-yi^iog taufte. Beide Werke waren in dialogischer Form
geschrieben. Ausserdem schrieb er über Freundschaft, über Bildung, über
den Schlaf, handelte von den Wassertieren, sammelte Sprichwörter, Rätsel
und Liebesgeschichten, indem er den von Aristoteles gepflegten Sinn für
historische und naturwissenschaftliche Forschung noch mehr ins Detail ver-
folgte. Fragmente bei Müller FHG. II, 302—327.
383. Demetrios von Phaleron {(PaXrjQsvg),^) Schüler und Freund des
Theophrast, bildet gewissermassen die Brücke zwischen Athen und Alexan-
dria, Philosophie und Grammatik. Von Kasander 10 Jahre lang (317 bis
307) an die Spitze von Athen gestellt, fand er nach seinem Sturze freund-
liche Aufnahme bei Ptolemaios Soter in Alexandrien, wo er den Grund zur
Bibliothek legte und nach einem thatenreichen Leben an dem Bisse einer
Schlange starb (nach 285). Als praktischer Staatsmann war er gleich aus-
gezeichnet wie als Gelehrter, dazu von der Natur ausgerüstet mit schöner
Gestalt und mit der Gabe einnehmender Rede. Seine Schriften sind auf-
gezählt von Diogenes V, 80; unter denselben befinden sich ausser Reden,
historischen, rhetorischen, popularphilosophischen '-) Abhandlungen auch
Sammlungen äsopischer Fabeln (XoyMv ÄlaMitsiMv (Tvvaycoyai) und denk-
würdiger Sprüche, insonderheit von den sogenannten sieben Weisen. 2) Von
seinen historischen Schriften waren am berühmtesten das chronologische
Verzeichnis der attischen Archonten, der Rechenschaftsbericht über seine
zehnjährige Verwaltung Athens {vTioiivr>ixaTa nsQl xT^g öexasTsiagY) und die
halb theoretischen, halb praktischen Broschüren über die Gesetzgebung und
die Verfassungen Athens (tisqI zvjg 'AO^rjvrjai vop^od^eaiag in 5 B. und tisqI
T(jöv ^A^rjvrjai noXirsmv in 2 B.). — Als rhetorische Schrift führt Diogenes
von ihm eine QrjzoQixrj in 2 B. an;^) aber das unter seinem Namen erhaltene
Buch tcsqI €Qjji7jv€iag, worin über den rednerischen Ausdruck, über Perioden-
bau, Hiatus, Stilarten, Figuren gehandelt ist, kann nicht von ihm geschrieben
sein, da darin Bezugnahmen auf spätere Zeitverhältnisse vorkommen <^) und:
^) Diog. V, 75 und Suidas u. Jt]fuijrQiog.
Asklepiades 6 rov 'Jqslov hatte ein eigenes
Buch über ihn geschrieben, s. Ath. 567 d.
2) Das Buch tisqI rv/rjg ist gepriesen
von Polybios 29, 21 und ausgeschrieben von
I'lutarch in der Trostrede an Apollonios.
^) Brunco, De dictis VII sapientium a
Demetrio Phal. collectis Acta sem. Erl. III,
299-398: vgl. §88.
4) Polybios XII, 13. 9 fällt über das
Buch ein hartes Urteil.
^) Jtj^rjTQioq 6 ^aXrjQSvg sv tm tteqI
()7]roQ(,xi]g ist citiert von Philodemos in Vol.
IIerc.2 III, 145.
^) So noQ(fVQai TiXareua c. 108, IcorddTjg
c. 189, 'jQTE^üiv c. 223, ra^agevg c. 237.
Das Scholion zu Aristophanes Nub. 400 /«^<?
iOTiv ix ari/ov zov dXXorQLov. log tcpt] Jio-
vvaiog 6 'AXixciQvaaasvg ev tm negl 8Qfi7]ve'LC(g
(c. 150) ist ohne Bedeutung, da dasselbe
i
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 384—385.) 505
einmal sogar (c. 289) Demetrios der Phalereer selbst citiert wird. Muret
und andere nach ihm ^) haben daher an eine Verwechselung des Peripa-
tetikers Demetrios mit dem Sophisten Demetrios von Alexandrien gedacht,
der unter Hadrian lebte und nach Diogenes V, 84 Verfasser von xs^vca
QijTOQixai' war. Die scharfsinnige Vermutung geht dabei von der Voraus-
setzung aus, dass unter dem c. 237 citierten FadccQsvg der Sophist Theo-
doros aus Gadara, der Lehrer des Kaisers Tiberius, gemeint sei; ihr steht
aber der Charakter der rhetorischan und grammatischen Theorie des Büch-
leins im Wege, welche eher auf die Zeit vor Cicero und Dionysios Thrax
hinweist. — Gar nichts hat mit unserem Peripatetiker die von Clemens
Alex, ström. I, 21 angeführte Schrift eines Demetrios 7T€qI tmv sv 'lovSaia
ßaaiXsMv zu thun; die Unechtheit derselben hat Cobet Aoyioq ^EQj^irjg I,
278 ff. erwiesen.
Ostermann, De Demetrii vita, rebus gestU et scriptorum reliqxiiis, Hersfeld 1847,
Fulda 1857; Müllek, FHG. II 362—369. — Die rhetorische Schrift tisqI eQ^rjveiccg bei
Spengel, Rhet. gr. III, 259-328.
384. Praxiphanes,^) Hörer und Freund des Theophrast, wird in
den Schollen zu Dionysios Thrax bei Bekker, An. gr. p. 729 und Cramer,
An. Ox. p. 311 als derjenige bezeichnet, der mit Aristoteles den Grund zur
wissenschaftlichen Grammatik gelegt habe. Aber weder von seiner Gram-
matik, noch von seinen für die Litteraturgeschichte wichtigen Dialogen
nsQi TiotTjixdTcov und tisqI laTogfag '^) haben sich mehr als vereinzelte Citate
erhalten.
Auch von den eigentlichen Grammatikern werden einige wie Her-
mippos und Satyros gelegentlich einmal Peripatetiker genannt, wie ähnlich
die Grammatiker Krates und Apollodor nebenbei auch Stoiker heissen. Aber
wenn dieselben auch in ihrer Lebensanschauung zu jenen philosophischen
Schulen irgendwie Stellung genommen haben, so waren sie doch in ihren
Schriften und Studien so rein der grammatischen Richtung ergeben, dass
sie besser in dem folgenden Abschnitt ihren Platz finden.
385. Die Stoiker griffen nach einer anderen Richtung als die Peripa-
tetiker in die gelehrten und grammatischen Studien ein.'^ Während jene,
angeregt von Aristoteles, die Litteraturgeschichte pflegten und insbesondere
das Leben der alten Philosophen und Dichter zum Gegenstand ihrer For-
schung machten, trugen die Stoiker, welche von Hause aus die Logik und
Dialektik zum Mittelpunkt ihrer Philosophie wählten, hauptsächlich zum
Ausbau des grammatischen Systems bei. Die Unterscheidung der Redeteile
(^sQTj Xöyov), der Casus (TiTwaeig), der Aussageformen (xatriyoQ}]iiaTa) ist
wesentlich ihr Werk, so dass der römische Polyhistor Varro wiederholt
i
nicht alt ist, sondern von Musurus herrührt,
memoriae error e Dionysium Halicarnassen-
sem nominante, wie Dindorf in der Ausg.
bemerkt.
1) Walz, Rhet. gr. IX p. VIII. Neuer-
dings hat Hammer, Demetrius tisqi EQ^^vEiag,
München 1883, den Rhetor Demetrius Syrus,
den Cicero im J. 78 zu Athen hörte (Cic.
Brutus 315) als Verfasser aufzustellen ver-
sucht; seine Ansicht modifiziert derselbe Ge-
lehrte in Jahrber. d. Alt. XIV, 1.97.
2) Pkeller, De Praxiphane Peripatetico
int er antiquissimos grammaticos nohili, Dor-
pat 1842 = Ausg. Aufsätze S. 94 ff.
2) TlQa^Kpdrfjg ii^ zm Tie^mio ttsql
7T0ii][fj.a\r(av ist citiert von Philodemos in
Vol. Herc.'' II, 170; vergl. Marcellinus im
Leben des Thukydides c. 29; Hirzel, Herrn.
13, 46 ff.
'*) R. Schmidt, Stoicomm grammatica ,
Halis 1839; Striller, De Stoicomm studiis
rhetoricis, Bresl. Abhdl. I, 2, 1886.
m
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
die Arbeiten der Stoiker denen der speziellen Grammatiker gegenüberstellt.^)
Die zum System der Sprachlehre gehörigen Begriffsbestimmungen haben
dann in weiterer Folge die Stoiker in den Streit über Anomalie und Ana-
logie gezogen, an dem sich namentlich Chrysippos zu Gunsten der Anomalie
beteiligte. 2) Ausserdem betrieben sie, deren Forschung überall auf den
Grund des Seienden gerichtet war, mit Eifer etymologische Studien, indem
sie mit verständigem Sinn in der Begriffsbestimmung von derjenigen Be-
deutung ausgingen, welche die Natur in den Kern (eTv/iiov) des Wortes
gelegt habe. Freilich sind es meist verkehrte Spielereien und verfehlte
Versuche allegorischer Deutung der Götternamen und alten Mythen, an die
der Name der Stoa geknüpft ist.^) Hervorragt unter den Stoikern durch
seine grammatischen Studien Chrysippos aus Soli (280 — 207),*) unter
dessen zahlreichen Schriften sich auf Grammatik bezogen die Bücher negl
T^g avcofiaXiccg, tcsqv sTVjnoXoyDCMV, ntgii tmv tov Xoyov fj^egcov, neQi tmv
7T6VTS TTTwaecov, tcsqI (fvvTcc^scog, nsQl TtaQoijjiiwv. Auch in den Scholien zu
Pindar geschieht oft seines Kommentars zu den Epinikien Erwähnung.
Seiner Verteidigung der Anomalie lag eine unbefangene Betrachtung der
Spracherscheinungen zu grund, wenn er auch darüber das Gesetzmässige in
der Formenbildung zu sehr übersah. Neben Chrysippos nennt Varro de
ling. lat. VI, 2 den Antipater als Etymologen; es ist darunter wohl
Antipater von Tarsos, der Lehrer des Panaitios, verstanden, der auch in
den Scholien des Dionysios Thrax neben Chrysippos genannt wird und zu
den 5 Redeteilen des Chrysippos (orofia, nqoarjyo^jia^ Q^jf^^^ avvösa^oQ, äqd^Qov)
noch als sechsten das Participium oder die iieaöxrig fügte. Spätere Stoiker
haben auch litterarhistorische Untersuchungen angestellt; so Apollonios
aus Tyrus, von dem Strabon p. 757 ein Verzeichnis der Philosophen seit
Zenon anführt und von dessen Schrift über die philosophischen Frauen
Sopater einen Auszug machte; ferner Athenodoros aus Tarsos, Schüler
des Poseidonios, der unter den Lehrern des Kaisers Oktavian genannt wird
und Schriften gemischten Inhaltes, wie nsQirtaxoi^ tisqI arcovSrjg xal naidiäq
verfasste. ^)
386. Die eigentliche Grammatik hatte ihre Hauptblüte in Alexandria
und Pergamon;*^) daneben stellte aber auch Athen und später Rom einzelne |
tüchtige Gelehrte. Die nackte und dürre Grammatik, die es lediglich auf
Gelehrsamkeit und Scharfsinn absah, machte sich erst im zweiten und letzten
Jahrhundert v. Chr. breit; in den ersten Zeiten nach Alexander wollten die
Grammatiker noch als Männer von Geschmack und poetischem Talent gelten,
so dass viele unter ihnen auch als Dichter glänzten oder durch anziehend
geschriebene Denkwürdigkeiten sich hervorthaten. Viele der Grammatiker
haben wir daher bereits oben unter anderen Titeln behandelt, wie Kalli-
^) Varro de ling. lat. V, 9 : non solum ad
Aristophanis lucernam, sed etiam ad Cle-
anthis lucuhrain.
2) Dem Chrysipp stand Aristarch als
Verteidiger der Analogie gegenüber, worüber
uns hauptsächlich Varro de ling. lat. unter-
richtet.
■') Derart waren des Zenon TiQoßXijfxccTa
'Ofit]Q(xä in 5 B., die der Grammatiker Ari-
starch bekämpfte; s. Diog. VII. 4 und Dio
Chrys. or. 55 p. 275 R.
^) Christos Aronis, XQvainnog yQafXfjia-
Tixog, .Tena 1885. Über Chrysipp's andere
Schriften siehe § 376.
5) Müller FHG. III, 485-8.
6) Vgl. oben § 313-317.
I
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 386—388.) 507
maclios, Apollonios Rhodios, Philoclioros, Sosibios. Hier lassen wir die
übrigen Grammatiker, soweit möglich in zeitlicher Ordnung folgen.
387. Zenodotos aus Ephesos (gest. um 260), Schüler des Philetas,
war der erste alexandrinische Grammatiker und Bibliothekar, i) Er lebte
nach Suidas unter Ptolemaios L; seine Thätigkeit zog sich aber auch noch
in die Zeit des Ptolemaios Philadelphos hinein. Als Bibliothekar teilte er
sich mit Alexander Aetolus und Lykophron so in die Aufgabe der Ordnung
der Bücherschätze, dass Alexander die Tragödien, Lykophron die Komödien,
er selbst Homer und die übrigen Dichter übernahm. Wie er in dieser
Beziehung die Grundlage für die Arbeiten der Späteren schuf, so hat er
auch mit seiner kritischen Ausgabe {^i6Q^(o(rig) des Homer den Reigen der
alexandrinischen Kritiker eröffnet. Was er darin geleistet, erfahren wir
fast nur aus den Entgegnungen, die sein überlegener Nachfolger Aristarch
gegen einzelne seiner Aufstellungen richtete. Aber wenn er auch von dem
Vorwurf der Willkür und ungenauen Sprachkenntnis 2) nicht ganz freizu-
sprechen ist, so ist er doch gleich im Anfang den richtigen Weg gegangen :
er hat durch Vergleichung von Handschriften den Boden für die kritische
Textesrecension gelegt, er hat sich für Entdeckung von Interpolationen und
Schäden der Überlieferung das Auge offen gehalten, er hat durch Anlegung
eines Glossars sich den Einblick in den speziellen Sprachschatz des Homer
verschafft. Auch machte er wie fast alle Gelehrte jener Zeit Verse, aber
von denselben hat sich nichts, nicht einmal eine Andeutung ihres Inhaltes
erhalten. 3)
Als Schüler des Zenodot werden ausser Aristophanes von Byzanz
genannt die Grammatiker Theophilos und Agathokles, welch letzterer selbst
wieder Lehrer des Hellanikos, des bekannten Chorizonten, war.^)
388. Eratosthenes (um 276 — 194)^), Sohn des Aglaos, war der
vielseitigste und bedeutendste unter den Gelehrten Alexandriens, der dem
Namen Philologos, den er zuerst sich beilegte,*^) alle Ehre machte. Ge-
boren in Kyrene um 275 v. Chr. erhielt er seine erste Ausbildung in der
Grammatik durch Lysanias und Kallimachos; später wandte er sich nach
Athen, w^o der Stoiker Ariston aus Chios und der Akademiker Arkesilaos
Einfluss auf seine philosophische Lebensanschauung gewannen.'^) Lang
^) Im plautinischen Scholion wird Zeno-
dot nicht als Bibliothekar angeführt, wohl
aber von Suidas; vgl.^ Coüat, La xtoesie
Alexandrine p. 30 f. Über seine Lebenszeit
s. RiTSCHL, Opusc. I, QQ, der sein Leben
bis zum Tode des Ptolemaios Philadelphos
herabreichen lässt, wodurch aber für die
Thätigkeit des Kallimachos als Bibliothekar
zu wenig Raum bliebe ; vergleiche ausserdem
Gellius N. k. 17, 21.
^) So nahm er Komparativformen auf
tw statt iMv an und Hess die Verbalendung
auf (itc<i auch für den Singular gelten.
^) DüNTZEE, De Zenodoti studiis Home-
ricis, Gotting. 1848; Römer, Über die Homer-
recension des Zenodot, in Abh. d. b. Ak.
1885. Zenodots Tageberechnung der Ilias
ist herausgegeben von Lachmann im Anhang
der Betrachtungen über Homers Ilias, Ztjyo-
dÖTov di<x(poQcc cpMvrjg, wahrscheinlich aus
dem Glossenwerk stammend, von Studemund,
Anecd. gr. p. 103 u. 287 ff.
*) Nach Suidas u. IlroXs^cdog 6 imfherrjg
war letzterer Schüler des Hellanikos, dieser
des Agathokles und dieser des Zenodot.
^) Nach Suidas war er geboren Ol. 126
(276/2 V. Chr.) und starb 80 (82 nach Luc.
Macrob. 27) Jahre alt.
^) SuETON, De gramm., iW. 10: phüologi
appellationem assiiiupsisse videtur Ateius,
quia sicut Eratosthenes, qui piimus hoc
cognomen sihi vindicavit, multiiüici variaque
doctrina censehatur.
^) Strab. p. 15: fxeaog tjy toi~ rs ßov-
Xo^evov cpiloGocfeTv x(d tov furj r^aQQovyroc
iy/eiQiCst^y iavxdy eig T?]y vtiöüj^eoiv. Lucian,
508 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
indes scheint dort sein Aufenthalt nicht gewesen zu sein, indem ihn bald
Ptolemaios III. Euergetes nach Alexandrien berief, wo er Nachfolger des
Kallimachos in der Vorstandschaft der Bibliothek wurde und von den
Königen des Landes freigebig unterstützt seinen grossen geographischen
und mathematischen Untersuchungen obliegen konnte. In hohem Alter
drohte ihm völlige Erblindung, weshalb er 82 (nach Suidas 80) Jahre
alt durch Enthaltung von Nahrung seinem Leben ein Ende setzte. Nach
vielen Richtungen wissenschaftlich thätig und zugleich in Prosa und in
Versen schreibend erhielt er unter Anspielung auf eine Stelle im ps. pla-
tonischen Dialog Anterastai p. 135 den Beinamen BrJTa^) oder nsvrad^Xov:
in den einzelnen Gebieten nämlich müsse er sich mit der 2. Stelle begnügen,
in der Poesie gegenüber Kallimachos, in der Philosophie gegenüber Arke-
silaos, in der Mathematik gegenüber Hipparch, in allem zusammen aber
werde er von keinem überflügelt. Wahrhaft bahnbrechend waren seine
wissenschaftlichen Erfolge auf dem Felde der Geographie. Hier legte er
durch trigonometrische Messungen den Grund zur Anlage eines Erdnetzes
und verwertete die Entdeckungsberichte des Hanno, Pytheas, Nearch, um
eine richtigere Vorstellung von dem Umfang und der Gestalt der Erde zu
gewinnen. Sein Hauptwerk waren die FfwyQa^ixd in 3 B., über deren
Anlage uns zumeist die Polemik des Strabon unterrichtet. Im 1. Buch
gab er einen kritischen Überblick über die Geschichte der Geographie von
ihren ersten Anfängen bei Homer bis auf die Geschichtsschreiber Alexan-
ders. Im zweiten Buch entwickelte er seine eigenen Anschauungen von
der Kugelgestalt der Erde und suchte auf Grund der Messung des Meridian-
bogens von Alexandria bis Syene die Grösse derselben zu bestimmen. Im
dritten behandelte er die chronographische und politische Erdbeschreibung
auf Grund einer von ihm entworfenen Karte. — Nebst der Geographie war
es die Chronologie, in der er mit ausgedehnter Gelehrsamkeit bahnbrechende
Untersuchungen anstellte. Er war der Schöpfer dieser Wissenschaft, die
später Apollodor in eine anziehende metrische Form brachte. Von ihm
rührt die durch Clemens Alex. I, 21 uns erhaltene Tafel von den Epochen
der Geschichte her; in weiser Beschränkung begann er die erste derselben
mit der Eroberung Troias, indem er die ältere mythische Zeit ganz aus-
schloss. Ob auch die durch Eusebios uns erhaltenen ägyptischen Königs-
listen auf dieses Werk des Eratosthenes zurückgehen, ist zweifelhaft. 2) —
In das Gebiet der Grammatik gehörte das grosse Werk ttsqI äqxaiaq
xM/KpSiag in mindestens 12 B., in dem über Didaskalien, historische An-
spielungen, Masken, schwierige Stellen mit Gelehrsamkeit gehandelt war,
und von dem wahrscheinlich das ^xsvoqjoQixöv, das Pollux im Eingang des
10. Buches seines Onomastikon erwähnt, einen Teil bildete. Auch mit rein
mathematischen Problemen beschäftigte sich Eratosthenes, wie mit der Ver-
doppelung des Würfels in einem noch erhaltenen Briefe an den König
Macrob. 27 : ^EQaroOxi^Evrjg 6 ^^y)Mov Kvgrjpcciog,
op ov uovov yQctfx/uacixoy uXXd xcd noiijrrju
UV rig ovofxaaeie xai cpLloaocpov xal ysM^sxQrjv.
^) Ps. Longin de subl. 34. In ähnlicher
Spielerei nannten die Grammatiken den Ari-
starcheer Satyros Zrjra und den Aesop ©lyr«,
s. Photios Bibl. p. 151b, 21.
'^) Niese, Die Chronographie des Era-
tosthenes, Herrn. 23, 92 — 102, bestreitet
dieses, indem er dem Werke, von dem kein
Buchcitat existiert, nur einen massigen Um-
fang gibt.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 388—389.) 509
Ptolemaios, ebenso als zweiter Piaton, wie man ihn ehrend nannte, mit
philosophischen Fragen, die er wie sein Vorbild in dialogischer Form be-
handelte.
Lebend in einer Zeit, in der die Gelehrsamkeit sich noch nicht mit
Trockenheit der Gedanken und Kunstlosigkeit der Form identifizierte,
pflegte Eratosthenes auch den Garten der Poesie. Stoff bot ihm dazu die
Astronomie und der bestirnte Himmel, der sich damals mit wundervollen
Gebilden der poetischen Phantasie belebte. Sein hauptsächlichstes astro-
nomisches Lehrgedicht war der 'EQf.irjg, von dem sich ein längeres Frag-
ment, welches die Einteilung der Erde in 5 Zonen enthält, gerettet hat.
Mit den Sternbildern hing das Gedicht 'HQiyovr] zusammen, ein noir^^aTiov
did ndvTcov dfXM^rjTov^ wie es Ps. Longin c. 33 nennt, in welchem die
rührende Sage von dem Tode des Ikarios und der Treue seines Hundes
erzählt war. Vermutlich hatte auch die ^AvreQivvg, in welcher die Sage
vom Tode Hesiods vorkam, zu den Sternen und Verwandlungen Bezug.
Mit diesen poetischen Schöpfungen berühren sich im Inhalt die uns noch
erhaltenen KaraaTs^KTinoi,^) in denen die einzelnen Sternbilder in Verbin-
dung mit den Fabeln der Dichter in prosaischer Rede aufgezählt sind.
Dieselben bildeten im Altertum schon eine Hauptquelle der späteren Fabel-
schriftsteller, insbesondere des Hygin,^) sind aber nur in der Form eines
Auszugs auf uns gekommen, in dem obendrein dem Arat zulieb die ur-
sprüngliche Ordnung geändert ist.^)
Eratosthenes war so eine der ersten Grössen der alexandrinischen
Zeit, ein Mann von Scharfsinn, Geschmack und ausgebreitetster Gelehrsam-
keit. Er verdiente den Namen Philologos, den er sich im Gegensatz zu
den Grammatikern mit ihrem beschränkten Gesichtskreis beilegte. Wir
bezeichnen ihn nach unserer Sprechweise als den ersten grossen Polyhistor.
Wenn man aber sonst leicht von den Polyhistoren den Ausspruch des
Heraklit TroXvfjia^rjirj voov ov öidäaxei anzuwenden veranlasst wird, so
muss man umgekehrt von Eratosthenes bekennen, dass er sich bei aller
Gelehrsamkeit durch Feinheit des Urteils und poetisches Verständnis aus-
zeichnete. Er zeigte dieses unter anderem in der Homererklärung, bei der
er gegenüber den prosaischen Naturen, welche in den Schilderungen der
Schlachten und in den Irrfahrten des Odysseus peinlich genaue Bericht-
erstattungen wirklicher Ereignisse finden wollten, an dem goldenen Satze
festhielt on TTOirjrrjg nag CTOxä^sTai xpvxaywyiag^ ov SiSaaxaXiag.^)
Eratostlieniea compos. Bernhardt, Berol. 1822. — Die geographischen Fragmente
des Eratosthenes von Hugo Berger, Leipz. 1880. — Eratosthenis carminum rell. dispos.
Hiller, Lips. 1872. — Maass, De Eratosthenis Erigona, Phil. Unt. VI, 59—138. — Era-
tosthenis catasterismorum reliquiae reo. C. Robert, Berol. 1878.
389. Antigenes von Karystos^) in Euböa, davon öfters schlechtweg
^) KcaaÄoyoi heissen dieselben bei Schol.
zu Hom. X, 29: laio^ei 'EQcaoad^evrjg sv ro?g
iavrov xuraXoyoig.
''-) Die Meinung Bernhardys, dass unsere
KaTaoT£Qiafj,oL nur eine Übersetzung der Fa-
beln des Hygin seien, ist widerlegt von
BuRSiAN in Jhrb. f. Phil. 1866 S. 765.
^) Dieses ist nachgewiesen von Robert
in den Proleg. seiner Ausgabe der Kaiaaie-
QKTfioi p, 33 f. Die Echtheit bezweifelt
Maass, Analecta Eratosthenica (Phil. Unt.
VI, Berl. 1883); dagegen Böhme, Rh. M.
42, 286 ff.
-*) Strabon p. 7.
^) Köpke, De Antigono Carystio, Ber.
1862; WiLAMowiTZ, Antigenes von Karystos,
Phil. Unt. IV, Berl. 1881.
510 Griechisclie Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
( KaQvüTiog genannt, hatte seine Bildung in Eretria bei dem Philosophen
Menedemos erhalten und war dann in die Kreise der Philosophen und
Künstler Athens eingetreten. Von König Attalos I. nach Pergamon be-
rufen, ward er einer der hervorragendsten Vertreter der älteren perga-
menischen Schule. Seine Lebenszeit reicht über 226 herab. Das Haupt-
werk desselben waren die Bioi (fiXoaöifmv, dessen einzelne Abschnitte unter
besonderen Titeln, wie iv to) Zrjvcovog ßiM, iv t^) MsvsSriiiov ßioy, sv to)
nsQi IJiQQMvog etc. citiert werden. Ein Hauptvorzug dieser Biographien
vor ähnlichen litterarhistorischen Büchern bestand darin, dass sie aus dem
vollen Leben geschöpft waren, indem ihr Verfasser die Philosophen, deren
Leben er schrieb, aus persönlichem Umgang kannte, nicht auf Fabeln und
blosses Hörensagen angewiesen war. Verwandter Natur waren die '/cro-
Qtxd v7toiivrjjj.aTa, in denen unter anderm nach Athen. 61 Oe von der Philo-
sophenvertreibung durch König Lysimachos erzählt war. Ob unser Anti-
genes auch ein Buch über Kunst, speziell über Toreutik und Maler ^) ge-
schrieben hat, gegen das Polemon polemisierte, oder mit anderen Worten,
ob der Schriftsteller Antigonos und der Künstler Antigenes eine und die-
selbe Person sei, wird bezweifelt. 2) Auf uns gekommen ist eine Sammlung
von Wundergeschichten {IctTogicov naqaSo^oiv avvayißyrj), die in 191 Para-
graphen wunderbare Erscheinungen meist aus dem Naturreich in Verbin-
dung mit mythologischen Erzählungen enthält. Die Sammlung in einfacher,
aber korrekter Sprache stützt sich auf eine umfassende Lektüre, so dass
neben Herodot und Homer, der hier schon 0 Troirjzrjg schlechthin heisst,
Ktesias, Aristoteles, Eudoxos, Timaios u. a. berücksichtigt sind. Der
grössere Teil aber ist nur eine Auslese (sxkoyrj) aus der Tiergeschichte des
Aristoteles und der Wundersammlung des Kallimachos. Ausgabe von Keller,
Beruni naütralium scriptores graec. min. I, 1 — 42.
390. Istros aus Kyrene, nach andern aus Makedonien oder Paphos,
war Sklave von Geburt, wurde dann Schüler des Kallimachos und schrieb
wie sein Herr und Meister in Prosa und Vers. Seine litterarische Betrieb-
samkeit war hauptsächlich der historischen Philologie zugewandt, so dass
ihn Plutarch, Alex. 46, geradezu einen Historiker nennt. Sein Hauptwerk
waren die Attika, wovon Athen, p. 557a ein 14. Buch anführt; wenn Har-
pokration unter sTTsvsyxstv und ^soiviov dasselbe unter dem Titel away^y)]
TÖ)v 'At^iScüv citiert, so lässt sich daraus entnehmen, dass in demselben die
früheren Werke ähnlichen Inhaltes 2) benützt und zusammengefasst waren.
Ausserdem schrieb er ^Hhaxd, 'ÄQyohxd, av^iiixTa virof.ivr'jjiiaTa, ÄlyimTi(ü%'
diroixiai,, nsql JlToXsi^idiSog, jtsqI dyah'cov. Litterarhistorischen Inhalts waren
seine MsXoTioioi. Gegen den Historiker Timaios, dem er den Spitznamen
Epitimaios gab, polemisierte er in einer eigenen Schrift.^) Die Fragmente |
sind gesammelt bei Müller, FHG. I, 418 — 427, speziell besprochen von
') Plinius im Index auctorum 1. XXXIV 1 Zenobios V, 82. Auch eine Schrift nsQi Xe-
und XXXV, 68; Diog. VII, 187.
^) WiLAMOWiTZ geht von der Identität
beider aus; Bedenken erhebt Urlichs, Über
griech. Kunstschriftsteller, Würzb. 1887 S, 34.
Ausdrücklich hat der Bildhauer Antigonos den
Beinamen Karystios bei dem Parömiographen
^eioq von einem Antigonos Karystios wird bei
Athen. 88 a u. 297 a erwähnt, worüber Wila-
MOWITZ S. 174.
3) Vgl. oben § 360.
■*) Ath. 272 b "iGTQog sv rcag UQog 'Ettj-
Tificiioy dvTiyQCicpmg.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§390— 393.) 511
Wellmann, De Isfro CalUmachio, Greifsw. 1886. — Von dem Kalli-
macheer Ister verschieden ist Ister von Kallatis, den Stephanos unt. Kd?.-
lang als Verfasser eines Buches über Tragödie anführt und der vermutlich
einer späteren Zeit angehört; auf besagtes Buch sind die Notizen im Leben
des Sophokles zurückzuführen.
391. Hermippos aus Smyrna, Kallimacheer genannt im Gegensatz
zu dem unter Hadrian lebenden Hermippos Berytios, schrieb im Anschluss
an die Pinakes seines Lehrers Biographien berühmter Männer {Bioi tmv
SV naideia diaXajj^ijjdvTMr). Die einzelnen Abschnitte jenes Werkes werden
unter besonderen Titeln angeführt, wie ttsqI tcov inid aocpcov, ttsqI JIqw-
TccyoQOV, tisq] '^iTTTCcovccxTog, ttsqI roQyiov, 7T8qI laoxQdrovg, nsQi TCOV ^lao-
xqdrovg (la^rjZMv (in mindestens 3 B.), ttsq! ^AQiazoTsXovg, jisqI OsoifQaarov,^)
ti8qI XQvaiTCTcov,^) einer davon hat sich im Verzeichnis der akademischen
Philosophen der herkulanischen Rollen erhalten: ttsqI tcov dno (fiXoao(fictg
HC TVQQavviSag xal dwccCTsiag fxed^saTijxoTcov. Die biographischen Arbeiten
des Hermippos, welche ähnlich wie die des Istros die Überlieferungen der
Früheren vereinigten und abschlössen, wurden viel von den Späteren be-
nützt. Eine Stellung für sich behauptete die Schrift über die Gesetzgeber
(nsgl rojnoO^sTcov), von der bei Athen. 619 b ein 6. Buch citiert wird. Ob
der Hermippos, welcher nach dem Biographen des Arat Phainomena schrieb
und in Trimetern auch von Asklepios und seinen Kindern handelte (Schol.
Arist. Plut. 701), mit dem Kallimacheer Hermippos oder überhaupt mit einem
unserer zwei Hermippoi identisch sei, ist zweifelhaft. Fragmente bei Müller,
FHG. III, 35-54.
392. Satyros, der Peripatetiker, verschieden von dem Aristarcheer
2dTV()og 0 C^Ta, blühte um 200, sicher vor Ptolemaios Philometor, unter
dem Herakleides o Xefxßog sein Werk in einen Auszug brachte.^) Seine Bioi
bewegten sich ganz im Fahrwasser der peripatetischen Schule, mit welcher
er auch die kritiklose Aufnahme von Anekdoten teilte. Die meisten der-
selben galten berühmten Philosophen und Dichtern; doch schrieb er auch
ein Leben Philipps. Von dem Ansehen und Umfang des biographischen
Werkes, von welchem Diogenes VI, 80 ein 4. Buch citiert, zeugt der Um-
stand, dass der Grammatiker Herakleides von ihm eine Epitome veran-
staltete. Der Titel seines zweiten Werkes tvsqI xaqaxTrjQwv verrät den
Nachahmer des Theophrast. Fragmente bei Müller, FHG. III, 159—166.
393. Polemon war in einem Dorfe der Landschaft Ilion geboren,
wovon er bei Suidas den Zunamen 6 'Ihsvg hat. Im Verfolge seiner topo-
graphischen und kunstgeschichtlichen Studien durchwanderte er ganz Hellas,
Vorderasien, Sikilien und Italien, indem er sich in den Hauptorten Griechen-
lands zum eingehenden Studium förmlich niederliess. Infolge dessen erhielt
er von Delphi die Proxenie (176 v. Chr.)^) und wurde von Athen und
anderen Städten ^) mit Verleihung des Bürgerrechtes ausgezeichnet, so dass
-) Über das von Hermippos ausgehende j ^) Darüber Diog. VIII, 40. IX, 20,
Verzeichnis der Werke des Aristoteles und i '^) Wescher-Foucart, Inscr. de Belplies,
Theophrast s. S. 495 An. 5. n. 18 v. 260: llolefxcDv Mih]alov 'iXisvg.
^) Da Chrysipp 208/5 starb, so schliesst ^) Im Artikel des Suidas ist zwischen
man daraus, dass Hermippos noch dieses Jahr ^JSijyrjai nohroyQfccfrjSELg und t)>o xal EXhc-
überlebte. i 6ix6q insyQt'iifeio durch Homoioteleutie aus-
512
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
scherzend Athenaios 234 d von ihm sagt d're ^ä^jaog, drs 2ixvo)viog, m'
'A^7]vccTog ovoßa^ö^isvog xaiQsi. Nach Alexandria ward er durch Ptolemaios
Epiphanes gezogen.^) Seinen Hauptruhm erwarb er sich als Perieget, wo-
von er auch den Beinamen TTeQirjyrjzrjg oder arrj^-oxonag erhielt. Voran-
gegangen war ihm in diesem Zweige der Forschung Diodor von Athen, 2)
aber erst er erhob die Periegese zu ihrer grossen Bedeutung, indem er auf
das sorgfältigste an Ort und Stelle die Kunstwerke und sonstigen Merk-
würdigkeiten untersuchte und die Weihinschriften und Grabepigramme zur
Aufhellung der Kunst- und Kulturverhältnisse heranzog.^) Von seinen
Schriften nennt Suidas in einem verworrenen Artikel nur wenige: TtsQirjyrjaig
'Ih'ov, Tcc TTQog ^Aöcciov xal ^Avriyovov, xriasig tcov iv ^Mxidi ttoXsmv, xTiaeig
Tcov iv JIovTo) nöXsoov^ ttsqI tcov iv AuxeSai^iovi. Wie es damals Brauch
war, legte er seine Studien in Spezialschriften nieder; aber die von Suidas
angeführten waren nicht die bedeutendsten; bedeutender waren die Schriften
nsQl TTJg ^A&T'Vr^aiv dxQOTioXswg in 4 B.,*) ttsqI tcov iv ^ixvcovi mvccxon', ttsqI
TCOV iv Jf:X(foTg &rj(favQcov, rtsql tcov xaTci noXsig imyQaiiixarcov. Ausserdem
kannte das Altertum von Polemon ein Buch über Wunderdinge. Briefe,
darunter einen an König Attalos, und eine Reihe von Streitschriften {ccvti-
ygacpai), insbesondere gegen Timaios, Neanthes, Anaxandrides, und in kunst-
geschichtlichen Fragen gegen Adaios und Antigenes; dem Eratosthenes
wies er solche Fehler in der Beschreibung Athens nach, dass es scheine,
er habe Athen gar nicht gesehen.^) Bestritten war die Echtheit des BX-
Xadixög sc. Xoyog,^) der vielleicht nur deshalb dem Polemon zugeschrieben
ward, weil er aus dessen Werken zusammengestellt war; wie sich aber
diese Schrift zu der von Suidas erwähnten xoaiiixr] 7T€Qirjy7j(ng rjzoi yaco-
yqaffia und zu den von andern') angeführten ^EkXrjvixal taTOQim verhielt,
ist unklar. Hauptwerk von Pkellek, Polemonis periegetae fragm.^ Lips.
1838; die Fragmente auch bei Müller, FHG. III, 108—148; vgl. Bencker,
der Anteil der Periegese an der Kunstschriftstellerei der Alten, Diss.
München 1890.
Von Gelehrten ähnlicher Richtung habe ich schon gelegentlich Diodor,
Adaios, Antigenes genannt; ich füge hier noch an: Kallixenos aus Rhodos,
der zur Zeit des Ptolemaios Philadelphos ein Buch über Alexandria schrieb
und dessen Verzeichnis berühmter Maler und Bildhauer der Sophist Sopater
in seine Chrestomathie (Phot. cod. 161) aufnahm, Heliodoros aus Athen
(2. Jahrb.), dessen Bücher über die Akropolis und die Dreifüsse (Weih-
gefallen xal Ev {(XXatg nokXaig rfjg EXlä^og
noXsai.
') Athen. 552b. Suidas setzt den Po-
lemon unter Ptolemaios Epiphanes und gleich-
zeitig mit dem Grammatiker Aristophanes
von Byzanz.
'^} Derselbe schrieb vor 308, s. Preller,
Polemon, S. 170 ff. Fragmente bei Müller
FHG. II, 353 ff.
^) Muster ist der Artikel nciQdaiTog bei
Ath. 234 d.
^) Strab. p. 396: UoXtfxMv 6 7T€Qif]y7]ri]g
TSTTccQa ßiß)ü(c avviyQCixpe neql rwy dva-
^fjfidriov TÜiv iv ((XQonoXec. Die Schrift ent-
hielt mehr als der Titel besagte, indem sie
auch andere Punkte der Stadtperiegese be-
handelte, worüber Kalkmann, Pausanias
S. 59 ff.
5) Strab. p. 15.
ß) Daher Ath. 479 u. 606: noXe^oiP rj
6 noiijaag zov BniyQacfö^Evov 'EXXccdixov.
') Schol. Aristid. III, 321 ed. Dind. und
lulius Afric, bei Eusebius praep. ev. X, 10. 15.
Vielleicht ist eine Erwähnung dieses Sammel-
buches alter Mythen auch zu suchen in
Schol. II. r 242 7) iaxoQLCi nagd xoTg IloXe-
ixiorloig rj roTg xvxXixoTg.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 394.) 51;
geschenke) Athens eine Hauptquelle des älteren Plinius bildeten, Anaxan-
drides, älterer Zeitgenosse des Polemon, der über das Orakel von Delphi
und die geraubten Weihgeschenke des Orakels schrieb,^) Mnaseas aus
Patara, Schüler des Eratosthenes, der eine Sammlung delphischer Orakel-
sprüche veranstaltete, Hegesander von Delphi aus der Zeit des Königs
Perseus, in dessen Memoiren die Bildsäulen und sonstigen Kunstwerke
seiner Vaterstadt eine hervorragende Stelle einnahmen,^) Sokrates aus
Argos, dessen mythenreiche Periegese der Landschaft Argos in den Schollen
zu Pindar und Euripides und von Plutarch de mul. virt. 4 herangezogen
ist. Fragmente bei Müller, FHG. HI, 55—66; 106-7; 149—158; IV,
412—422; 496-9.
394. Aristophanes (um 262 — 185) war als Sohn des Söldnerführers
Apelles in Byzanz am Hellespont geboren (daher Byzantius genannt), kam
aber schon in frühen Jahren, unter Ptolemaios Philadelphos, nach Ale-
xandria, ^) wo er Schüler des Zenodot und Kallimachos wurde. ^) Von den
Königen Ägyptens hochgeehrt, bekleidete er als Nachfolger des Apollonios
Rhodios und als Vorgänger des Aristarch das angesehene Amt eines Bib-
liothekars.^) Von einem Versuch zum König Eumenes von Pergamon über-
zugehen, ward er mit Gewalt zurückgehalten. Hochbejahrt starb er 77 Jahre
alt am Harnzwang um 185. Aristophanes hiess Grammatiker und war
dieses im eigentlichen, zugleich aber auch im eminenten Sinne. Seine
Studien galten fast ausschliesslich der Sprache, Litteratur und Texteskritik;
selbst sein scheinbar historisches Buch über die Hetären,'') sowie seine
Schriften über die Masken und sprichwörtlichen Ausdrücke hingen mit
seinen Studien über die attische Komödie zusammen. Für die Litteratur-
geschichte bedeutsam waren seine Ergänzungen und Berichtigungen der
Pinakes des Kallimachos,*^) womit zugleich die Ordnung der Werke einzelner
Schriftsteller, wie des Philosophen Piaton,'') und die Auswahl der muster-
gültigen Autoren in den einzelnen Zweigen der Litteratur, der sogenannte
Kanon der Alexandriner in Zusammenhang stund. ^) Zur Textesbearbeitung
(6i6Q^o)aig) und Herausgabe (sxdoaig) wählte er, der Richtung seiner Zeit
und der eigenen poetischen Neigung folgend, nicht die Redner und Histo-
riker, sondern die Dichter. Unserem Imm. Bekker vergleichbar, hat er
eine Unmasse von Ausgaben besorgt, geschätzt waren insbesondere seine
') Weniger, De Anaxandrida Polemone
Hegesandro, Beil. 1865.
^) Suidas: yeyovs tfe xaru irjv Q^u<^ (?i"^
V. 1.) ökvjLiTiiu&a ßaatXevoyrog IIzoXeiAcäov rov
4'i'A(((fEXg)ov xcd rov fusr^ «rroV rov ^i'Aond-
TOQog {(fiersirs de f^e/Qi UTo'kffxaiov tov
^iloTiuTOQoq xal rov fASi^ cnzöy ßaailevaavjog
eorr. Bernliardy). Über den verworrenen Ar-
tikel s. RiTscHL, Alex. Bibl., p. 79 = Opnsc.
I, G4, und dagegen Rohde, Kli. M. 33, 168.
^) Suidas: (xax^ijiiqg Kc<XXifX('c/ot> xccl 7.7]-
vo&OTOv, «AA« TOV fi€y rt'og, tov de ncag
i^^xovoe. Ausserdem gibt Suidas den Dio-
nysios lambos, der neQi diaXtxiojy geschrieben
hatte, und den Knphronis aus Korinth oder
Sikyon als seine Lehrer an. Athen. 241 f.
Haudbuch der klass. Altcvlumswissoiisohalt. VH. i
u. 664a nennt auch den Komiker Machon
seinen Lehrer.
"*) Die Antrittszeit des Amtes scheint
von Suidas mit ytyovE 6e y.aid rij)/ (>,wtF'
öX. bezeichnet zu sein, danach wurde er um
204/200 Bibliothekar; er war bei dem An-
tritt des Amtes nach Suidas 62 Jahre alt.
^) Das Buch ist oft citiert von Athcnaios.
^) Ath. 408 f. führt an to jjQog rot^g
KaXh/uu^ov nivaxag und p. 33(5 e ui'((yQ(((fij
<^QC<fI('(TlOl'.
') Siehe S. 373 An. 2. Auch mit der
Naturgeschichte des Aristoteles hatte er sich
beschäftigt.
**) Siehe § 314 und vgl. das Epigramm
des Aelian CIG. 1085, llf.
AuH. 33
514
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Textesrecensionen des Homer und der Lyriker. Eingehend beschäftigte er
sich auch mit der attischen Komödie, auf die ihn sein Freund, der Dichter
Machon, hingewiesen haben wird. Zu den Dramen der Tragiker lieferte
er Einleitungen (viroO^tasig), in denen er über die Fabel, die Aufführung,
den ästhetischen Wert der einzelnen Stücke handelte.') Von diesen sowohl
als von den Kommentaren, namentlich zu Euripides, sind uns noch Reste
in unseren Schollen erhalten. 2) Auch von den Lyrikern, speziell von
Alkaios, Anakreon, Pindar besorgte er kritische Ausgaben unter besonderer
Berücksichtigung der Vers- und Strophenabteilung. ^) Von seinen lexikali-
schen Sammlungen werden die 'Attixcü X<<^8ig, AaxMvixcd yXcoaaai und die
Spezialschriften tt^qI ovonaaiag r^hxiMv, ttsqI avyysvMv bvo}.iäTün> namhaft
gemacht. Einen unbedeutenden Rest der Xb'itig hat in unserer Zeit Miller,
Melanges 427 — 34 aus einer Handschrift des Berges Athos ans Licht ge-
zogen.^) Auf unseren Grammatiker geht auch die Einführung kritischer
und prosodischer Zeichen zurück.^) Die ersten sollten in einer Zeit, wo
man mit dem Schreibmaterial sparen musste, dazu dienen, um in Kürze
am Rand Andeutungen über Unechtheit, Eigentümlichkeiten in Sprache und
Mythus, Anfang und Schluss der Perioden oder Strophen zu geben. Die
prosodischen Zeichen für Accent, Spiritus, Quantität sind von Aristophanes
nicht neu erfunden, auch nicht mit der gleichen Konsequenz wie in unseren
Drucken durchgeführt, aber doch häufiger als vordem zur Unterscheidung
ähnlich aussehender Wörter, wie avt'iQ und «r/;^, angewendet worden.^)
Die grossartige Gelehrsamkeit unseres Kritikers hat den Sammelwerken der
Späteren und den Schollen der Dichter ihr reichstes Material geliefert; aus
ihnen müssen wir heutzutage die spärlichen Reste der fruchtbaren Thätig-
keit des vielseitigen Gelehrten zusammenlesen.
Nauck, Äristophanis Byzantii grammatici Alexandrini fragmenta, Haus 1848, dazu
WiLAMOWiTZ, Eur. Herakl. I, 137 — 53; Trendelenburg, Grammaticoriim graec. de arte
tragica i^idiciorum reliquiae, Bonn 1867; H. Schrader, De notatione critica a veteribus
grammaticis in poetis scaenicis adhihUa, Bonn 1863.
Der bedeutendste Nachfolger des Aristophanes war Aristarch; aber
der ist seine eigenen Wege gegangen, hingegen haben sich seine Schüler
im engeren Sinn, ol ^Agiazocfareioi, enger an ihr Vorbild angeschlossen und
nicht bloss die Richtung der von ihm angebahnten Studien, sondern auch
die von ihm eingeführten Zeichen beibehalten. Die namhaftesten unter ihnen
waren: Artemidoros aus dem 1. Jahrhundert v. Chr.,') von dem Athenaios
Xk"^€ig oipccQTVTixäg anführt und der eine Sammelausgabe der Bukoliker be-
sorgte, Kallistratos, der sich mit Homer, Pindar und den Dramatikern
beschäftigte und von dem Athenaios ^vjHfxixTa in mindestens 7 B. und ein
I
') Siehe § 7.
2) Siehe § 134 An.
^) Dionys. de comp. 22: xioXa tTe /us
(^a^ai, vvi'l 'keysiv ov/ otg 'jQiaio(fc'(i^r]g rj xiov
icXXmp Tig ^ETQiy.Mv (fisxoafirjae rdg iodccg.
'*) Vgl. CoHN, De Aristophane Byz. et
Suetonio Tranquillo Eustatldi auctoribus,
Jhrb. f. Phil. Suppl. XIl, 285 ff.; Fresenius,
De Xs^scoi^ Aristoj)1ianearum et Suctonia-
narum excerptis Byzantinis, Wiesbaden
1875. Von der Exaktheit des Aristophanes
in seinen vollständigen Werken kann uns
der Artikel über die Namen der jungen Tiere
bei Aelian A. H. VII, 47 einen Begriff geben.
^) Bezeugt von Ps. Arkadios p. 186.
^) Vgl. Lentz, Herodiani rell. I, praef.
XXXVII
') Vgl. Sehol. Aristoph. Vesp. 1239;
Ahrens, Bucol. gr. 11 p. XXXVII. Verschie-
den von dem Grammatiker ist der Geograph
Artemidoros aus Ephesos.
A. AI exandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§395.) 515
Buch nsQi haiQMv anführt,^) Diodoros, von dem italische Glossen citiert
werden, der also in der Zeit gelebt haben wird, wo die griechischen Ge-
lehrten mit Rom nähere Fühlung bekamen.
395. Aristarchos (um 222 — 150), der berühmte Schüler und Nach-
folger des Aristophanes, stammte aus Samothrake, war aber gleichfalls frühe
nach Alexandria übergesiedelt. 2) Seine Blüte setzt Suidas in Ol. 156 unter
Ptolemaios Philometor (181 — 146), dessen Sohn er erzog. Als durch den Streit
des Königs mit seinem Bruder Ptolemaios Physkon das Verhältnis sich trübte,
verliess er Ägypten und starb 72 Jahre alt in Rhodos an der Wassersucht,
indem er selbst durch Enthaltung von Nahrung sein Ende beschleunigte.
Aristarch beschränkte sich noch mehr als sein Vorgänger Aristophanes auf
das spezielle Gebiet der Grammatik und insbesondere der Texteskritik,
handhabte aber diese Kunst mit einer solchen Meisterschaft, dass er den
Höhepunkt der grammatischen Studien Alexandriens bezeichnet. Seine
Überlegenheit beruhte weniger auf dem Umfang des Wissens als auf der
Schärfe des Urteils und der Feinheit der Divinationsgabe. Damit verband
er als anregender, imponierender Lehrer eine wunderbare Anziehungskraft,
so dass aus seiner Schule an 40 Grammatiker hervorgingen"^) und seine
Autorität auch noch bei den nachfolgenden Geschlechtern obenan stund. In
der grammatischen Theorie vertrat er gegenüber dem Stoiker Chrysippos
den Standpunkt der Analogie oder der regelmässigen Formbildung, in der
Exegese ging er unter Ablehnung aller nicht zur Sache gehörigen Gelehr-
samkeit von dem Grundsatze aus, dass man jeden Autor zunächst aus sich
selbst erklären müsse, in der Kritik war er ebenso weit von denkfauler
Vertrauensseligkeit als von leichtfertiger Änderungssucht entfernt. Diese
Prinzipien verteidigte er mit schneidiger Entschiedenheit gegen seine Wider-
sacher, was zu heftigen litterarischen Fehden und namentlich zu scharfer
Feindschaft gegen die von Krates geleitete Schule von Pergamon führte.
Berichtigte Textesausgaben mit kritischen Zeichen'^) besorgte er von zahl-
reichen Autoren, insbesondere von Homer, Hesiod, Archilochos, Alkaios,
Pindar. Die Zahl der kritischen Kommentare {vTioiivrßKXTo)^ die sich auch
auf Autoren bezog, von denen er keine Ausgaben veranstaltete, betrug
gegen 800, wie Suidas angibt. Von litterar historischen Büchern hören wir
nichts, aber auch hier bereitete er der späteren Forschung den Boden durch
Aussonderung des Unechten und strenge Scheidung der Perioden in Bezug
auf Sprachgebrauch und Mythus. Einblick in seine kritische Methode ge-
winnen wir besonders aus den Scholien zu Homer.
K. Lehrs, De Aristarchi studiis Homericis, Lips. 1833, ed. II, 18G5, ed. III. 1882;
A. Ludwich, Aristarchs Hom. Textkritik, Leipzig 1885, 2 Bde.
Unter den zahlreichen Schülern Aristarchs'"*) werden wir die bedeu-
^) R. ScuMiDT, De Callistrato Äristo-
phaneo, in Nauck's Buch De Äristoph. Byz.
'-) Suidas : ^JQiaraQ^og ' Als^avi^QEvg &tGsi,
Trj Je (fvoei 2«^o.9()«|, najQog 'Jqigtüqxov,
yeyovE ^e xcnd rijy Qi-g' oXvfATiUiöct inl llio-
Xsfxaiov rov 4'iXofA7JTOQog, ov yMt rdv viov
sna'iöex^aev .... lucif^rjTtjg dt yiyovsu ' Jqioto-
cpupovg xov yQfififimixov. Sein Porträt ver-
mutet in einer Büste des kapitolinischen
Museums (Ann. de Inst. 1841 tab.O.) von
Marx, Ind. Rost. 1889.
^) Suidas: juccx^7jTcd de avrov yQaufxctxi-
xol tisqI rovg fx eytvovro.
^) Unter den kritischen Zeichen ist am
bekanntesten der Obelos (~) zum Zeichen
der Uncchtheit (daher oßskiCsii' = d^sTsTy =
für unecht erklären); über die übrigen s.
Reiffekscheid, Suetoni reih, p. 141 ff.
•') A. Blau, De Aristarchi discijwlis,
Jena 1883; Sengebuscii, llom. diss., I, 30 sqq.
16
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
tendsten, Apollodor und Dionysios Thrax, erst nacliher in besonderen Kapiteln
behandeln. Hier seien nur kurz angeführt: Ammonios, Nachfolger des
Aristarch in der Vorstandschaft der Schule, der unter anderm über die
homerischen Wörter bei Piaton schrieb,^) Poseidonios, Vorleser Aristarchs,
der mehrere Mal in den Scholien zu Homer angeführt wird, Aristodemos
aus Elis, Verfasser von Kommentaren zu Pindar,^) Ptolemaios Pin-
darion, der von Ptolemaios aus Askalon, welcher in Rom lehrte, und von
Ptolemaios Epithetes, einem oftgenannten Gegner Aristarchs, zu unter-
scheiden ist, Parmeniskos, der mit der Schrift ngog KQazrjTa den Streit
des Schulhauptes gegen die Pergamener fortsetzte und auch unter den Kom-
mentatoren Arats genannt wird, Satyros 6 ^rjra genannt von seiner Fin-
digkeit im Aufwerfen und Lösen von Fragen {^rjzrjasig).^) Die Schule des
Grammatikers Aristarch erhielt sich ähnlich wie die der Philosophen Jahr-
hunderte lang über den Tod des Meisters hinaus. Hervorragende Ari-
starcheer der jüngeren Generationen waren: Didymos zur Zeit des Cicero
und Augustus, dem ich gleich nachher einen eigenen Artikel widmen wei de,
Aristonikos, ein Zeitgenosse Strabons,^) dessen exakte Erläuterungen der
von Aristarch zu Homer gesetzten Zeichen uns im wesentlichen erhalten
sind^) und der nach Photios p. 104 b 40 auch eine Schrift über das Museum
zu Alexandria schrieb, Seleukos der Homeriker zur Zeit des Kaisers
Tiberius, welcher ausser über Homer auch rcfQi tmv naq' ^AXs'^avSQsvah
naQoiiLimv, negl ^eah', tt^qI '^ElhjVKffiov, yXwaaaL schrieb,^) ferner Diony-
sodoros, Chairis, Dionysios Sidonios u. a.
396. Krates aus Mallos in Kilikien war ein Hauptgegner des Ari-
starch und zugleich ein Hauptvertreter der pergamenischen Schule. Mehr
Gelehrter und Philosoph (er heisst (fihjaocpog ^Tanxog bei Suidas) als Gram-
matiker und Kritiker suchte er in der Erklärung der Autoren, namentlich
des Homer, zu sehr Allegorien und versteckte Bezugnahmen. An Gelehr-
samkeit und Umblick Hess er es dabei nicht fehlen, indem er z. B. unter
Heranziehung der Reiseberichte des Pytheas die Stelle der Odyssee x 86
iyyvg yccQ vvxTog if xal Tjßatog dai xbXsv&oi auf die kurzen Nächte des
Nordens bezog und im Gegensatz zu Eratosthenes und Aristarch die Irr-
fahrten des Odysseus in das äussere Meer verlegte.') Auch in der gram-
matischen Theorie stellte er sich als Gegner des Aristarch auf Seite der
Anomalie. Verdienstlicher waren seine Bemühungen für Bereicherung und
Katalogisierung der pergamenischen Bibliothek, wenn auch die Kataloge
') Ps. Longin de subl. 13, 3. Über die
Schrift des Ammonios tisqI rov fxrj ysyopsvca
nXeiovag ixdöasig Tijg 'jiQiaTC(Q/€ioi' (^logO^io-
asüig, siehe Ludwich. Aristarch T, 49.
^) Schol. ad Find. N. 7, L Über
die verschiedenen Aristodemoi aus Nysa,
Elis, Theben s. Müller FHG. III, 307-311;
ein 'jQKTTodtjfiog 6 Nvaraijg, der Beziehungen
zu Rom hatte, ist erwähnt in der von Sittl,
Stzb. d. b. Ak. 1888. II, S. 275 herausge-
gebenen Homervita.
') Schol. ad Hom a 216.
') Strab. p. 38; vgl. § 37.
^) Siehe oben S. 49.
^) Die von Athenaios citierten ylMaaai
des Seleukos werden vornehmlich die «AA«
Gvju^uixrci des Suidas gewesen sein. Ein Se-
leukos ttsqI ßiwu wird von Harpokration f,
citiert; denselben will Meier, Opusc. II, 152
u. 159 von dem Homeriker unterscheiden. :
Vgl. M. Schmidt, Seleucus der Homeriker !
und seine Namensverwandten, Philol. 8,436 fF.
Die Fragmente bei Müller FHG. III, 500.
Bapp, Comm. Ribbeck. 258 fF. weisst nach,
dass die Abschnitte des Athenaios, welche
sympotischen oder verwandten Inhalt haben,
aus Seleukos ü:enommen sind.
7) Gellius^XIV, 6 u. Seneca, ep. 88.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 396.) 517
der Pergamener nicht ausschliesslich sein Werk waren. Mit diesen hingen
seine ästhetischen Beurteilungen der Autoren zusammen, wovon uns ein
poetisches Denkmal in einem Epigramm der Anthologie XI, 218 erhalten
ist. 1) Eine reiche Quelle für die Späteren bildete sein glossographisches
Werk 7T8qI 'ÄTTixrjg SiaXexrov, von dem Athenaios p. 497 e ein 5. Buch
anführt. Auch um Förderung der Erdkunde bemühte er sich im Wetteifer
mit den Alexandrinern, indem er im Hofe des pergamenischen Museums
einen Erdglobus aufstellte.^) Von grösstem Einfluss für die Entwick-
lung der Grammatik in Rom war sein Aufenthalt in der Hauptstadt des
römischen Reiches im Jahre 167, wovon Sueton de gramm. 2 berichtet:
Grates Mallota Aristarchi aequalis missus ad senatum ah Attalo rege . . . cum
regione Falatii prolapsiis m cloacae foramen cnis fregisset, per omne lega-
tionis simid et valetudinis temims pliirimas acroasis subinde fecit assidueque
disscniit ac nostris exemplo fuit ad imitandmn.
C. Wachsmuth, De Cratete Mallota, Lips. 1860.
Zu den aus der pergamenischen Schule des Krates hervorgegangenen
jüngeren Gelehrten gehören Zenodot aus Mallos, 3) der gegen die Athe-
tesen Aristarchs schrieb, Demetrios Ixion, der gleichfalls gegen Aristarch
polemisierte, aber auch Teile der grammatischen Techne behandelte, Hero-
dikos aus Babylon, dessen Kwfxmöoviieva öfters Athenaios anführt,*) Ale-
xander Polyhistor, von dem ich unten genauer handeln werde, Arte-
mon von Pergamon, der einen Kommentar zu den auf Sikilien bezüglichen
Siegesliedern Pindars schrieb und der vielleicht eine Person mit dem Kla-
zomenier Artemon, dem Verfasser einer Schrift über Homer und der '^qoi
KXa^onaviwVj war.^) In den Kreis der Pergamener gehören auch die beiden,
von Suidas in einem konfusen Artikel durcheinander geworfenen Gramma-
tiker Asklepiades.^) Der erstere gehörte der älteren Zeit an und scheint
unter Attalos I. und Eumenes II. gelebt zu haben ; der zweite, nach seiner
Heimat Myrleaner zubenannt, lebte nach Dionysios Thrax ') in der Zeit des
Pompeius und war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller; angeführt werden
von ihm üayrodaTrä, ferner AlyviiTiaxd, BiÜ^vviaxd, TovQdrjTaviag TtsQirjrjfrig
und das umfangreiche aus mindestens 11 Büchern bestehende Werk negl
YQai^iliiaiixüyv,^) auf das in letzter Linie viele litterarhistorische Artikel des Suidas
zurückgehen.^) Scholien haben sich von ihm zu Homer und Pindar erhalten, ^o)
^) Vgl. Brzoska, De canone decem orat.
att. p. 58.
■-) Müller, Geogr. gr. min. II, 428. 11
u. 471. 17. Vol. Herc. X^^ 147 erwähnt von
Grates rcl tisqI xrjg Gcpcagonoiiag, was Usener,
Epicurea, p, 410 auf einen Kommentar des
Arat bezieht.
3) Zrji^odorog ^Ake^ccpdQSi^g heisst er bei
Suidas, vermutlich weil er in Alexandria
lehrte.
•*) C. Schmidt, De Herodico Crateteo,
Elbinger Progr. 1886; dass er vor DidymOvS
lebte, der ihn benützte, bemerkt mit Recht
Schönemann, Rh. M. 42, 468.
'-) Müller FHG. IV, 341 ; Unger, Philo!.
41, 650. Die /(»rtrf« (pÖQfiiy^ P. I, 1 er-
klärt er mit der Fabel, Hieron habe dem
Pindar eine goldene Leier versprochen; da-
mit zeigt er sich als einen homo piisilU
animi.
^) Verschieden von diesen sind der oben
§ 239 erwähnte Asklepiades von Tragilos,
und ein versifizierender Asklepiades, von dem
TzETZES, Chil. IV, 198 einen hinkenden iam-
bischen Trimeter anführt.
') Vgl. Athen. 489 a.
^) Etym., M. u. dixQov.
"') Lehrs, De Asclepiade Myrleano, in
Herodiani scripta tria, p. 428 — 448. Vgl.
Daub, De Said, biogr., Jhrb. f. Phil. S. XI,
457 ff. Die Fragmente bei Müller FHG.
HI, 298-306.
'") Vgl. Werfer, Acta philol. Monac.
II, 538.
i
518
Griechische Literaturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
397. Apollodoros, Sohn des Asklepiades aus Athen, war zugleich
Schüler des Grammatikers Aristarch und der stoischen Philosophen Diogenes
und Panaitios. Ohne als kritischer Forscher den älteren Gelehrten Ale-
xandriens nahe zu kommen, hat er gleichwohl durch das Geschick zusammen-
fassender Darstellung, teilweise auch durch die Kunst der Versifikation
seinen Schriften einen grossen Leserkreis verschafft. Seine Studien galten
vorzugsweise der historischen Seite der Philologie; von den Schriften neQi
2(6(fQovog, ti8qI 'EmxäQixov, ttsqI STVfioXoyicov, neql tmi' ^Ad^Tjvr^aiv ^TaigiSan',
ttsqI vsmv, negl yrjg, ttsqI ^scov, Xqovixcc sind es in aufsteigendem Grad die
letzteren, welche Beachtung und Nachahmung fanden. Die Schrift TieQi
vsMv war ein ausführlicher sachlicher Kommentar des homerischen Schiff-
kataloges in 12 B.; gegründet war derselbe auf die Vorarbeiten des Era-
tosthenes und Demetrios von Skepsis, für Strabon bildete er eine Haupt-
quelle. ^) Kompendiarischer Natur war seine allgemeine Geographie, y?^?
TieQioöoQ oder TTSQirjrjaig betitelt, in iambischen Trimetern.^) Von derselben
werden 2 Bücher citiert; von der allgemeinen Verbreitung des handlichen
Kompendiums zeugen die häufigen Citate bei Stephanos von Byzanz, der
indes nicht den Apollodor selbst, sondern einen von dem Grammatiker
Epaphroditos angefertigten Auszug benützte.") Grossartiger angelegt war
das Werk ttsq! ^swv in 24 B., worin der Verfasser seine stoischen An-
schauungen über die Natur des Mythus entwickelte. Die Fragmente zeigen,
mit welch umfassender Gelehrsamkeit er seine Sätze gestützt, zugleich aber
auch, wie wenig er sich über die etymologischen Spielereien der Stoiker
erhoben hat.') Am meisten Namen verschafften unserem Grammatiker seine
in iambischen Trimetern abgefassten Xqovixd in 4 B.'') Dieselben waren
dem König Attalos IL von Pergamon gewidmet und behandelten nach der
Angabe des Ps. Skymnos V. 22 ff.^) in chronologischer Ordnung, mit den
Troicis beginnend, die Ereignisse, nicht bloss die staatlichen, sondern auch
die litterarhistorischen von 1040 Jahren, also bis auf 144 v. Chr. oder bis
auf die Unterwerfung von Makedonien und Achäa.'^) Auch ins Lateinische
wurde das durch Reichtum und Genauigkeit ausgezeichnete Buch durch
Cornelius Nepos übertragen, worauf sich Catull in seinem Widmungsgedicht
^) Niese, Apollodors Kommentar zum
Schiffskatalog als Quelle Strabos, Rh, M.
32, 267 fF.
2) Es war der laxe Trimeter der Ko-
miker, welchen Apollodor für das Lehrgedicht
einführte (s. Ps. Skymnos V. 34 und Suidas
u. 'Anoll.), nachdem früher der daktylische
Hexameter herrschend gewesen war; der
Griff war entschieden glücklich, da der Hexa-
meter für diese halbprosaische Dichtungs-
gattung zu feierlich klang.
2) Steph. Byz. u. Jvfxrj. Vergl. Niese,
Rh. M. 32, 276.
"*) RoB. MüNZEL, De Apollodori negl
{^EMv lihris, Bonn 1883.
^) Die lateinische Bearbeitung des Nepos
hatte nur 3 B.
®) Derselbe nennt zwar den Apollodor
nicht mit Namen, kennzeichnet ihn aber deut-
lich; ich setze die wichtigen Verse gleich her:
xoTg ev nsQydfAO)
ßaoiXsvüvv, MP rj ^6ia xal rsd^vrjxöriov
naQcl nCcaip tjfiiy C<^aa diu napzog jus'yei,
TMP ^Attvxmp Tig yprjaiMP rs cpiXo'koylov,
yeyoviog axovarrjg Jioyepovg rov I^tcoixov,
avysffxoXccxojg de noXvv ^jQiarccQ/M /qovov,
ovvETa^ai^ and Ttjg TQCo'Cxrjg dXioffscog
/QovoyQa(fiav atot/ovaau d/Q(' tov vvu ßiov
ett] de xeaaaQCiXovra ngog tolg /iXioig
ioQiGfXEvoyg i^ed^STo xtX.
Vgl. Müller FHG. I, praef. XLIII; Unger,
Philol. 41, 602—651; Diels, Untersuchun-
gen über Apollodors Chronika, Rh. M. 31
(1876), 1 ff . _
') Schwierigkeit machen mehrere Frag-
mente, Avelche Verhältnisse vor und nach den
gegebenen Endpunkten berühren. Siehe Diels,
Rh. M. 31, 54 und oben § 367.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur. (§ 397 — 398.) 519
an Nepos mit den Worten bezieht: ausus es unus Italorum onme aevom
tribus explicarc chartis doctis Juppiter et laboriosis.
Fragmente gesammelt von Müller, FHG. I, 428—469; über die fälschlich den Namen
dos Apollodor tragende Btßho&ijxt] siehe unten.
398. Dionysios Thrax, Schüler des Aristarch, hat in der Geschichte
der Philologie einen Namen als Verfasser der ersten griechischen Gram-
matik (Täxvrj yQanfiatixij). Derselbe hatte in Alexandrien den Aristarch
gehört, war aber dann nach Rhodos übergesiedelt,^) wo er Lehrer des
älteren Tyrannio wurde. Seine Grammatik war als reife Frucht aus den
kritischen Studien der Alexandriner und der begriffspaltenden Dialektik der
Philosophen hervorgegangen. Die älteren und berühmteren Grammatiker
hatten sich wesentlich mit dem, was man den empirischen Teil unserer
Wissenschaft nennt, abgegeben; aber die Kritik und Texterklärung hatten
allmählich zur Unterscheidung der Redeteile und zu Regeln über die Ab-
wandlung der Nomina und Verba geführt. Grössere Klarheit kam in diese
Regeln durch den Streit über Analogie und Anomalie, der zwischen den
Aristarcheern auf der einen Seite, Krates und Chr3^sippos auf der anderen
geführt wurde. Die Philosophen aber und vorzüglich die Stoiker, welche
durch die Beschäftigung mit der Logik auf die Zergliederung der Sprache
geführt wurden, drückten der heranwachsenden grammatischen Theorie ihren
Stempel dadurch auf, dass sie nach der Methode der Dialektik überall zu-
erst auf Feststellung des Begriffs (ogog) und dann auf die Angabe und
Erklärung der begleitenden Eigenschaften (f« (TVfißfßrjxöia, xd nccQenofxeva)
drangen. Durch das Ziisammen wirken der Grammatiker und Philosophen
erhielt so die griechische Grammatik eine ungleich höhere Vollendung als
die indische; die Inder sind aber die einzigen neben den Griechen, welche
die Sprachlehre selbständig ausgebildet haben. Die Grammatik des Dio-
nysios Thrax, ein Büchlein von ganz massigem Umfang, beginnt mit der
Definition der Grammatik und ihrer Teile (arapwö'/c, f'^t'jyr^aig, ylwaaMv
xal laxo^iMV dnödoaig, srv^wXoyia^ dvakoyiag exXoyixSixög^ xqiaig noirnidTon'),
geht dann zur Lehre vom Accent [lövog], der Interpunktion {(Tttyinrj), den
Lauten und Silben {aToi%£Ta xal avXXaßccf) über, um schliesslich in ihrem
Hauptteil, ausgehend von den verschiedenen Redeteilen (oro/*of, gf^ixa, ^uf-
To/?;, aQO^Qov, dvTMvvfiia, nqüö^saig, sTTi'QQrjiiia, avvdeaiiog) die Deklination
und Konjugation abzuwandeln; von einer Syntax oder gar Stillehre ist noch
keine Rede. Dass Dionysios Verfasser des Büchleins sei, ist allerdings
schon im Altertum bezweifelt worden,'-^) und Neuere haben gar die Ab-
fassung desselben in die Zeit nach Konstantin herabrücken wollen;^) aber
dasselbe lag schon den grossen Grammatikern der Kaiserzeit, Apollonios
und Herodian, und dem römischen Grammatiker Remmius Palämon, der
unter Nero ein ähnliches Kompendium für die Lateiner schuf, in seiner
heutigen Gestalt vor; es kann höchstens nur von einigen unbedeutenden
Zusätzen die Rede sein. 4) Weitläufig kommentiert wurde dasselbe, ähnlich
wie die Schulbücher des Arat, Donat und Hermogenes, von den späteren
') Ath. 489 a und Strab. p. 655.
'-*) Bekker An. gr. p. 672.
3) GöTTLiNG zu Theodosius.
■*) Vgl. M. Schmidt, I'hilol. VII (1852),
360 ff., VIII (1853), 231 ff., 510 ff. Hoersciiel-
MANN, De Dionys. Thrac. interpretibus, Leipz.
1874, p. 77 ff.
520 Griechische Litter aturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur,
Grammatikern, wie Choiroboskos oder Heliodor, Melampus oder Diomedes
(nach 6. Jahrb.), Stephanos (7. Jahrb.), Porphyrios; i) im Beginn des Mittel-
alters widerfuhr ihm auch die Ehre ins Armenische und Syrische übertragen
zu werden.
Zuerst ediert wurde die Grammatik von Fabricius in Bibl. gr. t. VII; mit Scholien
von Imm. Bekker in An. gr. t. II, Berl. 1816. Hauptausgabe von ühlig, Lips. 1883, mit
Benützung der besten Codices (Monac. Victorii n. 310 und Leid. 76) und der alten Über-
setzungen; dazu Nacliträge von Egenolff, Jahrber. d. Alt. XIV, 1. 116 ff. — Hoebschel-
MANN, De Dionijsii Thracis interpretibus, Lips. 1874; Hilgard, De artis gramm. ab Dio-
nysio Thrace compositae interpretibus veteribus, Heidelb. 1880.
399. Alexander Polyhistor, geboren in Milet oder Myndos, einem
Städtchen Kariens,^) gehörte der grammatischen Schule von Pergamon an.
Als Kriegsgefangener nach Rom übergeführt, ward er von Cornelius Sulla
in Freiheit gesetzt^) und begleitete später den Triumvir Crassus auf seinen
Feldzügen. ^) Er starb hochbejahrt bei einer Feuersbrunst in Laurentum;
einer seiner jüngeren Schüler war der unter Augustus blühende Gram-
matiker Hygin.'^) Ein Mann von ungewöhnlicher Vielseitigkeit schrieb er
unzählige Werke {ßißh'a aqi^ixov xgeizTO) Suidas), die aber mehr auf wüster
Kompilation als auf kritischer Forschung beruhten. Die meisten seiner
Schriften gehörten der geographisch-historischen Periegese an, so die 7r«-
hxd, yiißvxd, Aiyvmiaxä, Ivdixä^ KQijtixd, ttsqI Kagiag. nsqi (pQvyiag, TXfQl
T/agXaYorfag, TTfQirrXovc itjg eQV^Qag ^aXd(T<rtjg, neQi tmv naq 'Akxiidvi
TOTiixcog iaTOQtjiLi(-vo)r, Xakdaixä, ttsq) lovdaiojr, neql %ov sv JeX(foig XQ^J^^^t
Qi'ov,^) negl ^r/on' lötoQiag. Von dem Buche über die Juden sind uns mehrere
interessante Bruchstücke bei Eusebios erhalten. Sein Kompendium der
Nachfolge in den Philosophenschulen benützte Diogenes; über eine Samm-
lung von Wundergeschichten, in der den fabelhaften Berichten aus der
Tier- und Pflanzenwelt durch Angabe der Zeugen der Schein der Wahr-
haftigkeit gegeben war,') referiert Photios cod. 188. Auch von einer rein
grammatischen Schrift unseres Alexander hören wir durch Ps. Herodian.^)
Fragmente gesammelt bei Müller, FHG. III, 206 — 244. — Hulleman, De Com.
Alexandro Folyhistore in Mise, philol., Utrecht 1849: Freudenthal, Hell. Stud. 1, u. 2.
Heft bespricht die Fragmente bei Eusebios.
400. Demetrios aus Magnesia,") älterer Zeitgenosse des Cicero und
Freund des Attikus, hatte für die Litteraturgeschichte eine grosse Bedeu-
tung als Verfasser des Buches ttsqI 6fXMvvßo)i' tioitjtmv xai avyyQacpäaiv. Da
') Derselbe ist schwerlich mit dem Neu-
platoniker Porphyrios identisch.
2) Suidas nennt ihn einen Milesier, viel-
leicht weil Milet die bedeutendste Stadt der
Gegend war. Plutarch, Aelian, Diogenes
citieren ihn immer als Alexander Myndius
oder Alexander schlechthin. Vgl. Schol. ad
Apoll. Rhod. I, 925: sari xai xsQa6yt]Gog Ka-
QLug, iv&£v T^v \4X£^ai'd()og 6 tisqI KccQiccg
yquipag.
^) Suidas: ^JXe^ap&qog Kogyijhog, ^lon
Peripatetiker Alexander vermutet. Von sei-
nem Adoptivvater erhielt er auch den Namen
Cornelius Alexander.
^) Sueton de gramm. ill. 20.
^) Dass darauf Paus. X, 12 zurückgeht,
weisst Maass, De sibyllai'um indicibus, p. 12
ff. nach.
') Einen Begriff davon gibt die von
Ath, 221 angeführte Stelle über das von den
Soldaten des Marius im jugurthinischen Krieg
beobachtete Vorkommen von Gorgonen.
^) Ps. Herodian Philet. am Schluss: xra
y.al avioJ nai^ciycoyog iyeveio. Die Angabe | ' J'ke^dp&Qio no KoQt'yXuo (ro3 y.cDfj.iy.o) codd.,
Avird berichtigt von UnCxER, Phil. 47 (1889), | em. ßtuäemund) ffvyysyQUTTTat avyiayfiaTioi',
177 ff. fV (p -noXka xovxoig GvfAcpsQETui.
^) Plut. Grass. 3, an welcher Stelle j ^) Scheufrleek, De Demetrio Magnete.
ÜNGER a. 0. einen anderen unbekannten i LB. 1858.
A. Alexandrinisches Zeitalter. 3. Die Prosa, c) Gelehrte Litteratur, (§ 399—401.) 521
es nämlich mit der Zeit eine Unmasse von Dionysioi, Demetrioi, Ptolemaioi
in der Litteratur gab, so stellte es sich Demetrios in jenem Buche zur Auf-
gabe, die verschiedenen Dichter und Gelehrten gleichen Namens voneinander
zu unterscheiden. Wie er dieses that, erhellt noch deutlich aus einem
längeren Artikel desselben bei Dionysios Halic. de Dinarcho c. 1. Das
Werk ist viel von den Späteren, wie Diogenes, Plutarch, Athenaios, be-
nützt worden,^) woraus sich erklärt, dass das Verzeichnis der homonymen
Autoren in unseren Litteraturgeschichten von Cicero an aufhört, oder doch
spärlicher wird. Eine ähnliche Aufgabe stellte sich Demetrios auch in dem
seltener angeführten Buche tt^qI (Tvvo)rvfjicov noXswv.
Zeitgenossen des Demetrios Magnes und Alexander Polyhistor waren
die beiden Grammatiker Tyrannio, von denen der ältere unter Pompeius
in Rom lehrte,'^) der jüngere als Kriegsgefangener nach Rom kam und von
der Terentia, der Gattin Ciceros, freigelassen wurde, ^) ferner der Rhodier
Aristokles, den Strabon p. 655 als einen Gelehrten seiner Zeit bezeichnet
und dessen gelehrtes Werk über die äusseren Verhältnisse der Dichtkunst,
über Chöre und Wettkämpfe, eine Hauptquelle des Didymos und der Spä-
teren war.') Vermutlich gehörte der gleichen Zeit der Grammatiker Zenon
aus Myndos an, von dem es auch Epigramme gab (Diog. 7, 35) und der
wie sein Landsmann Alexander die historische Seite der Grammatik kul-
tivierte; ein 4. Buch tmv evO^vrwv [sO^vixmv em. Preger) ist von ihm erwähnt
in Cramers An. Ox. III, 350.
401. Didymos aus Alexandria lebte in der Zeit des Antonius und
Cicero, bis in die Regierungszeit des Kaisers Augustus hinein.-^) Seine Be-
deutung bestund darin , dass er einesteils in zahlreichen Schriften die
Arbeiten der Früheren zusammenfasste, andernteils die Verpflanzung der
gelehrten Studien von den Glanzpunkten der hellenistischen Reiche nach
der Hauptstadt des römischen Weltreiches inaugurierte. Mit eisernem Fleisse,
der ihm den Beinamen XaXTikvr&Qog eintrug, schrieb er eine Unmasse von
Büchern zusammen, angeblich mehr als 3500,^) so dass er zuletzt seine
eigenen Kinder nicht mehr kannte und mit beissendem Spott ßißXioXäd^ag
genannt wurde. Seine meisten Bücher waren Kommentare, mit denen er
fast alle Dichterautoren versah. Die erhaltenen Scholien zu Homer, Pindar,
Sophokles, Euripides, Aristophanes gehen zum grossen Teil auf ihn zurück.
Die Zeitgenossen werden aus ihnen wenig neues gelernt haben; für uns
haben sie den hohen Wert, dass wir aus ihnen fast allein Näheres über
die gelehrten Forschungen der Alexandriner, namentlich des Aristarch er-
^) Dass auch Suidas oder Hesychios Mil.
den Demetrios direkt benützt habe, bestreitet
mit Recht Daub de 8uid. biogr., Jhrb. f.
Phil. Suppl. XI, 470 ff. ^
^) Suidas u. Jioyvatog^JXs^fii'd()evg 6)()«|:
e^f]yijaccTo TxiQavvinovv tm ttqotsqco, og iao-
(flaxevosy iy'VaJfjr} ini Iloumjiov rov fieyäXov.
^) Über ihn ein ausführlicher Artikel des
Suidas; von seinen zahlreichen Werken {ueQi
xijq 'OjurjQtx^g TiQoauxflag, ttsqI Tioy fiSQcoi'
Tov Xöyov, ttsqI rijg 'Poj^ua'tXTJg (fiuXexrov oti
Boxlv ix rrjg'KX'krjVixrjg xcd ovx ccvx^iyevrjg etc.)
hat die Fragmente gesammelt Planer, Ve
Tyrannione qrammatico, Berl. 1852.
^) BAPr^ Leipz. Stud. VIII, 87—107 be-
leuchtet das Verhältnis von Didymos zu Ari-
stokles. Bei Ath. (520 d ist nach Rohdes
Vermutung ^ AQioroxlrjg aus 'JQiaro^syog ver-
derbt.
^) Suidas: JiJt\uog Jidvuov tuqi/ottmXov,
yQcif.i^caix6g^ jQiaruQ/siog. 'J'ks'^avr^QEiK, ys-
yofojg inl ' Jvjmi^Iov xccl Kixe^oji'og xcd 6Mg
AvyovGTov.
«) Suidas, Ath. 139 c, Seneca ep. 88, 37.
522 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
fahren. Didymos war eben ein Mann von stupendem Fleiss, aber von ge-
ringer Urteilskraft und zweifelhafter Verlässigkeit, so dass uns z. B. bei
Homer die kurzen Notizen des Aristonikos über die Textesrecension des
Aristarch ein ungleich besserer Führer sind als die breiten Noten des Di-
dymos. Bei den Römern freilich, welche die ganze Gelehrsamkeit der
Alexandriner nur durch ihn kannten, galt er als grammaücomm facile
eyiidiüsslmus omnimnque quique slnt quique fuerint instructissimus (Macrob.
Sat. V, 18). Eine nicht minder ergiebige Fundgrube für die späteren
Grammatiker der Kaiserzeit waren die lexikalischen Sammlungen unseres
Didymos, welche sich nicht bloss auf die Dichter, sondern auch auf die
Historiker und Redner erstreckten und nach Schriftstellern und Litteratur-
gattungen angelegt waren ; ^) erwähnt werden unter andern Xt"^€ig TQayixm,
xMiiuxai', ^InnoxQätovg. Leider sind die in jenen Werken aufgehäuften
Schätze nur in sehr verkürzter, zum Teil entstellter Gestalt durch die
Mittelstufe des Diogenian und Hesychios auf uns gekommen. Tn das Ge-
biet der grammatischen Techne gehörten die Bücher neQl oQd^oyqaffiaq und
TieQl Tia^Mv. Für die Litteraturgeschichte von Bedeutung war sein Buch
ti8qI ttoujtmv, oder wie es mit dem genaueren Spezialtitel citiert wird, irfQi
IvQixMv TioiijTcöv, in welclicm von den einzelnen Gattungen der Poesie,
Hymnus, Elegie, Päan, und den Hauptvertretern derselben gehandelt war.
Die Sätze und Angaben desselben gingen zumeist in die litterarhistorischen
Bücher der Späteren, wie insbesondere des Proklos über, und scheinen auch
die ähnlichen Werke des Dionysios von Phaseiis-) und des Schwindlers
Lobon hervorgerufen zu haben. Litterarhistorische Fragen waren neben
anderen berührt in den 2i\aTio(naxä, die wegen ihres gemischten Inhaltes
auch ^i'ßiLuxTa Messen und gewiss auch dem Athenaios für sein Sophisten-
mahl reiche Ausbeute gegeben haben. Didymos selbst hat dabei haupt-
sächlich die sorgfältigen Untersuchungen des Rhodiers Aristokles benützt.
Endlich schrieb derselbe noch über manche andere Dinge, wie über Sprich-
wörter {TTsgl TcaQoi^iiMv), wunderbare Geschichten {^ievij laTogia), die Ge-
setzestafeln des Selon {ti8qI tmv a^övcov tmv ^öhovog dvtiyQaifi] nqog 'A(S-
xXrjTvMijv) und eine Streitschrift gegen Ciceros Bücher de republica.
Die Fragmente gesammelt von M. Schmidt, Didymi Clialcenteri fragm., Lips. 1854. —
Akth. Ludwich, Aristarchs Homerische Textkritik nach den Fragmenten des Didymos,
Leipzig 1885. — Wilamowitz, Eur. Herakl. I, 157 ff.
^) Nabek ad Phot. lex. I, 9 nimmt an, 1 ^) Citieit wird desscnBuch tisql noitjTiop
dass erst der Schüler des Didymos, Theon, | im Leben des Nikander. Schon einer früheren
aus den verschiedenen Xe^sig seines Lehrers
ein alphabetisch geordnetes Lexikon angelegt
habe. Das dmch Millek, Mel. 399-40(3
bekannt gewordene Lex. Platonicum hat
nicht unseren Didymos, sondern den Aka-
demiker Didymos Areios zum Verfasser.
Zeit gehört Amphikrates an, dessen Buch
7T€qI Ev^o^tDv av^QMv Athen. 576c citiert;
denn diesen scheint mit Recht Müller FHG.
IV, 1300 mit dem gleichnamigen Rhetor bei
Plutarch, Luculi. 22 zu identifizieren.
B. Römische Periode vor Konstantin. 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 402.) 523
B. Römische Periode
V 0 11 A u g 11 s t n s bis Konstantin.
1. Allgemeine Charakteristik.
102. Die Eroberung Korinths durch Mummius und die Unterwerfung
der hellenistischen Königreiche brachten Rom in nähere Berührung mit
Griechenland. Die Hellenen unterlagen zum zweitenmal der Gewalt fremder
Waffen und verloren damit den Rest der Freiheit, den sie sich nach den
Siegen Philipps und Alexanders noch gewahrt hatten. Aber die Überlegen-
heit der geistigen Kultur erwies sich doch stärker als die physische Über-
macht, und mit Recht konnte der venusinische Dichter sagen: Graecia capta
ferum vicforeni ccpü et artes intulit agresti Latio. Wie dieses Verhältnis
entscheidend auf die Entwicklung Roms und der lateinischen Litteratur ein-
wirkte, dieses darzuthun ist hier nicht der Ort. Hier interressiert uns das
Fortleben des griechischen Geisteslebens in dem römischen Reich und der
Einfluss, den ihrerseits die gewaltigen Hilfsmittel Roms auf die griechische
Litteratur geübt haben. Die Griechen hatten einst unter Alexander und
seinen Nachfolgern die fremden Länder Asiens und Ägyptens vollständig
mit ihrer Kultur durchsättigt und die Barbarenreiche hellenisiert: einen
solchen Einfluss vermochten sie nicht mehr gegenüber Rom auszuüben.
Dafür waren sie dieses Mal die Besiegten, nicht die Sieger, dafür war
auch die staatliche Organisation Roms zu fest und zu gewaltig. Die Über-
legenheit derselben fand gleich von vornherein bei den Einsichtsvollen
unter den Griechen, wie Polybios, Strabon, Dionysios, unbedingte Anerken-
nung.^) Auch ersparte das Siegesbewusstsein der Römer den um ihre
Gunst buhlenden Griechen nicht die demütigende Stellung unterwürfiger
Diener {Graeculi). Zwar drangen griechische Ausdrücke in die lateinische
Sprache ein, und mischte nicht bloss Lucilius griechische Wörter unter
lateinische, sondern schrieben auch die ältesten Historiker'-) und auch später
noch Sulla, Cornutus, Germanicus ihre Memoiren, philosophischen Aufsätze
und poetischen Scherze in griechischer Sprache. Aber das waren nur ver-
einzelte Fälle; die lateinische Sprache bewahrte im grossen Ganzen ihre
keusche Reinheit ebenso wie die griechische, '^) und die besten Römer
') Dionys. De erat. ant. 3: cciiia d" olfiai
xal c(Q^r] rrjg roaaihrjg fxeraßoX^g syersro
ri ndvxtav XQarova« Pai/u?], ngog btwirjv
dpayxdCovaa rdg oXag nöXeig ccnoßlenEiv,
X(d ravTrjg r' ((virjg ol dvyadTEvoi'Tsg xai'
üqexrjv xcd dno xov XQCcrlaTov rd xoivcc
^loixovvxeg, Evncd^evxoi ttccw xal yeyycdot
tccg XQiaeig yevofxevoi.
'^) Dass Q. Fabius und L. Cincius ihre
Historien ursprünglich in griechischer Sprache
schrieben, bezeugt Dien. Hai. Ant. I, (J; das
Gleiche berichtet von Aul. Albinus (Consul
151) Macrobius zugleich mit der schlagenden
Erwiderung des kernfesten Römers Cato, Sa-
turn, praef. 14: Nam sum, inquit sc. Al-
binus y hämo MomanuSy natiis in Latio, et
eJoquium fjraeciun a nohis ulicnissimum est;
ideoque veniam gratiamque mcdae existi-
mationis, si quid esset erratum, post^ilavit.
Ea cum legisset M. Cato: ne tu, inquit,
Aide nimium nugator es, cum mahiisti cid-
pajii deprecari quam culjja racare.
•^) Einzelne technische Ausdrücke waren
schon mit Polybios in die griechische Sprache
524
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratnr.
schrieben vor wie nach in ihrem vaterländischen Idiom. Hingegen ge-
wannen griechische Lehrer, Grammatiker und Philosophen, in Rom steigenden
Einfluss, und verlegten hervorragende Gelehrte, wie Didymos, Dionysios,
Strabon, verlockt durch die glänzenden Aussichten, die ihnen in der reichen
Weltstadt mit ihren grossen Hilfsmitteln ^) und ihrer bildungsdurstigen
Gesellschaft winkten, ihren Wohnsitz von Alexandria und Kleinasien nach
Rom. Besonders günstig gestalteten sich die Verhältnisse für griechische
Gelehrte und Dichter unter den Kaisern, von denen gleich die ersten,
Augustus und Tiberius, griechische Philosophen in ihrer Umgebung zu
haben und mit griechischen Tischgenossen gelehrte Gespräche zu führen
liebten.^) In weiterem Verlauf unterstützten dann auch die Kaiser mit
Mitteln des Reichs wissenschaftliche und künstlerische Bestrebungen in
Griechenland selbst, indem Hadrian Tempel und Hallen in Athen und andern
Orten Griechenlands aufführen Hess, die Antonine teils selbst Lehrstühle der
Beredsamkeit und Philosophie in Athen und anderwärts stifteten, teils mit
ihrem Beispiele reiche Griechen zu gleich freigebiger Unterstützung von
Litteratur und Kunst anspornten. Rom trat so an die Stelle der Haupt-
städte der Diadochenreiche und die römischen Kaiser an die der Ptolemäer
und Attaliden. Wir beginnen daher mit Augustus oder mit der Einnahme
Alexandrias und der Unterwerfung des letzten Diadochenreiches einen neuen
Abschnitt in der griechischen Litteraturgeschichte. Diese dritte Periode
ist von der zweiten nicht durch eine so grosse Kluft wie die zweite von
der ersten geschieden. Besonders im Anfang trat fast nur ein Wechsel
der Orte und Persönlichkeiten ein; denn die Grammatiker Tryphon und
Heliodor trieben dasselbe in Rom, was Aristarch und Aristophanes in
Alexandria getrieben hatten, und die alten gelehrten Institute der ägypti-
schen Hauptstadt sorgten vor wie nach für einen tüchtigen Nachwuchs von
Lehrern und Gelehrten, nur dass die Sitze und Freiplätze der römische
Kaiser, nicht mehr der König aus dem Hause der Ptolemäer verlieh. Ein
tiefer greifender Unterschied in der ganzen Richtung des geistigen Lebens
trat erst mit dem Aufblühen der Sophistik unter Hadrian und den Antoninen
ein, so dass es sogar zweckmässiger scheinen könnte, die neue Periode
erst mit dem Auftreten der Sophistik zu beginnen. Wir thun dieses nicht,
weil doch das Eingreifen des römischen Reiches einen grösseren Faktor in
der geschichtlichen Gesamtentwickelung ausmachte als das Eintreten einer
neuen Richtung in der Litteratur, tragen aber doch dem bezeichneten Ver-
hältnis insofern Rechnung, als wir in der Prosa die Hauptschriftsteller vor
Hadrian dem Abschnitt über Sophistik voranschicken. Zugleich haben wir,
um das richtige Verhältnis schon in den Überschriften anzuzeigen, die
römische Periode nicht auf eine Linie mit der klassischen gestellt, sondern
eingedrungen; vergl. Immisch, De fjlossis
lexici Hesychiani Italicis, Leipz. Stud. VIII,
267—378.
') Schon Lucullus hatte viele Bücher
nach Rom gebracht (Plut. Luc. 42); Sulla
verpflanzte die mit philosophischen Werken
bestens ausgestattete Bibliothek des Apelli-
kon nach Rom (Strabon p. 609). Die von
Augustus gegründete Bibl. Palatina hatte
eine griechische Abteilung und einen grie-
chischen Bibliothekar. Diodor I, 4 rühmt
tioifxoxärag xal nlsiatag äcpoQfxdg ycofxtjg.
2) Sueton Aug. 89: magistro usus Apol-
lodoro Pergameno^ deinde eruditione etiam
varia rephtus per Arei p>Jiilosophi filiomm-
qiie eins Dionysi et Nicanoris contubernium.
Vgl. Suet. Tib. 56; Claud. 42. Vergl. Fkied-
LÄNDEE, Sittengeschichte Roms, III, 275 ff.
B. Römische Periode vor Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 403—404.) 525
das alexandrinische und römisclie Zeitalter nur als Phasen der hellenisti-
schen Entwicklungsstufe im Gegensatz zur klassischen Litteratur der Griechen
bezeichnet.
403. Wie lange dehnen wir unsere Periode aus? Das ist eine schwer
zu entscheidende Sache. Am leichtesten wäre es, dieselbe einfach bis zum
Schlüsse des Altertums oder bis zur Regierung Justinians reichen zu lassen.
Aber ein Zeitraum von mehr als 500 Jahren ist zu gross und würde die
zur selben Zeit lebenden Vertreter verschiedener Litteraturgattungen zu
weit auseinanderrücken. Den Redner Dion erst nach Zosimos oder den
Epigrammatiker Agathias vor Strabon und Plutarch zu behandeln, geht
doch nicht an. Auch ist in der That mit der Gründung eines oströmischen,
wesentlich griechischen Reiches und mit dem Übertritt des Kaisers Kon-
stantin zum Christentum eine starke Änderung im Charakter der Litteratur
eingetreten, so dass sich auch in dieser Beziehung eine Sonderung der Zeit
vor und nach Konstantin empfiehlt. Aber auf der anderen Seite bezeichnet
in mehreren Zweigen der Litteratur die Regierung des Konstantin keinen
merklichen, eine Trennung rechtfertigenden Einschnitt. Wer wollte z, B.
den Origenes von Eusebios oder die Romane vor Konstantin von denen
des untergehenden Altertums scheiden? Ausserdem tritt in anderen Zweigen,
wie in der Philosophie, der Umschlag nicht erst mit Konstantin, sondern
bereits im 3. Jahrhundert mit dem Aufkommen der mystisch-religiösen
Richtung des Neuplatonismus ein. Endlich ist es bei mehreren Schriften,
namentlich bei grammatischen Kompendien und versifizierten Lehrbüchern
sehr schwer zu bestimmen, wann sie entstanden sind, ob noch im 3. Jahr-
hundert oder erst gegen Ende des Altertums. Unter solchen Umständen
haben wir wohl 2 Teile der römischen Periode unterschieden, aber keine
scharfe Grenze gezogen und z. B. den Roman insgesamt in die 2. Abteilung
verwiesen, unbekümmert darum, dass die Anfänge dieses Zweiges der
Litteratur schon in die Zeit vor Konstantin fallen.
2. Die Poesie.
404. Die Schöpfungen im Reiche der Poesie sind die Gradmesser des
höheren geistigen Lebens einer Nation. Waren dieselben schon in dem
alexandrinischen Zeitalter immer mehr gesunken, so sanken dieselben in
unserer Zeit fast auf den Nullpunkt herab. Wir treten in die Zeit der
Prosa ein und haben der Poesie nur wenige Blätter zu widmen. Die her-
vorragendste Stelle behauptete in derselben, namentlich in dem Beginne
des Kaiserreichs, das Epigramm. Es sind uns durch die Anthologie
hübsche und geistreiche Spiele von teils griechischen, teils römischen
Dichtern erhalten, welche denen der alexandrinischen Zeit nicht viel nach-
stehen, zum grössten Teil aber doch nur die alten Themata von neuem
variieren. Nur in der Neigung zum witzelnden Spottepigramm finden wir
eine neue, mit besonderem Glück verfolgte Richtung, die uns daran er-
innert, dass wir es mit den Zeitgenossen des Martial zu thun haben. Die
Kunst des Spottepigramms veranlasste dann auch eine Erweiterung der
metrischen Form; neben dem elegischen Distichon finden wir jetzt häufig,
526
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
geradeso wie bei Martial, iambische Trimeter und Skazonten verwandt,
beide gebaut nach der strengen Norm der lambographen. In die Antho-
logie sind die Epigramme unserer Periode vornehmlich durch Philippos
gekommen, der dem Kranze des Meleager einen neuen zur Seite setzte.')
In dem Proömium hebt derselbe als diejenigen Dichter, aus deneu er die
Blumen gesammelt, folgende hervor: 2) Antipater von Thessalonike aus
der Zeit des Augustus,^) Krinagoras, den Strabon p. 617 unter den zeit-
genössischen Dichtern Mytilenes anführt und der durch seine poetischen
Spenden in besonderer Gunst an dem kaiserlichen Hofe des Augustus stund, ^)
Antiphilos von Byzanz, dessen Zeit durch das Epigramm auf den von
Agrippa angelegten Damm von Puteoli (Anth. VII, 379) bestimmt wird,
Tullius Laureas, Freigelassener des Redners Tullius Cicero, Philodemos,
der mit dem bekannten Epikureer aus Ciceros Zeit eine Person zu sein
scheint, Zenas von Sardes, Zeitgenosse des Mithridates, den Strabon p. 628
als Verfasser von Gedichten und historischen Werken anführt, Bianor aus
Bithynien, dessen Zeit durch das Epigramm auf das Erdbeben vom Jahre
16 n.Chr. (Anth. IX, 423) bestimmt wird, Antigonos aus Karystos, der
mit dem berühmten Biographen der pergamenischen Epoche nicht ver-
wechselt werden darf,^) Diodoros von Tarsos, der wohl eine Person mit
dem von Strabon p. 675 als Grammatiker angeführten Diodoros ist, endlich
Euenos,^) Antiphanes, Automedon,') Parmenion. Natürlich hat auch
Philippos aus Thessalonike^) geradeso gut wie vordem Meleager eigene
Dichtungen seinem Kranze einverleibt; unter seinem Namen sind über 80
zierliche Epigramme teils in elegischem, teils in iambischem Versmass auf
uns gekommen, darunter auch das berüchtigte auf die wortklaubenden
Grammatiker, die Kinder des Momos (XI, 321). Nach dem Epigramm auf
die Bienen, welche in die Trophäen von Aktion ihre Waben bauen (VI, 236),
und einem andern auf den Damm von Puteoli (IX, 708) möchte man den
Verfasser unter Augustus oder Tiberius setzen.^) Aber auf spätere Zeit,
auf die 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts, scheinen viele der Epigramme hin-
zuweisen, die man für Blätter aus dem Kranz unseres Philippos auszu-
geben pflegt. Vielleicht aber sind in die Anthologie des Kephalas auch
^) Infolgedessen sind in der Anthologie
die Epigramme dieser Periode mit den ver-
wandten Epigrammen des Kranzes des Me-
leager (s. § 343) verbunden; beide Kränze
waren alphabetisch geordnet; s. Passow,
De vestigiis coronarum Meleagri et Fhilippi
in Anthologia Constantini Ceph., Opusc. c. IX.
2) Näheres bei Jacobs, Catalogus j)oe-
tarum epigrammaticorum t. XIII.
^) Nach einem seiner Epigramme, Anth.
9, 3 hat ein römischer Schüler die in ovidi-
sche Handschriften als Lückenbüsser einge-
schobene Elegie vom Nussbaum gedichtet,
worüber Ribbeck, Gesch. d. rom. Dicht. II,
362.
^) Nähere Kenntnis über Krinagoras
brachten mehrere neuerdings aufgefundene
Inschriften von Mytilene, wonach unser
Dichter 29 u. 27 v. Chr. an Ehrengesandt-
schaften von Mytilene an den römischen
Kaiser Augustus beteiligt war; s. Cichorius,
Rom u. Mytilene, Leipz. 1888, S. 47- Gl:
die Epigramme gesammelt von Rubensohn,
Crinagorae epigrammata, Berl. 1888.
'") Derselbe Antigonos hatte ein Idyllion
^AvxinarQog und ^AIXoiojgek; gedichtet; siehe
WiLAMowiTz, Phil. Unt. IV, 169 und 339.
'') In der Anthologie erscheinen 3 Euenoi,
einer aus Athen (IX, 602), einer aus Sikilien
(IX, 62), einer aus Askalon (IX, 75); an-
geführt wird ein Euenos von Arrian, Epict.
IV, 9 und Artemidor I, 5.
^) Es gab 2 Epigrammatiker des Namens ,
Automedon, einen Atolier (VII, 534) und
einen Kyzikener (XI, 46); einer derselben
feiert den zur Zeit Nervas lebenden Redner
Niketes (X, 23K
^) Ein Philippos aus Karystos ist Ver-
fasser von dem Epigramm VII, 394.
«) Jacobs, Anth. VII p. XLIV.
B. Römische Periode vor Konstantin. 2. Die Poesie. (§405—406.)
527
aus späteren Blutenlesen, wiewohl der Herausgeber darüber schweigt, Epi-
gramme gekommen, so dass man aus den jüngeren Spielereien nicht auf
eine spätere Lebenszeit des Philippos zu schliessen berechtigt ist.
Ausser den von Philippos ausdrücklich genannten Dichtern begegnen
in der Anthologie noch folgende Epigrammatiker der römischen Periode:
Archias, vielleicht derselbe, den Cicero verteidigte, der indes seinen Haupt-
ruhm den epischen Gedichten auf den kimbrischen und mithridatischen Krieg
verdankte, Theophanes der Geschichtschreiber des Pompeius, Julius
Polyän, der mit dem gleichnamigen Sophisten aus Cäsars Zeit identisch
zu sein scheint, Alpheios von Mytilene und Thallos von Milet, beide
aus der Zeit des Augustus, Leonidas aus Alexandria unter Nero, Erykios
von Kyzikos oder Thessalien, vermutlich aus der gleichen Zeit, ferner
Cäsar Germanicus, Lollius Bassus (unter Tiberius), Gätulicus (unter
Caligula),') Lucilius, der nach Anth. 10, 572 unter Nero 2 Bücher Epi-
gramme schrieb, M. Argentarius,'^) Geminus, Traianus, Hadrianus,
Ammianus (Zeitgenosse des Sophisten Polemon), Fronte aus Emesa
(Rhetor unter Severus nach Suidas), endlich mehrere Dichter von Spott-
epigrammen, wie Lukian,^) Niko machos (Zeitgenosse des Plutarch),
Philon aus Biblos unter Hadrian, Antiochos,^) Apollinarios."^)
405. Straten von Sardes veranstaltete unter Hadrian oder bald
nachher ^) unter dem Titel Movacc naidixrj eine Sammlung von Epigrammen
auf schöne Knaben, von welchen einen grossen Teil der Sammler selbst
gedichtet hatte. Stösst uns in denselben auch oft das nackte Bekenntnis
sinnlicher, jedes idealen Zuges barer Liebe ab, so muss man doch dem
Dichter die Ehre grosser Formgewandtheit lassen. Auch werden trotz des
gemeinen Untergrundes einzelne Gedanken dieses Musenspiels, wie ^'vxfjg
saxlv 8Q0)g dxovt] (12, 18) oder xaiQog sgoni (piXog (12,31) ihre Geltung und
ihren Reiz behalten. — Ähnliche Sammlungen von Epigrammen waren
in der Kaiserzeit noch mehrere entstanden: Laertius Diogenes schrieb
ein Buch JlaixiisrQov auf berühmte Männer, aus dem er selbst mehrere
Verse in seinen Philosophenbiographien anführt; ein gewisser Aristoteles
dichtete einen zum grossen Teil erhaltenen und von Ausonius übersetzten
Peplos von Epitaphien auf die Helden von Troia; Diogenianos aus Hera-
klea verfasste unter Hadrian ein ^Ar^oXoyiov imyQai.incccmv. — Von einer
gewissen Julia Balbilla, Hofdame der Sabina, der Gemahlin Hadrians,
sind uns mehrere Epigramme erhalten, welche auf den Schenkeln und Füssen
der Memnonstatue in Oberägypten eingegraben sind, darunter 5 in äolischem
Dialekt (Kaibel ep. gr. 988—92).
400. Von anderen lyrischen Versuchen sind 3 Hymnen mitsamt den
Noten der Melodie auf uns gekommen,') einer auf die Nemesis von Meso-
') Vermutlich derselbe, den Martial. ].
init. u. Plinius ep. III, 5 erwähnen.
'^) Vielleicht identisch mit dem Rhetor
Argentarius in Senecas Suasorien.
^) Es sind 33 Epigramme; ob ihr Ver-
fasser eine Person mit dem berühmten Sati-
riker sei, ist strittig.
*) Vielleicht identisch mit dem Sophisten
Antiochos aus Aigai, bekannt aus Fhilostr.
Vit. soph. II, 4.
'") Zweifelhaft ist, ob derselbe identisch
mit dem Freunde des Libanios sei.
^) Diogenes V, 65 führt einen Straton
noi/ijirjv iniyQa/LtfudTCDy an; ein Epigramm
XI, 17 geht auf Kapito, den Leibarzt des
Hadrian; s. Jacobs, Anth. gr. VI p.XLVIsqq.
^) Bellekmann, Die Hymnen des Dio
nysiiis Alexandrinus und Mesomedes, Berlin
»28
Griechische Litteraturgeächichte. 11. Nachklassische Litteratur.
med es, einem Freigelassenen des Hadrian,i) und zwei auf Helios und die
Muse von einem sonst nicht näher bekannten Dionysios aus Alexandria.
Poetische Spielereien, die sich in der Zeit des Hadrian einer besonderen
Beliebtheit erfreuten, waren die Anakreontea, gefällige, in tändelnden
Dimetern gedichtete Nachahmungen von Liebesliedern des Anakreon. Sie
sind den Epigrammen verwandt und auch mit diesen durch dieselbe Hand-
schrift auf uns gekommen. 2) Die 8 Bücher Plaudereien {kt'axcci) des Gram-
matikers Herakleides Pontikos in Hendekasyllaben hatten nur die
Form lyrischer Gedichte, behandelten aber einen möglichst unpoetischen
Stoff, nämlich Streitfragen der Grammatiker. 2)
In den letzten Jahren ist ein Päan an den Heilgott Asklepios hinzu-
gekommen, der sich auf einer Inschrift der ägyptischen Stadt Ptolemais
aus der Zeit des Kaisers Trajan gefunden hat.^) Ob derselbe auch erst
in dieser Zeit gedichtet wurde, ist nicht ausgemacht, da er wohl Verse
enthält, die sich auf Ägypten und Ptolemais beziehen und also auch nur
hier entstanden sein können, aber keine Beziehung auf den Kaiser oder
den kaiserlichen Statthalter durchblicken lässt. Aber immerhin ist der-
selbe durch seine metrische Form, die nichts gleiches in der Litteratur
nach Alexander hat,'^) hochinteressant. Ein ganz ähnlicher Päan des eiSog
xard SccxTvXov und ein in leichten vierfüssigen Logaöden gedichteter, welche
beide gleichfalls nach der Form der Buchstaben aus der römischen Zeit
stammen, haben sich in dem Bezirk des Asklepiosheiligtums von Athen
gefunden;^) leider aber sind die einzelnen Zeilen des ersteren stark am
Ende verstümmelt;') als Dichter desselben nennt sich ein gewisser Maxs-
dloviogl, der aber jedenfalls von dem viel späteren, unten § 535 zu er-
wähnenden Epigrammatiker Makedonios verschieden ist.
407. An dramatischen Schöpfungen hat die römische Periode noch
w^eniger als an Ija^ischen hervorgebracht. Mit dem Beginn der Blütezeit
der Sophistik nahm obendrein die Prunkrede zum Ersatz des Dramas den
Charakter öffentlicher Aufführung an. Ganz verödet indes war die Bühne
1840; auch abgedruckt im Anhang von
Westphal's Metrik I \ W± ff.
^) Suidas nennt ihn Lyriker und führt
von ihm neben didcpoQa fieh] ein Lobgedicht
auf Antinous an.
'^) Siehe oben § 104.
^) Suidas: eygaxps fxszQM Zancpixio rJToi
4>c(Xc<xsuo ßißXia y övoeQfj.rjvsvici xcd nollrjy
Ttjp anoQiay e/ovTct nQoßtillofxtyioy ^^]Tt]-
f^ärcoy, linva Xej^^? ixuXsaey.
•^) Rev. archeol. t. XIII (1889) p. 70.
^) Die Verse sind in der Inschrift nicht
abgeteilt und lassen vermuten, dass ebenso-
wenig bei Pindar und den anderen chori-
schen Lyrikern die Verse und Kola ehedem
abgeteilt waren.
c) Veröffentlicht im Athenaion VI (1877)
p. 14 u. CIA. 3, 1, n. 171^^ u. 171^ Vier
Päaiie, darunter der alte des Ariphron (s.
§ 114) sind zusammengeschrieben auf einem
jetzt in Kassel befindlichen Stein CIA. III, 171.
^) Der Fortgang des Rhythmus über die
Zeile ist auf dem Stein durch Einrücken
bezeichnet, w^as an das sxzi&ivca und eia-
tix^ircti der Heliodorscholien zu Aristophanes
erinnert; vgl. Thiemann, Heliodori colom.
Aristoph. p. VI. Dieses hat darin seinen tie-
feren Grund, dass die einzelnen rhythmischen
Sätze des Päan über den Umfang eines Verses
(ailxog) hinaus zu grossen Perioden {nEQio-
^og) angewachsen sind. In wechselnden
Rhythmen sind auch gedichtet die Ode auf
das Apolloorakel in Pisidien bei Kaibel,
Epigr. gr. n. 1040, besser nach neuer Ab-
schrift bei Sterrett, The Wolf expedition
in Asia minor, Boston 1888, t. I p. 312. das
von BuRESCH, Klares, Leipz. 1889 veröffent-
lichte Orakel des klarischen Apoll, gefunden
auf einem Stein der lydischen Stadt Kaisareia
Troketta, und das wahrscheinlich gleichfalls
von Klares kommende Orakel der thrakischen
Stadt Kallipolis bei Kaibel, Ep. gr. n. 1034,
vorbessert bei Buresch, Klares S. 81.
B. Römische Periode vor Konstantin. 2. Die Poesie, (§ 407—408.)
►20
noch nicht; aber es waren grösstenteils nur Kraftstellen aus alten Tragödien
oder Gesangsarien, welche man in den Theatern zu hören bekam. ^) Nur
wenige Dichter brachten neue Dramen auf die Bretter und keines der-
selben hat die Zeit überlebt. Wir stellen die wenigen dürftigen Nachrichten
kurz zusammen.
Von Philistion,2) einem Dichter biologischer Komödien^) oder Mimen,
die sich lange in Ansehen erhielten, sind einzelne Verse in der avyxQiaig
Msv(xvSqov xal (t>iXic>Ti(ßvog auf uns gekommen. Der Jude Nikolaos, der
von Herodes als Gesandter an Cäsar Octavianus abgeschickt wurde und
als Aristoteliker eine Rolle in der Litteratur spielte, hat in seiner Jugend
auch Tragödien und Komödien geschrieben.^) Von dem älteren Philo-
stratos führt Suidas 43 Tragödien und 14 Komödien an, wie auch von
andern Sophisten, Skopelianos, Niketes,^) Isagoras, und von dem
Kyniker Oinomaos^) Tragödien genannt werden. Einen hohen Begriff
werden wir uns freilich von denselben nicht machen dürfen; was die Zeit
in dieser Gattung zu leisten vermochte, zeigen uns am besten die rhetori-
schen Tragödien des Seneca; wahrscheinlich waren aber die griechischen
Tragödien nicht einmal das, sondern nur Monologe oder dramatische De-
klamationen (QTjasig) nach Art der Kassandra des Lykophron und der
Tragodopodagra des Lukian. Immer mehr überwucherte eben in der römi-
schen Kaiserzeit der Pantomimus die übrigen Arten des theatralischen
Spieles;') Lukian im Leben des Demonax c. 27 sagt ganz unverblümt:
T(o Jiovvc^o) t6 fiih' TToieTv xo)jj,o)6iag rj TQCcyoiSiccg ixXbXeincai,
408. Auch das Epos und die mit ihm verwandten Dichtungsarten
wurden durch die Sophistik erdrückt. Es war nur das Lehrgedicht und
die mit den rhetorischen Vorübungen {rrQoyvftvddi^iaTa) zusammenhängende
Fabel, welche sich einiger Pflege erfreuten.
^) Die Chrys. or. 19 p. 487 R: r^g rgayo)-
&iag rd fxkv la/rgd ojg eoixs fxivei, Xayio öe
TU uiixßsTcc ' xttl rovrioy fusQt] ^le^iaaiv iv
roTg '^eaTQoig, t(c cTe fxaXaxcoTSQCi i$€QQvt]X6
T« nsQt rd fxdXt], Solche Teile von Tragödien
werden diejenigen gewesen sein, welche
Nero nach Suet. Ner. 21 recitierte, und ebenso
wird man über die bei den Gasfgelagen
nach Flut. Sympos. VII, 8. 3 u. 4 vorgetra-
genen Komödien urteilen müssen. Dass auch
noch ganze Tragödien, namentlich von Eu-
ripides, aufgeführt worden seien, sucht P.
Schulze. Jahrb. f. Phil. 135 (1887), 117 ff.
zu erweisen. Plotin III, 2. 15 spricht von
der Bühne und den die Rollen wechseln-
den Schauspielern so, dass er noch wirkliche
Aufführungen vor Augen gehabt zu haben
scheint.
'^) Über Philistion ein verwirrter Artikel
des Suidas; über sein Ansehen Jahn, Prolegg.
in Persium XC, und Studemund, Menandri
et Fhilütionis comparatio, Ind. lect. Vrat.
1887. Der letztere setzt nach metrischen An-
haltspunkten die Vergleichung des Menandor
und Philistion in das Ö. Jahrb.; vgl. S. 270
An. 11. In der Zeit des Hadrian ist aus dem
gleichen Bestreben, grosse Dichter in einem
Wettstreit zusammenzuführen, der dycoi^
'OiwiJQov xal 'Hatööov entstanden.
^) Auf einer metrischen Grabinschrift
von Larnaka in Kypern aus dem 3. Jahrb.
n. Chr. (publiziert von Oberhummek, Sitzb. d.
b. Ak. 1888, I, 311) erscheint ein mimischer
Schauspieler 'Jyad^oxlEwv ßio'Aoyog, ein 4'Xd-
ßiog J?,6^c(i'ö'Qog '0^eiö'i]g aus Nikomedia im
Theater von Trallos bei Waddington, Vo-
yage archeol. 1652 '\
4) Welcker, Gr. Trag. 1322 f.
^) Welcher a. 0. Von Philostr. Vit.
soph. II, 11 wird ^laayoQag 6 Trjg TQuyoxflug
noi7]T7Jg genannt.
6) Julian or. VII, 210 stellt die Tra-
gödien der Kyniker Diogenes, Philiskos,
Oinomaos nebeneinander.
^) Nach Dio Chrys. or. 32 u. Aristides
or. 50 diente das Theater in Alexandria
nur dem Pantomimus und der Posse. Ähn-
lich sagt Libanios, hsqI xioy oQ^tjoTtüy p.
391 R., dass die Tänzer an die Stelle der
Tragödienschreiber getreten seien.
Handbuch der klass, Altcrlumswissenschat't. VII. 2, Auf],
34
530
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Babrios, wahrscheinlich von syrischer Abkunft, ^ ist Verfasser einer
erst nach und nach vollständiger ans Licht gezogenen Sammlung äsopischer
Fabeln iiivO^iaixßoi Alacmsioi). Dieselbe umfasst in alphabetischer Ordnung
[xaTce aToixsTov) 123 Fabeln in 2 Büchern, 2) bricht aber mitten im Buch-
staben 0 ab. Der Verfasser redet in dem Proömium des ersten Buches
und in Fabel 74 einen gewissen Branchos an, den er im Proömium des
zweiten Buches Sohn des Königs Alexander nennt. Der Name Branchos
führt uns nach dem Orient; wessen Königs Sohn aber derselbe gewesen
sei, ist zweifelhaft, da es mehrere Könige mit dem Namen Alexander gab.
In Betracht gezogen wurden von Keller ^) der Seleukide Alexander I. Balas
(150 — 147 V. Chr.), von Bergk der von Antigonos vergiftete Alexander
Ätolus aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.^), von Lachmann'') der von Ves-
pasian zum Herrn von Issias und Kilikien erhobene Alexander aus dem
Stamme des Herodes, von Boissonade und Crusius^') endlich der römische
Kaiser Alexander Severus (222 — 235 n. Chr.). Der weite Spielraum, der
damit gegeben scheint, engt sich insofern ein, als andere Umstände den
Babrios in die Zeit der ersten Periode der Sophistik zu setzen nötigen. Einer-
seits nämlich berücksichtigten und benützten den Babrios bereits im 3. und
4. Jahrhundert der Grammatiker Dositheus (Interpret. 1. III p. 37 ed. Boeckh)
und die römischen Dichter Ausonius und Avian;^) anderseits folgt Babrios
im Bau der Choliamben Regeln, die durch den Charakter der lateinischen
Sprache hervorgerufen und erst aus der römischen Poesie in die griechische
eingedrungen waren. ^) Den Stoff nahm unser Dichter wesentlich aus den
^) Vgl. Babr. prooem. des 2. Buches,
und fab. 57; dass er den Gentilnamen Va-
lerius gehabt habe und demnacli römischer
Bürger gewesen sei, dafür bietet die hand-
schriftliche Überlieferung keine festen An-
haltspunkte.
'^) Die Angabe des Suidas, der unserem
Babrios 10 B. Choliamben zuschreibt, scheint
auf einem Irrtum zu beruhen; bereits Avianus
in Poet. lat. min. V, 34 ed. Bahr, erwähnt
nur 2 Volumina. Vielleicht liegt eine Ver-
wechselung mit der (^exu^vSia des Niko-
stratos vor, welche Hermogenes nsQi iJ'sioy
II, 12. 3 und Suidas s. v. Nixoctq. erwähnen.
Das 2. Buch beginnt mit dem Buchstaben M.
3) Jahrb. f. Phil. Suppl. IV, 388 f.; auf
derselben Seite stehen Gutschmid, Jahrb. f.
Phil. 87 (1863), 323 und Männel, Philol.
29 169 ff.
^) Kl*. Schrift. II, 547 ff.
^) In seiner Ausg. p. XII.
^) Ceusius, De Babrii aetate, Leipz.
Stud. II (1879), 127—248; ihm stimmen bei
Rutherford in der Einleitung seiner Aus-
gabe, Ficus, De Babrii vita capita tria,
1889.
') Ausonius ep. 16 erwähnt die Aesopia
trimetria eines gewissen Titianus; Avianus,
der Fabeldichter, dessen Lebenszeit von der
neueren Forschung in die 2. Hälfte des 4.
Jahrhunderts gesetzt wird , sagt in dem
Widmungsbrief an Theodosius: (xuas (seil.
Aesopi fahulas) graccis iamhis Bahrius re-
petens in duo volumina coartavit, Phaedrus
etiam portem aliquam quinque in libellos
resolvit.
^) Dieselben bestehen in der zuerst von
Ahrens, De crasi et aphaeresi p. 31 be-
obachteten Betonung der vorletzten Verssilbe
und in der Vermeidung der Auflösung einer
solchen Länge in 2 Kürzen, durch welche die
vorletzte Silbe eines auf 2 Kürzen endigen-
den drei- oder mehrsilbigen Wortes den
Accent erhielte. Denn beide Regeln ent-
sprechen den Betonungsgesetzen der latei-
nischen Sprache: namentlich ist die letztere
schon von den alten römischen Komikern
regelmässig beobachtet worden. Deutsch-
mann, De poesis Graecorum rhytlimicae
primordiis, Malmedy 1883, will die Betonung
der vorletzten Silbe lediglich auf rhythmische
Gründe zurückführen. — Wichtig in unserer
Frage ist auch dies, dass sich Babrios im
Proömium des 2. Buches auf die Neuheit
seines Unternehmens [vsri fiovarj) etwas zu
gute thut und von Nachahmerei spricht, die
seine Art gefunden habe. Aber deshalb
brauchen wir doch nicht mit Bergk bis über
Kallimachos, der allerdings bereits einzelne
Fabeln in Choliamben gedichtet hatte, hinauf
zu gehen. Auf der anderen Seite aber macht
die Anführung dreier choliambischer Verse
in dem Homerlexikon des Apollonios u.
(isiö's, auch wenn dieselben nicht von Babrios
B. Römische Periode vor Itonstantin. 2. Die Poesie. (§409.) 531
älteren Sammlungen äsopischer und libyscher Fabeln, ^ so dass sein eigenes
Verdienst nur in der metrischen Formgebung besteht. Was neues, sei es
von ihm selbst, sei es von anderen, zum alten Fabelschatz zugefügt wurde,
wie die Fabel von dem lügenhaften Araber (157), von dem lüderlichen Ehe-
paar (116), 2) vom Esel der Kybelepriester (126), hält keinen Vergleich mit
den hübschen, alten Fabeln des Äsop aus. Aber die Form ist dem Babrios
sehr gut gelungen: der leichte Ton der Umgangssprache entspricht trefflich
dem Wesen der Fabel; die Verse sind korrekt und elegant gebaut; die
Wahl des Choliamb, der zwischen der Ungebundenheit der Prosa und der
Strenge der geradlaufenden Verse die Mitte hält, ist dem populären Cha-
rakter der Sprache bestens angepasst. Auch erfreuten sich die Fabeln des
Babrios grosser Popularität in den nachfolgenden Jahrhunderten, so dass
man die alten Fabeln nur noch in der von ihm ihnen gegebenen Form las.
Aber es hat lang gedauert, bis man den populären Fabeldichter wieder-
gewann. In die Neuzeit hatten sich nämlich zunächst aus dem Mittelalter
nur Fabelsammlungen in Prosa gerettet. In ihnen und den zahlreichen
Citaten bei Suidas erkannte zuerst der Engländer Tyrwhitt, de Babrio 1776,
die Spuren des choliambischen Gefüges, so dass er aus der prosaischen
Paraphrase wieder eine Reihe von Versen herauslas. Das Original selbst,
zwar nicht von allen, aber doch von 123 Fabeln, entdeckte 1843 der Grieche
Minas in einer Pergamenthandschrift des Berges Athos, die sich jetzt im
brittischen Museum (Cod. gr. 22087) befindet. Später, im Jahre 1857, trat
derselbe Minas, ähnlich wie er es bei dem christlichen Buche Hermas
machte,'') mit der angeblichen Kopie einer zweiten Handschrift des Athos
mit weiteren 95 Fabeln in Choliamben auf; dieselbe erwies sich aber,
hauptsächlich durch das Versmass, als eine plumpe Fälschung. Dagegen
gelang es neuerdings Pius Knöll, aus dem Cod. Vatic. 777 noch mehrere
neue Fabeln des Babrios ans Licht zu ziehen.
j Ed. princ. von Boissonade, Paris 1844; ed. Lachmannus et amici, Berl. 1845; ed.
ScHNEiDKWiN, Lips. 1853; rec. Gitlbauer, Wien 1882; loith introductory dissertaiions and
lexicon ed. Rutherford. London 1883. -- Ficus, Über den Bau des griecli. Choliambus,
insbesondere über den des babrianischen Mythiambus, in Rossbaeh's Metr.-^ 808 — 848.
409. Oppianos aus Korykos in Kilikien lebte vor Athenaios, der
ihn p. 13 b citiert, unter M. Aurel.^) Sein Vater, ein reicher und ange-
sehener Bürger seiner Heimatstadt, war in Ungnade gefallen, weil er beim
Durchzug des Kaisers Verus sich der Huldigung seines kaiserlichen Herrn
entzogen hatte, und wurde zur Strafe dafür auf die Insel Melite im adriati-
schen Meere verbannt. Der Sohn begleitete den Vater in die Verbannung,
kam aber nach dem Tode des Verus (169) bei dem Kaiser M. Aurel so in Gunst,
dass derselbe ihm zulieb die Begnadigung des Vaters verfügte und ihn selbst
königlich belohnte, indem er ihm, wie man sagte, für jeden Vers ein Goldstück
herrühren, es unwahrscheinlich, dass der Fir- ] ^) Vgl. unten § 600.
finder dieser neuen Dichtungsart nach Apol- i ^) ^w\d^2is:07nn«pdg ysyovMg inl McIqxov
lonios gelebt habe. 1 'Avroivivov. In die Vita, gedruckt bei Wester-
^) Siehe Proömium des 2, B. und vergl. i mann, Biogr. gr. 63, ist durch Verwechselung
§ 96 u. 383.
des Mitregenten Verus (gest. 169) mit dem
^) Diese milesische Erzählung findet sich Kaiser Severus (193 — 211) Verwirrung ge-
auoh bei Apuleius, Metam. 9,26; s. Crusius,
Philol. 47 (1889) S. 448.
kommen; s. HunoLrn, Leipz. Stud. VIT, 6.
532
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
schenkte. Aber der hochgefeierte Dichter starb bald darauf in der Blüte
des Lebens im 30. Lebensjahre; sein Andenken ehrten seine Mitbürger
durch ein Standbild. Seinen Ruhm verdankte er dem uns noch erhaltenen
Lehrgedicht vom Fischfang, Halieutika in 5 B., das er dem Kaiser M. Aurel
und dessen Sohn Commodus widmete. Dem Gedicht fehlt es nicht an Glätte
des Versbaus und Schmuck der Rhetorik, aber das hohe Ansehen desselben
bleibt uns doch unverständlich. Demselben Oppian werden ausserdem vom
Verfasser der Vita als Jugendarbeiten KvvrjysTixd und 'r^svrixä beigelegt,
von denen die ersten in 4 BJ) uns erhalten sind, aber nicht dem Verfasser
der Halieutika angehören. Denn abgesehen von ihrem geringeren poetischen
Gehalt gibt sich ihr Verfasser dadurch deutlich als einen verschiedenen
Dichter kund, dass er 2, 123 u. 156 Apamea in Syrien als seine Heimat
bezeichnet. Sein Gedicht widmete er dem Kaiser Caracalla, so dass das-
selbe erst nach 211 geschrieben sein kann. Auch der Versbau weicht in
einigen Kleinigkeiten, wie in der Zulassung iambischer Wörter vor der
Hauptcäsur, von der Eleganz der Halieutika ab.^) Die Ixeutika, vom Vogel-
fang mit Leimruten, sind verloren gegangen; auf uns gekommen ist die
Metaphrase eines gleichbetitelten Lehrgedichtes in 3. B. von Dionysios,
wahrscheinlich demselben, der nach Suidas auch AiO^iaxä geschrieben hatte.
Ausg. von RiTTERSHUsius, LB. 1597 mit Kommentar; von J. G. Schneider, Argent.
1786, mit kurzen Noten, Lips. 1813; von F. S. Lehes in den Poet. buc. et didact., Paris
1846 mit der Metaphrase der Ixeutika, die unter dem Titel tjeql oQvi&oiv auch bei Gramer
An, Par. I, 21 ff. steht. — M. Miller, Oppians des Jüngeren Gedicht von der Jagd, Am-
bergcr Progr. 1885.
410. Unbedeutend sind die Reste, die uns von anderen didaktischen
Gedichten dieser Periode erhalten sind, nämlich Verse aus den 'IraXixd
^säiiara des Hello dor über die Heilquellen von Puteoli, OrjQiaxd von
Andromachos, Oberarzt unter Nero, in 167 elegischen Distichen, ein
Abschnitt der 'lazQixä des Markellos aus Side unter den Antoninen, ein
am Anfang und Schluss verstümmeltes Lehrgedicht ttsqI 6vvdiJ.€wg twv
(fVTwv in 215 Hexametern, ein aus verschiedenen Teilen zusammengestop-
peltes, in seinem Grundstock (1. H, HI, VI) auf die Zeit des Alexander
Severus zurückreichendes astrologisches Lehrgedicht 'AnoTsksoiiaTixä in 6 B.
unter dem Namen des Man et ho. Das wichtigste der erhaltenen Lehr-
gedichte, die Periegese des Dionysios, ist in unserer Periode, unter
Hadrian entstanden, wird aber von uns, da es hauptsächlich stoffliches In-
teresse hat, erst unten in dem Abschnitt über Geographie besprochen werden.
Die genannten Lehrgedichte zusammen mit den astrologischen Fragmenten des
Dorotheos nsql luuy xaraQ/ivf, Annubion tisqI f^o'iQag loQoaxonovat]? (in Distichen) und
Max im US gedruckt in Poetae buc. et didact. von F. S. Lehrs und Arn. Köchly, Paris
1846 u, 1857. Die UTToreho/uaiixa des Manetho sind herausgegeben von Köchly, Lips.
1857. Das Gedicht über die Pflanzenkräfte ist mit neuen Hilfsmitteln bearbeitet von M.
Haupt, Opusc. II, 475 ff.; Marcelli Siüetae medici fragm. rec. Max Schneider, in Comm.
Ribbeck. p. 115-31.
411. Im erzählenden Epos hat unsere Periode nichts hervorgebracht,
was die Zeit überdauert hätte. Es werden uns nur mehrere Namen von
^) Die Vita spricht von 5 B.; Suidas
stimmt in der Angabe von 4 B. mit unserem
Texte überein.
^) Lehbs, Quaest. ep. diss. V de Ha-
lieuticorum et Cynegeticorum discrepaniia;
W. Meyer, Zur Gesch. des griech. u. lat. ■!
Hexameters, Sitzb. d. b. Ak. 1886 S. 985 f. l\
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Diodoros. (§ 410—413.) 533
Dichtern und Gedichten genannt, die wir in Kürze zusammenstellen wollen:
eine Gigantomachie dichtete der Sophist Skopelianos unter Trajan, eine
Alexandrias in 24 B. ein gewisser Arrianos, der, verschieden von dem
Historiker, auch die Georgika des Vergil übersetzte; i) einen Gegenhomer
(Avd^oiiTjQog) in 24 B. schrieb der Grammatiker Ptolemaios aus Alexandria,
Metamorphosen und eine 'Ihdg XemoyQän^iaTog, von der jeder Gesang je
einen Buchstaben nicht enthielt, 2) Nestor aus Laranda unter Alexander
Severus, ^HQwixal d^eoyaiiiai in 60 B. dessen Sohn Peisandros, Baaaaqixd
oder Jiovvaiaxd nebst andern mythologischen Epen Soterichos unter
Diokletian. 3)
3. Die Prosa.
412. Wie schon oben bemerkt und in dem ganzen Charakter der
Zeit begründet ist, steht die Prosa in dem Vordergrund der Litteratur
unserer Periode. Im allgemeinen entfernte sich dieselbe von dem Zuge
gelehrter Polyhistorie, welche den Werken der alexandrinischen Zeit das
Gepräge gegeben hatte, und wandte wieder der Form der Darstellung er-
höhte Aufmerksamkeit zu. Das steht in Zusammenhang mit den rhetorischen
Studien, welche gleich im Beginne unserer Zeit sorgsame Pflege durch her-
vorragende Schriftsteller gefunden hatten und seit dem 2. Jahrhundert in
den Werken der Sophistik ihren schöpferischen Ausdruck fanden. Mit
ihnen waren aber auch die natürlichen Grenzscheiden der zwei Haupt-
gattungen der Litteratur verrückt worden. Auf der einen Seite wurde der
Vers zur Darstellung des trockensten Lehrstoffes missbraucht, und auf der
anderen verirrte sich die Prosa in das Gebiet der Poesie, indem sie teils
dem Preise der Götter, teils der Erzählung freierfundener Mythen, teils
dem Ausdruck satirischen Witzes diente. Noch mehr aber mischten sich
innerhalb der Prosa die verschiedenen Spielarten derselben. Dionysios von
Halikarnass verfasste zugleich historische und rhetorische Werke, Plutarch
schrieb nicht bloss über philosophische, historische und rhetorische Themata,
sondern gab auch seinen historischen Biographien eine philosophische Ten-
denz. Infolge dessen geht es nicht wohl an, auch in unserer Periode die
Scheidung der Prosa nach ihren Gattungen strenge durchzuführen. Ich
werde mir daher unter grösserer Beachtung der zeitlichen Folge einen
freieren Gang einzuschlagen erlauben, aber doch so, dass ich in der Haupt-
sache zuerst die Historiker und Geographen, sodann die Philosophen und
Sophisten und zuletzt die Rhetoren und Grammatiker behandele.
a) Historische Schriftsteller aus der Zeit vor 100 n. Chr.
413. Diodor,"^) geboren in Agyrion, einem Städtchen Sikiliens, ver-
fasste unter Augustus eine allgemeine Geschichte in 40 B. vom Anfang
^) Arrianos ist auch Verfasser eines
Epigramms auf die Sphinx in Memphis (CIG.
^) Fragmente bei Düntzer, Fragm. der
ep. Poesie 11, 99 tf. In die Alexanderge-
4700 = ^Kaibel ep. gr. 1015). I schichte des Fs. Kallisthenes (I, 33 u. 45)
^) Über die noch grössere Künstelei der sind Verse (Choliambcn) eingestreut, welche
l^^opsephie der Distichen in den P^pigrammen ' der Herausgeber C. Müller auf des Soterichos
(los Alexandriners Leonidas s. Stadtmüller, Epos 'JXs^aytfQiaxoy zurückführen möchte.
Zur Anthologia Palatina, Jhrb. f. Phil. 1889 '*) Ein kurzer Artikel des Suidas; Diodor
8. 709. ^ , I, 1-5.
534
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
der Dinge bis auf Cäsars Kriege mit den Galliern.*) In dem Proömium des
Werkes (I, 1—5) spricht er sich selbst über die Anlage desselben und über
seine Vorstudien aus: 30 Jahre hatte er auf die Ausarbeitung verwendet, hatte
grosse Reisen unternommen, 2) sich zur griechischen Muttersprache auch
noch die Kenntnis des Lateinischen angeeignet, in Rom fleissig die reichen
Hilfsmittel der Bibliotheken und Archive studiert. Von hohen Vorstellungen
über den Beruf des Historikers und den Wert einer allgemeinen Geschichte
erfüllt, hat er doch in der Ausführung weniger geleistet, als er in der
glänzenden Einleitung seines Werkes verspricht. Sein bewundertes Vor-
bild war ihm Ephoros; über ihn ging er nach zwei Richtungen hinaus:
einerseits fügte er zur griechischen Geschichte die römische, anderseits zog
er auch die mythische Vorzeit in den Bereich seiner Darstellung.^) War
das erste in den natürlichen Verhältnissen, der Lebenszeit des Verfassers,
begründet, so war das zweite durch den Einfluss des Euhemeros, der in
den Göttermythen einen Niederschlag historischer Ereignisse sah, veranlasst.
Eine Universalgeschichte sollte sein Werk aber nicht bloss dem zeitlichen
Umfang nach sein, er suchte ihr auch einen allgemeinen Charakter dadurch
zu geben, dass er neben den Ereignissen und Handlungen den geographi-
schen Verhältnissen und den Sitten der Völker seine Aufmerksamkeit zu-
wandte und ausser den politischen Persönlichkeiten auch die Dichter, Schrift-
steller, Künstler beachtete.^) Der Plan wäre somit gut gewesen; wenn
aber trotzdem das Werk so wenig befriedigt, so liegt der Grund teils in
dem geistigen Unvermögen des Autors, teils in der Anlage und Disposition
seiner Geschichte. Diodor war grossgezogen in den Rhetorenschulen und
Bibliotheken, nicht im Feld und im praktischen Leben; so entbehrte er des
politischen Scharfblickes in der Auffassung der staatlichen Kämpfe und
der leitenden Persönlichkeiten. Er war ein frommgläubiger Mann, der fest-
haltend an dem alten Volksglauben das Walten der Gottheit in den Er-
folgen der Gottesfürchtigen und dem Unglück der Ruchlosen suchte,^) aber
er besass nichts von jener kritischen Schärfe, welche das Wahre vom
Falschen zu scheiden und die Thatsachen auf ihre wirklichen Gründe zurück-
zuführen lehrt. Vollends war er nicht der Mann, ein Prinzip streng durch-
zuführen oder gar eine Weltgeschichte im Geiste eines Weltbürgers zu
schreiben. Er bezeichnet zwar die Gesamtheit der Völker als eine grosse
Gemeinde {ttoIic),^) aber er hat keine Ahnung von einer fortschreitenden
Entwicklung des Menschengeschlechtes; er merkt die Blüte der Dithyramben-
dichter Philoxenos, Timotheos, Telestes und Polyeidos an (14, 46), aber
von Aischylos und selbst von Aristophanes erfahren wir nichts. Zu dem
Mangel an Kritik, weitsehendem Blick und praktischer Erfahrung kam
aber noch eine ganz verfehlte Anlage. Diodor befolgt in dem grössten
Teil seines Werkes die annalistische Methode, indem er den einzelnen Ab-
') Nach 5, 21 hat er noch den Zug
Cäsars nach Britannien beschrieben.
2) Ägypten hatte er um die 180. Olym-
piade besucht (1, 44).
^) Diod. 4, 1.
^) So versucht er 12, 1 eine Schilderung
des perikleischen Zeitalters.
^) Einfältiger Weise lässt er den König
Philipp die Stimmen derPhoker wegen seiner
Frömmigkeit erhalten (14, 76).
^) Das war stoische Auffassung; siehe
BüsoLT, Diodors Verhältnis zum Stoicismus,
Jahrb. f. Phil. 139 (1889) S. 297-315.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Diodoros. (§ 413—414.) 535
schnitten die Bezeichnung des Jahrs nach Olympiaden, attischen Archonten
und römischen Konsuln vorausschickt. Es liegt von vornherein in dieser
Bezeichnung eine Ungenauigkeit, indem sich bekanntlich der Amtsantritt
der Archonten und Konsuln nicht genau deckt. ^ Aber abgesehen davon,
ist für eine Universalgeschichte eine Jahresepoche zu klein; stossen wir
uns schon bei Thukydides öfter an der Zerreissung der Darstellung durch
den Sommer- oder Winterschluss, so wird vollends bei Diodor unsere Nach-
sicht auf harte Probe gestellt, wenn wir alle fünf, sechs Kapitel von
Griechenland nach Sikilien, Makedonien, Rom gezerrt werden. Diodor lobt
es zwar an Ephoros, dass derselbe in den einzelnen Büchern die Erzählung
um einen Mittelpunkt gruppiert habe,'^) aber ihm selbst gelingt dieses nur
in einzelnen Partien, wie in dem 5. Buch und in der Geschichte Alexanders;
meistens macht ihm jene verkehrte Anlage einen Strich durch die Rech-
nung, so dass er zu allgemeinen Betrachtungen fast nur in den Einleitungen
der einzelnen Bücher und in den Nachrufen grosser Männer kommt. In
diese Unzukömmlichkeiten geriet er aber hauptsächlich deshalb, weil er
nicht selbständig seinen Plan entwarf, sondern in der ganzen Anlage von
der Chronik des Apollodor abhängig war."^) Er hat gewissermassen nur
die kurzen chronologischen Register seines Vorgängers mit ausführlichen
Exzerpten aus historischen Spezialwerken ausgefüllt. Passend heisst daher
auch sein Werk ßißho^rjxrj, d. i. ein Buch, in dem man alle möglichen
historischen Werke, wenn auch nur in Exzerpten zusammenfindet.^)
414. Einteilung des Werkes. Über die Einteilung des Werkes
spricht sich der Verfasser selbst im Proömium (I, 4 f.) aus.^) Demnach
ist dem Ganzen eine aqiaioXoyia oder eine Darstellung der alten mythischen
Zeiten in 6 B. vorangeschickt. Von diesen behandeln die 3 ersten nach
einer kurzen Einleitung die Vorgeschichte der Barbaren, der Agyptier
(B. 1), der Assyrier, Meder, Indier, Skythen, Hyperboreer, Araber (B. 2),
der Äthiopier, Afrer, Atlanteer (B. 3). Die 3 übrigen Bücher gelten der
mythischen Vorzeit der Griechen, das 5. speziell den Inselbewohnern. Von
diesen 6 Büchern sind uns die 5 ersten vollständig erhalten;^) von dem
sechsten, das die Göttergeschichte nach dem historischen Deutungssystem
des Euhemeros enthielt, haben wir nur spärliche Reste. Die eigentliche
Geschichte will Diodor wieder in 2 Teile zerlegt wissen, in einen älteren,
der die Zeit von den Troicis bis zu Alexanders Tod umfasst (B. 7 — 17),
und einen jüngeren, der von da bis zu Cäsars gallischen Kriegen reicht
(B. 18—40). Von diesen historischen Teilen ist die 2. Dekade (11—20),
') Unger, Die Jahrepoche des Diodor,
Phil. 39, 305 ff.; 40, 48 ff".; 41, 78 ff. Die
Nachlässigkeit Diodors bot dem Scliarfsiiin
Ungers die Möglichkeit, die Quellen Diodors
zu scheiden. Über chronologische Fehler
Diodors steht die ältere Litteratur bei Voss,
De hist. 212 und die Berichtigungen Clinton's
in Dindorf's ed. min. 111 praef. XXX bis
XXX vin.
'^) 5, 1 : TtJr yuQ ßlßXcoy kxdox7]v ne-
notrjxe neQie/sn^ xard ya'vog rag 7iQ('<^€ig.
^) Diese Abhängigkeit gesteht er selber
I, 5 zu.
^) Den Titel erwähnt rühmend ein Geistes-
verwandter unseres Autors, Plinius H. N.
prooem. 25.
^) Eine nützliche Oeconomia historiae
Diodori gibt der 5. Band der grossen Din-
dorf'schen Ausgabe.
^) Dass uns gerade die 5, nicht die 6
ersten Bücher erhalten sind, muss daher
kommen, dass das Werk in der Zeit der
Pergamentbände geradeso wie das des Livius
nach Dekaden und Ilalbdekaden abgeschrie-
ben wurde; vgl. S. 481 An. 3.
536
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
mit dem Zug des Xerxes beginnend und bis zu dem Kriege gegen Anti-
genes reichend, vollständig auf uns gekommen J) Im übrigen sind wir auf
Exzerpte und chrestomathische Auslesen angewiesen. Solche sind: 1) die
Eclogae Hoeschelianae, dürftige Exzerpte der Bücher 21—26, veröffentlicht
aus einer jetzt verloren gegangenen Handschrift von dem Augsburger
Humanisten Höschel (1603), 2) die Exzerpte des Photios zu den Büchern
31 — 40 mit einigen vollständig ausgehobenen Partien, darunter das interes-
sante, in antisemitischem Geiste geschriebene Kapitel über die Juden (34, 3),
3) Teile aus den 3 Rubriken des konstantinischen Exzerptenwerkes nEQi
TTQfaßfiMv, TvsQi ccQSTr^Q xai x«xmc, TieQi yrwjncov, 4) Fragmente aus gelegent-
lichen Citaten, namentlich aus Eusebios und den Byzantinern Synkellos,
Tzetzes, Eustathios. ^)
415. Stil und Quellen. Die Bedeutung der Bibliothek des Diodor
besteht wesentlich in ihrem Inhalt. Dass ihr Verfasser der Aufgabe eines
kritischen Historikers nicht gewachsen war, zeigt jedes Blatt. ^) Auch sein
Stil hat nichts originelles und nichts anziehendes. Photios zwar lobt die
Sprache und rühmt an ihr die schlichte Klarheit, welche zwischen der
Affektiertheit der Attikisten und der Fehlerhaftigkeit der Vulgärsprache
eine glückliche Mitte halte. "^y Aber aus diesem günstigen Urteil spricht
die Vorliebe des Mittelalters für das Vorbild der byzantinischen Chronisten;^)
in der That ist der Stil des Diodor eintönig, ermüdend durch die Wieder-
kehr gleicher Übergangsformeln, anstössig durch die ungriechische Häufung
von abstrakten Wörtern.^') Aber wenn der Autor nicht durch sich und
seine Kunst anzieht, so nimmt er dagegen in hohem Grad durch die Fülle
des Inhalts unsere Aufmerksamkeit in Anspruch; seine Bibliothek bietet
uns Ersatz für den Verlust der grossen historischen Werke der voran-
gegangenen Zeit; von vielen Historikern und ihren Büchern haben wir
überhaupt nur durch ihn Kenntnis. Von einem solchen Werk, das fast
ganz aus Exzerpten zusammengesetzt ist,^) würden wir heutzutage erwarten.
^) Lücken weist die handschriftliche
Überlieferung im 13., 17. u. 18. Buch auf;
ein vollständigeres Exemplar setzen die den
einzelnen Büchern vorausgehenden Inhalts-
angaben voraus.
2) Die Unechtheit der von Wesseling
in seine Ausgabe aufgenommenen 65 Briefe
ist jetzt allgemein anerkannt und sind die-
selben als moderne Fälschung aus den
neueren Ausgaben ganz verschwunden.
^) MtJLLER, Geogr. gr. min. I, 174 weist
als besonderes Zeichen kritikloser Nachlässig-
keit nach, dass Diodor 3, 40 ein TTQotiQt]-
xcifiev arglos aus seiner Quelle, dem Agathar-
chides, herübergenommen hat, ohne dass er
auch selbst die betreffende Nachricht im
Vorausgehenden gegeben hatte,
■*) Phot, p 35a, 6: xi/Qrjrca cfQCiasi
auffSL TS y.cd ((}(6^\{jm y.id IotoqUc fxäXiaTa
nQSTTov(T7]f y.cd ^ijrs tue; wg uv e'inoi rig liav
v-neQt]TTiy.iG^tvc<q ycd aQ/aioTQonovg ^tojyioi'
avi^räSsig, fJ7]Ts n()6g Ttjt^ xa(}(i)juih]fi&i't]t'
vevMV napTshog dXXd roT jueao) twv koycoy
J(CiQ(iXZrjQl /CCLQOJU.
^) Euseb. Praep, ev. I, 6. 9: 6 Iixeh-
(vTTjg Jio^ioQog, yyioQCfjiüJTCiTog (cvrJQ roTg
'EXXrjycoy Xoyiiüichoig, Justinus Martyr ad Gr,
c, 26: ii'^o^orarog tvHv loroQioyQucpMv, Ma-
lalas, Chron, 83: Jio&oDQog 6 aocpajTarog.
^) Daneben aber ist Hiatus vermieden;
s. Kalk ER, De hiatu in lihris Dioäori,
Leipz. Stud. III, 303 ff, - Mängel der Dik-
tion einzelner Bücher entschuldigt Diodor
40, 21 mit zu frühzeitiger Herausgabe: tmv
ßißXiü)}'' Tivsg TiQo Tov d'ioQx9(Ox^7]^'aL xcd xriv
dxQißt] GvvriXsiav laßeiv xXaneTüca TTQoeSedö-
YQCicpfi.
"') Heyne, De fontibus et auctorihus
historiarum Diodori (1872), abgedruckt im
5, Bande der Dindorf'schen Ausg.; Vol-
QUARDSEN, Über die Quellen der griechischen
u. sikilischen Gesch. bei Diodor XI — XVI;
Nissen, Kritische Untersuchungen über die
Quellen der 4. u. 5. Dekade des Livius,
Berl. 1863, Unger, Die Quellen Diodors für
«
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Diodoro». (§ 415.) 537
dass unter den einzelnen Abschnitten regelmässig die Quelle angemerkt sei.
Diodor thut dieses nicht; er wollte offenbar den Schein vermeiden, als ob
sein Werk auf einer so niederen Stufe stehe. Er hat daher nur selten wie
2, 32 und 3, 67, wo er in indirekter Rede die Angaben des Ktesias und
Dionysios referiert, seine Quelle ausdrücklich genannt. Im übrigen lässt
er uns nur erraten, woher er seine Weisheit geschöpft habe, hat uns aber
dazu einen guten Fingerzeig gegeben, indem er von den benützten Histo-
rikern an zukommender Stelle anmerkt, mit welchem Jahre ihre Annalen
begonnen und mit welchem sie geendigt haben. ^ Es hat sich aber unser
Historiker im allgemeinen in dem geschichtlichen und chronologischen Teile
hauptsächlich an Apollodor und Ephoros, in dem geographischen an Aga-
tharchides und Artemidor gehalten. In den einzelnen Abschnitten folgt er
seinen speziellen Quellen, so in der griechischen Mythologie dem Kyklo-
graphen Dionysios,^) in der ägyptischen Geschichte dem Manetho und
Hekataios von Milet,'') in der persischen dem Ktesias,'^) in der griechischen
neben Herodot und Ephoros dem Theopomp, 5) in der Geschichte Alexanders
dem Klitarch,^) in den Diadochenkämpfen dem Duris.'^) In der mit sicht-
licher Vorliebe und Ausführlichkeit behandelten Geschichte seiner Heimat-
insel Sikilien verfügte er über ein sehr reiches Quellenmaterial, hielt sich
aber doch hauptsächlich an Philistos und Timaios.^) Bezüglich seiner
Quellen in der römischen Geschichte urteilt ein massgebender Kenner,
Mommsen, Herm. 5, 274: die Fasten Diodors sind die ältesten und glaub-
würdigsten.^)
Codd. sind wie bei Livius verschieden zu den einzelnen Abteilungen: für B. I— V
sind massgebend Vindob. 79 membr. s. XI und Vatic. 130 s. XII; für B. XI — XV Paris.
1G64 bomb. s. XIV; für B. XVI-XX Paris. 1665 membr. XII; für B. XI-XX Laur. 70,
12 chart. s. XIV. Der alte Cod. in Patmos von B. XI- XVI, von dem Bergmann, Diodori
bist. Hb. XI, 1 — 12 ex cod. Patmio ed. Bergmann, Berl. 1867, Notiz gab, wird jetzt heran-
gezogen von Vogel.
Ausgaben: Zuerst erschienen in lat. Übersetzung die ersten 5 B. von Poggio,
1472; erste vollständige Ausg. im griechischen Originaltext von Stephanus, Paris 1559;
cum suis aliorumque annot. ed. Wesseling, Arastel. 1746, 2 t. in fol., Hauptausgabe; ex
die Diadochengeschichte, Sitzb. d. b. Ak.
1878, 1, 368 fr. Andere Quellenlitteratur bei
Schäfer, Quellenk. IP, 87.
^) Zunächst indes sind diese Angaben,
wie Volquaedsen S. 12 nachweist, aus der
Chronik des Apollodor geflossen. Daher
sind dieselben nur mit Vorsicht für die
Quellenforschung zu benützen, da z. B. von
Thukydides und der hellenischen Geschichte
des Xenophon Anfang und Schluss genau an-
gemerkt (12, 37; 13, 42; 15, 76 u. 89), in
den betreffenden Abschnitten aber vielfach
abweichende Darstellungen gegeben sind.
'') Citiert ist derselbe III, 52 u. 67.
"'') S. § 363. Dabei war Diodor so un-
verschämt, sich selbst die sorgsame Prüfung
der hieroglyphischen Urkunden (c<yc<yQccq)cci)
beizulegen (1, 69), während er selbst dos
Ägyptischen unkundig war und nur der kri-
tischen Übersetzung des Manetho folgte; s.
Krall, Manetho u. Diodor, Stzb. d. östr. Ak.
1880 (B. 96) 237-84.
4) Ktesias ist citiert II, .32 u. XVI, 46,
aber nach Jacoby, Rh. M. 30, 555 ff. nur
indirekt benützt.
••) Theopomp ist citiert XIII, 42 u. XVI,
3, ausserdem Anaximenes XV, 89, Kalli-
sthenes IV. I u. XVI, 14, DemophilosXVI, 14.
^) Diod. II, 7 und Wesseling zu XVII,
75; ausserdem ist angeführt Marsyas XX, 50.
^) Diod. XV, 60; Rosiger, Be Duride
Samio Diodori Siculi et Plutarchi auctore,
Gott. 1874; s. oben S. 469 An. 5.
8) Citiert sind Timaios V, 1; XIII, 90
u. 109; XX, 89; XXI, 12; Philinos XIII, 103
u. XV, 89; ausserdem Antiochos XII, 71;
Diyllos XVI, 14; Hermcias XV, 37; Kallias
und Antandros XXI, 12.
^) In einer Einzelfrago nachgewiesen
von Kaerst, Die römischen Nachrichten
Diodors und die konsularische Provinzver-
teilung, Philol. 48, 306 ff. Von griechischen
Quollen benützte Diodo»' in der römischen
Geschichte dcu Menodotos und Sosilos XXVI.
3, ferner den Polybios und Poseidonios.
538
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
reo. L. DiNDORFii mit Sammelanmerk., Lips. 1828-31, 5 vol. Die Textesausg. von Din-
i)OKF in Bibl. Teubn. erscheint in neuer Bearbeitung von Vogel.
416. Dionysios aus Halikarnass, Sohn des Alexander und ver-
schieden von dem Musiker Dionysios aus Halikarnass unter Hadrian, war
Rhetor und Geschichtschreiber unter Augustus. Nach seinen eigenen An-
gaben, Arch. 1, 7, war er nach Beendigung des Bürgerkrieges im J. 30
V. Chr. nach Rom gekommen und hatte in den 22 Jahren, die er daselbst
zubrachte, die lateinische Sprache gelernt und mit römischen Grossen
mannigfache Beziehungen angeknüpft. Die Kreise, in denen er verkehrte
und in die er durch seinen Freund, den Rhetor Cn. Pompeius Geminus,
eingeführt wurde, gehörten zu den Parteigängern des Senates und der alten
Aristokratie, woher die republikanischen Ideen stammen, die sein Geschichts-
werk durchziehen. Insbesondere zählte er den Rufus Melitius ^ und Aelius
Tubero^) zu seinen Gönnern. Zur Hauptaufgabe stellte er sich während
seines römischen Aufenthaltes die Ausarbeitung eines Werkes über römische
Geschichte; daneben gab er Unterricht in der Rhetorik und versäumte es
nicht in seinen Schriften auf die Notwendigkeit der Ergänzung der theo-
retischen Lehren durch die Übungen der Schule, natürlich seiner Schule,
aufmerksam zu machen.^) Ob er nach Vollendung seines Geschichtswerkes
im J. 8 V. Chr. noch länger in Rom geblieben ist und wie lange er den
Abschluss seines Hauptwerkes überlebt hat, darüber fehlen uns Nach-
richten. Sein litterarischer Nachlass besteht aus jenem Geschichtswerk
und aus rhetorischen Schriften, die aus seiner Lehrthätigkeit hervor-
gegangen sind.
417. Die 'Po)f.ia'ixrj a^y^aioXoyia (anüquitates Romanae) in 20 B.
ist das hauptsächlichste historische Werk unseres Autors, das sich derselbe
gewissermassen zur Lebensaufgabe gestellt hatte. Daneben hatte er ein
tabellarisches Buch tieqI xQoron' geschrieben, in welchem er die römische
Zeitrechnung auf die griechische des Eratosthenes reduzierte;*) dasselbe
wurde auch noch von christlichen Schriftstellern, wie Clemens Alexandrinus,
häufig benützt. In dem Hauptwerk stellte er die römische Geschichte von
ihren Anfängen bis auf den Beginn der punischen Kriege (266) dar. Er
wollte also mit ihm eine Ergänzung des polybischen Geschieh ts Werkes nach
rückwärts liefern; er that es, weil er noch von keinem griechischen Schrift-
steller die ältere Geschichte Roms in genügender Weise dargestellt fand.^)
Er gedachte so zugleich den Römern für die Wohlthaten, die er während
seines römischen Aufenthaltes empfangen hatte, den Tribut des Dankes zu
erstatten. 6) Von den 20 Büchern ist uns die 1. Dekade (1—10) und dazu
durch eine andere jüngere Klasse von Handschriften das 11. B., welches
die Geschichte der Decemvirn zu Ende führt, erhalten. Von den 9 letzten
') Dion. de comp. verb. 1 p. 6 Seh.
2) Thuc. iud. ].
3) Dion. de comp. 20 p. 284 Seh.; rliet.
10, 19.
^) Nach der Andeutung, die er Arch. I,
74 von dem Inhalt dieses Buches gibt, war
dasselbe nicht identisch mit der ovi'oxlng
der römischen Archäologie in 5 B., die Pho-
tios cod. 84 las. Diese letztere soll nach
Photios von Dionysios selbst herrühren.
Krüger, Comm. hist. et crit. p. 262 hält das
Buch -nsQi XQÖrMv für eine Überarbeitung des
Über annalis des Attikus.
^) Arch. I, 4 u. 5.
6) In der eitlen Weise eines echten
Graeculus vindizierte er den Römern auch
die Ehre, Griechen zu sein, Arch. I, 5.
B. Bömisclie Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Dionysios. (§ 417—418.) 539
Büchern haben wir nur Fragmente aus dem Exzerptenwerk des Konstan-
tinus Porphyrogennetus und eine von Angelo Mai in einer Mailänder Hand-
schrift aufgefundene Epitome. In der Durchführung seiner Aufgabe steht
Dionysios durchweg auf dem Standpunkt eines griechischen Rhetors^) Wie
ein panegyrischer Redner sucht er gleich bei der Wahl des Stoffes nach
einem würdigen, dankenswerten Thema; ^) die Geschichte selbst ist ihm
Philosophie in Beispielen, 3) und auf Beispiele, die der Gesetzgeber, Staats-
mann, Redner gebrauchen könne, hat er es überall abgesehen.^) Mit dem
lieblichen Köder fliessender Reden, ebenso reich an Worten als arm an
Gedanken, sucht er die Darstellung auch von Zeiten zu beleben, wo der
wortkarge Römer kaum so viele Worte sprach, als Dionysios ihm Sätze
unterlegt. Überhaupt gelten ihm der rhetorische Aufputz der Darstellung
und der Wohlklang der Perioden als eine Hauptaufgabe; sie zumeist sollten
sein Werk über die ungeniessbaren Historien des Phylarchos, Duris und
Polybios erheben.-^) Ausserdem macht er in seiner pragmatischen Auf-
fassung die Geschichte zur Lehrerin der Moral und Richterin menschlicher
Thaten ; durch sie soll der Leser in der Frömmigkeit und im alten Glauben
bestärkt und vor der Gottlosigkeit der atheistischen Philosophen bewahrt
werden.^) Dabei ist aber nichts von dem animus Romanus und dem Geiste
der alten Zeit in den griechischen Rhetor gefahren. Die Verhältnisse Roms
betrachtet er mit der griechischen Brille und färbt die Darstellung der
alten Institutionen nach den römischen Einrichtungen seiner Zeit, von denen
er obendrein doch nur eine kärgliche Anschauung gewonnen hatte. Auch
Livius war aus der Schule der Rhetoren hervorgegangen, aber er war ein
Römer und seine kraftvolle Darstellung und seine markigen Reden lassen
weit die geschwätzigen Tiraden des Griechen hinter sich. Im übrigen be-
nützte Dionysios gute Quellen, über die er sich selbst eingehend in dem
Proömium 1, 6 f. ausspricht. Von griechischen Historikern zog er den
Hieronymos von Kardia, den Timaios und Polybios heran; hauptsächliche
Führer aber waren ihm die römischen Historiker und Annalisten. Durch
ihre Benützung, insbesondere durch die des Cato im 1. Buch, hat seine
Archäologie auch für die kritische Geschichtsforschung Wert erhalten, so
sehr auch im übrigen seit Niebuhrs einschneidender Kritik der Glaube an
die Verlässigkeit seiner Berichte geschwunden ist. Auffällig ist es, dass
das Werk bei den Späteren so wenig Beachtung fand, dass insbesondere
Livius es nicht der Mühe wert fand, dasselbe auch nur einmal zu erwähnen.
418. In den rhetorischen Schriften') des Dionysios finden wir
^) Ulrici, Charasteristik 227 ff.; Liers,
Die Theorie der Geschichtschreibung des
Dionys von Halikarnass, Waldenburger Pro-
gramm 1886.
2) Arch. I, 1 u. 2. In dem Brief an
Pompeius 1, 3 macht er dem Thukydides
die schlechte Wahl des Stoffes {ixXoyt] vno-
d-eaEojg) zum Vorwurf.
•*) Rhet. II, 1 : latoQia (ftXoaocpta eazip
ix -naQa^siyfulreDv.
4) Arch. V, 56 u. 75; XI, 1. Nach Thuc.
iud. 2 hatte er eine eigene Schrift geschrieben
xmeQ lijg nohiiySjg (piloooffiicg. Man denke
an die Exempla des Nepos.
^) De comp. verb. 4 p. 64 Seh.
•^) Arch. II, 68; VIII, 56.
') Blass, De Dionysii Halicarnassensis
scriptis rhetoricis, Bonn 1863. Ob die rhe-
torischen Schriften alle vor seine römische
Geschichte fallen, ist nicht ausgemacht; nach
dem Schlüsse des Buches über Demosth. c. 58
iui^ (J(ö!^fj To (hcifxoyioi^ i)^ug und der ähn-
lichen Wendung in der Schrift de comj).
verb. p. 14 Seh. möchte man glauben, dass
er dieselben im Alter geschrieben habe.
640
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
den Autor auf seinem eigensten Gebiet, und hier gewährt er uns auch
ungleich grössere Befriedigung.') Er zeigt sich hier als Anhänger des
guten Geschmacks der attischen Beredsamkeit und als Gegner des über-
fliessenden Schwulstes der Asianer. Die Reden der Attiker und die Ge-
schichtswerke der klassischen Zeit hatte er sorgfältig studiert''^) und die
in den Katalogen der alexandrinischen und pergamenischen Bibliothek nieder-
gelegten litterarhistorischen Hilfsmittel ebenso fleissig wie die Werke des
Demetrios Magnes und der pergamenischen Rhetoren durchgearbeitet. Aber
sein eigenes Können war auch hier nicht gross; nicht bloss sind seine Reden
in der römischen Archäologie zum grossen Teile nur aus demosthenischen
und xenophontischen Reminiszenzen zusammengeflickt, auch in der Theorie
der Rede wurde er von den römischen Rhetoren Cornificius und Cicero
weit überholt; nur in dem litterarhistorischen Detail und in der ästhetischen
Beurteilung zeigt er exakte Gelehrsamkeit und geschultes Urteil. Da man
ihn als den Hauptvertreter der stilistischen Rhetorik ansah, so hat man
ihm später auch manche fremde Werke untergeschoben.^) Die einzelnen
Schriften sind folgende:
Tt%vi] QTjTOQixTj in 11 Abschnitten; dieselbe ist kein vollständiges
Lehrbuch der Rhetorik, sondern eine Sammlung von 4 auf die rhetorische
Theorie bezüglichen Aufsätzen. Der erste an einen gewissen Echekrates
gerichtete Aufsatz (c. 1 — 7) enthält die Topik der epideiktischen Rede,
insbesondere eine Anleitung zum Reden bei öffentlichen Festversammlungen
[TravrjyvQetg). Der 2. Abschnitt (c. 8 u. 9) umfasst zwei selbständige Ab-
handlungen über die Verstellungsrede {Xoyog iaxTq^axia^ävog^ oratio figurata),
wofür die Reden des Agamemnon und Diomedes im 2. und 9. Gesang der
Ilias als Muster herhalten müssen. Der 3. Abschnitt (c. 10) handelt von
den Stilfehlern (7rAry/,t/*6Ary/x«i^«), woran sich ein Kapitel über die Stilprüfung
[xQi'aig) anschliesst. Das ganze Buch ist skizzenhaft angelegt und des
Dionysios unwürdig; ob indes alle Teile denselben Rhetor zum Verfasser
haben, ist sehr zweifelhaft. Im 1. Abschnitt c. 2, 9 wird auf Nikostratos,
der unter den Antoninen lebte, Bezug genommen, so dass dieser nicht vor
dem Schluss des 2. Jahrhunderts geschrieben sein kann.^)
IIsqI avvd^saeüK ovoikxtmv {de composiUone verborum) ist die reifste
Schrift unseres Autors und behandelt ein von den Alten mehr als von uns
beachtetes Kapitel der Stillehre. Dionysios geht in derselben davon aus,
dass man in der ästhetischen Beurteilung über das blosse Fühlen hinaus-
kommen und die Gründe, warum eine Rede oder ein Gedicht schön oder
^) Ein Anonymus bei Spengel, Rhet. gr.
I, 460. 26 nennt ihn yMvöva rijg nsQt qtjto-
Qixr]v fX£XsT7]g.
'^) Am meisten tritt die Gediegenheit
seiner Studien in der Abhandlung über Di-
narch hervor, wo er keine Vorarbeiten hatte.
^) Vgl. unten § 499 über Ps. Longin
TiSQL txpovg.
'*) Auf die Zeit der gefestigten Kaiser-
herrschaft führt auch 1, 7 von dem Preis
der Könige als Friedensschirmer, Bursian,
Über den Pihetor Menandros, Abh. d. b. Ak.
XVI, 26, weist im Menander p. 399, 12 Sp.
eine Bezugnahme auf unsere Techne c. 2
nach, so dass also dieselbe jedenfalls vor
Menander oder vor 250 zu setzen sei. Der
Verweis auf eine noch anzustellende Unter-
suchung n€Qi fiiurjOEiog (10, 19) spricht dafür,
dass die 3. Abhandlung, wenn nicht von
Dionysios selbst, so doch aus seiner Schule
stammt. Quintil. III, 1. 16 und andere bei
Walz, Rhet. gr. III, 611; V, 213; VI, 17;
VII, 15 bezeugen, dass ein rhetoiisches Lehr-
buch unseres Dionysios ehedem in Umlauf war.
I
B. Kömische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Dionysios. (§ 418.) 541
schlecht sei, sich zum Bewusstsein bringen müsse. Die Gründe aber sollen
hauptsächlich in der Wahl {ixXoyrj) und in der Zusammenfügung {avvO^eaig)
der Wörter zu suchen sein. Die Zusammenfügung nun behandelt der Autor
in unserm Buch unter steter Vorführung von Beispielen aus Dichtern und
Prosaikern in der Art, dass er auf den Zusammenstoss der Laute, den
rhetorischen Rhythmus, die Stilunterschiede (Ai'^'/g avarr^Qa, ylacfVQa, xoivrj)
Rücksicht nimmt und hochinteressante Bemerkungen über Periodenbau,
Metra, musikalische Kompositionen ^ einflicht. 2) Einen Wink über die Ab-
fassungszeit scheint die Verweisung in dem Buche über Thukyd. c. 49 und
50 auf unsere Schrift zu bieten, aber die Beweiskraft dieses Zeugnisses
wird dadurch geschwächt, dass umgekehrt in unserer Schrift c. 11 die
Untersuchung über die Stilcharaktere noch als ausstehend bezeichnet wird.^)
JIsQL pipriascjog war eine Schrift in 3 Büchern, deren Inhalt Dionysios
selbst im Brief an Pompeius c. 3 skizziert. Danach handelte das 1. Buch
von der Nachahmung und ihrer Bedeutung im allgemeinen; das 2. von den
Dichtern, Philosophen, Historiographen, Rednern, die vornehmlich nachge-
ahmt zu werden verdienten; das 3. von der Weise, wie man die Muster-
autoren nachahmen solle. Das wichtigste Buch war natürlich das 2., das
sich im wesentlichen mit dem berühmten 10. Buch der Institutiones oratoriae
des Quintilian deckte. Den Plan desselben legt Dionysios in der Einleitung
der Schrift über Thukydides dar; näheres über den Abschnitt von den
nachzuahmenden Historikern erfahren wir aus dem Brief an Pompeius
c. 3 — 6, über den Inhalt des ganzen Buches aus dem Auszug, twv aq^miov
xQiaig betitelt, den im 4. Jahrhundert ein platonisierender Rhetor ange-
fertigt hat.
IIsqI tmv ccQxcciMV ^TjTOQMv V TT 0 f^ivrj fj. aT iM i^ioi stehen mit der
zuvor genannten Schrift in Zusammenhang;'*) sie geben eine spezielle Be-
sprechung der hervorragendsten attischen Redner, wobei ein kurzer Lebens-
abriss vorausgeschickt und dann auf die Reden und den Stil derselben im
Detail eingegangen ist. Nach der an Ammaios gerichteten Einleitung
sollten von der älteren Generation Lysias, Isokrates, Isaios, von der jüngeren
Demosthenes, Hypereides, Aischines besprochen werden; aber nur der erste
Teil ist auf uns gekommen, vielleicht auch allein von dem Autor ausge-
führt worden.-^) Demselben angehängt ist eine Charakteristik des Deinar-
chos, den unser Rhetor von seinen Vorgängern allzusehr vernachlässigt fand.
Die Schrift ttsqI Tr^g XsxTixrjg Jrjf^ioaO^tvovg 6€iv6Tt]tog {de ad-
mirahili vi dicendi in JDemostheneY) muss uns als teilweiser Ersatz für den
^) Das 11. Kapitel enthält eine Um-
schreibung der Melodie der Parodos des
euripideischen Orestes.
■'^) Die Behandlung der Lehre tieql ix-
koyrjg rtJov 6vofj.äzMv verspricht er De comp.
14 Seh. im nächsten Jahr zu geben; erhalten
ist uns von derselben nichts.
^) Blass a. 0. 8 f. hilft sich mit der
Annahme, dass die Schrift über Thukyd. da-
mals schon geschrieben, aber noch nicht
publiziert gewesen sei; vergl. Rössler, Dion,
Hai. Script, rhet. p. 4 sq., und Ebekhard,
Jahrber. d. Alt. IV, 1. 206.
■*) Herausgegeben indes war die voraus-
gegangene Schrift noch nicht, da sie Dio-
nysios in Dem. iud. in. als noch unvollendet
[f(rEh]g) bezeichnet; vgl. Blass p. 20.
•'') Aus dem Eingang des Buches über
Dinarch schliesst Blass p. 11, dass Dionysios
den Plan auch ausgeführt habe.
^) Der Titel ist in den Handschriften
zugleich mit dem Anfang der Schrift weg-
gefallen; er beruht auf Ergänzung aus dem
Inhalt.
►42
Griecliische Litteraturgescliiciite. II. Nachklassische Litteratur.
Verlust des zweiten Teils der vorgenannten Schrift gelten. Es wird darin
Bemosthenes als das non plus ultra von einem Redner hingestellt mit ver-
ständnisreicher Besprechung einzelner Stellen, aber in einem etwas über-
schwenglichen Tone. Auch diese Schrift ist an Ammaios gerichtet; der
Verfasser verspricht am Schlüsse derselben noch eine zweite Schrift über
die Geschicklichkeit des Demosthenes in Behandlung der Sache (Tiegl Trjg
TTQaYjuccTixTjg ÖEivcTv^roq) nachfolgen zu lassen, wenn Gott ihm noch das Leben
schenke; aber zur Ausführung dieses Planes ist es nicht gekommen.
TlsQi Tov &ovxvöidov xccQaxxrjQog ist an Aelius Tubero, den be-
rühmten römischen Rechtsgelehrten und Historiker, gerichtet und hat das
Werk tieqI jiUfirjcTSMg zur Voraussetzung. Die neue Schrift gibt eine ein-
gehende, aber in der Hauptsache ungerechte Charakteristik des Thukydides.
Das gut geschriebene Buch muss man lesen nicht bloss des Thukydides
willen, sondern auch um das Geschichtswerk des Dionysios selbst richtig
aufzufassen.
Ergänzungen und Antworten auf die Anfeindungen, welche die Ur-
teile des Dionysios hervorgerufen hatten, enthalten die übrigen kleineren
Schriften unseres Autors. In dem Brief an Ammaios nimmt er seinen
Demosthenes vor dem Vorwurf der Peripatetiker, dass derselbe das beste
dem Aristoteles verdanke, durch den Nachweis in Schutz, dass die Rhe-
torik des Aristoteles nach den Reden des Demosthenes abgefasst sei. In
dem Brief an Pompeius hält er sein Urteil über die stilistische Inferiorität
des Piaton gegenüber dem Demosthenes aufrecht und spricht sich nochmals
über den Stil der Haupthistoriker Herodot, Thukydides, Xenophon, Philistos,
Theopomp und ihr Verhältnis zu einander aus. Im 2. Brief an Ammaios
kommt er auf sein Urteil über Thukydides zurück und gibt auf Verlangen
seines Freundes eine spezielle Besprechung der Stileigentümlichkeiten (16im-
ILiara) des Historikers.') Von dem verlorenen Buch ttsqI o';^?y/tazrw)' gibt
Quint. IX, 3. 89 Zeugnis; vgl. Demosth. iud. 39.
Codices: über die handschriftliche Überlieferung der rhetorischen Schriften handeln
ITsENER, Ind. Bonn. 1878; Sadee, De Dionys. Script, rhet. quaestiones criticae, Argent.
1878; ScHENKL, Wien. Stud. II, 21 — 32; der wichtigste Cod. ist der Parisinus 1741. —
Von der Archäologie sind die besten Codd. ein Urbinas s. X und ein Chisianus s. X, ver-
wertet in der Ausg. von Kiessling. Wertvolle Beiträge zur Kritik von Cobet, Observ.
crit. ad Dionys. Halic. LB. 1877.
Gesamtausgabe von Sylbueg, Frankf. 158G, 2 vol.; von Eeiske, cum not. var.,
Lips. 1774, 6 vol. — Spezialausg. der römischen Archäologie von Kiessling in Bibl. Teubn.,
neubeaibeitet von Jacoby; des Buches De compos. verb. von Schäfek, Lips. 1808; von
Göllee, Jen. 1815; der kritischen Schriften von Gros, Exam. crit. de Denys d'Halic,
Par. 1826; der Historiographika von C. G. Krüger, Hai. 1823; der epist. crit. von Her-
werden, Gron. 1861; Rössler, Dion. Hol. scriptorum rhetoricorum frac/m. collegit, disposuit,
praefatus est, Lips. 1873; Usener, Dion. Hai. de imiiatione lihrorum rell. epnstulaeqiie^
duae criticae, ed. Usener, Bonn 1889. — Jacoby, Act. Lips. I, 287 ff. und Philol. 36, 129 ff.
u. 37, 325 ff. berichtet über die Kritik und den Sprachgebrauch der Archäologie. — Ammon,
De Dion. Hai. scriptorum rhetoricorum fontibus, Münch. 1889, Progr. d. Wilh. Gymn.
419. Mit Dionysios wird in der Regel 2) Cäcilius von Kalaktc,'
^) Dass er dieselben wesentlich aus äl-
teren Scholien zu Thukydides zusammen-
gerafft habe, erweist Usener, Dionys. Hai.
ad Ammaeum epist., Bonn 1889.
2) Quintil. III, 1; IX, 3; Ps.,. Plut. de
decem erat, fast auf jeder Seite. Über Kca-
TÜhog ein guter Artikel des Suidas, wonach
einige behaupteten, derselbe stamme von
einer Sklavenfamilie ab und sei jüdischen
Glaubens gewesen. Fragmente gesammelt
von BuRCKHARDT, Bascl 1863.
B. Eömische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Bionysios. (§ 419-421.) 543
Schüler des pergamenisclien Rhetors Apollodoros, verbunden, den Dionysios
selbst im Brief an Pompeius c. 3 seinen lieben Freund nennt. Er hat
neben jenem hauptsächlich zur Belebung der rhetorischen Studien in Rom
und der Forschungen über die attischen Redner beigetragen. Eine Haupt-
schrift von ihm handelte von dem Stilcharakter der 10 attischen Redner
(tisqI tov x^Qf^^^^jQog Toh' dexa QrjTOQMr), woraus man sieht, dass er bereits
den Kanon der 10 attischen Redner kannte; doch hat er denselben nicht
zuerst aufgestellt, sondern von seinem Lehrer Apollodor herübergenommen. ^)
Auf den Forschungen jenes Buches basiert hauptsächlich die ps. plutarchische
Schrift von den 10 Rednern. Eine andere namhafte Abhandlung unseres
Cäcilius handelte von dem Erhabenen im Stil {ttsqI vipovg), gegen welche
das gleichbetitelte Buch des Ps. Longin gerichtet ist. Von seiner Neigung
die Vorzüge verwandter Männer gegeneinander abzuwägen, zeugen die ver-
lorenen Schriften über Demosthenes und Aischines, Demosthenes und Cicero.
Unter den übrigen von Suidas angeführten Schriften unseres Rhetors war
die 'Exkoyi] X&'^scov xata aToixelov (wahrscheinlich nur von den Rednern),
deren wahrer Titel KaXXiQQtjfnoavrrj war,'^) von besonderer Wichtigkeit für
die mit ihr beginnende Litteratur der attischen Rednerlexika. Auch ein
historisches Werk über die Sklavenkriege wird von ihm angeführt.^)
420. Jüdische Historiker. Die Juden hatten seit Alexander einen
immer steigenden Einfluss in der hellenischen Welt gewonnen. Namentlich
hatte Alexandria eine grosse Judenkolonie und interessierten sich die Könige
Ägyptens schon aus politischen Gründen lebhaft für die Geschichte und
Sitten des rührigen, durch Glaubensstärke mächtigen Volkes. So wurde
schon unter Ptolemaios Philadelphos das alte Testament durch die soge-
nannten Siebzig ins Griechische übersetzt und spann der jüdische Philosoph
Aristobulos um 160 v. Chr. ein ganzes Gewebe von Truglehren über
den Ursprung hellenischer Weisheit aus orientalischer und speziell jüdischer
Quelle.'^) Mit der Geschichte der Juden wurden die Griechen in jener Zeit
bekannt gemacht durch Demetrios, der in der Mitte des 3. Jahrhunderts
eine jüdische Chronik verfasste, und Eupolemos, der im 2. Jahrhundert
über die Könige von Judäa schrieb. ■''•) Nach dem Untergang der hellenisti-
schen Reiche wanderten mit den Grammatikern und Gelehrten auch Juden
nach Italien und Rom, so dass unter Cicero und August bereits die Juden
in Rom eine einflussreiche Kolonie bildeten. Unter Vespasian und Titus
kamen dazu die Aufstände der Juden, die in Rom viel von den Juden
reden machten und die auch den römischen Historiker Tacitus zu einem
eigenen Exkurs über die Juden in dem 5. Buch seiner Historien veran-
lassten. Aus dieser Zeitströmung ist nun auch die Geschichtschreibung
des Josephos, des bedeutendsten Historikers der Juden, hervorgegangen.
421. Josephos,^) nachmals Flavius Josephus genannt, war um 37
^) S. oben § 243. gemeinen Mommsen, Rom. Gesch. V, 489 ff.
'^) RoHDE, Griecli. Rom. 326. ^) Über beide Fkeudentiial, Hell. Stud.
T, 105.
^) Die Hauptnachrichten verdanken wir
der Selbstbiographie des Autors, neben wel-
cher der daraus gezogene Artikel des Suidas
=') MüllerFHG. III, 330-3. Zeitgenosse
von ihm war dei- Historiker Lysimachos
von Alexandria, worüber Müller FHG. III,
334-342.
'*) S. oben S. 429 f.; vergleiche im all-
nicht in Betracht kommt. Wichtig ist ausser-
544
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
n. Chr. geboren und stammte aus einem vornehmen jüdischen Priesterge-
schlecht; mütterlicherseits war er sogar mit dem königlichen Haus der
Makkabäer verwandt. Zusammen mit seinem Bruder Matthias in Jerusalem
sorgfältig erzogen, entwickelte er früh ungewöhnliche Geistesanlagen. Von
den 3 Sekten der damaligen Juden, den Pharisäern, Sadduzäern und Essäern,
zog ihn die erste, die der Stoa der Griechen gleichgestellt wurde, am meisten
an. Nach Rom kam er zum erstenmal im Jahre 63, um einige seiner
Landsleute bei dem Kaiser zu verteidigen; er erwirkte deren Freilassung
durch Vermittlung der Poppäa, der bekannten Gemahlin des Kaisers Nero,
deren Vertrauen er zu gewinnen wusste. Bei dem Ausbruch des Auf-
standes der Juden nahm er anfangs eine zweideutige Haltung an; dann
liess er sich zum Befehlshaber erwählen, schloss aber, als er nach dem
Falle von Jotapata in Kriegsgefangenschaft geraten war, seinen Frieden mit
Vespasian, dessen Gunst er sich dadurch erworben haben soll, dass er ihm die
zukünftige Kaiserkrone weissagte. Von der Einnahme der Hauptstadt Jeru-
salem war er im Lager des Titus Augenzeuge. Später lebte er unter den
Kaisern Vespasian, Titus und Domitian in Rom, mit der Abfassung seiner
Geschichtswerke beschäftigt. Dieselben schrieb er auf Anregung seines
Freundes Epaphroditos, eines angesehenen griechischen Grammatikers, um
die Hellenen über sein Volk aufzuklären; sie erfreuten sich schon bei
seinen Zeitgenossen eines ausserordentlichen Ansehens, so dass sie, wie
Eusebios in der Kirchengeschichte 3, 9 bezeugt, in der öffentlichen Biblio-
thek mitsamt seiner Büste aufgestellt wurden. Sein interessantestes und
bestdurchgearbeitetes Werk ist der jüdische Krieg {ttsqI tov ^lovöaixov
noXt}.iov) in 7 B., das er, wie er selbst in der Streitschrift gegen Apion
I, 9 bemerkt, anfangs in seiner Muttersprache geschrieben und dann grie-
chischen Litteraten zum Übersetzen ins Griechische übergeben hatte. Hier
erzählt er Selbsterlebtes mit Wärme und Sachkenntnis. Das Werk wurde
im 4. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt und kursierte im lateinischen
Abendland unter dem entstellten Namen Hegesippus d. i. Joseppus.i) —
Das umfangreichere spätere Werk ist die 'lovSai'xij aqiaioXoyia in 20 B.,^)
welche mit der Erschaffung der Welt an der Hand der Bücher Moses be-
ginnt und bis auf Nero herabgeht. Merkwürdig ist darin die Stelle 18, 3
über Jesus, da sie das älteste Zeugnis über den Stifter unserer Religion
enthält; doch ist dort nur ganz nebenbei von dem weisen Manne Jesus die
Rede, so dass man sieht, wie Josephos noch keine Ahnung von der welt-
historischen Mission desselben hatte; überdies ist die Stelle durch stark
Interpolationen von späterer christlicher Hand entstellt.^) Im übrigen geben
dem das Zeugnis des Eusebios, Hist. eccl.
3. 9: fidkiara ö'e xiiiv y.ax^ exeTpo xaiQov
^lov^alixiv ov TiaQu fxovoLg rotg ofxoE&veaiv
ctX'kd xai TiciQK "^Piofxaioig ysyovev ävrJQ inido-
iöraxog, log avTop ^Iv dvad^taei ur(^qiäi^rog
ini irjg Pw/uuiMy TifA,^]drjvcii noXscog, rovg ^i
anov^aoS^tyiag civno "koyovg ßißXio&'t]X7]g
dS^iiodijvca.
^) Als Verfasser der lateinischen Über-
setzung ward früher Ambrosius angenommen;
dass es vielmehr ein getaufter Jude war,
beweist Vogel, De Hegesippo qui dicitur
Joseplii inteiyrete, Erlang. 1881.
2) Der Name ist gebildet nach det
'Pcofxcüxi] (<Q/caoXoyia des Dionysios; heraus
gegeben ward das Werk 93/4 n. Chr.
^) los. lud. arch. 18, 3: yivexca de xanl
Tovxov TOV ^Qovov ^Ifjoovg , oocpog dl'lJQ '
[et ys (iv^qa avrov Xeyeiv XQV\ V^ }'^^Q "^^^Q^''
do^uiv eqyiou noirji^g [(^i^doxalog dv^QWTiioy
Tüiv rjdovfi rclXijdrj de/ofuevcov] xcd noX'/.ovg
fj.6v ^lovdciiovg, noX'/.ovg cFe x(d tov 'E'Ähjiiy.oi
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, a) Josephus. (§421 — 422.) 545
der jüdischen Archäologie ein besonderes Interesse die vielen Aktenstücke,
die darin über die Beziehung der Juden zum römischen Senate mitgeteilt
werden.^) Dem Reichtum des Inhaltes entspricht nicht die Feile der Form,
indem namentlich die letzten Bücher die sorgfältige Durcharbeitung nur zu
sehr vermissen lassen.'^) — Ein persönliches Pendant zu den besprochenen
beiden Werken bildet die Selbstbiographie des Historikers {(l>Xaov"iov 'Iw-
aijTTov ßiog). — Eine allgemeinere Bedeutung haben die 2 Bücher gegen
Apion (xatd 'Aniüivog). Es sind dieselben erst nach der Archäologie unter
Domitian im Jahre 94/5 geschrieben und enthalten eine apologetische Ant-
wort auf die Anklagen, welche der damals bereits verstorbene •'^) Gram-
matiker Apion aus Alexandria gelegentlich einer Gesandtschaft an den
Kaiser Caligula gegen die Juden vorgebracht hatte. Die Schrift enthält
interessante Mitteilungen aus Berosos, Manetho und anderen orientalischen
Hellenisten. Der Verfasser verteidigt darin sehr geschickt die Sache der
Juden, indem er sich auf das höhere Alter der biblischen Urkunden beruft
und die Schönfärberei der griechischen Historiker rügt. — Ein fremdartiges
Gepräge trägt die Rede dg Maxxaßaiovg i] ttsqI avToxgaroQog Xoyiapiov^
worin an der Hand der jüdischen Geschichte, besonders der Makkabäer,
gezeigt ist, dass die Vernunft die Herrschaft über die Leidenschaft hat.'^)
Kommentierte Ausgabe von Havercamp, LB. 1726. — Textesausg. von Imm. Bekkek
in der Bibl. Teubn., neubearbeitet von Naber. - Kritische Ausgabe mit handschriftlichem
Apparat von Niese, Berlin, im Erscheinen. — Böttger, Topographisch-Historisches Lexikon
zu Josephus, Leipz. 1879.
422. Durch Josephos zumeist lernen wir noch andere hellenisierende
Geschichtschreiber fremder Nationen kennen. Die namhaftesten sind:
Dies, der die alten Chroniken der Phönizier verarbeitete; Chairemon,
Stoiker aus der Zeit Neros, der über die heiligen Schriften {isqcc yQai^ifjiaTa)
der Agyptier schrieb;^) Menander aus Ephesos, der eine Geschichte hel-
lenischer und barbarischer Könige nach einheimischen Quellen zusammen-
stellte; Just US von Tiberias, der eine Chronik von Moses bis zum Tode
Agrippas verfasste. Über die Übersetzung der phönizischen Geschichte des
inrjycfysTo ' [6 Xgcarng ovrog tjp] ymI avrdi^
iydsUei tujp tiqmzmu avÖQiiip naQ^ rj^lv
GKcvQcp inn er I ^urjxoT og üiXurov ovx inav-
aavxo ol t6 ngioroy aviov uyunriGavTeg '
\£cp(iy7] y(CQ civxo7g xq'ltijp t/wv T^f^igav ndhv
Cw^, TMP d^eiiOP TTQOCpfJTMP TCiVTci T£ Xcd
i'.Xka ^vQLii x^avfiuaia nsQi avxov eiqtixöxmv]
EiaexL TS vvu jmv XQiaxiccyMy [«tto xovde
ujiojLiaafxeycoy] ovx ineXme xo (pvXov. Den
Namen XQiaxog kennt unser Autor auch
Arch. 20, 9: 'Avavog naQccyayojy eig ccvxu
(sc. avytdQLOp) TOP (((^ek(p6p 'h]aov xov Äf-
yoiutpov Xqlotov ' 'Idxojßog opo^a uvtm ' xal
ripug tT£Qovg tJ? 7i«Q«pofXf]aupxo}p X(iXt]yoQLap
7ioit]Gdjuepog nagsdioxsp wg "kevof^yjGo^ipovg.
Diese letzte Stelle hatte Origenes c. Cels.
I, 35 im Auge, wenn er schrieb 'k6at]7Toc
xa'ixoi ye umaxdip- X(o 'irjoov ojg /Qiaxu), die
erste im Kommentar zu Matth. 13. Ausser-
dem hat losephos 18, 5 auch noch des Täu-
fers Joannes Erwähnung gethan.
Handbuch der klasa. Altertimiswissenschaft. VII. ü
') RiTSCHL, Römische 8enatskonsulte bei
Josephus in Opusc. V, 114 ff. ; Mendelssohn,
Senati consulta Homanorum quae sunt in
Josephi Äntiquitatibus, Acta Lips. V, 87 — 288.
^) Eine sorgfältigere Redaktion des Jü-
dischen Kiieges zeigt sich auch in der
grösseren Seltenheit des Hiatus, worüber
Krebs, Die Präpositionsadverbien in der
späteren historischen (jräzität, Münch. 1884.
■') Jos. c. Ap. II, 13.
•*) Freudenthal, Die Fl. Josephos bei-
gelegte Schrift Über die Herrschaft der Ver-
nunft, eine Predigt aus dem ersten nach-
christlichen Jahrhundert, Breslau 18G9; Ae3i.
WoLscHT, De Ps. losephi oratione tje^I
avToxQuxoQog XoyiofxoiK Marb. 1881.
'') Müller FHG. lil, 495-9; 0. Gruppe,
Die griech. Kulte und Mythen I, 433—9.
Eine Stelle der Aiyviixiaxu des Chairemon
hat Psellos übermittelt, publiziert von Sathas,
Bull, de corr. hell. I, 121 ff.
Auü. 35
546
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
Sanchuniathon durch den Grammatiker Herennios Philon werden wir
unten in dem Abschnitt von den Grammatikern handeln.
b. Plutarch (um 46 bis um 120).
423. Plutarch,') geboren um 46 n. Chr. 2) entstammte einer ange-
sehenen wohlhabenden Familie von Chäronea in Böotien;^) er war also
Landsmann des Hesiod und Pindar, denen er mit gemütvollem Lokalpatrio-
tismus eine besondere Aufmerksamkeit in seinen Schriften widmete. Seine
höhere Ausbildung erhielt er in Athen, wo er sich dem akademischen Phi-
losophen Ammonios anschloss, den er im Jahre 66, als Nero Griechenland
und Delphi besuchte, als Schüler hörte. '^j Alexandria, die alte Stätte der
Gelehrsamkeit, lernte er nur durch einen flüchtigen Aufenthalt von wenigen
Monaten kennen.^) In die Physik und Naturwissenschaften ward er durch
den Arzt Onesikrates eingeführt.^) Dass er sich auch mit der Rhetorik in
seiner Jugend beschäftigte, ersieht man aus seinen rhetorischen Jugend-
schriften über das Glück Roms, über den Vorzug des Wassers oder Feuers
u. ä. Doch gab er sich nur in der Jugend infolge des damaligen Unter-
richtsganges mit der Kunst der Schönrederei ab; im späteren Leben trat
er als Anhänger Piatons in entschiedenen Gegensatz zur sophistischen Rich-
tung seines Jahrhunderts. Nach der Metropole der damaligen Welt, nach
Rom, kam er mehrmals, zum erstenmal als junger Mann unter Kaiser
Vespasian als Abgesandter seiner Heimat.') Mit hervorragenden Römern,
wie Sossius Senecio, Mestrius Florus, Junius Arulenus Rusticus, Saturninus
knüpfte er dauernde Verbindungen an. Auch bei dem kaiserlichen Hof
gewann er durch seine vielseitige Bildung und sein humanes Wesen grossen
Einfluss. Nach Suidas hat ihn Trajan mit der Würde eines Konsularen
ausgezeichnet und die Statthalter Achäas angewiesen, sich in der Verwal-
tung der Provinz an seine Ratschläge zu halten.^) Dass ihm auch die
Gunst des hellenenfreundlichen Kaisers Hadrian nicht fehlte, lässt sich er-
warten,-*) wiewohl die Angabe, dass der Kaiser Hadrian sein Zögling ge-
wesen sei, erst im Mittelalter aufgekommen ist. 1^) Aber trotz der ihm in
Rom zu teil gewordenen Auszeichnungen blieb er zeitlebens seinem Heimat-
^) Ein magerer Artikel des Suidas:
Westermann, De Flut, vita et scriptis,
Lips. 1855; Volkmann, Leben, Schriften und
Philosophie des Plutarch, Berl. 1869; Graux
in Einleitung der Ausg. von Plut. vit. Dem.
p. I-XVIII.
2) MoMMSEN, Herm. IV, 295 fF. setzt
seine Geburt 46-48; die Zeit wird dadurch
bestimmt, dass er 66, als Nero in Griechen-
land weilte, studierender Jüngling war,
^) Ein Inschriftstein von Chäronea GIG.
1627 nennt ZeS^xov Klav^iop JvroßovXoy
ofimvvfxov TM naxQl t/.roy dno IIXovtuq/ov.
-*) Plut de Et c. 1, Vit. Titi 12, vit. Anton.
8«; Phot. Bibl. 400b, 5: moviaQxog, ojg
«r'ro? xuy to) naQoyn 7TC(QakhjX(p xal ii^
uXXoig cpfjoly, snl Nt'Qcoi'og 7]v.
5) Plut. Quaest. conv. V, 5. 1.
6) Plut. de mus. 1 u. 43.
'} Plut., Polit. praec. c. 20 p. 816 d.
^) Suidas: fiETa^ovg ccvzm Tquicivog (ob
verschrieben für ^A^QUivogT) ifjg rtvy vnuroyv
a^Utg TiQoasTcc^s fx^]^8va riov xard ttjv ^lXXv~
QL&a (damals vielmehr U/atay) aQ/öviuiv
TJCKQE^ rijg avTov yvwfxrjg ci ^lanQcljieo&ca.
^) Auf eine Auszeichnung durch Hadrian
geht Eusebios zu dem Jahre 119: TlXovrccQxog
XaiQiovevg cpiXöaocpog stuxqottevslv 'EXXädog
xaTEani&r] yi]Qai6g. Ze^rog cpiX6ao(fog xal
'Jyui^oßovXog xal Oipo^aog iyi^coQiCsTo. Bei
Hieronymus und in der armenischen Über-
setzung sind die 2 Sätze zusammengezogen
zu: Pliitarchus Chaeroneus et Sextus et
Ägathobuliis et Oenomaus phüosophi in-
signes habentur.
'^) Im Mittelalter kursierte eine apogryphe
Schrift De institutione principis epistoJa ad
Traianum; vergl. Schaarschmidt, Johannes
Saresberiensis, Leipz. 1862 S. 123 f.
«
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, b) Plutarch. (§ 423-425.) 547
land und insbesondere der Stadt Chäronea in patriotischer Treue zugetlian.
Dort verwaltete er das Amt eines Bauaufsehers ^) und Archen, 2) vielleicht
auch das eines Boiotarchen. Mit der Priesterschaft in Delphi unterhielt
er, wie ehedem Pindar, intime Beziehungen, von der Stadt Athen wurde er
durch Verleihung des Ehrenbürgerrechtes ausgezeichnet. Im häuslichen und
gesellschaftlichen Leben bewährte er die hohe sittliche Gesinnung, die er in
seinen Schriften predigte. Er war in glücklicher Ehe mit Timoxena ver-
heiratet, aus welcher Verbindung ihm in jener kinder- und ehelosen Zeit
4 Söhne und 1 Tochter erblühten; er lebte mit seinen Brüdern und Mit-
bürgern in schönster Harmonie, und unterhielt mit zahlreichen Römern und
Griechen herzliche Freundschaft und Geselligkeit. Einen grossen Teil aber
seiner Zeit widmete er der Unterweisung seiner Söhne und anderer junger
Leute, jedoch ohne deshalb eine förmliche Schide zu gründen. Von den
freien Vorträgen und den Gesprächen, die er mit seinen Schülern und An-
hängern hielt, sind uns die Aufzeichnungen in seinen Schriften erhalten.
So erreichte er unter angenehmen Verhältnissen und bei gesunder Lebens-
weise ein hohes, mit Ehren geschmücktes Alter. Aus Eusebios sehen wir,
dass er noch das 3. Regierungsjahr des Kaisers Hadrian erlebte; nicht
lange danach, jedenfalls vor dem Tode Hadrians, hat er das Zeitliche
gesegnet.
4:24-. Die Schriften des Plutarch sind zum grösseren Teil uns noch
erhalten; sie sind überaus zahlreich und zeugen von einer ungewöhnlichen
Fruchtbarkeit und Vielseitigkeit unseres Autors. Dass trotzdem nicht
wenige verloren gegangen sind, ersieht man aus dem vollständigen Katalog
des Lamprias, eines angeblichen Sohnes des Plutarch, der nicht weniger
als 210 Nummern von Schriften Plutarchs aufweist.^) Aber auch manches
fremde, herrenlose Gut hat sich schon im Altertum in die Sammlung ein-
geschlichen. 4) Die Schriften zerfallen in 2 Hauptklassen, in die Biographien
oder historischen Werke und in die philosophisch-litterarischen Abhand-
lungen, welche unter dem Titel 'Hdixä oder Moralia zusammengefasst zu
werden pflegen. Auch eine poetische Schrift 7Tf:Ql C^nojy aXoyon' noi)]%ix6g
führt der Lampriaskatalog an, von der Reste 0. Crusius, Rhein. Mus. 39,
581 in dem Protreptikos des Galen nachgewiesen hat.
425. Historische Werke. Parallelbiographien {Bioi TraQaXXt^Xoi)
sind uns 46 (2 X 23) erhalten, nämlich von Theseus und Romulus, Lykurgos
und Numa, Solon und Valerius Publicola, Themistokles und Camillus, Peri-
kles und Fabius Maximus, Alkibiades und Marcius Coriolanus, Timoleon
und Aemilius Paulus, Pelopidas und Marcellus, Aristides und Cato maior,
Philopoimen und Quintius Flamininus, Pyrrhos und Marius, Lysandros und
') Plut. de rep. ger. 15.
2) Plut. Quaest. conv. II, 10; VI, 8.
^) Dieser Katalog wurde zuerst von
HöscHEL im 16. Jahrh. aus einer Florentiner
Hdsclir. bekannt gemacht. Neuerdings wurde
derselbe genauer untersucht von Wachs -
ML'TH, Über den Katalog der plut. Schriften
von dem sogenannten Lamprias, in Philol.
18, 577 fF., und Treu, Der sogen. Lampiias-
katalog der riutarchschriften, Waidenburg
1873.
■*) Ob dabei die Konfundierung unseres
Plutarch mit dem jüngeren Plutarch, einem
Neuplatoniker des 5. Jahrhunderts, mitgewirkt
habe, lassen wir dahingcstel't. Leichter
würde sich die Vermischung von Kchtem
und Unechtem erklären, wenn die Vermutung
von WiLAMowiTz, Ind. Gott. p. 27, dass Plu-
tarch seine Schriften teilweise unter fremdem
Namen herausgegeben habe, sich bestätigte.
35*
548 Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
Sulla, Kimon und Lucullus, Nikias und Crassus, Eumenes und Sartorius,
Agesilaos und Pompeius, Alexander und Cäsar, Phokion und Cato maior,
Agis und Kleomenes, Tiberius und Caius Gracchus, Demosthenes und Cicero,
Demetrios Poliorketes und Antonius, Dion und Brutus. Dazu kommen noch
die 4 einzeln stehenden Lebensbeschreibungen des Artaxerxes, Aratos, Galba
und Otho;i) mehrere andere, wie die des Epaminondas, Leonidas, des
älteren und jüngeren Scipio sind verloren gegangen. Die in den Hand-
schriften und Ausgaben eingehaltene, im wesentlichen der chronologischen
Folge entsprechende Ordnung rührt nicht von Plutarch her und steht nicht
mit der Abfassungszeit der einzelnen Biographien im Einklang. So sind
z. B. die in die mythologische Vorgeschichte hinaufreichenden Lebens-
beschreibungen des Theseus und Romulus, welche in unseren Ausgaben den
Reigen eröffnen, nach des Verfassers eigenem Zeugnis ^) zuletzt geschrieben
worden. Ebenso wissen wir durch den Autor selbst, dass die Lebens-
beschreibungen des Demosthenes und Cicero das 5., 3) die des Perikles und
Fabius das 10.,^) die des Dion und Brutus das 12. Buch der Parallel-
biographien bildeten.^) Ausserdem zeigen die Proömien, welche einzelnen
Biographien (Demosth., Perikl., Demetr., Thes.) vorausgeschickt sind, in
anderen gänzlich fehlen, dass der Verfasser regelmässig mehrere Doppel-
paare von Biographien zu grösseren Gruppen oder Büchern vereint zu sehen
wünschte, während auf der anderen Seite die Widmung an Sossius Senecio,
welche den Biographien des Demosthenes, Dion, Theseus vorgesetzt ist, es
wahrscheinlich macht, dass er sämtliche Lebensbeschreibungen um dieselbe
Zeit geschrieben hat und als ein Ganzes angesehen wissen wollte.^)
Die Verbindung von je 2 Lebensbeschreibungen, eines Griechen und
eines Römers, entsprang einem alten, schon aus Cornelius Nepos erkenn-
baren Brauch der Biographen; sie passte trefflich zur Lebensstellung des
Plutarch, der an der grossen Vergangenheit seines Volkes mit ganzer Seele
hing, aber auch die überlegene Kraft des römischen Staatswesens willig
anerkannte, der mit Griechen und Römern in gleicher Weise befreundet
war und zur griechischen Muttersprache auch die lateinische hinzugelernt
hatte.'') Bei den meisten Paaren liegt der Grund der Zusammenstellung
auf der Hand, wie wenn die grössten Redner, Demosthenes und Cicero, 8)
die ältesten Gesetzgeber, Lykurg und Numa, die bedeutendsten Feldherren,
Alexander und Cäsar, miteinander verbunden werden. Übrigens hat Plu-
tarch bei 19 Paaren^) am Schluss in einer eigenen Vergleichung (avyxQKTig)
die gemeinsamen Seiten und die kleineren Verschiedenheiten der zusammen-
') Über diese sogenannten Kaiserbio-
grapliien, welche Plutarch als junger Mann
unter Domitian schrieb, siehe Mommsen,
Herrn. 4, 295 ff.
2) Thes. 1.
3) Dem. 3.
4) Pericl. 2.
5) Dion. 2.
^) Die Abfassungszeit suchen näher zu
bestimmen Michaelis, De ordine vitarum
parall. Flutarchi, ßerol. 1875; Muhl, Plu-
tarchische Studien, Augsb. 1885; Graux in
Einleit. zu Vit. Dem.; vgl. Schekkl, Jahrb. d.
Alt. XII, 1. 180 ff.
'j Freilich erlernte er erst spät (s. Vit.
Dem. 2) und unvollkommen die lateinische
Sprache. Irrtümer des Plutarch aus man-
gelnder Kenntnis des Latein weist nach}|
SiCKiNGER, De linguae latinae apud Plutar-
clmm reliquiis et vestigiis, Freib. Diss. 1883.
^) Beide Redner wurden schon ver-
glichen von Cäcilius; s. § 419.
'-•) Die Vergleichung fehlt bei Theraist.
und Camill., Pyrrhos und Marius, Alex, und
Cäsar, Phokion und Cato.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, b) Plutarch. (§ 426.) 549
gestellten Männer dargelegt. Der Gesichtspunkt des Biographen ist überall
nicht der eines historischen Forschers, der die Thatsachen kritisch zu er-
mitteln und urkundlich zu belegen bemüht ist, sondern der eines philoso-
phischen Charaktermalers, der vor allem das volle Bild der Persönlichkeit
festzustellen sich bestrebt und durch den Spiegel der Geschichte seine
Leser zur Tugend und praktischen Tüchtigkeit erziehen will.^) Daher die
vielen Züge aus dem Privatleben, die anmutigen Scherze und witzigen
Aussprüche, 2) das Übermass ethischer Betrachtungen, der Schmuck der
Dichtercitate, über welchen Vorzügen die historische Kritik und die poli-
tische Auffassung zu kurz kommen. 3) Das Material zu seinen Lebens-
beschreibungen hat Plutarch sich aus einer sehr umfangreichen Lektüre
griechischer, zum Teil auch lateinischer Historiker beschafft. '^) Die Genauig-
keit in der Benützung der Quellen können wir nach dem grossen Schiff-
bruch, den die griechische Litteratur erlitten hat, nur zum kleinsten Teile
kontrollieren; aber Unbefangenheit und Nüchternheit des Urteils war nicht
die starke Seite unseres Autors; dazu war er zu sehr Optimist und zu sehr
Freund von schönen Anekdoten und moralischen Betrachtungen. Aber sehen
wir von dem Mangel kritischer Quellenforschung ab und lassen wir neben
dem Geist und Verstand auch dem Herz und Gemüt ihr Recht, so bilden
die Biographien des Plutarch die anziehendste und belehrendste Lektüre;
sie fanden schon im Altertum bewundernde Leser und Verehrer; sie haben
in unserer Zeit Dichtern und Künstlern reicheren Stoff als irgend ein
anderes historisches Werk des Altertums geliefert;^) sie haben allwärts den
Anstoss zu ähnlichen Biographien gegeben, so dass jetzt fast keine Nation
ihres Plutarchs entbehrt.
426. Gewissermassen einen Anhang zu den Biographien bilden die
'A7io(pS^€yjnaTa ßaaiXswv xal arQatijyMv^ denen ein Widmungsbrief
an den Kaiser Trajan vorausgeht. Der Brief ist gefälscht; auch die Aus-
sprüche, welche mit den Biographien nicht ganz übereinstimmen, rühren
in der überlieferten Form schwerlich von Plutarch her, wiewohl wir aus
der Schrift De coh. ira c. 9 erfahren, dass sich derselbe mit der Sammlung
solcher Aussprüche abgegeben hatte. ß) Noch ungeschickter und entschieden
') Vit. Tim. 1 : i^ol fxsv rrjg tiou ßiMV
cKipaaS^ai ^ep yQafprjg awaßr) &l' eregov?,
enifiEVEiv &s xcci cpilo/toQsTv tjdr] xal dt'
i^avTov , waneQ ev iaonxQM rij IgioqUc
TiEiQMfievov a^oiaytTHog xoofÄEiP xal dcfo-
fxoiovp TTQog rag exeIvmp aQEzdg top ßiop,
vgl. Pericl., Nie. 1.
•^) Alex. 1 : oilzE ydg larogiag yQc'ccpo/LiEP,
dXXd ßlovg, ovTE raig ETXKfaPEaTdjaig riQd^EOi
ndptojg EPEGxi ^rjXoiOig dqEzrjg rj xaxiag,
d}.Xd TTQayfxa ßQcc/v no'k'kdxig xal (jtjfxa xal
Tiai&id rig EfxcpaaiP rjS^ovg EnoirjGE judXXop
ij /nd/ai fxvQiöpEXQOi xal TJaQard^Eig al
(jiEyiOTai xal noXioQxlai tioXemp.
3) Grcard de la morale de Tlut.: c'cst
la verite morale non la verite historiqtie
guHl porirsiiü, Vune n'est iiour lui que le
moyen, Vautre est le hut.
■*) Die Litteratur über die Quellen des
Plutarch ist bis ins Ungemessene angewach-
sen. Ich begnüge mich anzuführen: Heeren,
De fontibus et auctoritate vitaruin im.raU.
Plut., Gott. 1820; M. Haug, Die Quellen
Plutarchs in den Lebensbeschreibungen der
Griechen (Erstlingsarbeit des berühmten Orien-
talisten). Tüb. 1854; Peter, Die Quellen Plu-
tarchs in den Biographien der Römer, Halle
1865; die Benützung des Sueton De viris
illustr. weist für das Leben Ciceros nach
GuDEMAN Tr ansäet, of the amer. jihü. assoc.
XX (1889) 139-58. - Im übrigen s. Michae-
lis, Jahresb. d. philol. Vereins in Ztschr,
f. Gymn. 1877, 1879, 1883.
•'•) Shakespeare entnahm aus Plutarch
die Fabel zum Coriolan und Julius Cäsar;
Jean Paul nannte den Plutarch den biogra-
phischen Shakespeare der Weltgeschichte.
«) Volkmann, Leben Plut. I, 215 ff.
C. Schmidt, De apophtliefimatum quae Pin
tarchi nomme fertintiir collectionüms, Greih'w.
550
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
unecht ist die Kompilation der sich daran anschliessenden kleinen Samm-
lungen, 'ATro(fd^€yjnaTa Aaxoövixä^ ^Ano(fi}tyixaTa yiaxaivwv, Td naXaid tmv
AaxeSainoviMv iniTr^Ssvi^iara. Mit der Geschichtschreibung berühren sich
ferner die Besprechungen seltsamer Gebräuche bei den Römern und Grie-
chen [al'tia 'Pwiiicäxd, quaestiones Rom., und ahia ^EXXrjvixd, quaestiones
gr.), zu denen dem Plutarch hauptsächlich Varro, Aristoteles, Juba das
Material geliefert hatten, i) die Beispielsammlung Fvvaixwv agsrai,^} und die
rhetorischen Deklamationen TioTtQov ^AO^rjraToi, xazd nöXsixov rj xazd aocpiav
€vSo'^6t€qoi, 7T&qI ZTjg ^AXs^dvÖQov Tvxtjg rj dqeTYjg^ nsql rrjg '^Poyfjiaicov rvxrjg
i] aQSTrjg. Eine plumpe Fälschung sind die sogenannten Parallela minora
[(TvvayMyrj laroQiMv naqaXXiXMv '^ElX}jvixö)v xal '^Pwiaaixwv), deren Verfasser
ebenso wie der des gleichfalls unechten Buches IIsqI uora^cov mit erlogenen
Citaten aus sonst nicht bekannten Autoren und Schriften um sich wirft. ^)
427. Die Moralia oder philosophischen Schriften. Die Moralia
haben ihren Namen a potiore parte, indem der grössere Teil der 83 unter
jenem Titel zusammengestellten Schriften sich auf ethische Fragen bezieht.
Aber der Inhalt derselben ist ein viel reicherer; neben ethischen Fragen
werden religiöse, politische, litterarische, physikalische behandelt. Auch
die Form ist nicht durchweg die gleiche; im allgemeinen aber überwiegt
die dialogische Einkleidung, welche Plutarch von Piaton herübergenommen
hatte, freilich ohne auch nur annähernd sein Vorbild zu erreichen.
Voran stehen in der Sammlung wegen ihres einführenden Charakters
die Schriften ttsqI naiScov dyo)yfjg, TiMg det t6v veov noirjixdxMV dxoveiv,
718qI tov dxovsiw In der letzteren gibt Plutarch einem jungen Mann Ni-
kander, der eben die Toga virilis angelegt hatte und sich zu philosophischen
Studien anschickte, beherzigenswerte Anweisungen über die vernünftige
Benützung der Freiheit und das erfolgreiche Anhören von Vorträgen. In
der mittleren weicht Plutarch von Piaton insofern ab, als er nicht geradezu
die Dichterlektüre abweist; aber auch er lässt die Poesie nicht voll zu
ihrem Recht kommen, indem er sie nur als Vorstufe der philosophischen
Studien gelten lässt. Die Schrift über Erziehung rührt nach Wyttenbachs
Nachweis nicht von Plutarch her, enthält aber viele treffliche Grundsätze
und drastische Aussprüche eines erfahrenen Schulmannes.
4-28. Von den philosophischen Schriften sind mehrere der Erklärung
schwieriger Stellen in den Dialogen Piatons gewidmet, so die IlXatwvixd
^TjTTjfxaTa und das lückenhaft erhaltene Buch IIsqI Tijg sv Tifxaio) ipvxo-
yoviag. Man kann diesen nicht nachrühmen, dass sie eine gesunde Rich-
tung der Interpretation vertreten; vielmehr leistet der Verfasser Grossesj
im Unterlegen und im Suchen nach nicht beabsichtigten Dingen, wie wennj
Diss. 1879; der letztere weist nach, dass die
Apophthegmata eine Kompilation aus Plu-
tarchs Schriften sind und bereits dem Aelian
vorlagen.
') Thilo, De Varrone Plut. quaest.
vom. auctorc, Bonn, 1853; A. Barth. De
Tuhae 'nfioiorrjoip a Plut. expressis in quae-
stionihus Homanis, Göttingen 1876; Dümmler,
Rh. M. 42, 189 ff.
-) Die Echtheit gegen Cobet's Bedenkei
verteidigt von Dinse, De lihello Plut. yvv,^
fiQsiccl inscripto, Berl. 1863.
3) Hercher in der Ausg. de fluviis^
Benützt sind die Parall. min., wenn auch
nur indirekt von Clem. Alex. Protr. 27 und
Strom. I, 334, worüber C. Müller, Geogr.
gr. min. II p. LIIl und Hiller, Herm. 21,
126 tf.
1
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, b) Plutarch. (§ 427—429.) 551
er Quaest. Plat. II aus den Worten des Timaios tC 6rj noxs t6v avondtM
^sov Tiateqa tmv ixävtcov xal TioLrjTj'jV TXQoasiTTsv; absolut einen tiefsinnigen
Unterschied von naTTjQ und Tvoirjzrjg herausinterpretieren will.') Andere
Schriften verwandter Art dienen der Polemik gegen die Stoiker und Epi-
kureer. So weist er den ersteren den Widerstreit ihrer Meinungen mit
den Sätzen des gesunden Menschenverstandes nach in den Schriften Ilegl
2t(x)ixwv €vavTi(jt)jiiäTa)v (über die Widersprüche in der Lehre der Stoa),
'Oti naqado'^ötsQa ol ^Tonxol rcov Ttoirjzcov Xb'yovcfi^ JJtql tcov xoiVMV swomv
TiQog Tovg ^Twixovg (über die Paradoxa oder t« Tiagd rag xoirdg iv-
voiag). Heftiger kämpft er gegen die den Menschen erniedrigende Moral
und die Unverfrorenheit der Epikureer in den Dialogen ÜQog KoXakrjv und
^'Ozi, ovS^ ^rjv eaxiv ijdtwg xax' ^Enixovqov, die beide an eine Schrift des
Epikureers Kolotes Oti xard rd tcov uXXmv (fiXo(s6(fo)v döy^xata ovöt ^rjv
eativ anknüpfen. Gleichfalls gegen Epikur ist die kleine Schrift El xaXcog
siQTjTai t6 Xd^€ ßicoaag und die verstümmelt erhaltene Satire FQvXXog^) ge-
richtet. Die letzte Klasse von Schriften dienen uns zugleich als Ersatz
für den fast gänzlichen Verlust der Originalschriften der Stoiker und Epi-
kureer, indem Plutarch viele Stellen aus Chrysipp, Epikur u. a. wörtlich
anführt. Besonders hat das Buch gegen Kolotes, in welchem der Verfasser
die Angriffe jenes Epikureers auf die älteren Philosophen unter Berufung
auf Stellen des Heraklit, Demokrit, Parmenides, Empedokles widerlegt, eine
hervorragende Bedeutung für die Geschichte der griechischen Philosophie.
429. In selbständigerem Gedankengang hat Plutarch mit Vorliebe
Fragen der Ethik behandelt, und zwar auf Grund der Psychologie, der er
selbst ein eigenes, bis auf Bruchstücke verloren gegangenes Werk gewidmet
hatte. Dem Gebiet der Ethik gehören von den erhaltenen Schriften fol-
gende an: Jlwg av rig ai'a^otzo iavrov nQoxomovzog in dgezf], IJcog dv iig
vtt' ex^QMv wcfeXotro, JIsqI 7ToXv(fiXiag, UfQl tvxtjg^ ü^qI dQsrrjg xal xaxiag,
'On Sidaxzr] rj aQSTij, Ilsgl ir^g Vj^ixi^g dQSTTjg, TIsqI doQyr^aiag^ IltQl ev&v-
fjiiag, El avrdgxtjg rj xaxi'a nqog xaxodai^oviav, IIÖtsqov %d ttjg ipvx^jg ^j tjd
Tov aM^xazog rtd^rj xsiqova^ IIsqI döoXscTXiccg, U^qI 7T()kvjTQaYf.ioavrrjg, IIsQi
(fiXoTiXovziag, IleQi Sv^MTiiccg^ JJsqI (fO^ovov xal f^uaovg, IIsqI zov eavzov
enaivelv dvsmxf&ovcog.^) Die meisten dieser Schriften zeigen uns Plutarch
so zu sagen als Seelenarzt: sie sind wohlgemeinte Predigten, anziehend
durch die Fülle der Beispiele und Dichtercitate, auch reich an trefflichen
Anweisungen und feinen Beobachtungen; schwerlich aber werden sie wirk-
lich viele Leser bekehrt und so den leitenden Grundgedanken des Philo-
sophen, dass die Tugend lehrbar sei, bestätigt haben. Solche Aufsätze
waren seit Krantor und Theophrast an der Tagesordnung bei den Aka-
demikern und Peripatetikern, wie man aus den Katalogen ihrer Schriften
sieht; erhalten sind uns ähnliche von dem römischen Philosophen Seneca.
Durch bestimmte Anlässe hervorgerufen sind die 3 Trostreden (rraga-
^) Aus der 7. Untersuchung geht hervor,
dass in jener Zeit die Stelle des Phaidros
p. 240 d noch nicht durch ein Glossem ver-
unstaltet war.
'^) Unpassend ist der landläufige Titel
TieQi lov tu ciXoya Xoyio ^()ijax9((i, wie
UsENER, Kpicurea p. LXX nachweist
^) Unecht ist die moralische Schrift
77f()/ TOV fiij ('feTv (hd'el^eoihci , worüber
Heinze, riut. Unters., Berlin 1872.
552
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
f^ivO^rjTixoi), von denen die eine an seine eigene, durch den Tod ihrer Tochter
schwer niedergebeugte Gattin, die zweite an einen durch politische Umtriebe
aus seiner Heimat verjagten Freund, die dritte an den um seinen früh-
verstorbenen Sohn trauernden Apollonios gerichtet ist. Die letzte vielge-
priesene Schrift unterscheidet sich von den beiden andern dadurch, dass
sie sich fast nur in Allgemeinheiten bewegt und von ungewöhnlich langen
Citaten aus Dichtern und Philosophen förmlich strotzt, auch öfters die Sorg-
falt des Plutarch in der Vermeidung des Hiatus vermissen lässt. Es wurde
dieselbe deshalb von Wyttenbach dem jungen Plutarch zugeschrieben, von
Volkmann dem Plutarch vollständig abgesprochen. ^) Geschöpft hat der
Verfasser, mag es nun Plutarch oder ein anderer gewesen sein, aus dem
gefeierten Buch des Akademikers Krantor über die Trauer [tt^qI nsvO-ovg).^)
430. Die Ethik stand bei unserem konservativen Autor in engster
Beziehung zur Religion, und so hat er nicht bloss im Leben als Priester in
Chäronea und Delphi der Religion gedient, sondern auch in seinen Schriften
den Glauben und Kultus zu läutern und mit der philosophischen Einsicht
in Einklang zu bringen gesucht. Mit seiner Bekämpfung des Aberglaubens
in der Schrift IleQl ^siaiSaifxovfag, sowie mit seiner Stellungnahme gegen
den Atheismus der Epikureer und den pragmatischen Rationalismus der
Euhemeristen wird man sich leicht einverstanden erklären; aber was er
selbst jenen gegenüberstellt, die Dämonenlehre, die Mantik, die allegorische
Erklärung, vermag ebensowenig zu befriedigen. Die schwankende Unklar-
heit des Theosophen zeigt sich zumeist in dem Dialoge IJsqI Ton> sxXskoi-
TtoTMv Y^Qi^aTriQiMv^^) in welchem indes der Erklärungsgrund des Platonikers
Ammonios (c. 8) von hohem Interesse ist, indem danach die Abnahme der
Orakelstätten mit der Abnahme der Bevölkerung zusammenhing, die so
gross war, dass ganz Hellas damals kaum mehr als 3000 Hopliten stellen
konnte, so viel als einst das einzige Megara zur Schlacht nach Platää ent-
sendet hatte. Unbedeutender ist die Schrift JIsqI tov iii) xqav efi/^ieroa
vvv TTiv Hvd^iav. Auch mehr salbungsreich als zutreffend ist die in dem
Buche Tltql TOV d sv JsltfoXc, vorgetragene Erklärung der Inschrift E über
dem delphischen Tempel, die als d gedeutet und als Ausruf des in An-
dacht versunkenen und seiner Nichtigkeit bewusst gewordenen Menschen
gefasst wird. Der Versuch einer Mythendeutung ist am sorgfältigsten
durchgeführt in der Schrift über Isis und Osiris, ohne dass indessen auch
hier dem Autor eine befriedigende Erklärung des wunderbar verschlungenen
Mythus gelungen sei. Am höchsten steht entschieden der durch Tiefe der
Gedanken und Reichtum des Inhaltes gleich ausgezeichnete Dialog über die
späte Bestrafung der Gottlosen {neqi tmy vno tov ^siov ßoaötMg tiixmqov-
libvon'), der ähnlich wie die Politeia des Piaton mit einer phantastischen
Schilderung des Jenseits abschliesst.^) Doch ist auch in ihm philosophisch
haltbar fast nur der beiläufige Satz, dass der Schlechte nicht erst eines
^) Volkmann, De consolatiune ad Aj)ol-
lonium, .lauer 1867. Einen weiteren Grund
für die Verwerfung leitet Fuhr, Rh. M. 33,
590 aus dem Gebrauch vom rs xai ab.
'•^j M. H. E. Meier, De Crantore Solensi,
Opusc. II, 267 f.
^) Die Schrift ist zu seinen Zwecken
ausgelDeutet von Eusebios Praep. evang. V,
16 flf.
■*) Von der Benützung des alexandrini-
schen Dichters Euphorien in dieser Schrift
s. Thrämee, Herrn. 25 (1890) 55-61.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, b) Plutarch. (§ 430—432.) 553
bestrafenden Gottes bedürfe, da ihm das böse Gewissen und das zerrüttete
Leben Strafe genug sei (c. 11). Zu den tbeosophischen Schriften im
weiteren Umfang gehört auch noch der Dialog über das Daimonion des
Sokrates, in dem der philosophische Kern von der scenischen Einkleidung,
die uns nach Theben in die Versammlung der Verschwörer vor der Be-
freiung der Kadmea versetzt, ganz überwuchert ist. Schwerlich echt ist
das Buch vom Schicksal {7T8qI sl/ijiaQfjif-vrjg), da dasselbe sich fast ganz in
aristotelischer Terminologie bewegt und daher eher von einem späten Peri-
patetiker herrührt.^)
481. In der Physik hatte Plutarch an seinem Vorbild Piaton wenig
Anhalt; hier lehnte er sich mehr an Aristoteles, teilweise auch an die
Stoiker an. Übrigens hat er auch in der Physik nichts nennenswertes ge-
leistet; am bedeutendsten noch ist der Dialog über das Gesicht im Mond
[ttsqI tov siJL(faivon£Vov nqodwTcov xm xvxXo) rrjg (XsXr^vr^g), weniger wegen
der mythischen Erzählung eines von der Insel des Kronos heimgekehrten
Fremdlings (c. 26 ff.) als wegen der Nachricht von der grossen Entdeckung
des Astronomen Aristarch von Samos (c. 6), der ein Vorläufer des Koper-
nikus, bereits den Satz aufgestellt hatte, dass die Erde sich zugleich um
ihre eigene Achse und um die Sonne in der Ekliptik drehe. Anziehend
durch gemütreiches Eingehen auf das Seelenleben der Tierwelt und die
scharfe 'Verurteilung der tierquälenden Wollüstlinge sind die Schriften
IIotSQa TWV^(no)V (fQOVifioneQa rd x8Q(Taia tj rd hvvöqa^ IJsqi (TceQxo(fayfag
"köyoi ß'. Ausserdem gehören in das Gebiet der Physik die Abhandlungen
neq] TOV TTQo'nov ipvxQffv, ÜÖTeQov vSojq rj nvQ xorjdiiiMteQov^ und die Ahiai
(fv(rixaf, in denen ähnlich wie in den römischen und griechischen Fragen
einzelne naturwissenschaftliche Probleme aufgeworfen und dann in Kürze
erklärt werden.
432. Mehr auf seinem Felde bewegt sich Plutarch in den politischen
Schriften. Denn getreu der Lehre der Akademie verwarf er den epikurei-
schen Grundsatz A«i!>6 ßiwaccg und hielt sich und seine Freunde verpflichtet,
an den Staatsgeschäften teilzunehmen. Von den hieher gehörigen Büchern
sind mehrere Gelegenheitsschriften; so gleich das beste, IloXiiixd ncxqay-
yt'X/^iccTa, worin er einem jungen Mann aus Sardes, Menemachos, praktische
Anleitungen zur politischen Thätigkeit gibt. Ebenso ist die kleine Schrift
El 7TQ&c>ßvThQ(o noXiTsvTtov aus einem äusseren Anlass hervorgegangen,
indem Plutarch seinen Freund Euphanes aus Athen von dem Entschlüsse
abzubringen sucht, seine Stelle als Vorsitzender des Areopag und Mitglied
des Amphiktionenbundes wegen vorgerückten Alters niederzulegen. Mehr
allgemeiner theoretischer Natur ist das fragmentarisch erhaltene Buch IhQi
f^iovaQxiccg xal Si]fioxQaiiag xal ohyaQxiocg, worin er im Sinne Piatons und
unter Anlehnung an die realen Verhältnisse seiner Zeit der Monarchie den
Vorzug vor den anderen Staatsverfassungen gibt. Dazu kommen mehrere
kleinere Schriften, wie IJ^qI lov oii fidkiaia toTg i]ysii6ai Stt %6v mloaut^ov
') Vergleiche besonders p. 571c und i soligen Autor wenig stimmt. Vorgl. Volk-
Arist. met. p. 102()b, 23. Auffällig ist auch , mann, Leben Plut. I, 14ii If.. u. Fuim, Hb.
der Eingang, der von einer Zurückhaltung ^ M. 33, 590.
im Schreiben spricht, "was zu dem schreib- !
554
Griechische Literaturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
StaXt'yeaO^ai, und JlQog ryef^iova ccTtaiSevtov. Den Standpunkt eines prak-
tisch thätigen Bürgers vertritt auch der mit rhetorischem Scliwung ge-
schriebene, leider nur bruchstückweise erhaltene Vortrag üötsqov ^A^rjvaToi
xaid n6Xej.iov rj xard ao(fiuv svÖo^otsqoi.
433. Die Wurzeln des Staates bilden die Familie und die Gesellschaft;
das erkannte richtig unser Plutarch, und wie er selbst im Leben ein aus-
gezeichneter Vater, Gatte, Sohn und Bruder war, so trat er auch mit der
Feder warm für diese Tugenden ein. Es gehören hieher die Schriften
IIsqI TTjg elg t« sxyovcc (fiXoavoQyiccg (Fragment eines Auszuges), IIsqI (fiXa-
dsX(fiac, Uwq av Tig Siaxqivoi tov xöXaxa rov (piXov, 'EQcoTixog, Fa^iixa
naqayythiaTu. Die trefflichen Lehren der letztgenannten Schrift sind einem
neu vermählten, dem Autor befreundeten Paare gewidmet. Der interessante
Dialog Erotikos, gehalten bei dem Feste des Eros in Thespiä, ist, wie schon
der Name andeutet, eine Nachahmung des platonischen Phaidros; er dient
der Verherrlichung der Gattenliebe im Gegensatz zu der Unnatur der
Päderastie und schliesst mit der rührenden Erzählung von der treuen Liebe
der Gattin des Sabinus, durch deren Hinrichtung der Kaiser Vespasian sein
Andenken bei der Nachwelt befleckt hat.^)
434. Philosophie paarte sich seit Aristoteles mit Philologie und litte-
rarischer Kritik; kein Schriftsteller aber war in den Dichtern gleich belesen,
wie Plutarch. So hat er denn nicht bloss alle seine Schriften mi£ Citaten
aus Dichtern gewürzt, sondern auch der Exegese und litterarischen Unter-
suchung eigene Schriften gewidmet. Kommentare schrieb er zu Hesiod,
Arat und Nikander, von denen uns in den Scholien der betreffenden Dichter
dürftige Reste erhalten sind. Einzelne litterarische Fragen behandelt er in
den uns noch erhaltenen Schriften IIsqI trjg 'HqoSotov xaxoijO^^iag,^) Ivy-
xqixsig 'AQi(yTo(fdvovg xal MsrdrÖQov, JJtQi juiovaixrjg. Seine Voreingenommen-
heit gegen Herodot erklärt sich aus Herodots Parteinahme für Athen gegen
Theben, seine Vorliebe für den feinen gesitteten Menander gegenüber dem
genialen, über die Stränge schlagenden Aristophanes aus der Abneigung
gegen alle Ausschreitungen der Freiheit. Von grosser Wichtigkeit für die
Geschichte der Musik und Metrik ist der Dialog IJegl fjiovaixfjg,^) haupt-
sächlich dadurch, dass der damals noch junge Plutarch ganze Partien aus
den besten Autoren dieses Faches, dem Aristoxenos und Herakleides,
herübergenommen hat.
435. Die Palme möchte man leicht demjenigen Werke des Plutarch
reichen, in dem er die ganze Vielseitigkeit seiner Studien in der unter-
haltendsten und anmutigsten Weise dargelegt hat, ich meine die ^v^noaiaxd.
Das Werk umfasst 9 Bücher, von denen jedes 10, das letzte 15 Probleme i
') Einer der Sprecher im Erotikos ist
Autobulos, der so von seinem Vater spricht,
als wäre derselbe Plutarch selbst, weshalb
Gkaf, Plutarchisches in Comm. Ribbeck. p. 70
den jungen Plutarch, den Bruder des Auto-
bulos zum Verfasser des Dialoges machen
will. Einen Anhang zum Erotikos bilden die
"Eqmzlxcu ö'irjyTJaetc:, über deren Unechtheit
Volkmann, Leben Flut. I, 126 ff. handelt.
'^) Mehrere Widersprüche mit anderen
Schriften des Plutarch Hessen an der Echt-j
heit des Buches zweifeln; dagegen G. Lah-
MEYER, De libelli Plutarchei qui de malig-l
nitate Herodoti inscribitur et auctoritate et\
auctore, Gott. 1848, und Holzapfel, PhiloKJ
42, 23 ff.
2) Die Echtheit der Schrift wird an-
gezweifelt; auch der Gebrauch von rs xai^
spricht nach Fuhr, Rh. M. 33, 590 gegen
die Echtheit.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, b) Plutarch. {§ 433-436.) 555
enthält. Entstanden ist dasselbe aus der schönen geselligen Sitte der Hel-
lenen bei Tisch inter pocula über verschiedene Gegenstände sich zu unter-
halten. Die Scene wechselt in unseren Tischgesprächen fast bei jedem
Problem und führt uns bald nach Athen, bald nach Rom, bald an den gast-
lichen Tisch des Autors und seiner Freunde, bald zu der Feier eines Festes
oder musischen Sieges. Noch mannigfaltiger ist der Inhalt der Gespräche:
neben Gesprächen, die zu dem Mahle direkt in Beziehung stehen, wie über
die Bekränzung beim Mahle (III, 1), über die bessere Verdaulichkeit ge-
mischter Nahrung (IV, 1), über die geeignetste Wahl der Unterhaltungen
bei Tisch (VII, 8), begegnen uns Gespräche über die Enthaltsamkeit der
Juden vom Schweinefleisch (IV, 5), über die Zahl der Musen (IX, 14), über
die 3 Arten des Tanzes (IX, 6), über das Okulieren der Bäume (II, 6),
über das Epitheton dyXacxa()Tiog bei Homer (V, 8), und das alles in der
unterhaltendsten Weise mit reichsten und bestangebrachten Reminiszenzen
aus Dichtern und Prosaikern. Die einzelnen Gespräche fallen in weitaus-
einanderliegende Zeiten, sind aber von Plutarch nach früheren Aufzeich-
nungen rasch hintereinander zu dem erhaltenen Corpus zusammengestellt
worden. Später hat viele von ihnen Macrobius in seine Saturnalia herüber-
genommen, indem er sich dabei manche Zusätze erlaubte, die für Leser,
welche weniger belesen als die Kreise des Plutarch waren, notwendig
schienen.^) — Angehängt ist diesen Tischgesprächen das unechte ^vixnöaiov
TMv smd (piXoaoipcov, das uns ein Gastmahl bei Periander in Korinth vor-
führt, an dem die 7 Weisen Griechenlands und ausserdem der Fabeldichter
Asop, zwei Frauen und andere Gäste teilnehmen. Das Werk ist anziehend
durch die geschickte Hereinziehung der Sprüche und Anekdoten, die von
den 7 Weisen in Umlauf waren, und die vielen schönen Erzählungen, wie
von der Rettung des Meisters der Töne Arion, erweist sich aber, von sprach-
lichen Indicien abgesehen, schon durch die obscönen Anzüglichkeiten und
koketten Schilderungen als Werk nicht des Plutarch, sondern eines sophi-
stischen Romanschreibers. 2)
436. Entschieden unecht, zum Teil aber hochbedeutsam sind noch
mehrere andere dem Plutarch angehängte Schriften, nämlich: Das Leben
der 10 Redner, das hauptsächlich auf den Forschungen des Rhetors Cäci-
I lius fusst, aber in wichtigen Dingen von der Darstellung des Plutarch im
Leben des Demosthenes abweicht,^) Das Leben Homers, das mit den
Zeugnissen von Plutarchs echter Schrift über Homer nicht übereinstimmt,*)
die 5 Bücher von den Lehrsätzen der Philosophen {ttsqI imv dqsa-
1 xovTMv (ftXoa6(foig, (fvaixwv doyixdxwv sTTiiofxrj), die aus dem umfangreichen
^) E. Graf, Plutarchisches, Entstelmngs-
weise der iSymposiaca, in Comm. Ribbeck.
■ w 70.
'^) Volkmann, Leben Plut. I, 188 ff. sucht
nachzuweisen, dass der pseudonymc Ver-
fasser den Porphyrios benutzt habe ; für die
Echtheit tritt Muhl, Plut. Stud. 27 ff. ein :
gegen dieselbe G. Herrmann, Quaest. crit.
de Flut. Moralibus, Halae 1875. Vergl.
Fuhr, Rh. M. 33, 5'Jl.
^) A. ScHÄFßR, De lihro X orat., Dresden
1844; dagegen Seeliger, De Dionysio IHu-
tarchi auctore, Budissae 1877. Der Wert
des Büchleins wird noch erhöht durch den
Anhang inschriftlichcr Belege.
') Vgl. § 19, Das Büchlein neQt rov
ßinv y.cd rrjg nottjaeiog '0^i]qov ist eine elende
Kompilation aus dem Buche des Dioskurides
über die Sitten bei Homer.
556
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Werke des Philosophen Aetios kompiliert sind,') die Schrift von den
Flüssen, gleichen Kalibers mit der unverschämten Fälschung der Parallela
minora,2) eine Sammlung von Sprichwörtern (nfgl tmv naq' 'AXe^av-
Sqevai TtagoifiiMv), deren Inhalt deutlich auf einen alexandrinischen Ver-
fasser hinweist,^) eine unbedeutende Zusammenstellung von Versmassen
[ttsqX fi^TQan), endlich ein Buch ttsqI evysvsiag, welches von einem Fälscher
der Renaissance aus Stellen des Stobaios zusammengestoppelt ist.
437. Fassen wir zum Schluss die Schriftstellerei und Philosophie
unseres Autors zusammen, so war Plutarch einer der gebildetsten, liebens-
würdigsten, fruchtbarsten Schriftsteller der Kaiserzeit, der mit seiner kolos-
salen Belesenheit uns einen wertvollen Ersatz für die vielen und grossen
Verluste bietet, welche die griechische Litteratur der klassischen wie ale-
xandrinischen Zeit erlitten hat. Aber er war nicht bloss ein ausgezeich-
neter Kenner der klassischen Litteratur und Geschichte, er hatte auch den
Geist echter Humanität und hellenischer Bildung in sich aufgenommen und
in Wort und That zur Geltung gebracht. Zu feiner Bildung und edler
Sittlichkeit gesellte sich bei ihm noch strenges Masshalten in Lob und
Tadel, gemütliche Treuherzigkeit und optimistische Auffassung aller Ver-
hältnisse, was alles zusammen die Lektüre seiner Werke zu einer ebenso
anziehenden als erhebenden macht. Aber deshalb war doch Plutarch noch
kein Hellene der perikleischen Epoche. Die spiessbürgerlichen Verhältnisse
seiner Zeit und der optimistische Quietismus seiner Natur Hessen keine
hochstrebende Plane und flammende Freiheitsgedanken in ihm aufkommen.
Die Einseitigkeit der ethischen Auffassung verschloss ihm das Verständnis
für fessellose Originalität in Kunst und Poesie; das konservative Festhalten
an dem Überlieferten trübte die Klarheit seines Geistes.^) So vermissen
wir an Plutarch wie die Folgerichtigkeit des Denkens, so auch die Kraft
schöpferischer Gedanken und können ihn weder als einen kritischen Histo-
riker, noch als bahnbrechenden Philosophen, noch endlich als guten Gram-
matiker preisen. Auch in der Form und in dem Stil nämlich ist er keines-
wegs über allen Tadel erhaben. In der Sprache vermeidet er zwar mit
Sorgfalt den Hiatus und belebt durch treffende Reminiszenzen die Dar-
stellung; aber die Dichtercitate sind zu häufig, der weitschweifige Satzbau
ermangelt der durchsichtigen Klarheit und Rundung, die vielen Abstrakta
geben der Rede ein unattisches Gepräge. Die Phrasenziererei und gesuchten
Antithesen der Rhetoren hat er mit Recht abgelehnt, aber die sprach-
reinigenden Bestrebungen der Attikisten hat er nur zu seinem eigenen
Nachteil vernachlässigt. 5) Darf man ihn auch den Klassiker der römischen
Kaiserzeit nennen, so blieb er doch hinter der ungeschminkten Grazie und
der schöpferischen Originalität der klassischen Zeit w^eit zurück.
^) DiELS, Doxographi graec. p. 48.
2) Die Fälschung Dachgewiesen
von
Hercher in seiner Ausgabe der Schrift.
■') 0. Crusius, Ind. lect., Tüb. 1887
nimmt eine Überarbeitung einer alexan-
drinischen Sammlung durch Plutarch an.
'*) Plut. Erot. p. 756 b, 1 : aQxeT i) tk'ctqio^
xal naXaid niarig, rjg ovx eotiv EineTv oi'd"'
uvsvQsTv TEXjUTJQioy svuQytoreQov.
^) Index graecitatis von Wyttenbach*
im Anhang der Ausg. der Moralia. Treff-"
liehe Monographie von Stegmann, Über den
Gebrauch der Negationen bei Plutarch,
Geesteniünde Progr. 1882; der ganz seltene
Gebrauch von te y.td bei Plutarch wird für
die Echtheitsfrage verwertet von Führ, Rh.
M. 33, 584—91, ebenso der Hiatus von
Volkmann, Leben Plutarchs.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, c) Arrian. (§ 437 438.) 557
Codices: Dieselben sind nicht die gleichen zu allen Schriften. In den Biographien
beruht der kritische Apparat von Sintenis auf Sangerman, 319 s. X (J), Palatinus 283
s. XI, Paris. 1671 — 6, Barocc. 137; einen besseren Zwillingsbruder zu Paris. 1676 entdeckte
Hercher in dem Seidenstettner Codex (!S), eine neue Quelle Graux in dem Madrit. 55
s. XIV. — Über die handschriftliche Grundlage der Moralia brachte die beste Beiehrung
Treu, Zur Gesch. d. Überlieferung von Plut. Moralia, Breslauer Progr. 1877 u. 1884, wo-
nach die wichtigsten Codices sind Vindob. 73, woraus Riccard. 45 abgeschrieben, Ambros.
C 195 (daraus floss die Aldina), Paris. 1671 u. 1756, Heidelb. 153, Marcian. 250. -
Eine syrische Übersetzung von ttsql uoQytjalag publizierte Lagarde, Analecta Syriaca,
Lips. 1858.
Ausgaben: ed. princ. apud Aldum 1509 — 19, besorgt von dem Kreter Dukas; ed.
Xylander, Venet. 1560 — 70 mit trefflichen Emendationen ; ed. Reiske, Lips. 1774—82.
In der Pariser Ausg. bei Didot (1846-55) besorgte Döhner die Vitae, Dübner die Mo-
ralia. — Spezialausgaben der Vitae von Koraes, Par. 1809 -14 in 6 Bde.; mit kritischem
Apparat von Sintenis, Lips. 1839 — 46; ausgewählte Biographien mit deutschen Anmerk.
von Siefert-Blass bei Teubner, von Sintenis-Führ bei Weidmann; Demosth. u. Cicero von
Graux, Paris 1881. — Moralia ed. Wyttenbach mit Animadv. in Moral., Lips. 1796-1834,
5 vol. u. 3 vol.; neue kritische Ausg. von Bernardakes in Bibl. Teubn. im Erscheinen. —
Plut. Moral, selecta (Erotic. und Erot. narr.) ed. Winckelmann, Turici 1836. — Über Isis
u. Osiris,, von Parthey, Berlin 1850. — negi noxay.oii' rec. Hercher, Lips. 1851, rec. C.
Müller in Geogr. gr, min. — TIsqI /novaixijg rec. Volkmann, Lips. 1856; Westphal, Plu-
tarch über die Musik, Breslau 1865. — Ein syrisch erhaltenes Fragment des Ps. Plutarch
nsol ci(iy7]a€o)g herausgegeben von Gildemeister-Bücheler, Rh. M. 27, 520 ff.
c. Die Historiker der g-riechischen Wiederg-eburt.
438. Arrian, 0 mit dem vollen Namen Flavius Arrianus aus Niko-
media in Bithynien ist ein Hauptvertreter der griechischen Renaissance
unter Hadrian. In seinem Leben und in seinen Schriften bildete er eine
treue Kopie des Xenophon:^) wie jener den Philosophen Sokrates als seinen
Lehrer verehrte, so er den Philosophen Epiktet; wie jener sich nicht die
philosophische Spekulation, sondern die praktische Thätigkeit zur Lebens-
aufgabe stellte, so auch er, indem er, nachdem er als Jüngling den Epiktet
gehört hatte, ^) in den praktischen Dienst des Staatestrat. Im Jahre 130 unter
Hadrian zur Würde eines Consul suffectus erhoben, stand er 6 Jahre lang
(131 — 7) als Legatus Augusti pro praetore der Verwaltung der Provinz
Kappadokien vor.'*) Im Jahre 147 treffen wir ihn als Archen in Athen, ^)
ebenda zu Anfang der siebziger Jahre an der Spitze einer Prytanenliste.^)
Athen hatte er sich eben in dem zweiten Teile seines Lebens zur zweiten
Heimat erkoren, um auch in diesem Punkt seinem geliebten Xenophon zu
gleichen. Das Priesteramt der Demeter und Persephone, dessen er in seiner
bithynischen Geschichte gedacht hatte, ^) verwaltete er offenbar in seiner
') Ein Artikel des Suidas; Lukian, Alex.
2 u. 55; Photios cod. 58 u. 91 — 3. Cassius
Dio hatte nach Suidas ein Leben des Arrian
geschrieben. Kritische Untersuchung über
das Leben Arrians von Nissen, Die Abfas-
sungszeit von Arrians Anabasis, Rh. M. 43
(1888) 230—57. Derselbe setzt die Geburt
Arrians 90—95 n. Chr.
■^) Davon heisst er ytog ZEvoffwv bei
Suidas und Photios cod. 58, p. 17 b, 15; vgl.
Arrian Cyneg. 1, 4: o^coyvfuiog de wv Bevo-
(fiiirii x(d Tiökewg ci]g ((VTtjg X(d ü^ucpl tccvtic
i'.nn t/eov ianovihixojg, xvvrjyiaia X(d aiQu-
Djyiui^ xui aocfUcy.
^) Schwerlich hörte er den Epiktet in
Rom, wahrscheinlich in Nikopolis, wohin sich
Epiktet nach der Philosoplienvei treibung
des Domitian (94) von Rom aus begab.
■*) Das Konsulat ist bezeugt durch Ziegel-
stempel nach BoKGHESi Oevres IV, 157, die
Verwaltung Kappadokiens durch eine In-
schrift von Nikomedia in 'Flhjvixog fxtJXA.
III, 253 n. 5, wo er voTKtQ/tjg KanTictdoxiug
heisst.
•>) CIA., 3 n. 1110.
6) CIA., 3 n. 1032.
"') Auch in der Inschrift von Nikomedia
heisst er leQtvg JijfujiQog x(d lliQatifüi'i^g.
558
Griechische Literaturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
früheren Lebenszeit. Zur Zeit der bald nach 180 abgefassten lukianischen
Schrift Alexandros war er nach c. 2 nicht mehr am Leben.
Die schriftstellerische Thätigkeit Arrians ist geradeso mannigfaltig
wie die Xenophons: er schrieb philosophische, historische, militärische
Schriften. Die philosophischen waren dem Andenken seines Lehrers geweiht;
es waren die JiazQißal ^Etcixttjtov in 8 B., von denen die 4 ersten
sich erhalten haben,') und das 'EyxsiQidiov 'Etvixttjtov, ein leicht fass-
liches Kompendium der Moral, das zusammen mit dem Kommentar des
Simplicius auf uns gekommen ist. 2)
Von den historischen Werken ist das bedeutendste die ^Ävdßaaig
'AXs^ävÖQov in 7 B. Der Titel wie die Zahl der Bücher ist dem Xeno-
phon nachgebildet. Das Werk enthält aber nicht bloss den Zug Alexanders
gegen das Perserreich, sondern eine vollständige Geschichte des bewun-
derten Königs von dem Antritt der Regierung bis zu seinem Tod. Die
Erzählung verrät schon in ihrer schmucklosen Einfachheit den wahrheit-
liebenden Geschichtsforscher und unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von
der rhetorisch aufgeputzten Darstellung des Curtius. Die Hauptquellen,
die Arrian benützte und getreu wiedergab, waren nach seiner eigenen An-
gabe in dem, Proömium Ptolemaios und Aristobulos, von denen er selbst
hinwiederum dem ersteren als dem nüchterneren und sachkundigeren Ge-
währsmann den Vorzug gab.^) Ausserdem zog er an einzelnen Stellen
auch den Klitarch, Megasthenes, Nearch und Hieronymos heran. Mit Selbst-
vertrauen verweist er denjenigen, der sich wundere, wie er nach so be-
deutenden Autoren eine neue Geschichte Alexanders zu schreiben habe unter-
nehmen können, auf die Lektüre des Werkes selbst. Ganz befriedigt wird
es aber schwerlich jemand aus der Hand legen; in der Zeichnung Alexan-
ders ist der Verfasser zu nachsichtig gegen dessen tyrannische Natur gewesen;
in dem Glauben an Vorzeichen und Wunder übertrifft er noch die Leicht-
gläubigkeit Xenophons. — Der Anabasis schliesst sich die 'Ivdixri in ionischem
Dialekte an, deren Abfassung Arrian schon zur Zeit, als er die Anabasis
schrieb, plante.^) Das Buch ist mehr geographischen als historischen Inhaltes;
den Stoff dazu bot dem Verfasser das Studium der Alexandergeschichte.
Neben den dort benützten Autoren war ihm hier noch besonders Eratosthenes
zur Hand.^) Beide Schriften hat Arrian im gereiften Alter in den Jahren
166 u. 168 verfasst.^)
') Siehe unten Epiktet.
''') Identisch mit den JiazQißai sind
offenbar die Jicds^sig JEpicteti ab Arriano
digestae, von denen Gellius XIX, 1. 14 das
5. Buch anführt; ebenderselbe nennt sie I,
2. 6 dissertationes Epicteti digestae ah
Arriano, ähnlich auch XVII, 19. 2. Auf
die von Photios cod. 58 erwähnten 'OfiiXUa
'EnixrtJTov in 12 B. ist kein rechter Verlass,
da wir von diesen sonst nichts hören und
Photios neben ihnen nur noch die /ficagißal,
nicht auch das 'Ey/siQidioy erwähnt; viel-
leicht liegt in der Buchzahl eine Verwechse-
lung mit den 12 B. Selbstbetrachtungen des
Kaisers M. Aiuel vor.
^) Vergl. Anab. V, 14. 5; VI, 2. 4. -
Hauptuntersuchung von Alf. Schöne, De
verum Alexandri Magni scriptoribus, m-
2)rimis Arriani et Plutarchi fontibus, Lips.
1870, und Fkänkel, Die Quellen der Ale
xanderhistoriker, Biesl. 1883
scHMiD, Gesch. Irans, Tüb. 1888 S. 73,
Schöne stellt die paradoxe Meinung auf, das
Arrian den Ptolemaios und Aristobulos nicht
selbst, sondern nur Überarbeitungen der
selben gelesen habe.
^) Anab. V, 5. 1 : vnsQ ^Iv^mv iöia //0I
y£yQcci}f£iai.
•') Anab. ebenda.
^) Aus Lukian, g^gen den Anab. VII,
'1
I
n
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, c) Arrian. (§ 438.) 559
Verloren gegangen ist bis auf einzelne Bruchstücke die Geschichte nach
Alexander {tu ^st' 'AXs^avöqov in 10 B.); ein Auszug derselben steht bei
Photios cod. 92.^) Geschrieben hatte ausserdem Arrian Lebensbeschrei-
bungen des Timoleon und Dion,^) eine Geschichte Bithyniens {Bi^vviaxa
in 8 B.) von den mythischen Zeiten bis auf den letzten König Bithyniens
Nikomedes III. (85 v. Chr.),^) eine Darstellung der Partherkriege unter
Trajan (HccQd^ixd in 17 B.),*) eine Geschichte der Alanen CAXavixrj). Aber
alle diese Werke sind untergegangen bis auf einen kleinen Abschnitt des
letztgenannten Buches, betitelt Aufmarsch der römischen Truppen gegen die
Alanen {sxra'^ig xcct' ^AXavah'). Derselbe ist trotz seiner Kürze von grosser
Wichtigkeit für unsere Kenntnis der Militärverhältnisse jener Zeit, da er
von den Legionen und Truppenteilen, die damals in Asien ihr Standquartier
hatten, genaue Angaben enthält.
Von geographischen Werken des Arrian ist ausser der bereits er-
wähnten 'ivSixrj noch ein Periplus des Pontus euxinus auf uns ge-
kommen. In demselben erstattet der militärische Autor an den Kaiser
Hadrian Bericht über die Befahrung der Küste des schwarzen Meeres, die
er als Proprätor in den Jahren 131 — 2 vorgenommen hatte. — Mit diesem
Periplus des schwarzen Meeres war seit alters wegen des verwandten In-
haltes verbunden ein Periplus des roten Meeres {nsQiTiXovg irjg eQvO^qäg
^aXaTTfjg), der die Fahrt durch das rote Meer um Südarabien herum nach
Vorderindien bis zum Kap Komorin beschreibt und anhangsweise auch noch
über Ostindien, den Ganges und die ferneren Länder Asiens vom Hören-
sagen berichtet. Aber dieser Periplus hat einen ganz anderen, merkantilen
Charakter, weshalb besonders auf die Häfen, in denen die Kaufschiffe an-
legen konnten, und die Pflanzen und Waren, die an den einzelnen Orten
zu kaufen waren, Rücksicht genommen ist. Auch weicht die einförmige,
vulgäre Sprache stark von dem eleganten Atticismus des echten Arrian ab.
Geschrieben ist derselbe von einem ägyptischen Kaufmann zur Zeit des
älteren Plinius, noch vor Herausgabe von dessen Naturgeschichte im
Jahre 77. 5)
Auch eine Taktik {vi^xvri raxTixrj) des Arrian ist uns erhalten; die-
selbe ist geschrieben im Jahre 136 im 20. Regierungsjahr des Kaisers
Hadrian (c. 44) und berührt sich infolge der gleichen Benützung des
Asklepiodotos vielfach mit der unter Trajan verfassten Taktik eines ge-
30, 1 gerichtet ist, nachgewiesen von Nissen,
Rh. M. 43, 242 ff., der eine Herausgabe der
Anabasis in 2 Teilen, B. 1 — 3 und B. 4—7,
wahrscheinlich macht.
^) Der Auszug, der uns für die ver-
lorenen Werke der Diadochengeschichte Er-
satz bieten muss, unifasst nur 2 Jahre und
bricht mitten in den Kriegsvorbereitungen
des Antipater gegen Kumenes ab, woraus
ich schliesse, dass das Werk mehr als 10 B.
hatte und dass dasselbe dem Thotios nicht
mehr vollständig vorlag. Hauptquelle des
Arrian war hier Hieronymos von Kardia. —
Ausser dem Auszug hat neuestens ein grös-
seres Fragment im cod. rescr. Vatic. gr. 4U5
entdeckt und publiziert Reizenstf.tn, Arriani
TMv /uei' UXe'^av&Qoy lihri septimi fraqm.,
in Breslauer Pliilol. Abb. Bd. III.
'^) Es waren diese nach I'hot. p. 73 b, 5
Jugendarbeiten. Nach Lukian, Alex. 2 schrieb
er auch das Leben des Räubers Tilliboros.
^) Darüber Phot cod. 93 ; die Bithyniaka
sind nach der Anabasis geschrieben.
•*) Notiz darüber bei Phot. cod. 58; ge-
schrieben war sie vor der Anabasis; vergl.
Nissen, Rh. M. 43, 249 f.
''') Dieses ist erwiesen von Dillmann,
Monatsb. d. Berl. Ak. 1879 S. 413 ff. und
weiter ausgotührt von B. pAinMCius in der
Einleitung seiner Ausgabe.
►60
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
wissen Aeliaii.i) Endlich schrieb unser Arrian eine Schrift von der Jagd
{xvvrjY^]tix6g), worin er eine Ergänzung zu der gleichnamigen Schrift des
Xenophon liefern wollte.
In der Schreibart folgte Arrian der Richtung der Grammatiker und
Rhetoren seiner Zeit, welche die Rückkehr von den metapherreichen Schnör-
keln der Asianer und den Nachlässigkeiten der Vulgärsprache zur Korrekt-
heit und Einfachheit der alten klassischen Muster predigten. Durch deren
Bemühungen lebte allerdings wieder die Schönheit der attischen Sprache
auf; aber die Reaktion gegen die seit Polybios herrschende gemeingriechische
Sprache {xotTtj) hatte auch ihre Schattenseiten; sie war eine gekünstelte
und gewaltsame, sie störte den natürlichen Gang der Dinge und bewirkte
eine unnatürliche Entfremdung der Sprache der Gebildeten von der des
Volkes, an der noch heutzutage die Entwicklung der hellenischen Nation
und Sprache leidet. Arrian gehörte mit Lukian und Dion zu denjenigen,
welchen die künstliche Wiederbelebung der alten Sprache am besten ge-
lang; aber auch ihm kamen unwillkürlich Fehler gegen den attischen Ge-
brauch der Modi und der Präpositionen in die Feder, welche erst die
schärfere Beobachtung der modernen Sprachforscher aufgedeckt hat. Haupt-
vorbild war ihm Xenophon, daneben auch Thukydides und Herodot; den
letzten ahmte er in der Indike auch im Dialekt nach. 2)
Codices für Anab. u. Ind.: Paris. 1753 u. 1683, für Cyneg. u. Peripl. Palat. 398,
für Tact. u. Alan. Laur. 55, 4, für Epict. Bodl. 251. Kritischer Apparat in der Gesamt-
ausg. von Dübner u. C. Müller, Par. 1846, und von Hercher, Arriani scripta min. der
Bibl. Teubn., neubesorgt von Eberhard. — Spezialausg. der Anabasis von Krüger, Berl.
1835 — 48, 2 vol. (ed. min. in usum schol. 1851); erklärende Ausg. mit Karte von Sintenis
bei Weidmann, von Abickt bei Teubner. — Ejpicteteae philosophiae monumenta ed. Schweig-
häuser, Lips. 1799, 5 vol. — Geographica in Müller, GGM. I, 257—401. -- Der Periplus
des erythräischen Meeres von Fabricius, Leipz. 1883.
439. Appian^) aus Alexandria kam unter Hadrian nach Rom, wo
er anfangs als Sachwalter auftrat, bis er durch Vermittelung seines Freundes
Fronto^) die ansehnliche Stellung eines Prokurators, man weiss nicht ob
in Ägypten oder sonstwo, erhielt. Sein Geschichtswerk 'Pco^t«ixa schrieb
er um 160 n. Chr. Dass wir keine bestimmtere Angabe machen können,
daran ist er selbst schuld, da er in seiner Abneigung gegen Zahlen im
Proömium seines Werkes nur sagt, dass das römische Reich nunmehr bei
900, und die Kaiserherrschaft bei 200 Jahre bestehe.^) Das Werk hatte
24 B., und scheint vom Verfasser nicht zum beabsichtigten Abschluss ge-
bracht worden zu sein, da er an 2 Stellen (Bell. civ. II, 18 und V, 65)
eine IlaQO^ixri ygacfifj in Aussicht stellt, die schwerlich ein eigenes Werk
^) R, Förster, Herm. 12, 426 ff. gegen
KöcHLY, De lihris taciicis qui Arriani et
Aeliani feruniur, Turici 1851.
^) Henz, Ärrianus quatenus imitator
XenopJiontis sit, Rostock 1879; E. Meyer,
De Arriano Thucydideo, Rostock 1877;
Grundmann, Quid in elocutione Arriani
Herodoto deheatur, Berl. Stud. II, 177—268;
BöHNER, De Arriani dicendi cjenere, in Acta
sem. Erlang. IV, 1—57. Vgl. Schenkl,
Jahrb. d. Alt. XI, 1. 180 ff.
^) Phot. cod. 57; Suidas u. 'JmiLapog.
Appian, Prooem. 15: xlg ds wV xavza avve-
ygaipcc, noXXol fiep Xaccoi xal avxdg ttqos-
(fTjya, ociCpiaxsQOv d^einsTu "Jnniayog ^J'As-
^apdQevg ig tu ngcora tjxmp iv rfj Tjccigith,
X(d dly.aig ev 'Potif^rj avvayoQSvoag inl rioi
ßaaiXiiov ^'J&Qiayov xcd ^Jvxiopivov^, ^^XQ\
fUE G(p(x)v STTiXQonsveiP rj^idiaciv.
^) Fronte ep. ad Antonin. 9; griechische^
Briefwechsel des Appian und Fronto bei
Fronto ed. Naber p. 244—251.
•') Prooem. c. 7 u. 9.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, c) Appian, Dion. (§ 439—440.) 5G1
bilden, sondern in dem letzten Teil der ^Pw^ia'ixä neben den Jaxixä Platz
haben sollte. Die Anlage des Werkes, über die sich der Autor im Proö-
mium ausführlich äussert, ist einem selbständigen und guten Gedanken ent-
sprungen. Appian hatte eingesehen, dass durch die annalistische Methode
seiner Vorgänger das Zusammengehörige vielfach zerrissen werde, und
suchte daher nach einer besseren Gruppierung der Ereignisse; diese fand
er in dem Gedanken einer Darstellung, wie die einzelnen Teile des römi-
schen Weltreiches allmählich zum Reiche gekommen seien. Seine 'Pwfiaixd
bestunden daher ähnlich wie die Historien des Ephoros, den er sich zum
Vorbild nahm, aus einzelnen Spezialgeschichten mit besonderen Titeln.
Sie umfassten die ganze römische Geschichte bis auf die Gegenwart, da
das 1. B. die Königszeit, die 2 letzten die Unternehmungen Traians gegen
die Geten und Araber enthielten. Vollständig auf uns gekommen sind von
dem vielgliederigen Werke nur die Ißr^Qixrj (B. 6 des Gesamt werkes),
'Avvißaixr] (B. 7), yiißvxr) (B. 8), ^VQiaxrj (B. 11), MiO^QidciTsiog (B. 12),
^iXXvQixij (2. Teil von B. 9), 'E^nfvlia (Bürgerkriege) in 5 Büchern (B. 13 — 17).
Ausserdem haben wir noch zahlreiche Fragmente, umfangreichere vom Ab-
schnitt über Makedonien (B. 9) und vom letzten Buch. Alle Teile haben
wesentlich nur ein stoffliches Interesse; kritische Quellenforschung ging
über den Horizont Appians; selbst in allbekannten geographischen Dingen,
wie über den Lauf des Iberus (Iber. c. 6), liess er sich grosse Irrtümer zu
schulden kommen. Seine Darstellung erhebt sich nirgends zu höherem
Schwung, sein Stil bewegt sich in dem Alltagston der gewöhnlichen Rede
und wimmelt von Latinismen.
Ausg. von ScHWEiGHÄusEE, Lips, 1785, 3 vol. — Krit. Ausg. von Mendelssohn, Lips.
1881, 2 vol.; der Text beruht hauptsächlich auf Vat. 141. — Kkatt, De A])inani elocu-
tione, Baden 1886. — Götzeler, Quaestiones in Appiani et Pohjhii dicencU genus. Würzb.
1890. — Weitere Litteratur bei Schenkl, Jahrb. d. Alt. XI, 1. 170-80.
440. Dion (um 150 bis um 235), ^) mit dem vollständigen Namen
Cassius Dio Cocceianus,^) der bedeutendste griechische Historiker der Kaiser-
zeit, stammte aus einer vornehmen Familie von Nikäa in Bithynien. Einer
seiner Ahnen war der berühmte Redner Dion Chrysostomos; sein Vater
Apronianus bekleidete unter M. Aurel die Statthalterschaft von Dalmatien
und von Kilikien.^) Er selbst kam 180 nach Rom und stieg auf der Beamten-
leiter bis zum Prätor (193)*) und zweimaligen Konsul empor. Unter Ma-
crinus verwaltete er als Präfekt Pergamon und Smyrna;'') nach dem
Regierungsantritt des Alexander Severus (222) ward er als Prokonsul in
die Provinz Afrika und später nach Dalmatien und Oberpannonien ab-
geordnet.^) Nach seinem 2. Konsulat (229) ') zog er sich wegen Kränklich-
keit^) von den Staatsgeschäften zurück und verbrachte den Rest seines
Lebens in seiner Heimat.
^) Phot. cod. 71; Suidas u. J'lmv; die
Hauptangaben enthalten dio Bücher des Dion
selbst, Einzellitteratur bei Schäfeu, Quellen-
kunde 11^ 150 ff.
'•^) Cocceianus hiess er mit Rücksicht
auf seinen Grossvater (?) Dion Chrysostomos,
der sich zu Khren seines CJöiinors Coccoius
Norva jenes Cognomcn beigelegt hatte.
Uündbuch der klass. Altcrtumswisscuscbal't VII. ^
3) Dio 49, 30 : (19, 1 ; 72, 7.
4) Dio 73, 12.
">) Dio 79, 7.
«) Dio 80, 1 u. 4.
') Dio 80, 4 u. CIL. III, r»r,87; das 1,
Konsulatsjahr ist uns nicht überliefert.
**) Dio 80. 4: -noih^i' uQQMajtu.
Aufl.
30
►62
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Zur Geschichtschreibung entschloss sich Dion schon in frühen Jahren:
nach seinen eigenen Mitteilungen (72, 23) trat er zuerst mit einer Schrift
über Träume und Wahrzeichen ^) hervor und Hess sich dann, als er auf die
Widmung eine freundliche und aufmunternde Antwort von Severus erhalten
hatte, durch die Stimme seines Innern, des Daimonion wie er sagt, be-
stimmen, die Geschichte des Kaisers Commodus zu schreiben. Da er mit
dieser den ausnehmenden Beifall des Kaisers Septimius Severus fand, so fasste
er den Plan einer allgemeinen römischen Geschichte und zog sich, so oft es
ihm seine amtlichen Geschäfte erlaubten, in die Stille von Kapua zurück, um
dort den Vorbereitungen und der Ausführung seines grossen Unternehmens
zu leben. 2) 10 Jahre (201 — 210) verwandte er auf die Sammlung des
Materials; in den nachfolgenden 12 Jahren (211 — 222) kam er mit der
Ausarbeitung bis zum 72. Buche; den Rest muss er unter Alexander Se-
verus vollendet haben. Von den beiden anderen Schriften, welche Suidas
ihm beilegt, wird die Geschichte des Traian {rd xard TQaiavov) nur ein
getrennt ausgegebener Teil der römischen Geschichte und die Biographie
seines Landsmannes Arrian eine Jugendarbeit oder eine nebenbei geschriebene
Gelegenheitsschrift gewesen sein. Die 'Pwft«ix/J laroQia hatte 80 Bücher
und umfasste die ganze römische Geschichte von der Ankunft des Aeneas
bis zur Regierung des Alexander Severus, genauer bis zum Jahre 229.
Erhalten sind uns von dem grossen, in Dekaden und Pentaden zerfallenden
Werk die Bücher 36—60, welche die Geschichte von 68 v. Chr. bis 47 n.
Chr. enthalten, also gerade derjenigen Zeit, in welcher sich die wichtigsten
politischen Umgestaltungen vollzogen und über die uns zeitgenössische Ge-
schichtschreiber abgehen. Für die folgende Zeit sind wir auf den Auszug
des loannes Xiphilinos angewiesen, der im 11. Jahrhundert eine Epi-
tome der römischen Geschichte des Dion verfasste, in seinem Exemplar
des Dion aber bereits bei Buch 70 eine grosse Lücke vorfand, durch welche
die Regierung des Antoninus Pius und die ersten Regierungsjahre des Marc.
Aurel bis zum Jahre 172 ausgefallen sind. Nur die Bücher 78 und 79
sind uns noch in fortlaufendem Texte, wenn auch vorn und hinten ver-
stümmelt, auf 12 Pergamentblättern des Cod. Vatic. 1288 erhalten. Für
die ältere Zeit bietet teilweisen Ersatz der byzantinische Geschichtsschreiber
Zonaras, welcher in seiner sitiToinrj lavogicov die römische Geschichte wesent-
lich nach Dion erzählt. Zahlreiche und, was von besonderem Werte, un-
beschnittene Reste enthält das konstantinische Exzerptenwerk. Endlich
gehen die Epitomatoren des Mittelalters in ihren Erzählungen aus dei
römischen Geschichte zum grössten Teil direkt oder indirekt auf unserei
Dion zurück.*^)
Auch von dem Werke des Dion liegt der Hauptwert in der stofflichei
^) Es ist das wohl dieselbe, die Suidas
unter dem Namen ev6(ha aufzählt.
^) Dio IQ, 2: Kunvrji', ii' fi, oauxig uv
iv rfj Iralla oi'xco, diuya) . . . h'a a/o'/.rjf
u7j6 Tioy (lany.ixji^ 7iQayu(hü)y iiy(x)v ruvra
yQ('cipaifii.
^) Dieses gilt nicht bloss von Xiphilinos
und Zonaras, sondern auch von Leo gram-
maticus, den Salmasischen Exzerpten (Ckamer,
An. Par. t. II), dem Anonymus nsgl avprcl-
^ecog (Bekker, An. gr. 117 ff.), den Eklogen
eines byzantinischen Grammatikers in Cod
Paris, suppl. 607 (publiziert von Treu
Ohlau Progr. 1880), den Pianudeischen E»
zerpten (mitgeteilt von Haupt, Herrn. 14,
36 ff. u. 431 ff.). Vgl. SoTiRiADES, Zur Kritil
des loannes von Antiochia, Jahrb. f. Phil|
Suppl. XVI.
I
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, c) Herodian. (§ 441.) 5G3
Seite; er liefert die reichhaltigste und umfangreichste Darstellung der
römischen Geschichte und ist namentlich für die Kaiserzeit und die Zeit
des Niedergangs der römischen Republik eine Quelle ersten Ranges. Seine
Geschichte interessiert nicht bloss den Historiker, sondern auch den Er-
klärer Cäsars, Ciceros, Horaz': aus ihm lernt er den gallischen Krieg von
einer anderen Seite kennen, erfährt er die Gegenrede des Antonius auf die
Philippica des Cicero, wird er über den geschichtlichen Hintergrund der
Verse des venusinischen Dichters unterrichtet. Aber der Inhalt ist es doch
nicht allein, was uns das Studium Dions wertvoll macht; der Verfasser be-
sitzt auch ein grosses Talent anschaulicher Schilderung und lebensvoller,
von militärischer und politischer Sachkenntnis zeugenden Darstellung; ') an
seinem Stil erkennt man die reife Frucht der attikistischen Studien der
Sophistenzeit: er ist kein affektierter Nachahmer, aber in Syntax und Wort-
bildung ist er zur Korrektheit und Schönheit der guten Zeit zurückgekehrt,
selbst ganze Sätze und Schilderungen hat er aus seinen attischen Vorbildern
in seine Darstellung herübergenommen. 2) Den Thukydides, der ihm Vor-
bild war, hat er zwar nicht erreicht, aber er ist ihm in der Gedrängtheit
der Darstellung, in der Sachlichkeit der Berichte, in dem Gedankenreichtum
der Reden und Staatsdokumente nahe gekommen. Auf der andern Seite
erkennt man den Verfall der alten Kunst und Urteilsgradheit auch bei
Dion an der abergläubischen Beobachtung von Wundern und Wahrsagungen,
an der sittlichen Laxheit, mit welcher er die despotischen Willkürakte
der Kaiser ohne ein Wort des Tadels hinnimmt, endlich an dem Mangel
psychologischen Verständnisses in der Schilderung der handelnden Per-
sonen. Von dem Freimut und der aufflammenden Entrüstung des Tacitus
ist vollends bei Dion keine Spur; selbst dem Byzantiner Xiphilinos war
manchmal bei seinem Autor die unterwürfige Verleugnung des Mannesmutes
zu arg.
Cod. Mediceus 70, 8; Marcianus 395. Näheres Boissevain, De codicihus Dionis,
Mnem. XITI, 311-45.
Hauptausgaben von Reimarus, Hamburg 1750 — 2, 2 vol. fol.; von Imm, Bekker,
Lips. 1849, 2 vol.; cum not. var. von Dindorf, Lips. 18G3 — 5, 4 vol. Eine neue Ausg.
mit kritischem Apparat für die Bibl. Teubn. bereitet Melber vor.
441. Herodian 3) aus Syrien, verschieden von dem Grammatiker
Herodian, gehört dem 3. Jahrhundert an und hat sich wie Arrian und Dion
in praktischer Amtsthätigkeit Kenntnis der von ihm erzählten Zeitgeschichte
erworben; aber eine hervorragende Stellung im Staate nahm er nicht ein;
er spricht nur von kaiserlichen und öffentlichen Diensten [imrjQeafai ßaai-
hxal xal Srjfiiöaicci I 2, 5), die er bekleidet habe; ihn mit dem Tl. Claudins
llcrodianus Jegatus xyrovlnciac Siciliac (Inscr. lat. 5604 bei Orelli-Henzen) zu
identifizieren, sind wir nicht berechtigt. Sein Geschichtswerk Tt]g f(fT(c
\Mc\qxoi' ßaaiXtiag iaioQtai in 8 B. umfasst die 50 Jahre von dem Tode
iM. Aureis bis zum Regierungsantritt Gordian's Hl. (180 — 238) und erzählt
in redseliger Breite und unter ständigen Reflexionen jene traurige Zeit
iH ') So ist für die kaiserl. Staatsordnung
iHeinzig Avichtig die Programmrede, welche
lipDion 42, 14— 40 dem Mäccn in den Mund legt.
2) Diese Schattenseite des Dion, die 1 dimio rcrum Rom. scriptore,\\ov\x\.J)'\s^.\'6^\.
Inatürlich die hisfoiischo Treue dessel))en |
30*
bedeutend schmälert, wird klargelegt von
Melber.
•') Phot. cod. 90; Kreutzer, De Hern-
564
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
der Palastrevolutionen und Militärdiktaturen. Ganz in der Betrachtung
des äusseren Ganges der Kaisergeschichte aufgehend, hat er kein Auge
für die innere Entwicklung und die sozialen Bewegungen, so dass wir z.
B. von dem Umsichgreifen des Christentums und von der Ausdehnung des
römischen Bürgerrechtes unter Caracalla durch ihn nichts erfahren. Er
legt wohl durchweg die Gesinnung eines ehrenvollen Mannes, der die Tugend
achtet und die Treulosigkeit verabscheut, an den Tag, aber es mangelt
ihm ganz und gar der tiefere Blick, der mitten in der Fäulnis der herr-
schenden Klassen die Anzeichen einer nahenden besseren Zeit erkennt.
Gleichwohl hat seine Geschichte viele Leser und Nachahmer gefunden, die
Scriptores historiae Augustae haben sie benützt und citiert, Joannes An-
tiochenus hat ganze Abschnitte aus ihr ausgezogen.
Herodian ist zuerst durch die lateinische Übersetzung des Politianus (1493) be-
kanntgeworden. — Hauptausgabe mit kritischem Apparat von Mendelssohn. Lips. 1883. —
Ausg. mit weitläufigem Kommentar von Irmisch, Lips, 1789, 5 vol. — Unbedeutend und
des giossen Namens unwürdig ist die Ausg. von F. A. Wolf, Halis 1792.
d. Chronographen und historische Sammler.
442. Was sonst unsere Periode an Historikern hervorgebracht hat,
gehört zum grössten Teil der Klasse der Chronographen, Lokalhistoriker
und Anekdotensammler an. Von den Chronographen oder Verfassern sum-
marischer Abrisse der Geschichte ist uns nichts vollständig erhalten, wes-
halb ich mich auf eine kurze Aufzählung der Namen und Bücher be-
schränken kann.
Nikolaos von Damaskos, Vertrauter des Königs Herodes und Lehrer
der Kinder des Antonius und der Kleopatra, war peripatetischer Philosoph, \)
beschäftigte sich aber auch, der Richtung jener Schule entsprechend, mit
historischen Studien. Seine Weltgeschichte in 144 B.^) begann mit den
Assyrern und Modern und reichte bis auf die Gegenwart. Auslesen aus
den 7 ersten Büchern fanden Aufnahme in das Exzerptenwerk des Kon-
stantinos, ebenso Stellen aus seinem Buch über das Leben und die Er-
ziehung des Kaisers Augustus, und aus seiner Selbstbiographie.^) Frag-
mente bei Müller FHG. III, 343-464, und bei Dindorf HGM. I, 1 — 153.
Ph legen aus Tralles, Freigelassener des Kaisers Hadrian,'*) schrieb
ein vielgelesenes Kompendium der Geschichte, ^OXvuniccdeg betitelt, von der
1. bis zur 229. Olympiade in 16 B. Von demselben sind uns mehrere
Kapitel durch Pliotios und Synkellos erhalten. Vollständig sind seine
kleineren Schriften ttsqI Üccv^iaaiMv^) und nsQi i^iaxQoßiMv^) auf uns ge-
') Zeller, Gesch. d. gr. Phil. IIP, 1.
029. Über sein Kompendium der aristo-
telischen Philosophie s. Diels, Doxogr. 84
An. 1 lind oben § 309; ferner § 301 über
seine mutmassliche Autorschaft an dem ps.-
aristotelischen Buch tteql xoa^ov.
2) So viele Bücher bei Ath. '249 a; Suidas
gibt nur 80 B. an.
^) Auch eine aiwuyioyrj nccQaJ'o^ioi^ iS^ooi^,
sowie Tragödien und Komödien schrieb er;
von letzteren ein Fragment bei Stobaios
Flor. 14, 7.
^) Nach Suidas gaben ihn andere irr-
tümlich für einen Freigelassenen des Au-
gustus aus,
^) Dieselben sind aufgenommen in Westek-
mann's Paradoxogr, gr,; aus dem 1, Kapitel
entnahm Goethe den Stoff zu seiner Braut von
Korinth,
^) Dieselbe ist eine dürre Aufzählung
der Leute, welche über 100 Jahre alt ge-
worden waren, nach den Censuslisten; über I
die Verwandtschaft des Büchleins mit dem
gleichbetitelten des Ps, Lukian siehe § 489.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, d) Chronographen. (§ 442.) 565
kominen.') Auch eine periegetische Schrift verfasste er nfgl roh' naQcc
'Po)/iiai'oig 10710)1' xal d)v fTTixixhjvzai ovofxccTMv. Fragmente bei Müller
FHG. III, 602-624.
Kephalion, Rhetor und Historiker unter Hadrian, ahmte den Herodot
nach und schrieb in ionischem Dialekt TlartoSaTTai IcfroQi'ai bis auf Ale-
xander in 9 nach den Musen benannten Büchern. Fragmente bei Müller
FHG. III, 626—631.
Amyntianus war Verfasser einer an Antoninus Pius gerichteten
Geschichte Alexanders d. Gr., über die Photios Cod. 131 in abfälliger
Weise berichtet. Derselbe hatte nach Photios auch Bi'oi TTagäXXrjXoi, wie
des Dionysios und Domitian, des Philippos und Augustus, geschrieben. In
den Scholien zu Pindar Ol. 3, 52 wird von ihm auch eine Schrift über
Elephanten angeführt.
Charax, Priester und Philosoph aus Pergamon, über dessen Zeit
schon Suidas nichts bestimmtes wusste, wird von Müller FHG. III, 636
mit dem Charax bei M. Aurel VIII, 25 identifiziert. Derselbe war Ver-
fasser von ^EXXrjVixd, 'iraXixä, XQorixä, welche besonders eingehend die
mythische Zeit behandelten und häufig von Stephanos Byz. sowie von den
Byzantinern Lydos und Eustathios angeführt werden. Fragmente bei
Müller FHG. III, 636-645.
Dexippus, mit vollem Namen Tl. ^Egswiog /ItS^nrnoq TlroXf-iiaiov
EQfieiog^'^) war eine der glänzendsten Gestalten des niedergehenden Griechen-
tums (um 210—273). Durch historische und rhetorische Studien vielseitig
in Anspruch genommen, verabsäumte er doch nicht die Pflichten des
Bürgers. Er bekleidete die Amter eines ccqxoiv ßaaiX^vg und aQxoiv inM-
rvfiog in seiner Vaterstadt Athen, und als dieselbe im Jahre 267 von den
Goten schwer bedrängt wurde, wusste er durch beredte Worte seine Mit-
bürger zur tapferen Gegenwehr zu entflammen. Schon zuvor hatten ihm
die Bürger zum Lohn für seine Verdienste um die Stadt die höchsten
Ehren erwiesen und ihm ein Standbild gesetzt, dessen Basis mit der In-
schrift noch erhalten ist. Seine historischen Werke waren: Td /mid 'AXt-
'^avÖQov in 4 B., 2xvOixd (von den Gotenkriegen im 3. Jahrhundert), Xqo-
nxd in 12 B. bis auf Kaiser Claudius II (270). Die gedrängte Darstellung
verschaffte seinen Werken grosse Verbreitung bei den Zeitgenossen und
Nachkommen. Von den Chronika schrieb im 4. Jahrhundert Eunapios eine
Fortsetzung, in der er eingangs eine Charakteristik seines Vorgängers gibt.
Verschieden von dem Historiker war der Philosoph Dexippos, von dem
ein Kommentar zu den Kategorien des Aristoteles auf uns gekommen ist.
Derselbe lebte nach seinen eigenen Worten in der Einleitung des Kom-
mentars nach dem Neuplatoniker lamblichos im 4. Jahrhundert.
Fragmente bei Müller, FHG. III, 666—687; Dindorf, HGM. I, 165 200; Böhme,
') Ruidas führt von Plilcgon noch an: I säule CIG. 380 = CIA. III, 716 = Kaihcl,
txffQuaig lixeliKc:, rif^l iwr TiciQu 'PM/uaiatg v\). gr. n. 878 und die kleineren Insclirit'ten
toQTojy. { CIA. III, 714, 717, 70''; s. DiTTENUKiUii:«,
2) Ausser dem Artikel des Suidas be- j Die attische Panathenaidenära, in Coninient.
lehren uns Photios cod. 82 und mehrere In- in hon. Momms. 245—53, und Busse, Herrn.
Schriften, namentlich die grosse in Prosa j 23 (1888) S. 402 \).
und Vers abgefassto Aufschrift seiner ?]hren- |
56G Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Dexippi fragin., in Commcnt. pliil, Ten. 11, 1—88, — Die ed. princ. des aristotelischen
Kommentars besorgte L. Spengel, München 1859; eine neue Bearbeitung Busse in Com-
nient. in Arist. t. IV, 2, Berl. 1889.
Auf die durch den Kirchenvater Eusebios erhaltene 'OXv^7rMo)v dva-
YQccifi] des Presbyter Julius Africanus werde ich unten bei Eusebios
zurückkommen.
4:43. Die Lokal- und Spezialgeschichte, die bei den Gelehrten
des alexandrinischen Zeitalters in besonderer Blüte gestanden war, fand
auch in unserer Zeit noch in den Kreisen der Grammatiker und Gelehrten
manche Liebhaber. Verfasser von Spezialgeschichten über Italien, Make-
donien, Böotien, Arkadien, Galatien, Afrika, zählt in Unmasse Ps. Plutarch
in dem Buche tisqI 7TaQalhjXo)v iXXtjrixcov xal Qw}icäaMv auf. Da aber die
Treue und Verlässigkeit jenes Schreibers sehr zweifelhaft ist, so übergehe
ich die Namen und Buchtitel jener Schrift und führe nur einige Lokal-
schriftsteller an, von denen wir sichere Kunde haben:
Hippost ratos o to. ttsqI ^ixsh'ag ysveaXoyMv behandelte in seinen
Sikelika^) die ältere Geschichte Sikiliens und die in Sikilien zu Ansehen
und Herrschaft gelangten Geschlechter. Er war eine Hauptquelle der
Pindarscholiasten und gehörte wahrscheinlich noch der vorausgehenden Pe-
riode an, da die betreffenden Schollen (zu 0. 2, 8 und 16; P. 6, 4; N. 2, 1)
auf Didymos zurückzugehen scheinen. 2) Jedenfalls lebte er vor Hadrian,
da Phlegon, Mirab. 30 eine Schrift über Minos von ihm citiert. Fragmente
bei Müller FHG. HI, 432—3.
Ein verwandtes Werk des Polemon, über die wunderbaren Flüsse
Sikiliens, wird von Macrobius, Saturn. V, 19 angeführt.-'*)
Memnon aus Heraklea, der sicher nach Cäsar, vermutlich in der
hadrianischen Zeit lebte, war Verfasser der gerühmten Spezialgeschichte
des pontischen Heraklea in mehr als 16 B. Wir kennen das Werk aus
dem Auszug, welchen Photios cod. 224 von den Büchern 9 — 16 (von 363 —46
V. Chr.) gemacht hat.'*)
444. Von historischen Sammelschriften ist uns das Buch des
Polyän (noXvairog) über Kriegslisten erhalten. Derselbe blühte in Rom
unter M. Aurelius und L. Verus und widmete diesen Kaisern die bis
auf eine Lücke im 6. und am Ende des 7. Buches erhaltenen iTgarrj-
yr'jfiaTa in 8 Büchern. Die von Suidas erwähnten Schriften desselben
Autors über Theben und über Taktik sind spurlos verloren gegangen.
In dem erhaltenen Werk gibt der Verfasser mit der Feder mehr eines
witzigen Rhetors^) als eines kritischen Historikers oder erfahrenen Kriegs-
mannes eine Zusammenstellung von 900 Kriegslisten. Mit Vorliebe ver-
weilt er bei Beispielen der griechischen Geschichte; des Lateins we-
niger kundig,*^) hat er mit Schilderungen römischer Kriegslisten nur
einen Teil des 8. Buches gefüllt. Die Geschichte der letzten 2 Jahrhun-
^) i. n 7. Buch angeführt in Schol. Find, j ^) Im Proömium des 8. Buches sagt er
0. 2, 8.
^) Schol. Theoer. 6, 40: (og ol tjsqI
InnöoTQcaov ui^ciqjcdvovoiy.
^) Über den gleichfalls von Macrobius
angeführten Kallias siehe § 357.
' 4) Vgl. Müller FHG. Ill, 525.
selber von sich: nQocciQeasi ßiov xcd Xoyov
^lyMvixov /QOj^Evog.
6) Den lateinischen Verfasser von Kriegs
listen, den Frontin, hat er nicht benütztj
auch Cäsars Kommentare des gallischen'
Krieges sah er zu 8, 23 nicht ein.
1
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, e) Geographen. (§ 443—445.) 567
derte seit Augustus ging bei ihm fast ganz leer aus, wahrscheinlicli weil
hier dem rasch arbeitenden Jünger der Sophistenschule keine leicht zu-
gänglichen ^Vorlagen zu Gebote stunden. Der Anordnung des reichen Stoffes
liegt kein klarer, konsequent festgehaltener Plan zu grund, doch lassen
sich immerhin für einzelne Bücher leitende Gesichtspunkte erkennen. So
ist das 4. Buch ganz den Kriegskünsten der Makedonier, seiner Landsleute,
gewidmet; in dem siebenten stehen die Strategemata der Barbaren, in dem
ersten Teil (c. 1—25) des achten die der Römer, im zweiten die der Frauen,
im sechsten sind die Kriegslisten ganzer Volksstämme und Städte zusammen-
gestellt. Grosse Mühe hat dem Verfasser die Arbeit sicher nicht gekostet;
er scheint das Material wesentlich nur aus älteren Sammlungen und aus
den gangbarsten Universalgeschichten von Ephoros und Nikolaos zusammen-
gebracht zu haben; wie weit er darüber hinaus auch die grossen Spezial-
werke der griechischen und sikilischen Geschichte einsah, ist strittig. Von
seiner Gedankenlosigkeit zeugen die zahlreichen Dubletten, indem er oft
eine Kriegslist, weil er sie in verschiedenen Quellen verschieden dargestellt
fand, für zwei ausgab; bedenklich sind auch seine Verwechselungen gleich-
namiger, aber verschiedener Männer, wie des makedonischen Königs Per-
dikkas und des gleichnamigen Kampfgenossen Alexanders (IV, 10). So ent-
hält das Werk, wie Niebuhr, Kl. Sehr. I, 454 treffend bemerkte, einen Schatz
wichtiger Nachrichten, der zur Verwertung aber strenger Sichtung bedarf.
Hauptcodex ist der Laurent. 50, 1; ausserdem eine brauchbare Epitome in Laur.
55, 4. — Ausgabe mit Noten von Casaubonus, LB. 1589. Textesausg. in Bibl. Teubn. von
WöLFFLiN, neubearbeitet von Melber. — Sorgfältige Quellenuntersuchung von Melber,
Über Quellen und Wert der- Strategemensammlung Polyäns, Jahrb. f. Phil. Suppl. XIV,
417 — 688, und von Knott, De fiele et fontibus Volyaeni, Lips. 1883, welch' letzterer den
Kreis der selbstgelesenen Quellenwerke des Polyän auf ein Minimum reduziert.
e. Die Geographen.
445. Die Erdkunde hat in der römischen Zeit an und für sich infolge
der Erweiterung der römischen Herrschaft und der wissenschaftlichen Ver-
messung des ausgedehnten Reiches bedeutende Fortschritte gemacht; die
Hauptbedeutung aber unserer Periode für die geographische Wissenschaft
besteht darin, dass uns aus ihr umfassende Werke auch erhalten sind. Unter
diesen nimmt die erste Stelle die Geographie des Strabon ein.
Strabon (um (33 v. Chr. bis 19 n. Chr.) ^) hatte wie sein Vorgänger Aga-
tharchides geographische Studien mit historischen verbunden und war auf
beiden Gebieten schriftstellerisch hervorgetreten; die Geographie selbst be-
zeichnet er im Eingang seines geographischen Werkes nur als einen Teil der
Philosophie, womit es in Einklang steht, dass er von Suidas und Stephanos
Byz. u. Uficcasia als stoischer Philosoph aufgeführt wird. Geboren war er zu
Amaseia, einer Stadt der Provinz Pontos, aus einer vornehmen griechischen
Familie. Als elüngling hörte er in Nysa am Mäander den Grammatiker Aristo-
demos, Sohn des Aristarcheers Menekrates;'^) mit dem PeripatetikerXenarchos-')
^) Ein Artikel des Suidas; Hasenmüller,
De S'trdbonis vitd, Bonn 18()3; Niese, Beitr.
zur (jleoi^raphic Strabos, Herrn. 13, 33 ff. u.
Rh. M. 38, T)!!? ff., 42, UU\) {\. Auf CH v. Chr.
setzt das (Jeburtsjahr P. Meyer, Leipzig. IStud.
IL 47 ff.
'^) Strab. p. (150: '.iQKTTo^/jfjov (ht/Xov-
rrj Nt'orj.
^) Wenn JStrabon trotzdem JStoiker heisst,
568
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
und dem Grammatiker Tyrannion, die er ebenfalls gehört hatte/) scheint
er erst in Rom, kurz vor des letzteren Tod (26 v. Chr.) 2) zusammen-
gekommen zu sein. Nach Rom reiste er fast zur selben Zeit wie der Rhetor
Dionysios, bald nach Beilegung der Bürgerkriege im Jahre 29; den Weg
dahin nahm er über die Kykladen und Korinth.-^) Bald darauf aber (26)
verliess er wieder Rom, um im Gefolge des Aelius Gallus, den Augustus
im Jahre 24 zum Befehlshaber der Expedition gegen die Araber aufgestellt
hatte, Ägypten von Alexandria bis Philä zu bereisen. *) Nach dem unglück-
lichen Ausgang des Feldzugs kehrte er nach Rom zurück; über weitere
Reisen, die er später von Rom aus unternahm, fehlen uns bestimmte Angaben;
er selbst sagt p. 117 nur im allgemeinen, er habe die Erde von Armenien
bis Sardinien und vom Euxinus bis zu den Grenzen Aethiopiens besucht.
Sein Leben erstreckte sich bis in die Regierungszeit des Tiberius hinein;
er überlebte nicht bloss den Sturz der Marbod, sondern auch den Tod des
Königs Juba von Mauretanien.'^)
446. Das frühere Werk des Strabon, worauf er in seiner Geographie
wiederholt (p. 13. 70. 515) Rücksicht nimmt, hatte den Titel 'FTro/n^^'/mr«
l(TTOQix(x und umfasste 43 oder 47 Bücher. Dieselben behandelten in zwei
Abschnitten die Zeit vor und nach Polybios,^^) die erstere nur in allgemeinen
Umrissen, die letztere in grosser Ausführlichkeit. Das Werk ging bis auf
die Gegenwart, sicher bis zum Jahre 38 v. Chr. herab. Den Verlust des-
selben müssen wir doppelt beklagen, nachdem auch die einschlägigen Partien
der römischen Geschichte des Livius verloren gegangen sind.') Als Quellen
benützte er wesentlich die gleichen Bücher wie in der Geographie, vor-
nehmlich also die Geschichtswerke des Poseidonios, Apollodoros, Theophanes.
Das erhaltene Werk, die rfoyyQcccpixd in 17 B., behandelt in B. 1 und 2
die physikalisch-mathematische Geographie, in B. 3 — 10 die Geographie
Europas, in B. 11 — 16 die Asiens, in B. 17 die Afrikas. Das Ganze ent-
hält die Frucht langjähriger Studien und ist erst allmählich unter Tiberius
gereift und ans Licht getreten; zum vollständigen Abschluss scheint das-
selbe nicht gekommen zu sein.^) Das 4. Buch und somit wenigstens die
so muss dieses daher kommen, dass er sich
in seinen Anschauungen am meisten dem
Stoiker Poseidonios anschloss, auf den er ja
auch beständig in seiner Geographie zurück-
kommt.
') Strab. p. 548 u. 070, wo er beides-
mal den Ausdruck ijyQoaauf^sx^a gebraucht.
'^) Suidas Jässt ihn sterben 6X. Qiif ev
7(0 y hei, wo statt des verderbten i Flach n
geschrieben hat.
'•') Strab. p. 118. 879. 485. Nach seiner
Aussage p. 381 über das Gemälde des Ari-
stides im Demetertcmpel müsste er schon vor
81, wo nach Dion 50, 10 jener Tempel ab-
branntCj in Rom gewesen sein.
■*) Strab. p. 806 u. 816; vgl. Schröter,
De Strahonis itinerihus, Lips. Diss. 1874;
P. Meyer, Straboniana, Grimma Progr. 1890.
■') Strab. p. 290 und p. 828.
^) Suidas in dem Artikel nolvßiog : eygccipe
tff xal IiQußiov TU ^U8T(( JloXvßioi' EP loyoig
/Liy. Nach Strabon p. 515 war das 6. Buch
der Hypomnemata das 2. rwr juerd UoXvßiov,
woraus sich, wenn r« ^ueto. Ilokvßioy 43 B.
umfassten, für das Ganze 47 B. ergeben.
Vor Strabon war schon aus der benachbarten
kleinasiatischen Stadt Aniisus ein Historiker
hervorgegangen, der von Strabon oft an-
geführte Hypsikrates.
') Die Fragmente bei Müller FHG. III,
490 — 4. Interessant ist darunter eine durch
losephus, Ant. lud. 14, 7 uns erhaltene Notiz
über die Juden: juctQTVQeT IrQÜßiov . . . uvxtj
ö'e (sc. ij TMP 'lovd(ii(x)v ardaig) sig näoav
TTohi' ij^^] nccQehjXvy^Ei xal töjiop ovx eotiv
evqeTv jrjg oixov^uE'i'tjg, 6g ov TiaQaÖEifEy.Tca
rovTo t6 (pvlov fj.7]6"' inixQccrehca vn' ca'rov.
Über die Aufnahme des jüdischen Jahve
unter die altgriechischen Götter unter dem
Namen ^t(ui) s. Buresch, Klares S. 48 ff.
*^) Metneke, Vind. Strab. p. 81 : ita enim
existiino, geoijraphumena sua Straboticm
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, e) Geographen. (§ 446.) 569
4 ersten Bücher wurden nach dem ausdrücklichen Zeugnis des Autors p. 206
im Jahre 18 n. Chr. veröffentlicht; i) aber das 17. Buch, in welchem p. 828
der Tod des Königs Juba und der Regierungsantritt seines Sohnes Ptole-
maios erwähnt ist, führt uns noch etwas weiter herab.-') Über seine Vor-
studien und Quellen hat er sich p. 117 f. im allgemeinen ausgesprochen.
Danach hatte er selbst die Empfindung, dass er für einen Geographen oder
Beschreiber der Erde eigentlich zu wenig von der Erde gesehen habe. Er
entschuldigt sich wegen dieses Mangels zunächst damit, dass auch die früheren
Verfasser geographischer Werke in dieser Beziehung nichts vor ihm voraus
hätten; er versichert aber des weitern dann, dass er sich über Länder,
welche zu sehen ihm selbst nicht vergönnt gewesen sei, bei andern, die
sie gesehen und darüber geschrieben hätten, sorgfältig erkundigt habe.
Jene andern ^) waren aber ausser seinen nächsten Gewährsmännern, den
Geographen Eratosthenes und Artemidoros, der Grammatiker Apollodor
aus Athen, dem er hauptsächlich in der Geographie Griechenlands folgte,^)
Apollodoros aus Artemita in Assyrien, Geschichtschreiber der Parther-
kriege, den er p. 118 als seine Hauptquelle für die Länder Hyrkanien und
Baktrien bezeichnet, Megasthenes, Nearch und Onesikritos, aus denen er
ganze Seiten über die Völker und Bewohner Indiens ausschrieb,-'') Theo-
phanes aus Milet, dessen Geschichte der Feldzüge des Pompeius ihm in der
Geographie Armeniens und anderer Teile Kleinasiens Führerin war,^) Po-
lybios und Poseidonios, die er in allen Teilen seines Werkes mit Vorliebe
berücksichtigt, denen er aber insbesondere die Kenntnis von Spanien und
dem Keltenland verdankte,^) endlich Antiochos, dessen alte Nachrichten über
Sikilien und Unteritalien er von neuem zu Ansehen brachte. Römische Autoren
hat er, vielleicht weil er der lateinischen Sprache doch nicht so ganz
mächtig war, weit weniger benützt. Er kennt zwar, was ja auch selbst-
verständlich war, die Reichsvermessungen des Agrippa,^) und erwähnt
ausser Cicero auch einmal die Kommentare Cäsars vom gallischen Krieg
(p. 177), die Annalen des Coelius Antipater (p. 230), die Historien des
Asinius (p. 193), das Geschichtswerk des Dellius über den Feldzug des
Antonius gegen die Parther (p. 523), drückt sich aber im übrigen sehr
imperfecta reliqimsc neque ad cam compo-
silionis speciem ahsoluta, quam ipse animo
praeformatam hahuit.
^) Nach der angeführten Stelle p. 206
Avnr es damals dcis 133. Jahr, seit die Alpen-
völker durch Drusiis und Tiberius unter-
worfen worden waren (15 v. Chr.), was uns
eben auf das J. 18 n. Chr. führt. Dazu
stinjmen auch die Angaben im G. Buch p. 288.
2) Der Tod des Juba ist auf 23 n. Chr.
gesetzt von Müller, Niunism. de V ancienne
Afrique III, 113 ff". Die Dichtigkeit dieses
Ansatzes bestreitet Niese, Herrn. 13, 35. in-
dem er den Juba früher sterben lässt, so dass
das ganze AVerk des Strabon in den Jahren
18 und 19 n. Chr. niedergeschrieben sei.
•') Heeren. De fontd)iif< (leoifraphiae
Strahonis, Clott. 1823 genügt dem lieutigcn
Standpunkt der (Quellenforschung nicht mehr.
4) Niese, Rli. M. 32, 2(17 iW'u. Herrn. 13,
42 weist nach, dass Strabon von Griechen-
land nur Korinth aus eigener Anschauung
kannte und das meiste in B. 8—10, zum
Teil auch in 12 — 14 dem Kommentar des
Apollodor zum homerischen Schiftskatalog
entnahm.
5) A. Miller, Die Alexandergeschichte
nach Strabo, Würzburg 1882.
^) Neumann, Strabons Landeskunde von
Kaukasien, in Jhrb. f. Phil. Suppl. Xlll,
319-54; Fabricius, Theophanes von Myti-
lene und Q. Dellius als Quellen der Geo-
graphie Strabons, Strassb. 1888, Hauptwerk.
') Zimmermann, Quibuft aiictoribus Strabo
in libro tertio usus sit, Halle 1883 und Herm.
23, 103—30; Wilkens, De Strabonis verum,
(hdticarum fonfibus, Marl). 1880.
'^) Strab. p. 208: die Thaten des Agrippa
zu erwähnen, benutzt ohnehin Strabon jede
Gelegenheit.
570
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
unbestimmt über seine Gewährsmänner in der römischen Geschichte aus.
Übrigens darf man auf der anderen Seite aus Strabons Citaten noch nicht
sofort schliessen, dass er die citierten Bücher auch selbst gelesen habe:
den Pytheas, Sosikrates, Demetrios von Skepsis und selbst den Eudoxos
scheint er nur aus den Werken anderer, besonders seiner Hauptgewährs-
niänner, Apollodor, Polybios, Artemidor, gekannt zu haben.
Strabon galt den Alten, wenn er auch erst spät zur allgemeinen An-
erkennung kam,^) als der Geograph xar' s'^oxr'jv, und sein Werk bezeichnet
am deutlichsten den Standpunkt, welchen die Geographie im Altertum ein-
nahm. Von den Anforderungen, die wir heutzutag an eine Erdkunde
stellen, ist dasselbe freilich weit entfernt: Strabon war wohl ein unterrichteter,
vielseitig gebildeter Mann; er war auch ein aufgeklärter Kopf und hatte
Sinn für landschaftliche Beobachtung; aber er fasste einerseits, wie er gleich
in dem Proömium kundgibt, die Geographie allzusehr von dem Gesichtspunkt
der praktischen Nützlichkeit auf, und verrät anderseits überall mehr den Buch-
gelehrten, als den wissenschaftlichen Naturbeobachter. Leser, die bei den mo-
dernen Geographen in die Schule gegangen sind, werden namentlich an den
vielen und langen Exkursen über Homerinterpretation Anstoss nehmen. Die
hängen nun freilich damit zusammen, dass die geographische Wissenschaft
der Alten sich an der Homerexegese der Grammatiker emporgerankt hat;
aber Strabons Geographie Griechenlands sieht geradezu wie ein Kommentar
zu Homer aus und ist in der That in mehreren Partien wesentlich aus den
Kommentaren des Grammatikers Apollodor zu dem homerischen Schiffs-
katalog hervorgegangen. Ebenso vermissen wir bei Indien und dem öst-
lichen Asien eigene Beobachtungen und Erkundigungen bei neueren Rei-
senden, für deren Mangel uns die massenhaften Notizen aus den Geschichts-
schreibern Alexanders einen nur ungenügenden Ersatz bieten. Kurz die ganze
Geographie Strabons trägt eine historische Färbung und zeigt uns mehr den
Untergrund der Vergangenheit als das Licht der Gegenwart.^) Aber immerhin
hat er eine Fülle wichtiger, speziell für uns Philologen wichtiger Nachrichten
mannigfachster Art zusammengetragen und danken die Litterarhistoriker es
ihm noch besonders, dass er bei den einzelnen Städten die berühmten Männer,
welche aus denselben hervorgegangen waren, anzumerken nicht versäumt hat.
Im Stil und sprachlichen Ausdruck trat Strabon ganz in die Fuss-
stapfen seines hochgepriesenen Vorgängers Polybios: wie jener so ver-
schmähte auch er die rhetorischen Schnörkel und befleissigte sich eines
einfachen, sachgemässen Stils. Nur bei der Beschreibung der Länder liebt
er es, wie es scheint, nach dem Vorbild des Artemidor, die geographische
Figuration durch Bilder zu erläutern. So vergleicht er Europa mit einem
von Westen nach Osten ausgestreckten Tierfell (p. 137), Sikilien mit einem
Dreieck (p. 265),^) die Pelopsinsel mit einem Platanenblatt (p. 335). In
dem Wortgebrauch und der Grammatik zeigt er keine Spur von der atti-
') Pliiiius nimmt auf Strabon nirgends
Rücksicht.
2) Auf der anderen Seite bemerkt er
selbst richtig p. 177: oou ^ep (fvaixcog
öio'jQiaiui (hi Xeyeiy xov yscoyQäcpoi' y.ccl oacc
ex^yixdjg, oxap fi xul fxyrjfxijg ti^ia, '6oa cT'
ol rjysuöysg ngog rovg xaiQovg noXiTSvöfisPot
(fiazdirovat noixlXwg, ccqxsT xav hv XBcpaka'm
rig sinrj.
^) Dabei missbrauchte er die Etymologie
des Namens &qivc<x'ic(, der eben nicht auf
TQiu uxQci £/ovaa gedeutet werden darf.
Il
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, e) Ptolemäus. (§ 447.) 571
kistischen Richtung: er ist wie Polybios ein Vertreter der ungeschminkten,
halbnachlässigen xotvrj, namentlich hat er eine Menge von Verbis auf eo),
gebildet von zusammengesetzten Nomina, Vv^ie svavdQk'o), svoifie'oj, yqaniia-
TO(fOQ&'o)^ to7ToyQa(ff-o), (fiXo^svi-o), in die griechische Schriftsprache eingeführt;
aber auch vor falschen Formen, wie namentlich dem oft gebrauchten Aorist
sysvriO^Tiv =■ sysvöfjirjr, und vor anstössigen Hiaten hat er sich nicht gehütet.
Daneben hielt er alles auf Reinerhaltung des griechischen Idioms vor fremden
Eindringlingen. Die römischen Amtsnamen prociirator, legatus, iudex
mussten sich ebenso wie die lateinischen Wörter aqiiaeductus, sinus eine
griechische Ummodelung gefallen lassen. Das that er aber nicht aus be-
schränktem Nationaldünkel, wiewohl er in dem Glauben an die griechischen
Kolonisationssagen sehr weit ging und selbst das etrurische Caere aus dem
Zuruf /«r^jf zu erklären keinen Anstand nahm (p. 220); denn im übrigen
ergriff er gern die Gelegenheit, die politische Überlegenheit Roms und
dessen Verdienste um Strassenbauten (p. 235) und um Einführung einer
gerechten Verwaltung (p. 797) zu preisen.
Codd.: Die Textesgeschichte und handschriftliche Überlieferung ist klargelegt von
Kramer in der Praefatio seiner krit. Ausg. 1844. Die Codd. sind stark verderbt; der
beste, Paris. 1397 {J) membran. enthält nur die 9 ersten B.; alle 17 B. enthält Par. 1393
bombyc, aber auch er mit Lücken, besonders der grossen im 7. B.; einige ergänzende
Pergamentblätter entdeckte neuerdings Cozza in einem Palimpsest von Grottaferrata, wo-
rüber CoBET, Mneni. 4, 48 ff. — Ausserdem haben wir alte Inhaltsangaben (xscpdXaicc) und Epi-
tomen; darunter sind die bedeutendsten Kpit. Palatina in einem Heidelberger Pergamentcod.
398 s. X, Epit. Vaticana in Cod. 482 bombyc. s. XI V^, beide wichtig für Ergänzung der Lücken.
Ohne Bedeutung sind die Eclogae des Georgios Gemistos Plethon in einem cod. Ven. 379.
Ausgaben: Der Text erschien zuerst in latein. Übersetzung von Guarino 1470. —
Ed. princ. gr. apud Aldunr 151G aus schlechter Hdschr. -- Ausg. mit Kommentar von
Casaubonus, Par. 1620 (nach ihr sind die Seiten gezählt) — ed. Koraes, Par. 1815,
3 vol.; dazu kommentierte Übeisetzung, herausgegeben von Letronne, 1819, 5 Bde. —
Kritische Hauptausg. von KRAM4i;K, Berol. 1844 - 52, 3 vol. — Textesausg von Meineke
in Bibl. Teubn. — Ausg. von Car. Müller, mit 15 Karten, Paris 1858. — Karolides,
iTQußayyog ysioyQccg)ixiop rn i€ql MixQtig \4oLug, Athen 1889. - Exccrpta ex Stra-
hone ed. C. Müller in Geogr. gr. min. II, 529— 636. — Übersetzung mit erklär. Anm. von
Groskurd, dem kenntnisreichen Bewunderer des Autors, Berl. 1831—4.
447. Claudius Ptolemäus von Alexandria, der nach Suidas zur Zeit
M. Aureis (161 — 180) lebte, ist uns der Hauptvertreter der geographisch-
astronomischen Studien, wie sie in Alexandria seit Gründung der Stadt
unter Anlehnung an die altägyptische Priesterweisheit betrieben wurden.
Dieselben blieben, gestützt durch feste Organisation und ständige Hilfs-
mittel, von dem Wechsel der Herrschaft und des Zeitgeistes unberührt: im
Anfang der alexandrinischen Periode steht Eratosthenes mit seinen bahn-
brechenden Beobachtungen, am Ende des Altertums bewährten Theon und
Pappos den alten Ruhm der alexandrinischen Schule, in der Zeit der
Antonine ist es unser Ptolemäus, der von der fortschreitenden Entwicklung
der astronomischen und geographischen Studien Alexandrias Zeugnis gibt.
Seine in erster Linie die Astronomie, dann auch die Geographie und Har-
monik betreffenden Schriften sind uns zum grössten Teil noch im griechi-
schen Original erhalten, waren aber im lateinischen Abendland, ähnlich
wie die des Aristoteles, schon seit der Zeit Kaisers Friedrich IL, noch
»jehe sie im Original gelesen wurden, durch lateinische, nach dem Arabischen
1 1 gemachte Übersetzungen bekannt geworden.
Von den astronomischen Werken ist das hauptsächlichste die MtyäXii
572 Griechische Litteratiirgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
avvtcc^iQ Tjjg adTQovoiiiaq in 13 B,, die im Altertum von Theon und
Pappos kommentiert und im 9. Jahihundeit unter dem Titel Tabrir al
magcstld (woraus entstellt „Abnagest") ins Arabische übersetzt wurde. In
demselben legt Ptolemäus, auf den Beobachtungen und Schriften früherer
Forscher, insbesondere des Hipparch und Menelaos, fussend, das ganze
System der Astronomie dar. Da dasselbe auf der Annahme, dass sich die
Gestirne um die Erde drehen, beruht, so nennt man davon dieses System
das ptolemäische im Gegensatz zu dem kopernikanischen, welches letztere
bereits im Altertum Aristarch, der Lehrer Hipparchs, aufgestellt hatte.
Diesem astronomischen Hauptwerk sind die gleichfalls von Theon kommen-
tierten Handtafeln zur Kalenderberechnung [ttqöx^iqoi xavövsq) entnommen.
Der Kavwv ßaaiXfiwv, ein mit astronomischen Berechnungen zusammen-
hängendes Verzeichnis der Könige von Nabonassar bis Augustus, ist uns durch
seine Aufnahme in die Chronographie des Georgios Synkellos erhalten. Kleinere
astronomische Schriften sind cpccaeiq anXavMv daTSQMv, vrtoO^saeig rcov nXa-
vo^iibVMv, n€Qi avalr^fxuaTog (von der Sonnenuhr), anXwc^ig sTiKfaveiag acfaiQag,
von denen die beiden letzten nur durch die Araber auf uns gekommen
sind. — Dem Ptolemaios untergeschoben ist die TsTgdßißXog seil. ovvTa'^ig
(Quadripartitum), eine Sammlung astrologischer Sätze in 4 B., die den
Namen des grossen Astronomen davon erhielt, dass sie sich zum Teil,
aber nur zum kleinen Teil, auf Aussprüche desselben stützt.
Die rewyQa(fix}] v(frjyrj(ng (Anleitung zum Kartenzeichnen) in 8 B.
ist das wichtigste Handbuch der alten Geographie, an welchem sich bis in
die neuere Zeit hinein die geographische Wissenschaft und die Kunst des
Kartenzeichnens emporgearbeitet hat. Es beruht ganz auf mathematischer
Grundlage, auf Berechnung der Grösse der Erdkugel und Bestimmung der
Lage der Hauptorte nach ihrer geographischen Länge und Breite. Voraus-
gesetzt wird in ihm die Vorlage von Karten, in deren Netz die damals
bekannte Erde vom 10. Grad südlicher bis zum 60. Grad nördlicher Breite
und von den westlichsten Inseln Europas bis nach Java und Sumatra im
Osten eingezeichnet war. Der Hauptteil des Werkes, B. 2 — 7, besteht nur
in Tabellen über die Lage der eingezeichneten Orte nach Graden der
Länge und Breite. Im Entwurf der Karten war dem Ptolemäus vorge-
arbeitet von Marines aus Tyros, dessen Verdienste um die Chartographie
er I, 6 gebührendes Lob spendet. Übrigens würde man sehr irren, wenn
man nun glaubte, dass Ptolemäus oder sein Vorgänger von allen jenen
Orten, deren Lage er angibt, die Länge und Breite auch wirklich mathe-
matisch gemessen habe. Vielmehr liegen nur wenigen seiner Ortsbestim-
mungen wirkliche Messungen zu Grund; von den meisten Orten gibt er
nur die Grade an, in welche dieselben auf seinen Karten eingezeichnet
waren. Das muss man namentlich bezüglich der zahlreichen Städte Ger-
maniens festhalten, von denen wahrscheinlich keine einzige mit mathema-
tischen Mitteln bestimmt war. Dem Texte sind in den Handschriften auch
Karten (27) beigefügt; dieselben rühren von Agathodaimon aus Alexandria,
einem Gelehrten des beginnenden Mittelalters, her. ^)
') In den Handschriften selbst heisst es: I ßißXiwv oxtm ri]y oiy.ovfxh'r]v naaay 'Jycci^o-
ix XMv K'Aav^lov Uio^s^cdov yecoyQacptxoh' \ dcdfAioy 'J'Ae^avÖQevg vnervnwoev.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Bie Prosa, e) Dionysios. (§ 448.)
573
Die ^ÄQi^iovixd in 3 B. handeln von den Intervallenverhältnissen der
Musik mit steter Berücksichtigung der Lehre des Aristoxenos und der
Pythagoreer. Das 3. Buch, dessen Schluss nach einer alten Beischrift von
einem gewissen Gregoras ergänzt worden ist, bespricht in mystischer
Sprache die Ähnlichkeit der Tonarten und Intervalle mit den Zuständen der
Seele und den Bewegungen der Himmelskörper.^)
Von der Optik {omixrj TiQayfxaTsia) sind nur die Bücher II — IV und
diese nur durch die lateinische nach dem Arabischen gemachte Übersetzung
des Siziliers Eugenius auf uns gekommen.^) Gänzlich verloren gegangen
sind die von Suidas aufgeführten 3 Bücher Mechanik und die von Sim-
plicius citierten Schriften nsgl fiisTQrjaewg, ttsqI ^onrjg, azoiy^da. Das Gebiet
der Philosophie streift das erhaltene Büchlein nsQi xqittjqiov xal 7]y€i.iovixoi,
das im Geiste der stoischen Schule, zu der sich auch sonst unser Mathe-
matiker im wesentlichen bekennt, geschrieben ist.'^)
Von der Geographie ist die Ausgabe von Wilbekg-Grashof, Essen 1838-45 un-
vollendet geblieben. Im Erscheinen ist die Ausgabe von C. Müller cum adnotatinnünis
indicibus tahulis, bei Didot in Paris. — Berühmt ist die latein. Übersetzung mit 50 Karten
von Willibald Pirkheymee, Strassb. 1525. — Sonderausg. der Germania von Sickler,
Kassel, 1834.
Ptolem. Syntax, ed. Halma, Par. 181G, 2 Bde.; von demselben Gelehrten der Kom-
mentar des Theon zum 1. Buch, Par. 1821. - AVa'wV ßaaiXsiuji^, cpua etg dnXayioy, vno-
^easig xal nXaywfxepuiy ('<QX^^ ed. Halma, Par. 1820. — ^äaeig cmXavoUv aaTigtav xal avvu-
yiDyrj enLorjfxaaKov rec, Wachsmuth in Lydus de ost. et calendaria graeca, Lips. 1803. —
TeiQc'ißtßXo? ed. Camerarius, Nürnb. 1534; mit latein. Übers, von Melanchthon, Basel
1535. — Harmonica ed. Wallis Oxford 1682 in Op. math. t. III — Optika ed. Govi, Turin
1885, zusammen mit dem Kommentar des Porphyrios. — TIeqI xqltijqlov xal rjys^o-
vixov ed. Hanow, Küstrin 1870.
448. Dionysios der Perieget ist der sonst nicht näher bekannte
Verfasser der IJsQi/jyrjaig ir^g olxoviiu'vtjg in 1187 Hexametern. Schon die
Alten ^) waren darüber im Unklaren, wem von den vielen Dionysioi sie
das vielgelesene Buch zuschreiben sollten, ob dem Epiker Dionysios aus
Korinth oder dem Historiker Dionysios aus Milet oder dem Dionysios
aus Rhodos oder endlich, dem Dionysios aus Alexandria, der von Nero
bis Trajan in Rom als Bibliothekar und kaiserlicher Sekretär in ein-
flussreicher Stellung lebte. ^) Einen Fingerzeig zur Bestimmung der Le-
benszeit geben die Verse 1051 und 258 von der Besiegung der Par-
ther und der Demütigung der Nasamonen, welche auf die Regierung
des Vespasian und Domitian hinweisen;^') ein direktes Zeugnis, dass das
Werk unter Hadrian geschrieben wurde, enthält das neuerdings von
Leue entdeckte Akrostichon."^) In der Anlage des Gedichtes trat Dio-
^) Verwandter Art wird die Schrift ttsqI
Graiixi^g (corrige: tisqI nsQiGTazix^g) noiVjaeiog
ü;ewesen sein, aus welcher der Anonymus in
HoissoNADE, Anecd. IV, 458 e einen Satz
anführt.
'^) Nachweise von Martin, Boncompa(jni
BuUetmo IV, 464 ff.
^) Schon der Stoiker Poseidonios hatte
eine Schrift tisqI xQirrjQiov geschrieben; s.
Diog. 7, 54.
■*) Siehe den Artikel des Suidas. Besser
unterrichtet ist der alte Scholiast p. 427 ed.
Müll. (vgl. rü'og Jiovvaiov jov 7i€Qi7]yi]Tov
von Rühl publiziert Rh. M. 29, 81): Jto-
vvaiog 6 n6QLT]yt]Tt]g yiyovey viog Jiovvaiov
^J'As^ay&QEcog ' yeyoi^e di inl jmv ^IhouaixMV
)(q6i'iov fuerd Avyovaroi' Kaiaa^a ij in' aviov '
(ftQoyrai tfe avTov xal a),Xa (TvyyQäuuaia,
Aidiaxd TS xal \)QVL(^iaxd xal UaaaaQixd.
^') MÜLLER, Geogr. min. H p. XV— XXI I.
c) Unger, Jahrb. f. Phil. 1882 S. 44!) ff.
entgegen Tycho Mommsen (Dionysios der
Periegete, Frankf. 1879), der wegen V. 920
\ivii6xoio ya7a bis auf 92 — 8-'^ v. Chr. zurück-
gohon wollte.
^) Leüe, Piniol. 42, 175 fi'. hat von Very
574 Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
nysios in die Fusstapfen des Alexander aus Ephesos, der in Cäsars
Zeit ein astronomisches und geographisches Lehrgedicht in Hexametern
geschrieben hatte. Seinem Buch wurde ebenso wie den Phainomena des
Arat die Auszeichnung zu teil, dem Schulunterricht zu Grunde gelegt zu
werden. Infolge dessen wurde dasselbe in den folgenden Jahrhunderten
um die Wette übersetzt und kommentiert. Lateinische Übersetzungen haben
wir zwei, eine von Avien und eine andere, kürzere von Priscian. Von Er-
läuterungen sind ausser einer Paraphrase und dem weitläufigen Kommentar
des Eustathios gelehrte alte Schollen aus dem 4. oder 5. Jahrhundert auf
uns gekommen.
Ausgabe mit den alten Kommentaren und Noten von Bernhakdy, Lips. 1820 ; von
C. Müller in Geogr. gr. min. t. II p. 102 — 457. — Beiträge zur Paraphrase gibt Ludwich,
Aristarch. II, 553 ff.
44-9. Ein Dionysios^) ist auch Verfasser des ^AvdnXovg BoairoQov,
von dem uns das einleitende Kapitel im Originaltext, das übrige in einer
lateinischen Übersetzung vorliegt. Die letztere fertigte im 16. Jahrhundert
der französische Gelehrte Gilles in Konstantinopel nach einer inzwischen
verloren gegangenen Handschrift an. Die Schrift stammt, nach dem ge-
spreizten Stil zu urteilen, aus der Zeit der Sophisten und wird von Müller,
der dieselbe im 2. Bande der Geogr. gr. min. p. 1 — 101 neu herausgab, in
den Anfang des 3. Jahrhunderts gesetzt.
450. Von Isidor aus Charax am Tigris, der gleichzeitig mit Strabon
unter Augustus lebte und von Plinius dem Älteren als geographische Quelle
benützt wurde, haben wir ^ra^fxol üagO^ixot, nackte, hauptsächlich die Ent-
fernungen berücksichtigende Exzerpte einer Periegese des parthischen Reiches,
neben der Isidor auch noch ein allgemeineres Werk über die Masse des
Erdkreises geschrieben hatte. Ausgabe von Müller, Geogr. min. I, 244 bis
56; dazu die Erläuterungen p. LXXX, sqq.
Ahnlicher Art ist der 2Ta6icc(S{.i6Q TjToi nsqinXovg Trjg ^isydkrig S^aXäaar^q
(bei Müller, Geogr. min. I, 427 — 514), den ein anonymer Autor nach einer
alexandrinischen Quelle ^) in byzantinischer Zeit zusammengestellt hat.
Müller preist das Buch als ein opus lacertmi qiiidem sed xrretiosissimiwi ;
es enthält die reichste und sorgfältigste Küstenbeschreibung des mittel-
ländischen Meeres und bietet ungleich verlässigere Angaben als selbst
Ptolemaios. Die letztgenannten Werke und der ganze Aufschwung der
geographischen Studien im Beginne der Kaiserzeit steht in Verbindung
mit der Vermessung des römischen Reiches und der Aufnahme einer
Reichskarte, welche Kaiser Augustus unter Leitung des Agrippa ver-
anstaltet hatte. Über die einschlägigen Schriften des Arrian s. § 438.
451. Pausanias heisst der Verfasser der für Archäologie und My-
109 und 513 an 2 Akrosticha entdeckt, wo-
nach der Verfasser aus Alexandria {Jiovvaiov
XMv ifzog 4>dQov) stammt und unter Hadrian
{inl 'A^Qiavov) schrieb. Trotzdem hält Unger,
Jahrb. f. Phil. 135 (1887) S. 53 ff. an seiner
Meinung, dass die Schrift unter Domitian
strat erklärt.
') Suidas: Jiovvaioq Bvt,dvTiog inonorog '
nsQtt]yt]Giv rov eV toJ Bogtioqü) c<yc<rrkov,
nsQi ^Qt^viov. Der Artikel scheint eine Lücke
nach inonoiog zu haben.
'^) Dieses wird daraus geschlossen, dass
abgefasst sei, fest, indem er den Hadrian i der Periplus von Alexandria ausgeht. Näheres
des Akrostichons für einen römischen Magi- j bei Krumbacher im Abriss der byzant. Lit.
3. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, e) Pausanias. (§449—451.) 575
thologie einzig wichtigen IIsQi/jyijCfig rrjg '^EXXaSog in 10 B. Das Buch ent-
hält eine Beschreibung von Hellas oder doch des grösseren Teiles von
Hellas in Form einer Rundreise. Es beginnt mit Attika, speziell mit
Sunion, indem der Verfasser über das ägäische Meer nach dem Festland
Griechenlands kommt. Von Attika geht es weiter über Korinth nach dem
Peloponnes, und zwar auf derselben Route, welche auch jetzt noch die
Touristen zu nehmen pflegen, von Argos nach Lakonien, Messenien, Elis,
Achaia. Und wie heutzutag die Reisenden von Athen aus, wenn Zeit und
Geld reicht, noch eine zweite Rundreise nach den Hauptstätten des mitt-
leren Griechenlands zu unternehmen lieben, so schildert uns auch Pausanias
noch in einem zweiten Umgang die Landschaften von Böotien und Phokis
mit den Hauptstädten Theben und Delphi. Die übrigen, für die Kunst-
geschichte weniger interessanten und von den Reisenden schon damals
weniger besuchten Teile des westlichen und nördlichen Hellas lässt er
ausser Betracht. Demnach hat das 1. Buch den Titel 'Arzixd, das 2. Ko-
Qivdiaxd, unter welchem Titel zugleich Argos, Mykenä, Tiryns, Epidauros
mitinbegriffen sind, das 3. yiaxonixd, das 4. Msacrrjviaxä, das 5. und 6.
^Hhaxd, das 7. 'Axcüxct, das 8. 'AqxuSixcc^ das 9. Boimtixcc^ das 10. (I^wxixd.
Geschrieben ist das Werk unter den Antoninen, nach Hadrian, auf dessen
Bauten wiederholt Bezug genommen ist; speziell das 5. Buch fällt in das
Jahr 173, wie die Stelle V, I. 2 zeigt, wonach damals 217 Jahre seit Wieder-
herstellung von Korinth verflossen waren.
In der Periegese nimmt der Autor gleich unsern Förster und Burck-
hardt vorzüglich auf die Kunstdenkmale, die Bauten, Statuen und Gemälde
Rücksicht. Mit Vorliebe geht er dabei auf die Werke der alten Zeit und
die Weihgeschenke der Tempel ein, was schon in der hervorragenden Be-
deutung der alten Kunst und in der Vorliebe der Sophisten für die alte
Herrlichkeit Griechenlands begründet ist,^) aber doch seinen speziellen
Grund in der Beschaff'enheit der Quellen unseres Autors gehabt zu haben
scheint. Auf die Neuzeit hat derselbe wenig Bezug genommen, ausser wo
er Gelegenheit fand die Verdienste der letzten Kaiser, des Hadrian und
Antonin, hervorzuheben. Von den Orten zu reden, wo man Unterkunft
und leibliche Stärkung finden könne, hat er unter seiner Würde gehalten;
auch fehlten damals noch mehr wie heutzutag die Hotels und Restaurants
in Griechenland. Die Landschaften, von denen er erzählt, hat er unzweifel-
haft auch gesehen; er war ja ein Freund des Reisens, hatte Italien, Sar-
dinien, Korsika, Arabien und selbst das Orakel des Juppiter Ammon be-
[j sucht 2) und war in Syrien wie zu Haus.^) Aber berichtet er nun auch
alles, was er uns von Weihgeschenken, Kunstwerken, Kultgebräuchen er-
zählt, auf Grund eigener Beobachtungen? kam er nicht bloss auf seinen
Reisen nach Athen und Olympia, sondern hat er auch alle Erkundigungen
\ I ') Brunn, Pausanias und seine Ankläger,
Ijin Jaiirb. f. Phil. 1884 S. 23 IT., wo auch
t hervorgehoben ist, dass Pausanias massen-
f haft die alten Epiker, sehr selten den 1 X, 17; IX, 28. 3; IX, VI 1
l Dichter der Neuzeit, Kuripides, citiert. Zu '^) Paus. VI, 2. 7; VIII, 20. 2; 29.3.
i vergleichen ist das ähnliche Verhältnis des
Panathenaikos desRhetors Aristeides, worüber
unten S. 000.
'') Paus. V, 12. G; VIII, 17. 4; IX, 21.1;
576
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
über Bräuche und Sagen selber eingezogen, alle Inschriften von den Steinen
selber abgelesen? Der Glaube an eine solche Sorgfalt und Genauigkeit des
Pausanias ist in unserer Zeit durch die archäologischen Forschungen und
Ausgrabungen stark erschüttert worden. Zwar haben viele seiner Angaben,
wie von den Gräbern auf dem Marktplatz von Mykenä ^) eine glänzende
Bestätigung erhalten, aber zugleich hat sich herausgestellt, dass er viele
und bedeutende Denkmale, die zu seiner Zeit noch bestanden und dem
Reisenden in die Augen fallen mussten, mit völligem Stillschweigen über-
geht, wenn der Ursprung derselben der Zeit nach 150 v. Chr. angehört.
Nur bis dahin z. B. reichen seine Angaben über Weihgeschenke mit In-
schriften von olympischen Siegern, während die epigraphischen Funde
unserer Tage zahlreiche Siegesweihgeschenke aus jüngerer Zeit mitten unter
jenen älteren aufweisen.'^) Das lässt sich aus der Vorliebe des Periegeten
für die alte Zeit nicht zur Genüge erklären. 3) Wenn ihm der Faden so
plötzlich ausgeht, ohne dass das Verstummen mit einer einschneidenden
W^endung in der Kunst zusammenfällt, wenn er aus der früheren Zeit auch
vieles Unbedeutende und Mittelmässige erwähnt, aus der späteren Zeit aber
selbst das kolossale Monument des Agrippa am Aufgang zur Akropolis in
Athen mit Stillschweigen übergeht, so muss das mit den Schriftquellen
unseres Autors zusammenhängen, die eben nur bis zu jener Grenzscheide
ergiebig flössen. '•) Mit andern Worten, Pausanias hat wohl die beschrie-
benen Landschaften Griechenlands besucht, aber seine Periegese hat er erst
nach seiner Rückkehr geschrieben und sich dabei weniger an seine Notizen
und dasjenige, was er bei seinem flüchtigen Besuch mit eigenen Augen
beobachtet und aufgezeichnet hatte, gehalten als an den reichlicheren Stoff,
den ihm die damals landläufigen, enkyklopädischen Handbücher über My-
thologie und Litteratur und seine schriftlichen Spezialquellen boten. Diese
waren aber die durch zweite und dritte Hand gegangenen Schriften des
Periegeten Polemon, des Spezialhistorikers Istros und des Geographen
Artemidor, die er indes nicht ausdrücklich mit Namen nennt, ^) ebensowenig
wie den gelehrten Grammatiker, dem er die ausführlichen und interessanten
Nachrichten über die Geschichte Sardiniens und Korsikas (X, 17) ent-
') Diese Königsgräber aufzudecken ist
unserem grossen Landsmann Schliemann nur
an der Hand des Paus. IT, 16. 7 gelungen.
2) G. Hirschfeld, Arch. Zeit. 1882 S.
97 — 130; Einwendungen dagegen von Schu-
bart, Jahrb. f. Phil. 1883 S. 469 ff.
^) Diese finden wir in ähnlicher Weise
auch bei dem zeitgenössischen Rhetor Ari-
stides, der in seinem Lob auf Athen mit der
Schlacht von Chäronea abbricht; s. § 472.
^) Diese Anschauung ist hauptsächlich
zur Geltung gebracht worden durch Wila-
MowiTZ, der sich im Herm. XII, 346 folgender-
massen äussert: Das erklärt sich nur durch
die Annahme, dass Pausanias eine alte Vor-
lage gedankenlos ausschreibt, einzeln mit
den Reminiszenzen eigener Anschauung,
durchgehends mit denen anderer Lektüre
versetzt und schliesslich mit dem Rokoko-
mäntelchen sophistischer acpeksia und kin-
discher Herodotimitation umkleidet. Näheres
bei Hirt, De fontibiis Pausaniae in Eliacis,
Greifsw. Diss. 1878; Kalkmann, Pausanias
der Peiieget, Untersuchungen über seine
Schriftstellerei und seine Quellen, Berl. 1880;
dagegen Gurlitt, Pausanias, Graz 1890, und
Bencker, Anteil der Periegese an der Kunst-
schriftstellerei (1890), der S. 68 so weit geht
zu behaupten, dass Pausanias von Polemon
ganz unabhängig sei.
^) Angedeutet ist Artemidor mit (d'^Q
y^cfaoiog V, 5. 9; Polemon steckt unter den
oaoi fxvrjfxrjp tjsqI tov leQov 7isnob]vT(a VIII,
10. 2 und unter den noh'riQayfioi'tjacansg
anov^ll ig rovg nhloTag V, 20. 2. Schon
Preller, Polemonis fragm. p. 181 wunderte
sich, dass Pausanias den Polemon nirgends
nennt.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Die Philosophie. (§ 452.) 577
nommen hat. In dem Bericht über die mythische Vorgeschichte Messeniens
folgte er speziell dem Dichter Rhianos und dem Lokalhistoriker Myron
von Priene. ^)
Wer war nun dieser Pausanias, und woher stammte er? Fragen wir
ihn selbst, so bezeichnet er V, 13. 7 IliXonog dt xal TavräXov rr^g naq'
r^pXv ivoixi]a€wg öTj^isia tri xal ig toSs XsiTrarac Asien und speziell die
Gegend am Sipylos als seine Heimat. 2) Nun wird von Philostratos im
Leben der Sophisten II, 13 ein in seiner Zeit hochangesehener Sophist
Pausanias genannt, der Schüler des Herodes Attikos und Lehrer des
Aspasios war, der also der Lebenszeit nach recht wohl unsere Periegese
geschrieben haben könnte. Aber dieser Pausanias stammte aus Cäsarea,
nicht aus Vorderasien, und Suidas erwähnt von ihm Problemata und ein
Buch über Syntax, aber keine Periegese. Ausserdem passt der nachlässige,
zum Teil inkorrekte Stil der Periegese 2) wenig zu einem Sophisten, der
den Lehrstuhl der Beredsamkeit in Athen inne hatte. Mit Recht haben
sich daher Kayser und Siebeiis 9 gegen die Identität des Sophisten Pau-
sanias und des Verfassers unserer Periegese erklärt. Schwerer ist eine
Entscheidung darüber zu treffen, ob unser Perieget, wie sein Herausgeber
Schubart unter Berufung auf VIII, 43. 4 annahm, mit dem Historiker
Pausanias,^) der eine Geschichte von Antiochia schrieb, identifiziert werden
dürfe. Der letztere stammte freilich auch nicht aus Magnesia am Sipylus,
sondern aus Antiochia in Syrien; aber sonst stimmt die abergläubische Art
beider Autoren sehr miteinander überein, und spricht für ihre Identität
namentlich der Umstand, dass der Geograph Stephanos von Byzanz die
Schriften beider, die JIsQirjyijaig und die Kriaig ^AiTioxsiag, unterschiedslos
unter dem einfachen Namen Pausanias anführt. Sind sie identisch, dann
muss man annehmen, dass unser Perieget wohl aus Antiochia stammte,
aber später seinen Wohnsitz in Magnesia oder einer benachbarten Stadt
Vorderasiens aufschlug.^)
Pausan. ed. et adnot. Siebelis, Lips. 1822, 5 vol.; ad codd. fidem rec. Schubart
et Walz, Lips. 1838 mit krit. Apparat; rec. Schübaet in Bibl. Teubn., 2 vol. — Spezialausg.
Pausaniae descrij^tio arcis Athen, ed. 0. Jahn, neubesorgt von Michaelis, Bonn 18G0. —
Die Periegese von Olympia erläutert von Flasch, in Baumeister's Denkmälern des klass.
Alt. S. IGOG ff.
f. Die Philosophie.
452. Philosophen dem Namen nach gab es in der römischen Zeit
genug, aber sehr klein war die Zahl derjenigen, welche wirklich den Auf-
gaben der Philosophie ihre Thätigkeit zuwandten, und noch kleiner die
') Paus. V, 6. 1 ; vgl. Pfundtner, Die
liistorischen Quellen des Pausanias, Jahrb.
f. Phil. 18G9 S. 441 fF.; Kohlmann, Quaesti-
vm Messeniacae, Bonn 18GG.
'') Dazu vergl. I, 24. 8; VIH, 17. 3.
^) Pausanias gebraucht oliyov (teoy statt
(Alyov &e?v, oTToacc t/si ig, rd ig = q^iant ä;
vgl. Böckh, De Pausaniae stilo Äsiano, in
(Jcs. Sehr. IV, 208 ff.
«) Kayser ad Phil. Vit. soph. p. 357;
SiRBELTs in der Praef. der Ausg. des Paus,
■'') Derselbe heisst ü aotfiöjujog /(fofo-
liamlbuch der klass. Altertumswisscuscbaft. VII. 2. Aufl. 37
YQucfog bei Malalas p. 15G, 21 u. IGl, G in
Dindorf's Hist. gr. min., wo auch p. 154 - 1G4
die Fragmente desselben gesammelt sind.
Bei Constantinus Porph. de Ihem. I p. 17
scheint ovrs llavaatiag 6 JuiAaaxiji'dg aus
]lavaavicig ^o 'Jmio/Fvg ovis NixöXuog^ 6
Jtt^aax. verstümmelt zu sein.
®) Vgl. Kalkmann a. 0. S. 11 Anni.
Eine Prüfung der Frage der Identität vom
sprachlichen Standpunkt wäre sehr wün-
schenswert.
578
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
derjenigen, welche über das Niveau populärer Sittenlehre emporsteigend die
schwierigeren Fragen des philosophischen Erkennens zu lösen auch nur ver-
suchten. Dadurch, dass die eklektische Richtung der Philosophie immer
mehr Boden gewann, ward wohl die Schärfe der alten Gegensätze gemil-
dert, erlahmte aber auch zugleich die Energie eigener philosophischer Spe-
kulation. Die wenigen, welche überhaupt noch der Frage nach den obersten
Prinzipien näher traten, warfen sich entweder dem bequemen Zweifel an
der Möglichkeit sicheren Erkennens in die Arme oder erhofften, indem sie
die Wege einer ungriechischen Philosophie wandelten, statt von der eigenen
Forschung, von der vermittelnden Offenbarung göttlicher Weisheit die
Lösung der Rätsel. Im übrigen aber sank in den weiten Kreisen der Ge-
bildeten die Philosophie auf das Niveau hausbackener Verständigkeit herab,
so dass sie den Charakter hochstrebender Forschung über die obersten
Prinzipien des Seins und Thuns immer mehr verlor und statt dessen das
leichte Gewand allgemeinen enkyklopädischen Wissens annahm. Es nannten
sich daher auch in unserer Zeit ganz gewöhnlich Historiker, Geographen, Ärzte
und sonstige Gelehrte Philosophen, aber ohne dass sie sich mit philosophi-
schen Fragen ernstlich und in selbständiger Weise beschäftigten. Zur Ab-
nahme der philosophischen Denkkraft trat dann aber seit Hadrian noch die
Rivalität einer jungen Kunst hinzu, welche die alternde Philosophie in
den Hintergrund drängte und geradezu den Glanz ihres Namens in An-
spruch nahm,') das war die üppige, geräuschvolle Sophistik. Es bestanden
zwar noch in Athen und anderen Städten neben dem Rhetorstuhl {^Qovoq
QYjTOQixög) die alten Lehrstühle der Philosophie und ihrer verschiedenen
Sekten (mQtcrsig) fort; 2) aber dadurch, dass die Sophisten philosophische
Themata behandelten und durch den Glanz der Darstellung eines höheren
Ansehens sich erfreuten, sank der Einfluss der Philosophie und minderte
sich das Interesse für reinphilosophische Spekulation. Die Philosophen von
Profession beschränkten sich fast einzig darauf, die Lehren der alten Schulen
und Meister fortzupflanzen, und sie wurden dabei um so einseitiger und
unfruchtbarer, je mehr sie durch die Stiftungen ihrer Schulhäupter und die
nach Sekten geschiedenen Lehrstühle gewissermassen auf ein bestimmtes
Glaubensbekenntnis verpflichtet waren. Thätiger griffen in die Litteratur
diejenigen ein, welche sich mit Forschungen über die Geschichte der Phi-
losophie und mit Erklärung der philosophischen Schriften der klassischen
Zeit abgaben; es waren namentlich die Peripatetiker und Platoniker, in
welchen sich diese philologische Ader regte. Im übrigen hat es der Phi-
losophie an äusserer Förderung nicht gefehlt; neben den reichen Stiftungen
der alten Schulen und den guten Dotationen der neugegründeten Lehrstühle
kam derselben auch die Gunst der Kaiser zu statten. Augustus hielt den
Stoiker Athenodoros, seinen Lehrer, hoch in Ehren, und erklärte ostentativ
^) Philostr. vit. sopli. I pro!.: aocfioxaq
OL nuXaiol eTiotvö^al^ov ot' }x6vov tmv {)i]töq(x)v
roi^g vTiEQ(f(x}vovvTi(g je xal XajUTiQovg, dX^cc
xal xmv q)t).oa6cf(x)v jovg (Jvp evqoUc EQfxi]-
vEvoinag. Favorinus lieisst bei GelJius regel-
mässig pliilosoplius, bei Lukian, Dem. 12
ao^iazrjg. Vgl. Rohde, Gr. Rom. 320 f.
2) Luc. Eun. 3: GvinETuxTm ix ßaailEiog
f^iOx^ocpoQtcc rig oij tpavXi] y.azcl ysp^] To?g
cpiloGocfoig, Irotiixo'ig ^eyto xai JJlcawvLXoJg
y.(d 'EnLxovQEioig ETI xcd roTg ix rov tteqi-
TTf'cTov. ZuMPT, über den Bestand der philo-
sophischen Schulen in Athen. Abh. d. ßerl.
Ak. 1844.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Die Philosophie. (§453.) 579
nach der Niederwerfung des Aufstandes in Alexandria, dass er nur dem
Philosophen Areios zulieb den Bürgern ihren Übermut verzeihe; ^) Titus
verkehrte intim mit dem Philosophen Musonius, Nerva und Trajan mit Dion
Chrysostomos,2) M. Aurel mit Rusticus; selbst der finstere Tiberius hatte
gern den Platoniker Thrasylos um sich.^) Auf der anderen Seite blieben
freilich auch die gewaltsamen Reaktionen des römischen Kaisertums gegen
den Freimut der Stoiker und die zersetzenden Tendenzen der fremden Phi-
losophie nicht aus. Nachdem schon Nero bei Gelegenheit der Verschwörung
des Piso gegen die Philosophen, insbesondere Seneca und Musonius, gewütet
hatte, folgte eine zweimalige Vertreibung der Philosophen aus Italien, zu-
erst unter Vespasian, dann unter Domitian. Aber diese Verfolgungen waren
von keiner nachhaltigen Wirkung: die Philosophen kamen wieder oder zogen
sich nur von Rom zu ihren alten Sitzen in Griechenland und Kleinasien zurück.
Die erhaltenen Schriften tragen fast durchweg den Charakter eklek-
tischer Popularphilosophie; am besten noch ist die Lehre der Stoa ver-
treten. Plutarch bekennt sich zwar als Akademiker, aber die Akademie
selbst war schon seit Cicero und Philon eklektische Popularphilosophie
geworden. Die Zahl und der Wert der erhaltenen Bücher sind zu unbe-
deutend, um eine Gliederung in besondere Abschnitte zu fordern. Wir
werden daher mit einer einfachen Aufzählung der einzelnen philosophischen
Schriftsteiler uns begnügen, indem wir die Vertreter der neupythagoreischen,
judaisierenden, stoischen, sophistischen, skeptischen, historisch-biographischen
Richtung nacheinander besprechen.
453. Q. Sextius-(geb. um 70 v. Chr.) war Begründer einer um die
Zeit von Christi Geburt aufkommenden Sekte von Neupythagoreern, welche
die Reinheit des sittlichen Lebens und die Beherrschung der sinnlichen
Begierden als Hauptaufgabe der Philosophie betrachteten. Anhänger derselben
war unter andern Sotion aus Alexandria und dessen Schüler Seneca. Die An-
schauungen dieser Neupythagoreer sind niedergelegt in kurzen Sentenzen
(yvo^iai), die in ihrer sittlichen Strenge sich vielfach mit dem Christentum
berühren, aber auch viele Interpolationen in späterer Zeit erfahren haben.
Unter dem Namen Sextus, hinter dem man unseren Neupythagoreer Sextius
vermutet hat, fand Origenes c. Cels. 8, 30 eine Sammlung von Sentenzen vor,
von der uns Reste in lateinischer (von Rufinus) und syrischer Überarbeitung
erhalten sind. 4) Ahnlicher Art sind die moralischen Sprüche und Vergleichungen
des Secundus des Schweigsamen (unter Trajan),'') des Demophilos, Demo-
krates^) und eines gewissen Eusebios."^) Auch die goldenen Worte (/(»rG'a tTr?^)
^) Plut. Anton. 88; Cassius Die 51. (1;
Themist. or. V p. 75; VllI, 129; X, 155;
XIII, 212.
'^) Suidas u. Jicoi^ und die angefühlten
Stollen des Themistios.
•') ßuct. Aug. 14 u. 62; Tac. ann. VI,
20. Die Fragmente des Thrasylos bei Müller
FHG. III, 501-5.
**) Gildemeister, Sexti sent. schreibt die
Rcntonzon einem Sextus (nicht Soxtius) aus
ungewisser Zeit zu und weist das griechische,
a])er unvollständige Original in den J't'iofjca
Gu(fiu}' nach, welche Uoissonade, Anccd. 1,
127-134 aus dem Cod. Paris. 1G30 heraus-
gab. Über christliche Bestandteile in jenen
Sprüchen und die Schwierigkeit einen Kern
von Gnomen der Sextier herauszufinden s.
Zeller IIP, 1. 078 f.
■') Von Secundus hat Tischendorf einen
iSloc auf einem Pai>yrusblatt in Ägypten ge-
funden, worüber !Sal'ppe, Philol. 18, 523 ff".
^) Des Demokrates Sprüche sind in
ionischem Dialekt geschrieben.
^) Auch die durch Stobaios erhaltenen
Fragmente des Kusebios .sind in ionischem
Diak'kt geschrieben. Unsicher ist dieVermu-
*> '^ *
580
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
des Pytliagoras, des Gründers der Schule, die weisen Sprüche seiner an-
geblichen Frau Theano und die grösstenteils durch Stobaios uns erhaltenen
Sätze des Pythagoreers Archytas sind in den Kreisen der Neupythagoreer
entstanden, wenn in dieselben auch Aussprüche aus sehr verschiedener Zeit
Aufnahme gefunden haben.
Den Namen eines alten Schülers des Pythagoras, des Okellus Lu-
canus, von dem uns auch Stobäus ecl. phys. I, 13 einen Satz in dorischem
Dialekt erhalten hat, trägt die Schrift von der Natur des Universums [tisqI
TijQ Tov navTog (fvaaoog). Das Buch zerfällt in 4 Kapitel, von denen die
3 ersten die alten Probleme von der Ewigkeit und ünvergänglichkeit des
Kosmos, von dem Unterschied der bleibenden Substanz und der veränder-
lichen Eigenschaften, vom Bestehen der Teile der Welt, des Himmels, der Erde
und des Menschengeschlechtes, von der Zeiten Anfang her, in summarischer,
hauptsächlich auf Aristoteles fussender Beweisführung behandeln. Das
4. Kapitel gibt einen moralisierenden Abschluss, indem es der geschlecht-
lichen Verbindung der Menschen die Erhaltung des Geschlechtes durch
Zeugung kräftiger Kinder zur kosmischen und sittlichen Aufgabe stellt.
Von einem hohen Alter der Schrift kann keine Rede sein; sie ist in den
Kreisen der späteren Peripatetiker entstanden und erinnert speziell an des
Nikolaos Damaskenos Buch ti^qI tov nrnrog. Citiert wird Okellos bereits
in dem unter die Werke des Philon aufgenommenen Buche über die Ünver-
gänglichkeit der Welt; 0 da aber die Echtheit dieses Buches zweifelhaft ist, so
lässt sich daraus kein sicherer Schluss auf die Lebenszeit des Okellus ziehen.
Okelli, Opuscula Graecorum veterum sententiosa et moralia, Lips. 1821, 2 Bde.;
Pytliagoreorum aliorumque phüosoplioriim similitudines et sententiae, in Mullach. FPG. I,
485 ff., 11, 1 ff., Ill, 1 ff . — Sexti sententiarum recensiones ea:/ii6eif Gildemeister, Bonn 1873 —
llv&ccyoQov XQvau tn7] ed. Nauck, im Anhang des lamblichos, Petersb. 1884; dazu der
Kommentar des Hierokles in Mullach FPG. I, 416 ff. - Bachmann, Das Leben und die
Sentenzen des Philosophen Secundus des Schweigsamen, Halle 1887; Derselbe, die Philo-
sophie des Neopythagoreers Secundus, mit Nachweis äthiopischer und lateinischer Über-
setzungen, Berl. 1888. — Sprüche der Theano in syrischer Übersetzung herausgegeben von
Sachau, Inedita syridca, Wien 1870; ebenda eine Vita des Philosophen Secundus, die auch
in äthiopischer und ai abischer Übersetzung existiert. — ^OxiX'kov tov Asvxavov tieqI jrjq
TOV nayiog cpvosuig in Mullach FPG. I, 388—406.
454. Apollonios aus Tyana in Kappadokien, dessen Leben uns in
romanhafter Ausschmückung von Philostratos beschrieben ist,^) gehörte zu
den abenteuerlichen Grosssprechern und Wunderthätern des hellenisierten
Orients, welche in der römischen Kaiserzeit massenhaft auftauchten und
sich den Namen von Philosophen und Pythagoreern beilegten. Er lebte
unter Nero und Domitian in Rom, hatte aber auf ausgedehnten Reisen
tung von Mullach FPG. III, 5, dass derselbe
mit dem von Eunapios, vit. soph. p. 48 f. er-
wähnten Platoniker Eusebios aus Myndos
identisch sei.
^) Philon 71£qI U(fy^C(QOlfig XOOfAOV c. 3
p. 489 M.: tvioi de y.al jQiaToith] rijg d6^7jg
evQSTiqv "ksyovGiv, ulld xcd nuv UvxtayoQeiior
jivdg ' syoj cTe y.(d Oxt'XXov ovyyqu^fAUTi
Aevxttvov yivog iniyQacpo^tvM tisqI Ttjg rov
Tittvxoi (piiascog it^eiv/oh', fV a uyti'yToy xcd
äcpdciQToy ovx dnecpcdi'STo fÄÖvov, d'Aluxcd
cJV' dnodel^ecoy xareaxevctCs xov xoGfioy elvca.
Über die Stellung der Frage von der Ün-
vergänglichkeit der Welt in der Lehre des
Neuplatonismus vergleiche Sallustius TieQi
^EHüv xcd xöofxov c. 17.
2) Benützt hat Philostratos die älteren
Memoiren des Damis aus Ninus, der den
Apollonios auf seinen Wanderungen begleitet
hatte, ferner ein Buch des Maximus aus
Aigai, das die Wunderthaten des Apollonios
im Asklepiostempel zu Aigai in Kilikien ent-
hielt, und die Biographie des Apollonios von
Moiragenes in 4 B, Ein Athener Moira-
genes kommt vor bei Plut. Quaest. conv.
IV, 6.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Die Philosophen. (§454^455.) 581
auch Fühlung mit den orientalischen Theosophemen der Magier, Brahmanen,
Gymnosophen, vielleicht auch der Christen gewonnen. Suidas erwähnt von
ihm TeksToi tj negl ^vaiwv, Sia^rjxrj, xQ^J^I^^'y 67ii(SToXai\ JIvü^ayoQov ßiog.
Erhalten haben sich unter seinem Namen über 100 meist kurze, aber an
Kernsprüchen reiche Briefe (Epist. gr. ed. Herch. p. 110 — 130), die uns den
Mann von einer viel besseren Seite als das Buch des Philostratos erkennen
lassen. Aber die Echtheit dieser Briefe ist sehr fraglich, zumal die von
Stobaios aus Briefen des Apollonios angeführten Stellen sich in den uns
erhaltenen nicht finden, so dass jedenfalls Stobaios noch andere Briefe
unseres Philosophen gehabt haben müsste.^) Philosophische Briefe waren
aber in jener Zeit der Gedankenseichtheit eine sehr beliebte Form, sich
über philosophische Dinge, namentlich moralische Fragen auszusprechen;
wir lernen diese Richtung, die von Epikur an datiert, besser noch als aus
den Schriften der Griechen aus den Briefen des stoischen Staatsmannes
Seneca kennen.
455. Philon aus Alexandria, 2) der im Jahre 39 n. Chr. als Vertreter
der jüdischen Gemeinde von Alexandria eine Gesandtschaft nach Rom an den
Kaiser Gaius Caligula ausführte, 3) ist der Hauptvertreter der hellenistisch-
jüdischen Philosophie. Ein Verehrer Piatons ^) und ein Freund der Stoa
wurzelte er doch mit seinen Lebensanschauungen in dem Judentum und im
Glauben an die heiligen Bücher seines Volkes. ^^) Als Schriftsteller war er
ungewöhnlich fruchtbar und hat zahlreiche, zum grösseren Teil uns noch
erhaltene, aber erst nach und nach ans Licht gezogene Schriften hinter-
lassen.^) Einige derselben sind geschichtlich-biographischer Natur, wie das
Leben des Abraham, Joseph, Moses; andere beziehen sich auf die Zeit-
verhältnisse und die Stellung des Autors zu denselben, wie die von der
Gesandtschaft an Gaius und von dem Statthalter Flaccus;^) die Mehrzahl
derselben behandelt Fragen der Philosophie, insbesondere der Ethik, teils
von einem allgemeineren Standpunkt, wie über die Tapferkeit (tisqI aidgiag),
über die Menschenliebe {TceQi (fiXarO^QcoTitag), über die Trunksucht [TieQl
/iu'^rjg),^) teils im engeren Anschluss an die jüdischen Sitten und Gesetze,
') Die Echtheit der Briefe, bestreitet
Kayser, Praef. ad vit. Apoll, p. 5; ihm
stimmt im wesentlichen bei Westermann,
De epist. Script, praec. II, 22.
2) Ein Artikel von Suidas über ^iXiop
'lovö'a?og, aus neuerer Zeit von Steinhart in
Pauly's Kealencyklopädie des klass. Alt.
') Joseph. Arch. iud. XVlll, 8. 1 ; Philo
nsQi TiQeaßeiccg nQog ruiop ; Euseb, Hist.
eccl. 11, 5. 1.
"*) Sprichwörtlich sagte man nach Suidas:
ij UXchtav (piXoopiCsi y ^'ihoi^ n^arojyiCet.
^) Ziegler, Über Entstehung der ale-
xandrinisclien Philosophie, Vhdl. d. »?<). Vors.
<1. Phil. S. 33-42, wo namentlich auf den
Zusammenhang der Lehre Philons mit dem
pseudosalomonischen Buch der Weisheit hin-
gewiesen ist.
^) Unvollständig ist das Schriftenver-
zeichnis bei Suidas und Euscbios, Hist. eccl.
II, 18; doch enthält dasselbe mehrere Schrif-
ten, die nicht auf uns gekommen sind. Das
Schriftenverzeichnis in Fabricius Bibl. gr.
IV, 728 f. hat später noch wesentliche Er-
gänzungen durch den Fund armenischer
Übersetzungen und einzelner Originaltexte
erfahren. Auch Hexameter auä einem Ge-
dicht des Philon über Jerusalem citiert
Euseb. praep. ev. IX, 20 und 37.
^) Beide Schrifton bilden nur einen Teil
der 5 Bücher über die Stellung der Juden
unter Gaius.
^) Veranlasst wurde die Schrift ttsqI
juef^jjg duich den allegorischen Kommentar
zur Erzählung der dlcnesis von Noahs Wein-
bau; vorausgeschickt ist ihr p. 350 ed. M.
eine Darstellung der griechischen Erörterun-
gen über das CtJTtjfxcc aroCtg, si fi£(^va8^rj(seT((i
ö aocfog. das für die (leschichtc der stoischen
Philosophie v. Arnim, Quellenstudien zu Philo,
Phil. llnt. XI (1888) 101-140, verwertet.
KQ.9
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
wie über die Zehngebote (ti^qI tmv Stxa Xoyfcov), über die Spezialgesetze
(TTeQi Twr €v sTSei ro^wr), über die Beschneidung {ttsqI TrsQiToi^irjg); andere
endlich enthalten allegorische Deutungen der heiligen Schriften der Juden,
wie die lo^aojr ifQcoy dXhiyoqim zu Genes. II, 1 — 3, III, 19, tisqI yiydvTO)v
zu Genes. VI, 1 — 3, on arQ^mov t6 ^sTov zu Genes. VI, 4 — 13. i)
Durchweg vertritt Philon in seinen Schriften eine synkretistische
Richtung, indem er teils Moses in Piatons Sprache sokratische und stoische
Weisheit vortragen lässt, teils die Lehren der griechischen Philosophen,
eines Heraklit, Piaton, Zenon, aus mosaischen Quellen ableitet. Neu ist
bei ihm die Lehre von dem Logos, welcher als Mittler zwischen Gott und
Welt den Menschen die Gebote und Offenbarungen Gottes überbringt,
welcher der Gottheit als Eigenschaft der denkenden Weisheit innewohnt
und zugleich durch die sinnlich wahrnehmbare Welt als die in ihr sich
offenbarende göttliche Vernunft verbreitet ist. 2) Mit diesen Sätzen und der
damit zusammenhängenden Lehre von den Engeln und Dämonen 3) ragte
Philon in eine neue Welt hinein und beeinflusste in nachhaltiger Weise
die philosophischen Anschauungen der Gnostiker und christlichen Kirchen-
lehrer. Aber eben deshalb fällt auch eine eingehendere Betrachtung der
Werke und Ideen Philons ausserhalb der Grenzen unserer Aufgabe.
Untergeschoben wurde unserem Autor die lehrreiche Schrift über die
Unvergänglichkeit der Welt [ttsqI d^iyaqaiaq, xocri^iov),^) worin dieses von
Aristoteles angeregte Thema unter Berücksichtigung des auf- und abwogen-
den Schulstreites der Peripatetiker und Stoiker behandelt ist. Bestritten
ist auch die Echtheit des interessanten Buches von dem beschaulichen
Leben der Therapeuten {rregl tov ßiov ^swqtjtixov)/^) das also nicht mehr so
leicht als historische Quelle benützt werden darf, um das christliche Mönch-
tum und Einzelheiten des kirchlichen Ritus der Christen aus der Lebens-
und Kultusweise jüdischer Sekten Ägyptens abzuleiten. ß)
Codices: Laurent. 10, 20 s. XIII; Vaticanus 381; Monacens. (olim August.) 459
^) Zu gründe gelegt ist die griechische
Übersetzung der Septuaginta, in der Philon
besser als im hebräischen Urtext bewan-
dert ist.
2) Heinze, Die Lehre vom Logos in der
griechischen Philosophie, Oldenburg 1872,
S. 204 ff. Ausgegangen ist offenbar Philon
in seiner mysteriösen, keineswegs zur kon-
sequenten Klarheit entwickelten Lehre von
der Vieldeutigkeit des griechischen Wortes
^oyog, das die 3 Bedeutungen hatte: 1) ge-
äusserte Rede, 2) innere Vernunft, 3) Ver-
hältnis der Teile eines Ganzen zu einander.
^) Diese Lehre von den Dämonen, die
zwischen der Gottheit und den Menschen
vermitteln, hat ihre Quelle in Platon selbst;
vergleiche besonders Symposion c. 23: to
diatiovioy fASiaiv ion Oeov rs xcd ^pr]Tov
. . . 6lu tovxo naffc'c iazip rj o^iXia xcd rj
did/KexTog ^eoTg TiQog dpx^Qconovg. Von der
Aufnahme derselben in die synkretistische
Philosophie der römischen Kaiserzeit zeugt
besonders Augustin, de civit. dei IX, 19:
nonnulU istüviim ut itu dicam daemonico-
larum, in quibus et Labeo est, eosdem per-
hibent ab aliis angelos dici, quos ipsi dae-
mones 7iuncupant.
*) Echt kann die Schrift nicht sein,
weil sie mit Philons Glauben an die biblische
Erzählung von der Erschaffung der Welt
(s. ttsqI trjg Miovaewg xoofioTioiiug) in Wider-
streit steht; s. Bernays, Abhdl. d. Berl. Ak.
1876 u. Ges. Abhdl. I, 283-90; v. Aknim,
Über die pseudo-philonische Schrift nsQi
dcp&aQolag xoofxov, in Phil, Unt. XI, 1 — 52.
^j Lucius, Die Therapeuten und ihre
Stellung in der Geschichte der Askese,
Strassb. 1879, weist die Schrift einem christ-
lichen Verfasser des 3. Jahrhunderts zu.
Des weiteren beweist Ohle, Die Essäer dos
Philon, in Jhrb. f. prot. Theol. XIII (1887)
S. 288—394, dass auch in der Schrift, Der
Weise ist der wahrhaft Freie, die §§12 u. 13
von christlicher Hand zugesetzt sind.
^) Dass indes schon seit der Mitte des
2, Jahrhunderts v. Chr. die Essener eine
solche asketische Ordensgemeinde bildeten,
gilt als ausgemacht.
II
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Die Philosophen. (§456— 457.) 583
und 113. — P]d. princ. von Tüknebus, Par. 1552; vollständiger von Mangey, Lond. 1742,
2 vol. und von Pfeiffer, Erlang. 1795, 5 vol. Neue Funde von armenischen Über-
setzungen aus einer galizischen (gefunden von Zohrab 1791) und einer konstantinopolitaner
Handschrift, publiziert von Aucher, Venet. 1822; neue griech. Texte de virtute eiusqiie
])artibiis, de festo Cophini, de parentihtis colendis von Ang. Mai in der Ambrosiana und
Vaticana gefunden und publiziert Mediol. 1816/18 und in Script, class. t. IV, Rom. 1830.
Vollständigste Gesamtausg. von C. E. Richter, Lips. 1828 — 30, 8 vol. Danach wurden
noch neue Philonea von Tisghendorf, Lips. 1868 und von Harris (aus des Damaskenos
Parallela), Cambridge 1886 ans Licht gezogen. — P]inze]ausgabe von Phüonis Alexandrini
libeUus de opificio mundi ed L. Cohn, Vratisl. 1889 als specimen novae editionis operum
Fhilonis. — Für weitere Kreise empfiehlt sich die Chrestomathia Philoniana von Dahl,
Hamburg 1800, 2 Bde. - Erläuterungsschriften von Gfrörer, Philo und die alexandrini-
sche Theosophie, 2. Aufl. Stuttg. 1835; Ueberweg, Gesch. d. Phil. l\ 296 ff.; Zeller, Gesch.
d. gr. Philos. ni,=^ 2. 338 ff.
456. Die Sektenphilosophen, welche in der alexandrinischen Periode
eine so geräuschvolle litterarische Thätigkeit entfaltet hatten, sind in der
römischen Zeit, als das Interesse für die philosophischen Klopffechtereien
der sich gegenseitig befehdenden Systeme erlahmt war, allmählich still
und schweigsam geworden. Die Epikureer haben nur hier und da noch-
mals ihre Stimme gegen den hereinbrechenden religiösen Wunderglauben
erhoben; ') die Kyniker verlegten sich mehr auf das Poltern und ostentatives
Scheinheiligtum als auf litterarische Thätigkeit; am meisten sind noch die
Stoiker, an deren Tugendlehre sich die Besten der Zeit klammerten, in die
Arena des litterarischen Wettkampfes getreten. Von ihnen wollen wir auf
den folgenden Seiten im einzelnen handeln.
L. Annaeus Cornutus aus Leptis in Afrika war Lehrer des römi-
schen Satirikers Persius und wurde zugleich mit Musonius Kufus von Nero
aus Rom verwiesen. Auf uns gekommen ist von seinen in griechischer
Sprache geschriebenen Werken die ^EmdQoixri lojv xard Tt^v ^EXkrjvixt^v
^eoXoyiav naQaSsSoiitvMv^ eine früher überschätzte Kompilation nach den
grösseren Werken der älteren Stoa,^) insbesondere des Kleanthes nnd
Apollodor,^) die uns mit den allegorisierenden etymologischen Träumereien
der stoischen Mythenerklärung bekannt macht. ^)
4:57. C. Musonius Rufus aus Volsinii in Etrurien, ein charakter-
fester Stoiker, der durch Nero wegen der angeblichen Beteiligung an der
Verschwörung des Piso nach der Felseninsel Gyaros verbannt wurde,"')
später aber unter Galba wieder nach Rom zurückkehrte, schrieb gleichfalls
seine philosophischen Untersuchungen in griechischer Sprache und dieses
in einer an Xenophon erinnernden Eleganz. Suidas führt von ihm philo-
sophische Reden und Briefe an. Von den Briefen ist einer an Pankratides
erhalten (Epist. gr. ed. Herch. p. 401 — 4), w^orin er seinen Freund zur
') Über Celsus, den Verfasser des gegen
die Christen gerichteten \lXrji}i]g Xoyog siehe
unten unter Lukian und Origenes.
'^) OsANN in seiner Ausg. p. XXXIX sqq.
Cornutus selbst am Schlüsse seines Buches:
To?g TiQSoßvtiQoiq (piXo(T6(fotg efAov vvv im-
TSTfiirjjLiet^wg ccvid 71«q«(^ovp«l ooi ßovh](^ti'Tog.
^) MüNZEL, JJe Äpollodori tieqI O^euji^
lihro p. 25- 30.
"•) Ausgabe von Osann, Gott. 1844; von
C. Lakg, Lips. 1881. Des Cornutus unwür-
dig ist der seinen Namen tragende Persius-
konimentar; s. 0. Jahn. Proleg. in Persium
p. CXIII sqq. Krst aus dem s])aten Mittel-
alter stammen die sogenannten Disticha Cor-
nuti, neu herausgegeben von Liebl, Progr.
Straubing 1888.
•') Tacitus ann. XV, 71 : Virginium et
Musoniuni liufiun cldritudo uoiniius cxpuUt;
num Vir(jinius tindia iavcnum cloquodia,
3Iusonius ]traccej)iis sapientiac fovchat. Dazu
Tac. bist. lU, 81 u. Dio XVI, 13; vgl. § 473.
584
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Unterweisung seiner Söhne in der Philosophie ermahnt. Ausserdem sind
durch Stobaios höchst wertvolle Bruchstücke der Uuo^ivrjf^iovsvfxara Mov-
acorfov Tov cpiXo^öcpov von Pollio auf uns gekommen, i)
458. Epiktetos aus Hierapolis in Phrygien, von Geburt Sklave, 2)
wie sein älterer Landsmann Aesop, war Schüler des Musonius Rufus und
wirkte zuerst in Rom als hochangesehener Sittenlehrer der Stoa. Durch
Domitian bei der grossen Philosophenvertreibung des Jahres 94 aus Italien
verjagt, schlug er seinen Sitz zu Nikopolis in Epirus auf, wo er einen
grossen Kreis begeisterter Zuhörer um sich sammelte und bis ins 2. Jahr-
hundert hinein thätig blieb; sicher lebte er noch unter Trajan, aber auch
noch Hadrian soll mit ihm vertraulich verkehrt haben (Spartian, Hadr. 16).
Seine Philosophie beschränkte sich wesentlich auf die Sittenlehre, die er im
Geiste der Stoa auf Grundlage der Selbstbeherrschung aufbaute, in der er
aber auch Verkünder einer reineren, von den Schranken der Nationalität
und Geburt losgelösten und zur Anerkennung der allgemeinen Menschen-
rechte sich erhebenden Sittlichkeit wurde. Die Probleme der Logik und
und Physik lässt er als überflüssige oder doch untergeordnete Fragen bei
Seite; hingegen verbindet sich bei ihm die Pflichtenlehre eng mit der Lehre
von einem allweisen und allgütigen Gott, dem die Seele des Menschen ver-
wandt sei. Sein Hauptsittengesetz lautete dvt'xov xal arci^ov, auf der Fahne
seiner Philosophie stund geschrieben laigeTov saii %o tov cfiloadcpov axoXewv.
Seine Sätze sind uns vornehmlich in den Aufzeichnungen des Arrian {6ta-
TQißal ^Etuhh'itov und syxsiqiSiov) erhalten, denen in den Ausgaben die bei
Stobaios u. a. sich findenden Sentenzen und Aussprüche angehängt sind.*^)
In der Lehre und noch mehr in der Form knüpfte Epiktet an die Dia-
tribai des Bion Borysthenites (s. § 369) an: wie jener so ging auch er
über die engherzigen Systeme der Schulweisheit hinaus und liebte in der
Darlegung der sittlichen Grundsätze der Humanität die zwanglose Form
der Unterhaltung; die Verwandtschaft beider drückt sich schon in der
Gleichheit des Titels aus.
Vliilosojjhiae Epicteteae monumenta ed. Schwetghäuser, Lips. 1799; vgl. oben § 441
Über die aus einer Sammkmg von dnocp&eyfxnza stammenden Sentenzen (71) s. H, Schenkl,
Die epiktetischen Fragmente, eine Untersuchung zur Überlieferungsgeschichte der griech.
Florilegien, Stzb. d. Wien. Ak. 115 (1888) 443—546; R. Asmus, Quaestiones Ejjicteteae,
Freib. 1888.
459. Marcus Aurelius, der Philosoph auf dem Thron (161 — 180),
war durch seinen Lehrer lunius Rusticus in das Studium des Epiktet ein-
') Suidas u. TToXf'w*^ denkt dabei ver-
kehrter Weise an Asinius Pollio. Dass viel-
mehr L. Claudius Pollio zu verstehen sei,
schloss NiEuwLAND bei Peerlkamp p. 51
aus Plinius ep. VII, 31. 5: Musonii Bassi
memoriam tarn grata praedicatione prorogat
et extendit sc. Claudius Pollio, ut librum
de vita eius ediderit, wo indes jetzt Keil
nach der besten handschriftlichen Über-
lieferung Anni Bassi liest. Da bei Stobaios
Anth. II, 15. 46 ein Aovxiog als Verfasser
der 'Jno^vrj^ovehf^ccxa angegeben ist, so
denkt Eohde, Lukians Schrift Aovxiog S. 28 f.
an den Philosophen Lucius bei Philostr.
vit. soph. p. 64, 20. Ausgabe: C. Musonii
Rufi rell. ed. Peerlkamp, Harlem 1822. Über
Benützung durch Clemens Alex. s. Wend-
land, Quaest. Muson., Berl. 1886.
-) Sein Herr war der Grammatiker
Epaphroditos aus Chäronea, der Freund des
Josephos. Ein Epigramm auf Epiktet steht
Anth. VII, 676, worin er als ^ovlog und
aojfi' avÜ7ir]Qog bezeichnet wird.
^) Ein Pov(fog ix tiov 'Enixxrjxov ttsqI
(piXlccg wird citiert bei Stob. Flor. 19, 13.
Ausserdem gehen die Selbstbetrachtungen
des Marc. Aurel auf Epiktet zurück.
B. Römische Pe riode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Die Philosophie. (§ 458 — 460.) 585
geführt worden. Während seiner Regierung schrieb er in Mussestimden die
uns erhaltenan Selbstbetrachtungen {rd elg iavvöi' in 12 B.), die in apho-
ristischer Form ein erhebendes Bild philosophischen Seelenadels enthalten.
Auch er weist wie Epiktet die rein theoretischen Untersuchungen als schwer
lösbar und wenig fruchtbar ab und findet das Schwergewicht der Philosophie
in der Bildung des Charakters und der Beruhigung des Gemütes. Lebend
in einer Zeit des Egoismus und der sittlichen Fäulnis betrachtet er das
Leben mit einem tiefen Anflug von Melancholie. Die Welt des Körpers ist
ihm ein unbeständiger Fluss, die der Seele Traum und Wahn, das Leben
selbst Krieg und Wanderschaft in der Fremde (II, 17). Ausser dem grie-
chischen Buche sind uns von unserem Kaiser auch mehrere lateinische Briefe
in den Werken des Fronto erhalten.
Oinomaos aus Gadara, ein Kyniker des 2. Jahrhunderts, zog nach
Art seiner älteren Zunftgenossen Menippos und Meleagros mit rückhalts-
losem Freimut gegen den Mythenglauben und den damals üppig blühenden
Orakelhunibug zu Feld. Seine Schrift ForjTMv g^wQa, von der uns der
Kirchenvater Eusebios, Praep. ev. V, 19 — 36 einen längeren Abschnitt er-
halten hat, nennt Jak. Bernays (Lukian und die Kyniker S. 35) die leben-
digst geschriebene Prosaschrift des 2. Jahrhunderts, i)
Neueste Ausgabe des Marcus Aurelius von Stich 1882 in Bibl. Teubn. — Saarmann,
De Oenomao Gadarensi, Diss. 1887, wozu die abfällige Kritik von Bukesch, Klaros S. 63 ff.
460. Wie oben schon bemerkt, nahm im 2. Jahrhundert die Sophistik
die Maske der Philosophie an. Wie in Piatons Zeit erhoben auch jetzt die
Sophisten den Anspruch die Vertreter der eigentlichen Lebensweisheit zu
sein. Aber doch nur einige von ihnen haben sich näher mit Philosophie
beschäftigt und haben über philosophische Dinge in ihrer Art geschrieben.
Zu diesen gehören vornehmlich ausser Dion Chrysostomos, den wir unten
unter den Sophisten behandeln werden, Favorinus und Maximus Tyrius.
Favorinus^) aus Arelate in Gallien, von Geburt, wie man sagte,
Androgyn, war der gelehrteste und angesehenste Sophist und Philosoph der
hadrianischen Zeit. Seine ausgebreitete Gelehrsamkeit und seine weniger
folgerichtige als vermittelnde Art zu philosophieren lernen wir zumeist aus
seinem Bewunderer, dem römischen Grammatiker Gellius, kennen. Ver-
dankte er auch sein Ansehen zumeist seinen gutgesetzten und mit klang-
voller Stimme gesprochenen Vorträgen, so hat er doch auch durch zahl-
reiche Schriften seinen Namen auf die nächsten Generationen vererbt.
Dieselben waren ähnlich wie die seines befreundeten Zeitgenossen Plutarch^)
teils philosophischen, teils historischen und grammatischen Inhaltes. Eine
Fundgrube mannigfacher Gelehrsamkeit bildete für die Späteren, insbesondere
für Diogenes, sein Miscellanenwerk UccvroSanr] vXij aus mindestens acht
Büchern. Verwandten Inhaltes waren seine 'ATtoiivriiiovevixata^ die gleich-
falls öfters von Diogenes citiert werden, und der von dem Geographen
Stephanos u. 'Porrflg erwähnte Auszug aus den Historien der Pamphile.
Von seinen philosophischen Schriften erwähnen Gellius XI, 5 und Suidas
, ') Suidas unter Oh'ouaog erwähnt von I ^) l'hiJostr. vit. sopli. l, 8 mit den Kr-
|ihm noch tt^qI xvi'ktuov {r; xvi'oc: avTotfon^Uc). ' läuterungcn Kayseks p. 181 ff.
\noXiTEU(. TJ8()( XTjQ x«»'/' "()f4i]()oi^ (p(Xo(JO(piag, •') Vgl. riutarch Sympos. VIII, 10.
ItjsqI KQurrjTog x(d ./loyt'yovg. I
586 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
in dem einschlagenden Artikel: IIvQQMveiot tqotxoi in 10 B., neQi Trjg ^O^itjqov
(fiko(yo(fi'ag, TTfQl ^wxQacovg xal Trjg xaz' aviov sganLxrjg rty^vrig^ ttsqI IlXd-
rwrog^ negl rr^g Siahrjg Torr (fiXoaocfMV u. aJ)
Die Fragmente sind gesammelt von Makres, De Favorini Ärelatinensis vita studiis
scriptis, Utr. 1852; Müller FHG. III, 577—585. — Fr. Nitzsche, De Favorino Arelatensi
im Rh. M. 13, 642 ff. Aus seiner von Suidas erwähnten Gnomensammlung hat neuerdings
Freudenthal, Rh. M. 35, 416 ff. aus einem Cod. Paris. 1168 einige Reste mitgeteilt.
461. Maximus Tyrius, den man wie den Favorinus ebensogut den
Sophisten wie den Philosophen zuzählen könnte, lebte nach Suidas unter
Kaiser Commodus; schon von Eusebios ward er mit dem Stoiker Maximus
verwechselt, den der Kaiser M. Aurelius zu seinem Lehrer hatte. Erhalten
sind uns von unserem eklektischen Platoniker 41 Aufsätze, SiaX^^eig ge-
nannt,^) deren Erhaltung wir nur dem Zufall verdanken, da ihr innerer
Gehalt keineswegs ein so bevorzugtes Geschick verdiente. Es sind kurze
Vorträge populärer Natur meist über abgedroschene Themata, wie 7tsqi
TjSovrjg, TTiQi sQdnog, ti TtXog (fiXodocfiag, si eünv ayad^ov ccyad^oi {xsX^ov,
Ti To Saifxoviov ^MXQccTovg. Selbst die Aufsätze sl ^soTg dydXfxaTa ISQvn-ov
(or. 8) und d av{.ißccXXetai rrgog aQSTijv id iyxvxXia fxad^rjpiaTa (or. 37), die
etwas mehr versprechen und unseren Autor als einen vielgereisten Mann
und begeisterten Freund der Musik erkennen lassen, erheben sich nicht
viel über das Niveau allgemeiner Reflexionen. Auch die Form der Unter-
redungen ist nicht sonderlich zu rühmen; überall werden, meist zur Unzeit,
Verse aus Homer eingelegt,-'^) hie und da auch solche aus Sappho, wie
namentlich im 24. Aufsatz, wo die Erotik des Sokrates durch überein-
stimmende Stellen aus Piaton und der lesbischen Dichterin beleuchtet wird.
Geschmacklos im Stil ist namentlich die Masslosigkeit in der Anwendung
der Anaphora und Epimone; hielten gute Redner darauf nicht leicht mehr
als 3 synonyme Ausdrücke zu gebrauchen, so kann sich Maximus mit 6
und 10 nicht genug thun.
Ausg. ex. rec. Davisii cum adn. Marklandi, cur. Reiske, Lips. 1774; ed. Dübner,
Par. 1840.
462. Sextus Empiricus Hess die Lehre der alten Skeptiker, des
Pyrrhon aus Elis und Ainesidemos aus Knossos, wieder aufleben. Über
die Persönlichkeit und Lebenszeit desselben ermangeln wir sicherer An-
gaben. Aus Diogenes IX, 116, der ihn unter den letzten Skeptikern auf-
führt, ersehen wir nur, dass er kurz vor Diogenes lebte, Schüler des Hero-
dotos aus Tarsos und Lehrer des Saturninus war. Da auf der anderen
Seite Galen ihn nirgends erwähnt, wiewohl er oft Gelegenheit dazu gehabt
hätte, so wird er nicht vor Galen, aber vielleicht noch vor dessen Ableben,
um 180 — 200, geschrieben haben. Suidas konfundiert ihn mit dem Neffen
des Plutarch und Lehrer des M. Aurel, Sextus aus Chäronea, sowie mit
dem christlichen Historiker Sextus Africanus; denn wenn er den Verfasser
der nvQQMveia Libyer nennt, so steht dem die erhaltene Stelle des Sextus,
') Neuere haben dem Favorin die Ko- | t?;? jiQwrrjg i-niörjfiiag.
rinthische Rede, welche unter den Reden j ^) Den Homer hat Maximus immer auf
Dions steht, zuweisen wollen; worüber unten
§ 470.
''^) Die ersten 6 Vorträge haben die ge-
sonderte Überschrift tmv eV Vtä^ß ^uili'ieoiv
den Lippen, gleichwohl ist er so urteilslos
in der 30. Unterredung dem Homer den
Arat als 7iot7]Trjy oi'cFfv aöo^öregoi^ gegen-
über zu stellen.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f) Die Philosophie. §461—463) 587
Pyrrh. III, 213 entgegen, wo sich der Verfasser ausdrücklich als Griechen
bezeichnet und die Griechen den thrakischen und libyschen Barbaren gegen-
überstellt. Seines Berufes war unser Philosoph ein Arzt der empirischen
Richtung, wovon er auch den Beinamen o sfjLTrtiQixög erhalten hat. In seiner
Jugend hatte er auch über medizinische Dinge geschrieben; er selbst er-
wähnt Log. I, 202 seine 'larQixd v/roijivrjfjiaTa, von denen die 'Ei^iTteiQixd
vnofjivrji.iaTa (citiert adv. gramm. 61) nicht verschieden gewesen sein werden.
Hinterlassen hat er: 1) JIvQQoh'€ioi vTioTVTiwo^sig in 3 B.,^) in welchen er
die Lehre des Pyrrhon, des Begründers der Skepsis, in den Hauptumrissen
(sr TVTTfo oder vnoTVTiMaei) darlegt, 2) 2x€TtTixä in 10 (11) B.,^) in denen
er die zweifelnden Einwände gegen die Sätze der einzelnen Wissenschaften
entwickelt. Von diesen 10 Büchern sind nach der überlieferten und bis auf
Bekker auch in den Ausgaben befolgten Ordnung, die aber dem zeitlichen
Verhältnis der Abfassung nicht entspricht, die 5 ersten Bücher gegen die
Vertreter der enkyklopädischen Disziplinen {TCQog ^la^rjfuaTixovg), nämlich
Grammatik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astrologie, Musik gerichtet,
die 5 letzten gegen die dogmatischen Philosophen {TtQog ^oyinaTixovg), und
zwar gegen die 3 Hauptteile der dogmatischen Philosophie, Logik, Physik,
Ethik. Die beiden Schriften sind mit logischer Schärfe, aber in trockener,
nur durch häufige Dichtercitate unterbrochenen Sprache geschrieben. Ihr
Hauptwert besteht in der reichen Belehrung, die sie uns über die genannten
9 Disziplinen und ihre Hauptvertreter bieten. In den Handschriften und
älteren Ausgaben stehen nach jenen 2 echten Schriften noch 5 ethische
Deklamationen 3) in dorischem Dialekt. Dieselben rühren aber von einem
Stoiker her und gehören w^ahrscheinlich dem Sextus von Chäronea, dem
Neffen Plutarch's an.
Sexti Emp. oi)era cum versione et notis ed. Fabricius Lips. 1718, ed. 11. 1842;
kritische Ausg. von Imm. Bekker, Berl. 1842; die ethischen Aufsätze stehen in Opusc. graec.
sentent. ed. Oeelli, II, 210 ff. - Pappenheim, De Sext. Empirici lihrorum numero et
ordine, Berl. 1874; von ebendemselben Übersetzung mit Erläuterungen in Kirchmanns
Philosoph. Bibl., Leipz. 1877.
463. Auch andere Arzte in der Zeit des Hadrian und der Antonine
liebten es mit philosophischen Fragen sich abzugeben; neben Sextus Em-
piricus war ein Hauptvertreter dieser Richtung der vielseitige und schreib-
selige Arzt Galen, auf den wir unten bei den Spezialwissenschaften zurück-
kommen werden. Diesem Galen wird in den Handschriften auch ein viel-
verbreitetes Kompendium der Geschichte der Philosophie (rahjvov neQl
(fiXoaoifov IcTOQtag) zugeschrieben, das aber erst gegen Ende des Alter-
^) Ähnlich lautete der Titel des Haupt-
werkes, welches Ainesidemos schi'ieb, näm-
lich IlvQQ(x)veiwi' Xöyojt^ ßiß'Aia oxtm nach
Diog. IX, 116; über deren Benützung durch
Sextus s. DiELs, Doxogr. 209 if.
2) Gewöhnlich wird dieses Werk mit
dem Titel adv. mathem. citiert, aber dieser
Titel kommt nur dem 1. Teil des AVcrkes zu.
Der Titel Ixethixü, wofür Haas, Über die
Schriften des Sext. J]mpirikus (Progr. von
Burghausen 1883) S. 10 'Ynofii'i^fiaru axsn-
Tiyu nach den Andeutungen dos Autors selbst
(Geom. HG, Mus. 52 etc.) vorschlägt, findet
sich nicht in den Handschriften, wohl aber
bei Suidas u. Diogenes IX, 116. Bekker
betitelt das Werk nach Math. 35 'Aviif^Qt]-
Tixci Die Ausgaben deuten durch Über-
schriften 11 B. an; wenn Suidas u. Diog.
nur 10 B. angeben, so beruht dieses wahr-
scheinlich darauf, dass der kleine Abschnitt
gegen die Arithmetiker mit dem verwandten
gegen die Geometer zu 1 Buch verbunden
wurde.
^) Suidas fand sie schon vereint vor,
wenn er dem Sextus Chaeronous beilegt
tjOixu €'y nv^()Qt6i'ei(cy, axcnuxu.
588 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
tums entstanden ist und dadurch, dass die Mediziner es als Leitfaden für
die Einführung in die Philosophie gebrauchten, unter die Werke des Galen
gekommen zu sein scheint.^)
Über die philosophischen Erklärer des Piaton und Aristoteles,
über Thrasylos, Adrastos, Aspasios, Alexander Aphrodisiensis, Theon haben
wir bereits oben bei den Philosophen, deren Erklärung sie ihre Thätigkeit
zuwandten, gesprochen; der akademische Eklektiker Plutarch hat in an-
derem Zusammenhang § 423 ff. seine gesonderte Besprechung gefunden.
464. Laertius Diogenes, oder wie andere sagen Diogenes Laertius,
d. i. Diogenes von Laerte einer Stadt Kilikiens,^) nimmt unter den Histo-
rikern der Philosophie die erste Stelle ein, freilich wesentlich nur dadurch,
dass uns sein Hauptwerk Bioi (fUoaocpMv, genauer Bioi xal yvwijiai, tmv €v
(fiXoao(fia €vSoxiii7j(fdvTO)v in 10 Büchern auch erhalten ist. Von den Lebens-
verhältnissen und der schriftstellerischen Thätigkeit des Verfassers wissen
wir nichts, ausser dass er neben dem erhaltenen Werk auch noch Epi-
gramme in verschiedenen Versmassen '■^) auf berühmte Männer geschrieben
hat. Selbst über seine Lebenszeit ermangeln wir eines ausdrücklichen
Zeugnisses; mit Bestimmtheit können wir nur sagen, dass er nach Sextus
Empiricus, den er IX, 116 nennt, und vor Stephanus von Byzanz, der ihn
citiert, gelebt haben muss. Am wahrscheinlichsten ist es, dass er vor dem
Aufblühen des Neuplatonismus, unter Alexander Severus und seinen nächsten
Nachfolgern geschrieben hat. Ein selbständiger Denker und philosophischer
Kopf war er nicht; er hat nicht einmal zu einer der bestehenden philo-
sophischen Sekten bestimmte Stellung genommen, es bricht nur hie und
da seine Hinneigung zur Lehre des Epikur durch; er hatte in erster Linie
nur Sinn für die litterarische Seite der Philosophie, insbesondere für den
Anekdotenkram und das Privatleben der Philosophen. Dem erhaltenen
Werk ist wahrscheinlich ursprünglich ein Widmungsbrief an eine hohe
Dame, eine Freundin der platonischen Philosophie, vorangegangen.*) Im
Proömium führt er die Anfänge der Philosophie auf die Magier, Chaldäer,
Gymnosophisten und Druiden zurück. Sodann behandelt er in B. I — II, 4
die ältesten griechischen Philosophen und Weltweisen bis auf Anaxagoras
und Archelaos, in B. II, 5 — IV Sokrates und die Sokratiker, in B. V Ari-
stoteles und die Peripatetiker, in B. VI Antisthenes und die Kyniker, in
B. VII die Stoiker von Zenon bis auf Chrysippos, in B. VIII Pythagoras
und die Pythagoreer mit Einschluss des Empedokles und des Mathematikers
Eudoxos, in B. IX Heraklit, die Eleaten und Skeptiker, in B. X Epikur,
dem er wie Piaton ein ganzes Buch widmete.
Das Werk, wichtig und interessant durch die Fülle von biographischen
und litterarischen Nachrichten, ist es weniger durch das Verdienst des
') Bearbeitet ist dasselbe von Diels,
Doxogr. gr. p. 597—648; vgl. p. 258.
■^) Die Lesart schwankt in den Hand-
schriften des Diogenes selbst und in Steph
denen Versmassen begegnet uns bei dem
Lateiner Terentianus Maurus, einem Zeit-
genossen unseres Diogenes.
4) Vgl. III, 47 u. X, 20; unter jener
Byz. 239, 15 M. zwischen Aaegriog Jio- Dame haben die einen die Arria, die Freundin
yivYjq u. Jioyevrjq AccsQtiog; in Steph. G95, 7, des Galen, andere die Kaiserin Julia Domna,
steht Jioyevri? 6 AaeQxievg. die Gönnerin des Philostratos, vermutet.
^) Die gleiche Spielerei mit verschie- i
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, f Die Philosophie. (§464— 465.) 589
Verfassers, als durch die Studien seiner kritiklos ausgeschriebenen Vor-
gänger, i) Es steht so Diogenes auf einer Stufe mit Alian und Athenaios;
er stimmt aber auch darin mit jenen überein, dass er, um sich den Schein
grosser Gelehrsamkeit zu geben, mit Citaten von Werken um sich wirft,
die er nie gesehen und die er nur aus den von ihm ausgeschriebenen Kom-
pendien kannte. Die richtige Erkenntnis dieses Verhältnisses ist besonders
in neuerer Zeit durchgedrungen, 2) wenn auch die bestimmte Ermittelung
des Autors, den Diogenes unmittelbar ausschrieb, nicht gelungen ist. Vor-
gelegen haben zunächst dem Diogenes ein kompendiöses Buch von den
Successionen {Siaöoxoci) in den einzelnen Philosophenschulen, eine Samm-
lung der Lehrsätze {döy^taTa) der einzelnen Sekten, eine Sammlung von
philosophischen Aussprüchen {dnoifd^ky^aTa) berühmter Männer. Von den
bedeutenderen Werken, die er als seine Quellen citiert, kannte er aus
eigener Lektüre die 'EmdQOßtj (fiXoaögan' des Magnesiers Diokles, eines
Zeitgenossen Ciceros, und die TlaitodaTu] laioQia des Favorinus. Aber
in diese seine Quellen war vieles übergegangen aus den älteren litterar-
historischen Werken des Hermippos, Antigonos von Karystos, Apollodor,^)
Demetrios Magnes und ausserdem aus einigen Spezialwerken der Philo-
sophengeschichte. Die Erinnerungen an die grossen Philosophen hatten
sich nämlich zunächst durch die Traditionen der Philosophenschulen er-
halten, welche in den Testamenten und Bibliotheken ihrer Stifter einen
festen Rückhalt hatten. Aus jenen Schulen waren auch Darstellungen des
Lebens und der Lehre der Stifter und einzelner hervorragender Glieder der
Schule hervorgegangen, wie der Epikureer Apollodoros über das Leben des
Epikur (Diog. X, 3), der Platoniker Speusippos über Piaton (Diog. III, 2),
der Peripatetiker Hermippos über Aristoteles (Diog. V, 1) geschrieben hatte.
Eine zusammenhängende Darstellung brachten die Jiccöoxcu (fiXoaö(fun\ die
seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. aufgekommen zu sein scheinen und sich
dann durch die ganze Folgezeit hindurchzogen. Als Verfasser solcher
Jiaöoxai werden genannt Sotion (um 200 v. Chr.), dessen umfangreiches,
aus mindestens 33 Büchern bestehendes Werk Herakleides Lembos um
150 V. Chr. in einen Auszug brachte, ferner Nikias aus Nikäa, der nur
bei Athenaios vorkommt, und zwar zweimal (p. 162d und 505b) so mit Sotion
verbunden, dass Athenaios die Kenntnis des Sotion nur aus Nikias geschöpft
zu haben scheint, sodann Sosikrates aus Rhodos, dessen Buch die hand-
liche Form eines Kompendiums hatte,*) endlich die Kompilatoren Alexander
Polyhistor, Diokles, Philodemos, Antisthenes, Hippobotos.
') Als auf ein Zeichen seines Unver-
standes sei auf das Verzeichnis der Werke des
Aristoteles verwiesen, das er nach den alten
alexandrinischcn Katalogen gab, während
doch schon längst die Schriften des Aristo-
teles vollständiger durch Andronikos ediert
worden waren. Die Nachlässigkeit des Dio-
,i;('nes und seiner Abschreiher im Zusamnien-
Itinion ihrer Exzerpte und Vorlagen beleuchtet
l'sKNER, Kpicurea XXI sqq.
''') Fr. Nietzsche, De Lncrtii fontibus,
im Rh. M. 25, «)8'2 ff.; 24, 181 ff. ; 25, 181 ff.,
wo Favorinus und Diokles als Hauptquellen an-
genommen sind ; Maass. De hiograpJiis graecis
quaesiiones sciectue, in Phil. Unt. H. III, der
alles auf Favorinus zurückführen will, und dem
Rudolph, Leipz. Stud. VII, 12(1 ff. beipflichtet;
dagegen WiLAMowiTz in der vorausgeschickten
Epistola und in rhu. Unt. IV, 330—349; vgl.
Freudenthal, Hell. Stud. III exe. 4.
•^) Ausser den älteren litterarhistorischen
Werken benützte Diogenes auch noch das
Buch des Argivcrs Lobon 7ie(>l nonjnor,
den Htller, Rh. M. XXXIII, 518-539 als
einen Hauptfälscher enthirvt hat.
') Ein 3. Buch citiert Ath. 1G3 f.; nach
590
Griechisclie Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Ed. princ. Basil, 1533; cum adnot. variorum (Menagii al.) ed. Meibomius, Amstelod.
1692; ed. Hüebi5er et Jacobitz, Lips. 1833, 4 vol.; ex italicis codicibus nunc ^jnwritw ex
cussis reo. Cobet, Paris 1850 u 1802. Eine Ausgabe mit ausreichendem kritischen Apparat
gehört noch zu den desideria philologorum; über die wichtigsten Handschriften s. Wachs-
MUTH, Sillogr. gr. 51 tf, und Usener, Epicurea prol. VI sqq.
465. Wir schliessen an Diogenes dasjenige an, was uns von alten
Doxographen oder von Sammlern der philosophischen Lehrsätze erhalten
ist. Neben der Nachfolge in den einzelnen Philosophenschulen waren es
die charakteristischen und unterscheidenden Lehrsätze (Jo/ftar«, J6^«/,
ccQbaxovTo), welche die philosophisch gebildeten Gelehrten der alexandrini-
schen und römischen Zeit interessierten. Die Peripatetiker hatten diese
Richtung philosophischer Geschichtsforschung angeregt. Schon Aristoteles
hatte in mehreren Werken, besonders in der Metaphysik und in den Büchern
von der Seele, der eigenen Spekulation einen historisch-kritischen Abriss
der früheren Anschauungen vorausgeschickt. In seine Fusstapfen trat
Theophrast mit seinen 18 Büchern ^vaiycdrv So'^mv. Von den Stoikern
hat der zu historischen Forschungen sich hinneigende Poseidonios ähnliche
Zusammenstellungen gemacht, aus denen Cicero und Seneca schöpften.
Näheres wissen wir von den Sammlern der Kaiserzeit: Areios Didymos,
ein eklektischer Stoiker aus Alexandria, schrieb im Beginne unserer Zeit-
rechnung eine Epitome der ethischen und physikalischen Lehren des Piaton,
Aristoteles und der Stoa; dieselbe war eine Hauptquelle des Stobaios;
einige Abschnitte daraus hat uns der Kirchenvater Eusebios erhalten.
Aetios um 100 n. Chr. ist der Vater des umfangreichen Werkes über die
Sätze der Naturlehre, von dem uns unter dem Namen des Plutarch der
wichtige und vielbenützte Auszug nsQi tmv uQtanovTwv (j^^iXoaöqoig (fvaixwv
doyf^iaion' und ausserdem vieles durch Stobaios und den christlichen Bischof
Theodoretos erhalten ist.
DiELs, Doxographi graeci, Berol. 1879, wo p. 265 — 65G unter dem Titel Doxo-
cjrupliorwn graeeorum reliqniae die Reste dieser Litteratur herausgegeben sind. — Theo-
doreti 'E'/.h]i'ix(i)y nadij^udtoiv d^EQanevxiy.rj rec. Gaisford, Oxon. 1839.
g". Die Sophistik.
466. Die alten Rhetoren haben 3 Perioden der Beredsamkeit unter-
schieden, eine der alten Staatsmänner Athens, eine zweite der sogenannten
10 attischen Redner, und eine dritte der sophistischen Rhetoren Asiens zur
Zeit der römischen Kaiser.^) Diese 3. Periode geht auf Dionysios und
Cäcilius zurück, die unter Augustus das Studium der attischen Redner in
Rom eingeführt hatten.
Denn dieser Zweig der griechischen Litteratur fand
wie kein zweiter Beifall bei den Römern, welche in den stürmischen Zeiten
des untergehenden Freistaates die Schlagfertigkeit der Rede als Haupthebel
ebendemselben p. 2Gle, 263f, 561 e und Stra-
bon p. 474 schrieb er auch KQt]rLX((; unter
den berühmten Rhodiern nennt ihn Strabon
p. 655 nicht, woraus man schJiessen möchte,
dass er nach Strabon gelebt habe.
1) Proleg. in Arist. Panath. JII, 737:
TQsTg (poQal QrjToQMu ysyovaaiv, mv t] fxev
TiQüirt] uyQa(piog e^sysp, rjg iarl Qe/uiaTo-
xXijg xccl lleQixktjg xal ol xai^ ixeifovg ^/j-
roQsg, fj de dei'tSQcc iyyQctcpMg e'As)'ey, ?;?!J
eail JrjfxooS^svrjg xal Jta/ivijg xal ^iGoxQc'arig
xal avp avToig ij TiQarrof^evr] twv (njioQCJi'
dsxag ' xal avrat al dvo (poQal ev ^J&ijvuig
ysyovaaiv, r) 6e rv/tj xal rrj 'Jala rovTiov
dooQsTrai cpoQuv, tqltjji^ ovaav EniGTrjfxiji',
rjg iarl UolE^mv, "H^cucT?^? xal \4QioTEidi]g
xal oX xaid joviovg Toi>g ^Qovovg yEyovaoi
()tJTOQEg.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§465 — 4G6.) 591
politischen Einflusses ansahen und auch nachher noch der auf die Waffen
gestützten Gewalt der Kaiser die Macht der Rede im Senat und vor Ge-
richt entgegenstellten. Aber wenn auch so die griechische Beredsamkeit
von vornherein in Rom Verständnis und Beifall fand, so musste sie sich
doch, so lange den Griechen im öffentlichen Leben der Mund verschlossen
blieb, in den engen Grenzen der Theorie und der Schule halten. Erst als
das Griechentum grössere Bedeutung im römischen Reiche gewann und
einzelne Griechen zu einflussreichen Stellungen bei Hof und in der Staats-
verwaltung gelangten, trat auch die griechische Beredsamkeit aus dem
Dunkel der Schule allmählich mehr in das Licht der Öffentlichkeit, so dass
die grossen Vorbilder der Vergangenheit nicht mehr bloss gelesen und
kommentiert, sondern auch nachgebildet wurden. Das geschah in steigendem
Grade seit der Regierung des Kaisers Nero, der ohne von echtgriechischem
Geiste durchdrungen zu sein, doch den Glanz griechischer Bildung mehr
als die Strenge des Römertums liebte. Den Höhepunkt aber erreichte diese
Richtung im 2. Jahrhundert unter Hadrian und den Antoninen, die ihre
Vorliebe für griechische Bildung überall zur Schau trugen, in Athen und
den griechischen Städten Kleinasiens Lehrstühle für Philosophie und Rhe-
torik errichteten und selbst griechisch zu schreiben sich bemühten. ') Damit
wuchsen den Griechen wieder die Flügel; zwar die alte Freiheit und Selbst-
ständigkeit wieder zu gewinnen, dazu machten sie nirgends einen Anlauf;
sie erkannten willig die Oberherrlichkeit der Römer an, aber sie pochten
um so mehr auf ihre Überlegenheit in geistiger Bildung {naidsia) und priesen
Athen und die alten Städte Griechenlands als die geistigen Nährmütter
aller im römischen Reiche vereinigten Völker.'^) Natürlich wurden solche
Ansprüche am liebsten da gehört, wo in der Bevölkerung das griechische
Element überwog und Schulen griechischer Weisheit blühten; das waren
aber ausser Athen, der alten Burg griechischer Bildung, die hellenischen
Städte Kleinasiens, Smyrna, Ephesos, Rhodos, Pergamon, Antiochia. Nach
verschiedenen Seiten erstand hier das Griechentum zu neuem Leben: die
nationalen Götterfesto wurden wieder in altem Glänze gefeiert,^) neue Tempel
und Odeen erhoben sich, geschmückt mit den Bildwerken archaisierender
Künstler; nicht nur Theater und Gymnasien thaten sich wieder auf, auch
zur Unterweisung in der Weisheit drängte sich wieder wie zur Zeit des
Piaton und Isokrates eine lernbegierige Jugend um die Lehrkanzeln be-
') Vgl. Beknhaedy, Innere Gesch. der
gr. Litt. 509 ff.; Rohde, Griecli. Sophistik
iler Kaiserzeit in Griech. Roman 288 ff.;
'iREGOKOvius, Der Kaiser Hadrian, 3 Aufl.
S. 307 ff. und 842 ff. Als philosophischen
Schriftsteller haben wir ij 459 M. Aurelius
kennen gelernt; auch Hadrian schrieb nach
Cassius Dio 69, 3 TieC« y-<(i^ ^^ eneai Tiottj-
fAKia 7ittfTo&(ini'(, seine fieXtrca erwähnt Pho-
tios cod. 100, seine yAtxu/uvcii im Geiste des
Antimachos. Spartianus, vit. Hadr. 14.
'^) Aristid. Panath. p. 183 Jebb: // vrv
'■i'XV yV^ ^^ ^■^^'^ yiuXunrjg (sc. 'l*(i)fiaio)y)
(ii'x ilvcdvercti rag 'JSijfag jurj ovx ii' dida-
^) In Attika wurden wieder die grossen
Dionysien, die Eleusinien und Panatlieniien
begangen; nach den letzteren, die i. J. 12(>/7
Herodes Attikos in glänzendster Weise er-
neuerte, wurde sogar eine neue Jalneszäh-
lung eingeführt; s. Dittenberger, Die atti-
sche I'anathenaidenära, in Comnient. in hon.
Momms. 242 — 53. Auch die Nationalspiele
in Olympia, Delphi, auf dem Isthmus und in
Nemea gelangten wieder zu grösserem Glänze,
wobei sich Hadrian eine Verschiebung der
Zeit und des Ortes erlaubte, indem er die
Nemeen in den Winter nach Argos, der Haupt-
stadt der Landschaft, verlegte; s. Paus. XVf,
Ui. 4.
592
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
rühmter Schulhäupter, i) Die Litteratur aber, in der diese neue Richtung
hellenischer Renaissance ihren entsprechenden Ausdruck fand, war die
Sophistik.^)
467. Der Name Sophist ist uns schon aus der sokratischen Zeit und
aus den Dialogen Piatons bekannt; dort bezeichnete man damit nicht bloss
die mit dem Schein der Weisheit prunkenden Afterphilosophen, sondern
auch Männer wie Gorgias und Thrasymachos, welche weniger auf ihr philo-
sophisches Wissen als auf ihre Kunst im Reden stolz waren und teils als
Lehrer der Beredsamkeit teils als wandernde Festredner auftraten.^) An
diese zweite Art von Sophisten knüpfte die neue Sophistik der römischen
Kaiserzeit an;*) denn auch sie ging aus den Übungen der Rhetorenschulen
hervor und suchte in den Vorträgen der Wanderredner ihren Glanz. Ihren
Ursprung aus dem Schatten der Schule verriet sie darin, dass der grössere
Teil ihrer Reden nicht Fragen des öffentlichen Lebens betraf, sondern sich
im Kreise fingierter Schulthemata bewegte. Aber mit dem stillen Leben
in der Schule gab sich die eitle, prunkliebende Sophistik nicht zufrieden;
sie suchte und fand Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Kunst in der Öffent-
lichkeit. Zwar das eigentliche Feld der rednerischen Thätigkeit, die poli-
tische Beratung war derselben so gut wie ganz entzogen, und auch zu
den Gerichtsverhandlungen war ihr der Zugang, wenn nicht geradezu ver-
sperrt, so doch erschwert.^) Das kaiserliche militärische Regiment liebte
eben nicht die Aufregung politischer Reden und schloss aus den Sitzungen
des kaiserlichen Rates die Öffentlichkeit aus. Aber bei dem Empfang der
Kaiser und kaiserlichen Statthalter, bei der Einweihung von Tempeln und
Odeen, bei den öffentlichen Festen und Leichenfeiern glänzte der Sophist im
festlichen Talar^) mit dem auserlesensten Schmuck seiner Kunst, und auch
ohne solchen äusseren Anlass fand sich überall in jenen Zeiten des müssigen
Schöngeistertums zu den populären Erörterungen philosophischer und lit-
terarischer Fragen ein Kreis beifallspendender Zuhörer zusammen.')
^) Ein vom Kaiser besoldeter Lehrstuhl
der Rhetorik (6 «Vco d^göi/og) gab es seit
Vespasian (Suet. vit. Vesp. 18) in Rom, seit
Antoninus Pius in Athen (Capitol. vit. Ant. 11)
und bald auch in andern Städten. Daneben
statteten die Gemeinden Lehrstühle der Rhe-
torik und Philosophie mit Privilegien und
Gehalten aus. Über ihre Zahl unterrichtet
der Codicill des Antoninus Pius bei Mode-
stinus Dig. XXVII, 1. 0: fd fLiSf iXäTtovg
noleig ^vvavTca neure taxQovg uxslsTg t^Siv
xcd TQsTg aocfiotccg xccl ygcc^^arixotg jovg
Xoovg, al de fxeiCovg nokeig diy.a icnQovg y.ai
(itJTOQag 7i£VT8 y.cd yQccjLifxurixovg Tovg l'aovg.
Vgl. RoHDE, Gr. Rom. 801 ff.
^) Bezeichnend ist der Ausspruch Lu-
kians Rhet. praec. 1 : ro asfxporuiov xcd ndv-
ii^ov 01^0 fxa <TO(fiaTtjg.
^) Plat. ^Tim. p. 19e: t6 de rcJr oog)i-
GTüiu yivog av noXkioy fxsv ^oycoy xcd y.aluiv
uVkbiv ^äV sf^nsiQoy rjyov^ai, cpoßovuca ds
jut] 7i(og are TiXap7]Tdy oV x«r« noXeig olxijaeig
T€ idiag ovdufxij dioixtjxog äoTo^oi' iifxa cpi-
Xoa6(p(oy (cpdQcoy ß xcd noXuiXMy.
^) Dion Chrys. unterscheidet or. XIL
p. 372 R. noch ()7JT0QCig und aotpiarcig, ge-|
braucht aber meistens schon beide Ausdruck«
promiscue. Der Name aocpiairjg erhielt dei
Vorzug, weil (njrwQ bei den Griechen dei
Staatsredner und Staatsmann bezeichnete.
^) Ganz ausgeschlossen waren die Soi
phisten aus den Gerichtssälen nicht, wie maaj
aus dem Beispiel des Niketes, Theodotos,
Apollonios bei Philostr. vit. soph. I, 19. 1;
21. 3; II, 2: 20. 1; 32. 4 und Dion. or. VII ,
p. 229 f. ersieht. l|
^) Siehe LucianRhet. praec. 15; Philostr,
vit. soph. I, 25. 2; II, 10. 2; Synes. Diou
p. 34 R. Später wurde der TQißiov cpoivixovg
die privilegierte Uniform der Sophisten in
Athen.; s. Olympiodor in FUG. IV, 03 f.
Daher stammt wohl der rote Talar der Pro-
fessoren der Jurisprudenz.
') Von 1000 Zuhörern eines Sophisten
erzählt Arrian, P]pict. III, 23.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§ 467—468.) 593
468. Damit war auch schon Geist und Richtung dieser neuen Litteratur-
periode bestimmt. Auf sachliche Belehrung kam es den Sophisten wenig
an, alles Gewicht legten sie auf Schönheit der Sprache und geistreiche
Wendungen, auf den Prunk gelehrter Bildung und die Schlagfertigkeit im
Reden aus dem Stegreif («rzocr;^^ Jm^^B-). Die Zuhörer wollten nicht durch
den Redner aufgeklärt und überzeugt, sondern nur in einen Rausch der
Begeisterung versetzt werden. Von den drei alten Gattungen der Rede
kam nur die eine, die epideiktische Prunkrede in ihren verschiedenen Spiel-
arten [Xoyoi nay'tjyvQiHoi', auixcccfioi, sntxr'^dsioi, €yxMf.ua, 7TQoa(fcüvrj(T€ig) zur
Geltung im öffentlichen Leben: daneben machten sich die Übungsreden
(^asXi-Tm) in der Schule und die Causerien {^akai) in den Unterhaltungs-
sälen breit.') Für die formale Bildung war diese Übung im Reden und
im Nachahmen der alten klassischen Muster von grossem Einfluss; ihre
Bedeutung machte sich nicht bloss in den Reden und Deklamationen, son-
dern auch in allen anderen Zweigen der Litteratur geltend; sie bewirkte
die Rückkehr zum Attikismus und nährte die grammatischen Studien der
Attikisten; sie drängte die Nachlässigkeit des Stils, die in den Schriften
der Sektenphilosophen und der gelehrten Sammler eingerissen war, erfolg-
reich zurück; sie weckte und belebte das Studium der klassischen Meister.
Aber man darf darüber nicht die Kehrseite des Bildes übersehen; die ganze
Richtung der Litteratur ward eine gekünstelte, unnatürliche; hiess es einst
von der echten Beredsamkeit pecfus est qiiod disertiim facit, so redete sich
jetzt der Redner förmlich in eine affektierte Begeisterung hinein. Die Rede
wurde unwahr und geriet sachlich und sprachlich in eine gespreizte Über-
schwenglichkeit, bei der Gemüt und Herz leer ausgingen. Sie verfiel um
so mehr dieser falschen Richtung, als sie sich an die Stelle nicht bloss
der Philosophie, sondern auch der Poesie zu setzen suchte. Die Sprache
der Prosa bekam so eine unnatürliche poetische Färbung, die einfache
Grazie der klassischen Zeit ward in einer Unmasse von Metaphern und
Neubildungen ertränkt. Schlimmer war eine andere Schattenseite der
Sophistik: dadurch dass dieselbe den rednerischen Tiraden zulieb die
Sachlichkeit des Inhaltes hintansetzte, ja geradezu Mangel an Exaktheit
des Wissens zur Schau trug^ ist sie innerlich leer und hohl geworden und
I hat der Kritiklosigkeit und dem Aberglauben der Zeit Vorschub geleistet.
i Mag mancher gedächtnisstarke Gelehrte mit Zahlen und Eigennamen uns
übermässig belästigen, mehr doch lernen wir von ihm als von jenen
I Sophisten, welche überall der Nennung von Zahlen und Namen durch af-
fektierte Umschreibungen aus dem Wege gingen oder die Bestimmtheit
, der Zahl durch hinzugesetztes oi'iuu wieder verwischten.-) Um ja nicht
die Reinheit des griechischen Sprachgewandes zu beflecken, hat ein Haupt-
repräsentant der Sophistik, Aristides, in seiner Lobrede auf Rom keinen
einzigen römischen Namen gebraucht. Infolgedessen tragen die Schriften
der Sophisten so ausserordentlich wenig zur Bereicherung unseres histori-
') Kine reiche Materialsammlung des 1 tT'etV M^Qonrjv Taixi'iQMv, oi/uai Je xal t^
Tioibens der Sophisten gab der belesene | eine ^^jviov avjöHei' en'ui nXoth^, II, 415 oldcc
.lesuit Lud. Cresolli, 'J heatrtini reterum de xccl yluxioyixdg iivicg ÖQXV^^f^ >f«t tq((-
rhetoriiiii oraforiun (Icdamatornm, Vrv. l(\20. . . . .
'^) Vgl. Aiistid. t. II. p. 346 ed. Jebb.: tcf)j
yixüq y ireQuc, F\uaeXei((g oifiut xaXov/ueruc;.
} audbuch ilcr klass. Altortuuiswisscnschaft. VII. 2. Aufl. 38
594 Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
sehen und archäologischen Wissens bei, infolgedessen kamen aber auch
ihre Zeitgenossen immer mehr von der Schärfe des Denkens und der Ge-
nauigkeit der Beobachtung ab und warfen sich statt dessen der schwär-
merischen Ekstase und dem fremden Aberglauben in die Arme. Kurzum die
Sophistik gab das preis, was das klassische Altertum gross gemacht hatte,
„die edle Einfalt und stille Grösse."
469. Die Sophistik hat zwei Glanzzeiten gehabt, eine ältere unter
Hadrian und den Antoninen und eine jüngere unter Julian und dessen
Nachfolgern. Beide haben ihre Geschichtschreiber gefunden, die ältere an
Philostratos, die jüngere an Eunapios.i) Ihre Biographien müssen uns für
die grossen Verluste, welche die Litteratur an wirklichen Reden erlitten
hat, Ersatz bieten. Denn von den meisten Sophisten ist gar nichts auf
uns gekommen, und selbst die gefeiertesten unter ihnen sind für uns blosse
Namen. In den Kanon wurden von den Sophisten 10, also gerade so viele
wie attische Redner aufgenommen, nämlich Dion Chrysostomos, Nikostratos,
Polemon, Herodes Attikos, Philostratos, Aristides, und wahrscheinlich noch
Libanios, Themistios, Himerios, Eunapios.-) Ehe wir uns zu diesen wenden,
müssen wir noch ein paar Worte von den Vorläufern der Sophistik sagen.
Den x^nstoss zur Entwicklung der Sophistik gab, wie wir oben be-
reits bemerkt haben, das unter Augustus von Dionysios und Cäcilius neu-
belebte Studium der attischen Redner. Aber als den eigentlichen Wieder-
erwecker der Sophistik bezeichnet Philostratos im Leben der Sophisten I, 19
den Niketes aus Smyrna, der in der Zeit des Xerva blühte. Bezeichnend
ist dessen Herkunft aus dem asiatischen Smyrna, da sich darin der enge
Zusammenhang der Sophistik mit der asianischen Beredsamkeit des Hege-
sias und seiner Schule kundgibt.''^) Ihm ging noch voraus Lesbonax aus
Mytilene, der ein Zeitgenosse des Pompeius war^) und sich ausserordent-
lichen Ansehens bei seinen Zeitgenossen erfreute. Von ihm las Photios
cod. 74 noch 10 Reden: auf uns gekommen sind 3 kleine Deklamationen,
welche nach dem Muster der olynthischen Reden des Demosthenes Auffor-
derungen zum Krieg gegen die Thebaner in phrasenreicher Sprache enthalten.
470. Dion,") der von seinem Gönner, dem Kaiser Nerva, den Bei-
namen Cocceianus, und von seiner Beredsamkeit den Ehrennamen Chrv-
^) Den Philostratos imd Eunapios be-
nützte Siiidas oder dessen Gewährsmann
Hesychios. der aber daneben noch andere
Hilfsmittel gehabt haben mnss, wie man aus
den Artikeln '.-/omrf/cf/^c und lue'oios sieht.
'-) Über diesen zweiten ßeduerkanon
s. Suidas u. yixoaTQarog. Schob zu Lucian
de Salt. 09, Philostratos vit. soph. II. 1. 14.
Anthol. YII. 573.
3) RoHDE, Eh. M. 41. ITC. Unser So-
phist scheint eine Person zu sein mit Nicetes
Sacerdos bei Tac. Pial. 15 n. Plinins Ep,
VI, G.
"*) Von diesem Lesbonax heisst es bei
Suidas ^Isaßiöfu^ Mvnki^yaiog cfi/.öaog^oc, )'S-
yoywi; inl --/r/orTTor. nccrtjo JJorra/dJ/oc tov
(fiXoaöcfov. Die Zeitangabe kann nicht ganz
richtig sein, da nach Inschriften, welche un-
längst Cichorius in Mytilene fand (^Kom und
Mytilene. Leipz. 1S88'. Potamon. der Sohn
unseres Lesbonax, im J. 29 v. Chr. als Mit-
glied einer Gesandtschaft nach Rom kam.
Damit modifiziert sich das Resultat der Unter-
suchung, welches Rohde. Gr. Rom. 841 f.
über die verschiedenen Lesbonax anstellte.
Die Mytileueer ehrten ihren verdienten Mit-
bürger durch die ^lünzaufschriften ^Isaßiora^
cfiXöaocfog und ^leoßtoyu'^ iiQiog reo; (Mionnet
descr. des monn. 116 suppl, 84 u. 85).
'") Philostr. vit. soph. I, 7: Synesios
Jiiüy: Suidas u. Jüoy: Phot. cod. 209. Em-
PEKius, Opusc. phil. et hi.st. 102 — 10: Burck-
HAKDT. "Wert des Dio Chrys. für die Kenntnis
seiner Zeit, treftlicher Aufsatz in Schweiz.
Mus. IV, 97 — 191; P. Hagex. (^iHaestiones
Dioneae, Kiel 1887. W. Schmid. Atticismus
1. 72 — 191. wo speziell von der Spiache
unseres Rhetors gehandelt ist.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§4(39— 470.) 595
sostomos (Goldmund) erhielt,') ward um die Mitte des 1. Jahrluiiiderts in
Prusa, einer Stadt Bithyniens, von angesehenen Eltern geboren. Schon
unter Vespasian zu Ehren gelangt und nach Rom gezogen, geriet er bei
dem argwöhnischen Kaiser Domitian wegen seiner Verbindung mit einem
vornehmen, von dem grausamen Despoten hingerichteten Römer-) in Ver-
dacht und wurde infolge dessen aus Rom verbannt. Dem Wanderungstrieb
seiner Zeit folgend zog er hierauf nach dem Rate des delphischen Orakels
zu den Xordgestaden des schwarzen Meeres ins Land der Geten, wovon
er uns selbst Näheres in seiner borysthenischen Rede erzählt. Aber nach
dem Sturze des Tyrannen wurde er von Nerva nach Rom zurückgerufen
und erfreute sich nach dem frühen Tode dieses seines kaiserlichen Freundes
auch von Seiten des Kaisers Trajan hoher Auszeichnungen. Doch blieb er
nicht ständig in Rom, sondern kehrte schon in den ersten Regierungs-
jahren des Trajan nach seiner Heimatstadt Prusa zurück, für die er manche
Vorrechte von dem Kaiser auswirkte und die er selbst mit Hallen und
Wasserleitungen versorgte.^) Von Prusa kam er als Wanderredner auch
nach vielen anderen Städten Kleinasiens und Ägyptens. Über die Zeit
seines Todes ist nichts bekannt.
Dion wird v^on seinem Biographen in die Klasse jener Sophisten ge-
stellt, welche die Kunst der Rede mit dem Studium der Philosophie ver-
banden. In der That war er fast mehr Philosoph als Rhetor und eiferte
selbst nicht selten gegen die charakterlose Marktschreierei der Sophisten.^)
Seine philosophischen Anschauungen wurzelten in der Tugendlehre der
Kyniker und erhoben sich, der Zeit voraneilend, bis zur Anerkennung der
allgemeinen Menschenrechte.^) Die von ihm verfassten Reden, von denen
80, oder da die korinthische (37.) fälschlich ihm untergeschoben ist,^) 79
auf uns gekommen sind.") haben meist auch die Form von Reden; einige
kleinere und untergeordnete sind dialogisch abgefasst, darunter die Peri-
phrase des Prologes von Euripides' Philoktet.^) Verloren gegangen ist uns
leider das Geschichtswerk Ferixcc, zu dem Dion in seiner Verbannung an
^) Der Beiname findet sich noch nicht Reden des Dion geraten. Dass sie nicht
bei Philostratos ; er scheint unserem Dion von ihm herrührt, beweist schon der ganz
erst später im Gegensatz zu dem Historiker abweichende Stil, Emperius, De or. Corin-
Dion gegeben worden zu sein. thiaca falso Dioni Chrys. adscripta (Opusc.
^) Nach einer Vermutung von Emperius, p. 18—41) hat sie dem berühmten Polyhistor
De ex'ilio Dionis. war es Flavius Sal)inus, Favorinus zuweisen M-ollen, wozu gut der
der im J. 82 hingerichtet wurde. gelehrte Inhalt der Rede, insbesondere aber
'^) Or. 40 p. 175 und or. 45 p. 203 ff. ; die Erwähnung der Kelten als Landsleuto
die letztere Rede hat nach ihrem Inhalt den des Redners stimmt. Dem Urteil Emperius'
Titel (cno'/.oytauoc oncoc aa/i^xe TiQog rt]y tritt bei Maass, Philol. Unters. IIF, 13o — 130
nuroi^a. Über seine Neider s. or. 40 p. 1(32 unter Widerlegung der von Markes, De
und Plinius ep. X, 85 u. 80. Favorini Arelatensis vita studiis scripfis
■*) Or. 11 p. 309: xuxoöaluoi'Eg aocfiami. | (Utrecht 1853) erhobenen Einwände.
^) Or. 15 tieqI dovXeUcg y.al s'/.eix9eQi(ig, j ") Verloren gegangen sind die Reden
or. 7 p. 270: xod't] tö dy&Qionii'ov yivog gegen Domitian, die er or. 45 in. erwähnt
«77«»' tyiiuoy X(u otuönuoi' vnd tov (fvaavrog und ein von Synesios angeführter xl'iiTÜxov
^£ov T((vT(c ay]ueui xcd avu^oXcc e/oy rov Inaiyog.
iifxday'^ui dixaiiog x(d Xoyoy xai sunsiQlay ^) Or. 59 ; in Verse zurückübersetzt ist
X€dojy TS x(d (cia/Qojy ye'yors)'. der Prolog von Bothe; einige Verse heraus-
^) Die Corinthiaca behandelt einen ahn- ; gelesen von Nauck, Trag, graec. fnigui.
liehen Gegenstand wie die Rhodiaca und ist p. 484.
wahrscheinlich auf diese Weise unter die
1
38=
596
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Ort und Stelle das Material gesammelt hatte.') Unter den erhaltenen
Reden verdienen an Umfang und innerem Wert vor andern folgende nam-
haft gemacht zu werden: die Borysthenica, in der uns der Autor höchst
interessante Nachrichten von der Bedrängnis der griechischen Kolonien des
Pontus durch die Skythen und von dem Fortleben des Homerkultus in jenem
äussersten Winkel des Hellenentums gibt; die Olympica, in welcher er dem
Pheidias eine recht hübsche Erklärung seiner Zeusstatue in den Mund legt;
die Rhodiaca, in der er gegen die Unsitte, alte Statuen durch veränderte
Aufschrift zu Ehrendenkmalen berühmter Männer der Gegenwart umzu-
gestalten eifert; die Alexandrina, eine heftige Kapuzinade gegen die im
Taumel eines genusssüchtigen Lebens aufgehende Bevölkerung der volk-
reichen Stadt Alexandria. Auch die übrigen Städtereden an die Bewohner
von Prusa, Tarsos, Kelainai, Nikomedia, Nikäa, Apamea sind für die Kennt-
nis der Zeit Trajans wichtig und zeugen von der wachsenden Autonomie
der griechischen Freistädte, zugleich aber auch von ihrer Rivalität und
ihrem sittlichen Zerfall. Besonders sorgfältig ausgearbeitet sind die 4 Reden
über die Königsherrschaft [ttsqI ßaaiXeiccg), alle für Trajan bestimmt und
zum Teil auch an denselben gerichtet; das Herrscherideal, das er hier ent-
wirft und dem Kaiser vorhält, basiert auf der Überzeugung, dass von den
verschiedenen Staatsformen die monarchische die beste sei, und geht von
der Anschauung aus, dass der Kaiser hier auf Erden die Hoheit und den
Vatersinn des Zeus im Himmel repräsentiere. In den philosophischen Reden
und Dialogen war Dion Vorläufer Lukians, indem er es liebte einfache
Moral unter der Maske des Sokrates und Diogenes zu predigen. 2) Als
Kind seiner allegorisierenden Zeit erscheint er in seinen mythologischen
Aufsätzen. Darin verlieren die Heroen unter der euhemeristischen Deutung
ganz ihren poetischen Glanz; insbesondere kann uns die Rede an die Hier,
worin umständlich nachgewiesen wird, dass Homer gelogen habe und Ilion
nicht erobert worden sei,^) als ein Musterstück jenes flachen, jedes poeti-
schen Verständnisses entbehrenden Rationalismus gelten.^) In das Gebiet
der Litterargeschichte und des Unterrichtes gehören 2 Aufsätze über die
Übung im Reden (18.), und über die Darstellung des Philoktet bei den
grossen Tragikern Aischylos, Sophokles, Euripides (52.). Den letzteren haben
wir bereits oben § 159 verwertet; der erstere berührt sich mit dem 10. Buch
des Quintilian, kann sich aber mit demselben weder an Feinheit der Cha-
rakteristik noch an Reichtum der Beispiele messen. Einen hervorragenden
Rang in der Litteratur nimmt endlich der Euboikos ein, ein liebliches Idyll
von dem unschuldsvollen Leben zweier Jägerfamilien an der waldbewach-
senen Küste Euböas, wohin Dion durch einen Schiffbruch verschlagen war.
^) Angeführt sind die rsrixd vonPhilostr.
vit. soph. I, 7, benützt von lordanes, dem
lateinischen Historiker der Goten.
2) Die 13. Rede nach Antisthenes, s.
§ 278; vgl. Weber, De Dione Cynicorum
sectatore.
^) Er scheint darin dem sophistischen
Grammatiker Daphidas (für eine Person
mit Daphitas (um 250 v. Chr.) hält diesen
WiLAMOwiTz Ind. Gott. 1889 p. 11 f.) gefolgt
zusein, von dem Suidas sagt: ysyqcccfojq tjsqI
OfÄTjQov xal TijgTJOLfjaecog avrov ort sxpevaccjo '
^JO^jvctioi yciQ ovx iaiQchsvaay in^ iXioy.
■*) Besonders zeigt die Stelle or. 11 p.
365 R,, wo zur Bekräftigung des Hauptsatzes
die schwankende Chronologie der Schlacht
von Salamis und Platää herangezogen wird,
dass Dion und die stoischen Aufklärer Ge-
schichte und Sage, Prosa und Poesie nicht
zu unterscheiden vermochten.
■
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§ 471.) 597
Dem Bilde der Sittenreinheit und der Geisteseinfalt des Landlebens ist
wirkungsvoll die Schilderung von der Stadt mit ihren Bordellen, Syko-
phanten und herumlungernden Proletariern entgegengesetzt; doch thut es
dem Werte der Schrift Abbruch, dass sie sich schliesslich in zwar ver-
ständige, aber zu weit gesponnene Reflexionen über die Schädlichkeit des
Zudrangs der Leute zu den Städten ergeht.
Dion wurde von Philostratos und den Kunstrichtern der Sophistik
nicht unter die ersten Grössen der sophistischen Beredsamkeit gezählt; dazu
fehlte ihm die glänzende Phrase; dazu hatte er zu viel philosophischen
Inhalt und ungeschminkte Naturwahrheit. Doch ist er auch als Stilist durch-
aus nicht zu verachten ; er hatte sich die klare Einfachheit des Xenophon zum
Vorbild genommen ^ und dieselbe in den eingelegten Erzählungen und
Fabeln auch glücklich erreicht. Als einer der ersten Vertreter der attiki-
sierenden Richtung hat er die Sprache von dem Kehricht der Vulgärsprache
gereinigt, aber auch, entgegen dem natürlichen Gang der Entwicklung,
wieder alte längst abgestorbene Formen, wie den Dual, einzuführen gesucht.
Ausser Xenophon hat er besonders Piaton im Sprachschatz nachgeahmt. 2)
Ein Fehler seiner Komposition sind die überlangen Proömien, anstössig auch
ist der häufige, aus Piaton genommene Ausgang auf einen Mythus. Ge-
rühmt werden von Philostratos am Stil unseres Dion die Bilder {dxovsg),
die von aufmerksamer Naturbeobachtung zeugen, aber nur in einigen Reden,
wie in dem Eingang der olympischen, häufiger vorkommen.
Ausgaben: Dionis Chrysostomi orationes ex reo. Reiskii, Lipsiae 1784, von Reiske's
Frau besorgt; mit kritischem Apparat von Emperius, Brunsv. 1884; Textesausgabe von L.
DiNDORF, in Bibl. Teubn., mit einer längeren, für den Sprachgebrauch der späteren Rhetoren
wichtigen Präfatio.
471. Aelius Aristides (117 — 185), 2) mit dem Zunamen Theodoros,
war im Jahre 117 zu Hadrianoi in Mysien als Sohn des Priesters Eudaimon
geboren."^) In die Sophistik wurde er durch die berühmtesten Lehrer seiner
Zeit, Aristokles in Pergamon, Herodes Attikos in Athen, Polemon in Smyrna
eingeführt. In der Grammatik und Litteratur hatte er den Alexander von
Kotyaion zum Lehrer, dem er selber in der erhaltenen Grabrede ein ehren-
des Denkmal gesetzt hat. Teils zu seiner Ausbildung, teils in Ausübung
seiner Kunst kam er viel in der Welt herum, durchwanderte Ägypten bis
hinauf zu den Katarakten, Hess sich in Athen, bei den isthmischen Spielen und
in verschiedensten Städten Asiens hören, sah die Hauptstadt des Reichs und
hielt in Rom Vorträge (i. J. 160). Seinen Hauptsitz aber hatte er in Smyrna,
um welche Stadt er sich hohe Verdienste erwarb. Denn als dieselbe im
Jahre 178 durch ein fürchterliches Erdbeben zu einem Trümmerhaufen
geworden war, erwirkte er durch seine Fürsprache, dass die Kaiser M.
Aurelius und L. Commodus sich der unglücklichen Stadt annahmen und
^) Der Rhetor Menander bei Spengel,
Rhet. gr, TII, 390 stellt als Muster der laroQia
unlrj y.cil «(jpeÄry? neben Xenophon denNikostra-
tos, Dion Chrysostonios und Philostratos auf.
'^) ScHMiD, Atticisnnis I. 141 ff.
^) Philostr. vit. soph. 11, 9 ; Sopatcr
Proleg. ad. Panathen.; Suidas u. 'jQiareid\g.
Massontus, CoUectmiea hi.storica ad Ari-
stidis vitam, abgedruckt im ?>. Bd. der Ausg.
von Dindorf; Waddington, Vie du rheteur
Aristide, in Mem. de VAcad. des inscr. t.
XXVI, 1867; Herm. Baumgart, Aelius Ari-
stides als Repräsentant der sophistischen
Rhetorik des 2. Jahrhunderts der Kaiserzeit,
Leipz. 1874.
"*) Die Jahreszahl nach der Berechnung
von Letronne. Jiccherches pour scrrir ä
Vliist. de VEgypte.
.98
Griechische Litteraturgeschichte. II, Nachklassische Litteratur.
dieselbe wieder aufbauten. Die dankbaren Bürger ehrten die Verdienste
des einflussreichen Rhetors durch eine eherne Statue auf dem Markte, der
wir die Erhaltung des Bildes unseres Autors verdanken.') Eine grosse
Rolle spielt in seinem Leben und seinen Reden eine schwere Krankheit,
die ihn um 160 ergriff und an der er 13 Jahre lang zu leiden hatte. Er
starb nach Philostratos zwischen seinem 60. und 70. Lebensjahr, wahr-
scheinlich im Jahre 185.
Seine Hauptbedeutung hatte Aristides als Redner; der Thätigkeit
eines Lehrers der Rhetorik lag er zwar auch ob, und es ist uns sogar unter
seinem Namen eine theoretische Schrift über die politische und schlichte
Rede erhalten, 2) aber einen besonderen Erfolg hatte er als Lehrer nicht.
Man machte ihm geradezu den Vorwurf, dass er es sich zu wenig ange-
legen sein Hess, Schüler an sich zu ziehen und für das Studium der rheto-
rischen Kunst zu gewinnen. 3) Auch von Versen spricht er, die er ge-
schmiedet habe und deren Kunde bis nach Ägypten gedrungen sei;*) aber
schon die Alten hielten dieselben nicht der Erwähnung wert, und wir
werden den Verlust der frostigen Muse des asianischen Rhetors noch leichter
als den der Verse Ciceros verschmerzen. Der eigentliche Ruhm des Ari-
stides gründete sich auf seine Reden und von diesen sind 55, so ziemlich
alles, was das Altertum kannte, auf uns gekommen. Nicht alle sind Reden
im eigentlichen Sinne des Wortes; mehrere sind Sendbriefe, wie der Brief
über Smyrna an die römischen Kaiser, und die schöne Gedächtnisrede auf
den Grammatiker Alexander, welche an den Rat und das Volk der Kotyäer
gerichtet ist. Ausserdem wollen die meisten seiner Reden gar nicht, was
doch Aufgabe jeder echten Rede sein sollte, auf den Willen und die Ent-
schliessung der Zuhörer einwirken, sondern sind lediglich theoretische Vor-
träge oder Erörterungen in der Form von Reden.
4:12. Gewisser massen sein Programm entwickelt Aristides in den 2
Reden nQog IlXäiwra jisqI QijTOQixt^g, mit denen noch die Rede an Capito
zu verbinden ist, in der er seine Angriffe auf den grossen Philosophen
rechtfertigt. Zunächst knüpft er in seiner Polemik an den Gorgias des
Piaton an, indem er die geringschätzige Meinung, die dort Piaton von der
Afterweisheit der Rhetoren ausspricht, mit allen Mitteln seiner Kunst be-
kämpft. Aber so viel Emphase auch der Rhetor aufwendet und so sehr
er sich auch bemüht, die Vorwürfe des Philosophen auf die Ausartungen
^) Die Statue befindet sich im Vatikan ;
der Kopf ist von uns nach Visconti Iconogr.
(fr. I pl. 31 in der angehängten Tafel repro-
duziert.
') Des Aristides Te/vai ()i]TOQix(d tj
tisqI noliiixov Xoyov yMl u(peXovg Xoyov be-
rühren sich durchweg mit der Lehre des
etwas jüngeren Hermogenes und sind in
nachlässigem Stile geschrieben, so dass sie
L. Spengel, Rhet. gr. t. II p. XIX mit Recht
dem gefeierten Redner absprach und einem
späteren Kompilator zuwies. Dagegen hat
sich Baumgart S. 139 ff. erklärt, indem er
die Schrift für eine Art Kollegienheft aus-
gab und in Hermogenes II, 267 Sp. eine
Bezugnahme auf Aristides fand. Baumgart's
Darlegung hat Volkmann überzeugt, so dass
derselbe in der zweiten Auflage seiner Rhe-
torik der Griechen und Römer S. 553 seinen
Einspruch gegen die Echtheit der Schrift
zurückzog.
^) Auf die Vorwürfe antwortete er ohne
besonderes Glück in der Rede ngog lovg
airi(ü/uepovg öxi jutj ^uF.XerMrj. Auf sein leeres
Auditorium gehen die Spottverse in der Ausg.
Dindorfs III, p. 741 ^
/a'iQSJ 'jQiarei^ov rov ()rjroQog eixcl /ua9^i]t((i,
rtoGccgeg ol roJ'/oi xcd rgia ovxpsXia.
4) Ar ist. 1, 310 Jebb.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§ 472.) 599
der Redekunst abzuwälzen, so hat er doch den Kern der platonischen Lehre
nicht erkannt: seine eigenen Reden beweisen am besten, dass es den So-
phisten weniger um das Wesen der Sache als um hohles Phrasengeklingel
zu thun war. ^) — An die Schule erinnern am meisten von seinen Reden
diejenigen, welche Themata aus der Geschichte der Vergangenheit behandeln.
Dahin gehören die Gegenreden über die Expedition nach Sikilien (tisqI tov
TripTTeiv ßoTj^siav roTg iv ^ixslia), über den Frieden mit Lakedämon {vntq
trjg TiQog AaxtSccipioviovg HQfjvrjg), über das Bündnis, das die Athener den
Thebanern antrugen, als Philipp von den letzteren den Durchzug gegen
Attika verlangte. Gar zu 5 Reden gab eine einzige Situation den Stoff,
nämlich die Stellung der Athener zu den Lakedämoniern und Thebanern
nach der Schlacht von Leuktra.'-^) Sehr fällt von der wenn auch nur er-
künstelten, doch immerhin an Demosthenes erinnernden Kraft dieser Reden
die läppische Gesandtschaftsrede an Achill ab. Ein noch ungünstigeres
Urteil haben die zwei an die Leptinea des Demosthenes anknüpfenden
Deklamationen Tigog Jrjfxoa^t'rrjr' negl aralsiag und nqdg A67itivi]v vTitq
avsXsiag erweckt; aber diese beiden Deklamationen gehören nicht dem Ari-
stides, werden auch nicht in den Handschriften dem Aristides zugeschrieben,
sondern sind ihm nur auf Grund einer Stelle der Rede gegen Capito p. 315
beigelegt worden.^) Die ganze Art aber, Situationen der geschichtlichen
Vergangenheit zum Ausgangspunkt von Schulreden zu wählen, hängt mit
der rhetorischen Färbung der Geschichtswerke jener Zeit zusammen und
hat in den lateinischen Deklamationen des Quintilian ihr Seitenstück.
Von den Reden, welche wirklich gehalten wurden, haben am meisten
Leser und Bewunderer gefunden der Panathenaikos und die Lobrede auf
Rom. Die letztere, 'Pw/tryg syaMimov, gehalten 160, ergeht sich in über-
schwenglicher Lobpreisung der Stadt und in bewundernder Anerkennung
der römischen Staatsordnung, in der die Vorzüge der Demokratie, Aristo-
kratie und Monarchie vereinigt seien. Der Panathenaikos ist eine Nach-
ahmung der gleichnamigen Rede des Isokrates und sollte, wie der Schluss
sagt, der Burggöttin an ihrem Feste statt des Peplos dargebracht werden.
Bei ihrer grossen Ausdehnung konnte sie schwerlich auf einmal gesprochen
werden, sondern wurde wahrscheinlich, wie Reiske vermutete, in 2 Ab-
teilungen vorgetragen.^) Mit Benützung älterer Werke, namentlich des
Ephoros und platonischen Menexenos ■') hat hier der Redner ein glänzendes
') Auf diese Rede scheint anzuspielen
Lukian, Bis accus. 1^4: Ivnsl (sc. ^iccloyog)
(wröv, oii fxrj xd y'/.i<T/Qcc exsTvcc xal '/.enid
xui^rjfjica TiQog aviot^ a^uixQoXoyovjusiwg ....
ei Y] ()f]TOQi,xr] nohrtXTJg fioQiov sidcoXoy, xo-
laxelag tö TtTCiQiov.
'^) In der Hypothesis zu den Xoyoi Asvx-
XQixoL heisst es: (}avfu'iL,oyrai de tkcpv inl
Te rfi öeivöir^zi xcd ro?g ini/e(Q?jfA((aii\ Noch
Lionaido Bruno soll sich dieselben in seiner
hindatio Florentinae urbis zum Vorbild ge-
nommen haben.
■^) H. Ed. FosS; Declamationes cluas
Lrptincas von esse ah Aristide scviptas,
Altenb. Trosr. 1841. Das Thema war in
den Rhetorcnschulen beliebt; auch Lollianus
schrieb nach Philostratos vit. soph. 1, 23
gegen die Leptinea des Demosthenes. Vgl.
oben § 256.
^) Die 2. Rede scheint p. 147 ed. Jebb. mit
OQW fxev ovv begonnen zu haben. Nach den
Schollen p. 739 Dind. zerfiel die Rede in 4
Teile.
'•') Hauuy, Quibns fontihus usus sit Ari-
stides in l\uK(ilicn(UCO, Augsb. 1888; die
Angabe des Sopater in den Schollen t. III
p. 739 Dind., dass Aristides direkt den He-
rodot, l'hukydides. Xon()])hon, Theopomp be-
nutzt ha))e, beruht auf Irrtum.
600
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Bild von der Schönheit der Stadt und ihrer grossen Vergangenheit ent-
worfen; mit der Schlacht von Chäronea bricht die Herrlichkeit und damit
auch die Lobrede ab;') von der Gegenwart wird nur rühmend hervor-
gehoben, dass die Athener die Führer in der Bildung und in jeglicher Weis-
heit geblieben seien. Wie weit aber in dieser Glanzrede die Übertreibung
und Abgeschmacktheit der Sophistik geht, dafür genüge das eine Beispiel,
dass von den ionischen Kolonien in Kleinasien gesagt wird, sie hätten den
Überschuss der Mutterstadt an gesunder Luftmischung mit nach Asien ge-
nommen.-) In gleicher Weise bildet die Verherrlichung Athens und seiner
Geschichte den Grundton der grossen Rede virt-Q twv TfitäQon', die unter
Bekämpfung der Stelle des platonischen Gorgias p. 515 d eine Rechtfertigung
oder vielmehr eine Lobpreisung der 4 grossen Staatsmänner Athens, The-
mistokles, Miltiades, Perikles, Kimon, enthält.^) Unter den übrigen Reden
zeichnet sich durch stilistische Vollendung die Trostrede an die von einem
fürchterlichen Erdbeben heimgesuchten Rhodier (Podiaxög) aus.
Eine eigentümliche Stellung nehmen die heiligen und die Götterreden
ein. Die heiligen Reden (IsqoI Xoyoi), 5 an der Zahl, drehen sich alle um
die langwierige Krankheit des Autors und die an den Mesmerismus ge-
mahnenden Wunderkuren, durch die er nach dreizehnjährigem Siechtum
endlich Heilung fand. Sie geben uns ein merkmürdiges, aber wenig er-
freuliches Bild von dem Aberglauben jener Zeit und von dem Unwesen,
das die Asklepiospriester mit den Träumen und Hallucinationen der kranken
Menschheit trieben. Indes steht bei Aristides im Hintergrund all dieser
Visionen seine eigene masslose Eitelkeit, da ihm in den Träumen vorzugs-
weise Kaiser und Götter erscheinen, die ihn in der Rede das hauptsäch-
lichste Heilmittel suchen heissen und ihm seinen Ruhm in den schmeichel-
haftesten Wendungen vorausverkünden. ^) Erfreulicher sind die Götterreden
oder Predigten (praedicationes) auf Zeus, Athene, Poseidon, Dionysos, Hera-
kles, Asklepios, Sarapis, von denen die auf Poseidon bei den isthmischen
Spielen wirklich gehalten wurde, und die auf den Asklepios in der Ein-
weihungsrede des Asklepios-Tempel in Kyzikus ein Seitenstück hat. Dieselben
sind an die Stelle der poetischen Hymnen und Prosodien der klassischen Zeit
getreten, sind aber nicht ein Ausfluss echter Frömmigkeit und tiefer Reli-
giosität,^') sondern verraten überall die Neigung der Zeit, durch allegorische
Deutungen die alten Mythen der Griechen sich mundgerecht zu machen und
mit den religiösen Vorstellungen anderer Völker in Einklang zu bringen.
Charakteristik. Ein Hauptzug in dem Wesen des Aristides besteht
') Das erinnert an die Weise des Pau-
sanias; vgl. S. 576.
'^) p. 100 Jebb. : Toaavzr} d^ iarly ij ttsqlov-
aicc rijg evrv^iag, mote xcd nov cIaXmv yerwv
cd ravT7]g unotxoi nokeig cd rrji/ pvp ^iMfiai^
t/ov<jca clgioxcc y.sxQc^aSai. doy.ovoiv, wo7I6q
ciXko Ti TMv oixor^sp fxexeihjCpvTca.
^) Über das Ansehen dieser Rede s. Synes.
Dio p. 18 R. : ^AQiOTeidi]v 6 nQog TllcaMva
Xoyog v^sQ rojy xeooc'cQiov nolvv ixrjQv'^ev iv
To7g'El'k'r]oiv. A, Haas, De fontihus Aelii
Aristidis in componenda declamatione vneq
Tioy TEtTccQOir^ Gryph. 1884.
^) Besonders in der 4. Rede p. 331.
RiTTEKSHAiN, Der medizin. Wunderglauben
und die Inkubation im Altertum, Berl. 1878,
erklärt den Aristides für zeitweilig verrückt.
Den Weg der Suggestion durch hypnotischen
Schlaf erweist experimentell du Prel, Mo-
derner Tempelschlaf, in Sphinx Jan. Febr.
Heft 1890.
°) Viel zu günstig urteilt Welckek. Kl
Sehr. HI. 138 f.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§ 472.) gOl
in der Liebe zur Selbstberäuclierung und in der grenzenlosen Einbildung
auf seine Kunst. Die Rede ist ihm der Inbegriff aller Weisheit, das grösste
Gut, das ihm so viel gilt wie anderen Macht, Kinder, Eltern.^) Aber das
Wort 'köyoc, fasst er nicht nach seinem tieferen geistigen Inhalt, sondern
lediglich von der Seite der formalen Redegewandtheit. Daher seine Gering-
schätzung der Philosophie, daher die Hohlheit und Inhaltlosigkeit seiner
Reden. Die Kunst des Schilderns in schwungvollen Perioden und Bildern
besass er allerdings in hohem Grade, aber wir erhalten aus seinen zahl-
reichen Schilderungen von Städten, Landschaften, Tempeln kein anschau-
liches Bild des Gegenstandes. Die Akropolis von Pergamon, deren Umrisse
und Kunstwerke heutzutage in klaren Linien unserem geistigen Auge vor-
schweben, weiss er nicht anders zu schildern als mit der allgemeinen Phrase
axQOTtoXig fihv avTTj TO(TavTrj t6 ntysd^og uoqqmO^v ccüTQämovcya drrd rrdcfrjg
Hdo^ov, M(T7t€Q xoivTj Tiq xoQvcfi] Tov s^vovg. Die Fertigkeit aus dem Steg-
reif zu reden verschmäht er; er liebte die gefeilte, sauber ausgearbeitete
Rede. Als der Kaiser Marcus, so erzählt uns Philostratos im Leben des
Aristides, ihn fragte, wann er ihn hören könne, antwortete er, stelle heute
das Thema und morgen kannst Du mich hören: ov y^Q ^^l^^v rcov iiiovv-
TO)v, dXXd Twv dxQißovvTMv. Ihm so wenig wie dem Isokrates, mit dem er
auch die Überschätzung der Redekunst teilt, war die gefällige Leichtigkeit
der vom Munde fliessenden Rede eigen; dafür strebte er der Redegewalt
des Demosthenes nach,^) blieb aber hinter dessen von wahrem Zorn er-
füllter Wuchtigkeit der Sprache himmelweit zurück. Was seinem Stile aus
jener Nachahmung geblieben ist, das ist die Verschlungenheit des Perioden-
baues und die Dunkelheit des Ausdrucks, so dass Reiske von ihm sagt:^)
scriptorum graecorum quotquot legi post oratorem Hmcydiclem tmtis Aristides
est omnimn intellectu difficillimus cum propter incredihilem argtimentafionnm
et crehritatem et siibtiUtatem tum propter graecitatis exquisitam clegantiam.
Den Zeitgenossen*) und den nächstnachfolgenden Geschlechtern imponierte
der erborgte Schein tiefer Gelehrsamkeit und die täuschende Subtilität ge-
drungener Beweisführung so sehr, dass seine Reden viel in den Schulen
gelesen wurden •^) und angesehene Rhetoren, wie Metrophanes ^) und Sopater
von Apamea, seine Werke, namentlich den Panathenaikos und die Rede
') 11,421 Jebb: ifxol de Xöyotndaag ngoat]-
yoQiag ymI näoag dvydjuetg t/ovai • xcd y<xQ
7i((?(h(g xcd yopecg xtd nQci^etg re xcd c(vct-
Tjccvasig xal ncii/icc id^s^utjp roihovg. I, 37:
ei yccQ oiiv oXotg ^ep xFQdog ccyO^Qojno) tov
ßlov xcd ajansQsl xecfccXciioy rj Tiegl rovg
Xoyovg (^iccTQißrj, tmv ös 'koyiou ol tisqI Tovg
xf^eovg ccvccyxaiöxaroi . . ovre T(o O^sco xc(XXioiv
XfiQig, oifiai, jijg inl TtJj/ loyiou ovre roTg
Xoyoig e/oijuev ccv eig ön xQeTnoy x()t]<jcd-
fisOci. II 44: XEirÜQMv ovtmi^ ^uoQiojy Ttjg
tlQexrjg anavccc dicc (trjzoQix^g iienob]rcii.
^) 1, 325 Jebb. träumt ihm, der Gott habe
über seine Rede das Urteil gefällt: nccQijlxkeg
rjfjiTv 1(0 c'(Sio')fuc(Ti ZOP J)juoa(h'in].
'j In der prciefatio bei Dindorf t. III
p. 788.
'*) Sehr anerkennend nitciltc über ihn
der Attikist Phrynichos bei Photios Cod. 158.
p. 101a, 18 Bekk.
•'') Siehe die von Jebb gesammelten
Veterum et recentiorum de Aristide iudicia
et testimonia in Dindorf's Ausgabe t. III
p. 772, und überdies das Urteil des Longin
in Rhet. gr. I, 325. 22 Sp.: J?/,ao(7t^eV»;c &sii'(uc(-
zog tüV er zcdg ccyzL&iaeaii^ ovx ccel zfj zt/vtj
i^^tvEi, ctW ccvxög yivezca te/vt] TToXXdxig,
(üaavzo)g xcd \lQiffxsl(Tf]g und p. 32C. 30: r/;r
TiXsnvdaccaav tjeqi xrjv 'Aoiciv IxXvaiv clifx-
zijffazo \iQt(Txei(^ijg " (rvi'e/<6g yÜQ &(Tii xcd
{)t(oy xcd niihirög.
^) Des Metrophanes vnojut'tjucc eig ' .Iqi-
ax6i(ft]i^ erwähnt Suidas; auf Sopater, dessen
Namen p. 757, 24 Dind. ausdrücklich ge-
nannt i.st, geht der (Innulstock unserer Scho-
lien zurück.
i
602
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
vTTtQ Twv TSTTccQMv kommentierten. Erst nach und nach hat in der Neu-
zeit eine nüchternere, wahrheitsgemässere Beurteilung Platz gegriffen, so
dass jetzt Aristides eher unterschätzt wie überschätzt wird.
Hauptsaiisg. : Aristides ex reo. G. Dindorfii, Lips, 1829 in 3 Bänden mit kritischem
Apparat und den Noten der früheren Bearbeiter Cantor (1566), Jebb (1722) und Reiske;
der 3. Band enthält auch die Scholien. Ergänzungen zu diesen weist aus Cod. Marc. 423
nach WiLAMOwiTz, De Mhesi scholiis, Greifsw. 1877. — Dareste, Quam utüitatem conferat
ad historiam sui temporis ilhistrandam Aristides rhetor, Paris 1844, — Über die Sprache des
Aristides handelt W. Schmid, Der Atticismus in seinen Hauptvertretern, 2. Bd., Stuttg. 1889.
473. Philostratoi.^) Der Sophisten dieses Namens, die alle von der
Insel Lemnos stammten (Ar'i^ivioi), nennt Suidas drei. 2) Der älteste war
Philostratos, Sohn des Verus, der unter Nero lebte, den aber der Verfasser
der Bioi aocfiaxMv nicht erwähnt, weil er vor die Zeit des erneuten Auf-
schwungs der Sophistik fiel. Von seinen zahlreichen Schriften ist nur eine,
der Dialog Ns'qmv, und diese an fremder Stelle, unter den Schriften Lukians,
auf uns gekommen.^) Der Dialog enthält ein Gespräch des Lemniers Mene-
krates mit dem verbannten Philosophen Musonius Rufus über die von dem
Kaiser Nero geplante Durchstechung des Isthmus von Korinth und die bei
dieser Gelegenheit von dem Despoten verübten Greuel.
Der mittlere Philostratos, Enkel (Urenkel?) des Verus, nennt sich selbst
im Eingang der Sophistenbiographien Flavios Philostratos*) und wird von Euse-
bios in seiner Gegenschrift wiederholt Athener genannt.'') Nach Suidas lehrte
er zuerst in Athen, später in Rom und blühte unter Alexander Severus
(222-235) bis in die Zeit des Philippus (244—9) hinein. Seine Studienjahre
fielen nach seiner eigenen Angabe noch in die Regierungszeit des Septimius
Severus (193 — 211), so dass wir seine Geburt nicht weit über das Jahr 170
hinaufrücken dürfen. Er ist der Verfasser der Geschichte des Apollonios, der
Lebensbeschreibungen der Sophisten, des Gymnastikos und der erotischen Briefe.
Der dritte Philostratos, Sohn des Nervianus und Schwiegersohn des
mittleren Philostratos, wird von dem letzteren in den Sophistenbiographien
regelmässig unter dem Zunamen Lemnios angeführt. Seine Lebenszeit be-
stimmt sich dadurch, dass ihn als jungen Mann von 24 Jahren der Kaiser
Caracalla (211 — 7) mit der Steuerfreiheit auszeichnete. <^) Beigelegt werden
ihm von Suidas Eixorsg, IlavaO^rjvfxixog, Tgcüixog (ob '^HQon'xög?), IlaQäffQaaig
Trjg 'Ofii'jQov ftö'TT/'Joc,') MeXsTm. Nach Bergks Urteil gehören ihm unter den
erhaltenen Schriften die älteren Eixöveg und der Heroikos an.^)
^) Suidas u. 'PüiÖGZQcaog. Bergk, Die
Philostrate, Fünf Abhdl. S. 173 - 181.
^) Einen Sophisten Philostratos Aigyp-
tios aus der Zeit der Kleopatra erwähnt
Philostr. vit. soph. I, 5.
^) Dass der ältere Philostratos Verfasser
des Dialoges ist, hat Kayser erkannt; auf
ihn ist Vit. Apoll. V, 19 angespielt.
*) Ein L. Flavius Philostratus aus dem
Demos Steiria wird in einem Ephebenver-
zeichnis CIA. III, 1202 als Archen des Jahres
254/5 oder 257/9 oder 262/3 bezeugt.
^) ^Jx^tjpaTog 4>i'k6aTQaxog wird von Eu-
sebios in Hierocl. p. 371, 13:373, 5; 400,
29 K. der Verfasser der Geschichte des Apol
lonios oder der mittlere Philostratos genannt.
Irrtümlicher Weise aber hat bei Eunapios, Vit.
soph. init., und Synesios, Dion p. 35 a und
Insomn. p. 155b der Verfasser der Sophisten-
biographien den Beinamen Lemnius. Der
Verf. der Briefe heisst in den Handschriften
i'i'koaxQ. ' Jx^rjvcdog, dieser selbst aber bezeich-
net im 70. Brief Lemnos als seine Heimat.
e) Philostr. vit. soph p. 122, 20.
"') Diese letzte Angabe ist schon inso-
fern ungenau, als die Schildbeschreibung
nicht ein eigenes Buch ist, sondern das 10.
Kapitel der Elx6v8g bildet.
^) Nach einem Scholion in Kayser's
Ausg. der B'ioi aocp. p. XXVIII und nach
Menander in Rhet. gr. HI, 390, 2 Sp.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa. g)Die Sophistik. (§ 473—475.) 603
Ein vierter, von Suidas gar nicht erwähnter Philostratos, der den
dritten zum Grossvater mütterlicherseits hatte und demnach erst im 4. Jahr-
hundert gelebt haben kann, hat die zweiten Elxoveg nach dem Muster der
ersten verfasst.
474. Das Leben des Apollonios von Tyana {rd fg tdv Tvavia
^AnoXlwviov) in 8 B. ist von Philostratos auf Wunsch der schöngeistigen
Kaiserin Julia Domna (gest. 217) verfasst. Das Leben des Helden unseres
Romans lag damals bereits um 100 Jahre zurück, so dass desto leichter
der merkwürdige Mann in dem Glorienschein eines Heiligen und Wunder-
thäters glänzen konnte. Benützt hat Philostratos die älteren Darstellungen
des Lebens und der Wunderthaten des Apollonios, ') hauptsächlich aber
Hess er sich von seinem eigenen Hang zum Wunderbaren leiten, ohne da-
mit eine besondere Nebenabsicht zu verbinden. Nicht unwahrscheinlich
jedoch ist es, dass seine Auftraggeberin, die Kaiserin Julia, zugleich mit
dem Leben jenes Wunderthäters ein Gegenstück zu den biblischen Erzäh-
lungen vom Leben Christi geliefert zu sehen wünschte.-) Jedenfalls haben
die Späteren dasselbe gegen die Lehren und den Glauben der Christen aus-
gespielt. Wir wissen das bestimmt von Hierokles, der von Diokletian in
Bithynien zum Richter über die Christen gesetzt, eine gegen das Christen-
tum gerichtete Schrift, loyog cfilaXi^Otjg, herausgab, gegen die wieder
Eusebios, der Kirchenvater, in einer uns noch erhaltenen, hinter Philo-
stratos abgedruckten Schrift polemisierte.-^)
In ähnlichem Geiste wie das Leben des Apollonios ist der Heroikos
geschrieben.^) Derselbe enthält das Gespräch eines nicht ungebildeten,
aber im Aberglauben befangenen Winzers des thrakischen Chersones, der
von dem dort verehrten Heros Protesilaos des wiederholten Besuches und
vertrauten Umgangs gewürdigt wurde, mit einem phönikischen Seefahrer,
der an der Küste angelegt hatte, um günstigen Fahrwind abzuwarten. Der
Winzer erzählt auf die Fragen des Schiffmanns im wesentlichen Anschluss
an Homer und die Kykliker, was er aus dem Munde des Protesilaos über
die troischen Helden, über Protesilaos selbst, dann über Palamedes, Odys-
seus, Hektor, Achill u. a. erfahren haben wollte. Der Autor wollte damit
eine von poetischen Phantasien losgelöste, in dem dann zurückbleibenden
Kern aber als wahr festzuhaltende Schilderung der Heroen geben und auf
solche Weise den frommen Heroenkultus der Altvordern zu neuem An-
sehen bringen.
475. Die Bioi aoifiarwv in 2 B.^) sind dem Konsul Antonius Gor-
') Vgl. oben § 457.
'^) Dieses wird angenommen von dem
berühmten Tübinger Tlieologen Baur, Apol-
lonios und Christus, in der Tüb. Zeitschr. f.
'i'hcol. 1832, jetzt in drei Abhandl. S. 1--.227,
vgl. Jacobs in der Einleitung seiner Über-
setzung, Stuttg. 1829; Ed. Müller, War Apol-
lv)nius von Tyana ein Weiser oder ein Be-
trüger oder ein Schwärmer und Fanatiker?
Breslau 18G1; Iw. Müller, Commcntatio
qua de Phüostrati in comj)onenda memoria
ApoUonii Tynnensis fide quaeritvr, OnoJdi
^) Gegen Hierokles wendete sich auch
Lactantius Inst. div. V, 3.
^) Jacobs in der Einleitung seiner Über-
setzung weist den Dialog der Jugendzeit des
mittleren Philostratos zn, Bekgk a. 0. legt
ihn nach dem Zeugnis des Suidas dem dritten
Philostratos bei. Eine annähernde Zeitbestim-
mung ist darin gegeben, dass p. 1U4K. auf
den unter Hadrian entstandenen \/;'(o»'7/(t<o(Ioi;
x(d OfuTJQov hingewiesen und p. 147 der Athlet
Ilelix, der sich im J. 219 beiden Spielen des
Heliogabal auszeichnete, erwähnt ist.
1858 et Landavii 1859— 00. | •) Suidas spricht von 4 B,
004 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
dianus gewidmet und in der nächsten Zeit nach 229 abgefasst. i) Das
Ganze zerfällt in 3 ungleiche Teile. Der erste handelt von den philoso-
phisch gebildeten Männern, die wegen der auf die Schönheit der Sprache
verwandten Sorgfalt unter die Rhetoren aufgenommen zu werden verdienten,
wie Eudoxos, Leon, Karneades, Dion; der zweite umfasst die Sophisten
der älteren Zeit, von Gorgias und Protagoras an bis auf Isokrates und
Aischines; der dritte hauptsächlichste Teil enthält die Biographien der be-
rühmten Sophisten der Gegenwart. Eröffnet wird diese neue Periode der
Sophistik mit Niketes aus Smyrna, der in der Zeit des Nerva blühte, und
herabgeführt bis auf Aspasios unter Alexander Severus; nicht mehr erwähnt
sind Apsines der Phönikier und Philostratos der Lemnier, weil mit diesen der
Verfasser durch zu enge persönliche Freundschaft verbunden zu sein erklärt.
Die Biographien sind in leichtem Feuilletonstil geschrieben, enthalten viele
interessante Notizen und Anekdoten, gehen auch auf die Charakteristik des
Stiles der einzelnen Sophisten ein, lassen aber eine nähere Bezeichnung
der Werke der Redner vermissen und noch mehr ein gesundes Urteil über
den eigentlichen Wert und die innere Bedeutung der hochgepriesenen So-
phisten.
476. Der rv^ivaaTixog oder die Abhandlung von der Gymnastik
wird von Suidas unter die Werke des älteren Philostratos gestellt. Da
aber in demselben der Athlet Helix erwähnt ist (p. 287, 26 K.), der nach
Cassius Dio 79, 10 bei den von Heliogabal 219 gegebenen Spielen sich aus-
zeichnete, 2) so hat Kayser mit Recht ihn dem mittleren Philostratos zu-
gewiesen. Geleitet wird der Verfasser von dem Streben, in dem verzärtelten,
durch Luxus und Prasserei herabgekommenen Geschlecht wieder die Lust
zu den gymnischen Spielen zu wecken und zur rechten Übung der Gym-
nastik anzuleiten. Wird dadurch schon bei allen Freunden der Turnerei
lebhaftes Interesse für die Schrift erweckt, so wird dasselbe noch gesteigert
durch die vielen wichtigen Nachrichten, die uns der Verfasser von der
Geschichte der olympischen Spiele und den verschiedenen Arten der Gym-
nastik gibt. Dabei sieht man, was die Pflege dieser Übungen und der
Anblick der nackten Jünglinge für die Schärfung des Auges hellenischer
Künstler und Kunstfreunde vermochte; lebte sonst unser Sophist in dem
Schatten der Schule und der trüben Atmosphäre mystischen Wahnglaubens,
so weiss er hier mit staunenswerter Exaktheit die körperlichen Eigen-
schaften zu schildern, welche für den Läufer, Ringer, Boxer, Pankratiasten
erforderlich waren und durch jene Übungen gefördert wurden. Das Büch-
lein, von dem man ehedem nur Fragmente und Auszüge hatte, ist erst in
neuester Zeit durch eine von dem Griechen Minas entdeckte Handschrift
vollständig bekannt geworden.
Briefe des mittleren Philostratos erwähnt Suidas, und von ihnen sind
78, meist ganz kleine, auf uns gekommen. Der letzte an die Kaiserin Julia
ist litterarischen Inhaltes und enthält sehr interessante Bemerkungen über
den Einfluss des Sophisten Gorgias; die übrigen hallen von Liebesgetändel
^) Dieses folgt daraus, dass Goidian in | 2) Cassius Dio 79, 10 nennt ihn freilich
dem Widmungsbrief als Prokonsul angeredet j Ji'QTJhog JY'M^, aber an der Identität "vvird
wird; s. Rudolph, Leipz. Stud. VII, 5. | nicht zu zweifeln sein.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa. g)Die Sophistik. (§476 477.) 605
wieder und wollen nicht recht zu dem strengen Urteil des Gymnastikos
über die entnervende Wirkung der Liebe passen.^)
477. Die Eixdvsg (Imagines) des dritten Philostratos repräsentieren eine
besondere Litteraturgattung der Sophistik. Dieselbe betrachtete nämlich
als formales Bildungsmittel die Übung in der Beschreibung und nahm da-
her die sx(fQaaig mit unter die Progymnasmata auf. Insbesondere aber
gefielen sich die Sophisten darin, Nachahmungen der Natur, das ist Ge-
mälde und Werke der Plastik, zu beschreiben und so in einer Zeit des er-
neuten Kunstaufschwungs dem Gefallen an Schöpfungen des Meisseis und
Pinsels als redegewandte Führer zu dienen. Zuerst, soweit wir nach-
weisen können, schrieb der Rhetor Nikostratos aus Makedonien, der
nach Suidas unter M. Aurel lebte, solche Gemäldebeschreibungen. Aber
auch Lukian, Polemon, Apuleius, Heliodor, Himerios,^) verstanden sich auf
diese elegante Kunst. Erhalten nun ist uns von Philostratos, dem dritten,
die schon im Altertum wegen der Reinheit und Anmut der Sprache hoch-
gepriesene ^) Beschreibung einer Gallerie von 34 Bildern in Neapel. Bei
der geringen Zahl von erhaltenen Werken der Malerei gewinnt dieser ge-
schmackvolle Führer einer untergegangenen Pinakothek doppeltes Inter-
esse, das noch durch die kritische Frage erhöht wird, inwieweit Philostratos
als treuer Erklärer wirklicher Gemälde oder als genialer Erfinder künst-
lerischer Situationen anzusehen ist. Gegen Friederichs, der dem Buche
jeden kunstgeschichtlichen Wert absprechen wollte, hat Brunn die Überein-
stimmung der Schilderung mit erhaltenen Vasen und Sarkophagen kenntnis-
voU nachgewiesen.*)
Eine zweite Serie von Elxorsg schrieb der jüngere Philostratos, der sich
selbst in der Einleitung als Enkel des Verfassers der ersten Gemälde oder des
dritten Philostratos bezeichnet. Lange nicht mit dem Geschick seines Gross-
vaters und ohne den gleichen Eindruck wahrheitsgetreuer Schilderung zu hinter-
lassen, beschreibt derselbe einem fingierten Schüler alte Kunstwerke, auf die
er zufällig gestossen sein will.'') Der Schluss des Buches ist verloren gegangen,
so dass dasselbe mitten in der Beschreibung des 17. Gemäldes abbricht. Das
10. Bild, IIvQQog rj Mvaoi überschrieben, scheint von seiner Hauptdarstellung
auch den Titel uagäc/gccaig rijg '^Ofju'jQov daniöog gehabt zu haben, unter dem
es als ein eigenes Werk neben den Ehövtg von Suidas angeführt wird.
^) Geradezu der sinnliche Kitzel ist als
Zweck der Liebespoesie hingestellt im 68.
Brief: oi iQojiixol ro)y noirjruiv äyux^ij äxQo-
uaig xtd i^cjQoig " 7] yuQ ivvovoia icoy roi-
loi^de 7J oi:x STJi^tjasi ae inpQo^iaiuyv rj ay«-
'-) Polemon bei Athen. XI, p. 484 c; Lu-
kian de domo; Apuleius Florid. c. 15; He-
liodor V, 14; Achill. Tat. V, 2. 4; Himer.
or. XXV; Aelian fr. 99.
•') Philostr. iun. p. 390, 9 K.: eanorffa-
iitai tiq yQ((q)ixTJg t()yu)y ey.CfQuaig XMfxio
ÖitlOyx'^flÜ) TS y.cd IU}]TQ07T('(T0QI XUiV ((TTlXOjg
T/;c yh6rir]g e/ovaa <J^i;V iÖqu t£ 7iQ0i]yuti'tj
x(ci röi'O). Moschopulos schrieb eine 'Kxloyt]
Tixiy ovo^üioiv uTTtxcöi' ix/8)'£?a« (C7i6 lijg
re/yoXoylag rioy sixoviov rov ^iXootqutov.
'^) K Friederichs, Die Philostiatischen
Bilder, ein Beitrag zur Charakteristik der
alten Kunst, Erlangen 1800, und schon vor
ihm Passow, Verm. Schrift. S. 223 ff. ; H.
Brunn, Die Philostr. Gemälde gegen Frie-
derichs verteidigt, in Jahrb. f. Ph. Suppl. IV
177 303 u. Jahrb. f. Phil. 1871 S. 1 - 33. 81 -
105. Einen vermittelnden Standpunkt vertritt
Matz, De Philostrdtornni hi (Icscrihoidis imn-
gmibus fide, Bonnae 18(17. Der Plan ^^■oimari-
scher Kunstfreunde eine Folge philostratischer
Gemälde in Kupferstichen herauszugeben, gab
Goethe Anlass zu einem Aufsatz über Phi-
lostrats (;emälde, Ges. W. Bd. 39.
••) Philostr. p. 391, G.
G06
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur,
Den Eixövsg der Philostrate pflegen in den Ausgaben wegen des ver-
wandten Inhaltes die 'ExcfQäaeig des Kallistratos angehängt zu sein.
Dieselben geben ohne Einleitung in affektierter Sprache die Beschreibung
von 10 Werken in Stein oder Erz, wobei meistens auch der Schöpfer des
Werkes angegeben ist.^) Der Exeget bleibt nicht bei Griechenland stehen;
er beschreibt auch die Statue des Memnon in Äthiopien und eine Gruppe
von Nymphen am Indus.
Ausgaben: Phüostratorum quae super sunt rec. et notis illustr. Olearius, Lips. 1709;
ed. Kayser, mit krit. Apparat in Bibl. Teubn., nach der gewöhnhch citiert wird; ed.
Westermann, Par. 1849; mit kritischen Vorarbeiten zu einer neuen Ausgabe ist Stürm in
Freiburg beschäftigt. — Spezialausg. der Vitae soph. mit inhaltreichem Kommentar von
Kayser, Heidelb. 1838. — Imagines rec. Jacobs mit Observationen Welcker's Leipz. 1825.
478. Die übrigen von Philostratos hervorgehobenen Sophisten unseres
Zeitraums waren: Isaios,^) Skopelianos,^) Dionysios von Milet, Lol-
lianos, Theodotos von Athen, Aristokles, Antiochos von Aigai,
Alexander Peloplaton/) Adrianos von Tyrus,'*) Antiochos von Kilikien,
Hippodromos aus Thessalien, Nikostratos aus Makedonien, Pausanias
aus Kappadokien, Ptolemaios von Naukratis, Herodes Attikos und
Antonius Polemon. Von ihnen war der gefeierteste Herodes Attikos, ß)
der von den Kaisern zu den höchsten Ehren erhoben wurde und seine
Reichtümer in wahrhaft fürstlicher Munificenz zum Schmucke Athens ver-
wendete. Im Jahre 143 erhielt er das Konsulat; sein verschwenderisch ein-
gerichteter Landsitz in Kephissia war, wie ehedem das Haus des Kallias,
der Sammelplatz der Sophisten und Litteraten. Neben ihm erfreute sich
Antonius Polemon, geboren um 85 n. Chr., als Haupt der älteren Rhc-
torenschule von Smyrna und gewandter Stegreifredner ganz besonderen
Ansehens und Beifalls. Bei der Einweihung des von Hadrian ausgebauten
Olympieion in Athen hatte er die Ehre, die Festrede zu halten. Auf uns
gekommen sind die Deklamationen des Polemon auf die Marathonskämpfer
Kynegeiros und Kallimachos,') und des Herodes Attikos Rede ttsqI noXi-
Tsiag oder über das Bündnis der Böoter mit den Peloponnesiern gegen den
König Archelaos von Makedonien im Jahre 405.^) Dieselben sind blutarme
Geburten der Sophistik, zusammengestoppelt aus Reminiscenzen des De-
mosthenes, ohne Mark und Bein.
') Die Beschreibung von Kunstwerken
fand auch noch bei Späteren Anklang und
Nachahmung. So hat Kayser in Philostr.
de gymn. Turici 1840 ey.cpQÜGEig christHcher
Bilder publiziert von einem gewissen Markos
Eugenikos aus der Zeit des Konzils von
Florenz.
2) Die Nachrichten über die einzelnen
Sophisten hat Kayser in dem Kommentar
der Bioi ao(fiaTwv zusammengestellt. Über
Isaios s. ausser Philostratos den Brief des
jüngeren Plinius II, 3.
^) Den Freunden des Weins empfahl
sich seine Rede vti^q dfXTiiXwi^ die gegen
Domitians Verordnung gerichtet war.
■*) Den Grund des Spottnamens gibt
Philostr. vit. soph. II, 5. 3. Über Aristokles,
der aus einem Philosophen ein Rhetor wurde,
spricht Synesios, Dion p. 12 R.
^) Nikostratos ward in den Kanon auf-
genommen, worüber § 469.
^) FüLLES, De Ti. Cl. Attiei Heroäis
vita, Bonn 1864; Schmid, Atticismus I, 192 ff.
^) Polemo ed. Hinck, Lips. 1873; über
seinen Stil Schmid a. 0. p. 47 ff. Ausserdem
halte Polemon eine bei Zeitgenossen und
Nachkommen vielbeachtete Physiognomik ge-
schrieben, welche uns in einem Polemons
Namen tragenden Auszug überliefert ist; s.
R. Förster, De Polemonis iihysiognomicis,
Kieler Ind. lect. 1886, und Val. Rose, Anecd.
gr. I, 25 u. 59 ff.
^) Die kurze Rede abgedruckt im 5. Band
von Bekker's Orat. att., neubearbeitet von
Hass, De Htrodis Attiei oratione tisqI tjo-
hxeiag, Kiel 1880.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§ 478—479.) 607
Eine Vorstellung, wie die Lehren der Redekünstler in die Praxis des
politischen Lebens übergingen, gewähren die zahlreichen Ehrendekrete, Erlasse
und Briefe, welche uns inschriftlich aus der Kaiserzeit erhalten sind. Von
einem gewissen Opramoas, einem freigebigen und hochgestellten Lykier aus
der Zeit Hadrians, sind allein an 60 Urkunden jenes Schlages auf uns gekommen,
welche der eitle Mann an den Wänden seines Grabdenkmals in Rhodiapolis
hatte einmeisseln lassen und welche unlängst Petersen und Luhthan, Reisen
in Kleinasien, Wien 1888, II, 76 ff. veröffentlicht haben.
479. Claudius Aelianus^) war in Präneste bei Rom geboren, wes-
halb er sich wiederholt^) als Römer bezeichnet. In die griechische Litteratur
ward er durch den Sophisten Pausanias eingeführt und eignete sich unter
dessen Leitung so sehr die Herrschaft über das fremde Idiom an, dass
man ihm das allerdings übertriebene Kompliment machte, er spreche attisch
wie einer der mitten in Attika geboren sei.^) Aber weder strebte er nach
politischen Ehren, noch widmete er sich der sophistischen Deklamation,
sondern suchte seinen Ruhm lediglich in der fleissigen Schriftstellerei über
kleine, aber seiner wissenschaftlichen Neigung entsprechende Dinge. Er
erreichte ein Alter von über 60 Jahren, rühmte sich aber trotzdem, nie
über die Grenzen Italiens hinausgekommen zu sein oder nur ein Schiff be-
stiegen zu haben. ^) Das kann indes nicht ganz richtig sein, da er in der
Tiergeschichte XI, 40 ausdrücklich erwähnt, dass er in Alexandria im Zeus-
park ein Rind mit 5 Füssen gesehen habe.^'>) Seine Zeit bestimmt sich da-
durch, dass er ein Zeitgenosse des Lemniers Philostratos war und noch
vor dem Tod des Verfassers der Sophistenbiographien starb. Ein noch
bestimmteres Anzeichen liegt in der Anekdote,^) dass als er eine An-
klageschrift gegen Gynnis, worunter offenbar der weibische Heliogabal zu
verstehen ist, dem Philostratos vorlas, dieser ihm beissend sagte: iOav-
l^ia^or av d ^oh'iog xairjYOQtjCTccg. Danach muss er also jedenfalls jenen
Kaiser (gest. 222) überlebt haben. In seiner Geistesrichtung war Aelian
ein echtes Kind seiner Zeit. Auf den Stil und die sophistische Redekunst
legte er allen W^ert;') es fehlte ihm auch nicht an Belesenheit und sau-
berem Fleiss, aber er holte sein Wissen aus Büchern, nicht aus selbstän-
diger Beobachtung und entbehrte nicht bloss der Fähigkeit eines streng
systematischen Denkens, sondern war auch ganz in dem kritiklosen Myste-
rien- und Wunderglauben seines Jahrhunderts befangen.'') Dabei kannte
er aber recht wohl den Leserkreis, auf den er spekulierte: Leuten, welche
gerne von Wundern hörten und die strenge Zucht systematischen Denkens
') Ein Artikel des Suidas und Philostr.
Vit. sopli. II, 'M.
2) Var. bist. II, 38; XII, 25; XIV, 45.
■^) Philostr. vit soph. II, 31: iJTTixtCft^
diansQ ol ev Trj ^eaoyida ' AürjruToi. Aber
in seinen Schriften begegnen doch viele
Fehler gegen die Reinheit der griechischen
Sprache, wie uianeQ ovv, y.al ovv xal, uXku
im Nachsatz: s. Index (fvaecitaiis in Jacobs
Ausg. der Tiergeschichte.
*) Philostr. Vit. soph. II, ^1.
•') Früher wollten deshalb bedeutende
Gelehrte, wie Valckenaer, dem Sophisten
Aelian die Tiergeschichte absprechen.
'') Philostr. a. 0.
^) Tm Epilog der Naturgeschichte sagt
er: örKog df ccihu sinoi' xcu (t?V oao) növM,
ro t' £vysi'6g T)jg Xt^eiog 6no?oy y.cd Ti]<; avv-
x^ijx^jg riöy j" öi'nuünoi^ x«i nov Övouhtmv
xQtTidc;, elüoi'Tui exeTi'ot.
**) Daszeigt sich besonders in den Hosten
seines Buches über die Vorsehung.
G08
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
scheuten, bot er mit seinen bunten Geschichten eine anziehende und
unterhaltende Lektüre.^) Auch im Mittelalter waren seine Bücher viel
gelesen; Konstantinos Porph3TOgennetos veranstaltete aus ihm natur-
geschichtliche Exzerpte, Suidas citiert kaum einen anderen Schriftsteller
öfter als ihn, Philes hat ihn im 14. Jahrhundert in Verse gebracht.
Das Hauptwerk des Aelian hat den Titel ttsqI ^ojwv ISiorrjToq
(de natura animaJium), Eingeleitet durch ein Proömium und geschlossen
durch einen Epilog, enthält dasselbe in 17 B. bunte Erzählungen aus dem
Tierleben. In ihnen berücksichtigt der Verfasser hauptsächlich die Seelen-
eigenschaften der Tiere, die Gelehrigkeit der Elephanten, die Treue der
Hunde, die Geschicklichkeit der Bienen, die Geilheit der Lippfische, und
liebt es dabei den Menschen so nebenher aus der Tierwelt einen moralischen
Spiegel vorzuhalten. Geschrieben ist das Buch, wie aus Var. Hist. 10, 1
hervorgeht, nach Dions Geschichte Caracallas; ^) einen unmittelbaren Vor-
gänger hatte Aelian an Demostratos, einer Autorität in Fragen der
Fischerei, deren er 15, 19 mit besonderer Hochachtung gedenkt.
Weniger sorgfältig ausgearbeitet und schlechter erhalten ist das Werk
üoixiXr^ laroQia (varia hisforia) in 14 B., wovon die ersten 15 Kapitel
naturgeschichtliche Gegenstände behandeln, alles übrige der Geschichte der
Menschen angehört. Wir besitzen dasselbe nur in einem Auszug,^) wie
schon das oti im Anfang vieler Artikel zeigt. ^) Daraus erklärt sich der
Mangel einer Einleitung und die grosse Verschiedenheit in der Grösse der
einzelnen Bücher und Erzählungen.^) Das Material hat auch hierzu Aelian
aus den Wundergeschichten und einer kritiklosen Lektüre des Ktesias,
Theophrast, Theopomp, Timaios zusammengebracht.^)
Von ähnlichem Gehalt waren auch die unter sich zusammenhängenden
Schriften 7T8qI ngoroiag und n8Qi Ü^eiMv svaQyeiMv, von denen uns zahl-
reiche Fragmente durch Suidas erhalten sind. Dieselben basierten auf dem
Buch des Stoikers Chrysippos über die Vorsehung') und waren gegen die
Gottesleugner, insbesondere gegen die Epikureer gerichtet. Im Gegensatz
zu Lukians Zsvg TQay(i)d6g suchten sie das Eingreifen der Gottheit in Be-
strafung der Missethäter und Belohnung der Gerechten an Beispielen der
Geschichte nachzuweisen. — Unter Aelians Namen sind auch 20 Bauern-
briefe {dyQoixixal enia%oXai) auf uns gekommen; dieselben sind erotischen
^) Epilog der Naturgeschichte: xio noi-
xtXoi rijg äyccyi^cuasiog ro F.cpoXxdv dt]Qiov xal
Trjv ex Twy o/uoiiou ß^s'Avyfxiav dnodidQuaxcoy
olovEi Isi^iovd Jiya rj atifpavov wQcaov ix
rrjg noXv/Qolug w? dvS^eocfoQMy ziov ^ioojv
rojy ho'kImv io7Jd7]y cTffV zrji^ö^e vcpiivul re xcd
d\cmM^ca T)]u avyyQacptjy.
2) Rudolph, Leipz. Stud. VII, 8 ff.
^) Hekchek, De Aeliani varia liistoria
Rudolstadt 1857, und in der Praefatio der
Pariser Ausg., wo nachgewiesen ist, dass
uns viele Kapitel bei Stobaios und Suidas
vollständiger erhalten sind. Ungewiss ist,
worauf das Citat bei Stephanos Byz. u. XeQ-
QÖvrjGog ' Jlliavdg iy ß' laroQixijg ö'LaXs^siog
geht.
^} Auf Aelian selbst will dieses ort zu-
rückführen Rudolph a. 0. p. 100 f.
^) Die Bücher X u. XI füllen nur we-
nige Seiten; die breitausgeführte Erzählung
von der schönen Aspasia XII, 1 steht in kei-
nem Verhältnis zu den vielen ganz kurzen
Anekdoten.
ß) Siehe Index autorum der Ausg., und
Rudolph, De fontibus quibus Aelianus in
Varia liistoria componenda usus sit, Leipz.
Stud. VII, 18 ff. Viele Quellenschriften, die
Aelian anführt, hat er nicht im Original ge-
lesen; nach A. H. XVII, 37 scheint er nicht
einmal Aristophanes Wolken gelesen zu haben.
Eine Hauptquelle war ihm Favorinus' Ucw-
zo&cmij laTOQiu, aus der er die Namen der
primären Quellen entnahm.
"') Chrysipp ist citiert fr. 81.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§ 480. G09
Inhaltes und der idyllischen Poesie verwandt, passen aber mit ihrer ele-
ganten Form und ihrem feinen Witz mehr für einen attischen Sophisten
als einen römischen Anekdotenschreiber. ^) — Endlich werden unserm Aelian
die Distichen auf Homer und Menander zugeschrieben (CIG. 6092 u. G083
= Kaibel epigr. gr. 1084—5), die in Rom im Hause eines Aelian den
Hermen des Homer und Menander beigeschrieben waren.
Der Text des Aelian ist durch 2 Handschriftenfamilien auf uns gekommen; Haupt-
vertreter der älteren Familie ist ein Vaticanus, jetzt in Paris. — Ed. princ. von Conr.
Gessnek, Zürich 1556; kritische Ausgabe von R. Herchek, Par. 1858 und in Bibl. Teubn.
1864. — Spezialausg. der Hist. anim. cum priorum et suis animadv. ed. J. Gr. Schneider,
Lips. 1784; ad fidem codicuvi restit. et annot. illustr. Fr. Jacobs. — Var hist. ed. Peri-
zoNius, LB. 1701.
480, Paradoxographen. An Aelian mögen sich die übrigen Anek-
dotenschreiber, deren Schriften Westermann zu einem Corpus paradoxo-
graphorum vereinigt hat,^) anreihen. Die Litteratur der Wundergeschichten
geht auf die alexandrinische Zeit zurück, aus der wir bereits die Samm-
lungen von Kallimachos und Antigonos kennen gelernt haben. •^) In unsere
Periode fallen: Apollo nios, dessen ^laroQiai ^aviiäaiai uns in ver-
stümmelter und gekürzter Form vorliegen;^) Phlegon von Tralles aus
der Zeit Hadrians, dessen historisches Handbuch bereits oben § 442 be-
sprochen wurde; Ps. Sotion, mit dem wahren Namen Isigonos, Verfasser
eines mageren Verzeichnisses tmv anoQäörjV tcsqI noTa{.mv xal xQrjvoyr xal
Xi/iivcüv naQaSo^oXoyovix&vmv;^) Adamantios, Sophist des 3. Jahrhunderts,
von dem uns eine von Val. Rose herausgegebene Schrift über die Winde
erhalten ist.^) Einer späteren Zeit gehört das Büchlein des Philon Byzan-
tius tcsqI twv 8m d ^saficcTMv an, das Rohden nach den Anzeichen des
streng vermiedenen Hiatus der 2. Periode der sophistischen Beredsamkeit,
genauer dem Anfang des 6. Jahrhunderts zuweist.
Paradoxographi graec. ed. Westermann, Braunschweig 1839. — Val. Rose, Anec-
dota graeca, Berl. 1864, 2 Bde. — Rohden, De mundi miraculis, Bonn 1875.
^) Suidas erwähnt uyQoixixal inKnoXui
von den Sophisten Zonaios und Meleser-
mos; erhalten sind uns solche im 3. B. des
Alkiphron. Die Echtheit unserer Sammlung
sucht zu verteidigen Hercher in der Pariser
Ausg. praef. X; aber der Verfasser bezeichnet
sich deutlich in dem letzten Brief mit ov
yc(Q io^sv ovTE Aißveg ovrs Avdol «^Ä' \4dr]-
vctloi }'E(x)QyoL als Athener.
2) Dazu ergänzend Keller, Herum natu-
ralium scriptores graeci minores, Lips. 1867
in Bibl. Teubn.
^) Westermann in der Vorrede seiner
Ausgabe gibt ein Verzeichnis sämtlicher
Paradoxographen. Ausser Kallimachos und
Antigones schrieben unter Ptolemaios Phi-
ladelphos Archelaos und Aristokles in
Versen über wunderbare Dinge (Aelian A.
H. XI, 4; Antigen, c. 19). Um dieselbe
Zeit schrieben Nymphodoros tisqI rioy ey
I^ixelia S^ra\uaCofi8i'üJi/ und in ähnlichem Ton
Lykos aus Rhegium; Fragmente bei Müller
FHG.II,372--381. Dem Aristoteles unter-
geschoben ward die Schrift nfQt rhcvfjaatiDi'
KxovauÜTioi'. Auch das romanhafte Buch
Ilaudbuch der klass. Altertumswisaeuscbaft. VII.
des Hekataios aus Abdera über die Hyper-
boreer, und des Jambulos über eine fabel-
hafte Insel des indischen Ozeans gehörten in
das gleiche Gebiet.
^) Der Anfang des Buches scheint ver-
loren gegangen zu sein; Phlegon c. 11 u. 13
citiert Angaben des Apollonios, welche in
unseren 51 Kapiteln nicht enthalten sind.
Auf einen Auszug weist der ganz verschie-
dene Umfang der einzelnen Kapitel.
^) TIsqI iMv TiaQu^o^Mv notafAioi^ hatte
schon Philostephanos, der Schüler des
Kallimachos, geschrieben; s. Ath. 331d. So-
tion als Verfasser von Georgika kommt
öfters in den Geoponika vor, worüber Ge-
MOLL, Geoponika p. 193 — 9.
^) Unsere Schrift ist vor Phlegon ge-
schrieben, wenn Westermann c. 35 4>utx)ioi'
(f7jai mit Recht in ^PXiyiov (pifai verbessert
hat. Rose, Anecd. gr. Berl. 1864 p. 10 be-
weist, dass die Schrift von Isigonos von
Nicaea herrührt, der im 1. .lahrh. v. Clir.
lebte und bereits von Varro benützt wurde.
Die Schrift steht neben verwandten im cod.
Laurent. 56, 1.
Aufl. 39
ßlQ Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
481. Artemidoros, der Traumdeuter, kann auch noch zu den Wunder-
schriftstellern im weiteren Sinne gerechnet werden. Derselbe ist Verfasser
der uns erhaltenen 'OveiQoxQinxä in 5 Büchern mit einem Anhang von Bei-
spielen erfüllter Träume (ovsiqmv anoßäaeiq). Suidas nennt ausserdem von
ihm Olcövoaxonixä und X^iQoaxoTiixcc. Er stammte aus Ephesos, nannte
sich aber Daldianos von der Stadt Daldis in Lydien, wo er seinen Wohn-
sitz gehabt zu haben scheint; sein Leben fiel in die Zeit des Hadrian.
Das uns erhaltene, elegant geschriebene Buch gibt mit ernster Miene eine
förmliche Theorie der Traumdeuterei, lässt aber doch für Verlegenheiten
allerlei Hinterpförtchen offen, indem z. B., wenn einem träumt, dass ihm
Ameisen in das Ohr kriechen, dieses für den Sophisten glückverkündend
ist, für andere Menschen aber nahen Tod bedeutet. Wichtiger als durch
den Humbug der Traumdeuterei ist das Buch durch die Citate und ge-
lehrten Notizen, die der belesene Schriftsteller seiner Darstellung einflichi.
In ähnlichem Fahrwasser bewegen sich die Orakel des Astram psychos,
die sich vielfach mit den lateinischen Sortes Sangallenses (ed. Winnefeld,
Bonn 1887) berühren.
Artemidor rec. Hercher, Lips. 1864 auf Grundlage des cod. Laur. 87 und Marc.
268. — Ästrampsychi oraculorum decades CHI ed. Hercher, Berl. 1863, Programm des
Joachimsthaler Gymn.
482. Athenaios aus Naukratis in Ägypten ist Verfasser des So-
phistenmahles (dfiTTroaocfiaTai) in 15 B., das bis auf den Schluss und die
ersten Bücher (B. 1, 2 und Anfang von 3), die wir nur im Auszug haben,
unversehrt auf uns gekommen ist. Von der Person des Verfassers be-
merkt Suidas bloss: 'A^r'jraiog NavxQarfTijg yQajUfiaiixog, Y8yovcoQ stcI toov
Xq6vo)v Mäqxov. Auch aus anderen Quellen erfahren wir nichts näheres
über ihn; wir ersehen aber aus seinem Werke, dass er ein Mann von
grosser Belesenheit und glücklichem Gedächtnis war, der ob seines mannig-
faltigen Wissens und seines mitteilsamen Wesens gern in der Tischgesell-
schaft der vornehmen Welt Roms gesehen wurde. Von seinen früheren
Arbeiten erwähnter selbst eine Spezialuntersuchung über den Seefisch ^gärra
(p. 329 d) und eine Schrift über die Könige Syriens (p. 21 la).^) Der reiche
Inhalt seines Hauptwerkes ist in die Form von Tischgesprächen bei einem
Gastmahl des Larensis gekleidet, und zwar so, dass Athenaios, der selbst
unter den Tischgenossen gewesen war, seinem Freunde Timokrates erzählt,
was bei jenem Mahle geschehen oder vielmehr gesprochen worden sei.
Wer erkennt hier nicht sofort, auch wenn nicht das ^r'jlfo nXarMvixn) bei-
gefügt wäre, die Einkleidung des platonischen Gastmahls wieder? Aber
während dort dramatisches Leben herrscht und die Tischgespräche von
einem Umfange sind, dass sie auch wirklich so gehalten sein konnten, ver-
liert Athenaios oft ganze Bücher hindurch die Scenerie aus dem Auge und
pfercht eine solche Unmasse von Dingen in den Rahmen eines Gastmahles,
dass wir die ganze Einkleidung als eine unglückliche, völlig missglückte
Nachahmung betrachten müssen. Der Gastgeber also ist Larensis, ein
^) Eine dritte Schrift deutet er an p.
155 a: ort tfe x«l ol Ivdo^oi xcd ol i]y8u6ysg
ey (cXkoig £iQijx((fJ€y. M
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, g) Die Sophistik. (§481—482.) ßH
hochgestellter, in beiden Sprachen bewanderter Römer, i) den der Kaiser
M. Aurel -) zum Pontifex gemacht hatte, so dass wir unwillkürlich bei den
vielen Schüsseln des Mahles an die berühmten coenae pontificimi erinnert
werden. Geladen waren 29 Gäste aus verschiedenen Lebensstellungen, doch
alle durch ihre Bildung des Ehrentitels aocfiarai würdig. Da waren die
Juristen, die Dichter, die Grammatiker, die Philosophen, Rhetoren, Arzte,
Musiker vertreten; aber die meisten, wie z. B. auch der Arzt Galen, spielen
die Rolle stummer Personen, in den Vordergrund des Gesprächs treten
hauptsächlich der Rechtslehrte Masurius, der im ganzen 5. Buch allein
das Wort führt, der Kyniker Kynulkos, der mit seinen Polterreden auf die
Üppigkeit und die Hetärenpoesie die lustige Person des Gespräches abgibt,
und der Rhetor Ulpian aus Tyrus, der den Spitznamen KeirovxsiTog führt.
Über die Zeit, in welcher das Gastmahl gehalten wurde, scheint die Stelle
p. 686c, welche Schweighäuser auf den im Jahre 226 erfolgten Tod des
berühmten Juristen Ulpian bezog, ein Anzeichen zu enthalten. Aber die
Voraussetzung, dass der Jurist Ulpian und der gleichnamige Sprecher
unseres Buches eine Person seien, gründet sich nur auf die Gemeinsamkeit
des Namens und der Vaterstadt Tyrus, wird aber dadurch hinfällig, dass der
Jurist gewaltsam ermordet wurde, unser Tischgenosse aber eines ruhigen
Todes starb (p. 686c). Von einer so weit herabgehenden Jahreszahl also
müssen wir absehen und uns darauf beschränken, anzunehmen, dass das
Gastmahl in die nächste Zeit nach dem Tode des Kaisers Commodus (192)
fiel. Denn die höhnende Bemerkung über jenen Kaiser p. 537 f. hätte
Athenaios nicht zu dessen Lebzeiten zu machen gewagt.
Das Sophistenmahl ist eines der inhaltreichsten Bücher, das für uns
nach den grossen Verlusten der Litteratur der neuen Komödie und der
alexandrinischen Periode von unschätzbarem Werte ist. Man hat es ein
Lexikon, gekleidet in die Form von Tischgesprächen, genannt, und in der
That verraten einige Abschnitte, wie die von den Fischen (B. 9), von den
Trinkgefässen (B. 11), von den Kuchen (B. 14), von den Früchten, Salben,
Kränzen schon durch die alphabetische Aufzählung den lexikalischen Ur-
sprung. Aber auch sonst versteckt sich gewiss oft hinter dem prunkenden
Schein ausgedehntester Belesenheit nur die wohlfeile Arbeit des Exzerpierens
gelehrter Artikel der Lexika des Didymos und Pamphilos. Selbst die mit
der Maske eines gewiegten Kritikers zum Überdruss oft zugefügte Be-
merkung d yrrjaiov to ßißh'or scheint zum grossen Teil nur das kritische
Urteil jener Lexikographen und der von ihnen ausgezogenen Grammatiker,
nicht das eigene des Verfassers zu enthalten.^) Aber immerhin bietet das
Werk eine staunenswerte Fülle gelehrter Bemerkungen und gehörte sein
^) Mit Laiensis und nicht mit Laurentius | in den Artikel des Suidas gekommen. Ein
muss, wie mich Dittenberger belehrte, das P. Livius Larensis pontif. minor kommt vor
griechische.//«()»;t'(rto?wieder gegeben werden. auf einer Ära des vatikanischen Museums
CIL. VI, 212G, vgl. Dessau, Herrn. 25 (1S90)
156 ff.
•'') So kommt es, dass das Buch 7ie()l
fisOi]g p. 427 c dem Theophrast, p. 401 a dem
Chamaileon zugeschrieben werden koiiiilo.
Als seinen Ahnen bezeichnet Larensis p. IGOc.
den berühmten Polyhistor Varro.
'^) Athen. I p. 2c: Xt'yetö' uvroy xcd
xmd Tov Tnh'j' uqiütov ^-iaaiXfcoc: Muqxov.
Daraus ist wohl das tVn noy /()6fioi^ M(((>y.oi>
39 =
612
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Verfasser zu jener Klasse vielleseiider und gedächtnisstarker Philologen,
wie sie das Altertum zahlreicher als die Neuzeit hervorgebracht hat.
Athenaios hat mit seinem Sophistenmahl nichts neues geschaffen, er
hatte zahlreiche Vorgänger, die er fleissig benützte. Seit Piaton und Xeno-
phon mit ihren Symposien vorangegangen waren, waren ähnliche Werke
in Masse gefolgt. Nach Piaton schrieb zunächst Epikur ein Gastmahl,
das Athen. V, 12 einer sehr abfälligen Kritik unterzieht, 0 sodann Per-
saios, dessen 2v/.i7totixoI SiäXoyoi aus den Erinnerungen des Megarikers
Stilpon und des Stoikers Zenon zusammengesetzt waren. Gemischten In-
haltes waren die ^vfiifiixTa avimoTixä des Aristoxenos, die sich Plutarch
in seinen ^v^rroaiaxd jiQoßXrji^iaTa zum Vorbilde nahm. Dem speziellen
Gebiete der Grammatik und Philologie gehörten die 2vp.noaiaxd avfxixixTa
des Didymos^) und das ^vfinoaiov des Herodian an. Dazu kamen zahl-
reiche Symposien in Versen, wie die ^HSvTtdl}£ia''^) des Archestratos, eines
Zeitgenossen des jüngeren Dionysios, die 11 Bücher Jsittvmv des Rhodiers
Timachidas,*) die parodischen Gastmahle des Matron,^) Hegemon,^) Nume-
nios,') Herakleides aus Tarent.^) Reichen Stoff zu den Gesprächen über
den materiellen Teil des Mahles boten dem Athenaios ausserdem die
poetischen und prosaischen Verfasser von ^Ahevnxä,^) 'OipaQTVTixä,^^)
OtjQiaxd, 1 1) sowie die Schriften der Philosophen über die Lust (ttsqI rj6ovt]g)
in denen auch der Genüsse des Mahles gedacht war. i-) Mehr aber als die
Fische, Brühen, Weine, Salben interessieren uns die 7iaQo\f,i^iaxa^ die No-
tizen über Musik, Lieder, Tänze, Spiele, Hetären, Parasiten und die Anek-
doten, die sich an dieselben knüpfen; wer hat nun dazu unserem Athenaios
den Stoff geliefert? zur Beantwortung dieser Frage lieferte der reiche Index
von Schweighäuser nur das Material; die Antwort selbst gaben neuere
Spezialuntersuchungen,!^) indem sie die Lexikographen Didymos, Tryphon
und Pamphilos, das Sammelbuch des Favorin,!*) das Buch des Dioskorides
über das Leben der Heroen bei Homer als Hauptquellen des Athenaios
nachwiesen.
^) Die Fragmente bei Usener, Epicurea
p. 115 ff. ,
2) M. Schmidt, Didymi fragm. p. 308 sq.
^) So betitelte das Werk Kallimachos;
Chrysippos nennt es raoxQovouicc, Klearchos
Jeinpoloyicc, andere ^OiponoiTcc s. Atli. 4e;
witzig heisst der Verfasser selbst bei AHi.
310 a 0 TMi' oxpocpdyoiu Haioö'og.
■*) Ath. 5a; nach der Fassung dieser
Stelle scheint aber Athenaios von dem Buche
nur durch andere Kenntnis gehabt zu haben.
^) Ein grosses Stück daraus bei Ath,
134-137.
e) Ath. 5 b.
^) Das Werk des Numenios heisst p. 5a
JeiTjyoy, p. 13b ^JhsvTixu.
^) Von ihm ist angeführt ein Iv^nooiov
p. G4a, 67 e u. a.
•') Aufgezählt sind dieselben bei Ath.
p. 13b.
^^) Aufgeführt p. 51(5 c.
^') Besonders häufig berief sich Athe
naios auf den Dichter Nikauder.
^2) Das Buch des Chrysipp neQi xaXov
xcd rjdoyijg erwähnt Athenaios oft mit be-
sonderer Anerkennung, so p, 565 a: /cägo)
ndpv TM ccv^qI dici TS xi]v noXvfXcc^iccy xcd
Ti]y rov ij&ovg eTiisiy.eiav.
^^) RoHDE, De Pollucis fontibus, Lips.
1870; Bapp, De fontibus quibus Aihenaeus
in rebus musicis hjricisque enarrandis usus
Sit, in Leipz. Stud. VIII, 86—160; Beiträge
zur Quellenkunde des Athenaeus, in Comm.
Ribbeck. 253—65. Schon Lentz, Herod. techn.
rell. praef. p. CLXI hatte bemerkt: Athe-
naeum, qui diu tamquam vastae eruditionis
exemplar adinirationi fuit, Pamphilum ita
exscripsisse, ut eins copiis tamquam suis se
iactaret, scriptores a Pampliilo in testiuw-
nium vocatos quasi ipse legisset afferens
nemini non notum est.
^^) Das Sammelwerk desFavorinus wollte«
zur Hauptquelle erheben Rudolph, De fon-
tibus Aeliani, in Leipz. Stud. VII, 109, da-
gegen Bapp, Leipz. St. VIII, 151.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, h) Lukianos. (§ 483.) 613
Alle Hdschr. des Ath. gehen auf einen Archetypus, den cod. Marcianus ^ zurück;
daneben existiert noch eine Kpitorae im cod. Laur. üO, 2 u. Paris. 3056, die aus einem
dem A verwandten Codex ausgezogen ist, s. Kaibel, Ind. lect. Rost. 1883 u. Wissowa,
De Athenaei epüome, in Comment. in Jionorem Reifferscheidii. — Erste bedeutende Aus-
gabe von Is. Casaubonus, Genev. 1597, nach deien Seiten citiert wird; mit den Anmer-
kungen der Früheren von Schweighäuser, Argent. 1801— 7, 14 vol.; recogn. Meineke in
Bibl. Teubn. 1858, 3 vol., wovon die neue Auflage von Kaibel besorgt wird.
h. Lukianos.
483. Wenn ich im Anscliluss an die Sophisten von Lukian handele,
so bedarf dieses der Entschuldigung. Denn Lukian ragt nicht bloss turm-
hoch über die Sophisten gewöhnlichen Schlages hervor, er hat auch wie
kein zweiter die Schattenseiten der in dem trügerischen Glänze einer er-
logenen Bedeutung sich sonnenden Sophistik durchschaut und gegeisselt.
Aber gleichwohl gehört derselbe seinem Bildungsgang und sozusagen seiner
Profession nach der Klasse der Sophisten an.')
Leben Lukians. Lukian-') war in Samosata, der Hauptstadt der
syrischen Landschaft Kommagene, um 125 geboren^) und erreichte seine
Blüte unter den Antoninen. Seine Eltern waren wenig bemittelt und be-
rieten daher, als der Knabe herangewachsen war, in einem Familienrat,
ob sie denselben studieren lassen oder seinem Onkel, einem tüchtigen Bild-
hauer, in die Lehre geben sollten. Die Erwägung, dass das Studieren
[TiaiSeia) viel Zeit und namentlich viel Geld koste und ohne hohe Protek-
tionen doch nicht leicht zu einem auskömmlichen Dasein führe, bestimmten
sie dem ehrsamen Handwerk den Vorzug zu geben, zumal der Kleine schon
bei dem Spielen mit Wachsfiguren ein ungewöhnliches Talent für die Kunst
an den Tag gelegt hatte. Aber da der Lehrling das Unglück hatte, gleich
in den ersten Tagen durch einen zu kräftig geführten Hammerschlag einen
Marmorblock zu zerschlagen und dafür von seinem Meister den Riemen 2u
schmecken bekam, so lief er wieder zu seinen Eltern und weigerte sich
hartnäckig, in die Lehre zurückzukehren. Es waren ihm nämlich im
Traume die Techne und die Paideia erschienen, und es hatte die letztere
mit so glänzenden Vorspiegelungen die erstere aus dem Felde geschlagen,
dass er sich fest entschloss, dem Weg der Bildung zu folgen und sich zu
dem, was damals als höchstes Ziel der Bildung galt, zu einem Rhetor aus-
zubilden. Das alles hat er uns selbst in dem Buche „Der Traum" aller-
liebst erzählt. Von weiterer Bedeutung sind uns aber diese Mitteilungen
aus der Jugendzeit des Lukian, da sie uns das feine Urteil, welches der-
selbe in Kunstfragen bewährt, begreifen lassen.*)
Zuerst nun trat unser junger Semite, nachdem er erst die griechische
Sprache erlernt'^) und bei einem Rhetor, wir wissen nicht wem, in die
*) Er nennt sich selbst Bis accus. 14
(>7]T0QCi ZvQov, c. 25 'AoyoyQucpov IVQOV.
■^) Von fiukian gilt das horazische omnis
rotiva pateat velnti descripta tabclla vita
srnis. Ausser seinen Schriften belehren : Jacob,
Cliarakteristik Lukians von Samosata, Hamb.
1832; C. Fr. Hermann, Zur Charakteri.stik
liukians, in Ges. Sehr., Gott. 1849.
■^) Suidas u. ylovxicct'og: ytyove öe enl
Tov KaiauQog TQcacci'fw xcd inixeivic. Aber
da Lukian in dem Dialog Bis accus. 32, der
zwischen 102 —105 geschrieben ist, sich einen
Vierziger nennt, so kann er kaum vor 120,
eher erst 125 geboren sein; s. Roiide, Rh.
M. 33, 174 f. und Daub, Stud. zu Suidas
S. 63 f.
') Welcher. Alte Denkm. I, 420; Blüm-
ner Archäologische Studien zu Lukianos,
Bresl. 1807.
•"') Bis accus. 23: eyio roviovl xofiidrj
ßl4 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Schule gegangen war, in derjenigen Gattung der Beredsamkeit auf, welche
damals als die erste, d. i. unterste Stufe galt, in der gerichtlichen, und
zwar nach einer Notiz des Suidas in Antiochia, dem Sitz der Behörden der
Provinz Syrien. Lange aber scheint er das Amt eines Sachwalters nicht
geführt zu haben, da er dasselbe in demjenigen Dialoge, in dem er
von seinem weiteren Bildungsgang erzählt, in dem Jlg xaTrjyoQovjiAsvog
nicht einmal einer Erwähnung würdigt. Vielmehr wandte er sich
bald derjenigen Richtung der Rhetorik zu, welche am meisten damals
Ruhm und Gewinn versprach, der epideiktischen oder sophistischen. Ein-
geführt wurde er in dieselbe in lonien, vermutlich in Smyrna, wo damals
der Sophist Polemon eine mächtige Anziehungskraft ausübte. Er zog dann
selbst als Wanderredner durch Kleinasien, Griechenland, Makedonien, Italien
und Gallien,^) um bei Festversammlungen, wie wiederholt in Olympia,^)
oder bei anderen Gelegenheiten sich hören zu lassen. In diese Art von
Thätigkeit schlagen von den erhaltenen Schriften unseres Autors mehrere
sophistische Deklamationen ein, wie über den Tyrannenmörder, über Pha-
laris, über den Enterbten ('ATJüxrjQVTToiufvog), das Lob der Mücke, der Streit
der Buchstaben (Jixtj (fMvi]svTMv) ; ^) doch fühlt man in den meisten der-
selben schon den Satiriker heraus, wie namentlich in dem zweiten Phalaris,
wo der Delphier als Vertreter des Satzes von der Kirche mit dem guten
Magen unbedenklich die Geschenke des grausamen Tyrannen anzunehmen rät.
484. Aber so glänzende Erfolge er auch als Rhetor erntete, lange
hielt ihn doch diese Beschäftigung nicht fest; er erkannte zu bald die Hohl-
heit der geschminkten Buhlerin^) und wandte sich von ihr ab, um etwas
Höheres und Grösseres in den Lehren der Weisheit zu suchen. Von ent-
scheidender Bedeutung für diese Umkehr war der Besuch des Platonikers
Nigrinus in Rom, wie er uns selbst, noch ganz hingerissen von der edlen
Gestalt dieses echten Weisen, in dem gleichnamigen Dialoge erzählt. Be-
zeichnend ist es dabei, dass gleich von vornherein unseren Autor nicht die
einfache Tugendlehre anzog, sondern die damit verbundene Geringschätzung
des eitlen, lächerlichen Treibens der Mehrzahl der Menschen.^) Ihm sagte
eben nicht die pathetische Rolle eines stoischen Tugendpredigers zu, sondern
die anheiternde Art eines geistreichen Satirikers. Durchdrungen also von
der Erkenntnis des Scheinwissens der Sophistik und erfüllt von einem
höheren, in der Philosophie wurzelnden Streben gab er das Wanderleben]
auf und verlegte seinen Sitz nach Athen, der Stadt des Geistes und dei
feinen Bildung. Zugleich änderte er die Form seiner Schriftstellerei: an
die Stelle langer, in wohlgesetzten Perioden sich bewegenden Reden traten
fXELQCixiop ovrct, ßciQßagop ert xrjp cp(x)P7]v
xccl ^ovop ov/l xdv^vp it'dedvxorct ig rov
'Agovqioi^ tqottov 71£qI xrjv ^liovlau evQovaa
n'kut^ofjiEvov 8Ti x(d '6t( /QTjaaito eaviM ovx
eidoTcc TiaQCilußovoa Encädevaa.
') Alex. 56, Bis accus. 27, Apol. 15, de
electro 2.
2) Peregr. 24, Alex. 7.
^) Es ist der Streit des Sigma gegen
das Tau vor dem Gerichtshof der Vokale,
indem sich das Sigma über die Gewaltthätig-
keit beklagt, mit der es durch das Tau in
jener Zeit des affektierten Attikismus aus
einer Menge von Wörtern, wie orjfxegov,
a^dlaaaa, 05(j(7«At« verdrängt worden sei. Ein
feiner Juwel ist auch die Deklamation fiv'iag
eyxoifiiov, die gleichfalls aus dieser Zeit
stammt.
^) Bis accus. 31.
^) Nigr. 14 u. 59. Seine Bekehrung zur
Philosophie und seine baldige Enttäuschung
auch in dieser Disziplin erzählt er Piscator 29 f.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, h) Lukianos. (§484.) (315
kurze, Scherz und Witz atmende Dialoge. Der Dialog war zwar seit Alters
in der Philosophie, speziell in der Akademie, zu Haus, aber Lukian nahm
ihm den erhabenen Ernst und die spitzfindige Dialektik und belebte ihn
mit dem Witz und Geist der Komödie. So konnte er von sich rühmen,
dass er eine neue Gattung in die Litteratur eingeführt habe,^) wiewohl er
insofern in dem Fahrwasser der Sophistik blieb, als er seine Dialoge zu-
nächst zum Vortrage bestimmte und dieselben erst nachträglich durch Ab-
schriften in die Öffentlichkeit brachte. 2) Seine Glanzzeit als Satiriker und
Dialogschreiber erreichte er unter M. Aurel und Commodus; speziell in die
ersten Regierungsjahre des M. Aurel, zwischen 162 und 165, fällt der
witzige Dialog J'ig xatrjyoQoviJ^svog,^) in dem er die neue Form seiner Schrift-
stellerei, durch die er damals bereits zu Ansehen und Ruhm gelangt war,
geistvoll verteidigt.
Aber auch das Leben eines Dialogschreibers führte Lukian nicht bis
zu seinem Ende fort. Wie es bei uns vorkommt, dass ein Arzt, nachdem
er sich zu früh zur Ruhe gesetzt, später nochmals die Praxis aufgreift,
so kehrte auch Lukian, nachdem er bereits alt geworden, 4) von neuem
zur Stellung eines Schönredners zurück.^) In geistreicher Weise leitet
er diese Rückkehr durch den Prolog (TTQoXahä) Herakles ein.^) Zu
den Reden aus dieser Zeit scheinen der Dionysos, Zeuxis, Herodotos,
Elektron, Prometheus in Reden, das Lob des Vaterlandes, Wahre Ge-
schichten zu gehören. Später knüpfte er mit den Mächtigen des Reiches
Verbindungen an, welche für seine letzten Lebensgeschicke von entscheiden-
der Bedeutung waren. Er nämlich, der vordem in der Schrift IIsqI twv
im lua^m avvövTwv in so grellen Farben das bedauernswerte Los der Ge-
bildeten, die bei anderen in Lohn stehen, geschildert hatte, opferte schliess-
lich selbst seine Selbständigkeit und nahm im Alter, ähnlich wie sein römi-
scher Geistesverwandter Juvenal, einen gutbezahlten Posten in Ägypten an.
In seiner Verteidigung'^) rechtfertigt er diesen seinen Schritt, indem er auf
den grossen Unterschied einer privaten Hofmeisterstelle und eines öffent-
lichen Amtes hinweist. Dort in Ägypten endete er auch sein Leben, ohne
nochmals nach seinem geliebten Athen zurückgekehrt zu sein. Suidas lässt
ihn ähnlich wie den Euripides von Hunden zerrissen werden; das war
wahrscheinlich nur eine später missverstandene Allegorie, bei der unter den
xmsg die Kyniker, die bitteren Feinde des Lukian, verstanden waren.
') Proni. in vcrbis 3,
'-) Lukian, Pisc G; vgl. Rohde, Griech.
Roman S. 805.
^) Diese Zeitbestimmung ergibt sich aus
c. 2, wo auf den Paitheikrieg angespielt
ist, der mit dem Triumphzug der Kaiser im
Jahr 165 abschloss.
^) Dionys. 6, Hercul. 7, Pro lapsu inter
Salut. 1 .
^) Thimme, Quaestionum Lucianearum
Cdpita quattuor, Halle 1884 p. 1 ff. widerlegt
die früher verbreitete Annahme einer zweiten
Rundreise und nimmt bloss eine Wieder-
aufnahme der Recitationen an.
') Ilerc. 7: ifxol (fi rji'ixa neQt ii]g devQo
TTaQodov TCivirjg iaxo7TovfX}]y TJQog iucivröv,
£i fxot xu'Mog €X£t r}]Xiy.(ods optl xai ndXca
rcjy 87n6ei^£iov rrejiavfxivip av&ig vneQ ifxccv-
lov \{jrj(foi' (hifävta rooovioig (fixccarcag. Eine
Recitation hielt er des Jahres darauf, zu
welcher der Jiovvaog die Prolalia bildete,
wie der Verfasser am Schlüsse derselben
andeutet. Dass beide Einleitungen zu den 2
Büchern der 'JXiji^TJg iaioQia gehörten, ist
eine speziose Vermutung Thimme's Jhrb. f.
Phil. 137 (1888) S. 502 ff. Die nQoXahai
vergleichen sich den Prooimia der alten
Rhapsoden und den einleitenden Trimetern
des loannes Gazaeus und Paulus Silentiarius.
') Apolog. 11.
GIG
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
485. Schriften Lukians. Erhalten sind uns unter Lukians Namen
82 Schriften, darunter manche zweifelhafte und unechte.^) Sie sind alle
von massigem Umfang und zum grösseren Teil in dialogische Form ge-
kleidet. Neben Schriften in Prosa befinden sich darunter 2 dramatische
Scherze in Versen, ^Qxvttovc und TQayoiSoTrodäyQa,'^) und 53 elegante witzige
Epigramme, welche in die Anthologie Aufnahme fanden. Die Schriften
nach der zeitlichen Folge zu ordnen, wäre schier unmöglich; denn nur von
wenigen, wie von ^Egfionpog (um 1G5),^) Jig xaTiqyoQoviievoQ und Eixoveg
(1G2 — 165), Jlwg Sei laTogiav avyyQacfsiv (bald nach 1G5), Totengespräche
und IleQsyQivog (1G7),*) EinoT'xog (bald nach 17G),"^) ^AXt-'^avdQog (bald nach
180), '^) ^AnoXoyia und IleQl tov ev nqoaccyoQevasi TTiccicffxaTog (während des
ägyptischen Aufenthaltes) können wir die Abfassungszeit mit Sicherheit
angeben. Bei andern vermögen wir nur das gegenseitige Verhältnis zu
ermitteln, wie dass der Nigrinus die erste Periode der sophistischen Bered-
samkeit abschloss, dass vor der Schrift Jig xaxriyoQov^svog sich Lukian
bereits durch seine kleineren Dialoge einen Namen gemacht hatte, dass die
jQani-Tai nach dem Peregrinus fallen, weil daselbst c. 7 der Verbrennung des-
selben gedacht ist, dass die Prolaliai Herakles und Dionysos dem vorgerückten
Alter unseres Autors angehören. Bei vielen andern ist uns nicht einmal
eine relative Zeitbestimmung möglich, und da nun auch in den Hand-
schriften und älteren Ausgaben ein irgend vernünftiges Prinzip der Anord-
nung nicht zu erkennen ist,^) so haben Imm. Bekker, Sommerbrodt u. a.
eine Neuordnung nach stilistischen und sachlichen Gesichtspunkten ver-
sucht,^) an die ich mich im wesentlichen halten werde.
486. Die Deklamationen bilden den geringsten Teil der lukiani-
schen Schriften; sie hängen mit der Thätigkeit ihres Autors als Wander-
redner zusammen und sind zum grössten Teil bereits in seinem Lebens-
abriss § 483 von uns angeführt worden. Zu den dort schon erwähnten,
TvQccvroxxovog, 'Anoxr^qvTTo^iivog, (I^aXagig, Mviag syxwfjiior, z/fxi^ (fwvrjtvTMV^
füge ich hier noch einige andere, die er in Athen oder bei kürzeren, von
^) Nicht erbalten ist uns das im Demo-
nax c. 1 erwähnte Buch über den Böotier
Sostratos.
^} Eine Komödie 'Sixvnovg des Akakios,
eines Freundes des Rhetors Libanios, ist er-
wähnt in des letzteren Briefen n. 1380;
diesem will Sievers, Leben des Libanius S.
138, unsere Humoreske zuschreiben. Die
gute metrische Form unserer beiden zu-
sammengehörigen Stücke 'Sixvnovg und Uo-
ddygct, über welche Friedrichsmeier, De
Luciani re metrica Kiel 1889 gehandelt hat,
ist dieser Hypothese nicht günstig. Sehr
unsicher aber ist es, ob die in der Antho-
logie erhaltenen Epigramme des Lukianos
wirklich von unserem sophistischen Satiriker
herrühren.
^) Nach Hermot. 13 war er damals 40
Jahre alt.
^) Dieses Jahr ist ermittelt von Nissen,
Rh. M. 43 (1888), 255.
^) Eun. 3 bezieht sich auf eine Vakanz
der im J. 176 gegründeten philosophischen
Lehrkanzel.
^) Alex. 48 ist geschrieben nach dem
Tode des Kaisers M. Aurel.
^) In Bezug auf die Folge der Schriften
weichen die Codices stark von einander
ab; hier die ursprünglich den Handschriften
zu grund liegende, von Lukian oder dem
Herausgeber seiner Werke beabsichtigte Ord-
nung wiederzufinden, wäre eine lohnende
Sache, deren Lösung ich von einem jungen
Freunde Dr. Th. Preger erwarte.
^) Imm. Bekker, Über die Reihenfolge
der Schriften des Lukian, Monatsber. der
Berl. Ak. 1851 S. 359-365; Sommerbrodt
in Proleg. seiner Ausgabe ausgewählter
Schriften Lukians; A. Planck, Quaest. Lu-
cianeae, Tubing. 1850; Fr. Fritzsche in der
grossen Ausg. III, 2 p. LXIX ff.; P. Vogt,
De Lncianilibellorum pristino ordine, x>art. I,
Marburg 1889.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, h) Lukianos. (§485—487.) 617
Athen aus unternommenen Reisen gebalten zu haben scheint, nämlich:
^HqödoTog rj 'Astimv, worin von der Vorlesung der Historien des Herodot
und der Ausstellung eines Gemäldes des Aetion in Olympia gehandelt ist,
Zev^ig, der von der Schilderung der Hippokentauren des Malers Zeuxis
seinen Namen hat, IJegl tov oi'xov, eine geschmackvolle und kunstverstän-
dige Beschreibung eines schönen, mit Gemälden ausgerüsteten Sales, ferner
jiQjiioviSrjg, ^xv&r^g rj Jiqö'isvog. Auf seine Thätigkeit als sophistischer Redner
haben auch Bezug das 'Evvttviov, in dem er mit Stolz auf seine Erfolge als
epideiktischer Redner hinweist, und der IlQOfxrjS^evg si iv löyoig, worin er
das ihm beigelegte ehrende Beiwort IJQOfxrj^svg sv Xöyoig auf seine Findig-
keit in der Ausbildung neuer Litteraturformen deutet.
487. Die Dialoge zerfallen zeitlich und inhaltlich in mehrere Klassen.
Die eine, die ältere, umfasst die meistens kleineren Dialoge, die den Götter-
glauben, die Philosophensekten, die Marktschreierei der Sophisten, die
Schwächen und Verkehrtheiten der Menschen überhaupt lächerlich machen
und mehr launig und scherzhaft als bitter und verletzend sind. Unter
ihnen nehmen den ersten und grössten Platz die Götter dialoge ein,
welche ähnlich wie einst die Komödien des Epicharm und die Hilaro-
tragödien des Rhinthon lustige Scenen aus der Götterwelt vorführen, jedoch
so, dass neben dem Gefallen an den scherzhaften Seiten des alten Mythus
die Absicht der Verspottung des Götterglaubens durchblickt. Dahin gehören:
ÜQOiiri^evg rj Kavxaaog, /liäXoyoi {Jcwr, 'ErccXioi Siäloyoi, NsxQixol Jt«Ao/o/> ')
KarärcXovg. Mit den letzteren verwandt sind die geistreichen, vielgelesenen
Dialoge Charon und Menippos. In dem ersteren kommt der Fährmann
Charon aus der Unterwelt herauf, um von dem auf den Ossa und Olymp
getürmten Parnass Heerschau über die Menschen und ihre Thorheiten zu
halten. Jm Menippos erzählt der gleichnamige Philosoph, dessen witzige
Art wie dem Römer Varro in seinen Saturae Menippeae, so auch unserem
Satiriker zum Vorbild diente, was er drunten in der Unterwelt gesehen
hatte. An den Menippos schliesst sich der Ikaromenippos an, in welchem
jener Philosoph, nachdem er sich nach Ikaros' Beispiel Flügel angelegt hat,
zum Mond und weiter zum Himmel auffliegt, um mit eigenen Augen von
dem Treiben der Selene und des Zeus Kenntnis zu nehmen.'^) Spielen in
diesen Dialogen die Götter und Heroen mehr nur eine burleske Rolle, so
wird in dem Zevg xQayoidög^) und Zevg fAf/%o,afi'og direkt der Götter-
glaube angegriffen. In dem zweiten der genannten Dialoge muss sich Zeus
von einem Epikureer in der Gestalt eines Kynikers {Kvviaxog) über die
logische Ungereimtheit der gleichzeitigen Annahme eines allbeherrschenden
Schicksals und der freien Willensmacht der Götter examinieren und ad
absurdum führen lassen. Im Juppiter tragoedus wird uns in grossartiger
Scenerie die Disputation des Epikureers Damis und des Stoikers Timokles
vorgeführt, in der der Epikureer seinen Satz, dass es keine Vorsehung
') Dass dieselben KU) oder anfaiig 167 1 in den Wintcn- 180; um 10 - 15 Jahre früher
in Athen geschrieben sind, beweist Nissen, Jenni, Beiträge zu Lucian, Fraucnfeld 1S7().
lih. M. 43, 244 f. j =*) Der Name XQayonUg konuut daher,
^) Die Kehtheit des Dialogs wird in Ab- [ dass in dem Dialoge die (Jötter ähnlich wie
rode gestellt von Fk. Jacoks; seine Abfas- in der Tragödie teilweise in pathetischen
sungszcit setzt Fritzsche, Ausg. II, 1 p. 159 , Versen sprechen.
618
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
gebe, so siegreich durchführt, dass sich zuletzt die Götter mit dem Tröste
begnügen müssen, es werde doch trotzdem die Zahl der Frommgläubigen
noch immer gross genug bleiben.^) Die Göttermaschinerie liegt auch dem
interessanten Dialog Jlg xarrjyoQovfxevog zu grund; doch bildet in ihm
den Hauptinhalt die Verteidigung des Lukian selbst gegen die Anklagen
der Rhetorik und des philosophischen Dialogs, die beide behaupten, von
dem syrischen Rhetor verlassen und misshandelt zu sein. Ahnliches gilt
von dem hübschen, auch unter die Schullesestücke aufgenommenen Dialoge
Timon, der von dem Menschenhasser Timon den Namen hat, welcher,
nachdem er durch seine Freigebigkeit in bittere Not geraten war, von
Hermes wieder mit dem Funde eines grossen Goldklumpen beglückt wird,
nunmehr aber den Schatz für sich behält und die Schmarotzer, als sie sich
jetzt wieder nahen, mit der Hacke von sich abwehrt. Weit stehen hinter
diesen Dialogen der Blütezeit Lukians die Saturnalien (rd nqog Kqovov)
zurück, die offenbar einer späteren Zeit der welkenden Kraft unseres Autors
angehören.
Eine andere Reihe bilden diejenigen Dialoge, welche sich mit der
Philosophie oder vielmehr mit den menschlichen Vertretern der göttlichen
Weisheit beschäftigen. Von Nigrinus und Demonax 2) abgesehen, erscheinen
die Lehrer der Weisheit bei Lukian als wahre Karikaturen. Seine Philo-
sophen führen nur den Namen Tugend und Weisheit im Mund, sind aber
innerlich von Habgier, Streitsucht, Sinnlichkeit erfüllt. Fast in jedem
Dialog ergreift er die Gelegenheit, um über diese Afterphilosophen die
Schale des Spottes auszugiessen. Geistreich besonders ist der Einfall der
Philosophenversteigerung {Bimv ngacrig), des Fangs der Philosophen mit
dem Goldköter (Ahevg), und die Parodie des Philosophengastmahls, ^v/j,-
noaiov ij Aanid^ai betitelt, weil es bei dem Mahl zu einer förmlichen
Keilerei zwischen den Vertretern der verschiedenen Philosophenschulen
kommt. ^) Verwandter Art ist der Parasit, in welchem mit der Maske
philosophischen Ernstes bewiesen wird, dass das Schmarotzerleben eine
Kunst sei. Gehaltvoller und ernster ist der Hermotimus, vom Verfasser
nach c. 13 im 40. Lebensjahr geschrieben, der mit dem positiven Resultate
schliesst, dass der Weise nicht einseitig und blindlings den Lehren einer
Schule anhängen dürfe, und dass keine Philosophie etwas tauge, deren
Prediger nicht durch makellose Sittlichkeit selbst sich auszeichnen. Einen
bitteren Beigeschmack hat der Kynikos, dessen Hauptsätze, wie dass es
Thorheit, nicht Weisheit sei, die Güter, welche die Mutter Natur uns
gegeben, nicht zu benützen, ebensogut gegen die christlichen Bettelorden
gerichtet sein könnten.^)
Die Zeit des ausgelassenen Witzes und der heiteren Laune geht für
jeden Menschen vorüber; auch in Lukian sprudelte nicht immer der heitere
Humor, er ward mit den Jahren ernster und zugleich infolge ungerechter
') Den entgegengesetzten, frommgläu-
bigen Standpunkt vertrat Aelian in seinem
Buche neql TiQovolug.
'■^) Die Echtheit des Demonax ist wieder-
holt, wie von Bekker und Bernays, bezwei-
felt worden, und allerdings ist die Schrift
skizzenhaft und unbedeutend.
^) Über die Verwandtschaft mit Alki-
phron 3, 55 s. Kock, Rh. M. 43, 40 ff.
*) Die Unechtheit des Kynikos erweist
Fritzsche in der Ausg. II, 2. 235 ff.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, h) Lukianos. (§ 488.) 619
Anfeindungen bitterer, so dass er nicht mehr mit den lächerlichen Seiten
des Menschen im allgemeinen zu spielen, sondern gegen bestimmte Persön-
lichkeiten die Pfeile seines Spottes zu richten liebte. In diese Kategorie
gehört die Mehrzahl der Dialoge, in denen unser Autor selbst unter dem
Namen Lykinos ') Hauptträger des Dialoges ist. Unter den Schriften dieser
Art sind der Pseudosophist^) und Lexiphanes Pasquillen auf beschränkte
Grammatiker und Attikisten. Schärfer und beissender noch ist der um
dieselbe Zeit geschriebene Eunuchos, der den Wettstreit des Diokles und
des Eunuchen Bagoas um den erledigten Lehrstuhl der peripatetischen Phi-
losophie enthält. Gleich giftigen Ton hauchen die Drapetai, ausgerissene
Sklaven, welche das edle Weib Philosophia entführen, und der Philopseu-
des, unter welchem Titel der abergläubische Lügenphilosoph Eukrates an
den Pranger gestellt ist.
In eine andere Sphäre menschlicher Schwäche führen uns die ^Etai-
Qiicol diäXoyoi, die durch die Nacktheit des Hetärenlebens Anstoss erregen,
aber für die Sittengeschichte des Altertums von hohem Interesse sind.
Ohne satirischen Beigeschmack und teilweise der dialogischen Form ent-
kleidet ist die Schrift vom Tanz {TreQi cQxrjasMc), in der Lukian, seine
syrische Herkunft nicht verleugnend, sich zum Verteidiger des Theaters und
Pantomimus aufwirft. In dialogischer Form wird die griechische Gym-
nastik verherrlicht in dem Anacharsis, und der edle Freundschaftssinn
der Skythen im Toxaris. Ein Muster ausgesuchter Schmeichelei sind die
Elxövsg^ geschrieben zur Zeit der Partherkriege zum Preise der schönen
Smyrnäerin Panthea, der Geliebten des Kaisers Verus, und die Verteidigung
dieses überschwenglichen, durch den Vergleich mit W^erken der Kunst be-
lebten Lobes in dem Dialog ^Yntq twv sIxövmv.
488. In die Form von Briefen kleidete Lukian mehrere Schriften des
gereiften Alters, die teils durch bestimmte Anlässe hervorgerufen, teils
gegen ganz bestimmte Persönlichkeiten gerichtet waren. Von einigen der-
selben, wie von dem Hofmeister und der Apologie, haben wir bereits im
Lebensabriss unseres Schriftstellers gesprochen. Das Buch Jlcog J^T lato-
Qiav avyyQcc(fsiv war veranlasst durch den im Jahre 165 beendeten Krieg
der Römer mit den Parthern und richtet sich gegen die unberufenen Ge-
schichtschreiber, welche jenen Krieg nach Art des Herodot oder Thukydides
zu beschreiben unternahmen.*^) Ehedem übermässig bewundert, findet das-
selbe heutzutag eine kühlere Beurteilung: es enthält nichts, was sich über
die alltäglichsten Gemeinplätze erhebe. Der Peregrinos, geschrieben im
Jahre 166, gibt eine von Verachtung diktierte Schilderung des Kynikers
Peregrinus, der sich nach einem abenteuerlichen Leben in Olympia frei-
willig unter grossem Spektakel dem Flammentod weihte.^) Der Alexan-
') AvxTvoq sollte in jener attikisierenden
Zeit die echtgriechische Form für das la-
teinisch-barbarische Aovxiarog sein.
'^) Bezüglich der Abfassungszeit fällt ins
Gewicht, dass Lukian, Pseudosoph. 5 seinen
Aufenthalt in Ägypten erwähnt.
0 Vgl. MüLLKR FHd. \\{, G4(5-655;
ebenda p. (J-")!) ♦ili'i (li(^ Fragmente der UrtQ-
4) J. Beknays, Lukian und die Kyniker,
Berl. 1879, worin nachgewiesen ist, dass
Lukian die Schrift zunächst gegen den über-
lebenden Kyniker Theagenes gerichtet hat,
den Bernays unter Berufung auf Galen X
p. 100 ed. K. und Gellius XII, 11 in gün-
stigeres Licht zu rücken sucht. Fntgeg-
nungen von Vaiilen, Ind. lect. Berol. 188'2/;j
Oixä des Asinius (^uadratus. 1 s. Bbuns, Kh. M. 42, 1.
620
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
dros oder der Lügenprophet {^^svSofiarTig) enthält eine Lebensbeschreibung
des grossen Schwindlers und religiösen Betrügers Alexander, welche Lukian
für den befreundeten Epikureer Celsus ') mit sittlicher Entrüstung bald nach
dem Tode des Kaisers M. Aurel geschrieben hat. Der Rednerlehrer
(Pr^TOQMv SiödaxaXog) ist die giftigste Persiflage unter Lukians Werken;
sie entwirft ein wahres Zerrbild von einem Professor der Rhetorik, hinter
dem man offenbar eine bestimmte Persönlichkeit suchen muss. Man hat
auf den auch im Lexiphanes verspotteten Litteraten Pollux geraten, 2) wohl
mit Recht, doch macht einige Schwierigkeit die Zeit, da Pollux erst von
Commodus zum Professor der Rhetorik in Athen ernannt wurde. ^) Ähn-
licher Art sind die im Geiste des Archilochos ^) geschriebenen Satiren
^}€vSoXoYi(STrig und JlQog top drcaidsvTov, von denen die erste gegen
den Sophisten Timarchos, die zweite gegen einen anonymen Bibliomanen
gerichtet ist.-^)
Mit der Romanschriftstellerei befassen sich die ^AXij^sTg taxoQiai
in 2 B., die eine beissende Satire auf die Aufschneidereien der Roman-
schreiber und speziell auf die phantastischen Reiseabenteuer des „Land
über Thule" enthalten. Ein Roman selbst ist der Aovxiog r] ovog^ der
ein vielverhandeltes Thema der philologischen Echtheitskritik bildet. Nach
dem Patriarchen Photios cod. 129 hatte nämlich ein gewisser Lucius aus
Paträ denselben Stoff in seinen Metamorphosen behandelt, und stimmt der
Esel des Lukian mit den 2 ersten Büchern jenes Lucius fast ganz überein,
nur dass der letztere die Verwandlungsgeschichten mit heiligem Ernste
erzählt, aus dem Esel des Lukian aber der ungläubige Schalk heraus-
schaut. Dieselbe Geschichte ist uns dann in wesentlicher Übereinstimmung
mit Lukian in den Metamorphosen des Apuleius erhalten, so dass es sich
nun fragt, wer von den dreien der erste war und wen die anderen be-
nützt haben. Rohde*^ hat die Frage dahin beantwortet, dass zuerst Lucius
die Verwandlungsgeschichten in gläubigem Ernst erzählt, Lukian dann in
seinem Esel eine boshafte Satire auf jene albernen Abenteuer geschrieben,
und Apuleius schliesslich sich in seiner Wiedererzählung trotz des ab-
weichenden Titels an den Esel Lukians gehalten habe; aber damit sind
die Bedenken nicht beseitigt, welche gegen die Echtheit des lukianischen
Esels namentlich von Seite der Sprache erhoben wurden.')
489. Dem Lukian ist es ähnlich wie anderen grossen Schriftstellern
des Altertums gegangen, dass seine Art Nachahmer fand und dass die in
seinem Geiste geschriebenen Nachahmungen unter seine echten Werke ge-:
^) Dieser Epikureer Celsus, der ein Buch
über die religiösen Schwindler (z«t« fzdycoy)
geschrieben hatte und gegen den sich auch
der Arzt Galen in einem Brief riQog KiXaov
^EnixovQSiop wandte, ist wahrscheinlich mit
dem gleichnamigen Verfasser des ^ Alrjf^rjg
Xöyog, gegen den der Kirchenvater Origenes
in einem noch erhaltenen Werke polemisiert,
identisch; vgl. Buresch, Klares p. 63 und
unten § 609. Über den Alexander s. Zellee,
Vorträge u. Abhandl., 2. Samml.
'^) So schon die Schollen und von den
Neueren C. Fr. Ranke, Pollux und Lu-
cian, Quedlinb. 1831, und C. Fr. Hermann,
Zur Charakteristik Lucians, Ges. Abh. S.
209 f.
^) Philostr. vit. soph. 11, 12; auf frü-
here Zeit scheint hinzuweisen cap. 26 der
Schrift des Lukian.
■*) Luc. Pseudolog. c. 2.
^) Eine Gegenrede, eine Bekämpfung
des Tanzes schrieben die Rhetoren Aristeides
und Libanios.
^) RoHDE, Über Lucians Schrift Aovxios
ij oyog, Leipz. 1869 und Rh. M. 40, 93.
^) C. BuERGER, De Lucio Patrensi,
i|
I
B. Römische Periode -vor Konstantin. 3. Die Prosa, h) Lukianos. (§ 489— 490.) 621
rieten. Zufällig, wie es scheint, kamen unter seine Schriften zwei fremde
Dialoge, ^AXxvmv und Ni-Qorv, von denen der zweite von dem älteren Philo-
stratos,') der erste von dem Akademiker Leon'^) herrührt. Als unecht
werden dann fast allgemein anerkannt: ^doiraiQig, eine Verhöhnung der
christlichen Lehre in schwerfällig überladenem Stil aus dem 10. Jahrhundert
unserer Ära;^) MaxQoßioi, eine trockene Aufzählung langlebender Griechen
aus der Zeit des Tiberius, womit die römischen Maxqößioi des Phlegon von
Tralles zusammenhängen;*) JIsqI Tijg :2vQhjg ^sov und IIsqI aaiQoXoyh^g,
geistlose, von Lukians Gesinnung weit abliegende, in ionischer Mundart
von einem abergläubischen Menschen geschriebene Abhandlungen; Jt^i^io-
aO^svovg iyxMixiov, eine überschwengliche Lobrede auf den grossen Redner;^)
'iTimag, Beschreibung von einer grossartigen Badeanlage, geschrieben nach
dem Muster ähnlicher Schilderungen Lukians, aber ohne dessen Geist, ^)
endlich die Schriften UsqI d^vamv, TIsqI n&v^ovg, IUqI tov f.iY Qadiwg ni-
aisvsiv öiccßoXfi, XaQiSrji^iog, ''EQixntg.^) Andere sind noch weiter gegangen
und haben auch den Demonax,^) Lukios oder Onos, Kynikos, Ikaromenip-
pos, und selbst den Menippos, Toxaris, Peregrinos,^) die poetischen Stücke,
die Epigramme und die Podagratragödie angezweifelt, i'^)
490. Gesamtcharakter. Um zum Schluss noch die einzelnen Züge des
Mannes zusammenzufassen, so stehen wir nicht an, denLukian den geistreich-
sten und formgewandtesten Schriftsteller der Kaiserzeit zu nennen. In einer
Zeit lebend, in der das Interesse für Verse abgestorben war, ersetzt er uns mit
seinen Dialogen und Satiren die lamben und Komödien der klassischen
Periode. ^ ^) Schon seine vollendete Beherrschung der attischen Sprache erregt
billig unsere Bewunderung, zumal er das Griechische nicht mit der Muttermilch
eingesogen hatte. ^'^) Leicht und schön fliesst ihm die Rede, voll Kraft, wenn
er mit scharfem Pfeil den Gegner verfolgt, voll Anmut und Grazie, wenn
er ein Bild beschreibt oder eine seiner burlesken Figuren vorführt. Dabei
Bei]. Diss. 1887 nimmt für Lukian nnd
Apuleius eine gemeinsame Quelle an.
1) Vgl. § 473.
'') Ath. 506c und Diog. KI, 62; veigl.
§ 289. ,.
^) Über die Abfassungszeit s. Krum-
bacher, Byz. Lit.
^) C. Fr. Ranke, Lucian u. Pollux, S.
16 ff.; Westermann, Paradox, p. XXXIX;
Bergk, Lukian u. Phlegon. Z. f. A. 1849
N. 23; Bertolotto, Rivista XIV, 282—92.
Übereinstimmt Ps. Lukian c. 10 und Phlegon
p. 90, 3 f. ed. Kell. Als Quelle citiert Ps.
Lukian c. 22 den Äpollodor; dass dieses
nicht ganz zutrifft, beweist Rohue, Rh. M.
36, 541 f.
•''') Grauert, Histor.-philol. Anal. 289 f.
^) Blümner, Archäol. Stud. zu Lucian
S. 53 ff.
^) In den "E()t»jrf (,-. einem unflätigen Mach-
werk, ist wie in Jtjfjooxf^t'yovg syx., JlaxQi^og
iyx., XccQi&tjfjog der Hiatus abweichend vom
sonstigen Gebrauch des Lucian mit pein-
llicher Sorgfalt vennicMlen; s. Rohdkn, J)('
Itnundi mhacnlis, Bonn 1875 p. 37.
^) Der Demonax ermangelt jedenfalls
der letzten Hand ; Ummodelung durch christ-
liche Hand sucht zu erweisen Schwarz, Über
Lukians Demonax, Ztschr. f. östr. Gymn.
1878 S. 501 ff.; siehe dagegen Ziegeler,
Jahrb. f. Phil. 1881 S. 327 ff'.
'•*) CoTERiLL, Peregrinus Proteus, Edin-
burg 1879; dagegen Wichmann, Ztschr. f.
Gymn. 1880 S. 227 fi^.
*") Am weitesten ist gegangen Imm. Bek-
KER in seiner Ausg., indem er 28 Schriften
als unecht ausschied. Einen konservativen
Standpunkt vertritt Fr. Fritzsciie in seiner
Ausg. III, 2 p. LXV-LXXXl.
") KocK, Lucian u. d. Komödie, Hh. M.
43, 29 ff", weist in vielen Gesprächen Sce-
nerion u. Verse der Komödie, namentlich der
neueren, nach.
'-) Du Mesnil, (ir((nini((iic<i qnum Jai-
cianus in scriptis suis sccutiis est ratio cum
antiquorum Atticorum. ratione comparatur,
Stolpe 1867; W. Schmid, Attikismus 1,
221 ff. ; Heller, Absichtssätze bei Lukian
Brrl. 18S0.
622
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
versteht er es, den Stil in wundervoller Weise durch eine Fülle sprich-
wörtlicher Wendungen und ausgewählter Reminiszenzen aus den Dichtern
und den besten Rednern zu beleben. Ein besonderer Reiz der Lektüre des
Lukian besteht daher für den gebildeten Leser darin, dass er überall an
Stellen und Scenen seiner Lieblinge, bald an Demosthenes Reden, bald an
Aristophanes' Komödien, bald an Homer, Pindar und Piaton erinnert wird,^)
und das nicht in aufdringlicher Weise, sondern so, dass er sich freut, wenn
er die Beziehungen merkt, aber auch nicht im Genüsse gestört wird, wenn
ihn seine Gelehrsamkeit im Stiche lässt.^) Mit ausgebreiteter Litteratur-
kenntnis verband sodann unser Autor ein treffliches Urteil in Kunstsachen,
das ihn befähigte seiner Darstellung durch plastische Schilderungen eine
Anschaulichkeit zu geben, wie wir sie grösser selbst nicht bei Piaton finden.
Aber mehr als die Form muss uns für Lukian der Inhalt seiner Schriften
einnehmen; er lebte in einer Zeit, von der es mehr wie von einer anderen
galt difficile est satiram non scrihere; und Lukian hat mit einem feineren
und gebildeteren Auge als selbst Juvenal die Schwächen seiner Zeit, den
Aberglauben, das Parasitentum, die Heuchelei der Philosophen, die Ge-
schmacklosigkeit der Grammatiker, erkannt und teils mit heiterem Scherz,
teils mit bitterem Spott gezeichnet. Das that er aber nicht bloss um das
Lachen seiner Zuhörer und Leser zu erregen, es leitete ihn auch ein
höheres sittliches Ziel.^) Die heitere Klarheit und Schönheit des Hellenen-
tums, sagt schön ein treif lieber Kenner,^) gegen die Dunkelmänner und
Heuchler und Halbbarbaren zu schützen, war der Kern seiner Thätigkeit.
Der aufgehenden Sonne des Christentums stand er allerdings feindlich
gegenüber, aber dieses nur, weil er den Kern der neuen, welterlösenden
Lehre nicht kannte und deshalb dieselbe nur als eine Art philosophischer
Sekte anschaute."') Eher verdient er einen berechtigten Vorwurf darüber,
dass er mit den Gaukelgestalten der alten Mythologie und mit den Wahn-
vorstellungen der religiösen Geheimbünde zugleich die Gottesfurcht und den
Glauben an die Gottheit selbst untergrub. Auch zur Höhe allgemeiner
Humanität hat er sich nicht erhoben: Sklave sein genügt ihm, um zu
einer geringeren Menschenklasse zu gehören. In dieser Beziehung sind seine
Angriffe gegen die Kyniker übertrieben und selbst ungerecht. Noch weniger
hat er, aufgezogen in der Leichtfertigkeit griechischen Hetärenlebens, die
veredelnde Wirkung eines gesitteten Familienlebens an sich erfahren oder
die Notwendigkeit strenger, auch auf das Geschlechtsleben gerichteter
Sittenordnung erkannt. Oft erhält man den Eindruck, als habe Lukian
gemeint, die Negation des Verkehrten genüge, um die geistigen und ge-
^) ScHWiDOP, Observationes Lucianeae,
5 Königsberger Progr. 1848 — 70; E. Zie-
GELEK, De Luciano poetarum iudice et Imi-
tator e.^ Gott. 1872. Bkambs, Citate und Re-
miniszenzen bei Lucian, Eichstätt 1888.
2) Auch an Horaz u. Juvenal finden sich
viele Anklänge; A. Heinrich, Lukian u, Ho-
raz, Wien 1885, will direkte Kenntnis des
Horaz nachweisen. Eine Stelle in Haig der
laTOQLCiv avyyQ. 60: bv jueao) Ser&og, sc. 6
fÄvS^og, roTg oncog «V id^iXoiaiv stxdaovai tisqI
((x'Tov stimmt auffällig zu Tacitus Germania
3, klingt aber auch an Herodot H, 123 an.
^) Nicht gerecht ist der Ausspruch von
LuzAC, Lect. Att. 186: Samosatensis seit ioci
seu calumniae nullius famam minuent.
^) Rohde, Über Lucians Onos S. 31.
^) Wegen des Peregrinus ward dem Lu-
kian im vorigen Jahrhundert die Aufmerk-
samkeit zuteil, auf den Index lihrorum x>ro-
hihitorum gesetzt zu werden. Über die ver-
schiedenen Ansichten von Lukians Stellung
zum Christentum siehe Jacob, Charakteristik
Lukians S. 155 ff.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, i) Die Rhetorik. (§491.) 623
mütlichen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.^) Aber trotz alledem
hat mit Recht der feine und geistreiche Spötter von Samosata viele Leser
im Altertum und bewundernde Verehrer in der neueren Zeit unter den
Philologen, Dichtern und Künstlern gefunden.
Codices: Einen kritischen Apparat haben die Ausgaben von Jacobitz und Fritzsche,
aber ein einfaches Stemma der Handschriften ist noch nicht hergestellt; jedenfalls gehen
dieselben auf 2 Stämme zurück. Hervor ragen: Vindob. 123 (B) s. X mit Scholien, Har-
leianus (E); Vatic, 87 und 90; vgl. Rohde, Über Lukians Onos S. 43 ff. u. Phil. Anz. 1872
8. 489 f.; Fritzsche in Ausg. III, 1 p. XVII; Maass, Mel. Graux. p. 759 ff. Von Scholien
werden unterschieden Scholia Galei (aus cod. Paris. 2955) und Scholia Vossiana, gesammelt
im 4. Band der Ausgabe von Jacobitz; neue Notizen aus Florentiner Handschr. von Vitelli,
Spicil. Florent, p. 15 ff., aus römischen von Rohde, Rh. M. 25, 548 ff. — Syrische Über-
setzung von Lucian ne^l rov fxrj Qadiojg niarsveip publiziert von Sachau, Inedita Syriaca,
Wien 1870.
Ausgaben: cum versione latina et notis variorum cur. Hemsterhusius et Reitzius,
1730 — 45; annot. Lehmann, Berl. 1822 — 9, 9 Bde.; rec, Jacobitz, Lips. 1880-41; rec Fr.
Fritzsche 1882 — 5, unvollendet; Textesausg. von Jacobitz in Bibl. Teubn.; von Sommer-
BRODT bei Weidmann, im Erscheinen. — Ausgewählte Schriften mit deutschen x\nm. von
Jacobitz bei Teubner; von Sommerbrodt bei Weidmann. Klassische Übersetzung mit
Anm. und Erläut. von Wieland, Leipz. 1788 — 99. - - R, Förster, Lucian in der Renais-
sance, Rektoratsrede Kiel 188G.
i. Die Rhetorik. 2)
491. Mit der Pflege der Beredsamkeit und Sophistik ging Hand in
Hand die Ausbildung der Rhetorik und Stillebre. Die Anfänge der Rhetorik
gehen auf die klassische Zeit zurück;^) die grossen Redner Lysias, Iso-
krates und Isaios gaben zugleich Unterricht in der Redekunst, und noch
der klassischen Periode gehören die zwei ältesten Lehrbücher der Rhetorik
an, das aus der lebendigen Praxis der Redner hervorgegangene des Ana-
ximenes und das von philosophischem Geist durchdrungene des Aristo-
teles. Einer der grossen Redner des freien Griechenlands, Aischines, ver-
pflanzte die rhetorische Kunst von Attika nach Rhodos, wo sich der durch
überströmende Fülle charakterisierte asianische Stil der Beredsamkeit aus-
bildete, als dessen eigentlicher Begründer Hegesias aus Magnesia (um
280 V. Chr.)^) genannt wird. Zu Alexandria fanden in der Hofatmosphäre
11 die rhetorischen Studien, welche von ihrem Ursprung her einen republi-
kanischen Beigeschmack hatten, wenig Anklang; auch war dort die ganze
Richtung der gelehrten Einzelforschung der Pflege der Beredsamkeit un-
günstig. Gegen Ende der alexandrinischen Periode hat in Pergamon und
Kleinasien die Theorie des Stils und der Rede neue Nahrung erhalten, so
dass sich ähnlich wie in der Philosophie und Medizin, so auch in der Rhe-
1 torik förmliche Schulen und Sekten (algkatiQ) bildeten. Die Häupter dieser
Deklamatorenschulen, Hermagoras aus Temnos,"') Apollodoros aus Per-
^) J. Bernays, Lukian und die Kyniker
; i S. 42.
^) Sammelausgaben: Hhetores (jrueci,
apud Aldum 1508, 2 vol.; bedeutend ver-
mehrt von Walz. Stuttg. 1832— G, 9 Bde.;
eine Auswahl von L. Spengel in Bibl. Teubn.
185(5, 3 Bände. -- Krläuterungsschrif'ten:
Westkrmann, Gesch. d. Beredsanik., T^eipz.
1S33, 2 Bde.; Volkmann, Die Rhetorik der
Alten, akad. Vortrag, München 1842.
■') Über die Anfänge und den Fortgang
der Rhetorik steht die klassische Stelle bei
Quintil. in, ], 8—18.
•*) Westermann, Gesch. d. Ber. I, 8ff. ;
Rohde, Rh. M. 41, 172 tF.
•') Suidas erwähnt von dem Rhetor Her-
magoras rexi'cd (yijxoQixtd in G B. (vgl. Strabo
p. G21) und ausserdem tisqI icfQyaaiag, 7ie()i
Griechen u. Römer, 2. Aufl. 1885; L. Spen- | iiQhnoi'Tog. -n&Ql (foüneoK. 7IF()i (t/i^uükdi'
i-iKL, Über das Studium der Rhetorik bei den \ Derselbe nmss von llernuigorais, dem Zuhörer
624
Griechischo Litteraturgescliichie. II. Nachklassische Litteratur.
gamon^) und Theodor os aus Gadara^) kennen wir fast nur aus den An-
führungen der Lateiner, 3) welche wie in der Kunst der Rede, so auch in
der Theorie rasch die Griechen überflügelten. Zuvor schon hatten sich die
Philosophen, nachdem ihnen Aristoteles vorangegangen war, auch mit der
Theorie der Rede abgegeben, so dass uns nicht bloss von Theophrast, son-
dern auch von Kleanthes, Chrysippos*) und Epikur Schriften über Rhetorik
genannt werden. Aber das unter dem Namen des Demetrios uns erhaltene
Buch ti8qI sQixrjVsiag [de elociiüone) rührt nicht von dem berühmten Peri-
patetiker Demetrios aus Phaleron her,^) und die Fragmente der Rhetorik des
Epikureers Philodemos sind ohne Bedeutung.
492. Im Beginne der römischen Kaiserzeit wurden die rhetorischen
Studien von neuem belebt und in die Bahnen ästhetischer Kritik geleitet
durch Dionysios von Halikarnass und Cäcilius von Kaiakte in Sikilien.
Über die Schriften und die Stellung dieser beiden Männer haben wir bereits
oben S. 539 ff. in anderem Zusammenhang gehandelt. Die Richtung ihrer
Studien erhielt in der nächstfolgenden Zeit eine Ablenkung auf die attische
Lexikographie, doch so, dass daneben auch das Gebiet der eigentlichen
Theorie unter besonderer Betonung des Stils und der epideiktischen Rede-
gattung fleissig kultiviert ward. Geleistet aber haben die rhetorischen
Lehrmeister der Griechen, eines wie grossen Ansehens sich auch einzelne
von ihnen bei ihren Zeitgenossen erfreuten, nichts grosses und nichts, was
sich mit den Institutiones oratoriae des Quintilian messen könnte. Auf
uns gekommen sind teils Bücher über die Tt'x^t] QijTOQixrj im allgemeinen,
teils solche über einzelne Teile derselben (rcQOYVfiväcTjiiaTa, ax^i^aara, iStai
Xoyov).
493. Die Figurenlehre. Das bedeutendste Werk über Figuren
{(Sx^iiicc^cc) war das des jüngeren Gorgias in 4 B., welches selbst verloren
gegangen ist, aber seinem Hauptinhalt nach uns in der Figurenlehre des
Rutilius Lupus vorliegt.^) Die Zeit des Gorgias bestimmt sich dadurch,
dass er Lehrer von Ciceros Sohn war. Der auch in der Überarbeitung des
Rutilius hervortretende Hauptvorzug seines Werkes bestand in der grossen
Auswahl trefflicher Beispiele aus älteren Rednern, welche bekanntlich
des Theodoros, den Quintilian III 1, 18 noch
sah, verschieden gewesen sein. Die Zeit
unseres Hermagoras bestimmt sich dadurch,
dass ihn bereits Cicero Brut. 76, 263 u. 78,
271 und Cornificius I, 2, 3 anführen und
dass Poseidonios nach Plut. Pomp, 42 gegen
ihn im Jahre 62 vor Pompeius einen Vor-
trag hielt. Danach blühte er in der 1. Hälfte
des 1 . Jahrhunderts v. Chr. Vgl. Volkmann,
Rhet. S. 11 Anm. Harnecker, Jhrb. f. Phil.
1885 S. 69 ff. will den Rhetor mit dem
stoischen Philosophen Hermagoras, einem
Schüler des Persaios, identifizieren.
1) Hieronymus setzt ihn Ol. 179, 1 = 63
v. Chr.; Augustus hörte ihn nach Quintil.
III, 1. 17 zu Apollonia; über seine Schule
(AnolXo^ojQSioq ((YQsaig) s. Strab. p. 625.
Über die Lehre derselben im Gegensatz zu
der des Theodor s. Schanz, Die Apollodoreer
und die Theodoreer, Herm. 25 (1890) 36-54.
'") Über Theodoros ausser Quint. III, 1.
17 ein ausführlicher Artikel des Suidas; er
war Lehrer des Kaisers Tiberius, beschränkte
sich aber nicht auf die Theorie der Rhetorik,
sondern schrieb auch tisqI iatoqiag. tisqI no-
hreiag, ttsql xoiXt^g IvQiag.
^) Ausser den Lateinern, Cicero, Quin-
tilian, Seneca, erwähnt sie auch wiederholt
der Anonymus tisqI ^i]ioQiy.rjg in Rh. gr. I,
425ff. Sp.
^) Chrysippos wird neben Aristoteles
noch berücksichtigt von dem gelehrten Anon.
in Spengels Rh. gr. I, 454. 4.
^) Vgl. § 383.
6) Quint. IX, 2. 102: Rutilius Gorf/iam
secutus, non illum Leontinum, seil aliuvi
sui temporis, cuius quattuor lihros in mniM
(usum coni. Ahrens) siiiim iranstnlit.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, i) Die Rhetorik. (§492-494.) 625
Ruhnkens berühmte Untersuchungen über die Geschichte der griechischen
Redner hervorgerufen haben.
Massgebend für die Folgezeit wurde der Rhetor Alexandros Nu-
meniu, der unter Hadrian ausser einer allgemeinen Rhetorik i) ein spezielles
Buch ntQi TMV Tjjg Siavoiag xal Trjg Xt'^swg a%r^}xar(jov schrieb, das aber nur
im Auszug auf uns gekommen ist, wie die lateinische Bearbeitung des
Originals durch den Rhetor Aquila erkennen lässt.''^) Auf seinen Schultern
stehen die späteren Bearbeiter der Figurenlehre: Tiberios neql tmv nagd
Jriixoadtvsi (fx^iiiiäTcov , der nach Apsines lebte und vieles ausCäcilius herüber-
genommen hat;^) Phoibammon ttsqI cr/ry/i«rwi^ QrjTOQixcov, der jedenfalls nach
Athenaios, den er p. 44, 11 Sp. citiert, geschrieben hat, und wahrscheinlich
Zeitgenosse desSynesios (ep. 143) war; Herodianos TrsQlfrxrj^circov, der, ver-
schieden von dem berühmten Grammatiker gleichen Namens, zwar manche
Notizen ausgewählter Gelehrsamkeit aus seinen Vorlagen gibt, aber doch schon
nach Art der Späteren sich wesentlich auf die vulgären Beispiele aus Homer
beschränkt, endlich Fol ybios aus Sardes,'*) Zonaios^) und mehrere Anonymi.
In dem verwandten Gebiet der Tropenlehre ist das bedeutendste Buch
das des Tryphon ttsqI tqottcov, das die Grundlage der späteren Kompila-
tionen bildete.^) Aber dasselbe ist doch immer noch zu ungelehrt und
sprachlich fehlerhaft, als dass es von dem gelehrten alexandrinischen Gram-
matiker Tryphon herrühren könnte. Da aber Suidas unter des letzteren
Schriften auch ein Buch ttsqI tqottcoi' erwähnt, so ist möglicherweise das
uns erhaltene Büchlein ein Auszug aus demselben.
494. Die Progymnasmata. Eine beliebte Schulübung jener Zeit,
die sich bis in das Mittelalter und die Renaissance erhielt, bestand in den
sogenannten Progymnasmaten. Man verstand unter denselben Anfangs-
übungen im Ausarbeiten von Fabeln [^vO^oi),'^) Erzählungen {Sn]yt'jij,aTa),
Chrien (xQsTai),^) Gemeinplätzen {totvoi xoivoi), Vergleichen (avyxQicrstg), Be-
schreibungen (ex(f()ä(r€ig) u. a. Das bedeutendste, was aus diesem Gebiete
auf uns gekommen ist, sind die leider am Schluss verstümmelten Progym-
nasmata des Theon (Rhet. gr. II, 57 — 130 Sp.), in denen die einzelnen
Übungen unter Heranziehung auserlesener Beispiele der Litteratur mit Ge-
lehrsamkeit und Geschmack behandelt sind, Suidas schreibt dieselben dem
Ailios Theon, einem Sophisten aus Alexandria, zu, von dem er auch Kom-
mentare zu Xenophon, Isokrates und Demosthenes, sowie (njTOQixal vnoO^f-asig
und ^rjTrjiiiccTa tk^qI avvra^swg Xoyov anführt. Der Gentilname Ailios führt
') Auf diese ist öfter von dem Anony-
mus in Spengels Rhet. gr. I p. 427, 13;
431, 21 ff. Bezug genommen.
^) Stensloff, Quihus de cansis Äle-
xanäri Numeniu liher imtundus sit spuvius,
Breslau er Diss. 1861.
•') Apsines und Cäcilius sind citiert p.
75, 15 u. 27 Sp.
'') Von diesem Polybios existiert auch
ein Traktat über Barbarismus u. Solökismus
in BoissoNADK, Anecd. 111, 229 if., Nauck,
Lex. Vind. 283 ff.
■'•) Von dem Sophisten Zonaios erwähnt ' drinischen Komikers Machon s. i^ 34S
Suidas aucl» Briefe, worüber unten. Auch \
Uauilbuch der klas«. Altertuiiiswissonscliafl. VII. 2. Aiit'l, 40
von einem Rhetor Lesbonax hat Fragmente
einer Schrift 71£qI ff^ij^dnoi^ Gramer, An.
Ox. IV, 270 ff. veröffentlicht.
^) Unter den späteren Büchern tisql
TQoTKoi^ haben wir auch eines von dem be-
kannten Grammatiker Choiroboskos und
ein anderes von einem gewissen Kokon-
drios, bei Walz VIII, 799-820 und Spen-
GEL III, 230-243.
') Daher die JexafnOi« des Niko-
s trat OS, worüber S. 530 An. 2.
^) Über die ältesten Chrien des alexan-
626
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
in die Zeit des Hadrian; jedenfalls lebte Theon nach den grossen Lehr-
meistern Herniagoras und Theodoros, wie er selbst p. 120, 18 bezeugt, i)
Unbedeutender sind die Progymnasmata des gleich näher zu behandelnden
Rhetor Hermogenes^) und seines Nachtreters Aphthonios, welch letz-
terer die Zahl der Progymnasmata von 12 auf 14 erhöhte. Aus späterer
Zeit stammen die TtQoyi^ivdancxTa des Nikolaos aus Myra in Lykien (um
480) 3) eines Schülers des Proklos und jüngeren Plutarch, und die dirjyrjßccTa
und rjd^oTToiicci des Severus, eines römischen Sophisten aus Alexandria, der
um dieselbe Zeit wie Nikolaos in Alexandria thätig war.'*)
495. Hermogenes aus Tarsos "•) mit dem Beinamen o '^vctti'jq, war
ein frühreifes Wunderkind, indem er schon als Jüngling zu solchem An-
sehen als Redner kam, dass der Kaiser M. Aurel ihn des Besuches seiner
Vorlesungen würdigte.^) Aber zum Manne herangewachsen, ging er früh-
zeitig geistig zurück,') so dass der Sophist Antiochos spottend von ihm
sagte: ovrog '^EQßoytvrjg 6 iv naial ^tv ysQMV, ev St yi^qäaxovai ruaig. Gleich-
wohl stand er bei den nachfolgenden Geschlechtern mit seinen in frühen
Jahren geschriebenen Büchern in solchem Ansehen, dass er bei den Byzan-
tinern der Techniker schlechthin hiess, wie Homer der Dichter und Demo-
sthenes der Redner. Aber dieses Ansehen verdankte er nur der Beschränkt-
heit seiner Verehrer; thatsächlich war er ein mittelmässiger Kopf, der nur
die Kunst besass, für Leute, welche ohne grosse Anstrengung die Haupt-
sätze der Rhetorik sich aneignen wollten, ein handliches Kompendium zu
schreiben. Neue Ideen hat er in die Rhetorik nicht eingeführt; gleichwohl
haben wir von vielen Sätzen der rhetorischen Theorie nur durch ihn Kenntnis.
Unter seinen Büchern stunden in der Praxis die Progymnasmata voran;
sein Hauptwerk aber ist die nj^rj QijroQixrj. Dieselbe zerfällt in die Lehre
von den Rechtsfällen {ttsqI axäasorv, Status causae), von der Erfindung {ttsqI
€VQta€(og, inventio) in 4 Abschnitten, von den Stilarten [neQi ISsun') in 2
Abschnitten mit einem Anhang jt8qI j^ifOoSov SsivoTrjTog. Am wichtigsten
ist von diesen Teilen der über die Stilarten, der auch von praktischer
Wichtigkeit für die Gegenwart ist, da eine solche Schulung in den ver-
schiedenen Arten des Stils unsere Schulpraxis noch nicht kennt. ^) Die
Lehrsätze des Hermogenes haben in der Folgezeit kanonisches Ansehen
erhalten, so dass dieselben, namentlich die über die aräaeig, massenhaf
abgeschrieben und fleissigst kommentiert wurden.
I
^) Verschieden ist nach Suidas der Pro-
gymnastiker Theon von dem Stoiker Theon
unter Augustus, der auch re/i^ca ^t]TOQixai
in 3 B. schrieb und auf den sich Quintil.
III, 6. 48 u. IX, 3. 77 bezieht. Beide hält
für identisch Hoppichler, De Theone Her-
mogene Aphthonioque progyinnnsmaium
scriptorihus, Würzburg 1884. — Über Aph-
thonios s. P. Schäfer, De Aphthonio so-
p)hista, Bresl, 1854.
^) Dieselben sind unter dem Titel Prac-
exercitamenta von Priscian ins Lateinische
übersetzt.
^) Suidas u. A'txoP.«oc, wo von ihm auch fis-
'Adxca ^tjioQixcä angeführt sind. Gedruckt sind
die Progymnasmata bei Walz I, 266 - 420.
^) Suidas u. leßrjQog. Vgl. Damaskios
bei Photios Bibl. p. 343b, 6 und Walz I, 356.
^) Philostratos vit. soph. II, 7; aus ihm
schöpfte Suidas. Ein älterer Hermogenes
hatte über Phrygien geschrieben, worüber
Müller FHG. III, 523. _■
«) Cassius Dion LXXI, 1. 4. *
") Suidas übertreibt, wenn er ihn schon
um das 24. Jahr den Verstand verlieren lässt.
Philostratos, seine einzige Quelle, sagt nur:
ig ös iir&Qag ijxMi/ acfrjQex^i] rrjv s'Hi'.
^) Über die verwandte Schrift des Ari-
stides tisqI nohziy.ov xcd (icpslovg Xoyov s.j
S. 598 An. 2.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, i) Die Rhetorik. (§ 495 497.) G27
Zu den älteren Kommentatoren, die uns erhalten sind,^ gehören: Sy-
rianos, der bekannte Neuplatoniker des 5. Jahrhunderts, Sopatros der
Jüngere,"^) welcher Lehrer der Beredsamkeit in Athen war"^) und auch eine
selbständige rhetorische Schrift, Siaiqsaig ^rjTi^^aäzMVf^) hinterlassen hat,
Markellinos, der wahrscheinlich mit dem Verfasser des Lebens des Thu-
kydides identisch ist und derselben Zeit wie Sopater oder einer etwas
älteren angehört, Troilos (um 400), Lehrer des Kirchenhistorikers So-
krates, von dem Walz VI, 42 — 55 dürftige Prolegomena zur Rhetorik des
Hermogenes mitteilt. Weitläufige Kommentare lieferte dann das byzanti-
nische Mittelalter; handschriftlich sind von demselben erhalten und unver-
dienter Weise jetzt auch grösstenteils durch den Druck veröffentlicht: die
Schollen des Planudes (um 1330), des Joannes Doxopatres aus Sikilien
(IL Jahrb.), ^) des Gregorios von Korinth (um 1150),^) des Georgios
Diairetes u. a. Auch metrische Erläuterungen in politischen Versen
schrieben Tzetzes und Psellos, publiziert von Walz III, 670 — 703.
4:96. Noch vor Hermogenes fällt der anonyme Verfasser der Texri]
Tov nohrixov Xöyov (Rhet. gr. I, 427 — 460 Sp.), welche unter den rheto-
rischen Schriften der Kaiserzeit eine hervorragende Stelle dadurch einnimmt,
dass sie auf die abweichenden Definitionen und Lehrsätze der Vorgänger
Rücksicht nimmt. Als solche erscheinen ausser Aristoteles und den An-
hängern des Apollodor vorzüglich Theodoros, Alexandres Numeniu, Zenon,')
Neokles und Ilarpokration. Es dürfte demnach unser Anonymus kurz vor
Hermogenes unter Antoninus Pius geschrieben haben.
497. Von den Technographen nach Hermogenes ist uns näher bekannt
Apsines^) aus Gadara, der in Athen lehrte und unter Kaiser Maximinus
(235 — 8) die Würde eines Konsul bekleidete. Derselbe war Freund des
mittleren Philostratos und hinterliess eine rtxvri qtjtoqixtj (Rhet. gr. I, 329
bis 424 Sp.), die kein ausgebildetes Lehrgebäude der Rhetorik ist, sondern
nur in abgerissener Form einige Punkte der gangbaren Lehrbücher ergänzt.
Der zweite Teil derselben hat den speziellen Titel ttsqI xiav saxrjiiaTia^uvmv
^) Ein älterer, nicht erhaltener Kom-
mentator war Metrophanes aus Eukarpia
in Phrygien; s. Walz IV, 294 und Suidas
u. Mf]TQO(p(iyi]g.
'■^j Suidas unterscheidet den Sophisten
Sopatros. der bei ihm ^Anafxevg rj fxaXXor
'jXe^ccpdQsiig heisst, von dem gleichnamigen
Philosophen aus Apamea, dem Schüler des
lamblichos, den Kaiser Konstantin hinrichten
liess,
^) So sagt er selbst bei Walz VIII, 55.
5; vermutlich lebte er nach Syrian um 500;
einige schrieben ihm nach Suidas auch die
^xXoyrj laroQUüv zu, von der uns Photios den
Inhalt angibt; über seine Kommentare zu
Aristides haben wir bereits oben S. 601 ge-
sprochen,
^) Gedruckt in Walz, Rhet. gr. t. VIII.
••) In den Anfang dos 11. Jahrhunderts
Hctzt ihn BuRSiAN, Abh. d. b. Ak. XVI, 13,
während Walz VI p. XI unrichtig bis ins
13. Jahrhundert hcrabgegangen war. Ex-
zerpte des Kommentars zu Hermogenes nsQt
evQtOEwg gibt Cramee, An. Ox. IV, 155—09;
seine Scholien zu Aphthonios stehen bei Walz
t. II. Veröffentlicht ist der Kommentar zu
Herm. neqi zioy evQsasiüi^ von Gramer, An.
Ox. IV, 155—169, die Proleg. zu Hermog.
von Walz VI, 1 — 32, Von einem Kommen-
tar zu Hermogenes tisqI oruoeo)y in einem
God. Vind. 130 gibt Notiz R. Förster, Mel.
Graux p. 630,
^) Die Mediceische Handschrift des Gre-
gor Corinthius hat Scholien, aus denen inter-
essante Inhaltsangaben des euripidcisclien
Bellerophon Welckek, Gr, Tr, p. 777 f. ans
Licht gezogen hat.
^) YAn Zenon lebte unter den Antoninen
nach Philostr. vit. soph. II, 24.
^) Suidas erwähnt zwei Sophisten !\p-
sines: einen ältoien aus Gadara. und einen
jüngeren aus Athen; Hammer, De Aj)shie
rhetore, Günzburg Progr, 1870.
40 =
G28
Griechische Litteraturgeschichte. IL Nachklassische Litteratur.
TtQoßhjfjKXTcov, welche Art von Reden seit Dionysios (s. S. 540) einen Haupt-
teil der rhetorischen Übungen ausmachte.
Minukianos, der unter Gallien (260 — 8) lebte und nach Suidas eine
T&'X^')j Qi]TOQixr/ und TTQoyvf.iväa{-iaTa schrieb, hat ein kleines Bruchstück
n€Qi €7TixsiQi]fiäTcov, vou dcu Beweisen, hinterlassen, das nach der Über-
schrift von andern seinem Vater Nikagoras zugeschrieben wurde.
Ruf US aus unbestimmter Zeit ist Verfasser des kurzen und unbedeu-
tenden Abrisses der Ti'xrt] ^rjZOQtxi] bei Spengel I, 463—9.
498. Menandros aus Laodikea am Lykos, welcher in der Zeit nach
Hermogenes und Minukianos gelebt haben muss, da er zu diesen nach dem
Zeugnis des Suidas Kommentare schrieb, ist uns als Verfasser von Schollen
zu Demosthenes und zu dem Panathenaikos des Aristides bekannt und
wird in den Handschriften als Autor zweier Traktate über Festreden [tt^qI
emSsixTixcov Rhet. gr. HI, 329—466 Sp.) genannt. Von diesen ist der
erste am Schluss und der zweite am Anfang verstümmelt. Beide sind in
der gleichen Atmosphäre der mittleren Sophistik, etwa um 270,^) entstanden,
können aber nicht als Teile eines Werkes und schwerlich auch nur als
Schriften eines Autors gelten.-) Da der erste Traktat, mit dem genauen
Titel SicciQeaig rcov sTiidsixTixMv, im cod. Paris. 1741 die Überschrift trägt
MsvävÖQov QYjTOQog rsvs^h'wv {rj Fsvs^h'ov var. lect. der gleichen Hand),
so möchte man diesen dem Genethlios aus Petra in Palästina, einem
Schüler des Minukianos, =^) zuschreiben. Bursian, der mit reicheren Hilfs-
mitteln die beiden Schriften neu herausgegeben und die litterarische Kontro-
verse geklärt hat, schreibt umgekehrt die erste Abhandlung unserem Me-
nander und die zweite einem anonymen, aus der Troas stammenden Rhetor
zu, weil in der letzteren wiederholt 9 das troische Alexandria als Heimat
des Verfassers bezeichnet ist.
499. Longinos, mit dem Gentilnamen Cassius und dem Ehrennamen
Philologos,^) war einer der angesehensten Rhetoren des 3. Jahrhunderts
und wird von Eunapios, vit. soph. p. 456 a 2, eine ßißho^rjxrj sfiipvxog xcd
TTSQiTiaTovv jiiovcreiov genannt. Derselbe hat sich als Rhetor wie als Phi-
losoph einen Namen gemacht '^) und zählte sogar einen namhaften Philo-
sophen, denNeuplatoniker Porphyrios, zu seinen Schülern.'') Erlehrte zu Athen,
ward aber in die politischen Wirren des römischen Kaiserreichs gezogen und
^) Bursian, Der Rhetor Menandros und
seine Schriften, in Abhdl. d. b. Ak. t. XVI
(1882) S. 17 schliesst aus der Erwähnung
der noXeig KagnUci p. 358, 27 Sp., dass wir
den Menandros von Laodikea oder den Ver-
fasser des 1. Traktats in die Zeit nach Dio-
kletian zu setzen haben.
'') Bursian a. 0. 18 ff.
^) Suidas u. Tsvtithog nennt ihn ausser-
dem einen Rivalen des Rhelor Kallinikos,
der in dem 2. Traktat p. 370, 14 u. 386, 30
citiert wird. Nitzsche, Der Rhetor Menan-
dros und die Schollen zu Demosthenes, Berl.
Progr, 1883 weist Übereinstimmungen mit
dem Grundstock der Demosthenesscholien
nach.
^) Am bestimmtesten p. 437, 10; 430,
20. 30; 440, 10; 442, 1. 20; 444, 3. 38 in der,
Lobrede auf den Apollo Smintheus, aber auch
sonst p. 387, 6; 426,. 12. 23; 429, 1.
^) RuHNKEN, Disputatio de vita et scrip-
tis Loncjini, 1776, in Opusc. 1,488-528.
^) Longin heisst (pilooocfog bei Suidas,
bei Vopiscus, vit. Aurel. 30 und in den
Hephä.stionscholien. Porphyrios, vit Plotini
p. XXX K. erwähnt von ihm 2 philosophische
Schriften ttsqI {'(Q/diy und cpiAciQ/aiog: ausser-
dem schrieb er Kommentare zum Timaios
u. Phaidon. Als Philosoph hatte er den
Ammonios und Origenes zu Lehrern.
^) Suidas u AoyyTvog und PJunapios a. 0.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, i) DieEhetorik. (§ 498—499.) 629
als Anhänger der Zenobia von Kaiser Aurelian hingerichtet (273). Suidas
erwähnt, wie gewöhnlich, nur einen Teil seiner Schriften mit Namen und
zwar nur solche, die inzwischen verloren gegangen sind {anogri^ara ^Ofjirj^
Qixd, €1 (pLX6ao(fog'Ofjir]Qog, TTQoßXrjfiaTcc '^O/jh'jqov xal Xvasig,^) ^Attixmv Xs^ewv
sxSöasig ß'); gerade die bedeutendste, die philologischen Unterhaltungen,
von der er den Zunamen Philologos erhielt, ist, weil sie in der alphabetisch
geordnetenen Vorlage des Lexikographen am Schlüsse stund, nicht erwähnt. 2)
Erhalten sind uns unter seinem Namen, ausser Prolegomena zu dem Metriker
Hephästion und einem Brief in dem von Porphyrios hinterlassenen Leben Plo-
tins, das Bruchstück einer Rhetorik (Rhet. gr. I, 299 — 320 Sp.) und das be-
rühmte Buch TTSQi vipovg oder vom Erhabenen. 3) Die Rhetorik handelt in Kürze
von den Mitteln der Rede {a(fOQiial Xöyov), der Ökonomie, dem sprachlichen
Ausdruck, dem Vortrag, dem Gedächtnis, indem der Verfasser, ohne irgend-
wie in die Tiefe zu gehen, einem Schüler ermunternde Anweisungen zur
Redekunst gibt. Dass Longin diese Anleitung, die in den Handschriften
mitten in die Rhetorik des Apsines hineingeschoben ist, verfasst habe, hat
mit glänzendem Scharfsinn Ruhnken erkannt, indem er auf die Identität
eines von den byzantinischen Kommentatoren des Hermogenes (bei Walz
V, 451 u. VI, 119) aus Longinos Philologos citierten Satzes mit einer Stelle
unseres Abrisses p. 310, 10 — 12 hinwies.^) Auf die Rhetorik lässt Spengel
in den Rhet. gr. I 325 — 8 höchst wertvolle Exzerpte €x tmv Aoyyivov folgen,
welche zuerst Egger aus einer Florentiner Handschrift (Laur. 24, 58) heraus-
gegeben hat, die aber Spengel selbst dem Longin abspricht. Dieselben sind
allerdings nicht aus der Rhetorik unseres Autors exzerpiert, enthalten aber
vielleicht Auszüge aus dessen (I>iX6Xoyoi dfuXim. Ihre Zeit bestimmt sich
daraus, dass sie ausser einem Hinweis auf Longin'') ein Urteil über den
Rhetor Aristides enthalten.
Weit interessanter ist die zweite Schrift rtsgl vif-iovg, in welcher der
Autor zur Ergänzung und Berichtigung einer ähnlichen Abhandlung des
berühmten Rhetors Cäcilius^) zuerst das Wesen des Erhabenen feststellt
und dann in kenntnisreicher Weise die Quellen oder Mittel des erhabenen
Stils nachweist. Das Hauptinteresse aber erregten gleich bei dem ersten
Bekanntwerden des Buches die vielen Citate aus klassischen Autoren, ins-
besondere die Einlage eines Gedichtes der Sappho (c. 10). Aber auch ab-
gesehen davon ist die Schrift ein wertvolles Denkmal der von den Alten
geübten ästhetischen Kritik {xqiaig Troirj^aaTcov), welche dieselben als einen
Teil der Grammatik und zwar als den vorzüglichsten derselben ansahen.
Dieselbe ist vom Verfasser mit ebenso grosser Feinheit des Urteils als
umfassender Gelehrsamkeit geübt: er zieht Dichter wie Prosaiker, Schrift-
^) Man erkennt daraus den Lehrer des
Porphyrios, des Verfassers der homerischen
Probleme.
'^) Die 'PiXoAoyoi <\ut^Ua hatten minde-
stens 21 B.; s. Rhet. gr. VI, 225 u. Vll,
903 ed. Walz.
^) Ob die von Eusebios benützten Chro-
nika des Cassius Longinus in 18 B. von
unserem Longin herrühren, ist zweifelhaft;
s. Müller, FHG. III, 088.
4) Näheres bei Walz t. IX p. XXIII sq.
") p. 825, 7 Sp. : ort 6 'J()iotoreXrig xovg
TJccvTci ^ETdcpeQOvrccg an'iyfxarcc yQÜffeiv
kleyev ' d'io Xtyovaiv {Xtyei emend. Ruhnken)
Aoyy7vog anat^Uog xe/Qtja&ca xcd rovro) ra
^) Rothstein, Cäcilius von Kaiakte und
die Schrift vom Erhabenen, Herrn. 23 (1888),
1 20.
630
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
steller der klassischen wie der alexandrinischen Zeit heran; unter anderm
gibt er auch eine geistvolle Parallele zwischen Cicero und Demosthenes.
Über die Person und die Zeit des Verfassers herrschte schon im Altertum
Zweifel; das ersieht man aus der Überschrift Jiovvaiov i] yioyyirov tc8qI
iil^oiK. Wahrscheinlich lief das Buch ehedem anonym, und sind beide
Namen geraten und dieses falsch. Auf den Dionysios riet man, weil man
unberechtigter Weise die Stelle c. 39, 1 imlq aw^taswg sv Svalv anoy^QMv-
rwg anodeSwxÖTsq, avvTäyiia(Si auf das Buch des Dionysios tvsqI avvd^saewq
ovoi^iccTon' bezog. Eher könnte mit dem 2. Namen, Longin, das Richtige
getroffen sein: der ganze Charakter des Buches passt trefflich zu dem Bei-
namen 6 xQiTiJcog, den man dem Cassius Longinus gab;^) der philosophische
Charakter des 1. Kapitels und die vielen Citate aus Piaton stimmen gut zur
philosophischen Richtung unseres Longin. Aber das alles reicht zur Be-
gründung der Vaterschaft nicht aus und vermag nicht die entgegenstehen-
den Bedenken zu entkräften. Nicht bloss verrät die Sprache und der fast
triviale Charakter der echten Schriften des Longin keine Verwandtschaft
mit dem vorzüglichen Buche vom Erhabenen; auch der Umstand, dass in
dem letzteren die Hauptrhetoren der antoninischen Zeit, Alexandres Nu-
meniu und Hermogenes, vollständig ignoriert und nur Schriftsteller aus der
Zeit vor Tiberius angeführt werden, 2) verbietet uns, mit dem Verfasser bis
in die Mitte des 3. Jahrhunderts herabzugehen. Wir schliessen uns daher
der Meinung der Neueren •'^) an, dass der Verfasser unseres Buches ein
Anonymus ist, der im 1. Jahrhundert bald nach Cäcilius und vor Hermo-
genes lebte. '^)
Das Buch 71€ql vipovs ist erhalten durch den cod. Paris. 2036, von dem alle anderen
Handschriften abstammen. Kommentierte Ausg. mit den Noten der Früheren (Toup, Ruhn-
ken, Larcher) von Rkiske 1809; kritische Ausg. mit Proleg. von 0. Jahn (1867), neu-
bearbeitet von Vahlen, Bonnae 1887.
k. Die Grammatik.^)
500. Die grammatischen Studien waren in der letzten Zeit der römi-
schen Republik durch Didymos, Tyrannion, Alexander Polyhistor und andere
von den alten Sitzen der Gelehrsamkeit nach Rom verpflanzt worden. Da-
durch wurden nicht bloss die Römer zur Durchforschung ihrer eigenen
Sprache und Litteratur angeregt, sondern erblühten auch in Rom gram-
matische Schulen der Griechen. Daneben blieben Athen und in noch höherem
Grade Alexandria und Pergamon^) mit ihren reichen litterarischen Hilfs-
^) Suidas u. 4>Q6vxüip; Photios p. 492 a,
29; Eunapios p. 456 a, 18.
2) Dass auch der c. 13, 3 citierte Am-
monios, der die Nachahmungen Homers bei
Piaton zusammengeschrieben haben soll, nicht
der Neuplatoniker Ammonios sei, sondern der
Aristarcheer, dessen Buch ns^l tcop vno
IJ'/.cn(x}i^og fX£Ti]PsyjLi8P(jt}y f| 'OfxrJQoi' auch in
den alten Homerscholien (A) zu II. I, 540
citiert wird, hat Röper, Phil. I, 630 nach-
gewiesen.
^) BüCHENAU, De scriptore lihri tisql
i'ifjovg, Marb. 1849, denkt an die Zeit des
Vespasian; weiter hinauf geht Martens, De
libello 7TSQL vijjovg, Bonn 1877, der die Blüte
unseres Rhetors unter Tiberius setzt. Beach-
tenswert ist, dass der Verfasser c. 9 Kennt-
nis der Genesis zeigt; s. Bernays, Ges. Abh.
I, 353 und Mommsen, Rom. Gesch. V, 494
und 551.
*) Wenn ich auf einen Namen raten
sollte, so würde ich am ehesten an Theon
denken, der ein Buch 7T8qI avpxd'^sixyg Xöyov
geschrieben hatte.
'-') Über die Litteratur im allgemeinen
s. § 378.
^) Zahlreiche Grammatiker unserer Pe-
riode heissen bei Suidas 'J^e^aydQs^g. Als
Pergamener werden bezeichnet Demetrios
Ixion und Telephos.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§500—501.) G31
mitteln treue Pflegerinnen der philologischen Gelehrsamkeit. Auch in anderen
Städten Griechenlands und Kleinasiens, wie Smyrna, Tarsos, Berytos, Byblos,
führte schon der Bildungs- und Unterrichtsgang zur Errichtung und Erhal-
tung grammatischer Schulen. Aber die Zeit der grossen Philologen und
selbständigen Forscher war vorüber; selbst Apollonios Dyskolos und Hero-
dian, welche sich des meisten Ansehens unter den Grammatikern unserer
Periode erfreuten, und deren Sätze die Richtschnur für die nachfolgenden
Generationen bildeten, verarbeiteten nur dasjenige, was Aristarch und die
Alexandriner angelegt hatten. Dazu kam, dass seit Hadrian das steigende
Ansehen der Sophistik den trocknen Studien der Grammatik hinderlich in
den Weg trat und höchstens nur in stilistischem Interesse die Richtung
der Attikisten begünstigte. Innerhalb unserer Periode trat ein bestimmt
ausgeprägter Unterschied zwischen den Grammatikern vor und nach Hadrian
hervor: im Anfang überwogen noch die Empiriker, die teils auf den ver-
schiedensten Gebieten der grammatischen Erudition sich bewegten, teils der
Kritik und Erklärung der Autoren, jetzt nicht mehr der alten, sondern auch
der alexandrinischen ihre Studien zuwandten. Von dem 2. Jahrhundert an
bekamen die Systematiker die Oberhand, w^elche sich die Ausbildung des
Lehrgebäudes der Grammatik und Metrik und die Anlage zusammenfassen-
der Werke über Lexikographie und Litterarhistorie angelegen sein Hessen.
Dem entsprechend gehen wir in dem ersten Abschnitt von den einzelnen
Grammatikern, in dem zweiten von den einzelnen Disziplinen aus.
Gramtiiatiker des 1. Jahrhunderts.
501. Juba^) war nicht der König unter den Grammatikern, aber ein
Grammatiker königlichen Geblütes. Nachdem sein Vater, der König von
Numidien und Mauritanien, den Waffen der Römer unterlegen war (46 v.
Chr.), kam er selbst als junger Mensch nach Rom in die Kriegsgefangen-
schaft, ward aber später von Oktavian wieder mit einem Teil seines väter-
lichen Reiches belehnt. In der Gefangenschaft hatte er sich mit den Stu-
dien befreundet, so dass er einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit
wurde: dTicevicov laToqixohaTog ßaailtwv heisst er bei Plutarch im Leben
des Sertorius c. 9; 2) die Athener setzten ihm im Gymnasium des Ptole-
maios ein Standbild, das noch Pausanias sah.^) Seine Studien galten vor-
nehmlich der historischen und antiquarischen Seite des Altertums; aus
ihnen gingen seine altrömische, ^) libysche, arabische, assyrische Geschichte
hervor, aus ihnen auch sein Buch ^OinofÖTrjTeg, in welchem er an der Hand des
Varro die Ähnlichkeiten römischer Sitten mit denen anderer Völker ver-
zeichnete."^) Ein Kapitel der Kunstgeschichte behandelte er in dem Buch
über Malerei und Maler (tt^qI yga^ixi^g xal neq] L,(oyQoi<joyv), von dem bei
Harpokration ein 8. Buch citiert wird. Viel benützt von den Späteren
wurde seine OecciQixij iaioqta, worin von den musischen Agonen, Dichtern,
') Suidas u. 'loßag. über das Todesjahr
des Juba, 19 oder 23 n. Chr., s. S. 569 An. 2.
-') Ähnlich Plut. Cacs. 55, Anton. 87:
Plinius H. N. V, 1. IC; Ath. 83b.
ratet war.
*) Als uQ/cuo^-oyicc citiert von Stepha-
nos Byz.
•'') Die historisclien Schriften des Juba
"^) Paus. 1, 17. 2; bezüglich des Platzes wurden viel benützt von Plutarch, Appian
war von Kinfluss, dass er mit einer Tochter | und Cassius Dio, worüber Schäfer, Quellen-
der Kleopatra, Selene mit Namen, verhei- 1 künde 11-, 95.
G32
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratiir.
Schauspielern, Musikern gehandelt war.^) In seinen philosophischen Lieb-
habereien neigte er sich der Sekte der Neupythagoreer zii.''^) Als einen
bahnbrechenden, scharfsinnigen Forscher bewährte sich Juba nirgends, wohl
aber, wie dieses bei Leuten seines Schlages öfters vorkommt, als einen
unterrichteten Mann und guten Kompilator. Die Fragmente gesammelt bei
Müller, FHG. III, 465—484.
502. Tryphon^) aus Alexandria war jüngerer Zeitgenosse des Didy-
mos und blühte unter August. Treu den Traditionen der alexandrinischen
Schule beschäftigte er sich vornehmlich mit dem sprachlichen Teil der Phi-
lologie. Seine bedeutendsten Leistungen lagen auf dem Gebiet der Dialekt-
forschung, der lokalen wie der litterarischen. 4) Eine reiche Ausbeute
für die Späteren bildete auch sein nach Sachtiteln angelegtes Lexikon ti^qI
bvoiiaaiijov. Von seinem Traktat über die Hauche (tvsqI TTrsv/näTon') ist uns
ein elendes Exzerpt erhalten.^) Ob das unter Tryphons Namen überlieferte
Buch über Tropen von unserem Grammatiker herrührt, haben wir oben
§ 493 als zweifelhaft hingestellt. Die Fragmente sind gesammelt von Arte.
V. Velsen, Berol. 1853, vermehrt von Schwabe, Dionys. et Pausan. fr. p. 69.
503. Theon, Vorgänger des Apion auf dem grammatischen Lehr-
stuhl Alexandriens,^) wird passend der Didymos der alexandrinischen Dichter
genannt, insofern er für die Kritik und Exegese des Theokrit, Apollonios,
Kallimachos, Lykophron ähnliches wie Didymos für Homer und die Dichter
der klassischen Zeit geleistet hat. Unsere Schollen zu Apollonios gehen
teilweise auf ihn zurück. Nach dem Brief, den Hesychios seinem Glossar
vorausschickt, hat er auch Glossen zu den Tragikern und Komikern ver-
fasst, wahrscheinlich in der Art, dass er die einzelnen Aeßeig des Didymos
in ein alphabetisch geordnetes Gesamtlexikon brachte.') Die Fragmente
sind gesammelt von C. Giese, De Theone grammatico chiscpie rcliqtdis,
Münster 1867.
504. Pamphilos aus Alexandria, ^) ein Aristarcheer, blühte in der
Mitte des 1. Jahrhunderts.^) Sein Hauptwerk war ein glossematisches
Lexikon ttsqI yXoiaGMv tjtoi Xt^ewv in 95 ß., das später unter Hadrian zu-
erst von Vestinus und dann von Diogenian in einen Auszug gebracht
wurde. ^ö) Der Plan des reichhaltigen Sammelwerkes rührte indes nicht
von ihm, sondern von Zopyrion her, der auch als Verfasser der 4 ersten
^) RoHDE, De Pollucis fontibus sucht
in dieser Schrift eine Hauptquelle des Pol-
lux, was Bapp, Leipz. Stud. VIII, 110 ff. in-
sofern beschränkt, als er zwischen Juba
und Pollux den Lexikographen Tryphon ein-
schiebt.
^) David im Comment. in Arist. cat. p.
28^ bezeugt, dass lobates pythagoreische
Schriften sammelte.
^) Suidas u. TQvcfwv. Vgl. Naber ad
Phot. lex L 75 ff. ; Bapp, Leipz. Stud. VIII, 108.
^) Einzelne Titel waren: ttsql rrjg 'EX-
'Arjvixiv (haXsxTov xal ' jQyslojv xat 'PrjylvMv
xcd J(x)Qieiov xcd ZvQuxova'iwv, tisqI nXeovaa-
fiov tov ev rrj Jio'Ai^i ^laXixtM, tieql tmv
iccQ^ 'OfuiJQO) diaXe'y.TOjy xcd 2!ifAioi'i^rj x(d
Hiv^aQU) xcd 'jXxfA.ciPi xcd Totg ciXXoig Xvql-
xoTg.
5) In Cod. Matrit. 95 fol. 148-150; s.
Egenolff, Orthoepische Stud. S. 26.
^) Suidas u. ^Jnicoy. rjy de diä&o/og
08Muog rov yQttfXfxcmxov, was wohl auf den
Lehrstuhl in Alexandria geht.
') So stellt das Verhältnis Nabek, Phot.
lex. I, 9 dar.
^) Suidas u. U('(^cfilog \4Xe^. : s. Weber,
Philol. Suppl. III, 467 ff.; Jul Schoenemann,
De lexicocp-apMs antiqiiis, Hanuov. 1886.
9) Vgl. Ath. 642 e.
'") Die Epitome des Diogenian umfasste
bloss 5 B., sie ist uns erhalten im Lexikon
des Hesychios.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 502—505.) 633
Bücher genannt wird. Eine Ergänzung zu dem Lexikon, gewissermassen
selbst ein Lexikon mit sachlichen Titeln, war das Sammelwerk, das von
seinem bunten Inhalt den Titel AeifiMv hatte ^ und in dem unter anderm
die Fabeln des alten Mythus und der Verwandelungslitteratur unter sorg-
fältiger Anführung der Quellen behandelt waren.-) Ein Werk von den
Pflanzen in 6 B. führt häufig der Arzt Galen an,^) nicht ohne sich über
den Grammatiker, der sich um die sachlichen Verhältnisse wenig, um so
mehr aber um die Namen und Ammenmärchen kümmere, zu ereifern. Ob
dasselbe einen Teil des Asiiimv bildete, oder zu den anderen, von Suidas
aufgeführten Spezialschriften unseres Grammatikers gehörte, ist ungewiss.
Die Bücher des Pamphilos wurden wegen ihres gelehrten Inhaltes und ihrer
bequemen Anordnung wie die keines andern Gelehrten von Scholiasten und
Sammelschreibern benutzt.^)
Eine Namensverwandte und Zeitgenossin des vorgenannten Gramma-
tikers war die gelehrte Pamphila,"*) die unter Nero lebte und sich eines
ausserordentlichen Rufes erfreute. Ihre avf.ifuxTcc lavoQixd vTioi^ivrj^ata in
38 B. waren litterargeschichtliche Lesefrüchte der verschiedensten Art; ein
Kuriosum des Blaustrumpfs war das Buch ti8qI a(fQoSia((i)v.
505. Apion mit dem Beinamen Möx^og^^) Schüler des Apollonios
Archibiu und Pflegesohn des Didymos, war Nachfolger des Theon in der
Vorstandschaft der alexandrinischen Schule, führte aber im übrigen ein
unstetes Leben, mehr in der Art eines ruhmredigen Rhetors als eines
soliden Grammatikers.'^) Als Führer der Antisemitenpartei in Alexandria
führte er das Wort bei einer Gesandtschaft an den Kaiser Caligula; auf
seine Beschuldigungen antwortete später Josephos in der uns erhaltenen
Schrift xazd ^AniMvog.^) Geschichtlichen Inhaltes waren die lazoqia xaz'
t&voQ und die Alyvicnaxä; aus den letzteren teilt Gellius 5, 14 die rüh-
rende Erzählung von Androklos und dem Löwen mit. Sein auf Aristarch
fussendes Homerglossar war zusammen mit dem ähnlichen Werke des
Herodor^) eine Hauptquelle des Hesychios und Eustathios; dürftige Aus-
^) Verwandt waren das Sammelwerk /I«y- j ^) Über die Benützung dmcli Athenaios
To^ciTirj vlrj des Favorin und die Prata des s. Bapp in Comment. Ribbeck. p. 253 — 8.
Sueton; vgl, Reiffekscheid, Suet. rell. p. 455, | ^) Suidas: Uafxcpi'kt] 'Eni^avQia aorprj,
der aber noch den Leimon und das Lexikon
unseres Pamphilos für e i n Werk hielt.
■-') Vgl. EuG. Oder, De Antonino Li-
hcrali, Bonnae 1886, p. 46. Indem ich das
Lexikon und den Leimon für verschiedene
Bücher halte, setze ich bei Suidas tyQaipe
'Asifxvijya {ean ife TioixlXojf TiSQio/rj), 7T8qI
yXojoaoji^ tjtol Xt^ewy ßißXia Cs vor tjsqI ein
Komma.
') Galen t. XI p. 794, 2 ed. Kühn: ovzog
(sc. IU'( fX(filog) upy t^ eyQaijJs [i'^tyQaxps
vulgo, emcnd. Lobeck) ßißlin. Zuvor p. 793
sagt er von ihm: fA'ijd^ iioQuxojg rdg ßorävag
vnsQ Ml' d(i]ys?TC(i fxrjxe li^g dvi'üfxsiog uvrcoy
TieneiQUfXBvog. (("kld xoTg tjqo ccvtov ysyQa-
y^vyciir]Q ZüiirjQi^ov, ov leysica eivca x«l xd
ovvxäy^ciTCi, log Jiovvoiog iv xio X xrjg ^uov-
aixrjg ioxogiag, log de exsQoi yeyQCKpaai, i'w-
xqctxi^a xov ciy&qog avxrjg ' laxoQixd vno-
fivrjfjLctxa xxl. Die Fragmente bei Müller
FHG. III, 520-2. ^
^) Suidas u. 'Jnicov. Lehrs, Quaest.
epicaep. 1 — 34; Mommsen, Rom. Gesch. V, 517.
"') Witzig bemerkt von ihm Plinius H.
N. prooem. 25: Tiherius Caesar cymlndum
mundi vocahat, cum proj)riae famae tiim-
panum potius rideri p)0sset.
') Vgl. § 421.
^) Die Lesart schwankt zwischen Uqo-
(fiÖQov und llho^ioQoiK vgl. La-Rocfie, Ilom.
\(poaiv cmuoiv «psv ßccourov TieTJiarsvxiog ... Textkr. 109 ff., uud Naber, Phot. lex. I, 119
[l'iXrjOog oi'oi^idnov i(f' txdarr] ßoxdi^t] 7i()oa- I vgl. S. 58 An. 2.
' n9eig.
534 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Züge desselben stehen im Anhang des Etyni. Gudianum p. 601 ed. Sturz.
Die Fragmente sind gesammelt bei Müller FHG. III, 506 — 516.
506. Heliodoros,^j ein geschmackvoller, von den zeitgenössischen
Dichtern der Anthologie^) vielgenannter Grammatiker, blühte unter den
Kaisern der julischen Dynastie. Er war als Vorgänger des Hephästion
Hauptbegründer der Metrik; von ihm rührt der Stamm der metrischen
Schollen des Aristophanes her;^) ausserdem finden sich seine Sätze vielfach
von den alten Erklärern des metrischen Handbuchs des Hephästion ange-
zogen. Durch Juba artigraphus, der sich eng an ihn anschloss, ist seine
Theorie auf die lateinischen Metriker übergegangen.^) Als seinen Schüler
bezeichnet Suidas den Eirenaios (Pacatus), welcher zu den hervorragenden
Attikisten der hadrianischen Zeit gehörte.
507. Ptolemaios Chennos lebte nach Suidas in der 2. Hälfte des
1. Jahrhunderts und war Verfasser der Sphinx, eines mythologisch-gram-
matischen Dramas, ferner eines Epos 'AvOoi^ujQog in 24 Rhapsodien, einer
JlaQado'^og laxoQia und einer Kaiv)] laioQi'a.-') Die letzte, welche Eustathios
und Tzetzes viel benützten, hatte 6 Bücher und ist uns näher aus dem
Auszug des Photios cod. 190 bekannt. Danach verbreitete sie sich über
alle möglichen und unmöglichen Dinge der Fabelwelt und tischte eine Menge
sonst nicht bekannter Mythen auf, indem als Gewährsmänner Schriftsteller
aufgeführt waren, von denen wir zum grossen Teil sonst nirgends etwas
zu lesen bekommen. Hercher in dem geistreichen Aufsatz über die Glaub-
würdigkeit der neuen Geschichte des Ptolemaios Chennos,*'') stellt diesen
unseren Ptolemaios und die Verfasser der unter Plutarchs Namen laufenden
Parallela minora und des Buches über die Flüsse ^) in die Klasse jener un-
verschämten Aufschneider und Schwindler, welche von neugierigen Römern
bei Tisch nach einer Mythe gefragt, nie um eine Antwort in Verlegenheit
waren, sondern in Ermangelung wirklichen Wissens mit irgend einem fin-
gierten Namen aufwarteten. Es fällt aber das Leben unseres Schwindlers
in dieselbe Zeit, in der ein Dar es und Diktys sich in ihren Erzählungen
vom troianischen Krieg auf beschriebene Cypressentafeln beriefen, welche
sie in Gräbern aus der Heroenzeit gefunden zu haben vorgaben.
Andere Grammatiker aus dem Anfang der römischen Kaiserzeit waren:
Philoxenos aus Alexandria, der unter Tiberius in Rom lehrte und sich
^) Der Artikel des Suidas über ihn ist
leider ausgefallen; hat Hermann die Stelle
des Priscian p. 396 Kr. richtig emendiert,
so lebte er vor Claudius Didymus; aber mit
dem Heliodorus Graecorum longe doctis-
simus, der den Horaz auf der Reise nach
Brundisium begleitete (Sat. I, 5. 2), dürfte
er doch nicht identisch sein. Vgl. Keil.
Quaest. gramm. 14 f.; Wachsmuth, Philol.
XVI (1860), 648 ff.; 0. Hense, Heliodorische
Untersuchungen, Leipz. 1870; I. Lipsiijs,
Jhrb. f. Phil. 1860 S. 607 ff.; über seine
Kolometrie oder Abteilung der Verse bei
Aristophanes s. § 198.
■') Anth. XI, 134. 137. 138. 183. 256.
^) Thiemann, Ileliodori colometria Ari-
stophanea, Hai. 1869.
*) 0. Hense, De Juba artigi'ajyJio in
Acta Lips. t. IV.
^) Vielleicht war unser Ptolemaios auch
Verfasser des Buches von den Schriften des
Aristoteles s. § 294.
6) Jahrb. f. Phil. Suppl. I, 269-293;
Widerspruch erhob gegen Horchers Annahme
C. Müller, Geogr. gr. min. 11^ p. LVII.
Schon dem Photios erschien unser Ptole-
maios als ovvayioyevg ■ vmoxevog xal TiQog
iikaCoi'eiai^ emorjfXEvog. Auf die xai.vrj loTOQLCi
führt Rose, Anecd. gr. p. 14 auch die im
cod. Laur. 56, 1 erhaltenen Sammlungen von
Wunderthaten zurück.
') Vgl. S. 489.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 506-508.) 635
besonders mit etymologischen Forschungen abgab; ^) Apollo nios Archibiu,
den Suidas Lehrer des Apion nennt, so dass er schwerlich V^erfasser des uns
erhaltenen Homerlexikons sein kann; -) Herakleon aus Ägypten, angesehener
Homererklärer; Claudius Didymus, aus dessen Schrift Tiegl ttjg naqd
^Fwfiaioig craXoYiccc^) uns ein interessantes Fragment bei dem lateinischen
Grammatiker Priscian de figuris numerorum p. 396 erhalten ist;^) Doro-
theos aus Askalon, Lexikograph zwischen Tryphon und Apollonios Dys-
kolos;^) Epaphroditos aus Chäronea, Bibliothekar unter Nero und Nerva,
intimer Fi'eund des Geschichtschreibers Josephos; Eirenaios oder Minucius
Facatus, Schüler des Heliodor;^) Alexion Homererklärer; Herakleides
Milesios (um 100), Vorläufer des Herodian und Verfasser einer xa^oXixr]
nQoa(oöia und eines Buches tisqI övükXitwv ^»^/larwr.')
Grammatiker des 2. Jahrhnnderts.
508. Herennios Philon^) aus Byblos schrieb ausser einer Geschichte
des Hadrian und einem Buche über Anlage von Bibliotheken {tisqI xTt](Seo}q
xal sxXoyfjg ßißh'wv in 12 B.)^) ein berühmtes litterarhistorisches Werk
TTSQi 7i6l€o)v xal ovg exäarrj aviwv ivdo^ovg ijVfiyxsv in 30 B. Dasselbe war
eine Hauptquelle der späteren Grammatiker und wurde insbesondere von
Hesychios Milesios und Stephanos Byzantios fleissig benützt. Wahrschein-
lich war er auch Verfasser des Buches über Synonymik, von dem Am-
monios den uns erhaltenen Auszug machte. Berühmter noch ist unser
Grammatiker geworden durch die Übersetzung der Phönikischen Geschichte
des Sanchuniathon, der angeblich in vortroianischer Zeit eine Geschichte
Phönikiens verfasst hatte. Von dem \. Buch dieser Geschichte hat uns
der Kirchenvater Eusebios, Praep. ev. L 9 u. 10 und IV, 16 denjenigen
Abschnitt mitgeteilt, ^^) der sich auf die Theogonie und die Anfänge der
menschlichen Geschichte bezieht. Derselbe ist äusserst interessant, rührt
aber gewiss nicht von einem so alten Autor her; vielmehr scheint Philon
oder dessen Gewährsmann hellenistisch gefärbte und aus jüngeren Quellen
^) Kleist, De Philoxeni studiis etymo-
I Jogicis, Greifswald 1865; M. Schmidt, De
I Philoxeno Alex., Philol. IV (1849), G27 ff.,
VT (1851), 660 ff.
0 Vgl. S. 58, und Meier, Opusc. II, 53 f.
Aber in dem Einleitungsbrief des Hesychios
Alex, wird ausdrücklich ^AnoXhovioq 6 rov
\.f()/(,ßiov als Honierlexikograph genannt.
■') In dieser Schrift war die römische
Sprache als eine mit dem äolischen Dialekt
verwandte Abart der griechischen erwiesen
jworden.
^) Derselbe war auch Verfasser einer
musikalischen Schrift tjcqI öiucfOQug.
•'') Vgl. FiELiTZ, De comoedia hipartita,
i|p. 51.
«) M. Haupt, Opusc. II, 434 ff.
') CoHN, De Heraclide Milesio gram-
\mutico, in ßerl. Stud. I, 603 -718, und Frye,
De Heraclidae Müesii studiis Ifomcricis,
in Leipz. Stud. VI, 93 ff. Die meisten Frag-
|mente sind uns durch Eustathios erhalten.
*") Suidas u. 'H'Amp liv,Shog, vgl. Daub,
De Suidae hiograpliis, in Jahrb. f. Phil.
Suppl. XI, 437 ff. Niese, De fonübus Ste-
phani p. 28 bestimmt seine Zeit auf 64 -141
n. Chr. Nicht ganz sicher ist die Kombi-
nation, die ihn mit Herennius, cons. suff. im
Jahre 124, in Verbindung bringt.
^) Daraus ist ein 9. Buch, das von me-
dizinischen Schriften handelte, citiert von
Oreibasios III, 687 ed. Dar.
^") I, 9: laroQei de xavtn ^iccy/owidS^iov,
ccvfJQ naXcclrcnog xal xcHv TQoSixiov XQ^^^^
(og (paai TTQsaßvreQog, öV x«t in'' äxQtßeiic x(d
(cXrjxheia trjg 'PoifiXiXTJg loroQucg (cno(f£/&7]i'((i
fXdQTVQovai ' 'PlXmv Je tovtov Tiäaap rrji^
avyyQCicpijv 6 livßhoc, ov/ o KßQcdog, fxercc-
ßaXvjv üno rijg ^oivlxiov yX(6aar]g stjI xrjv
'ElX('(Jc< (fioviqi' i^ed(oxe . jHF\ui^t]Tcct rovriot' 6
x«^' ij^uccg T}]v xa(f i]u.MV Tienoiy]fxevog
avaxevtjr d. i. IIo()(fi'(}(og. Erwähnt ist der
alte Historiker auch bei Athen. 12()-': yiaQu
roig TU 4>oivixix(c ax^yyeyqacpoat, Iccy^ovriul
\h(oi'C X(ci Mm/«").
636
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassiache Litteratur.
geschöpfte Nachrichten unter dem ehrwürdigen Namen des Sanchuniathon
in die Welt geschickt zu haben. ^)
Hermippos, Berytios zubenannt im Gegensatz zu dem Kallimacheer
Hermippos, war ein Schüler des ebengenannten Philon und schrieb ein
gleichfalls von den Späteren vielfach ausgebeutetes Buch tisqI tmv sv nai-
Ssin öiaXaiiipdvTiüv dovXtav.
509. Dionysios aus Halikarnass unter Hadrian mit dem Beinamen
Musikos war der Verfasser der Movaixrj laxoQia in 36 B. Von der Anlage
dieses bedeutenden Werkes geben uns einzelne vollständig aus demselben
ausgehobene Artikel des Suidas, wie über den Grammatiker Epaphroditos,
und das Exzerpt des Rufus bei Photios cod. 161 eine annähernde Vorstel-
lung. Danach hatte der Verfasser das Wort fxovaix7^ im weiteren Sinne ge-
nommen, so dass er in der Geschichte derselben nicht bloss die Kitharöden
und Flötenspieler, sondern auch die Dramatiker und Epiker behandelte.'^)
Dieser Dionysios Musikos war vermutlich eine Person ^) mit dem Atti-
kisten Ailios Dionysios, dessen Blüte gleichfalls von Suidas unter Hadrian
gesetzt wird und der nach Photios cod. 152 ein attisches Lexikon in 5 B.
und in 2 Ausgaben besorgte. Derselbe Photios erwähnt cod. 153 ein ähn-
liches Lexikon des Pausanias, eines Syrers und Zeitgenossen des Galen, '^) und
gibt den Rat, die 3 Werke zu 1 Lexikon zu verbinden.^) Das sind die viel-
genannten Ae'^ixd QrjtoQixä, aus denen Eustathios und die byzantinischen Le-
xikographen vornehmlich ihre Weisheit schöpften. '0 Rhetorisch hiessen die-
selben, weil sie einerseits hauptsächlich auf den Sprachgebrauch der attischen
Redner zurückgingen und anderseits zunächst zur Heranbildung künftiger
Redner dienen sollten.
510. Nikanor,"^) Sohn des Hermeias aus Alexandria, blühte unter
Hadrian und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Interpunktionslehre,
wovon er auch den Beinamen Stigmatias erhielt. Seine Hauptwerke waren:
Tiegl TTjg (niyf.irjg zt^g xaO^oXov in 6 B., ttsqI rrjg ariyfirjg Tijg naq' 'O/iry^jo),
Tisgl aTiyfxfjg TTjg rragd KaXXiiiä%(t)^ ttsqI vavaTcc^^iiiov, KwiUfnSovfisra. Ob
unser Nikanor mit dem von Harpokration unter dxrj erwähnten Nixavcog 6
nsql ^exovoiiaaiwv ysyqaifMg identisch sei, ist zweifelhaft, da dieser eher
einer früheren Zeit angehörte.
511. Die Grammatik im engeren Sinne erhielt unter Hadrian und
den Antoninen, nachdem 200 Jahre zuvor Dionysios Thrax den Grund ge-
^) Sancliuniathonis Berytii quae fe-
runtur fragmenta ed. Orelli, Lips. 1826.
Der vollständige von Wagenfeld (1836) an-
geblich aus einem portugiesischen Kloster
hervorgezogene Text erwies sich als unecht.
Die Fragmente auch in Müller FHG. III,
560 — 76. Erläuterung derselben von 0. Gruppe,
Die griech. Kulte und Mythen I, 350-^409.
■'') Vergl. Daub, De Suidae l)iograx>liis,
Jahrb. f. Phil. Suppl. XI, 410 ff.
3) Ihre Identität stellt in Abrede Meier,
Opusc. II, 63-82.
4) Meier, Opusc. II, 82 ff.
^) Diesen Rat hat vermutlich der Verf.
des anonymen ^eltxov qi^toqlxop des Eusta-
thios befolgt.
6) Naber ad Phot. lex. I, 24 ff.; Rind-
fleisch, De Pausaniae et Aelii Dionysii
lexicis rhetoricis, Königsb. 1 866 ; Th. Schwartz,
Aelii Dionysii Halic. reih, Utrecht 1877:
über die Mängel dieser Fragmentensammlung
s. Egenolff, Jahrber. d. Alt. VII, 1. 100 ff;
Heyden, Quaest. de Aelio Dionysio, Leipz.
Stud. 1885. Neue Sammlung mit umfang-
reichen Prolegomena: Aelii Dionysii et
Pausaniae Atticistarum fragm. coli. Ebn.
Schwabe, Lips. 1890.
"') Suidas u. NixdvMQ, und dazu Jak.
Wackernagel, Rh. M. 31, 432 ff. Fried-
länder, Nicanoris rell. Regiom. 1850, die
Fragmente zur Odyssee von Carnuth, Berl.
1875.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 509—512.) 637
legt hatte, ihre spezielle Ausbildung durch Apolloiiios und Herodian.
Beide haben fast kanonisches Ansehen bei den späteren Grammatikern er-
langt und erfreuten sich unter den Gelehrten der römischen Zeit eines
ähnlichen Ansehens wie Aristophanes und Aristarch bei den Alexandrinern. >)
Apollonios,2) Dyskolos von seinem mürrischen Wesen zubenannt,
stammte aus Alexandria und brachte auch den grössten Teil seines Lebens
in Alexandria zu. In Rom weilte er nur kurze Zeit unter Antoninus Pius.
Er hat den Ruhm, das grammatische Lehrgebäude {r^xvri yQaßiianxiD aus-
gebaut zu haben; 3) doch schrieb er keine vollständige, in sich geschlossene
Grammatik, sondern behandelte nur in Spezialschriften einzelne Teile der-
selben.-*) Am bedeutendsten waren unter denselben das 'Ovouutixöv (von
der Deklination der Nomina)"^) und das ^PrjfxaTixov (von der Konjugation
der Verba). Auf uns gekommen sind die kleineren Abhandlungen: ttsqI
avTMvvniag (Pronomen), tisqI €7TiQQrjjiidTcov (Adverbia), ttsqI awöbaiiMv (Kon-
junktionen).^) In allen diesen Spezialschriften über den Gebrauch und die
Beugung der Redeteile (/t^'^^y foT' Xöyov) steht er nicht sowohl auf dem
Standpunkt des schulmeisterlichen Theoretikers, der allgemein gültige Regeln
für den Schriftgebrauch aufstellt, als auf dem des historischen Forschers,
indem er die bei den verschiedenen Autoren und in den verschiedenen Dia-
lekten (JcoQfg, 'lag, Äloh'g, ^AtÜ^tg) vorkommenden Formen nachweist. Ausser
der Formenlehre hat aber Apollonios auch schon der Syntax, die bei Dio-
nysios Thrax noch ganz beiseit gelassen war, seine Aufmerksamkeit zuge-
wandt; über sie handeln die 4 uns noch erhaltenen Bücher ti8qI avrxa^sMg,
die auch heutzutag noch nicht ganz veraltet sind, wenn sie auch weit
hinter den Anforderungen, die wir jetzt an eine Syntax stellen, zurück-
bleiben.''') Ob auch die bereits oben § 480 berührte Schrift ^larogiai ^av-
liäaiai unserem Grammatiker oder einem anderen der vielen Apollonioi
angehört, wage ich nicht zu entscheiden.
Erste Ausg. der grammat. Schriften von Imm. Bekker in Mus, ant. I u. Anecd. gr. ;
De constr. Berl. 1817; neue Bearbeitung von R. Schneideu und Gust. Uulig, Lips. im
2, Teil des Corpus gramin. graec, im Erscheinen.
512. Herodian {Al'hog ^Hgcodiavog, 6 Tsxvixog), der berühmte Schüler
des berühmten Vaters, war gleichfalls in Alexandria geboren, wanderte
') Dass dieses kanonische Ansehen über
die wirkliche Bedeutung der iMänner hinaus-
ging, dass sie nicht ihrer Kraft, sondern der
Schwäche der Nachfolger ihre Grosstellung
verdankten, hat zutreffend Wilamowitz, Eur.
Herakl. T, 179 bemerkt; übrigens stunden
sie doch weit über dem Rhetor Hermogenes,
der eine ähnliche kanonische Autorität in
der Rhetorik erlangte.
2) Ausser einem Artikel des Suidas
haben wir eine ausführliche Vita des Apol-
lonios bei Flach, Hesychius Miles. p. 243.
■^) Dem Priscian, der ihm und Herodian
hauptsächlich folgt, ist er XI, 1 maximus
iiuctor ariis (irainmalicdc.
•*) Die Zusammenordnung der einzelnen
Schriften versucht Dronke, Rh. M. 11, 549 ff.
•'') Zu dem 'Oyo/utdixöt^ schrieb Zenohios
bald nach Herodian einen Kommentar, von
dem sich viele Reste im Et. M. finden,
welche G. Schömann in einem Danziger Pro-
gramm 1881 zusammengestellt hat.
^) Dass der Schluss des Buches ttsqI
HVT(x}vviALag abzutrennen und dem Rhematikon
zuzuweisen ist, hat R. Schneider, Rh. M. 24,
592 bemerkt. Auch das Buch neQl sniQQtj-
[Xihiov enthält einen fremdartigen, zur Syn-
tax gehörigen Zusatz.
') L. Lange, Das System der Syntax
des Apollonios Dyskolos, Gott. 1852; Egger,
Apollonius Dyscoh. Par. 1854; Dobias, Über
die Syntax des Apollonios Dyskolos (russisch),
besprochen im .lourn. d. Wiss. f. Volksauf-
klärung 1883, Sept. 113-8. Nach dem
Vorbild des Apollonios hat auch Priscian in
seinen Inst, grannn. am Schlus.so 2 Bücher
über Syntax gegeben, die Planudes (Bach-
mann, An. gr. II, 105-1(!()) ins Griechische
rück übersetzt hat.
638 Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
aber zeitig nach Rom aus, wo er sich bei dem Kaiser M. Aurel besonderer
Gunst und Auszeichnung erfreute. Auf Anregung desselben verfasste er
sein Hauptwerk über Prosodie, Ka^olixi] nQOGmöia in 21 B., wozu die
Spezialschriften über die homerische und attische Prosodie ergänzend hin-
zutraten. Das Hauptwerk umfasste in den ersten 19 Büchern die Regeln
(xavöveg) über die eigentliche Prosodie oder die Accente {rüQoarndiai, tövoi);
das 20. enthielt die Lehre von den Zeiten {xQovoi, Quantität) und den
Hauchen {Tirtv^aaTa, Spiritus); das 21. bildete eine Art Anhang, der von
der Bedeutung der Accente beim fortlaufenden Lesen, insbesondere von den
Enkliticis, der Diastole, Synalöphe handelte. Herodian ist damit der eigent-
liche Schöpfer der griechischen Prosodik geworden; doch steht er ganz auf
den Schultern der grossen alexandrinischen Gelehrten Aristarch und Try-
phon und hat eigentlich nur das Verdienst, die Einzelbeobachtungen jener
Forscher in ein umfassendes System gebracht zu haben, i) Das Original-
werk selbst ist uns verloren gegangen, aber wir haben mehrere Auszüge
daraus, namentlich den des Theodosios oder Arkadios, auf den wir unten
zurückkommen werden. Ausserdem schrieb Herodian zahlreiche Bücher
über verschiedene Teile der Grammatik, wie 7is()l Tra^cov, nsqi oQ^oyQacfiag,
TtaQi ovoj^iccTCü}', nsQi xXfcfscog ovo^iärcüv^ tcsqI QKjfjLcciwv, ttsqI (Tv^vyi(jor, tisqI
avTwrvi^iLMv, ttsqI emQQrjindTon', ttsqI Cx^/ictrorn', 7T€qI TraQMVVj^iMV, ttsqI j^wvo-
avXXdßon', tüsqI iJio^rjgovg Xs^sMg.^) Gleichfalls grammatische Dinge betraf
das nach dem Muster des Didymos geschriebene ^vfirvöaiov und die Schrift
nsgl yd/iiov xal (Tvjaßicoasayg. Von diesen zahlreichen Schriften ist nur eine,
und zwar eine von den minder bedeutenden, ttsqI ßovrjQovg Xt^^scog, oder
über singulare ausserhalb der Analogie stehende Formen vollständig er-
halten.^) Von den übrigen haben wir nur Überarbeitungen, Auszüge und
Citate, hauptsächlich in den Homerscholien und bei Stephanos Byzantios.^)
Das Ansehen des Herodian wie seines Vaters Apollonios war bei den
Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen ein enormes, bei Licht
besehen waren aber ihre Verdienste um die Wissenschaft nicht weit her:
Gelehrsamkeit, Exaktheit und Subtilität, Haupteigenschaften eines Gramma-
tikers, zeichneten allerdings auch sie aus; aber weder waren sie schöpferisch
und damit wahrhaft fruchtbar, noch besassen sie eine richtige Einsicht in
das Wesen und Leben der Sprache. Namentlich mit seiner Pathologie und
der willkürlichen Annahme von Einschaltungen und Pleonasmen hat Herodiai^
lange Zeit die Forschung auf falsche Bahnen geleitet; die Wissenschaft"
musste sich erst wieder von der Autorität der herodianischen Schul-
weisheit emanzipieren, um nicht mehr in dem c^ von ovdsig oder gar in dem
zweiten y von yiyvoiiai einen blossen Pleonasmus zu sehen. Verhängnisvoll
war auch das Unvermögen Herodians, Stamm, Ableitung, Flexion von
il
^) Einen untergeordneten Vorgänger hatte
er an Herakleides von Milet, von dem oben
§ 507 gesprochen ist.
^) Das Verzeichnis bei Lehrs, Herodiani
scripta tria p. 418 ff., und Lentz, Herod.
rell. I praef. XV sqq.
^) Nach dem Muster des Herodian be-
handelte denselben Gegenstand fürs Latei-
nische der Grammatiker Statilius Maxi-
mus, von dessen Schrift De singularibus
positis uns Charisius noch zahlreiche Reste
erhalten hat.
^) Über andere Reste bei Theodoretos,
Philoponos, Sergios siehe unten im letzten
Teil der Litteraturgeschichte.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 513.) G39
einander zu scheiden, wodurch es kommen konnte, dass er tisqI ^lov. Xä'^.
p. 45 D. eöafirjv für einen Aorist med. hielt und demnach dieses Wort
unter die Klasse der vereinzelt stehenden Formen aufnahm.
Aug. Lentz, Herodiani technici reliquiae, Lips. 1867, 3 vol., wo mit staunenswertem
Fleisse die Reste gesammelt und zur Rekonstruktion der Lehre des einflussreichen Ge-
lehrten verwertet sind. Die Schrift TieQi fioytJQovg Xs^seog zuerst herausgegeben von Din-
DORF, Gramm, gr. I, 1 — 47, Lips. 1823, und Lehrs, Herodiani scripta tria, Regiom. 1848,
Berl. 1857. — Nachträge zur Ausgabe von Lentz und über die handschriftliche Grundlage
veröffentlichten Arth. Kopp, Beiträge zur griech. Exzerptenlitteratur S. 121 ff., Hilgard,
Excerpta ex libris Herodiani technici, Heidelb. 1887; Egenolff, Rh. M. 35, 98 ff., Jahres-
ber. d. Alt. XII, 1. 62 ff.; dieselben sollen in dem grossen Corpus gramm. graec. einen
Supplementband zur Ausgabe von Lentz bilden. -- Die Lehre des Herodian von den nudi]
wurde in ihren Grundlinien frei rekonstruiert von Lobeck, Pathologiae graeci sermonis
elementa, Königsb. 1843.
Von den unechten Schriften des Herodian sind herausgegeben der Philetairos
von PiERSON-KocH im Anhang der Ausg. des Möris p. 412 f.; ttsql rj^uHQjrjfiEvoDP XQemv
von G. Hermann im Anhang zur Schrift De emendanda ratione graecae grammaticac und
Gramer An. Ox. III, 246—262 (vgl. Cohn, Rh. M. 43, 405 ff. ; eine vermehrte Neuausgabe
verspricht das Corpus gramm. gr.); nsQi ßaQßaQio^xov xal ooXoixiOfxov von Valckenaer im
Anhang des Ammonius und Gramer, Anecd. Ox. III, 237 — 45; die ftcT^ des Hexameters
von Studemund, Jhrb. f. Phil. 1876, S. 609 ff.; TiaQsxßohd rov /nsydXov ^rifxciTog von La-
Roche, Hom. Textkrit. p. 114 ft\ Über die ^EnifisQiafioi u. a. s. Lentz, I praef. XV sqq.
Metriker.
513. Die Metrik ^) hatte sich schon bald nach Aristoxenos, dem musik-
kundigen Peripatetiker, als eigene Disziplin von ihrer natiirlichen Mutter,
der Musik, losgelöst, nicht zu ihrem Vorteil. In den Dienst der Grammatik
trat sie bereits in Alexandria, als Aristophanes und seine Genossen kri-
tische Ausgaben der Lyriker und Dramatiker besorgten und dabei auch den
Kontroversen über die Versabteilung {xoiAoixsTQia) nicht aus dem Wege
gehen konnten. Ein förmliches System der Metrik scheint erst in der
römischen Periode der griechischen Litteratur aufgestellt worden zu sein.
Die Anlage jenes Systems, die Aufstellung von 8 Grundmassen {i^uTQa
TCQMTOTvna) und die Ableitung der seltenen Versmasse aus den beiden ge-
bräuchlichsten, dem daktylischen Hexameter und iambischen Trimeter, lässt
grosse Ähnlichkeit mit der Grammatik, ihren 10 Redeteilen und ihrer Ab-
leitungstheorie {nqcxnÖTVTKx^ naQünvLia) durchblicken. Die älteren Formen
und technischen Ausdrücke desselben können aber nur teilweise aus den
zerstreuten Angaben der Scholien, den Schriften des Dionysios Hali-
carnassensis und den lateinischen Metrikern rekonstruiert werden. Von
griechischen Grammatikern aus dem Beginne der römischen Kaiserzeit
werden als Verfasser von Schriften nsQi fitTQon' nur erwähnt Philoxenos
und Heliodor.2) Erhalten ist uns aus dem 2. Jahrhundert das Lehrgebäude
des Hephaistion.
Hephaistion, alexandrinischer Grammatiker unter den Antoninen, 3)
') Die Liniamente einer Geschichte der
alten Metrik sind entworfen von Westphal,
Metrik der Griechen, 2. Aufl. (1867) I, 1-174.
'^) Beide blühten im 1. Jahrh. der Kaiser-
|Zeit nach Augustus. Ihnen muss aber ein
I älterer Metriker, vielleicht ein älterer He-
lliodor, vorausgegangen sein, dessen Theorie
Dionysios Halic. de comp. verb. und Varro
folgten. Auch die Grammatik des Dionysios
Thrax enthält bereits einen Abschnitt über
die Versfüsse.
^) Capitolinus, vit. Veri 2 bezeichnet den
Ilephästion als Lehrer des Verus und Zeit-
genossen des llarpokration. Suidas nennt
u. Uro'lh^uioq und KnuffQÖötToc; einen He-
phästion als V^ater des Ptolemaios Chennos,
es wird dieses vielleicht der Grossvatcr
unseres Hephästion gewesen sein. Der Vater
640
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
war älterer Zeitgenosse des Athenaios, der ihn p. 673 e als einen gemeinen
Plagiator hinstellt. Ausser anderm verfasste er ein grosses Werk ntql
{iu'TQMv in 48 B., von welchem er später mehrere, grössere und kleinere
Auszüge machte. Von diesen ist der kleinste in 1 B. unter dem Titel
syxeiQidiov tisqI ^utqcov auf uns gekommen.') In einfacher, präziser Sprache
sind hier nach 2 einleitenden Kapiteln über Prosodie die einzelnen Füsse
und Verse vom Standpunkt des Grammatikers ohne Bezugnahme auf die
Geltung der Silben im Gesang behandelt. Angehängt ist der speziellen
Metrik ein interessantes Schlusskapitel 7T8qI Trou'jfjLaTog oder über die ver-
schiedenen Arten der poetischen Komposition, in doppelter Fassung. 2) Das
metrische Handbuch unseres Hephaistion wurde geradeso wie die Grammatik
des Dionysios Thrax dem Unterricht in der Schule zu grund gelegt und
infolgedessen vielfach kommentiert. Auf uns gekommen sind Prolegomena
unter dem Namen des Longinos, Reste der Exegesis des Choiroboskos und
anonyme Schollen von verschiedenem Alter und Wert; die älteren des cod.
Saibantianus, in denen noch Heliodor und das grössere Werk des Hephaistion
benützt sind, haben für uns fast mehr Wert als das Handbuch selbst.
Hepliaestionis Alex, enchiridion nsQt jLieTQtoy xcd nonjfxdzojv ed. Gaisford Oxon.
1810, iterum 1855, 2 tom. — ScHptores metr. gr. ed. Westphal in Bibl. Teubn. 1860;
der 1. allein erschienene Band enthält den Hephästion mit den Scholien. — Scholia Hc-
phaestionea altera ed. Hoerschelmann, Dorpat 1882; FswQyiov lov Xoiqoßoaxov ihjyi]otg
£ig To Tov 'HcfaiaxiMvog iy/EigidLoy und Scholia Hephaestionea Amhrosiana ed. Studemund,
An. gr. 33ff. ; Tractatus Harleianus, wahrscheinlich von Triklinios, neubearbeitet von
Studemund im Ind. Vrat. 1887/88. — Verwandten Inhaltes ist der Traktat tisqI zrjg xiui/
noö'iop opojuaaiag, publiziert von Keil. Anal. Ambros. 1848, und Nauck, Lex. Vind. 253 - 67.
Anderes von Studemund in Jhrb. f, Phil. 1876 S. 609 ff. und in Anecd. I, 211 ff. — Pseudo-
Hephaestion de metris; eine Kompilation des 14. Jahrb., herausgegeben von Jacobsmühlen,
Strassb. 1888, in Diss. Argent. X, 187-298.
514. Drakon von Stratonikeia, der vor Apollonios Dyskolos^) lebte,
hat über grammatische und metrische Dinge geschrieben. Aber keines der
von Suidas aufgezählten Bücher (negl ixbTQMv, ttsqI (XaTVQwv, tcsqI tmv lliv-
dtxQov iii€?.d)v, ttsqI tmv ^aTKfovQ fii-TQO)v, ttsqI zcov 'AXxaiov fieXm') ist auf
uns gekommen. Denn die unter seinem Namen im Cod. Paris. 2675 er-
haltene Schrift TTSQI (^uTQMv TToiijTixcov ist eine wertlose Kompilation des
16. Jahrhunderts.*) Eher darf man vermuten, dass die metrischen Scholien
des Pindar in ihrem Grundstock auf Drakon zurückgehen. Ausgabe des
Draco von G. Hermann, Lips. 1812.
515. Aristides Quintilianus, über dessen Lebenszeit uns bestimmte
Angaben fehlen, der aber wahrscheinlich im 3. Jahrhundert zur Zeit der
Neuplatoniker lebte, ^) ist Verfasser des uns erhaltenen und von Martianus
unseres Metrikers hiess nach Tzetzes (Gramer,
An. Ox. III, 302) Kek^sQog, d. i, Celer; siehe
indes Rh. M. 25, 319.
') Longin, Prol. ad Heph. p. 88, 21 W.:
jurj' ßi,ß'/.ic(, sL'^^ VGT6Q0P insTS^usy cwra sig
t'pdsxa, &hc( ndXiy eig tq'lcc, eiicc nliov eig
IV rovToi> TOV iy^eiQü^iov.
^) Die kürzere Fassung wird in den
►Scholien nicht berücksichtigt und scheint
von einem späteren Metriker mit kleinen Ab-
änderungen aus der längeren gezogen zu sein.
^) Vergl. Apoll, de pron. p. 20 b.
'^) Über die Unechtheit s. Lehrs, Hero-
dian p. 402 ff. -^ Voltz, De Helia Monacho,
Isaaco Monacho, Ps. Dracone (1886), weist
nach, dass das Buch erst nach 1526 fabriziert
wurde unter Zugrundelegung des gleich-
namigen Buches von Isaacus Monachus (ed.
Bachmann, An. gr. II, 167—196). Dass der
betreffende Codex von Diassorinos, einem
Genossen des Fälschers Palaiokappa, ge-
schrieben ist, beweist L. Coiin, Phil. Abh.
zu Ehren von Hertz S. 138 ff.
■'') Caesar, De Arisiidis Quint. imtsicae
scriptoris aetnie, Ind. Marb. 1882.
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 514 — 517.) G4 1
Capella teilweise ins Lateinische übersetzten Werkes nsQi ßovaixr^q in 3 B.
In demselben ist noch die Verbindung der Metrik mit der Musik im Geiste
des Aristoxenos festgehalten, aber die Klarheit der Darstellung durch
Hereinziehung der neuplatonischen Träumereien von der Übereinstimmung der
Intervallenverhältnisse der Musik mit der Harmonie des Universums getrübt.
Hauptausg. von Alb. Jahn 1882. — Das System klargelegt von Caesar, Die Grund-
züge der griech. Rhythmik im Anschluss an Aristides, Marburg 1882.
Von sonstigen Büchern über Musik sind auf uns gekommen das rein
theoretische Werk des Ptolemaios über Harmonik, das wir bereits oben
§ 447 berührt haben, und die dürftigen Einführungen in die Musik [elaa-
yo^yal ^lovaixai) von Alypios, Nikomachos, Bacchios, Gaudentius aus den
letzten Jahrhunderten des Altertums. Der Zeit vor Ptolemaios gehört
an Didymos neQl SiacfOQag rrjg JJv^ayoQstov jÄOvaixfjg nqog ttjV 'Jqi(Tto'^6Vov,
aus welcher Schrift uns einiges in dem Kommentar des Porphyrios zu
Ptolemaios erhalten ist.
Meibom, Äntiquae musicae auetores Septem, Amstel. 1652; Westphal, Die Frag-
mente der Rhythmiker und die Musikreste der Griechen, Anhang zur Metrik der Griechen,
2. Aufl. 1867. Nachträge aus spanischen Bibliotheken von Ruelle, Etudes sur Vancienne
musique grecque, Par. 1875.
Lexikographen und Attikisten.
516. Die x\nfänge der Lexikographie gehen bis auf die ersten Ale-
xandriner zurück. 9 Schon Philetas, Zenodot, Lykophron, in grösserem
Stile sodann Aristophanes von Byzanz, Krates von Mallos und ihre Schüler
hatten seltene Ausdrücke der Umgangssprache (yXmaaai) und erklärungs-
bedürftige Lesungen (Xi'§eig) der Autoren zusammengestellt und erläutert.
Umfassende Lexika aber brachten erst die ersten Zeiten der römischen
Periode, aus der wir die Arbeiten des Didymos, Tryphon, Pamphilos an
ihrer Stelle bereits erwähnt haben. Jenen Wörtersammlungen waren Unter-
suchungen über den Ursprung (t6 stv/iiov) der einzelnen Wörter zur Seite
getreten, welche die Stoiker Chrysipp und Apollodor angeregt und unter den
Grammatikern vornehmlich Philoxenos weiter verfolgt hatten. Die lexikalischen
und etymologischen Werke der älteren Zeit sind, von einigen Speziallexicis ab-
gesehen, nicht auf uns gekommen; aber auf den verlorengegangenen grös-
seren Werken beruhen die Lexika, welche auf unsere Zeit sich gerettet haben.
517. Die Attikisten. 2) Attische Wörter, d. i. solche, welche bei
attischen Autoren in Gebrauch waren, hatten schon ältere Grammatiker,
wie Philemon der Athener,^) Ister der Kallimacheer , Aristophanes und
Krates, später im Beginne der Kaiserzeit die Pergamener Demetrios Ixion
und Alexander Polyhistor, sowie der Rhetor Cäcilius Calactinus zusammen-
gestellt. Diese Sammlungen erhielten aber erhöhte Bedeutung im Zeit-
alter der Sophisten,^) als man alle Ehre darein setzte, rein attisch zu
I
^) Meiek, Opusc. 11, 10 ff,, wo noch
weiter zurückgegangen wird auf Deniokritos'
tisqI yX(OGas(Of und ovo^aoxixöi^ und auf das
opof^aoTixöu des Gorgias.
2) Meier, De lexicis rhetoricis, Opusc.
II, ;30ff. u. 62ff. ^
^) Die 'JttixckI Xe^eig des Philemon wer-
den öfter von Athenaios citicrt; derselbe
lebte sicher vor Tryphon, der ihn bei Ani-
Hautlbuch der klass. Altortuiuswisseiiscliaft. VII, 2. AuH. 41
monios u. novrjqög citicrt; dass er der Zeit
vor Aristarch angehört, erweist Rob. Weber,
De Phücmone Atheniensi glossofjrapho, in
Comm. Ribbock. 441 50; ein anderer Phi-
lemon, Verfasser von avfi^ixi«, lebte zwi-
schen Alexander Cotyaeus und Porphyrius;
über einen dritten untergeschobeneu s. § -57;>.
*) Dionysios llalik. in der Zeit desi Au-
gustus bezeichnet noch nicht die Reinheit
642
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
schreiben {axTixi^siv), und auf diejenigen, welche sich Wörter und Formen
der Vulgärsprache erlaubten, verächtlich als auf Halbbarbaren herabsah.
Diesem stilistischen Zwecke sollten auch die lexikalischen Arbeiten der
Attikisten dienen, in welchen die attischen Formen den vulgären (iXhjviari,
xoivcog siQij^asva) gegenübergestellt und zum ausschliesslichen Gebrauch em-
pfohlen wurden. Rhetorische Lexika hiessen daher auch die bereits oben
§ 509 erwähnten Hauptwerke dieser Art, die des Aelius Dionysius und
Pausanias. ') Ahnlicher Art waren zahlreiche Schriften aus der Blüte-
zeit der Sophistik im 2. Jahrhundert, wie von Eirenaios ti^qI 'AiTixia-
f^iov, ttsqI 'Attixmv ovoi^idrcov, ttsqI 'ÄTTixijg (fvrrjl^siag xr^g iv Xs'^si xal ttqo-
(fcpSfa, von Julius Vestinus^) ixXoyn] oroßarMi' sx xwv Jrjfxoa^tvovg
Qovxvdidov ^laaiov laoxQccTovg xal GQacrvf^iäxov, von Valerius Pollio
avvaycoytj ^Attixcov ka'^scov, von Telephos dem Pergamener^) Tvegl awra^scog
Xoyov Uttixov, von Valerius Diodorus, einem Sohne des Pollio, ^ijTovfiera
naqu ToTg i Qt'jTOQaivA) Auf uns gekommen sind ausser den Wörterbüchern
des Harpokration und Pollux die ?.i"^€ig 'Airixai des Moiris, der anonyme
^AvrazTixiCTrjg, und die Auszüge aus Phrynichos. Das Hauptwerk des
letzteren, den Suidas einen Sophisten aus Bithynien nennt, war die aoc/KTrix)]
TcaQaaxevi] in 37 B., welche nach der an den Kaiser Commodus gerichteten
Widmungsepistel auf 2 X 37 Bücher angelegt war. Als Hauptrauster für
den Attikismus galten dem Phrynichos Piaton, Demosthenes und der So-
kratiker Aischines; neben einzelnen Wörtern fanden auch ganze Phrasen
{xo/^ijuara xal xwXa) in seinem Werke Berücksichtigung. Auf uns gekommen
sind nur dürftige Auszüge: ix tcov (I>Qvrixov rov 'Agaßiov rrjg aog)i(TTixi]g
7iaQaaxsvr-g und sxXoyrj ^rjf.iäTO)v xal ovoßäTorv 'Attixmv. Gegen seine Auf-
stellungen polemisierte der Grammatiker Gros, der in der W^eise des
uns erhaltenen ^ÄvTaTzixiarr^g manches, was jener beanstandet hatte, durch
gute Autoren belegte.
Moeris cum notis rariorum ed. Pierson, LB. 1759, denuo ed. Koch, Lips. 1830,
mit dem Philetairos des Ps. Herodian im Anhang, lec. Imm. Bekker, ßerol. 1833, mit
Harpokration. — Phrynich s cum notis variorum ed. Lobeck 1820 mit einem auf den
ganzen Attikismus eingehenden Kommentar; The new Phrynichus lüith introductions and
commentary hy Rutherford, Lond. 1881. — Über die attikistischen Schriften unter dem
Namen des Herodian tisqI rjfj.aQT7]}xtvoi}v Xi'^sMv und ^iliTcuQog, die aus der späteren Kaiser-^
zeit stammen, s. § 512. — In dem Corpus gramm. graec. werden die Attikisten mit neue
Hilfsmitteln bearbeitet werden von R. Scholl und L. Cohn.
518. Harpokration, mit dem Gentilnamen Valerius, aus Alexandri
wird von Suidas als Verfasser der uns noch erhaltenen At^eig twv dexa ^yjtoqwv
angeführt.^) Das Buch enthält sorgfältige, für unsere Kenntnis des atti
i
des Ausdrucks mit aTTixi^eiy, die Pedanterie
des Attikismos auch in der Auswahl der
Wörter kommt erst mit Herodes Atticus
auf; s. W. ScHMiD, Der Atticismus in seinen
Hauptvertretern, Stuttg. 1887, S. 10.
') Siehe oben § 509.
^) über diesen Eirenaios oder Minucius
Pacatus handelt Haupt, Opusc. II, 434 — 440,
wo auch die Fragmente gesammelt sind;
ebenda p. 435 über Vestinus, den Geheim-
schreiber des Hadrian.
^) Über diesen Telephos, der ein sehr
fruchtbarer Schriftsteller auf dem Gebiet der
Grammatik und Polyhistorie war, haben wir
einen inhaltreichen Artikel des Suidas. Frag-
mente bei Müller FHG. HI, 634 f.
^) Lexika des Philostratos, Diodoros,
Julianus erwähnt Photios cod. 150; s. Ed.
Meier, Opusc. H, 149 f. Ein Bruchstück
der ZrjxovfXEva des Diodor publizierte Miller,
Melanges p. 1 — 74.
^) Suidas erwähnt noch 3 andere Männor
namens Harpokration; der unsere heisst
(>?;'ra>(), und steht, was wegen der Zeit zu
beachten ist, an letzter Stelle. Sein Namens-
verwandter Aelius Harpokration hatte eine
I
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§518— 519.) 643
sehen Geriehtswesens äusserst wichtige Besprechungen von Eigennamen
und erklärungsbedürftigen Ausdrücken der 10 attischen Redner. Zur Er-
läuterung sind von der älteren Litteratur die Periegeten und Atthiden-
schreiber herangezogen; von jüngeren Gelehrten ist besonders Didyraos aus-
gebeutet, daneben auch der Rhetor Dionysios von Halikarnass und der
Lexikograph Dionysios, des Tryphon Sohn. Das werden aber auch die
jüngsten Gelehrten sein, die Harpokration benützte, da es zweifelhaft ist, ob
der unter dx/j citierte Nikanor mit dem berühmten Grammatiker Nikanor
Stigmatias identisch ist. Die Zeit des Verfassers unseres Lexikons hat
Suidas anzugeben unterlassen; vermutlich ist er der gleiche Harpokration,
den Capitolinus, vit. Veri 2, als Lehrer des Antoninus Verus im Griechi-
schen angibt. 9
Überliefert ist das Lexikon in 2 Rezensionen, einer vollständigeren und einer ab-
gekürzten; aber auch die erstere enthält nur einen verstümmelten Text, wie neuerdings
aus der volleren Fassung der einschlägigen Artikel in dem Speziallexikon zu Deniosthenes
Aristocratea erkannt wurde; s. Herrn, 17, 148 ff. — Hauptausg. mit den Noten der Früheren
von G. DiNDORF, Oxon. 1853, 2 vol.; kritische Ausgabe von Imm. Bekkee, Berl. 1833. —
BoYSEN, De Harpocrationis fontihus, Kiel 1876. — Von Harpokration ist abhängig das
Lexicon rhetoricum Cantahrigiense bei Nauck, Lex. Vindob. p. 329—58.
519. Julius Poliux (UoXvSsvxrjg) aus Naukratis in Ägypten, 2) Schüler
des Rhetors Adrianos, war wie Phrynichos ein Mittelding zwischen Gram-
matiker und Sophist. Durch die Gunst des Kaisers Commodus erhielt er
den Lehrstuhl der Sophistik in Athen, den er bis zu seinem im 58. Lebens-
jahre erfolgten Tod inne hatte. Aber in das Ansehen eines tüchtigen Sti-
listen wusste er sich bei den Kennern nicht zu setzen. So wenigstens spricht
sich Philostratos, vit. soph. II, 12 aus; schlimmer noch geht mit ihm Lukian
um, der ihn im Sophistenlehrer zur Zielscheibe bittersten Spottes gemacht
hat.^) Ausser mehreren andern von Suidas aufgezählten Schriften schrieb
er das uns noch erhaltene ^Ovoiia(STix6v in 10 Büchern, von denen jedes
I mit einem Brief an den Kaiser Commodus eingeleitet ist. Das Lexikon
ist nach Kategorien geordnet und befolgt auch innerhalb der einzelnen
Kategorien nicht die alphabetische Ordnung. Beabsichtigt ist von dem Ver-
fasser zunächst, seinen Lesern Verzeichnisse der attischen Namen für die
einzelnen Gegenstände zu geben; Belegstellen und Zeugnisse sind nur teil-
weise und in verschiedenem Umfang beigegeben. Am interessantesten sind
das 4. und 8. Buch, von welchen das erstere von den Wissenschaften und
Künsten, und im Anschluss daran vom Theater, den Masken, musikalischen
1 Instrumenten handelt, das letztere die Behörden und die Gerichte Attikas
aufzählt. Selbst gesammelt hat Poliux die Namen nicht und noch weniger
die Belegstellen; er hat auch in den einzelnen Büchern nicht dieselben
Hilfsmittel benützt, wie er selber sagt, dass er erst bei dem 9. Buch das
Onomastiken des Sophisten Gorgias zu Rate gezogen habe. Seine Quellen
waren in erster Linie die grossen lexikalischen Vorarbeiten des Didymos,
J Tryphon, Pamphilos; im 2. Buch hat er sich speziell an die uns in der
tc/i^t; ()f]TOQtxr] geschrieben, die Rh. gr. I, i Zeit des Tiberius
428, 18; 440, 4; 447, 20; 459, 5 Sp. citiert
Iwird.
*) IVIetee, Opusc. T[, 147 ff. setzt den
jHarpokration auf (Jrund der Citate in die
2) C. F. Ranke, Poliux et Lucianus,
Quedlinburg 1831.
■') Siehe oben 8. 547 An. 2.
41
644 Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litter atur.
Hauptsache noch erhaltene Schrift des Arztes Rufus tieqI ovofxaaiag tmv
Tov av^QWTiov fioQiMv angelehnt.
Hauptausg. mit den Noten der Früheren von Dindokf, Lips. 1824, 5 vol.; ex rec,
Imm. Bekkeri, Berl. 1846. - Rohde, De Pollucis in apparatu scaenico enarrando fon-
tihus, Lips. 1870; Stoientin, De lulii Pollucis in publicis Atheniensium antiquitatibvs
enarrandis auctoritate, Vratisl. 1875; R. Michaelis, De lulii Pollucis studiis Xenophonteis,
Halle 1877; Ed. Zarncke, Symbolae ad lulii Pollucis tractatum de p>artihus corporis
humani, Lips. 1885.
Dem Pollux wollte der französische Gelehrte Boucherie auch das
griechisch - lateinische Konversations-Lexikon, ^EQf^irjnviiiaTa, zuschreiben,
welches ehedem unter dem Namen des Magister Dositheus umlief, weil es
in einigen Handschriften mit der lateinischen Grammatik des Dositheus
verbunden ist. In der That gehört dasselbe, wie Krumbacher nachgewiesen
hat, weder dem einen noch dem anderen an, sondern einem Anonymus,
der im Beginne des 3. Jahrhunderts für die Römer, welche Griechisch,
und die Griechen, welche Latein lernen wollten, ein bequemes Gesprächs-
wörterbuch zusammenstellte. Dasselbe ist für unsere Kenntnis der Vulgär-
sprache jener Zeit nicht ohne Bedeutung und hat weite Verbreitung, aber
auch vielfache Interpolationen und Umarbeitungen im Mittelalter erfahren.
Verschiedene Proben des Büchleins haben veröffentlicht Henk. Stephanus, Glossaria
duo, Paris 1573; Boucherie, Notices et extraits, t. XXII p. 329—477; Haupt, Opusc. II,
508 — 520. — Eine vollständige Ausgabe erwarten wir von Krumbacher in dem Corpus
glossariorum latinorum von Götz; vorläufige Mitteilungen gab Krumbacher, De codicibns
quibus Interpretamenta Pseudodositheana nohis tradita sunt, Monachii 1883. Ediert sind
bereits von Götz in dem 1888 erschienen Bande des Corpus gloss. lat. mehrere glossae
latino-graecae und idiomata oder Wörter, deren Geschlecht im Lateinischen und Griechi-
schen verschieden ist; vgl. Charisius Inst, gramm. 1. IV de idiomatibus.
Hingewiesen sei hier auch noch auf die Zusammenstellung von ^Enid^sTa Jiog, ^Jnöl-
ko)pog, Uoaeidtoyog/jQSog, Jiovvaov/Hcpaiaiov, Eq^uov, \4&r]väg,HQag, 'JcpQodiri]g, JrjfiyiQctg,
'jQrefiidog, welche Studemund, Anecd. gr. p, 264 sqq. ediert hat.
Parömiographen und Mytho^rapheu.
520. Sprich Wörtersammlungen. Die griechische Sprache hatte
eine grosse Fülle schöner Sprichwörter {naQoißiai), von denen die ältesten
in metrische Form gekleidet waren, alle aber von dem Witz und der
scharfen Beobachtungsgabe des Volkes zeugten. Ihre Erklärung gehörte
natürlich mit zur Aufgabe der Grammatiker und führte früh zu Samm-
lungen von Sprichwörtern. Von Didymos haben wir schon oben § 401
eine solche Sammlung in 13 B. kennen gelernt; aber er war nichjt der
erste, der sich mit diesem Gegenstande abgab. Schon von Aristoteles wird
im Verzeichnis seiner Schriften ein Buch tisqI naQoiixiurv angeführt, und
der Isokrateer Kephisodoros macht bei Athen. 60 d dem Philosophen geradezu
einen Vorwurf aus dieser kleinlichen Beschäftigung. Dem Vorgang des
Meisters waren dann der Peripatetiker Klearchos und der Stoiker Chrysippos
mit ähnlichen Arbeiten gefolgt. Auch die älteren Grammatiker und Peri-
egeten hatten sich dieses Gebiet der Forschung nicht entgehen lassen.
Demon der Atthidenschreiber, Aristophanes von Byzanz, Aristides von Milet, I
besonders aber Lukillos aus dem kretischen Tarrha hatten sich durch ihre
Schriften über Sprichwörter einen Namen gemacht. In der Zeit der Sophisten
erlangten diese Sammlungen eine erhöhte praktische Bedeutung dadurch,
dass die Schriftsteller in der Verwendung von Sprichwörtern ähnlich wie
in der von Figuren einen auszeichnenden Schmuck der Rede suchten. Be-
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 520—521.) 645
kannt ist, wie häufig der begabteste Schriftsteller der Sophistik, Lukian,
seine Rede durch geschickte Einlage von Sprichwörtern belebt. ')
Aus dieser Zeit nun stammen auch die Sammlungen der uns erhaltenen
Parömiographen. Die vollständigste ist die des Sophisten Zenobios, der
zu Rom in der Zeit des Hadrian lehrte und von dem Suidas ausser der
Sprichwörtersammlung auch eine griechische Übersetzung des Sallust und
eine Geburtstagsrede auf Hadrian anführt. Jene Sammlung wird von Suidas
als eine sTTLTOfjirj tmv TTagoifiiMv Jidvfiov xal Taggaiov iv ßißXioig y be-
zeichnet. Es ist uns also auch hier nur ein Auszug der gelehrteren Werke
der älteren Zeit erhalten, und Schneidewin hat in der Präfatio seiner Aus-
gabe p. XIV sqq. gezeigt, wie uns hie und da in den Scholien des Piaton
noch die gelehrten Ausführungen der kurzen Angaben des Zenobios vor-
liegen. Die Sprichwörter dieses unseres Zenobios wurden im Mittelalter zu
Schulzwecken in eine alphabetische Ordnung gebracht und mit 2 anderen
Sammlungen zu einem Corpus paroemiographorum vereinigt. Nach dem
Vorschlag des Erasmus Hess dann Schott an die Stelle der alten Ordnung
nach Büchern die Zählung nach Centurien treten, welche Zählung noch in
der Ausgabe von Leutsch-Schneidewin beibehalten ist. Erst in unserer
Zeit ist es mit Hilfe des Cod. Athous gelungen, die Sammlung wieder in
ihre 3 Elemente zu zerlegen. Den Grundstock und den ersten Teil bilden
die 3 Bücher des Zenobios. Der zweite Bestandteil trägt die Überschrift
nXovTccQxov Tiagoifiiai, aig 'Al^'^ardgelg sxQoh'To (131 Nummern); diese zweite
I Sammlung geht auf den Grammatiker Seleukos zurück, der nach Suidas
neQl Torr nag' ^AXe'^avSQevai naQoiiiiwv geschrieben hatte; wie Plutarch
dazu kam, Vaterstelle für dieselbe zu vertreten, ist noch nicht aufgeklärt.
Die dritte, alphabetisch geordnete und reichhaltigere Sammlung entstammt
dem Sprich Wörterlexikon eines anonymen Rhetors; mit Diogenian, dem
berühmten Lexikographen, scheint sie nichts zu thun zu haben, wiewohl
in den Mischhandschriften die eine Rezension den Titel trägt: nagoiiiiai
Srii.m6sig sx rrjg Jioysviarov avrayMyrjg. Die Sammlungen von Gregorios
von Kypern (13. Jahrhundert), Makarios Chrysokephalas und Apostolios
(15. Jahrhundert) sind auf Grund der alten Sammlungen im Mittelalter
zusammengestellt worden und haben keinen selbständigen Wert.
Die Codices gehen in 2 Familien auseinander, von denen die ältere (cod. Atlious s.
XIIT; Laurent. 80, 18; Escorialensis) die Teile gesondert enthält, die jüngere dieselben
zu einem Gemisch zusammengeworfen hat
Ausgaben: Paroemiorjraphi graeci ed. Gaisford, Oxon. 1836; ed. v. Leutsch et
Schneidewin, Gott. 1839. Eine neue Ausgabe auf Grundlage der älteren Handschriften-
klasse erwarten wir von 0. Crusius; vorläufig orientieren Crusius, AnOtlecta critica ad
j)aroemiogr. cjracc., liips. 1883; Brachmann, Quaestiones Pseudo-Diogenianae, Jahrb. f.
Phil Suppl. t. XIV; Jungblut, De paroemiogr. graec, Halle 1882; Hotop, De Eustathii
prorerbüs, in Jhrb. f. Phil. Suppl. XVI, 249-314.
521. Die Mythographen. Eine Hauptaufgabe der Grammatiker
im Altertum bildete die Erklärung der Mythen. Nach dieser Richtung
bewegten sich die Inhaltsangaben {im oO^ tat ig) der einzelnen Dichtungswerke,
die Zusammenstellungen der von den Dramatikern behandelten Stoffe, die
Zyklen {xvxXoi) der epischen Sagen. Die hieher gehörigen Arbeiten des
Aristophanes von Byzanz, des Asklepiades von Tragilos und der Kyklo-
') Jacobitz in seiner Ausgabe Lukians t. IV p. 328 f.
(34() Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
graphen Dionysios und Lysimachos haben wir bereits früher an ihrer
Stelle besprochen. Aus derselben erwuchs nach und nach die spezielle
Disziplin der Mythenschreiber (nvd^oyqacfoi), welche unabhängig von den
einzelnen Dichtern eine zusammenhängende Darstellung und Deutung der
Mythen zu geben unternahmen. Zu einer pragmatischen Deutung hatte
Euhemeros, der Freund des makedonischen Königs Kassander, den Anstoss
gegeben; in seine Fusstapfen war dann Palaiphatos in der oben § 362 be-
sprochenen Schrift getreten. Später gewann durch den Einfluss der Stoa
die allegorische Auslegung, gestützt auf bodenlose Etymologien, Eingang
und ward speziell für Homer zur Zeit des Augustus in ein förmliches
System gebracht.^) Wie in anderen Zweigen der Litteratur, so sind auch
hier die älteren und bedeutenderen Werke verloren gegangen. Was sich
erhalten hat, ist zusammengestellt in Westermann's MvO^oyqccifoi (Braun-
schweig 1843)-) und soll im nachfolgenden kurz vorgeführt werden.
Apollodors Bibliothek enthält in summarischem Überblick die Mythen
von der Herkunft der Götter und die Abstammungssagen der Geschlechter
des Deukalion, Inachos, Pelasgos, Atlas, Asopos; am Schluss stehen die
attischen Geschlechtssagen, in deren Aufzählung das Buch mittendrin ab-
bricht. Der Patriarch Photios cod. 186 hatte noch ein vollständigeres
Exemplar, in dem die Sagen bis auf die Heimkehr des Odysseus herab-
geführt waren. Es ist also nicht bloss der zweite Teil der attischen Sagen-
geschichte verloren gegangen, sondern auch der Abstammungsbaum von
mindestens noch 1 Geschlecht, vielleicht dem des Tantalos. Der ganze
Tenor des Buches zeigt, dass dasselbe für den Schulgebrauch bestimmt
war, 3) und dazu hat die bequeme übersichtliche Anordnung in alter und
neuer Zeit gute Dienste geleistet. Auf die Originalquellen und die Ab-
weichungen der Mythen bei den verschiedenen Dichtern geht dasselbe wenig
ein, indem es lediglich nur eine geschickte Kompilation aus den Werken
des Akusilaos, Pherekydes, Asklepiades, Dionysios geben will. Als Ver-
fasser desselben wird in den Handschriften und bei Photios der gelehrte
Grammatiker Apollodor von Athen genannt. Aber dagegen spricht das
Buch selbst, da in demselben II 3, 1 die Chronika des Kastor citiert sind,
der unter Pompeius, ein halbes Jahrhundert nach dem berühmten Chrono-
graphen Apollodor, lebte. Man hat deshalb an einen Auszug aus den echten
Werken des Apollodor, besonders aus seinem umfangreichen Werke über
die Götter gedacht.^) Damit lässt sich schwer der Umstand vereinigen,
dass viele Angaben von den echten Fragmenten des Apollodor abweichen
und nicht zu dessen Stellung als Aristarcheer stimmen. Was die mutmass-
liche Abfassungszeit des Büchleins anbelangt, so muss man mit derselben
jedenfalls unter Kastor und Diodor herabgehen; wahrscheinlich ist dasselbe
erst unter Hadrian oder Alexander Severus entstanden, wo eine grosse Vor-
^) DiELs, Doxogr. gr. p. 88 sqq.
-) Die Mythographi berühren sich viel
fach mit den Paradoxographi, von denen wir
Hypothesis von Aristophanes oder Salustius
zu Gebote stand, das betreffende Kapitel aus
Apollodor dem Stück vorgesetzt.
bereits oben § 480 gehandelt haben. | ■*) Clavier in Ausg. 1805; Welckek,
^) Der Scholiast des Sophokles hat daher
zu den Trachinierinnen, wozu ihm keine alte
Ep. Cycl. I, 83 ff.
I
I
B. Römische Periode vor Konstantin. 3. Die Prosa, k) Die Grammatik. (§ 522—523.) 647
liebe für die altepisclie Poesie herrschte und der Glaube an die Heroensage
von oben herab begünstigt wurde.
ÄpolJodori hihiiothcca rec. Heyne, Gott. 1782; ed. II, 1803; ed. Westebmann mit
kritischem Apparat in Mythogr. gr. p. 1— 123; Robert, De Apollodori hibliotheca, Berl. 1873.
522. Heraklei tos und ein Anonymus tt^qI ccTriarmv spinnen den von
Palaiphatos in dem bereits oben § 362 besprochenen Buche thqI dmc^Tarv
begonnenen Faden der Mythendeutung weiter; hie und da wird auch in
Gegensatz zu jenem eine andere Deutung versucht. So deutet Palaiphatos
c. 21 die Skylla auf ein tyrrhenisches Piratenschiff mit Namen Skylla,
Herakleitos c. 2 aber auf eine schöne Hetäre, die mit ihren Parasiten die
Habe der Fremden verschlungen habe. Ausserdem blickt aus den Deu-
tungen des Heraklit der Stoiker heraus, der ähnlich wie Cornutus mit
ethischen und physikalischen Allegorien das Dunkel der Mythenbildung zu
erleuchten versucht. Auf Homer hat Heraklit das Kunststück allegorischer
Deutung angewandt in den 'O/xrjQixal dXXrjyoQim.^) Denn beide Schriften,
die homerischen Allegorien und das Buch über die Wunderdinge, tragen
ein und dasselbe Gepräge, und ohne alle Berechtigung wurden ehedem
nach dem Vorgange Gesners die Allegorien dem Philosophen Herakleides
zugeschrieben. Bestimmte Angaben, wann jener Heraklit gelebt habe, fehlen;
nach dem ganzen Charakter seiner Schriften setzt man ihn in die Zeit des
Augustus.
523. Antoninus Liberalis aus der Zeit der Antonine ist Verfasser
einer Sammlung von 41 Verwandlungen {{xsTaiJLOQffwaewv avvaycoyrj), die
zumeist auf den ^ET€Qoiovf:isva des Nikander und der ^Ogri^oyoria eines
sonst nicht näher bekannten Dichters Boios fusst.^) — Mit derselben ver-
wandt und wohl auch um dieselbe Zeit entstanden sind die dem Erato-
sthenes fälschlich zugeschriebenen KazaaTeQiaiJioi, welche von den unter
die Sterne versetzten Sterblichen handeln. 3) — Nur durch den Auszug des
Photios cod. 186 kennen wir die mythischen Erzählungen (50) eines ge-
wissen Konon, der in der Zeit Cäsars lebte. Über den Hauptaufschneider
Ptolemaios Chennos und seine Neue Geschichte (xairrj txfroQta) haben wir
bereits oben § 507 gehandelt.
^) Siehe oben § 38.
^) Über die Quellen der Verwandlungs-
fabeln klären uns die Scholien auf, welche
selbst wieder nach dem Scholion zu fab. 23
aus Pamphilus schöpften; s. Eug. Oder, De
Antonino Libcrali, Bonn. Diss. 1886, p. 42 ff.,
mit einer Nachvcrgleichung des Palat. 398.
'') Siehe oben § 388.
(348 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
C. Römische Periode
V 0 11 Konstantin bis J u s t i n i a n.
1. Allgemeine Charakteristik.
524. Die Regierung des Kaisers Konstantin (824 — 337) ^) bezeichnet für
die griechische Litteraturgeschichte einen wichtigen Einschnitt in mehr-
facher Beziehung. Nachdem in der Mitte des 3. Jahrhunderts (256 — 267)
wiederholt die griechischen Städte des eigentlichen Hellas und der Küsten
des schwarzen Meeres von barbarischen Horden greulich geplündert und
verwüstet worden waren, ward durch Konstantin der Schwerpunkt der
römischen Macht nach Osten verlegt und Konstantinopel an der Stelle von
Rom zur kaiserlichen Residenz erhoben (330). Die Neugründung der alt-
griechischen, im Laufe der Zeit herabgekommenen Kolonie Byzanz und die
Ausschmückung der neuen Hauptstadt (xmin] ^Po^uj) mit allem Glänze des
Reichtums und der Kunst war schon an und für sich von weittragender
Bedeutung. Damit entstand im Norden Griechenlands an der Schwelle
zweier Weltteile ein neuer Brennpunkt griechischer Kultur. War unter
Alexander und in den nächstfolgenden Jahrhunderten hellenische Sprache
nach Osten, Süden und Westen getragen worden, so ward nun das Zentrum
des auf griechischer Bildung und römischer Tapferkeit beruhenden Reiches
nach Nordosten verlegt. Die Folgen davon für den Gang der Geschichte
und Kultur traten erst in dem byzantinischen Mittelalter in ihrem ganzen
Umfange hervor, indem von Konstantinopel aus die griechisch-katholische
Kirche und in ihrem Gefolge die griechische Schrift und byzantinische Kunst
sich über den Norden, Serbien Bulgarien und Russland, verbreiteten. Aber
auch schon in den letzten Jahrhunderten des Altertums machte sich der
Einfluss der Neugründung von Konstantinopel geltend. Die neue Stadt
ward selbstverständlich mit reichen Hilfsmitteln der Kunst und Wissen-
schaft ausgestattet. An neuen Kunstwerken zwar wurde nur weniges her-
vorgebracht; die Neuschöpfungen bestanden wesentlich nur in dem, was
auch ohne den göttlichen Funken des Genies mit den Mitteln einer ent-
wickelten Technik geleistet werden konnte, in der Erbauung von Palästen,
Marktplätzen, Bädern. Zur Ausschmückung der Gebäude mit Statuen und
Bildsäulen mussten nach dem schlimmen Beispiel, das einst Rom gegeben
hatte, die alten Stätten der Kunst herhalten. Was man da alles zusammen-
brachte, kann insbesondere die Beschreibung des Gymnasiums Zeuxippos
von Christodoros im 2. Buch der palatinischen Anthologie lehren. Näher ^
berührte das litterarische Leben die Gründung von Bibliotheken und Lehr-
anstalten. Kaiser Julian errichtete in der Königshalle eine Bibliothek, für
deren Vermehrung durch neue Abschriften Kaiser Valens Sorge trug.-)
') BuRCKHARDT, Die Zeit Konstantins des I '^) Zosinios III, 11. 5; Cod. Theodos.
Grossen, 2. Aufl., Leipz. 1880. \ XIV, 9. 2.
C. Römische Periode nach Konstantin. 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 524-525.) 649
Die Gründung und Dotation einer hohen Schule Hess sich schon Konstantin
angelegen sein; nähere Bestimmungen über die ökumenische, d. i. Universal-
lehranstalt, traf die Verfügung des Theodosius II (425),^) wonach an der-
selben 5 griechische und 3 lateinische Rhetoren, 10 griechische und 10
lateinische Grammatiker, 1 Philosoph und 2 Juristen als Lehrer angestellt
wurden. Natürlich konnte eine so reichausgestattete Stadt schon an und
für sich nicht bedeutungslos für die griechische Litteratur sein; aber wich-
tiger wurde ihr Einfluss dadurch, dass sie zugleich die Hauptstadt eines
grossen Reiches war und den Ton für die ganze hellenistische Welt abgab.
525. Konstantin hatte nur den Sitz der Reichsregierung von Rom
nach Konstantinopel verlegt; das ungeheure, die verschiedensten Länder
umfassende Reich sollte damit nicht in seiner Einheit aufgehoben werden.
Aber die natürlichen Verhältnisse waren mächtiger als der Wille des
Einzelnen: noch ehe Theodosius I. das weite Reich unter seine beiden
Söhne Honorius und Arkadius teilte (395), war mit der Gründung von
Konstantinope] die Trennung der beiden Reichshälften und die Schaffung
eines eigenen Ostreichs angebahnt worden. Das bedeutete gewissermassen
einen neuen hellenistischen Nationalstaat, in welchem die griechische Sprache
die herrschende war und wo am Hof und in den Provinzen in griechischer
Sprache verhandelt wurde. In die Kanzleien und Gerichtshöfe war aller-
dings eine Masse lateinischer Ausdrücke, wie aaxeXXäQioQ^ xoiu^q^ ßgsßia,
xojdixeg, xaXdvdai, aus dem alten römischen Reiche eingewandert; auch be-
hauptete sich auf den Münzen die lateinische Titulatur, und wurde in den
Schulen Konstantinopels neben der griechischen Grammatik regelmässig auch
die lateinische gelehrt; '^) aber in der Litteratur und im Verkehr der Ge-
bildeten bewährte von neuem die griechische Sprache ihre alte Kraft, indem
sie teils durch Neubildungen, teils durch Umstempelung altgriechischer Aus-
drücke das Eindringen der fremden Elemente bemeisterte. Die Kaiser und
die Mehrzahl der Generäle und Minister redeten, wenn sie auch in der ersten
Zeit noch dem thatkräftigeren Geschlechte der Römer entnommen zu werden
pflegten, doch alle griechisch und befleissigten sich mit Eifer und Ostentation
griechischer Bildung. Der Kaiser Julian nahm geradezu eine hervorragende
Stelle unter den griechischen Schriftstellern ein; aber auch die andern
Kaiser begünstigten griechische Lehrer und Gelehrte, und nicht bloss der
Philosoph Themistios sah oft den Kaiser und kaiserliche Prinzen unter
seinen Zuhörern, auch der Grammatiker Orion wurde in seinen Vorträgen
von der Kaiserin Eudokia mit ihrer Anwesenheit beehrt. So bekam denn
ij auch der nie verleugnete Stolz der Griechen auf ihre nationale Bildung
ij neue Nahrung; er drückt sich bei dem Rhetor Himerios in den selbst-
;! bewussten Sätzen aus: EXhjvfg TiQOTeqov ^itv Toig oTiXoig, vvil J* (XQfTccTg
') Cod. Theodos. XIV, 9. 3; Schlosser,
Universitäten, Studierende und Professoren
der Griechen zu Julians und Theodosius Zeit,
in Archiv f. Gesch. I, 217-72.
'•■') Seit Augustus schon waren wichtige
Gesetze und kaiserliche P^rlasse in den zwei
Sprachen veröffentlicht worden; so existieren
inschriftlich {\er Titel des vXugustus von
seinen Thaten und das Dekret des Diokletian
von den Kaufpreisen in griechischer und
lateinischer Sprache. Auf den Münzen hlieh
auch noch lange nach Konstantin die latei-
nische Titulatur die massgebende. Über die
Verbreitung des Lateinischen im Orient über-
haupt und den Einfluss der römischen Rechts-
schulen s. BuDiNszKY. Die Ausbreitung der
lat. Sprache über Italien und die Provinzen
des römischen Reichs, Berl. 1881 S. 234 ff.
650
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
ndvTccg rixwaiv (or. V, 10) und ^.isyiaTov xal xdXXixtTov twv v(f' ifhov x6
Twr ^Elh'ivMv ytvoq Tcsm'at^vxai (or. XV, 31). So belebten sich denn auch
wieder von neuem im oströmischen Reich die alten Bildungsstätten der
Griechen und wurden zu den alten neue gegründet.^) Vor allem behauptete
Athen seine bewährte Anziehungskraft und erhob sich im 4. und 5. Jahr-
hundert zum Hauptsitz der neuaufblühenden Sophistik. Hier fanden am
Avenigsten und spätesten die Ideen des Christentums Eingang, so dass noch
bis in die Zeit des Justinian hinein griechische Philosophie und Sophistik
in der Kephissosstadt eine feste Stätte hatten. Auch der Einfall des Goten-
königs Alarich, durch den das übrige Griechenland und namentlich der
Peloponnes so schrecklich heimgesucht wurde, war an Athen ziemlich gnädig
vorüber gegangen (395 — 7): die Stadt ward zwar eingenommen, aber blieb
vor Plünderung und Zerstörung verschont. 2) Nach Athen behauptete den
nächsten Rang Alexandria, das in unserer Periode wieder kräftiger
hervortrat und gegen Ende des Altertums sogar an produktiver Kraft alle
andern Städte des Reiches übertraf. Hier schlug die neuplatonische Phi-
losophie tiefe Wurzeln, fand das Epos und der Roman hervorragende Pflege,
und hoben sich im Gefolge der Philosophie wieder die mathematischen und
astronomischen Disziplinen.^) Einen Stoss erlitt das heidnische Alexandria
durch den Untergang der Bibliothek (391), als der Serapistempel auf Befehl
des Kaisers Theodosius zerstört wurde; den vollständigen Niedergang be-
zeichnet die rohe Ermordung der Philosophin Hypatia durch den vom fana-
tischen Bischof Kyrillos aufgehetzten Pöbel in den Strassen der Stadt (415).
Unter den Städten Asiens ragten als Sitze der Studien hervor: Antiochia,
wo insbesondere die Rhetorik blühte, durch den Fanatismus des Jovianus
aber im Jahre 363 die Bibliothek ihren Untergang fand;^) Berytos, das
eine berühmte Rechtsschule hatte; Niko media in Bithynien, das im 4. Jahr-
hundert grosse Rhetoren an sich zog und zugleich hervorbrachte; Cäsarea
in Kappadokien, das ein Hauptsitz der Grammatik und Rhetorik im 4. und
5. Jahrhundert war; Gaza in Palästina, wohin sich von Alexandria aus
die schönen Künste verbreiteten.
526. Immer massgebenderen Einfluss aber gewann die Hauptstadt des
Ostreiches, Konstantinopel selbst. Dieser Einfluss war aber, wenn er
auch der griechischen Sprache und der formalen Seite der Litteratur, der
Vervollkommnung des Stils und der Verskunst, zu gute kam, doch im
Grund genommen dem Geiste des echten alten Hellenentums eher nachteilig
als förderlich. Das war er in zweifacher Beziehung, dadurch dass er eine
abhängige Hoflitteratur hervorrief, und dadurch dass er die Verbreitung
der christlichen Religion und Litteratur begünstigte. Der verrufene Byzan-
tinismus, der kein freies Wort aufkommen Hess und in einem pedantischen
^) Bernhardt, Innere Gesch. d. griech.
Litt. 555 ff.; J. B. Bury, A history of tlie
later Uoman empire, Lond. 1889, t. I S.
310-30.
2) Näheres bei Gregorovius, Geschichte
der Stadt Athen im Mittelalter, Stuttg. 1889,
Bd. I S. 29 ff.
3) Menander in Rhet. gr. III, 360 Sp.:
eiL ^6 xcd vvv rovg ^ AXe^avöqbag int yqafji-
fj.arixfj, ysco/usTQUc xcd cpiloaocpLa fxeyioiov
cpQovrjom q)aaiv. Aus der griechischen Kanzlei-
und Gerichtssprache Ägyptens in jener Zeit
haben wir ein interessantes Dokument aus
dem Fund von Fayum, publiziert von Hartel,
Ein griech. Papyrus aus dem Jahre 487,
Wien. Stud. V, 1—41.
^) Suidas u. 'loßiavog.
C. Römische Periode nach Konstantin. 1. Allgemeine Charakteristik. (§ 526-527.) 651
Zeremoniell die freie Bewegung der Geister erstickte, kam zwar erst im
Mittelalter zur vollen Herrschaft, ward aber bereits durch die Reichs- und
Hofordnung des Konstantin mit ihrer eitlen Titelsucht und ihrer pedanti-
schen Etikette vorbereitet.') Das Christentum aber war schon durch den
Übertritt des Kaisers Konstantin zur bevorzugten Stellung gegenüber dem
Hellenismus erhoben worden. Der aus dem Judentum ererbte Geist der
Unduldsamkeit und Exklusivität sorgte dafür, dass aus der bevorzugten
Stellung bald eine herrschende und ausschliesslich herrschende wurde. Die
Reaktion des Kaisers Julianus Apostata (361 — 363) hielt den Gang der
Dinge nicht auf; von seinen unmittelbaren Nachfolgern wurde um so eifriger
der heidnische Kultus zurückgedrängt; unter Theodosius erfolgte die voll-
ständige Schliessung oder Vernichtung der heidnischen Tempel (391), 2) die
fanatische Zerstörung des Serapeums in Alexandria (391) und bald nachher
auch des Marneums in Gaza (401).^) Damit verschwanden freilich noch
nicht die Leute, welche dem christlichen Gottesdienste fern blieben und in
Schrift und Rede die altgriechischen Anschauungen vertraten. 4) Aber die
Ermordung der Hypatia zeigte, wie wenig der kirchliche Fanatismus auch
nur die stille Freiheit des Geistes zu dulden gewillt war. Nur in Athen
erhielten sich noch länger die griechischen Philosophen- und Rhetorenschulen.
Aber auch diesen setzte der Kaiser Justinian ein Ende, indem er dieselben
durch kaiserlichen Befehl aufhob (529)^) und die letzten 7 Philosophen,
Damaskios, Diogenes, Hermeias, Eulalios, Isidoros, Priscian, Simplicius, zur
Auswanderung an den Hof des Perserkönigs Kosroes nötigte. Mit Justinian
schliessen wir daher auch unsere Periode und damit zugleich die alt-
griechische Litteraturgeschichte.
527. Die Litteratur unserer Periode trägt den Charakter einer Über-
gangszeit: Der Hellenismus stirbt allmählich ab und flackert nur in einigen
kräftigeren Erscheinungen nochmals auf; das Christentum beginnt, nachdem
es zuerst durch die sittliche Macht einer reineren und edleren Lehre die
Herzen der Völker erobert hatte, nunmehr auch durch korrekte Werke der
Prosa und Dichtung in die Litteratur einzudringen. Von einer absterbenden
Litteratur ist nicht viel zu erwarten; gleichwohl hat unter den oben ent-
wickelten Umständen die sophistische Beredsamkeit und die Kunst der
Versifikation nochmals einen erfreulichen Aufschwung genommen. Die
historische Litteratur hat nichts bedeutendes hervorgebracht; hingegen
^) Aus ihr datiert die Unnatur der An-
rede in 3. Person, die leider unsere deutsche
Sprache aus jener Quelle herübergenommen
und sich so zu eigen gemacht hat, dass sie
schwer wieder auszutreiben sein wird.
'^) Cod. Theod. XVI, 10. 10 u. 12; Zosim.
IV, 33. 8. — Das erste Edikt, ein Toleranz-
edikt, wurde erlassen im Jahre 313; s. Euseb.
Hist. eccl. X, 5 und Lactantius, De mort. persec.
4S; darauf folgte im Jahre 319 der Erlass
iACgen die Astrologen und Haruspices, Cod.
Theod. IX, 16. 1 u. Cod. Justin. TX, 18. 3.
Schon vor 391 war im Jahre 354 die Schlies-
sung aller Tempel (Cod. lust. I, 11. 1) und
im Jahre 357 die Verpönung der Orakelbe-
fragung (cod. lust. IX, 18. 5) durch kaiser-
liche Erlasse angeordnet worden. Näheres
bei Lasaulx, Der Untergang des Hellenis-
mus und die Einziehung seiner Tempeigüter
durch die christlichen Kaiser, München 1854.
^) Nachricht darüber in Marci Diaconi
inta Porphyrii episcopi Gazensis ed. M. Haupt,
Berl. 1874.
'^) Vgl. Volkmann, Synesius S. 11.
5j loann. Malalas XVIII, 451 cd. Bonn.
Über die Zweifel, ob ein direkt gegen die
Akademie Athens gerichteter Erlass ergangen
sei, siehe Gregokovius, Gesch. Athens I,
55 f. und Krumbacher, Byzant. Litt.
(552 Griechische Litteraturgeschichte. IL Nachklassische Litteratur.
errang die griecliische Philosophie teils in dem Streben der Verschmelzung
verschiedenartiger Lebensanschauungen, teils in dem Widerstand gegen die
neue Macht des Christentums nochmals eine achtunggebietende Stellung.
In der Grammatik und in den verschiedenen Zweigen des exakten Wissens
war es das vasa coUigere, was die Gelehrten vor dem Abzüge beschäftigte:
von Selbständigkeit der Forschung und Klarheit der Auffassung ist nicht
mehr die Rede; die Gedankenlosigkeit der Kompilation und die Magerkeit
der Auszüge beherrschen die gelehrte Litteratur. Im Gegensatz zur inneren
Geringwertigkeit steht die Zahl der erhaltenen Schriften, da hier wie überall
die neuesten und gangbarsten Bücher sich am meisten in die nächstfolgende
Zeit vererbten.
2. Die Poesie.
528. Von der Poesie unserer Periode gilt der Vers der Anthologie
XII, 178: Svöi^ievog ycxQ o/t<»g i'jhög iaziv sti. Waren in der Blütezeit der
Sophistik die Musen fast ganz verstummt, so erwachte gegen Ende des
Altertums nochmals ein regeres Leben in den Musenhainen. Mit Glück
versuchten sich heidnische und christliche Dichter in den verschiedenen
Formen des antiken Versmasses, und stunden auch der Glätte des Verses
und der Gewandtheit des sprachlichen Ausdrucks nicht gleich hohe Vorzüge
des Inhalts zur Seite, so fehlte es doch auch nicht ganz an geistreichem
Witz und schöpferischer Kraft der Phantasie. Der abgestorbene Körper
des Dramas konnte freilich nicht mehr zu neuem Leben elektrisiert werden,
aber auf dem Gebiete des Epigramms und anakreontischen Spieles herrschte
frisches Leben, insbesondere aber im Epos wurde Neues und Namhaftes
geleistet. Vorzüglich in Ägypten trieb noch nach Jahrhunderten der von
den alexandrinischen Dichtern ausgestreute Samen frische Sprossen; von dort
verpflanzte sich gegen Ende des Altertums die Liebe zum poetischen Spiel
auch an den glänzenden Hof des Kaisers Justinian.
Panegyrisches Epos. Beginnen wir mit dem Epos, so seien zuerst
in Kürze die unbedeutenden panegyrischen Epiker erwähnt, von deren
Werken wir nur durch Suidas und gelegentliche Anführungen der Historiker
etwas erfahren.^) Gedichte zur Verherrlichung der Männer der Gegenwart
verfassten: Kallistos, der die Ruhmesthaten des Kaisers Julian besang,^)
Eusebios und Ammonios, welche den Gotenführer Gainas zum Helden ihrer
Gedichte machten,^) Christodoros, der in seinen G Rhapsodien laavQixd den
Kaiser Anastasios verherrlichte. Derselbe Christodoros erzählte auch in Versen
nach dem Vorbild des Apollonios die Geschichte (to: nargia) von Konstanti-
nopel, Thessalonike,Nakle,Milet,Tralles, Aphrodisias. Ahnliche Stadtgeschich-
ten hatte schon vor ihm der jüngere Claudian verfasst.^) Auch eine Kaiserin,
die durch Gregorovius in weiteren Kreisen bekannt gewordene Eudokia,
tändelte in Versen, indem sie in daktylischen Hexametern den Sieg über
die Perser verherrlichte ^) und versifizierte Paraphrasen verschiedener Partien
^) DüNTZER, Die Fragmente der epischen Anth. gr. XIII, 841
Poesie II, 107 f.
2) Nicephoros, Hist. eccl. VI, 34.
^) Socrates, Hist. eccl. VI, 6; Jacobs,
^) Suidas u. Xqiarö&wQo?.
5) Sokrates, Hist. eccl. 7, 21,
C. Römische Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 527—528.) 653
des alten Testamentes lieferte. ^ In dem gleichen Fahrwasser bewegten
sich auch die christlichen Dichter ApoUinarios aus Laodikea^) und Ba-
sileios, Bischof von Seleukia, auf die ich unten zurückkommen werde.
529. Quintus Smyrnäus ist Verfasser des uns erhaltenen Epos
Td 1^16 0^' ^'Oi.u]Qov in 14 B. Über seine Person erfahren wir aus unseren
litterarhistorischen Quellen nichts,^) so dass wir einzig auf seine eigenen
Angaben und auf Schlüsse aus dem Charakter seiner Poesie angewiesen
sind. Es erzählt aber derselbe XII, 310, dass er ehedem zu Smyrna beim
Tempel der Artemis die Schafe gehütet und in früher Jugend, noch ehe ihm
der Bart sprosste, vom armen Hirten zum Dichter sich emporgeschwungen
habe. Über die Zeit, in der er lebte, gestattet der Versbau nur den all-
gemeinen Schluss, dass seine Blüte vor Nonnos fiel, da sich bei ihm noch
nicht die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Verse des Nonnos finden,
welch für die daktylischen Dichter nach Nonnos feststehende Norm wurden.
Der Beiname Calaber, den man unserem Dichter zu geben pflegt, bezieht
sich darauf, dass die einzige Handschrift desselben in Calabrien, und zwar
vom Kardinal Bessarion im Jahre 1450 gefunden wurde. ^) Das Epos des
Quintus sollte die damals veralteten Werke des epischen Kyklos^) ersetzen;
diesen Ursprung sieht man dem Gedicht auch äusserlich an, da es aus
4 Teilen gewissermassen zusammengeschmiedet ist. Die 5 ersten Gesänge
geben den Inhalt der Aithiopis wieder, die Bücher 6—8 sind gleichsam
eine kleine Ilias, in welcher Eurypylos, der Sohn des Mysierkönigs Telephos,
die Rolle des Hektor, Neoptolemos die des Achill spielt, die Bücher 9 u. 10
bilden dazu ein schwaches Nachspiel, in welchem der aus Lemnos herbei-
geholte Philoktet die Führerrolle spielt und den Anstifter des Streites,
Paris, erlegt, die Bücher 11 — 14 endlich erzählen den schliesslichen Fall
der Priamosveste, die bei der Einnahme der Stadt verübten Greuel der
Achäer und den Schiffbruch der heimkehrenden Sieger bei den gyräi-
schen Felsen. Auf solche Weise entbehrt das Werk des einheitlichen
Mittelpunktes, indem die Erzählung, wenn sie bereits auf dem Höhepunkt
angelangt zu sein scheint, in dem nächsten Gesang wieder von vorne an-
hebt. Auf der anderen Seite aber erfreut dasselbe durch anschauliche
Schilderungen, Einfachheit der Erzählung und schöne Gleichnisse. Die letz-
teren lassen den ehemaligen Hirten erkennen, der mit der Natur Klein-
asiens zusammengelebt und ihre gewaltigen Konvulsionen in Erdbeben
j (111, 64) und Bergstürzen (I, 696. XI, 396) gesehen hatte. Auch ein frommer
<. Dichter ist Quintus, der anstössige Scenen meidet und mit seinem, fast
1 möchte man glauben, für die Jugend bestimmten Gedicht nicht bloss unter-
t| halten, sondern auch zu Tugend und Edelmut erziehen will. Er erinnert
i in dieser Beziehung an Vergil, dessen Aeneis er offenbar kannte,^) wenn
') Ludwich, Eudokia, die Gattin des
Kaisers Theodosios II. als Dichterin, Rh. M.
37, 206 ff.
'') Photios p. 11Gb, 1.
•) Kin J]pigrainni der Anth. VI, 230
trügt den Namen Quintos.
'^) Eitel Phantasterei ist der Versuch des
Italieners Ignarra, in dem yi^sTog 'J}.xißi(<ö'7jg
dyc^Qioy ijQoStoi' xoafitJTioQ einer in Neapel
gefundenen hischrift CIG. 5815 unseren
Quintus wiederzufinden und dann denselben
nach dem Schriftcharakter jener Inschrift
in die Zeit des Kaisers Philippus zu setzen ;
siehe Köchly, Proleg. p. VII.
•') Vgl. § 4G ff.
^) Die Benützung des Veigil wird von
Köchly bezweifelt in ed. min. XII l sq.
654
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
er auch von ihr ebensogut wie von Homer in Einzelheiten abwich.*) Die
Sprache hat manches Eigentümliche, das den Spätling erkennen lässt, wie
die Verbindung von oocpsXov mit dem Indikativ des Aorist, den Gebrauch
von exTiolhsv für nod^sv, von evO^tv für svOa, die Zweiwertigkeit des Vokals
vor muta cum liquida u. a.
Der Cod. archetypus, den Bessarion bei Otranto in Calabrien gefunden hatte, ist
verloren gegangen; wir sind daher auf dessen Abschriften oder Abschriften von Abschriften
angewiesen. — Ausg. von Rhodomannus, Hanov. 1604; rec. Tychsen, Argent. 1807;
rec. pro] egg. et adnott. crit. instr, Köchly, Lips. 1850 mit kritischem Apparat; dessen
edit. minor in Bibl. Teubn. - Erläuterungsprogramme von Struve, Petersb. 1843 und
Kasan 1846, 1850. — Sainte Beuve, Oeuvr. t. 1, Etudes sur Virgile suivie d'une etude sur
Quintus Smyrnaeus.
530. Nonnos aus Panopolis in Ägypten ist der begabteste Dichter
unserer Periode, der eine neue Richtung des Epos schuf, welche von
Ägypten ausging und in der Üppigkeit der Phantasie den orientalischen
Ursprung nicht veuleugnete.'^) Über die Lebensverhältnisse unseres Dich-
ters sind wir vollständig im Unklaren; ein Epigramm der Anthologie IX,
198 meldet von ihm nur:
JSörvoQ iyo). Jlavog ^tv sfirj jiöXig, sv ^ccQit] (J^*
s'YX^^ (fo)r)jsvTi yovdg rjiiirj(Ta riydvTMV.^)
Die Vermutung Weicherts, dass er identisch sei mit dem Nonnos, dessen
Sohne Synesios ep. 43 ein Empfehlungsschreiben ausstellt, ist unsicher. Aus
seinen eigenen Dichtungen ersehen wir, dass er als Heide geboren war und
erst in späteren Lebensjahren zum Christentum übertrat. Ausserdem macht
die Zeit seiner Nachahmer es wahrscheinlich, dass er selbst am Schlüsse des
4. Jahrhunderts lebte. '*) Das grosse Epos, das seinen Namen verewigt hat, sind
die Jiovvaiaxä in 48 Gesängen, also in so vielen, als die Ilias und Odyssee zu-
sammen haben. Dasselbe hat zum Gegenstand die phantastische Mythe
vom Zug des Gottes Dionysos gegen Indien, die selbst sich aus dem
Sagenreichen Zug des Königs Alexander gegen Indien und der beliebten
Vergleichung des Königs mit Dionysos und seiner Feinde mit Giganten
entwickelt hatte. ^) Schon vor Nonnos hatte unter Diokletian der Dichter
Soterichos jenen Zug des Bakchos in 4 Büchern besungen. In den Haupt-
mythus hat aber unser Dichter so viele andere Mythen eingeflochten, dass
dem Werke die unser Interesse auf einen Punkt hinleitende Einheit voll-
ständig abgeht. Nicht bloss gehen dem Beginne des Zugs 12 Gesänge
voraus, sondern schliesst auch die Erzählung nicht mit der Besiegung des
Königs der Inder Deriades ab, sondern folgt dann noch eine lange, auf
alle möglichen Abenteuer abschweifende Schilderung des Rückzugs. Von
Homers unübertroffener Kunst hat er bloss, wie er selbst 25, 8 andeutet,
das eine herübergenommen, dass er von den 7 Jahren des Krieges nur das
letzte behandelt. Im übrigen hatten für ihn Aristoteles und Horaz umsonst
^) Vgl. die Beschreibung des Schildes
des Achill V, 7-101.
^) Eunapios p. 493: rioy JcyvnTioüy t6
^x^yog inl noirjmfi fxkv acpo&Qa ^aivovxai,
6 cTe Gnov&cdog 'EQfxijg avTwi^ an oxe /MQijxev .
^) Der Name Nonnos ist ägyptisch und
bedeutet „rein, heilig"; er ist verwandt mit
unserem „Nonne".
■*) Ludwich, Rh. M. 42, 233 ff. weist
nach, dass Nonnos Verse des Gregor von
Nazianz nachgeahmt hat und demnach nicht
vor 390 gedichtet haben kann.
^) Fr. Koepp, De GigantomacJiiae in
j)oeseos artisqiie monumentis usu, Bonn Diss.
1883. /
C. Komische Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 530.) 655
geschrieben. Selbst die Einheit der Person hat er bei seiner überschweng-
lichen Phantasie nicht zu wahren vermocht: er beginnt ab ovo, oder viel-
mehr ab ovo ovi mit der Entführung der Europe durch den in einen Stier
verwandelten Zeus, um auf langen Umwegen im 8. Gesang auf die Geburt
des Dionysos zu kommen, und nimmt auch im weiteren Verlauf jede Ge-
legenheit beim Schopf, um irgend eine Fabel aus der Götter- oder Heroen-
welt in sein Gewebe einzuflechten.i) Wie leicht er es dabei nimmt, zeigt
besonders der 38. Gesang, wo die Erwähnung einer Sonnenfinsternis dem
Dichter ausreicht, um den ganzen Phaethonmythos in aller Breite zu er-
zählen. Sein Gedicht ist so in der That geworden, was es im Eingang
verspricht, ein noixiXov stSog, in welchem fast alle Verwandlungsgeschichten
der alexandrinischen Dichter ihre Stelle fanden. Von selbst drängt sich
dabei jedem die Vergleichung mit Ovids Metamorphosen auf, aber der
geschmackvolle römische Dichter hatte sich vor der Verkehrtheit gehütet,
alle diese Einzelerzählungen in den Rahmen einer einzigen Handlung zu
spannen. Dieselbe Grenzenlosigkeit der Phantasie lässt unseren Dichter
auch sonst nirgends das richtige Mass finden, so dass die plastische Klar-
heit und Wahrheit, die wir als hervorragendsten Zug der klassischen Poesie
der Griechen preisen, diesem ägyptischen Spätling des hellenischen Epos
ganz und gar abgeht. In den Schlachtenbildern setzt er sich leichthin über
die Grenzen des Ortes, der Zeit und namentlich der menschlichen Kraft
hinweg; alles geht ins Groteske und Übernatürliche, so dass der junge Gott
im Mutterleibe tanzt (8, 27), der Kithairon Thränen vergiesst (5, 357), der
Atlas den Himmel im Kreise dreht (13, 359). Dabei überbietet er sich
selbst mit immer neuen Ausschmückungen, wie wenn er bei der Schilderung
der Sintflut (6, 229 ff.) kein Ende in der Ausmalung der Umkehr der
natürlichen Vorgänge findet und bis ins Endlose sich in der Gegenüber-
stellung ähnlicher Situationen und Personen gefällt. 2) Auf solche Weise
will dem Dichter trotz des unerschöpflichen Reichtums seiner Einbildungs-
kraft doch nur selten eine wirklich hübsche Erzählung oder Schilderung
gelingen; sie gelingt ihm am ehesten, wenn er sich eng an seine Vor-
gänger unter den alexandrinischen Dichtern hält, wie in der Mythe von
Ikarios und Erigone (47, 1 — 264),^) oder wenn er mit veränderten Namen
eine homerische Situation wiedergibt, wie im 40. Gesang, wo die Erzählung
vom Entscheidungskampf des Dionysos und Deriades den Gesang von
Hektors Fall zum Muster hat.
Ganz im Gegensatz zu dieser Masslosigkeit der Phantasie steht die
bis zur Einförmigkeit gesteigerte Strenge der metrischen Form unseres
Dichters. Derselbe hat sich mit feinem Wohllautsgefühl eine eigene, dem
dionysischen Rausche des Inhalts entsprechende Form des daktylischen
Hexameters ausgedacht, die wesentlich darin besteht, dass nirgends in dem-
selben Kolon 2 Spondeen aufeinanderfolgen, dass fast alle Hexameter einen
Einschnitt [Tofxt], caesura) nach dem Trochäus des 3. Fusses haben, dass
^j Manche Episoden sind erst später
il eingelegt; s. Scheindler, Wien. Stud. II, 43 ff.
2) Vgl. 25, 31 ff.; 47, 500 ff.; 25, 136 ff.;
47, 49 ff.
^) Benützungen alexandrinischer Vor-
bilder in IG, 257 ff. u. 17, 42 ff. weist Maass,
Herrn. 24, 522 ff. nach. Über die Quellen
der Fabeln des Nonnos überhaupt s. R. Köhler,
Über die Dionysiaka des Nonnus, Halle 1853.
656
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
der Hiatus, selbst der legitime in der Arsis, fast ganz vermieden und auch
die Elision in sehr enge Grenzen gewiesen ist. Durch diesen Bau der
Füsse und die aus der volkstümlichen Poesie herübergenommene Vorliebe für
Einklang des Vers- und Wortaccentes in der vorletzten Verssilbe ^) bekommt
der Vers einen einschmeichelnden Fluss, dessen Zauber nur die ermüdende
Wiederholung derselben Form Eintrag thut. An einer ähnlichen Eintönigkeit
leidet auch der sprachliche Ausdruck: Nonnos hat die Sprache wie keiner der
nachklassischen Dichter in seiner Gewalt; er wagt kühn neue Bildungen
und Wendungen, aber namentlich am Versschluss wiederholen sich zu oft
die gleichen Phrasen, wie avzvya xüa/iov, avrvya fia^wv, xvxXa 7rQoac67io)r,
xvxXa xsksv^wv, xvxXa i.ieXä^QMv, xvxXa xaXivoöv, und Lieblingsausdrücke,
wie i'vdaXfia, amv^rjQa, dXr^Trjg, ds^ovrjzo kehren jeden Augenblick wieder.
Aber trotz aller Mängel bleibt doch richtig, dass Nonnos ein Dichter von
wirklichem Talent, voll Feuer und Schöpfungskraft war, der das Zarte
und Liebliche der bukolischen Genremalerei, sowie die halb frivolen, halb
sentimentalen Schilderungen der Erotiker auf den Boden der epischen Poesie
verpflanzt hat.
Ausser den Dionysiaka hat Nonnos nach dem eingangs erwähnten
Epigramm auch noch eine Gigantomachie geschrieben. Von dieser hat sich
nichts erhalten, ebenso sind seine Bassarika bis auf 4 bei Stephanos Byz.
unter Jaqaavia erhaltene Verse verloren gegangen. Hingegen ist eine
metrische, eng an das Original sich anschmiegende Metaphrase des Evan-
geliums Joannes auf uns gekommen. Dieselbe verfasste er offenbar nach
seinem Übertritt zum Christentum und in hohem Alter. Denn während
die Dionysiaka ausgelassene Jugendfrische atmen, hat die Übersetzung des
Evangeliums etwas greisenhaftes; nur der dithyrambische Schwulst des
Ausdrucks ist geblieben, der Reiz der Episoden und die Sinnlichkeit der
Darstellung ist verschwunden.
Auf uns gekommen sind die Dionysiaka nur durch einen Kanal, der am besten aus
der ed. princ, (1569), welche Gerhard Falkenburg ex cod. loann. Sambuci besorgte,
zu erschliessen ist. Kommentierte Ausg. von Gräfe, Lips, 1819 --36; kritische Textausg
von KöCHLY in Bibl. Teubn. -- Nonni Pano]). metaphrasis evangelii lohannei reo. Fr.
Passovius, Lips. 1834 mit dem Text des Evangeliums unter den Versen; ed. Scheindler,
Lips. 1881; vgl. Köchly, De evangelii locmnei paraplirasi a Nonno facta, Opusc. I, 421 —
46. — Wild, Die Vergleiche bei Nonnus, Regensb. Progr. 1886.
531. An Nonnos schloss sich eine Schule von Epikern an, welche,
ebenfalls das mythologische Epos kultivierte und sich an die durch Nonnos]
eingeführte Technik des Versbaus hielt. Zu derselben gehören:
Tryphiodoros aus Ägypten, Grammatiker und Dichter von Epen.]
Suidas führt von demselben an: Magadcoviaxd, 'iXiov dXcoaig, Td xarS
^fTTTToödfisiav, 'Odvaasia XsinoyqdmiaTog.^) Davon hat sich nur das unbe-j
*) Über die metrischen Grundsätze des
Nonnos s. G. Hermann ad Orphica p. 690 ff..
Ludwich, Beitr. zur Kritik des Nonnos,
Königsberg 1873, und in Rossbach's Griech.
Metr."^ 55 ff., Scheindler, Quaestiones Non-
nianae, Brunae 1878. Dass die Betonung
auf der vorletzten Verssilbe sich schon auf
Inschriften des 2. u. 3. Jahrh. durchgeführt
findet und dass dieses mit dem Charakter
der volkstümlichen Poesie zusammenhängt,
beweist Deutschmann, De poesis Graeconir,
rhythmicae primordiis p. 7 ff. Nonnus und
seine Schule hat sich aber nur auf die Ver-
pönung von Proparoxytona im Verschluss
beschränkt.
-) Vergl. die 'Ihuq XeiTJoy^df^^uaTog des
Nestor § 411.
i
C. Römische Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 531.)
657
deutende Epyllion 'iXiov alwaiQ in 691 Versen erhalten, das sich wesent-
lich an die kleine Ilias des damals antiquierten Kyklos hält. Ausgabe von
Wernecke, Lips. 1819.
Kolluthos aus Lykopolis in der ägyptischen Thebais lebte nach
Suidas zur Zeit des Kaisers Anastasios (491 — 518). Die von Suidas er-
wähnten Epen KaXvötoviaxcc in 6 B., UsQaixd und iyxMiua sind verloren
gegangen; erhalten ist uns eine ^Aquayr] ^EXe'vrjg in nicht ganz 400 Hexa-
metern. Kommentierte Ausg. von Lennep 1747, wiederholt von Schäfer,
Lips. 1825; mit kritischem Apparat von Abel, Berol. 1880.
Musaios, über den uns nichts überliefert ist und über dessen Zeit
infolgedessen die mannigfachsten, um mehr als 1000 Jahre auseinander-
gehenden Vermutungen aufgestellt wurden,^) lebte nach Nonnos und gehörte
zu dessen Schule. Das hat schon Casaubonus aus Stil und Metrum erkannt
und neuerdings Schwabe, De Musaeo Nonni imitatore (Tub. 1876), aus den
Nachahmungen zur vollen Sicherheit erhoben. Auf der anderen Seite muss
er vor Agathias gelebt haben, da dieser Anth. V, 263 auf das Gedicht
Hero und Leander anspielt. 2) Das unterstützt die Vermutung Passow's,
dass unser Musaios eine Person mit dem gleichnamigen Freund des Rhetors
Prokopios unter Justinian gewesen ist. Anklänge an Bibelstellen, wie V. 137
yaavriq tj a' sXoxsvas fnaxaQrdTtj, lassen ausserdem vermuten, dass auch
er, wie Nonnos, zum Christentum übergetreten war, obschon sonst bei ihm
alles griechische Grazie und Anmut atmet. Sein berühmtes Epyllion, das
hübsch Köchly die letzte Rose aus dem hinwelkenden Garten der griechi-
schen Poesie nannte, behandelt den romantischen Stoff von Hero und Le-
ander {rd xa&' '^Hqü) xal Atavdqov) in 340 Versen. Das schönste indes
an dem Gedicht, die Sage, ist nicht des Musaios Erfindung, und die Dik-
tion lässt vielfach die Einfachheit der klassischen Zeit vermissen, manchmal
selbst die Korrektheit der Sprache, wie wenn orr/ für ori (V. 108) und
uTisileiMai (V. 131) nach der falschen Analogie des homerischen xslsiovai
gebraucht ist. Ausgabe mit Einleitung und Noten von Fr. Passow, Leipz.
1810. Kritische Ausg. von Dilthey, Bonnae 1874. — Vielleicht ist Mu-
saios auch der Verfasser des hübschen, leider nur lückenhaft erhaltenen
Gedichtes von der Liebe des Alpheios und der Arethusa (Anth. Pal. IX, 362),
das in der Kunstweise des Nonnos gedichtet ist und auf die Besiegung der
Gothen in Elis i. J. 396 n. Chr. Bezug nimmt. ^)
Kyros aus Panopolis, Konsul im Jahre 441, später Bischof von
Kotyaion,^) genoss als Epiker grosses Ansehen, so dass ein Epigramm der
Anth. Plan. IV, 217 ihn von der Muse Kalliope mit derselben Milch wie
Homer und Orpheus getränkt sein lässt. Von ihm kannte man bis jüngst
nur einige Verse auf Theodosios und das glänzende Haus des Maximinos
in Konstantinopel (Anth. Pal. XIII, 878). Neuerdings hat ihm Bücheier,
Rh. M. 39, 277 vermutungsweise auch die unlängst aus einem Papyrus von
^) Der Kuriosität halber sei erwähnt,
dass JuL. Caes. Scalioer, Poet. 5, 2 ihn
mit dem alten Seher Musaios identifizierte.
^) Dazu stimmt, dass Paulus Silentiarius
Verse des Musaios nachgeahmt hat, wofür
Mi]rian-Genast, De Pauli Sil. p, 103 Be-
lege gibt.
^) So der neueste Herausgeber und Er-
klärer des Gedichtes Ricii. Holland, De
Alpheo et Arethusa, in Comm. Kibbeck.
381-414.
^) Suidas u. Kt^^og, Eiiagr. Hist. eccl. 1, 19
Handbuch der klass. Altorluniswissonscliaft. VII. 2. Aull,
42
658
Griechische Literaturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
Theben ans Licht gezogenen Verse auf die Besiegung der Blemyer, eines
räuberischen Volkes von Oberägypten, beigelegt.
Claudian der Jüngere aus Alexandria lebte nach Suidas zur Zeit des
Arkadios (395 — 408), muss aber nach dem Zeugnis des Kirchenhistorikers
Euagrios I, 19 schon unter Theodosios (379 — 395) eine Rolle gespielt haben.
Der Jüngere heisst er wahrscheinlich mit Bezug auf den lateinischen Dichter
Claudianus, der gleichfalls aus Alexandria stammte und vielleicht der Vater
unseres Claudian war. Von dem unsrigen haben einige Epigramme Auf-
nahme in die Anthologie gefunden; aus einer Beischrift derselben ersehen
wir,*) dass er auch die Stadtgeschichte (rd nätQia) von Tarsos, Anazarba,
Berytos, Nikäa in Versen geschrieben hat. Von einer Gigantomachie, in
der er mit dem gleichnamigen Gedicht seines lateinischen Namensvetters
rivalisieren wollte, sind uns über 70 Hexameter erhalten, die in der Leichtig-
keit des Versbaus und der Erhabenheit der Schilderung den Jünger des
Nonnos verraten. 2) Wie jener, so ist auch er, nach dem hexametrischen
Gedicht auf Christus (Anth. XIII, 615) zu schliessen, später zum christ-
lichen Glauben übergetreten.
532. Orphika.3) Unter dem Namen des Orpheus sind auf uns ge-
kommen: 'AQyovaviixd, ein Epos in 1384 Hexametern, das in der fabel-
haften Schilderung der Argofahrt seinen Hauptreiz hat,"*) dadurch aber,
dass Orpheus in ihm als Teilnehmer des Zuges eine hervorragende Rolle
spielt, mit dem Kulte der Orphiker zusammenhängt, Aiüixä in 768 Versen,
in denen Orpheus den Priamiden Theiodamas über die wunderbare Kraft
der Steine belehrt, 88 Hymnen auf verschiedene Gottheiten und personi-
fizierte Kräfte der Natur und sittlichen Weltordnung. Alle 3 Dichtungen
geben sich für Werke des Orpheus aus und sind in die Form von Unter-
weisungen gekleidet; zwei der Proömien sind ausserdem an Musaios ge-
richtet. Aber das alles ist frommer Betrug: die Gedichte sind dem alten
Sänger Orpheus untergeschoben und stammen aus der Sekte der Orphiker,
welche bereits in der Zeit der Pisistratiden ihr Unwesen getrieben hatte
und sich bis in die christliche Zeit hinein erhielt. Es waren die 3 er-
haltenen Dichtungen nicht die einzigen, welche unter Orpheus Namen in
Umlauf waren; demselben wurden auch Weihen, Orakelsprüche und eine
Theogonie beigelegt, ferner ^IsqoI Xoyoi, KgarrjQ, JlsnXog, Jixtvov, Katä-
ßaaig €g a6ov, 'A(TTQovojnixd, rscoTTovixd^ JiaO^rjxai u. a.^) Dieselben stammten
aus sehr verschiedenen Zeiten, so dass sich bereits die alten Kritiker, unter
ihnen besonders Epigenes,^^) bemühten, die verschiedenen Partien zu son-
dern und auf ihre wirklichen Urheber zurückzuführen, so die Orakel und
Weihen auf Onomakritos, '^) den Peplos auf Brontinos oder Zopyros, die
1) Jacobs, Anth. t. XIII p. 872.
2) Die Verse nacli Schenkl's Rezension
mitgeteilt in Jeep's Ausgabe Claudians t. I
p. LXXVIII.
3) Siehe oben § 12.
■*) Gefolgt ist der Dichter hierin weniger
dem Apollonios Rhodios als dem Timaios,
dessen Anschauungen über die Argofahrt
Diodor IV, 56 referiert.
'") Suidas u. 'OQcpEvg, Clemens Alex,
ström. I, 322, Damascius de princ. 380.
Die alten Nachrichten entwirrte Lobeck,
Aglaophamus p. 352 ff.
^) Lobeck, Aglaoph. 339 f. u. oben § 14.
') Siehe oben § 69. Die Sammlung von
Orakeln und Weihen kursierte bereits zur
Zeit Piatons; s. Protag. p. 316, Crat. p. 265,
de rep. p. 364.
C. Römische Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie. (§ 532.) 659
heiligen Bücher auf Kerkops oder Theognetos,i) den Korybantikos auf
Brontinos, die Soteria auf Timokles oder Perginos, den Gang nach dem
Hades auf Prodikos, die Triagmoi auf den Tragiker lon.'^) Vieles lag be-
reits dem Aristoteles vor, der den Betrug erkannte und so weit ging, die
Existenz des Orpheus zu leugnen.^) Auf die 'IsqoI Xöyoi bezieht sich Cicero,
De nat. deor. I, 38, der dieselben dem Pythagoreer Kerkops zuschreibt.
Verse des Gangs in den Hades wurden den Eingeweihten in Unteritalien
mit ins Grab gegeben, wovon in neuerer Zeit mehrere Reste aufgefunden
wurden.^) Besonders aber kam gegen Ende des Altertums diese mystische
Litteratur zu Ehren und ward durch neue apokryphe Dichtungen vermehrt.
Aus dieser späten Zeit rühren auch die erhaltenen Orphika her. Ruhnken
hielt noch den Verfasser der Argonautika für einen alten Dichter.^) Da-
gegen erkannte J. G. Schneider^) mit Recht in ihm einen halbbarbarischen
Fälscher der jüngsten Zeit. Genauer bestimmte die Grenzen G. Hermann
in seiner Ausgabe der Orphika p. 763 u. 810, indem er nach metrischen
Anzeichen den Verfasser derselben in die Zeit zwischen Quintus Smyrnäus
und Nonnus setzte, aber zugleich zugab, dass den jüngeren Hymnen auch
ältere aus dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. beigemischt seien. '^) Für
eine so späte Zeit sprechen ausser dem Versbau auch die Beobachtungen,
dass die Argonautika bereits Ibernia oder Irland erwähnen,*^) dass in den
gelehrten Schollen der Argonautika des Apollonios nirgends des orphischen
Gedichtes gedacht ist, dass endlich die Hymnen zum grössten Teil an ab-
strakte Wesen, wie sie die Stoa und der Neuplatonismus aufgebracht hatte
[Jixaiof^vrr], ^Vyisia, GävaTog etc.), gerichtet sind.^) Die Zeit der Lithika
bestimmt sich durch den Hinweis auf die Verfolgungen der theurgischen
Weisheit (V. 67 — 75), welche Hermann auf die Philosophenaustreibung
unter Domitian, Tyrwhitt und Abel mit mehr Wahrscheinlichkeit auf die
Dekrete des Constantius (357) und Valens (371) gegen die Ausübung des
alten Kultus bezogen haben.
Mit den orphischen Hymnen berühren sich die 6 philosophischen
Hymnen des Neuplatonikers Proklos auf Helios, Muse, Aphrodite, Pallas,
Janus und die Gesamtheit der Götter. — In die gleiche Kategorie gehören
auch die paar inschriftlichen Hymnen auf Apollon, Helios, Päan,'*^) Asklepios,
Hygieia, Telesphoros, Isis, Anubis, die Kaibel in seine Sammlung griechi-
scher Steinepigramme p. 432 — 460 aufgenommen hat. — Ähnlichen Cha-
^) IsQol Xoyoi war auch der Doppeltitel
der einen der Theogonien; siehe Lobeck,
Aglaoph. 714 ff.
'') Bergk, Gr. Litt. II, 85 u. III, 607.
^) Aristot. de an. 1, 5 u. II, 2; Cicero
de nat. deor. I, 38.
^) CoMPARETTi in Hellenic studies, 1882.
^) Ruhnken, Epist. crit. II, in Opusc.
p. 610 ff., wo er geradezu den Dichter der
Argonautica einen scripior meo iudicio
vetustissimus nennt.
^) J. G. Schneider, Anal. crit. in Script,
vet. graec, Frankfurt 1777.
^) In das 1. u. 2. .Tahrh. n. Chr., als die
Stoa mit dem Neupythagoreismus sich ver- [ sich Patroinus.
42*
band, setzt die Mehrzahl der Hymnen Pe-
tersen, Vhdl. d. 23. Vers. d. Phil, in Han-
nover (1865) S. 124 ff.
^) V. 1171; PTJaotaiy ^leQviaiv daaop
i'xcofjiu. Die Vermischung alter und neuer
Erdkunde in den orphischen Argonautika hat
ihr Analogon an dem um dieselbe Zeit ent-
standenen Gedicht des Avien, Ora maritima.
^) Orphisch ist auch unter den Homeri-
schen Hymnen der 7. auf Ares; den 6. u. 7.
setzt in die Zeit der orphischen Argonautika
Ludwich, Streifzüge in entlegene Gebiete der
griech. Litt., in Königsberger Stud. I, 61 ff.
^'^) Als Verfasser dieses Hymnus nennt
(350 Griechische Litter aturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
0
rakters sind die vielen Orakelsprüche in Versen aus den ersten Jahrhun-
derten unserer Zeitrechnung, unter denen ein unlängst von Buresch gefundener
und publizierter aus der lydischen Stadt Kaisareia Troketta einen hervor-
ragenden Rang einnimmt.
Ausgabe der Orphica mit den Noten der Früheren von G. Hermatjn, Lips. 1805. ~
Lithica rec. notasque adiec. Tyrwhitt, Lond, 1781. — Orpliica et Prodi hymn. rec. Abel
1885 in Bibl. Schenk. — Orphei Lithica rec. Abel, Berl. 1881 auf Grundlage des Cod.
Ambros. B 98. — Drei neue orphische Hymnen auf Hekate, Helios, Selene hat Miller,
Melanges aus Papyrusrollen veröffentlicht. Die grosse Ähnlichkeit derselben mit den von
Parthey, Abh. d. Berl. Ak. 1885 S. 109 ff., und Wessely, Abhdl. d. östr. Ak. t. 36 (1888)
veröffentlichten Zauberpapyri wiesen nach Dilthey, Rh. M. 27, 375 — 419, und Kopp, Beitr.
zur griech. Exzerptenlitt. 46 f. — Buresch, Klares, Lips. 1890, stellt die Orakel von Klaras
zusammen und gibt in einem Anhang die Tübinger XQrjajxol rujy eXhji^ixiov x^eiov. Hymnen
der Magier hat uns auch Hippolytus Refut. IV erhalten; sie macht leserlich mit einziger Kunst
WiLAMOwiTZ, Ind. Gott. 1889 p. 29 f.
Lobeck, Aglaophamus sive de theologiae mysticae Graecorum causis, Regiom. 1829,
wo p. 410 — 1104 die Fragmente zusammengestellt sind. Dazu Werfer, 2:vyayioyi] ^ÖQcpixMv
anoanaa^ucnlcjy niov iu ralg JIqoxIov eig töv KqcuvXov nagsKßoXaTg, in Act philol. Mon. II,
115—156. — 0. Gruppe, Die griech. Culte u. Mythen, Leipz. 1887, I, 612—674, wo von
den orphischen Theogonien gehandelt ist. — Am ältesten sind die Fragmente der rhapso-
dischen Theogonie; doch gehen auch über sie die Meinungen stark auseinander; für die
Zeit der Neuplatoniker tritt ein P. Schuster, De vetei'is Orphicae theogoniae indole, Lips.
1869; umgekehrt geht bis über Piaton hinauf 0. Kern, De Orphei Epimenidis Pherecydis
theogoniis, Berol. 1888.
533, Mit den Fälschungen der Orphiker sind verwandt die sibyl-
linischen Weissagungen {xQtjainol 2ißvXXiaxoi) in 14 Büchern. Nur
sind jene dem Mystizismus der Griechen entsprossen, während diese auf
dem Boden des alexandrinischen Judentums entstanden sind.^) Fast alle
sind vaticinia post eventum, denen nur frommer Betrug ein höheres Alter
beigelegt hat; aber dieselben sind ebensowenig wie die orphischen Gedichte
alle zur selben Zeit entstanden. Der älteste Teil, III 97 — 828, rührt von
einem alexandrinischen Juden aus der Zeit des Ptolemaios Philometor her
und ist in ungelenken Versen verfasst; der Verfasser wollte, indem er
sich die Alexandra des Lykophron und die Orakel der erythräischen und
kumanischen Sibylle zum Vorbild nahm, die Hoffnungen der Juden durch
Voraussagung eines neuen salomonischen Reiches (III, 167) neu beleben.
Das 4. Buch weist deutlich auf die Zeit des Titus und den Ausbruch des
Vesuv hin (IV, 130); nicht lang danach muss auch das Proömium ge-
dichtet sein, was also ursprünglich nicht zur ganzen Sammlung, sondern
nur zu einem Teile derselben gehörte. Bereits die ältesten christlichen
Kirchenväter, wie Theophilos, Justinus Martyr, Clemens und Lactantius
eitleren Verse daraus. Der übrige grössere Teil der Sammlung ging von
ägyptischen Therapeuten, Juden und Christen des 2. und 3. Jahrhunderts
aus. Die letzten 4, erst von Ang. Mai ans Licht gezogenen Bücher bilden
1
') Die älteste Sibylle war eine griechi-
sche, die Sibylle von Erythrä, deren Erin-
nerung in das 8. Jahrh. v. Chr. hinaufreicht;
an sie schlössen sich allmählich andere Si-
byllen an, wie die von Samos, Delphi, Troia,
Cumä, sodann die jüdische und babylonische
Sibylle, bis die Zwölfzahl voll war; siehe
E. Maass, De sibyllarutn indicibus, Berl.
1879. Die uns erhaltenen Sibyllenorakel
aber gehen alle von den Fälschungen der
jüdischen Gelehrten aus, von denen Döl-
LiNGER, Akad. Vorträge, Einfluss der griech.
Litt, und Kultur auf die abendländische Welt
im Mittelalter S. 168 bemerkt: Derartiges
Erdichten und Interpolieren erregte damals
keine Gewissensbedenken; man beruhigte
sich mit der guten, das Mittel heiligenden
Absicht; die Neupythagoräer thaten dasselbe,
wie unter andern die orphischen Dichtungen lt.
beweisen.
C. Römische Periode nach Konstantin. 2. Die Poesie. (§533—535.) 061
ein Ganzes für sich und enthalten gewissermassen einen Ahriss der Ge-
schichte von der Sintflut bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. Derselbe ist
zu Ehren des Odenathos, des Gemahls der Kaiserin Zenobia, gedichtet,
mit dessen Verherrlichung das 13. Buch schliesst. Der Veranstalter der
Sammlung war ein Christ und setzt selbst im Prolog den Plan seines
Unternehmens auseinander. Die römischen Sibyllenorakel, die gleichfalls
in griechischen Versen abgefasst waren und die der Kaiser Augustus in
dem Tempel des palatinischen Apoll hatte niederlegen lassen, nahm er in
die Sammlung nicht auf, wohl einfach deshalb, weil kein Exemplar der-
selben der Vernichtung durch Honorius und Stilicho entgangen war. Wie
der Sammler hiess und welcher Zeit er angehörte, ist nicht überliefert;
jedenfalls lebte er nach Lactantius, dessen Bücher er benützte; Alexander,
der verdiente Herausgeber, setzt ihn unter Justinian.
Hauptausgabe: Oracula Sibyllina ed. Alexandre, ed. II, Paris 1869; reo. Fried-
lieb, Lips. 1855, 2 Bde., mit einem Nachtrag von Volkmann, Sedini 1854. -- Ewald, Über
Entstehung, Inhalt und Wert der sibyll. Bücher, Abhandl. d. Gott. Ges. VIII (1858),
43-152; Volkmann, Verh. d. 15. Philologenvers. (1860), 317 fF.; Zeller, Philos. d. Gr. III,^
2. 269 f.; 0. Gruppe, Die griech. Culte, I, 675-701; Rzach, Jahresber. d. Alt. VIII, 1.
76 ff.; Bang, in Forhandlinger i videnskabs v. Christiania 1882 Nr. 8 u. 9.
534, Dem Sieg des Christentums ist eine vollständige Überschwem-
mung des Abendlandes mit ägyptischem, syrischem, persischem Wunder-
und Aberglauben vorhergegangen. Namentlich waren es die chaldäischen
Astrologen, welche, gestützt auf eine uralte Religion und auf tausend-
jährige Beobachtung der Sternenwelt, gläubiges Gehör fanden. So haben
diese denn nicht bloss den superstitiösen Mithraskultus eingeführt und in
den Ausgleichsversuchen der Neuplatoniker eine grosse Rolle gespielt, i)
sondern haben auch auf die poetische Litteratur der letzten Jahrhunderte
des Altertums Einfluss geübt. Aus ihren Kreisen stammen die sogenannten
Orakel des Zorraster, die Erweiterungen der Apotelesmatika des Pseudo-
Manetho,^) das verstümmelte Gedicht eines gewissen Maximus nsgl
xaxaqymv oder über den Einfluss der Gestirne in 610 Hexametern.
Maxiraus in Köchly's Manetho. — Oracula magica cum scholiis Plethonis et Pselli,
Oracula metrica et Attrampsychi 'Opeiqoxqixixov ed. Opsopoeus, Par. 1599. — Wolff, Por-
pliyrii de pliilosophia ex oraculis haurienda rell., Berl, 1856.
535. Epigrammatiker. Mit dem allgemeinen Aufschwung der Versifi-
kation in Byzanz kam auch das leichte Spiel des Epigramms und der Anakreontea
wieder in Aufnahme. Eine Auswahl von neuen Epigrammen vereinigte in der
2. Hälfte des 6. Jahrhunderts Agathias aus Myrina zu einem Kyklos von
7 Büchern.^) Von den Epigrammen des Agathias selbst hat Konstantinos
Kephalas an 100 Nummern in seine Anthologie aufgenommen. Dieselben
sind mannigfachen Inhaltes und zeugen von einem anerkennenswerten Talent
im Versbau und sprachlichen Ausdruck; aber der Mangel an Witz und
Originalität wird durch die geschwätzige Breite nicht aufgewogen. Viele
der Epigramme haben den Umfang von ganzen Elegien, und auf die Trümmer
^) lamblichos schrieb ti€qI riig Xc(X(fcd'x "g \ Lebensgeschicke und Spiele der Schicksals-
Ts'ksioidxrjq ^soXoyiag, Porphyrios ne^l r^g i göttin. 5) Spottepigramme, 6) Liebesepigr.,
ix Xoyiwv (filoaocpiag. 7) Weinepigr. Ausser Epigrammen hat Aga-
-) Siehe oben § 410. thias nach seinem eigenen Zeugnis Hist, I
'•'') Die 7 Abteilungen des Kyklos sind in. Jccffvixu fivS^otg nol TJSTjofxiXfjeytc fqm-
\) Weihepigramme, 2) Epigr. auf Kunst- tixoTg gedichtet.
Werke, 3) Grabepigramme, 4) Epigr. auf |
662 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
von Troia begegnen uns gleich 4 Epigramme (IX, 152—5). Kürzer und
wahrer sind seine Liebesepigramme, aber auch hier hat die Impotenz des
Schmachtens und Küssens (V, 261. 269. 285) die gesunde Natürlichkeit
des Altertums verdrängt. Die Knabenliebe ist noch nicht ganz verschwunden,
wird aber doch als sündhafte Unnatur verpönt (V, 278).
Palladas blühte um die Wende des 4. Jahrhunderts zur Zeit des
Kaisers Arkadios. Er stammte aus Alexandria, und auf Verhältnisse Ägyp-
tens beziehen sich viele seiner Epigramme, wie das auf die gefeierte Philo-
sophin Hypatia (IX, 400). Er w^ar Heide und sein Leben lang ein armer
Schlucker, der in der Not seinen Pindar und Kallimachos verkaufen musste
und zu Haus unter der Bosheit eines zänkischen Weibes zu leiden hatte.
Das gab seinen Versen Kraft und spitzigen Stachel; die 150 Epigramme,
die sich von ihm erhalten haben, gehören zum besten, was das unter-
gehende Heidentum hervorgebracht hat. Auch die Form ist gut, insbesondere
zeichnen sich seine iambischen Trimeter durch strengen Bau aus, während
sich Agathias und Paulus Silentiarius den schlottrigen Gang des komischen
Trimeters erlaubten.
Christodoros ^) von Koptos unter Kaiser Anastasios am Schlüsse
des 5. und im Anfange des 6. Jahrhunderts verdient weniger wegen seiner
Epigramme als wegen seiner Beschreibung der im Jahre 532 durch Feuer
vernichteten Statuen des Gymnasiums des Zeuxippos zu Konstantinopel
rühmend genannt zu werden. Diese Ekphrasis in 416 Hexametern bildet
das 2. Buch der Anthologie und hat nicht bloss für die Kunstgeschichte
hohe Bedeutung,^) sondern ist auch ein schönes Denkmal der poetischen
Kunst geschmackvoller und anschaulicher Beschreibung.
Paulus Silentiarius, Sohn des Kyros, bekleidete das Amt eines
ruhegebietenden Hofbeamten unter Justinian.^) Von ihm sind 78 Epigramme,
zum grösseren Teil erotischen Inhaltes, erhalten, welche die Spiele seines
Freundes Agathias an Feinheit und Witz weit überragen. Ausserdem
haben wir von ihm ein lyrisches Gedicht auf die pythischen Heilquellen
Bithyniens (rjafafußa elq id iv Hvd^ioig ^sQfxä), dessen Echtheit bezweifelt
wird,^) und eine geschickte Beschreibung der Sophienkirche und ihrer
Kanzel {af.ißwr) in fliessenden, nach der Manier des Nonnos gebauten Hexa-
metern. Das letztere Gedicht reiht sich den ähnlichen beschreibenden Ge-
dichten des Christodoros und Joannes an und zeugt von der Beliebtheit,
deren sich diese Gattung der Poesie [ixifgaasig) in der justinianischen Zeit
erfreute. Wie ehedem Homer seine Heldengesänge im hohen Saale der
Königsburg vortrug, so las Paulus die 3 Bücher seines beschreibenden
Epos vor erlauchter Versammlung im Bischofssaal des Patriarchates vor;
und wie in der Zeit der Rhapsoden dem Heldengesang ein Proömion vor-
I
') Suidas und ein Scholion der Antho-
logie bei Jacobs, Anth. XIII, 871; über seine
Epen vgl. § 528.
2) Dass manche Statuen von dem Dichter
falsch benannt sind, beweist K. Lange, Die
Statuenbeschreibung des Christodor, Rh. M,
35, 110 ff. Diese Frage und die dem Nonnos
nachgebildete Versform erörtert Baumgarten,
]Je Christodoro poeta Tkebano, Bonn 1881.
2) Agathias bist. V, 9: ög (sc. TlccvXog
6 KvQov Tov 4>XcüQov) ra nQcoTa reAcJi^ ei'
Toig a/ji(pl TOV ßaoi'kia Giyijg eTnculrcag ys-
vovg JE xoofxov^Evog do^rj xal nXovtov clcp-
x^ovov ^Kt^e^ufisvog, o^aog nutdeicc ye avta
xccl löyiav aaxrjaig dieanovdaaro y.rX.
*) Hauptquelle bildeten die Mirabilia
des Ps. Aristoteles.
C. Eöm. Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreiber. (§ 536.) 663
ausging, so schickt Paulus den einzelnen Abteilungen seines Gedichtes Ein-
leitungen {TiQoXaXiai) in iambischen Trimetern voraus.^) Verfasst ist das
Gedicht nach der 2. Einweihung der heiligen Weisheitskirche, welche im
J. 563 stattfand.
Sonderausg. der Ekphrasis von Gkaefe, Lips, 1822, und von Imm. Bekker, zusammen
mit Georgios Pisida in der Bonner Ausg. der Byzantiner 1837. — Lessing, Paulus Silen-
tiarius auf die pythischen Bäder, Berl. Ausg. d. W. Bd. XIII. — Merian-Genast, De Paulo
Silentiario Byzantino Nonni sectatore, Lips. Diss. 1889 handelt erschöpfend vom Leben
und den Gedichten des Paulus. — W. Salzenberg, Altchristliche Baudenkmale von Kon-
stantinopel, Berl. 1854, enthält im Anhang eine metrische Übersetzung und Erläuterung
von des Silentiarius Paulus Beschreibung der h. Sophia und des Ambon von W. Kortum.
Ausserdem verdienen von den Epigrammatikern hervorgehoben zu
werden: Metrodoros unter Konstantin, von dem wir an 30 arithmetische
Probleme in Epigrammenform haben, Andronikos, den Libanios ep. 75
und Ammianus Marcellinus 19, 12 als berühmten Dichter ihrer Zeit er-
wähnen, Apollinarios, den wir bereits oben § 528 als christlichen Epiker
des 4. Jahrhunderts kennen gelernt haben, Marianos, der nach Suidas
unter Anastasios ausser Epigrammen iambische Metaphrasen des Theokrit,
Apollonios, Kallimachos, Arat und Nikander schrieb, Julianos der Agyptier
unter Justinian, der zahlreiche Epigramme auf Kunstwerke und ein hübsches
anakreontisches Gedicht (N. 5 = Planud. 388) hinterlassen hat, Leontios
Scholastikos (d. i. Sachwalter), Damocharis und Makedonios aus
der Zeit des Kaisers Justinian. Ihnen schliesse ich noch den Grammatiker
Joannes von Gaza an, 2) von dem uns im Anhang der Anthologie die Be-
schreibung einer Weltkarte [exifqaaig tov xoa^ixov niraxog in 2 B.) in
Hexametern der nonnischen Art und ausserdem 6 mit der alten Götter-
welt tändelnde Epigramme (bei Bergk, PLG. III, 1080 ff.) erhalten sind. 3)
3. Die Prosa.
^ a. Geschichtschreibep und Geog-raphen.
536. Die Geschichtschreibung hat in den Zeiten nach Konstantin am
wenigsten Pflege gefunden, sogar der Name tazoQixög ging von dem soliden
Geschichtsforscher auf den phantastischen Romanschreiber über. Erst unter
Justinian ist mit Prokop und Agathias die Historie wieder zu Ehren ge-
kommen, aber diese fallen jenseits der Linie, die wir uns gezogen haben.
In der vorausgehenden Zeit stehen die Kirchenhistoriker im Vordergrund;
von heidnischen Historikern haben wir nur wenige Namen und noch
wenigere Reste:
^) Eine ähnliche Einleitung in laniben
schickt Persius seinen Satiren voraus. Über
die Sitte vergl. Bouvy, Etudes sur les ori-
gines du rythme tonique, Nimes 1886 p. 161 ff.
'^) Derselbe lebte jedenfalls nach Nonnos,
dessen Versbau er nachahmte, vermutlich
vor Paulus Silentiarius, dessen Ekphrasis die
grösste Ähnlichkeit mit der seinigen hat.
Aus dem Scholion der Pariser Handschrift
der Anthologie i'k'köyif^oi, T«vT7jg rijg -noXeiog
(sc. rd^7]g) 'lM(<ri^7jg. llQoxoTiiog, Tifx6\96og 6
yocixpag nsQi tl,o)(t)v h'i^iy.iov hat man ge-
schlossen, dass er noch etwas vor den beiden
letzten, die unter Anastasius I (491 — 518)
blühten, gelebt habe. In Gaza schrieb auch
ein Grammatiker Timotheos in Hexametern
^) loannis Gazaei descriptio tabulae
mundi et Anacreontea rec. E. Abel, Berol.
1882. Das Gemälde selbst fand sich nach
einer Beischrift des Codex eV xeifisQio) Xov-
TQM, natürlich in Gaza, nicht in Antiochia,
wie Petersen wegen der Nachschrift ir VuCei
•X- V ^'^ 'yh'Tio/ia vermutet hat; siehe da-
rüber Ludwich, Rh. M. 44 (1889) S. 194—206.
(3(54 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Porphyrios, der bekannte Neuplatoniker (233 — 304), beschäftigte
sich auch mit historischen Studien ; aus ihnen gingen seine Xgovixd hervor,
die von der Einnahme Troias bis zum Jahre 270 n. Chr. reichten, und aus
denen Eusebios das Verzeichnis der Könige Makedoniens und der Lagiden
entnommen hat. Fragmente bei Müller FHG. III, 688 — 727.
Helikonios, Sophist aus Byzanz, schrieb nach Suidas einen chrono-
logischen Abriss {xQovixt] sniToiir) von Adam bis Theodosios d. Gr. in
10 B., der neben den staatlichen auch die litterarischen Verhältnisse be-
rücksichtigte,^) und in dem deshalb Daub eine Hauptquelle des Hesychios
von Milet vermutet.
Eunapios aus Sardes, der bekannte Verfasser der Sophistenbiographien,
gab eine Fortsetzung der Chronik des Dexippos in 14 B. {lazoQia rj iisxd
Jt§i7TTiov rj vsa exSoaig). Dieselbe umfasste in 2 Abteilungen [Xoyoig) die
Geschichte vom Kaiser Claudius bis auf Honorius und Theodosius (270—404);
zu rühmen war an ihr, dass sie die Ereignisse nicht mehr nach Olympiaden
oder Jahren zerstückelte, sondern zu grösseren Abschnitten nach Kaisern
verbunden darstellte. Von dem fliessenden, nur allzu blumenreichen Stil
und der gesinnungstüchtigen Parteinahme für Julian geben uns die umfang-
reichen Fragmente einen vorteilhaften Begriff. Fragmente bei Müller FHG.
IV, 7—56 und Dindorf HGM. 205—274.
Olympiodoros aus dem ägyptischen Theben setzte mit seinen Xöyoi
latoQiTioi in 22 B. den Eunapios fort. Die Fortsetzung behandelte die Ge-
schichte von 407—425; einen Auszug daraus enthält Photios cod. 80.
Aristo demos ist vermutlich der Verfasser ''^) eines historischen Ab-
risses, von dem der bekannte Grieche Minas aus einer jetzt in Paris be-
findlichen Pergamenthandschrift ein interessantes Fragment ans Licht ge-
zogen hat. Dasselbe umfasst die Geschichte von den Perserkriegen bis
zum Ausbruch des peloponnesischen Krieges und enthält neben mehreren
groben Irrtümern doch auch einige aus anderen Quellen nicht bekannte
Thatsachen. Müller FHG. V, 1 — 20; Mathias, Das Fragment des Aristo-
demos, Gotha 1874.
537. Zosimos^) ist Verfasser der uns noch erhaltenen Neuen Ge-j
schichte {loTOQia vsa) in 6 B. Dieselbe behandelt — und ihre Darstellungs-
weise gibt uns einen Begriff von der Anlage der Geschichtswerke jener
Zeit überhaupt — die ältere Kaisergeschichte bis zum Jahre 270 nur in,
allgemeinen Umrissen (I, 1 — 36); von da an wird sie breiter und aus-|
führlicher und schliesst mit den Verhandlungen, welche der Einnahme Romsj
durch Alarich (410) vorhergingen; an dem vollständigen Abschluss wurde
der Verfasser offenbar durch den Tod oder sonst einen Unfall verhindert.
Die Zeit der Abfassung fällt vor 502, in welchem Jahre Eustathios aus
Epiphania seinen aus Zosimos gezogenen Geschichtsabriss veröffentlichte,
und nach 450, auf welches Jahr H, 38 angespielt ist. D^r Verfasser war
') Suidas u. 'JniMv und ^jQqiavög.
2) Der Autorname wird vermutet aus
M. 42, 525 ff. = Pro], der Ausg. p. V sqq.
Einen Sophisten Zosimos aus Gaza oder
der Randglosse xovio eazl ro ^^jxovfxevov j Askalon unter Anastasios führt Suidas an,
TOV ^jQKTTodljfUOV.
^) Mendelssohn, De Zosimi aetate, Rh.
aber ohne von ihm ein geschichtliches Werk
zu nennen.
C. Rom. Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, a) Geschichtschreiber. (§ 537—538.) 665
ein charakterfester Römer, der den Grund des Niedergangs der römischen
Weltherrschaft in dem Abfall von dem Glauben der Väter sah.^)
Ausgabe von Imm. Bekker in den Scriptores bist. Byzant. 1837; von Mendelssohn,
Lips. 1887 mit ProJegomenis und kritiscbem Apparat, Die Überlieferung aller Handschriften
zeigt 2 grosse Lücken, eine zwischen dem 1. und 2. B. und eine andere am Schluss.
Durch Exzerpte sind uns ausserdem bekannt: Praxagoras aus Athen,
der in ionischem Dialekt eine Geschichte Konstantins, Alexanders d. Gr.
u. a. schrieb (Phot. cod. 02), Priskos aus Panion in Thrakien, Sophist
unter dem jüngeren Theodosios, von dessen laToqia Foz^ixrj und Bv^avTiaxrj
uns noch umfangreiche Fragmente erhalten sind, Malchos aus Philadelphia
in Syrien, der des Priskos Geschichte bis zum Jahr 480 fortsetzte, Eusta-
thios aus Epiphania in Syrien, der einen Abriss der Geschichte von den
ältesten Zeiten bis auf das 12. Regierungsjahr des Anastasios (502) ver-
fasste, Candidus der Isaurier, christlicher Geschichtschreiber der Zeit von
Leon bis Anastasios (457 — 491). Über die Kirchen- und Heiligen-Ge-
schichten unserer Periode werde ich unten handeln.
538. Zu den Historikern im weiteren Sinn gehört auch der ganz an
der Grenze des Altertums stehende Antiquar Joannes Laurentius Lydus.'"')
Derselbe, geboren um 490 in der lydischen Stadt Philadelphia, bekleidete
unter Anastasios und Justinian hohe Hof- und Staatsämter, bis er 552 in
Ungnade fiel und seinen Abschied zu nehmen genötigt wurde. Die Zeit
der Müsse benützte er zu litterarischen Arbeiten, nachdem er schon früher
mit Reden auf den Präfekten Zotikos und den Kaiser Justinian hervor-
getreten und mit der Abfassung einer Geschichte der Perserkriege des
Justinian beauftragt worden war. Die 3 Schriften, die von ihm auf uns
gekommen sind und die schon zu Photios Zeiten allein noch bekannt waren,
sind: tvsqI i^irjvwv [de mensihus), nsql ciq^mv Trjg ^PwfiafMV noXiTeiag [de
magistratihus reip. rom.), rcegl öioarj^siMv [de ostentis). Von diesen sind
die beiden letzten erst in unserem Jahrhundert vollständig ans Licht ge-
zogen worden, von der ersten haben wir überhaupt nur Fragmente und
Exzerpte. Alle drei beziehen sich auf römische Verhältnisse und haben
dadurch grossen Wert, dass ihr Autor noch viele alte, jetzt verloren ge-
gangene Quellen, wie die Bücher des Nigidius und Labeo, benützt hat.
Ihre Bedeutung wird freilich auf der andern Seite wesentlich dadurch ver-
ringert, dass Lydus ein abergläubischer, kritikloser Windbeutel war, der
mit Titeln von Büchern um sich warf, die er nie gesehen, sicher nicht
sorgfältig durchgelesen hatte. ^)
Codices: Caseolinus s. X, von dem französischen Gesandten Choiseul-Gouffier 1785
bei Konstantinopel entdeckt und nach Paris gebracht (Suppl. n. 257); Laurentianus 28, 34
s. XI ein Sammelcodex von astrologischen Traktaten. — Lydi de magistratihus reip. rom.
libri tres ed. Fuss, praefatus est Hase, Paris 1812. - Gesamtausg. von Imm, Bekker in
der Ausg. der Scripttores Byzantini, Bonn 1837. — Lydi de ostentis ed. C. B. Hase, Paris
1823; ed. C. Wachsmüth in Bibl. Teubn. 1863 in vollständigerer Gestalt und mit einem
Anhang Calendaria graeca omnia.
') Zur Charakteristik des Zosimos Ranke,
Wcltgcsch. IV, 2 S. 264-84.
'^) C. B. Hase, Commentarius de Joanne
Laurentio Fhihidelpheno Lydo, in der Pa-
riser und Bonner Ausgabe; ein magerer Ar-
iikel steht im Suidas, ein ausführlicherer in
Photios .cod. 180.
^) Über die Quellen des Buches von den
Vorzeichen der Blitze, P^rdbeben, Wetter
liefert eine umsichtige Untersuchung Wachs-
müth, Lydi de ostentis p. XVII sqq.
QQQ Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
539. Die Geographie ging in den letzten Jahrhunderten des Alter-
tums ebenso leer aus wie die Geschichte. Neue Länder wurden nicht
entdeckt, das Reich wurde kleiner statt grösser; die Handelsverbindungen
zogen sich infolge der Kriege im Osten und Norden immer mehr in die
Enge; von einem rein wissenschaftlichen Forschungs- und Entdeckungsgeist
war ohnehin nicht mehr die Rede. So haben wir denn hier fast nur von
Kompendien und geographischen Lexicis zu reden.
Marcianus, der um 400 lebte und mit dem Marcianus des Synesios
ep. lOOu. 191, vielleicht auch mit dem Al'Xiog AvQrjXiog MaQxiavog 6 nQonog
ccQxon' der Inschrift von Amastris in Paphlagonien CIG. 4151 identisch ist,
verfasste eine EniTOixrj zcov avSsxa Tijg 'AqtsiuiSmqov tov ^E(f€(Jiov ysmyqacfiag
ßißXicov, einen JlsQinXovg rrjg s^co S^ccXäcyaijg sv ßißX. ß', ein Buch rreQl twv
ctTto ^Pwiiiijg TTQcg zag sTCiarjf.iovg rij'g olxovfisvrjg nökeig ^laryTaascov, eine
'EmTOfiij XMv TQiMV TOV TTjg svTog ^aXdo'cTrjg rtsqinXov ßißXioov Msiinnov
IlfQyafirjvov. Von diesen Werken ist das 2. und 4. in verstümmelter Ge-
stalt auf uns gekommen und von Müller, Geogr. gr. min. I, 515 — 573
neuerdings herausgegeben. Der bis auf 2 Lücken gut erhaltene Periplus
des äusseren Meeres behandelt im 1. B. das östliche, im 2. das westliche
Meer, und ist eine Zusammenstellung aus Ptolemaios und einem gewissen
Prot ago ras, der in der Zeit nach Ptolemaios eine von Photios cod. 188
skizzierte Geographie in 6 B. geschrieben hatte. Der Periplus des inneren
Meeres ist ein sehr dürftiger Auszug aus dem gleichnamigen Buche des
Menippos aus Pergamon, der ein Freund des Epigrammatikers Krinagoras^)
war und demnach unter Augustus und Tiberius gelebt haben muss.
Ein anonymer UsQinXovg sv'^eivov ttovtov bei Müller I, 402 — 423,
der in 2 Teilen durch einen römischen (Vatic. 143) und einen Heidelberger
Codex auf uns gekommen ist, enthält in der Hauptsache Auszüge aus
Arrian und Marcian.
Agathemeros ist Verfasser eines Abrisses der Geographie (yscoyQa-
(ficcg vTTOTVTiMaig). Darin ist, indem Geographie in dem engeren Sinn von
Erdzeichnung genommen ist, eingangs von den älteren Erdkarten [nhaxeg],
denen des Anaximander, Hekataios, Demokritos, Eudoxos, Krates, und dann
in dem Hauptteil von den Grenzen und Massen der Meere, der Länge und!
Breite der Erde, den Grössenverhältnissen der Inseln gehandelt. Der Ab-|
riss ist wertvoll, da er zum Teil wie in der Angabe der älteren Karten
und in den Länge- und Breiteverhältnissen auf Eratosthenes, Artemidorj
und Poseidonios zurückgeht.^) Die Übereinstimmungen mit Marcian will
Müller t. II p. XII aus der gemeinsamen Benützung der Geographie des
Protagoras erklären.
Dem Agathemeros wurden ehedem auch die zwei in denselben Hand-
schriften befindlichen Schriften Jiayrw(Tig sr €niTO{.iri Trjg sv rfj acfai'Qcc
y£0)yQa(fiag und ^VjioTVTrwaig yea)yQa(fiag sv emToiiifi) zugeschrieben, aber
beide Schriften gehören, wie Müller a. 0. nachweist, anderen anonymen
Verfassern an.
540. Stephanos von Byzanz heisst der Verfasser des geographischen
0 Anth. Pal. IX, 559. | Comm. Ribbeck. 475—85.
^) Rüge, Quaestiones Ärtemidoreae, in |
C. Römische Periodenach Konstantin. 3. Die Prosa, a) Geographen. (§539 540.) 667
Lexikons, das zum grössten Teil nur im Auszug auf uns gekommen ist.
Dasselbe hatte den Titel 'EO^vixcc und war sehr umfangreich angelegt, da
mit dem Buchstaben 2 bereits das 51. Buch begann.^) Den Auszug hat
nach dem Zeugnis des Suidas Hermolaos, ein Grammatiker aus Kon-
stantinopel, in der Zeit des Justinian gemacht. 2) Über die Zeit des Ste-
phanos selbst ist uns nichts überliefert; er scheint indes nach Dexippos
und Marcianus gelebt zu haben, da beide öfters in dem erhaltenen Auszug
citiert sind. Er war nicht der erste, der den Plan eines geographischen
Lexikons fasste; aus dem Et. M. 221, 31 erfahren wir, dass schon der
Grammatiker Epaphroditos sich auf ein geographisches Lexikon des Aegi-
neten Kleitarchos bezog, der demnach sicherlich vor dem zweiten Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung lebte. ^) Die Anlage des Original Werkes können
wir noch aus den Artikeln 'Jßr^gia und Jvinrj bis Jmtiov, die vollständig
auf uns gekommen sind,^) ermessen. Danach war das Ganze ein sehr ge-
lehrtes Werk, in welchem zu den einzelnen Artikeln reiche Belege aus der
älteren und neueren Litteratur, aus Dichtern und Prosaikern angeführt und
ausser der geographischen Lage auch die Geschichte und die berühmten
Männer der einzelnen Orte berücksichtigt waren. Erkennt man schon
daraus den Grammatiker, so tritt derselbe noch mehr in der starken Be-
tonung hervor, die derselbe auf die richtige Schreibung der Namen und
die richtige Bildung der abgeleiteten Wörter legt. Hierin wie in allen
grammatischen Fragen folgt er wesentlich der Autorität des Herodian, den
auch zu citieren er nicht unterlässt.^) In der Sache und den geographischen
Angaben stützt er sich auf die Werke der grossen Geographen und Histo-
riker Hekataios, Eratosthenes, Ephoros, Artemidor, Strabon, Pausanias;
zunächst benützt aber wurden von ihm das Buch des Herennios Philon
7T€qI nöXsMv xal o'vg ixäaTrj avrcov srSo^ovg r]v8yxsv und ein Städtever-
zeichnis {avayqacfrj noXemv) ähnlich dem von Müller FHG. V p. LXVI ff.
publizierten.^) Ohne Nachlässigkeiten und Irrtümer ging es bei dem Ex-
zerpieren und Zusammenstellen nicht ab, indem der Lexikograph, durch
Varianten des Textes verleitet, mehrmals dieselbe Stadt zweimal aufführt,
wie 'ÄQidv^rj und 'jQiv^tj, Jtöiiaaaa und MtSfiac^aa, '^IfÄtQa und Xsif.itQa,
^eXaaia und ^sXXcKSia^ ferner rXrjrsg und TXrJT6g, rdßioi und Tccßiot. Das
Ärgste ist, dass er aus der Stelle des Herodot I, 125 s^tI Ja räSs, s'^ oh'
o)XXoi, ndvTeg ccQTtaiai JltQcfai, UaaccQyddai, MaQcc(fioi Mdcjmoi einen per-
sischen Stamm 'AQxsäzm herausgelesen hat, der sich dem famosen Suatu-
tanda des Ptolemaios würdig zur Seite stellt.
Hauptausgabe mit den Noten der Früheren von G. Dindorf, Lips. 1825, 4 vol. —
') Steph. u. IvQcixovocii; der Artikel
TiTUivBvg stand im 52, Buch.
'^) Suidas: 'EQjuoXaog yQdfifxanxog Ku)v-
oiccvxiPovnoXeMg y^äipag rrjv iniTOfxrji' xvop
'KxhvixMV Itsrfcivov yQccfXfXccTixov, ngoacpiiovi]-
x^eTaccy 'lovanyiccyco tm ßaailsT.
^) Ob nicht schon Strabon in der An-
gabe der berühmten Männer der einzelnen
j Städte ein solches Lexikon benützte?
') Erhalten ist der vollständige Artikel
'lßi]QLa durch Konstantinos Porphyrogennetos
de admin. imperio c. 23. Auch P]ustathios
benützte noch das Oiiginalwerk, s. Westeu-
MANN, Praef. p. XV sqq. und Et. M. 738, 50.
^) Zu weit geht Lentz, Herod, roll. p.
CXXXVII: fere totum Stephani opus ex
Herodiano cxscriptum esse. Dagegen Ben.
Niese, De Stephani Jiyzantini aiicto. ibiis,
Kiliae 1873.
*^) Steph. u. \U'Ti6/ei(c ' i^exa noXsig
uvayQÜcfoviui, eial (fe nleiovg.
(368 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Kritische Ausg. von Westermann, Lips. 1839; von Meineke, Berol. 1849; der 2. Band der
letzten Ausg., der den Kommentar enthalten sollte, ist nicht erschienen. — Geffken, De
Stepliano Bysantio, Gott. 1886.
b. Die jüngere Sophistik.
541. Einen erneuten Aufschwung nahm die Sophistik im 4. Jahr-
hundert/) nachdem dieselbe eine Zeitlang den philosophischen Studien der
Neuplatoniker hatte nachstehen müssen. An allen Bildungsstätten des
Ostreichs, besonders in Athen, Antiochia, Konstantinopel stand sie im
Vordergrund des litterarischen Interesses. Die Lehrer derselben hielten
teils in geräumigen Hörsälen vor einem aus Erwachsenen und Jünglingen
zusammengesetzten Publikum ihre schöngeistigen Vorträge, teils übernahmen
sie die Aufgabe bei festlichen Anlässen die Tugenden und Thaten der Kaiser
und ihrer Statthalter in pathetischen, von Schmeichelei überfliessenden
Reden zu preisen. Zu ihren Hörsälen drängte sich alles, was dereinst eine
Rolle im Staate oder bei den Gerichten zu spielen gedachte; auch berühmte
Kirchenväter, wie Basileios und Gregorios, haben in ihrer Jugend zu den
Füssen angesehener Rhetoren gesessen. Die Hauptvertreter dieser Nach-
blüte der Sophistik, die erst nach dem Tode des Theodosios unter den
fanatischen Kämpfen theologischer Sekten und der einsichtslosen Schwäche
der Kaiser ihrem gänzlichen Verfall entgegenging, waren Libanios, Himerios,
Themistios, Julian. 2) Geschichtschreiber derselben war Eunapios, der zu
Beginn des 5. Jahrhunderts, um 405, die Bioi (fiXoaöqjcoj' xal ao(fiaiwv
verfasste, welche uns noch erhalten sind und einen interessanten Einblick
in das eitle Getriebe der damaligen Schulhäupter gewähren.
Eimajni Vitae sophistarum reo. Boissonade, Amstelod. 1822, 2 vol.; iterum ed.
Boissonade, Paris bei Uidot 1849, wonach wir eitleren. — Über seine Geschichte s. § 536.
542. Libanios (314— 393) 3) entstammte einer angesehenen und
reichen Familie Antiochia's, der damaligen Hauptstadt Syriens. Da er
bereits in dem Alter von 11 Jahren seinen Vater verlor, so leitete seine
Erziehung die um ihre Kinder überzärtlich besorgte Mutter. Zum Lehrer
hatte der schwächliche Jüngling, den früh seine Natur zur Rhetorik zog,
den Zenobios, einen gefeierten Rhetor seiner Vaterstadt, dem er selbst
später die Leichenrede hielt. Zur Vollendung seiner Ausbildung besuchte
er dann 4 Jahre lang die hohe Schule von Athen, wo er bei Diophantos
als Schüler sich einschreiben Hess, ohne deshalb sich an diesen oder ein
anderes Schulhaupt Athens enger anzuschliessen. Eine eigene Schule er-
öffnete er zuerst in Konstantinopel, wo er gleich anfangs noch einmal
^) Aus den letzten Jahrzehnten vor Kon-
stantin werden uns genannt die Sophisten
Genethlios aus Paträ, Paulos aus Ägypten,
Andre machos aus Neapolis in Palästina;
vgl. Westermann, Gesch. d. Bereds. I, § 96
u. 97. Nur von Kallinikos aus Petra in
Palästina (über ihn ein Artikel des Suidas)
hat sich ein Fragment erhalten Ex tmv sig
xä ndxQia ^Pi6^f]g, gedruckt bei Orelli, Phi-
lonis lib. de sept. spect., Lips. 1816.
2) Von Eunapios werden noch erwähnt:
Aidesios, Maximos, Priskos, Julianos
aus Kappadokien, Prohairesios aus Cäsarea
(276—368), Epiphanios, Diophantos, So-
polis, Apsines aus Lakedämon, Orei-
basios, Chrysanthios u. a. Schüler des,
Aidesios war Eusebios aus Mindos, von]
dem uns Stobaios viele schöne Sprüche (zu-
sammengestellt von Mullach, FPG. III, 7
bis 10) erhalten hat.
'^) Artikel des Suidas; Selbstbiographie
des Libanios, Uyog tisql xrjg eavxov xv/t]g.
Eunapios Vit. soph. p. 495 ed. Did. —
G. R. Sievers, Das Leben des Libanius, Berl.
1868.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, b) Sophistik. (§541-542.) 609
so viele Schüler fand, als man ihm in Aussicht gestellt hatte. Aber in-
folge der Intriguen seiner Neider war seines Aufenthaltes in der Hauptstadt
des Reiches nicht lange und verpflanzte er bereits im Jahre 344 seine
Schule nach Nikomedia, der aufblühenden, durch Schönheit und gesunde Lage
ausgezeichneten Stadt an der Propontis, in der er hochgeehrt die 5 schönsten
Jahre seines Lebens verbrachte.') Nachdem er nochmals auf kurze Zeit
nach Konstantinopel zurückgekehrt war und einen Ruf nach Athen aus-
geschlagen hatte, siedelte er 354 definitiv nach seiner Vaterstadt Antiochia
über, wo er bis zum Ende seines Lebens blieb. Auch hier wirkte er bis
in sein hohes Greisenalter hinein als vielbesuchter Lehrer der Beredsamkeit.
Aber auf die Schulstube beschränkte sich damals ein angesehener Rhetor
nicht und am wenigsten der ehrgeizige, unruhige Libanios. In besonderem
Ansehen stand er bei dem Kaiser Julian, der ihm die Würde eines Quae-
storius verlieh und durch dessen jähen Tod er tief niedergebeugt wurde.
Aber wiewohl er mit Julian seine Hoffnungen zu Grabe getragen sah und
seinem Schmerz in der Monodie auf den gefallenen Kaiser in leidenschaft-
licher Weise Ausdruck gab, so wusste er sich doch auch bei den nach-
folgenden Kaisern Valens und Theodosios Einfluss zu verschaffen und unter-
hielt namentlich mit den Statthaltern von Antiochia und den anderen kaiser-
lichen Würdeträgern der Provinz regsten persönlichen und brieflichen
Verkehr. Die Zeit, wo die politischen Kämpfe in der Öffentlichkeit auf
dem Marktplatze sich abspielten, war längst entschwunden; an die Stelle
der Freiheit und der Rednerbühne war die Kanzlei und die Selbstherrlich-
keit der Kaiser und ihrer Beamten getreten. An sie drängte sich alles
heran, was Macht und Einfluss suchte; für das Spiel der Schmeichelei und
Intrigue, das sich hier entspann, war die Rhetorik die beste Waffe. Sie
hat Libanios in zahlreichen Reden und Briefen erfolgreich wie kein zweiter
gehandhabt, so dass er wie die grossen Rhetoren des alten Athen nicht
bloss als Lehrer der Beredsamkeit thätig war, sondern auch praktisch seine
Kunst, nur in anderer Weise wie jene übte.
Seiner ganzen Bildung nach war Libanios Hellene; er hatte die atti-
schen Redner, besonders Demosthenes und von den Späteren Aristides^)
fleissig von Jugend auf studiert, war auch, wenngleich nur in beschränktem
Masse, in den klassischen Dichtern und Philosophen belesen,^) und schrieb
ein gutes Griechisch, was wohl in mannigfachen rhetorischen Farben spielt,
aber sich von Schwulst und überladenem Prunk fern hält. Dem römischen
Wesen war er entschieden abgeneigt und riet mit Nachdruck denen ab, die
nach Rom ziehen wollten, um dort ihre Studien zu machen. Der lateini-
schen Sprache war er so wenig mächtig, dass er eines Dolmetschers be-
durfte, wenn er einen lateinischen Brief erhielt.') In dem engen Gesichts-
^) In or. I p. 38 nennt er seinen Auf-
enthalt in Nikomedia rov navxdg öV ßeßlcoxa
XQÖvov tf(Q rj ciy&og.
'^) In der Rede für die Tänzer t. II p.
475 sagt er von Aristides: to yuQ ijytxa äv
noiio h'tyovc;, rvHv i/i^vov t/£a\9c(i ' Jqigxe'l^ov
xcd neiQäaxha Tovg ifiovg dcpo^oiovv eig oaov
oiov TS roTg ixeit'ov . . arj^usToy oifzcci ttccu-
^) Die Autoren, auf die er Bezug nimmt,
sind aufgezählt von Förstek. Rh. M. 32,
8G ff.
4) Siehe ep. 923. 956. 1241 ; in dem
zweiten der genannten Briefe verübelt er es
seinem Freunde Postumianus, dass er die
Sprache der Hellenen meide, durch die er
doch seine Seele mit Homer und Demosthenes
f^eyexfeg rov ruit^ ux^tixiv ijysTaO^ai roV ()7Jtoq((. \ erfüllt luibo. Ähnlich standen die Verhält-
670
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur,
kreis der Rhetorik aufgewachsen, hielt er alles auf Rede und Stil und
drang nirgends tiefer in das Wesen der Dinge ein. Den neuen Ideen des
Christentums blieb er fremd und schwankte auch in jenen Zeiten des
Glaubenswechsels nicht in seiner Anhänglichkeit an die alten Götter
Griechenlands. Gerade darum war der Kaiser Julian sein Ideal und
schmerzte es ihn tief, dass mehrere seiner Schüler und so auch der be-
gabteste, loannes Chrysostomos, sich dem Christentum zuwandten. Man
erzählte sich die Anekdote, dass er dem Tode nahe auf die Frage, wem
er seine Schule hinterlassen wolle, geantwortet habe: dem Chrysostomos,
wenn diesen nicht die Christen geraubt hätten, i) Von Natur war er
schwächlich und hatte viel über Migräne und in höherem Alter auch über
Podagra zu klagen; doch hatte er immerhin, wie viele derartige Leute, eine
zähe Gesundheit, so dass er es zu einem hohen Alter brachte. Verheiratet
war er in rechtmässiger Ehe nie; 2) von einer Geliebten, mit der er zu-
sammenlebte, hatte er einen Sohn, Kimon, dem er wie einem rechtmässigen
Sprossen sein Vermögen zuzuwenden gedachte, der aber infolge eines Un-
falls schon vor ihm in das Grab sank.
543. Die Schriften des Libanios sind, wenn sie sich auch alle wesent-
lich in einer Richtung bewegen, sehr zahlreich und fanden schon zu Leb-
zeiten des Autors weite Verbreitung. Dafür sorgte der eitle Rhetor selbst,
indem er einen Schwärm von Abschreibern in seinen Sold nahm. Auch
haben sich die meisten seiner publizierten Werke durch das Mittelalter
hindurch erhalten. Aus dem Dunkel der Bibliotheken ans Licht gezogen
und durch den Druck veröffentlicht wurden sie erst allmählich, und noch
steht eine vollständige kritische Gesamtausgabe aus. Von geringstem Wert
sind diejenigen Schriften, welche lediglich der Schule dienten und sich
ganz in dem Rahmen des damaligen rhetorischen Unterrichtes bewegen.
Dazu gehören 47 nqoyviiväaiiaxa^ 36 Sivf/r^iiaia^ 27 rjd^oTToiiai oder Charakter-
skizzen, 33 sxqqäasig oder Beschreibungen von Kunstwerken, 50 ^usX&rcci
oder Deklamationen auf fingierte Themata. Eben dahin gehören auch seine
Lebensbeschreibung des Demosthenes und die Inhaltsangaben (vTcod^i-atio)
der demosthenischen Staatsreden. Dauernden Ruhm aber verdankte er
seinen Reden {Xoyoi), von denen 68 auf uns gekommen sind. Dieselbei
haben mit der Schule im engeren Sinne nichts zu thun und bewegen siel
auf dem realen Boden der Zeitgeschichte. Reden indes im strengen Sinne
des Wortes sind auch sie nicht, wenigstens nicht alle. Mehrere haben nui
die Form von Reden, sind aber den hohen Herrn, an die sie gerichtet sind,
einfach zugeschickt oder direkt durch den Buchhandel unter die Leute ver-
breitet worden. Hervorgehoben zu werden verdienen der Baaihxog, Lob-
rede auf die Kaiser Konstans und Konstantins, gehalten 348 in Nikomedia,
der 'AvTioxtxog, Preisrede auf die Stadt Antiochia, ihre Salubrität und die
nisse in Rom, worüber Döllinger, Akadem.
Vortr. I, 172: Im Anfang des 5. Jahrhunderts
konnte der römische Bischof einmal nie-
manden in Rom mehr finden, der ein grie-
chisches Schreiben hätte abfassen können.
') Sozom. VIII, 2; Cedrenus I, 674 ed.
Bonn.
'^) Echt sophistisch sagt er or. I p. 40
von sich, als er eine reiche Partie aus-
geschlagen hatte: log i/uol ys ovGi]q uvtl
yvvcaxog jijg xi/vrjg.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, b) Sophistik. (§ 543—544.) 671
Humanität ihrer Bewohner (walirscheinlich aus dem Jahre 360), \) 6 Reden
auf den Kaiser Julian, darunter eine zu seiner Bewillkommnung beim Ein-
zug in Antiochia [rvQoacfMvrjTixog), drei auf seinen Tod (fnovoiSfa, sTtirdcfiog,
vTTbQ rfjg 'lovhccvov rij^iMQiag), 5 Reden auf den wilden Aufruhr der An-
tiocheer und die kaiserliche Gnade des Theodosios (387), ferner die Reden
auf den verwahrlosten Zustand der Gefängnisse {tteqI tcov ^saficorcov), über
die schlechten Gehalte der Rhetoren (vtt&q tmv gr^Togan), für die Tänzer
oder Pantomimen {rrgog ^ÄQiarsidrjV imtq tcov oQxrjtrrcov),^^) gegen seine Ver-
kleinerer {rvQog Tovg slg t7]i> naiS&iav avrov ccTtoaxcoipavTag). Fast noch
interessanter als die Reden sind die Briefe des schreibseligen und im Em-
pfehlen, Klagen, Raterteilen unermüdlichen Mannes, die für das Verständnis
des Charakters unseres Rhetors und der ganzen Zeitgeschichte von unschätz-
barem Werte sind. Es sind uns im ganzen 1607 Briefe im griechischen
Original erhalten, neben denen lange Zeit etliche 400 Briefe in lateinischer
Übersetzung einhergingen, die sich aber als Fälschungen eines Humanisten
erwiesen haben. 3) Sie sind an alle möglichen Personen gerichtet, darunter
auch an christliche Bischöfe und Gelehrte. Auf solche Weise hat Libanios
durch seine Thätigkeit als Lehrer, Redner, Schriftsteller und seine unab-
lässigen Bemühungen für das Staatswohl und die Interessen seiner Schüler
und Freunde einen grossen Namen und glänzende Auszeichnungen bei seinen
Zeitgenossen gefunden. Man hat ihn den kleinen Demosthenes^^) genannt;
dem grossen war er freilich nicht zu vergleichen; dazu waren, wie die
Zeiten zu klein, so auch die Männer, die in ihr lebten.
Libanii soph. orationes et declamationes rec. Reiske, AJtenburg 1784 — 97, 4 vol.;
die letzten Bände sind von der Frau Reiske besorgt. — Libanii epistolae ed. J. Ch. Wolf,
Amstelod. 1738. — Zwei unedierte Deklamationen aus cod. Paris. 2998 u. Matrit. gr. 49
herausgegeben von R. Förster in Herrn. 9, 22 ff. u. 11, 218 ff., andere aus Doxopaters
Kommentar zu Hermogenes gezogene Bruchstücke in Mel. Graux p. 629 — 641. Von Förster
erhoffen wir eine den heutigen Anforderungen der Wissenschaft entsprechende Gesamt-
ausgabe.
544. Themistios (um 330 bis um 390)^), Zeitgenosse des Libanios
und ebenso einflussreich in Konstantinopel wie jener in Antiochia, stammte
aus Paphlagonien. Sein Vater Eugenios, von dem uns der Sohn in der
20. Rede ein anziehendes Bild entwirft, verband mit der Pflege des Land-
baues das Studium der Philosophie und der klassischen Litteratur. Er
selbst im väterlichen Hause und in einer Rhetorenschule des Kolcherlandes
sorgfältig erzogen,^) verfasste bereits als junger Mann Paraphrasen aristo-
telischer Werke. Solche Schriften, welche die präzisen Sätze der alten
Denker breit treten und verwässern, sind bei uns, Gott sei Dank, wieder
ausser Kurs gekommen; damals erblickte man in jener Popularisierung der
grossen Philosophen, durch welche der in dunkle Worte verschlossene Geist
') Vgl. PöHLMANN, Die Übervölkerung
der antiken Grossstädte S. 149.
2) Diese Rede wird im cod. Vat. gr. 90
irrtümlich dem Lukian zugeschrieben, wo-
rüber R. Förster, Lihanii vtisq niiv oq^t]-
aiioy oratio, Rostochii 1878.
^) Dieses ist nachgewiesen von R, För-
ster, Franc. Zambeccari und die Briefe des
Libanius, Stuttgart 187().
^) Thomas Magister u. evS^vvrj p. 108,
14; Lexic. Seguer. in Bekker's An. gr. 135,
12; 140, 13; 108, 12; 172, 7; s. Förster,
Rh. M. 32, 87.
^j Suidas u. Gsfxiaztog. Fi. Baret, De
Themistio sophista et apud imperatores
oratore, Par. 1853.
6) Or. XXVIT p. 401 D. Nach der lei-
digen Gew^ohnheit der Rhetoren ist der Name
der Stadt selbst nicht genannt.
672
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
der Meister auch den Nichteingeweihten zugänglich gemacht werden sollte, ^)
eine Hauptaufgabe der Lehrer der Philosophie. Speziell Theniistios zog
durch seine Paraphrasen die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich, so
dass er auf einflussreiche Empfehlungen hin nach der Hauptstadt des Ost-
reiches, nach Konstantinopel, gezogen wurde. 2) Dort trat er als Lehrer
der Beredsamkeit und Philosophie auf, erlangte aber auch bald eine einfluss-
reiche Stellung am Hof. Während 40 Jahren, wie er selbst in einer seiner
spätesten Reden an den Senat ^) sagt, diente er dem Vaterland und den in
rascher Folge sich ablösenden Kaisern Konstantins, Julian, Jovian, Valens,
Theodosius; denn er wollte nicht das Leben eines grübelnden Philosophen
führen, sondern als Familienvater und thätiger Staatsmann die Sätze der
Weisheit in die Praxis des Lebens einführen. So wurde er Senator, Hess
sich vielfach als Gesandter verwenden, bekleidete verschiedene Staatsämter
und ward zuletzt von seinem Hauptgönner, dem Kaiser Theodosius, mit
der höchsten Würde, der eines Stadtpräfekten (384), und mit der Elire
zweier eherner Standbilder ausgezeichnet. Den Neidern, die ihn darob an-
feindeten,^) antwortete er kräftig in mehreren Reden, besonders in der erst
durch Angelo Mai an das Tageslicht gezogenen Rede tt8qI Trjg ag^rig- Gast-
rollen als Rhetor gab er in vielen Städten, namentlich in Nikomedia, An-
tiochia, Rom; aber die Hauptstätte seiner Thätigkeit blieb Konstantinopel.
Hier war er der eigentliche Festredner zur Begrüssung und Verherrlichung
der Kaiser; hier suchte er in Lehre und Rede für die Bildung und Philo-
sophie zu wirken.''^) Wie er seinen Beruf als philosophischer Redner auf-
fasste, hat er am schönsten in der Rede ^oipiarr^g niedergelegt; wie er sich
im Anschluss an Piaton das Ideal eines Kaisers dachte und in Theodosius
verwirklicht fand, hat er nicht ohne einen starken Anflug von Byzantinismus
in den Reden auf Theodosius ausgesprochen. Sein Schlagwort, das er un-
endlich oft wiederholt, ist die (fiXavÜ^QcoTifa, und damit geht Hand in Hand
seine Toleranz in religiösen Dingen, der er besonders in der Begrüssungs-
rede an den Kaiser Jovian Worte leiht. Auch bei den christlichen Würden-
trägern, wie Gregor von Nazianz,^^) fand er glänzende Anerkennung, aber
er lebte doch ganz in den Werken und Anschauungen der grossen Philo-
sophen und Schriftsteller der heidnischen Zeit, besonders des Piaton, Aristo-
teles, Herodot, Thukydides, Homer und Pindar. Aus dem Studium jener
Alten schöpfte er auch die Beredsamkeit und die Eleganz der Sprache, die^
ihm bei Gregor von Nazianz (ep. 140) den ehrenden Beinamen eines ßaoiXtvc
XiyMv eintrug. '') Geschrieben und hinterlassen hat er ausser Paraphrase!
') Or. XXI ir p. 355: sfxcfavllisiv &6 ini-
/stQSi Tov vovv tov 'jQiaxoriXovg xccl e^dysiy
ex Tixiv Qr]}jL(a(t)v, tV olg sxsTvog avTÖv xad^sTQ^s
TS xccl icpQc'c^aro tov fxrj ini^Qouov eivat xoTg
Tiuviünaotv ccjuvTJroig.
2) Or. XXIII p. 356.
3) Or. XXXI p. 426.
^) Palladas in Anth. X[, 292:
^ AvTvyog ovgayirjg vnsQ'^fispog ig noS^ov rjXd^ec,
(iVTvyog uQyvQsrjg, ata/og (<7iSLQiGLov.
'Ho&cc 710T6 XQsiaaiov ' avSig cT' iys'yov noXv
/SIQMV •
dev^^ (<y(<ß}]i}^i, xchü), vvv yuQ civoi xcatßy]g.
^) Auffälligerweise hat ihn Eunapioi
nicht der Aufnahme in die Biographien de:
berühmten Philosophen und Sophisten seine:
Zeit gewürdigt.
6) Siehe den 139. und 140. Brief des
Gregor von Nazianz.
^) Bezüglich dieses Beiwortes vergleiche
Philostr. vit. soph. II, 10 und Lukian, rhet.
praec. 11. Von andern erhielt er den Bei-
namen 0 evcpQadrjg. Allzu überschwenglich
urteilt Angelo Mai, praef. orat. nsgl ((QX^^'-
si persjncue, si copiose, si erudite, si ornate
verha facere, si praeterca nihil habere moh
i
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, b) Sophistik. (§ 545.) 073
zur Physik, Analytik und Psychologie des Aristoteles, sophistische Reden, ^)
von denen Photios cod. 74 noch 36 las, wir noch 34 im Original und 1
(12.) in lateinischer Übersetzung besitzen. Im Mittelalter spielte er als
Vermittler des Aristoteles und der alten Logik eine grosse, über seine
wirklichen Verdienste hinausgehende Rolle.
Themistii orationes ex cod. 3Ieäiolanensi emend. Gu. Dindokf, 1832 mit den Noten
der früheren Herausgeber Petavius (1618) und Harduin (1684) und mit Benützung des
handschriftlichen Apparates von Fr. Jacobs. ~ Zwei Reden tieql ccQSTrjg (nicht im Original
vorhanden) und nsQi cpiliag aus syrischen Übersetzungen publiziert von Sachau, Inedita
Syriaca, Wien 1870. — Themistii jiarnphrases Aristotelis ed. L. Spengel 1866. — Eine
aus dem Hebräischen rückübersetzte Paraphrase zu Arist. met. A in der akademischen
Ausgabe des Aristoteles IV, 798 — 818. — Über das vielleicht auf Themistius fussende ps.
augustinische Buch Catecjoriae decem ex Aristotele excerptae, s. Prantl, Gesch. d. Logik
I, 669 ff. u. 724; über eine in einem Cod. Paris, erhaltene Schrift Themistius de arte dia-
leetica s. Prantl, Michael Psellus u. Petrus Hispanus S. 19.
545. Himerios,2) Sohn des Rhetors Ameinias, war um 315 in der
bithynischen Stadt Prusa geboren, fand aber seine höhere Ausbildung und
den gewünschten Boden für seine sophistische Thätigkeit in Athen. Vom
Kaiser Julian an den Hof nach Konstantinopel berufen, kehrte er nach dem
frühen Tod des Kaisers wieder nach Athen zurück. Ein gewandter Mann
von einnehmenden Formen, wusste er zahlreiche Schüler aus weiter Ferne,
darunter auch Gregor von Nazianz und Basilios d. Gr., an sich zu ziehen
und an seinen Hörsaal, das kleine ^taxQov, wie er ihn selber nannte, zu
fesseln. Nach manchem häuslichen Ungemach, nachdem er selbst seinem
Sohne Rufinus die Klagerede {f.iovo)dia) hatte halten müssen und auch seine
Tochter ins frühe Grab hatte sinken sehen, starb er hochbetagt an der
heiligen Krankheit (386). Himerios hatte keine Stellung im Staat und
spielte keine politische Rolle; er ist der reine Repräsentant der müssigen
Sophistik, der höchstens hin und wieder von der Bürgerschaft zur Begrüs-
sung des neuen Statthalters aufgestellt wurde, im übrigen aber nur die
Aufgabe sich setzte, andere zu einem gleich unfruchtbaren, tändelnden Thun
anzuleiten. So waren denn auch alle seine Reden, die er veröffentlichte und
von denen Photios noch 71 las,-*) uns nur 24 vollständig erhalten sind,
Schulübungen oder Schaudeklamationen. Ein Teil derselben gehörte in
die Gattung der erdichteten oder fingierten Reden, so eine, die er den
Hypereides zu Gunsten des Demosthenes, eine andere, die er den Demo-
sthenes für die Zurückberufung des Aischines, eine dritte, die er einen
Ungenannten gegen den der Gottlosigkeit angeklagten Epikur halten Hess.
Von diesen haben wir nur Kenntnis durch die Auszüge des Photios; er-
halten ist uns der noXsiiaQxixög, der, ähnlich wie der Menexenos des Piaton,
zum Preise der für das Vaterland Gefallenen bestimmt ist und noXeiKXQxtxög
heisst, weil dem Archen polemarchos ursprünglich diese Aufgabe zufiel.
Die meisten aber der erhaltenen Deklamationen sind Gelegenheitsreden, ge-
halten beim Beginn eines neuen Kurses, oder bei der Ankunft eines neuen
Statthalters, oder bei einem Todesfall, oder bei dem Besuche einer Stadt.*)
litiae nee ineptiarum perfeeti generis ora-
torii est, Themistiiim nio in optimorum ora-
torum flore versari.
^) Diese sind bei Ruidns unter JicfXe^etg
gemeint nach einem namentlich oft bei
Himerios vorkommenden Sprachgebrauch.
'') Suidas u. IfttQioc, Kunap. vit. soph.
p. 494 ed. Didot.
^) Photios p. 107 9 und r;5;i - 77 P.okk.
■*) Mehreren lieden ist eine jiQOtf^eMQitc
Handbuch der lilass. Altcrtumswisseuscbalt. VII. 2. Aufl. 4o
674
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
So Hess sich der gern gehörte und gern sprechende Rhetor auf seiner Reise
zu Julian in Thessalonike, Philippi, Konstantinopel anhalten, um im Vorbei-
gehen Lobreden auf die genannten Städte zu halten. Überall entledigte er
sich des Auftrages in gefälliger Weise; denn er war der Hauptrepräsentant
des blumenreichen, süssen und anmutigen Stils. An ihm war ein Dichter
verloren gegangen; da aber in seiner Zeit Gedichte weniger als Reden ge-
liebt wurden, so übertrug er die dichterische, von Metaphern überfliessende
Sprache ^) auf die rednerische Prosa. Zur Dichtung hatte er sich auch
mehr als zur ernsten Beredsamkeit vorgebildet; während er sich in Demo-
sthenes und Thukydides nur wenig belesen zeigt, lässt er überall den vor-
züglichen Kenner der Sappho, des Alkaios, Ibykos, Anakreon, Pindar er-
kennen.-^) Für uns hat dieses hohen Wert, da er teils ganze, inzwischen
verloren gegangene Gedichte der klassischen Periode in Prosa wiedergibt
(or. 14, 10), teils Stellen und Phrasen aus ihnen wörtlich in seine Reden
einflicht, teils neue Reden im Geiste der alten Lyrik verfasst, wie die
Hochzeitsrede auf den Severus (or. 1) und die jubelnde Begrüssung des
Basileios beim Beginne des Lenzes (or. 3).
Himerii quae supersunt rec. Wernsdorf, Gotting. 1790, — Kritische Textausgabe
auf Grund des cod. Roman, von Dübner in der Didot'schen Sammlung, Paris 1849.
546. Julianus Apostata (331 — 363), 3) der bedeutendste Mann der
Zeit, gehörte seiner Bildung und seinen Schriften nach zur Klasse der
Sophisten, war gewissermassen der Sophist auf dem Throne. Seine hohe
Stellung als absoluter Herrscher des mächtigsten Reiches gab natürlich
ihm, ähnlich wie Friedrich dem Grossen in unserer Zeit, eine Bedeutung,
die weit seine Stellung in der Litteraturgeschichte überragt; aber was er
als Kaiser that und anstrebte, hing auf das engste, noch mehr als bei dem
Helden der preussischen und deutschen Geschichte, mit seinem Bildungs-
gang und mit seinen Beziehungen zu den Sophisten und Philosophen seiner
Zeit zusammen. Von Geburt gehörte unser Flavius Claudius Julianus der
herrschenden Kaiserfamilie an; sein Vater war Julius Konstantins, ein Bruder
des Kaisers Konstantin. In sein Kindesalter fiel das furchtbare Gemetzel
(338), durch das nach dem Tode des Kaisers Konstantin sein Vater und
sein Vetter Dalmatius Cäsar nebst zahlreichen Gliedern des kaiserlichen
Hauses auf Anstiften des neuen Kaisers Konstantins hingeschlachtet wurden.
Er selbst und sein Bruder Gallus blieben verschont, aber doch entzog sie
bald darauf ihr kaiserlicher Vetter den Blicken der Welt, indem er siej
auf längere Zeit (340 — 6) nach einem einsamen Schlosse Kappadokiens]
bringen liess.^) In dieser Zeit wurde Julian unter der Aufsicht eines vor-|
vorausgeschickt, in der der Rhetor den An-
lass und die theoretische Teclinik erörtert,
ähnlich wie es Synesios that.
^) noirjXLXT^ wQci von ihm selbst or. T, 2
genannt.
2) Teuber, Quaestiones Himerianae,
Bresl. Diss. 1882.
^) Quellen: ein Artikel des Suidas, der
^Enndfpioq des Libanios, zwei Schmähreden
(or. 2 u. 3) des Gregor von Nazianz, die
betreffenden Abschnitte in dem Goscliichts-
werk des unparteiischen Ammiauus Marcel-
linus. Teuffel, Kaiser Julianus, in Studien!
u. Charakteristiken S. 147 — 177. Keller
BAUER, Kaiser Julians Leben, Jahrb. f. Phil
Suppl. IX,* 183-221. GuiL. Schwarz, 7>«1
vita et scriptis luliani imperatoris, Diss.
Bonn. 1888, mit sorgfältigen fasti.
•*) Dieser Aufenthalt des Julian in Ma-
celli fundo ist nicht erwähnt von Libanios,
wohl aber von Juliau selbst ep. ad Athen,
p. 270 D., 271 D.; siehe darüber Teuffel
S. 148 ff.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, b) Sophistik. (§ 546.) 675
trefflichen Pädagogen, des Eunuchen Mardonios, durch christliche Lehrer
in Grammatik und Rhetorik eingeführt. In Nikomedia, wo wir ihn bald nachher
treffen, vollzog sich in dem Geiste des jungen Prinzen die tiefgehende
Wandlung, welche ihn dem aufgezwungenen Glauben entfremdete und den
alten Göttern Griechenlands zuführte. Von Einfluss auf seine Entscheidung
waren neuplatonische Philosophen i) und der Rhetor Libanios, welch letzterer
damals in Nikomedia lehrte und dessen Vorträge sich Julian, da er die-
selben selbst nicht besuchen durfte, insgeheim nachschreiben Hess. Als
bald darauf sein älterer, zum Cäsar erhobener Bruder Gallus auf un-
erwiesene Verdächtigungen hin von dem Despoten Konstantins ermordet
worden war (354), ward auch er 7 Monate lang eifersüchtig bewacht und
von einem Ort zum andern geschleppt, bis die mitleidsvolle Kaiserin Eusebia
von ihrem Gemahl erwirkte, dass er nach Athen gehen und dort seiner
Herzensneigung folgend den rhetorischen und philosophischen Studien ob-
liegen durfte. Aber nach kurzer Zeit wurde er wieder den Musen ent-
rissen, indem er an den kaiserlichen Hof nach Mailand gerufen und bald
nachher als Cäsar nach Gallien geschickt wurde (356). Hier zeigte sich
bald, dass der junge Mann über den philosophischen Studien nicht die
Thatkraft des Mannes und die praktische Tüchtigkeit eingebüsst hatte: in
glücklichen Feldzügen warf er die über den Rhein vorgedrungenen Horden
der Barbaren zurück und brachte der schwer heimgesuchten Provinz die
Segnungen einer geordneten und gerechten Verwaltung zurück. Aber je
glänzender sein Stern zu leuchten begann, desto mehr steigerte sich die
Scheelsucht und der Argwohn seines kaiserlichen Vetters, der ihm unter
dem Vorwand eines Krieges gegen die Perser die besten Truppen entzog.
Da steigerte sich der Unmut der Soldaten zur offenen Empörung, sie
weigerten sich, ihren geliebten Feldherrn Julian zu verlassen und riefen
ihn zum Augustus aus (Mai 360). Julian, anfangs zögernd, entschloss sich
schliesslich aus Furcht vor dem Lose seines Bruders Gallus dem Konstantins
den Gehorsam zu kündigen und denselben mit Krieg zu überziehen. Dieser
starb, noch ehe es zum entscheidenden Kampfe kam, in Kilikien auf dem
Wege von Edessa zum Occident, und Julian ward so alleiniger Herr des
ganzen Reiches. Nunmehr suchte er in seiner kurzen Regierung — denn
schon Ende Juni 363 fiel er im Kriege gegen die Perser, ungewiss ob von
Feindes oder Meuchlers Hand, im 32. Jahre seines Lebens — in den Jahren
361 — 363 also suchte er mit dem Hochdruck der kaiserlichen Gewalt seine
philosophischen und religiösen Ideen zur Geltung zu bringen. Er hatte auf
der einen Seite im persönlichen Gedankenaustausch mit den gebildetsten
Philosophen und Sophisten seiner Zeit und im geistigen Verkehr mit Homer,
Piaton und Aristoteles die Herrlichkeiten des freien, altgriechischen Geistes
kennen gelernt; er hatte auf der anderen Seite in seiner Jugend nur allzu
bitter erfahren, wie am kaiserlichen Hofe hinter der Maske christlicher
Religiosität sich Heuchelei, Grausamkeit, Gemeinheit der Gesinnung verbarg.
i So betrachtete er es denn als seine Lebensau Tuabe, den Hellenismus und
') Unter diesen spielten Aidesios und 1 beschwöningen und Mysterien einweihten;
Maxinuis eine Rolle, indem sie den jungen | s. Kfllerbauer, S. 187 IT".
Julian in die lieheininisvolle Welt der (Jleister- I
ts
43
o *
676
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
den alten Glauben wieder zurückzuführen, nicht zwar mit roher Gewalt,
aber doch mit entschiedener Begünstigung der Hellenisten, indem er gleich
bei seiner Thronbesteigung für alle diejenigen, welche wegen ihres Glaubens
unter den vorausgegangenen Regierungen verbannt worden waren, eine
allgemeine Amnestie erliess und die Christen, welche er selbst mit dem
Namen Hebräer zu bezeichnen pflegte, von den Ehrenämtern am Hof und
von den Lehrstühlen der Rhetorik und Philosophie ausschloss. Riefen ihm
deshalb die Verehrer des Hellenismus und der Philanthropie lauten Beifall
zu, so Hess es die Gegenpartei nicht an Anfeindungen aller Art fehlen.
Lange schwankte so bei Mit- und Nachwelt das Bild des merkwürdigen
Mannes, von der Parteien Gunst und Hass verzerrt, bis in unserer Zeit
eine unbefangenere Würdigung anerkannte, dass derselbe wohl an Adel
der Gesinnung und heroischem Mute den grössten Herrschern des römischen
Reiches zuzuzählen sei, dass er aber doch der vollen Unbefangenheit des
Geistes entbehrte und seine Kraft an ein aussichtsloses Unternehmen setzte.
547. Zur schriftstellerischen Thätigkeit fand Julian in seinem kurzen
Leben und bei seiner rastlosen praktischen Thätigkeit nicht viel Müsse;
doch übte er schon in seiner Jugend die Kunst der Rede, stand mit Philo-
sophen und Freunden in lebhaftem Briefverkehr und wusste bei seiner
raschen Konzeptionsfähigkeit auch kurze Mussezeit zu bedeutenden Arbeiten
auszunützen.') Nicht alles, was er schrieb, ist auf uns gekommen: sein
Werk gegen die Christen hat die nachfolgende Zeit unterdrückt; viele Briefe,
welche der Kirchenhistoriker Sozomenos noch las, fehlen in unserer Samm-
lung, und auch die erhaltenen Schriften sind durch viele Lücken verstüm-
melt. 2) Voran stehen in unseren Handschriften und Ausgaben acht Reden,
nämlich 3 konventionelle Lobreden auf Konstantins und Basileia, 2 theo-
sophische Deklamationen auf Helios und die Göttermutter im Geiste des
Neuplatonismus, 2 Streitschriften gegen die Verkehrtheiten der jüngeren
Kyniker, und 1 an sich selbst gerichtete Trostrede bei der Trennung von
seinem Freunde Salustius. Die Lobreden auf Konstantins sind nicht frei
von unwahrer Schönfärberei; wie er wirklich über jenen Despoten dachte,
enthüllt er in dem interessanten Manifest an seine geliebten Athener, woi in
er den Schritt offener Auflehnung gegen den Kaiser zu rechtfertigen suchte.
Bedeutender als seine Reden ist seine witzige, im Geist der römischen
Satire ^) geschriebene Schrift ^v/nTToaioi' rj Kgöria, von ihrem Hauptinhalt
auch KaiaaQ8g benannt, in welcher zu einem an den Saturnalien im Himmel
veranstalteten Gastmahl die vergötterten Kaiser erscheinen und den Gegen-
') Wie rasch er arbeitete, bezeugt er
selbst in der 4. Rede p. 204, 4: ravrd aoi
. . . EV tqigI ^(iharcc rv^ly log oloy re r]v
inEX&oyia juot rrj luy^j/ur} y.al yQaipai TiQog
GS eT6X^uf]ffcc.
'-) Suidas in dem wirren Artikel über
Julian erwähnt eines rätselhaften Buches
neQl Xiov jQiMP Gxt]^(cTii}p, Lydus de mag.
I, 47 M7j/c(yix((, Julian selbst in den Briefen
Kommentare über die Kriege mit den Ala-
mannen.
^) Verwandt ist insbesondere des Seueca
Satire anoxoXoxvvTMGig. Verschieden von denii
erhaltenen Buche Iv^noaiov rj Kqopkc müssen
die KQoi'ia gewesen sein, welche er Or. 8
p. 204, 7 erwähnt und aus denen uns Suidas
s. V. 'EfiTisdoTifiog eine Stelle erhalten hat. —
Mit den Kqopicc haben die Saturnalia des
Macrobius nur den Titel und die Voraus-
setzung geschäftsfreier Ferien an den 3 Sa-
turnustagen des December gemeinsam ; die-
selben sind ohne Beziehung auf die Schrift
unseres Julian erst später, geraume Zeit nach
385, abgefasst.
S
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, b) Sophistik. (§ 547.) 677
stand einer witzigen, an bitteren Bemerkungen und Anspielungen reichen
Darstellung abgeben. An die griechischen lambographen knüpft Julian in
dem Miaonoyywv an, in welchem er sich selbst, den von den undankbaren An-
tiocheern wegen seines Philosophenbartes {noiyMv) verspotteten Kaiser, an-
klagt und dabei allerlei interessante Dinge von seinem Wesen und seiner
Jugendgeschichte erzählt. Eingeflochten ist in die Rede auch eine an-
ziehende Schilderung der Hauptstadt Galliens, in der man schon in nuce
das heutige lebenslustige und vergnügungssüchtige Paris vor sich zu haben
vermeint.
Die wichtigste Stelle unter den erhaltenen Werken unseres Kaisers
nehmen die Briefe ein. Darunter sind drei, welche in Briefform allgemeine
Fragen behandeln, nämlich das oben schon erwähnte Manifest an die Athener,
ein Brief an den Philosophen Themistios, in welchem der Kaiser die Be-
sorgnis ausspricht, ob er den in ihn als Regenten gesetzten Erwartungen
auch entsprechen könne, und ein Schreiben an einen Unbekannten, das sich
in starken Ausfällen gegen die Christen ergeht. Die übrige Sammlung von
im ganzen 84 Briefen umfasst auch die kaiserlichen Breven ^) und Erlasse,
enthält aber auch mehrere unechte Stücke.'^) Im allgemeinen lernt man
aus den Briefen recht den hochherzigen, von wärmster Begeisterung für
das Hohe und Edle erfüllten Geist des Kaisers kennen. Herrliche Denk-
male seiner schwärmerischen Hingabe für Freunde und Lehrer sind nament-
lich seine Briefe an Maximus (ep. 15), Eugenios (ep. 18), Priscus (ep. 71),
Libanios (ep. 3, 44, 74). Für seine Anschauungen über religiöse Toleranz
und seine Stellung zu den Christen und Juden sind besonders wichtig die
Briefe 25, 51, 52.
Nicht mehr erhalten sind die 3 Bücher gegen die Christen, welche
er auf dem Feldzuge gegen die Perser schrieb, wie einst Julius Cäsar auf
seinem Zug über die Alpen die Bücher de analogia Unguae latinae ge-
schrieben hatte. Wir kennen den Gedankengang der Schrift aus der Ent-
gegnung, welche 60 Jahre später (429) der Bischof Kyrillos verfasste. Da
aber von den 30 Büchern der Gegenschrift nur die 10 ersten auf uns ge-
kommen sind, so werden uns nur aus dem 1. Buch der kaiserlichen Schrift
die betreffenden Sätze, meist in wörtlicher Anführung, mitgeteilt. Man
sieht aus denselben, dass der Kaiser ausser den Werken der griechischen
Philosophen auch die Schriften des alten und neuen Testamentes mit kriti-
schem Urteil studiert hatte, so dass er z. B. eine exakte Gegenüberstellung
der Schöpfungsgeschichte des Pentateuch und der Physik des platonischen
Timaios zu liefern vermochte. So sehr uns indes auch der klare Blick
des Verfassers, sein begeistertes Lob der Erfindungen des hellenischen
>| Geistes, die scharfe Verdammung der christlichen Unduldsamkeit für den
') Das lateinische hrevc ist bekanntlich
(las Original für unser deutsches Brief.
-) Gleich der 1. Brief gehört, wie Her-
( HER im Hermes I, 474 erkannte, nicht dem
Julian, sondern Prokop aus Gaza an. Sicher
unecht und von einem christlichen Fälscher
herrührend ist der Brief des Gallus an seinen
Bruder, und der in leerer Prahlerei geschrie-
bene 75, Brief. Als unecht erweist W. Schwarz
a. 0. 23 ff. auch die an lamblichos gerich-
teten Briefe. Zu weit geht in der Anzwei-
felung der Herausgeber Heyler; s. Teüffel
1, 1()2 ff.. Fr. Cümont, Sur Vauthcncite de
quelques lettres de lulien, Gand 1889. Über
die chronologische Reihenfolge der Briefe
s. Naber, Mnem. XI, 387 ff.
678
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Verfechter des Hellenentums einnehmen, so fehlen doch auch diesem Werke
nicht die schwachen Seiten : man kann gegen die Wunder der christlichen
Legende nicht erfolgreich polemisieren, wenn man sich selbst zum Glauben
an die Wahrheit der heidnischen Vorbedeutungen und Wahrsagungen be-
kennt. Auch ein paar poetische Kleinigkeiten des Julian haben sich bis
auf unsere Zeit gerettet, darunter ein witziges Epigramm auf den Bock
oder den keltischen Gerstensaft.
Codices: Der beste ist der Vossianus 77, wovon eine Nachlese gibt Cobet, Mnem.
X u. XI. — Juliani quae supersunt cum notis Petavii (1630) rec. Spanhemius, Lips. 1696;
rec. Hertlein in Bibl. Teubn. 1876 mit kritischem Apparat. — Juliani lihrorum contra
Christianos quae supersunt rec. C. J. Neumann, Lips. 1880; dazu kritische Nachlesen von
GoLLWiTZER, in Acta sem. Erlang. IV, 357-94. — Juliani epistolae ed. Heyler, Mogunt.
1828. — Sechs neue Briefe aus dem Kloster Chalke bei Konstantinopel teilt Papadopulos,
im Rh. M. 42, 15 ff. mit; die Echtheit der 3 ersten bezweifelt W. Schwarz de vita et
scriptis Juliani p 30.
548. Chorikios von Gaza aus der Zeit des Kaisers Anastasios ist
Verfasser mehrerer Deklamationen und Beschreibungen, die durch Zufall
sich bis auf unsere Zeit erhalten haben. Ist auch ihr innerer Wert gering,
so lassen sie uns doch ihren Verfasser als einen gutunterrichteten Litteraten
erkennen. 1) — Lehrer des Chorikios war der Sophist Prokopios, verschieden
von dem berühmten Historiker der Zeiten Justinians. Derselbe wird als Ver-
fasser von Reden und Metaphrasen Homers hoch gepriesen (s. Photios, bibl.
cod. 160), doch hat sich von ihm nichts erhalten. — Auf uns gekommen
sind aus jener Zeit noch einige unbedeutende Schulübungen der Rhetoren
Adrian OS und Severus^) Denn die skizzenhaften Aufsätze {^leXbrai)
des Adrianos entbehren zu sehr des Glanzes der rhetorischen Phrase, als
dass man sie mit Walz, dem neuesten Herausgeber derselben, dem be-
rühmten Sophisten Adrianos aus der Zeit des Kaisers Marcus Antoninus
zuschreiben dürfte. Noch weniger haben dieselben mit dem Kaiser Hadrian
etwas zu thun, wie der Patriarch Photios angenommen zu haben scheint;^)
vielmehr werden sie von demselben Adrianos herrühren, von dem Photios,
Bibl. cod. 2 eine Einführung in die heilige Schrift [elaaywyi] rijg yQacfrjg)
verzeichnet. '^)
Choricii Gaz »ei orationes declamationes fragmenta cur. Boissonade, Paris 1846.
Nachträge lieferten Graux, Revue de phil. 1877, und R. Förster, Mel. Graux 639 41,
Herrn. 17, 208 ff. Zur Würdigung des Mannes vgl. Sathas, Joxifj.iov tieqI tov r'hsÜTQOv y.al
irjg fxovoiXfjg xmv BvCctprcyioy, p. 339 ff. — \4^Qiavov tov QTJroQog fieXstca und I^eviJQov
dirjytjfxccra xcd rjS^onouca in Walz, Rhet. gr. t. I p. 526 — 48.
549. Rhetorika. Auch in unserer Periode ging den litterarischen
Werken der Sophistik, den Reden, Briefen, Romanen, die Theorie der Bered-
^) Malchin, De Choricii Gazaei veterum
graecorum scriptorum studiis, Kiel 1884.
2) Suidas s. v. leßrjgog u. Damaskios
bei Fliot. bibl. cod. 242, wo es p. 340'^ 4
von diesem Rhetor Severus heisst: yiofxcdog
rjv ovTog xal ^ Av&ef^iov (gest. 471) naQaa-
)(6vTog ^Xnidag wg t) 'Pwy.rj nsffovaa näXiv
dt' ccvrov uvcioirjaETca, inl Piöfx^^p, rca'ztjg
TiQociva/iüQriaag, enaufjxs xcd rifxtjg vnccTixrjg
^) Phot. Bibl. cod. 100: ui'syvwa^i]
^J^Qicivov TOV ßaatXeMg /ueXirai dtdcpoQoi,
Big To y.erQiov tov Xoyov dvrjyfievca xcd
ovx cxijdsTg. Wahrscheinlich waren das die-
selben jueXsTai, die uns noch vorliegen, nur
scheint Photios noch ein vollständigeres
Exemplar gehabt zu haben; das unsere ist
offenbar am Schluss verstümmelt.
^) Diese Isagoge aus 2 Augsburgern,
jetzt in München befindlichen Handschr. (cod.
Mon. 107 u. 477) herausgegeben von Höschel,
Augsb, 1604, ^wiederholt in Migue's Patrol.
gr. t. 98. Über neue Hilfsmittel und die
Mängel des Textes s. Schlüren, Jhrb. f. pro
test. Theologie 13 (1887), 136-59.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, c) Der Roman. (§548—550.) 679
sanikeit zur Seite. Libanios und Themistios waren zugleich Lehrer der Rhetorik
und gaben sich mit Erklärung der alten Redner und Verfertigung rhetorischer
Kompendien ab. Einen besonderen Namen erwarb sich gegen Ende des
Altertums Lachares, der um 450 in Konstantinopel die Rhetorik lehrte.')
Er war Verfasser eines gepriesenen, aber v/esentlich auf Dionj^sios und
Hermogenes fussenden Werkes ttsqI xmXov xal xofji/jiaToq xal ttsqioSov. Von
demselben ist uns ein Auszug erhalten, den im 10. Jahrhundert zur Zeit
des Kaisers Leo des Weisen ein unbekannter Schulmann verfertigte. Bis
in neuester Zeit lief dieser Auszug unter dem stolzen Namen des Rhetors
Kastor, den wir oben § 367 als Zeitgenossen Ciceros kennen gelernt haben.
Jetzt ist es durch L. Cohn erwiesen, dass der Name eine Fälschung ist und
dass derselbe erst im 16. Jahrhundert von dem unverschämten Fälscher
Konstantinos Palaiokappa dem Cod. Paris. 2929 vorgesetzt wurde. ''^)
Erste Ausgabe von Walz, Rhet. gr. III, 712—23; berichtigte von Studemund, Pseudo-
Castoris excerpta rhetorica, Vratisl. 1888.
c. Der Roman. =^)
550. Auf dem Boden der Sophistik ist auch der Roman entstanden;
die Romane selbst hiessen Xoyoi sqmtixoi, und die Romanschriftsteller hatten
neben dem speziellen Namen sqixnixoi auch den allgemeinen QrjTOQsg oder
ao(fiata(. Die Sophistik repräsentierte eben die Kunst der poetischen Prosa,
und der Roman wollte mit seiner freien Erfindung und seiner gezierten
Sprache Ersatz für die verschlungenen Liebesabenteuer der erotischen Elegie
und der neuen Komödie bieten. Nachdem einmal das poetische Liebesspiel
des Dramas von der Bühne so gut wie ganz verschwunden war und die
Freunde des Menander und Diphilos deren Stücke nur noch aus Büchern
kennen lernten, war es den Dichtern nahe gelegt den Dialog und die Cantica
ganz aufzugeben und eine Form zu suchen, die sich besser zur einfachen
Lektüre eignete; das war aber die des Romans oder der poetischen Er-
zählung. Dass dabei auch die metrische Einkleidung der Rede geopfert
wurde, darf uns nicht befremden; ward doch in der Zeit der Sophistik nur
auf den rhythmischen Tonfall der prosaischen Rede Wert gelegt, so dass
der Sophist Himerios selbst Epithalamien in Prosa schrieb. Aber ganz und
gar eignete sich der Roman von der Poesie und speziell von der neuen
Komödie die schöpferische Freiheit der Erfindung an, die sich noch mehr
wie im Drama der Fesseln der Wirklichkeit und Überlieferung entschlug
und an dem Wunderglauben der Zeitgenossen, den fabelhaften Berichten
aus fernen Ländern und dem launenhaften Walten der Göttin Fortuna
reiche Nahrung fand.^) Mehr aber noch als von den Schöpfungen der poe-
tischen Muse galt von den Romanen der Satz, dass sie lediglich zur Unter-
haltung geschaffen waren, •'^) weshalb schon der Kaiser Julian der kräftigen
') Suidas unter Ja/ÜQtjg, Photios, Bibl.
p. 341 Bekk., Marinos, vit. Procl. c. 11.
2) L. Cohn in Philol. Abhandl. zu Ehren
von M. Hertz S. 125 f.
•') Chassang, Histoire du roman dans
Vantiquite^ Paris 1862; NicolaI; Entstehung
u. Wesen des griech. Romans, Berl. 18(j7;
RoHDE, Der griechische Roman und seine
Vorläufer, Leipz. 1870, Hauptwerk.
^) In der gleichen Atmosphäre entstanden
die Wundergeschichten der christlichen Hei-
ligen, von denen unten; beachtenswert ist
es, dass geradezu 2 Romane späteren christ-
lichen Bischöfen zugeschrieben wurden.
') Lucian, Wahre Geschichten 1, 1: ro?q
71€qI rovg Xoyovg eoTiov^axöoir rjyovfxai tjqoo-
ijxeit^ ^8TCi zrjv noXXrjv tvju anovdaioTeQwr
upuyvMOiy uviivca irjv ^lüvoiav . . . yiroiio
680
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Nahrung wirklicher Geschichtserzählung vor der leichten Ware dieser
phantasieerhitzenden Erdichtungen den Vorzug gab. ^)
551. Als Vorläufer des Romans können die milesischen Fabeln {Mi-
Xrjaiaxcc) des Aristides von Milet und die Erzählungen erotischer Lebens-
schicksale {sQonixd Tra^rj/nara) des Parthenios angesehen werden. Die
ersteren, die sich einer seltenen Beliebtheit erfreuten, sind uns leider ver-
loren gegangen, doch kann uns von ihrem Ton die hübsche Erzählung in
Petronius Arbiter c. 111 eine gute Vorstellung geben ;^) in der Grazie der
Erzählung und in der schlüpfrigen Anzüglichkeit ihres Inhaltes vergleichen
sie sich den altfranzösischen fabliaux und den Novellen Boccaccios. 3) Die
iQMTixd Tta&i]}.iaTa des Parthenios, die wir noch besitzen, sind aus Histo-
rikern und Dichtern in Exzerptenform zum Zwecke dichterischer Anleitung
zusammengetragen und vom Verfasser seinem Freunde, dem römischen
Elegiker Cornelius Gallus, gewidmet.*) Nach dem Verlust der Originale,
aus denen das Büchlein gezogen ist, hat dasselbe für uns grossen Wert,
der noch dadurch erhöht wird, dass die Quellen der einzelnen Erzählungen,
wenn auch nach Herchers Nachweis*'') erst von fremder Hand angemerkt
sind.^) Es sind aber dieselben teils aus den Tragikern, teils aus alexan-
drinischen Elegikern, teils aus den Lokalhistorikern namentlich von Lesbos,
Milet, Naxos entnommen.
Unter den eigentlichen Romanschriftstellern sind die ältesten, von
dem schon oben § 488 besprochenen Lukios von Paträ abgesehen, Antonios
Diogenes, lamblichos und Xenophon.
Antonios Diogenes wird von Rohde, Griech. Rom. 258, ins 1. Jahr-
hundert gesetzt; sicher lebte derselbe vor Lukian, der ihn in den wahren
Geschichten und im Ikaromenippos parodierte. Von seinem 24 Bücher
füllenden Roman über die Wunderdinge jenseit Thule's {tmv vntQ Oovhjv
dniatwv Xoyoi xS') sind uns ausser dem Auszug des Patriarchen Photios,
noch grössere Stücke in dem Leben des Pythagoras von Porphyrios er-j
halten. Die Einkleidung der Erzählung war eine ähnliche wie in des
Diktys Cretensis Tagebüchern vom trojanischen Krieg.'') Wie diese, inj
einer Bleikapsel geborgen, zur Zeit des Nero bei einem Erdbeben wieder!
zum Vorschein gekommen sein sollten, so erzählt Antonios Diogenes seinen]
Lesern, dass der Hauptheld seines Romans, Dinias, seine Erlebnisse aui
2 Tafeln von Zypressenholz geschrieben habe, die dann bei der Eroberung'
tf' «V ifXjLie'Aeg rj audnavaiq txvroTg, sl roTg
ToiovToig rvüv dvayvioG fitii lov ofxilolsv, cc firj
fjLovov EX rov dors'iov re xcd /ccQiei'Tog ifjiXijy
nciQE^ei Trjv xpvj^ayioyiap, dXkd Tfcj'« xal
x^scDQLap orx djuovaoy imdsi^siKL.
^) Julian I, 386 H. : tiqetiol (f' «V /jfxTy
IffTOQiccig Evxvy^dpEiv, onöam avvsyQdcpipav
snl 7iB7ioir]fxivoig roTg e^yoig, oaa de iany fV
laTOQiccg eidei nagd roTg e^ttqogS^sv dntjyyEX-
^Eva nldafxcaa, nciQcarrjXEov, EQConxdg vno-
i^EffEig xcd ndvTci dn^Mg rd roiccvra.
2) Aus den milesischen Erzählungen
scheint auch die Erzählung bei Aelian fr, 12
zu stammen. Die lateinische Übersetzung
des Sisenna ist gleich dem Original verloren
gegangen. ,, "i
^) P]rw. Rohde, Über griechische No-
vellendichtung und ihren Zusammenhang mitj
dem Orient, Vhdl. d. 30. Vers. d. Phil. S,
55-70.
4) Siehe § 327.
5) Hekchek, Herm. 12, 306 flF.
^) Siehe § 523 über ein ähnliches Ver-
hältnis bei Antoninus Liberalis.
'') Nach Suidas hatten diese 'Ecf?;uEQi<^sg
9 Bücher, von denen sich nur die lateinische
Bearbeitung des Septimius de hello Troiano
aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts er-
halten hat.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, c) Der Roman. (§551—552.) 681
von Tynis durch Alexander in der Grabkammer des Dinias wieder zum
Vorschein gekommen seien, i) Jene Erlebnisse aber drehen sich um die
Liebe des Arkadiers Dinias zur schönen Derkyllis, der Tochter eines vor-
nehmen Tyriers, die derselbe in dem äussersten Thule kennen gelernt hatte.
Unter den Nebenpersonen spielt Astraios, ein Schüler des Pythagoras, eine
Rolle; in die Liebesabenteuer sind mancherlei phantastische Berichte von
Reisen zu den äussersten Erdwinkeln, ja bis zum Hades und bis zum Mond
eingeflochten.
lamblichos von syrischer Herkunft schrieb unter Lucius Verus
BaßvXaniccxd in 35 Büchern. Dieselben enthielten die wunderbaren Ge-
schicke des Liebespaares Sinonis und Rhodanes, das verfolgt von dem
Könige Babylons, der sich in die schöne Sinonis verliebt hatte, aus einem
Abenteuer in das andere gestürzt wurde; erhalten ist uns nur ein trockener
Auszug der ersten 16 Bücher durch Photios.
Xenophon der Ephesier, den Suidas neben zwei anderen Roman-
schriftstellern gleichen Namens, aber verschiedener Herkunft anführt, wird
von den neueren Forschern ^) in die Grenzscheide des 2. und 3. Jahrhunderts
gesetzt und schrieb jedenfalls den uns erhaltenen Roman Ephesiaka^) noch
vor der Zerstörung des berühmten Tempels der Diana in Ephesos (263).
Die Anlage desselben erinnert an die Odyssee: zwei Liebende, Habrokomes
und die schöne Antheia, welche gleich der keuschen Penelope allen Verlockungen
widerstanden hatte, erzählen sich, nachdem sie sich nach langen Irrfahrten
endlich in Rhodos wiedergefunden, ihre früheren Erlebnisse. Mit der Odyssee
teilt der Roman auch die Einlage zahlreicher Episoden. Die Erzählung ist,
wenn auch mitunter knapp, so doch fliessend und anmutig.
552. Hello doros aus Emesa ist Verfasser des meistgelesenen und
umfangreichsten der uns erhaltenen Romane, des avvtayixa tcov tisqI Ssci-
yärrjv xal XaqixXeiav AIOiotiixmv in 10 B. Hauptheldin des Romans ist
die äthiopische Königstochter Charikleia, welche von der Mutter aus Furcht
vor dem Argwohn ihres Mannes ausgesetzt nach Delphi gebracht worden
war, dort bei den delphischen Spielen den schönen Theagenes kennen ge-
lernt hatte und nach vielen und schweren Gefahren endlich, als sie mit
Theagenes bereits zum Opfertode geführt wurde, als Königstochter wieder
erkannt und dem Theagenes feierlich angetraut wird. Der Erzählung eignen
gegenüber der des Xenophon die Hauptvorzüge des Romans, epische Breite,
Anschaulichkeit der Schilderung, Erhaltung der Spannung des Lesers. Wir
werden gleich im Anfang in medias res, in den wilden Kampf der eifer-
süchtigen Piratenführer Trachinos und Peloros an der Mündung des Nil
versetzt und erfahren erst nach und nach aus dem Munde anderer die
früheren Geschicke der Charikleia, die jene Scene der Eifersucht hervor-
') So schwindelt auch Flaccius Afri-
cus in dem Traktat von den 7 Planeten-
^enopliontem Ephcximn . Kempten 1887,
weist nach, dass Xenophon vor Heliodor, der
pflanzen, s. Sathas, Ms. gr. cl, IV n. 57: ihn nachahmte, geloht hat.
inveni in civitate Troiana in monumento •') Die uns erhaltenen EcpEaiccxü haben
reclusum praesentem libelhim cum ossibus 5 Bücher, Suidas hingegen spricht von 10
primi rcgis Kiranidis. \ Büchern, weshalb Kohde S. 401 an einen
'^) Roiide, Griech. Rom. S. 392. Schnepf, i Auszug denkt.
De imitationis ratione intcr Heliodonim et
682
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
gerufen hatte, und des Theagenes, der in jenem Kampfe schwer verwundet
worden war. Im übrigen wird der Vorhang erst nach und nach weiter
aufgezogen und das volle Geheimnis erst am Ende enthüllt, freilich so,
dass wir von der Mitte (IV, 8) an den weiteren Verlauf und den schliess-
lichen Ausgang unschwer erraten. In der Kunst der lebendigen Schilderung
äusserer Dinge, wie der pythischen Spiele und der Sümpfe an der Nil-
mündung, fordert Heliodor seinesgleichen; weniger gelingt ihm die Dar-
stellung des inneren Seelenlebens, zumal wir in diesem Punkte aus der
Natürlichkeit antiker Auffassung ganz in die dumpfe Atmosphäre des Orakel-
und Dämonenglaubens versetzt werden. Gleich die Haltung der beiden
Hauptpersonen, die geschworen hatten, sich der geschlechtlichen Berührung
bis zur Aufdeckung der Herkunft der Charikleia zu enthalten, die sich
aber trotzdem in Liebkosungen und Umarmungen nicht genug thun können,
hat etwas unnatürliches, was am wenigsten zum hellenischen Wesen passt.
Das geringste Lob verdient der sprachliche Ausdruck; Heliodor war eben
Semite von Geburt, und es war ihm nicht so gut wie seinem Landsmann
Lukian geglückt, sich in das fremde Idiom hineinzuleben; er verrät sich
überdies mehr denn gut als Schüler der Sophistik nicht bloss in den ein-
gelegten Reden und Gerichtsverhandlungen, sondern auch in den überkühnen
Metaphern und gesuchten Wendungen. Von den alten Autoren war ihm
ausser Homer besonders Euripides geläufig, von dessen Hippolytos er die
weitausgesponnene Episode von der Liebe der Demainete zu ihrem Stief-
sohn Knemon kopierte, i) — Der Verfasser gibt sich selbst am Schlüsse
seines Werkes mit den Worten kund: avvtral^sv dvrjQ (Potvi'^ 'Efxrjaavog xmv
a(fj' ^Hh'ov OeoSoaiov naig ^HliööwQog. Damit sagt uns derselbe nicht viel
mehr als wir aus dem Buche selbst erraten würden. Das Priestertum und
speziell der Sonnenkult spielt eben eine Hauptrolle in dem Roman und
zeigt sich auch von seiner vorteilhaften Seite in der reineren Moral, der
Scheu vor dem Selbstmord, der Abwesenheit der Knabenliebe, der strengen
Büssung auch kleiner Vergehen. Leider sagt uns Heliodor nichts von der
Hauptsache, die wir zu wissen wünschten, von der Zeit, in der er lebte.
Der wichtigste Anhaltspunkt bleibt uns daher die Notiz des im 5. Jahr-
hundert lebenden Kirchenhistorikers Sokrates, Hist. eccl. V, 22. 51, dass
der Bischof von Trikka in Thessalien in seiner Jugend den Roman verfasst
habe.'^) Denn wenn auch diese Angabe wie Rohde, Griech. Rom. 432 ff.
zu erweisen sucht, falsch ist, so bleibt doch wenigstens das sicher, dass
Heliodor vor dem 5. Jahrhundert gelebt haben muss. Auf der anderen
Seite scheinen die siegreichen Kämpfe des Aethioperkönigs gegen die Sa-
trapen von Oberägypten ein Reflex der wachsenden Macht der Blemyer
zu sein, welche Diokletian mit der Zahlung eines schimpflichen Tributes
abfinden musste.^)
') Heliodor selbst war hinwiederum be-
liebtes Vorbild der französischen Dramatiker,
worüber Tüchert, Racine u. Heliodor, Zwei-
brücken Progr. 1889.
^) Ein Christ warder Heliodor, der die
269 holprigen Trimeter tieqI xi]? twv cpilooö-
cfoii^ fxv7Tixi]g Ts^ft]? in der Zeit des Kaisers
Theodosios verfasste; aber dieser Heliodor
hat mit dem unseren, dem er weit an sprach-
licher Gewandtheit nachsteht, nichts zu thun.
^) Procop., Bell. Pers. I, 19; beachtens-
wert ist, dass Suidas oder Hesjxhius von
Milet den Heliodor ebenso wie Chariton und
Longus in seinem Lexikon nicht erwähnt.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, c) Der Roman. (§553-555.) G83
553. Achilles Tatius ('Axi^^^fvg TccTiog)^) aus Alexandria, Verfasser
der Geschichte von Leukippe und Klitophon (td xaxd Af:imnTii]v xal
KX€iTo(fo)VTa ßißX. r/), und neben Heliodor der gelesenste Romanschrift-
steller des Mittelalters, 2) lebte nach Heliodor, den er vielfach plünderte;
ob auch nach Musaios, lässt sich deshalb nicht mit Sicherheit entscheiden,
weil man mit dem gleichen Recht Benützung des Musaios durch Tatios als
umgekehrt annehmen kann.^) Nach Suidas trat er zum Christentum über
und wurde sogar Bischof. Seinem Roman merkt man nichts von christ-
licher Moral an; umgekehrt gehört die Diskussion des Themas, ob die
Mädchenliebe oder die Knabenliebe den Vorzug verdiene (2, 35 — 38), zu
den gemeinsten Stellen der alten Litteratur. Auch in der Kunst der Kom-
position steht er dem Heliodor nach; die Charakterzeichnung und Scenen-
schilderung tritt zurück hinter dem sophistischen Beiwerk von Reden, Briefen
und Bilderbeschreibungen, welche die eigentliche Erzählung in üppiger Fülle
überwuchern.
554. Chariton gilt uns als Repräsentant des historischen Romans,
indem er seine Geschichte des Chaireas und der Kallirrhoe in die Zeit des
peloponnesischen Krieges verlegt, wo der Vater der Kallirrhoe, Hermokrates,
als Feldherr der Syrakusaner die Athener besiegte. Auch der Abfall der
Ägyptier von den Persern, in den das Geschick des Chaireas verflochten
wird, hat eine historische Basis, ist aber ohne genaue Beachtung der Chro-
nologie nur herangezogen, um die Helden des Romans an den Hof des
Perserkönigs kommen zu lassen. Im übrigen ist der Roman des Cha-
riton der geringste von allen. Der Inhalt lässt überall die kunstlose Nach-
ahmung des Xenophon und Heliodor erkennen, die Sprache ist eintönig
und voll von Solökismen, die eingelegten Volksversammlungen und Ge-
richtsverhandlungen verraten einen Mann, der von dem öffentlichen Leben
der alten Zeit kein Verständnis hatte. Von der Zeit und den persönlichen
Verhältnissen des Verfassers wissen wir so gut wie nichts. Denn selbst
seine eigene im Anfang und am Schluss seines Werkes wiederholte Angabe,
dass er aus Aphrodisias stamme und Schreiber des Rhetors Athenagoras
sei, scheint auf Pseudonyme Erdichtung hinauszulaufen.
555. Aus älterer Zeit stammt das ganz in sagenhafte Erzählungen
aufgelöste Leben Alexanders von Pseudo-Kallisthenes, dessen Kern in
der Ptolemäerzeit entstanden ist,*) wie die Hervorhebung des Ptolemaios
im Briefe Alexanders an Aristoteles wahrscheinlich macht, das aber später
unter den orientalischen Kaisern des 3. Jahrhunderts erweitert und fort-
gesponnen ward."') Die romanhaft ausgeschmückte Geschichte des grossen
^) RoHDE, Griech. Rom. 472.
2) Vgl. Bekkeb, An. gr. p. 1082.
^) Das crsiere nimmt Rohde, S. 472
Anm. 2 an.
^) Rohde, (4iiccli. Rom. 184 ff.
^) Auf die römische Kaiserzeit führt die
Erwähnung des Favorinus. Wie die Ale-
xandersage im 3. Jahrhundert, als die Ale-
xander auf dem Kaiserthron sassen, ins
Wunderbare ausartete, ersieht man aus
AoJian V. H. I, 25. Auf das 3. Jahrhundert
weist auch der Bau der eingelegten Verse
hin, worüber Deutschmann, IJc poesis Grae-
coruvi rhythmicae primordiis, Malmcdy 1883
p. 17. Im übrigen s Zacher, Pseudocalli-
sthenes, Forschungen zur Kritik und Ge-
schichte der ältesten Aufzeichnung der Alexan-
dersage, Halle 1807; Hertz, Aristoteles in der
Alexandergeschichte des Mittelalters, Abhdl.
d. b. Ak..t. XIX, 1890. Kubier in der Ausg.
der lat. Übersetzung stellt einen Aesopus
als Verfasser des griechischen Originals auf,
584 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Königs gefiel so sehr, dass dieselbe ins Lateinische, Syrische und Armenische
übertragen wurde. ^)
Der Alexandergeschichte ist in den Handschriften die romanhafte
Schrift des Palladios über Indien und die Brahmanen {tisqI twv rrjg ^IvSiag
€^rd)i' xal rah' BqayiKxvoov) angehängt. In derselben teilt der nicht näher
bekannte, um 400 n. Chr. lebende Verfasser allerlei fabelhafte und erbau-
liche Geschichten von den Gymnosophisten, den in der römischen Kaiserzeit
vielgenannten Weisen Indiens, mit.
Nur aus fremdländischen Übersetzungen und Überarbeitungen ist uns
die Geschichte des Apollonius von Tyrus bekannt; die älteste uns er-
reichbare Gestalt des Romans in lateinischer Sprache scheint auf ein grie-
chisches Original des 3. Jahrhunderts zurückzugehen. 2)
556. Longo s ist der Verfasser des berühmten, namentlich zur Zeit
der Renaissance vielgelesenen Hirtenromans Jdtpvig xal Xlorj in 4 B. Von
der Zeit und dem Leben des Verfassers selbst ist uns nichts überliefert.
Jedenfalls lebte er noch mitten im Heidentum und stammte aus der Insel
Lesbos. Denn in Lesbos lässt er seine Erzählung spielen und von den
Ortlichkeiten der Insel entwirft er die anschaulichsten, von Autopsie
zeugenden Schilderungen, etwas was um so mehr auf persönlichen Be-
ziehungen des Autors beruhen muss, als sonst Sikilien Sitz der bukolischen
Poesie war. Die Hirtengeschichten unseres Longos sind nämlich die letzten
Erzeugnisse der bukolischen Muse und unterscheiden sich von den Idyllen
nur durch die prosaische Form und die Einflechtung der Bilder in den
Rahmen einer zusammenhängenden Erzählung, hier von den Geschicken
zweier ausgesetzten Kinder, die von gutmütigen Hirten aufgenommen,
schliesslich als Kinder reicher Eltern von Mytilene erkannt werden, aber
die lieblichen Triften so lieb gewonnen hatten, dass sie dieselben wieder
aufsuchen, um dort ihre Hochzeit zu feiern und fern von der Stadt ein
glückliches Leben zu führen. Bevölkert ist wie in den Idyllen die Scene
von den anmutigen Gestalten der ländlichen Muse, von Nymphen, Eroten
und Panen. Nur wird die Unschuld des Hirtenlebens arg gestört durch
die lüsternen Schilderungen nacktester Sinnlichkeit, wie von der scham-
losen Verführerin Lykainion und dem lockeren Päderasten Gnathon. Der
Stil des Romans mit seinen kurzen Sätzen und seiner einfachen Diktion ist
trefflichst dem Charakter des Gegenstandes angepasst und kann uns als
wahres Muster derjenigen Stilgattung gelten, welche die Alten mit dem
Namen difeXsg bezeichneten.
Erotici scriptores graeci ed. Mitscherlich, 3 vol., Bipocti 1794; recogn. Hekcheb
in Bibl. Teubn. 1858, 2 Bde.; reo. Hirschig, Le Pas Läpaume et Boissonade, Par. 1856. —
Xenophon Eph. ed. Peerlkamp, Harlem 1806. — Heliodor rec. Mitscherlich, Argent. 1798,
2 Bde.; rec. Koraes, Paris 1804; dazu Thereianos im Leben Koraes, Triest 1889 t. I,
p. 382 fF. — Longus ed. Villoison, Paris 1778 mit reichem Kommentar; ed. Courier, Rom
1810 auf Grund der allein massgebenden Florentiner Handschrift; ed. Seiler cum notis
Bruncläi Schaeferi etc., Lips. 1843. — Achilles Tatius rec. et not. adi. Jacobs, Lips. 1821,
2 vol. - - Chariton ed. d'ORviLLE (1750), ed. II cur. C. D. Beck, Lips. 1783. — Callisthenes
^) Ins Lateinische wurde dieselbe zwei- j Landgraf 1885; des ersteren von Kübler
mal übertragen, zuerst von Julius Valerius ' in Bibl. Teubn. 1888.
im Beginne des 4. Jahrhunderts, und dann 1 '^) Historia Äpollonü ed. Riese in Bibl.
nochmals von dem Archipresbyter Leo im I Teubn.
10. Jahrhundert. Ausgabe des letzteren von |
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, c) Der Roman. (§ 556—557.) 685
ed. Müller, Par. 1846. — Palladius ed. Bissaeus. Lond. 1665; ed. Müller in der Ausg.
des Callisthenes p. 102-120; neue kritische Hilfsmittel und eine lateinische Übersetzung
weist nach Bernhardt, Anal, in geogr. gr. min. p. 34-48.
557. Eine Abart des Romans bilden die erotischen Briefe. Er-
finder der poetischen Epistel ist Ovid, dessen epistolae heroidum bekannt-
lich so viel Anklang fanden, dass sich viele in der gleichen Art poetischen
Spiels versuchten. Mit besonderem Eifer aber griff die griechische Sophistik
diese Gattung fingierter Briefe auf, zumal es schon in älterer Zeit zu den
Lieblingsaufgaben der Khetoren gehört hatte, grossen Männern, namentlich
berühmten Philosophen und Rednern Briefe zu unterlegen, i) Die Sophistik,
wie sie in der römischen Kaiserzeit zur Blüte kam, hatte es ohnehin vor-
nehmlich mit fingierten Thematen zu thun und pflegte um so eifriger jene
Gattung erdichteter Briefe.^) Die ältesten erotischen Briefe [sQdnixal sm-
üTolai), von denen wir Kenntnis haben, ^) sind die des Rhetors Lesbonax
aus der Zeit des Augustus.*) Idyllische Liebespoesie durchweht auch die be-
reits oben S. 604 u. 608 besprochenen ländlichen Briefe der Sophisten Philo-
stratos und Aelian. Nur durch Suidas haben wir Nachricht von dem
Epistolographen Zonaios, der erotische und ländliche Briefe schrieb,'') so-
wie von Melesermos, einem athenischen Sophisten aus ungewisser Zeit,
von dem Suidas Hetären-, Bauern-, Fleischer-, Feldherrnbriefe anführt. Auf
uns gekommen sind die Liebesbriefe von Alkiphron und Aristainetos.
Alkiphron, vermutlich jüngerer Zeitgenosse des Lukian,^) hat 118
Briefe in 5 B. hinterlassen, die in feingezeichneten Skizzen verschiedene
Verhältnisse des heiteren Genusslebens der hellenistischen Zeit wiedergeben
und von schwärmerischer Liebe für Athen und attisches Leben durchhaucht
sind. Ihre Anziehungskraft besteht in dem poetischen Reiz, der sie um-
fliesst; einige, wie die zwischen Menander und seiner Geliebten Glykera
(2, 3 und 4), haben noch ein besonderes Interesse durch die Mitteilungen
über die Lebensverhältnisse grosser Männer der Litteratur; andere können
uns gewissermassen als Kommentar von berühmten Werken der Kunst
gelten, wie der 39. Brief des 1. Buches von der 'AcpQoStTri xaXh'Trvyog.
Aristainetos, der zweite Epistolograph, wurde früher irrtümlich mit
dem Aristainetos aus Nikäa, der im Jahre 358 bei dem Erdbeben von
Nikomedia umkam und an den mehrere Briefe des Synesios gerichtet sind,
identifiziert; er lebte vielmehr nach I, 26, in welchem Brief ein zur Zeit
') Das ganze Gewirr der Brieffälschun-
gen wurde zuerst blossgelegt von Bentley,
De epistolis Phalaridis 1697 (ursprünglich
englisch, dann ins Lateinische übersetzt von
Lennep; die lat. Bearbeitung in Bentleii opusc.
philol.. Lips. 1781, deutsche Bearbeitung von
W. Ribbeck, Leipz, 1857), in der mit bewun-
derungswürdigem Scharfsinn die Unechtheit
zunächst der Briefe des Phalaris, dann aber
auch der des Themistokles, Sokrates. Pkiri-
pides u. a. aufgedeckt ist. Die Untersuchun-
gen sind weiter geführt von W estermann.
De epistolarum scriptorihus graecis, 8 Pro-
gramme, Leipz. 1800— 5. Schwer ist im
einzelnen zu bestimmen, aus welcher Zeit
die Fälschungen stammen; schon dem Ari-
stophanes von Byzanz lagen die unechten
Briefe Piatons vor.
'^) Den ETJiaxohy.oq /aQaxrt'jQ bespricht
bereits Demetrios de interpr. 223; dann haben
wir über ihn eine eigene Schrift des Proklos
Diadochos.
^) Schol. Luciani de salt. 09.
4) Vgl. § 409.
•'■) Diesem Zonaios hat der Fälscher
Palaiokappa in Cod. Paris. 2929 auch die
anonyme Schrift tieqI aj()judr(Oi^ beigelegt,
wie L. CoHN, Phil. Abh. an Hertz S. 128 f.
nachgewiesen hat.
^) Als Zeitgenosse gedacht von Ari-
stainetos epist. 1, 5 u. 22. Beiden gemein-
sam sind auch die Reminiszenzen von V^eisen
der Komödie; s. Kock, Rh. 1\I. A'.\, 29 ff.
ßS6
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
des Sidonius Apollinaris lebender Mime Camarullus genannt ist, um die
Wende des 5. und 6. Jahrhunderts.-) Seine 2 Bücher erotischer Briefe
enthalten vollständige Liebesnovellen, eingekleidet in die Form von Briefen,
denen aber nur zu sehr der Zauber attischer Anmut und origineller Sprache
abgeht. Seine Hauptquelle waren die erotischen Elegien der Alexandriner;
so erzählt er I, 10 die Liebe der Kydippe und des Akontios nach den Aitia
des Kallimachos.
Briefe überhaupt gehörten zu den Liebhabereien der Sophisten der
zweiten Periode, indem sie teils den berühmten Männern des Altertums
Briefe an Zeitgenossen unterlegten, teils ihre eigenen Briefe als Stilproben
der Öffentlichkeit übergaben. Ausser den an anderer Stelle angeführten
Briefen des Libanios, Julian, Synesios, Basileios seien hier noch erwähnt
die eleganten kurzen Briefe des Aineias aus Gaza (um 500), eines Schülers
des Sophisten Hierokles,-) und die idyllischen ^EniaToXal rj^ixal dyQoixixal
bvaiQiKai des Theophylaktos Simokattes, der unter Kaiser Heraklios
blühte und demnach schon dem byzantinischen Mittelalter angehört.^)
J^pistologra])Jn graeci rec. Heecher, Paris bei Didot 1873. — Alciphron ed. Berglee,
Leipz. 1715; ed. Wagner, Leipz. 1878 in 2 Bänden; ed. Meineke, Leipz. 1853. — Ari-
stainetos ed. Boissonade, Par. 1822,
d. Die Philosophie.
558. Gegen Schluss des Altertums raffte sich nochmals die griechische
Philosophie zu kräftigerem Anlauf zusammen, um den alten Besitz gegen
den Ansturm orientalischer, in religiöses Gewand gekleideter Philosopheme
zu verteidigen. Die Religion hatte in dem griechischen Geistesleben der
klassischen Zeit eine untergeordnete Stelle eingenommen. Die bunten Ge-
stalten des griechischen Polytheismus wurden frühzeitig von einem Gewebe
poetischer Mythen umsponnen; die Göttervorstellungen gewannen dadurch
an künstlerischer Schönheit, verloren aber um so mehr an ehrwürdiger
Hoheit. Es kamen dann die Philosophen, welche teils, unbekümmert um
die Lehren der Priester, ihre eigenen Ideen über Gott und Sittlichkeit auf-
stellten, teils geradezu die überlieferten Anschauungen der Menge mit den
scharfen Waffen der Dialektik und Satire bekämpften. Zu den aufgeklärten
Geistern, welche sich entweder von den religiösen Opfern und Gebräuchen
ganz fern hielten oder, wenn sie dieselben mitmachten, nur der Überliefe-
rung der Väter einen erzwungenen Tribut brachten, zählte nahezu alles,
was in Wissenschaft, Kunst oder Staatsverwaltung eine Rolle spielte. Es
ist gerade diese Freiheit des Geistes, welche der Phantasie der griechi-
schen Dichter und Künstler den höheren Schwung gab und den Werken
der klassischen Autoren ihre geistbefreiende Anziehungskraft verleiht. Aber
übersehen darf man dabei nicht, dass die menschliche Begehrlichkeit, nicht
^) Mercier in der Ausgabe von Bois-
sonade p. 581. Über Nachahmungen des
Achilles Tatius siehe Rohde, Griech. Rom.
473 An.
2) Die Briefe bei ITercher, Epistologr.
gr, p. 24 — 32. Ausserdem schrieb derselbe
einen Dialog über die Unsterblichkeit der
Seele, (s^eocpQuajog betitelt, herausgegeben
mit dem Dialog U/u/uojyiog des Zacharias
Scholastikos (um 530) von Boissonade, Ae-
necis Gazaeus et Zacharias Mitylenaeus,
De immortalitate animae et consummatione
miindi, Paris 1836.
2) Die Briefe bei Hercher, Epistologr.'
gr. p. 763—786; im übrigen s. Krumbacher,
Byz. Litt.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, d) Philosophie. (§ 558.) 687
gezügelt durch Gottesfurcht und Religion, in nackte Sinnlichkeit sich ver-
irrte, und dass mit dem zunehmenden Verfall des religiösen Glaubens die
sittliche Fäulnis immer mehr die menschliche Gesellschaft zersetzte. Das
ebnete den orientalischen Religionen, in denen die Gesetze der Sittlichkeit
und Menschenliebe durch Lehren der Religion festgesetzt und an religiöse
Gebräuche gebunden waren, den Weg zu immer weiterer Verbreitung. Die
ägyptischen Isispriester mit ihrer asketischen Reinheit des Lebenswandels,
die Juden mit ihrem hehren Monotheismus, die Mithrasdiener mit ihren
Sühne- und Reinigungsgebräuchen, die Christen mit ihrer Religion der
Bruderliebe und Menschenwürde begannen seit Anfang des römischen Kaiser-
reiches, seitdem die alten Schranken der Völker gefallen waren, allwärts
sich zu rühren und Anhänger zu werben. Die Griechen, bisher gewohnt,
das Szepter im Reiche des Geistes zu führen, sahen sich allmählich in
ihren Ansprüchen bedroht. Der Spott, wie ihn Lukian über die Geistes-
befangenheit und den Trug der orientalischen Sektierer ausgoss, wollte
allein nicht mehr verfangen, war auch nicht nach dem Sinne der tiefer
und sittlicher angelegten Naturen. So suchten andere Hellenen das Ein-
dringen fremder Religionen dadurch hintanzuhalten, dass sie die Rückkehr
zu den frommen Bräuchen der Väter predigten und der heimischen Religion
einen höheren sittlichen Gehalt einzuimpfen sich bemühten. Der Hellenismus,
um sich der barbarischen Religionen zu erwehren, wurde selbst religiös, i)
Dieser Zug übte einen mächtigen Einfluss auf das Geistesleben des unter-
gehenden Hellenismus aus, stellte aber namentlich der Philosophie, die
schon in früherer Zeit bei den Gebildeten die Stelle der Religion vertreten
hatte, neue und schwere Aufgaben. Die Philosophen versuchten dieselben
auf doppeltem Wege zu lösen: einmal bemühten sie sich, das Höchste, was
die freie Spekulation der Väter geschaffen hatte, die Weisheit des Piaton
und Aristoteles, zu neuem Leben zu erwecken; sodann gaben sie dem
eigenen Denken eine Richtung auf das Göttliche und stellten die Theo-
logie, welche schon Aristoteles mit der ersten Philosophie identifiziert hatte, ^)
in den Vordergrund der philosophischen Spekulation. Aber indem sie die
Erforschung der Natur vernachlässigten und unfähig waren, mit der blossen
Dialektik des Geistes über Aristoteles hinauszukommen, gerieten sie auf
die nebelhaften Wege des verklärten Schauens und des sinneverleugnenden
Mysticismus.-^) Das war der sogenannte Neupiatonis mus, der sich zwar
schon vor Konstantin zu regen begann, jedoch als Ausläufer der antiken
Philosophie vorzüglich unserer Periode angehört.
Vorläufer des Neuplatonismus war Numenios aus Apamea (2. Jahr-
hundert n. Chr.), der die platonische Lehre als Ausfluss der pythagoreischen
Izu erweisen suchte und die Gottheit in drei Stufen, als reinen Geist, als
Weltschöpfer {6rjixiüVQy6g) und als Kosmos zur Entfaltung kommen Hess.'*)
') MuNK, Griech. Litt. U, 515.
2j Vgl. i? 302.
^) Die übertriebene Wertschätzung des
Neuplatonismus' durch Hegel, Gesch. d. Phil.
I, 182, III, 11 u. 81, der ihn als die Ver-
sithnung der philosophischen Gegensätze, als
die absolute Vollendung der alten Philosophie
bezeichnete, ist auf das richtige Mass zuriick-
gefülnt von Zeller, Phil. d. Gr. II[^ 2. 41!) ff.
*) Wir haben von dem tiefen Denker
nur durch Anführungen der ^])äteren, na-
mentlich des Kirchenvaters Kusohius Kennt-
nis; zusammengest(^llt sind dieselben von
MuLLACu FPG. lll, 153 ff.
688
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Als eigentlicher Begründer der neuplatonischen Lehre gilt Ammonios
Sakkas (um 175 — 242), der, von christlichen Eltern entsprossen, aus einem
Taglöhner ein grosser Denker und einflussreicher Lehrer der Philosophie
in Alexandria wurde. Zu den Neuplatonikern nimmt derselbe eine ähn-
liche Stellung wie Sokrates zu den Sokratikern ein, das ist, er hat selbst
nichts geschrieben, aber den Anstoss zu der umfangreichen neuplatonischen
Litteratur gegeben.^)
559. Plotinos (204 — 270) 2) stammte aus Lykopolis, einer Stadt
Ägyptens, und hörte in schon gereiftem Alter zu Alexandria den Ammonios,
dessen begeisterter Schüler und Anhänger er wurde. Im phantastischen
Verlangen, die Lehre der Magier an der Quelle kennen zu lernen, schloss
er sich 243 dem Zug des Gordian gegen die Perser an, kehrte aber nach
dem unglücklichen Ausgang des Unternehmens bald wieder zurück und
schlug 244 in Rom seine Lehrkanzel auf. Bald sammelte er durch die
Tiefe der Gedanken, den allen Prunk verschmähenden Adel der Gesinnung,
zum Teil auch durch den Schein göttlicher Inspiration einen grossen Kreis
von Schülern und Schülerinnen um sich. Auch an dem Kaiser Gallien
(260 — 8) und dessen Frau Salonina hatte er begeisterte Verehrer; es war
sogar nahe daran, dass der Kaiser ihm zur Verwirklichung seines Ideals,
zur Gründung einer Philosophenstadt in Kampanien, verhelfen hätte. Wie-
wohl körperlich leidend und halb des Augenlichtes beraubt, blieb er un-
ermüdlich als Lehrer und philosophischer Schriftsteller thätig, bis er im
Alter von 66 Jahren auf dem Landgut seines Schülers Zethos in Kampanien
starb. Hinterlassen hat er 48 Schriften, die er in späten Lebensjahren,
nach 254, allmählich herausgegeben hatte. Porphyrios im Leben seines
Lehrers gibt uns von allen die Entstehungszeit an, so dass Kirchhoff die-
selben in seiner Ausgabe nach der Zeitfolge ordnen konnte. Nach dem
Tode des Meisters besorgte sein Schüler Porphyrios eine revidierte Gesamt-
ausgabe in 6 Enneaden, neben der das Altertum noch eine zweite von
Eustochios hatte. In der Ausgabe des Porphyrios, auf die unsere Hand-
schriften zurückgehen, waren die Bücher nach dem Inhalt geordnet, so dass
die 1. Enneade die ethischen Schriften, die 2. und 3. die physikalischen,
die 4. die über die Seele, die 5. die über den vovg, die 6. und letzte die
über das Eins und das Gute enthielt. Die Anordnung hat vielfache Mängel,
da sie nicht bloss die Merkmale der Abfassungszeit verwischt, sondern
auch zusammengehörige Aufsätze auseinanderreisst. So hat z. B. Plotin
selbst durch den Schluss von V 8 {xar' aXXrjv 666i' ndXiv av dsl inskihsiv
mos) und den Anfang von II 9 (ßnsiör] toivvv s(fävif) sattsam angedeutet,
dass die drei, jetzt weit auseinandergerückten Abhandlungen V 8, V 5,
II 9 eng zusammengehören und dass der Bekämpfung der Gnostiker in
II 9 die Klarstellung der eigenen Lehre von dem Urschönen und Urguten
vorausgehen sollte.^)
^) Von den Vorträgen des Ammonios
ward Mitteilung gegeben von seinem Schüler
Theodotos und des weiteren von Porphyrios
in dessen It\u^uixrcc l^ijjyj^uaru, s. v. Arnim,
Rh. M. 42, 270 ff.
^) Ausser dem Artikel des Suidas und
einer kurzen Notiz des Eunapios in Vit. soph.
belehrt uns sein Schüler Porphyrios 77f()i
nluyrivov ßiov. Ein ausführlicher Artikel
von Steinhart in Pauly's Realencykl,
^) Man rauss eigentlich noch weiter
gehen und die 7 Abhandlungen IV 3, IV 4,
C. Römisclie Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, d) Philosophie. (§ 559.) 689
Die 48 Abhandlungen sind von sehr verschiedenem Umfang; einige
sind ganz kleine, zum Teil nur ein Kapitel umfassende Betrachtungen;
andere mussten wegen ihres übermässigen Umfangs von dem Herausgeber
in 2 und 3 Teile zerlegt werden, wie die Untersuchung von der Seele
(III, 3—5), von den Arten des Seins (VI, 1 — 3), von der Vorsehung (III,
2 u. 3). Im Inhalt und in der Form gleichen sich alle so sehr, dass zwi-
schen den früheren und späteren kein wesentlicher Unterschied besteht.^)
Ihr philosophischer Autor war eben im wesentlichen mit sich fertig, als
er, bereits ein Fünfziger, seine Anschauungen niederzuschreiben begann.
Seine Schriften wollten keine Kunstwerke für sich sein; sie sollten nur
die Vorträge, wie er sie im Kreise seiner Verehrer ohne systemati-
schen Plan gehalten hatte, in schlichter, einfacher Form wiedergeben.
Keines der Bücher hat eine eigene Einleitung oder einen förmlichen Epilog:
mitten in eine Frage werden wir, meist durch Aufwerfung von Aporien,
hineingeführt und allmählich zu immer höheren Stufen emporgehoben.
Die Gesprächsform des Piaton hat Plotin aufgegeben, aber seine anregende
Art, den trockenen Lehrton immer wieder durch Fragen zu unterbrechen,
erinnert doch lebhaft an das Vorbild der platonischen Dialoge. Die Sprache
ist kunstlos, lässt sogar hier und da grammatische Korrektheit vermissen,
aber trotzdem ist die Darstellung anziehend und fesselnd. Ahnlich wie
Piaton liebt er den Schmuck der Bilder, Mythen, Allegorien; viele Ver-
gleiche finden sich zuerst bei ihm, so der von dem Jüngling, der sich durch
sinnliche Reize von der Klarheit geistigen Erkennens abziehen lässt, mit
dem schönen Narkissos, den das Schattenbild in die Tiefe des Wassers
hinabzieht (I, 6. 18); geistvoll auch und neu hat er das Bleibende im
V^^echsel der Erscheinungen mit dem Schauspieler verglichen, der derselbe
bleibt, während er Kleidung und Rolle wechselt (III, 2. 5).
In der philosophischen Lehre fusst Plotin auf Piaton, den richtig zu
verstehen und weiter zu entwickeln er sich zur Hauptaufgabe gestellt
hatte. 2) Daneben hat er aber auch die Errungenschaften anderer Philo-
sopheme, wie die Lehre des Aristoteles von den Kategorien, den Sphären-
bewegungen, dem thätigen und leidenden Nus, gelegentlich verwertet.^)
IV 5, III 8, V 8, V 5, 11 9 zu einem
grossen Ganzen verbinden, wie sich aus dem
inneren Zusammenhang nicht unschwer er-
weisen iässt. Auch die 4 Abhandkmgen VI
4, VI 5, V 6, II 5 sind nicht bloss in
dieser Folge geschrieben, sondern bauen
sich auch die eine auf die andere auf. Vgl.
Kirchhoff, Specünen novae editionis operuvi
Flotinianorum, Berol. 1847. Zu bedauern
ist, dass Volkmann den von Kirchhoff ge-
wiesenen Weg in der neuen Ausgabe wieder
verlassen hat. Zum Glück ist uns bei Plotin
eine Kunde über die ursprüngliche Folge
der Bücher überliefert. Man kann sich da-
raus einen Begriff machen, wie unsicher der
Boden bei anderen Schriftstellern, wie Ari-
stoteles, ist, deren Werke gleichfalls erst
nach des Autors Tod von Schülern heraus-
gegeben wurden.
^) Einen stärkeren Unterschied zwischen
den früheren und späteren Schriften will
Porphyrios, Vita Plotini 6, aufstellen.
-) Plot. V, 18: nXüxwva EiMvai ix fi£i/
xclyad^ov x6v vovv, ex &e vov xrjv V^t'///*',
xcd eiuKL xovg "köyox^g xova^e firj xcupovg
fX7]&6 vvu (iXXd ndXai /uti/ etqiio&ca urj
dyanenxccfteyoüg, xovg de vvv löyovq ehiyr^xdg
exeiviou yeyovepca.
^) Heraklit und Empedokles sind ihm
Denker, welche schon das richtige ahnten,
es aber nicht zum klaren Ausdruck brachten,
s. IV, 8, 1 u. 5; ähnlich urteilt er von Ana-
xagoras IV, 1. 9. Beachte, dass der hera-
klitische Satz vom ocfoV «Va» und oefo? xärto
schon von Philon in der Schrift von dem
Erben der göttlichen Dinge {Tig 6 xmv &ei(oi^
TjQay^dxMv xX^]Qov6fiog c. 13 u. 38) für seine
Lehre verwertet wun^e.
UaudbucL der klass. Altertum.swisseuschaft VII. 2. Aufl. 44
690
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
Aber trotzdem teilte er nicht die Vielseitigkeit des geistigen Interesses der
grossen Denker der klassischen Zeit; er lebte ganz in der einen Idee des
reinen Guten und Schönen, das im Geiste zu schauen die höchste Seligkeit
und zu dem sich emporzuarbeiten durch Erkenntnis der Abbilder des
Schönen in der Sinnen weit und durch Entäusserung der unreinen Leiblich-
keit die oberste Lebensaufgabe des Weisen sei. Dadurch aber, dass er
immer wieder diesen Grundgedanken ausspricht und die Darstellung ebenso
wenig durch die Kunst feiner Ironie als die Schärfe schneidiger Polemik
belebt,^) haben seine Schriften etwas von der Langweile salbungsreicher
Kanzelreden. Übrigens ist Plotin ein viel zu tiefer Denker und ein zu ge-
wandter Dialektiker, als dass er einfach nur die Lehren Piatons reproduzierte.
Er geht vielmehr nur von den Lehren Piatons aus, um die seine Zeit be-
wegenden Fragen, wie Gott am reinsten zu fassen sei, wie die Einheit zur
Vielheit komme, wie das Schlechte in die Welt gekommen sei, vermittels
des Dualismus und der transcendentalen Ideenlehre Piatons zu lösen. Zu
diesem Behufe nimmt er 3 Stufen des wahren Seins (ovaia) an: das mit
dem Guten wesenseine, über allem konkreten Sein und Denken erhabene
Ureins {^eog ßaoilsvg II, 9. 9, TiQonäTMQ V, 5. 3), den sich selbst denkenden,
auf jenes Eins gerichteten Geist [vovq und iöi;ö'/c), die das Geistige und
Sinnliche vermittelnde, den Formen des Seienden {Ta tcov ovtwv ti'Srj) inne-
wohnende Seele (?) toi votjtov xödfiov if'vxt'j).^) Diesen 3 Stufen des wahren
Seins stellt er auf der anderen Seite die Materie (idtj) entgegen, die zwar
keinen Teil am wahrhaften Sein habe, aber gleichwohl von Ewigkeit her
existiere und Quelle der Notwendigkeit {dvdyxrj) und des Schlechten sei.
Die diesseitige Welt (o rijds xda/^iog) lässt er dadurch entstanden sein, dass
Teile des göttlichen Nus, von der himmlischen Seele ausströmende Funken,
in die Materie drangen und hienieden die unvollkommenen Abbilder (el'SwXa)
der göttlichen Ideen (aTdij) hervorbrachten. Die Menschenseele ist ihm
zwar ein Teil der oberen Seele, aber gehemmt und verunreint durch die
Gemeinschaft mit der Materie, von deren Fesseln sie sich zu befreien und
zur Reinheit des göttlichen Geistes zurückzukehren habe; so vollziehe sich
der Doppelweg, dass einerseits die Gottheit in die Welt und das Endliche
sich ergiesse und anderseits die Seele des endlichen Menschen sich wieder
zur Gottheit erhebe. Man kann gegen diesen Lösungsversuch einwenden,
dass er die der platonischen Auffassung entgegenstehenden Schwierigkeiten
nicht im geringsten hebt; man kann des weitern im plotinischen System
die Berücksichtigung der realen Verhältnisse vermissen und in der Voran-
stellung des ekstatischen Schauens eine Verkümmerung des verstandes-
mässigen Forschens und der praktischen Schaffenslust erblicken;^) aber
') Von den zeitgenössischen Gegnern
PJotins erfahren wir aus dessen Schriften
keine Namen; selbst die Schulen {((iQeoeig),
welche er bekämpft, bezeichnet er nur im
allgemeinen, so dass wir z. B. erst durch
die von Porphyrios hinzugefügte Überschrift
nQoc. Tovg yroiony.ovg bestimmt erfahren,
dass das interessante Buch II, 9 gegen die
Gnostiker gerichtet ist. Über die Beziehun-
gen Plotins zu den Guostikein s. Zelllk.
Phil. d. Gr. IIP, 2. 438 ff.
^) Siehe besonders die schöne Abhand-
lung IV, 8; ferner IV, 1; 11, 3. 7; II, 9. 1.
^) Über den hohen Wert, den Plotin
auf das Schauen {^smqsTi^) als die Erhebung
zum Höchsten legt, siehe I, 2. 3; III, 8. 6;
IV, 9. 3. In der Abkehr gegen die Sinnlich-
keit geht Plotin so weit, dass er III, 5. 1
die Begattung für eine Sünde erklärt (i] n^dg
uJiii' exTirwaig üfjaQjia), freilich so, dass er
C. Eömische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa d) Philosophie. (§ 5G0.) 691
hohen Seelenadel und Tiefe der Auffassung wird man dem letzten der
grossen Denker des Altertums nicht absprechen dürfen. Auch bleibt der-
selbe bei aller Überspanntheit doch immer noch ein echter, an seinen alten
Göttern hängender Hellene, i) Er zeigt dieses in der Bekämpfung des
Aberglaubens der Astrologie (II, 3), in dem edlen Optimismus, mit dem
er das Gute und Schöne wohl ein Hemmnis in der sinnlichen Materie finden,
aber schliesslich doch immer im grossen Ganzen obsiegen lässt, ^) in der
Befehdung der finsteren Lebensauffassung der Gnostiker, welche die Welt
für eine Schöpfung des bösen Geistes ausgaben und das Licht offener Dis-
kussion scheuten (II, 9), ^) zuletzt und nicht zum geringsten in dem enthu-
siastischen Preis des Schönen, das ihm von dem Guten unzertrennlich ist
(xa?,ayad^6j') und ihn zu den schönsten seiner Aufsätze (I, 6 ttsqI xaXov,
III, 5 TtsQi 'EQMTog, V, 8 ttsqI tov vorjTov xdXXovg) begeistert hat.
Die Codices, von denen keiner älter als das 13. Jahrh. ist, gehen auf einen lücken-
haften, fehlerhaft geschriebenen Archetypus zurück, so dass der Konjekturalkritik ein
grosser Spielraum bleibt. Aufschluss über die Handschriften und ihr Verhältnis gibt H. F.
Müller, Herin. XIV, 93 — 118. — Eine dem Porphyrios zugeschriebene Paraphrase der
Bücher IV— VI kursierte im arabischen Mittelalter unter dem falschen Titel einer Theologie des
Aristoteles; davon ist der arabische Text des Abdallasch Naima aus Emesa mit lateini-
scher Übersetzung publiziert von Dieterici. Disputatio prima lihri Äristotelis philosophi
qui graece vocatur theologia, exiüicotio Porphyrii Tyrii, Lips. 1883. — Im Abendland ist
Plotin zuerst in der lateinischen Übersetzung des Ficinus bekannt geworden, Florenz
1492. — Erste Ausg. des griech. Textes erschien zu Basel 1580. — Kritische Ausg. von
Creuzer, Oxonii 1835. 3 vol.; Textesausg. in der Bibl, Teubn. von Kirchhoff 1856; von
Volkmann 1883; rec. H. F. Müller mit Übersetzung, Berl. 1878. — Kirchner, Die Philo-
sophie des Plotin, 1874; Zeller, Phil. d. Gr. IIP, 2. 466-631.
560. Porphyrios aus Tyrus (233 bis ca. 304)^) war der bedeutendste
Schüler Plotins und zugleich Herausgeber seiner Werke. Anfangs widmete
er sich in Athen unter der Leitung des Longin grammatischen und rhe-
torischen Studien; 262 kam er nach Rom und schloss sich bald ganz der
philosophischen Richtung des Plotin an. Von tiefer Melancholie und Lebens-
flucht befallen, ward er durch seines Lehrers väterlichen Zuspruch wieder
aufgerichtet, war aber zur Zeit von dessen Tod in Sikilien abwesend. Nach
fünfjähriger Abwesenheit kehrte er wieder nach Rom zurück, begann unter
Aurelian eine selbständige Thätigkeit zu entfalten und wirkte bis in die
Zeit der Regierung Diokletians hinein. "') Seine Thätigkeit scheint mehr
die eines Schriftstellers als eines Lehrers gewesen zu sein und erstreckte
hintendrein selbst die Ehrbarkeit der Ver-
bindung des Mannes mit der Frau zur Er-
haltung des Geschlechtes {ol mxrov tqoixa
tQMi^reg, Iva xal to (hi) einräumt,
^) Siehe Lehrs, Götter und Dämonen,
in Pop, Aufs, 2 163. Die alten Götter des
griechischen Volksglaubens lässt Plotin be-
stehen, stellte sie aber unter dem Namen
dccifxoysg als göttliche Mächte der diesseitigen
Welt eine Stufe tiefer als den Urvater und
die wahren Götter {&eoi) der jenseitigen
Gcisteswelt; s, III, 5. 2.
^) III, 2. 3,; oXoy yc<Q rt inoirjae, sc.
'höq, ■ndyxct'kov xcd avruQxsg xal cpiXoy avr<o
z<a roTg ^tqsaiv uviov. 11, 3. 18: sl ^rj tu
x((xc<, f'aeXeg «V ijt^ to 7r«v * xal yc<Q ^oeiav
n'Au), Xut^Hüiti (ft r« 7i'/i6?aT(c (flu iL Vgl. , rov iU<a(Xtiog
41*
II, 9. 8; T, 7. 1.
^) Gegen die Gnostiker ist auch die
Polemik bezüglich des Logos gerichtet, den
die Gnostiker als Mittler zwischen Gott und
Mensch, himmlischer und irdischer Welt
aus Philon herübergenommen hatten, dessen
Einschaltung aber Plotin als treuerer Inter-
pret Piatons für nicht nötig hielt.
■*) Suidas u. HoQcpvQtog, Eunapios Vit.
soph. p. 455 Didot; manches enthält seine
Vit. Plotini. Neuere Litteratur: Lucas Hol-
stenius. De vita et scriptis Vorpliijrii, Cant.
1655; Steinhart in Pauly's Realencykl.
Sein heimischer Name war Malchos, den
seine Verehrer mit liaai'kevg wiedergaben.
^) Suidas: yeyovMg ini not' xQÖviot' Jv-
Qjjhctvov x(d nc(Q(CT£li'f(g itog Jioxhjnttvov
692
Griechische Litteraturgeschichte, 11. Nachklassische Litteratur.
sich nicht bloss auf Philosophie, sondern auch auf Grammatik und Historie.
Ein tiefer Denker war er nicht; das sieht man schon an seiner am Ausseren
haftenden Darstellung des Lebens seines Lehrers. Von Eunapios wird ihm
hauptsächlich die Kunst nachgerühmt, durch klare Darstellung die dunkle
Lehre Plotins dem aligemeinen Verständnis näher gebracht zu haben. Auf
das Mittelalter übte er als Vermittler der aristotelischen Logik einen ausser-
ordentlichen Einfluss.
Die zahlreichen Schriften des Porphyrios, von denen uns Suidas ein
Verzeichnis, aber ein unvollständiges, gibt, gehören nur zum Teil der
spekulativen Philosophie an; viele beziehen sich auf die Geschichte der
Philosophie und die Erklärung der älteren philosophischen Werke, andere
fallen ganz in das Gebiet der Grammatik und Geschichte. Von den er-
haltenen beschäftigen sich mit Plotin die schon besprochene Schrift tisqI
JlXcüTtvov ßiov xal Tfjg Ta^80)g tcov ßißXicov avrov und die damit zusammen-
hängenden, die Hauptgedanken der Lehre Plotins enthaltenden 'Acfoqiial
TiQog Tci vorjTa.^) — Der üvlhayÖQov ßiog bildete ursprünglich einen Teil
des 1. Buches der (PiX6ao(fog tcTogia,^) welche aus 4 Büchern bestund,
aber bloss bis auf Piaton herabging. Das erhaltene Leben des Pythagoras
ist am Schluss verstümmelt; die Übereinstimmungen desselben mit dem
gleichnamigen, umfangreicheren Buche des lamblichos ist auf die Benützung
der gleichen Quellen, vorzüglich des Nikomachos, Apollonios und Antonios
Diogenes zurückzuführen. — Die Schrift ttsqI aTroxt/g ^iipvx^ov in 4 B.,
von denen der Schluss des letzten fehlt, ist an Firmus Castricius, den
Mitschüler Plotins, gerichtet und empfiehlt die Enthaltung von Fleisch-
speisen unter Verwerfung des Tieropfers. Der Wert der Abhandlung be-
steht hauptsächlich darin, dass in ihr die Meinungen der älteren Philo-
sophen meist wörtlich angeführt sind und namentlich das Buch des Theo-
phrast neql eva^ßsiag ausgiebig benützt ist.") — Das Buch TTQog MaqxtXXav
ist ein Erbauungsschreiben an Marcella, die Porphyrios ihres philosophischen
Geistes wegen, wiewohl sie Witwe von 7 Kindern und weder er noch sie
mit zeitlichen Gütern gesegnet war, zur Frau genommen hatte.**) — In das Gebiet
der Grammatik greift über die Abhandlung ntql tov iv ^Oövaasia twv Nvi^Kfow
avTQov, die den unglücklichen Versuch enthält, die Stelle der Odyssee von der
Nymphengrotte (Od. e 102 — 112), weil eine solche sich in Wirklichkeit in Ithaka
nicht finde, als Allegorie zu fassen und auf den Kosmos zu deuten. Ebenso
nichtige Ausgeburten verkehrter Interpretation enthalten die ^OiiriQixd ^fjTrj-
l^iccra,^) und nicht besser werden die verlorenen Abhandlungen tt^qI Trjg
'^OfArjQov (fiXo(fo(fiag und ttsqI tmv naQaXsXeifxiisvoLiV tu. rcoirjTr ovofAdTcov^)
^) Unter dem nach Volkniann's Urteil (ed.
Plot. vol. Ilpraef.) erdichteten Namen des Por-
phyrios ging auch die oben S. 691 erwähnte,
aus dem Arabischen bekannt gewordene
Paraphrase der 3 letzten Bücher des Plotin.
''') Dieselbe wird auch als rpiloaocfog
/QoyoyQuepla citiert. Verwandt war die ganz
verloren gegangene Schrift cpiXoXoyog laTOQia
in 5 B., deren Suidas gedenkt. Das erste Buch
der Philosophengeschichte ist ausgeschrieben
von Eusebios Praep. evang. 10, 3. Über
seine Chronika siehe oben § 536.
^) .J. Bernays, Theophrastos Schrift über
Frömmigkeit, Ber. 1866.
^) Das Schreiben ist eine Mosaikarbeit.,
zu der die Steinchen allwärts hergenommen
sind; s. Usener, Epicurea p. LVIII sqq.
Durch unverschämte Verleumdung wird der!
Edelmut in Habsucht umgewandelt in Xqija^ol^
XMV 'EXXrjviXMP x^6(oy n. 85.
5) Vgl. oben § 38.
6j Schol. Hom. r 250 u. 314.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, d) Philosophie. (§561.) 693
gewesen sein. Allegorien suchte Porphyrios auch in der Fabel neQi ^zvyog,
wie uns die Bruchstücke bei Stobaios lehren. — Von den zahlreichen Kom-
mentaren des Porphyrios ist uns die Erläuterung zur Harmonik des Ptole-
maios und die Einleitung zu den Kategorien des Aristoteles {daayoyyi] slg tag
^ÄQiaiOTeXovg xaTijyoQi'ag und €§ijyi]aig eig tccc ^Agiar. xaTijyoQi'ag xazd nevctiv
xal anöxQiaiv) ^) erhalten; die letztere wurde selbst wieder von Ammonios
Hermeiu, Joannes Philoponos, Theodoros Prodromos, Boetius kommentiert
und galt im Mittelalter als Kompendium der Logik. 2) — Aus den histori-
schen Studien des betriebsamen Autors waren die Chronika und die Schrift
TTQog 0ovxvöidov TTQooifjiiov hervorgegangen; von den Xqovixci^ einem bis auf
270 n. Chr. herabgehenden Kompendium der Geschichte, war bereits oben
§ 536 die Rede.
Den religiösen Fragen, die bei den Neuplatonikern einen Hauptgegen-
stand weniger des Forschens als des Ahnens bildeten, ist der Brief an den
ägyptischen Priester Anebon gewidmet; derselbe rief die Entgegnung des
lamblichos hervor und wird häufig von Eusebios, Kyrillos und Augustin
angezogen.^) Interessanter ist die leider nur fragmentarisch, zumeist durch
Eusebios erhaltene Schrift ttsqI xrg ex Xoyiwv (fiXoc>o(piag, in der sich Por-
phyrios zum Glauben an den Humbug der Orakel und den Hexensabbath der
synkretistischen Gotteslehre bekannte, indem er aus angeblichen Orakeln
des Apoll, der Hekate und anderer Götter Beweise für seine theosophischen
Ansichten zu gewinnen suchte. Vielen Staub hatte zu ihrer Zeit die oft
von den Kirchenvätern erwähnte Schrift xatd XqiaTiavMv in 15 B. auf-
gewirbelt; dieselbe enthielt eine scharfe Polemik gegen das Christentum
und rief eine Gegenschrift des Apollinarios in 30 B. hervor.
Porphyrii opuse. selecta ed. Nauck, [Vita Pytli.^ de antro Nymph., de ahstin., ad
Marc.) od. II, Lips. 1886. — Porphyrii Qiiaest. Homer, ed. Schradek, Lips. 1880. —
Porph. capoQfxal riQog tcc vo^]xci, in Creuzer's Ausg. des Plotin, Par, 1855 p. XXXI — L.
Die Kommentare zu Aristoteles Kategorien mit der Übersetzung des Boethius in Comment.
in Aristot. t. IV, 1 ed. Busse, Berl. 1887. - Porphyrii de philosophia ex oraculis hau-
rienda librorum reliquine, ed. Gust. Wulff, Berlin 1856, Hauptwerk, dazu Bernays, Ges.
Abb. II 286 ff., Buresch, Klaros. Lips. 1889. — Eine Gesamtausg. mit Sammlung der Frag-
mente steht noch aus.
561. lamblichos (gest. um 330)*) von Chalkis in Kölesyrien, Schüler
des Anatolios und Porphyrios, lebte unter Konstantin und ist Hauptvertreter
der verworrenen Dämonenlehre, in welche der Neuplatonismus ausartete.
Die unverdiente Bewunderung, welche die Anhänger des untergehenden
Heidentums diesem schwärmerischen Mystiker und unselbständigen Kom-
pilator schenkten,'') erklärt die Erhaltung so vieler seiner Schriften, für
die wir gern besseres aus alter Zeit in Kauf nähmen. Unter den von ihm
^) Daneben hatte er einen ausführlichen
Kommentar zu den Kategorien in 7 B., ferner
einen ttsqi sQfArjvslctq und zur Physik ge-
schrieben; s. Zeller IT*, 2. 640 f.
2) Vgl. Prantl, Gesch. d. Logik I, 626 f.
"') Der merkwürdige Brief ist aus den
Anführungen wieder hergestellt von Tuom.
(i\LE in der Ausg. des lamblichus, de my-
<l('yiis Aeyyptiorum 1878, und Parthey,
Vita bei Eunapios Vit. soph. p. 457 ff.
^) Pseudo-lulian ep. 34: av ys ov Uiu-
(fdQoy fxovop ovök Jij^oxQixov fj 'OQq)ia xov
7iaXc(i6rccToi'. «AÄ« x(d avjUTicd^ i\u(üg t6 'EX-
h]vix6v, onöaou sig (iy.Qov (ft'Aoaoffictg eXS^eh'
fXVtj^OVSVSXai, XC<\hc<716Q fr XVQCC TTOtxlXcDU
cpOöyyiov ii'(tQ^otn(o avaxäoei riQog xn evxsXeg
xtjg ^ovaixrjg xsQuaag «/£<?. Nicht bloss
in den untergeschobenen Briefen , " auch in
Iinnhlichi de mystcriifi lib. Berl. 1857 p. i den echten Schriften spricht Julian, wenn
XXIX sqq. auch in gedämpfterem Ton, von dem xXeivog
^) Ausser dem Artikel des Suidas eine j ieQocpayxiig 'lüf^^hxog.
694
Griechische Literaturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
erhaltenen Werken, tt^qI tov IlvOayoQeiov ßiov, Xöyog TtQOTQemixog dg (piXo-
(focfiav, 7T€qI rr^g xüirr^g i^iad^rjjiiaTixrjg STriaTrjfir'g, nagl rrjg Nixofiäxov aqi^-
l^ir^Tixrjg eiaayMyrjg, d^soXoyovjUsva dQi^/iirjTixrjg, ^Aßccj^ifio)vog diSaaxcckov TiQog
TfjV IIoQ(fVQiov TTQog ^Avsßd) sTCKtTokrjv aTidxQKTig,^) ist am wichtigsten das
Leben des Pythagoras; aber auch dieses ist eine unkritische Kompilatien
aus älteren Werken, durch die uns indes manche anziehende Erzählung,
wie die von Dämon und Phintias (c. 33), nach der Schiller seine Bürgschaft
dichtete, erhalten ist.
Kritische Ausg. der Vita Pythagorica von Nauck, Petrop. 1884. — Adhort. ad philos.
rec. KiESSLiNG, Lips. 1823; ad fidem cod. florentini ed. Pistelli, in Bibl. Teubn. 1888. —
De Nieomachi arithm. ed. Tennullius, Deventer 1667. — Theologumena ed. Ast, Lips.
1817. - lamblichi de mysteriis Äegyptiorum ed. Parthey, Berl. 1857.
562. Pro kl OS (410 — 485), 2) derLykier genannt von der lykischen Stadt
Xanthos, wo er erzogen wurde, ist der angesehenste jener achtbaren Schar
von Philosophen, welche im 5. Jahrhundert die Fahne der alten Philosophie
und Bildung gegen die andrängende Phalanx christlicher Eiferer aufrecht
erhielt. In Alexandria, durch den Aristoteliker Olympiodoros in die Philo-
sophie eingeführt, ward er in Athen eifriger Anhänger der Neuplatoniker
Plutarch und Syrian und folgte dem letzteren auf dem Lehrstuhl der Philo-
sophie in Athen, wovon er den Zunamen Diadochos d. i. Schulvorsteher
erhielt. Bei seinen Zeitgenossen genoss er, wie uns sein Biograph Marinos
bezeugt, durch seine Gelehrsamkeit, Frömmigkeit und wunderthätige Kraft
ein ausserordentliches, uns schwer begreifliches Ansehen. Den Tod erlitt
er 485 in hohem Alter; seine von ihm selbst verfasste, durch seinen Bio-
graphen Marinos und die Anthologie 7, 341 erhaltene Grabschrift lautete:
IlqoxXog syo) ysvo/x^jv Avxiog yevog, or 2vQiav6g
fr^dS' d/noißov irjg ^Qeif^is 6i6a(Txah'rjg.
'^vvog S' djjicfjOT€QO)v ods (TMfjuxra Sä^aro Ti>jj,ßog,
aT&€ dt xal ipD^ccg x^^Q^Q ^'^^^ XsXccxoi.
Seine mehr zahlreichen als inhaltreichen Werke ^) galten zum grösseren
Teil der Erklärung der Dialoge Piatons und der Deutung derselben zu
Gunsten der neuplatonischen Lehre vom Eins und Guten. Auf uns ge-
kommen und nach und nach auch durch den Druck veröffentlicht sind die
weitläufigen Kommentare zum ersten Alkibiades, zum Parmenides,*) zur
Politeia, zu Timaios, Kratylos. In freierer Form sind diese Anschauungen
entwickelt in der Schrift negl Tijg xaid nXdtwva d^soXoyiag. Die Haupt-
sätze der neuplatonischen Philosophie enthalten die kompendiarischen
Schriften ^Toix^iMcfig ^soXoyixrj ^) und 2Toix^i(o(fig (pvaixij rj ttsqI xivrjaswg,
') Näheres bei Zelleb, Phil. d. Gr. IIP,
2. 68l ff.; über die Zweifel an der Echtheit
der letztgenannten Schrift ebenda p. 715 f.;
Bergk, gl, IV, 470 schreibt sie einem gebo-
renen Agyptier und Schüler des lamblichos zu.
Nicht erhalten ist XaXö'cä'xr] TsXsioTuTf] t^fo-
Xoyici, von der Damascius de princ. 43 ein
28. Buch citiert. Eunapios, Vit. soph. hat
unter lamblichos einen breiten Bericht aus des-
sen Biographie des Bhetors Alypios geliefert.
'^) Suidas u. IJgoy'/.oi, 6 Avxiog, Marinos
JlQoxXog fj negi ev^ai^ovlag ed. Boissonade,
Par. 1850; Fkeudenthal in Herm. 16, 201 flf.,
R. Scholl in Ausg. der Comment. in Plat.
de rep. p. 4 f. Das von Marinos c. 35 mit-
geteilte Horoskop führt auf das Jahr 412
als Geburtsjahr, scheint aber auf fehlerhafter
Rechnung zu beruhen; s. Freudenthal, Rh.
M. 43, 486 ff.
•■') Siehe Zeller, Phil. d. Gr. III ', 2. 778 ff.
^) Der Kommentar umfasst 7 B.; ein 8.
fügte Damaskios hinzu.
^) Davon ein Auszug ist das von einem
Araber gefertigte ps.-aristotelische Buch de
causis, herausgegeben von Bardenhewee,
Freiburg 1882.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, d) Philosophie. (§ 562—563.) 695
sowie die nur in lateinischer Übersetzung auf uns gekommenen Bücher
von der Freiheit, von der Vorsehung, von dem Übel. Auch in Versen hat
Proklos seine theosophischen Gedanken ausgedrückt in den bereits oben
g 532 erwähnten 6 Hymnen. Der Mangel an klarer Bestimmtheit und
schöpferischer Originalität, welcher des Proklos philosophische Schriften
kennzeichnet, kehrt auch in seinen sonstigen enkyklopädischen Arbeiten
wieder, in seinen Kommentaren zu Hesiod, Euklid, Ptolemaios, in dem
Buche TTtQl acfai'Qccg, in dem Aufsatz über den Briefstil (ttsqI srtKSToXii^iaiov
XaQaxTr^Qoq). Gehaltreicher und exakter ist die grammatische Chrestomathie,
die eben deshalb einem anderen, älteren Grammatiker Proklos anzugehören
scheint.') Auch Kommentare zu den logischen Schriften des Aristoteles 2)
und eine Streitschrift gegen die Christen {^TiixfiQrjinccTa ir/ xard Ägiaziarcov)
hatte er verfasst; von letzterer haben wir durch die Entgegnung des loannes
Philoponos nähere Kenntnis.
Prodi opera ed. Cousin, Par. 1820—7, 6 vol., enthält die Kommentare zu Piatons
Alkibiades L, Parmenides, Kratylos und die drei latein. Schriften, - Comment. in Plat.
Farm. ed. Stallbaum 1839; in Plat. Timaeum ed. Che. Schneider 1847; in Plat. de rep.
ed. R. Scholl, Berol. 1886, ed. Pitra Spicil. Solesra. t. V, s. oben S. 396. — -fot/. S^eoX.
in Creuzers Ausgabe des Plotin, Par. 1855; Iroi^- (pvatxtj ed. Grynaeus, Basil. 1531;
tjsqI Ttjg xcad flkdxMva ^heoXoyUcg interpr. Aemil. Portus, Hamb. 1618. - üsqI imazo-
hfjfdov /ccQaxTtJQog ed. Westermann^ Lips. 1856; auch zusammen mit Demetrii Phalerei
Tvnoi eniatohxoi herausgegeben von Hercher, Epistologr. gr. p. 1 - 13. — über den Iirtura,
dass bei Suidas dem Syrianus dieselben Werke wie dem Proklos beigelegt werden, s. Daub,
De Suidae hiogr. p. 408.
563. Auf Proklos war gefolgt sein Biograph Marino s, auf diesen
Isidor, Hegias und zuletzt Damaskios, der die Auflösung der Philosophen-
schule in Athen erlebte, und im Jahre 529 mit Simplicius, Diogenes, Her-
meias, Isidoros, Eulalios, Priscianus nach Persien auswandern musste. Von
Damaskios sind uns erhalten ein Buch nsQi tcov ttqmtcov a^/o~r,3) Kom-
mentare zu Aristoteles und ein Auszug aus dem Leben Isidors (Photios cod.
181 und 242). Von Priscian haben wir in lateinischer Übersetzung ^0-
lutiones eorum de quihus diibltauit Chosroes Persarum rex, in denen unter
anderm die (Dvaixal do'^ai des Theophrast, die Meteorologika des Geminus
und die ^vjii^uxTa ^rjTrjjjiaTa des Porphyrios benützt sind.^
Zeitgenosse des Proklos war Hierokles aus Alexandria,'') ein ange-
sehener Philosoph, der auch eine Zeitlang in Konstantinopel weilte, dort
aber bei den Machthabern solchen Anstoss erregte, dass er in den Kerker
geworfen und blutig geschlagen wurde. ^) Ausser Kommentaren zu Piatons
Gorgias, die sein Schüler Theosebios herausgab,^) schrieb er eine weitläufige
Erläuterung zu den Goldenen Sprüchen des Pythagoras (s. § 453). Dieser in
korrekter Sprache und in weihevollem Ton geschriebene Kommentar (hQo-
xAeovg TOI) (fiXoG6(fov dg xd zmv Ilv^ayoQefoyr XQVCd errtj VTTÖfXvr^fJiaTa) stand
^) Darüber unten § 575.
2) Prantl, Gesch. d. Log. I, 641 f.
2) Herausgegeben von Kopp, Frankfurt
1S26; über diese am Schluss verstümmelte
Schrift und die mit derselben vordem irr-
iiimlich vereinigten (Itioqlul xcd enilTbOstg
zu des Proklos Kommentar über Piatons
Tarmenides s. K. Heitz. Der Philosoph Da-
niaskius, in Strassb. Abhandl. zur Philos.,
Froiburg 1884 S. 1-25. - Ausserdem er-
wähnt Photios cod. 130 von Damaskios
TiccQCido^ot Xöyoi in 4 B.
*) Neubearbeitet von Bywater, Aristot.
supplem. 1, 2. Die Schrift des Priscian de
dentis ist von Val. Rose, An. gr. I, 53 — 58
herausgegeben.
•) Über die verschiedenen Hierokles s.
Behr in Pauly's Realenc.
^) Suidas u. 'JsQoxXijg.
') Damascius bei Photius Bibl. p. 338'^ 35.
696
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
bei den Gelehrten des Mittelalters und der Renaissance in hohem Ansehen
und ist vollständig auf uns gekommen J) Überdies haben wir von Photios
bibl. cod. 214 u. 251 Auszüge aus dem Werke tisqI nQovoiag xal d/ncxQfjisrr^g
in 7 B., das unser Philosoph als Trostschrift an seinen Gönner Olympiodor ge-
richtet hatte. Mehrere andere seiner Schriften, insbesondere die Streitschrift
Tiva TQOTTov ^€oig /()r;ö'T«oi', citiert und benützt Stobaios ecl. phys. c. 7.^)
Zu den Neuplatonikern gehört auch Salustius, den wir schon oben
als Zeitgenossen und Freund des Kaisers Julian kennen gelernt haben. 3)
Yon ihm ist ein Buch ttsqI ^ecov xal x6ap.ov auf uns gekommen, das in
21 Kapiteln gewissermassen einen Katechismus der theologischen Lehre der
Neuplatoniker enthält.*) In diesem Charakter des Buches ist es begründet,
dass es nicht tief auf die einzelnen Fragen eingeht; aber wer sich über
die Stellung der Neuplatoniker zum Mythus, zur Lehre vom Kosmos, dem
Nus, dem Bösen, der Seelenwanderung orientieren will, kann es nicht leicht
besser als aus diesem gutgeschriebenen Kompendium.
Das unter dem Namen des Herennios umlaufende Kompendium der
neuplatonischen Metaphysik (^Egewiov (filoa6(fov s'ßrjyrjcrig eig zd iisraipvaixä
ed. Mai, Class. auct. t. IX), das früher irrtümlich als Kommentar der ari-
stotelischen Metaphysik ausgegeben wurde,"') ist eine junge Fälschung, wahr-
scheinlich aus dem 16. Jahrhundert.^)
Von den tüchtigen Kommentatoren des Piaton und Aristoteles aus
dieser letzten Zeit der alten Philosophie, von Syrianos, Hermeias, Ammonios
Ilermeiu, Olympiodoros, David, Simplicius, Asklepios, loannes Philoponos
ist bereits oben an ihrer Stelle die Rede gewesen.
564. Synkretismus. Der Neuplatonismus hatte seine Wurzeln in
dem Bestreben einer Verschmelzung der griechischen Lehre des Piaton mit
den zu steigender Bedeutung gelangten Religionssystemen des Orients.
Dieses Bestreben ist schon bei Biotin wahrnehmbar, trat aber immer stärker
bei den späteren Neuplatonikern, namentlich lamblichos und Proklos, hervor.
Vorgearbeitet gewissermassen war den Philosophen durch die synkretistische
Richtung der Volksreligion, welche insbesondere seit dem Beginne der
römischen Kaiserzeit die Reinheit der altgriechischen Götterverehrung durch-
brach und allgemach auch die denkenden Geister in ihren philosophischen
Anschauungen beeinflusste. Eingewirkt haben die verschiedensten Reli-
gionen Asiens und Afrikas; selbst die Lehren der Druiden Galliens und
der Brahmanen Indiens spielten in diesem Mischmasch eine Rolle ;'^) auch
die altehrwürdigen Sätze des Zoroaster gewannen durch den Einfluss der
Magier und die Verbreitung des Mithraskultus erhöhte Bedeutung in der
^) Abgedruckt ist derselbe von Mullach
FPG. t. I p. 416-484.
^) Yon einem Hierokles, schwerlich dem
unsrigen, rührt auch eine Sammlung von
Anekdoten her, worüber s. § 578.
2) Verschieden von diesem ist der Rhetor
und Sophist Salustius Syrus, der dem An-
fang des 6. Jahrhunderts angehörte und als
trefflicher, gedächtnisstarker Kenner des De-
mosthenes und Nonnos in Alexandria das
grosse Wort führte; s. Damaskios bei Photios
cod. 242 und Suidas s. h. v. Von ihm rühren
wahrscheinlich die Scholien zu verschiedenen
Klassikern her; vgl. 698 An. 1.
^) Wiederabgedruckt ist dasselbe in
Mullach FPG. III, 30-50.
'") Die Sache ist aufgeklärt von J. Ber-
NAYS, Ges. Abh. I, 349 f.
^) Nachgewiesen von E. Heitz, Sitzb.
der Berl. Akad. 1889 S. 1167 ff.
') Belehrend ist in dieser Richtung be-
sonders Diogenes Laert. proöm. ; vgl. Palia-
dios über Indien § 555.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§564—565.) 697
bunten Völkermasse des römischen Kaiserreichs,^) welche die griechische
Sprache als Verständigungsmittel der Gebildeten beibehielt, ohne deshalb
noch griechisch oder auch nur noch hellenistisch zu denken. Vorzüglich aber
war es die jüdisch-christliche Gnosis und die Weisheit der ägyptischen
Priester, w^elche die Denkweise des in Ägypten entstandenen Neuplatonismus
beeinflussten und ähnliche mystische Schriften hervorriefen.
Die Bücher der ägyptischen Weisheit wurden unter dem Namen ^EQf^rjg
TQKTfjityKrTog zusammengefasst und sind uns teilweise noch im griechischen
Original, zum grösseren Teil nur noch in lateinischer und arabischer Über-
setzung erhalten. Das hauptsächlichste ist der Poim ander oder das Buch
vom guten Hirten, eine Sammlung Von 14 philosophischen Dialogen, in denen
Hermes seinen Sohn Tat und den Asklepios in der Gottesgelehrsamkeit unter-
richtet. Ahnlicher Art ist das nur in der lateinischen Übersetzung des
Pseudo-Apuleius erhaltene Buch Äsdepius sive dialogus Ilermctis trismegisti,
ein Schmerzensruf des seinen Untergang voraussehenden Heidentums.^)
Der medizinischen Zauberlitteratur gehören die Kyranides an, mit denen
das Büchlein von den Pflanzen der 7 Planeten in Verbindung steht. ^) —
Voll astrologischer Träumereien sind die aus dem Arabischen übersetzten
Äphorismi seu centum sententiae astrologicae (Centiloquiimi) .
Parthey, Hermetis trismegisti Foemander, Berl. 1854. - Menakd, Hermes trimegiste,
irad. compl. precedee d^une etude sur Vorigine des livres liermetiqiies, Paris 1866. - -
FjQfjLov Tov TQiafisylarov neqi xaTax'Aiaeojg voaovvxMi', tisqI yi'Maxtxrjg ex Tjycr jua^i]fA«TLXfjg
sniaTfjfxrjg ngog "Jfufiioim Jlyvnxiov, in Ideler's PJiysici et medici graeci \, 430—440. —
Die Kyraniden in zwei lateinischen Bearbeitungen stehen in Mysteria pliysica medica,
1681; den Tractatus de Septem lierhis Septem x>lanetis attributis veröffentlichte Sathas,
Ms. gr. cl. IV, n. 57, wozu berichtigende Ergänzungen liefert H. Haupt, Phil. 48, 371 ff. --
Papyrus magica musei Lugd. Bat. quam Leemaks edid. in pap. graec. t. II denuo ed. Alb.
Dieterich, Lips. 1888.
Über den Einfluss der Religion des Zoroaster s. WI^^DISCHMANN, Die Stellen der Alten
über Zoroastrisches, in Zoroastrische Studien, Berlin 1863, S. 260 — 313. — Wachsmuth, Lydns
de ostentis p. XII weist einen Cod. Laurent. 38, 34 nach, der eine reiche Sammlung grie-
chischer Astrologen enthält. — In die gleiche Kategorie gehören auch die astrologischen
Lehrgedichte, Orakelsprüche und Zauberverse, von denen oben §§ 532—534 u. 560 die Rede war.
e. Die Grammatik.
565. Die Kritik oder das Vermögen Wahres von Falschem zu sondern,
war in unserer Periode unter den Nullpunkt gesunken. Damit hatte die
Grammatik und gelehrte Forschung ihre Grundlage verloren; beeinträchtigt
wurden dieselben des weitern durch die Abnahme des Interesses an der
alten Litteratur und die Beschränkung der Lektüre auf wenige Autoren
und Schriften. Die attischen Komiker wurden gänzlich vernachlässigt, von
Piaton fast nur Gorgias, Alkibiades und Phaidros gelesen, von den Tra-
gikern nur die drei Heroen beachtet und selbst von diesen Aischylos mehr
genannt als studiert. Gleichwohl beanspruchen die verhältnismässig zahl-
^) Aus den bezeichneten Kreisen der \ und die Priester, welche die Lehre bewahrten.
orientalisdhen Neuplatoniker stammten, die
erhaltenen "koyia Zcoqouotqov und das von
Clemens Alex. Lactantius u. a. citieite Buch
Hystaspes. ; gekommen
'^) Jak. Bernays, Über den Dialog As-
klepius, Stzb. d. Berl. Ak. 1871, Ges. W. I,
327 ff.; Bergk GL. IV, 569—78. Die Haupt-
stelle über die heiligen Bücher der Ägyptier
steht bei Clemens Alex. Paedag. III, 2: Kennt-
nis von denselben war bereits durch Manetho
und Hekataios (s. § 363) zu den Griechen
■^) Schon Galen, de siinj)!. media, facnl-
tatibns (IV, 1) kennt die dem Heimes zu-
geschriebene Schrift über die 34 ßordyca tmv
lOQOOXÖTlMV.
698
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
zeichen grammatischen Schriften, die aus der Zeit des untergehenden
Griechentums auf uns gekommen sind, in hohem Grade unsere Aufmerk-
samkeit. Denn dem Streben der Grammatiker unserer Periode, die Arbeiten
der Flüheren in kurze Auszüge zu bringen, verdanken wir die Erhaltung
vieler Sätze der alten Gelehrsamkeit. In dem Kehricht, das uns hier zu
durchstöbern ist, vermischt sich die Grenze zwischen Altertum und Mittel-
alter. Denn die Grammatik blieb, wenn man auch im späten Mittelalter
die grammatischen Regeln zuweilen nach dem Leierkasten bekannter Kirchen-
lieder absang, doch ihrem Wesen nach stets von dem Kirchentum und
Glaubensbekenntnis unberührt. Zudem hat nach Herodian kein Gramma-
tiker mehr etwas Selbständiges geleistet, und macht es daher keinen Unter-
schied, ob ein Heide oder ein Christ die Sätze und Sammlungen einer
besseren Zeit plünderte. Wir fürchten daher keinem Tadel zu begegnen,
wenn wir hier öfters die Grenzscheide der Regierung Justinians überschreiten.
566. Von der empirischen Grammatik, Kritik und Exegese der
Autoren, gilt am meisten, was wir von den grammatischen Studien im
allgemeinen bemerkt haben. Neues wurde nichts geleistet; die älteren
gelehrten Schollen wurden in einem schlechten Extrakt dem Texte der
wenigen noch gelesenen Autoren am Rande beigefügt. Hie und da ist
auch der Name desjenigen genannt, der den Auszug gemacht und mit be-
deutungslosen eigenen Zugaben bereichert hat; so wurden die Schollen zu
Sophokles redigiert von Salustios,') die zu Euripides von Dionysios, die
zu Aristophanes von Phaeinos, die zu Theokrit von Eratosthenes,^) die
zu Demosthenes von Ulpian.^)
567. In der grammatischen Theorie beschränkte man sich wesent-
lich auf Kommentierung der kleinen Schulgrammatik des Dionysios Thrax, auf
Exzerpte aus Herodian und Einleitungen in das Studium der Grammatik. Wir
führen kurz die Männer an, von denen uns derartige Schriften erhalten sind.
Theodosios aus Alexandria, der gegen Schluss des 4. Jahrhunderts
lebte, ^) leiht seinen Namen einer Zusammenstellung von Kommentaren zu
der Schulgrammatik des Dionysios Thrax.'') Derselbe ist wirklich Verfasser
der Deklinations- und Konjugationsregeln {daayMyixol xavöveg rregl xKaeo^g
ovonärwv xal QrjfLiäran'), die sich grossen Ansehens in den Schulen er-
freuten und von Choiroboskos eines eigenen Kommentars gewürdigt wurden.^)
Demselben wird mit Wahrscheinlichkeit auch die Epitome der allgemeinen
Prosodie des Herodian {xavovsg rrjg xa&ohxfjg nQoaoidiag) zugeschrieben,')
M Über Salustios den Sophisten ein Ar-
tikel des Suidas ohne Zeitangabe. Unser
Salustius heisst in den Scholien TIvS^ayoQsiog
und dieser war ein Schüler des lamblichos;
s. WiLAMOwiTz, YjVly. Horakl. I, 197 f.; vgl.
§563.
2) Eratosthen es Scholastikos kommt unter
den Epigrammatikern vor.
^) Ein Ovlniavog aocpiartjg unter Kon-
stantin wird von Suidas erwähnt.
'*) Derselbe ist wahrscheinlich identisch
mit dem (^((viudaiog yQafUfjurixog Geodoaiog,
dem Synesios ep. 4 einen Gruss schickt.
^) Über die wirklichen Verfasser dieses
Sammelsuriums s. Uhlig, Dionys. Thrax p.
XXXVI.
^) Im Mittelaltei- wurden diese Kanones
in die Form eines Katechismus gebracht
und in Fragen und Antwort zerlegt; der
Katechismus ist in der älteren Form erhalten
in cod. Guelf. Gud. 112, der von Moscho-
pulos verbesserte ist im Druck erschienen
1493 u. Basel 1540.
'') Die besten Codices (Havn. Matrit.
Barocc.) haben die Überschrift Kayorsg Trjg
xaf^ohxTJg 7TQoa(0(fic<g rov (jocfiorurov Hqo)-
^lavov, ovg negier eus Geodöaiog 6 yQccfjfjrt-
nxog cpvltc^ag röv uQix^fxov r^y ß(ßXi(x)y,
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§566—567.) 699
welche auf Grund des minderwertigen Zeugnisses eines jungen Cod. Paris.
2102 von Barker (1823) und M. Schmidt (1860) unter dem Namen des
Arkadios, eines angesehenen Grammatikers von Antiochia/) veröffentlicht
wurde. Von dieser Epitome, welche sich eng an das Originalwerk des
Herodian anschliesst, sind uns die ersten 19 B. in der Form erhalten,
welche der Epitomator ihnen gegeben hat; das 20. Buch, welches in den
älteren Handschriften fehlt, ist von einem Fälscher des 1(3. Jahrhunderts
aus den anonym umlaufenden Traktaten nsgl Tcvevfidicov und 7T(;qI xqövmv,
welche gleichfalls auf Herodian zurückgehen, ergänzt. 2)
Theodosii Alex, gramwatica ed. Göttling, Lips. 1822. — Theodosii Alex, canones,
Georgii Choerohosci scholia, Sophronü patriarchae Alex, excerpta ed. Hilgakd, in Corp.
gramm. gr. pars IV, Lips. 1889. — Die Kad^oXixrj TiQoaiodia des Ps. Arkadios ist heraus-
gegeben von Barkek-Boissonade, Lips. 1820, und verarbeitet von Lentz in Herodiani relL,
worüber s. § 512.
Georgios Choiroboskos (d. i. Georg der Sauhirt) war um 600 Lehrer
an der grossen ökumenischen Schule in Konstantinopel. ^) Seinen gram-
matischen Vorträgen legte er die Kanones des Theodosios zu grund; diese
Vorträge, in denen er sich als einen guten Kenner des Apollonios, Herodian,
Orion bewährt, sind nach den Nachschriften seiner Schüler auf uns ge-
kommen.^) Ausserdem haben wir von ihm ein Buch über Orthographie
(Gramer, An. Ox. II), von dem im 9. Jahrhundert der Grammatiker Theo-
gnostos einen Auszug machte,^) einen Traktat TrfQi nQoaiodiwv (Bekk. An.
gr. 703 — 8), Kommentare zu Hephästion und Dionysios Thrax letztere in
der abgekürzten Form, die ihnen ein gewisser Heliodoros gab.^) Fälschlich
wurden ihm ehedem auch grammatische Analysen zu den Psalmen zuge-
schrieben.')
Andere Grammatiker des untergehenden Altertums waren: Eugenios,
der nach Suidas unter Kaiser Anastasios in Konstantinopel lehrte und ausser
einem attischen Lexikon, welches noch Suidas benützte, eine metrische
Analyse (>i(aXoixeTQia) der melischen Partien von 15 Dramen des Aischylos,
Sophokles, Euripides verfasste;^) Eudaimon aus Pelusion, Zeitgenosse des
Libanios und Verfasser einer xs^vri yqa^xiiaTixrj und einer oiofiaTixn] oq^^o-
aber vor dem Prolog steht die reservierte
Fassung ngöloyog oifiai Gso&oaiov sig rovg
y.uvövag. Galland, De Arcadii qui fertur
uar.toi'Hate, Diss. Argent. VIT, denkt an den
Grammatiker Aristodemos als Verfasser,
von dem Suidas eine inirofiij zrjg y.aSöXov
'IlQiD^iavov erwähnt.
') Dem Arkadios schreibt Suidas zu:
tjsqI oQxhoyQCifpiag, nsQL awra^sutg rwr tov
'Aoyov ^eQciy, oyofxaarixop.
^j Die Ergänzung geschah durch Jak.
Theod. heisst er FsojQytog ^iäxovog xal /«(>-
Tocpvla^, fA^eyag yQccfUficcTixog xal oixovfjievi-
xog ö^idc'caxaXog.
'^) Georgii Choerohosci Dictata in Theo-
dosii canones et epimerismi in psalmos, ed.
Gaisford, Oxon. 1842-; neue Ausgabe in dem
Corpus gramm. gracc. von Hilgard Lips.
1889.
^) Siehe Krumbacher im Abriss der
byzant. Litt.
") Über einen Traktat des Choiroboskos
Diassorinos, von dem auch der Titel ' 7rf()t TTf^ey^attro)»^ im Cod. Matrit. 95 fol. 138ff.
\lQxadiov herrührt; s. Cohn, Phil. Abh. zu , von zweifelhafter Echtheit gibt Kenntnis
Ehren von M. Hertz S, 141. Über andere
Auszüge der Bücher des Herodian ttsqI nt^ev-
uc'no)v und -nsQL /QÖroji^ siehe Egenolff,
Die orthoepischen Stücke der byzantinischen
Litteratur, Mannh. Progr. 18>7 S. 10 ff.
Über die dem Theodosios sonst noch fälsch-
lich beigelegten Schriften vergl. Uhlig, Dion.
Thrax, Index p. 208.
^) In den Handschriften der Prol. in
Egenolff, Die orthoepischen Stücke S. 2<).
^) Lehrs, Herodiani scripta tria p. 489.
Choiroboskos' Namen trägt auch eineFiguren-
Ichre in Spengel's Khet. gr. III, 244-255.
^) Auf diesen Eugenios scheinen die er-
haltenen metrischen Analysen der Dramatiker
zurückzugehen, die ebensowenig Wert wie
die pindarischen haben.
700
Griechische Litleraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
yQa(fia, welche beide verloren gegangen sind; Timotheos aus Gaza unter
Anastasios, der nach Suidas über Wunderdinge in Versen schrieb und unter
dessen Namen elementare Regeln über die Lautverbindungen (xavoreg
xa^oXixol TTeql avvTa^ewg) auf uns gekommen sind; i) Joannes Philo-
ponos aus der Zeit Justinians,^) ein schreibseliger Kommentator des Ari-
stoteles und Verfasser des Buches jk^qI SiaXsxtwv (im Anhang von Ste-
phanus' Thesaurus ling. graec), der tovixcc naqayysl^ata (ed. Dindoef,
Lips. 1825) und des im Mittelalter oft abgeschriebenen und zuletzt von
Egenolff (1880) herausgegebenen Schullexikons nsql twv diaipoQoyg tovov-
l^ievMV xal 6ia(fOQa arj^iaivövTwv; Theodoretos aus unbestimmter Zeit, von
dem uns ein aus Herodian gezogenes Buch Tregl 7tvei\adTa)v in lexikalischer
Form erhalten ist; 2) Joannes Charax/) Verfasser des von Bekker, An.
gr. 1149-56 publizierten Traktates ttsqI syxXivojiu'vün', sowie einer Schrift
TTtQi oqd^oyqaifiag und von Erläuterungen zu den Kanones des Theodosios;
Sergios Anagnostes aus Emesa. vielleicht identisch mit dem um 500
blühenden Sergius grammaticus,^) von dem Hilgard eine sTiiToinrj twv ovo-
(xaTixMv xavovMv Aih'ov 'HQMÖiavov veröffentlicht hat (Heidelb. Progr. 1887).
Lexika.
568. Das Beste und Meiste wurde in der Lexikographie geleistet,
zu deren mechanischer Thätigkeit am ehesten noch die Kräfte der arm-
seligen Gelehrten des untergehenden Hellenentums ausreichten.
Ammonios, der nach Zerstörung der heidnischen Tempel Alexandrias
(389) nach Konstantinopel auswanderte und dort Lehrer des Kirchenhisto-
rikers Sokrates wurde,*') ist angeblich Verfasser des synonymischen
Lexikons neql dfioiojv xal öiaifoqwv Xs'^smv. Auf so späte Zeit passt es,
dass die Glosse eTTiTif^irjcyov des Lexikons auf das Evangelium Lukas 7, 3
Bezug nimmt. Aber der Umstand, dass sonst nur ältere Grammatiker, wie
Didymos, Aristonikos, Tryphon, Aristokles, Neanthes als Gewährsmänner
angegeben werden und dass einmal sogar der Grammatiker Herakleides
aus Milet mit dem Zusatz 0 ruittsQog citiert wird, beweist deutlich, dass
der Grundstock unseres Lexikons aus viel älterer Zeit stammt. Valckenaer
hat daher in der Einleitung seiner Ausgabe einen neuen Ammonios aus der
Wende des L und 2. Jahrhunderts in die Litteraturgeschichte einführen
wollen. Da uns aber aus anderen Quellen mehrere Artikel des Lexikons
unter dem Namen Eranios und Ptolemaios überliefert sind und Eustathios
sich in dem Homerkommentar wiederholt auf 'EQsrriog ksqI Siacfogwg dr^nai-
roixsvMv bezieht, so scheint vielmehr Herennios Philo der eigentliche Ver-
j
') Diesen Traktat und Exzerpte aus dem
Wunderbuch publizierte Ceamek, An, Ox. IV,
263 ff. u. An. Par. IV, 239 ff.: P]xzerpte aus
dem Buche von den Tieren veröffentlichte M.
Haupt, Herrn. HI. 1 ff. = Opusc. HI, 274 ff.
-) Nach Pkantl, Gesch. d. Log. I, 643
erlebte er als Greis die Einnahme Alexan-
drias durch Omar (640), was sich wenig mit
den Nachrichten über die Polemik des
LeontioR Monachos gegen Philoponus ver-
einigen lässt.
^) Eine Ausgabe im Corpus gramm. gr.
bereitete Stüdemund vor; eine vorläufige An-
zeige gibt Uhlig in Jahrb. f. Phil. 121, 789 ff.
^) Derselbe war verschieden von dem
Erzieher des Kaisers Theophilos und gehörte
dem 6. Jahrhundert an; s. Ludwicii, De
Joanne Philopono p. 9.
^) Photios p. 283b, 28; Choiroboskos
p. 546, 32; Et. M. p. 223, 1.
^) Sokrates, Hist. eccl. 5, 16.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§ 568 - 5G9.) 701
fasser des Lexikons über synonyme Ausdrücke, Ammonios aber nur der
Überarbeiter desselben zu sein.
Hauptausgabe von Valckenaer, LB. 1739, wiederholt von Ammon, Erlangen 1787.
Eine neue Bearbeitung der synonymischen Wortverzeichnisse hat für das Corpus der
griech. Grammatiker Cohn übernommen ; die litterarhistorische Frage ist ins Reine gebracht
von Kopp, De Ammonii aliorum distinctionibus synonymis, Königsberg 1883. — Schon
Seleukos hatte nach Suidas ne^l xrjg ii^ GVPiavvfxoiq diacpoQccg geschrieben. — Heylbut,
Ptolemaeus tisqI &i«(poQag Xe^siog, Herrn. 22, 388 ff.
Ein Auszug aus dem Synonymen-Wörterbuch ist das von Boissonade An. gr. HI,
262 ff. veröffentlichte Büchlein negt uxvQoXoyiac, das der Fälscher Paläokappa in Codd.
Paris 2551 und 2929 dem Herodian zuschrieb.
569. Orion aus dem ägyptischen Theben lehrte um die Mitte des
5. Jahrhunderts in Konstantinopel, wo seine grammatischen Vorträge so
beliebt waren, dass dieselben sogar die Kaiserin Eudokia, die schöngeistige
Gemahlin des Kaisers Theodosios IL, mit ihrem Besuche beehrte.') Den
Hauptsitz seiner Thätigkeit aber muss derselbe in Cäsarea gehabt haben,
da er in den Handschriften yQafijiiaTixdg Kaiaageiag genannt wird. Suidas
erwähnt von ihm eine Sammlung von Sentenzen, welche er der Kaiserin
Eudokia widmete. Erhalten haben sich von ihm Trümmer seines Haupt-
werkes, eines etymologischen Lexikons {n8Ql srviioXoyi(jov), in welchem
er die älteren etymologischen Forschungen des ApoUodoros, Herakleides
Pontikos, Philoxenos, Soranos, Eirenaios, Apollonios, Herodianos und Oros
aus Milet zusammenfasste. Der letztere, mit dem unser Orion von den
Späteren vielfach verwechselt wurde, war ein berühmter Grammatiker der
älteren Schule, Gegner des Herodian und Phrynichos; Stoff für die späteren
Etymologen lieferten namentlich seine Werke 'OQ^oyQcc(fia und ^E^vixd.^)
Aus jenem etymologischen Lexikon des Orion gingen die etymologi-
schen Kompilationen des Mittelalters hervor: das echte Etymologicum
magnum,^) das Etymologicum Gudianum,*) das erweiterte Etymo-
logicum magnum,^) die Jvvaywyri Xt^sun' des Zonaras (IL Jahrhundert).
Dieselben gehen alle auf eine Grundlage zurück und dienen sich zur gegen-
seitigen Ergänzung. Wert für die Wissenschaft der Wortherleitung haben diese
Etymologika sämtlich so gut wie keinen; die Alten tappten eben auf diesem
Gebiet ganz im Dunkeln, ohne durch methodische Analyse, Erforschung der
Lautgesetze und Vergleichung der verwandten Sprachen den richtigen Boden
zu ihren Versuchen zu legen. Aber für die Geschichte der griechischen
^) Marinus vit. Procl. c. 8; Tzetzes.
Chihad. X, 60.
^) Diesen Oros aus Milet, der von dem
'ilQog 'Ale'^ap^QEvg des Suidas nicht ver-
schieden gewesen zu sein scheint, hat wieder
zu Ehren gebracht Ritschl, De Ovo et Orione,
Opusc. I, 582 — 673. Seine Zeit würde sich
noch bestimmter ergeben, wenn es feststünde,
dass von ihm die Lobrede auf Hadrian her-
rührte, welche Suidas unter 'iigiMy ^AXe'^av-
ÖQevg anführt.
^) Dieses echte 'Exv^oXoyixov /xeya, aus
dem durch Verschmelzung mit dem 'Erv-
fxoXoytxoi/ aXXo oder Etyni. Gudianum das
bisher Etym. magn. genannte Lexikon hervor-
gegangen ist, wird Keitzenstein aus den
Mitteilungen gibt derselbe Philol. 48 (1890)
450 ff. und in Verh. der 40. Vers. d. Phil,
in Görlitz.
^) Benannt ist dasselbe nach Gude, dem
ehemaligen Besitzer der Wolfenbüttler Hand-
schrift.
^) Dasselbe läuft bis auf unsere Tage
unter dem mit Unrecht ihm verliehenen
Titel Etymolo(jicum magnum. Verfasst ist
dasselbe nach Photios, der benützt ist, und
vor Eustathios, der dasselbe citiert; s. Nabeu,
Phot. lex. I, 167 ff. Der Verfasser hat auch
eigenes hinzugefügt und bemerkt zum un-
sinnigen Artikel über neog selbstgefällig:
iyu) inEvoriaci. Nach einer niissverstandenen
Beischrift hielt man ehedem den Nikas für
Handschritten wieder herstellen; vorläufige | den Verfasser; s. Millek, Melang. o f.
702 Griecliische Litteraturgeschiclite. ll. Nachklassische Litteratur.
Grammatik sind gleichwohl jene Werke von Bedeutung, zumal meistens
die Zeugen für die verschiedenen Sätze beigeschrieben sind.
Etymologica ed. Sturz, Lips. 181G — 20; rec. Gaisford, Oxon. 1848; Nachträge lie-
ferten Ceamer, An, Par. IV, und Miller, Melanges p. 1-318; eine Neulsearbeitung mit
den seither bedeutend vermehrten Hilfsmitteln ist ein dringendes Bedürfnis, dessen Ab-
hilfe von Reitzenstein erwartet wird. — Ein byzantinisches Lexikon des Theodoros
Ptochoprodromos publizierten aus einer Handschrift von Smyrna Papadopulos u. Miller
in Annuaire de Vassociation pour Vencour agement des etudes grecques t. X (1876) p. 121
bis 136; s. Egenolff, Jahresber. d Alt. XIV, 1. 157 ff.
570. Hesychios von Alexandria, wahrscheinlich dem 5. Jahr-
hundert angehörig, ist Verfasser des reichhaltigsten der aus dem Altertum
uns erhaltenen Lexika, Dasselbe sollte nach dem Brief, den der Verfasser
an seinen Freund Eugenios vorausschickt, eine Neuauflage der UsQisQyo-
Tct'vtjTsg des Diogenianos sein,^) ergänzt durch Glossen aus den Homer-
lexicis des Apion und Apollonios. Ob das zu gründe liegende Werk des
Diogenianos der oben § 504 erwähnte Auszug des Pamphilos oder ein
davon unabhängiges selbständiges Werk gewesen sei, ist eine zwischen
Mor. Schmidt, dem verdienten Herausgeber, und Hugo Weber, dem tüchtigen
Sachkenner, lebhaft erörterte, noch nicht definitiv geschlichtete Streitfrage. 2)
Das erhaltene Lexikon des Hesychios enthält, abgesehen von den jungen
biblischen Glossen, in knappster Form teils bemerkenswerte Lesarten der
Autorentexte {Xe'^sig), teils ungewöhnliche, nur in einzelnen Dialekten oder
Städten gebräuchliche Ausdrücke (ylMaaai). Die ersteren haben für die Kritik
und Emendation der Autoren schon sehr gute Dienste geleistet, indem zuerst
Ruhnken und dann andere nach ihm aus einzelnen Artikeln die ursprüng-
lichen, durch die darüber geschriebenen Glossen aus dem Text verdrängten
Lesarten der klassischen Autoren nachwiesen. Die dialektischen Glossen
haben für das Studium der griechischen Dialekte hohen Wert, wenn die-
selben auch vielfach durch die auf Inschriftsteinen uns erhaltenen Zeugen
berichtigt werden.^) Eine arge Kopflosigkeit Hess sich der Lexikograph
darin zu schulden kommen, dass er, durch die Ähnlichkeit der Buchstaben
r und F verleitet, alle mit Digamma beginnenden Wörter unter dem Buch-
staben Y aufführte. Im byzantinischen Mittelalter wurden in das alte Werk
des Hesychios christliche Glossen, insbesondere Artikel des Kyrill-Glossars,
nicht ohne vielfache Miss Verständnisse hineingearbeitet; vgl. § 573.
Hesychii lex. ed. Alberti, confecit Ruhnken, LB. 1766, 2 vol. — rec. Mor. Schmidt,
Jenae 1858—68, 4 vol.; edit. minor 1867, 1 vol., worin der Versuch gemacht ist, die Ar-
tikel des Diogenianos von den Zusätzen des Hesychios zu scheiden.
571. Hesychios aus Milet, mit dem Beinamen Illustrius, der im
6. Jahrhundert unter Justinian lebte und auch eine Geschichte seiner Zeit
schrieb, 4) ist Verfasser des für die griechische Litteraturgeschichte hoch- j
wichtigen litterarhistorischen Lexikons 'OvoixaToXoyog 1] nira§ twv iv naiöeia
') Der Titel IIsQiSQyonepijtsg scheint zu 1 ^) Dass von 257 kyprischen Glossen
bedeuten „Wörterbuch für arme Studenten."
'^) Weber, De Hesychii ad Eulogium
epistida, Weimar 1865; Untersuchungen über
das Lexikon des Hesychios, Philol. Suppl.
HI, 449—625: Ed. Zarncke, Symbolae ad
Jul. Follucem p. 46 sqq. Auf die Seite von
Schmidt stellt sich auch Reitzenstein, Rh.
M. 43, 456 f.
nur das einzige ßQovxog sich im heutigen
Kyprischen erhalten hat, bemerken Miller
u. Sathas in der Ausgabe des Leontios
Machaeras, intiod. p. XIII, Über die latei-
nischen Glossen s. Immisch, Leipz. Stud. VIII,
266-378.
'') Siehe darüber Krumbacher im Abriss
der byzant. Litt.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§ 570—572.) 703
orofiacnöir. Dasselbe ist uns nicht im Original erhalten, sondern nur in
den Auszügen, die aus ihm Suidas in sein Lexikon aufnahm.') Hesychios
selbst hinwiederum war im wesentlichen nur Übermittler älterer Gelehr-
samkeit, indem er seine Angaben zumeist der Movoixt] laioQia des Aelius
Dionysius ^) und den litterarhistorischen Werken des Herennios Philon
entnahm. 2)
Hesychn Milesii Onomatologi qiiae superstint ed. Flach, Lips. 1882 und in Bibl.
Teubn. — Volkmann, De Stcidae hiographicis, Bonn 1861; Wachsmuth, De fontibus ex
quihus Suidas in scriptorum graecorum vitis Jiauserit, in Symb. phil. Bonn. I, 137 ff.;
Daub, De Suidae hiograpJiicoriim origine et ftde, Jahrb. f. Phil. Suppl. XI, 403 ff.
572. Suidas, der bekannte Verfasser des umfangreichsten griechischen
Lexikons, welches Sprach- und Reallexikon zugleich ist, gehört seiner
Lebenszeit nach dem tiefen Mittelalter (10. Jahrhundert) an, fusst aber
wesentlich auf lexikalischen und grammatischen Werken des Altertums.
Von ihm selbst werden in dem Proömium als Quellen angeführt:') Evö^iog
QijTMQ ttsqI Xs^scor,^) 'EXXädiOQ/') Evytviog AvyovaTonöXswg xr^q er 0Qvyia,
ZMüt'ixov Fce^cciov Xs'^eig ^rjroQixai,'^) KaixiXiov ^ixsXkütov exXoyrj Xt"^€MV,
Aoyyivov KaCGiov Xt'^sig, AovnhQxov BrjQvviov 'AzTixal Xe'^sig,^) OvfjcTTivov
^lovXiov sniTü^iij na^iKfi'Xov yXa)(T(Tdn\ tlaxärog ttsq) oviTj^siag ^ÄTTixr^g, Ila^-
(fiXov Xi:ifX(i]v Xe'^SMV noixiXun'^ Tla^XiMVog ^AXs'^ardQi'cog 'Attixcov Xt^euiv cvvcc-
yMy}], Aber dieses Quellenverzeichnis hat nur auf den sprachlichen Teil
des Lexikons Bezug; wahrscheinlich hat sogar in diesem nicht einmal
Suidas die angeführten Werke selbst vor sich gehabt, sondern ihr Ver-
zeichnis nur dem Sammelwerk entnommen, das ihm in den sprachlichen
Artikeln als hauptsächlichste Vorlage diente. ■') Ausserdem benützte er
noch manche andere, nicht ausdrücklich genannte Quellen, insbesondere
gute Schollen zu den Tragikern, Aristophanes und Thukydides, ferner den
Onomatologos des Hesychios Milesios, das Exzerptenwerk des Konstantinos
Porphyrogennetos,^^) die Philosophenbiographien des Diogenes, endlich die
') Suidas u. 'Hav/iog MiXTJaiog ' tyQa^sp
ovo^aroloyov rj niyaxa T(oy ep naiösia ovo-
fxuoTVJv, ov eniio^Tj ioii tovto to ßiß'/,iop.
^) Suidas u. 'HQM^iapog.
^) Für die Zeit nach Herodian waren
Quellen des Hesychios die Chronik des Heli-
konios (Suidas u. 'EAtxwVto?), und der
Kirchenhistoriker Theodoros Lector,
schwerlich auch die der Unechtheit dringend
verdächtige Übersetzung des Hieronymus de
viris illustribus von Sophronios (ed. Eras-
Mus, Lueubvationes Hieronymi, Basel 1526,
t. I p. 265 f., in Vallaesi's Ausgabe des
Hieronymus H, 2 p. 821 ff.); die Echtheit und
das hohe Alter der letzteren sucht Flach,
Rh. M. ,36, 624 ff. zu verteidigen.
'*) Über die Quellen des Suidas im all-
gemeinen handelt Bernhaedy in seiner Aus-
gabe; von den meisten der von Suidas selbst
angeführten Quellen war bereits im voraus-
gehenden die Rede.
^) Über Eudemos ein Artikel des Suidas;
KiTSCHL, Opusc. I, 669 setzt ihn vermutungs-
weise ins 3. Jahrh. n. Chr.
'^) Helladios lebte unter Theodosios dem
Jüngeren; sein Lexikon lag noch demPhotios
vor, der es cod. 145 Xe^ixwp TioXvari/i6T(CT0P
nennt.
^) Dieser Zosimos, verschieden von dem
Historiker, lebte nach Suidas unter Ana-
stasios und schrieb ausser dem Lexikon
Kommentare zu Lysias und Demosthenes;
von ihm rührt das erhaltene Leben des
Demosthenes und wahrscheinlich auch das
des Isokrates her.
^) Luperkos lebte nach Suidas unter
Claudius II.
^) Zu beachten ist aber dabei, dass
Suidas in dem Lexikon allen diesen Männern
sehr ausführliche Artikel gewidmet hat.
Vgl. Naber, Phot. lex. T, 164 ff. Dass Suidas
nicht direkt den Photios benützt hat, beweist
RoELLiG, Quae ratio vnter Photii et Suidae
lexica intcrcedat, Diss. Hai. VIII (1887).
Drastisch sagte bereits Valckenaer zu Theoer.
Adon. p. 297 : Suidam ego quidem iudico
mdlum vidisse lexicoruvi, qnae in fronte
libri memorantur.
'") Dass die historischen Nachrichten des
Suidas nicht aus den grossen Originalwerken,
7Ö4 Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litter atur.
im 10. Jahrhundert noch fleissig in ßyzanz gelesenen Schriften des Aelian,
Athenaios, Philostratos, Babrios.
Dem Suidas ward früher gewöhnlich als Appendix das Violarium
{'iMvid) der Kaiserin Eudokia (11. Jahrhundert) angehängt und von den
Litterarhistorikern zur Ergänzung einzelner Artikel des Suidas benützt.
Jetzt muss dieses Lexikon aus dem Verzeichnis der alten Quellenwerke
gestrichen werden, nachdem Nitzsche, Quaestiones Eudocideae (1868) und
PuLCH, De Eudociae quod fertur Violario (1880) den Nachweis geliefert
haben, dass dasselbe die Fälschung eines gelehrten Griechen der Renaissance
ist, welcher seine Auszüge aus Suidas mit einigen aus Athenaeus, Maximus
Tyrius u. a. geschöpften Notizen bereicherte. Der Name des Fälschers
war Konstantinos Palaiokappa aus Kreta, der unter Heinrich II. an den
Pariser Bibliotheken thätig war.^)
Codices des Suidas: Paris. 2625 (A), Leidensis Voss. 2 (V). Hauptausgaben von
Küster, Cambr. 1705; von Gaisford, Oxon. 1834, 3 vol.fol.; von Bernhardy, HaHs 1853;
2 vol. fol.; von I. Bekker, Berol. 1854, 1 vol. 4. — Eudokia zuerst herausgegeben von
ViLLOisoN, Anecd. gr. I. Der einzige Codex derselben ist der Paris. 3057 aus dem 16. Jahr-
hundert.
573. Photios, der einflussreiche Patriarch von Konstantinopel (857
bis 879), ist Verfasser eines Lexikons At^scov avvayMyr^ und zugleich eines
grossen Exzerptenwerkes BißhoO^r^xi] i] iivQiößißXog,. Die Bibliothek ent-
hält ein reichhaltiges, mit Inhaltsangaben und Auszügen ausgestattetes
Verzeichnis von 280, jetzt zum grossen Teil verloren gegangenen Werken,
welche Photios auf einer Gesandtschaftsreise nach Persien sich hatte vor-
lesen lassen. Das Buch ist schlecht angelegt, indem die verschiedensten,
heidnischen und christlichen Schriftsteller bunt durcheinander geworfen sind,
gibt uns aber einen höchst erwünschten Ersatz für die verlorenen Original-
werke und enthält zugleich ein interessantes Zeugnis für den damaligen
Bestand der Bibliotheken des byzantinischen Reiches. 2) Das Lexikon desj
Photios fusst teils auf Diogenian,^^) dessen Kenntnis dem Verfasser durch]
die rhetorischen Lexika des Dionysios und Pausanias vermittelt war, teils ^
auf Speziallexicis zu Piaton, den attischen Rednern und Homer. Wesent-
lich die gleichen Quellen liegen noch mehreren anderen, anonymen Lexicis
des Mittelalters zu grund.
Der Cod. archetypus des Photios-Lexikons befindet sich zu Cambridge; aus ihm
hatten schon einzelnes ßentley, Ruhnken, Alberti mitgeteilt, bis G. Hermann den eisten!
Druck im Nachtrag zu Zonaras besorgte (1S08). Hauptausgaben desselben sind von Porson,
Lond. 1822, 2 vol., und von Naber, LB. 1866, 2 vol. mit ausführlichen, die ganze Lexiko-
graphie der Griechen beleuchtenden Prolegomenis.
Hauptcodex der Bibliothek des Photios ist Marc. 450; ed. princ. von Höschel,
Augsb. 1601; Ausg. mit kritischem Apparat von Bekker, Berol. 1824, 2 vol. Über die
durch dieselbe vermittelte Bereicherung der alten Litteratur s. Scholl, Gr. Litt. 111, 209 — 218.
Von den anderen Lexicis sind die wichtigsten: das Bach mann 'sehe Lexikon {avva-
yvjyrj ke^swy /Qf]OLfi(oy ix öiacpoQiap oo(pwv rs xcd ()T]t6qwp noX'Aüiy), wovon Bachmann, An. gr. I,
1 — 422 die Buchstaben ß — 10 aus dem Cod. Coislin 345 herausgegeben hat, und wozu dea
Anfang oder den Buchstaben a das 6. Bekker'sche Lexikon (An. gr. 319—476) enthält;
sondern aus dem Exzerptenwerk des Kon-
stantinos Porphyrogennetos geflossen sind
und Suidas höchstens die Chronik des Geor-
gios Monachos selbst einsah, beweist De
BooR, Herm. 21, 1—26.
•) PuLCH, Herm. 17, 176 ff. Näheres
über diesen Fälscher und seinen Genossen
gibt L. CoHN, Konstantin Palaeokappa und
Jakob Diassorinos, in Phil. Abh. zu Ehren
von M. Hertz S. 123—143.
2) BLASS, Handb. d. klass. Alt. I, 137.
^j Diogenianos selbst ist citiert u. «. «.
C. Römische Periode nach Konstautiu. 3. Die Prosa, e) Crrammatik. (§ 573 — 575.) 705
das 5. Bekker'sche Lexikon (An. gr. 195 — 318), dessen Artikel sich vielfach mit dem
Lexikon des Photios infolge der Benützung gleicher Vorlagen berühren; das auf den Gram-
matiker Methodios zurückgehende ^t//wcfer»'-Lexikon, von dem Sturz im Anhang des
Et. Gud. p. 017 ff. ein Exzerpt veröffentlicht hat; s. Kopp, Zur Quellenkunde des Et. M.,
Rh. M. 40, 371 ff.
Die Lexikographen Philoxenus (Konsul unter Justinus 525) und Cyrillus als
Verfasser von lateinisch-griechischen und griechisch-lateinischen Glossen haben sich in eitel
Dunst aufgelöst, da ihre Autorschaft an den bezeichneten, von Stephanus und Labbäus
herausgegebenen Lexicis auf leerer Fiktion beruht; s. Rudorff, Über die Glossare des
Philoxenus und Cyrillus, Abh. d. Berl. Ak. 1865, S. 220 ff. u. 230 ff.; neueste kritische Be-
arbeitung derselben in Corpus glossariorum latinorum, ed. Götz et GundermanNj Lips. 1888.
Das Lexikon technologicum des Philemon, das sein Herausgeber Osann (1821) in
das 5. Jahrhundeit setzen wollte, ist erst im 16. Jahrhundert unter erlogenem Titel fabri-
ziert worden; s. Cohn, Phil. Abh. zu Ehren von Hertz 133 ff.
Das Lexikon des Kyrillos (in Cod. Vallicellianus E 11 s. X), von dem eine kritische
Gesamtausgabe von Reitzenstein erwartet wird, hat schwerlich etwas mit dem Kirchenvater
Kyrillos, Erzbischof von Alexandria, gemein. Dass das Cyrillglossar nachträglich im 10.
Jahrb. in den Hesychius hineingearbeitet wurde, ist nachgewiesen von Reitzenstein, Die
Überarbeitung des Lexikons des Hesychios, Rh. M. 43 (1888). 443 ff. In das Cyrillglossar
hinwiederum sind Artikel aus dem biblischen Stephanus-Glossar {Xs^sig tmp evöiax^siiou
yQcicpöiv) gekommen, das im Cod. Coislinianus 394 s. X existiert und seinen Namen davon
hat, dass es Stephanus im Anhang seines Thesaurus veröffentlichte.
Das Lexikon Vindobonense (aus Cod. Vind. 169 herausgegeben von Nauck,
Petrop. 1867) ist nach dem Patriarchen Georgios Kyprios (1283 — 9), der öfters citiert wird,
verfasst, und enthält ausser spärlichen, meist aus Harpokration geflossenen Glossen der
alten Zeit zahlreiche Zusätze aus den Schriften der sophistischen Rhetoren Aristides, Liba-
nios, Synesios, Julianos, Gregorios.
Chrestomathien,
574. Die Grammatiker hatten seit alters, in steigendem Masse
aber in der römischen Zeit die Gewohnheit, die alten Autoren nach ge-
wissen Gesichtspunkten durchzulesen und aus ihnen dasjenige auszuziehen
{ixXsysad^ai) , was ihnen für die Anlage ihrer Sammlungen und zur
Durchführung irgend einer Untersuchung von Belang zu sein schien.
Schon Diogenes III, 65 fand in seinem Piaton öfters am Rande ein X
nsqisaxiyiitvov ngog Tag sxXoydg xal xaXXf,yQa(fiag, und auch wir begegnen
noch häufig in griechischen Handschriften diesem X, das mit xQriaxov oder
XQrjaipov gedeutet wird und mit jenen Bestrebungen der Grammatiker und
Sophisten zusammenhängt.^) Eine vollständige Litteratur von Exzerpten
{sxXoyai), Blütenlesen (av^oXoyicc), Chrestomathien (xQrjato/xa^iai) entstand
gegen Ende des Altertums, als man sich nicht mehr die Mühe nahm, die
grossen Werke von vorn bis hinten durchzulesen, sondern sich mit einer
Auswahl der vorzüglichsten Stellen begnügte. Die Exzerpte haben nicht
wenig zum Untergang der Originalwerke beigetragen, für uns aber haben
dieselben, nachdem nun einmal doch die Originale verloren gegangen sind,
eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.
575. Proklos wird von Photios cod. 239 als Verfasser einer XQ^r
(TTOfia&ia yQaixi.iaTixr] in 4 B. angeführt. Erhalten sind Auszüge {'^xloym)
aus den 2 ersten Büchern, in denen zuerst kurze einleitende Bemerkungen
über den Unterschied von Prosa {Xöyog) und Poesie {rroh^fia) gegeben und
dann ausführlicher vom Epos, der Elegie, dem lambos, den verschiedenen
j Arten der melischen Poesie gehandelt ist, und zwar so, dass bei jeder
Dichtgattung die Hauptvertreter derselben aufgezählt, von den Dichtungen
') Eine ähnliche Bedeutung hatte auch das oft am Rande beigeschriebene luQcdoi/.
Ilandbuch der blass. Altcvtiamswisscnschaft. VII. 2. Aufl. 45
706
Griechische Litteraturgeschichte. 11. Nachklassische Litteratur.
des epischen Kyklos auch Inhaltsangaben beigegeben sind. Die 2 letzten
Bücher handelten vermutlich von der dramatischen Poesie und den Gat-
tungen der prosaischen Rede. In dem Exemplar des Suidas, der im Gegen-
satz zu Photios nur 3 Bücher anführt, wird die Prosa ganz gefehlt haben.
Suidas schreibt ebenso wie Gregor von Nazianz ^) diese Chrestomathie dem
Neuplatoniker Proklos des 5. Jahrhunderts zu; dass dieses ein Irrtum sei
und die Chrestomathie einem nüchternen, besser unterrichteten Grammatiker
und wahrscheinlich auch einer älteren Zeit, dem 2. oder 3. Jahrhundert
n. Chr., angehöre, haben Valesius und Welcker, Ep. Cycl. I, 3 ff., richtig
erkannt. 2) Aber schwer ist es, eine bestimmte Persönlichkeit herauszu-
finden. Denn mit dem Grammatiker Eutychius Proklus von Sicca, dem
Lehrer des Kaisers Antoninus, darf der Verfasser unserer Chrestomathie
nicht identifiziert werden, da jener nach Capitolinus, vit. Anton. 2, ein La-
teiner war. 3) Die solide Gelehrsamkeit unseres Proklos stimmt auch nicht
zu der abergläubischen Manier des Grammatikers Proculus bei Trebellius,
vit. Aemil. 22, so dass, da der Proclus interpres Pindari des unechten
Apuleius de orthogr. 43 ohnehin in Wegfall kommt, nur der Proklos, von
dem Alexander Aphrodisiensis zu Arist. soph. el. p. 4 eine soqtcov ditaQi^-
^rj(/ig anführt, als mutmasslicher Verfasser unserer Chrestomathie in Be-
tracht kommt.
Prodi chrestom. ed. Gaisford in der Ausgabe des Hephästion, Oxon. (1810),
ed. III. 1856. Daraus wiederholt von Westphal, Scriptores metrici graeci, in i3ibl.
Teubn. t. I.
576. Sopatros, Sophist aus Apamea oder Alexandria, wird von
Photios cod. 161 als Verfasser von sxXoyal SiäcfOQoi in 12 B. angeführt.
Derselbe ist wohl eine Person mit dem Rhetor Sopatros, von dem sich noch
langweilige rhetorische Schriften und Kommentare erhalten haben. '^) Sein
buntes Exzerptenwerk begann mit den Göttern, wobei vorzüglich die Schrift
des Apollodor tisqI ^8mv und ausserdem Juba und Athenaios benützt waren.
Die beiden folgenden Bücher waren aus den Sammelwerken der Pamphila
und des Favorinus und dem Buche des Artemon aus Magnesia über aus-
gezeichnete Frauen ^) ausgezogen. Den nächsten 3 Büchern lag hauptsäch-
lich die iiovaixrj taioQia des Rufus zu gründe, der selbst hinwiederum die
^saxQixii] laxoQia des Juba und die iiovaixr] taroQia des Aelius Dionysius
geplündert hatte. Das 6. Buch war aus Herodot, die 5 letzten zumeist
aus den Schriften des Plutarch ausgezogen. Die Eklogen sind verloren ge-
gangen, Reste davon enthalten die von Rose, Anecd. gr. I publizierte
Schrift über die klugen und tapferen Frauen.
Helladios aus Ägypten unter Licinius und Maximinianus, wahrschein-
I
') Patrol.gr. ed. Migne 30,914 c: TJQoxXog
6 niciiMVLXog sy fxoyoßißho tisqI xvxXov ini-
ysyQccfXjuti'f],
2) WiLAMOWiLz, Phil. Unt. VII, 330
sieht keine Veranlassung, die byzantinische
Tradition zu bezweifeln. Eine genaue Unter-
suchung der Sache wäre sehr erwünscht;
dabei müsste insbesondere auf das Verhältnis
einzelner Angaben der Chrestomathie zu
solchen im Hesiodkommentar des Proklos
eingegangen und das Eigentum des Pioklos
von dem aus älteren Werken herübergenom-
menen Kerne des Werkes geschieden werden.
^) Schmidt, Didymi fragm. p, 390.
•*) Vergl. oben § 495.
^) S. Westermann, Paradoxogr. 213 — 8,
und Val. Rose, An. gr., Berl. 1864, der I,
14 bezüglich der dort publizierten Schriften
rvvcdxeg iv^ TioXsfxoTg ovvsTcd xal di^ÖQsha
und Tireg oixot dvdoxaTOL dir« yvvaTxag eyi'
vopTo an Sopaters Eklogen erinnert.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§ 576 — 577.) 707
lieh verschieden von dem Lexikographen Helladios, der unter Theodosios
dem Jüngeren lebte, ^ schrieb in iambischen Versen eine Chrestomathie in
4 B. über vermischte, dem weiten Gebiet der grammatischen Historie an-
gehörende Dinge; einen Auszug davon gibt Photios cod. 279.
577. Joannes Stobaios ist Verfasser eines wertvollen, uns noch er-
haltenen Exzerptenwerkes. Derselbe hatte den Namen Stobaios von seiner
Vaterstadt Stoboi in Makedonien und lebte nach dem Neuplatoniker Hiero-
kles^), aus dessen Schrift Tiva xqotcov ^soTg /^ryortox' er mehrere Stellen
anführt. Aber schwerlich überlebte er lange diesen Philosophen, da er
noch der heidnischen Religion anhing und nirgends christliche Schriften
citiert. Seine Anthologie {dvO^oloyiov) in 4 B., aus mehr als 500 Schrift-
stellern, Dichtern und Prosaikern, zusammengestellt, widmete er seinem
Sohne Septimius, auf dessen Bildung er durch die gesammelten Blütenlesen
einwirken wollte. Dem Patriarchen Photios cod. 167 lag das Werk noch
unverstümmelt in 4 Büchern und 2 Bänden (tsvx^j) vor. 2) Diese Zweitei-
lung scheint der Grund gewesen zu sein, dass dasselbe im Laufe des Mittel-
alters in 2 Werke, in die ^ExXoyaC {Eclogae pliysicae et etJücae) und das
^Äv^oXoyiov {Florilegium oder Serniones), auseinandergenommen wurde. Inner-
lich ist diese Trennung unberechtigt, da alle Bücher in der gleichen Weise
angelegt sind und das 3. Buch sogar enger mit dem 2., als das 2. mit
dem 1. zusammenhängt. Gehandelt ist in dem ersten Buch, nach einer
inzwischen verloren gegangenen Einleitung über den Wert der Philosophie
und die philosophischen Sekten, von Fragen der Metaphysik und Physik;
das 2. und 3. Buch ist nach Erörterung einiger Punkte der Erkenntnis-
lehre {t6 Xoyixov) ganz der Ethik gewidmet; das 4. Buch endlich handelt
von der Politik und im Anschluss daran von der Familie und der Haus-
verwaltung [ohovopiia). Die Methode ist die, dass regelmässig ein Beweis-
satz (60 im L Buch, 46 im 2., 42 im 3., 58 im 4.) vorangestellt und dazu
die passenden Belegstellen zuerst aus Dichtern und dann aus Philosophen,
Historikern, Rednern und Ärzten gegeben werden. Hätte Stobaios die Stellen
alle selbst gesammelt, so würde das eine ausserordentliche Belesenheit vor-
aussetzen ; aber wahrscheinlich hat derselbe vieles älteren Sammlungen ent-
nommen. ^ Unter allen Umständen aber ist uns das Werk durch die zahl-
I reichen wörtlich angeführten Stellen aus inzwischen verloren gegangenen
Schriften von ausserordentlichem Wert. Um so mehr ist es zu bedauern,
dass dasselbe nicht vollständig und unverfälscht auf uns gekommen ist;
von dem L Buch fehlt der Eingang, das 2. hat 2 grosse Lücken, durch
welche mehr als die Hälfte des Buches ausgefallen ist, das 3. und 4. aber
sind zu einem Buche unter Veränderung der alten Abschnitte zusammen-
gezogen.
Die Vulgata heruhte auf der Ausgabe von K. Gesner, Turici 1549, der die Reihen-
folge willkürlich änderte und ausserdem das Anthologien durch selbstgesamnielte Eklogon
vermehrte. Die ursprüngliche Ordnung auf (Jrund der besten Handschriften ist wieder
hergestellt in der kritischen Ausgabe von C. Wachsmuth u. 0. Hense, von der bis jetzt
^) An eine Identität beider glaubt Naber,
IMiot. lex. I, 184 ff.
'') Über diesen s. § 503.
Studien zu den griech. Florilegien , Berl.
1882, S. 55 ff.; Hense, Teletis reih, proleg.
p. Vll sqq.
•') Wachsmuth, De iStobaci cdoijis, in i ') Vgl. Diels, Rh, M. 30, 172 ff.
45*
708
Griechische Litteraturgeschichte. II. Nachklassische Litteratur.
die 2 ersten Bände erschienen sind, Berol. 1884. Frühere Hauptausgaben von Heeren,
Gotting. 1792; von Gaisfoed, Oxon. 1812. Textesausg. von Meineke in Bibl. Teubn. —
Eine metrische Übersetzung der angeführten Dichterstelleu gab Hugo Gkotius, Dicta yoe-
tarum quae apud Stobaeum exstant, Paris 1623. — Ein Verzeichnis der angeführten
Autoren u. Bücher gibt Photios, abgedruckt bei Meineke, praef. p. XXXVII sqq., und
danach Scholl, Gr. Litt. III, 399-411.
578. Sentenzensammlungen. Einer besonderen Beliebtheit er-
freuten sich im Altertum die Aussprüche berühmter Männer, mit deren
Anführung man sowohl die mündliche Rede zu würzen, als die philoso-
phischen und sophistischen Schriften zu schmücken liebte. Sammlungen
von solchen Aussprüchen (anoif^syiiaTo) und Sentenzen {yv^iiai), die man
teils aus der mündlichen Überlieferung über das Leben und die Kernsprüche
bewährter Männer schöpfte, teils aus den Schriften sentenzenreicher Autoren
und Dichter auszog, sind frühzeitig gemacht worden. Derart sind die
unter Plutarchs Namen erhaltenen aTvo(f3i'yiiiccTa von Königen und Feld-
herrn; derart waren auch die verlorenen Gnomologika des Favorinus und die
Anthologie aus Demokrit, Isokrates und Epiktet. ^) Im 5. Jahrhundert hat ein
solches ^Avd-oXöyiov yvooi^im' der Grammatiker Orion für die Kaiserin Eudokia
zusammengestellt, dessen dürftige Überbleibsel im Meineke'schen Stobaios IV,
249 — 66 stehen. In metrische Form gekleidet waren die aus ungefähr
gleicher Zeit stammenden, von uns schon bei anderer Gelegenheit ^) be-
sprochenen Blütenlesen MsvävSqov xal (J^iharicovog avyxQiaig, T(ov smu
ao(fMv aTto(fd^€y^aTa.
Der Philo gel OS ist eine Sammlung witziger Aussprüche [aarsta), die
den Grammatikern Hierokles und Philagrios beigelegt wird und ver-
mutlich im 5. Jahrhundert entstanden ist. Dieselbe enthält in etwas über
260 Nummern allerlei schlechte Witze, manche gute, meistens aber wirklich
schlechte — facetias vel potius ineptias hat sie ein geistreicher Herausgeber ge-
nannt— , die teils Charakterpersonen, wie dem Scholastikos, dem Witzbold,
dem Geizhals, dem Weiberfeind, teils den Bewohnern gewisser Städte, wie
den Abderiten, Sidoniern, Kumäern, in den Mund gelegt werden. Ein Teil
wenigstens derselben stammt aus der Zeit, in der noch Komödien und
Tragödien auf der Bühne gegeben wurden (n. 246 u. 259); einen bestimmten
Zeitpunkt bietet Nr. 62, wo der römischen Säkularspiele im J. 246 n. Chr.
gedacht ist. Dass der Sammlung unserer Handschriften zwei ältere Samm-
lungen zu gründe liegen, ergibt nicht bloss der Titel, der die 2 sonst nicht
näher bekannten Verfasser nennt, sondern auch der Umstand, dass öfters
derselbe Witz zweimal an verschiedenen Stellen erzählt wird.
Dem Mittelalter, wahrscheinlich der Mitte des 10. Jahrhunderts, gehören
die aus profanen und sakralen Quellen gezogenen Parallel a des Joannes
Damaskenos an. Ihr Verfasser hatte in dem profanen Teil seiner Anthologie
ausser Stobaios noch manche inzwischen verloren gegangene Sammlung be-
nutzt; seine Anthologie selbst muss aus den jüngeren, allein uns erhaltenen
Florilegien rekonstruiert werden; diese sind das Florilegium des Cod.
Parisinus 1168, die ursprünglichste und verlässigste Quelle, ferner die
^) Wachsmuth, Studien zu den griech.
Florilegien S. 162 ff. Vgl. Usener, Epicurea
p. LIV f. über ein gnomologium Epicureum
aus Briefexzerpten des Epikur, Metrodor,
Polyän, Hennarchos.
'^) Siehe ohen § 407.
C. Römische Periode nach Konstantin. 3. Die Prosa, e) Grammatik. (§ 578.) 709
Eklogai des Maximus Confessor (10. Jahrhundert), die Melissa des Antonius
und des Cod. Augustanus-Monacensis 429, das Florilegium Laurentianum
(Cod. Laur. V, 2) u. a.
Aus dem Zeitalter der Renaissance stammt das ehedem oft auf-
gelegte Veilchenbeet {%)vid) des Erzbischofs Arsenios aus Monembasia.
Von dem grossen Exzerptenwerke des Kaisers Konstantinos Porphyro-
gennetos wird eingehender in dem Abriss der byzantinischen Litteratur
gehandelt werden. Über die BißXiod^r^xij des Patriarchen Photios siehe
oben § 573.
Wachsmuth, Studien zu den griech. Florilegien, Berlin 1882; von Wachsmuth er-
hoffen wir die Wiederauferstehung der Parallela. Die Spruchsammlung des cod. Vatic.
teilt mit Sternbach, De gnomologio Vaticano inedito, Wien. Stud. IX, 175—206 u. X,
1 — 49. — Das Verhältnis der Sammlungen bespricht H. Schenkl, Die epiktetischen Frag-
mente, eine Untersuchung zur Überlieferungsgeschichte der griech. Florilegien, Stzb. d.
Wiener Ak. 115 (1888), 443-546.
HierocUs et Fhüagrii facetiae ed. Boissonade, Paris 1848 mit Erläuterungen; rec.
Eberhard, Berol. 1869.
Dritte Abteilung,
Anhang.
A. Fachwissenschaftliche Litteratur.^)
579. Die fach wissenschaftlichen Werke pflegen mit Recht eine unter-
geordnete Stelle in der Litteraturgeschichte einzunehmen. Sie stehen nicht
bloss ausserhalb des Kreises der allgemeinen Bildung, es tritt auch bei
ihnen die künstlerische Seite des Stils fast ganz zurück. Wir hoffen daher
auf Nachsicht, wenn wir sie auch in diesem Buche nur anhangsweise und
nur summarisch behandeln.^) In der Natur der Sache ist es auch begründet,
wenn wir bei ihnen vonj der Gliederung nach Perioden absehen. Denn
abgesehen davon, dass durch eine solche Scheidung der ohnehin magere
Stoff noch mehr zerstückelt würde, hat auch die Entwicklung der Wissen-
schaften ihren eigenen Gang genommen, bei dem andere Faktoren als bei
der schönen Litteratur massgebend waren. Alexandria z. B. war und blieb
Hauptsitz der mathematischen Studien so gut zur Zeit als es noch Haupt-
stadt eines selbständigen Königreichs war, als zur Zeit der römischen Welt-
herrschaft. Im übrigen tritt auch in der fachwissenschaftlichen Litteratur
die schöpferische Kraft des hellenischen Geistes in glänzender Weise hervor.
Nur gering waren die Anregungen, die hier die Griechen von aussen, ins-
besondere von Ägypten, empfangen haben; wesentlich waren sie es selbst,
welche die Wissenschaften der Medizin, Mathematik, Astronomie, Natur-
kunde begründeten.
Im Anfang bildeten Mathematik, Astronomie, Physik noch einen Teil
der Philosophie und w^aren es zumeist Philosophen, die sich mit Problemen
der Zahlen und der Naturerscheinungen abgaben. Die Philosophen Demokrit,
Aristoteles, Theophrast haben die Naturwissenschaften mit Eifer kultiviert,
der grosse Denker Pythagoras war Begründer der Geometrie und ver-
pflanzte die Neigung für mathematische Studien auch auf seine Schule.
Zuerst und zwar schon in der klassischen Zeit ist die praktischste der
^) Meiners, Geschichte des Ursprungs,
Fortgangs und Verfalls der Wissenschaften
in Griechenland und Rom, Lemgo 1781,
2 Bände. — Günther, Mathematik, Natur-
\vissenBchaft und Erdkunde im Altertum,
Handb. der klass. Alt. V, 1, Nördl. 1888;
E. Meyer, Geschichte der Botanik, Königsb.
1854, 4 Bde. — Lenz, Mineralogie der alten
Griechen u. Römer, Gotha 1861. -- Carus,
Geschichte der Zoologie bis auf Darwin (in
Gesch. der Wissenschaften), München 1872.
2) Ich habe eine Zeitlang geschwankt,
ob ich nicht auch in gleicher Weise die
Grammatik behandeln solle; es hielt mich
schliesslich davon die Erwägung ab, dass
doch die Grammatik mit der schönen Lit-
teratur viel inniger als die Mathematik und
Medizin verwachsen sei.
A. Fachwissenschaftliche Litteratur. 1. Mediziner. (§ 579—580.)
711
Fachwissenschaften, die Heilkunde, aus jenem allgemeinen Hintergrund zur
gesonderten Stellung herausgetreten. Im übrigen war es das alexandrini-
sche Zeitalter, das den einzelnen Wissenschaften ihre Ausbildung und damit
auch ihre selbständige Bedeutung gegeben hat. Vor allem hat die Stadt
Alexandria zu allen Zeiten den Ruhm gehabt, Hauptpflegestätte der Wissen-
schaften zu sein.
1. Mediziner. 1)
580. Hippokrates,2) der Vater der Heilkunde, stammte aus einem
alten Asklepiadengeschlecht von Kos;^) geboren ward er Ol. 80, 1 oder
460 V. Chr. Tn den Zeiten, wo in solchen Geschlechtern zugleich mit dem
Kultus des Gottes sich die Heilkunst und ärztliche Praxis vererbte, war
der Vater der natürliche Lehrer des Sohnes; aber ausser bei seinem Vater
soll der junge Hippokrates bei dem Arzte Herodikos aus Selymbria in die
Schule gegangen sein. Wenn auch die Sophisten Gorgias und Prodikos,
sowie der Philosoph Demokrit als seine Lehrer genannt werden, so deutet
das wohl nur auf Beziehungen hin, welche Hippokrates während seines
langen und bewegten Lebens mit jenen Männern unterhielt.*) Als berühmter
Arzt kam er viel in der Welt herum; er weilte eine Zeitlang in Thasos,
Abdera, Kyzikos, Athen, behandelte den König Perdikkas von Makedonien
und erhielt eine Einladung an den persischen Hof. Den Tod fand er im
thessalischen Larissa; über das Todesjahr schwanken die Angaben zwischen
377 und 359. Unter dem Namen des Hippokrates ist eine Sammlung von
72 Schriften in ionischem Dialekt auf uns gekommen. Hippokrates schrieb
also wie sein älterer Landsmann Herodot nicht in dem Dialekt seiner dori-
schen Heimat, sondern in der Sprache, welche vor dem peloponnesischen
Krieg in der Prosa herrschend war. Die 72 Schriften sind an Gehalt und
Stil sehr verschieden und rühren nur zum kleineren Teil von Hippokrates
selbst her.'^) Eine derselben, tt^qI (fvaiog dvd^Qomov, wird von Aristoteles,
Hist. anim. 3, 3 als Werk des Polybos, eines Schwiegersohnes des Hippo-
krates, angeführt; andere wurden von den Kennern, man weiss nicht auf
welche Zeugnisse hin, den Söhnen desselben, Thessalos und Drakon, zu-
^) Medicorum graeeorum opera omnia,
(jraece et latine ed. Kühn, Lips. 1821 — 30,
28 vol. — Eclogae physicae ed. J. G.
Schneider, Jena 1800, 2 vol., eine unter-
lichtende Chrestomathie aus naturwissen-
.schaftlichen Werken der Alten. — Physici
et medici graeci minores ed. Ideler, Beri.
1842, 2 vol., grösstenteils Byzantiner. —
Sprengel, Geschichte der Arzneikunde, 4. Aufl.,
Wien 1846; Häser, Lehrbuch der Geschichte
der Medizin, 3. Aufl., Jena 1875; Puschmann,
(beschichte des medizinischen Unterrichtes
von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart
Lcipz. 1889.
'^) Quellen sind ausser einem Artikel
des Suidas eine bei Kühn TU, 850 abge-
druckte Vita, die vermutlich aus Soranos'
Hloi iccTQMP exzerpiert ist. Die Briefe, weil
unecht, können nur mit Vorsicht in Betracht
gezogen werden. — Petersen, Ilippocratis
scripta ad temporis rationem disposita,
Hamb. 1839.
^) Wie sehr die Heilkunde im Altertum
an den Asklepioskult geknüpft war, haben
insbesondere die in der 'Ecpr]^eQig uq/mo-
Xoyixrj 1885 veröfi"entlichten Inschriften des
Asklepiosheiligtums von Epidauros gelehrt.
**) Der untergeschobene Briefwechsel des
Demokrit und Hippokrates steht in Hercher's
Epistel, gr. n. 306-9.
^) Schriften des Hippokrates waren schon
zu PlatonsZeit in Umlauf ; s. Plat. Phaedr. 270 c,
Protag. 311b: aber Piaton nennt uns keine
Titel and lässt uns auch bezüglich des Ursprungs
der Rede des Arztes Eryximachos im Sympo-
sion nur raten; siehe indes die Ausleger zu p.
186 d. Aristoteles benützte bereits die meisten
Schriften unserer Sammlung, wie Poscuen-
rieder, Aristoteles im Verhältnis zu den
hippokratischen Schriften, Bamberger Progr.
1887 nachwies.
7] 2 Grriechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
geschrieben; andere hinwiederum waren erst von jüngeren Ärzten unter
dem falschen Namen des berühmten Asklepiaden den Königen Ägyptens
verkauft worden; ^ endlich haben auch die alten und echten Werke im
Laufe der Zeit viele Zusätze und Änderungen erfahren. In der Kaiserzeit,
als die medizinischen Studien zu neuem Glänze kamen, bemühten sich daher
die philologisch gebildeten Ärzte, das Echte vom Unechten auszuscheiden. ''')
Der berühmte Arzt Galen schrieb darüber ein eigenes, nicht auf uns ge-
kommenes Buch und kommt in den uns erhaltenen Kommentaren sehr oft
auf die Echtheitsfrage zu sprechen; ^) er selbst erkannte nur 13, ein jüngerer
Gelehrter, Palladios (7. Jahrb.), nur 11 Schriften als echt an; nicht so weit
ging in der Verwerfung Erotianos (um 100 n. Chr.), der in der Vorrede seines
Glossars ein Verzeichnis von 30 echten Schriften aufstellt. Am meisten
tragen das Gepräge der Echtheit und sind durch Zeugnisse der Alten ver-
bürgt: nsQi inidrj^iwv Buch 1 und 3,^) TiQoyvcoaTixd, a^oQLafioi,^) tcsqI
asQMV vSärwv Toirayv,^) nsql diaiTrjc, 6'^smv,'^) ttsqI tmv iv x€(paXf^ tqmixcctodv.
In zweiter Linie stehen nsQi dyfjLwv, tcsqI xv^imv^ ttsqI (pvaiog 7rai6iov, ttsqI
isQ^g voc^ov,^) Ttsgl dqd^QMv. Das Buch tisqI (fvaioq dvd^QMnov wird von
Aristoteles, wie wir sahen, dem Polybos zugeschrieben. In die Zeit vor
Hippokrates gehen die Komxal TTQoyvo'ycrsig zurück, welche kurzgefasste
Sätze der Asklepiaden von Kos enthalten. Interessant, wenn auch einer
jüngeren Zeit angehörend sind die nQOQQijXixä^ deren Unechtheit Erotianos
nachzuweisen versprach, und die Bücher tisqI diaiTtjg, für die Galen ein
halbes Dutzend von Verfassern {Evqv(fMv rj (Pacov i] (PiXKTTfMv r] 'Aqi(Tto)v
rj Tig aXXog twv naXaicov) aufführt. In den Schulen der Rhetoren erdichtet
sind die Briefe und die Rede am Altar {Xoyog sTtißwf.iiog), in welch letzterer
der Redner die Thessalier an dem Altar der Athene zur Rache gegen die
Athener, die Zerstörer ihres Landes, aufruft. Dem Hippokrates als Vater der
Ärzte wurden auch mehrere Schriften allgemeinen Charakters zugeschrieben,
wie der Eid der Asklepiaden, das Gesetz der Ärzte, die ärztliche Kunst; diese
zeugen von der hochentwickelten Humanität der alten Asklepiadenschulen
und enthalten manche auch noch heutzutag beachtenswerte Vorschriften.
Ausgaben im Altertum: in Alexandria hatte die erste kritische Ausgabe der gelehrte
Arzt Mnemon aus Side besorgt, von der aber schon Galen nur durch Hörensagen etwas
wusste. Unter Hadrian besorgten neue Ausgaben Artemidorus Capito und Dios-
korides; s. Kühn I p. XXIV sq. und Ilberg, Rh. M. 45 (1890) 111 ff. — Gedruckte Aus-
gaben: ed. princ. apud Aldum 1526; cum vers. et not. ed. Foesius 1595, oft wiederholt;
ed. Chartkier 1679; ed. Kühn in der Gesamtausg. der Medici gr., Lips. 1821, 3 Bände;
ed. LiTTRE mit kritischem Apparat, Far. 1839-61, 10 Bände; ed. Ermerins, Utr. 1859—63,
3 Bände. Eine neue Ausgabe mit kritischem Apparat bereiten Ilberg und Kühlewein vor;
0 Kühn I p. XX sq.
2) Von den unechten Schriften des Hip-
pokrates im allgemeinen spricht Augustinus
contra Faust. XXII, 6.
^) Galen erkannte nur 13 Schiiften als
echt an und statuierte auch bei diesen weit-
gehende Interpolationen; s. Ilberg, Studia
Pseudohippocratea, Lips. 1883; Bröcker,
Die Methode Galens in der litterarischen
Kritik. Rh. M. 40, 415 ff.
*) Die B. 2 u. 4 — 7 galten schon dem
Galen als untergeschoben.
^) Auch die ciCfOQiafxoi, d. i. ärztliche
Vorschriften in abgerissenen Sätzen, ent-
halten viele Interpolationen.
^) Auf diese interessante Schrift, welch
die Elemente der Hygiene enthält, wird i
den Scholien Arist. Nub. 333 Bezug ge-
nommen; über ihre Bedeutung für Ethno-
graphie s. § 240.
^) Daher unser Ausdruck akute Krank-
heiten.
^) Darunter ist die Epilepsie verstanden,
welche heilige Krankheit hiess, weil das
Volk die plötzlichen Konvulsionen auf die
Kraft der Dämonen zurückführte und mit
den Verzückungen der Priester und Pro-
phetinnen verglich.
A. Fach wissenschaftliche Litteratur. 1. Mediziner. (§581-582.) 713
vorläufige Mitteilungen von Ilberg in den Vhdl, der 40 Vers. d. Phil, in Görlitz. — Spezial-
ausg. ti6qI ueqoiv v^caojv ronoiv von Koraes (dem berühmten griechischen Arzte und Phi-
lologen), Paris 1800, 2 Bde.
Glossare: Twi/ tkxq' 'InnoxQaxei "k^^eiov avuayioyrj von Erotianos mit einer Wid-
mung an den ao/uiZQdg 'Jy&Qojuaxog, Leibarzt des Kaisers Nero (einen jüngeren Andro-
machos zu Anfang des 2. Jahrhunderts nimmt Klein an); das Glossar ist in alphabetischer,
nicht vom Verfasser herrührender Ordnung auf uns gekommen, neubearbeitet von Klein,
Lips. 1865. — Jüngere Glossare haben wir von Galen, roly xov 'iTinoxQcaovg yXwGGwu
s^TJyrjaig, und Herodotos Lykios. — Hauptkommentator ist Galen, der Kommentare zu
17 Schriften des Hippokrates schrieb; ausserdem haben wir noch kleinere Kommentare,
gedruckt in der Ausgabe Apollonii Cüiensis. (um 70 v. Chr.), Stephani (8. Jahrh. n. Chr.),
Palladii (7. Jahrh,), Theophili (7. Jahrb.), Meletii, Damascii, loannis, aliorum seholia in
Hippocratem et Galenum ed. Dietz, Königsb. 1834, 2 Bände.
581. In Alexandria und Pergamon wurden die medizinischen Studien
mit Eifer und Erfolg betrieben, aber selbst von den Häuptern der Schulen
[aiQsaeig)^ von Herophilos und Erasistratos (um 280 v. Chr.), sind keine
vollständigen Werke auf uns gekommen. Nach Rom verpflanzten die
wissenschaftliche Heilkunde Archagathos, der nach Plinius N. H. 29, 6
im Jahre 219 v. Chr. nach Rom kam, und Asklepiades aus Prusa in
Bithynien, den Cicero, de orat. I, 14 Arzt und Freund des Licinius Crassus
nennt. Hier in der Stadt des Luxus und der Gladiatorenspiele fanden die
Arzte ein reiches Feld ihrer Wirksamkeit, und hier entwickelte sich auch
in den ersten 2 Jahrhunderten der Kaiserzeit eine reiche Litteratur über
Medizin und Pharmakologie, von der uns ziemlich viel erhalten ist. Weit
ragt unter den medizinischen Schriftstellern dieser Periode Galen hervor,
dem wir deshalb ein besonderes Kapitel widmen wollen. Hier seien zuvor
die übrigen medizinischen Schriften in Kürze namhaft gemacht.
582. Lehrgedichte. Bei den Alten war neben den anderen Arten
von Lehrgedichten auch das medizinische in Mode. Aus der alexandrini-
schen Zeit haben wir schon oben § 344 die Gedichte des Nikander von
den Heilmitteln gegen Schlangenbiss und Vergiftung kennen gelernt. Li
der römischen Periode schrieb Andromachos, Leibarzt des Kaisers Nero,
ein Lehrgedicht 0rjQiax7] Si' sxiSrwv in Distichen, das uns durch Galen
t. XVII, p. 761 K erhalten ist. Durch denselben Galen sind uns meh-
rere Reste der medizinischen Gedichte des Arztes Dam ok rat es er-
halten, der kurz vor dem älteren Plinius (N. H. XXV, 87) in iambischen
Trimetern über verschiedene Arzneien schrieb. Von dem Arzte Markellos
Sidetes, der nach Suidas 42 B. 'laxQixä in heroischen Hexametern ge-
schrieben hatte, sind durch Handschriften und Steine einige Bruchstücke
über Fische und Menschenscheu {XvxavÜ^QMnia) auf uns gekommen.
Poetarum de re phynca et medica rell. cd. Bussemaker Par. 1851. — Eine neue Be-
arbeitung stellte Studemund in Aussicht, der vorläufig in Ind. lect. Vratisl. 1888 Scrvilii Da-
mocratis poctae medici frafjmenta in musterhafter Weise herausgegeben hat. Vgl. § 410.
Xenokrates von Aphrodisias aus der Zeit vor Galen ist Verfasser
einer Schrift ttsqI trjg arco rcov svvdQMv TQO(frjg (Austernernährung), die
einen Abschnitt eines grösseren Werkes ttsqI Ttjg and rwv froon' TQO(ff~g
bildete. Ausgabe in Ideler's Phys. et. med. I, 121 — 133.
Dioskorides, mit dem vollständigen Namen Pedanius Dioscorides
aus Anazarbos,^) lebte vor Erotianos, der ihn in seinem Hippokrateslexikon
^) Sprengel in der Praef. seiner Ausg. j Ilerophileer mit dem Beinamen Phakas zur
unterscheidet 4 Dioskorides: Dioskorides der | Zeit der Kleopatra^ Dioskorides Anazarbeus
714
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
unter xaixfxaQoi anführt, wahrscheinlich gleichzeitig mit dem älteren Plinius,
der in den Abschnitten über Botanik die gleichen Quellen wie er, nämlich
die Werke der Ärzte Krateuas und Sextius Niger benutzte.^) Nach seiner
eigenen Angabe in der Vorrede des gleichzubesprechenden Buches war er
geradeso wie Plinius in seinen jüngeren Jahren Militär und ist erst später
zu schriftstellerischer Thätigkeit auf dem Gebiete seiner Lieblingsstudien
gekommen. Sein Hauptwerk, das vollständig auf uns gekommen ist, han-
delt von der Arzneikunde, speziell den medizinischen Pflanzen, und trägt
den Titel n^ql vXrjg laTQixrjg oder de materia medica. Die Autorität des-
selben hat im ganzen Mittelalter, bei den Arabern und im Abendland, die
Wissenschaft in Bann gehalten, so dass es eines neuen Aufschwungs der
Botanik im 15. Jahrhundert bedurfte, um über die 600 Pflanzen des Dios-
korides hinüberzukommen. Den 5 echten Büchern angehängt fand bereits
Photios cod. 178 als 6. und 7. Buch ^AXe'§i(faQ{^ia>ca und Orjgiaxd, welche
Sprengel dem jüngeren Dioskorides aus Alexandria zuweist. Bezweifelt wird
auch die Echtheit der dem Andromachos gewidmeten Schrift nsgl evnoQiaroiv
(xtiXmv t£ xal avvd^hTwv (pagf^iäxcor. Nur ein kärglicher Auszug aus Dios-
korides und Stephanos ist das Lexikon tisqI (faQfxdxMV ifxnsiQiag.
Erhalten ist das Hauptwerk des Dioskorides durch viele alte Handschriften, von
denen am berühmtesten ist der mit Bildern versehene Codex der Juliana Anicia s. V,
Mielchen der Reisende ßusbeg zu Konstantinopel für Kaiser Maximilian H. und die Wiener
Bibliothek erwarb; auch existiert eine lateinische Übersetzung des Pflanzenbuches aus dem
Altertum. — Ausg. von Sprengel, Lips. 1829, als 25. u, 26. Band der Med. graec. von Kühn.'^)
Ruf US aus Ephesos, der in der Zeit Traians lebte, ^) war Verfasser zahl-
reicher Schriften; davon haben sich erhalten: ttsqI ovo/jiaaiag twv tov dvd^Qomov
fiiOQiwv,'^) neql tmv sv vs(fQoig xal xvütei nad-cov, ttsqI twv (faQf^idxo)v xad^aQ-
Tixüh', TTfQl 6(tTson\ Auf unsichere Vermutung hin hat man ihm auch ein
Lehrgedicht neql ßozavMv in 215 Hexametern^) und eine Synopsis nsQi
a(fvyiÄMv beigelegt. Hauptausgabe von Daremberg-Ruelle, Paris 1879.
So ran OS aus Ephesos, eine Hauptsäule der sogenannten Methodiker
in der Medizin, lehrte unter Traian und Hadrian ^) in Rom und Alexandria.
Erhalten haben sich von ihm ttsqI arifXsiMV xaTayf^idTaw, Tiegl i^irjtgag xal
alSüiov yvraixsiov, Tieql yvvaixsiMV na^Mv. Die beiden ersten Schriften
sind gedruckt bei Ideler, Med. min. I, 248 — 260; die letzte wurde erst
in unserem Jahrhundert von Dietz gefunden und aus dessen Nachlass pub-
unter Nero und Verfasser unserer Materia me-
dica, Dioskorides aus Tarsos, endlich Diosko-
rides aus Alexandria, der kurz vor Galen lebte
und eine Ausgabe desHippokrates mit Glossar
besorgte. Photios 124 a, 12 macht die nichts-
sagende Bemerkung iyco de ipttv^ov tloIv
Ol TIs^icviov (i^a y.ai 'Avcct^aQßta ra?g STiiyga-
fpaig ensxdXovv. Galen im Lex. Hippocr. p. 64
Jioay.oQi(fi]g oi'/ 6 emx'k'rj&elg ^axag 6 HQocpi-
XsLog, c('AX' 6 psojxeQog 6 xaru naiSQCcg \r)^a)V
unterscheidet nur 2 Dioskorides.
') Wellmann, Sextius Niger, eine Quellen-
untersuchung zu Dioskorides, Herm. 24 (1889)
S. 530-09.
■^) Von anderen Botanikern gibt Kunde
Plinius N. H. 25, 8; s. Meyer, Gesch. der
Botanik I, 250 ff.
^} Suidas: 'Povcfog iaxqog yeyovoog eni
Tqaiapov.
^) Über ihre Benützung durch Pollux
s. § 519 u. Voigt, Sorani Ephesii über de
etymologiis corporis humani quatemis re-
stitui jßossit, Greifsw. Diss. 1882.
^) Gesner's Vermutung stützt sich auf
die Angabe des Galen de compos. medic.
t. XX p. 425 K., dass Rufus ein Gedicht nsgl
ßoraPMV geschrieben habe; aber metrische
Eigentümlichkeiten rücken unser Gedicht
unter die Zeit des Astrologen Manetho herab;
s. G. Hermann, Orphica p. 717. Vgl. § 410.
^) Suidas unterscheidet einen älteren
und jüngeren Soranos und gibt bei dem ersten
nur die Lebensverhältnisse, bei dem zweiten
nur die Schriften an, so dass ein Irrtum vor-
zuliegen scheint, zumal Galen nur 1 Soranos
kennt.
A. Fachwissenschaftliche Litteratur. 1. Mediziner. (§ 583.)
715
liziert, Königsb. 1838; neuerdings hat den griechischen Text zusammen mit
einer alten lateinischen Übersetzung des Muscio aus dem 6, Jahrhundert
Val. Rose, Lips. 1882 herausgegeben. Derselbe Soranos verfasste nach
Suidas auch Bioi larQMv, aus welchem Werke vermutlich auch das erhal-
tene Leben des Hippokrates geflossen ist. ^)
Aretaios aus Kappadokien, wahrscheinlich dem 2. Jahrhundert n. Chr.
angehörig, schrieb in dem ionischen Dialekt des Hippokrates 7Ti()l ahicov xai
(STjUsiMV o§€(x)V xal XQOvicov Tiamon', ttsqI ^sgansiag o^tMV xccl XQovitov Tca&cov,
in welchen Werken er sich nach dem Urteil der Kenner als einen scharfen
Beobachter kundgibt. Ausg. von Kühn, Med. gr. t. XXIV.
583. Galenos (Claudius Galenus Niconis fil.),^) der fruchtbarste und
gebildetste der alten Mediziner, war um 131 n. Chr. in Pergamon geboren.
Dort in seiner Heimatstadt lag er zunächst philosophischen Studien ob,
indem er seiner eklektischen Neigung folgend Akademiker wie Stoiker und
Peripatetiker hörte. Mit dem Studium der Medizin begann er noch in
Pergamon und setzte dann dasselbe in Smyrna, Korinth und Alexandria
fort. Eine praktische Thätigkeit entfaltete er zuerst in seiner Heimatstadt,
wo er 6 Jahre lang als Gladiatorenarzt fungierte. Im Jahr 164 begab er sich
nach Rom und blieb daselbst mit einer einzigen mehrjährigsn Unterbrechung
bis zu seinem Lebensende. Der Tod traf ihn im 70. Lebensjahr, nicht vor
201 n. Chr. Über seine litterarische Thätigkeit berichtet Galen selbst in
den Schriften ttsqI Z'rjg ra^soog toov Idiorv ßißXiow nQog Evysviavöv und nsQi %wv
iSimv ßißliMv. Er war einer der fruchtbarsten und vielseitigsten Schriftsteller
der Kaiserzeit, ^) aber weder ein schöpferischer Forscher noch ein klassischer
Stilist. Wir haben Kenntnis von mehr als 250 Schriften; erhalten haben
sich von denselben 100 echte und 18 zweifelhafte,^) mehrere nur in arabi-
scher oder lateinischer Übersetzung.^) Die meisten gehören natürlich dem
Gebiet der Medizin an, von diesen der kleinere Teil der Erläuterung des
Hippokrates, der weitaus grössere der selbständigen Bearbeitung der ver-
schiedenen Teile der Heilkunde. Einen einleitenden propädeutischen Charakter
haben die Schriften von den ärztlichen Schulen und Methoden, nsQi aiQsaewv
und t[€qI aQiazrjg atqto'sMg. Von den systematischen sind die gelesensten und
von den Kennern am meisten geschätzten folgende: x^^/i'^y larQixip ein kurzer
Abriss der Therapeutik, im Mittelalter unter dem Namen Mikrotechnum be-
kannt, {>sQa7i8VTixri }.iti>oSog in 14 B., Megalotechnum im Mittelalter genannt,
TTeQi xQstccgTCüv SV avd^QMTiov (Swfxaxi fxoQicov in 17 B., TreQi (fifvyficov in 16 B.,')
') Zwei unechte Traktate des Soranos,
Introductio ad medicinam und De inilsibus
veröffentlichte Val. Rose, Anecd. gr. II,
243—280.
'^) Suidas u. rah]i'6g; Labbe, Vita
(^audii GaJeni, Paris 1060; Pass, Galeni
rita eiusqiie de viedicma merita et scripta,
Bcrol. 1854. Vieles über persönliche Ver-
hältnisse enthält die Schrift ti^qI ^iccyi/ujaeiog
Xfd ^eganelag xmv ev rij ixäatov tpv^^ iÖlmp
^) Ath. Ic: Tci'krjvog 6 JTsQya/utji'og og
Toaavt' fxde'dVoxe avyyQccjUfAcaa cp(X6ao(p(( r€
xal laTQixd ojg niifiag vneqßaXeiy lovg
77^0 «rror, x(d xccrd Tijy iQfxrjVeiciv ov^evog
tuV roüy uQ^cdoty dffvi'aXMxeQog.
^) Ein Verzeichnis der Schriften gibt
Ackekmann, Historia literaria Galenim Fabri-
cius Bibl. gr. V, 397 ff., wiederholt von Kühn
im 1. Bande der Ausgabe p. LXVll sqq.; die
zeitliche Folge behandelt Ilberg, Die Schrift-
stellerei des Klaudios Galenos, Kh. M. 44
(1889) S. 207 239.
^) Zu den unechten gehört auch die
Schrift nsQi evTioQiaKot', mit der das von
BuRSiAN, Ind. len. 1873 veröffentlichte Fragm.
medicum der Ivei])ziger Bibliothek im wesent-
lichen übereinstimmt,
716 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
TTSQi TMV TtsTrov^oTOiv TOTVMv in 6 B., avaTO}.iixal syx€iQ7](y€ig in 15 B., von denen
aber nur die 9 ersten erhalten sind, Tiegl xQccas wg xal Svvd^scoq tmv ditXwv
(faQfidxcov in 11 B., ttsqI avv^scfsMg (faQixäxo)v tcov xccrd Torvovg in 10 B.,
TisQi avv&8as(t)g (f)aQfxäx(jov tmv xard yävrj in 7 B., vyisivööv Xoyoi in 6 B.
Von allgemeinerem Interesse waren die philosophischen und gramma-
tischen Schriften unseres Autors. Dieselben galten teils der Kommentierung
der alten Philosophen, 2) teils der Ausbildung der Logik, ^) der populären
Ethik und der philologischen Worterklärung. ^) Das meiste von dieser Klasse
von Schriften ist verlorengegangen, insbesondere fast alle logischen Schriften,
worunter die umfangreiche nsQi dnoSsi^sMg in 15 B.; erhalten haben sich :
TTQOTQSTiTixdg sttI rdg re^vag^^) negl dgicfTrjg öiSaaxaXiag (gegen Favorinus
gerichtet), nsQi tmv Tr^g ipvxrjg tj^mv, oti ralg xov (Tw^xaTog xgdaeaiv hnsrai^
nsql 6iayvw(T€0)g xal ^sqansiag tmv iv exdöTov ipvxfi ISioov nad^cov, ein gol-
denes Büchlein, tt^qI tov Sid Trjg afxixgdg a<fa(Qag yvfxvaaiov, 7T€qI tcov naqd
TTjV Xs^iv (To(fi(TfidT(i)v, 7T€qI TMV '^iTTTioxQdTovg xul ükdTMVog Soyf.idT(ov in 9 B.
Seine Grundanschauung über die Notwendigkeit medizinischer und allge-
mein philosophischer Bildung vertritt er in dem Buche oti aqiaTog iuTQog
xal (fil6ao(fog. Als bahnbrechenden Denker und Gelehrten zeigt sich auch
hier Galen nicht, aber gleichwohl sind uns diese philosophischen und philo-
logischen Schriften von hohem Interesse dadurch, dass sie uns in den Be-
trieb der gelehrten und grammatischen Studien der römischen Kaiserzeit
einen sehr erwünschten Einblick gewähren. 6)
Edit. princ: Aldina 1525; ed. Chartrier, Paris 1679; davon abhängig Kühn in
Medici graeci t. I— XX, Lips. 1821 — 33. — Galeni scripta minor d rec Marquardt, Iw.
Müller, Helmreich, in Bibl. Teubn. im Erscheinen; Galeni scripta de placitis Hippocratis
et Piatonis, ed. Iw. Müller. Lips. 1874; auch andere der kleineren Schriften sind bereits
in Separatausg. von Müller und Helmreich veröffentlicht. — Über die von Minas (Paris
1864) herausgegebene Elaaywyrj dLaXsxrixij des Ps. Galen siehe Prantl, Gesch. d. Log. I,
572 u. 591 ff. — Über die handschriftliche Grundlage der medizinischen Bücher s. Stüde-
MUND. Ind. lect. Vratisl. 1888. — Unecht sind die überlieferten Massverzeichnisse von Galen,
worüber Hultsch, Metr. Script. I, 85 ff.
584. Aus der letzten Zeit des Altertums haben wir noch ausser den
Phantasmagorien der medizinischen und botanischen Zauberlitteratur ') mehrere
enkyklopädische Werke über Medizin und Naturwissenschaft, die teils durch
ihre Einwirkung auf das Mittelalter, teils durch Mitteilungen aus älteren
Werken von Bedeutung sind.
^) Dazu für die Anfänger ein Abriss
und eine Synopsis über die Pulse in je 1 B.
^) Erwähnt werden von Galen Kommen-
tare zu Piatons Timaios {Fragments du
commentaire de Galien sur le Timee de
Piaton, ed. Daremberg, Par. 1848), tisqi
nlaroivixviiv diaXoycüy avyoxpEiog, tieqI nov
Ev 4>(,Xijß(o /uETaßaaEMy, ferner zu Aristoteles
tteqI £Qfi7]y£iag, xaxrjyoQLca, fivaXvTLxcc, zu
Theophrast tteqI xazacpdaECDg xcd dnocfdaEMg,
zu Eudemos tieqI Xf^Eiog, zu den logischen
Schriften des Chrysippos und Kleitomachos.
Vergl. Zeller, Gesch. d. gr. Phil. HP, 1.
823 ff.
^) Prantl, Gesch. d. Log. I, 559 ff.
Galen gilt insbesonders als Begründer der
4. Schlussform. Als unecht erweist Prantl
p. 591 ff. das von dem Griechen Minas her-
vorgezogene Buch Eiffayojyij diaXEXTixij.
*) Galen schrieb nach seinen eigenen
Angaben t. XIX p. 48 u. 61 K. ausser über
seltene Wörter (yXivaaai) des Hippokrates,
auch TiEQi xoüp TKXQa toTg 'Jrrixoig ffvyyQcc-^
cpEvöiv 6vofX(xTMv in 48 B.
^) Die unvollständig erhaltene Abhand-
lung enthält aufgelöste Verse, die nach einer
Vermutung von Crüsius, Rh. M. 39, 581 ff.
aus der im Lampriaskatalog aufgeführten
Schrift des Plutarch tieql C^toy uXoyiov
noifjxixög stammen.
^) Bröcker, Die Methoden Galens in der
litterarischen Kritik, Rhein. Mus. 40, 415 ff.
^) Über die dem Hermes trismegistos
zugeschriebenen KvgayidEg und das Buch
von den Pflanzen der 7 Planeten s. § 564;
vgl. Meyer, Gesch. d. Botanik II, 348 ff.
A. Pachwissenschaftliche Litteratur. 1. Mediziner. (§584.) 717
Oreibasios,!) nach Suidas aus Sardes, nach Eunapios aus Pergamon,
war Leibarzt des Kaisers Julian und verfasste auf dessen Veranlassung eine
medizinische Enkyklopädie 'laTQixMv avvayMyoh' eß6oi.i7jxovTdßißXog, von der
er selbst später eine Synopsis in 9 B. anfertigte. 2) Vom grösseren Werke
sind nach und nach umfangreiche Teile durch Matthäi aus einer moskauer
und von Mai aus einer römischen Handschrift bekannt geworden. Oeuvres
d' Oribase par Boüssemaker et Daremberg, Par. 1851 — 76, 6 vol.
Aetios, gebildet in Alexandria und später kaiserlicher Leibarzt in
Konstantinopel mit dem Rang eines comes obsequii, gehört der Mitte des
6. Jahrhunderts an. Seine 'larQixd in 16 B. wollten einen Abriss der ge-
samten Heilkunde geben; Photios, der in cod. 221 einen ausführlichen Aus-
zug des Werkes gibt, zieht dasselbe den verwandten Büchern des Oreibasios
vor. Neuere Bearbeitung in Daremberg's Ausg. des Rufus p. 85 — 126 und
in der des Oreibasios II, 90 — 145.
Alexander von Tralles aus der gleichen Zeit ist Verfasser eines
grossen medizinischen Sammelwerkes OsQansvTixä in 12 B. Hauptausg.
von Buschmann, Wien 1879, 2 Bd.; dazu ein Nachtrag in Berl. Stud. V, 2
(1886), der die alte lateinische Übersetzung von 2 jenem Sammelwerk
angehörigen Abhandlungen des Philumenos (1. Jahrhundert n. Chr.) und
Philagrios (4. Jahrhundert) und 2 griechische Abhandlungen über Augen-
krankheiten enthält.
Paulus Aegineta, der in der Mitte des 7. Jahrhunderts lebte, ist
Verfasser eines seiner Zeit hoch geschätzten, auch ins Arabische über-
tragenen Handbuches der Arzneikunde in 7 B. {sTiiTo^rjg larQixfjg ßißX. f)
Venediger Ausg. 1528, Baseler 1538, von Rene Briau, Paris 1855.
Metrologen. Aus den Bedürfnissen der Arzte sind grösstenteils auch
die Verzeichnisse von Massen und Gewichten (rtsQi ih-tqwv xal (fTa^^wr) hervor-
gegangen, von denen mehrere uns erhalten sind. Eine Sammelausgabe mit
erläuternden Einleitungen besorgte Fr. Hultsch, Metrologorimi scriptorum
reliqidae, Bibl. Teubn. 1864, 2 vol. Seit der Zeit hat Paul de Lagarde
den griechischen Text des Arztes Africanus in den Symmicta I p. 210 — 25
herausgegeben, und ebenda II, 149 — 216 eine Rückübersetzung des Epi-
phanios nf-Qi ^xttQMv xai araü^^iMv aus dem Syrischen ins Griechische ge-
liefert. Eine neue Tafel des Diodoros neQi araO^^iMv xal fxtTQcov teilt
Pernice Rh. M. 44 (1889) S. 569 f. mit; derselbe Gelehrte gibt in der
Dissertation, Galeni de ponderihus et mensuris testimonia, Bonn 1888, die
Mass- und Gewichtsangaben Galens in berichtigter Gestalt. Nachträge zu
den griechischen Metrologen aus armenischen Handschriften veröffentlichte
Papadopulus Kerameus in 'O sv Kanar. eXhjv, (fiXoXoyixog avXXoyoqt.^Y , 1884.
Physiker. Im weiteren Sinn schlagen in die medizinische Litteratur
auch die Schriften über die Dinge der Natur, nsQi tmv qvaixMv^ ein. Die Ver-
fasser dieser Art von Schriften gingen auf Demokrit und Aristoteles als die Be-
gründer dieser Wissenschaft zurück. Von den jüngeren Gelehrten der
Kaiserzeit werden genannt Neptunianus aus dem 2. Jahrhundert, Ver-
') Suidas u. 'Oqsißdaiog; Eunapios Vit. 1 Gm&avvoxpig TiQog Evvcl-niop \\i\i[ e\ne avvoxpig
8oph. p. 498 f.; Pliotios cod. 217 11. 218. tmv Tahjyov ßißXuoi-' goscliricl)Oii; dio obigo
^) Nach riiotios p. 180 a, 3 liat er auch | ist an seinen Solin Kustathios gerichtet.
71Ö
Grriecliisciie Litteraturgeschichte. III. Anhang.
fasser von Q}vaixd und einem von Gemoll, Progr. d. städt. Realprogymn.,
Striegau 1884, veröffentlichten Traktate ttsqI avfXTia^fiwv; Bolos, der
vor Galen, welcher ihn de antid. II, 7 citiert, lebte und nach Suidas eine
latoQia xal it'xv7j laTQixrj und Bücher über Steine, Witterungszeichen und
Naturkräfte schrieb; der christliche Schriftsteller Sext. Julius Africanus,
dessen xeotoi in 24 B. von dem Reich der Natur, der Landwirtschaft und
der Heilkunde in der abergläubischen Manier seiner Zeit handelte. Auch
die Litteratur der oben schon § 480 behandelten Paradoxographen be-
wegt sich zum grossen Teil in dem gleichen Kreis.
585. Exzerptenwerke. Auf Anregung des byzantinischen Kaisers
Konstantinos Porphyrogennetos wurden im 10. Jahrhundert zwei medizinische
Sammlungen verfasst, äie^EniTointj Icctqixwv ^icoQrjindTcov von Theophanes
Nonnos (ed. Bernard, Gothae 1794, 2. Bd.) und die ^InTtiaTQixd von einem
unbekannten Redaktor in 2 B. Das letztere Werk enthält Auszüge aus Afri-
canus, Anatolios und dem Hauptveterinärarzt Apsyrtos aus Prusa, der
nach Suidas unter Konstantin lebte. Ausg. von Grynaeus, Veterinaria
medicina, Basel 1537.
Auf Veranlassung desselben Kaisers verfasste der Scholastikos Kas-
sianos Bassos ein mit der Veterinärkunst sich berührendes Sammelwerk
Geoponika {ccl negi yewqyiaq ixloyai) in 20 B. In dem Proömium und
im Verlauf der Arbeit nennt der Verfasser eine Reihe von Autoren und
Schriften, die er benützt habe. Seine Hauptquelle war sein nächster Vor-
gänger, Vindanios Anatolios aus Berytos,^) der auf Anregung des
Kaisers Julian die älteren Schriften über Landwirtschaft ^) zu einem grossen
Sammelwerke, 2vvaya)yrj ysMQyixm' sTnTijdsvfidTcov in 12 B., vereinigt hatte. ^)
Ausg. der Geoponika von Niclas, Lips. 1781; eine syrische Übersetzung
wurde bekannt gemacht von Lagarde, Lips. 1860.*)
2. Mathematiker und Astronomen.^)
586. Die Anfänge der mathematischen Studien gehen bei den Griechen
auf die Philosophen Thaies und Pythagoras zurück.*^) Auch in der Aka-
') Gegen dessen Identifizierung mit dem
in den Briefen des Libanios vorkommenden
gleichnamigen Juristen aus Berytos erklärt
sich Oder, Rh. M. 45 (1890), 95.
2) Diese waren: Ps. Demokrit, die ysoDQ-
yixd ßißlia des Pamphilos, die naQÜ&o^a
oder xeaTOi des Africanus, die ysioQyixu des
Florentinus (aus der Zeit des Kaisers Se-
verus), die Enkyklopädie des Apuleius, Ta-
rentinos, Leo, Valens; s. Oder, Beiträge zur
Geschichte der Landwirtschaft bei den Grie-
chen, Rh. M. 45 (1890) 58 ff.
^) Einen Auszug gibt Photios cod. 163;
über seine Person und die Anlage seines
Werkes handelt Gemoll, Untersuchungen
über die Quellen, den Verfasser und die Ab-
fassungszeit der Geoponika, Berl. 1883, in
Berliner Stud. I, 221 ff.
■*) Gemoll a. 0. — Über die handschr.
Grundlage der Geoponiker s. H. Beckh, Acta
sem. Erlang. IV, 261-346.
^; Veterum mathematicormn 0]}era omnia
ed. Thevenot, Par. 1693. — Opera mathe-
matica ed. Wallis, Oxon. 1688, 3 vol. —
Uranologium sive systema variorum autornm
qui de sphaera ac siderihus eorumque mo-
Uhus graece commentati sunt, Geminiy
AchilUs Tatii, Hipparclii, Ptolemaei, cura
DioN. Petavii, Par. 1603, Amstel. 1703. —
Ideler, Handbuch der Chronologie, Berlin
1825; Cantor, Vorlesungen über Geschichte
der Mathematik, 1. Band, Leipz. 1880; Be-
lambre, Arithmetique des Grecs, Par. 1807,
Histoire de Vastronomie ancienne, Par. 1817
(übersetzt von Hoffmann, Mainz 1817) ; Mar-
tin, Astronomie grecque et romaine, Par.
1875; Hankel, Zur Geschichte der Mathe-
matik irn Altertum und Mittelalter, Leipz. 1874.
ß) Über die ältere Geschichte der Mathe-
matik verdanken wir sehr willkommene An-
gaben dem Kommentar des Proklos zu Euklid
p. 19 ed. Bas., der selbst wiederum aus des
Eudemos rswfisTQiy.rj laxoQLa schöpfte.
I
A. Fachwissenscliaftliche Litieratur. 2. Mathematiker u. Astronomen. (§585- 589.) ^ig
demie stand die Mathematik in hohen Ehren: dem, der nicht Geometrie
verstund, war der Eingang in die Akademie verwehrt. Nur Aristipp und
die Kyniker trugen in ihrer niederen Gesinnungsart Verachtung der Mathe-
matik zur Schau. Auch brachte schon die klassische Zeit bedeutende
Mathematiker hervor, wie den Geometer Theodoros, den uns Piatons
Theätet kennen lehrt, den Chronologen Meton, der in seinen Zeitberech-
nungen sich bereits der Sonnenuhr bediente, den Pythagoreer Archytas,
den Diogenes 8, 83 Begründer der Mechanik nennt, den Astronomen und
Arzt Eudoxos aus Knidos, ^) der neben Piaton in der Akademie lehrte,
den Astronomen Kallippos, der die Sphärentheorie des Eudoxos ver-
besserte und über dessen Verhältnis zu Eudoxos uns hauptsächlich Aristo-
teles Met. XI, 8 und des Simplicius Schollen zu Arist. de coelo II, 12 unter-
richten. 2) Einen höheren Aufschwung nahmen die mathematischen Dis-
ziplinen unter den Ptolemäern; auch sind uns erst aus dieser Zeit voll-
ständige Werke erhalten.
587. Autolykos aus Pitane im äolischen Kleinasien, Lehrer des
Akademikers Arkesilaos (Diog. 4, 29), ist der älteste der uns erhaltenen
Mathematiker. Auf uns sind von demselben zwei kurze astronomische
Schriften gekommen: ttsqI acfaigag xivovfxsvrjg und Tiegi stiitoXcov xal dvasMV
in 2 B. In denselben steht eine Anzahl von Definitionen (oqoi) der Haupt-
begriife voran und werden dann die Beweise der Sätze [nQocäasio) in
bündiger Klarheit entwickelt. Kritische Ausgabe von Hultsch in Bibl.
Teubn. 1885.
588. Eukleides, nach den einen aus Gela, nach den andern aus
Tyrus, blühte unter Ptolemäus Lagi und lehrte in Alexandria. Das be-
rühmteste Werk desselben, das lange Zeit bei den Arabern und bei uns
im Abendland dem Unterricht in der Geometrie zu grund gelegt wurde, sind
die ^TotjeTcx (Elementa) in 13 B. Denselben ist als 14. und 15. Buch ein
Anhang angefügt, dessen erster Teil von Hypsikles herrührt. Ausserdem
haben wir von Euklid JsSn/^isva (Data), eine Art von Einleitung in die
geometrische Analysis, (Danoi^isva oder Grundzüge der Astronomie, eine
Einteilung des musikalischen Kanon (xaTaTOjurj xavorog), Optika. Die
2 Bücher Tonoi nqog sTTixfavsia, welche Pappos 7, 3 noch las, sind ver-
tj loren gegangen. Die Elaaycoy}] aQi.iovixij trägt fälschlich den Namen des
il Euklid und rührt von einem Schüler des Aristoxenos her; auch die KaTon-
A TQixd erklärt Heiberg für ein unechtes Werk.
1 Hauptausgabe mit kritischem Apparat von Heiberg u. Menge, in Bibl, Teubn. 1883,
5 Bde. — Kommentar des Proklos zum 1. Buch der Elemente von Friedlein, ebenda
1873. — Heiberg, Litterargeschichtliche Studien über Euklid, Leipz. 1882. - Über das
verlorene, aber ins Arabische übersetzte Buch Tiept cTtraofafw*' s. Günther, Handb. d. klass.
Alt. V, 33.
589. Archimedes (287 — 212), Sohn des Astronomen Pheidias, hatte
^) Über Eudoxos s. Böckh, Kl. Sehr. 1 ostentis et ealendaria gracca-^.212--h. Über
HI, 343 ff. Eutokios (G. Jahrh.) zu Archi- | die Verwechselung des Astronomen Eudoxos
I I medes, JDe sphaera et cyl. H, 2 kannte noch
die mathematischen Schriften des Eudoxos.
Ein stark interpoliertes Stück der Ev^ö'iov
Tixvr] veröffentlichten aus einem Pariser Pa-
pyrus Brunet de Presle, Notices et extraits
t. XVIII pl. 1 — 5; vgl. Wacusmutii, Lydi de
mit dem gleichnamigen Verfasser der geo-
graphischen lleQioiyog yijg s. oben § 368.
'^) Martin, Memoire sur les hypotheses
astronomiqiies d'Eudoxe, de C(dlip'pe, d^Ari-
stote, Paris 1880; darüber referiert Hultsch,
Jahrber. d. Alt. Xll, 3. 50 ff.
720
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhäng.
das dorische Syrakus zur Heimat, und fand seinen Tod bei der Einnahme
seiner Vaterstadt, angeblich durch einen rohen römischen Soldaten. ^) Seinen
Namen hat er unsterblich gemacht durch die glänzenden Erfindungen in
der Mechanik, mit denen er auch lange die Belagerungsversuche der Römer
vereitelte. Aber auch um die Wissenschaft der reinen Mathematik hat er
sich hervorragende Verdienste erworben durch die Kreismessung, 2) die
Kugel- und Cylinderberechnung u. a. Die von ihm erhaltenen Schriften
sind: tt^qI acfaiQccg xal xvh'vdgov, xvxXov i^ii:TQrj(Tig, tcsqI iniTitSwv Ictoqqothmv,
7T€qI xcovosiSt'cov xul (^(faiQOsi^icov, ttsqI iXixcov, ipaj^ifiiTijg, TSTgaycovicfindg
naQaßoh'jg, tisqI tu)v 6xovf.it icov (Hydrostatik). Die letzte Schrift existiert,
von kleinen Fragmenten abgesehen, nur noch in der lateinischen Über-
setzung von Tartalea.^) Nur durch eine arabische Übersetzung ist der Liber
assumptorum auf uns gekommen. Der ursprüngliche dorische Dialekt der
Schriften des Archimedes ist bei den beiden ersten, am meisten gelesenen
Werken ganz verwischt, bei den andern aber ziemlich gut erhalten.^) Zu
den Schriften in Prosa kommt noch ein Rätsel in Distichen über die Rinder
des Helios {nQoßhjiia ßosixov), das Archimedes dem alexandriuischen Gram-
matiker Eratosthenes zum Lösen aufgab.'*)
Hauptausgabe mit kritischem Apparat von Heiberg, in Bibl. Teubn. 1880, 3 vol. —
Heibeeg, Quaestiones ArcMmedeae, Kopenh. 1879. — Zu den drei an erster Stelle auf-
geführten Werken ist uns auch ein alter Kommentar von Eutokios, einem Mathematiker
aus der Zeit Justinians, erhalten. Über diesen Eutokios, Schüler des berühmten Architekten
Isidor unter Justinian s. Heiberg, Philol. Stud. zu den griech. Mathematikern in Jahrb. f.
Phil. Suppl. XI, 357 ff.
590. Apollonios von Perge in Pamphylien, der um 200 v. Chr. in
Alexandria und Pergamon thätig war, ist Verfasser des berühmten Werkes
über die Kegelschnitte, Kan'ixd aToixsTa in 8 B., wovon die 4 ersten im
griechischen Original mit einem Kommentar des Eutokios, die 3 folgenden
in arabischer Übersetzung auf uns gekommen sind.
Ausgabe von Halley, Oxon. 1710; von Heiberg in Bibl. Teubn. auf Grundlage des
cod. Vat. 206, Lips. 1888. Ausserdem gab es noch viele, zum Teil von Pappos angeführte
Werke unseres Mathematikers, darunter auch Elemente der Arithmetik ; s. Günther, Handb.
d. kl. Alt. V, 20 u, 36. Der Traktat tieql loyov aTiorofxrjg ist uns durch eine arabische
Übersetzung erhalten, die Halley ins Lateinische übersetzte.
591. Hypsikles, den man früher in die Zeit der Antonine setzte,
der aber nach Friedleins Nachweis^) nicht lange nach Apollonios lebte,
hat den schon erwähnten Nachtrag zu Euklids Elementen verfasst. Von
demselben rührt auch der sogenannte Xoyog ävacfOQixog über das Aufsteigen
in der Ekliptik her. Die letztere Schrift ist zusammen mit des Heliodor
xs(fiäXaia tmv otttixcov von Mentelius, Par. 1657, in neuerer Zeit von
Manitius, Dresd, Progr. des Gymn. z. h. Kreuz 1888, herausgegeben.
I
') Livius 25, 31; Plut. Marc. 19. Über
sein Grabdenkmal bei Syrakus s. Cicero,
Tuscul. V, 64.
■^) Die Peripherie des Kreises bestimmte
er auf mehr als 3^*^/71 und vt^eniger als 3'^/7o
Biameter.
^) Den Versuch einer Rückübersetzung
machte Heiberg, Mel. Graux p. 689—709.
*) Heiberg, Über den Dialekt des Archi-
medes, Jahrb. f. Phil. Suppl. XIV, 543- 6G.
Anstoss erregen die überlieferten Dorismen
ci^iGvg (gegenüber lat. semis) und evtl = ian,
in welch letzterer Form sich die Hand-
schriften des Archimedes mit denen des
Theokrit begegnen.
^) Krumbiegel u. Amthor, Das Prohlema
hovinum des Archimedes, Ztschr. f. Math.,
bist. litt. Abt. XXV, 121 ff.
ß) Friedlein, De Hypmcle mnthcmaiici
in Bull. Boncompagni VI, 493—529.
A. PachwissenschaftlicheLitteratur. 2. Mathematikern. Astronomen. (§590—592.) 721
Aristarchos von Samos (um 250 v. Chr.), Schüler des Peripatetikers
Straton, ist in der Geschichte der Astronomie dadurch bekannt, dass er
zuerst die dann an 2000 Jahre wieder ruhende Entdeckung gemacht hat,
dass sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne
und zugleich um ihre Achse dreht. \) Durch diese Lehre zog er sich von
Seiten des Stoikers Kleanthes den Vorwurf der Gottlosigkeit zu, wie ähn-
liches und schlimmeres dem grossen Entdecker Galilei von selten der
Theologen begegnet ist. Auf uns gekommen ist nur eine einzige Ab-
handlung u€qI ^sysO^MV xccl aTiocTTrjficcTcov rjXiov xal ashjvrjg durch das
Sammelwerk des Pappos. Ausg. von de la Porte du Theil und St. Croix,
Par. 1810.
Hipparchos aus Nikäa in Bithynien war der gefeierteste Astronom
des Altertums ^) und zugleich Begründer der Trigonometrie; er lehrte in Rhodos
und Alexandria und lebte, nach den von ihm angestellten Beobachtungen zu
schliessen, um 160 — 125 v. Chr. Seinen Ruf erwarb er sich durch Er-
findung vollkommenerer Instrumente, Abfassung eines Sternkataloges mit
1080 Sternen, Entdeckung des Vorrückens der Nachtgleichen; mit Hilfe
der Trigonometrie berechnete er die Parallaxe der Sonne und die Ent-
fernung derselben von der Erde (1200 Erdradien). Von seinen zahlreichen
Schriften ist vollständig nur eine Jugendschrift, tÖ)v 'J^dzuv xal EvSo^ov
(faivoiievMv s'^rjyt^asig in 3 B., auf uns gekommen (gedruckt in Petavii
Uranologium p. 171 ff.); ausserdem hat uns Ptolemäus, Synt. VII. 5 sein
Stern Verzeichnis {ßxi^saig aoTSQiafxcHv rj ttsqI tcov anXavöov avayQa(fccC) er-
halten und kennen wir aus dem zweiten Buch des Strabon seine Kritik
der mathematischen Geographie des Eratosthenes.
592. Heron von Alexandria, 3) Schüler des Ktesibios,^) blühte um
100 V. Chr. und war einer der vielseitigsten Mathematiker der Griechen.
Vorzugsweise galten seine Studien der Geometrie und der damit verbundenen
Vermessungskunde (Geodäsie), ausserdem der Optik und Mechanik. Er-
halten haben sich von geometrischen Werken : ^'Oqoi tcov yscofisTQiag 6ro-
^ccTwr,^') r€0)ßSTQoviLi€vcc, El(Saywyal tcov aTeQsofisTQOvfAtvon', woran sich die
geodätische Schrift ttsqI öiomqag (eine Art von Theodolith) anreiht.^) Aus
der Geometrie und Geodäsie unseres Heron ist der unechte Traktat nsql
tuTQcov ausgezogen. Umfangreiche Bruchstücke von Herons Mechanik füllen
das 8. Buch des Pappos. In das Gebiet der Mechanik gehören auch die
^) Plut. de facie c. 6. Hingeworfen war
der Gedanke schon von Herakleides Ponti-
kos; s. Bergk, Fünf Abhandl. zur Philos. u.
Astron. S. 139—171.
'') Bei Plinius H. N. II, 26. 95 heisst er:
Hipjparclius nunquam satis laudatus, ut quo
vemo magis adprobaverit cognationem cum
liomine siderum animasque nostras partem
esse caeli.
^) Martin, Recherches sur la vie et les
ouvi-ages d' Heron d'Alex., Par. 1854; Cantor,
Oescli. d. Math., Kap. 18 u. 19, Die römi-
schen Agrimensoren, Leipz. 1875 S. 1 — 63.
ITntcrscliieden werden drei Heron, unser He-
ron Ctesibii, Ileron der Lehrer des Proklos
(5. Jahrh,), der Byzantiner Heron.
^) Ktesibios lebte nach Ath. 174d unter
Ptoleniaios VII. Euergetes IL, nicht, wie
Fabricius und andere nach ihm angenommen
haben, unter Ptolemaios III. Euergetes I.
5) CuRTZE, Jahrber. d. Alt. XII, 3. 28
berichtet: Tannery, L'aritJimetique des Grccs
dans Heron d'Alex. zeigt, dass der Verfasser
der sogenannten Definitionen nicht der Ale-
xandriner Ileron sein kann, da darunter
solche aufgenommen sind , welche nach-
weislich Eigentum des Posidonius sind.
^) Vgl. Cantor a. 0. und dazu Curtze,
Jahrber. d. Alt. V, 3. 169 ff.
Handbuch der klass, Altertumswissenschaft. VII. 2. Aufl.
46
722 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
kriegswissenschaftlichen Schriften unseres Autors: BsXonoiixä (vom Ge-
schützbau), BaXiaTQcig xataaxsvij (Anfertigung der Handschleuder), ferner
BaqovXxog (von der Hebewinde, ein Bruchstück), nieviiarixä (von den
Druckwerken, in lat. Übersetzung), ttsqI avTOf^iaTonoiriTixMv (von den von
selbst sich bewegenden Maschinen). Das der Optik angehörige Werk
KaTOTiTQixrj ist nur durch die lateinische Übersetzung des Wilhelm von
Mörbeke unter dem falschen Titel „Ptolemaeus de speculis" auf uns gekommen.
Heronis geometriae et sterometriae rell. ed. Hultsch, Berol. 1864. - Heron neQL
dionzQag von Vincent, Notices et extraits t. XTX, Par. 1858. — Herons Fragmente der
Mechanik von Hultsch, Comment. in honorem Moinmseni p. 114— 124. — Die Schrift
neQt fxETQ(x}v in Hultsch's Metrol. Script., Lips. 1864. — Die kriegswissenschaftlichen Werke
hei Thevenot, Mathem. vet. — Die Katoptrik des Heron in latein. Übersetzung heraus-
gegeben von Val. Rose, Anecd. gr. H, 290 u. 317 — 336. - Vict. Prou, La chirobaliste
d'Heron d'Alex., Notices et exir. 26, 2 (1877).
593. Geminus aus Rhodos ist Verfasser der El(Taycoyrj slg rd (paivö-
fxsva, einer Erläuterungsschrift zu den Phainomena des Arat. ^) Seine Zeit
ward nach der Angabe über das Isisfest c. 6 von Petavius und Böckh auf
73 — 70 v. Chr. berechnet. 2) Nach Simplicius zu Arist. Phys. H, p. 291,
11 ed. Diels und nach Priscianus philosophus p. 553 ed. Did. schrieb j
Geminus auch eine Epitome der Meteorologika des Stoikers Poseidonios, die
jedoch Blass, De Gemino et Fosidonio, mit guten Gründen für eine Schrift
hält mit jenem, hauptsächlich auf Poseidonios fussenden Kommentar zu den
Phainomena.
594. In der römischen Periode ist auch auf dem Gebiete der Mathe-
matik und Astronomie die Selbständigkeit der Forschung zurückgegangen;
erst gegen Ende des Altertums erfolgte in Alexandria ein neuer Aufschwung.
Den bedeutendsten Astronomen der Kaiserzeit Ptolemaios haben wir
bereits oben § 447 unter den Geographen besprochen. Ausserdem haben
wir aus den ersten Jahrhunderten unserer Aera von Menelaos aus Ale
xandria (unter Traian) Sphairika in lateinischer Übersetzung; von dessen
Zeitgenossen Theodosios aus Tripolis in Lydien 3 Bücher ^(fcciQixä^) und
zwei nur in lateinischer Übersetzung erhaltene astronomische Schriften tt^qI
rj^sQwv xal vvxtmv und neQi olxrjascov (ed. Nizza, Berl. 1852); von Serenos
aus Antissa 2 Bücher negl rojiirjg xvXivSqov xal xmvov (gedruckt in der
Ausg. des Apollonios von Halley); von Kleomedes eine KvxXixr^ ^emqia
TMv ßersMQcoi' (rec. Bake, LB. 1820); von dem Neupythagoreer Niko-j
machos aus Gerasa (um 150 n. Chr.) eine 'Agid^i^ir^Tixiri slaayMyri (ed. Hoche,
Lips. 18G4) und ein 'EyxeiQiöiov cxQi^iovixrjg (gedruckt in Meibom's Mus. graec.)
in je 2 B., von welchen Werken namentlich das erstere sich im Altertum
eines ungeheueren Ansehens erfreute und um die Wette von lamblichos
(ed. Tennulius, 1667), Philoponos (ed. Hoche, Wesel 1864), Soterichos (ed.|
') S. oben J 339.
^) Böckh, Über die vierjährigen Sonnen-
kreise der Alten S. 203 f. Brakdis, Über
das Zeitalter des Astronomen Geminus, in
Jahn's Archiv XIII, 199 ff. rechnet das
Jahr 126 v. Chr. heraus. Die Giltigkeit des
Schlusses verwirft überhaupt Blass, De Ge-
mino et Posidonio, Kiel 1883, da jene An-
gabe nicht von dem Überarbeiter Geminus,
iBondern von Poseidonios, dem Original-
schriftsteller, herrühre, so dass nur das fest-
stehe, dass Geminus vor Alexander Aphro-
disiensis, den Simplicius an der angeführten
Stelle als Quelle anführt, gelebt habe.
^) Die Sphairika des Menelaos sind uns
in lateinischer Übersetzung erhalten, heraus-
gegeben von Halley-Costaed, Oxon. 1758.
Scholien zu den Sphairika des Theodosios ver-
öffentlichte Hultsch, Abh. d. sächs. Ges. X, 5.
[
Ä.. Pachwissenschaftliche Litteratur. 2. Mathematiker u. Astronomen. (§ 593—595.) 723
HociiE, Elberf. 1871) u. a. kommentiert wurde. Photios cod. 187 erwähnt
von Nikomachos auch ^AQiOixrjTixd ^eoloyovixsva^ aber die erhaltenen (ed.
Ast, Lips. 1817) rühren nicht von Nikomachos, sondern von lamblichos
her. Aus dem 4. Jahrhundert oder dem Jahre 381 n. Chr. stammt das
Kompendium der Astrologie von Hephästion, das unlängst Engelbrecht,
Wien 1887 an das Tageslicht gezogen hat.
595. In den letzten Jahrhunderten des Altertums, als die Kultur Roms
und Italiens unter den Einfällen der Barbaren zertreten wurde und auch
Konstantinopel immer neuen Bedrohungen von der Donau her ausgesetzt
war, entstand in Alexandria von neuem den Studien ein von wüstem Waffen-
lärm ungestörter Sitz. Wie diese friedlichen Verhältnisse dem Wieder-
aufblühen der epischen Poesie und Romanschriftstellerei zugute kamen,
haben wir bereits kennen gelernt. Insbesondere aber gediehen unter
dem Schutze des Friedens diejenigen Studien, welche von jeher in dem Nil-
thal eine besondere Pflege gefunden hatten, die mathematischen und astro-
nomischen. Grosse neue Entdeckungen wurden zwar nicht gemacht, die
Kommentierung der alten Werke bildete wie in der Philosophie so auch in
der Mathematik den Hauptgegenstand der gelehrten Thätigkeit, aber dem
nochmaligen Aufleuchten der Sonne der Wissenschaft über den Hallen und
Museen Alexandriens verdanken wir die Erhaltung der grossen Entdeckungen
des alten Griechenlands und die Hinüberleitung der exakten Wissenschaften
in das Reich der Araber.
Diophantos von Alexandria, wahrscheinlich aus der Zeit des Kaisers
Julian,^) ist Verfasser der ^AQiS^jxrjrixa^ welche für die Arithmetik und Al-
gebra eine ähnliche Bedeutung haben wie die Elemente des Euklid für die
Geometrie. Von den 13 Büchern des Werkes sind nur 6 erhalten, zu-
sammen mit Schollen des Planudes. Ausserdem ist von ihm die Abhand-
lung ttsqI TxoXvyoh'oiv (xqi^^wv auf uns gekommen und haben wir durch
ihn selbst Kenntnis von seinem Buche lIogiai^iaTcc.
Die 6 Bücher Arithmetica sind zuerst in lateinischer Übersetzung herausgegeben
worden, von Xylander, Basel 1571. Griechischer Text in der Ausg. von Backet de
Meziriac, Paris 1621 ; von Fermat, Toulouse 1G70. — Eine neue kritische Bearbeitung ge-
hört noch zu den Wünschen der Mathematiker und Philologen. Mitteilungen über Handschr.
macht P. Tannery, Archive des missions scientißques III, 14, (1888), 409 - 55.
Paulus von Alexandria schrieb 378 eine Einleitung in die Astrologie
(slaay(joyri elg t}]v ccTtoTsXtai^iaTixriv), welche bei der Neigung der Zeit für
die Spinnengewebe des Aberglaubens viele Leser und Erklärer fand. Aus-
gabe von ScHATo, Wittenberg 1586.
Pappos aus Alexandria, der nach Suidas gleichzeitig mit Theon unter
Theodosios (379 — 395) lebte, aber nach einem von Usener, Rh. M. 28, 403
aus Licht gezogenen Scholion vielmehr unter Diokletian (284 — 305) blühte,
ist Verfasser des im Anfang verstümmelten Sammelwerkes ^vraycoyn] ^ia(>)^-
iKcTiy.r^,'^) welches äusserst wertvolle Excerpte aus älteren Mathematikern,
^) Sicher lebte er nach Hypsikles, auf 1 '^) Der Zusatz ^c<S'>]fÄUTixi] fehlt in den
Iden er sich bezieht, und vor Hypatia, die I Handschriften; auch handelt das 8. Buch
ihn kommentierte. Die Araber setzten ihn
unter Julian; ob er mit dem Diophantos, den
Siiidas als Lelirer des Rhetors Libanios an-
von der Mechanik. Ausserdem erwähnt
Suidas von Pappos XMQoyQuq^ln oixovfieviy.i],
f/V T« & [iy' corr. IIultsch) ßtjüiu ji]<;
tiiiirt, identisch sei, ist mehr als zweifelhaft. | UioXe^ialov ^eyu'/.t^i; am^cfwc v'iöfii'},ua
4G*
724 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
enthält. Hauptausg. auf Grundlage des Vatic. 218 s. XII von Hultsch,
Berl. 1876-8.1)
Theon von Alexandria 2) (um 380), Vater der Hypatia, hinterliess
Schollen zu Arat, Euklid, Ptolemäus, von denen bereits oben die Rede war.
Hypatia, die gefeierte Tochter des Theon, die 415 bei einem Aufstand
des christlichen Pöbels umkam, 3) hat sich wie ihr Vater mit Mathematik
und Astronomie abgegeben. Suidas erwähnt von ihr Kommentare zu Dio-
phantos und Apollonios, und einen astronomischen Kanon; aber diese Schriften
sind sämtlich verloren gegangen, wir haben nur einige Briefe von ihr in
der Sammlung des Synesios.
596. Schon in das beginnende Mittelalter fällt der Mechaniker und
Architekt Anthemios, nach dessen Plänen Kaiser Justinian die Sophien-
kirche erbauen Hess. Von ihm ist ein Bruchstück der Schrift nsQl naqu-
(Jo^wv ^r;X«Fry^«Twr' (Westermann, Paradox. 149 — 158) auf uns gekommen,
mit dem sich einige Pergamentblätter des Cod. Bobiensis der Ambrosiana
L 99, Über den Brennspiegel, berühren. Dasselbe hat neuerdings Belger,
Herm. 16, 261 ff. herausgegeben und Wachsmuth, Herm. 16, 637 voll-
ständiger hergestellt.
Taktiker.^)
597. Die Kriegskunst, die als Wissenschaft wesentlich auf Mathe-
matik fusst, hat bei dem tapferen, kriegstüchtigen Volk der Hellenen schon
in der klassischen Zeit einzelne litterarische Produkte hervorgerufen. Von
den betreffenden Büchern des Xenophon über Reiterei und des Aineias
über Taktik ist bereits oben § 231 u. 234 die Rede gewesen. Aber ihre
eigentliche Ausbildung erhielt die Kriegswissenschaft doch erst, nachdem
aus der republikanischen Bürgerwehr ein Berufsheer geworden war und
unter Alexander und den Diadochen die Fortschritte der Mechanik in der
Belagerung und Verteidigung der Städte ihre praktische Anwendung fanden.j
Ein Werk über Mechanik haben wir bereits unter dem Namen des Aristo-1
teles kennen gelernt; von den Mathematikern haben insbesondere Archi-
medes, Ktesibios und Heron auch in der angewandten Mathematik, der]
Mechanik, bedeutende Entdeckungen gemacht. Erhalten sind uns Werke
von nachstehenden Schriftstellern:
Philo n aus Byzanz, Schüler des Ktesibios und Zeitgenosse des]
Heron, •'^) verfasste um 100 v. Chr. ein grosses Werk über Mechanik
(Fragm. bei Hultsch t. III p. XVII sqq.), \ Phil. 15, 435 ff. Romanhafte Dichtung von
i|
TioTCifiol ol ev Aißi'Tj, oveiQoxQiXLxd. Über
einen Kommentar desselben zu Euklid siehe
Hultsch t. III p. IX.
^) Im Anhang des S.Bandes gibt Hultsch
noch : Anonymi comment. de figuris _2^/«n/s
isoperimetris, Scholia in Papjmm, Zenodori
(der nicht lange nach Archimedes lebte)
2) @i(üv 6 ix rov ^ovaeiov heisst er bei
Suidas; verschieden ist er von dem Mathe-
matiker Theon aus Smyrna, dessen Kom-
mentar zu Piaton Chalkidios plünderte.
'^) HociiK, Hypatia, die Toclitcr Tlicons,
KiNGSLEY, Hypatia or new foes ivith an
old face.
^) KöcHLY u. RüsTow, Gricch. Kriegs-
schriftsteller, griechisch deutsch mit krit.
u. erklär. Anm., Leipz. 1853 5, 2 Teile. -
Wescher, Poliorcetique des Grecs, Par. 1867.
— Eine kritische Gesamtausg. wurde geplant
von Fr. Haase, dessen Vorarbeiten in den
Besitz K. Müller's übergegangen sind, von
dem wir eine Ausgabe erwarten. — Hand-
schriftlich sind die bezüglichen Schriften
vereint in dem Laurent. 55, 4.
^) Köchly, Kriegsschriftst. I, 199 setzt
A. Fachwissenschaftliche Litteratur. 2. Mathematikern. Astronomen. (§ 596—597.) 725
(liTjxccvixt] avvTa'^ig), das er einem gewissen Ariston widmete. In diesem war
der erste hauptsächlichste Teil dem Militärwesen gewidmet. Davon ist das
4. Buch, welches von den Wurfgeschossen (BeXonoüxa) handelt, vollständig
erhalten. Das 5., wahrscheinlich das 5. — 8. Buch, welche vom Festungs-
bau, Verproviantierung, Verteidigung und Angriff handelten, sind in einem
Auszug auf uns gekommen. Dieser steht in den Mathem. vet. p. 79 — 104;
speziell das 5. Buch vom Festungsbau {TsixoTtoüxä) veröffentlichten mit
neuen Hilfsmitteln Rochas und Greaux, Rev. philol. III, 91 — 181. Von
einem anderen Teile des Werkes, das die Luftdruckwerke {Ttrsv^arixä)
betrifft, existiert eine nach dem Arabischen angefertigte Übersetzung (de
ingeniis spirituaUhus), die Val. Rose, Anecd. gr. II, 299—313 veröffent-
licht hat.
Biton ist Verfasser der Kataaxsval TToXsfxixwv dQydvcov xal xaxaTtsX-
TixMv; seine Zeit bestimmt sich dadurch, dass er sein Werk dem König
Attalos I. widmete.
Atheriaios aus der gleichen Zeit hat uns eine Schrift ttsqI i^rix^rrj-
indrcov hinterlassen, die dem Marcellus, vermutlich dem Eroberer von
Syrakus, gewidmet ist.
Asklepiodotos, Schüler des Philosophen Poseidonios, ist Verfasser
der TaxTixd xsifdXaia. Auch ein anderer Philosoph, der Platoniker Ono-
sandros unter Nero verfasste ein kriegs wissenschaftliches Werk 2%qa'
TTjyixög, das er dem Veranius, der im J. 49 Konsul war und im J. 59 starb,
widmete.^)
Von ApoUodoros aus Damaskos, der unter Traian die Bauten des
Forum Traianum leitete und die erste Donaubrücke baute (105), haben wir
eine Schrift IIoXioQxrjTixd.
Aelian hat uns eine TaxTLxy] ^€0)Qia hinterlassen, welche mit der
Taktik des Historikers Arrian infolge der Benützung der gleichen Quelle
derart übereinstimmt, dass Köchly die letztere nur für eine verschiedene
Redaktion der Schrift des Aelian erklären wollte. 2)
Sext. Julius Africanus, der bekannte Kirchenhistoriker, hat in
seinem enkyklopädischen Werk Ksaroi auch dem Kriegswesen mehrere Ab-
schnitte gewidmet, die im byzantinischen Mittelalter in grossem Ansehen
stunden.^)
Von Polyän, dem Verfasser der ^TQaTrjyrjiJiaTa, ist wegen des
wesentlich historischen Charakters jener Schrift bereits oben § 444 die Rede
gewesen.
ihn in die 1. Hälfte des 3. Jahrb., was viel
zu hoch gegriffen ist. Das Richtige lehrt
GREAVX,l{evue philologique III (1879) p.
91 ff. Über seine Beziehungen zu dem
Philosophen Anaxarchos s. Bernays, Ges.
Abh. I, 128. — Verschieden davon ist der
Architekt Philon, des Exekestes Sohn
aus Eleusis, der das Arsenal [axsvo&ijxr]) im
i'iraeus erbaute (die darauf bezügliche grosse
Inschrift ist zuerst publiziert von Alex.
JMeletopoulos, Athen 1882), und der nach
Vitruv VII praef. auch ein eigenes Buch
TiEQi T?;? eV IleiQaiec (Txevo^rjxtjg schrieb.
') Von Onosandros führt Suidas an:
rcixTixa, nsQi aiQCir^jyyjfxc'adJv, vnofxytj/xarcc
eig TTjv JlXäxiovog Tiohtsiccv.
2) Köchly, Kriegsschriftst. II, 2. 5 ff.;
vgl. S. 497.
") Ausgabe in Tuevenot's Math. vet. p.
275 — 310; Meursii opera ex rec. Lami
t. VII p. 897-984.
726
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
B. Christliche Schriftsteller.
598. Die Zugehörigkeit zur griechischen Litteratur bemisst sich nicht
danach, dass ein Buch bloss in griechischer Sprache geschrieben ist; die
Schriften, welche hier zur Sprache kommen sollen, müssen auch auf dem
Boden der hellenischen Kultur gewachsen und von hellenischem Geiste
durchweht sein. Da aber der Hellenismus vom Christentum bekämpft
wurde und nach jahrhundertlangem Kampfe der Macht der sittlichen Ideen
des Christentums erlag, i) so gehören an und für sich die Werke der christ-
lichen Schriftsteller nicht mehr in den Rahmen einer griechischen Litteratur-
geschichte. Wenn ich dieselben aber doch hier im Anhang zur Sprache
bringe, so geschieht dieses nach einem speziellen Gesichtspunkt und mit
einer bestimmten Beschränkung. Als die neuen Ideen der Nächstenliebe
und Sittenreinheit aus den niederen Kreisen des Volkes in die Paläste
der Vornehmen und die Hallen der Gelehrten vorzudringen begannen,
änderte sich auch die Stellung und Aufgabe der christlichen Lehrer; sie
mussten mit einer hochentwickelten, auch in ihrem Verfall noch viel-
vermögenden Kultur den Kampf aufnehmen, sie mussten sich zu diesem
Behufe die Schlagfertigkeit der Dialektik, die Gewandtheit der Rhetorik,
die Eleganz der poetischen Diktion aneignen. Diese aber erwarben sie sich
in den Hörsälen und Museen der Griechen, im 4. Jahrhundert ganz ge-
wöhnlich an der Seite heidnischer Jünglinge. Die Werke der Kirchenväter
sind daher nach ihrer formalen Seite dem Boden des Hellenismus ent-
sprossen und tragen das Gepräge der zu jener Zeit herrschenden Richtung
der Philosophie und Rhetorik. Wenn die kirchlichen Schriftsteller in der
Dogmatik die abstossende Seite der Streitsucht und Wortklauberei heraus-
kehren, wenn sie in den Predigten die hohle Phrase und den breiten
Wortschwall lieben, wenn sie in der Exegese Präzision und nüchternen
Scharfsinn vermissen lassen, so treten darin dieselben Mängel zutag, die
wir an den profanen Erzeugnissen des absterbenden Griechentums auszu-
setzen hatten. Ein zweiter Grund, der uns in diesem Anhang, die grie-,
chische Patristik kurz zu behandeln veranlasst, liegt darin, dass uns diese]
Schriftsteller, eben weil sie in der heidnischen Weisheit gross gezogen]
waren, eine Fülle von Nachrichten aus der griechischen Litteratur, nament-j
lieh der philosophischen erhalten haben, die uns aus direkter Quelle ent-
weder gar nicht, oder doch nicht in gleicher Vollständigkeit zugekommen
sind. In dieser Beziehung sind auch dem Philologen die Kirchenväter eine
reiche, noch immer nicht ganz ausgeschöpfte Quelle der Erkenntnis. Gehören
nun auch auf solche Weise zunächst nur die Schriften der gelehrten Kirchen-
väter der letzten Jahrhunderte in eine griechische Litteraturgeschichte, so
habe ich doch der Vollständigkeit und des Zusammenhangs halber auch die
älteren christlichen Schriften nicht ganz übergehen wollen.
1. Die Schriften der altchristlichen Kirche. 2)
509. Das neue Testament. Die ältesten in griechischer Sprache
verfassten Schriften der Christen sind die Bücher des neuen Testa-
i
^) Geradezu entgegengesetzt werden bei
Zonaras III, 344 ed. Dind. ov yuQ X()iaTLc<y6g,
ov^FjÄXtjy, ovx ^lovöicToq irvy/ai^ey ujiy.
'^) Der Kirchenvater Eusebios Hist. eccl.
B. Christliche Schriftsteller. 1. Die Schriften d. altchristl. Kirche. (§ 598—599.) 727
mentes. 1) Die aus einer grösseren Anzahl von Schriften ausgesonderte,
als kanonisch bezeichnete Sammlung umfasst: 1) die vier Evangelien {svay-
yt'Xia), an welche sich die Apostelgeschichte {rüQa^stg zoov djioaToXwv) des
Lukas anschliesst, 2) die 13 paulinischen Briefe und die 7 sogenannten
katholischen Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes und Judas, 3) die Offen-
barung (dnoxdXvipig) des heil. Johannes.
Von diesen heiligen Urkunden sind am ältesten die Briefe des
Paulus, die dieser glaubensstarke, frühe über die Engherzigkeit der jüdisch-
christlichen Gemeinde hinausgehende Heidenapostel an die Galater, Philipper,
Korinther, Römer und Thessalonicher gerichtet hat. Von diesen Briefen
ist der älteste der an die Galater, im Jahre 50 n. Chr. geschrieben ; 2) die
übrigen gehören der Zeit vor 64 an, in welchem Jahre der Apostel in Rom
den Märtyrertod erlitt. Alle tragen ein individuelles, die jeweiligen Ver-
hältnisse getreu widerspiegelndes Kolorit. Griechische Bildung besass der
Apostel wenig, so dass seine Sprache nichts von hellenischer Eleganz ver-
rät; doch citiert er in einem der Briefe ad Kor. I, 15. 33 einen Vers des
Menander (p&sfQovaiv rj^i^ XQV^^' ofxiXiai xaxai. Gewissermassen einen Kom-
mentar zu den Briefen bildet das Tagebuch des Begleiters des Apostels,
Timotheos, im 2. Teil der Apostelgeschichte des Lukas. — Zeitlich zunächst
steht die Apokalypse, geschrieben im judaischen Geiste nach dem Vor-
bild der alttestamentlichen Prophezeiungen im Buch Daniel und Henoch.
Als Verfasser derselben nennt sich im Vorwort 1, 9 Joannes, Diener Jesu
von der Insel Patmos; jedenfalls ist dieselbe, ebenso wie das Evangelium
Johannes, im Kreise der kleinasiatischen Kirche entstanden und gehört
ganz der phantastischen Welt des Orients an. Der Kern des Buches ist
unter dem 6. der römischen Kaiser, 3) noch vor der totalen Zerstörung des
Tempels von Jerusalem,^) wahrscheinlich unter Vespasian im J. 69 ge-
schrieben. Aufnahme in die kanonische Sammlung des neuen Testamentes
fand das Buch erst im 3. Jahrhundert, woraus sich seine Stellung am
Schlüsse der Sammlung erklärt.^) ~ Von den 4 Evangelien bilden die des
III, 25 unterscheidet 4 Arten altchristlicher
Schriften: 1) kanonische, ofxoXoyov^eva, da-
runter f] TMP evayyeliwv TSZQaxrvg, TiQic'isig
xdov dnoaToXcjy, EmaioXal Uavkov, ausserdem
mit einem Ausdruck des Zweifels (inoxäXvxpig
liüäyfov, 2) angezweifelte, civiilsyofxeva, wie
die Briefe des Jakobus. Judas, etc., 3) un-
echte, vö&a, zu den di'Tileyofxsva im wei-
teren Sinne gehörend, darunter der Poimen,
der Brief des Barnabas, IJav'kov TiQu^sig,
anooz61(x)v (^Lda/cd, nach einigen auch das
Evangelium der Hebräer, 4) häretische, tcc
oi'oficnt XMv cinoGTo'AcDp nqdq Tioy uIqstixiou
7TQO(ff.Q6fxevc(, darunter die apokryphen Evan-
gelien des Petrus, Thomas, Matthias und
(d Mg Av^QBOv xal {(advpov xcd TiOf (cXXioi^
uTjoaroXiov nQcc^eig.
') 0. Pfleiderer, Das Urchristentum,
seine Schriften u. Lehren, Berl. 1887; Theoü.
Zahn, Geschichte des neutestamcntlichen
Kanons, Erlangen 1888; Weizsäcker, Das
apostolische Zeitalter der christl. Kirche,
2. Aufl., Freiburg 1889.
^) Nach den Angaben des Briefes selbst,
in dem der Apostel einen Abriss seines bis-
herigen Lebens gibt.
^) Apok. 17, 10: ßaadei'g enrd etaiv '
ol Tiipts ensaup, 6 eig eoxiv, 6 ci'kXog ovnia
fjXd^s xai '6t((v tX^rj, oViyov avTov dst eipcci.
^) Apok. 11, 2. Mommsen, Rom. Gesch.
V, 520 f. und ebenso Pfleiderer a. 0. gehen
auf die letzten Regierungsjahre Vespasians
herab, wozu besser die Andeutung der von
den Parthern drohenden Gefahr (9, 14)
stimmt, womit sich aber der Hinweis auf
den noch nicht ganz zerstörten Tempel
Jerusalems schwer vereinigen lässt. Neue
Kritiker verfielen auf den Ausweg, das
kurze Buch aus mehreren Teilen entstanden
sein zu lassen.
^) Noch im 2. Jahrhundert wurde aus
der Mitte der katholischen Kirche von Caius
die Apokalypse als ketzerisches Werk ver-
worfen; s. Zahn a. 0. 220 ft".
728
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
Markus, Lukas, Matthäus eine enger zusammenhängende, im wesentlichen
übereinstimmende Gruppe (synoptische Evangelien). Der Evangelist Markus
war ein Schüler und Begleiter dös Apostels Petrus ^) und scheint sein
Evangelium noch im I.Jahrhundert, aber nach Zerstörung von Jerusalem, 2)
verfasst zu haben. Dasselbe zeichnet sich vor den andern durch den ge-
mütvollen Ton der Erzählung und den poetischen Reichtum an Bildern
und Gleichnissen aus; auch der grammatische Ausdruck ist verhältnismässig
gut. Der Schluss (16, 9 — 20) fehlt in guten Handschriften und wurde erst
zugesetzt, nachdem der echte Schluss verloren gegangen war. — Lukas,
der sein Evangelium und seine Apostelgeschichte einem gewissen Theo-
philos gewidmet hat, bezeugt selbst im Eingang des Evangeliums, dass er
viele Vorgänger hatte. ^) Dass darunter auch Markus war, kann nach den
zahlreichen wörtlichen Übereinstimmungen nicht zweifelhaft sein. Derselbe
Lukas verfasste auch als Ergänzung seines Evangeliums eine Apostel-
geschichte {rcQa^sig %wv anoaTolMv), die bis zum Tode des Apostels Paulus
(denselben nicht einbegriffen) reicht und dessen 2. Teil wesentlich nur die
Aufzeichnungen des Timotheos, den sich der Apostel Paulus in Lystra zu
seinem Begleiter ausgewählt hatte, ^) in treuer Kopie wiedergibt.^) Wer
der Evangelist Lukas war und zu welcher Zeit er schrieb, darüber gehen
die Urteile der Kenner weit auseinander. Die kritische Schule findet in
dem überall hervortretenden Bestreben, das Christentum gegen die an die
römischen Beamten gebrachten Denunziationen zu verteidigen, ein Anzeichen,
dass Lukas zur Zeit der erneuten Christenverfolgung unter Trajan gelebt
habe.^) Auf der anderen Seite spricht die Benützung der Schriften des
Markus und Timotheus für die alte Annahme, dass wir auch unseren
Evangelisten in dem Kreise der Verehrer des Apostels Paulus zu suchen
und mit dem getreuen Lukas, der allein in Rom bei Paulus ausharrte (ad
Timoth. II, 4. 11), zu identifizieren haben. — Das Evangelium Matthäus
enthält neben vielen, mit Markus und Lukas übereinstimmenden Partien
auch manches neue, wie vom Stammbaum Jesu, von der Flucht nach Ägypten,
von den 3 Königen aus dem Morgenland. Als Vorlage dienten dem Redaktor,
dessen Lebenszeit nach Markus und Lukas anzusetzen ist,"^) die von dem
^) Im Briefe des Petrus 5, 13 heisst er
MaQxog 6 vlog fxov. Aber auch in dem
deuteropaulinischen Brief an Timotheus II,
4. 11 kommt ein Markus vor, den Timotheus
mit nach Rom bringen soll.
2) Darauf geht 13, 2 ff.
^) Luk. 1, 1: enei^i] nsg nollol STie/el-
Qri<Jav uvaTa^aaQ^ca diyy7jGiy ttsqI xmv nsn-
l7]QO(fOQrj}xepiov iv ri^lv n^ay^äxiov^ xccx9wg
7ic<Qidoaca/ riyAV ol «ti' ('<qx^? avTÖnrca xal
v7T7]Q6rca yEvofisvoi rov "koyov, edo^e xufxol
7ic(Q7]xoXov97]x6ri av(x)d^ev tkigii' axQißaig xa-
ri^s^fjg ooi yqdxpm, XQchiare Qsocpile.
^) Act. apost. 16, 1 ff. ; im Briefe des
Paulus an die Römer heisst er 16, 21 Tl-
juod^sog 6 Gvveqyog /nov. Auch 2 Briefe des
Paulus an Timotheus haben wir, deren Echt-
heit aber bezweifelt wird.
^) Davon zeugt die häufige Beibehaltung
der ersten Pers. plur. und das gute Griechisch,
das diesen 2. Teil der Apostelgeschichte vor
dem ersten und den in hellenistischer Vulgär-
sprache geschriebenen Evangelien auszeich-
net. Timotheos führt einen Halbvers Homers
an (27, 28) und bezieht sich auf Demosthenes
in der Schilderung der nur nach Neuig^
keiten verlangenden Athener (17, 21).
*^) UsENER, Religionsgesch. Unters. I^
152: Unsere heutige Apostelgeschichte kam
kaum früher entstanden sein als zur Zei^
des Kerinthos, um 120.
^) Entscheidend ist, dass erst MatthäusJ
keiner der übrigen Evangelisten, Maria als
Jungfrau den Herrn gebären lässt, indem er
zwar 1, 18 nach alter Überlieferung Maria und
Joseph als Eltern desselben anführt, aber
mit dem Zusatz nQiy ij avve'A&sTv «vrovg. '
B. Christliche Schriftsteller. 1. Die Schriften der altchristlichen Kirche. (§ 599.) 729
Apostel Matthäus in hebräischer Sprache geschriebenen Sprüche (A6//«) des
Herrn. ^) Aus dieser Vorlage flössen namentlich die vielen Ausprüche und
Vorschriften Christi, die in dieses Evangelium eingelegt sind. Doch hat
sich der Verfasser nicht mit einer einfachen Übersetzung begnügt, sondern
mit der Anführung der Sprüche auch einen historischen Abriss des Lebens
Christi, wesentlich nach den Evangelien des Markus und Lukas, verbunden. 2)
Einer anderen Richtung gehört das Evangelium Johannes an, das
weniger ein schlichtes Geschichtsbuch als eine christologische Lehrschrift
ist und uns gleich mit dem Eingang sv ccQxf] ^;^' 0 löyoc, xal ö Xoyog r^v
TTQog Tov d^sov xccl ^sog rjv 6 Xoyog in eine ganz andere Atmosphäre ver-
setzt. Aber wenn dasselbe auch einen theosophischen Charakter trägt und
in Einzelheiten auf jüngere Zeit hinweist,^) so muss doch der Grundstock
desselben auf alte Aufzeichnungen eines Augenzeugen zurückgehen. Dafür
sprechen die vielen neuen Momente aus dem Leben Jesu, die genaue Orts-
kenntnis, das Fehlen von Erzählungen aus der Geburt und Kindheit Jesu;
auch tragen die meisten der von Johannes angeführten Wunder ein ein-
facheres und deshalb altertümlicheres Gepräge. Nach der alten Überliefe-
rung des Papias hatte der Apostel Johannes seiner Gemeinde ein Evan-
gelium hinterlassen;^) aber in seiner heutigen Gestalt rührt das Evangelium
Johannes sicher nicht von dem Liebesapostel selbst her, sondern von einem
jüngeren Redaktor, dessen überarbeitende Hand noch an vielen Stellen
deutlich zu erkennen ist.'') Mit der Apokalypse hat es nicht bloss den
Autornamen gemein, es sind auch beide Schriften an der gleichen Stelle,
in den christlichen Gemeinden Kleinasiens, entstanden und teilen die gleiche
Bezeichnung Christi als Lamm Gottes. Die Stellung unseres Evangeliums
hinter den übrigen Evangelien erklärt sich daraus, dass es am spätesten
allgemeine Anerkennung unter den Christen fand. Wenigstens bezeugt
der Bischof Epiphanios, Panar. H, 51. 3, dass die Sekte der Alogoi die
Echtheit des Evangeliums und der Apokalypse des Johannes bestritten und
beide dem Cerinthus, einem Gnostiker des beginnenden 2. Jahrhunderts,
zuschrieben.
Endlich bilden einen Teil des neuen Testamentes die jüngeren, den
') Papias bei Euseb. bist. eccl. III, 39:
Mcnfhmog fxev ovv 'Eßgatdi &iaXexT(o xd Xöyia
ovyeygdxpcno, rjQfirjvsvas cT' avtci oog rjv d'v-
vcnog i'xaarog. Früher also übersetzte der
Presbyter jedesmal aus dem Stegreif die
betreffenden Abschnitte jenes Buches; jetzt
trat an ihre Stelle die authentische grie-
chische Übersetzung.
'^) So urteilte insbesondere Schleier-
macher; Zahn a. 0. 894 ff. plädiert für eine
einfache Übersetzung. *
2) Wichtig ist der Vergleich der Stellen
über Lazarus bei Markus lO, 20-31, der
die Wiederauferweckung des Lazarus noch
nicht kennt, und Johanunes c. 11, der in
Weiterführung einer Andeutung jener ersten
"^tolle die Erzählung ausschmückte. Haupt-
s.ichlich mit Rücksicht darauf setzt Pflei-
DKRER a. 0. 720 das P]vange]ium Johannes
in das 2. Viertel des 2. Jahrhunderts. Einen
sicheren Terminus post quem bildet die An-
spielung auf den Tod des h. Petrus 21, 18.
•*) Cod. Vat. Reginensis 14 bei Zahn
a. 0. 898.
^) Es liegt die Vermutung nahe, dass
dieser Redaktor identisch ist mit dem Pres-
byter loannes, der nach dem Zeugnis des
Papias bei Euseb. Hist. eccl. II I, 39 im Be-
ginne des 2. Jahrhunderts in Ephesus lebte
und dem auch einer der johanneischen Briefe
angehört. Beachtung verdient, dass Johannes
in dem Evangelium selbst nur als Zeuge
angeführt wird (19, 35: 6 ecoQccxiog fieft(c()-
TVQtjy.E xccl c(Xt]x9i,yi] ccvrov sariv 1] luuQTVQia),
in dem falschen Schlüsse aber als Zeuge und
Verfasser (21, 25: ovrog [seil, 'kouri'fjg] ianv
6 fX(cfh]Tt]g 6 ^«QivQwv tjsqI rovTtoy xcd
yqdxfjccg ravT«).
730
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
alten nachgebildeten Briefe, nämlich der Brief an die Hebräer, verfasst im
J. 115 zur Zeit der Christenverfolgung unter Trajan,') die deuteropaulini-
schen Briefe, insbesondere die sogenannten Pastoralbriefe an Timotheos,
Titus-) und Philemon,^) endlich die unechten Briefe des Jakobus, Petrus,
Johannes,^) Judas. Schon durch die Sprache erweisen sich die meisten
dieser Briefe, namentlich der des Jakobus, der an die Hebräer und die an
Titus und Philemon, als Produkte einer jüngeren Zeit, als die christlichen
Lehrer sich bereits die Feinheiten des rhetorischen Stiles und die Korrekt-
heit der griechischen Grammatik anzueignen begonnen hatten. Dass auf
solche Weise auch fingierte Briefe in das neue Testament kamen, darf
uns nicht allzu sehr wunder nehmen; sind dieselben doch in einer Zeit
entstanden, in der sich auch die Hellenen darin gefielen, Briefe im Geiste
eines Themistokles, Xenophon, Aristoteles zu verfertigen und dieselben
dann jenen Grössen der Vergangenheit unterzuschieben.
Die Codices der Bibel gehen in mehrere Familien auseinander: die ältesten sind
der Sinaiticus s. IV (jetzt in Tetersburg), Alexandrinus s. V (jetzt im britischen Museum),
Vaticanus s. IV, Ephraemi rescriptus s. V (in Paris), Bezae Cantabrigiensis s. VI.
Ausgaben auf kritischer Grundlage: von Griesbach ed. II, Halle 1796—1806; von
Lachmann, Berl. 1831, ed. maior 1842—50; von Tischendorf mit den reichsten hand-
schriftlichen Hilfsmitteln, Lips. 1842, ed. octava crit. maior 1864—72.
WiNER, Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms, 6. Aufl., Leipz. 1854. —
Wilke-Grimm, Clavis novi tcstamenti 2ihilolof/ica, ed. III, Lips. 1888. — Übrigens weisen
die Schriften des neuen Testamentes sehr grosse Unterschiede in Stil und Sprache auf, die
eine genauere philologische Scheidung wünschenswert machen.
600. Aussertestamentliche Schriften. Ausser den in den Kanon •'')
aufgenommenen heiligen Schriften gab es noch eine Anzahl apokrypher,^)
in die alte Zeit zurückdatierter, aber von der Kirche nicht als authentisch an-
erkannter Schriften. Nur ein kleiner Teil derselben hat sich erhalten, darunter
ein Brief des Barnabas,'^) geschrieben unter Hadrian, als die Juden sich
Hoffnung machten, dass der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut werde (16, 4),
ferner die Thaten (jtQa^eig) des Barnabas und der Apostel Thomas, Johannes,
0 Vgl, 10, 32 u. 12, 1.
^) Im Brief an Titus findet sich 1, 12
sogar ein Vers des Homer citiert.
^) Es gab noch mehrere dem Paulus zu-
geschriebene Briefe; 2 unechte Paulusbriefe
werden erwähnt und zurückgewiesen in dem
muratorischen Fragment; Markion (um 150)
hatte nur 10 Briefe des Paulus in seine
Sammlung aufgenommen. Über den theo-
sophischen Epheserbrief s. Pfleiderer, He-
raklitische Spuren auf theologischem, ins-
besondere altchristlichem Boden, Jhrb. f.
prot. Theol. XIII (1887) 192-212.
^) Von den 3 Briefen des Johannes
rühren die beiden letzten laut der Aufschrift
nicht von dem Apostel, sondern dem Pres-
byter Johannes her.
^) Gewöhnlich nimmt man an, dass um
170 ein solcher Kanon aufgestellt ward, und
stützt sich dabei auf Eirenaios III, 1 u. 11.
Dort ist allerdings vorausgesetzt, dass die
jetzt in unser Testamentum novum auf-
genommenen ICvangelien und Briefe als
authentisch von der katholischen Kirche
anerkannt wurden. Aber weder ist über-
liefert, wer einen solchen Kanon aufgestellt
habe, noch durch welche kirchliche Autorität
derselbe allgemein rezipiert worden sei, so
dass man nur sagen kann, dass im 2. Jahr-
hundert sich allmählich durch den Gebrauch
im Gottesdienst eine feste Praxis über die
zulässigen Schriften herausgestellt hat; s.
Zahn, Gesch. des neutestam. Kanon 436 ff.
Dabei hat offenbar die kleinasiatische Kirche
in der das Evangelium und die Apokalyps
des h. Johannes besonders in Ehren ge
halten wurden, einen massgebenden Einfluss
geübt; es war ja auch Eirenaios, der erste
Hauptzeuge des Kanon, als Schüler des
Polykarp ein Kind der kleinasiatischen Kirche.
6) U7iöxQV(fcc ßißUa bedeutet soviel als
abgesonderte Bücher, secreta et recondiia
scripta.
^) Barnabas war Mitarbeiter des Paulus
im Weinberg des Herrn; später trennte er
sich von demselben und suchte mit Markus
die Provinz Kypern auf; s. Act. apost. 15,
35 ff.
e
B. Christliche Schriftsteller. 1. Die Schriften der altchristlichen Kirche. (§ 600.) 731
Petrus und Paulus, ^ die Anordnungen der heiligen Apostel {at tojv ayi'oiv
airoaTÖXwv Siaid^eig in 8 B.),^) redigiert um 300,^) das Protevangelium von
der Kindheit Jesu [ye-wr^aig Maqfac, rt^g äyiag ^eoroxov), die Aufzeichnungen
des Nikodemos von dem Tode Christi {viTOfivrjj^iaTa iwr tov xvqiov rj^mr
^Ir^aov XQiaxov TTQccxO^i'vTMv sTcl Ilovviov UiXccTov odcr Acta Pilati). In die
gleiche Kategorie gehört die unlängst von dem Metropoliten Bryennios aus
einer konstantinopolitaner Klosterbibliothek ans Tageslicht gezogene Lehre
der zwölf Apostel {6i6axij xvqiov öia %mv do^ösxa a7Toai6Xo)v), von welcher
der erste Teil (c. 1 — 6) allgemeine Sittengebote, der zweite (c. 7 — 15)
speziell kirchliche Vorschriften über Taufe, Gebet, Heiligung des Herrn-
tages, Eucharistie, Beicht enthält; dieselben sind jedenfalls älter als die
Konstitutionen der Apostel.
Weitaus am wichtigsten sind unter diesen apokryphen Schriften die
Apostellegenden, die zwar von Wundern, Visionen und phantastischen Erzäh-
lungen überströmen, aber auch manche historische Erinnerungen ^) und wertvolle
Reste altchristlicher Hymnen, Gebete und Zeremonien enthalten. Auf diese
Weise bilden dieselben eine äusserst erwünschte Ergänzung zu den kanonischen
TTQa^eig aTioaxoXwv des Lukas, indem sie uns über die Gründungssagen der
einzelnen Kirchen und die Verbreitung des Christentums über die ver
schiedenen Länder der Erde unterrichten. Denn wie einstens die Städte
Griechenlands und Italiens jede ihren Heros sich schuf, womöglich einen
aus dem Kreis der troianischen Helden, so bildeten sich in den christlichen
Gemeinden bunte, mehr oder minder auch historisch begründete Sagen von
der Gründung der einzelnen Kirchen durch einen der 12 Apostel oder 70 Jünger.
Indien ward so das Missionsgebiet des Thomas, der Pontus und der kimme-
rische Bosporus das des Petrus und Andreas, Vorderasien und Phrygien das
des Johannes und Philippus, Parthien und Äthiopien das des Matthäus, Kypern
das des Barnabas. Noch mehr hafteten in dem Gedächtnis der Gläubigen
die Erinnerungen an den Tod und die Grabstätte der Gründer der Ge-
meinden, so dass man in Ephesos das Andenken an Johannes, in Hierapolis
das an Philippus, in Rom das an Paulus und Petrus nicht bloss bewahrte,
sondern auch mit bestimmten Örtlichkeiten in Verbindung brachte. Von den
unter diesen Umständen entstandenen Legenden hat sich ziemlich viel bis
auf unsere Tage erhalten,'') zum Teil freilich nur durch lateinische, syrische,^')
1) Epiphanios Panar. 30, 16 p. 108, 25
erwähnt ausser unserer Apostelgeschichte
M noch TiQu^sig (cXXag unoarohov ; um KJO hat
E ein gewisser LeukiosCharinos eine Geschichte
r der Apostel Johannes, Thomas, Andreas ge-
(*J schrieben, wovon Näheres gleich nachher.
j '^) Dieselben wuiden erst im Jahre G92
auf der trullanischen Synode für apokryph
erklärt.
■*) Wichtig für die Zeitbestimmung ist
das 4, Buch, das gegen das Umsichgreifen
der Ket/ereien gerichtet ist. Ad. Haknack,
Über die Quellen der sogenannten apostoli-
schen Kirchenordnung, in Gebhardt-Harnack,
Texte u. Unt., Bd. H, II. 5, setzt die Re-
daktion der Schrift um 300. Interessant für I Lond. 1871.
die Stellung der Christen zu der alten Lit-
teratur ist 1, 6, wo von der Beschäftigung
mit den heidnischen Schriften, den aoq-tanxä
und noLtjnxd, abgemahnt wird.
') Hauptnachweise von Gutschmiü, Die
Königsnamen in den ai)okryphen Apostel-
geschichten, Rh. M. 19 (1864) 161 ff. — Über
das Romanhafte in jenen Erzählungen s.
S. 679.
^) R. A. Lipsius, Die apokryphen Apostel-
geschichten und Apostcllegenden, ein Bei-
trag zur altchristlichen Litteraturgeschichte,
Braunschweig 1883 — 7, 2 Bde., Hauptwerk.
^) Wright, Apocryphal acls of the
opostlcs, cdiicd from ,syrian manuscripts,
732 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
koptische, slavische Übersetzungen. Den ersten Rang nehmen unter
diesen die noch im 2. Jahrhundert entstandenen aTroaTokcov tisqioöoi ein,
welche die nga^sig Tle'TQOv, 'lamvvov, 'ArdQ&ov, 0wfta, IlavXov umfassten.
Als Verfasser derselben wird Leukios Charinos, ein Manichäer, also ein
Nichtkatholik, genannt; i) aber ihr Inhalt erregte so lebhaftes Interesse,
dass sich dieselben trotz des gnostischen Ursprungs zum grossen Teil er-
halten haben, wenn auch vielfach nur in orthodoxer Umgestaltung. Ausser-
dem sind aus anderer Quelle auf uns gekommen die Acta des Barnabas und
Thaddäus, die Martyria der Thekla, des Andreas, Bartholemäus, Jakobus u. a.
Tischendorf, Evangelia aj^ocrypha, Lips. 1843; Ders., Acta apost. apocr. 1851;
Ders., Äpocal. apogr. 1866. Fragmente eines neuen apocryphen Evangeliums wurden in den
Papyri von Fajjum gefunden, worüber Bickel, Mitteilungen aus der Sammlung der Papyri
Erzherzogs Rainer 1887, I p. 53 — 61, und Ad. Haknack in Texte u. Unters., Bd. 5, Leipz.
1889. — Zahn, Acta loannis 1880. — Bonnet, Suppl. cod. apogryphi 1882.
Jida/tj xwv ddjdsxa cctiootoXmv ed. Bryennios, Konstant. 1883; ed. Funk, Tübingen
1887. — Constitutiones apostolorum ed. Lagarde, Lips. 1862.
601. Eine dritte Klasse altchristlicher Schriften bilden die Bücher der
apostolischen Väter, d. i. der ehrwürdigen Lehrer und Kirchenvorstände
aus der nächsten Zeit nach dem Tode der Apostel. Zu ihnen gehören die
Briefe, Homilien und Rekognitionen -) des Clemens Romanus, unter denen
das im J. 96 an die Gemeinde der Korinther zur Herstellung kirchlicher
Ordnung gerichtete Sendschreiben am meisten Beachtung verdient, die Ho-
milien und Rekognitionen verschiedene Schichten von Schriften aus dem 2. Jahr-
hundert erkennen lassen; ferner die 7 der Unechtheit verdächtigen Briefe
des Ignatius von Antiochia, der unter Trajan im J. 115 den Martyrertod
starb, der Brief des Bischofs Polykarp, der im J. 155 in Smyrna hin-
gerichtet wurde, ein Brief an Diognet, dessen Absender sich nicht nennt, der
aber kaum vor dem 3. Jahrhundert lebte. Eine wichtige Rolle in der kirch-
lichen Litteratur nimmt auch wegen seiner Angaben über den Ursprung der
Evangelien Papias, der Freund des obengenannten Bischofs Polykarp, ein,
der um 150 eine Erklärung der Sprüche des Herrn {Xoyiojv xvqiccxmv e'^rjyrjfTig)
in 5 B. schrieb, von denen leider nur spärliche Bruchstücke durch den
Kirchenhistoriker Eusebios auf uns gekommen sind.
Dem Zeitalter der apostolischen Väter und der Evangelienlitteratur
steht zunächst der Hirt [TToiinrjv, pastor) des Hermas. Seinen Namen hat
das Buch von dem Hirten in Engelsgestalt, der dem sündigen Menschen
in einer Vision erscheint und ihn in Vorschriften und Gleichnissen über
die Hauptsätze der christlichen Lehre unterrichtet. Die Anschauungen un(
die Sprache des Buches weisen nach dem Orient und der apokryphen Lit-J
teratur der Apokalypsen hin. Der Mysticismus des Werkes hat früh aucl
den Verfasser in ein mystisches Halbdunkel gehüllt. Schon Origenes ii
Kommentar zu den Briefen des Paulus war geneigt, ihn mit dem Herma^
des paulinischen Briefes an die Römer 16, 14 zu identifizieren. Aber da-'
41
2) Die Rekognitionen [uvayvMQiOfioi) sind
1861 durch Lagarde aus dem Syrischen ans
Tageslicht gezogen worden. Vergl. Phot. cod.
112 u. 113.
') Photios Bibl. cod. 114: cd leyofASvai
Xixit^ i'mooioXoor nsQlodoi, sv cag TJSQiei/opio
TiQÜ^ig IJsTQov Jmupi'ov 'Jr^Qeov (^(Djuä
Jlav'kov . yQCicpei tTe avidg log ö'i]'/.of' ro aiho
ßißXloy Aevxiog Xagivog. Im Verlauf nennt
er sie als Orthodoxer ndaijg alQe'aeMg 7i7]yrjv
I
B. Christliche Schriftsteller. 2. Die Kirchenväter. (§ 601-602.) 733
neben erhielt sich die andere glaubwürdigere Überlieferung, i) dass ein im
2. Jahrhundert lebender Hermas, ein Bruder des römischen Bischofs Pius L,
Verfasser des merkwürdigen Buches sei. Dasselbe ist uns ganz in einer
alten lateinischen Übersetzung erhalten ; 2) daneben kamen in unserem Jahr-
hundert Blätter des griechischen Originaltextes in den Codices Lipsiensis
und Sinaiticus zu Tag. Eine von dem berüchtigten Fälscher Minas nach
dem lateinischen Text angefertigte Rückübersetzung des ganzen Buches
befindet sich auf der Leipziger Bibliothek.
Patrum apostolicorum oj^era ed. Hefele, neubearbeitet von Funk, Tüb. 1887; reo.
Gebhakdt Harnack Zahn, Lips. 1876 — 8.
Hermae ed. princ. von Anger u. Dindorf, Leipz. 1856, — Berichtigte Ausg. mit
der Versio lat. von Gebhardt-Harnack, Lips. 1877; von Hilgenfeld ed. III, Lips. 1887;
dazu Hilgenfeld's Rezension von Lambros-Robinson, A collation of the Äthos Codex of the
Shephard of Hermas, in Berl. Philol. Wochenschr. 1889 N. 7; über die ähnlichen Fäl-
schungen des Minas s. § 408.
2. Die Kirchenväter.
602. Unter den Kirchenvätern stellen wir voran die Apologeten oder
die Verteidiger der christlichen Lehre, deren Blüte noch in das 2. Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung fällt. Ihnen folgt mit Clemens von Alexandrien
die Klasse der gelehrten Kirchenschriftsteller, welche teils zur Begründung
des christlichen Glaubens tiefer auf die altgriechische Philosophie und Poesie
eingingen, teils sich selbständig an der historischen Litteratur vom christ-
lichen Standpunkte aus beteiligten. Die dritte Stelle nehmen die in den
Schulen der Sophistik gebildeten Kirchenväter Basileios, Gregorios von
Nyssa, Gregorios von Nazianz, Joannes Chrysostomos ein, welche christliche
Reden, Briefe, Gedichte den ähnlichen Werken der heidnischen Sophisten
in glücklicher Rivalität gegenüberstellten. Die ersten waren schlichte
Männer, deren Bedeutung in der Festigkeit des Glaubens und der Über-
zeugung von der Wahrheit der christlichen Lehre wurzelte; die zweiten
knüpften an die Gelehrsamkeit und die litterarischen Studien der Alexan-
driner an, aber ohne von ihnen das Beste, die Unbefangenheit und Klarheit
des kritischen Urteils, gelernt zu haben; die dritten waren Kinder ihrer
Zeit und teilten mit ihren heidnischen Rivalen die Vorzüge und Fehler der
Sophistik. Es wurden aber die christlichen Schriften in den ersten Jahr-
hunderten fast durchweg in griechischer Sprache abgefasst; selbst in Rom
bediente sich in der älteren Zeit bis nach 200 die Christengemeinde des
griechischen Sprachidioms; erst mit dem Schlüsse des 2. Jahrhunderts be-
gann sich mit Minucius Felix und Tertullian eine lateinisch-christliche Lit-
teratur allmählich der griechischen zur Seite zu stellen. 3)
Maxima hibliotheca veterum patrmn (latinorum et graecorum), LB. 1677, 27 Bde. —
Bibliotheca veterum patrum ed. Galland, Ven. 1765 ff.,) 13 Bde. — Cursus completus
pairologiae ed. Migne, Paris 1857 ff., t. 1 — 104 die Griechen umfassend.
Corpus apologeiarum christianorum saeculi secundi, ed. Otto, 9 Bde., Jena 1847 — 61;
od. II seit 1876. — Tatiani oratio ad Graecos rec. Y>d. Schwartz, Lips. 1888, in Texte
und Unters, von Gebhardt-Harnack, Bd. IV, H. 1.
MöHLER, Patrologie, Regensb. 1840; Alzog, Grundriss der Patrologie, Freiburg,
^) Fragment des Gaius in Migne, Patr.
gr. X, 36.
^) Hausleiter, J)e verswnibiis pastoris
399-477.
^) Dieses ist im einzelnen nachgewiesen
von C. P. Caspari, Zur Goscli. des Tauf-
Jlermue hitinis, Acta seni. Eilang. III, 1 Symbols, Christiania 1875, Bd. Ill,S. 267 -465,
734 Griechisclie Litteraturgeschichte. III. Anhang.
4. Aufl. 1888. — Fessler, Institut, patrol., Innsbr. 1850. -- Einzelne Artikel in der
Realencykl. f. prot. Tlieol. von Hekzog-Plitt, und im Freiburger Kirchenlexikon.
Die Apologeten J)
603. Justinus Martyr, von heidnischen Eltern in der samaritani-
schen Stadt Flavia Neapolis geboren, hörte in der Jugend griechische Phi-
losophen und behielt auch noch nach seinem Übertritt zum Christentum
den Philosophenmantel bei. Als Verteidiger der christlichen Lehre gegen
Heiden und Juden, besonders gegen den Kyniker Crescentius trat er in
verschiedenen Städten, wiederholt in Rom und Korinth auf. Den Tod fand
er zwischen 168 und 167 als standhafter Zeuge (ixccqtvq) seines Glaubens.
Mehr von der praktischen Seite des Christentums ausgehend, ohne belang-
reiche Gelehrsamkeit und ohne besondere Gewandtheit in Stil und Dialektik,
richtete er zwei Verteidigungsschriften an Kaiser und Senat {ccrcoXoyia
TtQo'ntj VTT^Q XQiariavMv an Antoninus Pius aus dem Jahr 138, und anoXoyia
vTTtQ XQiaiiccvMv TTQOQ TTjv ^PojfjiaiMv (fvyxhjToi), wodu cr für den tugend-
haften Lebenswandel der Christen und für ihre Loyalität als Bürger und
Unterthanen mit Wärme eintrat. Seinen eigenen Bildungsgang legt er in
dem Zwiegespräch mit dem Juden Tryphon dar. Bestritten ist die Echt-
heit der Rede an die Hellenen {Xöyog ngog ''EXXijvag), der Mahnrede an die
Hellenen {}.6yog naQmvsTixog nqog ''EXhjvag^) und des Buches von der Gott-
einheit (ttsqI fxovaQxiag); verloren gegangen ist sein von Irenäus 1, 6 citiertes
avvrayiia jiQog MaQxioova.^)
Noch etwas vor Justin fällt das aus einem armenischen Codex des
10. Jahrhunderts ans Licht gezogene Fragment einer Zuschrift des atheni-
schen Philosophen Aristides an den Kaiser Hadrian aus dem Jahr 125/6.
Doch unterliegt die Echtheit dieses Bruchstückes ebenso wie des Briefes
an Diognetos gewichtigen Bedenken.
604-. Tatianos aus Assyrien war im Heidentum geboren und in Rom
durch Justinus für das Christentum gewonnen worden; in seinem späteren
Leben wandte er sich der Richtung der Gnostiker zu. Derselbe ist der
Verfasser der um 152 geschriebenen Rede an die Hellenen {Xöyog nqog
^'EXhjvag) in 42 Kapiteln, aus der mehr der Sohn der Sophistik als der phi-
losophische Denker spricht. Er wendet sich darin gegen die sittlichen
Ausartungen der Hellenen und Römer seiner Zeit, insbesondere gegen die
Grausamkeit der Gladiatorenspiele und die Unsittlichkeit der Theater, weist
die Versuche mit Hilfe der Dämonenlehre und der Allegorie dem alten
Götterglauben aufzuhelfen zurück und macht zu Gunsten des Christen-
glaubens das geringere Alter der griechischen Philosophie und die Uneinig-
keit der sich selbst gegenseitig befehdenden Philosophen geltend.'^) In der*
I
^) Ad. Harnack, Die Überlieferung der
griechischen Apologeten des 2. Jahrhunderts
in der alten Kirche und im Mittelalter, in
Gebhardt-Harnack, Texte u. Unt., Bd. I,
H. 1-3.
2) JoH. Dräseke, Ztschr. f. Kirchengesch.
VII (1885) S. 257-302 weist als Verfasser
des XoyoQ nciQCiivsrixog den Apollinarios von
Laodicea nach.
^) Über die verschiedenen Schriften und
die Verwilderung der Überlieferung klärt!
auf Harnack in Gebhardt-Harnack, Textej
u. Unters. Bd. I, H. 1 u. 2. — L Paul, Übei
die Logoslehre bei Justinus Martyr, Jahrb.]
f. prot. Theol, 12 (1886) 616—91.
^) Über die geringe Zuverlässigkeit des
Tatian in seiner Galerie plastischer Kunst-
werke (c. 33 — 5) siehe Kalkmann, Tatians
Nachrichten über Kunstwerke, Rh. M. 42,
489—524.
B. Christliche Schriftsteller. 2. Die Itirchenväter. (§ 603— 6Ö6.)
735
Sprache trägt er geradezu Geringschätzung der Regeln der Attikisten zur
Schau, indem er verlangt, dass einer spreche, wie ihn die Natur, nicht
wie ihn die rhetorischen Schulmeister lehren (c. 26).
605. Athenagoras aus Athen war vom Piatonismus zum Christen-
tum übergetreten; über seine sonstigen Lebensverhältnisse schweben wir
völlig im Dunkel. Von Alexandria aus richtete er im Jahre 177 an den
Kaiser M. Aurel eine wohl disponierte und gut geschriebene Schutzschrift
[nqsoßeia ttsqI XQiaxiavMv in 37 Kapiteln), in der er in ruhigem Ton und
mit überzeugender Kraft die gegen die Christen erhobenen Vorwürfe des
Atheismus, der ödipodischen Verbindungen (Blutschande) und der thyesti-
schen Mahle (Verzehrung der Kinder) zurückweist. Eine andere Schrift
desselben von der Auferstehung der Toten (jieQl avaaräasmg tmv vsxqmv)
sucht die Lehre der christlichen Kirche dialektisch zu begründen. Athena-
goras zeichnet sich vor allen Apologeten des 2. Jahrhunderts durch Kor-
rektheit der Form und Schönheit der Sprache aus.
Eirenaios, aus Kleinasien stammend, war Schüler des Polykarp
und starb als Bischof von Lugdun um (Lyon) den Märtyrertod bei der
Christenverfolgung unter Severus 202. Auch er gehört zu den Apologeten,
aber sein Werk slsyxog xal avaxQOJi}] Ttjg xpsvSan'viiov yvMCSMg richtet sich
nicht gegen die Heiden, sondern die gnostische Sekte der Valentinianer;
im griechischen Original sind uns von dieser Schrift nur 21 Kapitel des
1. Buches erhalten. Ausserdem haben wir von Eirenaios einen dogmatischen
Brief, den er unter Kaiser Commodus an einen gewissen Florinus in Klein-
asien richtete (Euseb. bist. eccl. V, 20).
Theophilos, der gleichfalls von heidnischen Eltern geboren war und
nach Eusebius in den Jahren 167 — 177 der Diözese von Antiochia vor-
stand, ist Verfasser der Streitschrift gegen Autolykos. Dieser Autolykos
war ein früherer Bekannter des Bischofs, gegen dessen Bespöttelungen des
Christentums das zu Anfang der Regierung des Commodus, nach 180, ge-
schriebene Werk gerichtet ist. Auch hier werden die Christen gegen die
Beschuldigungen der Blutschande und die aus der Abendmahlsfeier (Eu-
i charistie) entstandenen Gerüchte von Menschenmahlen in Schutz genommen;
1 seine Weisheit schöpfte der Apologet nicht aus der Lektüre der klassischen
i Autoren, sondern aus der Kompilation landläufiger Florilegien.^ Die von
einem gallischen Theologen Euagrius zu Anfang des 5. Jahrhunderts neu-
I bearbeitete Alter catio Simonis ludaei et TheopJdU Christiani hat mit unserem
Theophilos zwar nichts zu thun, geht aber auf eine Streitrede aus dem
2. Jahrhundert zwischen Jason und Papiskos zurück. 2)
606. Hippolytos hatte die Vorträge des Eirenaios in Gallien gehört
und war dann in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in Rom als Presbyter
und Bischof von Portus thätig. Mit den römischen Bischöfen Zephyrinus
und Kallistus entzweite er sich in Sachen der kirchlichen Disziplin, indem
er sich den Grundsätzen der Noetianer zuneigte. Im Jahre 235 soll er nach
Sardinien verbannt worden sein; die Legende lässt ihn in der Christen-
') DiELS, Rh. M. 30, 174 ff.
2) Erwiesen von Ad. Harnack, in Geb-
lardt-Harnack, Texte u. Unt., Bd. I, H. 3,
wo auch der Text jener Schrift in berich-
tigter Gestalt mitgeteilt ist.
736 Griechische Litter aturgeschichte. III. Anhang.
Verfolgung des Kaisers Decius den Märtyrertod erleiden. Mit dem geistes-
verwandten Origines stand er nach dem Zeugnis des Photius cod. 121 in
intimem Gedankenaustausch. Eine sitzende Statue von ihm befindet sich
im Lateran; auf dem Stuhle derselben steht ringsum ein leider verstümmeltes
und unvollständiges Verzeichnis seiner Werke (CIG. 8613), ähnlich wie bei
der sitzenden Statue des Euripides. Unter diesen befinden sich die XQonxd,^)
die Osternberechnung {aTioSai^eg xQÖvoov roi näa^a), Oden auf die ganze
h. Schrift, eine Streitschrift gegen die Hellenen und Piaton über das Uni-
versum (vgl. Phot. cod. 48). Nach Photios cod. 121 schrieb er auch ein
avvTayixa xaxd aiqtascov. Damit hängt der von Eusebios bist. ecl. 6, 22
ihm beigelegte 'EXsyxog xard naaUov aiQt'ascov in 12 B. zusammen. 2) Von
diesem Hauptwerk kannte man früher nur das 1. Buch mit dem Spezialtitel
(Pdoaocfov^sva, unter dem falschen Namen des Origenes. Im Jahre 1842 wurden
durch den Griechen Minas auch die Bücher 4 — 10 aus einem jetzt in der
Pariser Bibliothek befindlichen Codex ans Licht gezogen. Am wichtigsten für
die Kenntnis des Altertums ist der erste Teil des Werkes von Buch
1 bi 4. Derselbe handelte, wie wir aus dem erhaltenen Eingang des 5. Buches
ersehen, von der Religion und der Philosophie der alten Griechen. Leider
weist gerade dieser Teil in unserer Handschrift eine grosse Lücke auf.
Von den auf uns gekommenen Büchern, dem 1. und 4., bezieht sich das
1. auf die Systeme der alten Philosophie, 3) das 4. auf den Aberwitz der
Astrologen und Magier. Das erste bleibt zu sehr auf der Oberfläche, als
dass wir aus ihm etwas neues von Bedeutung lernen könnten, das zweite
aber enthält viele interessante, wenn auch wenig erfreuliche Angaben über
den herrschenden Aberglauben des Volkes.
Ed. princ. des Hauptwerkes von Miller, Paris 1851; Hauptausg. von Düncker und
ScHNEiDEWiN, Gött. 1859. - Die Fragmente der übrigen Werke gesammelt in Hippolyti
Momani quae feruntur omnia e recogn. Pauli de Lagarde, Lips. 1858. — Die Philoso-
phumena neuerdings lierausgegeben von Diels, üoxogr. gr. 551—576.
Die Apologetik war allmählich in Polemik umgeschlagen. Diese
setzte sich auch noch in den folgenden Jahrhunderten fort, wiewohl bald die
Bekämpfung der altgriechischen Philosophie gegenüber der Befehdung der
andersgläubigen Sekten in den Hintergrund trat. Ehe wir aber von dieser
späteren Richtung der Streiter im Herrn handeln, wollen wir, um den
chronologischen Faden nicht zu verlieren, zuerst die grossen Kirchenlehrer
des 3. und 4. Jahrhunderts besprechen.
Die gelehrten Kirchenväter.
607. Clemens Alexandrinus, mit vollem Namen T. Flavius Clemens,
eröffnet die Reihe der gelehrten Kirchenväter unter den Griechen.*) Der-^
selbe war Presbyter von Alexandria und ein Zögling der um die Mitte des
2. Jahrhunderts gegründeten Katechetenschule von Alexandria. Dort hattl
er als begeisterter Schüler den Pantainos gehört, der selbst von der Stoi
^) Dieselben sind in lateinischer Über-
arbeitung uns erhalten; s. Gelzek, Julius
Africanus II, 1 — 23; über einen ägyptischen
Chronographen Hippolytos s. § 624.
2) Über die bestrittene Autorschaft des
Hippolytos s. Ueberweg, Grundriss II 2, 56,
Caspari, Taufsymbol III, 377 if. und das
Hauptwerk von G. Volkjiar, Hippolytus un<
die römischen Zeitgenossen oder die Philo-
sophumena und die verwandten Schriften,
nach Ursprung, Komposition und Quellei^
untersucht, Zürich 1855.
^) Diels, Doxogr. gr. 144 — 156.
^) Ueberweg, Grundriss II ' , 70 ff.
B. Christliche Schriftsteller. 2. Die Kirchenväter. (§607 -608.) 737
zum Christentum übergetreten war. An dessen Seite wirkte er dann selbst
seit 189 an jener Schule, verliess aber 202 die bisherige Stätte seiner
Thätigkeit, um sich der Christenverfolgung unter Severus zu entziehen. In
hohem Alter zwischen 211 und 218 starb er eines natürlichen Todes.
Clemens ist der erste unter den griechischen Kirchenvätern, der über die
schüchternen Anfänge kleiner Verteidigungsreden hinausgehend, eine aus-
gedehnte und selbständige Schriftstellerei entfaltete. Von seinen zahlreichen
Schriften sind uns 3 erhalten, welche in engerem Zusammenhang zu einander
stehen und gewissermassen eine Trilogie im platonischen Sinne bilden, i)
nämlich der JI^oTgeTTTixog Xöyoq TiQog ''EXXrjvag, der in einleitender Weise
die Griechen für die christliche Lehre zu gewinnen sucht, der Ilaidaycoyog
in 3 B., der die Hauptsätze der christlichen Sittenlehre enthält, die 2tqm-
liarsTg in 7 B.,^) welche von ihrem bunten Inhalt Teppiche genannt sind."^)
Verloren gegangen sind die ^YnorvTiwasig, welche die Hauptsätze der christ-
lichen Lehre enthielten. Für den Philologen ist von den erhaltenen Werken
weitaus am wichtigsten das letzte, welches durch die Fülle der Citate und
gelehrten Notizen'^) an das ungefähr zu gleicher Zeit entstandene Sophisten-
mahl des Athenaios erinnert. Der leitende Gedanke des Clemens ist der-
selbe, den schon die alexandrinischen Juden, insbesondere Aristobulos im
Anschluss an Flaton Tim. p. 22, ausgesprochen hatten, dass nämlich die
Philosophie und die ganze Wissenschaft der Griechen jünger als die der
anderen Völker sei, und dass dieselben das Beste von den Juden entlehnt
hätten.^) Für die Geschichte der griechischen Litteratur sind besonders
wichtig die Abschnitte I, 21, V, 14, VI, 2.
Hauptausg., nach der citiert wird, von Potter, Oxon. 1715, 2 Bde. fol.; kritische
Textausg. (nicht befriedigend) mit den älteren Komnientaren von Dindokf, Oxon. 1869,
4 Bde. — Zahn, Suj^plementum Clementinum. — Über die handschriftliche Grundlage
Staehlin, Obs. crit. in Clem. AI., Erl. 1890.
608. Origenes ist der grosse Polyhistor der griechischen Kirche,
den schon Hieronymus mit dem römischen Polyhistor Varro zusammenstellte,
und der von seinen Zeitgenossen wegen seines andauernden Fleisses den
Beinamen 6 aSaixdvxiog erhielt. Er war 185 zu Alexandria geboren und
machte seine Studien unter der Leitung des Clemens Alexandrinus. Da-
neben soll er auch mit dem Neuplatoniker Ammonios Sakkas verkehrt
haben. ^) Zum Lehrer und Gelehrten geschaffen, hielt er nach Clemens'
Weggang (202) in Alexandria und später im palästinischen Cäsarea Vor-
') Ausgesprochen ist der Zusammenhang
im Eingang des Paidagogos; er war es
gewiss auch im Anfang der Stromateis, der
aber verloren gegangen ist. Das 4, Werk
der Tetralogie scheinen die verlorenen Yttoxv-
innosig gewesen zu sein.
'^) Ein achtes, aus verschiedenen Teilen
zusammengesetztes Buch, ist von fremder
Hand zugefügt.
^) Strom. II, p. 564: fWw 6e i^fxTv td
1 7iofxi^ij^ura(c noixlla, wg avTo rovvofxd cprjGi,
»htoTQua^tva. "Vergleiche die ähnlich be-
nannten Ksoroi des Julius Africanus.
^) „Clemens ist ein Schriftsteller, der
heucheln einer profunden Gelehrsamkeit und
Verstecken der sehr trivialen Handbücher, aus
denen sie stammt, aus dem Grunde versteht."
WiLAMOwiTZ, Eur. Herakl. I, 171. Über die
Quellen s. Ad. Scheck, De fontihus Clem.
Alex., Augsb. 1889.
^) Die Kenntnis von den Schriften der
alexandrinischen Juden schöpfte Clemens
aus Alexander Polyhistoi; s. Cobet, KQf^ijg
I, 170.
•^) So berichtet Porphyrios bei Eusebios
Hist. eccl. VI, 19. 7; eine Verwechselung
des christlichen Origenes mit dem gleich-
namigen heidnischen Schüler dos Ammonius
die Gepflogenheiten seiner Zeit, das Er- | vermutet Zeller, Phil. d. Gr. III 3, 2. 459 f.
Ilaiulbucli der klass. Altortmuswissenschaft. VII. 2 Ai;fl. 47
738 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
träge und beteiligte sich auch anderwärts, in Arabien, Antiochia, Athen,
an Disputationen über Fragen der Lehre und der Disziplin der Kirche.
Dadurch wurde er in den Strudel der häretischen Streitigkeiten gezogen
und sogar von der Synode zu Alexandria (232) exkommuniziert. Nach
einem bewegten Leben starb er im Jahre 254 in Tyrus bei der Christen-
verfolgung. Von den Werken des Origenes machte der lateinische Kirchen-
vater Hieronymus ein Verzeichnis, das zum grossen Teil, zusammen mit
dem der varronischen Schriften, in einer Handschrift von Arras auf uns
gekommen ist. ') Eine uns noch erhaltene ßlumenlese {(fiXoxaXia) aus seinen
Werken veranstalteten gemeinsam Basileios und Gregorios von Nazianz.
Am bedeutendsten ist Origenes als Bibelerklärer, so dass er von den Theo-
logen als der eigentliche Begründer der gelehrten Exegese der heiligen
Schriften gepriesen wird. Das heidnische Altertum und allgemeine Fragen
berühren vornehmlich die nur durch die Exzerpte des Photios und die
lateinische Überarbeitung des Rufinus auf uns gekommene Schrift nsQi
ccQx^rv, von den Grundlehren des Christentums in 4 B., und die 8 Bücher
gegen Celsus. Die letzteren verfasste er 248 auf Anregung seines Freundes
Ambrosius als Erwiderung auf den 100 Jahre zuvor erschienenen dkrj^r^g
Xoyog des Celsus. 2) Dieser hatte den Ursprung des Christentums aus dem
Judentum behauptet, den Sätzen der Bibel solche des Piaton gegenüber-
gestellt (Orig. VI, 1 — 22), die Lehre von der Abstammung und dem Leiden
Christi als unglaubliche Fabeln verspottet, und überdies den Christen Mangel
an Patriotismus und künstlerischem Sinn vorgeworfen. Die Art der Wider-
legung, dass nämlich den Wundern der christlichen Lehre die viel unglaub-
licheren Wunder der heidnischen Mythen entgegengestellt und gegenüber
dem Forschungseifer der Gebildeten das Glaubensbedürfnis des niederen
und ungebildeten Volkes geltend gemacht wird, stösst natürlich die Grund-
säulen des wahren Wortes des heidnischen Philosophen nicht um. In den
philosophischen Anschauungen des Origenes, namentlich in seiner Lehre
von dem Logos als dem Mittler zwischen Gott und Welt und von der Prä-j
existenz der mit der Inkorporation aus dem vollkommeneren Zustand ge
fallenen Seele, zeigt sich ein entschiedener Einfluss des NeuplatonismusI
und der Logoslehre des Philon.^)
Nachfolger des Origenes an der Katechetenschule Alexandriens war!
Dionysios (gest. 264/5), der in einer philosophischen Schrift tisqI (pvaswgj
von welcher uns sein Verehrer Eusebios, praep. ev. 14, 23 — 7 ein umfang-
reiches Stück erhalten hat, den epikureischen Atomismus bekämpfte. Der-
selbe behandelte ausserdem in zahlreichen Briefen Fragen der christlichen
Glaubenslehre. Viele dieser Briefe hat Eusebios in seine Kirchengeschichte
1) RiTscHL, Opusc. in, 425 ff.
^) Das Werk des Celsus ist aus Origenes
rekonstruiert von Th. Keim, Celsus wahres
Wort, älteste Streitschrift antiker Welt-
anschauung gegen das Christentum vom
Jahre 178 n. Chr., Zürich 1873. Dass unser
Celsus ein Platoniker und verschieden von
dem Epikureer Celsus des Lukian war, sucht
O. Heine, Philol. Abhdl. zu Ehren von Mart.
oben § 488. Zwischen Origenes und Celsus
bestand ein ähnliches Verhältnis wie zwischen
Kyrill und Julian. — Über das Abfassungs-
jahr s. K. J. Neumann, Der röm. Staat u.
d. allgem. Kirche bis auf Diokletian, Leipz.
1890. S. 265 ff.
^) J. Denis, De la iiliilosopUie ä'Origene,
Par. 1884; Schnitzer, Origenes über die
Grundlehren der Glaubenswissenschaft, Stutt-
Hektz, 1888 S. 197 214 zu erweisen; vgl. ! gart 1835. ■(
B Christliche Schriftsteller. 2. Die Kirchenväter. (§ 609.)
739
aufgenommen; sie zeugen von den grossen formalen Fortschritten, welche
inzwischen die christlichen Schriftsteller in den Schulen der Rhetoren und
Sophisten gemacht hatten.
Origenis opera omnia ed. C. de la Rue, Paris 1733—59, 4 vol. fol. — Spezialaus-
gabe der Schrift gegen Celsus von Hoeschel, Augsb, 1605; mit lat. ubers. und Noten von
Spencer, 2. Aufl., Cantabr. 1677; neue Ausg. in Vorbereitung von Koetschau; vgl. dessen
Abhandl., Die Textesüberlieferung des Origenes gegen Celsus in den Handschriften dieses
Werkes und der Philokalia, Leipz. 1889, in Gebhardt-Harnack, Texte u. Unt., Bd. VI, H. 1. —
Origenis de principiis ed. Redepenning, Lips. 1826. — Über die früher fälschlich dem
Origenes zugeschriebenen ^iloaocpovfxEva siehe § 606. — Simon de Magisteis, *S'. Dio-
nysii Alexandrini quae supersunt, Romae 1796.
609. Eusebius Pamphili, so benannt von seinem geistigen Nähr-
vater Pamphilos, stammte aus Palästina. Bei der Christenverfolgung des
Jahres 309 war er nach Ägypten geflüchtet; später aber nach Herstellung des
kirchlichen Friedens ward er auf den Bischofstuhl von Cäsarea in Palästina
erhoben, den er von 314 bis zu seinem Ende, 340, inne hatte. In den
gehässigen Streitigkeiten der Arianer und Athanasianer über die Trinität
ward ihm eine schwankende Halbheit zur Last gelegt, die aus seiner
Abneigung gegen dogmatische Zänkereien und aus seinen vertrauten Be-
ziehungen zum kaiserlichen Hofe entsprang. In der christlichen Litteratur
nimmt er eine hervorragende Stelle ein, wenn auch seine umfangreichen
Werke mehr auf Kompilation als feinem Urteil und kritischem Quellen-
studium beruhen.
Von grösstem allgemeinen Interesse sind die Xqovixd^ in denen Eu-
sebios eine allgemeine synchronistische Weltgeschichte von den ältesten Zeiten
bis zum Jahre 324 gibt. ') Das Werk hatte 2 Teile. Der erste Teil {xqovo-
YQacfia) umfasste in kurzem Abriss die Geschichte der Chaldäer, Assyrer,
Meder, Lj^der, Perser, Hebräer, Agyptier, lonier oder Griechen, Lateiner oder
Römer. Derselbe sollte die aus mannigfachen Exzerpten gewonnene Grund-
lage für den zweiten Teil bilden.^) Dieser zweite Teil war der XQovixog
xavMv, in welchem synchronistisch die Jahre der verschiedenen Aren, voran
die von Abraham (2017 v.Chr. bis 324 n. Chr.), nebeneinander gestellt, und zu
den einzelnen Jahren am Rand oder in den Zwischenspatien die treffenden
Data aus der Geschichte angemerkt waren. Das Werk ist nicht unversehrt auf
uns gekommen; wir haben in griechischer Sprache ausser einigen wört-
lichen Fragmenten die 'Exloyi] xQovoyQccifiaq des Georgios Synkellos (800
n. Chr.), welche aus dem Werke des Eusebios, wenn auch nicht unmittelbar
geflossen ist,^) in den Zeitangaben aber das Detail des eusebischen Kanons
vermissen lässt. W^ichtiger wegen des engeren Anschlusses an das Original
ist eine armenische Übersetzung, eine syrische Epitome und die lateinische
Bearbeitung des Hieronymus. Der letztere hat das chronologische Ver-
zeichnis bis 378 fortgesetzt und durch Angaben aus der römischen Ge-
schichte bereichert.^) Mit den genannten Mitteln ist es den Bemühungen
^) Vergl. Schäfer, Qnellenkunde II,
l-:r-6.
^) Chron. 1. II init. : ev rrj tiqo jmhrjq
('i«yQ(((f((g ovrsle'iüfxriv navioicig. Daraus
staiiiintc der Nebentitel ]lavro(^(aiij laxoQid.
(I. i. Allgenu'iuc Weltgeschichte.
^) Vergl. Gelzer, Sext. Jul. Africanus
und die byzantinische Chronographie, Leipz.
1885.
^) Die Zusätze sind fast alle aus Suetons
Buch De riris iUustribus und aus dem Bre-
viariuni des Kutrop genommen.
740 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
der Gelehrten nach und nach geglückt, das wichtige Werk in der Haupt-
sache zu rekonstruieren. Leider stimmen die Jahresangaben und ge-
schichtlichen Daten der verschiedenen Quellen nicht immer mit einander
überein und sind die letzteren obendrein bei Hieronymus nicht in allen Hand-
schriften gleichmässig derselben Jahreszahl beigesetzt; daher die Unsicher-
heit der alten Chronologie in den zahlreichen Fällen, wo wir einzig auf
Eusebios angewiesen sind. Eusebios ist nicht der Urheber der synchroni-
stischen Weltgeschichte; er hatte einen von ihm fleissig ausgebeuteten
Vorgänger an dem Presbyter Sextus Julius Africanus aus Alexandria.
Als seine speziellen Quellen führt er selbst im Eingang der römischen Ge-
schichte an: Alexander Polyhistor, Abydenos' Geschichte der Assyrer und
Meder,^) Manetho's Aigyptiaka, Diodor, Kephalion's allgemeine Geschichte,
Cassius Longinus, Phlegon, Kastor, Thallos' Geschichte von der Einnahme
Ilions bis zur 207. Olympiade, 2) endlich die Historien des Porphyrios.^)
Also meistens Kompendiön, und Kompendien der späteren Zeit waren es,
aus denen Eusebios sein neues Buch zusammenbraute. Von den grossen
Geschichtswerken der klassischen Zeit hatte er nichts gelesen; auffälliger
ist es, dass er auch den Vater der Chronographie, den Apollodor, nicht zu
Rate gezogen hat.
Die anderen Werke des Eusebios sind, ausser der bereits oben g 474
erwähnten Streitschrift gegen Hierokles, die UQOTiaQaaxsvrj svayysXixrj
(Praeparatio evangelica) in 15 B., die 'ExxXiiaiaoTixi] tazoQia in 10 B. bis
zum Jahre 325, das Leben des Kaisers Konstantin. "^j Von diesen ist das
bedeutendste die 'ExxXr^aiaaTixrj taroQia, die dem Eusebios den Ehrentitel
eines Herodot der Kirchengeschichte eingetragen hat.^) Der Philologe findet
am meisten in dem ersten Werk, in welchem der Kirchenvater den Über-
tritt zum Christentum durch eine abfällige Kritik der griechischen und
jüdischen Lehren zu empfehlen sucht und in diesem Sinne eine Menge von
Stellen griechischer Philosophen und Dichter zur Besprechung bringt. Dabei
zeigt er aber keine Kenntnis der grossen Autoren selbst und ist kritiklos
genug, viele falsche Stellen heranzuziehen, welche der fromme Betrug den
griechischen Geistesheroen angedichtet hatte, um dieselben als Zeugen der
monotheistischen Gotteslehre anführen zu können. Statt der Originalwerke
dienten dem Eusebios als hauptsächlichste Quellen Alexander Polyhistor,
Clemens von Alexandria, Porphyrios.^)
Eusebii Chronica ed. Alfb. Schöne, Berl. 1875; dazu ein Nachtrag: Eusebii canonum
epitome ex Dionysii Telmaharensis clironico ed. Siegfried et Gelzer, Lips. 1884. Die
Hauptarbeit aus älterer Zeit enthält J. Scaliger, Thesaurus teniporum, LB. 1606. —
Eusebii Praep. evang. ed. Gaisford, Oxon. 1843; Prodromus einer neuen kritischen Aus-
gabe von Heikel, De prae]). evang. Eusebii edendae ratione, Helsingfors 1888. — Eusebii^
opera (praep. ev. u. bist, eccl.) ed. G. Dindorf, 1867—71, 4 Bde. in Bibl. Teubn.
Eusebii scripta hist. (Kirchengesch. u. Leben Konstantins) ed. Heinichen, Lips. 1868.
^) Abydenos lebte nach Kastor, zur Zeit
des Grammatikers Apion,
^) Vgl. Müller FHG. III, 517.
^) Von den meisten der aufgezählten
Chronographen ist bereits oben gehandelt
worden ; näheres gibt Gelzer a. 0.
') Rankr, Weltgesch. IV, 2 S. 249—63;
P. Meyek, De vita Constuntini Eusebiana,
Festschrift dem Gymnasium zu Mors ge
widmet, Bonn 1882.
^) F. Chr. Baur, Comparatur Eusebius\
Caesar, historiae ecciesiasticae j^5a?'e»?s cum
parente historiarum Herodoto Halic, Tubing.
1834.
^} Vergl. Freudenthal, Hell. Stud. I,
3—10.
I
B. Christliche Schriftsteller. 2. Die Kirchenväter. (§610-611.) 741
Die rhetorisierenden Kirchenväter,
610. Nachdem das Christentum zur Staatsreligion erhoben war, nahm
die christliche Litteratur eine andere Richtung. Der apologetische Charakter
und die Bekämpfung des heidnischen Altertums traten zurück, das Streben
sich den Meistern der hellenischen Litteratur in Gewandtheit des Ausdrucks
und der Dialektik ebenbürtig zu zeigen, überwog. Wie die gleichzeitigen Rhe-
toren und Sophisten, so verschmähten auch die kirchlichen Schriftsteller dieser
Richtung die Exaktheit der Gelehrsamkeit und ergingen sich dafür um so
mehr in pathetischen Deklamationen. ^ Dem ungeheueren Ansehen, in dem
sie, voran die drei Kappadokier, bei ihren Zeit- und Glaubensgenossen stunden,
entspricht nicht der innere Wert ihrer Schriften. Wir können uns mit einer
kurzen Erwähnung um so mehr begnügen, als wir aus ihnen ausserordent-
lich wenig für unseren nächsten Zweck, die Erkenntnis des klassischen
Altertums, lernen.
Basileios der Grosse war Sohn eines Rhetors in Neocäsarea am Pontus
und erhielt seine Bildung an den Rhetorenschulen erst seiner Heimat, dann
von Konstantinopel und Athen. In letzter Stadt kam er mit Gregor von
Nazianz zusammen, mit dem er fürs ganze Leben einen Bund inniger
Freundschaft schloss. In seine Heimat zurückgekehrt, trat er zuerst als
Rhetor auf, liess sich aber bald darauf taufen (357) und ward später Erz-
bischof von Caesarea (371 — 379). Zahlreich sind die von ihm hinterlassenen
Briefe und Reden; am beachtenswertesten ist die Rede an die studierende
Jugend über den aus der Lektüre der klassischen Autoren zu ziehenden
Gewinn {Xoyog nQog rovg veovg orrcog av s^ '^EkXrjvixah' McpsXoTvTO "Aoywi').
Gesamtwerke in der Benediktinerausg. von Garnier, Paris 18B9, 3 vol.; bei Migne
t. 29 - 32. — Spezialausg. der Rede an die Jünglinge über den Gebrauch der heidnischen
Schriften von Lotholz, Jena 1857. — Alb. Jahn, Basilius M. platonizans, Bern 1838.
Gregorios von Nyssa, Bruder des Basileios, war gleichfalls anfangs
Rhetor, liess sich aber später von Gregor von Nazianz zu dem höheren
Dienste eines Priesters der Kirche bestimmen. Im Jahr 372 zum Bischof
von Nyssa erhoben, ward er 375 in den Streitigkeiten der Arianer und
Athanasianer durch eine unter dem Einfluss des Statthalters Demetrios
stehende Synode abgesetzt. Später durch Kaiser Theodosios wieder zu
Ehre und Würde gebracht (378), starb er um 394. Seine exegetischen und
homiletischen Schriften haben wenig allgemeines Interesse. Die Zeitver-
hältnisse berührt die Rede gegen die Wucherer {xaTa roxi^övrcoi'). Die
Stellung der orthodoxen Christen zu den Heiden und Andersgläubigen be-
leuchtet der Xöyog xazrjxrjTiKÖg, in welchem der beredte Kirchenvater die
Hauptlehren des Christentums systematisch begründet. In dem Dialoge von
der Seele und Auferstehung {neQi if-'vxrjg xal avaavccaswg) und in dem Buche *
von der Erschaffung des Menschen {nsql xaracrxsvrjg ar^Qcörrov) berück-
sichtigt er auch die Lehren der alten Philosophen.
Gesamtwerke bei Migne t. 44—46; eine neue Bearbeitung hat Oehler, Halle 1865
begonnen. — Spezialausg. des Dialogs ti^ql ipvxrjg xal dyaardaeojg von Krabinger, Lips.
1835, nsQL ev/i]g von demselben, Landshut 1840.
611. Gregorios von Nazianz, 6 Ihsolöyog genannt,'-) erhielt seine
^) Ihre Reden wurden durch Tachy-
graphen in den Kirchen nachgeschrieben,
worüber Gregor Naz. or. 42, 26 p. 767 C.
'-) Ullmann, Gregorius von Nazianz. 2.
Aufl., Gotha 1867.
742 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
Ausbildung anfangs in Cäsarea, später in Alexandria und Athen, in welch
letzterer Stadt er mit Basileios Freundschaft für's Leben schloss. Nach
seiner Heimat zurückgekehrt, schwankte er zwischen der Neigung zur
beschaulichen Askese und der Pflicht praktischer Thätigkeit. Aus der
stillen Zurückgezogenheit, wohin ihn seine Liebe zum religiösen Still-
leben und sein poetischer Natursinn zog, durch das Drängen der Freunde
herausgerissen, verwaltete er seit 372 anfangs als Koadjutor seines greisen
Vaters, dann in selbständiger Stellung das Bistum Nazianz. Unter Theo-
dosios auf den Patriarchenstuhl von Konstantinopel berufen (380), verliess
er bald wieder, des kirchlichen Haders überdrüssig, Konstantinopel, um
von neuem in stiller Einsamkeit der asketischen Übung und der litterari-
schen Müsse zu leben, bis er in hohem Alter das Zeitliche segnete (um
390). Mit leichter Feder schrieb er in Prosa und Vers. Von seinen 45
Reden erregen ein allgemeines Interesse seine 2 Reden gegen Julian, in
denen er das Andenken des Kaisers, welcher den Christen den Zutritt zu
den Bildungsschulen verwehrt hatte, mit glühendem Hasse verunglimpfte.
Auch seine 242 Briefe (besonders der 30.) sind wichtig für die Zeitgeschichte
und die Stellung der Christen zur heidnischen Litteratur. Aus seinen Ge-
dichten spricht wahre Naturempfindung und tiefe, von philosophischem
Geiste erleuchtete Religiosität, wodurch er sich weit über die leeren Ti-
raden und kalten Tändeleien seiner Zeitgenossen erhebt; der grösste Teil
von ihnen ist nach den Gesetzen der alten Prosodie, in Hexametern, Di-
stichen, lamben und Anakreonteen, abgefasst;^) zwei, ein Abendlied (vfivog
eansQivög) und eine Mahnung zur Jungfräulichkeit {nqog naqO^tvov nagai-
vsTixög) folgen den neuen Gesetzen der rhythmischen Poesie. Eine Aus-
wahl von Epigrammen auf seinen Freund Basileios, seine Mutter Nonna,
seinen Bruder Kaisarios u. a. hat Aufnahme in die griechische Anthologie
(Buch 8) gefunden. Fälschlich hat man ihm auch die mittelalterliche Tra-
gödie XQKfTog ndaxojv beigelegt. 2)
Gesamtausgabe der Werke Gregors von Nazianz durch die M au r in er in 3 Bänden
1778—1840; bei Migne t. 35—38. -- E. Dronke, Gregorii Naz. carm. selecta, Gott. 1840. —
Die rhythmischen Gedichte am besten bei W. Meyer, Anfang und Ursprung der ]at. und
griech. rhythmischen Poesie, in Abhdl. d. b. Ak. 1885 S. 400 ff.
P]in Auszug, den er von den logischen Schriften des Aristoteles machte, ist noch
ungedruckt, s. Prantl, Gesch. d. Log. I, 657. — Über die Streitfrage, ob die Schrift IJQog^
EvdyQiop fxovaxov nsql (heöri^Tog unserem Gregor von Nazianz oder dem Gregorios voi
Neocäsarea zuzuschreiben sei, s. Jon. Draeseke, Patristische Unters. S. 103 — lö8.
613. Joannes Chrysostomos^) war ein Syrer von Geburt (geb. 347]
und hörte in seiner Vaterstadt Antiochia den Rhetor Libanios, der seinei
rednerischen Begabung auch noch nachdem derselbe zum Christentum über-
• getreten war, das glänzendste Zeugnis ausstellte.^) Durch den Bischol
Meletios von Antiochia in die christliche Lehre eingeführt, gab er die Stel-
^) Stoppel, Quaestiones de Gregorii
Naz. poetarum scen. imitatore et arte vietr.,
entlehnte und anderseits dem Nonnos Vor*]
bild war, zeigt Ludwich, Nachahmer unc
Rostock 1881. I Vorbilder des Gregor von Nazianz, Rh. M
2) Siehe darüber Brambs in seiner Aus- | 42, 233 ff.
gäbe der Tragödie, Leipz, 1885, und Krum-
bacher. Byz. Litt. Dass Gregor in seinen
echten Gedichten viele Floskeln den frü-
heren Dichtern, wie selbst dem Empedokles,
^} Neander, Der h. Joh. Chrysostomu
3. Aufl., Berl. 1848.
4) Siehe oben § 542.
B. Christliche Schriftsteller. 3. Christliche Theosophen. (§ 612-613.) 743
lung eines Sachwalters auf und wandte sich anfangs einem beschaulichen
Leben zu. Dann zum Priester geweiht, spielte er als hinreissender Kanzel-
redner, namentlich in der Zeit des Aufruhrs und der Zerstörung der kaiser-
lichen Bildsäulen (387), eine grosse Rolle in Antiochia. Später im Jahre
397 ward er zum Patriarchen von Konstantinopel erkoren, musste aber 404
den Anfeindungen der Gegenpartei und der Missgunst des Kaisers Arkadios
weichen; er starb in der Verbannung 407. Seine Reden und Briefe haben
wenig Berührung mit der griechischen Litteratur; für die Zeitgeschichte
sind von Interesse seine Reden über den Bildersturm und gegen Eutropios;
wegen ihrer rhetorischen Vollendung werden die 6 Reden über die Würde
und Bürde des Priesteramtes (ttsqI leQcoavvrjc) gerühmt.^)
Gesamtausgabe von Montfaucon, 13 Bde., Paris 1718, ed. nov. 1858; neue Ausgabe
begonnen von Dübner, Par. 1861. -- Spezialausg. 71£qI isQOiOvvijg von Seltmann, Pader-
born 1887.
3. Christliche Theosophen.
613. Jede Religion hat von Natur aus Beziehungen zur Philosophie:
das Wesen Gottes, das Verhältnis Gottes zur Welt, die Gebote der Sitt-
lichkeit sind Objekte, die beide gemeinsam angehen; verschieden ist nur
die Weise, wie sie dieselben erfassen und behandeln. Aber wenn auch
die Religion, gestützt auf die Lehre von einer göttlichen Offenbarung, sich
unmittelbar an den Glauben ihrer Anhänger wendet, so führt doch bei den
Gebildeten der von Natur den Menschen eingepflanzte Forschungsgeist von
selbst dahin, dass sie nachträglich die Sätze des Glaubens zu begreifen
und dialektisch sich zurecht zu legen suchen. Dieser Fortgang vom Glauben
{niaTig) zur Gnosis oder denkenden Erfassung der religiösen Wahrheiten
trat zuerst und in besonders lebhafter Weise bei den Gnostikern auf.
Ausgegangen ist die Gnosis von Syrien, wo Simon der Magier ihr
ältester Repräsentant war und Markion im Anfang des 2. Jahrhunderts
eine einflussreiche Sekte gründete. Neue Nahrung fand dieselbe in Ägypten,
wo schon Philon platonische Ideen in die religiösen Schriften der Juden
hineinzutragen begonnen hatte (s. § 455) und im 2. Jahrhundert Basileides
und Karpokrates mit ihren theosophischen Spekulationen die schlichte
Einfachheit der christlichen Lehre entstellten.^) Schon im Briefe des
Barnabas und in den untergeschobenen Briefen des Paulus an Timo-
theos (1, 1. 4) und Titus (3, 9) blicken die Störungen durch, welche jene
dunkeln, vielspaltigen Theosopheme in den christlichen Gemeinden hervor-
riefen. Heftig entbrannten dann in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts
die Kämpfe gegen die gnostischen Lehren der Valentinianer, Basilidianer,
Noetianer. Die altchristliche Lehre ging als allgemeine oder katholische
siegreich aus jenen Kämpfen hervor, aber die Gnostiker behaupteten
sich als mächtige Sekte auch noch im 3. und 4. Jahrhundert, und ihre
Richtung blieb nicht ohne Einfluss auf die weiteren Versuche einer
^) Die Zeit der einzelnen Reden hellt
auf UsENER, Religionsgeschichtliche Unter-
suchungen I, 227 ff.
1 2) Amelineau, Le c/nosticisme, ses de-
\weloppements et son origine egyptienne, in
^lAnnales du musee Guismet t. XIV, Par.
1887. Über das Hereinspielen der alexan-
drinischen Mysterien, in denen die Köre als
jungfräuliche Mutter des Aion verehrt wurde,
und den Kinfiuss der Gnosis auf die kirch-
liche Lehre und Überlieferung s. Usener,
Rel. Unt. I, 27 f.
744 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
philosophischen Ausgestaltung des christlichen Glaubens. In ihren Lehren
gingen dieselben durchweg von einer dualistischen, weltfeindlichen Auf-
fassung aus und erhoben, auch darin den Einfluss platonischer Philo-
sophie nicht verleugnend, die einzelnen Stadien des Denkens {^oyog, ipvx^j,
(Tocpia) zu wirklichen Wesen {im oax aasig). Dadurch gelangten sie in der
Sittenlehre zu finsterem Pessimismus und zu rigoroser Bekämpfung der
fleischlichen Vereinigung, i) Grösser und phantastischer waren die Abwege,
auf welche sie im Gebiete des Überirdischen gerieten, indem sie eine Un-
zahl von Engeln und Äonen als Stufen des Geistes annahmen und auch
die Person Christi zu einem Wesen mit einem blossen Scheinkörper ver-
flüchtigten.
Auch unter den Lehrern der katholischen Kirche rührte sich mit der
Zeit immer mehr das Streben nach einer philosophischen Begründung der
kirchlichen Lehre. Da dieselben sich ihr geistiges Rüstzeug zum grössten
Teil in den Schulen der Philosophen und Sophisten geholt hatten, so war
es natürlich, dass sie in diesen Versuchen einer nachträglichen Begründung
der Glaubenssätze an die zu ihrer Zeit herrschende Richtung der Philo-
sophie anknüpften. Das trat hauptsächlich nach zwei Seiten hervor: seit
dem 3. Jahrhundert war es der Neuplatonismus, der dem Drange der
Menschen nach Erkenntnis des Göttlichen am meisten entsprach und die
älteren Philosopheme fast ganz in den Hintergrund drängte; an seine un-
klaren Anschauungen hielten sich um so eher die christlichen Denker, je
leichter sich mit ihnen der Monotheismus und die Transcendenz der christ-
lichen Lehre vereinigen Hessen. Schlimmer wirkte der Einfluss, den die
etwas weiter zurückreichende Scheidung der philosophischen Lehren nach
Schulen und Sekten geübt hat. Die Divergenzen, welche auch bei den
Versuchen philosophischer Feststellung der christlichen Glaubenslehre nicht
ausbleiben konnten, spitzten sich gleichfalls zu schroffen Gegensätzen und
Anfeindungen zu; es wurden sogar die abweichenden Lehrmeinungen unter
den Christen mit dem gleichen Namen, algeasig^ wie bei den heidnischen
Dogmatikern bezeichnet. Bildete aber schon das heidnische Sektierertum,
wie es uns Lukian so drastisch geschildert hat, eine der unerquicklichsten
Seiten des hellenistischen Altertums, so wirkten unter den Christen diese
dogmatischen Spaltungen noch viel verhängnisvoller, da die sich befehdenden
Theologen nun auch den ganzen Schwärm der gläubigen Anhänger mit in
den Strudel fanatischen Streites hineinzogen, woraus bei der Zähigkeit
religiöser Gegensätze die von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbenden^
selbst in unserer Zeit noch nicht ausgeglichenen Spaltungen der Christen-!
gemeinde hervorgingen. Insofern hängt auch die christliche Lehre, ins
besondere die Zusammenfassung derselben in feste Glaubenssätze {Söyiiara
und der Häresienstreit der christlichen Theologen mit der Philosophie de
Griechen zusammen. Aber ich begnüge mich, diesen Zusammenhang blos
anzudeuten, da die dogmatischen Zänkereien der Christen im einzelnen nich
bloss des Zusammenhangs mit dem griechischen Altertum, sondern auc
jedes allgemeineren Interesses entbehren. Näher werde ich nur auf die'
^) Gegen ihre Lehre, dass die Welt eine I sich der Neuplatoniker Plotin; s. § 559.
Schöpfung des bösen Geistes sei, wandte |
B. Christliche Schriftsteller. 3. Christliche Theosophen. (§614.) 745
Schriften der wenigen Männer eingehen, welche, ohne das Ansehen von
Kirchenvätern zu haben oder zu verdienen, die christliche Lehre mit phi-
losophischen Anschauungen in Verbindung brachten. ') Dabei werde ich aber
auch zugleich alle anderen Werke der betreffenden Autoren zur Bespre-
chung bringen.
Über die patristische Philosophie s. Ueberweg, Grundriss der Geschichte der Philo-
sophie IF, 3 — 127; JoH. Hüber, Die Philosophie der Kirchenväter, München 1859. — Die
Quellen unserer Kenntnis der Gnosis sind ausser der in koptischer Übersetzung uns erhal-
tenen Pistis Sophia (ed. Petermann, Berl. 1851) die Schriften ihrer Bestreiter, namentlich
des Eirenaios und Hippolytos, von denen wir bereits oben § 604 f. gesprochen haben, und
die Abhandlung des Plotin II, 9. — Ad. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Frei-
burg 1886 ff.
614. Polemische Schriften. Wir haben oben schon gesehen, dass
die Defensivstellung der Christen des 2. Jahrhunderts sich später, als die
christliche Kirche zur Macht gelangt war, in eine offensive Bekämpfung
der heidnischen Lehre und der Andersgläubigen verwandelte. Der Kampf
wurde, wie das bei Mächten, die um die Weltherrschaft rangen, natürlich
war, vornehmlich mit äusseren Mitteln zur Entscheidung gebracht. Aber
neben den grossen politischen Kämpfen gingen doch auch immer noch
litterarische Streitschriften einher. Diese trugen, zum Teil wenigstens,
einen theosophischen Charakter, da es ihren Verfassern in erster Linie
darauf ankam, die Lehre der alten Griechen und der christlichen Gegner
als vernunftwidrig darzustellen. Zur Klasse dieser polemischen Theosophen
gehörte Hermeias, dessen Lebensverhältnisse uns nicht bekannt sind, der
aber schwerlich vor dem 5. Jahrhundert lebte. Von ihm existiert ein
diaavi)ix6g to)v s'^m (fJiXo(t6g)0)v in 10 Kapiteln, in der Absicht geschrieben,
die Nichtigkeit der heidnischen Philosophie aus dem Widerstreit der Mei-
nungen darzuthun. Seine eigene Weisheit schöpfte der Autor nicht aus
einem tieferen Studium der Werke der alten Autoren, sondern aus den
landläufigen Kompendien der Lehrsätze der Philosophen über das, was Seele,
was Gott, was Welt ist. 2) — Zu den Streitern im Herrn zählen ferner
Athanasios, Bischof von Alexandria (gest. 373), Hauptgegner der Arianer,'^)
Apollinarios von Laodicea, gelehrter Theologe und gegnerischer Zeit-
genosse des Athanasios, "^j Epiphanios, Bischof von Konstantia in Kypern
(298—403),'') Archelaos, Bischof von Mesopotamien,^) Kyrillos, Patriarch
von Alexandria (gest. 444),') Johannes Philoponos, Lehrer in Kon-
^) Alle Theologen sind mehr oder minder
auch Theosophen, und es verdienten daher
in unserem Kapitel auch die christlichen
Apologeten und "iKirchenväter, insbesondere
Origenes und Dionysios, einen Platz.
Da diese aber bereits oben zur Sprache
kamen, so begnüge ich mich, auf die frü-
heren Paragraphen zu verweisen.
2) DiELS, BoxofjTcq^lhi graeci p, 259 ff.
^) Die Gesamtwerke des Athanasius bei
Migne t. 25-28.
4) Migne t. 33 p. 1310-1538. Dass
die zwei gegen Apollinarios gerichteten
Schriften ne^l jrjq ii^av&QMmöoewg loyog xcnd
'JnoXhfccQLov und <f€VT€Qog loyog y.caa. 'JnoX-
UvciQLov nicht wirklich von Athanasios her-
I rühren, sucht Jon. Dräseke, Patrist. Unters.
169 — 207 zu erweisen.
^) Über das Leben dieses bedeutenden,
aus Eleutheropolis in Palästina stammenden
Mönches und Bischofs belehrt uns ein aus-
führlicher Bioq 'EnigiayLov, abgedruckt im
1. Bande der Dindorf 'sehen Ausgabe.
^) Die im Originaltext nur fragmen-
tarisch , vollständig in lateinischer Über-
setzung überlieferten Acta disputationis
Arclielai ejnscojn Mesopotamiae et Manetis
haeresiarchae, gehören der ersten Hälfte
des 4. Jahrhunderts an.
') Die "Werke dieses Kyrillos bei Migne
t. 68—77. Verschieden davon ist der h.
KyrillusHierosolymitanus, dessen Katechesen
und Briefe bei Migne t. 33.
746 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
stantinopel (um 500), und der Gegner des letzteren Leontios, Mönch
von Byzanz.i) Von diesen bekämpfte der Bischof Kyrillos in einem um-
fangreichen, zum Teil noch ej-haltenen Werk die Anklageschrift des Kaisers
Julian (s. § 547), und wandten sich der Theologe Apollinarios 2) und der
philosophisch gebildete Grammatiker Philoponos gegen die Angrifie des neu-
platonischen Philosophen Porphyrios (s. § 560). Am inhaltreichsten ist
das umfangreiche, aus 3 Büchern und 7 Abschnitten {rofioi) bestehende
Werk des Epiphanios HarccQior xard naaMv tcov aiQ6(r80)i', das die Wider-
legung von 80 Irrlehren enthält, unter denen die christlichen und gnosti-
schen Sekten die Mehrzahl bilden, zu denen aber auch die verschiedenen
Systeme der Griechen und Juden zählen. Das Werk, von dem der Ver-
fasser selbst einen Auszug {ciraxetfaXaiwaio) machte, ist für uns die Haupt-
quelle der Kenntnis von den dogmatischen Streitigkeiten, gibt aber im
wesentlichen nur die Angaben seiner Hauptvorlage, des Hippolytos, wieder.
Dem Epiphanios wird in den besten Handschriften auch die Über-
arbeitung des sogenannten Physiologus zugeschrieben (Emcfcaiov ix twv
'AoiaroTblovc (fvaio/.öyov Tragi fw/;c).3) Das Buch enthält in 49 Kapiteln
wunderbare Erzählungen aus dem Naturreich, vom Löwen, Pelikan, Phönix,
Einhorn u. a., so angelegt, dass die wunderbaren Eigenschaften der Tiere
auf die christliche Lehre gedeutet werden. In seinem Kern gehört das
Buch zur Wunderlitteratur (Tieoi ^avf^iaafa)}) und hat mit dem Tierbuch
des Sophisten Aelian manche Berührungspunkte. Epiphanios ist, wenn ihm
überhaupt mit Recht das Buch beigelegt wird, nicht Urheber, sondern nur
Überarbeiter des Buches. Das Original stammte aus früherer Zeit, da es
bereits von Origenes, homil. 117, 5 citiert wird, und scheint in Alexandria
im Kreis der hellenistischen Juden entstanden zu sein; nach Ägypten führen
insbesondere auch die ägyptischen Monatsnamen. Von Epiphanios oder
wer immer dessen Namen erlogen hat, rührt die Umdeutung der W^under-
erzählungen auf die christliche Lehre her. Mit Aristoteles hat das Buch
nichts zu thun ; der Name des berühmten Philosophen wurde demselben
nur vorgesetzt, weil derselbe als der erste Naturkenner und Zoologe galt.
Im Mittelalter, das an solchen wunderbaren Dingen und Allegorien ein
besonderes Gefallen hatte, gehörte der Physiologus zu den gelesensten
Büchern ; wir haben von demselben lateinische, äthiopische, syrische, deutsche
Übersetzungen.
Epiplianii opera ed. C4. Dindorf, Lips. 1859; bei Migne t. 41—43. — Aus dem
Panarion gibt Diels, Doxogr. gr. 585 - 93 den die alte Philosophie betreffenden Abschnitt. —
R. A. Lipsius, Zur Quellenkunde des Epiphanios. Wien 1865. wo nachgewiesen ist. dass die
Übereinstimmungen unseres Epiphanios. der um 377 sein Panarion schrieb, mit den latei-
nischen Autoren Philastrius (f 387) und Ps. Tertullian, Libellus adv. omnes haereses,
^) Das Leben dieses einflussreichen findet sich das Buch nicht, in den älteren
Theologen , der zuerst skythischer Mönch
war, hellt auf Fe. Loofs, Leontios von By-
zanz, in Gebhardt-Harnack, Texte u. UnL,
Bd. III, H. 1 u. 2. besonders S. 297 ff.
so wenig wie in der neuesten von Dindorf;
wohl aber steht in denselben eine Schrift
über die 12 Edelsteine in dem Gewände des
hohen Priesters (ttsqI tiüv tß' Ud^ayv riov
Seine Schriften bei Migne t. 86. oj'tioi' iv tok arohoixolg rov \4aQa}v), das
2) Suidas: 'J-nohväQiog tyqaxbe y.aju- durch die Schilderung von der Wunderkraft
'Aoy(idr,v xard nogcfvQiov rov dvaasßot^g rö- ' jener Steine einige Verwandtschaft mit un-
fuovg V . I serem Physiologus zeigt.
^) In den Ausgaben des Epiphanios i
B. Christliche Schriftsteller. 3. Christliche Theosophen. (§615.) 747
aus der Benützung der gleichen Vorlage zu erklären ist und dass die Ketzergeschichte
zunächst auf Hippolytos, und dann Aveiter auf Irenäus und Justinus zurückgeht.
Kxccrpta ex Epiphanii Jihro de mensuris et ponderihus. in Hultsch's Metrologi-
corum scrqjtorum reliqniae t. I p. 259--276; vollständiger mit einer für die alten Bibel-
übersetzungen wichtigen Einleitung nach dem Syrischen von Paul de Lagakde, Symmicta
II (1880) p. 149 — 216; das Buch sollte zur Erklärung der Masse in der Bibel dienen.
Lauchert. Geschichte des Physiologus, mit kritischer Ausgabe des griechischen
Textes, Strassburg 1889.
615. Synesios,^) geboren um 370, stammte aus einer vornehmen
heidnischen Familie der kyrenäischen Pentapolis. In Alexandria wurde er
durch Hypatia, die berühmte Tochter des Mathematikers Theon, in die
geheimnisvolle Welt der neuplatonischen Philosophie eingeführt. Xoch als
junger Mann erhielt er im Jahre 897 von seiner Vaterstadt den Auftrag
einer Gesandtschaft an den kaiserlichen Hof von Konstantinopel. Später
lernte er auch, nicht ohne starke Enttäuschung, Athen, die Lehrstätte
seines Piaton und Zenon, kennen. 2) Aber der mystische Zug seiner Natur
und der Einfluss seiner Frau machten ihn immer mehr der Lehre des
Üeischgewordenen Logos zugänglich, bis er schliesslich im Jahre 410 sich
von dem alexandrinischen Bischof Theophilos taufen und zum Priester
ordinieren Hess, um die auf ihn gefallene Wahl zum Metropoliten der
Pentapolis annehmen zu können. 3) Er starb jung, nicht viele Jahre nach-
dem er die schwere Last eines Bischofs übernommen hatte; keine Spur in
seinen Briefen führt über das Jahr 413 hinaus. — Die Schriften unseres Sy-
nesios stammen zum grössten Teil noch aus der Zeit vor seinem Übertritt
zum Christentum und atmen sogar zum Teil einen feindseligen Geist gegen
das Mönchtum und den Bildungsmangel christlicher Priester; aber sie
gehören zu dem Besten, was die Vereinigung philosophischer und sophi-
stischer Bildung in jener Zeit hervorgebracht hat. Voran stehen an Be-
deutung die 155 an verschiedene Freunde, darunter auch an Hypatia ge-
richteten Briefe, die uns einen anziehenden Einblick in die Zeitverhältnisse
und das leicht erregbare Gemütsleben des schwärmerischen Mannes ge-
statten. Von Adel der Gesinnung und männlichem Freimut zeugt die
schöne Rede über das Königtum {TieQi ßaaihiag), die er im Jahre 378 bei
einer Gesandtschaft vor dem Kaiser Arkadios hielt. ^) Von den Verhält-
nissen des Ostreiches in jener Zeit handeln die noch in Konstantinopel
entworfenen Aiyvirzioi loyoi 1] tisqI TTooroi'ag, worin sich unter der Hülle
der mythischen Kämpfe des Osiris und Typhos allegorische Anspielungen
auf die Zeitgeschichte, insbesondere auf die Geschicke des Präfekten Au-
relius und dessen Bruders bergen.^) Ein interessantes Zeugnis von seiner
eigenen Stellung zur Sophistik und dem Mönchtum enthält die um 405
^) VoLKMAKN, Synesius von Cyrene, an seinen Bruder Euoptios (ep. 105).
Berl. 1869. | *) Vgl. G. Barneb, Comparantur intcr
2) Synes. ep. 54 u. 136. j se Graeci de regentium hominum virtutibus
'^) Seine Zweifel, ob er, der mit seiner ' auctores, Marb, 1889 p. 47 ff.
«Tattin in glücklicher, kindergesegneten Ehe '^) Darüber unterrichtet die der Kcde
zusammenlebte und nicht in allem die Dogmen vorausgeschickte TiQofhioQuc (vgl. Himerios
der Kirche mit seiner philosopbischen Über j S. 673 An. 4). Dem entgegen will mein junger
L Zeugung in p]inklang bringen konnte, die Freund (taiser. Des Synesius ägyptisclie
I Wahl annehmen solle, entwickelt er in dem Erzählungen (1886), in dem lyphos den
schönen, offenbar zur Veröffentlichung und 1 Gotenführer Gainas erkennen,
persönlichen Rechtfertigung bestimmten Brief !
L
748
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
abgefasste litterarhistorische Schrift Dion, in der er die in jenem Manne
so glänzend hervorgetretene Verbindung von Philosophie und Redegewandt-
heit seinem noch nicht geborenen, aber nach einem Traumgesicht erwar-
teten Sohn als Muster vorhält. Eine Ausgeburt einerseits der spielenden
Sophistik, anderseits des träumerischen Mysticismus sind seine frostige
Lobrede auf die Kahlköpfigkeit [(faXaxQiag iy^o^iiov) und seine unklare
Abhandlung über die Träume {tisqI ivvrtviwv). Christliche Ideen sind mit
den Anschauungen des Neuplatonismus verquickt in den 10 zu verschie-
denen Zeiten entstandenen Hymnen J) Dieselben sind noch nach den Ge-
setzen der alten Prosodie gedichtet; aber von einer Zusammenfassung der
kleinen Kola zu Perioden oder Strophen ist ebensowenig mehr die Rede
wie von einem Wechsel in den Versformen und dem Rhythmus: in dem
ermüdenden Einerlei des anapästischen oder ionischen Leierkastens geht es
vom Anfang bis zum Schluss fort. Der Dialekt ist der dorische, derselbe
also, der in der Pentapolis seit alters gesprochen wurde; aber Synesios
wird denselben nicht dem Volksmund abgelauscht, sondern der alten Lyrik
Pindars nachgebildet haben.
Gesamtausg. von Petavius (1633) und danach von Migne t. LXVI. ~ Synesii Cyre-
naei orationes et homiliarum fragm. ed. Krabinger, Landshut 1850. — Synesii hymni ed.
Flach 1875, wozu Rh. M. 32, 538 fF, Dieselben stehen auch in Christ- Paranikas' Anthol.
carm. christ. p. 3 — 23. — Briefe bei Hercher, Epistologr. p. 638—739.
616. Methodios, Bischof von Tyrus, der um 312 als Märtyrer starb,
erhielt von seiner Nachahmung des Piaton den Ehrennamen platonizans.^)
In zwei verloren gegangenen Dialogen tisqI ysvrjzMv und ttsqI avaaxäasMg
bekämpfte er die Lehre des Origenes von der Ewigkeit der Welt und der
Auferstehung der Seele. In dem uns noch erhaltenen Gastmahl [aviinoaiov
rcov Stxa TiaQ^avwv 7T€qI Trjg ayYeXoixifxrjTov rraQ^eviag xal ayvsiag) behandelt
er die Liebe vom christlichen Standpunkte, indem er die beim Mahle ver-
sammelten Jungfrauen in Prosa und Vers die Keuschheit und Jungfräulich-
keit verherrlichen lässt. Ausgabe des Methodius von Alb. Jahn, Halis 1865.
617. Nemesios, Bischof von Emesa (um 400), ist Verfasser einer theo-
sophischen Schrift über die Natur des Menschen {7T€qI (pmswg dv^Qamov),
welche die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, der Freiheit
des menschlichen Willens, dem Walten der göttlichen Vorsehung und ähn-
lichen Dingen mit der neuplatonischen Philosophie verquickt.^) Das im
Mittelalter vielgelesene Buch wurde frühzeitig auch ins Lateinische über-
tragen.
Von Aineias, einem feingebildeten Sophisten aus Gaza, der den heid-
nischen Philosophen Hierokles^) gehört hatte, aber zum Christentum über-
getreten war, haben wir einen in eleganter Sprache geschriebenen Dialog
^) Den 3. Hymnus dichtete er noch in
Konstantinopel, den 8. um 405, den letzten
wahrscheinlich als Bischof.
^) Alb. Jahn, Methodius platonizans,
1865.
^) Benützt sind besonders im 2. und
3. Kapitel die Z»yT»;^a«r« avjufxixTcc des Por-
phyrios; s. Arnim, Rh. M. 42, 278 ff.; über
die Benützung des Aetios s. Diels, Doxogr.
p. 49, Über die Benützung des Stoikers Phi-
lopator, der in dem Buche tisqI slfxaQfxevr}?
die Lehre des Chrysipp verarbeitete, s. Gercke,
Chrysippea in Jhrb. f. Phil. Suppl. XIV, 689 ff.
'^) Über diesen Hierokles s. § 563. —
Über das Leben und die Schriften des
Aineias selbst handelt Wernsdorf, pispu-
tatio de Aenea, wiederabgedruckt bei Bois-
sonade p. IX — XXV.
B. Christliche Schriftsteller. 3. Christliche Theosophen. (§ GIG— G18.) 749
&s6(fQa(7Toq über die christliche Lehre von der Unsterblichkeit der Seele.
Die Hauptträger des Dialogs sind Theophrastos, der die Lehren der alten
Philosophen, des Heraklit, Empedokles, Piaton, Aristoteles, von der Seele,
insbesondere von der Präexistenz der Seele und von der Seelenwanderung
vertritt, und Euxitheos, der die Widersprüche und Ungereimtheiten jener
Lehren nachweist und ihnen die christliche Lehre von der Fortdauer der
Seele und ihrer Wiedervereinigung mit dem verklärten Leibe entgegen-
stellt, i) Das mit Scharfsinn und ohne allen Fanatismus geführte Gespräche
endigt damit, dass sich Theophrastos von der Wahrheit der neuen Lehre
überzeugen lässt und ihr mit den Worten beitritt: neidonai • tjSi] yaQ zr^g
svii8veiccg ala^ävoixai lov ^eov ' aXkd y^aiQtroi iihv axaSrjfxia, JiQog sxehov
oh i'wjiisv ' avTog yocQ o JlXccTcoi' fXi^XQ^ xovzov xsXsvsi nai^eöi^ai TJ?.ccto)vi,
£Mg av aviov aoifcörsQog dvacfarij. Geschrieben ist der Dialog, den ich
nicht anstehe, das beste philosophische Werk des untergehenden Altertums
zu nennen, bald nach d. J. 484, auf dessen Ereignisse p. 75 ed. Boiss. an-
gespielt ist.
Eine plumpe Nachahmung ist der Dialog Ammonios des Scholastikos
Zacharias, der später, in der Mitte des 6. Jahrhunderts, Bischof von
Mytilene wurde. Der Dialog hat den Namen davon, dass der Neuplatoniker
Ammonios ^) die Hauptrolle in demselben spielt. Derselbe vertritt die
heidnische Anschauung von der Ewigkeit der Welt und bekämpft die
christliche Lehre von der Erschaffung der Welt durch Gott und von ihrem
dereinstigen Vergehen; ihm gegenüber verteidigt mit siegenden, aber stum-
pfen Waffen der christliche Sprecher die biblische Erzählung von der Er-
schaffung der Welt, indem er die Sterblichkeit des Menschen und die dazu
stimmende Vergänglichkeit der Welt aus dem Sündenfall des ersten Men-
schen erklärt. — Das gleiche Thema hatte schon vordem der philosophisch
gebildete Grammatiker und schreibselige Kommentator des Aristoteles,
Joannes Philoponos, gegenüber dem Neuplatoniker Proklos behandelt,
aber nicht in der gefälligen Form eines Gesprächs, sondern mit der Spitz-
findigkeit dialektischer Polemik, indem er die 18 Sätze, mit denen Proklos
die Ewigkeit der Welt als platonische Lehre zu erweisen suchte, einer
scharfsinnigen Kritik unterzieht.
Ausgabe des Nemesios von Matthäi, Halle 1802; eine neue in der Bibl. Teubn. an-
gekündigt von Burkhard, der in Wien. Stud. X, 93 ff. u. XI, 143 ff. vorläufige Mitteilung
von seinen Hilfsmitteln gibt. Die eine der lateinischen Übersetzungen wurde im 12. Jahr-
hundert von dem Pisaner Burgundio gemacht; eine andere Verbalübersetzung wurde aus
einer Bamberger Handschrift neuerdings herausgegeben von Holzinger, Wien 1887; über
deren Verhältnis s. Dittmeyer, Blätter f. bay. Gynin. 1888 S. 368 ff.
Aeneas Gazaeus et Zacharius Mytilenaeus de immortalitate animae et coiisum-
viatione mundi ed. Boissonade, Par. 1836. — Joannes Vhiloponus contra Vroclum de
vnmdi aeternitate ed. Trincavellus, Venet. 1535, am Anfang und Schluss verstümmelt.
618. Dionysios Areopagites ist der apokryphe Verfasser der
4 zusammenhängenden Bücher ttsqI ovqaviag le^aQxiccg, tc^qI ^xxXi\aiccaiix\]g
hQagxiccg, ttsqI ^eiMV orof^idiMr, neQi ^ivanxt]g ^eoXoytag, und von lÜ in
^) Die Namen sind gut gewählt; Thco-
phrast war die Hauptquelle für die Geschichte
von den Lehrsätzen der Philosophen; Euxi-
theos bedeutete den zu Gott betenden christ- ' nennt
liehen Philosophen.
2) Gemeint ist offenbar der jüngere
Ammonios, mit dem Beinamen o 'KQf^tei^og,
den loannes Philoponos als seinen Lehrer
75Ö
Griechische Litteraturgeschichte. IIl. Anhang.
der gleichen Geistesrichtung sich bewegenden Briefen. Die 4 Bücher,
welche an den Presbyter Timotheos gerichtet sind, geben unter Anlehnung
an die neuplatonische Lehre von dem Eins und Guten und der von jenem
Eins ausströmenden Vielheit der Dämonen eine Darlegung und mystische
Begründung des Gottesstaates, des himmlischen und irdischen. Die von
Gott, dem Inbegriff des Eins und Guten, ausstrahlenden Kräfte sind im
Himmel die Engel, auf Erden die Priester, beide in streng gegliederter
Ordnung. Der Name des Autors, Dionysios Areopagites, beruht ebenso
wie der seines Freundes (avi^iTiQeaßvrsQog) Timotheos auf plumper Fälschung,^)
gemacht, um der in diesen Schriften begründeten Hierarchie das Ansehen
einer altehrwürdigen, in die Zeit des Apostels Paulus hinaufreichenden
Institution zu geben. Entstanden sind die Schriften erst nach Verbreitung
des Neuplatonismus im 4. Jahrhundert, wahrscheinlich erst nach dem
Neuplatoniker Proklos, auf dessen Lehre sich der Fälscher hauptsächlich
zu stützen scheint. 2) Den wirklichen Verfasser der Schriften zu ermitteln
ist bis jetzt nicht gelungen ; ^) erwähnt werden sie zuerst in dem Religions-
gespräch von Konstantinopel aus dem Jahre 533; nach diesen soll bereits
der Bischof Kyrillos derselben gedacht haben. In dem Mittelalter spielten
sie in der griechischen Kirche und noch mehr in der lateinischen des Abend-
landes eine sehr grosse Rolle.
Gesamtausgabe von Morel, Par. 1562; von Balth. Corderius, 2 Bde., Ant. 1G34,
wiederholt Ven. 1756. — Dionys. de imjstica tlieol. et de dir. nominihus, mit ]at. Übers.
u. Erklär, von Ficinus, Ven. 1538. — Engelhardt, Die angeblichen Schriften des Areo-
pagiten Dionysius, Sulzbach 1823. — Ein lateinischer Brief des Dionysius an Timotheus
über den Tod der Apostel Petrus und Paulus, gedruckt in Mombritius, Sanctuarium II,
194 — 6, ist im 9. Jahrhundert in St. Denis bei Paris erdichtet worden, wo 834 der Abt
Hilduin durch gefälschte Märtyrerakte die Identität des h. Dionysius von Paris mit dem
Dionysius Areopagita zu erweisen suchte.
619. Wie der neuplatonische Philosoph Porphyrios ein Buch über die
aus den Orakeln zu schöpfende Philosophie geschrieben hatte, so haben um-
gekehrt nun auch christliche Theosophen die heidnischen Orakel benützt,
um nachzuweisen, dass in ihnen bereits durch göttliche Eingebung christ-
') Auch aus dem Namen des Lehrers
unseres Autors, Hierotheos, schaut die Fiktion
heraus. Über den ähnlichen Zweck des
Fälschers der Briefe des Ignatius, welcher
die Begründung des monarchischen Episko-
pats auf eine hohe Autorität zurückführen
wollte, siehe Pfleiderer, Urchristentum
S. 828.
^) Eine philologische Untersuchung der
Quellen des Dionysios wäre sehr erwünscht.
Die sprachlichen Nachahmungen bespricht,
ohne das Verhältnis zu Proklos ins Klare
zu bringen, Alb. Jahn, Dionysiaca, Alt. 1889.
•^) Der Verfasser erwähnt auch noch
7 andere Schriften von sich, tisqI \pv/i]g,
^eoloyixcd vnorvTTioGeig etc. , aber ob er
solche wirklich geschrieben hat, ist sehr
zweifelhaft; vielleicht wollte er damit nur
den Verdacht einer Fälschung verwischen.
Hipler, Dionysius der Areopagite, Regens-
burg 1881, lehnt den Gedanken einer My-
stifikation ab und vermeint dem Autor näher
auf die Spur kommen zu können, indem er
in Timotheos und Hierotheos historische Per-
sönlichkeiten des schliessenden 4. Jahrhun-
derts sucht. Jos. Dräseke in der Rezension
des theologischen Abschnittes meiner Lit-
teraturgesch., in Zeitschr. f. wiss. Theol.
XXXIII (1890) S. 203 schilt mich wegen
meiner ablehnenden, indes auf keinen Ge-
ringeren als DöLLiNGER sich stützenden Hai- f
tung zu Hipler's Hypothese herzhaft aus, 1
indem er hervorhebt, dass der bescheidene ■
katholische Gelehrte von Seiten protestan-
tischer Forscher unumwundene Anerkennung
gefunden habe. Derselbe Gelehrte hat in
seinen gesammelten patristischen Abhand-
lungen, Altona 1889, zweite Abhandlung,
Dionysios von Rhinokolura, S. 25—77, die
hier behandelten Schriften und das fälsch-
lich dem Hippolytos beigelegte Bruchstück
IJeqI S^soloyiag xcd üciQy.oJGSwg dem Mönche
Dionysios von Rhinokolura, angeblichem
Freunde des Theologen Apollinarios, zu-
gewiesen.
B. Christliche Öchriftsteller. 4. Kirchenhistoriker. (§619-621.) 751
liehe Gedanken den Menschen offenbart worden seien. Eine solche An-
schauung, welche auf den jüdischen Peripatetiker Aristobulos zurückgeht,^)
lag der Q£oao(fia eines anonymen christlichen Schriftstellers aus der Zeit
des Kaisers Zenon (474 — 491) zu grund, von der uns ein Auszug unter
dem Titel XQTjcrfioi twv sXXrjvixwv O^emv erhalten ist. Die vollständige
Theosophie umfasste 4 B., denen selbst wieder 7 Bücher neQi rr^g og&rjg
niaxeMc, vorausgeschickt waren. Der Verfasser benützte aber für seine
These nicht bloss Orakel, die er zumeist dem obengenannten Werke des
Porphyrios entnahm, sondern auch orphische und sibyllinische Verse und
schöne Aussprüche der alten Dichter und Philosophen, namentlich des Me-
nander, Piaton und Heraklit. Kritische Prüfung sucht man vergeblich bei
ihm; umgekehrt hat er offenbarste Fälschungen, wie ganz junge Verse der
Orphika für alt und echt ausgegeben.
Die Exzerpte waren vollständig nur durch eine jetzt verloren gegangene Strass-
hurger Handschrift auf unsere Zeit gekommen; von dieser machte im Jahre 1580 Beruh.
Hausius eine Abschrift für Professor Crusius in Tübingen, Diese Abschrift entdeckte un-
längst Prof. Neumann; eine Ausgabe danach veranstaltete Buresch, Klares, Leipz. 1889,
im Anhang S. 89— 126.
4. Kirchenhistoriker.
620. Die Anfänge der christlichen Historie sind in den bereits oben
§ COO erwähnten Erzählungen von den Thaten der Apostel {nga^sig tmv
anodxoXwv) zu erblicken. Nachrichten über die christliche Kirche und
ihre Vorstände {iniaxoTioi), die christlichen und jüdischen Sekten und die
Verfolgungen der Christen stellte zuerst Hegesippos zusammen. Derselbe
war Zeitgenosse des Justinus Martyr und schrieb unter Hadrian einige Zeit
nach dem Tode des Lieblings des Kaisers Antinoos, über dessen Vergöt-
terung er sich skandalisierte.^) Seine Beziehungen zu Ägypten und seine
guten Kenntnisse der jüdischen Schriften lassen vermuten, dass er zur
Klasse der alexandrinischen Juden in Beziehungen stund; aber von Ale-
xandria aus hatte er viele und grosse Reisen unternommen; speziell er-
wähnte er seinen Besuch bei der Christengemeinde in Korinth und seinen
längeren Aufenthalt in Rom.^) Seine historischen Aufzeichnungen (vTrofni^-
l^iava) in 5 B. benützte Eusebios als Hauptquelle für die ältere Zeit; die-
selben lagen noch dem Patriarchen Photios p. 288 b, 10 vor. 4)
621. Geschichtsbücher (Xqovixo) allgemeiner Natur, aber mit spezieller
Berücksichtigung der biblischen und kirchlichen Ereignisse verfassten die
oben schon erwähnten christlichen Schriftsteller Gaius, Hippolytos und
Sext. Julius Africanus.'*) Der bedeutendste von diesen war der letzt-
genannte, welcher Presbyter in Alexandria zu Anfang des 3. Jahrhunderts
') In der Theosophie selbst heisst es
c. 10 nach Euseb, Praep. ev. XIJI, 12: ort
' AQiaiößovXog, 6 s^ 'EßQciiiav nsQniarr^rixög
(filöaocfoq, snioieXhoy UtoIf^cÜio avvwfio-
h'iyrjaEi', ix zrjg eßQcdxrjg beoaocpiug rr]y
i[ tl'krii'ixrjv ojQfAtjaSai, ' (fctvSQov yciQ iaziy,
I oTi xurrjxoXovS^i^aey 6 Uh'aiov zrj xax^' rjfxäg
pofxo&saia, xcd dijXog iart, nEQiEiQyaa^uit^og
exaarcc twv ev avirj,
2) FAiseb. Hist! eccl. IV, 8.
3) Euseb. llist. eccl. IV, 22.
^) Über Papias s. oben § GOl. Ausser
durch Euseb. llist. eccl. III, 139 sind uns
duich spätere byzantinische Kirchenschrift-
steller Fragmente des Papias erhalten, wo-
rüber De Boor, Neue Fragmente des Papias,
in Gebhardt-Harnack, Texte u. Unters. V,
165-184.
^) Gelzer, Sext. Julius AfVicanus und
die byzantinische Chronologie, Leipz. 1885,
2 Bde.; in II, 1--23 ist von llii)polytos ge-
handelt; s. i^ COC).
752
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
war. Sein JlsvidßißXov xQovoXoyixöv ging von Erschaffung der Welt oder
5500 V. Chr. bis auf 221 n. Chr. herab und war eine Hauptquelle des Eu-
sebios. Dieser hat uns auch aus dem Werke seines Vorgängers das wert-
vollste Stück, die 'OXvfjtTriäSMv avayQagjtj, erhalten, welche Rutgers in einer
vorzüglichen Sonderausgabe (Leyden 1862) bearbeitet hat. Julius Africanus
war ausserdem Verfasser eines enkyklopädischen Werkes Kearoi in 24 B.,
aus dem uns Auszüge der auf das Kriegswesen und den Ackerbau bezüg-
lichen Abschnitte erhalten sind. ^) Auch 2 interessante Briefe des Africanus
haben sich auf unsere Zeit gerettet, einer an Origenes über die apokryphe
Geschichte der Susanna, und ein anderer an Aristides über die Genealogie
Christi. 2)
622. Als eigentlicher Vater der Kirchengeschichte galt Eusebios,
dessen bis zum Jahre 325 oder bis zum Konzil von Nicaea reichende
'Exxhj(naaTix)j taToqia in 10 B. wir bereits oben § 609 erwähnt haben.
Der Wert des hochgeschätzten Werkes wird noch besonders dadurch er-
höht, dass sein Autor aus älteren, verloren gegangenen Büchern, wie des
Papias, Dionysios, Apollonios, ganze Seiten wörtlich anführt. Nachfolger,
welche die Kirchengeschichte von da ab bis auf Justinian behandelten, hatte
er vier: Sokrates, der in 7 B. die Kirchengeschichte bis zum Jahre 439
herabführte ; ^) Sozomenos, welcher in seinem am Schluss verstümmelten
Werk in 9 B. den gleichen Zeitraum mit starker Benützung des Sokrates
behandelte;^) Theodoretos, welcher im Jahre 448/9 eine Kirchen-
geschichte in 5 B. verfasste^) und darin die Werke seiner Vorgänger er-
gänzen wollte,^) in der That aber dieselben nur ausschrieb und mit einigen
leeren Zierraten bereicherte; Theodor os der Vorleser (o drayvcöarijc), der
in seiner dreiteiligen Geschichte {historia tripartita) die Zeit von Konstantin
bis 518 behandelte. Die Exzerpte des letztgenannten Werkes' bilden
3 Teile, von denen aber nur der erste Teil, welcher von Theodosius IL bis
auf Justinus I. geht, unzweifelhaft echt ist. Etwas älter als die genannten
Kirchenhistoriker war Philostorgios, welcher spätestens 365 geboren
war^) und in 12 B. vom Standpunkte eines Arianers die Geschichte von
300—425 schrieb. Die Heterodoxie des Verfassers hat in jenen streit-
süchtigen und engherzigen Zeiten den Untergang des Werkes herbeigeführt,
doch haben wir von ihm Exzerpte und einen Auszug bei Photios cod. 40.
Teilweise gehört noch unserer Periode an das Chronikum pasch ale,
das im 11. Jahrh. aus mannigfachen Quellen zusammengetragene, aber für die
Chronologie hochwichtige Sammelwerk, in welchem dem Kanon über die Oster-
berechnung eine Epitome der Zeitgeschichte von Adam an (stcitoih] xqövwv
I
') Gemoll, Die Quellen der Geoponika
p. 78-92; vgl. oben § 597.
2) Spitta, Der Brief des Julius Afri-
canus an Aristides, Halle 1877. Der andere
Brief und die sonstigen Fragmente bei Migne
X, 37-94.
2) Jeep, Quellenuntersuchungen zu den
griecli. Kirchenhistorikern, Jahrb. f. Phil.
Suppl. XIV. 57 -178, speziell S. 137. Siehe
Sokrates selbst II, 1.
^} Zum Beweise dient Sozom. I, 22 nach
Socr. I, 10; s. Jeep a. 0. 138 ff.
^) Jeep a. 0. 154 ff. Güldenpenning,
Die Kirchengeschichte des Theodoret von
Kyrrhos, Halle 1889. Über des Theodoretos
Schrift 'EXX'>]viyMV 7Tadt]fX('aoDv d^SQanevxiy.t]
(ed. Gaisford, Oxon. 1839) s. oben § 465. —
Die Gesamtwerke bei Migne t. 80 - 84.
6) Theod. Hist. eccl. prooem.: ti^g ixxXt]-
aiaarixfjg laxoqiag tu Xemo^sva avyyQaipca.
7) Jeep a. 0. 57 ff.
B. Christliche Schriftsteller. 4. Kirchenhistoriker. (§ 622—625.) 753
Tcav and 'Addfji) angehängt ist. Der erste Teil derselben wird auf einen
anonymen Autor des Jahres 354 zurückgeführt, ein zweiter ist erst im
7. Jahrhundert unter Kaiser Heraklius entstanden.
Hist. eccles. Eusehii Soor aus Sozomeni Theodor eti ed. Valesius, Par. 1673, bei
Migne t. 67. — Tillemont, Memoires pour servir ä Vhistoire ecclesiastique des six premiers
siecles, Yen. 1732. — Fragmente des Theodoros bei Cramee, An. Par. II, 87 — 114, und
E. MiLLEK, Rev. archeol. 26 (1873) 273 ff. 396 ff. — Jeep, Quellenuntersuchungen zu den
griech. Kirchenhistorikern, Jahrb. f. Phil. Suppl. XIV, wo S. 158 auf eine ungedruckte voll-
ständige Handschrift des Theodoros Anagnostes in der Marciana no. 344 hingewiesen ist.
Ghronicon pasclicde Älexandrinum ed. Rader, Monachii 1615; ed. Du-Cange, Par.
1688; ed. Dindorf mit Zugrundelegung der Haupthandschrift der Vaticana, Bonn 1832.
623. Legenden. Um dieselbe Zeit entstanden im Anschluss an die
Thaten der Apostel die Legenden der Märtyrer und Heiligen, welche uns
zwar grösstenteils nur durch byzantinische Quellen erhalten sind, aber noch
deutliche Zeichen ihres früheren Ursprungs an sich tragen, i) Die älteren
hatte bereits Eusebios (s. Hist. eccl. IV, 15) zu einem leider verloren ge-
gangenen Sammelwerk ^vvayuyyrj tmv aqxaioiv i^iaQzvQicov (Märtyrerakten)
vereinigt. Auf ihre Bedeutung haben in unserer Zeit besonders Usener und
Harnack den Blick der Gelehrten gerichtet und auch bereits mehrere der-
selben in musterhafter Weise bearbeitet.
Ausgabe der Acta Timothei, der Legende der Pelagia, der Acta S. Marinae et
S. Christophori von Usener. Bonn 1877 — 86; der Acta des Karpus Papylus und der
Agathonike aus der Zeit M. Aureis von Harnack in Gebhardt-Harnack, Texte u. Unters.
III, 2 (1888) 433—66; Akten zum Leben des h. Spyridion von Theodoros, von Usener
in Jhrb. f. prot. Theo!. XIII (1887) 219 — 59; die Acta des Justinus Martyr aus einem
Codex von Cryptoferrata herausgegeben von Papebroch 1695, und mit Ausnahme des An-
fangs und Schlusses als zuverlässig erwiesen von Harnack, Texte u. Unt. I, 193 ff.
624. Listen. Verzeichnisse der Apostel und Jünger sind unter dem
Namen des Dorotheos (unter Licinian und Constantin) und Hippolytos, gelegent-
lich auch des Epiphanios und Sophronios auf uns gekommen. Das Buch des
Dorotheos, Bischofs von Tyros aus dem 4. Jahrb., trägt den Titel (^vy-
yQaii{.ia €xx?.rj(yicc(TTi%dv ttsqI tojv o fxa&rjXMV tov xvqiov JmqoO^&'ov sniaxönov
TvQov und geht in der Hauptsache auf das 5. Buch des verloren gegangenen
Werkes ^YnorvTCMCsig des Clemens Alexandrinus zurück. Dasselbe ist nach
einer Schlussbemerkung der Handschrift von dem Presbyter Prokopios (525)
aus den historischen Werken {laxoQixd crvyyQdj^ijiiaTa) des Dorotheos ex-
zerpiert. Von Hippolytos, nicht dem römischen, sondern dem ägyp-
tischen aus Theben, der dem 4. Jahrhundert angehört und von dem auch
Reste einer Chronik erhalten sind, existiert in äthiopischer Übersetzung
ein Verzeichnis der Patriarchen von Alexandria bis zum Jahr 384.
Das Syngramma des Theodoros ist gedruckt im Appendix zum Chroniken paschale
von Du-Cange, ed. Bonnet II p. 120 ff.; eine Sonderausgabe wird erwartet von Gelzer. —
Über Hippolytos gibt nach Mitteilungen Dillmann's Kunde Gutschmid bei Lipsius, Die apo-
kryplien Apostelgeschichten II, 2, 416 Anm.
625. Armenische Geschichte. Durch armenische, zum Teil wie-
der ins Griechische rückübersetzte Übersetzungen sind uns die historischen
') „Den ältesten Märtyrerkalcnder ent-
hielt das in Nikomedien zwischen 365 und
380 entstandene, von einem arischen Kle-
riker abgefasste Martyrologium Orien-
tale, welches u. a, auf der von pAisebius
angelegten Martyriensammlung ruht und so-
wohl dem von Wright edierten syrischen
Martyrologium vom Jahre 412 als dem Mar-
Haudbuch der klass. Altertumswiasenschalt. VII. 2. Aufl.
tyrologium Hieronymianum zu gründe liegt,
ja als eine Wurzel sämtlicher Martyrien zu
gelten hat." Harnack in Gebhardt-Harnack,
Texte u. Unters. III, 2, S. 436, auf Grund
der Untersuchungen von Duchesne, Les
sources du Martyrol. Ilieron., in Mel. d\ircht
et dllist. V, Rom 1885.
48
754 Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
Werke zweier christlicher Annalisten des 4. Jahrhunderts, des Agathangelos
und Faustus Byzantinus, erhalten. Agathangelos, angeblich aus Rom,
der bei dem armenischen König Tiridates IL die Stelle eines Sekretärs
versah, ist Verfasser einer Geschichte jenes Königs, der ein Abriss der
älteren Geschichte Armeniens und der Gründung des Reiches der Arsaciden
vorausgeht. Den hauptsächlichsten Inhalt des Geschichtswerkes bildet die
Verfolgung der Christen durch den vom Kaiser Diokletian aufgestachelten
König Tiridates und die in romanhafter Weise erzählte Bekehrung des
Königs, die durch dessen leidenschaftliche Liebe zur keuschen Märtyrin Rhip-
sime eingeleitet und durch Gregorios, den grossen Apostel der Armenier,
ins Werk gesetzt ward. Der überlieferte bilingue (armenische und griechi-
sche) Text enthält eine spätere Redaktion des Originalwerkes, in dem vieles
weggelassen und das Ganze in die Form einer Heiligenlegende umgear-
beitet ist. — Nur in armenischer Übersetzung haben sich die Annalen des
sonst nicht näher bekannten Faustus von Byzanz erhalten. Dieselben
knüpfen an die Geschichte des Königs Tiridates an und erzählen unter
starker Betonung der Heiligenlegenden die Geschichte Armeniens in den
nächsten 50 Jahren von Chosroes IL an bis zur Teilung Armeniens durch
den Perserkönig Sapor und den byzantinischen Kaiser Arcadius. Aus-
gabe und Übersetzung der beiden Annalen von Langlois in Müller,
FHG. V, 2.
5. Christliche Dichtung*en.i)
626. Die christliche Litteratur begann im Zeitalter der Prosa und
war so, trotz des hochpoetischen Gehaltes ihrer Lehre, durch die ganze
Richtung der Zeit zunächst auf die prosaische Rede hingewiesen. Die
apostolischen Konstitutionen 1, 6 verweisen noch die Christen, welche nach
poetischen Werken Verlangen tragen, einfach auf die Psalmen des alten
Testamentes. Nach und nach aber nahm auch in der Poesie und dem
Liede die christliche Kirche den Wettstreit mit dem absterbenden Heiden-
tum auf.2) Gregor von Nazianz und Synesios sind die hervorragend-
sten Vertreter der christlichen Poesie in griechischer Sprache. Aber die
Gedichte beider Männer wandeln in der metrischen Form und im Gedanken-
ausdruck noch wesentlich die alten Pfade der hellenischen Dichter; sie sind
Kunstprodukte, die sich zum kirchlichen Gesang nicht eigneten und nicht
den Weg zum Herzen des Volkes und der christlichen Gemeinde nahmen.
Das Gleiche gilt von dem Hymnus des Clemens von Alexandrien, der
am Schlüsse von dessen TlaiSayMyög steht 2) und ebenso wie die grösseren,
Hymnen des Synesios in anapästischen Monometern und Dimetern abge-J
fasst ist. f
Tiefer an poetischem Gehalt stehen die versifizierten Paraphrasen oder
Metaphrasen des Nonnos und Apollinarios. Des ersteren Übersetzung
') Krumbacher im Abriss der byzant.
Lit., unter Kirchenpoesie.
2) Schon unter den Werken des Hip-
polytos (s. § 606) werden erwähnt wdoft
8ig Tfuaccg zag ygcccpag. Das waren aber
schwerlich eigentliche Lieder zum Singen,
sondern wie Jos. Scaliger, De emend. tem-
por. p. 729 vermutet: epigrammata in omnes
Uhr OS sacros, quae sunt quasi neoio/cä et,
ut vulgo loquiintur, argumenta lihrorum,
wie solche später auch Gregor von Nazianz
verfertigte.
^) Zu beachten ist, dass derselbe in den
codd. Par. P u. Oxon. N fehlt.
1
B. Christliche Schriftsteller. 5. Christliche Dichtungen. (§626-628.) 755
des Evangeliums des h. Johannes haben wir bereits oben § 530 kennen
gelernt; Apollinarios schrieb eine Metaphrase der biblischen Psalmen in
Hexametern.^) Ähnlicher Art werden auch der Kaiserin Eudokia hexa-
metrische Metaphrasen verschiedener Partien des alten Testamentes, und
des Bischofs Basileios Gedicht von dem Leben der Märtyrin Thekla ge-
wesen sein.
627. Einen volkstümlicheren Charakter trägt das Parthenion oder der
Jungfrauengesang des Methodios von Tyrus (gest. um 312), der so an-
gelegt ist, dass in den Gesang der Vorsängerin Thekla nach jeder der
24. Strophen der Chor mit einem Refrain einfällt {vTiaxovsi). Denn das
war die Form des heiligen Gesangs der Therapeuten, wie ihn Ps. Philon
in dem Buche tisqI ßiov ^scoQrjTiHov beschreibt und wie er sich zur Zeit
des Athanasios und Chrysostomos über die christlichen Gemeinden ausge-
breitet hatte. 2) Nur hielt sich auch Methodios noch an die Regeln der alten
quantitierenden Poesie, welcher er auch das trochäische Metrum entnahm.
Denn in dem Volksmund war damals bereits die Quantität entschieden
hinter dem Accent zurückgetreten, so dass es nur der mächtige Einfluss
der altgriechischen Kunstpoesie war, der den Methodios zur Beibehaltung
des Quantitätsprinzips veranlasste.
628. Eine vollständige Umgestaltung der metrischen Form ging von
Ägypten und Syrien aus, wo sich am frühesten im Anschluss an die heb-
räische Psalmendichtung eine für den Kirchengesang bestimmte religiöse
Poesie entwickelte. Eusebios in der Kirchengeschichte 7, 2 berichtet uns
von der Psalmendichtung {tpaXf.i(ndia) eines ägyptischen Bischofs Nepos,
die im 3. Jahrhundert zur Zeit des Dionysius Alexandrinus in hohem An-
sehen stund. Durch Hippolytos, Philos. 45, 1 ist uns ein griechischer
Psalm der Naassener in freien melodischen Rhythmen erhalten, der
in hochpoetischer Sprache die Mysterien der Gnosis von dem unsteten
Wandel {TrXävrj) der Seele besingt.'^) In Syrien kam das heilige Lied zur
Blüte durch die Meloden Bar des an es (2. Jahrh.) und Ephrem (gest. 373);
von dem letzteren sind die religiösen Gesänge in syrischer Sprache uns
noch erhalten.'*) Von Bardesanes stammt vermutlich der phantasiereiche
Hymnus von den Schicksalen der Seele, welche von der himmlischen Hei-
mat herabgesandt ward, um die von der Schlange behütete Perle zu holen.
^) Ludwich, Apollinarii metaphrasis
psahnorum I IIT, im Ind. lect, Regiom,
1880; Derselbe, Die Psaltermetaphrase des
Apollinarios, Herm. 13, 335 ff u. Königsb.
Stud. I (1887) 80 ff.; Jon. Dräseke , Zur
Psalmenmetaphrase des Apollinarios, Zeitschr.
[f. wiss. Theol. XXXI (1888) 477 ff. Auch
mehrere Epigramme der Anthologie tragen
[den Namen Apollinarios.
''^) Ein alter Hymnus in Acta loannis ed.
[Zahn p. 220 enthält eine Doxologic und
leinen Bittgesang, gesungen vom Vorsänger,
■dem der Chor in den einzelnen Absätzen
[mit dfxtji' antwortet; der Schluss '1} /«'(«?
cifxrjv! erinnert lebhaft an die alten Hypor-
chemen und Threnen.
^) Christ-Paranikas, Anthologia f/raeca
carminum christianoriim p. 32; gute Ver-
besserungen dazu von Usener, Altgriech.
Vers 94. Das anapästische logaödische Vers-
mass gleicht dem eines in Athen gefundenen
Päan CIA. III, 1. 171 ^ - Hippol., Elench.
V, 6 erwähnt von den Naassenern viavoi sig
'J(f('(fX(ci' Tiojikol xal TioixiXot. Reste sind uns
in aufgelösten Formen in den Akten des
lohannes und Thomas erhalten.
^) Macke, Syrische Lieder gnostischen
Ursprungs, Tüb. theol. Quartalschr. 1874
S. 1—70.
48 =
756
Griechische Litteraturgeschichte. III. Anhang.
Derselbe ist in sechszeiligen Rhythmen gedichtet und uns nur dadurch er-
halten, dass er in die Akten des Apostels Thomas aufgenommen wurde, i)
Durch die hebräische und jüdische Poesie angeregt und durch den
Wandel der Aussprache infolge der Übermacht des expiratorischen Accentes
unterstützt, entwickelte sich gegen Ende des Altertums auch bei den christ-
lichen Gemeinden Griechenlands und des Westens eine neue Gattung rhyth-
mischer Poesie. Es vollzog sich der Umschlag von der alten, lediglich
durch die Quantität bestimmten Weise zur neuen rhythmischen, durch den
Accent regulierten Poesie auf gleiche Weise im lateinischen Abendland wie
im griechischen Morgenland. Vorangegangen sind wohl die griechischen
Meloden, aber aus dem lateinischen Altertum sind uns von dieser neuen
Liedergattung etwas mehr Reste erhalten. Aus dem Griechischen gehören
hieher der Abendgesang (vfirog eansgirog) des Gregor von Nazianz und
einige andere für die Andacht am Morgen und Abend, beim Frühstück und
der Lichtanzündung bestimmte Lieder unbekannter Verfasser.^) Der gegen
Ende des Altertums ausgestreute Samen ging zur vollen Saat erst im byzan-
tinischen Mittelalter auf, wo sich im Anschluss an die entwickeltere Liturgie
eine reiche Litteratur rhythmischer Kirchengesänge entfaltete.
Die Texte der altchristlichen Gedichte sind veröffentlicht und durch Prolegomena
erläutert von Christ-Paranikas, Änthologia graeca carminum Christian or um, Lips. 1871. —
W. Meyer, Anfang und Ursprung der lat. u. griech. rhythmischen Dichtung, Abhdl. d. b.
Ak. XVII (1885) S. 309 ff. — Bouvy, Etudes sur les origines du rhythme tonique, Nimes
1886. Näheres bei Krumbacher a. 0.
^) R. A. Lipsius, Die apokryphen Apostel-
geschichten I, 292 ff., wo auch eine metrische
Übersetzung gegeben ist.
^) Schon der jüngere Plinius 10, 96
sagt von den Christen seiner Zeit: ante
hicem convenire carmenque Christo dicere;
das werden aber vermutlich die in den
Constit. apost. I, 6 vorgeschriebenen Psalmen
gewesen sein.
Register.
Die Ziffern beziehen sich auf die Seiten; die mit * bezeichnete Seite enthält die Hauptstelle.
Abaris, Epiker 94.
Abydenos, Historiker 740.
Achäer 12 f., 14 An. 1.
Acbaios, Tragiker 236.
Achilles Tatios, Astronom 456.
Achilles Tatios, Erotiker 683.
Adamantios, Sophist 609.
Adrastos, Aristoteliker 423.
Adrianos, Sophist 606; ein
\^ jüngerer 678.
Ägyptische Geschichte 477 ;
ägyptische Religionsweis-
heit 697.
Aetios, Philosoph 590.
Aetios, Arzt 717.
Aetna 79.
Afrikanus, Arzt 717.
Afrikanus, s. Julius Afric.
AgathangeloS; Historiker 754.
Agatharchides, Geograph 487.
Agathemeros, Geograph 666.
Agathias, P]pigrainmatiker
661.
Agathodaimon, Geograph 572.
Agathokles, Grammatiker 507.
Agathen, Tragiker 236.
Agias s. Hagias.
Agon Hesiodu 71 An. 2, 75.
Agone, lyrische 105, 133; dra-
matische 166, 243; National-
spiele 149 An. 1; Agon der
Komödie 244 An, 1.
Aiantides, Tragiker 463 An. 2.
Aidesios, Sophist 668 An. 2.
Ailianos, Sophist 607.
Ailianos, Taktiker 560, 725.
Aineias, Taktiker 307.
Aineias von Gaza, Sophist
686, 748.
Ainesidemos, Skeptiker 494.
Aischines, Redner 338, 351 f.*
Aischines, Sokratiker 364.
Aischrion, lambograph 119.
Aischylos 145 An. 1, 177 ff.*;
Leben 177 ; Reise nach Siki-
lien 178; seine Erfindungen
188; Charakteristik 189, 192
An. 6; Schutzfiehende 180;
Perser 181; Sieben 182;
Prometheus 184; Orestie
185; verlorene Dramen 187;
Handschriften 190; Scholien
191.
Aisch3'los, alex. Dichter 459
An. 3, 463 An. 2.
Aisopos 121.
Aithiopis 69.
Akademie 395, 490.
Akakios 616 An, 2.
Akusilaos, Historiker 89, 278,
Albinos, Platouiker 396.
Alexamenos 372 An, 2.
Alexander von Aigai, Kom-
mentator 423.
Alexander Aitolos, Dichter
439*, 462, 466.
Alexander Aphrod. 423.
Alexander Geograph 574.
Alexander von Kotyäon, Gram-
matiker 288, 598.
Alexander, der Lügenprophet
619 f.
Alexander Lychnos, Astronom
462.
Alexander Numeniu, Rhetor
()25.
Alexander Peloplaton, Sophist
606.
Alexander Polyhistor 517,
520*.
Alexander von Trallcs, Arzt
717.
Alexandria 427, 650, 710, 723.
Alexandrinisches Zeitalter
425 ff.
Alexis, Komiker 267.
Alexion, Grammatiker 635.
Alkaios, Lyriker 127.
Alkaios, Epigrammatiker 443.
Alkaios, Komiker 266.
Alkibiades, Epiker 653 An. 4.
Alkidamas, Rhetor 331.
Alkimenes, Komiker 246.
Alkiphron, Sophist 685.
Alkmaionis 91.
Alkman 134.
Allegorie 80.
Alpheios, Epigrammatiker 527.
Alypios, Musiker 641.
Amarantes, Scholiast 453.
Ameipsias, Komiker 247.
Amelesagoras, Historiker 278.
Aminias, Dramatiker 463.
Ammianus, Epigrammatiker
527.
Ammonios, Akademiker 546.
Ammonios, Aristarcheer 516,
630 An. 2.
Ammonios, Epiker 652.
Ammonios Hermeiu, Philosoph
423, 749.
Ammonios, Lexikograph 700.
Ammonios Sakkas, Philosoph
688,
Amphikrates, Grammatiker
522 An, 2.
Amphis, Komiker 268.
Amynthianos, Historiker 155,
565*.
Anagraphai 7.
Anakreon 130.
Anakreontea 131, 528.
Ananios 119.
Anaxagoras 55, 214, 359*.
Anaxandrides, Komiker 267.
Anaxandrides, Perieget 513.
Anaxarchos, Philosoph 360
An. 3.
Anaxilas, Komiker 268.
Anaximander 278, 357.
Anaximenes, Philosoph 357,
419.
758
Register.
Anaximenes, Rhctor und Hi-
storiker 312.
Anaxippos, Komiker 272.
Andokides, Redner 31 S.
Andriskos, Historiker 474.
Andromachos, Arzt 532, 713.
Andromachos, Rhetor 668
An. 1.
Andron, Historiker 473 An. 1.
Andronikos, Epigrammatiker
663.
Andronikos, Grammatiker 239
An. 1.
Andronikos, Peripatetiker400,
414 An. 1, 422.
Androsthenes 313.
Androtion, Historiker 473.
Annubion, Astrolog 532.
Antagoras , Epigrammatiker
443, 454 An. 4.
Antandros, Historiker 470.
Antheas 239.
Anthemios, Architekt 724.
Anthologia Palatina und Pla-
nudea 444.
Antigenes 158.
Antigenes Karystios, Gram-
matiker 509.
Antigonos , Epigrammatiker
526.
Antikleides, Historiker 474.
Antimachos, Epiker 72, 94*.
Antiocbia 432, 650.
Antiochos, Epigrammatiker
527.
Antiochos, Historiker 293 An.
1, 307.
Antiochos, Grammatiker 266
An, 5.
Antiochos, Philosoph 490.
Antiochos, Sophist 606.
Antipater , Epigrammatiker
443, 526.
Antipater, Stoiker 491, 506.
Antiphanes, Epigrammatiker
526.
Antiphanes, Komiker 266.
Antiphilos, Epigrammatiker
526.
Antiphon, Redner 316.
Antiphon, Tragiker 238.
Antisthenes, Historiker 474.
Antisthenes, Philosoph 300,
331, 365, 383.
Antoninus LiberaHs, Mytho
graph 647.
Antonius Diogenes, Roman.
680.
Antonius Polemon 606.
Antonii Melissa 709.
Anyte, Dichterin 441.
Aphareus, Tragiker 238.
Aphthonios, Rhetor 626.
Apion , Grammatiker 58.
633*.
Apokryphe Schriften der Chri-
sten 730.
Apollinarios, Epigrammatiker
527, 663; christl. Dichter
653, 754 f.
Apollinarios, Kirchenvater 745.
Apollodor von Artemita, Hi-
storiker 568.
Apollodor von Athen, Gram-
matiker 485, 518*, 535,
569, 583.
Apollodor von Erythrä, Histo-
riker 474.
Apollodor, Komiker 272.
Apollodor, Mythograph 646.
Apollodor, Rhetor 623.
Apollodor Taktiker 725.
Apollonios Archibiu , Gram-
matiker 635.
Apollonios DyskolüS, Gram-
matiker 637.
Apollonios eidographos 146
An. 5, 147 An. 4.
Apollonios , Paradoxograph
609.
Apollonios von Perga, Mathe-
matiker 720.
Apollonios Rhodios, Epiker
88 456*.
Apollonios, Scholiast 353.
Apollonios, Sophist 58, Para-
doxograph 609.
Apollonios, Stoiker 506.
Apollonios von Tyana 580,
603.
Apollonios von Tyrus. Roman
684.
Apologeten 734 ff.
Apostelgeschichten 728, 731.
Apostolische Väter 732.
Appian, Historiker 560.
Apsines, Rhetor 627, 668 An. 2.
Apsyrtos, Veterinärarzt 718.
Ps. Apuleius 697.
Araros, Komiker 268.
Aratos von Soli, Dichter 455.
Aratos von Sikyon, Historiker
472.
Archagathos, Arzt 713.
Archebulos, Dichter 445 An. 4.
Archedikos, Komiker 268, 272.
Archelaos, Bischof 745.
Archelaos , Epigrammatiker
444, 609 An. 3.
Archelaos, Philosoph 358.
Archestratos, Paradoxograph
468.
Archias, Dichter 454, 527.
Archibios, Grammatiker 439.
Archilochos 109, 117*.
Archimedes , Mathematiker
719.
Archippos, Komiker 250 An. 2.
Archytas, Pythagoreer 358,
580, 719.
Areios Didymos, Philosoph
590.
Areios, Homeriker 430 An. 8.
Aretaios, Arzt 715.
Argas, Dithyrambiker 159.
Argentarius, Epigrammatiker
527.
Arion 135, 174.
Ariphron, Dithyrambiker 159.
Arische Elemente des Grie-
chischen 10 f.
Aristagoras, Komiker 248.
Aristainetos, Erotiker 685.
Aristarch, Astronom 721.
Aristarch, Grammatiker 29,
56. 77, 89, 155,264, 515*.
Aristarcheer 516.
Aristarch, Dramatiker 235.
Aristeas von Prokonnesos 92.
Aristias, Tragiker 176.
Aristides, Apologet 734.
Aristides von Milet 680.
Aristides Quintilianus, Musi-
ker 640.
Aristides, Rhetor 597 ff. ; seine
theoretische Schrift 598;
Reden 598; Charakteristik
600; Schollen 601.
Aristippos, Philosoph 366.
Arsenios 709.
Aristobulos, Historiker 312,
558.
Aristobulos, jüdischer Peripa-
tetiker 430, 543.
Aristodemos, Aristarcheer 516.
Aristodemos , Grammatiker
698 An. 7.
Aristodemos, Historiker 664.
Aristokles, Grammatiker 521,
609 An. 3.
Aristokles, Sophist 606.
Aristomenes, Komiker 248.
Ariston, Historiker 486 An. 3.,
Ariston, Philosoph 491.
Ariston, Tragiker 235.
Aristonikos, Grammatiker 57,j
89.
Aristonymos, Komiker 248.
Aristophanes, Komiker 248 ff.;
Leben 248 ; Werke 250 ; Cha-
rakteristik 261 ff. ; Acharner
251 ; Ritter 2r)l ; Wolken 253
Wespen 254; Frieden 255
Vögel 255; Lysistrate 256
Thesmophoriazusen 257
Ekklesiazusen 258 ; Frösche
259; Plutos260; Fragmente
261 ; Handschriften u. Sclio-
lien 264.
Aristophanes von Byzanz,
Grammatiker 56, 87, 89,
155, 173 An. 4, 212, 234,
264, 373 An. 2, 392 An. 2,
513*.
Aristophanes, Historiker 474.
Register.
759
Aristoteles 40 An. 1, 56, 160
An. 1, 397 ff.*; Leben 397;
Kataloge seiner Schriften
399; exoterische Schriften
399, 401; Dialoge 401;
Akroaseis oder Pragmateiai
402; Logik 404; Naturlehre
405; Metaphysik 410; Ethik
412; Politik 414; Poetik
417; Rhetorik 418; gram-
matisch - litterarhistorische
Schriften 402 ; Gedichte 400
An. 9 ; unechte Schriften
400 An. 8, 408, 422; de
mundo 408; Problemata 409;
de causis 694 An, ö; Ari-
stoteles im Mittelalter 422,
683 An. 5, 691; Briefe 400
An. 10; Gesamtcharakter
419; Stil 403, 420; Schule
des Arist. 421 : Kommentare
des Arist. 420 f.
Aristoteles, Epigrammatiker
400 An. 9, 527.
Aristoteles, Historiker 474.
Aristoxenos, lambograph 240
An. 6.
Aristoxenos, Musiker 503.
Arkadios, Grammatiker 699.
Arkesilaos, Akademiker 490.
Arktinos, Epiker 68 An. 3,
69, 70, 71.
Armenische Geschichte 753 f.
Arrian 533 ff.; philosophische
Schriften 558 ; Anabasis -^58 ;
Periplus des Pontus und des
roten Meeres 559; Taktik
559.
Arrianos, Historiker 557 ff.
Arsenios vonMonembasia708.
Artemidor, Geograph 487, 576
An. 5.
Artemidor, Grammatiker 450,
514.
Artemidor, der Traumdeuter
610.
Artemon von Pergamon, Gram-
matiker 517, 706.
Asios, Epiker 91.
Asklepiades, Arzt 713.
Asklepiades, Epigrammatiker
442.
Asklepiades Myrleanus, Gram-
matiker 264, 517*.
Asklepiades Tragilensis 173
An. 4, 312.
Asklepiodotos, Taktiker 485,
559, 725.
Aspasios, Scholiast 353, 423.
Astrampsychos 610, 661.
Astrologen 661.
Astronomen 718 ff.
Astydamas, llhotor u. Tragiker
238.
Athanas, Historiker 309.
Athanasios, Kirchenvater 745
Athen 4, 111, 162, 489, 650
attische Lyriker 156 ff.
attische Redner 316 ff.
attische Philosophie 360 ff.,
489.
Athenagoras, Apologet 735.
Athenaios, Sophist 610.
Athenaios, Taktiker 725.
Athenodoros, Grammatiker 53
An. 3, 485 An. 6, 506.
Attalos, Grammatiker 456.
Atthis, Dialekt. 13, 273
An. 3.
Atthis, ein Epos 92.
Atthidenschreiber 472.
Attikisten 641 ff.
M. Aurelius, Kaiser u. Philo-
soph 584.
Autolykos, Mathematiker 719.
Automatentheater 464.
Automedai , Epigrammatiker
526.
Babrios, Fabeldichter 530.
Bakcheios, Musiker 641.
Bakchylides 140.
Bardesanes, christl. Dichter
755.
BartholomaeusMessanius. Ari-
stoteliker 423.
Basileios, Kirchenvater 741;
christl. Dichter 653, 755.
Basileios, Lyriker 131.
Baten, Komiker 272.
Batrachomyomachie 65.
Beredsamkeit 312 ff. '
Berosos, Historiker 476.
Berytos 650.
Bianor, Epigrammatiker 526.
Bias 112.
Bibelübersetzung 430.
Bibliothek des Peisistratos 54;
zu Alexandria 428; zu Per-
gamum 431; zu Rom 524;
zu Konstantinopel 648.
Biographien 8.
Biologen 529.
Bion, Bukoliker 453.
Bion Borysthenites 467, 489,
584.
Biton, Taktiker 725.
Blaisos, Komiker 465.
Boethos, Kommentator 396,
423.
Boios, Lehrdichtcr 462, 647.
Bolos, Arzt 718.
Brauron's Rapsodenagone 52,
63 An. 6.
Briefe 685 f.; philosophische
58 L
Brontinos, Orphiker 95, 658.
Bryson, Sophist 362.
Bücher 50, 276; Buchhandel
332.
Bukolische Poesie 445 ff. ;
bukolische Romane 684.
Cäcilius von Kaiakte, Rhetor
542, 703.
Cäsarea 650.
Calvisius Taurus, Platoniker
396.
Candidus, Historiker 665.
Cassianus Bassus, Geoponiker
718.
Cassius Dio, Historiker 561.
CatuU 437, 454 An. 4.
Celsus, Philosoph 583, 620
An. 1.
Chairemon, Stoiker 545.
Chairemon, Tragiker 238.
Chairis, Grammatiker 516.
Chalcidius, Platoniker 396.
Chamaileon, Peripatetiker 239
An. 1, 267, 501*.
Charax, Grammatiker 700.
Charax, Historiker 565.
Chares , Grammatiker 458
An. 5.
Chares, Historiker 312.
Chariten 11, 83 An. 1.
Chariten, Romantiker 683.
Charon, Historiker 278,
Cheironis praecepta 88.
Chersias 91.
Chilon 112.
Chionides, Komiker 245.
Choirilos von lasos 93, 454.
Choirilos von Samos 93.
Choirilos der Tragiker 176.
Choiroboskos , Grammatiker
520, 625 An. 6, 640, 699*.
Chor 168 f, 198.
Chorgesang 123, 133, 200,
233.
Chorikios, Sophist 678.
Chorische Lyrik 123 f., 133 ff.
Chorizonten 28.
Chrestomalhien 705 ff.
Chrien 464, 625.
Christus 544, 581, 603; Chri-
stentum 651, 687, 693, 695;
christliche Schriftsteller 726
ff. ; christliche Philosophie
743 ; christliche Poesie 754ff.
Christodoros , Epiker 652;
Epigrammatiker 662.
Chroniken 274.
Chronicum Parium 476.
Chronikum paschale 752.
Chrysippos, Stoiker 155, 491,
497, 506, 608.
Chrysothemis 102, 104.
Cicero 486. 498.
Clauilian, Epiker 652, 658.
Claudius Didymus 635.
Clemens Romanus 732.
Clemens Alexandrinus 736,
754.
760
Register.
Cornutus, Stoiker 583.
Cresceiitius, Philosoph 734.
Daimachos , Geograph 478
An. 1.
Damaskios, Philosoph 495.
Damastes G, 280.
Damocharis, Epigrammatiker
663.
Damokrates, Arzt 713.
Damophile 130 An. 3.
Damoxenos, Komiker 272.
Danais 73.
Daphidas, Grammatiker 596
An. 3.
Dares und Diktys 634.
David der Armenier, Kom-
mentator 423.
Deikelisten 239.
Deimon, Historiker 312.
Deinarchos, Redner 296 An. 2,
354*.
Deinias, Historiker 474.
Deinolochos, Komiker 240.
Deiochos, Historiker 278.
Deipnographen 468, 612.
Delphi's Wettkämpfe 103, 105,
133.
Demades, Redner 355.
Demetrios von Byzanz, Hi-
storiker 469.
Demetrios Ixion, Grammatiker
517.
Demetrios, jüd. Historiker
505, 543.
Demetrios Magnes, Gramma-
tiker 520.
Demetrios von Phaleron 112
An. 6, 122, 504*.
Demetrios von Skepsis 475.
Demochares, Redner 355.
Demodokos, Elegiker 112.
Demodokos, Epigrammatiker
443.
Demodokos, epischer Sänger
21.
Demokies, Historiker 278.
Demokrates, Philosoph 579.
Demokrit 55, 360.
Demon, Historiker 473.
Demophilos, Philosoph 579.
Demophilos, Historiker 309.
Demophilos, Komiker 272.
Demosthenes 332 ff.; Leben
333; harpalischer Handel
und Tod 342; rednerische
Kunst 342; Charakter 346 ;
Werke 347; Privatreden
334, 348; Reden in öffent-
licher Sache 334 f., Lep-
tinea 335, 599; Volksreden
336; philippische Reden
337 ff. ; gegen Aischines 338 ;
Kranzrede 340; epideikti-
sehe Reden 347; Reden
gegen Aristogeiton 347
Prooimia 347; Briefe 347
eingelegte Urkunden 349
Attikusausg. 350; Scholien
350.
Demosthenes, Dichter 454
An. 5.
Demostratos, Naturforscher
608.
Derkyllides 373 An. 2.
Deus ex machina 230.
Dexippos, Historiker 565.
Dexippos, Philosoph 565.
Diadochai der Philosophen-
schulen 589.
Diagoras 158.
Dialekte der Griechen 12 ff.,
273; Dialekt Homers 44 f.;
Hesiods 80; der Elegiker
108; der Lyriker 133; der
Tragiker 161 An. 1 ; ioni-
scher Dialekt der älteren
Prosa 273; attischer Dialekt
273 An. 3; keine dial. 484.
Dialektik 362.
Dialoge philosophische 372,
satirische 615.
Dichterpreise 157 An. 6, 170
An. 2.
Didaktische Poesie 79, 454,
532, medizinische 713.
Didaskalien 170.
Didymos Areios 396.
Didymos Chalkenteros, Gram-
matiker 57, 89, 191, 212,
234, 264, 295, 349, 521*, 645.
Didymus Claudius, Gramma-
tiker 635.
Didymos, Musiker 641.
DieuchidaS; Historiker 53 An.
1. 474.
Digamma 39, 45, 50, 62 An.
7, 78 An. 1,
Dikaiarchos 173 An. 4, 234,
264, 501*.
Dikaiogenes, Tragiker 238.
Diktys Cretensis 634, 680.
Dio Cassius, Historiker 561.
Dio Chrysostomus 594.
Diodor, Arzt 717.
Diodor, Historiker 533 ff.
Diodor, Grammatiker u. Epi-
grammatiker 515, 526, 642.
Diodoros, Epiker 71 An. 1.
Diodor, Perieget 512.
Diodotos. Historiker 312.
Diogenes, Roman. 680.
Diogenes von Apollonia, Phi-
losoph 359.
Diogenes Babylonios, Philo-
soph 491.
Diogenes lambos, Gramma-
tiker 513 An. 3.
Diogenes Laertios, Philosoph
527, 588*.
Diogenes von Sinope 214 An.
4, 238, 365.^ _
Diogenianos, Epigrammatiker
527.
Diogenianos, Epikureer 499.
Diogenianos , Lexikograph
633, 645, 702.
Diokles, Historiker 479, 589.
Dioraedes, Scholiast 520.
Diomos, Bukoliker 446.
Dionysiadas, Tragiker 462.
Dionysien 166 f.; dionysische
Künstler 465.
Dionysios Areiopagites 749.
Dionysios, Attikist 636.
Dionysios Chalkus 116.
Dionysios von Chalkis, Hi-
storiker 474.
Dionysios, Christ 738.
Dionysios, Dichter 528, 532.
Dionysios, Geograph 502, 574.
Dionysios von Halik. 538;
römische Archäologie 538 f. ;
rhetorische Schriften 539 ff. ;
über Demosthenes 349, 541
f. ; angeblich Verfasser der
Schrift vom Erhabenen 630.
Dionysios von Halik., Mu-
siker und Grammatiker 636.
Dionysios lambos 513 An. 3.
Dionysios von Kalliphon 502.
Dionysios, Kyklograph 67, 537.
Dionysios von Milet, Histori-
ker 278.
Dionysios von Milet, Sophist
606.
Dionysios, der Perieget 573.
Dionysios von Phaseiis, Gram-
matiker 522.
Dionysios, Scholiast des Eur.
234, 698.
Dionysios Sidonios, Gramma-
tiker 516.
Dionysios, Tyrann von Syra-
kus 238.
Dionysios Thrax, Grammati-
ker 519.
Dionysodoros, Grammatiker'
516.
Dionysodotos 134 An. 3.
Dionysos 161 ; Dionysien 166j
f.; dionysische Künstler 465,1
Diophantos . Mathematiker
723.
Dios, Historiker 545.
Dioskorides, Arzt 712, 713*.
Dioskorides, Epigrammatiker
443.
Dioskorides, Grammatiker 58.
Diotimos, Epigrammatiker
443.
Diphilos, Epiker 92.
Diphilos, Komiker 271.
Dithyrambus 125; jüngerer
156.
Register.
761
Diyllos, Historiker 281 An. 5,
471*.
Doiier 13.
Dorotheos, Tragiker 463, Lehr-
dichter 532.
Dorotheos, Grammatiker 635.
Dorotheos, Kirchenhistoriker
753.
Dosiadas, Dichter 445 An. 2.
Dositheos, Grammatiker 644.
Doxographen 590.
Doxopatres, Rhetor 627.
Drakon, Metriker 155, 640.
Drama 3, 5, 160 ff, 528 ff.;
Arten des Dramas 162;
Teile des Dramas 170; Lese-
dramen 237; Dramata tra-
gika 146 An. 5, 174 An. 3.
Duris, Historiker 173 An. 4,
469*.
Echembrotos 104, 105.
Eirenaios, Apologet 735.
Eirenaios (Pacatus) , Gram-
matiker 642.
Ekphantidas, Komiker 245.
Elegie 107 ff.; Ursprung des
Namens 108; Vortragsweise
108; in ionischem Dialekt
108; Arten der Elegie 109;
bei den Alexandrinern 433 ff.
Embateria 110.
Empedokles 97, 359.
Enkomien 126.
enkyklisch 66.
Epaphrodotos, Grammatiker
^ 439, 544, 584 An. 2, 635.
Epeisodien 172.
Ephippos, Komiker 268.
Ephoros, Historiker 309; be-
nützt von Diodor 535, von
Aristides 599.
Ephrem, christl. Dichter 755.
Epicharmos 240.
Epigenes, Grammatiker 19.
Epigenes, Tragiker 174.
Epigonoi 72.
Epigramm 441, 525, 661; vgl.
Anthologie.
Epiktet, Philosoph 584.
Epikur 497, 493; Epikureer
492.
Epimenides 95, 457 An. 5.
Epinikien 148.
Epinikos, Komiker 272.
Epiphanios, Kirchenvater
745 f.
Epithelamien 124.
Epos 3, lOff., 454ff., 652 ff.;
Heldenepos (heroisches Ep.)
21; Kunstepos 92; genea-
logisches 89 f.
EpischerKyklos 66 ff. ;demHo-
merzugeschrioben 27, 28, 66.
l^jiasistratos, Arzt 713.
Eratosthenes, Grammatiker u.
Geograph 507*, 647.
Eratosthenes, Scholiast 453,
698.
Erinna 132.
Eros 83 An. 1.
Erotianos, Arzt 712.
Erjkios, Epigrammatiker 527.
Etymologika 701.
Evangelien 727 f.
Euboios, parodischer Dichter
468.
Eubulos, Komiker 268.
Eudaimon, Grammatiker 699.
Eudemos, Historiker 278.
Eudemos, Lexikograph 703.
Eudemos, Philosoph 412 An.
4, 422.
Eudokia, Kaiserin 652, 755;
Ps. Eudokia 704.
Eudoxos, Astronom 719.
Eudoxos, Historiker u. Geo-
graph 486, 604.
Eudoxos, Komiker 272.
Euenos, Elegiker 116.
Euenos, Epigrammatiker 526.
Eugammon, Epiker 72.
Eugenios, Grammatiker 699,
703.
Eugeon, Historiker 278.
Euhemeros, Mythograph 475,
534, 646.
Eukleides, Mathematiker 719.
Eukleides, Philosoph 365.
Eukles, Dithyramb. 159.
Eumelos, Epiker 68 An. 3,
71 An. 5, 90*.
Eumenes, Historiker 312.
Eumolpos 18.
Eunapios, Sophist u. Histo-
riker 664, 668.
Euphanes 150 An. 6.
Euphantos, Tragiker 463 An. 2.
Euphorien, alex. Dichter 460.
Euphorien, Tragiker 235.
Euphron, Komiker 272.
Euphronios, Tragiker 403
An. 2.
Eupolemos, jüd. Historiker
543.
Eupolis, Komiker 246.
Euripides 213 ff.; Leben 213;
philosophische Studien 214;
Familienleben 215; Kunst
des Dichters 230; Werke
216; zeitliche Foke 218;
Hippolytos 220, 682; Iphi-
genia Taur. 221 ; Iphig.
Aul. 227; Medea219; Phö-
nissen 223; Alkestis 224;
Andromache 225; Bacchae
225; Cyclops 228; Electra
225; Hecuba 225; Helena
226; Heraclidae 226; He-
racles 227; Ion 228; Ore-
stes 228; Rhesus 229; Sup-
plices 227; Troades 229;
Fragmente 230; Hand-
schriften u. Scholien 234.
Euripides der Jüngere 235.
Eusebios, Epiker 652.
Eusebios, Kirchenvater 6,603,
739*, 752.
Eusebios, Philosoph 579, 668
An. 2.
Eustathios, Kommentator 60.
Eustathios, Historiker 665.
Elustratios, Kommentator 423.
Euteknios, Grammatiker 461.
Euthydemos, Sophist 362, 382.
Eutokios, Mathematiker 720.
Exodos 171.
Ezechiel, Dichter 464.
Fabel 120, 530; milesische
Fabeln 680.
Fabricius 8,
Faustus Byzantinus, Histori-
ker 754.
Favorinus, Sophist 585*, 589,
612; korinthische Rede 595
An 6.
Figurenlehre 624.
Flaccius Africanus 681 An. 1.
Flöten 100.
Fremde Einffüsse in griech.
Litt. 11 f., 101.
Fronte, Epigrammatiker 527.
Galenos, Arzt 611, 715*; un-
echte Schriften 587.
Galenos Diakonos 89.
Gaudentius, Musiker 641.
Gaza 650.
Geminus, Astronom 456, 722*.
Geminus, Epigrammatiker 527.
Genethlios, Rhetor 628, 668.
Geographen 312, 486 ff., 567
ff., 666 ff.
Geoponiker 718.
Georgios Choiroboskos 699.
Georgios Diairetes, Rhetor 627.
Gephyrismoi 243.
Germanicus, Epigrammatiker
527.
Gesetze 275; von Gortyn 275.
Gitiades 134 An. 3.
Glaukos (Glaukon) 6, 55, 280.
Gnostiker 690 An. 1, 691 An.
3, 743*, 755.
Goethe 70.
Gorgias 97 An. 3, 315*, 329
An. 2, 361. 381, 604.
Gorgias der Jüngere, Rhetor
624.
Gorgos, Dichter 439.
Gortynische Gesetzestafeln
275.
Grammatiker 499 ff., 630 ff.,
697 ff.
762
Register.
Gregoras, Musiker 573.
Gregorios von Korinth, Gram-
matiker 627.
Gregorios von Nazianz 741 f.,
754, 755.
Gregorios von Nyssa 741.
Hadrian, der Kaiser 527, 591
An. 1.
Hadiianos, Sophist, s. Adria-
nos.
Hagias (Agias). Epiker 71.
Hanno, Geograph 486.
Harpokration, Grammatiker
298 An. 2, 642.
Harpokration, Platoniker 396.
Hedyle, Dichterin 442.
Hedylos, Egigrammatiker 443.
Hegeiochos, Schauspieler 234
An. 1.
Hegemon aus Alex., Epiker
454.
Hegemon aus Thasos, Komi-
ker 248.
Hegesander, Perieget 513.
Hegesianax, Historiker 474.
Hegesias, Philosoph 366.
Hegesias, Rhetor 623.
Hegesinos, Epiker 69, 92.
Hegesippos, Komiker 272.
Hegesippos, Redner 339, 355.
Hegesippos, Kirchenhistoriker
751.
Hekataios von Milet 277, 282
An. 6.
Hekataios von Abdera, Histo-
riker 477, 609 An. 3.
Helikonios, Historiker 664,
703 An. 3.
Heliodor, Dichter 532.
Heliodor, Erotiker 681.
Heliodor, Grammatiker 60 An.
4, 520, 634*, 699.
Heliodor, Motriker 264, 634.
Heliodor, Perieget 512.
Helladios, Lexikograph 703,
706.
Hellanikos, Dithyrambiker
159.
Hellanikos, Grammatiker 28,
507.
Hellanikos, Historiker 279.
Hellenen. Panhellenen 12.
Hephästion, Astronom 723.
Hephästion, Metriker 639 f.;
Scholien 640.
Herakleia 92.
Herakleon, Grammatiker 635.
Herakleides, Historiker 469.
Herakleides Kretikos 502.
Herakleides Lembos, Gram-
matiker 501, 589.
Herakleides Milesios 635.
Herakleides Pontikos, Philo-
soph 176 An. 4, 500*, 721
An. 1.
Herakleides Pontikos der Jün-
gere 528.
Herakleides aus Tarcnt 612.
Herakleitos, Philosoph 357.
Herakleitos, Mythograph 58,
647.
Herennios Philon, Grammati-
ker 635, 700.
Herennios, Neuplatoniker 696.
Hermagoras, Rhetor 623.
Hermas' Poimen 732.
Hermeias, lambograph 119.
Hermeias, Neuplatoniker 396,
423.
Hermeias, christlicher Philo-
soph 745.
Hermes Trismegistos 697.
Hermesianax, Elegiker 435.
Hermippos, Komiker 119, 246.
Hermippos aus Berytos, Gram-
matiker 636.
Hermippos der Kallimacheer,
Grammatiker 400, 439, 511.
Hermodoros, Epigrammatiker
444.
Hermodoros, Platoniker 374
An. 1.
Hermogenes, Rhetor 626*;
sein Verhältnis zu Aristides
598 An. 2; Scholien 627.
Hermolaos, Geograph 667.
Herodes Attikos, Sophist 606.
Herodas (Herondas) 119.
Herodian, Grammatiker 58,
637*.
Herodian, Historiker 563.
Herodian, Rhetor 625.
Herodikos, Grammatiker 239
An. 1, 264, 517.
Herodoros, Historiker 280.
Herodot, Historiker 193, 280
ff.*; Leben 280 f.; Reisen
282; Geschichtswerk 283;
Sprache 285 : historische
Treue 287; Scholien 288;
Leben Homers 26 An. 3.
Herodotos Lykios, Scholiast
713.
Heron , Mathematiker 464,
721*.
Heron, Scholiast 288, 295.
Herondas, lambograph 465.
Herophilos, Arzt 713.
Hesiod 74ff. ; Lebenszeit 77;
hesiodischer Charakter 79
f.; Dialekt 80; strophische
Anordnung 80 An. 3; Erga
81; 649:76; Theogonie82;
V. 820 80:79; Eöen und
Katalog 85; Schild 87; son-
stige Werke 87 f.
Hestiäa 475.
Hesychios Illustrius aus Milet
6, 702.
Hesychios, Lexikograph 702.
Hexameter 15, 18, 20.
Hieratische Poesie 16 ff.
Hierax 102.
Hierokles Gegner der Christen
603.
Hierokles, Philosoph 580,
695*.
Hierokles, Grammatiker 708.
Hieronymos , Kirchenvater
739.
Hieronymos von Kardia, Hi-
storiker 469.
Hieronymos der Rhodier, Hi-
storiker 472.
Himerios, Sophist 673.
Hipparchos der Pisistr. 53^
115, 391.
Hipparchos, Astronom 456,
487, 721*.
Hipparchos, Komiker 272.
Hippias, Sophist 55, 280, 361,
378, 391.
Hippys Logograph 280.
Hippiatrika 718.
Hippobotos, Philosoph 589.
Hippodamos. Architekt 414.
Hippodromos, Sophist 606.
Hippokrates, Arzt 66 An. 2,
313, 711*; Scholien 733.
Hippolytus Romanus 735, 754.
Hippolytus aus Ägypten 753.
Hippon, Philosoph 357 An. 3.
Hipponax 119.
Hippostratos, Historiker 566.
Hippys, Historiker 280.
Historiker 276 ff., 468 ff.,
533 ff., 468 ff.; Kirchen-
historiker 751 ff.
Homer23ff.;IIias23f ,37f.;
i? 459: 47; E 628—98: 34;
Z 119-236: 34; N 656:
35; y 75-380: 41; #245:
35; Schiffskatalog 42 f., 49,
53 An. 4; Odyssee 24 f.,
37 f., 40, 48; ^ 374-90:
36 An. 2; tu 88: 43; Ein-
teilung in Bücher 24, 26,
32, 57; Hymnen 61; Paig-
nia 64; epischer Kyklos 66;
Person des Homer 26 f.;
Name 28; Heimat 27, 45 f.;
Zeit 27, 41 f.; homerische
Frage 28 ff.; Probleme der
homerischen Frage 31 ff.; ||
homerischer Dialekt 14,
44 f.; Kunst des Homer
39 f.; Nichtgebrauch der
Schrift 49 f ; Niederschrift
53 f.; Homerschulen 51 f.;
Homerstudien 54 ff.; Ein- i
fluss des Homer 55 ; lyrische p i
Elemente in seiner Poesie
98 ; Scholien zu Homer 59 f.;
Paraphrasen 60.
4
Register.
763
Homeriden 27 An. 4, 51 ff.
Homerische Hymnen 61 ff.
Homerische Epigramme 64.
Homerus latinus 60.
Homeros, Tragiker 472.
Homeriden 51.
Horatius 125 An. 6, 127, 131
An. 1, 3, 153 An. 8, 236,
241, 247 An. 1, 439, 468
An. 3, 489, An. 2.
Hymnus 11, 124; homerische
Hymnen 61 ff.; orphische
Hymnen 658, 659; christ-
liche Hymnen 754 ff.
Hypatia 724.
Hypereides, Redner 358.
Hyporrhem 104, 126, 172.
Hypotheseis 7.
Hypsikles, Mathematiker 719,
720*.
Hypsikrates , Historiker 568
An. 6.
lalemoi 126.
Jambische Poesie 116 ff.
lamblichos. Erotiker 681.
lamblichos, Neuplatoniker
693*, 722 f.
Limbulos, Historiker 609 An. 3.
Ibykos 137.
Idaios 65 An. 2.
Idomeneus, Historiker 498
An. 5.
Idyll 446.
Ignatius Dioskorides 122.
Ilias 23.
Ilias mikra 23, 70*.
Iliupersis 70, 103 An. 9, 136
An. 6.
Joannes Antiochenus, Histo-
riker 564.
Joannes Charax. Gram.matiker
700.
Joannes Chrysostomos 742.
Joannes Damaskenos 708.
Joannes Evangelist 729.
Joannes von Gaza , Dichter
663.
Joannes Lydos, Antiquar 665.
Joannes Philoponos 423, 700*,
745, 749.
Joannes Stobäus 707.
Jon, Tragiker 235, 659.
lonier 13, 16 An. 1; ionische
Philosophen 357; ionische
Verse 466.
lophon 194 f., 235.
Josephos, Historiker 543 ff.
Isagoras, Sophist 529.
Jsaios, Redner 324.
Jsaios, Sophist 606.
Jsidoros, Geograph 574.
Jsogonos, Paradoxograph 609.
Isokrates 325 ff. ; Leben 325 ;
Schule 326; Techno 327;
Reden 327; Briefe 330;
Stil 330.
Istros aus Kyrene, Gramma-
tiker 510. '
Istros aus Kallatis 173 An.
4, 511.
Jsyllos, Lyriker 439.
luba, Grammatiker 569 An.
2, 631*.
Juden 430, 536, 568 An. 7;
jüdische Historiker 543.
lui'ia Balbilla, Dichterin 527.
lulianus Apostata 674.
lulianus, Epigrammatiker 131
An. 5, 663.
Sext. lulius Africanus 718,
725, 740, 751 *.
lulius Pollux, s. Pollux.
Julius Polyän, Epigrammatiker
527.,
lulius Vestinus. Grammatiker
642.
lustinus Martyr 734.
lustus von Tiberias, Historiker
545.
Kadmos von Milet 277.
Kallias, Dramatiker 247.
Kallias, Historiker 470.
Kallimachos , Elegiker und
Grammatiker 66, 73, 435
ff.*; Pinakes 436; Elegien
436 f.; Hekale 436; Hym-
nen 437.
Kallinos, Elegiker 109.
Kallinos, Rhetor 668 An. 1.
Kallippos, Astronom 719.
KaJIisthenes, Historiker 312;
Ps. Kallisthenes 683.
ICallistos, Epiker 652.
Kallistratos, Grammatiker 57,
264, 514.
Kallistratos, Komiker 250.
Kallistratos, Sophist 606.
Kallixenos, Perieget 512.
Kanon der Alexandriner 7,
429; der Redner 316; der
Sophisten 594; des neuen
Testaments 730.
Karer 12.
Karkinos, Epiker 89.
Karkinos, Tragiker 236, 238.
Karneades. Philosoph 490.
I^arneen 102.
Kastor, Rhetor 350, 485, 679.
Kastorion aus Soloi 455 An. 2.
Kataloge 7.
Kebes, J'hilosoph 499.
Kephalion , Historiker 474,
565.
Kephisodoros, Historiker 312.
Kerkops. Epiker 88, 89 An. 1,
95, 659.
Kerkopes, Epos 65.
Kerkidas 119.
Kinadenpocsie 466.
Iünaithon71 An. 1, 73, 91*, 92.
Kineas, Historiker 308, 474.
Kinesias 158.
Kirchenväter 733 ff.
Kithara 99.
Kleainetos, Tragiker 238, 463
An. 2.
K^leanthes, Stoiker 439, 491,
497.
Klearchos, Peripatetiker 504.
Kleisthenes , Tragiker 463
An. 2.
KJeitarchos, Historiker 312.
KJeitarchos, Geograph 667.
Kleitodemos, Historiker 473.
Jüeobulos 112.
Kleobulina 112.
Kleomedes, Mathematiker 722.
Kleomenes , Dithyrambiker
159.
Klonas 103.
Kokondrios, Rhetor 625 An. 6.
Kolluthos, Epileer 657.
K^olotes, Epikureer 377 An. 2,
493, 551.
Kommentatoren des Piaton
396 ; des Aristoteles 423.
IComödie 162, 239 ff.*; atti-
sche Komödie 242.; mittlere
Komödie 264 ff.: neuere
Komödie 268 ff.
Konnis 122.
Konon, Mythograph 92, 647.
Konstanlinopel 648.
Konstantinos Kephalas 444.
Konstantinos Porphyrogenne-
tos 7, 481 f., 718.
J^orax, Rhetor 314.
Korinna 132, 143.
J^orinth 90.
Krantor, Philosoph 395, 552.
Krateros, Epigraphiker 476.
Krates, Grammatiker 57, 516*.
Krates, Komiker 246.
Karates, Jvyniker 116, 238,
467, 494*.
Krateuas, Arzt 714,
Kratinos, Komiker 245.
Kratippos 291 An. 5 u. 6.
Kratylos, Herakliteer 382.
Kreophylos 46, 73, 93.
Kreta 104.
K^retische Tänze 104.
Jvrinagoras , Epiarammatiker
52().
Kritias 116, 238, 305.
K^ritische Zeichen 56 An. 6.
Ktesias, Historiicer 307.
JCybissos 120 An. 6.
Kykliker, s. epischer Kyklos.
Kyklographcn 67.
Kynaithos 52, 63.
Kyniker 493.
Ivypria 66 Au. 2, 68*.
764
Register.
Kypseloskasten 42, 90.
Kyranides 697.
Kyrillos, Bischof 677, 745.
Kyrillos Lexikograph 705.
Kyros, Epiker 657.
Lachares, Rhetor 350, 679*.
Laertius, s. Diogenes Laert.
Lamprias' Katalog des TJu-
tarch 547.
Lasos von Hermione 143,
157*.
Legenden, christliche 753.
Lehrgedicht, s. didaktische
Poesie.
Lehrstühle 592.
Lenäen 167 An. 1.
Leodamas, Redner 356.
Leon der Akademiker 391
An. 1, 604, 621.
Leon aus Byzanz, Historiker
474.
Leonidas , Epigrammatiker
443, 527, 533 An. 2.
Leontios, Astronom 456.
Leontios, Epigrammatiker 663.
Leontios, Mönch 746.
Lesbonax, Rhetor 594, 625
An. 5, 685.
Lesches, Epiker 71.
Leschides, Epiker 454.
Lesedramen 237.
Leukios Charinos 732.
Leukippos, Philosoph 360.
Leukon, Komiker 248.
Lexikographen 641 fF., 700 ff.
Libanios, Sophist 350, 668*,
675, 677.
Likymnios 159.
Linos 18.
Listen der Sieger und Prie-
sterinnen 274; der Apostel
und Jünger 753.
Litteratur 1 ; Gattungen der
Litteratur 2 ; litterarhisto-
risehe Vorarbeiten 6 f.
Lobon, Grammatiker 112 An.
7, 589 An. 3.
Logographen 276 ff.
Lollianus, Sophist 606.
Lollius Bassus , Epigramma-
tiker 527.
Longin, Rhetor 58 An. 8, 628*,
640, 703.
Longus, Erotiker 684.
Lukas, Evangelist 728.
I^ukian 613 ff. ; Deklamationen
616; Dialoge 617; Briefe
619; Romane 620; unechte
Schriften 620; Gedichte
527, 616; Charakteristik
621; Scholien 623.
Lucilius, ]i]pigrammatiker 527.
Lukillos Tarrhaios, Scholiast
459, 645.
Lucius von Paträ 620.
Lucrez 97.
Lupercus, Attikist 703.
Lydos, s. Joannes Lydos.
Lykon, Peripatetiker 490.
Lykophron, alex. Dichter 460,
462, 463*.
Lykophronides 159.
Lykos, Historiker 474, 609
An. 3.
Lykurgos, Gesetzgeber 52.
Lykurgos, Redner 179, 350*.
Lynkeus, Komiker 272.
Lvra 99.
Lyrik 3, 98 ff.; Arten der
Lyrik 98; Melik und Chor-
gesang 123; Arten der ly-
rischen Gedichte 122 ff.
Lysias, Redner 319 ff ; Leben
319; Thätigkeit als Redner
321; Reden 322.
Lysimachos, Grammatiker 67,
71 An. 1.
Lysimachos, Historiker 543
Anm. 3.
Lysippos, Komiker 248.
Machon, Komiker 464.
Magnes, Komiker 245.
Maiandrios, Historiker 474.
Maison, kom. Person 240.
Makedonios, Epigrammatiker
663.
Makedonios, Päanendichter
528.
Malchos, Historiker 665.
Manetho, Astrolog 532, 661.
Manetho, Historiker 477.
Marcellus, Arztu. Dichter 532.
Marcianus, Geograph 666.
Margites 64.
Marianos, Grammatiker und
Dichter 439, 458, 663.
Marines, Geograph 572.
Marines, Neuplatoniker 694
An. 2, 695.
Markellinos, Rhetor 289 An.
1, 627.
Marcellus, Arzt 532, 713.
Markus, Evangelist 728.
Marmor Parium 476.
Marsyas, Historiker 312, 472.
Martyrologien 753.
Mathematiker 718 ff.
Matron, Parod. 468.
Matthäus, Evangelist 728.
Maximus, Astrolog 532, 661.
Maximus Confessor 709.
Maximus, Sophist 668 An. 2,
675 An. 1, 677.
Maximus Tyrius, Sophist 586.
Mediziner 711 ff.
Megasthenes, Historiker 478.
Melampus, Grammatiker 520.
Melanippides 158.
Melanopus 18 An. 7, 75 An. 2.
Melanthios, Tragiker 235.
Melcagros, Kyniker und Epi-
grammatiker 441, 444.
Melesermos, Sophist 609 An.
1, 685.
Meletos 238.
Melik 122 f., 127 ff.
Melinno, Dichterin 445.
Melissos 193 An. 6, 359.
Meliton, Historiker 473 An. 3.
Memnon, Historiker 566.
Memoirenschreiber 472.
Menaichmos, Historiker 474.
Menander, Historiker 545.
Menander, Komiker 269.
Menander. Rhetor 350, 628*.
Menedemos, Philosoph 365.
Menekrates, Dichter 462.
Menekrates, Geograph 487
An. 4.
Menelaos, Mathematiker 722.
Menexenos 391.
Menippos, Geograph 666.
Menippos, Kyniker 467, 489.
Menodotos, Historiker 471.
Mesomedes, Lyriker 527.
Metacharakterisantes 54.
Metagenes, Komiker 248.
Methodios, Grammatiker 795.
Methodios, Bischof 748, 755.
Meton, Astronom 719.
Metriker 639 ff., 699.
Metrisches 233, 266.
Metrodoros, Epigrammatiker
663.
Metrodoros, Historiker 486.
Metrodoros, Homeriker 55.
Metrodoros, Philosoph 493.
Metrologen 717.
Metrophanes, Rhetor 601, 627
An. 1.
Mimnermos 111.
Mimus 241.
Minyas 73.
Minucianus, Rhetor 628.
Mnaseas, Geograph 487, 513.
Mnesalkas, Epigrammatiker
443.
Mörbecke, Wilh., Aristoteliker
423.
Moiris, Attikist 642.
Monodien 233.
Morsimos, Tragiker 235.
Moschion, Tragiker 238.
Moschopulos 155, 605 Au. 3.
Moschos, Bukoliker 453.
Munatius 453.
Musaios, Epiker 18, 72.
Musaios, Epiker 657.
Musaios Ephesios, Dichter 454.
Musen 16; ihre Priester 21. }\
Museum 430.
Musik 98 ff.; musikalische
Instrumente 99 f.
Register.
765
Musiker zugleich Dichter 98.
Musonius, Stoiker 583.
Myllos, Komiker 240 An. 5.
Myro (Moiro), Dichterin 442.
Myron, Historiker 577.
Myrsilos, Hisloriker 474.
Myrsilos, Komiker 246.
Myrtis 132, 143.
Myson 112.
Mystas, Philosoph 362.
Mystizismus in Poesie 660 f. ;
in Philosophie 687, 696.
Mythus 11 An. 4.
Mythographen 645 ff.
Naupaktia 91.
Neanthes, Historiker 471.
Nearchos, Admiral 313.
Nemesios, christlicher Philo-
soph 748.
Neophron, Tragiker 236.
Neoptolemos, alex. Dichter
462.
Nepos, Cornelius 528.
Nepos, ehristlicherDichter755.
Neptunianus, Arzt 717.
Nestor, Epiker 533.
Neues Testament 726.
Neuplatoniker 687 ff.
Nigrinus, Philosoph 614.
Nikainetos, alex. Dichter 87
An. 1, 444, 454 An. 6.
Nikander, Dichter 460, 647.
Nikanor, Grammatiker 57, 439,
636*.
Niketes, Sophist 529, 594.
Nikas, Grammatiker 701 An. 5.
Nikias, Arzt und Epigramma-
tiker 443, 448.
Nikias von Elea 95.
Nikias von Nikäa, Philosoph
589.
Nikochares, Komiker 266.
Nikokles, Dithyrambiker 159.
Nikolaos von Damaskos, Pe-
ripatetiker 408, 422, 423,
529, 564*.
Nikolaos ausMyra, Rhetor 626.
Nikomachos, Epigrammatiker
527.
Nikomachos , Mathematiker
641, 722.
Nikomedia 650.
Nikostratos, Komiker 268.
Nikostratos, Rhetor 605, 625
An. 7.
Nomos 99, 1,56 f.; Teile des
Nomos 103; polykephalos
102; pythikos 103; Nomos
in Attika 156.
Nonnos, Epiker 654.
Nossis, Dichterin 442.
Nostoi 71.
Numenios, Didaktiker 462,
468, 612.
Numenios, Grammatiker 295.
Numenios, Philosoph 687.
Nymphis, Historiker 469.
Nymphodoros, Historiker 609
An. 3.
Odyssee 24 f.
Oichalias halosis 73.
Oidipodeia 73.
Oinomaos, Kyniker 529, 585*.
Okellus Lucanus, Philosoph
580.
Ölen 18.
Olymp, Musensitz 16.
Olympiodor, Historiker 664.
Olympiodor, Kommentator 366
An. 4, 396, 423.
Olympos, Flötenspieler 101.
Onesikritos, Historiker 313.
Onomakritos 19, 53, 95*, 658.
Onosander, Taktiker 725.
Oppian, didaktischer Dichter
531.
Opramoas , Dynast Lykiens
607.
Orakel 94; mystische 660;
christliche 750 f.
Oreibasios, Arzt 717.
Origenes, Kirchenvater 737.
Orion, Grammatiker 701.
Oros, Grammatiker 642, 701.
Orpheus 11, 17, 102.
Orpheus aus Kroton 53.
Orphika 658.
Orphiker 20, 93, 94 f.
Pacatus s. Eirenaios.
Päan 104, 125, 439, 528.
Palaiphatos, Mythograph 475,
646.
Palamedes, Grammatiker 155.
Palladas, Epigrammatiker 662.
Palladios über Indien 684.
Pamphila, Grammatiker 633.
Pamphilos, Grammatiker 612,
632*.
Pamphos 19.
Pamphylisch 14 An. 1.
Panätios, Philosoph 491, 497.
Pankrates, Lehrdichter 462.
Panyassis 93, 281.
Papias, Christ 732, 751 An. 4.
Pappos, Mathematiker 723.
Parabase 172.
Paradoxographen 609.
Parmenides 96 f., 358, 389.
Parmenion, Epigrammatiker
526.
Parmeniskos, Grammatiker
516.
Parodie 466.
Parodos 171.
Paroimiographen 644.
Parthenicn 126, 134.
Parthenios, Homeride 52 An. 5.
Parthenios, Elegiker 440, 680.
Pasikles, Philosoph 412.
Patroinus, Hymnendichter 659
An. 10.
Patrokles, Geograph 313, 478
An. 1.
Paulus, Apostel 727.
Paulus, Arzt 717.
Paulus, Astrolog 723.
Paulus von Gerene, Gramma-
tiker 322 An. 3.
Paulus, Rhetor 668 An. 1.
Paulus Silentiarius, Epigram-
matiker 662.
Pausanias, Historiker 577.
Pausanias, Lexikograph 636.
Pausanias, Perieget 574 ff.;
Quellen der Periegese 576;
identisch mit dem Histori-
ker Antiochias 577.
Pausanias, Sophist 577, 606,
607.
Peisander, Epiker 87, 93*.
Peisander der Jüngere 93,
533.
Peisistratos 51.
Pelasger 12; pelasgische In-
schrift 12 An. 4.
Peregrinus, Philosoph 619.
Pe»-gamon 431*, 444.
Perginos, Orphiker 659.
Periander 112.
Perioden der Litteratur 3 f., 5.
Peripatetiker 490.
Periplus des roten Meeres 559,
des schwarzen Meeres 6Q<o.
Persaios, Stoiker 491.
Phaeinos, Grammatiker 264,
698.
Pfahlbauten 313 An. 1.
Phaidimos , Epigrammatiker
443.
Phaidon, Philosoph 365, 383.
Phaidros, Sokratiker 380.
Pliaidros, Epikureer 498.
Phaleas, Politiker 414.
Phallika 239.
Phaistos, Dichter 454 An. 5.
Phanias, Peripatetiker 413
An. 2, 474, 503*.
Phanodemos, Historiker 473.
Phanokles, Elegiker 435.
Phemios 21, 27 An. 3.
Pherekrates, Komiker 246.
Pherekydes von Leros 278.
Pherekydes von Syros 276.
Philagrios, Arzt 717.
Philagrios, Grammatiker 708.
Philammon 18.
Philemon, Komiker 271.
Philemon, Lexikograph 57,
641 An. 3, 705.
Philetairos, Komiker 268.
Philes, Byzantiner 608.
Philetas, Elegiker 434,
766
Register.
Philinos, Historiker 479.
Philippides, Komiker 267,
272.
Philippos , Epigrammatiker
526.
Philippos, Platomker390, 392.
Philiskos, Tragiker 462.
Philistion, Komiker 261 An. 3,
529*.
Philistüs, Historiker 308.
Philochoros, Historiker 85,
473*.
Philodemos , Epikm-eer 58
An. 8, 498*, 526.
Philogelos 708.
l'hiloklcs, Tragiker 179, 235.
Philolaos, Philosoph 358.
Philon, s. Herennios.
Philon, Architekt 724 An. 5.
Philon, ßyzantios 609.
Philon, Dichter 454 An. 5, 527.
Philon, ludaeus 581 ; unechte
Schriften 582.
Philon, Mathematiker 724.
Philon, Akademiker 490.
Philonides, Komiker 246, 250.
Philopator, Stoiker 748 An. 3.
Philoponos Joannes 423, 700,
722.
Philosophie 3, 356 ff., 488 ff.,
577 ff., 686 ff.; philosophi-
sche Gedichte 96; christ-
liche Philosophie 743 ff.;
Philosophenschulen 489.
Philostephanos, Grammatiker
439, 609 An. 5.
Philostorgios , Kirchenhisto-
riker 752.
Philostratos der Altere 529,
602.
Philostratos der Mittlere und
Jüngere 602; der vierte
Philostratos 603, 606; Leben
des Apollonios 603; Heroi-
kos 603 ; Sophistenleben
603 f.; Gymnastikos 604;
Briefe 604 f.; Bilder 605.
Philoxenos , Dithyrambiker
158.
Philoxenos, Grammatiker 634.
Philoxenos, Lexikograph 705.
Philumenos, Arzt 717.
Phlegon, Historiker 564, 609.
Phlyaken 464.
Phokais 73.
Phönikische Elemente des
Griechischen 12; phöniki-
sche Schrift 12.
Phoibammon, Rhetor 625.
Phoinix 119.
Phokylides 112 f.; Phokylidea
113.
Phorminx 51, 99, 100.
Phormis, Komiker 240.
Phoronis 92.
Photios, Patriarch, Bibliothek
1, 704; Lexikon 704.
Phrynichos, Attikist 642.
Phrynichos, Komiker 247.
Phrynichos, Tragiker 176.
Phrynis, Musiker 159.
Phylarchos, Historiker 471.
Physiologus 746.
Pigres 65.
Pindar 141 ff.; Werke 146;
Epinikienl47; O.VII: 144;
P. V, 76: 142; P. X: 142
An. 7 ; Epigramme 76 An 6 ;
Dithyrambus auf Athen 144 ;
Schollen 155.
Pittakos 112.
Planudes. Grammatiker 627.
Piaton, Komiker 247.
Piaton, Philosoph 94, 366 ff.*;
Abstammung 366; Studien
367; Reisen 368; Schul-
gründung 370; dialogische
Form seiner Schriften 371;
Schriften 373; untergescho-
bene 373 An. 4, 390 f.;
Zeitfolge der Schriften 374;
Arten der Dialoge 375; die
kleineren Dialoge 378; die
mittleren 378 ; die kon-
struktiven 385; Briefe 392;
Gesamtcharakter 393; Stil
und Mythus 375, 395; Scho-
llen und Codices 396; Wi-
derlegung des Gorgias durch
Aristides 598, 600
Platonios, Grammatiker 239
An. 1.
Plautus Capt. 267 An 2; Am-
phitr. 268 ; Bacch. Poen.
Stich, eist. Most. 270; Gas.
Rud.Vidul.Merc.Trin. 271;
Asin. 272; Men. 272 An. 4.
Plethon, Geograph 571.
Plotin, Neuplatoniker 688;
seine Schriften 689; seine
Lehre 689 f. ; bei den Ara-
bern 691.
Plutarch 74 An. 3, 89; Leben
546 ; Katalog seiner Werke
547; Biographien 547 ff.;
Apophthegmensamml. 549 ;
Moralia 550 ff.; de mus.
554; Symposiaka 554 f.;
Gedichte 547 ; untergescho-
bene Schriften 546 An. 10,
550, 555 f., 645; de placi-
tis philos. 555, 590; Leben
der 10 Redner 313 An. 5,
543, 555; Verhältnis zu
Macrobius 555; allgemeine
Charakteristik 556.
Poesie 2, Teile derselben 3.
Poimander 697.
Polemon_, Historiker 5 ^'6.
Polemon, Perieget 511*, 576.
Polemon Sophist 606.
Pollianus, Epigrammatiker 66
An. 4.
Pollio, Grammatiker 642, 703.
Pollio, Philosoph 584.
Pollux, Lexikograph 620,
643.
Polyän, Epigrammatiker 527.
Polyän, Historiker 566.
Polybios, Historiker 479 ff. ;
Leben 479; Werke 480;
Charakter seiner Geschicht-
schreibung 481; Stil 483;
angebliches Bild 480 An. 4.
Polybios, Rhetor 625.
Polybos, Arzt 711.
Polyeidos, Sophist und Tra-
giker 159, 238.
Polykrates, Sophist 302, 362,
377.
Polykarp, Bischof 732.
Polykritos, Epiker 454.
Polymnastos 103.
Polyphradmon 176.
Polystratos, Epikureer 498.
Porphyrios, Bischof 651.
Porphyrios, Neuplatoniker 59,
396, 423, 664, 691*.
Porphyrios, Scholiast 520.
Poseidippos, Epigrammatiker
442.
Poseidippos, Komiker 272.
Poseidonios, Aristarcheer 516.
Poseidonios , Philosoph und
Historiker 485.
Potamon, Platoniker 396, 594
An. 4.
Pratinas 157, 176.
Praxagoras, Historiker 665.
Praxilla 132.
Praxiphanes, Peripatet. 50'«.
Priskianos, Neuplatoniker 695.
Priskos, Historiker 665.
Proagon 169.
Prodikos, Dichter 73, 659.
Prodikos, Sophist 361.
Progymnasmiata 625.
Prohairesios 668 An. 2.
Proklos, Neuplatoniker 74, 89,
396, 659, 694*, 749.
Proklos' Chrestomathie 7, Q^,
705*.
Prokopios aus Gaza, Rhetor
677 An. 2, 678*.
Prolalia d. i. Einleitung 615.
Prolog 172, 230.
Prometheus 11, 83 An. 1.
Prooimia 62, 103.
Prosa 2, 273.
Prosodien 124.
Protagoras, Sophist 361 *, 375
Au. 3, 379, 387 An. 2.
Protagoras, Geograph QQ^.
Protogenidcs, Historiker 472
An. 3.
Register.
767
Proxenos, Historiker 474.
Psaon, Historiker 471.
Psellos 627.
Ptolemäer 428.
Ptolemaios, Aristoteliker 400.
Ptolemaios, Astronom und
Geograph 571.
Ptolemaios Chennos, Gram-
matiker 634.
Ptolemaios, Epiker 533.
Ptolemaios Epithetes, Gram-
matiker 57.
Ptolemaios Euergetes 472.
Ptolemaios, Historiker 312,
558.
Ptolemaios Pindarion, Gram-
matiker 516, 700 f.
Ptolemaios, Pliilopator 463
An. 2, 472.
Ptolemaios, Sophist 606.
Pyrrhiche, 104.
Pyrrhon, Skeptiker 494.
Pythagoras 358, Leben von
Porphyrios 692, von lam-
blichos 694; Neupythagoreer
579.
Pytheas, Geogr. 478.
Pytheas Redner 355.
Pythermos, Lyriker 106 An. 3,
130, 466.
Python. Tragiker 238.
Quintilian 541.
Quintus Smyrnaeus , Epiker
653.
Redegattungen 316.
Redner 313 ff.; Kanon der
Redner 316.
Religion im Leben und in den
Schriften der Griechen 686.
Renaissance, griechische 59.
Rhapsoden 50 f., 378.
Rhetorik 3, 313 ff., 623 ff., 678.
Rhianos, Dichter 57, 459 *, 577.
Rhinthon, Dichter 464.
Roman 679 ff.
Roms Einfluss auf die griech.
Litteratur 523 f.
Rufus, Arzt 714.
Rufus, Rhetor 584 An. 3, 628.
Sabinus, Grammatiker 295.
Sabirius Pollio 455.
Sage 11 An. 4, 16; Sagen-
poesie 20 f. ; Sagenkreise 22 ;
troische Sage auf ihrer
Wanderung 48.
Sakadas 103.
Salier 104 An. 4,
Salustius, Neuplatoniker 696.
Salustius, Scholiast 212, 288,
696 An. 3, 698.
Sanchuniathon , Historiker
635.
Sappho 106 An. 3, 124, 128*
586.
Saturnischer Vers 15.
Sat^Tspiel 163.
Satyros, Aristarcheer 516.
Satyros, Peripatetiker 511.
Schauspieler 169, 175, 197, 237.
Schreibekunst und Schrift-
gebrauch 29, 49 f., 274;
phönikische Buchstaben 12;
neue Schrift 54.
Secundus, Philosoph 579.
Sekten der Philosophie 489,
583; der Rhetorik 623; der
Medizin 713; der Christen
744.
Seleukos, Grammatiker 89,
516, 645.
Semonides 118.
Seneca 231.
Sentenzensammlungen 708.
Septuaginta 430.
Sergios, Grammatiker 700.
Serenus, Mathematiker 722.
Severus, Rhetor 626, 678.
Sextius Niger, Botaniker 714,
Q. Sextius, Neupythagoreer
579.
Sextus Empiricus 586.
Sibyllinische Orakel 660.
Sieben Weisen 112.
Sikilien 136,427; Buchhandel,
332 An. 2, 469.
Silenos, Historiker 479.
Silloi 467.
Simmias, Epigrammatiker 442,
445.
Simon 306.
Simonides von Amorgos 78,
118*.
Simonides von Keos 77 An.
3, 138*.
Simonides Magnes 444, 454.
Simplicius, Aristoteliker 423,
695.
Skeptiker 494.
Skiras, Komiker 465.
Skolien 124.
Skopelianos, Sophist 529, 533,
606.
Skylax, Geograph 313.
Skymnos, Geograph 487.
Sokrates, Historiker 486 An. 3.
Sokrates, Kirchenhistoriker
752.
Sokrates, Perieget 513.
Sokrates, Philosoph 96, 122,
214, 262 f.*, der junge So-
krates 389.
Selon 111.
Sopater, Komiker 465,
Sopater, Rhetor 601, 627, 706*.
Sophainetos, Historiker 299.
Sophisten 360 ff.; die neue
Sophistik 590 ff., (iijS ff.
Sophokles 191 ff.; Leben 191 ;
Strategenamt 193; Neuerun-
gen in der Tragödie 197;
Charakteristik 199; Aias
202; Antigene 203; Elek-
tra 205; Oidipus Tyr. 206;
Trachiniai 208; Philoktet
209; Oidipus Col. 171 An.
3, 200; Fragmente 211;
sophokleisches Schema 201 ;
Handschriften und Scholien
212,
Sophokles der Jüngere 235.
Sophokles, deralexandrinische
Tragiker 463.
Sophokles, Grammatiker 459.
Sophonias, Kommentator 423.
Sophron 242, 372.
Sophronios 703 An. 3,
Soranos, Arzt 714.
Sosibios, Grammatiker 474,
Sosigenes 57.
Sosikrates, alexandr. Dichter
87 An. 1.
Sosikrates, Komiker 272.
Sosikrates, Philosoph 589,
Sosilos, Historiker 479,
Sosipater, Komiker 272,
Sosiphanes, Tragiker 462.
Sositheos, Tragiker 462.
Sotades 466,
Soterichos, Epiker 533,
Soterichos, Mathematiker 722.
Sotion, Philosoph 579, 589;
Ps. Sotion 609.
Sozomenos, Kirchenhistoriker
752,
Sparta 102 f., 133, 134 An, 3.
Spendon 134 An, 3,
Speusippos, Philosoph 395.
Sporos, Scholiast 456,
Sprache grieciiische 10 ff,, ihre
Vorzüge 14,
Sprichwörter 132,
Stämme der Hellenen 12 f.
Stasima 171.
Stasinos, Epiker 69.
Stephanos Byzantius, Geo-
graph i.)L)ö.
Stephanos, Komiker 268.
Stephanos, Kommentator 423,
520.
Stesichoros 87, 135*, 446.
Stesimbrotos 6, 55, 280.
Stilpon, Philosoph 365.
Stobaios 7, 707*.
Stoa 491, 551; stoische Gram-
matiker 505; stoische Fra-
gen 551, 581 An. 8.
Strabon 567 ff.; Geschichts-
werk 568 ; Geographika
568 f ; Stil 570.
Stratoklos, Redner 355,
Straton, Epigrammatiker 527.
Straten, Phriosoph 409, 490.
768
Register.
Strattis, Komiker 266.
Sueton's Prata 633.
Suidas 6, 703*.
Susarion, Komiker 240.
Syramachos. Scholiast 264.
Synesios, Bischof 747, 754,
Synkellos 739.
Synkretismus 661, 696.
Syrianos, Kommentator 423,
627.
Tabula lÜaca 68.
Tanz 104, 106.
Tarraios, s. Lukillos
Taktiker 724 f.
Tatianos, Apologet 734.
Teisias (Tisias), Rhetor 314.
Telegoneia 72.
Telekleides, Komiker 246.
Telepbos, Grammatiker 160
An. 1. 642.
Teles, Philosoph 489.
Telesilla 132.
Telestes 159.
Terentius 270. 272.
Terpander 51 An. 2, 102*,
150.
Tetraloeie 167, bei Piaton 373.
Thaies 112. 357.
Thaletas 104.
Thallos, Epigrammatiker 527.
Thallos, Historiker 740.
Thamyris 18.
Theätet, Sokratiker 384.
Theagenes, Grammatiker 55,
278.
Theater 164.
Thebais 72.
Themistios , Philosoph 423,
671*.
Themistogenes , Historiker
299.
Theodektes, Tragiker und
Rhetor 238.
Theodektes, Aristoteliker 418.
Theodoretos, Grammatiker
700.
Theodoretüs , Kirchenhisto-
riker 752.
TheodoridaS; Epigrammatiker
443.
Theodoros Anagnostes, Kir-
chenhistoriker 703 An. 3,
752*.
Theodoros. Grammatiker 67.
Theodoros. Mathematiker 719.
Theodoros, Ptochoprodromos
702.
Theodoros, Rhetor 624.
Theodosios, Grammatiker 698.
Theodosios, Mathematiker 722.
Theodotos, Dichter 454 An. 5.
Theodotos, Sophist 606.
Theognetos, Komiker 272.
Theognetos, Orphiker 659.
Theognis, Elegiker 113.
Theognis, Tragiker 238.
Theogonie Hesiods 82, orphi-
sche 660.
Theognostos, Grammatiker
699.
Theogonie 68, 82, 95.
Theokrites, Bukoliker 447 ff.;
Leben 447; Werke 450;
Kunstcharakter 451 ; Scho-
llen 453.
Theokritos, Historiker 312,
447.
Theolykos, Epiker 454 An. 4.
Theon, Grammatiker 439, 453,
459, 464, 632*.
Theon Smyrnaios, Platoniker
396.
Theon, Mathematiker 456,
572, 724.
Theon, Rhetor 625, 630 An. 4.
Theon Smyrnaeus 396.
Theophanes, Historiker 486,
527.
Theophanes Nonnos, Arzt 718.
Theophilos, Apologet 735.
Theophilos, Grammatiker 507.
Theophrast, Philosoph 402,
409, 415 An. 4, 422, 495*;
Botanik 495; Charakteres
496; Fortleben bei Späteren,
wie Priscian 496, Porphy
rios 497, 692; Dialog Theo-
phrastos 749.
Theophylaktos Simokattes
686.
Theopompos, Historiker 310.
Theopompos, Komiker 266.
Theosophia 751.
Theseis 92.
Thespis 175.
Thesprotis 92.
Thestorides 46, 71, An. 1.
Thomas, Magister 161 An. 8,
155.
Thraker 17.
Thrasylos, Platoniker, 360,
373, 579.
Thrasymachos, Rhetor 315,
362.
Threnos 126.
Thukydides 289 ff.; Herkunft
und Leben 289; Geschichts-
werk 291; Reden 294;
sprachliche Darstellung 295;
Scholien 295, 693.
Thuros, Fabeldichter 122.
Tiberius, Rhetor 288, 349,
625.
Timachidas, Parod. 468.
Timagenes, Historiker 486.
Timaios, Historiker 470.
Timaios, Lexikograph 396.
Timaios, Philosoph 358, 388,
396.
Timokles, Komiker 268.
Timokles, Orphiker 659.
Timokreon 141,
Timokritos 150 An. 6.
Timolaos 65 An. 2.
Timon, Sillograph 467, 494.
Timosthenes. Geograph 487.
Timotheos, Musiker 158.
Timotheos aus Gaza, Gram-
matiker 663 An. 2, 700.
Tisias (Teisias), Rhetor 314.
Tonarten 101, 106.
Tragödie 162, 173 ff.; tragi-
sche Pleias 462.
Traianus. Epigrammatiker
527.
Triklinios 155, 191, 212, 2.34,
264.
Trilogie 167, 198.
Troianischer Sagenkreis 22.
Troilos, Rhetor 627.
Tropenlehre 625.
Tryphiodoros, Epiker 656.
Tryphon, Grammatiker 632.
Tryphon, Rhetor 625.
Tuliius Laureas, Epigramma-
tiker 526.
Tynnichos 125.
Tyrannion, Grammatiker 521,
568.
Tyrtaios 109,
Tzetzes 60, 160 An. 1, 239
An. 1, 264, 627,
Ulpian, Scholiast 350, 698.
Unterricht 101, 429, 592,
649.
Valerius Diodorus, Gramma-
tiker 642.
Valerius PoUio, Grammatiker
584, 642,
Yergilius und Theokrit 450,
451; Catalekta 455 An, 8.
Verzeichnisse, litf erarische 7.
Vestinus, Grammatiker 642,
703.
Vindanios Anatolios 718.
Volkspoesie 21; Volkslieder
132,
Vorhomerische Poesie 14 ff.
Wettkämpfe oder Agone 105.
F. A. Wolf 8. 29.
Xanthos, Historiker 278.
Xanthos, Meliker 136 An. 1
Xenarchos 242.
Xenodamos 105.
Xenokles, Tragiker 236.
Xenokrates, Arzt 713
Xenokrates, Philosoph 395
Xenokritos 105.
Xenon, Grammatiker 28.
Xenophanes 55; 96*, 358.
Register.
769
Xenophon, Erotiker 681.
Xenophon, Historiker 296 ff. ;
Leben 296; Anabasis 298;
Kyrupädie 299; Hellenika
300; Agesilaos 301; Hieron
302 ; Denkwürdigkeiten302 ;
Symposion 303; Oikonomi-
kos 304; Lacedaem. respubJ.
304 ; Atheniens. respubl.
372 An. 1 ; de vec-
305 ; sonstige klei-
nere Schriften 298 An. 7,
305,
tigal.
306.
Xiphilinos, Epitomator 562.
Zacharias Scholastikos 686
An. 2, 749*.
Zenobios,Soph. 637 An. 5, 645.
Zenodoros, Grammatiker 58
An. 1.
Zenodoros, Mathematiker 724.
Zenodot aus Ephesos, Gram-
matiker 56, 507*.
Zenodot aus Mallos. Gram-
matiker 517.
Zenon, eleat. Philosoph 359.
Zenon, Historiker 474, 521.
Zenon, Rhetor 627.
Zenon, Stoiker 491.
Zoilos 55.
Zonaios, Sophist 609 An. 1,
625, 685.
Zonaras, Historiker 562.
Zonaras. Lexikograph 701.
Zonas, Epigrammatiker 526.
Zopyrion, Lexikograph 632.
Zopvros, Orphiker 55, 92 An.
3^ 95, 658.
Zoroastrisches 661, 697.
Zosimos, Historiker 664.
Zosimos, Grammatiker 703.
Zosimos, Rhetor 325 An. 1,
333 An. 1, 350.
Handbuch der klass. Altertmiiswissenschaft. VII. 2. Aufl.
49
Verzeichnis der Abbildungen.
1. Homer, Idealbüste des Museo Capitolino.
2. Aesop, Halbfigur der Villa Albani.
3. Sappho, angebliche, Kopf der Villa Albani.
4. Anakreon, Idealbüste im neuen kapitolinischen Museum.
5. Aischylos, angeblicher, Büste des Museo Capitolino.
6. Sophokles, Statue des Museo Lateranense.
7. Euripides, Büste des Vatikan.
8. Poseidippos, Sitzende Statue des Vatikan.
9. Menander, Sitzende Statue des Vatikan.
10. Herodot, Doppelherme (mit Thukydides) in Neapel
11. Thukydides, Doppelherme (mit Herodot) in Neapel.
12. Lysias, Büste in Neapel.
13. Isokrates, Büste der Villa Albani.
14. Demosthenes, Statue des Vatikan.
15. Aischines, Statue in Neapel.
16. Sokrates, Büste der Villa Albani.
17. Piaton, Büste in Berlin.
18. Aristoteles, Sitzende Statue des Palastes Spada in Rom.
19. Antisthenes, Büste des kapitolinischen Museum.
20. Epikur, Büste des Museo Capitolino.
21. Hippokrates, angeblicher, Büste der Villa Albani.
22. Theophrast, Büste der Villa Albani.
23. Aristides Rhetor, Kopf der sitzenden Statue des Vatikan.
24. Julianus Apostata, nach einer Pariser Goldmedaille.
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Homeros.
Aisopos.
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Aischylos.
Sophokles.
Euripides.
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